Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl für die ordentliche Gerichtsbarkeit in Europa im Rechtsvergleich [1 ed.] 9783428558889, 9783428158881

»The Criteria and the Procedure for the Election of Ordinary Court Judges in Europe from a Comparative Perspective«The c

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Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl für die ordentliche Gerichtsbarkeit in Europa im Rechtsvergleich [1 ed.]
 9783428558889, 9783428158881

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Studien zum vergleichenden Öffentlichen Recht Studies in Comparative Public Law Band / Volume 7

Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl für die ordentliche Gerichtsbarkeit in Europa im Rechtsvergleich Herausgegeben von

Maciej Małolepszy

Duncker & Humblot · Berlin

MACIEJ MAŁOLEPSZY (Hrsg.)

Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl für die ordentliche Gerichtsbarkeit in Europa im Rechtsvergleich

Studien zum vergleichenden Öffentlichen Recht Studies in Comparative Public Law Band / Volume 7

Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl für die ordentliche Gerichtsbarkeit in Europa im Rechtsvergleich Herausgegeben von

Maciej Małolepszy

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 2511-9648 ISBN 978-3-428-15888-1 (Print) ISBN 978-3-428-55888-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-85888-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die Themenwahl der nachfolgenden Publikation erfolgte nicht zufällig, sondern wurde vielmehr durch die Rechtsänderungen in Polen determiniert, die nicht nur in polnischen Juristenkreisen, sondern auch international höchst umstritten sind. Mitunter handelt es sich um die Änderung des Verfahrens zur Berufung von Mitgliedern des Landesrichterrats, der im polnischen Rechtssystem für die Berufung und Beförderung von Richtern zuständig ist. Gemäß Art. 187 Abs. 1 der polnischen Verfassung setzt sich der Landesrichterrat wie folgt zusammen: (1) aus dem Präsidenten des Obersten Gerichts, dem Justizminister, dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs und einer vom Präsidenten der Republik Polen berufenen Person, (2) aus fünfzehn Mitgliedern, die wiederum aus Richtern des Obersten Gerichts, der ordentlichen Gerichte, Verwaltungsgerichte und Militärgerichte ausgewählt werden, (3) aus vier Mitgliedern, die durch den Sejm aus dessen Abgeordneten und (4) aus zwei Mitgliedern, die durch den Senat aus dessen Abgeordneten ausgewählt werden. Bis zur Novellierung des Landesrichterrat-Gesetzes wurden fünfzehn Mitglieder, die aus Richtern des Obersten Gerichts, der ordentlichen Gerichte, Verwaltungsgerichte und Militärgerichte bestanden, durch Richter ausgewählt. Diese hatten somit die entscheidende Stimme bei der Berufung und Beförderung von Richtern. Durch das Gesetz vom 8. 12. 2017 über die Änderung des Landesrichterrat-Gesetzes1 wurde dieser Grundsatz geändert. Der nun geltende Art. 9a Abs. 1 des Landesrichterrat-Gesetzes statuiert, dass fortan der Sejm fünfzehn Mitglieder aus Richtern des Obersten Gerichts, der ordentlichen Gerichte, Verwaltungsgerichte und Militärgerichte auswählt. Diese Änderung bedeutet, dass fünfzehn Mitglieder des Landesrichterrats nicht durch Richter, sondern durch Politiker gewählt werden. Die Konsequenz ist, dass fortan Richterkreise im Landesrichterrat nicht repräsentiert sind. Zwar setzt sich der jetzige Landesrichterrat auch aus Richtern zusammen, diese werden allerdings nicht durch andere Richter, sondern durch den Sejm gewählt. Die Reform bedeutet, dass die Richter den entscheidenden Einfluss auf die Richterwahl in Polen verloren haben. Der eingeführte Art. 9a Abs. 1 des Landesrichterrat-Gesetzes verstößt laut vieler Juristen gegen Art. 187 Abs. 1 der polnischen Verfassung. Zwar bestimmt Art. 187 Abs. 1 nicht expressis verbis, wer die Richterwahl im polnischen Rechtssystem treffen sollte; analysiert man jedoch Intentionen des Gesetzgebers sowie andere verfassungsrechtliche Vorschriften, unterliegt keinen Zweifeln, dass Richter fünfzehn Mitglieder des Landesrichterrats wählen sollten. Hierbei sollte man sich dem Standpunkt des ehemaligen Ersten Präsidenten des Obersten Gerichts, 1

Dz. U. von 2018, Pos. 3.

