Verfassungsfragen der Richterwahl: Dargestellt anhand der Gesetzentwürfe zur Einführung der Richterwahl in Nordrhein-Westfalen [2 ed.] 9783428432172, 9783428032174

Die Untersuchung, die zuerst vor 24 Jahren erschienen und seit längerem vergriffen ist, wird hier unverändert neu aufgel

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German Pages 144 Year 1998

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Verfassungsfragen der Richterwahl: Dargestellt anhand der Gesetzentwürfe zur Einführung der Richterwahl in Nordrhein-Westfalen [2 ed.]
 9783428432172, 9783428032174

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ERNST-WOLFGANG BÖCKENFÖRDE

Verfassungsfragen der Richterwahl

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 250

Verfassungsfragen der Richterwahl Dargestellt anhand der Gesetzentwürfe zur Einführung der Richterwahl in Nordrhein-Westfalen

Von Ernst-Wolfgang Böckenförde

Zweite Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Verfassungsfragen der Richterwahl : dargestellt anhand der Gesetzentwürfe zur Einführung der Richterwahl in NordrheinWestfalen / von Ernst-Wolfgang Böckenförde. - 2. Aufl. Berlin : Duncker und Humblot, 1998 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 250) ISBN 3-428-03217-9

1. Auflage 1974 Alle Rechte vorbehalten © 1998 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-03217-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier

entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort z u r zweiten Auflage Die Untersuchung, zuerst vor 24 Jahren erschienen u n d seit längerem vergriffen, w i r d hier unverändert neu aufgelegt. Sie wieder zugänglich z u machen, rechtfertigt sich aus der A k t u a l i t ä t , die der Frage der Richterwahl, i h r e m Ob u n d ihrer näheren Ausgestaltung, nach w i e vor zukommt. So ist k ü r z l i c h die Einführung einer Richterwahl i n Nordrhein-Westfalen, das sie bisher nicht kennt, wieder i n die Diskussion gekommen u n d dazu eine gutachtliche Äußerung erstattet worden ( D i r k Ehlers, Verfassungsrechtliche Fragen der Richterwahl. Z u Möglichkeiten u n d Grenzen der B i l d u n g von Richterwahlausschüssen, B e r l i n 1998). Die A r t u n d Weise der Bestellung der Richter, denen die Wahrnehm u n g unabhängiger, n u r dem Gesetz unterworfener u n d an Gesetz u n d Recht gebundener Rechtsprechung anvertraut ist, gehört zu den Grundproblemen einer demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassungsordnung. Sie k a n n unterschiedlich geregelt werden, steht aber nicht einem Belieben offen. Die Schrift hat seinerzeit über die durch den Gutachtenauftrag bedingten kompetenzrechtlichen Fragen hinaus die verfassungsrechtlichen S t r u k t u r p r i n z i p i e n i n B l i c k genommen, an denen sich die Regelung der Bestellung der Richter orientieren muß, u n d untersucht, welche Folgerungen sich daraus ergeben. Wenn es i h r dabei gelungen ist, z u einer Gesamtbehandlung der Verfassungsfragen der Richterwahl z u gelangen, wie ein Rezensent gemeint hat (vgl. Hans-Peter Ipsen, DVB1. 1975, S. 278), mag sie auch heute noch für die verfassungsrechtliche Diskussion von Nutzen sein. Freiburg i. Br., i m J u n i 1998 Ernst-Wolfgang

Böckenförde

Vorwort Die Frage, i n welcher Weise die Richter i n ihr A m t berufen werden sollen, hat i m Zusammenhang mit der Diskussion u m Stellung und Funktion des Richters, insbesondere seiner Teilnahme am Prozeß der Rechtsbildung, i n den letzten Jahren erheblich an politischer Aktualität gewonnen. Die Reformbestrebungen, von den Richterverbänden und aus den politischen Parteien angestoßen, haben vor allem die Einführung der Richterwahl zum Ziel. Über deren Ausgestaltung, insbesondere hinsichtlich der Beteiligung der Richter selbst an der Richterwahl, bestehen freilich verschiedene Auffassungen. Die Auseinandersetzung darüber bet r i f f t nicht nur Fragen politischer Zweckmäßigkeit, sie w i r f t ebenso Probleme verfassungsrechtlicher und verfassungsstruktureller A r t auf. Die Regelung der Richterbestellung steht i n einem notwendigen Zusammenhang m i t dem demokratischen Prinzip der Verfassung, dem daraus folgenden Gebot der demokratischen Legitimation aller Ausübung von Staatsgewalt sowie dem Prinzip der Gewaltengliederung; sie unterliegt ferner der Anforderung, Stellung und Funktion der rechtsprechenden Gewalt, wie die Verfassung sie näher bestimmt, zu sichern und abzustützen. Die hier vorgelegte Untersuchung ist als Rechtsgutachten für den Justizausschuß des Landtages Nordrhein-Westfalen entstanden. Sie behandelt neben den formellen landes- und bundesverfassungsrechtlichen Problemen, die eine Einführung der Richterwahl i n Nordrhein-Westfalen aufwirft, vor allem auch die materiell-verfassungsrechtlichen Probleme der Richterwahl und ihrer Ausgestaltung. A n den inhaltlichen Aussagen des Gutachtens ist für die Drucklegung nichts geändert worden; es w u r den lediglich einige ergänzende Hinweise i n den Anmerkungen angebracht und die Einleitung neu gefaßt. Bei der Sichtung und Auswertung von Literatur und Materialien haben mich meine wissenschaftlichen Mitarbeiter, die Herren Otto Jacobs und Dr. W. Opfermann tatkräftig und sehr förderlich unterstützt. Ihnen gilt dafür mein besonderer Dank. Ebenso gilt mein herzlicher Dank meiner Sekretärin Frau H. Hirsch für ihre bewährte Hilfe bei der Herstellung des Manuskripts, dem Lesen der Korrekturen und der Anfertigung des Registers; für das Lesen der Korrekturen danke ich außerdem den Herren H. Mandelartz und J. Wieland. Bielefeld, i m Juni 1974 E.-W. Böckenförde

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Gegenstand der Untersuchung

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Teil A Inhalt und Bedeutung des Art. 58 L V im Hinblick auf die Einführung von Formen der Richterwahl durch (einfaches) Gesetz

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§ 1. Die gegenständliche Erstreckung des Art. 58 LV auf die Ernennung der Richter im Landesdienst I. Wortlaut, systematische und entstehungszeitliche Interpretation II. Entstehungsgeschichte des Art. 58 LV III. Ergebnis

16 16 18 20

§ 2. Der Inhalt des Ernennungsrechts der Landesregierung nach Art. 58 LV 20 I. Der Inhalt des Ernennungsrechts hinsichtlich der Landesbeamten ieS . 20 1. Verfassungstradition und systematischer Regelungszusammenhang des Art. 58 LV

21

2. Notwendige Befugnisse der Regierungsgewalt im demokratischen Rechtsstaat 22 3. Ergebnis II. Der Inhalt des Ernennungsrechts hinsichtlich der Richter im Landesdienst 1. Fehlender Bezug zur Personalhoheit als Kern der Regierungsgewalt 2. Kompetenzbegründende Zuweisung des materiellen Entscheidungsrechts durch den Verfassunggeber 3. Keine nur vorläufige, nicht abschließende Kompetenzbegründung

22 23 23 24 25

8 3. Möglichkeiten der Einschränkung und Übertragung der Befugnisse aus Art 58 LV durch den (einfachen) Gesetzgeber 27 I. Kein besonderer verfassungsrechtlicher Gesetzesvorbehalt 27

Inhaltsverzeichnis

8

II. Das allgemeine Zugriffsrecht des Gesetzgebers gegenüber der Exekutive 29 1. Regelung der materiellrechtlichen Grundlagen und Bindungen des Ernennungsrechts 29 2. Regelung der Ernennungszuständigkeit 30 III. Keine anerkannte Rechtstradition und/oder verfassungsgeschützte Rechtsposition als Grundlage gesetzgeberischer Regelungszuständigkeit 32 IV. Ergebnis

34

§ 4. Vereinbarkeit der Regelungen der Richterbestellung in den vorliegenden Gesetzentwürfen mit Art. 58 LV 34 I. Die Regelung des Gesetzentwurfs der CDU-Fraktion

34

II. Die Regelung des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion

36

III. Ergebnis

38

Teil Β Inhalt und Bedeutung des Art. 9 8 I V G G im Hinblick auf die landesgesetzliche Einführung von Formen der Richterwahl

§ 5. Die derzeit vorgetragenen Interpretationen des Art. 98 IV GG

40

40

I. Begründung (Bekräftigung) der Länderzuständigkeit zur Einführung der Richterwahl bei gleichzeitiger Bindung an die in Art. 98 IV GG vorgesehene Form 41 II. Ermächtigung der Länder zur Einführung der Richterwahl (bei Bindung an die Form des Art. 98 IV GG) unter Suspendierung entgegenstehenden Landes Verfassungsrechts 42 III. Bloße Schutzvorschrift zugunsten der Länder

43

§ 6. Die Regelung des Art. 98 IV GG im systematischen Zusammenhang des IX. Abschnitts des GG . 43 I. Der dreifache Regelungsgehalt des IX. Abschnitts des GG 43 1. Gemeines Bundesrecht über Stellung und Funktion der rechtsprechenden Gewalt und der Richter 44 2. Nur auf den Zentralstaat (Bund) bezogene Regelung 44 3. Kompetenzverteilungs- und -ausübungsregelungen 44 II. Die Regelungen des IX. Abschnitts des GG im einzelnen 1. Materien gemeinen Bundesrechts 2. Das Fehlen gemeinen Bundesrechts für die Richterbestellung 3. Regelungen hinsichtlich der Rechtsstellung der Richter im übrigen —

45 45 45 46

Inhaltsverzeichnis III. Folgerungen für Inhalt und normative Funktion des Art. 98IV GG 1. Keine Abweichungsermächtigung von gemeinbundesrechtlichen Normen der Richterbestellung . 2. Keine Verpflichtung/Begrenzung der Länder auf die in Art. 98 IV GG vorgesehene Form der Richterbestellung 3. Keine Eindeutigkeit bezüglich der Suspendierung entgegenstehenden Landesverfassungsrechts 4. Verbleibender normativer Gehalt § 7. Die Entstehungsgeschichte des Art. 98 IV GG I. Der Gang der Verhandlungen im Parlamentarischen Rat 1. Der ursprüngliche Vorschlag 2. Die Abänderungen im Laufe der Beratungen 3. Ergebnis II. Spätere Auffassungen einiger Verhandlungsbeteiligter III. Schlußfolgerung aus der Entstehungsgeschichte § 8. Abschließende Interpretation des Art. 98 IV GG

46 46 48 49 49 50 50 50 51 53 53 55 56

I. Keine Ermächtigung/Bekräftigung für die Länder mit Bindungscharakter 56 II. Keine Freistellung des Landesgesetzgebers von entgegenstehendem Landesverfassungsrecht ... 57 III. Begrenzung der Bundesrahmenkompetenz nach Art. 98 I I I GG als verbleibender normativer Gehalt 58

Teil C Verfassungsrechtliche Strukturprinzipien in ihrer normativen Bedeutung für die Zusammensetzung/ Funktionsbestimmung von Richterwahlausschüssen

§ 9. Bemerkungen zur Fragestellung

59

59

I. Gegenständliche Eingrenzung 59 1. Ausklammerung des Gesamtproblems der Richterwahl . . . . . . 59 2. Die Interdependenz von Zusammensetzung und Funktion der RiWAe für eine verfassungsrechtliche Beurteilung . 59 II. Erkenntnisziel 59 1. Ermittlung äußerster Grenzen gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit ν . ...... « 60 2. Aufweis verfassungsstruktureller Orientierungspunkte für die Gestaltung von Zusammensetzung/Funktion der RiWAe .. . 60 III. Charakter der möglichen verfassungsrechtlichen Aussagen

61

10

Inhaltsverzeichnis 1. Abschnitt Das PHnzip der Gewaltengliederung

§ 10. Der Inhalt des Prinzips der Gewaltengliederung

61 62

I. Kombination von Gewaltentrennung, -hemmung und -balancierung 62 II. Ausrichtung auf Trennung und Balancierung staatlicher Funktionen, nicht politisch-sozialer Gruppen 64 III. Keine Autonomie der einzelnen Gewalten für die eigene Personalergänzung 65 § 11. Das Verhältnis von Gewaltengliederung und demokratischem Prinzip 66 I. Keine (gleichberechtigte) Nebenordnung

66

II. Das demokratische Prinzip als Grundlage und Rahmen der Gewaltengliederung 67 §12. Folgerungen im Hinblick auf die Zusammensetzung/Funktionsbestimmung von RiWAn 68 I. Richter als solche nicht Repräsentanten der rechtsprechenden Gewalt 68 II. Die Beteiligung der Richter an der Richterbestellung keine notwendige Folgerung aus dem Prinzip der Gewaltengliederung 69 III. Die funktionssichernden Balancierungselemente im Rahmen der demokratischen Legitimation 70 2. Abschnitt Das Prinzip der demokratischen Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt

71

§ 13. Die Geltung des Prinzips der demokratischen Legitimation für die Bestellung (Berufung/Ernennung) der Richter 71 I. Die Rechtsprechungstätigkeit als Ausübung von Staatsgewalt ..

71

II. Keine Durchbrechung des Gebots demokratischer Legitimation wegen richterlicher Unabhängigkeit 72 § 14. Der Inhalt des Prinzips der demokratischen Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt 73 I. Notwendigkeit der demokratischen Legitimationskette für die Ausübung staatlicher Befugnisse 73 1. Unmittelbare und mittelbare demokratische Legitimation 74 2. Demokratische Legitimation der Entscheidung, nicht aUer an der Entscheidung Beteiligten 74 3. Grenzen der Beteiligung von Entscheidungsträgern ohne demokratische Legitimation 77 II. Demokratische Verantwortlichkeit für die Ausübung staatlicher Befugnisse 79

Inhaltsverzeichnis §15. Folgerungen im Hinblick auf die Zusammensetzung/Funktionsbestimmung von RiWAn 80 I. Die Unzulässigkeit kooptationsartiger Formen richterlicher Mitwirkung 81 1. Unzulässige Formen positiver Kooptation 81 2. Unzulässige Formen negativer Kooptation 81 II. Die Unzulässigkeit von bindenden Vorschlags- oder Vetorechten für Richtervertreter bzw. -Vertretungen 83 III. Das Problem bindender/abschließender Vorschlagsrechte bei der Wahl von Richtern als Mitglieder von RiWAn durch das Parlament 84 IV. Das Problem der fehlenden demokratischen Verantwortlichkeit der richterlichen Mitglieder von RiWAn 85 3. Abschnitt Das Prinzip adäquater Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt

86

§ 16. Der besondere Funktionsgehalt der rechtsprechenden Gewalt im Rahmen der politischen Gesamtordnung 87 I. Die primäre Rechtsprechungsfunktion: neutrale, unparteiliche Entscheidung von Rechtsfällen in Bindung an Gesetz und Redit .. 87 1. Inhalt dieser Funktion 88 2. Politische Bedeutung dieser Funktion im Rahmen der politischen Gesamtordnung 89 3. Folgerungen für die Richterbestellung 90 II. Die Funktion der Rechtsfortbildung und Rechtsgestaltung

92

1. Bewußtwerdung und Anerkennung dieser Funktion 2. Eigenart und Grenzen dieser Funktion 3. Folgerungen für die Richterbestellung

92 93 97

III. Die Funktion der Gesellschaftsbefriedung und Gesellschaftsintegration 98 §17. Elemente einer den besonderen Funktionsgehalt der rechtsprechenden Gewalt sichernden Organisation der Richterbestellung 100 I. Keine Aufhebung des politischen Charakters der Richterbestellung (Richter-Personalpolitik) 100 II. Verhinderung einseitiger parteipolitischer Zugriffe auf die Richterbestellung und einer Parteipolitisierung der Richterschaft 102 1. Die Balancierung der Richterbestellung zwischen Exekutive und Legislative 102 2. Die Balancierung der Richterbestellung zwischen Politik und Verwaltung 105 3. Die Balancierung der Richterbestellung zwischen Politik und Richterschaft 107

12

Inhaltsverzeichnis III. Distanzierung der Richterbestellung von beteiligten Ressort- und/ oder Gruppeninteressen 110 1. Die Distanzierung gegenüber Ressortinteressen 111 2. Die Distanzierung gegenüber gesellschaftlich-sozialen Gruppeneinflüssen 113 IV. Betonung des demokratischen Legitimationsrückhalts der rechtsprechenden Gewalt 114

§ 18. Folgerungen im Hinblick auf die Zusammensetzung/Funktionsbestimmung von RiWAn 115 I. Der Vorzug balancierender Lösungen im Verhältnis Exekutive — RiWA 116 II. Der Vorzug balancierender Lösungen in der Zusammensetzung des RiWA 116 III. Die Problematik einer Doppelbeteiligung der Richter an der Richterbestellung 119

Zusammenfassung der Ergebnisse

121

Anhang:

127

Gesetzentwurf der CDU-Fraktion (Landtag NW Drucks. 7/726)

129

Gesetzentwurf der SPD-Fraktion (Landtag NW Drucks. 7/1066)

131

Literaturverzeichnis

135

Sachverzeichnis

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EINLEITUNG

Gegenstand der Untersuchung I. Dem Landtag Nordrhein-Westfalen liegen derzeit zwei Gesetzentwürfe zur Einführung der Richterwahl vor: der Gesetzentwurf der CDUFraktion über die Richterwahl vom 4. 5. 71 (Drucks. 7/726) und der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Änderung des Landesrichtergesetzes vom 13. 9. 71 (Drucks. 7/1066)1. Nach beiden Entwürfen soll künftig über die erstmalige Berufung i n ein Richteramt auf Lebenszeit sowie über die Berufung eines Richters auf Lebenszeit i n ein anderes, gleich- oder höherbesoldetes Richteramt der Justizminister gemeinsam m i t einem Richterwahlausschuß (RiWA) entscheiden (CDU-Entwurf § 1; SPD-Entwurf, A r t . I § 6 a). Unterschiedlich geregelt sind i n beiden Entwürfen die Zusammensetzung des RiWA, die Modalitäten des Zusammenwirkens von Justizminister und R i W A sowie die Zusammensetzung und A r t der M i t w i r k u n g des Präsidialrats bei der Richterwahl. a) Der Entwurf der CDU-Fraktion (Drucks. 7/726) geht diesbezüglich von folgenden Regelungen aus: 1. Der RiWA besteht aus 8 Mitgliedern des Landtags und jeweils 7 Richtern des Gerichtszweiges, zu dem das zu besetzende Richteramt gehört (§ 2 I). Alle Mitglieder, auch die Richter, werden vom Landtag gewählt (§3 1). Die Wahl erfolgt nach den Grundsätzen der Verhältniswahl, und zwar in der Weise, daß jede Fraktion einen eigenen Wahlvorschlag (für AbgeordnetenMitglieder und jeweilige Richter-Mitglieder) einbringen kann und die Sitze nach der Zahl der für die einzelnen Wahlvorschläge abgegebenen Stimmen verteilt werden ( § 3 1 - III). Der RiWA entscheidet mit Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen in geheimer Abstimmung (§ 101). 2. Bei der Auswahl der Richter-Mitglieder sind die Fraktionen nicht frei, sondern an Vorschlagslisten gebunden, die durch Wahlen der Richterschaft (nach dem Wahlverfahren für den Präsidialrat) des jeweiligen Gerichtszweiges erstellt werden (§ 4). Diese Vorschlagslisten müssen bei 14 zu wählenden Richtern (7 Mitglieder und für jedes Mitglied ein vollberechtigter Stellvertreter, durch den sich das Mitglied jederzeit vertreten lassen kann, vgl. § 2 Abs. 3 u. 4) für die ordentliche Gerichtsbarkeit 32 Namen, für die übrigen Gerichtszweige je 24 Namen enthalten. 3. Für das Zusammenwirken von Justizminister und RiWA gilt folgendes: Für jedes zu besetzende Richteramt hat der Justizminister das Vorschlagsrecht in Form eines Einer-Vorschlags, dem er die Unterlagen und die Per1

Den Wortlaut der Gesetzentwürfe s. unten S. 129 ff. (Anhang).

14

Einleitung sonalakten der Mitbewerber beizufügen hat (§9 I). Stimmt der RiWA diesem Vorschlag zu (Zweidrittelmehrheit), ist der Vorgeschlagene gewählt; stimmt er nicht zu, geht das Auswahlrecht unter den Bewerbern auf den RiWA über. Die vom RiWA getroffene Wahl bedarf, um wirksam zu sein, der Zustimmung des Justizministers (§ 9 I I I S. 2 u. 3). Eine Konfliktregelung für den Fall der Nichteinigung ist nicht vorgesehen, ebensowenig eine Regelung für den Fall, daß eine Wahl im RiWA wegen Nichterreichens der Zweidrittelmehrheit in mehreren Wahlgängen nicht zustande kommt.

4. Der Präsidialrat hat das Recht, zu allen Bewerbungen um ein zu besetzendes Richteramt eine Stellungnahme abzugeben. Diese Stellungnahmen sind dem RiWA mit vorzulegen (§ 9 IS. 2). b) Demgegenüber sieht der Entwurf 7/1066) folgende Regelungen vor:

der SPD-Fraktion

(Drucks.

1. Der RiWA besteht aus 15 Mitgliedern, die der Landtag aus seiner Mitte wählt. Die Wahl erfolgt nach den Grundsätzen der Verhältniswahl auf der Grundlage von Vorschlagslisten der Fraktionen (Art. I 2 § 6b). Er entscheidet mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen in geheimer Abstimmung (Art. 12 § 6 h). 2. Das Vorschlagsrecht für ein zu besetzendes Richteramt liegt bei dem für den Gerichtszweig zuständigen Minister, demzufolge nur für die ordentliche, die Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit beim Justizminister; es hat für den Regelfall die Form eines Dreiervorschlags (Art. I 2 § 6 g I). Dem Vorschlag sind, vorbehaltlich gewisser möglicher Beschränkungen durch die GeschäftsO des RiWA, die Unterlagen und Personalakten der Vorgeschlagenen, von den übrigen Bewerbern nur ein Bewerberverzeichnis hinzuzufügen, ferner die Stellungnahmen des Präsidialrats und evtl. Gegenvorschläge des Präsidialrats mit deren Unterlagen und Personalakten (Art. I 2 86gI,S.2). Der RiWA ist bei seiner Wahl an die Vorschläge des zuständigen Ministers bzw. evtl. des Präsidialrats gebunden; er wählt aus ihnen mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Art. I 2 § 6 h Abs. 1 u. 2) ; die GeschäftsO kann Abstimmung im schriftlichen Verfahren (Umlaufverfahren) vorsehen. Jede Wahl bedarf, um zur Ernennung zu führen, der Zustimmung des Justizministers; für diese Zustimmung ist der Justizminister auch bei jenen Gerichtszweigen zuständig, die nicht seiner Dienstauf sieht unterstehen [ζ. Z. Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit] (Art. I 2 § 6 i Abs. 1). Im Konfliktfall, d. h. stimmt der Justizminister nicht zu, entscheidet über die Ernennung die Landesregierung; ebenso entscheidet sie, wenn der RiWA innerhalb von 4 Wochen nicht einen Bewerber aus dem Kreis der Vorgeschlagenen wählt (Art. 12 §6 i Abs. 2). 3. Dem Präsidialrat steht das Recht der Stellungnahme zu jedem Vorschlag des betr. Ministers zu, wobei ihm die Unterlagen und Personalakten aller Bewerber zur Verfügung zu stellen sind (Art. I 7 § 33 Abs. 1). Darüber hinaus kann er auch (wohl nur aus dem Kreis der Bewerber) Gegenvorschläge machen (Art. I 7 § 33 Abs. 2). Stellungnahmen und Gegenvorschläge sind dem RiWA mit vorzulegen; für den RiWA gelten die Gegenvorschläge als vollberechtigte Vorschläge, aus denen er einen Bewerber wählen kann (Art. I 2 § 6 g Abs. 1 S, 2 und § 6 h Abs. 1) ; vgl. dazu oben Ziff. 2.

Gegenstand der Untersuchung

15

II. I m Verlauf der Beratung der beiden Gesetzentwürfe i m Justizausschuß des Landtages und dazu veranstalteter Anhörungen 2 ergaben sich etliche verfassungsrechtliche Zweifelsfragen. Sie betrafen 1. die formell-verfassungsrechtliche Frage, inwieweit das i n der Landesverfassung N W niedergelegte Recht der Landesregierung zur Ernennung der Landesbeamten (Art. 58) einer Einführung der Richterwahl durch einfaches Gesetz entgegenstehe; 2. die bundesverfassungsrechtliche Frage, welche besonderen Ermächtigungen und/oder Bindungen sich für den Landesgesetzgeber bei einer Einführung der Richterwahl aus A r t . 9 8 I V GG ergeben; 3. die materiell-verfassungsrechtliche Frage, welchen inhaltlichen Bindungen der Landesgesetzgeber bei der Ausgestaltung der Richterwahl aus den Grundentscheidungen und Strukturprinzipien des Grundgesetzes bzw. der Landesverfassung unterliegt. Diese Zweifelsfragen wurden i n einem vom Justizministerium für den Justizausschuß des Landtages aufgestellten Fragenkatalog (Landtagsvorlage 7/798) zusammengefaßt. Der Fragenkatalog hat, entsprechend dem erteilten Gutachtenauftrag, den Rahmen für die nachfolgende Untersuchung abgegeben8. Der Aufbau der Untersuchung folgt indes nicht den einzelnen Fragepunkten und ihrer Reihenfolge, sondern den rechtlichen Problemzusammenhängen. Dies geschieht i m Hinblick auf den systematischen Charakter der Erörterungen, aber auch deshalb, weil die Beantwortung etlicher Fragepunkte sich erst aus der Klärung des gèmeinsam zugrunde liegenden Rechtsproblems gewinnen läßt, dann aber zusammen erfolgen kann. Demgemäß werden i n einem ersten Teil (A) Inhalt und Bedeutung des Art. 58 L V i m Hinblick auf die Einführung von Formen der Richterwahl durch (einfaches) Landesgesetz untersucht, i n einem zweiten Teil (B) Inhalt und Bedeutung des A r t . 98 I V GG i m Hinblick hierauf und i n einem dritten Teil (C) die allgemeinen verfassungsrechtlichen Bindungen bei der Ausgestaltung der Richterwahl.

1 Siehe das Protokoll der 29. Sitzung des Justizausschusses am 20. 4. 72, Ausschußprotokoll 7/714. 8 Die einzelnen Fragen sind, zusammen mit den Antworten, unten S. 121 ff. abgedruckt.

TEIL A

Inhalt und Bedeutung des Art. 58 L V im Hinblick auf die Einführung von Formen der Richterwahl durch (einfaches) Gesetz A r t . 58 L V besagt, daß die Landesregierung die Landesbeamten ernennt und daß sie diese Befugnis auf andere Stellen übertragen kann. Ob diese Bestimmung der Einführung der Richterwahl i n den von den beiden Gesetzentwürfen vorgesehenen Formen entgegensteht und demzufolge hierfür eine Änderung der L V erforderlich ist, hängt von drei — näher zu erörternden — Rechtsfragen ab: Umfaßt A r t . 58 L V ungeachtet seines Wortlauts auch das Recht zur Ernennung der Richter i m Landesdienst (§1), umfaßt er neben dem formellen Ernennungsrecht (Ausfertigung der Ernennungsurkunde) auch das sog. materielle Ernennungsrecht, d. h. die Entscheidungsbefugnis über Anstellung, Beförderung, Entlassung (§ 2), unterliegen die Befugnisse der Landesregierung nach A r t . 58 L V aus allgemeinen verfassungsrechtlichen Gründen oder kraft besonderer verfassungsrechtlicher Anordnung dem Vorbehalt der Einschränkung oder Übertragung durch den Gesetzgeber (§ 3).

§ 1. Die gegenständliche Erstreckung des Art. 58 L V auf die Ernennung der Richter im Landesdienst I. Wortlaut und systematische Stellung des A r t . 58 L V könnten dafür sprechen, daß das Ernennungsrecht der Landesregierung (LReg) auf die Landesbeamten ieS beschränkt sei. Voraussetzung dafür wäre allerdings, daß die L V i n gleicher Weise wie das Grundgesetz von einer vollen, status» und funktionsmäßigen Gegenüberstellung von Beamten und Richtern ausgeht. Das GG ist von der bis dahin praktizierten Rechtstradition, die Verwaltungsbeamte und Richter nach ihrer Funktion (einschl. besonderer funktionsbezogener Statusgarantien) unterschied, beide aber i n ihrer dienstrechtlichen Stellung als Beamte begriff 1 , bewußt abge1

s. H. Mende, in: HDStR Bd. 2, § 67, S. 77 f.; problematisierend schon Röttgen, ebd. §69, S. 92; ferner bayr. VerfGH v. 28. 12. 60 = VerfGHE 13, 182 ff. sowie Th. Meder, Handkommentar zur Verfassung des Freistaates Bayern, Vorbem. zu Art. 94, Rdn. 1.

§ 1. Gegenständliche Erstreckung des Art. 58 VerfNW

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rückt. Es sieht Beamte und Richter als zwei selbständige Formen des öffentlichen Dienstes, denen ein je besonderer Rechtsstatus (dienstrechtliche Stellung) zukommt, weshalb sie — als Folge davon — i m Hinblick auf das Ernennungsrecht je besonders erwähnt (Art. 60 I GG), ferner besondere, d. h. von den Beamtengesetzen gesonderte Gesetze zur Regelung der Rechtsstellung der Richter (Art. 98 I und I I I GG) gefordert werden und A r t . 33 I V GG von einem „öffentlich-rechtlichen Dienstund Treueverhältnis", gewissermaßen als Oberbegriff zu Beamtenverhältnis und Richterverhältnis, spricht 2 . Obwohl die L V zeitlich nach dem Grundgesetz i n K r a f t getreten, i m wesentlichen auch erst nach Inkrafttreten des GG beraten worden ist, kennt sie eine entsprechende Gegenüberstellung von Beamten und Richtern nicht. I m Abschnitt „Die Rechtspflege" (Art. 72 - 74) fehlt jede besondere Bestimmung über Rechtsstellung, Berufung und Ernennung der Richter, m i t Ausnahme einer die Ermächtigung des A r t . 98 V GG ausführenden Regelung der Richteranklage i n Art. 73. Auch sonst ergibt sich aus dem Verfassungstext kein Hinweis, daß die i m Grundgesetz getroffene volle Gegenüberstellung von Beamten und Richtern i n die Landesverfassung übernommen oder i n ihr vorausgesetzt sei. Wollte man dies dennoch annehmen, so führte das zu der eigenartigen Konsequenz, daß die L V zwar die Ernennung (Berufung) der Landtagsbeamten (Art. 39 II), der Minister (Art. 52 III), der Exekutivbeamten (Art. 58) und der Mitglieder des Landesrechnungshofs (Art. 87 II) ausdrücklich geregelt, die Ernennung (Berufung) der Richter i m Landesdienst hingegen völlig ungeregelt gelassen hätte. Hinzu kommt, daß die volle, auch dienstrechtliche Gegenüberstellung von Beamten und Richtern, die das GG i m Grundsatz festlegt, i m Jahre 1949 durchaus noch etwas Programmatisches, i n der weiteren Gesetzgebung erst zu Realisierendes an sich hatte, was gerade durch die — normative — Anordnung je besonderer Gesetze für die Rechtsstellung der Bundesrichter und der Richter i n den Ländern i n A r t . 98 I und I I I GG bestätigt wird. Sie wirkte keineswegs ,unmittelbar 4 i n die nach Inkrafttreten des GG formulierten Länderverfassungen hinein. So sprechen Gründe der systematischen und der entstehungszeitlichen Interpretation dafür, daß A r t . 58 L V den Begriff ,Beamte' i m Sinn der * s. dazu den Schriftl. Bericht zum Entwurf eines Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (Pari. Rat, 9. Sitzung v. 6. 5. 49), S. 48/49, sowie Bettermann, Der Richter als Staatsdiener, S. 5 - 8. Α. Α., d. h. nur für eine Klarstellungsfunktion ohne weiterreichende Absicht Menzel, in: Bonner Kommentar, Erstbearb., Erl. I I A 2 e zu Art. 60, und ihm folgend v. Mangoldt-Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bern. I I I 3 zu Art. 60 (S. 1172) und Maunz in MaunzDürig-Herzog, Grundgesetz, Rdnr. 4 zu Art. 60. Hiergegen mit Recht bayr. VerfGH v. 28.12. 60 = VerfGH E 13, 182 ff., Körte, Verfassung Niedersachsens, S. 186 m. w. Nachw. 2

Böckenförde

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Teil A: Art. 58 VerfNW und die Richterwahl

überkommenen Rechtstradition, d. h. unter Einschluß der Richter versteht 3 . II. Dieses vorläufige Ergebnis findet eine auffallende Bestätigung i n der Entstehungsgeschichte der A r t . 58 und 72 L V . Der von der Landesregierung gemäß einem Beschluß des Landtages vorgelegte Entwurf einer Landesverfassung enthielt i n A r t . 72 I eine ausdrückliche Regelung der Richterwahl: „Über die Anstellung der Richter entscheidet der Justizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß." — vgl. LT Drucks. II/1359, ausgeg. am 5.12.49 — I n den Beratungen des Verfassungsausschusses ergab sich eine längere Diskussion darüber, ob i m Hinblick auf A r t . 98 I V GG die Einschaltung des Justizministers bei der Wahl der Richter aller Gerichtszweige notwendig sei oder bei den Sondergerichtsbarkeiten an seine Stelle die jeweiligen Ressortminister, entsprechend der Regelung für die Wahl der Bundesrichter i n A r t . 95 I I GG, treten könnten. Hierüber ergab sich zwischen den Mitgliedern des Ausschusses und den anwesenden M i t gliedern bzw. Beauftragten der Landesregierung keine Übereinstimmung 4 . Das führte zu dem Vorschlag des Vorsitzenden Abg. Jacobi, wegen der Ungeklärtheit der Rechtslage i n der Verfassung über die Richterwahl nichts zu sagen und sie später einfachgesetzlicher Regelung zu überlassen 5 . Diese Auffassung, der sich Justizminister Dr. Sträter anschloß®, wurde noch dadurch unterstützt, daß bereits damals ein Richterrahmengesetz des Bundes i n Vorbereitung und weitgehend durchredigiert war und man i m Verfassungsausschuß davon ausging, daß nach Erlaß dieses Rahmengesetzes die Länder i m Wege der einfachen (Ausführungs-)Gesetzgebung die Richterwahl einführen könnten 7 . Der Verfassungsausschuß kam demgemäß zu einer Aussetzung der Beratungen über A r t . 72 I des Entwurfs und faßte für die 2. Lesung i m Plenum keinen Entschluß. Inzwischen ergaben die Beratungen zu A r t . 57 (heute A r t . 58) des Entwurfs, daß die vom Verfassungsausschuß angenommene Fassung: „Der 8 Ebenso — allerdings ohne Begründung — Geller-Kleinrahm-Fleck, Verfassung NW, Bern. 4 e ee zu Art. 58 (S. 355). 4 Vgl. die 39. Sitzung des Veri A am 17. 2. 50, Prot. S. 239 - 247. Für eine notwendige Einschaltung des Justizministers in allen Fällen insbes. Senatspräs. Geller (S. 240 D - 2 4 1 A, 243 A), Justizminister Dr. Sträter (S. 242 D, 244 C); dagegen insbes. MinRat Dr. Kassmann (S. 240 Β - D), Innenminister Dr. Menzel (S. 242 Α - Β), Abg. Brockmann (S. 247 Α - Β). 5 39. Sitzung des Verf A am 17.2.50, Prot. S. 247 D - 248. 6 Prot., ebd. 7 s. Äußerungen des Justizministers Dr. Sträter in der 39. Sitzung des Verf A, Prot. S. 239 Β (Sträter) und 247 D - 248 A (Jacobi).

§ 1. Gegenständliche Erstreckung des Art. 58 VerfNW

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Ministerpräsident ernennt und entläßt die Landesbeamten auf Vorschlag der Landesregierung" 8 aufgrund eines Antrages der SPD-Fraktion i n der 2. Lesung dahingehend geändert wurde, daß die Landesregierung die Beamten ernennt und entläßt 9 . Diese Fassung des A r t . 57 bewog den Abg. Jacobi i n der Plenardiskussion zu A r t . 72 I dazu, die Streichung dieser Bestimmung vorzuschlagen, weil nunmehr, nachdem nicht mehr der Ministerpräsident, sondern die Landesregierung die Beamten ernenne, ein objektives Prinzip der Prüfung vor der Ernennung Platz greife, das eine Regelung hinsichtlich eines Richterwahlausschusses erübrige. Dem stimmten die Abg. Bollig (CDU) und Krekeler (FDP) i m Ergebnis zu, wenn auch m i t ζ. T. anderer Begründung, während die Fraktion des Zentrums gleichwohl an der Einführung des Richterwahlausschusses, verbunden m i t einer besonderen Regelung für dessen Zusammensetzung, festhielt 1 0 . A r t . 72 wurde daraufhin, zusammen m i t dem Änderungsantrag der Zentrums-Fraktion, noch einmal an den Verfassungsausschuß überwiesen 11 . I m Verfassungsausschuß ergab sich bei der erneuten Beratung ein allgemeines Einverständnis dahin, daß eine Bestimmung über die Einführung der Richterwahlausschüsse entfallen solle; die Zentrums-Fraktion zog ihren Änderungsantrag zurück 12 . I n der 3. Lesung des Verfassungsentwurfs führte der Abg. Dr. Scholtissek als Berichterstatter folgendes aus: „Die Institution des Richterwahlausschusses ist gefallen. Die Regierung sah keine Veranlassung dazu, den Antrag zu erneuern, w e i l nach einer anderen Bestimmung der Verfassung die Beamten vom gesamten Kabinett angestellt werden, also auch die Richter. Man glaubte, es sei deshalb nicht mehr unbedingt nötig, die Institution eines Richterwahlausschusses i n der Verfassung zu verankern 1 3 ." Bei der Schlußabstimmung wurde der A r t . 57 (heutiger A r t . 58) einstimmig angenommen, ebenso der Streichungsvorschlag des Verfassungsausschusses für A r t . 66 (früher A r t . 72 I) betr. Einführung des Richterwahlausschusses 14 . Damit ergibt die Entstehungsgeschichte eindeutig, daß von der Aufnahme der Richterwahl i n die L V , wenn auch aus ζ. T. verschiedenen 8

Vgl. 33. Sitzung des VerfA am 20.1. 50, Prot. S. 90 ff. (93). Vgl. LT-Drucks. II, 1647 sowie die 129. Sitzung des Landtags am 3. 5. 50, Stenogr. Berichte S. 4594. 10 s. dazu 130. Sitzung des LT v. 4. 5. 50, Stenogr. Berichte, 1. Wahlperiode, S. 4513 (Abg. Jacobi), 4514 -16 (Abg. Dr. Bollig), 4521 (Abg. Dr. Krekeler), 4524 (Abg. Dr. Lüneburg [Z]) sowie LT-Drucks. II, 1630 (Änderungsantrag der Zentrums-Fraktion). 11 130. Sitzung des LT v. 4. 5. 50, Stenogr. Berichte, 1. Wahlperiode, S. 4602. 12 Vgl. 59. Sitzung des VerfA v. 15.5.50, Prot. S. 720 C u. D. 18 135. Sitzung des LT am 31. 5. 50, Stenogr. Berichte, 1. Wahlperiode, S. 4861. 14 138. Sitzung des LT am 5. 6. 50, Stenogr. Berichte, 1. Wahlperiode, S. 5043 u.5047. 9



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Teil A: Art. 5 VerfNW und die Richterwahl

Gründen, i m Ergebnis aber einmütig Abstand genommen wurde und statt dessen die Ernennung der Richter i n die Zuständigkeit der Landesregierung fallen sollte, wofür ohne jedes Bedenken die Wortfassung des späteren A r t . 58, daß die Landesregierung die Landesbeamten ernennt, für ausreichend gehalten wurde. I I I . Da das Resultat der Entstehungsgeschichte von dem Resultat der systematischen und entstehungszeitlichen Interpretation nicht abweicht, sondern dieses bestätigt und unterstreicht, bedarf es an dieser Stelle keiner Erörterung der i n Schrifttum und Judikatur umstrittenen Frage, welche Bedeutung der Entstehungsgeschichte für die Interpretation von Verfassungsbestimmungen zukommen kann. Vielmehr läßt sich — mit doppelter Abstützung — das eindeutige Ergebnis feststellen, daß das Ernennungsrecht der Landesregierung i n A r t . 58 L V nach seiner systematischen Funktion und dem Willen des Verfassunggebers das Recht zur Ernennung der Richter i m Landesdienst i n sich einbegreift.

§ 2. Der Inhalt des Ernennungsrechts der Landesregierung nach Art. 58 L V Die normative Aussage i n A r t . 58 L V , daß der Landesregierung die Ernennung der Landesbeamten zukommt, ist i n ihrer inhaltlichen Tragweite nicht aus sich selbst heraus eindeutig. Denn unter ,Ernennung* w i r d i m herkömmlichen juristischen Sprachgebrauch sowohl der Formalakt der Ernennung, d. h. die Ausfertigung und evtl. Aushändigung der Ernennungsurkunde, als auch die sachlich-politische Entscheidung über die Ernennung (Beförderung, Entlassung) verstanden. Demgemäß spricht man vom (bloß) formellen und vom materiellen Ernennungsrecht. Es fragt sich daher, ob i n A r t . 58 L V m i t ,Ernennung 4 nur das formelle oder auch das materielle Ernennungsrecht gemeint ist und ob A r t . 58 L V von einem einheitlichen Inhalt des Ernennungsrechts gegengenüber den Landesbeamten ieS und gegenüber den Richtern ausgeht. Letzteres muß, wie das Beispiel des A r t . 60 GG zeigt, nicht unbedingt der Fall sein. Das dort normierte Ernennungsrecht des Bundespräsidenten hat für die Beamten und Offiziere grundsätzlich auch materiellen Charakter, für die Richter des Bundesverfassungsgerichts hingegen nur formellen Charakter 1 . I. Hinsichtlich der Landesbeamten ieS w i r d das Ernennungsrecht der Landesregierung allgemein als volles, auch die materielle Entscheidungsbefugnis mit einbegreifendes Ernennungsrecht verstanden. 1 s. Maunz in Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, Rdn. 2 zu Art. 60; wohl auch v. Mangoldt-Klein, Grundgesetz, Bern. III. 8 zu Art. 60, S. 1179.

§ 2. Inhalt des Ernennungsrechts nach Art. 58 VerfNW

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1. Diese Auffassung findet ihre Grundlage i n der Verfassungstradition und dem systematischen Regelungszusammenhang, i n dem A r t . 58 L V steht. Die schlichte Zuweisung des Ernennungsrechts für Beamte und/ oder andere Amtswalter bzw. öffentliche Bedienstete an ein bestimmtes Organ durch die Verfassung hat herkömmlich die Funktion, nicht nur das formelle Ernennungsrecht, sondern die gesamte diesbezügliche Entscheidungsgewalt dem betreffenden Organ als Kompetenz zuzuweisen. Dieses w i r d dadurch Inhaber der Ernennungsgewalt bzw. Personalhoheit 2 . Das bedeutet nicht, daß diese Ernennungsgewalt nicht Einschränkungen unterliegen kann, die sie evtl. i m Ergebnis auf ein nur formelles Ernennungsrecht reduzieren. Aber solche Einschränkungen müssen, u m gegenüber dieser Zuweisung wirksam zu sein, i n der Verfassung selbst vorgesehen sein, etwa durch Statuierung von Vorschlags-, Berufungsoder Zustimmungsrechten anderer Organe, oder sich aus einem verfassungsrechtlich zugelassenen Gesetz ergeben. Soweit dies nicht geschehen ist, d. h. für den nicht weiter oder anders geregelten Fall, gebührt dem betreffenden Organ die volle personelle Entscheidungszuständigkeit, m i t der Folge, daß Ernennungsbefugnisse anderer Organe sich von diesem Organ, i m Wege zulässiger Delegation, herleiten müssen. Es besteht kein Grund für die Annahme, daß A r t . 58 L V von dieser aus der Verfassungstradition sich ergebenden Funktion der Zuweisung des Beamtenernennungsrechts abweichen wollte. Er steht i m Abschnitt über „Die Landesregierung", der Bildung, Zusammensetzung und hauptsächliche Befugnisse der Landesregierung zum Gegenstand hat. Der Regelungszusammenhang ist hier, grundlegende Befugnisse der Landesregierung festzulegen und abzugrenzen einerseits gegenüber Befugnissen des Ministerpräsidenten und der Einzelminister (vgl. etwa A r t . 55 I und I I , 59), andererseits gegenüber den Befugnissen des Landtags. Andere Regelungen über das Ernennungsrecht, auch Mitwirkungs- und Balancierungsrechte anderer Organe sieht die L V bis auf zwei Ausnahmen nicht vor. Diese Ausnahmen betreffen einmal die Ernennung der Landtagsbeamten durch den Landtagspräsidenten (Art. 39 II), zum anderen die Wahl der Mitglieder des Landesrechnungshofs durch den Landtag, die dann von der Landesregierung zu ernennen sind (Art. 87 II) — hier w i r d nach dem Regelungszusammenhang ausdrücklich ein (bloß) formelles Er8

Vgl. für die Weimarer Verfassung Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, Anm. 3 zu Art. 46; für die preußische Verfassung von 1920 wird es von Waldecker, Die Verfassung des Freistaates Preußen, Erl. zu Art. 52. vorausgesetzt; ebenso für Art. 841 bayr. Verfassung bei Nawlasky-LeusserSchwaiger-Zacher, Die Verfassung des Freistaates Bayern, Rdn. 6 zu Art. 94; für das Grundgesetz s. Maunz in Maunz-Dürig-Herzog, Rdn. 2 zu Art. 60, und υ. Mangoldt-Klein, Bern. I I I , 8 zu Art. 60, S. 1179.

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Teil A: Art. 58 VerfNW und die Richterwahl

nennungsrecht festgelegt. Von daher spricht alles dafür, daß i n A r t . 58 L V nicht nur ein formelles Ernennungsrecht, sondern auch das sog. materielle Ernennungsrecht geregelt werden sollte; es wäre sonst, m i t Ausnahme der Landtagsbeamten und der Mitglieder des Landesrechnungshofs, i n der Verfassung überhaupt ungeregelt geblieben. Audi in den Verfassungsberatungen ging man, ohne daß das ausdrücklich thematisiert wurde, von einem materiellen Gehalt des in Art. 58 geregelten Ernennungsrechts aus8. Die hier ausführlich diskutierte Frage, ob das Ernennungsrecht beim Ministerpräsidenten (auf Vorschlag der Landesregierung) oder bei der Landesregierung selbst liegen soll, erhält ihre Bedeutung nur unter der Voraussetzung, daß das Ernennungsrecht nicht bloß den Formalakt, sondern auch die sachliche Entscheidung zum Inhalt hat. 2. Dieses Ergebnis w i r d noch durch verfassungsstrukturelle Überlegungen weiter gestützt. Das Bundesverfassungsgericht hat i m Urteil zum Bremischen Personalvertretungsgesetz (E 9, 268 ff.) ausgeführt, daß es ein Erfordernis des „demokratischen Rechtsstaates" i. S. des GG sei, daß es eine funktionsfähige und verantwortliche Regierung gibt und sie über die Befugnisse verfügt, „die erforderlich sind, damit sie selbständig und i n eigener Verantwortung gegenüber Volk und Parlament ihre ,Regierungs'-Funktion erfüllen kann" (S. 281). Hierzu rechnet das BVerfG die Personalhoheit i. S. der Entscheidung über Einstellung, Beförderung, Versetzung etc. der i n der Exekutive tätigen Beamten, die deshalb nicht generell der Regierungsverantwortung und -Zuständigkeit entzogen werden dürfe (S. 282/283). Wenn demnach das materielle Ernennungsrecht hinsichtlich dieser Beamten i m Regierungsbereich verbleiben muß und die L V insoweit durch A r t . 28 I GG gebunden ist 4 , kann und muß man i. S. vernünftiger Interpretation davon ausgehen, daß Art. 58 L V eben dieses Ernennungsrecht und nicht ein anderes (bloß formelles) hat regeln und der Landesregierung zuweisen wollen. Dementsprechend ist der Verf G H NW i m wesentlichen unter Berufung auf das Urteil des BVerfG zu der Auffassung gelangt, daß das Ernennungsrechlt der Landesregierung nach Art. 58 nicht nur formellen, sondern auch materiellen Gehalt habe und ausschließt, daß der Regierung der entscheidende Einfluß bei der Auslese der Beamten genommen w i r d 5 . 3. Es ist demnach nicht nur als eine mögliche oder vielleicht naheliegende, sondern als eine mehrfach gesicherte und insofern zwingende Interpretation anzusehen, daß das i n A r t . 58 L V normierte Ernennungsrecht der Landesregierung hinsichtlich der Landesbeamten ieS auch die materielle Entscheidungsbefugnis umfaßt.. 8

Vgl. das Protokoll der 33. Sitzung des VerfÀ am 20.1.50, S. 90 - 93. s. dazu Geller-Kleinrahm^Fleck, Rdn. 2 b zu Art. 58. 5 Verf GH NW v. 23. 2f 62 — Urteil zu § 23 des SchulverwG — = OVGE 18, 316 (318). Ebenso Geller-Kleinrahm?Fleck, Rdn. 2 b zu Art. 58. 4

§ 2. Inhalt des Ernennungsrechts nach Art. 58 VerfNW

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Eine Bestätigung hat dieses Ergebnis auch durch die Staatspraxis erfahren. Bei der Reduzierung des Ernennungsrechts der Landesregierung auf ein bloß formelles Ernennungsrecht hinsichtlich derjenigen Beamten, die Mitglieder des Landesrechnungshofs sind, das sich aus der Festlegung von deren Wahl durch den Landtag ergab, hat der Landtag selbst eine einfachgesetzliche Regelung für nicht hinreichend erachtet und eine Änderung der LV beschlossen·. II. Ob dieser Inhalt des Ernennungsrechts auch hinsichtlich der Richter i m Landesdienst besteht, ist nicht schon dadurch entschieden, daß das Ernennungsrecht sich, wie oben § 1 dargelegt, auch auf die Richter erstreckt. Denn i n dem Maße wie das Ernennungsrecht des A r t . 58 L V als eine volle, auch materielle Entscheidungsbefugnis aus spezifisch exekutiven Gesichtspunkten begründet wird, die m i t Aufgaben, Funktionserfordernissen und Verantwortung der Regierung als oberstes Exekutivorgan i n Zusammenhang stehen, verliert diese Begründung ihre Tragfähigkeit für das Ernennungsrecht hinsichtlich der Richter. 1. Zweifel an der Geltung des vollen Ernennungsrechts auch hinsichtlich der Richter könnten sich daher insbesondere aus der Begründung ergeben, die der VerfGH N W i n Anlehnung an Ausführungen des BVerfG i n E 9, 268 ff. für dieses Recht gefunden hat. Wenn Personalhoheit und materielles Auswahlrecht hinsichtlich der Beamten aus Wesen und Funktion der Regierungsgewalt i m gewaltenteilenden Staat hergeleitet werden, näherhin aus ihrer Stellung als Parlament und Volk verantwortliche Spitze der Exekutive und ihrer Funktion als oberstes Leitungsorgan der Exekutivtätigkeit 7 , so kann diese Begründung nach ihrer eigenen Logik nur für den exekutiven Bereich, d. h. die Beamten der nachgeordneten Verwaltungsbehörden, die der sachlichen Leitungsgewalt der Landesregierung bzw. eines ihrer Mitglieder unterstehen, Geltung beanspruchen. Wesen und Funktion der Regierungsgewalt haben keine sachnotwendige Beziehung zur Personalhoheit und dem materiellen Auswahlrecht hinsichtlich der Richter; die Richter sind nicht ,Hilf spersonal· der Regierung zur Erledigung der exekutiven Aufgaben, und die Regierung trägt für die Tätigkeit der Richter Parlament und Volk gegenüber keine Verantwortung. Hier müßten also andere und zusätzliche Argumente eingreifen. Die Begründung des vollen Ernennungsrechts aus Wesen und Funktion der Regierungsgewalt legt auch noch eine andere Konsequenz nahe, nämlich die, daß das Ernennungsrecht der Regierung gar nicht erst durch A r t . 58 L V begründet wird, sondern schon unabhängig davon, eben aus den notwendigen Funktionserfordernissen der Regierungsgewalt i m demokratischen Hechtsstaat, besteht. Art. 58 L V hat dann nur • Vgl. dazu Drucks. 7/1188 v. 23. 11. 71 und das Gesetz zur Änderung der Landesverfassung v. 14.12.71 (GV NW S. 393). 7 Vgl. dazu BVerfGE 9, 268 (281 - 82), VerfGH NW v. 23. 2. 63 = OVGE 18, 316 (318).