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Vorwort

Prof. Adam Strzembosz, und des ehemaligen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs, Prof. Andrzej Zoll, anschließen. In einer gemeinsamen Erklärung, die nach Wahl der neuen Mitglieder des Landesrichterrats erfolgt ist, haben beide festgestellt, „dass der jetzige Landesrichterrat in seiner neuen Zusammensetzung nicht die Kompetenzen innehat, die ihm durch die polnische Verfassung zugesprochen werden, was zur Folge hat, dass seine Beschlüsse von Natur aus ungültig sind. In Betracht dessen werden alle Folgen dieser Beschlüsse in Form von Berufungen zum Richteramt und Beförderungen auf höhere Richterstufen zukünftig zumindest der Verifikation in Hinblick auf die meritorische Richtigkeit unterliegen“.2

Diese sehr ausdrucksstarken Worte verdeutlichen, in welch tiefer Krise sich das polnische Rechtssystem momentan befindet. Man ist nicht in der Lage vorherzusehen, ob diese Krise sich vertiefen wird und wie lange sie andauern wird. Besorgniserregend sind nicht nur die verfassungswidrigen Vorschriften im LandesrichterratGesetz, sondern auch der vollständige Mangel an sachlichen Diskussionen in Polen hinsichtlich dessen, welches System die Wahl des besten Kandidaten für das Richteramt garantieren würde, obwohl diese Frage die wichtigste in dieser Debatte sein sollte. Stattdessen stellt den Schlüsselpunkt in der polnischen Debatte die Frage dar, wer über die Richterwahl entscheiden sollte und nicht welche Kriterien und welches Verfahren die Wahl des Besten garantieren würde. Hervorzuheben ist, dass eine Verbesserung des Betriebes der Gerichtsbarkeit nur durch eine Verbesserung des Systems der Richterwahl, das transparent und auf klaren Kriterien basiert, möglich ist. Darüber hinaus ist ein entsprechendes Verfahren notwendig, das dafür sorgt, dass unsachliche Faktoren eine marginale Rolle in der Prozedur der Richterwahl spielen. Die vorliegende Veröffentlichung hat zum Ziel, fundierte Kenntnisse darüber zu vermitteln, welche Kriterien und Verfahren der Richterwahl in verschiedenen europäischen Ländern gelten. Die Veröffentlichung beinhaltet Referate, die innerhalb der wissenschaftlichen Tagung am 16. 03. 2018 in Frankfurt (Oder) gehalten wurden. Ich hoffe, dass der Inhalt des Buches darüber hinaus dazu beiträgt, die Debatte in Polen, in der oftmals Argumente aufkommen, die die Richterwahl in anderen Ländern betreffen, ohne jedoch den rechtlichen, institutionellen und kulturellen Kontext zu berücksichtigen, zu ordnen. Meine Erfahrung im Bereich rechtsvergleichender Arbeiten zeigt klar, dass es nichts Schlimmeres gibt als eine selektive rechtliche Komparatistik, die zu politischen Zwecken ausgenutzt wird. Darüber hinaus sollte der Fakt berücksichtigt werden, dass es in der polnischen Literatur keine Studien gibt, die zeigen würden, welche Unterschiede es in den europäischen Systemen im Bereich der Richterwahl gibt. Die vorliegende Veröffentlichung hat zum Ziel, diese Lücke im polnischen Rechtsschrifttum zu schließen. 2 Übersetzung des auf der folgenden Internetseite zugänglichen Beitrags: https://www.rp. pl/Sedziowie-i-sady/303079951-Oswiadczenie-prof-Zolla-i-prof-Strzembosza-uchwaly-nowej KRS-sa-niewazne.html?fbclid=IwAR3b2S8qr_S8X1iA503_-HLF_9uyWDllBatqJi5 MO06fDCZ_pm-e8T-JOxw (abgerufen am 5. 4. 2018).

Vorwort

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Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass zum Zweck der besseren Lesbarkeit im gesamten Tagungsband auf die geschlechtsspezifische Schreibweise verzichtet wird. Die gewählte männliche Form bezieht immer gleichermaßen weibliche und diverse Personen ein. Übersetzung: Anna Szarek Frankfurt (Oder), im Oktober 2019

Maciej Małolepszy

Inhaltsverzeichnis Kapitel I Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl im Lichte der deutschen und der polnischen Verfassung Heinrich Amadeus Wolff Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl im Lichte des Grundgesetzes in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

Lech Jamróz Das Verfahren der Richterernennung im Rahmen der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Lichte der polnischen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

Sławomir Steinborn Die Kriterien und das Verfahren der Richterernennung in Polen . . . . . . . . . . . . .

43

Kapitel II Das System der Richterwahl in den deutschsprachigen Staaten Gudrun Hochmayr und Dawid Ligocki Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl in Österreich . . . . . . . . . . . . .

63

Klaus-Christoph Clavée Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl in Deutschland am Beispiel des Landes Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

Maciej Aleksandrowicz Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl in der Schweiz . . . . . . . . . . . .

85

Kapitel III Das System der Richterwahl in sonstigen europäischen Staaten Maciej Małolepszy und Michał Głuchowski Die Ernennung von Richtern in England und Wales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

Paulina Pawluczuk-Buc´ko Die Kriterien und das Verfahren der Richterernennung in Frankreich . . . . . . . . 107

10

Inhaltsverzeichnis

Kapitel IV Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl im Rechtsvergleich Maciej Małolepszy und Bartosz Jakimiec Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl für die ordentliche Gerichtsbarkeit im Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Abkürzungsverzeichnis a. A. Abs. ACRO a. E. AGGVG

andere Auffassung Absatz Criminal Records Office (Strafregister-Amt im Vereinigten Königreich) am Ende Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes und von Verfahrensgesetzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit Anm. Anmerkung Anm. d. Übers. Anmerkung des/der Übersetzer (-s, -in) AöR Archiv des öffentliches Rechts Art. Artikel BbgRiG Brandenburgisches Richtergesetz Bd. Band B-GlBG Bundes-Gleichbehandlungsgesetz BlgNR Beilage(-n) zu den stenographischen Protokollen des Nationalrats BMJ Bundesministerium für Justiz bspw. beispielsweise BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts B-VG Bundes-Verfassungsgesetz bzw. beziehungsweise ca. circa d. h. das heißt Dr. Doktor DRiG Deutsches Richtergesetz Dz. U. Dziennik Ustaw (polnisches Gesetzblatt) ebd. ebenda EJTN The European Judicial Training Network (Europäisches Netz für die Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten) ENM École nationale de la magistrature (französische nationale Richterschule) ErlRV Erläuterungen zur Regierungsvorlage f. folgend Fn. Fußnote gem. gemäß GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GP Gesetzgebungsperiode grds. grundsätzlich H. Heft HELP The European Programme for Human Rights Education for Legal Professionals (Europäisches Ausbildungsprogramm für Menschenrechte für Juristen)

12 Hrsg. Hs. IOJT i. V. m. JAC krit. Lfg. LfGWG lit. m. spät. Änd. m. w. N. n NJW Nr. NSA NVwZ o. g. OGG OGH ÖJZ OLG ÖRiZ OTK ZU plGVG Prof. Rn. RStDG S. sch. SN sog. SR TK TS u. a. VfGH VfSlg vgl. VwGH Z. z. B. zit. ZRP

Abkürzungsverzeichnis Herausgeber Halbsatz The International Organisation for Judicial Training (Internationale Organisation für justizielle Ausbildung) in Verbindung mit Judicial Appointments Commission (Richterauswahlkommission im Vereinigten Königreich) kritisch Lieferung Gesetz über den Landesrat für das Gerichtswesen (Ustawa o Krajowej Radzie Sa˛downictwa) Litera mit späteren Änderungen mit weiteren Nachweisen numéro (Nummer) Neue Juristische Wochenschrift Nummer Naczelny Sa˛d Administracyjny (Oberstes Verwaltungsgericht) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht oben genannt Ustawa o Sa˛dzie Najwyz˙szym (Gesetz über das Oberste Gericht) Oberster Gerichtshof Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht Österreichische Richter-Zeitung Orzecznictwo Trybunału Konstytucyjnego Zbiór Urze˛ dowy (Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs, amtliche Sammlung) Ustawa – Prawo o ustroju sa˛dów powszechnych (Gesetz über die Verfassung der ordentlichen Gerichte) Professor Randnummer Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz Seite/Satz schedule (Anhang – redaktionelle Einheit eines britischen Gesetzestextes) Sa˛d Najwyz˙szy (polnisches Oberstes Gericht) sogenannt Systematische Rechtssammlung des Bundesrechts Trybunał Konstytucyjny (polnischer Verfassungsgerichtshof) Trybunał Stanu (polnischer Staatsgerichtshof) unter anderem/und andere Österreichischer Verfassungsgerichtshof Ausgewählte Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes vergleiche Verwaltungsgerichtshof Ziffer zum Beispiel zitiert Zeitschrift für Rechtspolitik

Kapitel I Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl im Lichte der deutschen und der polnischen Verfassung

Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl im Lichte des Grundgesetzes in Deutschland Von Heinrich Amadeus Wolff Das Thema fragt nach den verfassungsrechtlichen Kriterien für die Ernennung zum Richter. Der Begriff der „Richterwahl“ wird hier im Sinne einer Richterauswahl verstanden, da es auch Auswahlentscheidungen gibt, denen keine Wahl vorausgeht.

I. Die Bedeutung der Rechtsprechung für den Rechtsstaat Der Auswahl und der Stellung des Richters kommt im Rechtsstaat eine erhebliche Bedeutung zu. Der Begriff des Rechtsstaats ist in einer Zeit entstanden, als er die Funktion besaß, eine Ersatzbefriedigung für die nicht realisierbaren Wünsche nach Einführung einer Demokratie und einer Republik zu erfüllen.1 Heute, in einem Zeitpunkt, zu dem in ganz Europa die Demokratie nicht ernsthaft streitig ist, hat sich das Verhältnis von Demokratie und Rechtsstaat umgedreht. Die Gewährleistung des Rechtsstaates ist nicht mehr als Ersatz für eine gewünschte, aber nicht erreichte Demokratie zu sehen, sondern gilt vielmehr als Ergänzung2 und auch als die Krönung einer Demokratie.3 Wie auch immer man den Rechtsstaat definiert,4 sicher ist, dass der Rechtsstaat eine effektive Gewährleistung des Rechtsschutzes voraussetzt.5 Durch die umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung eines Streitgegenstandes in einem geregelten Verfahren und die sich daran anschließende verbindliche Entscheidung durch eine 1

Wolff, Verhältnis von Rechtsstaatsprinzip und Demokratieprinzip, in: Murswiek/Storost/ Wolff (Hrsg.), Staat – Souveränität – Verfassung. Festschrift für Helmut Quaritsch, S. 73 f.; Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaats bis 1866, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, § 2 Rn. 48; Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, § 24 Rn. 84. 2 Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), § 24 Rn. 92. 3 Siehe zur Verbreitung Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, § 26 Rn. 100. 4 Ebd., § 26 Rn. 21. 5 Voßkuhle, Rechtsprechen, in: Kube u. a. (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts: Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, Bd. 1, § 86 Rn. 10; Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), § 26 Rn. 70.