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Teil A: Art. 58 VerfNW und die Richterwahl

die Bedeutung einer Kompetenz Zuweisung innerhalb der Exekutive; er entscheidet nur, daß das — i h m vorgegebene— Ernennungsrecht nicht dem Ministerpräsidenten (wie etwa nach A r t . 45 der Verfassung BadenWürttemberg), auch nicht jedem Einzelminister für seinen Ressortbereich, sondern der Landesregierung als Kollegium zukommen soll 8 . Für die hier zu klärende Frage ist das insofern relevant, als i n dem Fall, daß A r t . 58 L V nur eine Kompetenzverteilungs-, nicht aber (auch) eine Kompetenzbegründungsnorm ist, er über den Inhalt des Ernennungsrechts hinsichtlich der Richter aus sich selbst keine Regelung trifft, vielmehr eine anderweit getroffene — hier noch zu ermittelnde — Regelung voraussetzt. Wieweit diese hier zunächst nur dargelegte Auffassung zutreffend ist, braucht dann nicht näher untersucht zu werden, wenn sich nachweisen läßt, daß A r t . 58 L V aus besonderen verfassungsrechtlichen Gründen jedenfalls für das Ernennungsrecht hinsichtlich der Richter i m Landesdienst einen kompetenzbegründenden Charakter hat. Die Frage, ob dies — entgegen der dargelegten Auffassung — schon aus allgemeinen Gründen so ist und auch für das Beamtenernennungsrecht gilt, kann i n diesem Fall auf sich beruhen. 2. Argumente für eine kompetenzbegründende Zuweisung des vollen Ernennungsrechts hinsichtlich der Richter i n Art. 58 L V ergeben sich zunächst aus den gleichen Gründen, die oben unter I. 1 dafür angeführt wurden, daß A r t . 58 L V der Landesregierung hinsichtlich der Landesbeamten ieS das volle Ernennungsrecht überträgt. Diese Gründe — Verfassungstradition und systematischer Regelungszusammenhang — sind unabhängig von notwendigen Funktionserfordernissen der Regierung i m demokratischen Rechtsstaat, sie haben keinen notwendigen Sachbezug gerade und ausschließlich auf den Exekutivbereich. Sie gelten daher, wenn A r t . 58 L V gegenständlich auch die Ernennung der Richter umfaßt — was oben I. nachgewiesen wurde —, ebenso für das Ernennungsrecht ihnen gegenüber wie gegenüber den Beamten ieS. Hinzu treten noch weitere Gründe. Wie sich aus der oben § 1 I I . dargelegten Entstehungsgeschichte der A r t . 58 und 72 L V ergibt, hat man i m Verfassungsausschuß und nachfolgend i m Plenum auf eine Regelung der Richterwahl i n der Verfassung nicht zuletzt deswegen verzichtet, weil die Ernennungsbefugnis für die Richter dann vermittels des A r t . 58 i n der Hand der Landesregierung, nicht des Ministerpräsidenten oder des Ressortministers liegen würde und man dies für eine annehmbare, wenn nicht gar gute Lösung hielt 9 . Dabei ging man als selbstverständlich da8

In diesem Sinn ausdrücklich Geller-Kleinrahm-Fleck, Anm. 2 c zu Art. 58. Vgl. die Äußerungen des Berichterstatters Abg. Jacobi in der 130. Sitzung des LT v. 4. 5. 50, Stenogr. Berichte, 1. Wahlperiode, S. 4513, des Abg. Dr. Bollig, 9

§ 2. Inhalt des Ernennungsrechts nach Art. 58 VerfNW

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von aus, daß der Landesregierung dann das volle Ernennungsrecht, einschließlich des materiellen Auswahl- und Entscheidungsrechts, zustehen würde 1 0 . Nur unter dieser Voraussetzung hatte auch der Gedanke, auf die Einführung der Richterwahl vorläufig zu verzichten, wenn die Ernennung der Richter Sache der Landesregierung sein würde, seine politische Logik. Die damit erstrebte Kontrolle und Balancierung des Ressortministers, nicht zuletzt durch den Koalitionspartner, ließ sich nur dann erreichen, wenn der Regierung überhaupt die materielle Entscheidungsbefugnis zukam. M i t dem Verweis der Richterernennung an A r t . 58 L V sollte also der Landesregierung hinsichtlich der Richter gerade jene Ernennungsbefugnis übertragen werden, die ihr hinsichtlich der Beamten ieS schon zustand. Ob diese Befugnis hinsichtlich der Beamten durch A r t . 58 L V konstitutiv begründet oder nur, weil schon unabhängig davon bestehend, der Landesregierung zugewiesen wurde, diese systematisch-konstruktive Frage war völlig belanglos; es sollte das gleiche Ergebnis, wie es hinsichtlich der Beamten ieS bestand, erreicht werden. Die Entstehungsgeschichte ergibt somit, daß Art. 58 L V für das Ernennungsrecht hinsichtlich der Richter jedenfalls auch kompetenzbegründenden Charakter haben sollte. Die systematischen Argumente i n dieser Richtung erhalten daraus eine Bekräftigung und Unterstützung. 3. Fraglich könnte allerdings sein, ob diese kompetenzbegründende Zuweisung des Ernennungsrechts hinsichtlich der Richter nach den Umständen ihrer Entstehung nicht nur als vorläufige Zwischenlösung gemeint war, so daß es insoweit an einer vollen und insbesondere einer abschließenden Kompetenzbegründung mangelt. I n den Beratungen zu A r t . 72 des Verfassungsentwurfs t r i t t deutlich die Auffassung hervor, daß die Einführung der Richterwahl, wenn man sie nicht i n die Verfassung aufnehme, später i m Wege der einfachen Gesetzgebung geregelt werden könne 1 1 . Diese Auffassung blieb ohne Widerspruch. Sie wurde allerdings i n einem besonderen Begründungszusammenhang vorgetragen, nämlich m i t dem Hinweis auf das seinerzeit i n Vorbereitung befindliche Richterrahmengesetz des Bundes, nach dessen Erlaß die Länder dann i m Wege der ausführenden Gesetzgebung die Richterwahl regeln könnten 1 2 . Der Gedankengang war wohl der, daß das ebd., S. 4516, des Abg. Dr. Krekeler, ebd., S. 4521; ferner Innenminister Dr. Menzel in der 59. Sitzung des VerfA v. 17.5.50, Prot. S. 720 C. 10 s. dazu insbes. die Äußerung des Abg. jacobi in der 130. Sitzung des LT am 4.5.50, Stenogr. Berichte, 1. Wahlperiode, S. 4513. 11 Vgl. dazu die Protokolle der 39. Sitzung des VerfA am 17. 2. 50: Abg. Jacobi (S. 247 D, 248 A), Justizminister Dr. Sträter (S. 248 A, auch S. 239 B). 12 Vgl. dazu die Äußerungen des Abg. Jacobi und des Justizministers Dr. Sträter, ebd.

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Teil A : Art. 58 VerfNW und die Richterwahl

alsbald ergehende Rahmengesetz des Bundes auch Rahmenvorschriften über die Ausgestaltung der Richterwahl enthalten, die Frage der Einführung der Richterwahl und der Regelung i m einzelnen jedoch der Landesgesetzgebung überlassen werde. A u f dieser bundesrechtlichen Grundlage könne der Landesgesetzgeber dann, ohne wegen Art. 31 GG durch die Landesverfassung gehindert zu sein, die Richterwahl regeln. Gleichartige Überlegungen spielten offenbar bei der Beratung der niedersächs. Verfassung eine Rolle 18 . Das Ergebnis war, daß die Richterwahl ebenfalls nicht in die Verfassung aufgenommen, aber — in Art. 29 I I I — ein ausdrücklicher Vorbehalt für die Möglichkeit ihrer einfachgesetzlichen Regelung aufgenommen wurde. Nach dem Gang der Beratungen spricht vieles dafür, daß diese Auffassung bei zahlreichen Beteiligten — zusammen m i t der Uneinigkeit über die Frage der notwendigen Beteiligung des Justizministers oder des jeweiligen Ressortministers an der Richterwahl (s. dazu oben § 1 II) — ein maßgebliches Motiv dafür war, von der Regelung der Richterwahl i n der L V abzusehen und die Richterernennung über A r t . 58 L V zunächst der Landesregierung zu übertragen. Da das erwartete Rahmengesetz des Bundes ausblieb (und das später — 1961 — zustande gekommene die Richterbestellung ganz ausklammerte), erfüllten sich diese Erwartungen nicht. Die als vorläufig und demnächst durch Bundesrecht zu überholen erachtete Kompetenzzuweisung an die Landesregierung erwies sich als eine dauerhafte und kam i n ihrem Verfassungsrang voll zur Geltung. Dies kann indes kein Anlaß sein, der erfolgten Kompetenzzuweisung an die Landesregierung einen anderen Sinn zu geben, als er sich aus ihrem — interpretativ ermittelten — Inhalt ergibt. Denn einmal ist nicht auszumachen, wieweit die geschilderte Motiv- und Erwartungslage bei allen Beteiligten vorhanden und maßgeblich war, zum andern erfüllen auch dann, wenn man der Entstehungsgeschichte für die Inhaltsermittlung einer Norm besonderes Gewicht beimißt, Auffassungen i n den Beratungen, die sich nicht auf den Inhalt der getroffenen Regelung selbst, sondern nur auf Motive und auf Erwartungen hinsichtlich ihrer Geltungsdauer und Geltungsintensität beziehen, nicht die Voraussetzungen, u m als Ergebnis der Entstehungsgeschichte für die Inhaltsermittlung maßgeblich zu werden. Es bedarf daher auch an dieser Stelle keiner näheren Auseinandersetzung darüber, wie weit für die Interpretation verfassungsrechtlicher Normen die objektive, systematisch-teleologische Interpretationsmethode alleinige bzw. vorrangige Geltung beanspruchen kann 1 4 oder eine gleichberechtigte Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte notwendig erscheint 1®. 18 14 15

Vgl. H. Körte, Verfassung Niedersachsen, S. 179. So BVerfGE 1, 299 (312); 4, 358 (364ff.); 6, 55 (75) und seitdem in st. Rspr. Dazu E.-W. Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 16 - 18.

§ 3. Einschränkung der Befugnisse aus Art. 58 VerfNW

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Das Ergebnis der vorangegangenen Erörterungen (1. - 3.) läßt sich som i t dahin formulieren, daß A r t . 58 L V der Landesregierung hinsichtlich der Richter i m Landesdienst das volle Ernennungsrecht verfassungskräftig zuweist.

§ 3. Möglichkeiten der Einschränkung und Übertragung der Befugnisse aus Art. 58 L V durch den (einfachen) Gesetzgeber M i t der eben getroffenen Feststellung ist noch nicht die weitere Frage beantwortet, ob und ggfl. inwieweit dem Gesetzgeber angesichts dieses Rechts der Landesregierung (noch) eine Befugnis zukommt, seinerseits auf dem Gebiet der Richterernennung regelnd tätig zu werden, ohne damit gegen die L V zu verstoßen. Eine solche Befugnis kann sich aus besonderen verfassungsrechtlichen Vorbehalten zugunsten des Gesetzgebers ergeben, aus dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Beziehungsverhältnis zwischen gesetzgebender und vollziehender Gewalt (Problem des gesetzgebenden Zugriffsrechts) oder aus von der Verfassung anerkannter Rechtstradition. I. Die verfassungsrechtlichen Regelungen des Ernennungsrechts i m Grundgesetz und i n etlichen Landesverfassungen zeichnen sich dadurch aus, daß sie einen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten des Gesetzgebers enthalten. Sie begründen das Ernennungsrecht des betreffenden Organs (Bundespräsident, Ministerpräsident, Landesregierung) nur, „soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist" oder i n einer ähnlichen Beschränkung 1 . Das bedeutet, daß die Ernennungsbefugnis des betreffenden Organs nur grundsätzlich gewährleistet ist. Sie kann durch den Gesetzgeber für einzelne Bereiche sowohl auf andere Organe übertragen (sog. Übertragungskompetenz) als auch, ζ. B. durch M i t w i r k u n g oder Zustimmung anderer, schon vorhandener oder eigens dafür geschaffener Organe, inhaltlich beschränkt werden (sog. Einschränkungskompetenz). Eine Grenze findet die gesetzgeberische Regelungsbefugnis nur darin, daß das Ernennungsrecht des betreffenden Organs nicht generell aufgehoben oder, wenn auch durch eine Summe von Einzelregelungen, völlig entleert werden darf 2 . 1 So Art. 601 GG, Art. 108 hess. Verf., Art. 102 Verf. Rheinland-Pfalz, Art. 94 saarl. Verf.; etwas enger Art. 51 Verf. Baden-Württemberg („Der Ministerpräsident ernennt die Richter und Beamten des Landes. Dieses Recht kann durch Gesetz auf andere Behörden übertragen werden."). Auch die Weimarer Verfassung enthielt in Art. 46 den Vorbehalt zugunsten des Gesetzgebers. 1 s. — für Art. 60 GG — ν . MangoldUKlein, Bern. III, 6 zu Art. 60 (S. 1173), zugleich mit einem Überblick über die zahlreich ergangenen Übertragungs- und Einschränkungsregelungen; Hamann-Lenz, Grundgesetz, Anm. Β 1 u. 3 zu Art. 60 eher abweichend. Für Art. 46 WRV Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches, Bern. 3 zu Art. 46.

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Teil A: Art. 58 VerfNW und die Richterwahl

Einen solchen Vorbehalt zugunsten des Gesetzgebers enthält die L V i n A r t . 58 nicht. Sie stimmt darin m i t den Verfassungen von Hamburg (Art. 45 I), Schleswig-Holstein (Art. 26) und Niedersachsen (Art. 29 II) überein. Ebensowenig findet sich hier oder an anderer Stelle der L V ein Vorbehalt oder eine Ermächtigung zugunsten des Gesetzgebers, für einen einzelnen, besonders bezeichneten Bereich die ,Ernennung' abweichend zu regeln, wie das ζ. B. i n der niedersächs. Verfassung (Art. 29 III) ausdrücklich hinsichtlich der Einführung der Richterwahl geschehen ist 8 . Man w i r d daher davon ausgehen müssen, daß i n A r t . 58 L V das Ernennungsrecht der Landesregierung nicht nur grundsätzlich, sondern primär und ausschließlich, sozusagen „gesetzesfest", zugewiesen werden sollte. Dem läßt sich auch nicht die Erwägung entgegenhalten, daß ein Vorbehalt zugunsten des Gesetzgebers, auch wenn er nicht ausdrücklich aufgenommen sei, aus Gründen der demokratischen Staatsstruktur, insbesondere der stärkeren demokratischen Legitimation der Legislative gegenüber der Exekutive, als „stillschweigend mitgeschrieben" angesehen werden könne und müsse. Zwar läßt sich unter bestimmten, näher zu kennzeichnenden Voraussetzungen die Rechtsfigur der „stillschweigend mitgeschriebenen Zuständigkeit" durchaus verwenden. Das gilt allerdings zunächst nur i m Bereich der bundesstaatlichen Kompetenzabgrenzung, wo sie zuerst entwickelt worden ist 4 . Inwieweit eine Anwendung dieser Rechtsfigur auch auf das Verhältnis Legislative — Exekutive gerechtfertigt ist, erscheint fraglich, da die Konsequenzen aus der sachlichen Funktions- und demokratischen Legitimationsüberlegenheit des Gesetzgebers gegenüber der Exekutive i m Begriff des legislativen Zugriffsrechts (dazu unten II.) anerkannt und verarbeitet sind. Die Frage braucht aber nicht entschieden zu werden. Denn A r t . 58 L V hat sich zu der Frage der Verlagerung und Einschränkung des Ernennungsrechts nicht verschwiegen, sondern den einen dieser Fälle, die Verlagerung, ausdrücklich dahin geregelt, daß diese Zuständigkeit der Landesregierung selbst zukommen solle (Art. 58 S. 2). Die Tragweite dieser Regelung, nämlich der Ausschluß einer Übertragungskompetenz für den Gesetzgeber, ist i n den Beratungen zu A r t . 58 L V durchaus gesehen und akzeptiert worden 5 . Angesichts dessen und des Umstandes, daß dem Verfassunggeber die Textfassungen derjenigen verfassungsrechtlichen Regelungen, die einen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten des Gesetzgebers festlegen, sicher nicht unbekannt waren, ist es auch nicht angängig, die ausschließliche 8 s. dazu — auch zur Entstehung dieser Vorschrift in den Verfassungsberatungen — H. Körte y Verfassung Niedersachsen, S. 179. 4 Vgl. dazu näher E. Küchenhoff, AöR 82 (1956/57), 413 ff. 5 Vgl. Prot, des VerfA, 33. Sitzung am 20. 1. 50, S. 248 Β (Abg. Dr. Krekeler und Abg. Jöstingmeier).

§ 3. Einschränkung der Befugnisse aus Art. 58 VerfNW

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Regierungszuständigkeit nur für die Übertragung des Ernennungsrechts anzunehmen, für seine Einschränkung hingegen, die i m Ergebnis einer Übertragung bzw. Verlagerung schnell gleichkommen kann, i n A r t . 58 L V einen stillschweigend mitgeschriebenen besonderen Vorbehalt zugunsten des Gesetzgebers hineinzulesen. Das würde der normativen Intention des Verfassunggebers zuwiderlaufen. I I . Fehlt es somit an besonderen verfassungsrechtlichen Vorbehalten zugunsten einer gesetzgeberischen Einschränkung oder Verlagerung des i n A r t . 58 L V statuierten Ernennungsrechts, so erhebt sich die Frage, ob sich nicht aus dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Zuordnungsverhältnis von gesetzgebender und vollziehender Gewalt bestimmte Regelungs- und Zugriffsbefugnisse für den Gesetzgeber auch i n den Bereichen ergeben, die verfassungsrechtlich dem Kompetenzbereich der Exekutive zugeordnet sind. Dieses allgemeine verfassungsrechtliche Zuordnungsverhältnis von gesetzgebender und vollziehender Gewalt, wie es für die gewaltengliedernde Verfassungsordnung i n Bund und Ländern bestimmend ist, ist dadurch gekennzeichnet, daß der vollziehenden Gewalt einerseits aus sich selbst hoheitliche Anordnungs- und Entscheidungsgewalt zukommt, sie also keinem Totalvorbehalt des Gesetzes unterliegt, daß sie andererseits i n vielen Bereichen einer ausdrücklichen Ermächtigung des Gesetzgebers bedarf, u m tätig zu werden (sog. Vorbehalt des Gesetzes), und darüber hinaus auch i n den Bereichen, wo sie keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt, durch den Gesetzgeber gebunden, inhaltlich bestimmt und beschränkt werden kann. Die vollziehende Gewalt ist ihrer verfassungssystematischen Stellung nach die durch Gesetz bindbare und beschränkbare Gew a l t ; sie ist, vermittelt über das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, funktionell eine der Gesetzgebung untergeordnete Gewalt 6 . Die Folgerungen, die sich hieraus für Regelungs- und Zugriffsrechte des Gesetzgebers ergeben, sind freilich unterschiedlich, je nachdem es sich um Sach- und Verfahrensregelungen oder um Zuständigkeitsregelungen handelt. 1. Einigkeit besteht darüber, daß dem Gesetzgeber alle Regelungen, die die materiellrechtlichen Grundlagen und Bindungen der „Ernennungsgewalt" der Landesregierung betreffen, kraft seines Zugriffsrechts unbenommen sind. Die i n A r t . 58 L V der Landesregierung übertragene Zuständigkeit zur Ernennung der Landesbeamten (und Richter) umgreift nicht auch die Zuständigkeit, die materiellrechtlichen Voraus• s. dazu im einzelnen Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 81 ff., 103 ff.; früher schon Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 23 ff. Über die hier einschlägigen Auswirkungen des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung s. Hans J. Wolff, Verwaltungsrecht I, § 30 II, S. 169 ff.

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Teil A: Art. 58 VerfNW und die Richterwahl

Setzungen für Ernennung, Beförderung, Entlassung usf. (allein) zu regeln. Als organisatorische Zuständigkeit für eine bestimmte Sachaufgabe kann sie immer nur unter den Bedingungen und Bindungen ausgeübt werden, die das dafür geltende materielle Recht aufstellt. Das ist nichts anderes als ein Ausfluß des Gesetzmäßigkeitsprinzips. Und umgekehrt ist der Gesetzgeber nicht deshalb i n der materiellrechtlichen Regelung des Beamten- und Richter(ernennungs-, entlassungs)rechts beschränkt, weil die Ernennung selbst i m Zuständigkeitsbereich der Exekutive, hier der Landesregierung, liegt. Über A r t . 33 V GG vermittelt besteht i n diesem Bereich sogar eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, die wesentlichen Zugangsvoraussetzungen, Eignungsanforderungen, Entlassungsgründe etc. i n Gesetzesform festzulegen, um so exekutiver Entscheidungsvollmacht und Ermessensfreiheit Rechtsbindungen aufzuerlegen. Die gleiche Beurteilung gilt für Verfahrensregelungen, soweit sie nicht auf das Ernennungsrecht i n seiner Ausübung, sondern auf materiellrechtliche Bindungen dieses Rechts bezogen sind. Darunter würden etwa die gesetzliche Festlegung der Ausschreibungspflicht, der persönlichen Anhörung vor der Entscheidung, der schriftlichen Begründung u. ä. fallen. Der Ubergang i n den organisatorischen Bereich ist allerdings von hier oft nicht mehr weit. 2. Anders ist die rechtliche Lage für das gesetzgeberische Zugriffsrecht auf Zuständigkeitsregeiungen. Die Organisationsgewalt, die auch die Befugnis, die Zuständigkeiten von Organen zu regeln (und zu verändern), umfaßt, fällt grundsätzlich i n den Eigenbereich der vollziehenden Gewalt. Das heißt, soweit nicht verfassungsrechtlich begründete oder besonders statuierte Vorbehalte zugunsten des Gesetzgebers bestehen, wie ζ. B. nach A r t . 77 L V für die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung, ist es Aufgabe und Befugnis der Exekutive, solche Organisationsregelungen vorzunehmen 7 . Auch für diesen, der Exekutive zukommenden Eigenbereich besteht freilich, vermöge des dargelegten allgemeinen verfassungsrechtlichen Verhältnisses von gesetzgebender und vollziehender Gewalt, ein Zugriffsrecht des Gesetzgebers. Der Gesetzgeber kann auch dort, wo Organisations- und Zuständigkeitsregelungen i h m nicht ausschließlich vorbehalten sind, solche treffen und damit die Exekutive binden. Dementsprechend verfährt auch die Staatspraxis. Der Eigenbereich der Exekutive ist zum Gesetzgeber h i n nicht abgeschlossen, sondern für dessen Zugriff offen 8 . 7 s. dazu die näheren Nachweise bei Böckenförde, Organisationsgewalt, §§ 7 u. 8, S. 78 - 102; Rasch, Die staatliche Verwaltungsorganisation, S. 127 ff. (teilw. abweich.). 8 s. Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 105 - 107, S. 287 f.

§ 3. Einschränkung der Befugnisse aus Art. 58 VerfNW

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Allerdings besteht für den Gesetzgeber die Einschränkung, daß er i n Ausübung seines Zugriffsrechts nicht verfassungsrechtlich begründete Kompetenzbereiche anderer (Verfassungs-) Organe unterlaufen und nicht den Kernbereich bestehender Exekutivkompetenzen aufheben darf. Diese Einschränkung ergibt sich daraus, daß der (einfache) Gesetzgeber rechtlich nicht über der Verfassung, sonder unter ihr steht, ein „pouvoir constitué" ist. Sein Zugriffsrecht ist demzufolge eine Kompetenz i m Rahmen der verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung, aber keine Kompetenz-Kompetenz, um diese Kompetenzordnung von sich aus zu verändern 9 . Welche Folgerungen ergeben sich daraus i m einzelnen? Man w i r d hier unterscheiden müssen. Hinsichtlich der unbenannten Exekutivkompetenzen, d. h. derjenigen, die i n dem allgemeinen Auftrag und Funktionsinhalt der vollziehenden Gewalt begründet sind, ohne i n der Verfassung besonders benannt und geregelt zu sein, findet das Zugriffsrecht seine Grenze (erst) an dem Kernbereich der Exekutivkompetenzen. Diese Grenze ist die gleiche, die auch dann besteht, wenn dem Gesetzgeber gegenüber einer ausdrücklich genannten Exekutivkompetenz eine „anderweitige Regelung" vorbehalten ist; auch das ermächtigt nicht, diese Kompetenz als solche zu beseitigen oder völlig auszuhöhlen. Wann i n diesem Sinn der „Kernbereich" der Exekutivkompetenz betroffen ist, läßt sich nicht allgemein sagen; nicht jede einzelne Kompetenz der Exekutive gehört (auch) zu deren Kernbereich. Eine Konkretisierung für den Bereich des Beamtenernennungsrechts der Regierung bietet insoweit das Urteil des BVerfG zum Bremer Personalvertretungsgesetz 10 . Hinsichtlich der ausdrücklich i n der Verfassung benannten, von i h r besonders geregelten Exekutivkompetenzen ist das Zugriffsrecht demgegenüber weit begrenzter. Denn hier hat die Verfassung eine ausdrückliche Zuweisung bestimmter Kompetenzen an bestimmte Organe vorgenommen. Sofern diese nicht wieder mit einem Vorbehalt zugunsten des Gesetzgebers versehen sind, sollen sie auch i h m gegenüber Bestand haben. I n diesen Fällen kann es nicht darauf ankommen, ob die benannte Kompetenz zum Kernbereich der Exekutivkompetenzen gehört oder nicht; vielmehr soll sie als solche dem Organ, dem sie zugewiesen wurde, verbleiben, als Teil der durch die Verfassung selbst getroffenen Gewichtsverteilung zwischen Legislative und Exekutive. Zugriffsfest ist deshalb nicht nur ein äußerster Kernbereich, sondern der volle Gehalt der Kompetenz. Das schließt gesetzgeberische Regelungen nicht völlig aus, beschränkt sie aber auf Modalitäten, Verfahrensfragen und Beteiligungsregelungen, die nicht die Kompetenz selbst, hier: das Ernennungsrecht, verlagern oder aufteilen. Als K r i t e r i u m dafür, wann es zur Ver9 10

s. dazu Böckenförde, Organisationsgewalt, S. 106. Vgl. BVerfGE 9,268, insbes. 281 - 283.

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Teil A: Art. 8 VerfNW und die Richterwahl

lagerung des Ernennungsrechts kommt, kann der vom BVerfG i n vergleichbarem Zusammenhang entwickelte Gesichtspunkt dienen, daß die Regierung immer dann ihrer Entscheidungsgewalt enthoben wird, wenn sie sich i m Konfliktsfall einer von i h r unabhängigen Stelle beugen muß. I n diesem Fall, folgert das BVerfG, würde diese Funktion i n Wahrheit von dieser anderen Stelle wahrgenommen 11 . Eine Aufteilung des Ernennungsrechts liegt — i n Anwendung dieses Kriteriums — immer dann vor, wenn die Regierung i m Konfliktsfall sich der Entscheidung einer von ihr unabhängigen Stelle zwar nicht beugen muß, aber nur zusammen m i t dieser, i n keinem Fall gegen sie entscheiden kann. I I I . Eine unabhängig von diesem — recht begrenzten — legislativen Zugriffsrecht bestehende Regelungsbefugnis für den Gesetzgeber könnte sich schließlich daraus ergeben, daß insoweit eine von der Verfassung anerkannte Rechtstradition vorliegt, evtl. verbunden m i t einer durch die Verfassung geschaffenen besonderen Rechtsposition, die der Gesetzgeber nur aktualisiert. Eine solche Möglichkeit kann nicht von vornherein beiseite gestellt werden. Eine Verfassung ist i n dem, was sie ausdrücklich regelt, kein Kodex nach A r t eines vollständigen Verfassungsgesetzbuchs, sondern notwendigerweise fragmentarisch. Sie greift bestimmte, besonders wichtige oder umstrittene Materien heraus, um sie ausdrücklich zu regeln, läßt aber ebenso Vieles ungeregelt, w e i l es selbstverständlich erscheint oder nicht i n Frage gestellt ist. Dies hört deswegen nicht schon eo ipso auf, Bestandteil der von der Verfassung vorausgesetzten und insofern anerkannten Ordnung zu sein; vielmehr kommt es auf eine genaue Ermittlung des Normierungswillens der Verfassung i m jeweiligen konkreten Sachzusammenhang an. So hat der VerfGH N W i n seinem Urteil zu § 23 des nw. SchulverwaltungsG den „geschichtlich gewordenen Mischzustand auf dem Gebiet des Beamtenrechts der Lehrer", der sich i n qualifizierten Vorschlagsrechten der gemeindlichen Schulträger für die Bestellung der hauptamtlichen Lehrkräfte und der Schulleiter äußert 12 , nicht schlechthin als m i t A r t . 58 L V unvereinbar angesehen, sondern ihn nur daraufhin überprüft, ob er den Ermessenspielraum der Landesregierung zu weit einschränke, was für einen Teil der Regelung bejaht wurde 1 8 . Die Regelungszuständigkeit zu gewissen Modifikationen und Einschränkungen des Ernennungsrechts findet hier ihre Rechtfertigung i n einer geschichtlich gewachsenen Rechtstradition, die von der Verfassung 11 12 18

s. BVerfGE 9,268 (283). s. im einzelnen § 231 u. I I SdiVG. Vgl. VerfGH NW v. 23.2. 63 = OVGE 18, 316 (319).

§ 3. Einschränkung der Befugnisse aus Art. 58 VerfNW nicht v o l l beseitigt wurde, vielmehr i n dem anerkannten Selbstverwaltungsrecht der an den Schulangelegenheiten beteiligten kommunalen Schulträger eine rechtliche Abstützung findet. Eine ähnliche Abstützung — allerdings ohne entsprechende Rechtstradition — ergibt sich für eine gesetzliche Regelung der Beteiligung der Hochschule an der Bestellung des Hochschulpräsidenten und/oder Kanzlers i n dem i n der Verfassung garantierten Selbstverwaltungsrecht der Hochschulen (Art. 16) 14 . Die Grenzen einer solcherart legitimierten Regelungsbefugnis des Gesetzgebers lassen sich schwerlich generell festlegen. A r t und Intensität der fraglichen Rechtstradition sind dabei zu berücksichtigen, ebenso die, soweit vorhanden, abstützenden verfassungsrechtlichen Rechtspositionen. I n jedem Falle muß jedoch der Kernbereich der Ernennungskompetenz unangetastet bleiben. Denn weder eine anerkannte Rechtstradition noch abstützende verfassungsrechtliche Rechtspositionen können aus sich i n der Verfassung ausdrücklich begründete Kompetenzen derogieren, sie können sie allenfalls i n einem gewissen Ausmaß balancieren. Für den Bereich der Lehrerernennung hat der VerfGH N W die Grenze dahin bestimmt, daß der Landesregierung „soviel an Ermessensspielraum" verbleiben muß, daß ihr „nicht die Möglichkeit entzogen wird, für diese Angelegenheiten von erheblichem politischem Gewicht die Verantwortung zu übernehmen" 1 5 . Da diese gesetzlichen Regelungsbefugnisse sich aus je besonderen rechtlichen Gründen herleiten, sind sie nicht verallgemeinerungsfähig. Sie sind nicht, wie das oben unter II. behandelte gesetzgeberische Zugriffsrecht, Ausdruck eines allgemeinen verfassungsrechtlichen Prinzips. Sie können daher nur dort Anwendung finden, wo jeweils entsprechende besondere Rechtstitel gegeben sind. Daran fehlt es aber i m Hinblick auf die Richterwahl bzw. Richterernennung. Eine gewachsene Rechtstradition i m Sinne einer Beteiligung des Parlaments oder der Richter selbst an der Richterernennung ist i n keiner Weise ersichtlich, eher i m Gegenteil. Stützende Rechtspositionen i n der Verfassung selbst, wie i m Falle der kommunalen oder universitären Selbstverwaltung, fehlen ebenfalls. Die Verfassung hat sich Rechtspositionen einer „richterlichen Selbstverwaltung" oder einer parlamentarischen bzw. parlamentarisch-richterlichen Richterbestellung nicht zu eigen gemacht, vielmehr, wie die Erörterungen oben §§ 1 und 2 ergeben haben, die Ernennung der Richter bewußt der Landesregierung i n alleiniger Zuständigkeit übertragen, und zwar i n Form des vollen, auch ma14 Die Regelungen in §§5 I u. I I (Präsident) und 11 (Kanzler) des geltenden HochschulG unterliegen daher nicht grundsätzlich, möglicherweise indessen wegen des Ausmaßes der Beteiligung der Hochschulen verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf Art. 58 LV. " VerfGH NW v. 23.2.63 = OVGE18,316 (319).

3 Böckeniörde

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Teil A: Art. 58 VerfNW und die

ichterwahl

teriellen Ernennungsrechts. Es kann daher auch nicht daraus eine Besonderheit hergeleitet werden, daß die Richter nicht zur Exekutive gehören, weshalb ihre Ernennung von vornherein für eine M i t w i r k u n g anderer Instanzen, insbesondere von Richterwahlausschüssen, offen sei. Das mag verfassungssystematisch, insbesondere unter Gewaltengliederungsgesichtspunkten und de lege ferenda beachtlich sein, hat aber i n die derzeit geltende Verfassung, wie dargelegt 16 , keinen Eingang gefunden, auch nicht als eine von ihr vorausgesetzte und daher nicht eigens artikulierte Gegebenheit. IV. Als Ergebnis läßt sich daher folgendes festhalten: Das Ernennungsrecht der Landesregierung nach A r t . 58 L V unterliegt keiner Einschränkung oder Übertragung durch den einfachen Gesetzgeber, weder aus einem besonderen verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt (oben I.) noch aus einer von der Verfassung anerkannten Rechtstradition oder anderen i n der Verfassung anerkannten Rechtspositionen (oben III.). Es unterliegt indessen den Regelungsmöglichkeiten und Einschränkungen, die sich aus dem i n dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Verhältnis von gesetzgebender und vollziehender Gewalt begründeten Zugriffsrecht des Gesetzgebers auf den Eigenbereich der Exekutive ergeben (oben II.). Dieses Zugriffsrecht ist jedoch gegenüber einer i n der Verfassung ausdrücklich benannten Exekutivkompetenz, wie sie A r t . 58 L V darstellt, dahin begrenzt, daß hinsichtlich der Ernennungszuständigkeit und des Verfahrens ihrer Ausübung nur Regelungen zulässig sind, die den substantiellen Gehalt dieser Zuständigkeit nicht berühren, sie insbesondere i n der Sache weder aufteilen noch auf andere Organe verlagern.

§ 4. Vereinbarkeit der Regelungen der Richterbestellung in den vorliegenden Gesetzentwürfen mit Art. 58 L V Nachdem bisher die gegenständliche Reichweite, der sachliche Inhalt und die gesetzliche Einschränkbarkeit/Ubertragbarkeit des i n A r t . 58 L V geregelten Ernennungsrechts der Landesregierung untersucht und geklärt worden sind, kann nunmehr die Frage beantwortet werden, ob die vorliegenden Gesetzentwürfe zur Richterwahl m i t A r t . 58 L V vereinbar sind, m i t h i n insoweit ohne gleichzeitige Änderung der Landesverfassung verabschiedet werden können. Die Reihenfolge i n der Behandlung der beiden Gesetzentwürfe richtet sich nach der Reihenfolge ihrer Einbringung i m Landtag. I. Die Regelung der Richterbestellung i m CDU-Entwurf (Drucks. 7/726) unterscheidet zwischen der „Berufung" i n ein Richteramt als der mate16

Vgl. insbes. oben § 2, II. 2 u. 3.

§ 4. Vereinbarkeit der Gesetzentwürfe mit Art. 58 VerfNW

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riellen Auswahlentscheidung und der demgegenüber nicht näher umschriebenen „Ernennung" (§ 1). Die materielle Auswahlentscheidung überträgt er von der Landesregierung auf den Justizminister und den Richterwahlausschuß gemeinsam. Das Zusammenwirken zwischen Justizminister und R i W A ist dabei i n der Weise geregelt, daß der Justizminister das Vorschlagsrecht hat (§ 9 I), dieser Vorschlag aber für den R i W A nicht bindend ist. Stimmt der RiWA dem Vorschlag des Justizministers nicht (mit Zweidrittelmehrheit) zu, so geht das Auswahlrecht unter den Bewerbern an ihn über (§ 9 I I I S. 2). Die dann getroffene Wahl bedarf ihrerseits, u m als Wahl wirksam zu sein und zur Ernennung zu führen, der Zustimmung des Justizministers (§ 9 I I I S. 3). Die Ernennung liegt i n der Hand des Ministerpräsidenten (§ 1 II). Nach dem Sinnzusammenhang der Regelung ist anzunehmen, daß diese Ernennung nur mehr den Formalakt umfassen und folglich dem M i nisterpräsidenten ein anderes Ablehnungsrecht als aus Rechtsgründen nicht zustehen soll, insbesondere nicht eine eigene Ermessensentscheidung. Diese Regelung ist aus zwei Gründen m i t A r t . 58 L V nicht vereinbar. Einmal entzieht sie die materielle Auswahlentscheidung, die i m Ernennungsrecht des A r t . 58 L V enthalten ist, der Landesregierung insoweit, als sie den Justizminister für die Berufung eines Richters definitiv an die Zustimmung des R i W A als einer von der Landesregierung unabhängigen Instanz bindet. Der Justizminister muß sich zwar nicht einer Entscheidung des RiWA beugen, aber er kann i m Konfliktfall nicht allein, sondern immer nur i n Ubereinstimmung m i t dem RiWA eine „Berufung" herbeiführen; eine Konfliktregelung für den Fall der Nichteinigung ist nicht vorgesehen. Damit handelt es sich, i m Sinne des oben (§ 3 II. 2) entwickelten Kriteriums, um eine »Aufteilung 4 des Ernennungsrechts der Landesregierung. Eine solche Kompetenzaufteilung ist aber von dem allgemeinen Zugriffsrecht des Gesetzgebers, wie es gegenüber der Kompetenzregelung des A r t . 58 L V besteht, nicht mehr gedeckt, und besondere Gesetzesvorbehalte oder Rechtstitel für eine solche Zuständigkeitsregelung durch den Gesetzgeber sind, wie dargelegt, nicht vorhanden. Z u m anderen nimmt die Regelung innerhalb der Landesregierung Zuständigkeitsverteilungen und -Verlagerungen vor, die zwar an sich möglich sind, aber gemäß A r t . 58 S. 2 L V nur von der Landesregierung selbst beschlossen werden können. Das gilt sowohl für die Festschreibung der der Landesregierung verbleibenden Beteiligung an der materiellen Auswahlentscheidung auf den Justizminister, der i m Hinblick auf alle Richterämter, einschließlich der Präsidentenstellen, allein zuständig wird, als auch für die Übertragung der Ernennung als Formalakt auf den M i n i sterpräsidenten. Beides sind Teilbefugnisse des i n A r t . 58 L V geregelten Ernennungsrechts, die wie dieses selbst nach der ausdrücklichen Vor3·

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Teil A: Art. 58 VerfNW und die Richterwahl

schrift des A r t . 58 S. 2 L V nur von der Landesregierung selbst auf andere Stellen, sei es innerhalb, sei es außerhalb der Landesregierung übertragen werden können. Dem entspricht auch ganz eindeutig die bisherige Staatspraxis 1 . Werden solche Zuständigkeitsregelungen gesetzlich fixiert, werden sie kraft des Vorranges des Gesetzes für die Landesregierung verbindlich und damit ihrer Disposition entzogen. Eben dies w i l l A r t . 58 S. 2 L V verhindern. II. Die Regelung der Richterbestellung i m SPD-Entwurf (Drucks. 7/1066) unterscheidet ebenfalls zwischen „Berufung" i n ein Richteramt und „Ernennung", ohne daß aber die Ernennung i n jedem Fall auf den Formalakt zurückgenommen ist. Vielmehr gehen Berufungs- und Ernennungsverfahren i n bestimmten Fällen ineinander über. Das Vorschlagsrecht für ein zu besetzendes Richteramt liegt bei dem für den Gerichtszweig zuständigen Minister (idR Dreiervorschlag) und — i m Wege des Gegenvorschlages — beim entsprechenden Präsidialrat (§ 6 g Abs. 1). Die Vorschläge sind für den RiWA verbindlich, er kann nur aus ihnen einen Bewerber wählen (§ 6 h I). Der getroffenen Wahl muß nunmehr, damit sie zur Ernennung führt, (für alle Gerichtszweige) der Justizminister zustimmen (§ 6 i I). Verweigert er die Zustimmung oder lehnt es, umgekehrt, der RiWA ab, einen der Vorgeschlagenen zu wählen, so entscheidet über die Ernennung die Landesregierung (§ 6 i II). Hier geht das (erfolglose) Berufungsverfahren i n das Ernennungsverfahren über. Der Wortlaut läßt nicht klar erkennen, ob i n diesen Konfliktfällen die Landesregierung auf den sog. Stichentscheid zwischen Justizminister und R i W A beschränkt ist oder das volle Ernennungsrecht i. S. der materiellen Auswahlentscheidung an sie zurückfällt. Der Sinnzusammenhang und die Funktion dieser Bestimmung als Konfliktentscheidungsregel sprechen indessen incidenter für das letztere. Hätte nämlich die Landesregierung nur den ,Stichentscheid', so wäre i n nahezu allen denkbaren Konfliktfällen nicht gewährleistet, daß es auch zu einer Konfliktlösung kommt. Das gilt für den am ehesten vorstellbaren Konfliktfall, daß der RiWA dem Gegenvorschlag des Präsidialrats folgt und der Justizminister dieser Wahl nicht zustimmt. T r i t t die Landesregierung hier durch Stichentscheid dem Justizminister bei, so ist nur der Kandidat des RiWA gefallen, aber aus dem Dreiervorschlag des zuständigen M i nisters noch niemand gewählt oder berufen. Ebenso ist es i n dem immerhin denkbaren Fall, daß der Justizminister einer Wahl aus dem Dreier1 Vgl. die VO der Landesregierung über die Ernennung, ruhesetzung der Beamten und Richter im Lande NW v. sowie die entsprechenden AnschlußVOen der einzelnen ihren Geschäftsbereich, abgedr. bei v. Hippel-Rehborn, Nordrhein-Westfalen, Nr. 36 a - 36 k.

Entlassung und Zur20. 2. 68 (GV S. 66) Ressortminister für Gesetze des Landes

§ 4. Vereinbarkeit der Gesetzentwürfe mit Art. 58 VerfNW

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Vorschlag, den ein anderer, ζ. B. der Arbeitsminister aufgestellt hat, nicht zustimmt und die Landesregierung i h m darin folgt. Und völlig unzureichend ist ein bloßer Stichentscheid i n dem Fall, daß der R i W A sich m i t der Wahl eines der Vorgeschlagenen, einschließlich evtl. Gegenvorschläge, verschweigt. Hier ist die Ausübung der der Landesregierung zuerkannten „Entscheidung über die Ernennung" überhaupt nur durch die Wahrnehmung der vollen materiellen Auswahlentscheidung durch die Landesregierung denkbar. Fraglich kann nur sein, ob sie ihrerseits nur aus den gemachten Vorschlägen oder frei aus allen Bewerbern auswählen kann. Geht man von diefcer Interpretation des Konfliktentscheidungsrechts der Landesregierung aus, die sich nach allgemeinen Auslegungsregeln eindeutig nahelegt, so ergibt sich hinsichtlich der Vereinbarkeit der gesamten Regelung m i t A r t . 58 L V folgendes: Das Berufungsverfahren i n Verbindung m i t dem i n Konfliktfällen sich anschließenden Ernennungsverfahren gemäß § 6 i I I führt i m Ergebnis nicht zu einer Aufteilung der Ernennungskompetenz zwischen Landesregierung / zuständigem Minister / Justizminister auf der einen und RiWA auf der anderen Seite. Das Vorschlagsrecht, das nach eigenem, wenngleich pflichtgemäßen Ermessen ausgeübt werden kann, liegt i n der Hand des zuständigen Ministers, verbleibt damit i m Bereich der Landesregierung. Es ist für den RiWA verbindlich. Dieses Vorschlagsrecht w i r d balanciert durch das Recht der Stellungnahme des Präsidialrats, das sich zu Gegenvorschlägen für den RiWA verdichten kann. Folgt der R i W A einem Gegenvorschlag, so führt er nur zur Ernennung, wenn der Justizminister zustimmt. Stimmt er nicht zu, d. h. hält er an den ursprünglichen Vorschlägen aus dem Bereich der Landesregierung fest, so verlagert sich das Auswahlrecht nicht auf eine dritte Instanz, sondern fällt an die Landesregierung (als Kollegium) zurück. Dieses Entscheidungsrecht der Landesregierung ist auch politisch real. Denn dem fraglosen politischen Gewicht eines Votums des RiWA auf der einen Seite steht auf der andern Seite der politische Druck gegenüber, den eigenen Minister (der bei b r i santen* Personalfragen idR seine Vorschläge dem Kabinett vorher vorgetragen hat) nicht leichthin politisch zu desavouieren. Der RiWA verfügt so, i m ganzen und insbesondere i m Hinblick auf die Konfliktfälle gesehen, nur über ein qualifiziertes Mitwirkungsrecht, nicht aber über ein gleichberechtigtes Mitentscheidungsrecht. Daran ändert auch die vorgeschlagene Gesetzesfassung, nach der der R i W A „ w ä h l t " und „entscheidet" (§ 6 h), der Justizminister nur „zustimmt" (§ 6 i), nichts. I m Konfliktfall kann zwar nicht der Minister allein, wohl aber die Landesregierung letztlich allein entscheiden, ohne Übereinstimmung m i t dem RiWA. Dessen Votum bewirkt so zwar eine Veränderung der Entscheidungsinstanz innerhalb des Bereichs der Landes-

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Teil A: Art. 58 VerfNW und die Richterwahl

regierung, verlagert die Entscheidung aber nicht aus diesem Bereich heraus. Die vorgesehene Regelung geht daher i m Verhältnis Landesregierung — RiWA über Begrenzungs-, Beteiligungs- und Balancierungsregelungen, die als durch das gesetzliche Zugriffsrecht noch gedeckt angesehen werden können, wenngleich sie dieses Recht voll ausschöpfen, nicht hinaus. Nicht m i t A r t . 58 L V vereinbar sind hingegen, wie beim CDU-Entwurf, die vorgesehenen Zuständigkeitsverteilungen und -Verlagerungen innerhalb der Landesregierung auf den jeweils zuständigen Minister bzw. den Justizminister. Und zwar wiederum nicht wegen ihres Inhalts, sondern weil sie durch Gesetz getroffen werden und damit der Landesregierung entgegen A r t . 58 S. 2 L V die Dispositionsbefugnis über diese Zuständigkeitsfestlegungen entziehen. Das oben 1. Gesagte gilt hier entsprechend. Diese Unvereinbarkeit läßt sich auch nicht dadurch beseitigen, daß die Landesregierung dieser Zuständigkeitsfestlegung zustimmt oder durch Geschäftsordnungsregelung die Minister an vorherige Kabinettsbeschlüsse bindet. Eine Zustimmung würde bedeuten, daß die Landesregierung sich insoweit freiwillig ihrer Zuständigkeit nach Art. 58 S. 2 L V begibt, was ihr nach allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätzen über die Kompetenzwahrnehmung verwehrt ist, und eine geschäftsordnungsmäßige Rückbindung der Wahrnehmung gesetzlicher Zuständigkeiten eines Ministers an Kabinettsbeschlüsse wäre, sofern die gesetzliche Zuständigkeitsregeiung an sich zulässig ist, als Verstoß gegen die Gesetzesbindung ebenfalls unzulässig. W i l l man die Unvereinbarkeit m i t A r t . 58 S. 2 L V ausräumen, so erforderte das, daß die jetzt den Ministern zugewiesenen Zuständigkeiten — abgesehen vom Vorsitz des Justizministers i m R i W A — jeweils der „Landesregierung oder der von ihr für zuständig erklärten Stelle" zugewiesen würden. I I I . Die vorgesehenen Regelungen der Richterbestellung nach den beiden vorliegenden Gesetzentwürfen sind i n ihrer gegenwärtigen Fassung m i t A r t . 58 L V unvereinbar. Bei dem CDU-Entwurf (Drucks. 7/726) beruht die Unvereinbarkeit auf einem Verstoß gegen A r t . 58 S. 1 (Aufteilung des materiellen Ernennungsrechts) und gegen A r t . 58 S. 2 (Zuständigkeitsübertragungen durch Gesetz), bei dem SPD-Entwurf Pracks. 7/1066) nur auf einem Verstoß gegen A r t . 58 S. 2 (Zuständigkeitsübertragung durch Gesetz). Ein Versuch, die Unvereinbarkeit m i t A r t . 58 L V zu beheben, würde den CDU-Entwurf i n seiner politischen Substanz berühren, den SPDEntwurf i n seiner Substanz wohl unangetastet lassen.