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Heinrich Amadeus Wolff

unparteiische Instanz kann das Recht durchgesetzt, Rechtsfrieden gewährleistet und materielle Gerechtigkeit hergestellt werden.6 Das Grundgesetz fasst als Element der Gewaltenteilung die Rechtsprechung als selbstständige Gewalt.7 Von einer rechtsstaatlichen Justiz kann man sprechen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Gemäß Art. 92 GG ist die rechtsprechende Gewalt nur den Richtern anvertraut.8 „Rechtsprechung“ ist zunächst als formale Rechtsprechung zu verstehen. Das bedeutet, dass die Aufgaben umfasst sind, die aus Gründen des aufdrängenden Rechtsschutzes von vornherein ausdrücklich oder ungeschrieben in richterliche Hände gelegt werden, wie insbesondere die Fällung des Strafurteils.9 Daneben tritt die materielle Rechtsprechung, die als die endgültige Streitentscheidung nach Maßgabe des Rechts durch einen unbeteiligten Dritten zu verstehen ist.10 „Richter“ meint dabei eine Institution, die die Anforderungen des Grundgesetzes an die Richter erfüllen muss.11 Die Anforderungen an den Richter folgen zum Teil schon aus dem Begriff der Rechtsprechung, der eine Unparteilichkeit des Richters verlangt.12 Darüber hinaus sieht das Grundgesetz in Art. 97 vor, dass die Richter unabhängig sein müssen und nur dem Recht unterworfen sein dürfen. Fehlt es an der Unabhängigkeit oder an der Unparteilichkeit, liegt kein Richter im Sinne des Grundgesetzes vor. Die Unabhängigkeit untergliedert sich in die sachliche Unabhängigkeit und die persönliche Unabhängigkeit. Die sachliche Unabhängigkeit ist in Art. 97 Abs. 1 GG jedem Richter garantiert.13 Danach sind die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Art. 97 Abs. 1 GG ist eine Grundnorm der Verfassung, eine Säule des Gewaltenteilungsprinzips und zutreffender Ansicht nach über Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG und durch Art. 79 Abs. 3 GG auch vor einer Verfassungsänderung geschützt.14 Sachliche Unabhängigkeit bedeutet in erster Linie Freiheit von Weisungen.15 Der Richter ist aus der sonst vom demokra6

Schmidt-Jortzig, Aufgabe, Stellung und Funktion des Richters im demokratischen Rechtsstaat, NJW 1991, 2377 (2378). 7 Wilke, Die rechtsprechende Gewalt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, § 112 Rn. 4. 8 Ebd., § 112 Rn. 24. 9 Ebd., § 112 Rn. 57, 63; Voßkuhle, Präventive Richtervorbehalte, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, § 113 Rn. 19 f.; Wolff, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 92 Rn. 17. 10 Wilke, in: Isensee/P. Kirchhof (Hrsg.), § 112 Rn. 66; Wolff, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Art. 92 Rn. 13. 11 Papier, Die richterliche Unabhängigkeit und ihre Schranken, NJW 2001, 1089 (1090). 12 Papier, Richterliche Unabhängigkeit, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, § 130 Rn. 1. 13 Ebd., § 130 Rn. 14 f. 14 Wolff, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 97 Rn. 2. 15 Papier, NJW 2001, 1089 (1090).

Kriterien und Verfahren der Richterwahl in Deutschland

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tischen Prinzip grundsätzlich geforderten Einbindung in Weisungsstränge herausgelöst. Verboten ist aber auch jede andere Form von Einflussnahme auf die Rechtsstellung des Richters. Die persönliche Unabhängigkeit schützt den Richter vor persönlichen Sanktionen für missliebige Entscheidungen. Sie ist allerdings nicht uneingeschränkt gewährleistet, sondern je nach Richtertyp unterschiedlich ausgeprägt. Das Grundgesetz gewährleistet nur den endgültig eingestellten hauptberuflichen Richtern eine ausgeprägte persönliche Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 2 GG). Vom Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt, aber als selbstverständlich vorausgesetzt, ist die Notwendigkeit der intellektuellen und fachlichen Fähigkeit der Richter, die in der richterlichen Funktion liegende Tätigkeit auch auszuüben. Dazu gehört bei den Berufsrichtern in aller Regel eine gewisse Rechtskunde. Das Gebot der Unparteilichkeit und der Unabhängigkeit der Richter sowie der fachlichen Eignung wirkt sachlich auch auf das Verfahren der Ernennung ein.16 Die tragenden Elemente der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit und fachlichen Eignung dürfen nicht dadurch unterlaufen werden, dass der Staat sich die Richter aussuchen kann, die so entscheiden, wie er es in der jeweiligen Situation für sinnvoll und wünschenswert hält. Die Auswahl der Richter muss vielmehr den Anforderungen der Richter im Rechtsstaat gerecht werden. Das Grundgesetz kennt einige Elemente für das Auswahlverfahren, überlässt alles weitere aber dem einfachen Gesetzgeber.17

II. Die unterschiedlichen Richter Das Grundgesetz kennt nur den Richter als Amtsträger der rechtsprechenden Gewalt.18 Das einfache Recht hingegen kennt eine Vielzahl von unterschiedlichen Richtertypen. Das Grundgesetz untersagt es nicht, dass neben dem Grundtyp des hauptamtlichen, auf Lebenszeit angestellten Richters für die unterschiedlichen Spruchkörper spezifisch zugeschnittene Formen des Richters bestehen.19 Vorgaben für die Auswahl macht das Grundgesetz nur für die hauptamtlichen Berufsrichter, auf die ich mich im Folgenden konzentrieren will.

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Sendler, Zur Unabhängigkeit des Verwaltungsrichters, NJW 1983, 1449 (1453). Sennekamp, Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus! Demokratieprinzip und Selbstverwaltung der Justiz, NVwZ 2010, 213 (214). 18 Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), § 130 Rn. 14 f. 19 Sodan, Der Status des Richters, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, § 113 Rn. 36. 17

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Heinrich Amadeus Wolff

III. Die Schritte des Ernennungsverfahrens Die Ernennung der Richter ist kein Vorgang, der sich in einem einmaligen Akt erschöpft. Die Ernennung ist der Abschluss eines Verfahrens. Üblicherweise unterteilt sich das Verfahren in einen Antrag, in die Prüfung der Erfüllung der Mindestvoraussetzungen, in die Beteiligung des Präsidialrates, sowie in die ggf. gemeinsame Entscheidung der Richterwahlausschüsse mit dem Ministerium. Anschließend kommt dann der formale Akt der Ernennung.

IV. Die beteiligten Stellen 1. Allgemein Die Auswahl der Richter kann abstrakt gesehen nur von vier Gewalten vorgenommen werden: Von der Judikative selbst, von der Exekutive, von der Legislative oder vom Volk. In Deutschland gibt es keine Volkswahl der Richter für die ordentliche Gerichtsbarkeit. Die Exekutive ist fast immer bei der Auswahl beteiligt. Die Beteiligung der anderen Gewalten ist fallabhängig.

2. Zentrale Rolle der Exekutive Bei dem Auswahlverfahren hat die Exekutive immer eine zentrale Rolle inne. Ohne die Beteiligung des zuständigen Ministers ist eine Ernennung nicht möglich. Dies mag auf den ersten Blick verwundern und wird teilweise auch erheblich kritisiert. So ist von dem „Grundübel der richterlichen Unabhängigkeit“ und von einer „verlogenen Angelegenheit“20 gesprochen worden, weil die Kontrolle durch einen vom Kontrollierten abhängigen Kontrolleur unmöglich sei. Überwiegend wird die Ernennung durch die Exekutive aber als die beste praktische Lösung empfunden.21 Sie findet ihren Grund darin, dass die Rechtsstellung des Richters und die des Beamten sehr ähnlich sind, viele Garantien parallel laufen und die Auswahlentscheidung eine verwaltungsmäßige Entscheidung ist, für die die Exekutive gut ausgestattet ist. Weiter wird so der Wechsel zwischen der Gerichtsbarkeit und der Exekutive erleichtert, der grundsätzlich im Sinne eines funktionsfähigen Staates gepflegt werden muss. Die Selbstergänzung der Richterschaft würde die Gefahr des Kastendenkens und einer berufsständischen Inzucht und Isolation begründen. Ferner garantiert die Zuweisung zur Exekutive eine gewisse Objektivität und eine hinreichende demokratische Legitimation, anders als eine reine Kooptionslö-

20 21

Van Husens, Die Entfesselung der Dritten Gewalt, AöR 78 (1952/53), 49 (53, 55). Sendler, NJW 1983, 1449 (1453).

Kriterien und Verfahren der Richterwahl in Deutschland

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sung.22 Das Grundgesetz sieht diese Zuständigkeit hinreichend deutlich als Regelzuständigkeit vor.23 3. Beteiligung der Judikative a) Präsidialrat Die Beteiligung der Judikative ist möglich, aber nicht zwingend notwendig. Wird sie vorgesehen, findet sie in der Form einer Stellungnahme des jeweiligen Präsidialrates der Gerichte statt. Auf Bundesebene ist dieser für jede Ernennung und auf Landesebene ab Ernennung zu R224 zu beteiligen (§§ 55, 75 DRiG). Er gibt eine schriftlich begründete Stellungnahme über die persönliche und fachliche Eignung des Bewerbers ab (§ 57 Abs. 1 S. 1 DRiG), trifft aber keine Auswahl zwischen mehreren Bewerbern.25 Politisch gewollte, aber fachlich ungeeignete Kandidaten überleben diese Prüfung in aller Regel nicht. Hält der Präsidialrat eine Kandidatin oder einen Kandidaten für ungeeignet, führt dies nicht zu einem Verbot der Auswahl und der Ernennung,26 löst aber eine besondere Begründungspflicht aus, wenn der Richterwahlausschuss oder das zuständige Ministerium dennoch diese Person auswählt. In der Regel stellt sich weder das Ministerium noch der Wahlausschuss gegen eine Ablehnung durch den Präsidialrat. b) Dienstliche Beurteilung Einen erheblichen Einfluss auf die Auswahl der Richter besitzt die Justiz selbst über die dienstliche Beurteilung, auch wenn dies erst für die Beförderung und nicht schon für die Einstellung relevant wird. Richter können also beurteilt werden. Dienstliche Beurteilungen sind Teil der in § 26 DRiG vorgesehenen Dienstaufsicht.27 Die dienstliche Beurteilung ist eine auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit grundsätzlich zulässige Maßnahme der Dienstaufsicht.28 Sie obliegt dem Dienstvorgesetzten. Dieser ist in Gestalt des unmittelbaren Dienstvorgesetzten ebenfalls ein Richter, als oberster Dienstvorgesetzter aber die Justizverwaltung (§ 16 AGGVG). Die dienstliche Beurteilung ist notwendig, da das verfassungsrechtlich vorgegebene Prinzip der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG) ohne Leistungsbewertung für Auswahlentscheidungen nicht zu realisieren ist. Sie enthält im Regelfall 22

Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), § 130 Rn. 66. Sendler, NJW 1983, 1449 (1453); Sennekamp, NVwZ 2010, 213 (214). 24 R2 ist das erste Beförderungsamt für Richter, etwa Vorsitzender Richter am Landgericht. 25 Staats, Deutsches Richtergesetz, Baden-Baden 2012, § 75 Rn. 2, § 57 Rn. 1. 26 Wolff, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), Art. 95 Rn. 5. 27 Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), § 130 Rn. 32 f.; Staats, DRiG, § 26 Rn. 7; kritisch insoweit Wittreck, Durchschnitt als Dienstpflicht? Richterliche Erledigungszahlen als Zweck der Dienstaufsicht, NJW 2012, 3287 (3291). 28 Papier, NJW 2001, 1089 (1092). 23

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– unter anderem – eine Würdigung der Erledigung einer Vielzahl von rechtsprechenden Tätigkeiten und knüpft daran eine Prognose. 4. Beteiligung der Legislative a) Allgemein Durch die Beteiligung eines Richterwahlausschusses kommt es zur Beteiligung der Legislative an den Auswahlentscheidungen, bei denen ein Richterwahlausschuss beteiligt ist. Das Grundgesetz kennt zwei Fallgestaltungen, in denen der Richterwahlausschuss beteiligt wird. Zum einen bei der Wahl des Richters des obersten Bundesgerichts gemäß Art. 95 Abs. 2 GG. Zum anderen besteht für die Länder eine Ermächtigung Richterwahlausschüsse vorzusehen, aber keine Pflicht gemäß Art. 98 Abs. 4 GG.29 Nicht alle Länder sehen Richterwahlausschüsse vor.30 b) Der Richterwahlausschuss gem. Art. 95 Abs. 2 GG Der Richterwahlausschuss ist ein politisches Organ.31 Seine Einschaltung auf Bundesebene dient der verstärkten demokratischen und zusätzlich auch bundesstaatlichen Legitimierung der zu berufenden Bundesrichter. Er besteht auf Bundesebene aus den jeweils sachlich zuständigen Landesministern und einer gleichen Anzahl anderer Mitglieder, die der Bundestag wählt.32 c) Der Richterwahlausschuss der Länder Die Besetzung der Richterwahlausschüsse der Länder können diese selbst bestimmen.33 Außer Mitgliedern des jeweiligen Landesparlaments können insbesondere auch Richter und Vertreter der Rechtsanwaltschaft, die sämtlich vom Landesparlament zu wählen sind, dem Richterwahlausschuss angehören. Im Übrigen gelten die Vorgaben des Art. 98 Abs. 4 GG.34 Verfahrensmängel bei der Richterwahl führen nicht zur Unwirksamkeit der Ernennung der gewählten Richter. Auch die fehlerhafte Auswahl der richterlichen Mitglieder eines Richterwahlausschusses hat nicht zur Folge, dass von diesem gewählte und dann ernannte Berufsrichter nicht gesetzliche Richter sein können. 29

Wolff, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), Art. 98 Rn. 5. Ebd.; vgl. die Übersicht bei Hillgruber, in: Maunz/Dürig, Art. 98 Rn. 49. 31 Wolff, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), Art. 95 Rn. 5. 32 Ebd. 33 Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), § 130 Rn. 64 f.; Wolff, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), Art. 95 Rn. 5. 34 Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 98 Rn. 11; Detterbeck, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 98 Rn. 21. 30

Kriterien und Verfahren der Richterwahl in Deutschland

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d) Das Zusammenwirken Ist der Richterwahlausschuss beteiligt, steht diesem niemals die Auswahl alleine zu, sondern immer in Kombination mit dem zuständigen Ministerium.35 Man spricht vom Vorliegen eines Kondominiums, also eines Mischsystems.36 Landesjustizminister und Richterwahlausschuss entscheiden unabhängig voneinander und gleichberechtigt. Zuständig ist der für den jeweiligen Gerichtszweig funktionell zuständige Minister. Eine Richterwahl ohne Beteiligung des Ministers wäre unzulässig; ihm muss – ungeachtet seiner Stellung – die Letztverantwortung für die Anstellung verbleiben. Seine Mitwirkung lässt sich nicht auf ein bloßes Vorschlagsrecht gegenüber einem zur Richterwahl letztverantwortlich befugten Landtagsplenum reduzieren.37 Der Richterwahlausschuss soll die demokratische Legitimation der Richter erhöhen.38