4. Vereinbarkeit der Gesetzentwürfe mit Art. 58 VerfNW

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Eine andere Frage ist, ob eine Durchsetzung der beiden Gesetzentwürfe wegen ihrer Unvereinbarkeit mit A r t . 58 L V i n jedem Falle eine Änderung der Landesverfassung erforderlich macht. Diese Frage kann wegen des Ineinandergreifens von Bundes- und Landesverfassung i n einer bundesstaatlichen Hechtsordnimg abschließend erst nach Klärung von Inhalt und Bedeutung des A r t . 9 8 I V GG beantwortet werden.

TEIL Β

Inhalt und Bedeutung des Art. 9 8 I V GG im Hinblick auf die landesgesetzliche Einführung von Formen der Richterwahl Vorbemerkung I m Zusammenhang des Gutachtens w i r d A r t . 98 I V GG unter zwei Fragestellungen relevant. Einmal i n formeller Hinsicht, ob er evtl. den Landesgesetzgeber für die Einführung der Richterwahl von entgegenstehendem Landesverfassungsrecht freistellt; zum andern i n materieller Hinsicht, ob er den Ländern sachlich-inhaltliche Bindungen und Begrenzungen für die Ausgestaltung der Richterwahl auferlegt und ob, bejahendenfalls, die beiden Gesetzenwürfe sich i m Rahmen dieser Bindungen und Begrenzungen halten. Beide Fragestellungen werden i m folgenden nicht getrennt und nacheinander, sondern gemeinsam untersucht.

§ 5. Die derzeit vorgetragenen Interpretationen des Art. 9 8 I V GG A r t . 98 I V GG gibt durch seine Wortfassung und den Regelungszusammenhang, i n dem er steht, der Interpretation mehrere Fragen auf, die sich aus Wortlaut und systematischer Stellung nicht eindeutig beantworten lassen. Sie sind darin begründet, daß sich A r t . 98 I V GG einerseits seinem Wortlaut nach als Ermächtigungsnorm an die Länder darstellt, andererseits aber höchst zweifelhaft ist, ob den Ländern die Kompetenz zur Regelung dieser Frage überhaupt bundesverfassungsrechtlich entzogen ist, so daß es einer solchen Ermächtigung bedarf. Daraus ergeben sich zwangsläufig Fragen nach dem sonst möglichen normativen Gehalt dieser Regelung, da schwerlich angenommen werden kann, daß eine Verfassungsbestimmung einfach normativ leerlaufend ist. Dementsprechend sind i m Schrifttum mehrere, voneinander abweichende Auffassungen über Inhalt und Bedeutung des A r t . 98 I V GG entwickelt worden, deren unterschiedliche Tragweite i m Hinblick auf eine Bindung oder Freistellung des Landesgesetzgebers durch A r t . 98 I V GG

§ 5. Interpretation von Art. 98IV GG

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sehr erheblich ist. Sieht man von Unterschieden i m Detail ab, so stehen sich folgende drei Auffassungen gegenüber. I. Die überwiegende Auffassung i m Schrifttum sieht i n A r t . 98 I V eine Begründung/Bekräftigung der Landeszuständigkeit zur Einführung der Richterwahl, verbunden mit einer Bindung der Länder an die i n Art. 98 I V GG vorgesehene Form der Richterwahl. A r t . 98 I V GG hat danach eine doppelte Funktion. Einerseits spricht er eine (echte oder unechte) Ermächtigung an die Länder aus, die Richterwahl i n der vorgesehenen Form einzuführen, und zwar eine Ermächtigung, die kraft ihres Verfassungsrangs auch gegenüber dem Bundesrahmengesetzgeber (Art. 98 III) Geltung hat, von diesem also nicht beseitigt oder reduziert werden kann (sog. Schutzfunktion). Zum anderen bindet und beschränkt er die Regelungsbefugnis der Länder dahin, daß diese, wenn sie die Richterwahl einführen, nicht jede Form, insbesondere nicht die reine Wahl, sondern nur die i n Art. 98 I V vorgesehene Form des Zusammenwirkens von Wahlausschuß und Minister festlegen können 1 . Diese Auffassung war auch schon i n den Beratungen zur Landesverfassung wirksam; sie ist i n den bisherigen Beratungen des Landtages zu den Gesetzentwürfen betr. die Einführung der Richterwahl von Sprechern aller Fraktionen vertreten worden, ähnlich auch i m Landtag Baden-Württemberg bei Beratung des dortigen RichterwahlG 2 . Für die Vertreter dieser Auffassung stellen sich einige Interpretationsfragen, die für den Gestaltungsspielraum der Landesgesetzgebung von erheblicher Bedeutung sind. So die Frage, ob der Begriff „Anstellung" i n A r t . 98 I V GG mehr technisch, i. S. der erstmaligen Anstellung (auf Lebenszeit) zu verstehen ist oder auch Beförderungen mitumfaßt; ferner die Frage, ob die M i t w i r k u n g des Justizministers für alle Gerichtszweige zwingend vorgeschrieben ist oder auch der jeweils zuständige Minister an seine Stelle treten kann, wie es i n A r t . 96 I I GG für die Wahl der Bundesrichter vorgesehen ist; schließlich die Frage, welche Anforderungen an die „gemeinsame" Entscheidung von Minister und R i W A zu 1 s. etwa G. A. Zinn, in: Verhandl. des 37. Dt. Juristentages, 1950, S. 59; Holtkotten, in: Bonner Kommentar, Bern. Β 3 b zu Art. 98; v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, 1953, Anm. 5 zu Art. 98; Bettermann, in: Die Grundrechte, Bd. III, 2, S. 609; Th. Spitta , Komm. z. brem. Verfassung von 1947, Anm. zu Art. 136 I; Schäfer, Bay. VB1. 1970, S. 85 ff. (88); Uhlitz, DRiZ 1970, S. 219 ff. (220) ; Meder, Handkomm. z. Verf. des Freistaates Bayern, Rdn. 2 zu Art. 94. * Zu den Beratungen der LV vgl. die Angaben oben Teil Α δ 1 H, insbes. die 39. Sitzung des VerfA v. 17. 2. 50, Prot. S. 241 A, 243 A (Senatspräs. Geller) sowie die 130. Sitzung des LT v. 4. 5. 50, Stenogr. Berichte I, S. 4521 (Dr. Krekeler). Zu den bisherigen Beratungen im Landtag NW s. Sitzung des LT v. 29. 6. 71, Stenogr. Berichte, 7. Wahlp., S. 770 D, 771 A (Dr. Kalsbach), 779 A (Dr. Fell); Sitzung v. 28. 9. 71, ebd., S. 1058 D -1059 A (Dr. Vogt), S. 1061 C (Dr. Kalsbach). Zu den Beratungen im Landtag Bad.-Württ. s. 133. Sitzung v. 24. 2. 72, Stengr. Prot., 5. Wahlp., S. 8430 (Abg. Kraus — SPD), S. 8434 (Justizminister Schieler).

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: Art. 8 V

und die Richterwahl

stellen sind, ob sie i n jedem Fall ein gleichberechtigtes Zusammenwirken beider erfordert oder nicht. Diese Fragen, die zum Teil von den Vertretern dieser Auffassung durchaus unterschiedlich beantwotet werden, brauchen an dieser Stelle nicht weiter verfolgt zu werden; sie werden erst dann rechtlich relevant, wenn feststeht, daß A r t . 98 I V GG die Ermächtigungs- und zugleich Bindungswirkung für die Landesgesetzgebung, die i h m diese Auffassung zuschreibt, wirklich hat. II. Eine andere Auffassung geht davon aus, daß A r t . 98 I V GG ungeachtet seiner sonstigen Wirkungen (die überwiegend wie zu I. angesehen werden) jedenfalls die Funktion hat, die Landesgesetzgebung für die Einführung der Richterwahl von entgegenstehendem Landes verfassungsrecht freizustellen, dieses also zu suspendieren. Der Landesgesetzgeber ist auch nach dieser Auffassung zur Einführung der Richterwahl keineswegs gehalten, sondern nur ermächtigt, aber diese Ermächtigung gilt auch dann — kraft des Geltungsvorrangs des Bundesrechts —, wenn die Landesverfassung die Richterwahl ausdrücklich oder konkludent ausschließt; insoweit bedarf es keiner vorherigen Verfassungsänderung 8 . I n den bisherigen Beratungen des Landtages NW zu den Gesetzentwürfen betr. Einführung der Richterwahl ist diese Auffassung ebenfalls geltend gemacht worden 4 . Da A r t . 98 I V GG von den „Ländern", nicht vom Landesgesetzgeber spricht, kann sich diese Auffassung schwerlich auf den Wortlaut dieser Bestimmung berufen. I h r tragendes Argument entnimmt sie neben einem Gegenschluß aus A r t . 98 V GG, der entgegenstehendes Landesverfassungsrecht ausdrücklich für unberührt erkläre, der Erwägung, daß die Befugnis, die A r t . 98 I V GG den Ländern zuerkenne bzw. verleihe, zwar von den Ländern nicht ausgeübt zu werden brauche, daß sie aber nicht auf die Befugnis als solche verzichten könnten. Der Verzicht auf die Ausübung des Rechts sei zugelassen, nicht aber der Verzicht auf das Recht selbst 5 .

8 So insbes. G. A. Zinn, in: Verhandl. des. 37. Dt. Juristentages, 1950, S. 59; Holtkotten, in: Bonner Kommentar, Bern. I I Β 1 a u. b zu Art. 98 IV (S. 126 f.); Uhlitz, DRiZ 1970, S. 220 r (unter Berufung auf Zinn und Holtkotten). Mehr referierend, i. S. einer Möglichkeit, die noch näherer Begründung bedürfte, L. Schäfer, BayVBl. 1970, S. 87. 4 Vgl. 55. Sitzung des L T v. 14. 5. 69, Stenogr. Berichte, 6. Wahlperiode, S. 2234 (Dr. Klose), S. 2235 (Dr. Weimann); 22. Sitzung des LT v. 29. 6. 71, Stenogr. Berichte, 7. Wahlperiode, S. 771A (Dr. Kalsbach). 5 I n diesem Sinn G. A. Zinn, S. 59, und Holtkotten, S. 126 f. Berufungsfall für Holtkotten ist die Kommentierung des Art. 63 WRV durch G. Anschütz, wonach den Ländern das Recht eingeräumt war, ihren Bevollmächtigten im Reichsrat Instruktionen zu erteilen.

§ 6. Art. 98IV GG im Zusammenhang des IX. Abschnittes

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I I I . Die dritte, i m Schrifttum nur sehr vereinzelt und ohne nähere Begründung vertretene Auffassung spricht A r t . 98 I V GG als normativen Gehalt allein eine Schutzwirkung zugunsten der Länder gegenüber der Rahmenkompetenz des Bundes nach A r t . 98 I I I GG zu. Die Länder w ü r den weder durch A r t . 98 I V erst ermächtigt, die Richterwahl einzuführen — sie hätten diese Kompetenz aus der ihnen verbliebenen Justizhoheit ohnehin —, noch seien sie an die i n A r t . 98 I V GG vorgesehene Form der Richterwahl gebunden; A r t . 98 I V verhindere indes, daß der Bundesrahmengesetzgeber den Ländern die hier genannte Form der Richterwahl als eigene Gestaltungsmöglichkeit entziehen könne®. Diese Auffassung führt, wie ihre Darlegung zeigt, nicht zu einer völligen normativen Entleerung des A r t . 98 I V GG; sie kann daher als eine mögliche Inhaltsbestimmung nicht von vornherein abgewiesen werden. Sie reduziert allerdings die normative Funktion dieser Verfassungsbestimmung i n sehr erheblichem Umfang und würde alle ,föderalistischen' Probleme aus einer „Ermächtigung" oder „Bindung" der Länder gegenstandslos machen. Angesichts der weitreichenden Divergenzen der vorstehend dargelegten Auffassungen über Inhalt und normative Bedeutung des Art. 98 I V GG kann es nicht sein Bewenden dabei haben, die einzelnen Auffassungen nach ihren mehr oder weniger guten Gründen abzuwägen und danach zu entscheiden. Vielmehr bedarf es einer Klärung der Frage von Grund auf, die — soweit möglich — zu einem eindeutigen Ergebnis führt. Demgemäß soll i m folgenden zunächst die Regelung des Art. 98 I V i n den systematischen Regelungszusammenhang und -inhalt des I X . A b schnittes des Grundgesetzes hineingestellt und von dorther interpretiert und sodann ihre Entstehungsgeschichte i n den Verhandlungen des Parlamentarischen Rates untersucht werden.

§ 6. Die Regelung des Art. 9 8 I V im Zusammenhang des I X . Abschnitts des GG I. Der I X . Abschnitt des GG, überschrieben „Die Rechtsprechung", weist i n seinen verschiedenen Einzelbestimmungen (Art. 92 -104) die Eigenart auf, daß er, ähnlich wie der II. und der X . Abschnitt, Regelungen m i t sehr unterschiedlichem rechtlichen Charakter und Geltungsanspruch enthält. Der Grund dafür liegt i n der Eigenart bundesstaatlicher β s. die — unveröff. — gutachtliche Äußerung der Professoren Blomeyer u. Wengler für das Abgeordnetenhaus von Berlin v. 18. 10. 54, S. 9 (ohne Begründung); Oppermann, Richterberufung, S. 157; Drexelius-Weber, Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Bern. 3 zu Art. 63; wohl auch Uhlitz, DRiZ 1970, S. 219/20, allerdings in Widerspruch zu den Ausführungen unter Ziff. 8 (S. 220), die von einer Bindungswirkung für die Länder ausgehen.

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: Art. 8 V

und die Richterwahl

Verfassungen. Diese regeln notwendigerweise einmal die Organisation und Ausübung der Staatsgewalt des Zentralstaates (Bund), zum andern das bundesstaatliche Verfassungsverhältnis i. S. der Rechtsbeziehungen, der Kompetenz- und Finanzaufteilung zwischen Bund und Ländern, schließlich den Bereich der i n Bund und Ländern gemeinsam geltenden Rechtsgrundsätze und politischen Strukturprinzipien, der als „gemeines Bundesrecht" bezeichnet werden kann. 1. Demgemäß finden sich i m I X . Abschnitt eine Reihe von Bestimmungen, die grundsätzlich Stellung und Funktion der rechtsprechenden Gew a l t und der Richter für Bund (Zentralstaat) und Länder gemeinsam regeln. Dazu gehören etwa A r t . 92, A r t . 97, Art. 100 und 101. Diese Bestimmungen gelten als ,gemeines Bundesrecht', d. h. unmittelbar für und i n Bund und Länder(n). Sie sind darin den Grundrechtsbestimmungen des GG vergleichbar, die ebenfalls nicht nur für die Ausübung der Staatsgewalt des Bundes, sondern gleichermaßen für die Ausübung der Landesstaatsgewalt Geltung als „unmittelbar geltendes Recht" beanspruchen 1 . Soweit solche Regelungen gemeinen Bundesrechts i m I X . Abschnitt reichen, sind die Länder und ist der Landesgesetzgeber i n seiner Regelungszuständigkeit unmittelbar inhaltlich gebunden. Das folgt aus der begrenzenden Wirkung der bundesstaatlichen Verfassung für jede A r t der Ausübung von Landesstaatsgewalt, die i n A r t . 30 und 31 GG normativ festgelegt ist. 2. Daneben enthält der I X . Abschnitt zahlreiche Regelungen, die sich m i t der Organisation der rechtsprechenden Gewalt befassen, soweit diese vom Bund (Zentralstaat) selbst ausgeübt wird, und der rechtlichen Stellung und Bestellung der Richter, die i m Dienste des Bundes (Zentralstaates) stehen. Dazu gehören etwa Art. 94 - 96, 98 Abs. 1 und 2 GG. Diese Vorschriften beanspruchen von vornherein nur die Rechtsprechungs-/ Justizhoheit des Zentralstaates, beziehen sich auf „Bundesgerichte" und die „Bundesrichter"; für die Länder kommt ihnen weder unmittelbar noch mittelbar eine Bindungswirkung zu. Das Prinzip des A r t . 30 GG findet auch hier Anwendung: Soweit die bundesstaatliche Verfassung nicht gemeines Bundesrecht festlegt, sondern nur zentralstaatliche Organisations- und Statusfragen regelt, ist kein Rechtstitel aus der Verfassung selbst ersichtlich, der die Länder rechtlich an diese Regelungen bindet — es sei denn, daß eine solche Regelung i n einem Ausnahmefall schon auf Grund der strukturellen Homogenitätsgarantie des A r t . 28 GG für die Länder Verbindlichkeit hätte. 3. Schließlich kennt der I X . Abschnitt auch noch Kompetenzverteilungs- und Kompetenzausübungsregelungen, wie i n A r t . 98 Abs. 1, 3 u. 5. 1 Das ist unstreitig. Vgl. statt anderer Dürig, in: Maunz-Dürig-Herzog, Rdn. 107 zu Art. I U I .

§ 6. Art. 98IV GG im Zusammenhang des IX. Abschnittes

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Hier geht es, ungeachtet bestehender sachinhaltlicher Bindungen für eine Regelung, u m die Abgrenzung der Regelungszuständigkeit zwischen Bund und Ländern für bestimmte Kompetenzbereiche und die Form ihrer Ausübung (Art. 98 Abs. 3: durch besonderes Gesetz). Auch diese Regelungen müssen auf dem Hintergrund der allgemeinen grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilungsregel (Art. 30) interpretiert werden, daß eine Vermutung sowohl für die Zuständigkeit der Länder als auch für die Freiheit der Länder i n der Wahrnehmung ihrer Zuständigkeiten spricht. I I . Betrachtet man auf dieser Grundlage die Regelungen des I X . A b schnitts, soweit sie für den vorliegenden Problemzusammenhang von Belang sind, i m einzelnen, so ergibt sich folgendes Bild. 1. Als gemeines Bundesrecht i n dem erläuterten Sinn werden festgelegt: (1) Die Grundsatznorm, daß die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut ist und nur durch Gerichte, und zwar Gerichte des Bundes und der Länder, ausgeübt werden darf (Art. 92). (2) Die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit und Gesetzesunterworfenheit, verbunden mit den Konnexgarantien der Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit für die Dauer der Amtszeit (Art. 971 u. II). (3) Die' Befugnis der Gerichte zur sog. konkreten Normenkontrolle, d. h. zur Prüfung der Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung, verbunden mit der Entscheidungszuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts oder des zuständigen Landesverfassungsgerichts (Art. 1001). (4) Das Verbot von Ausnahmegerichten (Art. 101 Abs. 1 S. 1), die Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 S. 2), des rechtlichen Gehörs (Art. 1031). 2. Eine gemeinbundesrechtliche Regelung fehlt hingegen für die Berufung und Ernennung der Richter. Hier kommt es vielmehr zu einer — wenig übersichtlichen—Gemengelage von Einzelvorschriften. (1) Das Berufungs- und Ernennungsverfahren wird nur für die Bundesrichter, d. h. die Richter der obersten Gerichtshöfe des Bundes, einschließlich der Richter des Bundesverfassungsgerichts, ausdrücklich geregelt (Art. 95 II, 94 I I i. V. m. Art. 60 I). Es findet sich in diesem Zusammenhang auch keine allgemeine Grundsatznorm für die Richterberufung/-ernennung, von der die auf den Bund (Zentralstaat) bezogene Regelung eine Konkretisierung oder Abweichung darstellt. Daneben steht dann, ohne erkennbaren Zusammenhang, in Art. 98 IV die Regelung, daß die Länder bestimmen können, daß über die Anstellung der Richter in den Ländern der Landesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß entscheidet. (2) Hinzu tritt eine Regelung für die Amtsentziehung von Richtern bei Verfassungsverstößen (Art. 98 II). Sie gilt ebenfalls nur für Bundesrichter. Den Ländern wird dann in Art. 98 V ausdrücklich offengehalten, eine entsprechende Regelung für die Landesrichter zu treffen; sie werden dazu aber nicht verpflichtet („können"). Ihre Entscheidungsfreiheit wird zugleich allerdings dahingehend begrenzt, daß die Entscheidung über eine Richteranklage nur dem Bundesverfassungsgericht (nicht einem Landesverfassungsgericht) zusteht (Art. 98 VS. 3).

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: Art. 8 V

und die Richterwahl

3. Für die Rechtsstellung der Richter i m übrigen, d. h. soweit sie nicht bereits durch die Statusgarantien (Art. 97) und Regelungen betr. Berufung, Ernennung, Entlassung geregelt ist, enthält der I X . Abschnitt keine sachinhaltlichen Regelungen, sondern lediglich Kompetenzverteilungs- und Kompetenzausübungsvorschriften. A r t . 98 I legt fest, daß die Rechtsstellung der Bundesrichter durch besonderes Bundesgesetz zu regeln ist, und entsprechend schreibt A r t . 98 I I I S. 1 für die Regelung der Rechtsstellung der Landesrichter ein besonderes Landesgesetz vor. Beides steht i m Zusammenhang m i t der vom Grundgesetz festgelegten auch statusrechtlichen Ernennung von Richtern und Beamten (s. dazu oben § 11). Zugleich w i r d für den Bund eine Rahmenkompetenz für die Regelung der Rechtsstellung der Richter i n den Ländern begründet (Art. 98 I I I S. 2). Durch diese Rahmenkompetenz erhalten Verbürgungen oder Regelungsermächtigungen für die Länder, die sich auf Materien der richterlichen Rechtsstellung beziehen, unabhängig von ihrem sonstigen normativen Gehalt jedenfalls (auch) die Funktion einer Begrenzung dieser Rahmenkompetenz. I I I . Welche Folgerungen ergeben sich auf Grund der hier unternommenen Analyse und Aufschlüsselung der Regelungsgehalte und des Regelungszusammenhangs des I X . Abschnitts für Inhalt und normative Funktion des A r t . 98 I V GG? 1. Als erstes läßt sich feststellen, daß Art. 98 I V GG nicht als Abweichungsermächtigung von einer gemeinbundesrechtlichen Grundsatznorm der Richterbestellung interpretiert werden kann, die i m übrigen ihre Geltung behauptet. Der Gedankengang für diese Interpretationsvariante, der auch bei nicht wenigen Vertretern der herrschenden Auffassung (s. oben § 5 I) zugrunde liegt, wäre etwa folgender: A r t . 98 I V setzt als gemeines Bundesrecht die Richterbestellung durch die Exekutive voraus, ermächtigt die Länder, davon zugunsten der vorher bezeichneten Form der Richterwahl abzuweichen, schließt dadurch aber zugleich andere Möglichkeiten der Abweichung von der Grundsatznorm aus. Für diesen — immanent schlüssigen — Gedankengang fehlt es an der Voraussetzung, der angenommenen gemeinbundesrechtlichen Grundsatznorm. Diese ist, wie dargelegt, i m I X . Abschnitt des Grundgesetzes explizit an keiner Stelle enthalten. Sie kann auch nicht als „ungeschriebenes Bundesverfassungsrecht" oder als „stillschweigend mitgeschrieben" unterstellt werden, und zwar aus mehreren Gründen nicht. Das Bestehen solcherart Rechtsnormen ist zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen, wie die Judikatur des BVerfG zum bundesstaatlichen Verfassungsverhältnis zeigt 2 . 2 s. BVerfGE 6, 309 (361) zur Bundestreue und BVerfGE 12, 205 (255 f.) zur wechselseitigen Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten.

§ 6. Art. 98IV GG im Zusammenhang des IX. Abschnittes

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Aber einmal fehlt es i m vorliegenden Fall an auch nur einigermaßen hinreichenden Anhaltspunkten dafür. Die Richterbestellung durch die Exekutive hatte zwar i n Deutschland eine lange und verbreitete Tradition, aber sie bestand weder i m Kaiserreich noch i n der Weimarer Republik ausnahmslos. Bremen und Hamburg hatten seit langem eine eigene Tradition der Richterwahl, die unangefochten bestand 3 und nach 1945 galt, bevor das Grundgesetz beraten wurde, außer i n Hamburg und Bremen auch i n Hessen eine Form der Richterwahl (Art. 127 hess. Verf.). Von einer allgemeinen, aus stetiger Rechtstradition entstandenen Norm, die vom Verfassunggeber des GG nicht eigens positiv festgelegt zu werden brauchte, vielmehr vorausgesetzt werden konnte, weil sie unproblematisch und unangefochten war, kann also keine Rede sein. Zwar mag i m Parlamentarischen Rat die Vorstellung vorherrschend gewesen sein, daß die Richterernennung durch die Exekutive ein anerkannter Grundsatz sei und daher Abweichungen besonders normiert werden müßten, aber eine solche Vorstellung reicht nicht aus, u m einem Grundsatz, der nur als Tradition, ohne Normqualität bestand, eine solche Normqualität, noch dazu stillschweigend, zu verleihen 4 . Z u m anderen widerstreitet einer solchen Interpretation die bundesverfassungsrechtliche Zuständigkeits-Verteilungsnorm des A r t . 30 GG. Denn die Annahme einer solchen Grundsatznorm würde zugleich bedeuten, daß den Ländern die Kompetenz zur eigenzuständigen Regelung der Richterbestellung (Richterernennung/Richterwahl) generell entzogen wäre und ihnen nur insoweit wieder zukommen könnte, als das GG entsprechende „Ermächtigungen" enthielte. Nach Art. 30 GG sind aber Kompetenzbeschränkungen der Länder nicht zu vermuten, und Kompetenzen des Bundes müssen sich aus dem GG selbst ergeben. Es braucht hier nicht abschließend geklärt zu werden, unter welchen Voraussetzungen danach auch ungeschriebene, sog. stillschweigende Bundeszuständigkeiten angenommen werden können 5 . Jedenfalls bedürfen sie immer eines Anknüpfungspunktes i m GG selbst, d. h. i n einer ausdrücklichen Regelung, aus der sie sich dann nach bestimmten Kriterien der Notwendigkeit, des Sachzusammenhangs usf. ergeben. Daran fehlt es aber hier. Wie stringent die Anhaltspunkte auch sein mögen, bei der i n Frage stehenden Grundsatznorm handelte es sich immer u m eine bloß ,vorausgesetzte' Norm, nicht um eine solche, die sich aus einer ausdrücklichen Sach- oder Kompetenzregelung des GG m i t (interpreta8 Vgl. Th. Spitta, Komm. z. brem. Verf. von 1947, Art. 136, S. 250/51; Drexelius-Weber, Die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg, Bern. 2 zu Art. 63. 4 I m Ergebnis ebenso Uhlitz, DRiZ 1970, S. 219 (220). 5 s. dazu Küchenhoff, AöR 82 (1956/57), S. 413 - 479; v. Mangoldt-Klein, Bern. III. 2 c zu Art. 30 (S. 753); Maunz, in: Maunz-Dürig-Herzog, Rdn. 1 u. 11 zu Art. 30; BVerfGE 11,95 (98 f.) und 12,237 f.

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: Art. 8 V

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tiver) Notwendigkeit herleiten läßt. Weder A r t . 98 I V GG setzt eine solche Grundsatznorm logisch oder sachnotwendig voraus — er behält, wie dargelegt, auch unabhängig davon einen normativen Sinn — noch wäre sie als zwingende Konsequenz aus anderen Regelungen des I X . Abschnitts oder aus A r t . 28 GG begründbar. Fehlt es somit an einer gemeinbundesrechtlichen Grundsatznorm für die Richterbestellung, so entfällt für Art. 98 I V die normative Funktion einer Abweichungsermächtigung von dieser Norm. Das Fehlen dieser Grundsatznorm hat darüber hinaus 3ie Bedeutung, daß die Kompetenz zur Regelung der Richterbestellung i n den Ländern nicht bundesverfassungsrechtlich i n Anspruch genommen und durch eine Sachregelung entsprechend ausgeübt worden ist, sondern bei den Ländern als Teil ihrer „Justizhoheit" — unbeschadet der Rahmenkompetenz des Bundes nach A r t . 98 I I I GG — verblieben ist. Daraus folgt nun, daß A r t . 98 I V , obwohl sein Wortsinn auf eine Ermächtigung an die Länder hindeutet, keine Kompetenz für die Länder zu begründen vermag, die sie nicht ohnehin schon hätten. Eine solche Ermächtigungs- oder genauer: Kompetenzbegründungsfunktion würde eben voraussetzen, daß die Regelung der Richterbestellung i n den Ländern ,an sich1 bundesverfassungsrechtlich getroffen wäre und durch die Ermächtigungsnorm teilweise, d. h. i m Rahmen dieser Ermächtigung, den Ländern wieder eröffnet würde. Eben dies ist aber nicht der Fall. A r t . 98 I V GG fügt demnach dem Kompetenzbestand der Länder nichts hinzu, sondern ,deklariert' eine auch ohne i h n bestehende Kompetenz der Länder i n besonderer Weise 6 . 2. M i t dieser Feststellung des nur deklaratorischen Charakters von A r t . 98 I V GG entfällt zugleich die Grundlage für eine weitere normative Funktion, nämlich die i h m von der herrschenden Auffassung (s. oben § 5 I) zugeschriebene Bindungs- und Begrenzungswirkung für die Länder, wenn sie die Richterwahl einführen. Eine Bindung der Länder an die i n A r t . 98 I V festgelegte besondere Form der Richterwahl durch eine Kann-Vorschrift, wie A r t . 98 I V sie darstellt, setzt begriffsnotwendig die Ermächtigungsfunktion dieser Kann-Vorschrift voraus. Enthält diese Vorschrift hingegen nur die Bekräftigung einer ohnehin bestehenden Kompetenz der Länder, so vermag sie diese Kompetenz nicht zugleich i n ihrer Reichweite zu begrenzen. Eine solche Begrenzung und das darin enthaltene Verbot anderweitiger Kompetenzausübung müßte ja durch diese Vorschrift konstitutiv begründet werden. Das aber kann durch eine bloße Kann-Vorschrift, die etwas ermöglicht • Ebenso, im Ergebnis, Uhlitz, DRiZ 1970, S. 2201; Zinn, in: Verhandl. des 37. Dt. Juristentages, 1950, S. 61; D. Oppermann, Richterberufung, S. 157; υ. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, 1953, Anm. 5 zu Art. 98.

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oder freistellt, aber nicht gebietet, niemals geschehen. Eine Interpretation, die dies dennoch behauptet, würde aus A ein Non-Α machen. Die Länder sind demnach durch A r t . 98 IV, interpretiert man i h n i n seinem systematischen Regelungszusammenhang, weder gehalten, die dort vorgesehene Form der Richterwahl einzuführen, noch gehindert, andere Formen der Richterbestellung einschließlich anderer Ausgestaltungen der Richterwahl vorzunehmen. 3. Problematisch, wenngleich noch nicht völlig erschüttert, w i r d durch den Charakter des A r t . 98 I V als einer bloßen Kompetenzbekräftigung oder -deklaration auch die Auffassung, daß diese Vorschrift den Landesgesetzgeber für die Einführung der Richterwahl (in der dort vorgesehenen Form) von entgegenstehendem Landesverfassungsrecht freistelle (s. oben § 5 II). Handelt es sich um eine echte Ermächtigungsnorm, die für die Länder eine bestimmte Zuständigkeit allererst begründet, so ist der Gedanke eher vertretbar, wenngleich keineswegs zwingend, daß diese Ermächtigung — ungeachtet des Wortlauts, der von den Ländern als solchen spricht — auf den Landesgesetzgeber unmittelbar durchgreife, i h n m i t der Autorität des vorrangigen Bundesrechts zur Normsetzung ermächtige. Fehlt es indes an einer solchen Ermächtigungsfunktion der Norm, so fehlt es auch an einem aus der Norm selbst gewonnenen Anknüpfungspunkt für eine sog. Durchgriffsermächtigung. Das tragende Argument könnte dann nurmehr sein, daß statt ,die Länder 1 eben „der Landesgesetzgeber" zu lesen sei. I n diesem Fall würde sich eine unmittelbare Autorisierung des Landesgesetzgebers, ohne Rücksicht auf rechtliche Hindernisse aus der Landesverfassung, i n der Tat nahelegen, wenngleich sie auch dann nicht bedenkenfrei wäre 7 . Für eine solche, letztlich korrigierende Interpretation ergibt der systematische Regelungszusammenhang, i n dem A r t . 98 I V steht, keinen Anhaltspunkt, er schließt sie allerdings auch nicht eindeutig aus. Die Frage entscheidet sich daher i m Ergebnis aus anderen Gründen, auf die an späterer Stelle (unten § 9 II) einzugehen ist. 4. Der aufgrund des gegebenen systematischen Regelungszusammenhangs als gesichert verbleibende normative Gehalt des A r t . 98 I V reduziert sich damit auf die Schutz- und Gewährleistungsfunktion gegenüber einem die Richterbestellung i n den Ländern seinerseits regelnden Bundesrahmengesetzgeber (s. oben 3.). Dieser kann vermöge des A r t . 98 I V die darin vorgesehene Form der Richterwahl nicht für die Länder verpflichtend vorschreiben, er kann andererseits diese Form als eine 7

Bedenken ergeben sich insbes. daraus, daß das ergehende Landesgesetz nicht den Charakter von partiellem Bundesrecht, sondern von Landesrecht haben würde, damit aber, als Ausübung von Landesstaatsgewalt, den Bindungen der Landesverfassung untersteht, vgl. BVerfGE 18, 407 ff. und Wolff , Verwaltungsrecht I, § 25 VII, 4 (S. 130) m. w. Nachw. 4 Böckeniörde

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: Art. 8 V

und die

ichterwahl

den Ländern verbleibende Möglichkeit nicht ausschließen, etwa durch generelle Einführung einer anderen Form der Richterwahl oder der Richterernennung allein durch die Exekutive. Dieser normative Gehalt berührt zunächst eigenartig; er läuft darauf hinaus, sicherzustellen, daß der Bund die Form der Richterbestellung, die er für die Bundesrichter selbst eingeführt hat, für die Länder nicht ausschließt. Bedarf es dazu einer Verfassungsbestimmung? Hier w i r d jedoch die andere Seite dieser Verhinderungsfunktion übersehen; sie liegt darin, daß den Ländern diese Form der Richterwahl auch nicht vom Bund — ohne Verfassungsänderung — aufgezwungen werden kann, eine bedeutende föderalistische Komponente. Aber auch abgesehen davon gewinnt die reine Verhinderungsfunktion entstehungszeitlich einen realen politischen Sinn. Rechnete man m i t einem der Richterwahl ablehnend gegenüberstehenden potentiellen Bundesgesetzgeber, so stand zu besorgen, daß dieser die Richterwahl, wenn er sie schon für den Bund wegen der dazu erforderlichen Verfassungsänderung nicht ausschließen konnte, jedenfalls für die Richterbestellung i n den Ländern ausschloß. Demgegenüber bedurften bestehende oder potentielle Richterbestellungen i n Form der Richterwahl einer Sicherung. Gleichwohl bedarf es, ehe ein solch reduzierter normativer Gehalt als die allein zutreffende Interpretation von A r t . 98 I V angenommen wird, des Rückgriffs auf die Entstehungsgeschichte. Bestätigt sie dieses Ergebnis oder eröffnet sie einen anderen Interpretationsrahmen?

§ 7. Die Entstehungsgeschichte des Art. 9 8 I V GG I. Der Gang der Beratungen i m Parlamentarischen Rat zu A r t . 98 I V GG ergibt folgendes Bild. 1. Die ursprüngliche vom Allgemeinen Redaktionsausschuß erstellte Fassung des späteren A r t . 98 IV, damals Art. 129 a, hatte folgenden Wortlaut: „Über die vorläufige und endgültige Anstellung der Richter in den Ländern entscheidet nach Maßgabe näherer landesgesetzlicher Regelung der Landesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß des Landes1." Über diese Fassung wurde i m Ausschuß für Rechtspflege i n der 7. Sitzung v. 6. 12. 48 und der 8. Sitzung v. 7. 12. 48 eingehend diskutiert. Hierbei war klar, daß der Wortlaut und die Intention der Vorschrift darauf abzielten, die Regelung, die für die Bestellung der Bundes1 Pari. Rat, Drucks. 343 v. 5. 12. 48; s. auch Pari. Rat, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe), Bonn 1948/49, S. 35.

§ 7. Entstehungsgeschichte des Art. 98IV

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richter vorgesehen war, auch für die Bestellung der Richter i n den Ländern i m Wege einer Normativbestimmung verbindlich zu machen 2 . I n den Beratungen ergaben sich erhebliche Bedenken gegen die Vorlage. Vor allem der Abg. Dr. Laforet (CSU) wandte sich dagegen, w e i l sie einen Einbruch i n die Justizhoheit der Länder darstelle; sie betreffe nicht nur die materiellen Voraussetzungen der Richterernennung, die i m GVG geregelt seien, sondern greife i n die organisatorischen und Verfahrensregelungen über Auswahl und Ernennung der Richter ein; Dr. Laforet deutete an, daß die Wahrung der Justizhoheit der Länder für Bayern eine Existenzfrage sei 3 . Daneben erhoben sich auch sachliche Bedenken, die sich gegen die Richterwahl als solche richteten 4 . Der Ausschuß verzichtete daraufhin auf eine Abstimmung und schlug dem Hauptausschuß für die erste Lesung zwei Varianten vor; die eine enthielt die ursprüngliche Fassung m i t einer redaktionellen Änderung, die andere empfahl die Streichung des Artikels 6 . 2. Die erste Lesung i m Hauptausschuß am 9. 12. 48 zeigt zunächst das gleiche Bild. Den Befürwortern der Regelung stehen nicht wenige Gegner, teils aus föderalistischen, teils aus sachlichen Gründen gegenüber®. Zugleich trat jedoch bei den Befürwortern der Regelung neben oder ζ. T. anstelle der erstrebten Einheitlichkeit der Richterbestellung i n Bund und Ländern zunehmend ein anderes Motiv i n den Vordergrund: die Ermöglichung der (erneuten) Überprüfung der Anstellung der von der Besatzungsmacht insbesondere i n der britischen Besatzungszone 1945/46 berufenen Richter i n einem Verfahren, an dem Justizminister und Richterwahlausschuß beteiligt sind. Eine Regelung i n der Verfassung hielt man deswegen für erforderlich, weil andernfalls die Länder von sich aus die Bestimmungen des als Reichs- bzw. Bundesrecht fortgeltenden GVG über die lebenslängliche Anstellung und die Unabsetzbarkeit der Richter nicht hätten durchbrechen können 7 . 2

Vgl. die Äußerung des Abg. Dr. Strauß (CDU) zu Beginn der Beratungen in der 7. Sitzung, Stenogr. Prot. S. 111: „Das ist also eine Parallele zu den Bestimmungen bei der Benennung der Richter im Bunde, eine Normativbestimmung." Abg. Frau Dr. Seibert (SPD) in der 8. Sitzung, Stenogr. Prot. S. 65: „Es geht nicht an, daß in einem Land die Richter gewählt, in dem anderen nach altem Ritus ernannt werden." 3 Vgl. 7. Sitzung des RechtspflegeA v. 6. 12. 48, Stenogr. Prot. S. 111/112; 8. 4Sitzung v. 7.12.48, Stenogr. Prot. S. 62 f. Vgl. v. Doemming-Füßlein-Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR NF 1, S. 720. 5 ν . Doemming-Füßlein-Matz, S. 720. « Vgl. Pari. Rat, Verhandl. d. HauptA, Bonn 1948/49, 24. Sitzung v. 9. 12. 48, S. 287 - 292; die föderalistischen Bedenken bei den Abg. Dr. Laforet (287, 290), Dr. Süsterhenn (287), Wessel (290), sachliche Bedenken bei Dr. Dehler (287, 292), Dr. Seebohm (288). Als Befürworter die Abg. Frau Dr. Seibert (287, 289), Dr. Gre we (288), Renner (287). 4*

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Teil

: Art. 8 V

und die Richterwahl

Nachdem die Vorschlagsvariante I des Rechtspflege A m i t 12 :9 Stimmen abgelehnt worden war, stellte daher der Abg. Dr. Katz einen Eventualantrag, der auch das Regelungsziel der erneuten Überprüfung bereits angestellter Richter deutlicher hervortreten ließ und die Vorschrift als Ermächtigung an die Länder faßte: „Die Länder sind ermächtigt, nach Maßgabe näherer landesgesetzlicher Regelung die Landesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß der Länder über die Anstellung der Richter und die Fortdauer des Amtes bereits angestellten Richter entscheiden zu lassen8." Auch gegen diese Fassung machte der Abg. Dr. Laforet Bedenken aus dem Gesichtspunkt der Justizhoheit der Länder geltend und bestritt ihre Notwendigkeit, während von anderer Seite die Verbindung einer Übergangsregelung für bereits angestellte Richter m i t einer Regelung der künftigen Richterbestellung kritisiert und die ausgesprochene Ermächtigung für zu weitgehend gehalten wurde. Beratung und Abstimmung wurden schließlich auf die 2. Lesung vertagt 9 . Bei der erneuten Beratung i m RechtspflegeA (9. Sitzung v. 17. 12. 48) legte der Abg. Dr. Katz seinen Antrag aus der 1. Lesung i m HauptA i n modifizierter Form vor, die die verbliebenen föderalistischen Bedenken zu beseitigen suchte: „Die Länder sind ermächtigt, Bestimmungen zu erlassen, nach denen die Länderregierungen oder Landesjustizminister, ggfl. unter Beteiligung eines Richterwahlausschusses eines Landes, berechtigt sind, über die Anstellung der Richter und über die Fortdauer des Amtes bereits im Amt befindlicher Richter zu entscheiden1·.44 Daneben stellte der Vorsitzende Dr. Zinn eine vom Allgemeinen Redaktionsausschuß aufgrund der Ergebnisse der 1. Lesung i m HauptA erarbeitete Neufassung vor, die den A r t . 129 a als Kann-Vorschrift i n der Fassung des heutigen A r t . 98 I V formulierte: „Die Länder können bestimmen, daß über die Anstellung der Richter in den Ländern der Landesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß entscheidet.44 Die Regelung wegen der Überprüfung bereits angestellter Richter trennte dieser Vorschlag davon ab und verwies sie i n die Übergangsvorschrift des A r t . 132 11 . Der Vorsitzende Dr. Zinn führte zur Erläuterung dieser Fassung aus: „Die Bedeutung dieser Bestimmung besteht darin, daß der Bundes7 Pari. Rat, Verhandl. des HauptA, 24. Sitzung v. 9. 12. 48, S. 288 - 290, 292 bis 293. 8 Verhandl. des HauptA, ebd., S. 292. 9 Verhandl. des HauptA, ebd., S. 293 - 294. 10 v. Doemming-Füßlein-Matz, S. 721, N. 26. 11 Pari. Rat, Drucks. 374 v. 16. 11. 48; vgl. audi ν . Doemming-Füßlein-Matz, S. 721 mit Anm. 27.

9 7. Entstehungsgeschichte des Art. 98IV

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gesetzgeber den Ländern einen solchen Weg, wenn er i n den Landesverfassungen oder den Landesgesetzen vorgesehen ist, nicht mehr verbauen kann 1 2 ." Daraufhin erklärte der Abg. Dr. Laforet, daß er gegenüber dieser Fassung der Bestimmung keine Bedenken mehr habe; die Justizhoheit der Länder sei darin gewahrt. Der Abg. Dr. Katz zog seinen Antrag zurück, da er sich i n seinem ersten Teil m i t dem Vorschlag des Allgem. RedaktionsA decke und die Möglichkeit der erneuten Überprüfung bereits angestellter Richter durch die Übergangsvorschrift zugelassen sei 18 . Der Ausschuß erklärte sich nunmehr allgemein m i t dem Vorschlag des Allgem. RedaktionsA einverstanden. I n den weiteren Sitzungen befaßte sich der RechtspflegeA m i t der Vorschrift nicht mehr. Der Hauptausschuß nahm die vom RechtspflegeA gebilligte Fassung i n der 2. und 3. Lesung ohne weitere Debatte unverändert an 1 4 . 3. Faßt man diesen Gang der Beratungen zusammen, so läßt sich folgendes feststellen. Das ursprüngliche, i n der Erstfassung des A r t . 129 a durch den Allgem. Redaktionsausschuß deutlich zum Ausdruck gebrachte Regelungsziel, eine die Länder bindende Regelung der Richterbestellung i n den Ländern i n das Grundgesetz aufzunehmen, mußte wegen des entschiedenen Widerstands, der dieser Regelung überwiegend aus föderalistischen, daneben auch aus sachlichen Gründen entgegengesetzt wurde, aufgegeben werden. Es fand sich dafür keine Mehrheit. Durch den Gang der Beratungen veranlaßt, kam es zu einer stufenweisen Rücknahme der Vorschrift auf eine bloße Ermächtigungsvorschrift an die Länder, wobei der Gedanke mitbestimmend war, den Ländern unter Durchbrechung des GVG eine Überprüfung der von den Besatzungsmächten angestellten Richter zu ermöglichen. Die gefundene Endformulierung, die diese Gedanken i n eine gesonderte Übergangsbestimmung verwies, sollte nach der i h r ausdrücklich beigegebenen Erläuterung keinerlei Bindung für die Länder mehr enthalten, sondern eine Schutzvorschrift für die Länder dahingehend darstellen, „daß der Bundesgesetzgeber den Ländern diesen Weg, wenn er i n den Landes Verfassungen oder den Landesgesetzen vorgesehen ist, nicht verbauen kann". Erst daraufhin kam es zum allgemeinen Einverständnis über die Vorschrift. I I . Diesem, aus den Beratungsprotokollen selbst gewonnenen Ergebnis steht freilich entgegen, daß schon 1949 einer der Hauptbeteiligten an den damaligen Verhandlungen, der hessische Justizminister Zinn, 11 18 14

9. Sitzung des RechtspflegeA v. 17.12.48, Stenogr. Prot. S. 12. Vgl. 9. Sitzung des RechtspflegeA v. 17.12.48, Stenogr. Prot. S. 12 - 13. Vgl. Pari. Rat, Verhandl. des HauptA, 38. Sitzung v. 13. 1. 49, S. 480; 50. Sitzung v. 10.2.49, S. 668.

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Teil

: Art. 8 V

und die Richterwahl

i m Parlamentarischen Rat Vorsitzender des Rechtspflege- und Mitglied des Allgemeinen Redaktionsausschusses, dem A r t . 98 I V einen weitergehenden normativen Inhalt zugeschrieben hat. I n seinem Referat vor dem 37. Dt. Juristentag i m September 1949 vertrat Zinn die Auffassung, daß A r t . 98 I V GG die i n i h m vorgesehene Form der Richterwahl „unter Aufhebung etwa entgegenstehendem Landesverfassungsrecht für zulässig erklärt" habe und es den Ländern nicht gestatte, auf dieses Recht allgemein durch eine gesetzliche oder verfassungsgesetzliche Regelung zu verzichten 15 . Ergeben sich daraus Anhaltspunkte, daß das aus den Beratungen ermittelte Ergebnis der Entstehungsgeschichte unvollständig ist und einer Ergänzung bedarf? Hier ist zunächst zu berücksichtigen, daß Zinn selbst diese Interpretation nicht aus der Entstehungsgeschichte und seiner besonderen Kenntnis dieser Entstehungsgeschichte begründet; er führt dafür das — dogmatische — Argument an, Verzicht auf die Ausübung eines Rechts und Verzicht auf das Recht selbst seien etwas Verschiedenes, und das letztere sei für die Länder nicht zulässig. Diese Begründung beansprucht aus sich keine Korrektur des entstehungsgeschichtlichen Befundes und sie ist auch ihrem Sachgehalt nach nicht geeignet, die von Zinn i n den Ausschußberatungen selbst gegebene Erläuterung zum normativen Gehalt des späteren A r t . 98 I V i m nachhinein i n Frage zu stellen. Sie steht von vornherein neben der Entstehungsgeschichte und hat ihr gegenüber die Bedeutung, die ihr — nach Maßgabe ihrer Uberzeugungskraft — als dogmatischer Begründung i m Verhältnis zur Entstehungsgeschichte zukommt. Hinzu kommt, daß das aus den Beratungen gewonnene Ergebnis der Entstehungsgeschichte durch spätere Äußerungen anderer Beteiligter über diese Beratungen deutlich gestützt wird. Als i m Zuge der Beratungen der Landesverfassung NW die Bedeutung des A r t . 98 I V GG relevant wurde, erklärte Innenminister Dr. Menzel, selbst Mitglied des Parlamentarischen Rates, daß i n den Beratungen des Parlamentar. Rates eindeutig der Aspekt i m Vordergrund gestanden habe, wie weit der Bund und das Grundgesetz i n Landesrechte eingreifen könnten. Man habe schließlich den Kompromiß gefunden, den Ländern dort, wo es, wie i n Hessen, schon einen RiWA gebe, und wo sie es wünschten, die verfassungsmäßige Möglichkeit zu geben, einen R i W A einzusetzen. I n gleicher Richtung äußerte sich der Abg. Brockmann als ehemaliges Mitglied des Parlamentarischen Rates1®. 15 G. A. Zinn, in: Verhandl. des 37. Dt. Juristentages, 1950, S. 59. Im weiteren Verlauf weist Zinn nodi auf die „gleichartige verfassungsrechtliche Bedeutung" mit Art. 98 V GG hin, ebd., S. 61 f. 16 Vgl. Prot, des VerfA NW, 39. Sitzung v. 17. 2. 50, S. 242 A (Innenminister Menzel), S. 247 (Abg. Brockmann).

7. Entstehungsgeschichte des Art. 98IV

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Es besteht danach kein Anlaß, die zunächst gewonnenen Ergebnisse der Entstehungsgeschichte aufgrund der späteren Auffassungen von Verhandlungsbeteiligten zu ergänzen oder zu korrigieren. I I I . Damit können nunmehr die Schlußfolgerungen, die sich i m H i n blick auf Inhalt und normative Funktion des A r t . 98 I V aus der Entstehungsgeschichte ergeben, umschrieben werden. (1) A r t . 98 I V GG hat nach seiner Entstehungsgeschichte keinen weiteren normativen Gehalt als den einer Schutzvorschrift zugunsten der Länder gegenüber möglichen Eingriffen des Bundesrahmengesetzgebers. (2) Die Länder sind demnach frei, von Formen der Richterwahl überhaupt abzusehen oder andere Formen der Richterwahl einzuführen; sie sind ferner frei, die Richterwahl von der (Erst-)Anstellung auch auf Beförderungen auszudehnen. Beides steht nur (aber auch) unter dem Vorbehalt, daß der Bund nicht i n einem Rahmengesetz andere Bestimmungen trifft. Dem Bund ist es jedoch i m Wege der Rahmengesetzgebung untersagt, die i n A r t . 98 I V GG vorgesehene Form der Richterwahl für die Länder auszuschließen oder sie ihnen zwingend vorzuschreiben. Hier entfaltet A r t . 9 8 I V seine Schutzwirkung. (3) A r t . 98 I V GG hindert als Schutzvorschrift zugunsten der Länder diese nicht, sich ihrerseits i n ihrer Verfassung für oder gegen die Einführung der Richterwahl zu entscheiden und dadurch den einfachen Landesgesetzgeber i n der einen oder anderen Richtung zu binden. Diese Entscheidung verbleibt i n der von A r t . 98 I V GG nicht tangierten Selbstorganisationsbefugnis der Länder. (4) Vermutungen i n der Richtung, daß i n A r t . 98 I V GG implicit eine gemeinbundesrechtliche Norm für die Richterbestellung sanktioniert oder vorausgesetzt w i r d und A r t . 98 I V davon eine Freistellungsermächtigung enthält, die folgeweise auf die dort vorgesehene Form der Richterwahl begrenzt ist, w i r d jeder Boden entzogen. Gerade das Gegenteil geht aus der Entstehungsgeschichte eindeutig hervor. Insgesamt gesehen werden so durch die Entstehungsgeschichte die Ergebnisse systematischer Interpretation (§ 6) dort, wo sie ihrerseits eindeutig sind, bestätigt; wo sie nicht eindeutig sind, wie i m Falle der Freistellung des Landesgesetzgebers von der Richterwahl entgegenstehendem Landesverfassungsrecht, tendiert die Entstehungsgeschichte zu einem Ausschluß dieser Möglichkeit.