V. Eingrenzung der Auswahlentscheidung durch die Exekutive Soweit die Exekutive die Richter alleine auswählt oder mitauswählt, ist sie uneingeschränkt an die verfassungsrechtlichen Auswahlkriterien für die Richterwahl gebunden. Bei den Kriterien für die Auswahl enthält das Grundgesetz keine unmittelbare, für Richter spezifische, Regelung. Gewisse Anforderungen lassen sich aus dem Amt herleiten. 1. Eignungsvoraussetzungen Das Grundgesetz beinhaltet Mindestbedingungen einer Ernennung zum Richteramt. Diese Mindestvoraussetzungen finden teilweise ihre Legitimation in den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums oder in der Berechtigung, die Anforderungen gesetzlich sachgerecht auszugestalten. Zu den Mindestvoraussetzungen gehören der Abschluss des zweiten Staatsexamens (§ 5 DRiG), die Verfassungstreue und die intellektuellen und körperlichen Fähigkeiten, diesen Beruf auszuüben.39 35

Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 95 Rn. 30. Jachmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 92 Rn. 127; Hillgruber, in: Maunz/ Dürig, Grundgesetz, Art. 98 Rn. 56. 37 BVerfG, Beschluss vom 4. 5. 1998, 2 BvR 2555/96, NJW 1998, 2590 (2592); Detterbeck, in: Sachs (Hrsg.), Art. 95 Rn. 14; Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), § 130 Rn. 68; Wolff, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), Art. 98 Rn. 5; a. A. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Art. 98 Rn. 16. 38 Sennekamp, NVwZ 2010, 2013 (2015); Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Art. 98 Rn. 15. 39 § 5 Abs. 1 DRiG lautet: Die Befähigung zum Richteramt erwirbt, wer ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit der ersten Prüfung und einen anschließenden 36

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2. Auswahlentscheidung Neben den Mindestbedingungen existieren zusätzlich relative Bedingungen, nach denen die Auswahl unter mehreren geeigneten Kandidatinnen erfolgt. Dafür gibt es eine zentrale Vorschrift im Grundgesetz, die für alle Vergabeentscheidungen von öffentlichen Stellen, also für die Vergabe von Beamtenstellen sowie die Vergabe von Richterstellen greift. Dies ist Art. 33 Abs. 2 GG. Gemäß Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Öffentliche Ämter sind nach dem Prinzip der Bestenauslese zu vergeben. Dabei dient Art. 33 Abs. 2 GG zum einen dem öffentlichen Interesse der bestmöglichen Besetzung des öffentlichen Dienstes; zum anderen trägt er dem berechtigten Interesse des Bewerbers dadurch Rechnung, dass dieser ein grundrechtsgleiches Recht auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl inne hat.40 Art. 33 Abs. 2 GG enthält ein klares Verbot der Ämterpatronage, der Günstlingswirtschaft sowie des konfessionellen, parteipolitischen oder verbandspolitischen Vorteils.41 Die Begriffe „Eignung“, „Befähigung“ und „fachliche Leistung“ sind nicht scharf voneinander zu trennen, sondern gehen ineinander über. Eignung erfasst insbesondere die Persönlichkeit und charakterliche Eigenschaften, die für ein bestimmtes Amt von Bedeutung sind. Sie wird in einem prognostischen Urteil über die Persönlichkeit des Bewerbers festgestellt.42 Zur „Eignung“ gehört auch die Verfassungstreue, was bedeutet, dass der öffentliche Bedienstete jederzeit bereit sein muss, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten.43 „Befähigung“ umfasst die Fähigkeiten, Kenntnisse, Fertigkeiten und sonstigen für die dienstliche Verwendung wesentlichen Eigenschaften, wie etwa Sprachkenntnisse und Rechtschreibkenntnisse.Die fachliche Leistung ist das wohl wichtigste Kriterium und meint die Arbeitsergebnisse und die praktische Arbeitsweise. Der Sache nach bestimmt sich die Eignung bei Einstiegsbewerbern zu 90 % nach der Abschlussnote des Ausbildungsabschlusses und bei Beförderungsämtern nach der Note der dienstlichen Beurteilung.44 Will die Verwaltung eine Bewerberin oder einen Bewerber ernennen, der eine schlechtere Note hat als ein Bewerber, der nicht ernannt wird, ist der Aufwand für die überzeugende Begründung sehr hoch. Wählt die Exekutive die Richter aus, ist sie uneingeschränkt an Art. 33 Abs. 2 GG gebunden.45 Jeder Kandidat, der sich beworben hat, kann die Auswahlentscheidung am Maßstab des Art. 33 Abs. 2 GG überprüfen lassen. Man spricht von einem KonVorbereitungsdienst mit der zweiten Staatsprüfung abschließt; die erste Prüfung besteht aus einer universitären Schwerpunktbereichsprüfung und einer staatlichen Pflichtfachprüfung. 40 BVerfG, Beschluss vom 20. 9. 2016, 2 BvR 2453/15, BVerfGE 143, 22 f. 41 Domgörgen, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), Art. 33 Rn. 4. 42 Ebd. 43 Ebd. 44 BVerwG, Urteil vom 17. 8. 2055, 2 C 37/04, BVerwGE 124, 103 f.; BVerfG, Beschluss vom 25. 11. 2011, 2 BvR 2305/11, NVwZ 2012, 369 (370). 45 Domgörgen, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), Art. 33 Rn. 3.