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Teil

: Art. 8 V

und die Richterwahl

§ 8. Abschließende Interpretation des Art. 9 8 I V GG Nach den Ergebnissen der vorangegangenen Untersuchungen (§§ 6 u. 7) w i r f t die abschließende Interpretation des A r t . 98 I V kaum noch Probleme auf. Da sich systematische und entstehungsgeschichtliche Interpretation an keinem Punkt widersprechen, vielmehr fast ausnahmslos bestätigen und ergänzen, bedarf es auch an dieser Stelle keiner Erörterungen darüber, welcher Stellenwert der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift i m Rahmen der Verfassungsinterpretation zukommen kann oder muß. Nach allgemein anerkannten Interpretationsregeln können und müssen, da und soweit Ergebnisse beider Interpretationswege übereinstimmen, die so gefundenen Ergebnisse als sachrichtiger Gehalt der zu interpretierenden Norm zugrunde gelegt werden. Demnach läßt sich folgendes feststellen: I. A r t . 98 I V GG kann nicht, wie es die herrschende Auffassung tut, als Bekräftigung/Begründung der Länderzuständigkeit zur Einführung der Richterwahl bei gleichzeitiger Bindung an die dort vorgesehene Form der Richterwahl interpretiert werden (oben § 5 I). Dem stehen die eindeutigen Ergebnisse sowohl der systematischen Interpretation (oben § 6 I I I 1 u. 2) als auch der Entstehungsgeschichte (oben § 7 III) entgegen. Weder kennt das GG eine gemeinbundesrechtliche Norm der Richterbestellung, von der A r t . 98 I V sich als Abweichungsermächtigung darstellt (§ 6 I I I 1), noch begründet A r t . 98 I V für die Länder eine Kompetenz, die sie nicht schon ohnehin hätten; er hat insoweit nur deklaratorischen Charakter (§ 6 I I I 1, § 7 III). Er normiert ferner auch keine Bindung der Länder an die dort vorgesehene Form der Richterwahl, wenn sie die Richterwahl einführen (§ 6 I I I 2, § 7 III). Diese Interpretation entspricht nicht nur dem systematischen Regelungszusammenhang des A r t . 98 I V und seiner Entstehungsgeschichte, sie hat darüber hinaus noch gewichtige Gründe für sich. Sie allein erlaubt es, das höchst eigenartige Ergebnis zu vermeiden, daß die i n Bremen und Hamburg schon vor Erlaß des GG praktizierte und i n Bremen seit 1947, i n Hamburg seit 1952 verfassungsmäßig verankerte Form der Richterwahl als verfassungswidrig angesehen werden muß, weil sie den Erfordernissen des A r t . 98 I V GG nicht entspricht 1 . Daß 1 s. für Bremen Art. 136 brem. Verf. und das brem. RiditerwahlG v. 18.12. 53 (GBl. S> 119), jetzt §§ 7 -.17 des brem. RichterG v< 15.12.64 (GBl. S. 187); für Hamburg Art. 63 I hamb. Verf. und das hamb. RichterG v. 15. 6, 64 (GVB1. S. 109), §§ 7 - 21. In Bremen werden die Riditer durch einen RiWÀ gewählt, der aus drei Mitgliedern des Senats, fünf Abgeordneten der Bürgerschaft und drei Richtern besteht, ohne daß der Justizsenator anders denn als Mitglied des RiWA bei der Wahl mitentscheidet, was den Anforderungen an eine »gemeinsame Entscheidung' von JustizM und RiWA nicht entspricht. Ähnlich ist es in Hamburg, wo drei Senatsmitglieder dem 14köpfigen RiWA angehören, darüber hinaus aber kein Mitentscheidungsrecht des Justizsenators vorgesehen ist.

§ 8. Abschließende Interpretation des Art. 98IV GG

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dies i n der Absicht des Grundgesetzgebers gelegen hat, kann i n keiner Weise vermutet werden; sollte es gleichwohl die notwendige Wirkung der getroffenen Regelung gewesen sein, so wäre sicher von Bremer oder Hamburger Seite auf eine entsprechende „Bremer Klausel" gedrungen worden, wie sie kraft A r t . 141 GG für Bremen gegenüber der bindenden Vorschrift des A r t . 7 I I I S. 1 GG besteht. II. Nicht i n gleicher Weise eindeutig sind die Ergebnisse der systematischen und entstehungsgeschichtlichen Interpretation für die Frage, ob A r t . 98 I V GG den Landesgesetzgeber für die Einführung der dort vorgesehenen Form der Richterwahl von entgegenstehendem Landesverfassungsrecht freistellt. Aus beiden Gesichtspunkten ergeben sich keinerlei Gründe für eine solche Freistellung; die Entstehungsgeschichte spricht allerdings dagegen (§ 7 III), während der systematische Regelungszusammenhang die Frage nicht eindeutig entscheidet (oben § 6 III). Hier ist indessen zu berücksichtigen, daß schon der Wortlaut des A r t . 98 I V GG einer solchen Interpretation i m Grunde entgegensteht. Wenn sich eine — wie immer geartete — Ermächtigung oder Kompetenzbekräftigungsnorm an ,die Länder 4 richtet, sind deren Adressaten die Länder als solche, nicht bestimmte Organe innerhalb des Landes. Es ist dann Sache des Selbstorganisationsrechts des einzelnen Landes, zu bestimmen, ob von dieser Regelungsmöglichkeit unter den Bedingungen der einfachen Gesetzgebung oder nur unter den Bedingungen einer Verfassungsänderung soll Gebrauch gemacht werden können; ihre Verfassungsautonomie ist insoweit nicht berührt. Soll gleichwohl etwas anderes gelten, soll insbesondere der Landesgesetzgeber bundesrechtlich zur Außerachtlassung der Landesverfassung ermächtigt sein, muß sich das eindeutig aus der Ermächtigung selbst oder zwingenden Gründen dogmatischer oder kompetenzrechtlicher A r t ergeben 2 . Das Argument, das i n dieser Hinsicht vorgetragen wird, besteht zunächst i n der These, daß die Länder zwar auf die Ausübung dieses Rechts, nicht aber auf das Recht selbst, das Art. 98 I V einräume bzw. bekräftige, verzichten dürften 8 . Bezugspunkt dafür ist die Kommentierung von Anschütz zu Art. 63 WRV, i n der Anschütz ausführte, daß die Länder durch A r t . 63 WRV zwar nicht gehalten seien, den Reichsratsbevollmächtigten Instruktionen zu erteilen, daß es ihnen aber verwehrt sei, auf die Erteilung solcher Instruktionen generell, etwa durch Landesgesetz, zu verzichten 4 . f s. dazu — zu dem vergleichbaren Fall des Art. 74 LV im Verhältnis zu § 40 I S. 2 VwGO — Geller-Kleinrahm-Fleck, Bern, 4 zu Art. 74 m. weit. Nachw; ferner Th. Meder, Handkomm. z. Verf. des Freistaates Bayern, Rdn. 4 zu Art. 75. 8 Vgl. Zinn, S. 59; Holtkotten, Erl. I I Β 1 a zu Art. 98. 4 G. Anschütz, Die Verfassung des deutschen Reiches, Bern. 6 u. 7 zu Art. 63 (S. 346 - 348).

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Teil

: Art. 8 V

und die Richterwahl

Die dortige Sachlage war jedoch eine grundsätzlich andere. Einmal handelte es sich um Zusammensetzung und Funktionsweise eines Reichsorgans, des Reichsrats, in das die Länder Vertreter entsandten, also nicht um die Wahrnehmung des eigenen Kompetenzbereichs eines Landes; zum anderen war die Frage, ob nicht ein genereller Verzicht der Länder auf Weisungserteilung dazu führe, den Reichsrat aus einem nach dem Bundesratsprinzip organisierten Organ in ein nach dem Senats- oder Staatenhausprinzip errichtetes umzubilden, und ob dies nicht durch Art. 63 WRV untersagt sei. Aus dieser speziell gelagerten Problematik, für die die Argumentation von Anschütz wohl zutreffend war, kann daher für A r t . 98 I V GG weder eine Parallele noch eine Analogie hergeleitet werden. Damit verfängt aber auch das gebrachte Argument zugunsten einer Freistellung der Länder von entgegenstehendem Landesverfassungsrecht nicht mehr. Ebensowenig kann ein solches Argument aus einem Vergleich von Art. 98 I V m i t A r t . 98 V GG gewonnen werden. Denn der i n A r t . 98 V GG enthaltene Vorbehalt zugunsten des Landesverfassungsrechts, der i n A r t . 98 I V GG fehlt, bezieht sich nicht auf entgegenstehendes, sondern nur auf geltendes Landesverfassungsrecht. Die Frage ist aber gerade die, ob eine Verfassungsbestimmung, die die Einführung der Richterwahl durch den einfachen Gesetzgeber untersagt, angesichts des A r t . 98 I V GG noch geltendes Landesverfassungsrecht darstellt. Dafür läßt sich aus dem Vergleich der beiden Bestimmungen nichts entnehmen. Es ist also — i n Übereinstimmung m i t dem Wortlaut — davon auszugehen, daß A r t . 98 I V GG sich nur an die Länder als solche wendet, nicht unmittelbar an den Landesgesetzgeber, und daß er den Landesgesetzgeber nicht von der Bindung an Landesverfassungsrecht, das der Einführung der Richterwahl entgegensteht, freistelle. I I I . Inhalt und normative Funktion des A r t . 98 I V GG lassen sich damit abschließend wie folgt bestimmen: Der normative Gehalt des A r t . 98 I V GG liegt allein i n seiner Schutzw i r k u n g zugunsten der Justizhoheit der Länder. Er begrenzt die Rahmenkompetenz des Bundes gemäß A r t . 98 I I I S. 2 GG dahingehend, daß der Bundesgesetzgeber die i n A r t . 98 I V vorgesehene Form der Richterwahl für die Bestellung der Richter i n den Ländern weder verpflichtend vorschreiben noch als eine Möglichkeit der Richterbestellung ausschließen kann.

TEIL C

Verfassungsrechtliche Strukturprinzipien in ihrer normativen Bedeutung für die Zusammensetzung/Funktionsbestimmung von Richterwahlausschüssen § 9. Bemerkungen zur Fragestellung Ausgangspunkt der nachfolgenden Erörterungen ist die vom Justizausschuß (vgl. Einl. S. 15) aufgeworfene Fragestellung, welche Folgerungen aus allgemeinen verfassungsrechtlichen Vorschriften für die Zusammensetzung des R i W A zu ziehen seien. Diese Fragestellung bedarf i m Hinblick auf den Gegenstand wie auf das Erkenntnisziel einer Verdeutlichung. I. Gegenständlich ist die Fragestellung i n zweifacher Hinsicht eingeschränkt bzw. näher bestimmt. 1. Ausgeklammert bleibt eine Erörterung des Gesamtproblems der Richterwahl unter allgemein-verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten. Die Einführung von R i W A n an sich erscheint für das Gutachten als vorgegebenes — politisches — Datum. Die Untersuchung beschränkt sich demgemäß auf verfassungsrechtliche Fragen hinsichtlich der Zusammensetzung von RiWAn, wenn man sie errichtet. 2. Anderseits läßt sich die Frage der Zusammensetzung von R i W A n unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht isoliert behandeln. Sie ist untrennbar verbunden m i t der Frage der Funktion der RiWAe. Ob eine gewisse Zusammensetzung des R i W A verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt oder nicht, läßt sich nicht unabhängig davon beantworten, welche Rechte dem R i W A bei der Richterwahl zukommen. Diese Interdependenz macht es notwendig, die Fragestellung dahin zu erweitern, daß Folgerungen verfassungsrechtlicher Bestimmungen nicht allein für die Zusammensetzung, sondern für die Zusammensetzung i n Verbindung m i t der Funktionsbestimmung von R i W A n untersucht werden. II. Z u m Erkenntnisziel ist folgendes zu bemerken. Folgerungen aus allgemein verfassungsrechtlichen Bestimmungen — und das sind ins-

60 Teil C : Verfassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl besondere Verfassungsstrukturbestimmungen — können i n zweifacher Weise gezogen werden. 1. Einmal geht es u m die Ermittlung der äußersten Grenzen gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit, die durch die Verfassung gezogen werden. Diese Grenzen sind, da die Verfassung, namentlich i n organisatorischer Hinsicht, nur eine Rahmenordnung m i t weiten Entscheidungsspielräumen darstellt, sehr weit. Nicht alles, was noch innerhalb dieses Rahmens liegt, entspricht schon dem Sinn und den politischen Leitideen der Verfassung. 2. Deshalb t r i t t neben die Frage nach der Verfassungswidrigkeit, die nur den eklatanten Widerspruch festmachen kann, die Frage nach der Strukturgemäßheit beabsichtigter Regelungen. Hier geht es darum, aus den Strukturprinzipien der Verfassung gewonnene Orientierungspunkte aufzuzeigen, deren Beachtung über die Vermeidung der Verfassungswidrigkeit hinaus eine positive Übereinstimmung m i t den leitenden Ideen der Verfassung und ihrer institutionellen Ausformung, eine A r t „Institutionentreue" i m Bereich der Verfassung gewährleistet 1 . Für eine verfassungsrechtliche Betrachtung sind diese verfassungsstrukturellen Orientierungspunkte, wenngleich sie innerhalb des Rahmens der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit liegen und nicht deren Grenzlinie bilden, ebenfalls von Wichtigkeit. Denn die positive V e r w i r k lichung und Aktualisierung der normativen Leitideen und Grundentscheidungen einer Verfassung, die als solche nur den Gehalt von Prinzipien haben, welche allererst näherer Ausgestaltung und Konkretisierung bedürfen, kann sich schwerlich anders vollziehen, als daß aus diesen Prinzipen gewonnene strukturelle Orientierungspunkte eine Maßstabsfunktion für entsprechende verfassungsrelevante Regelungen des Gesetzgebers erhalten. Der formell weite Entscheidungsspielraum jenseits der äußersten Ausgrenzung der Verfassungswidrigkeit bleibt dadurch nicht inhaltlich leer, sondern erhält eine Strukturierung. Es lassen sich Richtpunkte herausstellen, die ein Urteil darüber erlauben, wie weit bestimmte Regelungen oder Einrichtungen m i t den Strukturprinzipien der Verfassung voll i n Einklang stehen, sie — positiv oder negat i v — nicht tangieren oder sie unterlaufen bzw. i n bestimmter Hinsicht durchbrechen. Wenngleich solche Richtpunkte aus sich nicht den Charakter strikter Verbots- oder Gebotsnormen haben, sind sie für einen verfassungsloyalen Gesetzgeber eben als Orientierungs- und Richtpunkte für seine Entscheidungen bedeutsam. I m Sinne des erteilten Gutachtenauftrages erscheint es sinnvoll und notwendig, nicht nur das erste, sondern beide der hier erläuterten 1 s. zum Problem InstitutionentreueEschenburg, Staat und Gesellschaft in Deutschland, S. 263 ff.; ferner Hesse, Verfassungsrecht, S. 27 - 30.

§ 9. Bemerkungen zur Fragestellung

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Erkenntnisziele zum Ausgangspunkt der nachfolgenden Erörterungen zu nehmen. I I I . Diese Fassung des Erkenntniszieles bringt es freilich m i t sich, daß die möglichen verfassungsrechtlichen Aussagen nicht alle von gleicher Stringenz sind. Darauf sei besonders hingewiesen, u m möglichen Mißverständnissen zu begegnen. Soweit es sich u m die Feststellung der äußersten Grenzen der Verfassungswidrigkeit handelt, kann das nur durch strikte, argumentativ eindeutige Beweisführung geschehen, die zwingende und nicht nur plausible Schlüsse erlaubt. Soweit dagegen der A u f weis verfassungsstruktureller Orientierungspunkte i n Frage steht, ist eine solche Stringenz nicht immer möglich. Hier geht es um Konkretisierungen von Strukturprinzipien der Verfassung, die neben einem sehr engen inhaltlich eindeutigen K e r n einen weiteren, inhaltlich nicht i n gleicher Weise eindeutigen Bereich ihrer vom BVerfG sogenannten Ausstrahlungswirkungen aufweisen 2 . I n diesem Bereich ist, eben weil es sich um Konkretisierungen handelt, eine stringente, ,notwendige 4 Folgerungen erlaubende Beweisführung nur selten möglich; es muß oftmals m i t dem A u f weis »guter Gründe' oder einer aus Vergleichung und Abwägung gewonnenen besonderen Plausibilität sein Bewenden haben. Das bedeutet, daß solche Aussagen von vornherein keine andere Verbindlichkeit beanspruchen können als jene, die sich aus der Überzeugungskraft der für sie beigebrachten Argumente ergibt.

1. Abschnitt: Das Prinzip der Gewaltengliederung Das Prinzip der Gewaltengliederung gehört ebenso wie das demokratische und das föderative Prinzip zu den wesentlichen Strukturprinzipien der Verfassungsordnung der BRD; seine Verbindlichkeit für den Landesgesetzgeber folgt nicht nur aus der Homogenitätsklausel des A r t . 28 I GG, sondern ebenso unmittelbar aus A r t . 3 L V . Über A r t . 28 I GG ist es auch für den verfassungsändernden Landesgesetzgeber verbindlich. Fraglich ist, welche Folgerungen sich aus diesem Prinzip für die Zusammensetzung/Funktionsbestimmung von R i W A n herleiten lassen. I n der politischen und literarischen Diskussion w i r d das Gewaltengliederungsprinzip einerseits sehr betont als verfassungsrechtliche Recht1

s. dazu Hans J. Wolff , in: Gedächtnisschrift für G. Jellinek, S. 33 (45/46).

62 Teil C : Verfassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl fertigung für die Einführung von R i W A n und/oder die Beteiligung der Richterschaft an der Richterbestellung angeführt, anderseits die Auffassung vertreten, daß sich aus i h m so gut wie keine konkrete Folgerung für oder gegen RiWAe oder eine Beteiligung der Richter an der Personalauswahl für Richterstellen gewinnen lasse1. U m hier zu tragfähigen Ergebnissen zu kommen, bedarf es zunächst einer Bestimmung des Inhalts des Prinzips der Gewaltengliederung, soweit er i m vorliegenden Zusammenhang relevant ist (§ 10); sodann einer Klärung der Frage, i n welchem Verhältnis Gewaltengliederungsprinzip und demokratisches Prinzip stehen (§ 11); erst daran anschließend können begründbare Folgerungen i m Hinblick auf die Zusammensetzung und Funktionsbestimmung von R i W A n gezogen werden (§ 12).

§ 10. Der Inhalt des Prinzips der Gewaltengliederung Das Prinzip der Gewaltengliederung, wie es für die Verfassungsordnung der BRD Geltung hat, stellt keine schematische Aufteilung der staatlichen Tätigkeit nach bestimmten Funktionen und keine strikte Trennung dieser Funktionen voneinander dar. I. Sein Kerngehalt liegt vielmehr, wie das BVerfG wiederholt festgestellt hat, darin, „daß die Organe der Legislative, Exekutive und Justiz sich gegenseitig kontrollieren und begrenzen". Wesentlich ist nicht die scharfe Trennung, sondern sind die „checks and balances" zwischen den Gewalten, die eine Mäßigung der Staatsmacht und einen Schutz für die Freiheit des einzelnen bewirken. Keine Gewalt darf, so das BVerfG, ein von der Verfassung nicht vorgesehenes Ubergewicht über die andere Gewalt erhalten, und ebenso darf keine Gewalt der für die Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Aufgaben erforderlichen Zuständigkeiten beraubt werden 1 . Das Prinzip der Gewaltengliederung stellt sich demnach als eine Kombination von Elementen der Gewaltentrennung, der Gewaltenhemmung und der Gewaltenbalancierung dar. Als eine solche Kombination ist es keineswegs inhaltsleer und jeder beliebigen Festlegung zugänglich; was i h m fehlt, ist allerdings eine axiomatische Fixierung auf bestimmte Punkte ohne Rücksicht auf die je konkrete verfassungsrechtliche Ausgestaltung. Systematisch betrachtet bedeutet Gewalten1 Vgl. einerseits etwa van Husen, AöR Bd. 78 (1952/53), S. 46 (55); E. Kern, DRiZ 1958, 301 (303); D. Oppermann, Richterberufung, S. 93 ff.; Pulch, DRiZ 1971, 253 (254); andererseits Scheuner, DÖV 1953, S. 517 (520); H. P. Ipsen, in: Verhandl. d. 40. Dt. Juristentages, Bd. 2, S. C 21; Ad. Arndt, ebd., S. C 43. 1 BVerfGE 9, 268 (279); vorher ähnlich schon E 3, 225 (247) und E 7,183 (188); neuestens BVerfGE 34,52 (59).

1. Abschn.: Das Prinzip der Gewaltengliederung

63

gliederung zunächst die Unterscheidung verschiedener staatlicher Funktionen; diese ist Ausgangspunkt für eine organisatorisch-funktionelle Trennung verschiedener Funktionsbereiche (funktionelle Gewaltentrennung). Gewaltengliederung bedeutet ferner, daß diese getrennten Funktionen grundsätzlich von verschiedenen Personen wahrgenommen werden (personelle Gewaltentrennung); sie bedeutet schließlich, daß durch die Statuierung wechselseitiger Beteiligungs-, Veto- und Kontrollrechte, sowohl i n funktioneller wie i n personeller Hinsicht, ein Verhältnis der Hemmung und Balance zwischen den Gewalten hergestellt wird, ohne daß eine Gewalt der anderen völlig untergeordnet w i r d und damit ihre Eigenständigkeit verliert 2 . Daraus folgt, daß der Landes(verfassungs)gesetzgeber bei der näheren Ausgestaltung der Gewaltengliederung grundsätzlich nicht an abstrakt vorgegebene Funktionsinhalte oder Mitwirkungsbefugnisse für die einzelnen »Gewalten4 gebunden ist, sondern hinsichtlich der Kombination von Gewaltentrennungs-, -hemmungs- und -balancierungselementen über einen breiten eigenen Gestaltungsspielraum verfügt. Die Grenze dieses Gestaltungsspielraums liegt darin (aber auch erst darin), daß der von der Verfassung vorausgesetzte oder ausdrücklich festgelegte funktionelle Kernbereich einer Gewalt nicht angetastet werden darf, w e i l andernfalls diese Gewalt als eigenständiger Faktor der politischen Machtverteilung und -balancierung zu existieren aufhörte 3 . Für den Bereich der rechtsprechenden Gewalt hat das GG allerdings eine gemeinbundesrechtliche, Landesgesetz- und Landesverfassungssetzgeber bindende Festlegung dahingehend getroffen, daß die rechtsprechende Gewalt allein den Richtern anvertraut ist und nur durch Gerichte ausgeübt w i r d (Art. 92). Damit sind balancierende Mitwirkungsoder Kontrollbefugnisse der gesetzgebenden oder vollziehenden Gewalt i m Bereich der Rechtsprechungsfunktion ausgeschlossen; allein die Gerichte, und die Gerichte nur als m i t Richtern besetzte Organe sind — u m der Unabhängigkeit der Rechtsprechung w i l l e n — befugt, Aufgaben, die zur Rechtsprechungstätigkeit gehören, wahrzunehmen. Die funktionelle Gewaltentrennung ist zugunsten der Rechtsprechung strikt und eindeutig, i m wörtlichen Sinn ausnahmslos durchgeführt. Allerdings nur zugunsten der rechtsprechenden Gewalt. Überschneidungen, denen zufolge Richter m i t Verwaltungsaufgaben betraut oder den Gerichten bestimmte Verwaltungsaufgaben zugewiesen werden, sind nicht i n gleicher Weise ausgeschlossen4. 2 s. dazu Hans J. Wolff , Verwaltungsrecht I, § 16 I - I I I (S. 68 - 72); Küchenhoff-Küchenhoff, Staatslehre, S. 168-183; Maunz/Dürig, in: Maunz-DürigHerzog, Rdn. 78 ff. zu Art. 20. 8 s. dazu BVerfGE 9, 268 (280); Maunz/Dürig, in: Maunz-Dürig-Herzog, Rdn. 814 zu Art. 20 GG. s. BVerfGE 10, 200 (216); 14, 56 (68); Herzog, in: Maunz-Dürig-Herzog, Rdn. 72 ff. zu Art. 92; Bettermann, in: Die Grundrechte, Bd. III, 2, 1960, S. 633, 637 f.

64 Teil C : Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl I I . Das Prinzip der Gewaltengliederung, wie es i m Grundgesetz festgelegt und ausgestaltet ist, ist bezogen auf die Trennung, Hemmung und Balancierung bestimmter staatlicher Funktionen, nicht auf die Zuordnung bestimmter politischer Kräfte und/oder gesellschaftlicher Gruppen. Diese Funktionsbezogenheit ergibt sich als Folge aus dem Prinzip der Einheit (und demokratischen Legitimation) der Staatsgewalt, wie es dem GG (Art. 20 II) zugrunde liegt 5 . Seitdem sich dieses Prinzip (zunächst i n monarchischer, dann i n demokratischer Trägerschaft der Staatsgewalt) durchgesetzt hat, kann es nicht mehr darum gehen, wie bei Montesquieu, mehr oder minder autogene politische Kräfte und Herrschaftsträger wie Königtum, Adel und sonstige Stände durch nähere Bestimmung und Begrenzung ihrer eigenständigen politischen Macht- und Herrschaftsbefugnisse einander zuzuordnen und zu balancieren. Ebensowenig kann es Inhalt der Gewaltengliederung sein, die modernen politisch relevanten gesellschaftlichen Kräfte und Machtgruppen wie Gewerkschaften, Arbeitgeber, Kirchen, Presseunternehmen, Wirtschaftsverbände, Beamtentum usf. zu eigenberechtigten Teilhabern der Staatsmacht zu machen und auf dieser Grundlage i n ein Gleichgewichts- und Balancierungsverhältnis zu bringen; damit würde die Einheit der Staatsgewalt zugunsten eines ständisch-politischen Neo-Pluralismus aufgegeben. Vielmehr geht es darum, wie es i n A r t . 20 I I GG auch deutlich zum Ausdruck kommt, die als einheitlich vorausgesetzte und postulierte Staatsgewalt, die gemäß dem Prinzip der Demokratie auf das Volk bezogen ist und sich von i h m herleiten muß, hinsichtlich ihrer Ausübung i n bestimmter, an die genannten staatlichen Funktionen anknüpfender Weise zu organisieren®. U m dieses Ziel zu erreichen, werden besondere Organe und Organgruppen als institutionelle Subjekte (Träger) bestimmter Funktionen geschaffen, diese Organe/Organgruppen (Volksvertretung, Regierung, Gerichte) i n ihren Funktionen und hinsichtlich ihrer personellen Besetzung i n bestimmter Weise miteinander i n Beziehung gesetzt und m i t wechselseitigen Einwirkungs- und Kontrollbefugnissen ausgestattet. Wie6 Daß in Art. 20 I I GG die Einheit der Staatsgewalt zum Ausdruck gebracht und normativ festgelegt werden sollte, ergibt sich eindeutig aus dessen Entstehungsgeschichte. Siehe die Nachweise bei v. Doemming-Füßlein-Matz, JöR NF Bd. 1,S. 197 ff. • s. dazu insbes. Hesse, Verfassungsrecht, § 13 I, S. 193 ff.; Melichar, in: Verhandl. d. 4. österr. Juristentages, S. 24 m. w. Ν.; N. Achterberg. Probleme der Funktionenlehre, S. 113 ff.; W. Weber, in: Festschrift für Carl Schmitt, 1959, S. 253 (259 ff.) mit eher kritischer Beurteilung dieser .Reduzierung4, sie dadurch als Gegebenheit eher bestätigend. Zur Auffassung der Gewaltengliederung bei Montesquieu, für den Gesichtspunkte der Gewaltenverteilung auf die bestehenden politisch-sozialen Kräfte weithin bestimmend waren, s. M. Drath, in: Faktoren der Machtbildung, S. 99 ff.; Forsthoff, Artikel Gewaltenteilung, in: Evangel. Staatslexikon, Sp. 660 f.; Herzog, Staatslehre, S. 231.

1. Abschn. : Das Prinzip der Gewaltengliederung

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weit es dabei dann auch zur Besetzung bestimmter Organe durch oder m i t Angehörigen/Repräsentanten bestimmter politisch relevanter gesellschaftlicher Kräfte kommen kann und kommen darf, ist eine unter dem Aspekt verfassungsrechtlicher Gewaltengliederung sekundäre Frage, deren Regelungsmaßstab nicht das Gewaltengliederungsprinzip, sondern das Prinzip der notwendigen demokratischen Legitimation aller Ausübung von Staatsgewalt abgibt 7 . Es erscheint notwendig, diese auf die Funktionstrennung und -balancierung bezogene auch begrenzte rechtliche Wirkung des Gewaltengliederungsprinzips deutlich herauszustellen, denn gerade i m Zusammenhang m i t der Diskussion u m die Richterwahl w i r d nicht selten auf ältere Vorstellungen der Gewaltenteilung, wie sie etwa bei Montesquieu wirksam waren, zurückgegriffen, u m daraus eine möglichst autonome Stellung der einzelnen Gewalten, nicht zuletzt bei ihrer eigenen Personalergänzung zu legitimieren 8 . Auch wenn man es, wie teilweise i m Schrifttum, bedauert, daß das Gewaltengliederungsprinzip heute die — politisch wichtige — Funktion einer Gewalienverteilung zwischen verschiedenen politisch-sozialen Kräften nicht mehr ausübt und diese dadurch auch nicht — integrierend — i n die Staatsordnung einbezieht 9 , an dem verfassungsrechtlichen Tatbestand, der wesentlich durch das demokratische Prinzip bedingt ist (dazu unten 2. Abschnitt), vermag dies nichts zu ändern. I I I . Die Funktionsorientiertheit des Gewaltengliederungsprinzips schließt es auch aus, die Personalergänzung i n den einzelnen Gewalten als eine prinzipiell diesen selbst zukommende, von ihnen autonom zu erledigende Aufgabe zu qualifizieren. M i t diesem Schritt würden die i n den getrennten Funktionen liegenden politischen Entscheidungsbefugnisse zu autonomen politischen Machtbereichen i n der Hand bestimmter Gruppen, Schichten usf. verselbständigt, deren Rückbeziehung auf die Einheit der Staatsgewalt und deren Träger nicht mehr stattfände. Gewaltengliederung als Funktionengliederung setzt vielmehr voraus, daß die personelle Besetzung der einzelnen Funktionen, d. h. die Bestellung und Abberufung der sie verantwortlich wahrnehmenden Amtswalter voll als M i t t e l der Hemmung, Kontrolle und Balancierung zwischen den Gewalten und i m Verhältnis der einzelnen Gewalten zum Staatsträger verfügbar bleibt. Nur so kann verhindert werden, daß 7 s. Hesse, Verfassungsrecht, § 13 II, S. 125 ff.; W. Weber, in: Festschrift für Carl Schmitt, S. 262 ff.; Maunz/Dürig, in: Maunz-Dürig-Herzog, Rdn. 78 ff. zu Art. 20 GG. 8 s. statt anderer Pulch, DRiZ 1971, S. 253 f.; Priepke, DRiZ 1972, S. 10 (13). 9 s. in dieser Richtung etwa W. Weber, in: Festschrift für Carl Schmitt, S. 253 ff.; Hans J. Wolff , Verwaltungsrecht I, § 16, S. 72; kritisch hierzu Hesse, Verfassungsrecht, §13 I, S. 195, und Melichar, in: Verhandl. d. 4. österr. Juristentages, S. 24. 5

Böckenförde

66 Teil C : Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl die Funktionsbereiche sich aus Amtsbereichen dazu berufener Amtswalter zu politischen Machtbereichen der i n ihnen Tätigen umbilden und der Prozeß der Herstellung der Einheit der Staatsgewalt am Ende von neuem beginnen muß.

§ 11. Das Verhältnis von Gewaltengliederung und demokratischem Prinzip Dieser Zusammenhang t r i t t noch deutlicher hervor, fragt man nach dem Verhältnis des Gewaltengliederungsprinzips zum demokratischen Prinzip. I. Eine — wiederum i n der Diskussion u m die Richterwahl — nicht selten vertretene Auffassung geht davon aus, daß Gewaltengliederungsprinzip und Demokratieprinzip gleichrangig nebeneinanderstehen. Beide seien tragende Strukturprinzipien unserer Verfassungsordnung, keinem von beiden komme ein Vorrang vor dem anderen zu, auftretende Spannungen könnten daher nicht einseitig zugunsten des Demokratieprinzips, sondern müßten durch eine Balancierung beider Prinzipien gelöst werden 1 . Diese Auffassung entbehrt indessen der Grundlage i m geltenden Verfassungsrecht. Gilt für die Konstituierung und Legitimation der Staatsgewalt das demokratische Prinzip, so beinhaltet dies, wie es i n A r t . 20 I I S. 1 GG ausgesprochen ist, daß alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, d. h. der demokratischen Organisation und Legitimation bedarf. Das Prinzip der Gewaltengliederung t r i t t dem demokratischen Prinzip nicht gegenüber als eigener, davon unabhängiger Legitimationsgrund für die Ausübung von Staatsgewalt, sondern entfaltet seine Wirkung erst innerhalb des demokratischen Prinzips, als gliederndes Organisationsprinzip für die nähere Ausgestaltung der Ausübung der jeweils demokratisch legitimierten Staatsgewalt. Es läßt sich zwar fragen, ob der Verfassunggeber selbst nicht gewisse Ausnahmen von der universellen Geltung des demokratischen Prinzips, etwa zugunsten einer selbständigen Stellung des Gewaltengliederungsprinzips, vorsehen könne. Wie auch das BVerfG anerkannt hat, ist es 1

Diese Argumentation liegt ausgesprochen oder unausgesprochen den Auffassungen zugrunde, die eine möglichst unabhängige Stellung der »Dritten Gewalt', auch in Angelegenheiten der Personalergänzung, vertreten und als Ausfluß der Gewaltenteilung bzw. einer Balancierung von Gewaltenteilung und Demokratie paritätisch aus Vertretern aller drei Gewalten zusammengesetzte RiWAe konzedieren bzw. fordern, vgl. etwa D. Oppermann, Richterberufung, S. 92 ff., insbes. S. 96, 99 m. w. Nachw.; Furtner, DRiZ 1958, S. 127 (129); Pulch, DRiZ 1971, S. 253 f.; Priepke, DRiZ 1972, S. 10 (13); P. Schneider, in: Festschrift für OLG Zweibrücken, S. 257 ff. (266 f.).

1. Abschn.: Das Prinzip der Gewaltengliederung

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dem Verfassunggeber unbenommen, von Strukturprinzipien, die er i n der Verfassung festlegt, zugleich gewisse Ausnahmen vorzusehen oder sie sonst i n ihrer Geltung zu begrenzen, sofern er dadurch nicht letzte Gerechtigkeitsgrenzen mißachtet 2 . Der Verfassunggeber hat jedoch i m vorliegenden Zusammenhang ausdrücklich darauf verzichtet, eine solche Ausnahme oder sonstige Geltungsbegrenzung festzulegen. A r t . 20 I I GG bringt vielmehr durch seine Fassung gerade zum Ausdruck, daß das Gewaltengliederungsprinzip nicht unabhängig vom und in Gegenüberstellung zum demokratischen Prinzip, sondern i n seinem Rahmen und auf seiner Grundlage gelten soll. Nicht die genannten Gewalten als solche üben die Staatsgewalt aus, sondern das Volk durch sie als seine besonderen Organe 3 . Diese Aussage läßt sich zwar nicht allein durch Berufung auf die Wortfassung des A r t . 20 I I GG begründen, weil A r t . 20 I I i n seiner lapidaren Kürze zu den typischen Formel-Bestimmungen gehört, die für eine bestimmte Verfassungstradition stehen und nur aus dieser heraus sinnvoll interpretiert werden können. Sie findet ihren Grund jedoch i n dieser Verfassungstradition selbst; denn es waren gerade jene Formelbestimmungen, i n deren Tradition A r t . 20 I I GG steht, die die universelle Geltung des demokratischen Prinzips und die Einbeziehung der Gewaltengliederung i n das demokratische Prinzip zum Ausdruck bringen sollten. Diese Tradition beginnt mit Art. 3 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 4. 8. 1789: "Le principe de toute souveraineté réside essentiellement dans la nation; nul corps, nul individu ne peut exercer d'autorité, qui n'en émane expressément." Sie setzt sich fort über Tit. III, Art. I - I I I der französischen Verfassung von 1791, Art. 25 der belgischen Verfassung von 1831, Art. 18 und 19 der französischen Verfassung von 1848. Weniger ausdrücklich ist der Niederschlag in Art. 1 I I und 5 der Weimarer Verfassung. II. Positiv formuliert läßt sich das Verhältnis von Gewaltengliederung und Demokratieprinzip hiernach folgendermaßen bestimmen. I m Rahmen der durch das GG errichteten Verfassungsordnung entfaltet sich das Prinzip der Gewaltengliederung nicht unabhängig vom Demokratieprinzip oder neben ihm, sondern auf seiner Grundlage. Es enthält daher keinerlei Rechtstitel zu einer teil- oder bereichsweisen Emanzipation von den Anforderungen des demokratischen Prinzips, insbesondere der Notwendigkeit der demokratischen Legitimation der 2

BVerfGE 3,225 (232 ff.) ; 4, 294 (296). s. auch v. Mangoldt-Klein, Bern. V 5 b zu Art. 20, S. 598 f., wo — durchaus folgerichtig — die Gewaltengliederung im Rahmen und als nähere Ausgestaltung der Demokratie, nicht davon abgelöst als Element der Rechtsstaatlichkeit behandelt wird. 3



68 Teil C : Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl Ausübung staatlicher Befugnisse. Sein Sinn liegt vielmehr darin, die demokratisch konstituierte und legitimierte Staatsgewalt i n ihrer Ausübung i n bestimmter Weise zu organisieren und zu balancieren und dadurch innerhalb des demokratischen Prinzips, nicht auf seine Kosten, das System der „checks and balances" zu errichten. Der Begrenzungsund Mäßigungseffekt, der von der Gewaltengliederung ausgehen soll, w i r d damit keineswegs aufgegeben oder relativiert, er muß nur, wie es einer auf dem demokratischen Prinzip aufbauenden Staatsorganisation entspricht, i n die demokratische Verfassungsstruktur hineinverlegt statt gegen sie geltend gemacht werden. § 12. Folgerungen im Hinblick auf die Zusammensetzung/Funktionsbestimmung von RiWAn Nach den vorstehenden Ausführungen zum Inhalt des Gewaltengliederungsprinzips (§ 10) und seinem Verhältnis zum demokratischen Prinzip (§ 11) läßt sich nunmehr die Frage beantworten, welche Folgerungen sich aus dem Gewaltengliederungsprinzip für die Zusammensetzung/ Funktionsbestimmung von R i W A n ergeben. I. Nicht begründet ist vom Prinzip der Gewaltengliederung her die Auffassung, daß die Richter als solche, d. h. unabhängig von ihrer Amtsfunktion der Wahrnehmung von Rechtsprechungstätigkeit, die „Dritte Gewalt" darstellen oder repräsentieren. Das Gewaltengliederungsprinzip ist, wie dargelegt, bezogen auf die Gliederung und bestimmt geartete Organisation staatlicher Funktionen, nicht auf die Zuordnung und Balancierung bestimmter Personengruppen. Die Personen, die diese Funktionen wahrnehmen, kommen nur insofern i n Betracht, als sie die Walter dieser Funktionen sind, nicht darüber hinaus und unabhängig von dieser Eigenschaft. Gemäß A r t . 20 I I S. 2 und A r t . 92 S. 2 GG stellt sich die rechtsprechende Gewalt i n ihren Organen, den Gerichten dar, ebenso wie sich die vollziehende Gewalt i n ihren Organen Regierung, Ministerien und Verwaltungsbehörden, nicht aber den darin tätigen Personen darstellt. Die Verselbständigung und Unabhängigkeit, die das Gewaltengliederungsprinzip für die Rechtsprechung bewirkt, betrifft die RechtsprechungstätipJceit, die Funktion, nicht die soziale Gruppe der Amtswalter dieser Funktion; sie w i r k t sich auch für die Amtswalter aus, insofern diese daran durch die Komplementärgarantien der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit (Art. 97 GG) Anteil haben; aber sie haben diesen Anteil nur u m dieser Funktion willen und deshalb nur in ihrer amtlichen Funktion. Z u dieser Funktion gehören alle jene, aber auch nur die Tätigkeiten, die auf die Gewinnung eines richterlichen Erkenntnisses bezogen sind. Was darüber hinaus von Richtern oder Gerichtsbehörden auch noch wahrgenommen wird,

1. Abschn.: Das Prinzip der Gewaltengliederung

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gehört entweder i n den Bereich der Rechtsprechungs- oder Justizverwaltung, evtl. i n den Bereich von richterlicher Mitbestimmung (Personalvertretung) und/oder Beteiligung an Richterpersonalpolitik, nicht aber zur Rechtsprechung i n sachlich-inhaltlichem Sinn. Demgegenüber kann nicht eingewandt werden, daß A r t . 92 S. 1 die rechtsprechende Gewalt ausdrücklich den Richtern anvertraue. Der normative Gehalt dieser Bestimmung liegt darin, festzulegen, daß die Rechtsprechungsfunktion nur von Richtern wahrgenommen werden darf, d. h. von Amtswaltern und Organen mit der Rechtsstellung und den organisatorischen und evtl. Ausbildungs-Merkmalen, die den „Richter" als Amtswalter und Organ verfassungsrechtlich (Art. 97, A r t . 20 I I S. 2) kennzeichnen 1 . I h r Ziel ist die Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt, die dadurch erreicht werden soll, daß die Organe dieser Gewalt einen bestimmten organisationsrechtlichen Status haben und die Amtswalter dieser Organe grundsätzlich über die Stellung, Eigenschaften und Rechtsgarantien des Richters verfügen müssen. I n dieser letzteren Hinsicht ist A r t . 92 S. 1 GG dem A r t . 33 I V GG vergleichbar, der bestimmt, daß die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe i n der Regel nur Personen übertragen werden darf, die eine bestimmte Rechtsstellung aufweisen, nämlich i n einem öffentlich-rechtlichen Dienstund Treueverhältnis stehen. Beide Vorschriften besagen nicht, daß die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse bzw. die Rechtsprechungsfunktion den Beamten bzw. Richtern als einer bestimmten Berufs- und sozialen Gruppe als eigener Entscheidungs- und Wirkungsbereich ,anvertraut' sei; sie kehren das i m Gewaltengliederungsprinzip festgelegte Verhältnis von Funktion und Person nicht um. Dieses Verhältnis ist durch den Primat der Amtsfunktion und durch die Indienstnahme von Personen für diese Amtsfunktion, die eben deswegen zu m i t einer besonderen Pflichtstellung belegten Amtswaltern werden, charakterisiert 2 . Nehmen Richter an Personalentscheidungen über Richter als (gewählte) Mitglieder eines R i W A teil, so sind sie demnach i n dieser Funktion nicht Repräsentanten der „Dritten Gewalt", sondern Vertreter der Berufsgruppe oder des Berufsstandes der Richter. II. Eine Teilnahme der Richter selbst an der Bestellung von Richtern läßt sich auch nicht als rechtsnotwendige Folgerung aus dem Prinzip der Gewaltengliederung herleiten. Der Inhalt des Gewaltengliederungsprinzips ist auf die Trennung, Hemmung und Balancierung von Funktionen bezogen (oben § 10 II); zu dieser organisatorischen Verselbständigung (und anschließenden Balancierung) verschiedener Funktionen gehört kei1

s. dazu Herzog, in: Maunz-Dürig-Herzog, Rdn. 72 ff. zu Art. 92. Vgl. zu diesem Sinngehalt staatlicher Ämter und Amtsfunktionen Hans J. Wolff, Verwaltungsrecht II, § 731 c; Herbert Krüger, Staatslehre, S. 256 ff. 1

70 Teil C : Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl neswegs als notwendiges Korrelat die personelle Autonomie dieser Funktionen i. S. einer Selbstbestimmung über die Personalauswahl oder einer maßgeblichen Beteiligung daran (oben § 10 III). Auch die nähere Ausgestaltung, die das GG dem Prinzip der Gewaltengliederung hinsichtlich der rechtsprechenden Gewalt gegeben hat, impliziert ein solches Recht nicht. Die Form der Richterbestellung, einschließlich der M i t w i r k u n g von Richtern daran, ist gemeinbundesrechtlich nicht geregelt worden, sondern nur für die Richter der Bundesgerichte festgelegt (s. oben § 6 I I 1 u. 2). Und ebensowenig kann aus der Formulierung i n Art. 92 GG, daß die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut sei, die Folgerung gezogen werden, daß damit den Richtern eine (maßgebliche) Beteiligung an der Richterbestellung verbürgt sei (s. oben I). Es bestätigt sich damit die schon früher von verschiedener Seite geäußerte Auffassung, daß die Gewaltengliederung, „die i m GG als Vermehrung zahlreicher Kompetenzverschiebungen, Arretierungen und Inkompatibilitäten erscheint" (Ipsen), kein entscheidendes K r i t e r i u m für die sog. gerichtliche Selbstverwaltung, insbesondere für die Beteiligung der Richter an der Richterbestellung abgibt 8 . Ebenso ist allerdings festzustellen, daß das Gewaltengliederungsprinzip von seinem Inhalt her eine solche Beteiligung nicht ausschließt. I m Sinne strikter verfassungsrechtlicher Folgerung, die auf ein verfassungsrechtliches Gebot oder Verbot hinausläuft, läßt das Prinzip der Gewaltengliederung weder für noch gegen die Beteiligung an der Richterbestellung einen Schluß zu. I I I . Eine andere Frage ist, wieweit die Gewaltengliederung als verfassungsrechtliches Strukturprinzip zu Orientierungspunkten (in dem oben § 9 I I 2 dargelegten Sinn) für oder gegen die Richterbeteiligung an der Richterbestellung führt. Hier sind zwei Gesichtspunkte von Bedeutung. Einmal zielt die Gewaltengliederung nicht primär auf eine strikte Trennung der unterschiedenen Funktionen, sondern auf ihre wechselseitige Begrenzung und Balancierung (siehe oben § 101); die personelle Gewaltenhemmung und -balancierung ist ein wichtiger Teil davon. Diese Begrenzung und Balancierung kann und darf sich allerdings nicht zu Lasten, sie muß sich auf der Grundlage des demokratischen Prinzips verwirklichen. Damit ist ein Rahmen abgesteckt, aber noch nicht gesagt, welche konkreten Arten von Balancierung für die Richterbestellung sich daraus i m Sinne struktureller Orientierungspunkte gewinnen lassen. Hierfür kommt es auf den weiteren Gesichtspunkt der angemessenen Funktionssicherung der voneinander unterschiedenen und getrennten 8

s. H. P. Ipsen, in: Verhandl. des 40. Dt. Juristentages, Bd. 2 (1954), S. C 21; ebenso Ad. Arndt, ebd., S. C 43; U. Scheuner, DÖV1953, S. 517 (520).

2. Abschn. : Das Prinzip der demokratischen Legitimation

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Gewalten an. Für die rechtsprechende Gewalt hat dieser Gesichtspunkt wegen ihrer strukturell erforderten und verfassungsrechtlich ausdrücklich festgelegten »Unabhängigkeit 1 ein besonderes Gewicht. Ebenso wie diese Unabhängigkeit der Abstützung durch die komplementären richterlichen Statusgarantien bedarf (Art. 97), bedarf sie einer Abstützung durch eine entsprechende Regelung und Balancierung der Richterbestellung, d. h. genauer: der Richterpersonalpolitik. Das betrifft den Grundsatz. Seine Konkretisierung setzt freilich eine nähere Analyse der besonderen Funktion der Rechtsprechung i m Rahmen des politischen Systems der Verfassung voraus; sie kann daher erst i m Zusammenhang der Erörterungen des dritten Abschnitts, der gerade diesen Fragen gewidmet ist, erfolgen.

2. Abschnitt: Das Prinzip der demokratischen Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt § 13. Die Geltung des Prinzips der demokratischen Legitimation Das Prinzip der demokratischen Legitimation der Staatsgewalt erstreckt sich nicht nur auf bestimmte, sondern auf alle Arten der Ausübung von Staatsgewalt (Art. 20 I I S. 1 GG, A r t . 28 I GG). Die Form der demokratischen Legitimation und ihre Intensität können je nach dem Bereich der Ausübung von Staatsgewalt verschieden sein, i n keinem Fall darf es jedoch zu einer Freistellung von der Notwendigkeit demokratischer Legitimation kommen. Damit würde der demokratische Charakter der Staatsgewalt, den Grundgesetz und Landesverfassung zwingend vorschreiben, i n Frage gestellt. I. Auch die Rechtsprechung der Gerichte ist Ausübung von Staatsgewalt. Sie ist zwar ihrer A r t nach von der Gesetzgebung und der Ausübung der vollziehenden Gewalt wesentlich unterschieden, weil i n ihr nicht das Element politischer Entscheidung und zweckhafter sozialer Gestaltung (im Rahmen der Gesetze), sondern die Bindung an Gesetz und Recht dominiert; sie ist insofern, ungeachtet ihrer Teilnahme an Rechtsgestaltung und Rechtsfortbildung (darüber näher unten § 16 II), keine »politisch aktive' Funktion. Aber dieser Unterschied ist ein solcher innerhalb der Ausübung von Staatsgewalt, fällt nicht mit der Wahrnehmung von Staatsgewalt zusammen. Den einzelnen Rechtsuchenden, wie den Prozeßparteien überhaupt, steht der Richter nicht gleichgeordnet gegenüber, als Vermittler oder durch Vereinbarung bestellter Schiedsmann, sondern

72 Teil C : Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl als Inhaber einer zwar an Gesetz und Recht rückgebundenen, gleichwohl aber hoheitlichen Entscheidungsgewalt, dessen Erkenntnis — nach Erschöpfung der Rechtsmittel — unabhängig von der Annahme oder A n erkennung durch die Beteiligten verbindlich ist und den Charakter rechtlichen Gebots annimmt, das vermittels Anwendung von Zwangsgewalt durchsetzbar ist. Historisch ebenso wie systematisch ist Rechtsprechung nicht eine subsidiäre, sondern eine zentrale Funktion des modernen Staates; erst die verbindliche Entscheidung rechtlicher Streitigkeiten durch eine unparteiische Instanz nach festgelegten Maßstäben hat die staatliche Friedenseinheit als eine nicht bloß machtmäßig diktierte, sondern rechtlich geordnete und damit auf Dauer gestellte möglich gemacht und erhält sie als solche. Dem entspricht es, daß A r t . 20 I I GG die Organe der rechtsprechenden Gewalt als Organe qualifiziert, durch die das Volk die Staatsgewalt ausübt, und daß die Urteile der Gerichte „ i m Namen des Volkes" als des Trägers der Staatsgewalt ergehen, nicht hingegen i m Namen des Rechts. Die Rechtsprechung untersteht somit — als Ausübung von Staatsgewalt — dem Gebot der demokratischen Legitimation. II. Dieses Gebot der notwendigen demokratischen Legitimation w i r d nicht dadurch relativiert oder durchbrochen, daß die Ausübung rechtsprechender Gewalt i n richterlicher Unabhängigkeit erfolgt. Die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit dient dazu, die funktionsgerechte Wahrnehmung der Rechtsprechungstätigkeit mit zu gewährleisten; sie ergibt sich als notwendige Komplementärgarantie aus der besonderen Aufgabe und Eigenart der Rechtsprechung i m System der staatlichen „Gewalten" und hat ihre Entsprechung i n der strengen Bindung des Richters an das Gesetz (Art. 97 S. 1, A r t . 20 I I I GG). Die Zielrichtung, die notwendige demokratische Legitimation der Rechtsprechung zu relativieren, ist damit nicht verbunden 1 . Allerdings ergeben sich aus der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit Folgewirkungen für die A r t der Ausgestaltung der demokratischen Legitimation. Da die Richter durch diese Garantie i n ihrer rechtsprechenden Tätigkeit weisungsfrei gestellt sind, kann der demokratische Legitimationszusammenhang für die Rechtsprechung nicht durch ihre Einbindung i n einen sachlichen Weisungszusammenhang hergestellt werden, der von einem demokratisch legitimierten und kontrollierten Organ ausgeht. Die Herstellung und Gewährleistung der demokratischen Legitimation muß vielmehr i m wesentlichen bei der u n d über die Richterbestellung erfolgen. Darin liegt ein wichtiger Unterschied gegenüber der Exekutive. Dort gibt es zwei Wege, die demokratische Legitimation der 1 s. dazu Bettermann, in: Die Grundrechte, Bd. III, 2, S. 515 f., 528; ders., in: Die Unabhängigkeit des Richters. Ein Cappenberger Gespräch, S. 45 f.; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar, Rdnr. 461.

2. Abschn. : Das Prinzip der demokratischen Legitimation

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Exekutivtätigkeit herzustellen und sicherzustellen, einmal die Personalauswahl hinsichtlich der Beamten durch Regierung und/oder Minister als ihrerseits demokratisch legitimierte Instanzen, zum andern das fachliche Weisungsrecht dieser Instanzen gegenüber allen nachgeordneten Behörden und Ämtern. Unter diesem Gesichtspunkt kommt der Personalauswahl i m Bereich der rechtsprechenden Gewalt für deren demokratische Legitimation eine erhöhte, ja entscheidende Bedeutung zu; Korrekturmöglichkeiten für fehlgegangene Personalauswahl durch entsprechende Handhabung des Weisungsrechtes, wie i m Bereich der Exekutive, stehen nicht zur Verfügung.

§ 14. Der Inhalt des Prinzips der demokratischen Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt Der Inhalt des Prinzips der demokratischen Legitimation ergibt sich folgerichtig aus dem Grundinhalt des Demokratieprinzips, wie er i n A r t . 20 I I GG seinen Niederschlag gefunden hat. Das Volk ist danach nicht nur Träger und Bezugspunkt der Staatsgewalt i n dem Sinn, daß alle Staatsgewalt stellvertretend für das Volk und i n Orientierung an seinem Interesse ausgeübt werden soll, sondern auch i n dem Sinn, daß die Ausübung der staatlichen Befugnisse und Kompetenzen durch die verschiedenen staatlichen Organe sich konkret vom Volk (als dem Staatsvolk) herleiten muß 1 . Das demokratische Prinzip schreibt somit verbindlich eine Organisationsform der Staatsgewalt vor, kraft deren die Ausübung der staatlichen Befugnisse jeweils auf das Staatsvolk rückführbar sein muß, wozu eine entsprechende, vom Staatsvolk ausgehende demokratische Legitimation der einzelnen staatlichen Organe gehört, und i n Verantwortlichkeit gegenüber und unter Kontrolle durch das Staatsvolk stattfindet. Erst unter dieser Voraussetzung kann die Wahrnehmung der staatlichen Befugnisse durch vom Volk unterschiedene und organisatorisch getrennte Organe, die i n jedem differenzierten Staatswesen unumgänglich sind, so angesehen werden, daß durch diese Organe das Volk die Staatsgewalt ausübt (Art. 20 I I 2 GG). Dazu gibt es einen organisatorischen und einen inhaltlichen Weg. I. U m die notwendige demokratische Legitimation organisatorisch herzustellen, bedarf es einer ununterbrochenen demokratischen Legitimationskette für die m i t der Ausübung staatlicher Befugnisse betrauten Amtswalter. Herzog spricht zutreffend von dem „Prinzip der individuellen Berufung der Amtswalter durch das Volk oder durch volksgewählte 1 Vgl. v. Mangoldt-Klein, Bern. V 4 zu Art. 20 GG (S. 594 - 596); M. Kriele, W D S t R L H. 29, S. 82, Leits. 5 - 7 ; Herzog, Staatslehre, S. 208 - 210.

74 Teil C : Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl Organe", das verwirklicht sein muß, um von einer Demokratie bzw. demokratischen Legitimation sprechen zu können 2 . 1. Diese demokratische Legitimationskette braucht, wie schon i m Ausdruck Legitimationskette gesagt ist, nicht unmittelbar auf das Volk zurückführen; mittelbare wie unmittelbare Berufung durch das Volk sind gleichermaßen zulässig, wenngleich die unmittelbare Berufung eine höhere demokratische Dignität und damit Legitimation zu weittragenden politischen Entscheidungen i m Namen des Volkes begründet 3 . Entscheidend ist jedoch, daß die Legitimationskette nicht unterbrochen w i r d durch das Dazwischentreten eines nicht oder nicht hinreichend demokratisch legitimierten Organs und daß es sich um eine individuelle Berufung der Amtswalter (durch Wahl oder Ernennung) handelt, nicht um eine bloß generelle, etwa i m Wege der Thron- oder Nachfolgeordnung geregelte 4 . Eine solche, wenngleich nicht die einzig mögliche demokratische Legitimationskette für die Bestellung der Richter durch RiWAe beschreibt Hennies: „Wahl des Parlaments durch das Volk — Wahl aller Mitglieder des Richterwahlausschusses durch das Parlament, aber nicht notwendig aus der Mitte des Parlaments — Neuwahl nach dem Zusammentritt eines neugewählten Parlaments5." A n dieser Beschreibung w i r d zugleich ein anderer Sachverhalt deutlich. Eine gestufte demokratische Legitimation muß zwar nicht notwendig durch das Parlament erfolgen, aber i m parlamentarischen Regierungssystem ist das Parlament — als das Repräsentationsorgan des Volkes — e i n notwendiges Glied innerhalb jeder demokratischen Legitimationskette. Das besagt zweierlei: Es gibt Formen demokratischer Legitimation, bei denen das Parlament nicht unmittelbar als Legitimationserteiler, sondern nur als Legitimationsmittler eingeschaltet ist. Das wichtigste Beispiel dafür ist die Beamtenernennung durch den demokratischparlamentarisch legitimierten Minister; es gibt aber keine Form demokratischer Legitimation — außerhalb der unmittelbaren Volkswahl —, die am Parlament als Legitimationsmittler vorbei verläuft. 2. Nicht eindeutig beantwortet w i r d i m Schrifttum die Frage, ob die jeweils notwendige demokratische Legitimationskette darauf gerichtet sein muß, alle an den Entscheidungen eines bestimmten Organs (durch Mitentscheidungsbefugnis) Beteiligten oder (nur) die Entscheidung des Organs als solche demokratisch zu legitimieren. Der Unterschied ist vor * Vgl. Herzog, Staatslehre, S. 210. 8 Hierzu Quaritsch, Parlamentsgesetz, S. 30 ff. 4 s. dazu Herzog, Staatslehre, S. 213 f.; zur ununterbrochenen Legitimationskette auch Kriele, W D S t R L H. 29, S. 82, Leits. 7, 5 G. Hennies, DRiZ 1972, S. 411.

2. Abschn. : Das Prinzip der demokratischen Legitimation

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allem für die Zusammensetzung entscheidungsbefugter Kollegialorgane erheblich; i m ersten Fall müssen alle entscheidungsbefugten Mitglieder durch einen demokratisch legitimierten individuellen Berufungsakt ausgewiesen sein, i m zweiten Fall können auch einige nicht i n dieser Weise legitimierte Mitglieder dem Organ angehören, sofern dadurch die demokratische Legitimation der Entscheidungen als solcher nicht i n Frage gestellt wird, d. h. die nicht demokratisch legitimierten Mitglieder sich jedenfalls i n der Minderzahl befinden®. Die Staatspraxis geht offensichtlich von der zweiten Alternative aus. Das zeigen die nicht wenigen, i n ihren Entscheidungen weisungsfrei gestellten Ausschüsse i m Bereich der Verwaltung, die nicht allein m i t — durch ihre Ernennung demokratisch legitimierten — Beamten, sondern daneben m i t Vertretern bestimmter Berufs- oder Sozialgruppen besetzt sind, die von entsprechenden gesellschaftlichen Organisationen entsandt oder vorgeschlagen werden 7 . Die Frage muß ihre A n t w o r t aus Sinn und Funktion des Prinzips der demokratischen Legitimation finden. Das Prinzip der demokratischen Legitimation zielt, wie oben dargelegt, darauf ab, sicherzustellen, daß die Ausübung staatlicher Befugnisse durch die verschiedenen staatlichen Organe auf das Staatsvolk rückführbar bleibt, sich von i h m herleitet. Primärer Orientierungspunkt ist hierbei die Ausübung organisierter hoheitlicher Entscheidungsmacht durch die staatlichen Organe; diese bedarf der demokratischen Legitimation. U m dies zu erreichen, bedarf es — neben anderem — einer demokratisch legitimierten Bestellung der die Entscheidungsbefugnisse wahrnehmenden Amtswalter; sie dient als M i t tel zur Herstellung der demokratischen Legitimation der Entscheidung selbst, nicht umgekehrt. Diese auf die demokratische Legitimation der Entscheidung abstellende Interpretation ist nicht nur prinzipiell gerechtfertigt, sie legt sich auch aus anderen Überlegungen nahe. Sie entspricht einmal, gerade i m Bereich der Verwaltung, wichtigen praktischen Bedürfnissen; denn sie ermöglicht es, Vertreter bestimmter sozialer Interessen oder gesellschaftlicher Gruppen i n gewissem Umfang an Verwaltungsentscheidungen β Für die unterschiedlichen Auffassungen — statt anderer — einerseits G. Hennies, DRiZ 1972, S. 411 (demokratische Legitimation aller Entscheidungsbeteiligter), andererseits K. Ipsen, DÖV 1971, S. 469 ff. (474) (demokratische Legitimation der Entscheidung). Die Ausführungen bei Herzog, Staatslehre, S. 213 f., laufen, wenngleich er dazu nicht ausdrücklich Stellung nimmt, klar auf die erste Alternative hinaus. 7 Beispiele dafür sind etwa die Jugendwohlfahrtsausschüsse nach dem JWG (vgl. AusführungsG NW zum JugendwohlfahrtsG v. 1. 7. 65 (GV NW S. 248), §§ 2 u. 3 i. V. m. § 14 JWG), der Verwaltungsrat nach dem Gesetz zur Neuregelung der Wohnungsbauförderung v. 2. 4. 57 (GV NW S. 80), § 9, auch die Verwaltungsräte von Bundesbahn und Bundespost, die jedenfalls Mitentscheidungsbefugnisse haben.

76 Teil C : Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl teilnehmen zu lassen, insbesondere solchen, für die diese Vertreter über einschlägige Sonderkenntnisse verfügen oder die auf einen Ausgleich divergierender Interessen abzielen 8 . Zum anderen w i r d auf diese Weise der Einbau gewaltengliedernder, balancierender Elemente i n demokratische Entscheidungsorgane und Entscheidungsstrukturen offengehalten. Das ist besonders für kollegiale Entscheidungsorgane, und hier besonders bei Wahlentscheidungen dieser Gremien, wichtig; solche Entscheidungen erhalten ihre Rechtfertigung nicht aus Gründen — an einer Begründungspflicht fehlt es zumeist —, sondern aus dem Wahlakt als solchem. Kontroll- und Balancierungselemente müssen daher i n den EntscheidungsVorgang selbst hinein verlegt werden. Auch das BVerfG geht, wenngleich es sich dazu noch nicht ausdrücklich geäußert hat, implicit von dieser Interpretation aus, die auf die demokratische Legitimation der Entscheidung als solcher, nicht aller Entscheidungsbeteiligter abstellt. Es hat den hamburgischen RiWA, der sich neben 3 Senatoren und 5 von der Bürgerschaft gewählten Mitgliedern aus 3 richterlichen, von der Richterschaft gewählten, und 2 von der Rechtsanwaltskammer berufenen Mitgliedern zusammensetzt und über die Berufung der Richter selbst, nicht i m Zusammenwirken m i t dem Justizsenator entscheidet, als „offenkundig" für vereinbar m i t Bundesrecht, und das heißt auch Bundesverfassungsrecht, erklärt 9 . Das ist nur von einer Auffassung her möglich, die das Prinzip der demokratischen Legitimation nicht i. S. der notwendigen Legitimation aller Entscheidungsbeteiligter versteht. Ist demnach für die Herstellung der demokratischen Legitimationskette notwendig, aber auch hinreichend, daß die Entscheidung als solche, nicht aber alle Entscheidungsbeteiligten demokratisch legitimiert sind, so stellt sich die weitere Frage, w a n n und bis zu welcher Zusammensetzung dies bei kollegialen Entscheidungsorganen der Fall ist. U m hier die äußerste Grenze festzulegen, jenseits derer der Umschlag stattfindet, ist es notwendig, sich am Konfliktfall zu orientieren. I n einem solchen Konfliktfall müssen die demokratisch legitimierten Mitglieder des Organs i n der Lage sein, ihre Auffassung gegenüber derjenigen der demokratisch nicht legitimierten Mitglieder durchzusetzen. Dazu genügt nicht eine Vetoposition der demokratisch legitimierten Mitglieder, denn eine Vetoposition ermöglicht immer nur, bestimmte Entscheidungen zu verhindern, nicht aber, selbst eine Entscheidung zu treffen. I m konkreten Fall könnte zwar keine Entscheidung zustande kommen, ohne daß sie ihr als Träger der Vetoposition (auch) zustimmen, aber sie wären umgekehrt i n jedem Fall für eine positive Entscheidung auf die Zustimmung 8

s. dazu Hans J. Wolff , Verwaltungsrecht II, § 75 I I I b 3. Vgl. BVerfGE 24, 268 (274) und §§9 -11 hamb. RichterwahlG v. 15. 6. 1964 (GVB1. S. 109). β

2. Abschn. : Das Prinzip der demokratischen Legitimation anderer (hier: nicht demokratisch legitimierter) Mitglieder angewiesen. Damit wären sie nicht mehr (potentieller) Träger der Entscheidung, sondern (nur) qualifizierte Beteiligte an der Entscheidung 10 . Hiermit ist nicht gesagt, daß jede A r t von Beteiligung demokratisch nicht legitimierter Vertreter i n einem kollegialen Entscheidungsgremium, die gerade unterhalb der angegebenen Grenze bleibt, unter dem Gesichtspunkt der demokratischen Legitimation unbedenklich wäre. Es gibt, wie die Darlegungen zeigen, verschiedene Intensitätsstufen demokratischer Legitimation. Dem Demokratieprinzip als Orientierungsmaßstab für den Gesetzgeber entspricht es, nicht nur das Mindestmaß, sondern eher ein Optimum an demokratischer Legitimation, freilich zugleich unter Berücksichtigung auch anderer, etwa gewaltengliedernder Gesichtspunkte, zu verwirklichen. Wie das i n konkreten Fällen aussehen mag, läßt sich nicht abstrakt, sondern nur unter Berücksichtigung des jeweiligen Hegelungsgegenstandes und anderer, miteinander abzuwägender Gesichtspunkte ermitteln; auch dann bleibt dem Gesetzgeber ein relativ weiter Entscheidungsspielraum. Die hier bezeichnete Grenze betrifft (nur) das notwendige Mindestmaß, bei dessen Nichtachtung die Grenze zur Verfassungstüidrigfceit überschritten wird. 3. Ein gleichgelagertes, m i t dem soeben erörterten sich^ teilweise überschneidendes Problem stellt die Frage dar, i n welchem Umfang Entscheidungsträger ohne demokratische Legitimation an den Entscheidungen demokratisch legitimierter Entscheidungsträger beteiligt werden können (durch Vorschlags-, Beratungs-, Zustimmungs-, Vetorechte etc.), ohne daß die demokratische Legitimation der Entscheidung dadurch entfällt. Ebenso wie durch die demokratisch nicht legitimierte Zusammensetzung des Entscheidungsgremiums selbst kann die demokratische Legitimation der Entscheidung auch dadurch (beeinträchtigt oder) i n Frage gestellt werden, daß ein als solches demokratisch legitimiertes Entscheidungsorgan für seine Entscheidungen an die M i t w i r k u n g demokratisch nicht legitimierter Instanzen rechtlich gebunden wird. Die Frage hat i m vorliegenden Zusammenhang ihre Aktualität i m Hinblick auf die teils vorgesehenen, teils diskutierten Mitwirkungsrechte von Richtervertretungen, Präsidialräten, Vertretern der Sozialpartner an den (Personal-)Entscheidungen des Ministers und/oder RiWA. Die A n t w o r t kann sich an dem eben für die demokratische Legitimation kollegialer Entscheidungsorgane entwickelten Grundsatz orientieren. Das bedeutet, daß die demokratische Legitimation der Entscheidung 10

Die gegenteilige Auffassung von K. Ipsen, DÖV 1971, S. 469 (474), der auch eine bloße Vetoposition für ausreichend hält, entbehrt jeder näheren Begründung; sie deutet die notwendige demokratisch legitimierte Entscheidungsbefugnis in eine bloße EntscheidungsVerhinderungsbefugnis um. Das ist schon nach den vom BVerfG in E 9,268 entwickelten Grundsätzen, die sinngemäß auch für das Problem demokratischer Legitimation anwendbar sind, nicht haltbar.

78 Teil C : Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl dann i n Frage gestellt ist, wenn das demokratisch legitimierte Organ i m Konfliktfall nicht mehr selbst eine Entscheidung herbeiführen kann, sondern von dem Votum einer demokratisch nicht legitimierten Instanz rechtlich abhängig ist. Das demokratisch legitimierte Organ verliert i n diesem Fall die Entscheidungsträgerschaft. Diese Grenzlinie findet eine Bestätigung i m Urteil des BVerfG zum bremischen PersonalvertretungsG (E 9, 268). Hier ging es u m die Frage, inwieweit Entscheidungsbefugnisse über Beamtenernennungen von der Regierung auf selbständige Stellen i n der Exekutive übertragen werden dürfen, die von Regierung und Parlament unabhängig gestellt sind und keiner Verantwortlichkeitsbeziehung unterliegen. Das BVerfG hat diese Frage m i t Recht nicht als ein Problem der Gewaltengliederung angesehen — es werden ja keine Befugnisse zwischen zwei demokratisch legitimierten Gewalten, etwa Regierung und Parlament, aufgeteilt —, sondern als ein Problem der Herausverlagerung von Entscheidungsbefugnissen aus dem Bereich verantwortlicher Regierungstätigkeit auf demokratisch weder kontrollierte noch verantwortliche Stellen. Es hat solche Verlagerungen, sofern sie Entscheidungsbefugnisse von politischer Tragweite wie die Beamtenernennungen betreffen, m i t dem Prinzip des demokratischen Rechtsstaates immer dann für unvereinbar erklärt, wenn sie soweit gehen, daß die Regierung sich i m Konfliktfall der Entscheidung einer solchen Stelle beugen muß, d. h. an sie rechtlich gebunden ist. Das t r i f f t genau das hier zur Erörterung stehende Problem 1 1 . I n die gleiche Richtung gehen zwei weitere Entscheidungen des BVerfG, von denen eine die Ernennung von Richtern des Ehrengerichtshofes nach der BundesrechtsanwaltsO, die andere die Ernennung von (kassenärztlichen) Sozialrichtern (§§ 13, 14 SGG) betrifft. I n beiden Fällen hat das BVerfG die hier bestehenden, ihrer Intention nach abschließenden Vorschlagsrechte einerseits der Rechtsanwaltskammern, andererseits der kassenärztlichen Vereinigungen dahingehend verfassungskonform korrigiert, daß sie nicht abschließend seien, d. h. die Ernennungsbehörde weitere Vorschläge verlangen könne, wenn die ursprünglichen Vorschläge nach ihrem Urteil nicht genügend geeignete Kandidaten enthielten. N u r dann ist nach Auffassung des BVerfG ein ausreichender staatlicher Einfluß bei der Berufung der Richter, der ein zwingendes verfassungsrechtliches Erfordernis sei, gewährleistet 12 . Damit zeichnet sich das Ergebnis deutlich ab. Eine Beteiligung demokratisch nicht legitimierter Instanzen an den Entscheidungen demokratisch legitimierter staatlicher Organe ist — bei Fragen von politischem Gewicht — ohne Verletzung des Prinzips demokratischer Legitimation 11

s. im einzelnen BVerfGE 9,268 (279 - 283). Vgl. dazu BVerfGE 26, 186 (192 ff.) betr. Richter der Ehrengerichtshöfe für Rechtsanwälte und BVerfGE 27,312 (320) betr. Ernennung der Sozialrichter. 12

2. Abschn. : Das Prinzip der demokratischen Legitimation

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nur insoweit möglich, als es sich um Beratungs-, offene Vorschlagsrechte u. a., also u m Formen der M i tWirkung handelt, nicht aber um gleichberechtigte, das legitimierte Organ rechtlich bindende Mitentscheidung. I I . Z u diesem organisatorisch-personellen Weg der Herstellung und Sicherung der demokratischen Legitimation der Ausübung staatlicher Befugnisse t r i t t ergänzend der inhaltliche Weg. Er vermittelt sich einmal durch die Verankerung des Gesetzgebungsrechts beim Parlament als dem unmittelbar vom Volk legitimierten Organ sowie die Bindung aller anderen staatlichen Organe an die so beschlossenen Gesetze 13 . Z u m anderen gehört zu diesem Weg die demokratische Verantwortlichkeit für die A r t der Ausübung der staatlichen Befugnisse. Diese Verantwortlichkeit besteht gegenüber der Volksvertretung bzw. dem Volk selbst, unmittelbar für Regierung und Minister, mittelbar für die der Regierung bzw. den Ministern nachgeordneten Behörden. Deshalb unterstehen diese Behörden der Weisungsgewalt der Regierung bzw. des M i nisters. Deren Sinn ist es nicht allein, das einheitliche Handeln der vollziehenden Gewalt, sondern ebenso das Handeln der vollziehenden Gewalt „ i m Geist der Volksvertretung" (L. v. Stein), d. h. die inhaltliche demokratische Bindung dieses Handelns sicherzustellen. Zwischen demokratischer Verantwortlichkeit und Weisungsabhängigkeit auf der einen, Gesetzesbindung auf der anderen Seite besteht unter dem Gesichtspunkt der sachlich-inhaltlichen demokratischen Legitimation des Handelns der staatlichen Organe ein korrelativer Zusammenhang. Das gleiche gilt für das Verhältnis von organisatorisch-personellem und sachlich-inhaltlichem Weg der demokratischen Legitimation. Entfällt, wie bei der Rechtsprechung wegen der Eigenart und der Sicherung ihrer Funktion, demokratische Verantwortlichkeit und Weisungsabhängigkeit, so ist einmal die strenge Bindung, ja Unterworfenheit unter das Gesetz das unerläßliche Korrelat dieser Unabhängigkeit gerade auch unter demokratischem Gesichtspunkt 14 . Zum anderen erhält die organisatorisch-personelle Form der demokratischen Legitimation eine erhöhte, zur strikten Handhabung drängende Bedeutung. Umgekehrt, wo Bindung und Determinierung durch Gesetz anders geartet sind, das Gesetz nicht Ziel und Inhalt, sondern nur Rahmen und Grenze des staatlichen Handelns bezeichnet, sind Verantwortlichkeit bzw. Weisungsabhängigkeit der Entscheidungsorgane grundsätzlich unerläßlich, um die demokratische Legitimation nach der sachlich-inhaltlichen Seite herzustellen. Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit müssen hier die Ausnahme darstellen und jeweils aus besonderen, i n der A r t der Tätigkeit (ζ. B. Prüfungswesen) oder übergeordneten Gesichtspunk18 14

s. dazu KrieZe, W D S t R L H. 29, S. 64; Badura, ebd., S. 95 f. s. M. Kriele, ebd., S. 82.

80 Teil C : Veriassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl ten (ζ. Β. Unabhängigkeit der Bundesbank) liegenden Gründen gerechtfertigt sein. Fehlt beides — strenge Gesetzesbindung und m i t Sanktionen bewehrte Verantwortlichkeit —, so ergibt sich die Tendenz zur Ausbildung demokratisch exemter Entscheidungsbereiche; die demokratische Legitimation ist dann allein auf die organisatorisch-personelle Seite gestellt und w i r d leicht prekär.

§ 15. Folgerungen im Hinblick auf die Zusammensetzung/Funktionsbestimmung von RiWAn Welche Folgerungen ergeben sich aus dem Inhalt des Prinzips der demokratischen Legitimation, wie er oben § 14 dargelegt worden ist, für die Zusammensetzung und/oder Funktionsbestimmung von R i W A n sowie für die Befugnisse von Richtervertretungen? Die Frage, die hierbei i m Vordergrund steht, ist die nach dem zulässigen Umfang direkter oder indirekter Beteiligung von Richtern bei Personalentscheidungen über Richter. Diese Beteiligung w i r d derzeit vor allem auf zwei Wegen zu erreichen versucht: der Mitgliedschaft von Richtern bzw. Richtervertretern i n R i W A n und der Bildung eigener Richtervertretungen (Präsidialräte), denen eine M i t w i r k u n g bei Richterpersonalentscheidungen zukommt. Beide Wege können auch kombiniert, d. h. zugleich beschritten werden. Der effektive Umfang der Beteiligung ergibt sich bei den R i W A n nicht schon aus deren anteilmäßiger Zusammensetzung, sondern erst wenn diese m i t den Entscheidungsbefugnissen, die dem R i W A bei der Richterbestellung zustehen, und den Entscheidungsmodalitäten i m RiWA zusammengesehen wird. Es bedarf daher stets einer Gesamtbetrachtung einer konkreten Beteiligungsregelung, u m zu verfassungsrechtlichen Aussagen über deren Zulässigkeit i m Hinblick auf das Prinzip der notwendigen demokratischen Legitimation staatlicher Entscheidungen zu gelangen. Bleiben Fragen politischer Präferenz und Zweckmäßigkeit — die nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind — außer Betracht, so lassen sich folgende verfassungsrechtliche Aussagen machen. I. Ein Umfang richterlicher M i t w i r k u n g bei der Richterbestellung, der zu Formen der richterlichen Selbstergänzung (Kooptation) 1 führt, widerspricht dem Prinzip der demokratischen Legitimation und ist daher verfassungsrechtlich unzulässig. Das ist so gut wie unbestritten 2 . 1 Vgl. zum Problem der Kooptation neuerdings Loewenstein, Kooptation und Zuwahl, S. 181 ff., der, allerdings in anderem Zusammenhang, auch auf die Gefahren der Kooptation für die demokratische Ordnung hinweist. 2 s. aus der Literatur: Η. P. Ipsen, in: Verhandl. des 40. Dt. Juristentages, Bd. 2, S. C 15 f.; Ad. Arndt, ebd., S. C 44; Scheuner, ebd., S. C 99; ders., DÖV

2. Abschn. : Das Prinzip der demokratischen Legitimation

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Der sachliche Grund dafür liegt darin, daß, wie oben (§12 II) darlegt, die M i t w i r k u n g bei der Richterbestellung nicht einen Bestandteil der verfassungsrechtlichen Rechtsprechungsfunktion darstellt. Richter als Mitglieder von R i W A n oder Richtervertretungen sind daher nicht Repräsentanten der „Dritten Gewalt" und als solche bereits demokratisch legitimiert, sondern treten als Angehörige/Vertreter eines Berufsstandes bzw. einer sozialen Gruppe auf. Als solche verfügen sie nicht über eine eigene demokratische Legitimation. Sie können diese nur erlangen, sofern sie vom Parlament gewählt werden, nicht aber durch eine U r - oder indirekte Wahl aus der Richterschaft selbst. Diese letztere Wahl verschafft eine Legitimation nur innerhalb und durch die Berufsgruppe, nicht aber eine solche, die vom Staatsvolk herrührt. Für die Frage, von welchem Umfang an eine richterliche M i t w i r k u n g bei der Richterbestellung i n eine unzulässige Kooptationsform umschlägt, gilt folgendes: 1. Eine unzulässige Form von Kooptation liegt zunächst dann vor, wenn i n einem zur (Mit-)Entscheidung über Richterbestellung zuständigen R i W A Richtervertreter, die von der Richterschaft gewählt werden, allein oder zusammen m i t anderen demokratisch nicht legitimierten M i t gliedern über eine Mehrheit der Sitze verfügen. Die (Mit-)Entscheidung liegt damit i m Konfliktfall bei den demokratisch nicht legitimierten M i t gliedern; diese können, Einigkeit unterstellt, von sich aus die Entscheidung bestimmen. Man kann hier von einer sog. positiven Kooptation sprechen. Anders ist die Lage dann, wenn dem RiWA keine wirkliche (Mit-)Entscheidungsbefugnis, sondern nur qualifizierte Mitwirkungsrechte, wie nach dem SPD-Entwurf des RiWG, zustehen. I n diesem Fall kommt es auf die Zusammensetzung des R i W A nicht entscheidend an. 2. Ebenfalls unzulässig ist die Form der sog. negativen Kooptation. Sie ist immer dann gegeben, wenn die Richtervertreter, allein oder zusammen m i t anderen demokratisch nicht legitimierten Mitgliedern, i n einem zur (Mit-)Entscheidung zuständigen R i W A über eine Veto- bzw. Verhinderungsposition verfügen. Das ist erreicht bei einer Beteiligung von 50 %>, wenn der R i W A m i t Mehrheit entscheidet; es ist schon bei einer geringeren Beteiligung erreicht, wenn der RiWA, wie vielfach vorgesehen, m i t 2/3 Mehrheit entscheidet. I n allen diesen Fällen haben die Richter-Mitglieder (evtl. einschließlich anderer nicht demokratisch legitimierter Mitglieder, ζ. B. Vertreter der Rechtsanwaltschaft) als Vertreter eines Berufsstandes die Möglichkeit, jede ihnen nicht genehme 1953, S. 521; Furtner, DRiZ 1957, S. 157 f.; E. Kern, DRiZ 1958, S. 301; W. Strauß, in: Bulletin des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, 1958, S. 1924; Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, Vorbem. 6 zu §8 m. w. Nachw.; Kratz, DRiZ 1970, S. 15 f.; Hennies, DRiZ 1972, S. 410; Wassermann, Der politische Richter, S. 97. 6

Böckenförde

82 Teil C : Veri assungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl Personalentscheidung zu verhindern, während die demokratisch legitimierten Mitglieder nicht i n der Lage sind, selbst eine Entscheidung herbeizuführen. Damit entfällt die demokratische Legitimation der Entscheidung (s. oben § 1412) 3 . Aus diesen Gründen stellt (schon) die Regelung der Richterwahl, wie sie i m schleswig-holsteinischen RichterwahlG vorgenommen worden ist, einen zur Verfassungswidrigkeit führenden Verstoß gegen das Prinzip der demokratischen Legitimation dar. Der RiWA, der gemeinsam m i t dem Justizminister über die Berufung der Richter entscheidet, besteht danach aus 5 Mitgliedern des Landtags, 5 von der Richterschaft gewählten richterlichen Mitgliedern und einem Vertreter der Rechtsanwaltschaft und entscheidet m i t 2/3 Mehrheit. Die Vertreter der Richterschaft verfügen somit über eine effektive Veto- und Verhinderungsposition, die eine Richterberufung gegen ihren Willen rechtlich unmöglich macht 4 . Eine gleichartige rechtliche Situation ist gegeben, wenn einer Richtervertretung (Präsidialrat) über Vorschlagsrechte und eine Befugnis zur Stellungnahme hinaus ein Zustimmungsrecht zu Richterernennungen etc. eingeräumt wird. Auch i n diesem Fall kommt es zu einer negativen Kooptationsposition, die für die demokratisch legitimierten Entscheidungsorgane nicht überwindbar wäre. Die 1972 i n Baden-Württemberg eingeführte Form der Richterbestellung kommt diesem Modell zwar nahe, unterscheidet sich von ihr aber dadurch, daß bei einer Nichteinigung zwischen Minister und Präsidialrat die Entscheidungsbefugnis auf einen R i W A übergeht, der an das Votum des Präsidialrats nicht gebunden ist 5 . Damit bleibt das Mitwirkungsrecht des Präsidialrats auf der Stufe einer qualifizierten Mitberatung, die nur eine Verlagerung der Entscheidungszuständigkeit bewirkt. Die Regelung der Richterbestellung i n Baden-Württemberg ist freilich aus einem anderen Grund verfassungsrechtlich nicht haltbar, nämlich der Zusammensetzung/Funktionsbestimmung des RiWA i m Rahmen dieses Verfahrens. Dem RiWA kommt i n den Fällen der Nichteinigung zwischen Minister und Präsidialrat ein gleichberechtigtes Mitentscheidungsrecht zu. Er setzt sich zusammen aus 8 Richtern, die von der Richterschaft gewählt werden, 6 Mitgliedern des Landtages und 1 Vertreter der Rechtsanwaltschaft, der aufgrund von Vorschlägen der Rechtsan8

Für die Zulässigkeit einer Richterbeteiligung bis einschl. 50% der Mitglieder wohl E. Kern, DRiZ 1958, S. 304, jedoch ohne Begründung; unklar insoweit Scheuner, Verhandl. des 40. Dt. Juristentages, Bd. 2, S. C 99; weitergehend K. Ipsen, DÖV 1971, S. 474, weil er für eine demokratische Legitimation der Entscheidung irrig schon eine Vetoposition der demokratisch legitimierten Mitglieder für ausreichend hält. Wie hier Ad. Arndt, Verhandl. des 40. Dt. Juristentages, Bd. 2, S. C 51 f.; Kratz, DRiZ 1970, S. 16. 4 s. schleswig-holsteinisches RichterG i. d. F. v. 21. 5. 71 (GVB1. S. 300), §§ 11 und 22. 5 Vgl. §§ 321,43,58 bad.-württ. RichterG i. d. F. v. 19.7.1972 (GBl. S. 431).

2. Abschn. : Das Prinzip der demokratischen Legitimation

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waltskammer vom Landtag gewählt wird, und entscheidet m i t 2/3 Mehrheit. Die effektive Veto- und Verhinderungsposition der Vertreter der Richterschaft ist damit eindeutig; bei der Gestaltung des Verfahrens w i r k t sie zudem verstärkend auf die Position des Präsidialrats zurück®. Die soeben in Rheinland-Pfalz eingeführte Form der Richterwahl (§§ 36 - 38 des LandesrichterG i. d. F. des Gesetzes vom 3. 12. 73, GVB1. S. 376) stimmt in allen wesentlichen Punkten mit der ba.-wü. Regelung überein. Sie ist daher in gleicher Weise verfassungsrechtlich unhaltbar. I I . Aus den gleichen Gründen wie Formen richterlicher Kooptation sind auch Vorschlagsrechte von Richtervertretern oder -Vertretungen, die bindenden Charakter haben, und ebenso entsprechende Vetorechte verfassungsrechtlich unzulässig. Diese Formen der Beteiligung würden ebenfalls dazu führen, daß — i m Konfliktfall — die demokratisch legitimierten Entscheidungsorgane nicht mehr von sich aus eine Entscheidung herbeiführen könnten; i m Falle des bindenden Vorschlagsrechts wäre darüber hinaus nicht sichergestellt, daß den demokratisch legitimierten Organen keine von ihnen nicht gebilligte Entscheidung aufgezwungen werden kann 7 . Mitwirkungsbefugnisse von Richtervertretern und -Vertretungen müssen i m Hinblick auf das Prinzip der demokratischen Legitimation generell auf der Ebene einer Anhörung oder Mitberatung, die freilich eine qualifizierte, m i t bestimmten Rechtsfolgen ausgestattete Mitberatung oder Anhörung sein kann, verbleiben und dürfen nicht i n eine Mitentscheidung übergehen. Für Vorschlagsrechte bedeutet dies, daß es sich nur u m offene, nicht um abschließende oder verbindliche Vorschläge handeln darf (s. BVerfGE 26,186; 27, 312, und oben § 1413). Die äußerste, verf assungsrechtlich noch gedeckte Möglichkeit wäre ein dem Vorschlagsrecht der Universitäten entsprechendes Listenvorschlagsrecht, an das die Entscheidungsorgane weder hinsichtlich der Placierung noch überhaupt i m strengen Sinn rechtlich gebunden sind 8 . Auch ein nur begrenztes Veto, wie es etwa E. Kern 9 vertritt, unterliegt i m Ergebnis den gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn die Beschränkung der Vetomöglichkeit auf bestimmte Teilfragen der Entβ s. im einzelnen §§ 58 - 60 (Funktionsbestimmung und Entscheidungsmodus) und §§46-48, 50 (Zusammensetzung und Wahl der Mitglieder) bad.-württ. RichterG i. d. F. v. 19. 7.72 (GBl. S. 431). 7 Im Ergebnis ebenso Wagner, JZ 1957, S. 531; Schmidt-Räntsch, DRiZ 1958, S. 61; Kratz, DRiZ 1970, S. 16; auch E. Kern, DRiZ 1958, S. 302 hält ein bindendes Vorschlagsrecht und ein unbeschränktes Vetorecht für verfassungswidrig, nicht hingegen ein nur beschränktes Vetorecht. Für generelle Zulässigkeit hingegen Furtner, DRiZ 1957, S. 58. 8 s. dazu Scheuner, in: Verhandl. des 40. Dt. Juristentages, Bd. 2, S. C 99 f.; Kratz, DRiZ 1970, S. 15 f.; a. A. wohl Adamovich, in: Verhandl. des 4. österr. Juristentages, S. 35. 9 DRiZ 1958, S. 302.

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84 Teil C : Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl Scheidung, etwa die gebührende Beachtung der Grundsätze des A r t . 33 I I und I I I GG, ändert noch nichts daran, daß insoweit eine bindende, für den Entscheidungsträger nicht überholbare Mitentscheidung stattfindet. Anders wäre es, wenn das Veto nur aus Rechtsgründen, d. h. m i t der Behauptung einer Rechtsverletzung durch den Entscheidungsträger angebracht werden könnte. Damit würde das ,Veto' allerdings zu einer bloßen Vor-form der verwaltungsgerichtlichen Ermessenskontrolle, und der eigentliche Sinn eines Vetorechts wäre nicht mehr gewahrt. Uber die Begründetheit würden und müßten letztlich die Verwaltungsgerichte entscheiden. I I I . Werden die richterlichen Mitglieder eines (mit-)entscheidungsbefugten RiWA nicht von der Richterschaft, sondern vom Parlament gewählt, so ist die rechtliche Situation eine wesentlich andere; die demokratische Legitimationskette für die Mitglieder des R i W A ist dann grundsätzlich, d. h. bei entsprechender Regelung des Wahlverfahrens, vorhanden. Ein Problem entsteht allerdings dann, wenn die Wahl der Richter-Mitglieder durch das Parlament an Vorschlagslisten gebunden ist, die von der Richterschaft oder von Richtervertretungen aufgestellt werden. Eine demokratische und parlamentarische Legitimation durch Parlamentswahl setzt voraus, daß das Parlament selbst die Auswahl- und Entscheidungsbefugnis hat. W i r d es darin durch bindende Vorschlagsrechte ihrerseits nicht demokratisch legitimierter Instanzen beschränkt, t r i t t ebenfalls die Kooptationsproblematik und die Fraglichkeit der demokratischen Legitimation auf, nur an einer früheren Stelle. Es müssen daher die unter I I . formulierten Grundsätze entsprechend angewendet werden. Das besagt, daß Vorschlagsrechte nicht demokratisch legitimierter Instanzen nur als offene, nicht als rechtlich abschließende oder verbindliche ausgestaltet werden dürfen, soll die demokratische Legitimationskette nicht unterbrochen werden. I m anderen Fall ist das Parlament nicht mehr Entscheidungsträger der Auswahlentscheidung und vermag daher, auch wenn es formell „wählt", eine demokratisch-parlamentarische Legitimation nicht mehr zu vermitteln. Bleiben die Vorschlagsrechte bindend und abschließend, so bewirkt das nicht die Unzulässigkeit eines solchen Bestellungsverfahrens; es folgt daraus allerdings die fehlende demokratische Legitimation der so Gewählten. Für die Richter-Mitglieder und den RiWA als solchen ergibt sich hinsichtlich der demokratischen Legitimation dann die gleiche Lage wie bei einer Wahl der Richter-Mitglieder des RiWA durch die Richterschaft. Die dafür bestehenden Beteiligungsgrenzen (s. oben I. 2) müßten auch hier Anwendung finden. Bezogen auf den CDU-Entwurf (Drucks. 7/726) bedeutet dies, daß bei der jetzigen Regelung für Zusammensetzung (7 Richter-Mitglieder von

2. Abschn. : Das Prinzip der demokratischen Legitimation

85

15), Entscheidungsbefugnis (§ 9) und gleichbleibenden Entscheidungsmodus (2/3-Mehrheit) der R i W A und seine Entscheidungen nur dann dem Verfassungsprinzip der demokratischen Legitimation genügen, wenn die Vorschlagsrechte für die Wahl der Richter-Mitglieder ihres bindenden und/oder abschließenden Charakters entkleidet werden, sei es, daß auch andere Richter als die vorgeschlagenen gewählt werden können, sei es, daß eine Ergänzung der Vorschlagslisten verlangt werden kann. Das schließt nicht aus, daß der Landtag sich i n der Praxis regelmäßig an die Vorschlagslisten hält; entscheidend ist, daß er dazu, insbesondere im Konfliktfall, nicht rechtlich gezwungen ist. IV. Für alle Formen der Richterbeteiligung an R i W A n besteht das Problem, daß die Richterbank i m RiWA — ungeachtet der demokratischen Legitimation ihrer Bestellung — grundsätzlich keiner demokratischen Verantwortlichkeit hinsichtlich ihrer Tätigkeit unterliegt. Die RiWAe sind keine Parlamentsausschüsse, die Plenarentscheidungen des Parlaments vorbereiten, sondern selbständig entscheidende Gremien, die insofern behördenähnlichen Charakter haben. Sie unterstehen keiner Weisungsgewalt, weder von Seiten der Regierung noch von Seiten des Parlaments, sind vielmehr i n ihrer Entscheidungsbefugnis unabhängig gestellt 10 . Eine demokratische Verantwortlichkeit (und Kontrolle) wäre daher nur dann gegeben, wenn die Möglichkeit der Abwahl von richterlichen Mitgliedern des RiWA durch das Parlament vorgesehen wäre. Das ist, soweit ersichtlich, bislang i n keinem Bundesland vorgesehen 11 . Die Verantwortungs- und Kontrollfreiheit i n diesem Sinn besteht auch für die parlamentarischen Mitglieder des RiWA. Für diese läßt sie sich indessen aus ihrem Status als unmittelbar vom Volk gewählte Abgeordnete rechtfertigen, deren Auftrag es ist, i n freier Entscheidung staatliche Befugnisse für das Volk, als dessen Repräsentanten, wahrzunehmen, und die dafür nur dem Volk unmittelbar verantwortlich sind. Eine vergleichbare Rechtfertigung für Freistellung der richterlichen Mitglieder von R i W A n gibt es nicht. Insbesondere ergibt sie sich nicht aus der Garantie der Unabhängigkeit der Rechtsprechung, denn die M i t w i r k u n g von Richtern an Richterpersonalentscheidungen stellt keine Ausübung von Rechtsprechungstätigkeit dar (s. oben § 121). Bei gemischt zusammengesetzten R i W A n w i r d demnach i m Maße der Richterbeteiligung der zweite Weg der Sicherung der demokratischen Legitimation, der seinen Ausdruck i n der demokratischen Verantwortlichkeit findet (s. oben § 14 II), prekär, sofern nicht eine Abberufbàrkeit der Richter-Mitglieder durch das Parlament vorgesehen ist. Ein solches 10

s. dazu Hennies, DRiZ 1972, S. 411. §9 I I hamburg. RichterwahlG bezieht sich nur auf die sog. bürgerlichen, d. h. von der Bürgerschaf t gewählten Mitglieder. 11

86 Teil C : Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl Außerachtlassen des inhaltlichen Weges der demokratischen Legitimation ist dann verfassungsrechtlich vertretbar, wenn der organisatorisch-personelle Weg der demokratischen Legitimation dafür i n vollem Umfang zur Geltung gebracht wird. Verbindet sich hingegen die Relativierung dieses ersten Weges m i t der Nichtaktualisierung des zweiten Weges, so würde eine solche Regelung schnell auf die Grenze der Verf assungswidrigkeit — wegen Mißachtung des Prinzips der demokratischen Legitimation — zulaufen. Hiergegen kann nicht eingewandt werden, daß eine solche Relativierung einerseits der demokratisch-legitimierten Bestellung, anderseits der demokratischen Verantwortlichkeit der Richter i m R i W A nur der Balancierung der politischen Entscheidungsträger i m R i W A und neben ihm (ζ. B. des zuständigen Ministers) diene und daher ein jedenfalls zulässiges Element der Gewaltenhemmung und -balancierung darstelle 12 . Es ist oben bereits dargelegt worden, daß balancierende Elemente i n einem demokratisch strukturierten Entscheidungsprozeß durchaus zulässig sind (s. oben § 14 I 2). Nur müssen sie sich ihrem Umfang nach i n den Grenzen eines balancierenden Elements halten und dürfen nicht die demokratische Legitimation des Entscheidungsorgans als solchem i n Frage stellen bzw. die potentielle Entscheidungsträgerschaft der demokratisch legitimierten Mitglieder i n Frage stellen. Für eine solche Infragestellung ergibt sich auch aus dem Prinzip der Gewaltengliederung keinerlei Rechtfertigung, da dieses, wie dargelegt (s. oben § 11 II), nicht unter teilweiser Außerkraftsetzung, sondern auf der Grundlage des demokratischen Prinzips seine balancierende Wirkung entfaltet.

3. Abschnitt: Das Prinzip adäquater Funktionssicherung der rechtspredienden Gewalt Die Forderung nach adäquater Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt ist i m Prinzip der Gewaltengliederung m i t angelegt. Dieses Prinzip zielt i m Rahmen einer verfassungsstaatlichen Ordnung nicht nur darauf ab, verschiedene Staatstätigkeiten irgendwie i n ein Verhältnis der Trennung, Hemmung und Balancierung zu bringen, sondern dies i n der Weise zu tun, daß dadurch die Erfüllung der den einzelnen „Gewalten" obliegenden Aufgaben nicht beeinträchtigt, sondern gesichert und gefördert wird. Das demokratische Prinzip steht dem i n keiner Weise entgegen. Es stellt, wie dargelegt, bestimmte Rahmenbedingungen für die Or" In diesem Sinne etwa Wagner, JZ 1957, S. 531; Schmidt-Räntsch, DRiZ 1958, S. 61 ; Kratz, DRiZ 1970, S. 16; E. Kern, DRiZ 1958, S. 302.

3. Abschn. : Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 87 ganisation der rechtsprechenden Gewalt, einschließlich der Richterbestellung auf, zeichnet diese aber nicht i m einzelnen vor. Es gibt daher dem Gedanken der adäquaten Funktionssicherung der Rechtsprechung positiv Raum, sofern nur die dadurch nahegelegten konkreten Lösungen die notwendigen Erfordernisse demokratischer Legitimation i n sich enthalten. U m festzustellen, ob und ggfl. i n welcher Richtung sich aus dem Prinzip der adäquaten Funktionssicherung verfassungsrechtliche Folgerungen für die Zusammensetzung/Funktionsbestimmung von R i W A n ergeben, muß zunächst der besondere Funktionsgehalt der rechtsprechenden Gewalt i m Rahmen der geltenden Verfassungsordnung näher bestimmt werden (§16). Daran anschließend ist zu erörtern, ob bestimmte Elemente der Organisation der Richterbestellung für die Sicherung dieses Funktionsgehalts förderlich bzw. unerläßliche Bedingungen sind (§ 17) und welche Folgerungen sich daraus für die Zusammensetzung/Funktionsbestimmung der RiWAe ergeben (§ 18). Hierbei geht es nicht primär u m verfassungsrechtliche Grenzziehungen, sondern u m positive Konkretisierungen anhand verfassungsstruktureller Orientierungspunkte. Für die A r t der Argumentation und die Stringenz der Aussagen gilt daher das oben § 9 I I I Gesagte.

§ 16. Der besondere Funktionsgehalt der rechtsprechenden Gewalt i m Rahmen der politischen Gesamtordnung I. Die nicht wenigen Definitionen und Umschreibungen der Rechtsprechung (im materiellen Sinn) stimmen bei sonstigen Unterschieden darin überein, daß zur Rechtsprechung die Behandlung einer Rechtssache durch ein unbeteiligtes, neutrales Organ („unabhängigen Dritten") gehört und daß dessen verselbständigte, auf Rechtskraft abzielende Entscheidungen nicht nach politischen òder anderen Zweckgesichtspunkten, sondern i n (alleiniger) Bindung an das geltende Recht (Gesetz und Recht) getroffen werden 1 . Es ist kennzeichnend, daß demgegenüber keine Einigkeit über einen vorgegebenen oder allgemein bestimmbaren materiellen Gegenstand der Rechtsprechung besteht (z. B. nur Entscheidung von [welchen?] Rechtsstreitigkeiten, auch Verhängung von Strafen, auch Normenkontrolle) und 1 s. — statt anderer — Friesenhahn, in: Festschrift für Richard Thoma zum 75. Geburtstag, S. 27; Menger, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, S. 42; Ridder, Gutachten, S. 127 f.; K. Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit, S. 19-23; Ad. Arndt, in: Festgabe für Carlo Schmid, S. 9; Eb. Schmidt, Lehrkommentar, S. 37-39; Hans J. Wolff , Verwaltungsrecht I, § 19 I b (S. 83 f.) m. weit. Nachw.; K. Hesse, Verfassungsrecht, S. 218, 221; Melichar, in: Verhandl. des 4. österr. Juristentages, S. 10 u. 20; BVerfGE 18, 241 (255); 21, 139 (145) m. W. Nachw.; 27, 312 (322).

88 Teil C : Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl daß dieser je nach der konkreten Verfassungsordnung variiert. Das bringt zum Ausdruck, daß der besondere Funktionsgehalt der Rechtsprechung primär i n der besonders ausgestalteten, institutionell und verfahrensmäßig abgesicherten Art und Weise der Erledigung zugewiesener Aufgaben besteht und bestimmte materielle Gegenstände eben u m dieser A r t der Erledigung w i l l e n als notwendige' Rechtsprechungsaufgaben angesehen oder durch Verfassung bzw. Gesetz zu solchen deklariert werden 2 . Dem entsprechen auch die gemein-bundesrechtlichen Grundsatzregelungen über die rechtsprechende Gewalt (Art. 92, 97 GG). Sie legen nicht deren Gegenstandsbereich, w o h l aber die Modalität der Erledigung und deren Absicherung (Richterlichkeit, A r t . 92; sachliche und persönliche Unabhängigkeit, Unterworfenheit unter das Gesetz, A r t . 97) allgemein fest. Gegenständliche Zuweisungen erfolgen nur speziell, an vielen Einzelstellen i m GG (Art. 14 I I I 4; 19 I V ; 34; 93; 104 u. a. m.), und ohne kodifikatorische Absicht. Der primäre Funktionsgehalt der Rechtsprechung kann demnach als unbeteiligte und unabhängige, auf Rechtskraftwirkung abzielende Beurteilung/Entscheidung von Rechtssachen i n alleiniger Bindung an Gesetz und Recht bestimmt werden. 1. Dieser Funktionsgehalt der Rechtsprechung ist zunächst und i m Vergleich mit den beiden anderen staatlichen Grundfunktionen durch eine Distanz zur Politik und politisch-aktiven Gestaltung gekennzeichnet. Die Rechtsprechung hat es, indem sie die ihr übertragenen-Rechtssachen in Bindung an Gesetz und Recht entscheidet, m i t der Wahrung und Anwendung des (politisch) bereits Entschiedenen zu tun. Das unterscheidet sie von der Gesetzgebung, aber auch von der Verwaltung, und grenzt sie von ihnen ab. Es ist nicht ihre Aufgabe, eigene politische Gestaltungsabsichten zu entwickeln, sondern diejenigen politischen Gestaltungsabsichten, die durch die Entscheidung des Gesetzgebers zu Rechtsnormen verfestigt und dadurch allgemeinverbindlich geworden sind, bei der Entscheidung rechtlicher Streitigkeiten anzuwenden und damit konkret zu verwirklichen 3 . Ebenso ist sie bei der Kontrolle des Verwaltungshandelns und — über richterliches Prüfungsrecht und Normenkontrolle — gesetzgeberi2

Eingehend dazu Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit, S. 12-23. Vgl. auch BVerfGE 22, 49 (75 - 78), wo der gegenständliche Bereich der Rechtsprechung (Rechtsprechung im materiellen Sinn) nicht als abstrakt vorgegebener, sondern gemäß den verfassungsrechtlichen Zuweisungen, seinem traditionellen, in Art. 92 GG vorausgesetzten Gehalt (bürgerliche Rechtspflege und Strafgerichtsbarkeit) und die durch den Gesetzgeber vorgenommene Qualifizierung bestimmter Aufgaben als Rechtsprechungsaufgaben bestimmt wird. Siehe auch Hesse, Verfassungsrecht, S. 219 mit N. 47. 3 Vgl. Kriele, in: Festschrift für Wolff, S. 102 ff.; Stohanzl, in: Verhandl. des 4. österr. Juristentages, S. 40 f.

3. Abschn. : Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 89 scher Entscheidungen nicht auf von ihr erst zu entwickelnde, sondern auf vorab festgelegte, i n Gesetzesform oder Verfassungsartikeln verbindlich gemachte Maßstäbe verwiesen. Beides gilt ungeachtet der Tatsache, daß die rechtlichen Maßstäbe, die der Rechtsprechung für die Entscheidung von Rechtssachen oder die Kontrollfunktion gegenüber Verwaltung und Gesetzgeber i n der Verfassung und/oder Gesetzen an die Hand gegeben sind, nicht selten der Eindeutigkeit entbehren Und dann nicht einfach angewandt (im Sinne eines Subsumtionsschlusses) werden können, sondern i n ihrer Anwendung allererst eine gestaltende Konkretisierung erfahren. Dies ist die Folge der i n gewissem Umfang unvermeidbaren Unvollständigkeit des (durch Verfassung u n d Gesetzgebung) bereits Entschiedenen; es hebt aber die Bindung der Rechtsprechung an das rechtlich Festgelegte und das i m Recht Festgelegte nicht auf, insbesondere auch nicht ihre Verpflichtung, eine notwendige Ausfüllung oder Ergänzung des gesetzlichen Rechts nicht i m Wege freier rechtspolitischer Entscheidung, sondern unter Rückgriff auf die i n diesem Recht bereits enthaltenen Maßstäbe und Grundsätze vorzunehmen 4 . Es ist demnach zutreffend, die Rechtsprechung als eine nicht politischaktive und insofern neutrale Funktion zu begreifen, die von der politischen Auseinandersetzung, wie sie zwischen den politischen Parteien und innerhalb des Parlaments stattfindet, abgeschichtet ist. Eine Bestätigung findet dies nicht zuletzt i n dem für alle Zweige der Rechtsprechung geltenden Initiativ-Verbot, durch das die Distanz und Passivität gegenüber politisch-aktiver Gestaltung i m Interesse der Neutralität und Unparteilichkeit besonders festgelegt wird®. 2. Diese scheinbar unpolitische Inhaltsbestimmung der rechtsprechenden Gewalt ist nicht Ausdruck eines überholten, weil a-politischen Verständnisses der Rechtsprechung, wie nicht wenige ihrer K r i t i k e r meinen®. Vielmehr kennzeichnet sie gerade deren spezifische politische Funktion i m Gesamtsystem der demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassungsordnung. Das w i r d von den K r i t i k e r n zumeist übersehen. Diese politische Funktion der Rechtsprechung liegt darin, daß sie das i m Rahmen des demokratisch organisierten politischen Prozesses vom Parlament und, nach Maßgabe verfassungsmäßiger oder parlamentarischer Ermächtigung, auch von Organen der Exekutive Festgelegte und Entschiedene, sofern es die rechtlichen Rahmenbedingungen des politischen Entscheidungsprozesses nicht verletzt, als nicht nur tatsächlich, son4

s. dazu eingehend P. Badura, Richterrecht, Ziff. 3 u. 4; Rupp, Ordo 72,175 ff.; Mayer-Maly, DRiZ 1971, 326. Diese Einbindung richterlicher Rechtsfortbildung und -gestaltung ist bei R. Wassermann, Der politische Richter, S. 22 ff. nicht hinreichend berücksichtigt. 5 Vgl. Bettermann, in: Gedächtnisschrift für W. Jellinek, S. 361 (371 f.). • Vgl. statt anderer R. Wassermann, Der politische Richter, S. 17 - 31.

90 Teil C : Veriassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl d e m normativ Festgelegtes und Entschiedenes, d. h. als geltendes Recht anwendet und ohne Ansehen der Person zur Geltung bringt; sie liegt nicht darin, gegenüber Gesetzgeber und Exekutive als nebengeordneter oder gar konkurrierender politischer Entscheidungsträger aufzutreten. Indem auf diese Weise ein Funktionsbereich des politischen Gesamtsystems unmittelbaren politischen Einwirkungen ganz entzogen und zugleich von eigenständiger politischer Entscheidungsmacht ausgeschlossen wird, w i r d die politische Entscheidungsmacht und Gestaltungsfreiheit der anderen Funktionsbereiche, d. h. primär des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, allererst sichergestellt und befestigt 7 . Diese Sicherung und Befestigung geschieht auf zweifache Weise. Einmal dadurch, daß die i m politischen Prozeß der Gesetzgebung getroffenen Entscheidungen i n ihrer allgemeinen Verbindlichkeit und konkreten Verwirklichung gesichert und gegen anders geartete Infragestellungen abgeschirmt werden; zum anderen dadurch, daß solche politischen Impulse und Einflußnahmen, die sich nicht i m organisierten (und demokratisch legitimierten) politischen Entscheidungsprozeß Geltung verschaffen konnten, von den sonstigen politischen Entscheidungsinstanzen, vorab i m Bereich der Exekutive, unter Berufung auf die (gesetzgebundene) Rechtsprechung der Gerichte abgewehrt werden können und letztlich müssen 8 . Es ist daher zutreffend, daß gerade die neutrale, „unpolitische" Stellung der Rechtsprechung i n diesem Sinne, d. h. ihre Abfilterung von unmittelbar politischen Einwirkungen außer denen, die vom Gesetzgeber durch die Gesetzgebung und von gesetzlich ermächtigten Exekutiventscheidungen ausgehen, sich als „Eckstein" (Luhmann) einer differenzierten Organisation des politischen Gesamtsystems darstellt. „Die politische Funktion der Rechtsprechung beruht mithin, so können w i r paradox formulieren, auf ihrer politischen Neutralisierung — das Wort politisch zunächst i m weiten, dann i m engeren parteipolitischen Sinn gemeint. Das Paradoxon löst sich auf, wenn man die Differenzierung des politischen Systems bedenkt . . .·." 3. Sucht man aus der hier gegebenen Analyse der Rechtsprechungsfunktion Schlußfolgerungen für eine diese Funktion sichernde und abstützende Richterbestellung zu ziehen, so läßt sich folgendes sagen. Ge7 s. dazu auch Mayer-Maly, DRiZ 1971, 325, insbes. 327 ff., der mit Recht darauf hinweist, daß es gerade in einer pluralistischen Gesellschaft, die in vielen Bereichen keine Wertungshomogenität kennt, für die politische Gesamtordnung sinnvoll und notwendig ist, daß richterliche Entscheidungsfindung sich nur an Normen orientiert, für die in der Vergangenheit bereits eine Konsensbildung stattgefunden hat. 8 s. hierzu N. Luhmann, Funktionen der Rechtsprechung, S. 9 f.; ders., Legitimation durch Verfahren, S. 113 f., 238 f. 9 Luhmann, ebd., S. 9 f.; in gleicher Richtung Mayer-Maly, DRiZ 1971, 366: „Die politische Entscheidung des unpolitischen Richters liegt in der Bejahung einer Konzentration des Politischen bei der Legislative."

3. Abschn. : Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt

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rade wegen der näher dargelegten spezifischen politischen Funktion, die der Neutralität und dem nicht politisch-aktiven Charakter der Rechtsprechung i m Rahmen der politischen Gesamtordnung zukommt, muß die Richterbestellung so organisiert werden, daß die Abschichtung der Rechtsprechung von partei-politischer Auseinandersetzung und Ausrichtung, wie sie i m Parlament legitimer- und notwendigerweise stattfindet, gesichert und befestigt wird. Jede Organisation der Richterbcstellung, die es ermöglicht, erleichtert oder dazu einlädt, Richterernennung und -beförderung und über sie die Rechtsprechung i n Richtung einer Fortsetzung parteipolitischer Einflußnahmen und Mehrheitsbildung m i t anderen M i t teln zu programmieren, wäre ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz adäquater Funktionssicherung 10 . Darin liegt keineswegs das Bekenntnis zu einem ,unpolitischen' Richter, wohl aber die Ablehnung des (partei-)politisierten Richters. Die gegenwärtige Diskussion u m den,politischen' Richter und die K r i t i k am,unpolitischen' Richter 1 1 leidet darunter, daß i n ihr m i t verschiedenen Bedeutungsinhalten des Begriffs „politisch" bzw. „unpolitisch" argumentiert wird. Politisch w i r d einmal i. S. von gesamtpolitisch, d. h. der Einsicht i n politische (gesamtgesellschaftliche) Funktionszusammenhänge und ihrer Realisierung i m eigenen Handeln verstanden, zum anderen i. S. einer politischen bzw. parteipolitischen Einstellung und eines entsprechenden Engagements. Soll ,politischer' Richter heißen, daß der Richter über eine Einsicht i n die politische Funktion der Rechtsprechung i m Rahmen der politischen Gesamtordnung verfügen und sich der Eigenart der Gesetze und des Rechts als M i t t e l politisch-sozialer Gestaltung und Ausdruck (auch) politischer Entscheidung bewußt sein muß, daß er seine Aufgabe nicht i. S. einer wertfreien, vorwiegend juristisch-technischen Subsumtion von Sachverhalten unter Gesetzesregeln und -begriffe verstehen darf, so entspricht ein i n diesem Sinn »politischer' Richter durchaus den Anforderungen, die sich aus dem dargelegten besonderen Funktionsgehalt der Rechtsprechung ergeben. Soll politischer Richter' hingegen den Richter meinen, der i n seiner Amtsfunktion (partei)politisch engagiert ist, die richterliche Entscheidungs- und Gestaltungsmacht eher i. S. der eigenen (rechts)politischen Uberzeugung statt i n Orientierung an den i n der Rechtsordnung bereits festgelegten Regelungen, Grundsätzen und rechtlich-politischen bzw. 10 Vgl. dazu Ad. Arndt, in: Verhandl. des 40. Dt. Juristentages, Bd. 2, S. C 50 ff. 11 Vgl. etwa Kühler, DRiZ 1969, S. 379 (383f.); R. Wassermann, in: Justizreform, S. 21 ff.; Rasehorn, ebd., S. 35 ff.; R. Litten, Politisierung der Justiz, S. 115 ff.; Wassermann, Der politische Richter, passim, insbes.'S. 17 ff., 96 ff.; K. H. Dinslage, Justizpolitischer Kulturkampf, S. 15 -17.

92 Teil C : Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl rechtlich-ethischen Maßstäben ausübt, so bedarf es zur Funktionssicherung der Rechtsprechung wie auch der politischen Gesamtordnung eines i n diesem Sinn unpolitischen Richters, nämlich eines Richters, der i n seiner Amtsfunktion die gebotene Neutralität gegenüber direkten oder indirekten politischen Parteinahmen wahrt. II. Zu dem vorstehend erörterten und analysierten primären Funktionsgehalt der Rechtsprechung t r i t t — i n den letzten Jahren verstärkt ins rechtswissenschaftliche und allgemeine Bewußtsein getreten — die Funktion der Rechtsfortbildung und Rechtsgestaltung. Es fragt sich, wieweit sich dadurch das Gesamtbild der Rechtsprechungsfunktion verändert und den bisher entwickelten Schlußfolgerungen für eine funktionssichernde Organisation der Richterbestellung weitere Schlußfolgerungen, korrigierend oder ergänzend, hinzugefügt werden müssen. 1. I m Unterschied zur Situation vor 20 - 15 Jahren ist es heute als Tatbestand kaum mehr bestritten, daß die Rechtsprechung an der Rechtsfortbildung und auch der Rechtsgestaltung teilnimmt. Dazu haben die Erkenntnisse der Rechtstheorie und juristischen Methodenlehre über den Vorgang der richterlichen Entscheidungsfindung maßgeblich beigetragen, ebenso auch die insbesondere von den letztinstanzlichen Gerichten angesichts neuer Problemlagen und des ,Nachhinkens des Gesetzgebers' geübte rechtsfortbildende Entscheidungspraxis. Dadurch ist einerseits bewußt geworden, anderseits i m Selbstverständnis wie der verfassungsrechtlichen Qualifizierung der Rechtsprechung akzeptiert und z.T. bewußt akzentuiert worden, daß die Rechtsprechungsfunktion als Gesetzesanwendung nicht hinreichend beschrieben ist, sondern ihr eine bestimmte, über bloße Anwendung' hinausgehende Rolle i m Prozeß der Rediisbildung zukommt, d. h. sie an diesem Prozeß teilnimmt und teilhat. Das bedarf i m einzelnen keiner Begründung mehr 1 2 . Erscheinungsformen dieser richterlichen Teilnahme und Teilhabe am Rechtsbildungsprozeß sind zunächst die richterliche Konkretisierung von 11 Aus der — inzwischen kaum noch übersehbaren — Literatur sei hingewiesen auf J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 1956; F. Wieacker, Gesetz und Richterkunst, 1958; Ad. Arndt, Gesetzesrecht und Richterrecht: NJW 1963, 1273-79; K. Larenz, Richterliche Rechtsfortbildung als methodisches Problem: NJW 1965, Iff.; M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, 60 ff.; K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1969, 222 ff.; U. Scheuner, Das Grundgesetz in der Entwicklung zweier Jahrzehnte: AöR 95 (1970), 383 - 85; J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, 1970; Arndt!HeinriehlWeher-Lortsch, Richterliche Rechtsfortbildüng, 1970; Mayer-Maly, Die politische Funktion der Rechtsprechung: DRiZ 1971, 325; R. Wassermann, Der politische Richter, 1972, 17 ff.; K. Redeker, Legitimation und Grenzen richterlicher Rechtssetzung: NJW 1972, 409 ff.; vorläufig zusammenfassend und abschließend, insbes. unter verfassungsrechtlichem Gesichtspunkt, P. Badura, Grenzen und Möglichkeiten des Richterrechts: Schriftenreihe des Dt. Sozialgerichtsverbandes, Bd. X (1973).

3. Abschn. : Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 93 Generalklauseln und unbestimmten Gesetzesbegriffen, die Heranziehung inhaltlich unbestimmter Klauseln des Verfassungsrechts, die Erfassung und Entwicklung von Rechtsgrundsätzen und Rechtsinstituten für ein bestimmtes Rechtsgebiet — man denke etwa an die Grundsätze und Institute des Allgemeinen Verwaltungsrechts —, schließlich auch die A n passung des Gesetzesrechts an Veränderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse und der sozialen und politischen Anschauungen 13 . Diese Formen richterlicher Rechtsfortbildung und -gestaltung sind m i t der spezifischen richterlichen Tätigkeit, der Behandlung und Entscheidung von (streitigen) Rechtsfällen, unmittelbar verbunden. Daneben stehen solche Formen, i n denen das rechtsgestaltende Moment gegenüber dem rechtsfortbildenden überwiegt und die von der richterlichen Spruchpraxis relativ gelöst sind, für die die Entscheidung eines Rechtsfalles zwar den Anlaß, aber nicht den eigentlichen Gegenstand bildet. Hierher gehören, den Übergang bezeichnend, die den Großen Senaten der obersten Gerichtshöfe des Bundes eingeräumte Befugnis zur „Fortbildung des Rechts" (§ 137 GVG; § 45 I I ArbGG; § 43 SGG; § 11 I V VwGO; § 11 I V FGO), die vom Bundesarbeitsgericht wahrgenommene „Grundsatzgesetzgebung" i m Bereich des kollektiven Arbeitsrechts, insbesondere des A r beitskampfrechts, und die dem BVerfG zukommende Befugnis zur Normenkontrolle, d. h. der authentischen Entscheidung über die Geltung von Gesetzen. Von diesen Fällen gehört freilich nur der erste i n den Regelzusammenhang rechtsprechender Tätigkeit. Die beiden anderen stellen Sonderfälle dar, von denen der eine, die quasi-gesetzgeberische Tätigkeit des BArbG, sich aus dem besonderen, bis i n die Zusammensetzung des B A r b G hinein wirksamen Aggregatzustand des Arbeitsrechts erklärt, der andere i n der besonderen Stellung und Funktion des BVerfG als Gericht und Verfassungsorgan, die es von den übrigen Gerichten qualitativ unterscheidet, begründet ist. Sie sind daher für den Inhalt der Rechtsprechungsfunktion nicht typusbestimmend. 2. Welche Bedeutung kommt dem hier geschilderten Tatbestand für den Inhalt der Rechtsprechungsfunktion zu? Die Frage, die gestellt werden muß, ist die, ob durch diese Teilhabe an Rechtsfortbildung und Rechtsgestaltung, auch wenn man nur auf die typusbestimmenden Formen abstellt und die Sonderrolle des BVerfG wie die des B A r b G außer Betracht läßt, die Rechtsprechung i m ganzen nicht i n eine sachliche Nähe zur Gesetzgebung gerückt wird, selbst ein erhebliches Moment (rechts-)politischer Entscheidung und sozialer Gestaltung erhält, so daß, genau genommen, von einer sekundären Rechtsetzungsfunktion der Rechtsprechung gesprochen werden müßte. I n der Tat w i r d ja i n der neueren Diskussion 13 s. dazu die — mit Beispielen belegte — Übersicht bei Badura, Richterrecht, Ziff. 4 - 8 .

Teil C : Veriassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl unter Hinweis auf diese Rechtsbildungsfunktion der Richter, die i m Grunde eine Rechtsetzungsfunktion sei, die Forderung nach dem p o l i t i schen4, gesellschaftsgestaltenden Richter und seiner entsprechenden parlamentarisch-politischen Legitimation erhoben und begründet 14 . Diese Auffassung übersieht jedoch die besondere Eigenart des richterlichen Beitrags zur Rechtsbildung, der eigenen, von denen des Gesetzgebers unterschiedenen Prinzipien und Methoden folgt. Die richterliche Rechtsbildung ist vom verfassungsrechtlichen A m t und Auftrag des Richters, seiner Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 I I I GG), keine freie politische Gestaltungsbefugnis wie die des Gesetzgebers. Sie ist durch die Verpflichtung auf Gesetz und Recht spezifisch gebunden, und zwar gebunden an die i m System des gesetzlichen und außergesetzlichen Rechts enthaltenen und getroffenen Entscheidungen und Interessenbewertungen. Sie kann diese zur Erzielung gerechter Entscheidungen i m Hinblick auf neuartige, noch nicht oder nicht mehr zureichend geregelte Lebenssituationen oder eine gewandelte Rechtsanschauung fortentwickeln und weiterführend konkretisieren, nicht aber bekämpfen oder außer Kraft setzen. Sie steht aus dieser Bindung heraus unter der durch die Gestaltung der Rechtsmittelverfahren auch organisatorisch abgesicherten A n forderung, sich an einsehbare und überprüfbare Methoden juristischer Argumentation und Begründung zu binden, die Entscheidung i m Wege eines juristischen Begründungszusammenhangs aus einer zugrunde liegenden und methodisch greifbar werdenden Norm herzuleiten, mag diese eine gesetzliche oder außergesetzliche, richterrechtlich entwickelte sein 15 . Der richterliche Beitrag zur Rechtsbildung ist demgemäß i n Inhalt und Funktion von dem des Gesetzgebers deutlich unterschieden. Der Beitrag des Gesetzgebers geht von der grundsätzlichen politischen Gestaltungsfreiheit aus, von der Befugnis, Zielvorstellungen und Ergebnisse des politischen Prozesses i n allgemeinverbindliches Recht umzusetzen, vom Recht als Instrument politisch-sozialer Gestaltung, begrenzt und eingeschränkt i m wesentlichen nur durch allgemeine, i n der Verfassung festgelegte politisch-rechtliche und ethisch-rechtliche Prinzipien und Rechtsgrundsätze. Der Beitrag des Richters hingegen geht von der Bindung an das Gesetz und dem Zusammenhang der geltenden Rechtsordnung aus, sucht die Gesetze i n diesen Zusammenhang der Rechtsordnung zu integrieren, m i t dem allgemeinen Rechtsbewußtsein zu vermitteln und evtl. aus diesem Zusammenhang heraus das gesetzliche Recht fortzuentwickeln und neuen Gegebenheiten anzupassen. Für die richterliche Rechtsgestal14 s. — statt anderer — F. K. Kühler, DRiZ 1969, S. 379 ff.; R. Wassermann, Der politische Richter, S. 17 ff., 32 - 43,96 ff. 15 s. dazu Esser, in: Festschrift für F. v. Hippel, S. 113 ff.; R. Fischer, Die Weiterbildung des Redits durch die Rechtsprechung, S. 30ff.; Badura, Richterrecht, Ziff. 8 u. 10.

3. Abschn. : Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 95 tung ist die Rückgebundenheit an den Systemzusammenhang des geltenden Rechts, das diesen vermittelnde „außergesetzliche Recht" nicht nur begrenzendes, sondern dirigierendes, die Gestaltung inhaltlich bestimmendes Prinzip. Eine Blankettnorm oder Generalklausel i n der Hand des Richters ist daher, anders als beim Gesetzgeber, keine Ermächtigung zu freier rechtspolitischer Gestaltung, sondern ein Auftrag zu ihrer Ausfüllung aus dem Systemzusammenhang des geltenden Rechts, insbesondere auch des Rechtsgebietes, i n das diese hineingestellt ist, und dies i m Wege eines anerkannten, methodisch ausgewiesenen und kontrollierbaren Begründungszusammenhangs 16 . Nur dadurch ist es auch gerechtfertigt und läßt es sich rechtfertigen, daß richterliche Urteile i n Rechtskraft erwachsen. Wäre der richterliche Beitrag zur Rechtsbildung ein solcher weitgehend freier politischer Gestaltung i n Nebenordnung oder evtl. sogar Konkurrenz zum Gesetzgeber, so würde die Rechtskraft richterlicher Entscheidungen, die für den entschiedenen konkreten Rechtsfall, abgesehen von den Ausnahmefällen einer Wiederaufnahme des Verfahrens, Irreversibilität, d. h. das „letzte Wort" der Rechtsordnung bedeutet, ein ungerechtfertigtes und kaum erträgliches Privileg des Richters gegenüber dem Gesetzgeber darstellen. Der Richter verfügte dann über die Prämie, seinen politischen Entscheidungen für den konkreten Rechtsfall Endgültigkeit verschaffen zu können, während jede gesetzgeberische Entscheidung durch den nächsten Gesetzgeber überholt und aufgehoben werden kann. Der Beitrag des Gesetzgebers und der des Richters zur Rechtsbildung müssen also, analysiert man sie nach ihrem Sachgehalt und ihrer Funktion, als komplementär verstanden werden, keineswegs als parallel. Das allein entspricht auch der durch die demokratisch-parlamentarische Verfassung vorgenommenen Funktionsverteilung zwischen Gesetzgeber und Richter, die aus gewichtigen, insbesondere demokratischen Gründen die normative Sozialgestaltung durch Recht dem politischen Prozeß, der i m Gesetz zu allgemeinverbindlichen Entscheidungen gelangt, zuweist, dem Richter hingegen Rechtsbildung i n Bindung an Gesetz und Recht und aus dem Zusammenhang von Gesetz und Recht(sordnung) heraus, und zwar i n argumentativ und methodisch abgesicherter Weise, eben der Weise der Rechtsprechung und richterlichen Entscheidungspraxis, vorbehält 1 7 . Grenzerscheinungen wie die apokryphe richterrechtliche Grundsatzgesetzgebung des B A r b G stellen demgegenüber kein neues Leitbild dar, sondern weisen auf Ausfallstellen i n der konkreten Verwirklichung dieser Kompetenzverteilung hin. M i t Recht w i r d diese Grundsatzgesetzge1β Vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, S. 222 ff.; Esser, in: Festschrift für F. v. Hippel, S. 118; Badura, Richterrecht, Ziff. 10 u. 12. 17 s. dazu R. Fischer, Die Weiterbildung des Rechts, S. 32; Badura t Richterrecht, Ziff. 12 m. weit. Nachw.

96 Teil C : Veriassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl bung u. a. von Gewerkschaftsseite gerade deshalb kritisiert, w e i l hier rechtlich-politische Entscheidungen von großer Tragweite dem politischen Prozeß entzogen und durch die Ausstattung mit den Attributen eines richterlichen Urteils i n weitem Umfang rechtlich unanfechtbar und politisch unüberholbar gemacht werden 1 8 . Für eine solche sachliche Unterscheidung und komplementäre Zuordnung der Funktionen von Gesetzgeber und Richter innerhalb der Rechtsbildung spricht schließlich ein prinzipielles rechtsstaatliches und rechtstheoretisches Argument. Z u m Begriff und zur Funktion des Rechts i n einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Demokratie gehört einmal, daß das Recht M i t t e l politisch-sozialer Gestaltung, Instrument der Politik ist, zugleich aber, daß es auch ein die Politik und politisch-soziale Gestaltung begrenzendes Moment ist. Diese Doppelfunktion hat ihren Grund darin, daß dem Recht neben der Beziehung zur Politik notwendig auch die Beziehung zur Gerechtigkeit, zur Idee des Rechts eigen ist und diese Beziehung, soll sie nicht pervertiert werden, nicht als Funktion der Politik, sondern nur als Zielorientierung und Begrenzung für die Politik bestimmt werden kann 1 9 . Eben diese Beziehung zur Gerechtigkeit unterscheidet das Recht von bloßer Sozialtechnik und organisierter Macht und begründet seine besondere Legitimität und seinen sollensmäßigen Geltungsanspruch, die beide i n einem freiheitlichen, nicht auf totalitärem Zwang aufbauenden Staatswesen notwendige Bedingungen seiner sozialen Geltung sind. Diese Legitimität und dieser Geltungsanspruch teilen sich — vermittelt durch das als Recht beschlossene Gesetz — der politisch-sozialen Gestaltung und Zweckverfolgung mit, sofern und solange diese die Ausrichtung auf die Gerechtigkeit beibehält und sie nicht zerreißt. Ist so die Anerkennung der Doppelfunktion des Rechts, seiner auch relativen Eigenständigkeit gegenüber der Politik und politisch-zweckhafter Gestaltung ein wesentliches Moment einer rechtsstaatlichen, am Rechtsgedanken orientierten Rechtsauffassung, so bedarf es i n der Organisation des Rechtsbildungsprozesses besonderer institutioneller und verfahrensmäßiger Vorkehrungen, damit sich beide Funktionen und Beziehungsfelder zur Geltung bringen können und i n der Rechtspraxis kontinuierlich wirksam werden. Dies gilt u m so mehr, als die politische' und »rechtliche 4 18 19

Vgl. auch Böhm, Recht und Gesellschaft, S. 11. Dazu, daß die Anerkennung dieser Doppelfunktion des Rechts ein wesentliches Kennzeichen der rechtsstaatlichen Rechtsauffassung im Unterschied zur kommunistischen ist, siehe E.-W. Böckenförde, Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, S. 36, 85 - 87. Im übrigen auch Eb. Schmidt, Lehrkommentar, S. 285 ff. In der neueren Diskussion zum »politischen' Richter wird über der durchaus zutreffenden Betonung der politisch-instrumentalen Seite des Rechts die politisch begrenzende Seite nicht selten übersehen. Vgl. statt anderer R. Wassermann, Der politische Richter, S. 18 - 20.

3. Abschn. : Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 97 Dimension und Seite des Rechts sich nicht abstrakt und gegenständlich abgrenzbar gegenüberstehen, sondern sich i n den konkreten rechtlichen Regelungen und Rechtsentscheidungen miteinander vermitteln bzw. vermittelt sind. Der gewaltengliedernde Verfassungsstaat weist daher den Rechtsbildungsprozeß zwei verschiedenen, voneinander unabhängigen Instanzen m i t je unterschiedlicher Funktion zu. Er überträgt der Rechtsprechung i n Abschichtung von unmittelbar politischer Gestaltung primär die Wahrung und Fortentwicklung der rechts- und gerechtigkeitsbezogenen Seite des Rechts; dies freilich nicht als ,freie 4 Aufgabe, sondern i n Bindung an die i m Gesetz sich niederschlagenden Ergebnisse politischer Entscheidung und Gestaltung, so daß diese nicht aufgehoben oder konterkariert, sondern vermittels der allgemeinen Grundsätze, Rechtsprinzipien, Rechtsinstitute und methodischer Schlußweisen (als konkretisierten Rechtsgedanken) i n den ,,Rechts"-zusammenhang der Rechtsordnung einbezogen und auch eingebunden werden. Damit verwirklicht er ein wichtiges, wenn nicht das wesentliche Element einer auf die Wahrung des Doppelcharakters des Rechts abzielenden Organisation des Prozesses der Rechtsbildung. 3. Faßt man die vorstehenden Erörterungen zusammen, so ergibt sich daraus für das Gesamtbild der Rechtsprechungsfunktion gegenüber den oben I. getroffenen Feststellungen zwar eine genauere Differenzierung und inhaltliche Spezifizierung und insofern eine Ergänzung, aber keine Abweichung oder Korrektur. Die dargelegte spezifische Funktion der Rechtsprechung i m Prozeß der Rechtsbildung, die sich von der des Gesetzgebers qualitativ (und nicht nur dem Umfang nach) unterscheidet, macht ebenso wie ihre oben geschilderte primäre Funktion die Abschichtung von unmittelbarer Politisierung, Neutralität i n diesem Sinne und den Charakter als — i m Unterschied zum parlamentarischen Gesetzgeber — nicht politisch-aktiver Gewalt nicht nur sinnvoll, sondern notwendig. Es ist dies die Voraussetzung dafür, daß die Rechtsprechung ihren Beitrag zur Rechtsbildung, wie von der Verfassung vorgesehen, i n der Bindung an Gesetz und Recht und aus dieser Bindung heraus leistet und nicht i n Konkurrenz zum Gesetzgeber bzw. als Nebengesetzgeber. Aus den gleichen Gründen ergeben sich auch keine anderen und abweichenden Schlußfolgerungen für eine funktionssichernde Organisation der Richterbestellung als die oben I. 3 dargelegten. Gerade wenn und weil der Richter i n seiner Rechtsprechungstätigkeit am Prozeß der Rechtsbildung teilnimmt und teilhat, aber i n der dargelegten spezifischen Weise daran teilnimmt und teilhat, bedarf es einerseits eines Richters, der sich dieser Funktion und ihrer besonderen Eigenart i m Rahmen der politischen Gesamtordnung bewußt ist und sie auszufüllen versteht, anderseits aber eines Richters, der diese Funktion nicht i. S. seine politi7

Böckenförde

98 Teil C : Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl sehen Engagements und i. S. individueller, gruppenspezifisch oder parteipolitisch geprägter rechtspolitischer Auffassungen ausübt (vgl. dazu i m einzelnen oben 1.3, S. 91 f.). I I I . Zu den beiden erwähnten und diskutierten Funktionen der Rechtsprechung t r i t t noch eine dritte hinzu. Sie steht mit diesen i n engem Zusammenhang. Es handelt sich u m die gesellschaftsbefriedende und gesellschaftsintegrierende Funktion der Rechtsprechung, die sie dadurch ausübt, daß rechtliche Streitigkeiten zwischen den einzelnen Bürgern, Gruppen von solchen und zwischen einzelnem und Staat von einem unbeteiligten Dritten i n einem geordneten Verfahren nach festliegenden inhaltlichen Maßstäben ohne Ansehen der Person und i n Orientierung auf Gerechtigkeit hin entschieden werden. Diese Funktion führt auf den Ursprung des modernen Staates als einer Rechts- und Friedenseinheit zurück. Die staatliche Friedenseinheit setzt das allgemeine Gewaltverbot voraus. Das bedeutet, daß niemand befugt ist, ein von i h m behauptetes Recht eigenmächtig durchzusetzen, ein i h m angetanes Unrecht eigenmächtig zu vergelten, sondern auf den Rechtsweg verwiesen ist, d. h. auf staatliche Instanzen, die streitig gewordenes Recht feststellen und das festgestellte Recht vollziehen. Dieses allgemeine Gewaltverbot mußte, historisch gesehen, erheblichen Widerständen abgerungen werden 1 9 a . Seine Durchsetzung und effektive Wirksamkeit war und ist daran gebunden, daß der Staat als Äquivalent eine unparteiische, i n ihrer Objektivität und Neutralität anerkannte, zügig arbeitende Entscheidungsinstanz zur Verfügung stellt, die jedermann ohne Ansehen der Person zu seinem Recht verhilft, und diese Instanz i n Wirksamkeit erhält. Erst dadurch geht aus dem staatlich verordneten Gewaltverbot ein für jeden einzelnen zumutbarer und von i h m auch akzeptierter Gewaltverzicht hervor, der die Basis des Rechtsfriedens darstellt, und erst dadurch w i r d die Gesellschaft ungeachtet bestehender und auszutragender Interessenkonflikte, unterschiedlicher religiös-weltanschaulicher Überzeugungen und entgegengesetzter politischer Auffassungen zu einer Rechtsgemeinschaft und als eine solche integriert. Diese gesellschaftsbefriedende und -integrierende Funktion der Rechtsprechung kommt nicht durch jede A r t rechtlicher Streiterledigung zustande, sondern setzt, wie schon die gegebene Beschreibung zeigt, bestimmte Eigenschaften dieser Streiterledigung voraus. Das sind die notwendigen Attribute der rechtsprechenden Gewalt. A n erster Stelle steht hier die Unparteilichkeit (Objektivität) und Neutralität 2 0 . 19a

36 f. 20

Vgl. Eb. Schmidt, Strafrechtspflege, S. 47 ff.; ders., Lehrkommentar, S.

s. Bettermann, in: Die Grundrechte, Bd. III, 2, S. 525 f.; Kriele, in: Festschrift für Wolff, S. 102 ff.

3. Abschn. Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 99 Nur und gerade von einer i m Verhältnis zu den Prozeßparteien unparteilichen, gegenüber den mannigfachen sozialen, politischen, religiös-weltanschaulichen Bindungen und Gegensätzen, i n denen die rechtsuchenden einzelnen, Gruppen oder Organisationen stehen, neutralen Rechtsprechung, die ihre Entscheidungen anhand objektiver, als Recht festgelegter Maßstäbe trifft, kann eine befriedende, Rechtsfrieden vermittelnde und die Gesellschaft integrierende Wirkung ausgehen. Die Neutralität der Rechtsprechung und die sie vermittelnde Unabhängigkeit des Richters haben daher, unter diesem Blickpunkt, einen mehrfachen Bezugspunkt. Es geht nicht nur u m die Unabhängigkeit und Neutralität gegenüber den Prozeßparteien und gegenüber anderen staatlichen Organen, insbesondere der Exekutive, sondern ebenso u m gesellschaftliche Unabhängigkeit und Neutralität, d. h. gegenüber den um Machteinfluß ringenden politischen Anschauungen und gesellschaftlichen Kräften, gegenüber den verschiedenen sozialen Schichten und der eigenen sozialen Herkunftswelt 2 1 . Gegen diese befriedende und gesellschaftsintegrierende Funktion der Rechtsprechung kann nicht eingewandt werden, sie entspreche einem heute nicht mehr gültigen Consensus- bzw. Harmonie-Modell der Gesellschaft. Diese Funktion w i r d vielmehr u m so dringlicher und unverzichtbarer, je mehr die Gesellschaft als (auch) konfliktbestimmt angesehen w i r d und die Rechtsordnung die Austragung solcher Konflikte nicht unterdrückt sondern offenhält. Denn gerade dann bedarf es, u m die offengehaltene Konfliktaustragung gleichwohl an bestimmte Regeln und Grenzen zu binden und nicht i n eine Infragestellung der Einheit und des Zusammenhalts der Gesellschaft übergehen zu lassen, u m so mehr einer anerkannten, in ihrer Unparteilichkeit und Neutralität unangefochtenen Rechtsprechungsgewalt 22 . Die Folgerungen, die sich hieraus für eine funktionssichernde Organisation der Richterbestellung ergeben, decken sich wiederum mit denen, die bereits oben I. und I I . entwickelt wurden. Sie erhalten indessen, i m Hinblick auf die notwendige Unparteilichkeit und Neutralität der Rechtsprechung, noch eine schärfere Kontur. Einmal dadurch, daß neben die politische Neutralität i n dem oben dargelegten Sinn gleichbedeutsam die gesellschaftliche Neutralität und Unabhängigkeit tritt. Zum anderen dadurch, daß i m Hinblick auf die Befriedungs- und Integrationsfunktion nicht nur die tatsächliche Infragestellung von Unparteilichkeit und Neutralität der Rechtsprechung, sondern auch der Anschein einer solchen Infragestellung vermieden werden muß. 21 Vgl. dazu Bettermann, in: Die Grundrechte, Bd. III, 2, S. 525 f.; Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit, S. 44. 22 Die gleiche Schlußfolgerung ergibt sich aus dem pluralistischen, nicht mehr wertungshomogenen Charakter der modernen Gesellschaft, s. dazu MayerMaly, DRiZ 1971,327/328.

·

100 Teil C: Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl § 17. Elemente einer den besonderen Funktionsgehalt der rechtsprechenden Gewalt sidiernden Organisation der Richterbestellung I n den bisherigen Ausführungen ist der besondere, differenzierte Funktionsgehalt der Rechtsprechung, der i h r als solcher wie i m Rahmen der politischen Gesamtordnung zukommt, dargelegt worden. Dabei sind zugleich die Rieht- und Orientierungspunkte für eine die Rechtsprechung i n ihrem Funktionsgehalt sichernde Organisation der Richterbestellung deutlich geworden: Erhaltung und Sicherung der Neutralität und Unabhängigkeit des Richters i n ihren verschiedenen Dimensionen, Verankerung der rechtsbildenden Funktion des Richters i n der Bindung an Gesetz und Recht, Herausbildung eines politisch bewußten, die Eigenart der Rechtsprechung und ihre Funktion i m Rahmen der politischen Gesamtordnung bewußt realisierenden Richters, nicht hingegen eines politisierten Richters. Es bleibt die Frage zu erörtern, ob und auf welche Weise sich diese Zielund Richtpunkte durch eine entsprechende Organisation der Richterbestellung konkret erreichen lassen. Von welchen Grundgedanken und tragenden Gesichtspunkten muß diese Organisation bestimmt sein, damit sich i n ihr und durch sie diese Ziel- und Richtpunkte zur Geltung bringen können? Diese Frage stellt sich nicht unabhängig von, sondern von vornherein innerhalb der Rahmenbedingungen und Bindungen, die durch das Prinzip der demokratischen Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt (oben 2. Abschnitt, §§ 13 -15) und das Prinzip der Gewaltengliederung (oben 1. Abschnitt, §§ 10 - 12) gezogen und verfassungsrechtlich vorgegeben sind. Es handelt sich nicht darum, diese Bedingungen und Bindungen zu relativieren, sondern zusätzliche Gesichtspunkte zu entwickeln, die ihren verfassungsrechtlichen Rückhalt i m Prinzip der funktionssichernden Organisation der einzelnen Gewalten haben und geeignet sind, den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum weiter i. S. prinzipienkonformer Verfassungsausfüllung zu strukturieren. I. Als Ausgangspunkt muß festgehalten werden, daß Richterbestellung, wie immer man sie organisieren mag, der Sache nach Personalpolitik, und das bedeutet auch: Machtausübung, ist und bleibt. Als solche kann sie aus dem Medium der Politik, und daß heißt i n einer parteienstaatlichen Demokratie immer auch Parteipolitik, nicht herausgelöst werden. Würde man versuchen, sie zu entpolitisieren, einer neutralen, unpolitischen Instanz zu übertragen, etwa der Richterschaft selbst oder einem von ihr gewählten Gremium, so würde dadurch nicht die Richterpersonalpolitik entpolitisiert, sondern nur die damit betraute Instanz zu einer politischen

3. Abschn.: Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 101 Instanz umgebildet und selbst der Politisierung ausgesetzt. Das gehört zu den Funktionsgesetzlichkeiten der Politik und ist i n bezug auf die Richterpersonalpolitik gerade von einem entschiedenen Verfechter der richterlichen Neutralität und Unabhängigkeit, Adolf Arndt, herausgestellt worden 1 . Die Folgerung, die sich daraus ergibt, ist freilich nicht die, daß es von vornherein aussichtslos ist, i m Interesse der Unabhängigkeit der Rechtsprechung und ihrer Neutralität i n dem oben dargelegten Sinn einer Politisierung oder Parteipolitisierung der Richterbestellung entgegenzutreten; die Folgerung ist vielmehr, daß dies nicht unter Umgehung oder gegen die Politik, durch vorgebliche Entpolitisierung, geschehen kann, sondern nur durch die Politik hindurch. Zutreffend hat Adolf Arndt darauf hingewiesen, daß Neutralität und Unabhängigkeit der Richter auf dem Wege der Richterbestellung nur dadurch gesichert und gestärkt werden könnten, daß die hier Einfluß begehrenden politischen Kräfte zum Tragen gebracht werden, aber i n einer Weise und m i t Methoden zum Tragen gebracht werden, daß sie sich balancieren und neutralisieren und so untereinander zum Ausgleich oder ins Gleichgewicht gebracht werden. Ein „pouvoir neutre" könne nicht unmittelbar, sondern erst mittelbar, „aus der Neutralisierung der ins Gleichgewicht gebrachten Kräfte" hergestellt werden 2 . Das ist, bezogen auf einen einzelnen Bereich der Politik, ein Anwendungsfall der allgemeinen staats- und politiktheoretischen Einsicht, daß i n einem demokratisch organisierten Staat das Gemeinwohl nicht oberhalb der politischen Auseinandersetzungen, i n einer Sphäre politisch-neutraler Sachlichkeit angesiedelt werden kann, sondern vielmehr i n den (partei-) politischen Auseinandersetzungen und aus ihnen heraus gefunden und zum Tragen gebracht werden muß. Dementsprechend kann Gefahren, die sich für das Auffinden und das Sich-Durchsetzen des Sachrichtigen i n bestimmten Bereichen aus dem demokratischen politischen Prozeß selbst ergeben, nicht durch dessen partielle Aufhebung entgegengetreten werden, sondern nur durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen, Balancierungen etc. innerhalb dieses Prozesses 8. Ganz i n diesem Sinne geht es auch bei der Organisation der Richterbestellung darum, durch Balancierungs- und Gleichgewichts- und ähnliche Vorkehrungen innerhalb des politischen Prozesses der Richterpersonalpolitik Gefahren, die der Rechtsprechungsfunktion von dorther 1 Ad. Arndt, in: Verhandl. des 40. Dt. Juristentages, Bd. 2,1954, S. C 47, 50 ff.; G. Hennies, DRiZ 1972, S. 410 (412). * Adolf Arndt, in: Verhandl. des 40. Dt. Juristentages, Bd. 2, S. C 50 - 52, das Zitat S. 52; ferner S. 123 f. 8 s. dazu jüngst das Urteil des BVerwG v. 29. 1. 73 = DVB1. 73, 854 mit eindrucksvoller Begründung.

102 Teil C: Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl drohen können, zu begegnen und positiv die Integrität der Rechtsprechungsfunktion abzustützen. Die verschiedenen Zielpunkte, auf die hin jene Vorkehrungen getroffen werden müssen, ergeben sich aus den vornehmlichen potentiellen Gefährdungspunkten. Als solche sind, zieht man die Ausführungen zu § 16 i n Betracht, hauptsächlich folgende zu nennen: der Umschlag der Richterpersonalpolitik i n einen einseitigen parteipolitischen Zugriff auf die Richterstellen und (dadurch vermittelt) die Rechtsprechung (zu Lasten der fachlichen Eignung und der Unabhängigkeit); die Abhängigkeit der Richterbestellung von beteiligten Ressortinteressen, je nach dem Gerichtszweig, und sonstigen Gruppeninteressen (auf Kosten der Neutralität und Unbeteiligtheit); die Partei- oder gruppenspezifische Politisierung der Richterschaft i n sich (als Beeinträchtigung der Befriedungs- und Integrationsfunktion). I I . U m einem möglichen einseitigen parteipolitischen Zugriff auf die Richterpersonalpolitik und einer Parteipolitisierung der Richterschaft organisatorisch entgegenzutreten, kommt es in erster Linie auf den Einbau geeigneter Balancierungselemente i n das Verfahren der Richterbestellung an. Als solche bieten sich an die Balancierung zwischen Exekutive und Legislative, daneben — und evtl. damit verbunden — die zwischen Politik und Verwaltung und/oder Politik und Richterschaft. 1. Die Balancierung der Richterbestellung zwischen Exekutive und Legislative hat zu ihrem Ausgangspunkt nicht die Erwägung, daß ein möglicher Mißbrauch der Richterpersonalpolitik gerade bei einer der politisch aktiven Gewalten, zuständigem Minister oder Parlament, gesucht werden müsse. Denn die Frage, ob eher ein Minister oder ein vom Parlament bestellter Ausschuß — beide sind grundsätzlich parteipolitisch gebunden bzw. strukturiert — zur einseitigen parteipolitischen Handhabung der Richterpersonalpolitik neigt, läßt sich wissenschaftlich und erfahrungsmäßig weder i n der einen noch i n der anderen Richtung klar beantworten. Hier hängt viel von der persönlichen Qualität und der Amtsauffassung der betreffenden Personen ab, und positive wie negative Beispiele lassen sich i n der einen und anderen Richtung finden. Gerade w e i l indessen solche (personal-)politischen Macht- und Entscheidungsbefugnisse, gleich bei welchem Organ, strukturell gesehen dem richtigen Gebrauch wie dem Mißbrauch offenstehen, erscheint es sinnvoll, sie nicht einer Instanz allein zu übertragen, sondern verschiedene demokratisch-politisch dazu legitimierte Instanzen daran zu beteiligen, und zwar i n einer Form, daß sich Mißbrauchsgefahren nicht kumulieren (was auch, theoretisch betrachtet, eine mögliche Folge sein kann), sondern neutralisiert und dadurch hintangehalten werden. Ist dies schon allgemein

3. Abschn.: Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 103 eine vernüftige Maxime der Organisation wichtiger personalpolitischer Entscheidungsbefugnisse, so gilt sie für die Richterbestellung noch aus einem besonderen Grund. Richterpersonalentscheidungen sind, anders als solche i m Bereich der Regierung und der Verwaltung, wegen der besonderen Status- und Funktionsgarantien des Richters grundsätzlich nicht korrigierbar 4 . Sie sind daher schon bei ihrem Zustandekommen einer besonderen — demokratischen — Legitimation (s. dazu oben § 13 II) und Balancierung bedürftig. Die Balancierung der Richterbestellung zwischen Exekutive und Legislative ist verschiedener Ausgestaltung fähig. I m Vordergrund steht dabei, vermittelt durch die i n A r t . 95 GG für Bundesrichter getroffene Regelung und die Vorschrift des A r t . 98 I V GG, die Form, i n der der zuständige Minister einerseits, ein ganz oder überwiegend vom Parlament gewählter RiWA anderseits sich i n der Weise einander gegenüberstehen, daß keine der beiden Stellen ohne die andere entscheiden kann. Das bedeutet, formell gesehen, eine A r t Gleichgewichtskonstruktion zwischen Exekutive und Legislative. Von dieser Konstruktion gehen neben dem Bund auch die Regelungen der Richterwahl in Hessen, Schleswig-Holstein und Berlin aus, während Bremen und Hamburg einem anderen Modell, das Vertreter der Exekutive und Legislative neben Repräsentanten der Rechter- und Anwaltschaft in einem Entscheidungsorgan vereinigt, folgen 5. Die Unterschiede zwischen den Regelungen im Bund, Hessen, Schleswig-Holstein und Berlin liegen in der Zusammensetzung (rein parlamentarisch oder gemischt), der Art der Konstituierung (Parlamentswahl oder auch Urwahl) und dem Entscheidungsmodus (einfache oder 2/3-Mehrheit) des RiWA. Dieses Modell bringt die Intention der Balancierung verschiedener Einflußmöglichkeiten, deren jede über eine demokratische Legitimation verfügt, exemplarisch zum Ausdruck. Zwei als solche selbständige Entscheidungsinstanzen, die unterschiedlichen Funktionsbereichen zugehören, werden derart als »Gegenspieler* aneinander gebunden, daß sie zu ,duae conformes* kommen müssen, damit eine Entscheidung getroffen werden kann·. 4

Der Richter kann weder, wie der Inhaber eines Regierungs- oder anderen politischen Amtes, abberufen noch wie der Bepmte im dienstlichen Interesse auch ohne se*ne Zustimmung in ein anderes (gleichwertiges) Amt vorsetzt werden, noch unterliegt er dienstlichen Weisungen über die Art der Wahrnehmung seiner Amtsaufgaben. Das alles ist Ausfluß der richterlichen Unabhängigkeit, wie sie Art. 97 GG gemeinbundesrechtlich vorschreibt und die §§26 ff. DRiG sie näher ausgestalten. 5 Vgl. dazu die Übersicht bei K. Ipsen, DÖV1971, S. 471. β s. dazu insbes. Ad. Arndt in: Verhandl. des 40. Dt. Juri stent ages, S. C 53, der wegen dieser Art der Balance diesem Modell den Vorzug vor dem in Hamburg und Bremen eingeführten gibt, in dem der Justizminister nur im Ausschuß beteiligt ist und daher überstimmt werden kann. Vgl. demgegenüber H. P. Ipsen, ebd., S. C 25.

104 Teil C: Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl Neben dieser Grundform der Balancierung von Exekutive und Legislative einschließlich ihrer verschiedenen Ausgestaltungen ist freilich noch eine andere, mehr traditionelle, denkbar. Sie w i r d dadurch erreicht, daß das Organ der einen Gewalt (Minister) zunächst die Entscheidung trifft, für diese Entscheidung indessen dem Organ der anderen Gewalt (Parlament) i n effektuierbarer Weise verantwortlich und rechenschaftspflichtig ist. Es besteht heute die Neigung, diese Form der Balancierung nicht als eine wirkliche, effektive Balancierung anzuerkennen, sondern nur die gemeinsame Entscheidung von Organen beider Gewalten bzw. Vertretern beider Gewalten i n einem Organ 7 . Diese Auffassung mag einen Ansatzpunkt i n der nicht selten fehlenden praktischen Ausnutzung der bestehenden Kontroll- und Balancierungsmöglichkeiten durch das Parlament finden; bezogen auf das hier gegebene Modell der Balancierung ist sie nicht stichhaltig. Beide Grundformen sind, als Modell genommen, nach Voraussetzungen, Verfahren und Wirkungsweise verschiedene Wege der Balancierung, deren jeder zu einer wirksamen Balancierung führen kann, sofern der politische Wille bei den beteiligten Instanzen dazu vorhanden ist. Das erste Modell bedeutet eine — allerdings nicht direkte, sondern indirekte — über den RiWA vermittelte Beteiligung des Parlaments an der Entscheidung selbst. Das Parlament gibt damit allerdings weitergehende Kontrollmöglichkeiten notwendigerweise aus der Hand, und das aus einem zweifachen Grund. Einmal ist der vom Parlament bestellte, ihm gegenüber selbständige RiWA seiner Konstruktion nach dem Parlament nicht verantwortlich, er entscheidet „ f ü r " das Parlament i n unmittelbarer parlamentarischer Legitimation. K r i t i k an den Entscheidungen des R i W A wäre, politisch, K r i t i k des Parlaments an sich selbst. Zum andern hat seine Entscheidung die Form der ,Wahl· und unterliegt daher keiner Begründungspflicht; eine Wahl verschafft ihrer Natur nach eine die vorhandenen Gründe überschießende eigenständige Legitimation, die sich der Aufschlüsselung nach Argumenten und Motiven entzieht. Der i n der parlamentarischen Verantwortung verbleibende Minister aber kann sich dieser Verantwortung dadurch weitgehend entledigen, daß er bei einer K r i t i k seiner Personalvorschläge und -entscheidungen auf die Notwendigkeit, mit dem RiWA zu einer Übereinstimmung zu gelangen, verweist. Hier zeigt sich, daß Miteritscheidung und Entscheidungskontrolle nicht zugleich, sondern nur alternativ zu verwirklichen sind und eine individuelle Entscheidungsverantwortung bei Wahlentscheidungen kollegialer Gremien nicht mehr lokalisierbar ist 8 . 7 s. dazu statt anderer Wassermann, Der politische Richter, S. 98; R. Litten, Politisierung der Justiz, S. 113.

3. Abschn.: Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 105 Indem das zweite Modell auf unmittelbare Mitentscheidung des Parlaments verzichtet, erhält und eröffnet es eine wirksame Kontrolle der Entscheidungen durch das Parlament selbst. Das Parlament kann, sofern es den politischen Willen dazu hat, die Vorlage des ,letzten Arguments 1 für die getroffene Entscheidung verlangen, einschließlich der Auskunft über Stellungnahmen (des Präsidialrats), Protokolle u. a. m. und dadurch den Entscheidungsvorgang transparent machen. Und da der Entscheidungsträger ein individueller, i n der Gestalt des verantwortlichen M i n i sters ist, ist die Entscheidungsverantwortung auch lokalisierbar. Jede individuell getroffene Entscheidung ist nur tragfähig nach Maßgabe ihrer erfragbaren und offenlegungspflichtigen Gründe und daher entsprechend angreifbar; i h r fehlt die überschießende Legitimation, die ein Wahlakt verleiht. Freilich ist die Kontrolle und Balancierung, die hier stattfinden kann, bezogen auf die einzelne Entscheidung eine nur nachträgliche, die diese i m Regelfall nicht mehr ändert; i m Hinblick auf die Entscheidungszuständigkeit als solche und ihre Handhabung w i r k t sie jedoch als generelles Regulativ 9 . 2. Die Balancierung der Richterbestellung zwischen Organen der Exekutive und Legislative ist, wie immer sie ausgestaltet sein mag, i n einer parlamentarischen Demokratie notwendigerweise von begrenzter W i r kung. Parlament und Regierung stehen sich, anders als i m konstitutionellen Staat, nicht mehr primär als solche gegenüber, sondern Regierung und parlamentarische Mehrheit auf der einen, die parlamentarische Opposition auf der anderen Seite. Die politische Interessenrichtung des M i n i sters als Mitglied der von der Parlamentsmehrheit getragenen Regierung und der Mehrheit des Parlaments bzw. der Mehrheit eines vom Parlament bestellten R i W A ist grundsätzlich gleichartig. Diese Gleichartigkeit ist zwar nicht absolut, w e i l der Minister zugleich auf bestimmte Amts- und Ressortinteressen festgelegt ist und sie zu vertreten hat, teilweise auch 8 Wenn F. Kühler in seiner Äußerung vor dem JustizA des LT NW (29. Sitzung v. 20. 4.1972, Prot. 7/714, S. 41) davon spricht, daß die letzte Entscheidung durch einen paritätisch (aus Parlamentsmitgliedern und Richtern) zusammengesetzten Ausschuß „die Auflösung der politischen Verantwortlichkeit" bedeutet, so gilt das entsprechend auch für einen ganz vom Parlament gewählten Ausschuß. Die Anonymität der Entscheidung, kraft deren sich nicht mehr feststellen läßt, wer (und aus welchen Gründen) die Entscheidung getroffen hat, besteht auch hier. 9 Der dargelegte Zusammenhang findet eine Bestätigung darin, daß die Bestrebungen, die Stellung des Parlaments gegenüber der Exekutive durch die Beteiligung des Parlaments bzw. seiner Ausschüsse an Exekutiventscheidungen (ζ. B. Verfügung über bestimmte Haushaltsmittel) zu verstärken,; .in der neueren Literatur überwiegend sehr zurückhaltend, wenn nicht gar ablehnend beurteilt werden, und zwar aus Erwägungen im Interesse der Erhaltung des parlamentarischen Kontrollrechts. Vgl. etwa F. Schäfer, Der Bundestag, S. 271; K. Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit, S. 104; M. Hereth, Die Reform des Deutschen Bundestages, S. 55 ff.; eher für eine unmittelbare Entscheidungsbeteiligung des Parlaments W. Kewenig, Staatsrechtliche Probleme parlamentarischer Mitregierung, passim, insbes. Fn. 127.

106 Teil C: Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl von seinem ,Haus' i n seinen Entscheidungen vorbestimmt wird. Aber die daraus hervorgehenden Divergenzen sind wiederum nicht stark genug, einen grundsätzlichen Dualismus zwischen Minister und Parlaments(Ausschuß-)Mehrheit zu begründen; die parlamentarische bzw. AusschußMehrheit wird, von Ausnahmefällen abgesehen, bereit und auch genötigt sein, „ihren" Minister zu stützen bzw. nicht zu desavouieren. Gerade um das Ziel der Balancierung der Richterbestellung, die Verhinderung eines einseitigen parteipolitischen Zugriffs auf die Richterpersonalpolitik und der davon ausgehenden Gefährdung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung zu erreichen, bedarf es daher weiterer, zusätzlicher Balancierungen. Der Gedanke liegt nahe, diese zusätzlichen Balancierungselemente durch Einbau von Oppositionsrechten herbeizuführen. Solche Oppositionsrechte können als Balancierungselemente i n der Tat insoweit effektiv werden, als sie die parlamentarische Kontrollbefugnis verstärken (ζ. B. Auskunftsersuchen, Recht zur Erzwingung einer Debatte und auf Aktenvorlage schon für eine Minderheit des Parlaments), sie zu einem M i t t e l i n der Hand der jeweiligen Opposition zu machen. Sofern sie indessen zu einer Mitbeteiligung an der Entscheidung selbst führen, etwa durch Einführung der 2/3 Mehrheit für Entscheidungen des RiWA, geht ihre Wirkung i n andere Richtung. Sie bedeuten dann nicht mehr eine verstärkte Befugnis zur bloßen Machtkontrolle, sondern unmittelbare Machtteilhabe. Als Teilhabeposition drängen sie aber primär zur eigenen Befestigung und Absicherung, nicht zur Neutralisierung der anderen Machtposition; das Ergebnis ist daher m i t einer gewissen Notwendigkeit — und die bisherige Erfahrung bestätigt das — nicht verstärkte Balancierung, sondern proportionale Quotierung, d. h. die Einigung auf Präsentationsrechte der einzelnen politischen Gruppen nach Maßgabe ihrer zahlenmäßigen Stärke. Die „Politik" bleibt damit unter sich 10 . Die zusätzliche Balancierung muß daher, und das gilt besonders bei einer Entscheidungsbeteiligung der Legislative, nicht nur eine solche innerhalb der Politik, d. h. der maßgeblichen (partei-)politischen Kräfte sein, sondern eine solche zwischen Politik und Verwaltung. M i t Recht hat Niklas Luhmann darauf hingewiesen, daß i n der parlamentarischen Demokratie, soziologisch gesehen, eine reale politische Gewaltenteilung keineswegs völlig ausgeschlossen ist, daß sie aber nicht mehr zwischen den traditionellen Funktionen* sondern zwischen den Bereichen von „Politik" und „Verwaltung" stattfindet 11 . Verwaltung ist dabei verstanden als ein von der Politik, d. h. hier den politischen Parteien i n Gesetz10 s. dazu — neben dem Erfahrungsmaterial der Verfassungsrichterwahlen — Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit, S. 223; Bahlmann, ZRP 1973, 288/89, scheint dies zu übersehen, wenn er meint, durch eine 2/s-Mehrheit werde die Neutralität gesichert. 11 N. Luhmann, Der Staat 11 (1973), S. 8 ff.

3. Abschn. : Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 107 gebung und Regierung zwar gesteuertes, aber aufgrund seiner eigenen Grundsätze, Verfahrensformen und Richtigkeitskriterien i n sich doch eigenständiges Handlungssystem, das der Politik begrenzend und sie teilweise formend gegenübertritt. I h r Träger ist, i n vielfältiger Erscheinungsform, die Bürokratie. Die Verwaltung i n diesem Sinn ist keineswegs ,unpolitisch', sondern i n ihrer Sachnähe und Verfahrensbezogenheit eine eigene politische Kraft. Sie ist freilich an anderen Handlungszielen orientiert als die »Politik' und gerade deshalb als „Gegenmacht" (Ad. Arndt), d. h. als Balancierungs- und Neutralisierungselement gegenüber möglichen Bestrebungen zur (je wechselnden) Parteipolitisierung der Richterschaft geeignet. I n gewissem Umfang ist die »Verwaltung 1 i n diesem Sinn schon heute an der Richterpersonalpolitik beteiligt, und zwar auf dem Weg über die Vorbereitung der Personalentscheidungen des Ministers. Der Minister kann, ungeachtet seines Entscheidungsrechts, seine Personalpolitik nicht einfach an seinem ,Haus' vorbei und ohne Berücksichtigung der Vorschläge und (Gegen-)Vorstellungen seiner eigenen Bürokratie, einschließlich der Richterbürokratie (Gerichts- und Obergerichtspräsidenten) machen. U m diesen heute mehr faktischen und informellen Einfluß zu einem Balancierungselement zu verfestigen, sind verschiedene Wege denkbar. Es lassen sich formalisierte Vorschlags-, Anhörungs-, Stellungnahmerechte der Gerichts- bzw. Obergerichtspräsidenten vorsehen gegenüber dem Minister ebenso wie gegenüber bzw. i m RiWA, oder auch eine Mitgliedschaft, stimmführend oder beratend, einiger Vertreter der (Richter-)Bürokratie i m RiWA. Auch die Beratungs- und Stellungnahmerechte des Präsidialrats gehören m. E. i n diesen Zusammenhang. Denn i m Präsidialrat kommt nach der Form und Modalität seiner Konstituierung eher eine amtsbezogene Vertretung der Richterschaft, gegliedert nach Gerichtszweigen, zur Geltung als eine Vertretung der Richterschaft als Berufsgruppe oder Berufsstand 12 . Ziel und Sinn solcher Regelungen muß es sein, nicht die Entscheidungsbefugnis von der ,Politik' an die Verwaltung zu überspielen, sondern die Verwaltung als balancierendes und ggfl. neutralisierendes Element i n den von den politischen Kräften i n Exekutive und/oder Legislative getragenen Entscheidungsprozeß einzubauen. 3. Als andere zusätzliche Balancierung, neben oder anstelle der von Politik und Verwaltung, kommt die von Politik und Richterschaft i n Betracht. Es geht dann nicht darum, die »Dritte Gewalt', d. h. die Rechtsprechung i n ihrer Amtsfunktion, sondern die Richter als berufsbezogene soziale Gruppe bzw. Berufsstand als Balancierungselement der parteipolitischen Kräfte zu verwenden. Die Erwartung, daß die Vertreter der 12 Vgl. aber zum Problem der Beurteilung der Richter durch Vorgesetzte Baur, DRiZ 1973,7 f.

108 Teil C: Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl Richterschaft sich als neutralisierende ,Gegenkraft 4 gegen eine mögliche Parteipolitisierung der Richterpersonalpolitik zur Geltung bringen, ist nicht unberechtigt; schon das Interesse der Richterschaft an ihrem besonderen Rechtsstatus und der Sicherung ihrer Unabhängigkeit zielt darauf ab. Andererseits kommen dadurch, wie oben dargelegt, kooptative Elemente m i t ins Spiel 1 3 . Die grundsätzliche Ablehnung jeder Art von Richterbeteiligung, auch einer nur balancierenden, in RiWAn, die Kübler und Wassermann vertreten 14 , ist nicht überzeugend. Ihr Argument, hinter jeder solcher Beteiligung stehe noch die Vorstellung vom angeblich unpolitischen Richter, unterscheidet nicht zwischen einem politisch bewußten, d. h. sich seiner Funktion und Rolle im Rahmen der politischen Gesamtordnung bewußten und sie bewußt vollziehenden Richter und einer — auch von ihnen nicht befürworteten — Parteipolitisierung des Richteramts und der Richterkarriere. Daß diesbezüglich bei einem rein parlamentarischen RiWA keinerlei potentielle Gefahrenpunkte bestünden, kann nur meinen, wem die Analysen politischer Entscheidungsprozesse in parlamentarischen, parteipolitisch strukturierten Gremien noch nicht bekannt geworden sind. Ein unverdächtiges Zeugnis aus praktischer Erfahrung sind insoweit die Ausführungen von Ad. Arndt, eines engagierten Parlamentariers, auf dem 40. Dt. Juristentag 15. Wie oben § 15 dargelegt, bestehen verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Beteiligung der Richterschaft an der Richterbestellung dann nicht, wenn diese Beteiligung nur als Balancierungselement i n den Entscheidungsprozeß eingebaut w i r d und nicht dazu führt, daß die Entscheidungsbefugnis selbst an die Richtervertreter i n der Form einer positiven oder negativen Kooptationsmöglichkeit übergeht. Das Problem der Richterbeteiligung als Balancierungselement der »Politik 4 liegt i n seiner konkreten Ausgestaltung 16 . Hier gilt es der Gefahr zu begegnen, daß die Richterbeteiligung anstatt gegenüber möglichen parteipolitischen Zugriffen neutralisierend zu wirken, i n eine Parteipolitisierung der Richterschaft umschlägt bzw. eine entsprechende Rückwirkung auslöst. Diese Gefahr besteht deshalb, w e i l Richterpersonalpolitik Politik ist und bleibt, wie immer sie organisiert sein mag (s. oben I.), und sich daher die strukturellen Eigentümlichkeiten politischen Handelns, das i n einer parteienstaatlichen Demokratie immer auch parteipolitisch bestimmtes Handeln ist, stets zur Geltung bringen werden 17 . 18

Vgl. die Darlegung oben § 151. Kübler, DRiZ 1969, S. 383 f., und Wassermann, Der politische Richter, S. 99 f. 15 Ad. Arndt, in: Verhandl. des 40. Dt. Juristentages, S. C 50 ff.; s. dazu ferner P. Schneider, in: Festschrift für OLG Zweibrücken, S. 267. 1β Vgl. allgemein dazu Loewenstein, Verfassungslehre, S. 241 ff. Ferner Friesenhahn, in: Verhandl. d. 40. Dt. Juristentages, S. C 112 f. 17 s. Ad. Arndt, in: Verhandl. des 40. Dt. Juristentages, S. C 47, 51 f. 14

3. Abschn.: Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 109 Es ist daher, auch unabhängig von den prinzipiellen verfassungsrechtlichen Einwänden, sehr bedenklich, der Richterbeteiligung einen Umfang zu geben, der die Richtervertreter über eine Balancierungsfunktion hinaus i n die politische Entscheidungsposition bringt. Damit würden sich, da die Richtervertreter dann unmittelbar politische Entscheidungsmacht ausübten, alle Probleme der Politisierung einschließlich der Parteipolitisierung bei der Wahl dieser Richtervertreter und damit i n die Richterschaft hinein stellen. Es gäbe neue Formen der (Standes-)Politisierung, und an die Stelle der Abhängigkeit von möglichen eijiseitigen parteipolitischen Zugriffen, die verhindert werden sollen, träte die Abhängigkeit von möglichen einseitigen standespolitischen Zugriffen und Präferenzen der politisch einflußreichen Richtervertreter, von denen keineswegs ausgeschlossen werden kann, daß sie m i t parteipolitischen Grundpräferenzen konvergieren (womit die Abhängigkeit sich dann kumulieren würde) 1 8 . Ebenso unterliegt es erheblichen Bedenken, die Richtervertreter i m RiWA durch das Parlament wählen zu lassen. Die Richtervertreter erhalten dadurch zwar eine demokratische und zugleich parlamentarische Legitimation. Aber der Versuch, auf diese Weise einerseits ein die parteipolitischen Kräfte balancierendes Element i n den RiWA hineinzubringen, andererseits dieses Element demokratisch-politisch durch die parteipolitischen Kräfte (in Form der Parlamentswahl) legitimieren zu lassen, kann nicht zum erwarteten Erfolg führen, weil er zuviel zugleich w i l l . Denn es kann nicht ausbleiben, daß die parteipolitischen Kräfte, wenn nicht beim ersten, so doch beim zweiten oder dritten Mal versuchen —und zwar legitimerweise versuchen —, jeweils ihre Richter i n den RiWA zu wählen, d. h. die eigene Bank i n die Richterbank hinein zu verlängern. Das entspricht allen Regeln parlamentarisch-politischer Logik und Erfahrung 1 0 . Es findet seine Bestätigung i n dem Wahlmodus, den der CDU-Entwurf des RichterwahlG (Drucks. 7/726) für die RichterMitglieder vorsieht. Die Vorschlagslisten auch für die Richter-Mitglieder werden danach von den Fraktionen aufgestellt (§ 3 II) und die Zahl der Sitze bemißt sich nach dem Stimmenanteil der verschiedenen Vorschläge (§3111). Der Versuch, den damit eröffneten politischen Zugriff auf die Richter sogleich wieder zu balancieren dadurch, daß die Fraktionsvorschläge nur Listen entnommen werden können, die auf eine Wahl durch die 18

Der These Loewensteins, Kooptation und Zuwahl, S. 190, daß die Kooptation i. d. R. eine besonders „sachbezogene Auswahltechnik" sei, kann daher nicht bzw. nur sehr bedingt zugestimmt werden. Vgl. auch die Bemerkung bei Ad. Arndt, in: Verhandl. d. 40. Dt. Juristentages, S. C 59. 19 Vgl. auch Kratz, DRiZ 1970, S. 15 (17); D. Bischoff, 29. Sitzung des JustizA des LT NW v. 20. 4. 72, Prot. 7/714, S. 5/6; weniger Bedenken in dieser Richtung hat demgegenüber Hennies, DRiZ 1972, S. 410 (412 f.).

110 Teil C: Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl Richter selbst zurückgehen, ist wenig effektiv. Denn einmal müssen diese Listen als offene, ergänzungsfähige angesehen werden, soll nicht die erstrebte demokratische Legitimation der Richter-Mitglieder wieder i n Frage gestellt werden 2 0 , zum andern kann und w i r d das Auswahlverfahren dann innerhalb solcher Vorschlagslisten betrieben werden, m i t einem für die Legitimationsbasis der beteiligten Richter besonders prekären Effekt. Auch der Weg, die Richter-Mitglieder dann m i t zu lassen, bietet keine Lösung des Problems. Nach i n gleichgelagerten Fällen ergibt sich daraus keine Balancierung, sondern der unaufhaltsame Trend eigene Anteil bleibt gewahrt und der des Anderen Entwicklung der Richterwahlen zum BVerfG gibt lichen Beleg.

2/3-Mehrheit wählen bisheriger Erfahrung Neutralisierung oder zur Quotierung: der w i r d respektiert. Die dafür einen anschau-

Die Balancierung von Politik und Richterschaft bei der Richterbestellung läßt sich daher sinnvoll und ohne Gefährdung des erstrebten Ziels wohl nur auf drei Wegen erreichen. Erster Weg: Die Einrichtung von sog. Personalkammern bzw. -Senaten bei den mittleren und oberen Gerichten, die das Recht haben, dem M i nister (nicht rechtsverbindliche) Vorschläge für neu zu besetzende Stellen zu unterbreiten — analog zu dem Vorschlagsrecht der Fakultäten an den Hochschulen 21 . Zweiter Weg: Die Amtsmitgliedschaft der Inhaber bestimmter Richterämter i m RiWA, was strukturell der Balancierung von Politik und Verwaltung nahe kommt. Dritter Weg: Die Wahl der Richtermitglieder des R i W A durch die Richter selbst — bei entsprechender, aus verfassungsrechtlichen und sachbedingten Gründen gebotener Begrenzung der Zahl dieser Richtermitglieder (Balancierungsanteil anstelle eines Mehrheits- oder Vetoanteils). I I I . Eine funktionssichernde Organisation der Richterbestellung hat neben der Abwehr einseitiger parteipolitischer Zugriffe und einer Parteipolitisierung der Richterfunktion noch einen zweiten, ebenso wichtigen Bezugspunkt: die Sicherung der Unbeteiligtheit und Neutralität der Rechtsprechung (in dem § 16 I entwickelten Sinn) gegenüber den ande20

s. oben §15 I I I . Dieser Weg wird seit langem in Österreich praktiziert; vgl. dazu Malaniuk, in: Verhandl. des 40. Dt. Juristentages, Bd. 2, S. C 79 f.; s. auch Stohanzl, in: Verhandl. des 4. österr. Juristentages, S. 43 ff., und Adamovich, ebd., S. 35, die aber das Vorschlagsrecht bindend ausgestalten wollen. Ferner Wagner, DRiZ 1960, S. 415. Über eine vergleichbare Regelung bei der Berufung der Mitglieder des bayr. VerwGH seit dessen erster Errichtung s. Kollmann, in: Verhandl. d. 40. Dt. Juristentages, S. C 90. 21

3. Abschn.: Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 111 ren staatlichen Gewalten, insbesondere den je beteiligten staatlichen Ressortinteressen, und gegenüber den Mächten und Gruppen der Gesellschaft, einschließlich schichtenspezifischer sozialer Interessen (siehe oben § 16 III.) 2 2 . Es fragt sich, durch welche Vorkehrungen diese Seite der Unabhängigkeit und Neutralität der Rechtsprechung i m Zusammenhang der Richterbestellung gesichert werden kann. 1. Ein erster Weg ist die Distanzierung der Richterbestellung von den Interessen der potentiell beteiligten Ressorts. Das ist vor allem für die Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit von Bedeutung. I n diesen Gerichtszweigen ist an allen Rechtsstreitigkeiten die staatliche Finanzverwaltung bzw. die übrige staatliche Verwaltung, einschließlich der kommunalen Selbstverwaltung, beteiligt. Die Unabhängigkeit und Neutralität der Rechtsprechung ist daher gerade hier wesentlich eine Frage der Neutralität und notwendigen Distanz gegenüber den Interessen der Verwaltung und der je beteiligten Verwaltungszweige. Das lange geübte System der Hausgerichtsbarkeiten, das die Verwaltungsgerichte vom Innenminister bzw. Ministerpräsidenten, die Finanzgerichte vom Finanzminister ressortieren ließ und diesen das Ernennungs- und Beförderungsrecht zuerkannte, stand dazu i n deutlichem Kontrast. Es enthielt alle organisatorisch-institutionellen Voraussetzungen, um ,verwaltungsfrommen' Richtern besondere Karrierechancen einzuräumen, und beeinträchtigte dadurch die richterliche Unabhängigkeit gerade in der Richtung, wo sie einer Stützung bedurfte 23 . Anders gelagert ist die ressortmäßige Interessiertheit des Arbeits- und Sozialministers i m Hinblick auf die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, die derzeit von i h m ressortiert. Die Arbeits- und/oder Sozial Verwaltung ist, anders als die Finanz- oder die sonstige staatliche Verwaltung, nicht notwendigerweise unmittelbar, d. h. als Prozeßpartei, an den hier einschlägigen Rechtsstreitigkeiten beteiligt. Eine Interessiertheit des A r beits· und Sozialministers besteht jedoch insofern, als i h m ressortmäßig eine Sachwalterschaft für die spezifischen Angelegenheiten und Anliegen zweier großer, sich überwiegend deckender sozialer Gruppen obliegt, nämlich der Arbeitnehmer und der Sozialversicherten. Die Vorschlagsbzw. Auswahlrechte des Arbeits- und Sozialministers für die Richter der Arbeits- und Sozialgerichte i m Landesbereich 24 bewirken daher auch eine 22 Bettermann, in: Die Grundrechte, Bd. III, 2, S. 525, spricht diesbezüglich von der Staatsunabhängigkeit und Gesellschaftsunabhängigkeit; beide sind Voraussetzung dafür, daß die Unabhängigkeit und Neutralität gegenüber den Prozeßparteien nicht nur eine formale, sondern eine sachinhaltliche ist. 23 s. die scharfe Kritik bei Ad. Arndt, in: Verhandl. des 40. Dt. Juristentages, Bd. 2, S. C 51; Scheuner, DÖV 53, S. 520 (522); ferner Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit, S. 222. 24 Vgl. dazu die Ubersicht bei Bettermann, in: Die Grundrechte, Bd. III, 2, S. 611 u. 614.

112 Teil C: Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl Form von Hausgerichtsbarkeit. Diese unterliegt deshalb erheblichen Bedenken, w e i l i n der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit die sog. Laienrichter (Arbeitsrichter und Sozialrichter) Vertreter der Sozialpartner und der kassenärztlichen Vereinigungen bzw. Versicherten auf der Grundlage entsprechender Vorschlagsrechte der beteiligten Organisationen sind. Bei der Bestellung der Berufsrichter an den (Landes-)Arbeits- bzw. Sozialgerichten ist daher die Sicherstellung der Unbeteiligtheit und Neutralität von besonderem Gewicht. Diese w i r d indes durch das materielle Ernennungs- bzw. Beförderungsrecht des sachwalterschaftlich i. S. bestimmter, nicht aller beteiligten Gruppen interessierten Ressortministers eher beeinträchtigt als gefördert. Deshalb gilt es, auch insoweit die Einheit der rechtsprechenden Gewalt zur Geltung zu bringen. A m konsequentesten ist darin der CDU-Entwurf (Drucks. 7/726). Das Vorschlagsrecht gegenüber dem RiWA ebenso wie das nachträgliche Zustimmungsrecht liegt danach für die Richter aller Gerichtszweige beim Justizminister (§ 9 Abs. 1, § 11). Diese Lösung ist allerdings derzeit m i t Rücksicht auf geltendes Bundesrecht nur für die Sozialgerichtsbarkeit, nicht für die Arbeitsgerichtsbarkeit voll verwirklichbar, w e i l nach §§ 15, 18, 36 ArbGG sowohl die Dienstauf sieht des A r beitsministers über die Arbeitsgerichte i m Landesbereich als auch ein Vorschlagsrecht für die Berufsrichter der Arbeitsgerichtsbarkeit bundesgesetzlich festgeschrieben sind 2 5 . Der SPD-Entwurf (Drucks. 7/1066) beläßt dem Arbeits-/Sozialminister das Vorschlagsrecht gegenüber dem RiWA, legt aber das nachträgliche Zustimmungsrecht allein i n die Hand des Justizministers (Art. I, § 6 i Abs. 1). Das dürfte, was die Arbeitsgerichtsbarkeit angeht, mit § 18 ArbGG noch vereinbar sein, w e i l das (alleinige) Vorschlagsrecht des A r beitsministers dadurch nicht berührt wird, die Ausgestaltung des Ernennungsverfahrens i m übrigen aber auch nach § 18 I landesgesetzlicher Regelung vorbehalten ist. Fraglich ist indes, wieweit das Gegenvorschlagsrecht des Präsidialrats, das der SPD-Entwurf vorsieht (Art. I § 6 g Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 33 Abs. 2), m i t § 18 ArbGG vereinbar ist. Da dieses Gegenvorschlagsrecht dazu führen kann, daß ein vom Arbeitsminister nicht vorgeschlagener Bewerber für das betreffende Richteramt ernannt w i r d (Art. I § 6 h Abs. 1 i. V. m. § 6 i Abs. 1), muß das wohl verneint werden. Einer Zusammenfassung der Ernennungs- oder Vorschlagsrechte für alle Gerichtszweige beim Justizminister stehen keine den bisher geltend gemachten Bedenken vergleichbaren Einwendungen gegenüber. Der Ju25

Die entsprechenden Vorschriften des SozGG verweisen demgegenüber auf die „Landesregierung oder die von ihr beauftragte Stelle" für die Dienstaufsicht (§ 9 Abs. 3) bzw. auf die „nach Maßgabe des Landesrechts" zuständige Stelle für das Vorschlagsrecht. Damit ist die Übertragung beider Befugnisse an den Justizminister offengehalten.

3. Abschn.: Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 113 stizminister ist m i t seinem Ressortinteresse gerade auf eine adäquate Funktionssicherung der Rechtsprechung als solcher bezogen und, abgesehen von Rechtsstreitigkeiten i m Rahmen des Strafvollzugs, grundsätzlich nicht als Verfahrensbeteiligter involviert. Auch der Umstand, daß die Staatsanwaltschaft von i h m ressortiert, bringt den Justizminister nicht i n eine solche Lage, da die Staatsanwaltschaft nach unserer Rechtsordnung nicht als Prozeßpartei und i n einer Parteirolle, sondern als Organ der Rechtspflege auftritt. 2. Die Distanzierung der Richterbestellung von der Einflußnahme gesellschaftlicher Mächte und sozialer Gruppen kann nicht gerade durch ein Verfahren der Richterbestellung erreicht werden. Wie die gesellschaftlichen Mächte und sozialen Gruppen ihren Einfluß vielfältig, direkt und indirekt, und bei jedem System der Richterbestellung suchen, bedarf es auch vielfältiger Balancierungsfaktoren, die i n die Systeme der Richterbestellung eingebaut werden müssen, um diesbezüglich die Unabhängigkeit der Richterbestellung zu stützen. Ausschlaggebend dafür ist einmal die stete organisatorische und verfahrensmäßige Absicherung der Geltendmachung des verfassungsrechtlich ohnehin verbürgten Eignungsprinzips (Art. 33 I I GG), zum andern die Verbindung dieser Geltendmachung des Eignungsprinzips mit der Offenheit des Zugangs zum Richterberuf und höheren Richterämtern für Angehörige aller Konfessionen, gesellschaftlichen Gruppen, sozialen Schichten. Neutralität und Unabhängigkeit i n diesem gesellschaftlichsozialen Sinn setzt beides voraus: als negatives Moment den Ausschluß des Vorranges konfessioneller, gesellschaftlicher, schichtenspezifischer Zugehörigkeiten vor der fachlichen Eignung, als positives Moment den Umstand, daß Träger der Rechtsprechungsfunktion i n der Wirklichkeit und i m Bewußtsein der Bürger nicht „die anderen" sind, eine gesellschaftlich-sozial,fremde* Gruppe, sondern auch die jeweils eigene Gruppe, fachliche Eignung vorausgesetzt, darin gleichberechtigt zum Zuge kommt und vertreten ist. Die letztgenannte Voraussetzung ist vor allem auch deshalb wichtig, damit die gruppen- und homogenitätsbildende K r a f t der richterlichen Berufstätigkeit nicht zugleich zu einer gesellschaftlich-sozialen Verfestigung und Abschließung führt, die die gesellschaftlich-soziale Neutralität der Rechtsprechung beeinträchtigt. Unter diesem Gesichtspunkt erhalten die schon aus anderen Erwägungen empfohlenen Balancierungselemente i n der Organisation der Richterbestellung ein zusätzliches Gewicht. Ebenso wie diese geeignet erscheinen, einseitiger politischer Parteilichkeit zu steuern bzw. sie zu neutralisieren, vermögen sie das i. d. R. auch gegenüber gesellschaftlichsozialer Parteilichkeit. Die Beteiligung der Vertreter politischer Parteien an der Richterbestellung über die RiWAe erhält von daher eine neue 8

Böckenförde

114 Teil C: Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl Funktion. Dadurch werden, nicht zuletzt wegen der Konkurrenzsituation der verschiedenen politischen Gruppen, spezifisch gesellschaftlich-soziale Parteinahmen eher neutralisiert. Anderseits empfiehlt sich auch unter diesem Gesichtspunkt eine nur begrenzte, auf eine Balancierungs- und nicht eine Veto- oder Kooptationsposition ausgerichtete Beteiligung von Richter(vertreter)n an der Richterbestellung. Kooptationspositionen haben nicht nur ihre Bedenken i m Hinblick auf die demokratische Legitimation, sondern ebenso i m Hinblick auf die gesellschaftlich-soziale Neutralität der Richter. Gänzlich abzulehnen sind Vorschlagsrechte, auch indirekter A r t , für bestimmte gesellschaftliche Kräfte und/oder soziale Gruppen, sofern sie über bloße Anregungen, denen keine besondere Verbindlichkeit zukommt, hinausgehen. Die Entwicklung zur Präsentation und zum Proporz wäre dann kaum noch aufzuhalten. IV. Verschiedentlich wird, teils i m Hinblick auf die gewandelte Funktion der Rechtsprechung, d. h. ihre Teilnahme an der Rechtsetzung, teils unabhängig davon, eine Verstärkung der demokratischen Legitimation der rechtsprechenden Gewalt gefordert. Es geht dabei nicht u m die Herstellung der demokratischen Legitimation überhaupt, die ein zwingendes verfassungsrechtliches Gebot ist (s. oben § 13), sondern um ihren stärkeren Ausbau gegenüber bisherigen Formen als ein Mittel der funktionssichernden Organisation der Rechtsprechung. Dieser stärkere Ausbau w i r d vor allem i n der Beteiligung der Parlamente bzw. vom Parlament gewählter Gremien (RiWAe) an der Richterbestellung gesehen 26 . A n dieser Auffassung ist zutreffend, daß die rechtsprechende Gewalt einer klaren demokratischen Legitimation bedarf und daß diese demokratische Legitimation, wegen der Unabhängigkeit des Richters i n seiner Amtstätigkeit, vorwiegend bei der Richterbestellung wirksam werden muß 2 7 . Nicht u m die Unabhängigkeit und Neutralität der Rechtsprechung abzufangen oder zu begrenzen, sondern u m i h r die notwendige demokratische Absicherung und Anerkennung zu verschaffen, ist die klare demokratische Legitimation der Richterbestellung von besonderer Wichtigkeit. Jede funktionssichernde Organisation der Richterbestellung muß diesen Zusammenhang i m Auge behalten und sollte es daher nicht bei dem verfassungsrechtlich noch eben haltbaren M i n i m u m an demokratischer Legitimation bewenden lassen 28 . Eine andere Frage ist, inwieweit ein Ausbau der demokratischen Legitimation notwendigerweise eine unmittelbar parlamentarische Legitimation der Richterbestellung erfordert. Die dafür vorgetragenen 26

s. etwa Kübler, DRiZ 1969, S. 383; Uhlitz, DRiZ 1970, S. 220 (222); Hennies, DRiZ 1972, S. 410 (412) ; Wassermann, Der politische Richter, S. 98 f. 27 s. oben §13II. 28 s. dazu oben § 1412, S. 77.

3. Abschn.: Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 115 Gründe beziehen sich i m wesentlichen darauf, daß der Rechtsprechung heute eine dem Gesetzgeber vergleichbare, wenn auch umfänglich geringere politische Rechtsgestaltungsaufgabe zukomme und sie daher einer Legitimation durch das unmittelbar zur Gesetzgebung berufene und vom Volk legitimierte Organ bedürfe 29 . Diese Folgerung wäre schlüssig, würde ihre Voraussetzung zutreffen. Es ist indessen bereits eingehend dargelegt worden, daß und wie sich der fraglos bestehende Anteil der Rechtsprechung an der Rechtsbildung von dem des Gesetzgebers qualitativ unterscheidet und daß gerade das Element politisch motivierter Rechtsgestaltung nicht dem Richter, sondern dem Gesetzgeber zugewiesen ist (oben § 16 II). Daher fehlt aber der Forderung nach unmittelbar parlamentarischer Legitimation der Richterbestellung die Stringenz, die ihre Befürworter oft i n Anspruch nehmen. Das heißt nicht, daß eine solche parlamentarische Legitimation nicht i n sich sinnvoll sein kann. Nur ergibt sie sich nicht bereits als die einzig funktionsadäquate Form demokratischer Legitimation der Rechtsprechung, der folglich eine A r t von Unabdingbarkeit zukommt. Sie erhält ihren Sinn vielmehr daraus, daß sie dem Richter eine breitere demokratische Basis und einen stärkeren demokratischen Rückhalt zu vermitteln vermag als die Bestellung allein durch die Exekutive, und dies gerade auch i m Sinne der Anerkennung der Besonderheit seiner Funktion und der zu ihr gehörenden Unabhängigkeit und Neutralität. Aus dieser Begründung heraus ist sie freilich auch m i t anderen Gesichtspunkten einer funktionssichernden Organisation der Richterbestellung vermittelbar, behauptet ihnen gegenüber nicht schon eo ipso einen unabdingbaren demokratischen Vorrang 3 0 .

§ 18. Folgerungen im Hinblick auf die Zusammensetzung/Funktionsbestimmung von RiWAn Etliche Folgerungen, die sich aus den verschiedenen, i n § 17 erörterten Gesichtspunkten einer funktionssichernden Organisation der Richterbestellung für die Zusammensetzung/Funktionsbestimmung von R i W A n ergeben, sind i m Laufe dieser Erörterungen schon deutlich geworden. Sie brauchen hier i m einzelnen nicht wiederholt zu werden. Diese Folgerungen sind allerdings nur zum Teil parallellaufend, zum Teil stehen sie i n einem alternativen oder einem Spannungsverhältnis zueinander. Insoweit muß zwischen ihnen eine Abwägung stattfinden oder ein Ausgleich gefunden werden. Das zu tun, ist Sache des Gesetzgebers, nicht mehr die Aufgabe einer rechtsgutachtlichen Untersuchung. 29

97 ff. 80



s. Kühler, DRiZ 1969, S. 383; Wassermann, Der politische Richter, S. 24 ff., Vgl. dazu auch Eichenherger, Die richterliche Unabhängigkeit, S. 223 f.

Teil C: Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl Die folgenden Ausführungen suchen daher nur einige spezielle Folgerungen, die sich aus den Ausführungen i n § 16 und § 17 i m Blickpunkt auf die dem Landtag zur Beratung vorliegenden Gesetzentwürfe ergeben, abschließend aufzuzeigen und zu erläutern. Die Frage des „Ob" der Richterwahl, d. h. ob die Richterbestellung durch Beteiligung von R i W A n geregelt werden soll, w i r d dabei i m Sinne des Gutachtenauftrags auch hier als politisch vorentschieden nicht weiter verfolgt. I. Die Zuordnung von Exekutive und RiWA i m Verfahren der Richterbestellung ist i n beiden Gesetzentwürfen unterschiedlich geregelt. Der SPD-Entwurf (Drucks. 7/1066) beläßt dem Minister bzw. der Landesregierung das Übergewicht und begrenzt den RiWA auf eine qualifizierte Mitwirkung, die unterhalb der Mitentscheidung verbleibt (s. oben § 4 II), der CDU-Entwurf (Drucks. 7/766) hingegen geht von einem gleichberechtigten Mitentscheidungsrecht von Justizminister und RiWA aus 1 (s. oben § 41). I m Sinne der Ausführungen über die Möglichkeiten der Balancierung der Richterbestellung zwischen Exekutive und Legislative (§ 17 I I 1) ist hier, wenn man sich für den R i W A entscheidet, einer echt balancierenden, d. h. auf grundsätzlicher Gleichberechtigung beruhenden Lösung der Vorzug zu geben. Dies aus dem Grunde, weil die Beteiligung eines vom Parlament gewählten RiWA an der Richterbestellung i n jedem Fall, wie oben dargelegt, weitergehende parlamentarische Kontrollmöglichkeiten, gegenüber dem RiWA ebenso wie gegenüber dem durch den RiWA abgedeckten Minister, obsolet werden läßt. Ist der RiWA dann nicht i n eine Position gebracht, die i h n als volles Balancierungs- und Kontrollelement zur Geltung bringt, so geht die i n der vollen parlamentarischen Verantwortlichkeit und Kontrolle liegende, potentiell durchaus wirksame Balancierung des entscheidungsbefugten Ministers verloren, ohne daß eine gleichwertige an ihre Stelle tritt. II. Für die Zusammensetzung des R i W A haben sich i n der bisherigen Entwicklung der Richterwahl verschiedene Typen herausgebildet. Werden die Mitglieder des R i W A sämtlich vom Parlament gewählt, spricht man vom parlamentarischen Modell, werden sie nur zum Teil vom Parlament gewählt, zum Teil hingegen von der Richterschaft gewählt und/oder von der Exekutive bestellt bzw. aus Amtsmitgliedschaften gewonnen, so spricht man vom parlamentarisch-kooptativen, parlamen1 Das setzt sich bis in die Verfahrensregelungen hinein fort. Nach dem SPDEntwurf werden dem RiWA überhaupt nur die Unterlagen der drei vom Minister vorgeschlagenen Bewerber, einschließlich evtl. Gegenvorschläge des Präsidialrats, vorgelegt; er kann nur aus diesen Vorschlägen „wählen" (Art. I § 6 g Abs. 1 S. 2, § 6 h Abs. 1 u. 3), und dies evtl. im schriftlichen Verfahren. Nach dem CDU-Entwurf erhält der RiWA demgegenüber die Unterlagen aller Bewerber und kann, wenn er den vom Minister Vorgeschlagenen ablehnt, selbst aus dem Kreis der Bewerber wählen (§ 9 Abs. 1 u. 3).

3. Abschn. : Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 117 tarisch-exekutiven bzw. -amtsmitgliedschaftlichen oder vom parlamentarisch-kooptativ-exekutiven Modell. Innerhalb des parlamentarischen und des parlamentarisch-exekutiven Modells ist weiterhin zu unterscheiden, ob die Mitglieder aus der Mitte des Parlaments oder nur vom Parlament gewählt werden müssen. Je nachdem handelt es sich um ein rein parlamentarisches oder ein parlamentarisch-gemischtes Modell des RiWA. Das parlamentarisch-gemischte Modell kann dann wieder, je nachdem, ob das Parlament i n der Wahl von Nichtparlamentariern frei oder an Vorschlagslisten gebunden ist, zwei Varianten aufweisen, nämlich den uneingeschränkt oder den eingeschränkt parlamentarischgemischten Typ 2 . Ordnet man die bisher errichteten RiWAe der hier entwickelten Einteilung zu, die ihrerseits an für die Organisation der Richterbestellung erhebliche, nicht bloß periphere Merkmale anzuknüpfen sucht, so ergibt sich folgendes. Die RiWAe i n Hamburg und Bremen gehören dem parlamentarischkooptativ-exekutiven Modell an — die Exekutive i n der Gestalt des zuständigen Ministers steht nicht dem RiWA als eigener Entscheidungsträger gegenüber, sondern verfügt über drei Sitze i m RiWA, der allein über die Richterberufung entscheidet. Der RiWA i n Hessen verwirklicht das uneingeschränkt parlamentarisch/gemischt-amtsmitgliedschaftliche Modell; i h m gehören neben den vom Landtag gewählten Mitgliedern Inhaber hoher Richterämter kraft Amtes sowie ein Vertreter der Rechtsanwaltschaft an. Der R i W A i m Bund folgt dem uneingeschränkt parlamentarisch/gemischt-exekutiven Modell, der i n Berlin dem eingeschränkt parlamentarisch/gemischten Modell. Die neugeschaffenen RiWAe i n Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg (neuestens auch RheinlandPfalz) ordnen sich demgegenüber, i n unterschiedlicher Akzentuierung, dem parlamentarisch-kooptativen Modell ein 3 . Der i m SPD-Entwurf (Drucks. 7/1066) vorgesehene RiWA ist erstmals einer des rein parlamentarischen Modells, während der des CDU-Entwurfs dem eingeschränkt parlamentarisch/gemischten Modell, ähnlich dem Berliner RiWA, zuzurechnen ist. Die Vielfalt und Uneinheitlichkeit der bisher getroffenen Regelungen ist ein Anzeichen dafür, daß der Zusammensetzung des R i W A einerseits i n der Organisation der Richterbestellung eine erhebliche, auch politische 1 Die von K. Ipsen, DÖV 1971, S. 469 (472 ff.) vorgenommene Klassifikation der Modelle der Richterwahl nach parlamentarischen, exekutiven und kooptativen Elementen ist mit der hier gegebenen nicht gleichbedeutend, weil bei Ipsen der Anknüpfungspunkt nicht, wie hier, nur die Zusammensetzung des RiWA, sondern auch der Gesamtvorgang der Richterbestellung ist. 8 Die Belege für die Zusammensetzung und den Wah7modus der RiWAe bei K. Ipsen, DÖV 1971,469 (470 f.) ; seitdem noch §§ 46 - 48 bad.-württ. RichterG i. d. F. v. 19. 7. 1972 (GBl. S. 431), §§38-39 a rh.-pf. RichterG i. d. F. v. 3.12.1973 (GVB1. S. 376).

118 Teil C: Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl Bedeutung zukommt, diese Frage anderseits noch sehr i n Fluß ist und eine vorherrschende, von einer allgemeinen Ubereinstimmung getragene Lösung sich noch nicht abzeichnet. Haben die früheren Darlegungen (§ 17 I I u. III) zu dem Ergebnis geführt, daß eine funktionssichernde Organisation der Richterbestellung am ehesten durch den Einbau balancierender Elemente, und zwar balancierender Elemente nicht nur i n einer, sondern i n mehreren Richtungen, erreicht wird, so folgt daraus, daß auch für die Zusammensetzung des R i W A balancierende Lösungen den Vorzug vor rein monistischen verdienen. Die bloße Balancierung der Richterbestellung zwischen Exekutive und Legislative, vertreten durch Minister und parlamentarischen RiWA, ist, wie dargelegt, i n einer parteienstaatlich-parlamentarischen Demokratie notwendigerweise von nur begrenzter W i r kung, weil Regierung (Minister) und Parlamentsmehrheit ( p a r t e i p o l i tisch strukturgleich sind; die „Politik" bleibt unter sich. Auch die Einführung einer qualifizierten Mehrheit für Entscheidungen des RiWA w i r d nach bisheriger Erfahrung keine Balancierung des parteipolitischen Elements, sondern eher eine Quotierung innerhalb desselben bewirken (oben § 17 I I 1). Aus diesen Gründen ist es angezeigt, wenn der R i W A an der Richterbestellung mitentscheidend beteiligt ist, ein die „ P o l i t i k " balancierendes Element (auch) i n den RiWA selbst hineinzunehmen. Das läßt sich auf verschiedene Weise verwirklichen. Eine relativ schwache Form solcher Balancierung, eher nur ein Ansatz dazu, liegt darin, daß das Parlament neben Abgeordneten auch i m Rechtsleben erfahrene Personen i n den RiWA wählen kann bzw. muß 4 . Eine andere, schon wirksamere Form besteht i n der Amtsmitgliedschaft bestimmter Amtsträger der Gerichtsbarkeit i m R i W A ; wieder eine andere, heute vor allem ins Auge gefaßte, stellt die Mitgliedschaft von Richtervertretern i m R i W A dar. Eine gewisse Balancierung läßt sich ferner erreichen, indem der oder die Obergerichtspräsidenten bzw. Vertreter des Präsidialrats, für deren Gerichtsbereich Richterstellen zu besetzen sind, m i t Rederecht an den Beratungen des RiWA teilnehmen. Wichtig ist, daß es sich einerseits nur um balancierende Lösungen handelt, anderseits aber auch um die Politik echt balancierende, nicht auf Umwegen bestätigende oder gar verstärkende Lösungen. Insoweit 4

Als Kann-Lösung (ohne anteilmäßige Begrenzung) vorgesehen für die Wahlmitglieder des RiWA im Bund (§ 4 Ri WG), in Hamburg (§ 9 RiWG v. 1964) und Hessen (§§ 10 - 11 RiG v. 1962). Für den RiWA im Bund hat das, laut einer Aufstellung des Bundes Justizministeriums, dazu geführt, daß von den 9 - 1 1 Wahlmitgliedern jeweils 1 bis 2 Mitglieder und Stellvertreter höhere Richter, Generalstaatsanwälte, Rechtsanwälte etc. waren bzw. sind. Allerdings handelte) es sich bei diesen Personen überwiegend um ehemalige Parlamentarier oder Mitglieder eines Landesparlaments.

3. Abschn. : Adäquate Funktionssicherung der rechtsprechenden Gewalt 119 geben beide Vorschläge, die dem Landtag derzeit vorliegen, zu Bedenken Anlaß. I m SPD-Rntwurf fehlt das balancierende Element innerhalb des RiWA ganz, er entspricht dem rein parlamentarischen Modell; i m CDU-Entwurf ist zwar ein balancierendes Element i n Form der RichterMitglieder vorhanden, aber — durch die parlamentarische Wahl nach Fraktionslisten — i n einer Weise, die es als balancierendes Element nicht v o l l zum Tragen kommen läßt, sondern eher selbst der (Partei-) Politisierung aussetzt. Wählt man diese Balancierungsart, wäre es folgerichtiger, weniger Richtervertreter sowie einen anderen Entscheidungsmodus vorzusehen, die Richtervertreter dann aber von der Richterschaft wählen zu lassen. I I I . Nicht übersehen werden darf schließlich folgendes Moment. I n dem Maße, i n dem die von der Richterschaft der jeweiligen Gerichtszweige gewählten Präsidialräte an der Richterbestellung beteiligt werden, durch Anhörungs-, Stellungnahme- oder evtl. auch Gegenvorschlagsrechte, entsteht bei einer zusätzlichen Beteiligung von Richtervertretern i m RiWA das Problem der Doppelbeteiligung der Richter an der Richterbestellung. A u f diese Weise können sich einmal zwei Balancierungselemente, die jedes für sich genommen sinnvoll sind, in ihrer Kumulation zu einem Kooptationselement verdichten, das den Einfluß und das spezifische Berufs- und Gruppeninteresse der Richter zu stark macht und überdies der demokratischen Legitimation entbehrt. Dies ist ζ. B. der Fall bei der Regelung der Richterbestellung in Baden-Württemberg und neuestens in Rheinland-Pfalz. Der Präsidialrat hat hier gegenüber Ernennungsvorschlägen des Ministers eine Art Widerspruchs- und Gegenvorschlagsrecht, das zur Entscheidungsverlagerung auf einen RiWA führt, der seinerseits mehrheitlich mit Richter-Mitgliedern, die von der Richterschaft gewählt sind, besetzt ist und mit 2/3-Mehrheit entscheidet5. Zum anderen kann es leicht zu einer Rivalität zwischen beiden, jeweils von den Richtern selbst gewählten ,Richtervertretungen' kommen, die zu Auseinandersetzungen darüber führt, welche dieser Vertretungen eigentlich die Belange der Richter vertritt, welche ,sachlich', welche »politisch' orientiert ist u. a. m. Hat der Präsidialrat über Anhörungsrechte hinaus auch Stellungnahme- und Gegenvorschlagsrechte, kommen die Richter-Mitglieder i m RiWA notwendig i n die Situation, zwischen den Vorschlägen des Ministers und denen ihrer — ebenfalls von der Richterschaft gewählten — Kollegen entscheiden zu müssen. Daß hierin ein besonders sinnvolles und funktionsfähiges Balancierungselement liegen soll, ist nicht einzusehen. Es ist daher zu empfehlen, die Beteiligung gewählter Richtervertreter als eines effektiven Balancierungselements, wenn sie erfolgen soll, ent5

Vgl. dazu im einzelnen oben § 15 12, S. 82 f.

120 Teil C: Verassungsrechtliche Strukturprinzipien und die Richterwahl weder über entscheidungserhebliche Befugnisse des Präsidialrats oder über eine Mitgliedschaft i m R i W A vorzusehen, nicht aber auf beiden Wegen zugleich.

Zusammenfassung der Ergebnisse (anhand der einzelnen, vom Justizausschufi des Landtages NW für die Untersuchung aufgestellten Fragepunkte)

I. 1. Umfaßt das durch Art. 58 L V gewährleistete regierung zur Ernennung der „Landesbeamten u Ernennung der Richter im Landesdienst?

Recht der Landesauch das Recht zur

Das durch A r t . 58 L V gewährleistete Recht der Landesregierung zur Ernennung der „Landesbeamten" umfaßt auch das Recht zur Ernennung der Richter i m Landesdienst [s. § 1, S. 24 ff.]. 2. Falls Frage 1 bejaht wird: Umfaßt das Ernennungsrecht der Landesregierung hinsichtlich der Richter im Landesdienst neben der formellen Seite (Ausfertigung der Ernennungsurkunde) auch die materielle Entscheidung (Auswahl des anzustellenden oder zu befördernden Bewerbers)? Das Ernennungsrecht der Landesregierung hinsichtlich der Richter i m Landesdienst umfaßt neben der formellen Seite (Ausfertigung der Ernennungsurkunde) auch die materielle Seite (Auswahl des anzustellenden oder zu befördernden Bewerbers) [s. § 2, S. 34]. 3. Falls Frage 2 bejaht wird: Wäre das Ernennungsrecht der Landesregierung verfassungswidrig beeinträchtigt, wenn es auf einen Stichentscheid zwischen Personalvorschlägen des zuständigen Ministers und den Gegenvorschlägen des Präsidialrats reduziert würde (vgl. Artikel I Nr. 2 — §§ 6 g Abs. 1, 6 h Abs. 1,6% Abs. 2 — und Nr. 7-33 Abs. 2 des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion, LT-Drucks. 7/1066)? Vorbemerkung: Die Frage ist insofern nicht zutreffend fornluliert, als der Landesregierung nach dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion (Drucks. 7/1066), Art. I Nr. 2 §§ 6 g Abs. 1, 6 h Abs. 1, 6 i Abs. 2 im Falle der Nichtübereinstimmung von Minister und Richterwahlausschuß nicht nur ein „Stichentscheid", sondern, wie unter § 4 I I der Untersuchung dargelegt, auch ein positives Auswahlrecht, zumindest unter den Vorgeschlagenen, zukommt. Die Antwort geht von diesem Interpretationsbefund aus.

122

Zusammenfassung der Ergebnisse

Das Ernennungsrecht der Landesregierung w i r d nicht verfassungsw i d r i g beeinträchtigt, wenn es auf das sich aus A r t . I Nr. 2 §§ 6 g Abs. 1, 6 h Abs. 1, 6 i Abs. 2 des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion (Drucks. 7/1066) ergebende Auswahlrecht reduziert w i r d [s. § 3 I I und § 4 II, S. 31 f., 36 ff.]. Verfassungswidrig beeinträchtigt w i r d jedoch das Recht der Landesregierung nach A r t . 58 S. 2 LV, nur selbst das Ernennungsrecht oder Teilbefugnisse daraus auf andere Organe zu übertragen [s. § 4 II, S. 38]. 4. Falls Frage 2 oder 3 bejaht wird: Ergibt sich aus Art. 98 IV GG i. V. m. Art. 31 GG eine Befugnis des Landes Nordrhein-Westfalen, durch einfaches Gesetz für die Anstellung der Richter (Übertragung eines Eingangsamtes) die Richterwahl nach Maßgabe der Gesetzentwürfe in den LT-Drucksachen 7/726 und 7/1066 einzuführen und insoweit das Ernennungsrecht der Landesregierung aus Art 58 LV einzuschränken? Aus A r t . 98 I V i. V. m. A r t . 31 GG ergibt sich keine Befugnis des Landesgesetzgebers, durch einfaches Gesetz für die Anstellung der Richter (Übertragung eines Eingangsamtes) die Richterwahl nach Maßgabe der Gesetzentwürfe LT-Drucks. 7/726 und 7/1066 einzuführen, insoweit durch diese das Ernennungsrecht der Landesregierung nach A r t . 58 L V beeinträchtigt w i r d [s. § 6 I I I , § 7 I I u. I I I , § 8 II, S. 48 ff., 54 f., 57 f.].

Π. Welche Folgerungen sind aus den verfassungsrechtlichen Vorschriften für die Zusammensetzung des Richterwahlausschusses zu ziehen, insbesondere: 1. Wäre eine Mitgliedschaft von Richtern verfassungsrechtlich wenn diese durch das Parlament gewählt werden?

zulässig,

Für eine Mitgliedschaft von Richtern i n R i W A n gilt, wenn die Richter durch das Parlament gewählt werden, folgendes: a) Eine solche Mitgliedschaft ist i m Hinblick auf das Prinzip der demokratischen Legitimation dann verfassungsrechtlich zulässig, wenn das Parlament über eine hinreichend freie Auswahlmöglichkeit verfügt, insbes. nicht an abschließende bzw. bindende Vorschlagslisten der Richterschaft oder Richterverbände gebunden ist [s. § 15 I I I u. II, S. 84 ff., 83]. Verfügt das Parlament nicht über eine hinreichend freie Auswahlmöglichkeit, ist eine solche Mitgliedschaft nur insoweit verfassungsrechtlich zulässig, als dadurch keine positive oder negative Kooptations-

Zusammenfassung der Ergebnisse position (Vetoposition) für die Richter-Mitglieder begründet w i r d [s. § 15 I I I i. V. m. § 151, S. 84 f., 81 f.]. b) Unter dem Gesichtspunkt einer die Funktion der rechtsprechenden Gewalt sichernden Organisation der Richterbestellung unterliegt eine solche Mitgliedschaft jedoch erheblichen Bedenken, weil sie die RichterMitglieder nicht als die Politik echt balancierendes Element zur Geltung bringt, sondern, insbes. bei einer Wahl nach Vorschlagslisten der Fraktionen, selbst einer Politisierung aussetzt [s. § 17 I I 3 und § 18 I I , S. 108 f.]. 2. Wie wäre die Frage 1 zu beantworten, wenn die richterlichen glieder unmittelbar durch die Richterschaft gewählt würden?

Mit-

Werden die Richter als Mitglieder des R i W A von der Richterschaft unmittelbar gewählt, so ist eine solche Mitgliedschaft nur insoweit verfassungsrechtlich zulässig, als dadurch keine positive oder negative Kooptationsposition dieser Mitglieder i n das Richterbestellungsverfahren eingebaut wird. Eine positive Kooptationsposition liegt dann vor, wenn die Richter-Mitglieder i m Konfliktfall (zwischen Minister und RiWA) das Bestimmungsrecht über die Berufung oder Nichtberufung eines Richters innehaben; eine negative Kooptationsposition liegt dann vor, wenn die Richter-Mitglieder i n diesem Fall die Berufung eines bestimmten Richters endgültig verhindern können [s. § 15 I i. V. m. § 14 12 u. 3, S. 81 f., 77 ff.]. 3. Inwieweit könnte man bei derartigen Regelungen von einer Kooptation der Richterschaft oder von kooptationsähnlichen Überlegungen sprechen, und zwar insbes., wenn für die Ausschußentscheidungen eine Zweidrittelmehrheit vorgesehen wird (vgl. §10 Abs. 1 des CDU-Entwurfs)? a) Bei Regelungen, die die Richter-Mitglieder i m R i W A unmittelbar durch die Richterschaft wählen lassen, kann immer dann von Kooptation oder kooptationsähnlichen Überlegungen gesprochen werden, wenn die Richter-Mitglieder entweder i n der Lage sind, i m Konfliktfall die Berufung eines bestimmten Richters positiv durchzusetzen (positive Kooptation) oder negativ zu verhindern (negative Kooptation). Wann das der Fall ist, läßt sich nicht abstrakt nach der Anzahl der Richter-Mitglieder i m RiWA bestimmen, sondern erst aus der Verbindung dieser Anzahl m i t der Funktion des RiWA bei der Richterberufung und dem Entscheidungsmodus des R i W A (einfache oder 2/3-Mehrheit) [§ 14 I 3, S. 77 ff.]. b) Bei Regelungen, die die Richter-Mitglieder i m R i W A durch das Parlament wählen lassen, kann von Kooptation oder kooptationsähnlichen Überlegungen nur dann gesprochen werden, wenn das Parlament nicht über eine ausreichend freie Auswahlmöglichkeit (abschließende bzw. bindende Vorschlagslisten) verfügt und die Richter-Mitglieder bei

124

Zusammenfassung der Ergebnisse

der Richterberufung eine positive oder negative Kooptationsposition i. S. von Ziff. 2 innehaben. Besteht eine hinreichend freie Auswahlmöglichkeit, so findet gleichwohl eine gewisse Annäherung an kooptationsähnliche Überlegungen statt, wenn die Richter-Mitglieder über eine positive oder negative Kooptationsposition i. S. von Ziff. 2 verfügen und dabei keiner Abberufbarkeit durch das Parlament oder einer sonstigen Form parlamentarischer Verantwortlichkeit unterliegen [s. § 15 IV, S. 85 f.]. 4. Wäre eine unmittelbare Wahl der richterlichen Ausschußmitglieder durch die Richterschaft mit dem Gedanken der parlamentarischen Legitimation der Richter vereinbar? Eine unmittelbare Wahl der Richter-Mitglieder des R i W A durch die Richterschaft ist m i t dem Gedanken der parlamentarischen Legitimation der Richter (nur) dann vereinbar, wenn die Anzahl der Richter-Mitglieder so bemessen ist, daß sie innerhalb des R i W A nur als Balancierungselement wirksam werden und die Entscheidungsträgerschaft der vom Parlament gewählten Mitglieder des R i W A dadurch nicht i n Frage gestellt w i r d [analog oben § 1412, S. 75 ff.]. 5. Wären die richterlichen Mitglieder als Repräsentanten der Dritten Gewalt anzusehen oder kann diese nur durch die Gerichte repräsentiert werden? Die Richter-Mitglieder i m R i W A sind, einerlei ob sie vom Parlament oder unmittelbar durch die Richterschaft gewählt werden, nicht als Repräsentanten der Dritten Gewalt anzusehen. Die Dritte Gewalt w i r d durch die Gerichte als die zur Ausübung der rechtsprechenden Gewalt zuständigen besonderen Organe (Art. 20 I I , 92 S. 2 GG) repräsentiert; an dieser Repräsentation haben die Richter Anteil, aber nur i n ihrer Amtsfunktion als Organwalter von Rechtsprechungsorganen. Dazu gehört die M i t w i r k u n g bei Personalentscheidungen über Richter nicht. Die Richter sind hier (nur) als Vertreter einer Berufsgruppe oder eines Berufsverbandes beteiligt [s. § 121 i. V. m. § 10 I I I , S. 68 f., 65].

m. 1. Hat Art. 98 IV GG, Justizminister und einer für die Länder als Empfehlung zu Organisationsgewalt

soweit er eine „gemeinsame" Entscheidung von Richterwahlausschuß vorsieht, die Bedeutung zwingenden Richtlinie oder ist die Bestimmung werten, von der die Länder im Rahmen ihrer abweichen können?

A r t . 98 I V GG hat, soweit er eine „gemeinsame" Entscheidung von Justizminister und Richterwahlausschuß vorsieht, weder die Bedeutung

Zusammenfassung der Ergebnisse einer für die Länder zwingenden Richtlinie noch die einer Empfehlung; die Länder werden i n ihrer Organisationsgewalt durch A r t . 98 I V GG i n keiner Weise rechtlich gebunden [s. § 6 und § 7, S. 46 ff., 52 f.]. 2. 1st insbesondere eine Mitentscheidung des Justizministers auch bei der Besetzung von Richterämtern in der Arbeits- und der Sozialgerichtsbarkeit geboten oder kann an seine Stelle der zuständige Ressortminister treten? Eine Mitentscheidung des Justizministers auch bei der Besetzung von Richterämtern i n der Arbeits- und i n der Sozialgerichtsbarkeit ist durch Art. 9 8 I V GG nicht geboten [s. § 6 und § 7, S. 48 ff., 55]. 3. Wäre es mit Art 98 IV GG, falls diese Bestimmung zwingenden Charakter hat, vereinbar, die Entscheidungsbefugnis des Richterwahlausschusses durch (Dreier-)Vorschläge des zuständigen Ministers und Gegenvorschläge des Präsidialrats zu begrenzen (vgl. Art. I Nr. 2 — §6 g Abs. 1 — des SPD-Entwurfs)? Da A r t . 98 I V GG keinen zwingenden, die Länder bindenden Charakter hat, ist die Frage gegenstandslos. 4. Bedärf es einer besonderen gesetzlichen Regelung für den Fall, daß eine Einigung zwischen Justizminister und Richterwahlausschuß über die Besetzung einer Stelle nicht zustande kommt? Einer besonderen gesetzlichen Regelung für den Fall, daß eine Einigung zwischen Justizminister und Richterwahlausschuß über die Besetzung einer Stelle nicht zustande kommt, bedarf es weder aus A r t . 98 I V GG noch aus sonstigen allgemeinen verfassungsrechtlichen Gründen [s. § 6, S. 48 ff.]. Es handelt sich hier u m eine Frage der Zweckmäßigkeit und der beabsichtigten Gewichtsverteilung zwischen Justizminister, Richterwahlausschuß und (evtl.) Landesregierung [s. 4 1 u. II, S. 34 ff.].

Anhang

Gesetzentwurf der D - F r a k t i o n (Drucks. 7 / 6 )

Gesetzentwurf der CDU-Fraktion

vom Landtagspräsidenten zu ziehende Los. Gewählt sind die Mitglieder des Richterwahlausschusses und ihre Vertreter in der Reihenfolge, in der ihre Namen auf dem Vorsdilag erscheinen.

§ 4

§ι (1) Uber die Berufung in ein Riditeramt auf Lebenszeit entscheidet ein vom Landtag für die Dauer seiner Wahlperiode zu wählender Riditerwahlaussdiuß gemeinsam mit dem Justizminister. Dasselbe gilt für die Berufung eines Richters auf Lebenszeit in ein anderes Richteramt, insbesondere in ein Amt eines anderen Geriditszweiges oder ein Amt mit einem höheren Amtsgehalt. (2) Die Riditer auf Lebenszeit werden vom Ministerpräsidenten ernannt. § 2 (1) Der Richterwahlausschuß besteht aus 15 Mitgliedern, und zwar adit Mitgliedern des Landtags sowie sieben Riditern des Gerichtszweiges, zu dem das zu besetzende Richteramt gehört. (2) Der Justizminister oder sein Vertreter in der Landesregierung führt den Vorsitz; er hat kein Stimmredit. (3) Für jedes Mitglied des Richterwahlausschusses ist ein Vertreter zu wählen. Die Vertreter der Riditer müssen dem Gerichtszweig des jeweils vertretenden Richters angehören. (4) Jedes Mitglied des Richterwahlausschusses kann sidi jederzeit von seinem Vertreter vertreten lassen. §3 (1) Der Landtag wählt die Mitglieder des Richterwahlaussdiusses und ihre Vertreter nach den Regeln der Verhältniswahl. (2) Jede Fraktion kann einen Wahlvorschlag einbringen. Die Vorschläge. für die einzelnen Gruppen der Riditer der versdiiedenen Gerichtszweige haben die Fraktionen den nadi § 4 zu erstellenden Listen zu entnehmen. (3) Für die Zuteilung der Sitze ist die Zahl der angegebenen Stimmen maßgeblich. Auf jeden Vorsdilag werden so viele Sitze zugeteilt, wie ihm im Verhältnis der auf ihn entfallenden Stimmen zur Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen nach dem d'Hondtschen Hödistzahlverfahren (erste Zuteilungszahl) zustehen. Uber die Zuteilung des letzten S'tzes entsdieidet bei gleicher Hödistzahl das 9

Böckenförde

(1) Für die zu wählenden Riditer legen der Präsidialrat der ordentlichen Geriditsbarkeit eine Vorschlagsliste mit den Namen von 32 Richtern, die Präsidialräte der übrigen Gerichtszweige Vorschlagslisten mit den Namen von je 24 Richtern vor. (2) Die Vorschlagslisten werden durch Wahlen der Richter erstellt. Auf die Wahlen sind die Regeln der Wahl zum Präsidialrat entsprechend anzuwenden. Wahlvorstand ist bei jedem Geriditszweig der Präsidialrat.

§ 5 (1) Scheidet ein Mitglied oder ein stellvertretendes Mitglied aus dem Riditerwahlaussdiuß aus, so wird es durch den nächsten nicht mehr gewählten Beweber seiner Gruppe aus dem gleidien Vorsdilag ersetzt. (2) Die Mitgliedsdiaft im Riditerwahlaussdiuß endet durch Tod, durdi Neuwahl, durch Verlust der Wählbarkeit zum Landtag oder durch Verzicht, der schriftlich dem Justizminister gegenüber zu erklären ist. (3) Die Mitgliedschaft im Riditerwahlaussdiuß ruht, solange a) gegen ein Mitglied ein riditerlich eröffnetes Strafverfahren wegen eines Verbrechens oder vorsätzlidien Vergehens, das nicht nur auf Antrag verfolgbar ist, sdiwebt, oder b) ein Mitglied, das Richter oder Beamter ist, vorläufig seines Dienstes enthoben oder ihm die Führung seiner Amtsgesdiäfte vorläufig untersagt ist, oder c) gegen ein Mitglied, das Rechtsanwalt ist, ein Berufs- oder Vertretungsverbot verhängt worden ist. (4) Nach der Neuwahl des Landtags bleiben die Mitglieder des Richterwahlaussdiusses bis zur Neuwahl des Riditerwahlaussdiusses im Amt.

§6 (1) Der Vorsitzende verpfliditet die Mitglieder des Richterwahlaussdiusses und ihre Vertreter durdi Handsdilag auf gewissenhafte Pflichterfüllung. (2) Die Mitglieder des Riditerwahlaussdiusses sind zur Versdiwiegenheit verpflichtet. Die Geneh-

130

Gesetzentwurf der D - F r a k t i o n (Drucks. 7 / 6 )

migung zur Aussage in gerichtlichen Verfahren erteilt der Landtagspräsident.

(2) Er ist beschlußfähig, wenn drei Viertel der stimmberechtigten Mitglieder anwesend oder vertreten sind.

§ 7

§ 11

Ein Mitglied des Richterwahlausschusses Ist bei Vorliegen eines Befangenheitsgrundes nach §41 Nr. 2 oder 3 der Zivilprozeßordnung von der Mitwirkung bei der Wahl eines Richters ausgeschlossen.

Der Justizminister hat die Ernennung des mit seiner Zustimmung gewählten Richters bei dem Ministerpräsidenten zu beantragen.

§ 8

§ 12

(1) Zu den Sitzungen des Richterwahlausschusses wird vom Vorsitzenden unter Angabe der Tagesordnung mindestens zweiWodien vor der Sitzung schriftlidi eingeladen.

Die Mitglieder des Riditerwahlausschusses und ihre Vertreter erhalten für ihre Tätigkeit die gleidie Entschädigung wie die Mitglieder des Landtags für die Teilnahme an Sitzungen eines Landtagsausschusses.

(2) Der Richterwahlausschuß gibt sidi eine Gesdiäftsordnung, in der auch zu regeln ist, inwieweit Bewerber anzuhören sind.

Dieses Gesetz tritt am

(3) Die Sitzungen sind nicht öffentlich. Der Inhalt der Beratungen ist vertraulidi. (4) Uber jede Sitzung wird eine Niederschrift gefertigt. § 9 (1) Für die nadi § 1 Abs. 1 zu treffenden Entscheidungen hat der Justizminister das Vorschlagsredit. Er legt dem Aussdiuß die Personalakten des Vorgeschlagenen und die weiteren Unterlagen, die zu seinem Vorschlag geführt haben, einsdiließlich der Personalakten der Mitbewerber und der zu allen Bewerbungen abgegebenen Stellungnahmen des Präsidialrates mit einem Bericht vor. (2) Zur Vorbereitung der Entscheidung bestellt der Ausschuß zwei Mitglieder als Berichterstatter, darunter einen Riditer. (3) Der Richterwahlaussdiuß hat zu prüfen, ob der für ein Richteramt Vorgeschlagene überhaupt und unter den Mitbewerbern die besten sadilidien und persönlichen Voraussetzungen für dieses Amt besitzt. Erhält der Vorgeschlagene nicht die erforderlidie Mehrheit, so kann der Richterwahlausschuß einen der anderen Bewerber wählen. Diese Wahl ist wirksam, wenn ihr der Justizminister zustimmt. (4) Die Entsdieidungen des Richterwahlaussdiusses sind so reditzeitig herbeizuführen, daß möglichst alle Richterämter jederzeit besetzt sind. Richterfimter sollen nidit länger als drei Monate unbesetzt sein.

§ 10 (1) Der Riditerwahlausschuß entsdieidet in geheimer Abstimmung mit Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen.

§ 13 in Kraft.

Dr. Klose Dr. Fell Langner Dr. Petermann Dr. van Aerssen Dr. Hüsch Wagner Köppler und Fraktion

Gesetzentwurf der SPD-Fraktion (Drucks. 7/1066)

Gesetzentwurf der SPD-Fraktion

Artikel I Das Richtergesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (Landesriditergesetz — LRiG — ) vom 29. März 1966 (GV. NW. S. 217), zuletzt geändert durch das Dritte Gesetz zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften vom 5. Mai 1970 (GV. N W . S. 316), wird wie folgt geändert: 1. Hinter § 4 wird eingefügt: *§ 4 a Stellenausschreibung Die Bewerber für ein Richteramt sind durdi Stellenausschreibung zu ermitteln." 2. Hinter § 6 wird eingefügt: „Zweiter Abschnitt

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Komma zu berechnen wie erforderlich sind, um die zu vergebenden Sitze auf die Vorschlagslisten zu verteilen. Bei gleichen Zahlen hinter dem Komma entsdieidet das vom Landtagspräsidenten zu ziehende Los. Gewählt sind die Mitglieder und ihre Stellvertreter in der Reihenfolge, in der ihre Namen auf der Vorschlagsliste erscheinen. (3) Das Nähere über den Eintritt der Stellvertreter regelt der Richterwahlaussdiuß in einer Gesdiäftsordnung.

§6c Beendigung der Mitgliedschaft (1) Scheidet ein Mitglied oder ein stellvertretendes Mitglied aus dem Riditerwahlausschuß aus, so wählt der Landtag einen Nachfolger; § 6 b Abs. 2 ist entsprechend anzuwenden. Bis zur Neuwahl eines Mitglieds tritt ein Stellvertreter ein. (2) Die Mitgliedschaft im Riditerwahlausschuß endet außer durch Tod durch Verlust des Sitzes im Landtag durdi Verlust der Zugehörigkeit zu der Fraktion, die das Mitglied vorgesdilagen hat, oder durch Verzicht, der schriftlich dem Landtagspräsidenten zu erklären ist. (3) Nadi Ablauf der Amtszeit führen die Mitglieder des Riditerwahlaussdiusses die Gesdiäfte bis zu seiner Neuwahl weiter.

Richterwahlausschuß

§ 6 d

§6 a Zuständigkeit Uber die Berufung in ein Richteramt auf Lebenszeit und über die Berufung eines Richters auf Lebenszeit in ein anderes Richteramt mit gleichem oder höherem Endgrundgehalt entscheidet der Justizminister gemeinsam mit einem Richterwahlaussdiuß. Das gleiche gilt für die Berufung zum Richter auf Probe und zum Richter kraft Auftrags, sofern ein Bewerber, dessen Einstellung von der für den Gerichtszweig zuständigen Verwaltung abgelehnt ist, dies beantragt.

Verschwiegenheitspflicht Die Mitglieder des Riditerwahlaussdiusses sind zur Versdiwiegenheit verpflichtet. Die Genehmigung zur Aussage in geriditlidien Verfahren erteilt der Landtagspräsident. §6 e Ausschluß von der Mitwirkung Ein Mitglied des Richterwahlausschusses ist von der Mitwirkung bei der Wahl eines Richters ausgesdilossen, wenn die Voraussetzungen des § 41 Nrn. 2 und 3 der Zivilprozeßordnung vorliegen.

§6b

§ 6 f

Zusammensetzung und Wahl

Sitzungen des Ausschusses

(1) Der Richterwahlausschuß besteht aus fünfzehn Mitgliedern und einer gleichen Anzahl von Stellvertretern, die aus der Mitte des Landtags für die Dauer seiner Wahlperiode gewählt werden. .

(1) Der Richterwahlaussdiuß wird vom Justizminister unter Angabe der Tagesordnung mindestens zwei Wochen vor der Sitzung schriftlich einberufen.

(2) Jede Fraktion kann eine Vorschlagsliste einbringen. Es wird nach den Regeln der Verhältniswahl mit der Maßgabe gewählt, daß auf jede Vorschlagsliste mindestens ein Sitz entfällt. Die Sitzzahlen sind auf so viele Stellen hinter dem



(2) Der Justizminister oder sein Vertreter in der Landesregierung führt den Vorsitz; er hat kein Stimmrecht. Betrifft ein Beratungsgegenstand den Riditer eines nicht der Dienstaufsicht des Justizministers unterstehenden Gerichtszweiges, so nimmt der für diesen Ge-

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Gesetzentwurf der SPD-Fraktion (Drucks. 7/1066)

riditszweig zuständige Minister an der Sitzung teil. (3) Die Sitzungen sind nicht öffentlidi. über jede Sitzung wird eine Niederschrift gefertigt. (4) Weitere Einzelheiten des Verfahrens regelt der Richterwahlausschuß in der Geschäftsordnung. § 6 g

Vorbereitung der Entscheidung (1) Der für den Geriditszweig zuständige Minister schlägt dem Richterwahlausschuß in der Regel drei Bewerber zur Wahl vor; in näher zu begründenden Ausnahmefällen kann er eine geringere Zahl von Bewerbern vorsdilagen. Dem Vorschlag sind die Bewerbungsunterlagen und die Personalakten der vorgeschlagenen Bewerber, ein Bewerberverzeidinis sowie die Stellungnahmen des Präsidialrats beizufügen; bei Gegenvorschlägen des Präsidialrats (§33 Abs. 2 Satz 1 ) sind auch die Bewerbungsunterlagen und Personalakten der vom Präsidialrat vorgeschlagenen Bewerber vorzulegen. (2) Die Vorlage der in Absatz 1 Satz 2 genannten Personalunterlagen kann nach näherer Bestimmung der Geschäftsordnung auf die letzten Personal- und Befähigungsnadiweise, das Bewerberverzeichnis und die Stellungnahme des Präsidialrats beschränkt werden. (3) Im Falle des § 6 a Satz 2 sind dem Antrag des abgelehnten Bewerbers seine Bewerbungsunterlagen und Personalakten, der Bericht des zuständigen Präsidenten des oberen Landesgerichts oder Generalstaatsanwalts und die Stellungnahme des Präsidialrats beizufügen; der Riditerwahlaussdiuß kann die Vorlage der Personalunterlagen der Mitbewerber verlangen. (4) Bei der Berufung des Richters eines Gerichtszweiges, der nicht der Dien Stauf sieht des Justizministers untersteht, leitet der zuständige Minister seine Vorschläge mit den Personalunterlagen dem Justizminister zu. §6 h Besdilußfassung (1) Der Richterwahlausschuß wählt aus den für ein Richteramt Vorgeschlagenen den Bewerber aus, den er für dieses Amt persönlich und fachlidi am besten geeignet hält. Entsprechendes gilt für die Entscheidung nach § 6 a Satz 2. (2) Der Riditerwahlaussdiuß entscheidet in geheimer Abstimmung mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Er ist beschlußfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder anwesend oder vertreten ist. (3) Nach näherer Bestimmung der Geschäftsordnung kann der Riditerwahlaussdiuß mit der

Mehrheit der Mitglieder, die sidi an der Abstimmung beteiligen, im schriftlichen Verfahren entscheiden; sämtliche Mitglieder müssen Gelegenheit zur Stimmabgabe erhalten. § 6 i Ernennung (1) Stimmt der Justizminister der Wahl zu, so hat er den gewählten Richter zu ernennen oder seine Ernennung bei der zuständigen Stelle zu beantragen. (2) Stimmt der Justizminister der Wahl nidit zu, so entscheidet über die Ernennung die Landesregierung. Das gleiche gilt, sofern der Riditerwahlaussdiuß innerhalb eines Monats nadi Eingang der Unterlagen (§ 6 g) beim Aussdiuß keinen der vorgeschlagenen Bewerber wählt. § 6 j Zustimmung zur Übernahme, Entlassung (1) Spätestens dreieinhalb Jahre nadi der Ernennung eines Richters auf Probe und spätestens zwei Jahre nach der Ernennung eines Richters kraft Auftrags beantragt der Justizminister unter Beifügung der Personalakten die Entsdieidung des Richterwahlausschusses, ob dieser der Übernahme in das Richterverhältnis auf Lebenszeit zustimmt. (2) Lehnt der Riditerwahlaussdiuß die Übernahme eines Richters auf Probe oder eines Richters kraft Auftrags in das Richterverhältnis auf Lebenszeit ab, so ist der Richter nach Maßgabe des § 22 Abs. 2 Nr. 2 und des § 23 des Deutschen Riditergesetzes zu entlassen. §6 k Entschädigung Die Mitglieder des Richterwahlausschusses und ihre Stellvertreter werden nadi den §§ 5, 6, 8 Abs. 5 des Gesetzes über die Entsdiädigung der Abgeordneten des Landtags NordrheinWestfalen vom 26. September 1967 (GV. N W . S. 162), geändert durch Gesetz vom 12. Dezember 1968 (GV. N W . S. 428), entschädigt." 3. In der Uberschrift vor § 7 werden die Worte „Zweiter Abschnitt" durch „Dritter Absdinitt" ersetzt. 4. Die §§ 23—27 erhalten folgende Fassung: „§ 23 Ordentliche Gerichtsbarkeit (1) Der Präsidialrat besteht aus dem Präsidenten eines Gerichts als Vorsitzenden und acht weiteren Mitgliedern. (2) Der Vorsitzende wird von den Richtern der ordentlichen Gerichtsbarkeit gewählt. Sein

Gesetzentwurf der SPD-Fraktion (Drucks. 7/1066) Stellvertreter wird von den Mitgliedern des Präsidialrats aus seiner Mitte gewählt. Von den weiteren Mitgliedern werden vier von den Richtern des Oberlandesgerichtsbezirks Hamm und je zwei von den Richtern der Oberlandesgeriditssbezirke Düsseldorf und Köln gewählt. (3) Die Wahl des Vorsitzenden und der weiteren Mitglieder erfolgt unmittelbar und geheim nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl; die Vorschriften des Landespersonalvertretungsgesetzes und der Wahlordnung zum Landespersonalvertretungsgesetz gelten entsprechend. Vorschläge für die Wahl des Vorsitzenden und für die Wahl der weiteren Mitglieder sind getrennt zu machen und müssen von jeweils mindestens einem Zehntel der Richter unterzeichnet sein; in jedem Falle genügt die Unterzeichnung durdi fünfundzwanzig Richter. (4) Die Wahl erfolgt gleichzeitig mit der Wahl zum Richterrat. Wahlvorstand ist der Hauptwahlvorstand für die Wahl zum Hauptrichterrat; § 50 Abs. 4 Satz 1 1. Halbsatz des Landespersonalvertretungsgesetzes gilt entsprechend. (5) § 17 Abs. 3 Satz 2 ist anzuwenden.

§ 24 Verwaltungsgerichtsbarkeit (1) Der Präsidialrat besteht aus dem Präsidenten "eines Gerichts als Vorsitzenden und vier weiteren Mitgliedern. (2) § 23 Abs. 2 Satz 1 und 2, Abs. 3 bis 5 gilt entsprechend.

(2) Von den weiteren Mitgliedern werden je zwei von den Richtern der Landesarbeitsgerichte Düsseldorf und Hamm gewählt. (3) § 23 Abs. 2 Satz 1 und 2, Abs. 3 bis 5 gilt entsprechend.

§ 27 Sozialgerichtsbarkeit (1) Der Präsidialrat besteht aus dem Präsidenten eines Gerichts als Vorsitzenden und vier weiteren Mitgliedern. (2) § 23 Abs. 2 Satz 1 und 2, Abs. 3 bis 5 gilt entsprechend."

5. § 31 erhält folgende Fassung: „§ 31 Stellvertretung, Eintritt von Ersatzmitgliedern (1) Ist der Vorsitzende verhindert, so übernimmt der Stellvertreter den Vorsitz. Scheidet der Vorsitzende aus, so tritt der nicht gewählte Gerichtspräsident mit der nächsthöheren Stimmenzahl ein. (2) Scheidet ein weiteres Mitglied aus dem Präsidialrat aus, so tritt ein Ersatzmitglied ein. Das gleiche gilt, wenn ein weiteres Mitglied verhindert ist, für die Dauer der Verhinderung. Ersatzmitglied ist der nicht gewählte Richter mit der nächsthöheren Stimmenzahl; § 23 Abs. 2 Satz 3 und § 26 Abs. 2 sind anzuwenden." 6. § 32 erhält folgende Fassung:

§ 25 Finanzgerichtsbarkeit (1) Der Präsidialrat besteht aus dem Präsidenten eines Gerichts als Vorsitzenden und zwei weiteren Mitgliedern. (2) § 23 Abs. 2 Satz 1 qnd 2, Abs. 3 bis 5 gilt entsprechend.

S 26 Arbeitsgerichtsbarkeit (1) Der Präsidialrat besteht aus dem Präsidenten eines Gerichts als Vorsitzenden und zwei weiteren Mitgliedern.

*§ 32 Aufgaben Der Präsidialrat ist zu beteiligen vor 1. der Entscheidung des Richterwahlausschusses im Falle des § 6 a Satz 2, 2. der Berufung in ein Richteramt auf Lebenszeit, 3. der Berufung eines Richters auf Lebenszeit in ein anderes Richteramt mit gleidiem oder höherem Endgrundgehalt, 4. der Versetzung im Interesse der Rechtspflege (§ 31 des Deutschen Richtergesetzes), 5. der Übertragung eines anderen Riditeramts mit geringem Endgrundgehalt und der Amtsenthebung infolge Veränderung der Geriditsorganisation (§ 32 des Deutschen Richtergesetzes), sofern der Richter die Beteiligung beantragt."

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Gesetzentwurf der SPD-Fraktion (Drucks. 7/1066)

7. § 33 erhält folgende Fassung) .§ 33

lauf der Wahlperiode der bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehenden Präsidialräte zu bestellen.

Durchführung der Beteiligung (1) Die oberste Dienstbehörde beantragt die Stellungnahme des Präsidialrats zu den Vorschlägen, die sie gegenüber dem Riditerwahlaussdiuß beabsichtigt. Dem Antrag sind im Falle des § 32 Nr. 1 die Bewerbungsunterlagen, in den Fällen des § 32 Nrn. 2 und 3 auch die Personal- und Befähigungsnachweise der Bewerber beizufügen. Personalakten dürfen dem Präsidialrat nur mit Zustimmung des Bewerbers vorgelegt werden. (2) Der Präsidialrat hat in den Fällen des § 32 Nrn. 2 und 3 zur persönlichen und fachlichen Eignung der Bewerber Stellung zu nehmen, die zur Wahl vorgeschlagen werden sollen; dabei kann er audi Gegenvorschläge machen. Die Stellungnahme ist schriftlich zu begründen, binnen drei Wochen nach Eingang des Antrags der obersten Dienstbehörde abzugeben und zu den Personalakten zu nehmen. Eine Entscheidung darf erst getroffen werden, wenn die Stellungnahme des Präsidialrats vorliegt oder die Frist zur Stellungnahme verstrichen ist. (3) Zur Erörterung der Angelegenheiten nadi § 32 kann die oberste Dienstbehörde zu Sitzungen des Präsidialrats Vertreter entsenden; Zeit und Ort der Sitzungen sind ihr vorher mitzuteilen." 8. Es werden in den Überschriften ersetzt vor § 35 „Dritter Abschnitt" durch „Vierter Abschnitt", vor § 66 „Vierter Abschnitt" durch „Fünfter Abschnitt", vor § 70 „Fünfter Abschnitt" durdi „Sechster Abschnitt",

Artikeln

«1 Die erste Wahlperiode des Richterwahlaussdiusses beginnt am . . . .

§2 Die Wahlperiode der bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestehenden Präsidialräte endet am Die Wahlperiode der nach diesem Gesetz zu wählenden Präsidialräte beginnt am und endet am 31. Dezember 1974. Die Wahlvorstände für die Wahl dieser Präsidialräte sind von den Richterräten spätestens sechs Wochen vor Ab-

Artikel III Der Justizminister wird ermächtigt, die Inhaltsübersicht und den Wortlaut des Landesrichtergesetzes vom 29. März 1966 in der vom an geltenden Fassung mit neuem Datum bekanntzumachen, dabei die Paragraphenfolge neu zu ordnen und Unstimmigkeiten des Wortlauts zu beseitigen.

Artikel IV Dieses Gesetz tritt am in Kraft.

Dr. Kassmann Dr. Kalsbach Schwarze van Nes Ziegler und Fraktion

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Sachregister Demokratieprinzip, demokratische Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt 71 ff. — Geltung auch für Gerichte und Rechtsprechung 71 f. — keine Infragestellung durch Gewaltentrennung 86 — und parlamentarisches Regierungssystem 74 — und richterliche Unabhängigkeit 72 — und Verantwortlichkeit 79 — fachliches Weisungsrecht und demokratische Legitimation 72 f. — verschiedene Wege der Herstellung demokratischer Legitimation 79, 85 f. — Inhalt des Prinzips demokratischer Legitimation 73 ff. ununterbrochene demokratische Legitimationskette 73 f. Legitimation der Entscheidung, nicht aller Entscheidungsbeteiligter 75 ff. bloße Vetoposition demokratisch legitimierter Entscheidungsträger nicht hinreichend 76 f., 78 f. — Umfang möglicher Beteiligung demokratisch nicht legitimierter Entscheidungsträger 77 ff. Ausschluß negativer oder positiver Kooptation 81 f. kein Vetorecht von Richtervertretern / Vertretungen bei der Richterbestellung 83 f. keine bindenden Vorschlagsrechte von Richtervertretungen bei der Richterbestellung 83 f. Demokratische Verantwortlichkeit — bei parlamentarischen Mitgliedern des RiWA 85 — fehlt bei Richter-Mitgliedern des RiWA 85 Dritte Gewalt — Richter als solche keine Repräsentanten 69 Einheit der rechtsprechenden Gewalt 112 f.

Ernennungsrecht der Landesregierung (Art. 58 VerfNW) 16 ff. — Ërstreckung auf Richter 17 ff. — formelles 21 f. — materielles 21 f. Begründung aus Wesen der Exekutivfunktion 23 f. — Inhalt 20 ff. kein Unterschied bei Beamten und Richtern 23 f. — Regelungsbefugnisse des Gesetzgebers 27 ff. kraft besonderer verfassungsrechtlicher Rechtsposition 32 f. aus anerkannter Rechtstradition 32 ff. kraft des gesetzgeberischen Zugriff srechts 29 ff. keine Übertragungskompetenz 27 f., 31 f. Funktionssicherüng der staatlichen Gewalten 70 f., 86 f. s. auch Richterbestellung Gemeines Bundesrecht 44 f. — unmittelbare Geltung für Bund und Länder 44 — für Stellung und Funktion der rechtsprechenden Gewalt 45 f. Gesetzgebende und vollzièhende Gewalt — allgemeines verfassungsrechtliches Zuordnungsverhältnis 29 f. Gewaltengliederung, Prinzip der, 62 ff. — bezogen auf staatliche Funktionen, nicht politische Kräfte/gesellschaftliche Mächte 64 f., 68 f. — normativer Inhalt 62 ff., 69 f. Kombination von Gewaltentrennung, Gewaltenhemmung und Gewaltenbalancierung 62 f. strikte Trennung bei Rechtsprechungsfunktion 63 — Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers 63 — keine Selbstbestimmung jeder Gewalt über ihre Personalergänzung 65 f., 70

Sachregister — bei Montesquieu 64 — und Gewaltenverteilung 64 f. Gewaltengliederung und Demokratieprinzip 66 f. — keine voneinander unabhängige Nebenordnung 66 f. — demokratisches Prinzip als Grundlage und Rahmen 67 f. Gewaltenverteilung 65 Gewaltverzicht 98 Institutionentreue 60 Justizhoheit der Länder — Bedeutung des Art. 98 IV GG 48 f., 50,52 ff. — und Richterwahl 52 ff. Justizminister und RiWA, Art des Zusammenwirkens 13 f., 26 s. auch Richterwahl — im CDU-Entwurf NW 34 — im SPD-Entwurf NW 36 f. Kooptation 80 ff. — negative 81 f. — positive 81 — Unvereinbarkeit mit schem Prinzip 81-83

demokrati-

Parlament — als Mittler demokratischer Legitimation 74 — Parlamentsfunktiòn gegenüber der Exekutive 104 f. Pluralismus, ständisch-politischer 64 Politik und Verwaltung 106 f. Politischer Riditer 91 f. Präsidialrat — Beteiligung an der Richterbestellung 14,107,119 Recht — Doppelfunktion als Mittel und Grenze politisch-sozialer Gestaltung 96 f. Rechtsbildung — Funktion von Gesetzgeber und Richter 94 f. Rechtsprechung, rechtsprechende Gewalt — herkömmliche Definition 87 f. — als Ausübung von Staatsgewalt 71 f. — als unabdingbare Funktion des modernen Staates 72 — kein vorgegebener Gegenstandsbereich 88

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— Stellung und Funktion im IX. Abschnitt des GG 45 f. — funktionssichernde Organisation der Richterbestellung 86 f., 90 f., 97, 100 ff. — Unabhängigkeit und Neutralität 68 f., 72, 79,87 f., 97,98 f. dreifache Richtung der Unabhängigkeit und Neutralität 99 Abstützung durch entsprechende Organisation der Richterbestellung 70 f., 86 f., 100 ff. Rechtsprechung, Inhalt und Funktionsmerkmale 88 - 99 — Distanz und Abschichtung von politisch-aktiver Gestaltung 88 f., 90, 97 — gesellschaftsbefriedende und -integrierende Funktion 98 f. keine Infragestellung durch Konfliktmodell der Gesellschaft 99 — Teilnahme an Rechtsfortbildung und Rechtsgestaltung 92 ff. Abgrenzung zur Gesetzgebungsfunktion 93 ff. — politische Funktion im Gesamtsystem der demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassung 89 f. Richter, Richterschaft — als solche keine Repräsentanten der Dritten Gewalt 68 f. — keine personalpolitische Autonomie als Inhalt der Gewaltengliederung 70 Richterbestellung (Richterauswahl, Richterernennung) — kein Inhalt der Rechtsprechungsfunktion 68 f. — Teil der Politik und Personalpolitik 100 f. — fehlende Korrigierbarkeit wegen richterlicher Statusgarantien 103 — demokratische Legitimation und parlamentarische Legitimation 114 f. — im CDU-Entwurf NW 35 — im SPD-Entwurf NW 36 Richterbestellung (Richterauswahl, Richterernennung), Grundsätze 100-115,116 ff. s. auch Richterwahl — Balancierung zwischen Exekutive und Legislative 102 ff., 116 f. -Erscheinungsformen 103, 104 f. Einbau von Rechten der parlamentarischen Opposition 106 begrenzte Wirkung 105 f.

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Sachregister

— Balancierung zwischen Politik und Verwaltung 106 f. — Balancierung von Politik und Richterschaft 107 ff., 110 — Beteiligungsrechte des Präsidialrats 107,119 — Beteiligung von Richtern 69 f., 108 f, 114 f. Begrenzung auf Balancierungsfunktion 108 f., 114 f. mögliche Wege 110 Gefahr der Doppelbeteiligung der Richter 119 f. gruppenbildende Kraft der richterlichen Berufstätigkeit 113 — Distanzierung von Einflußnahme gesellschaftlicher Mächte und sozialer Gruppen 113 — Distanzierung von beteiligten Ressortinteressen 111 f. — Notwendigkeit von Balancierungselementen 101 f., 117 ff. — Offenheit des Zugangs zum Richterberuf 113 — Sicherung der Neutralität und Unbeteiligtheit 110 ff. — Vermeidung von Hausgerichtsbarkeiten 111 — Vermeidung der Parteipolitisierung 101 f. — Vorschlagsrechte des Arbeits- und Sozialministers 111 f. Richterbestellung durch die Exekutive — keine bundesverfassungsrechtliche Grundsatznorm 47 f. Richterrahmengesetz 18, 25 f. — Schutzfunktion von Art. 98 IV GG im Hinblick auf Richterwahl 49 f., 53,55 Richtervertretungen — keine Repräsentanten der Dritten Gewalt 81 Richterwahl — keine Bindungen und Begrenzungen des Landesgesetzgebers durch Art. 98IV GG 40 ff., 46 ff. — keine Freistellung des Landesgesetzgebers von entgegenstehendem Landesverfassungsrecht 42,49,57 — keine Kompetenzbegründung für Länder durch Art. 98 IV GG 48, 54, 56 f. — Art. 98 IV GG als Schutzvorschrift 55 — Modelle der Richterwahl im Bund 103

in Hamburg, Bremen 103 in Hessen, Schleswig-Holstein, Berlin 103 — Parlamentsbeteiligung 104 f. — Regelungen der Richterwahl in Baden-Württemberg 82 f. in Rheinland-Pfalz 83 in Schleswig-Holstein 82 im CDU-Entwurf NW 13 f., 34 ff. , im SPD-Entwurf NW 14, 36 ff. — Verfassungswidrigkeit von Regelungen der Richterwahl in Baden-Württemberg 82 f. in Rheinland-Pfalz 83 in Schleswig-Holstein 82 im CDU-Entwurf NW 35 f. im SPD-Entwurf NW 38 Richterwahl und Richterernennung — fehlende Begründungspflicht für Wahlentscheidung 104 Richterwahlausschuß 13 f., 68 ff., 80 ff., 116 ff. — parlamentarisches Modell 116 — rein parlamentarisches Modell 117 — parlamentarisch-gemischtes Modell 117 — parlamentarisch-exekutives Modell 116 f. — parlamentarisch-kooptatives Modell 116 — parlamentarisch-kooptativ-exekutives Modell 117 — Vorzug balancierender Lösungen 118 f. — Richter-Mitglieder des RiWA Wahlverfahren 13,82 f., 109 Vorschlagslisten der Richterschaft 109 f. Richterwahlgesetz — CDU-Entwurf NW 13 f., 34 ff., 109, 112,117,119 — SPD-Entwurf NW 14, 36 ff., 112, 117,119 — Baden-Württemberg 82 —- Rheinland-Pfalz 83 — Schleswig-Holstein 82 Unabhängigkeit der Rechtsprechung, s. Rechtsprechung, rechtsprechende Gewalt Verfassungsstrukturbestimmungen 60 f. — Maßstabsfunktion für gesetzgeberische Regelungen 60

Sachregister Verfassungswidrigkeit von Regelungen der Richterwahl, s. Richterwahl, Verfassungswidrigkeit Weisungsabhängigkeit — und demokratische Legitimation 79

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Zugriffsrecht des Gesetzgebers auf Organisations- und Zuständigkeitsregelungen 30 ff. — bei benannten Exekutivkompetenzen 31 f. — bei unbenannten Exekutivkompetenzen 31