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kurrentenstreitverfahren. Diese sind in Deutschland durchaus üblich und sehr effizient. Politische Wünsche, vermutete Wahrnehmungen von Gestaltungsspielräumen bei der Rechtsprechung, politische Präferenzen oder sonstige persönliche Eigenschaften sind keine Eignungskriterien im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG und dürfen daher die Auswahl nicht beeinflussen.

VI. Eingrenzung der Auswahlentscheidung durch den Wahlausschuss 1. Art. 33 Abs. 2 GG als grober Rahmen Ist die Beteiligung des Wahlausschusses im Verfahren vorgesehen, relativiert sich der Einfluss von Art. 33 Abs. 2 GG.46 Dies resultiert aus folgender Überlegung: Art. 33 Abs. 2 GG führt bei einer großen Bewerberzahl faktisch immer zu einer bestimmten Person, nämlich derjenigen, die am besten geeignet ist. Auf Grundlage von Art. 33 Abs. 2 GG kann daher immer die „einzig richtige Entscheidung“ getroffen werden. Bei uneingeschränkter Geltung von Art. 33 Abs. 2 GG in Fällen der Beteiligung des Wahlausschusses hätte der Wahlakt selbst keinen Sinn. Die Subsumtion der Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG erfordert keine Wahl. Sieht das Grundgesetz daher einen Wahlausschuss vor, um die demokratische Legitimation der Kandidaten zu erhöhen, relativiert das Grundgesetz auf diese Weise selbst unmittelbar die uneingeschränkte Geltung des Art. 33 Abs. 2 GG, ohne ihn vollständig aufzuheben. Es greift der Gedanke der praktischen Konkordanz, nach dem sowohl die Entscheidung für die Einschaltung eines Richterwahlausschusses einerseits als auch für die Geltung der Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 GG andererseits möglichst weittragend zum Ausdruck kommen. Dies heißt im Ergebnis, dass das Wahlgremium zwar nicht den am besten Geeigneten aussuchen muss, aber sicher keinen Ungeeigneten und darüber hinaus auch keinen offensichtlich nachrangig Geeigneten auswählen darf. 2. Zwang zur Einigung Die zweite Sicherung der Qualität beim Wahlausschuss ist der Zwang zur Einigung.47 Das Wahlverfahren im Richterwahlausschuss muss verfassungsrechtlich, ohne dass die Verfassung dies ausdrücklich so vorsieht, so ausgestaltet sein, dass der Wunsch einer politischen Kraft allein nicht ausreicht für die Wahl. Wie oben dargelegt, soll die Wahl nicht politisch orientiert sein, was aber nicht heißt, dass die politischen Kräfte dennoch versuchen werden, den ihnen zustehende Rechte politisch zu nutzen, sodass dies bei der Ausgestaltung der Rechte möglichst zu beachten ist. 46

Detterbeck, in: Sachs (Hrsg.), Art. 95 Rn. 14; noch ohne Annahme einer Modifikation: Jachmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 95 Rn. 133; Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck (Hrsg.), Art. 95 Rn. 38. 47 Voßkuhle, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Art. 95 Rn. 37.

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Das Wahlverfahren muss so ausgestaltet sein, dass durch heterogene Einflüsse und einen Zwang zur Einigung eine qualitätssichernde Wirkung entsteht.48 Eine einfache Mehrheit eines homogen besetzten Richterwahlausschusses oder ein formales Proporzdenken würde diesen ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Richterwahl kaum genügen.49 Da der Wahlausschuss die demokratische Legitimation erhöhen soll, muss auch ein bestimmender Einfluss der Parlamente bestehen.50 3. Verhältnis von Richterwahlausschuss und Exekutive Existiert eine Zusammenwirkung (Kondominium) von Exekutive einerseits und dem Wahlausschuss andererseits und ist die Exekutive einerseits unmittelbar an Art. 33 Abs. 2 GG und der Richterwahlausschuss demgegenüber nur mittelbar an Art. 33 Abs. 2 GG gebunden, führt dies zu einer Konfliktlage, die nicht ohne ein Nachgeben beiderseits möglich ist. Wäre das Ministerium uneingeschränkt an Art. 33 Abs. 2 GG gebunden, könnte es seine Zustimmung zu dem Ergebnis des Wahlverfahrens nur dann erteilen, wenn im Wahlverfahren der am besten geeignete Kandidat ausgewählt wurde. Dann wiederum hätte allerdings das Wahlverfahren keinen Sinn. Das Bundesverfassungsgericht hat zu dieser Kondominium-Problematik vor kurzer Zeit eine grundlegende Entscheidung gefasst und dabei die Bedeutung des Art. 33 Abs. 2 GG deutlich relativiert.51 Es hat das Verhältnis beider Organe durch das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme aufeinander abgestimmt. Danach haben die Mitglieder des Richterwahlausschusses bei ihrer Entscheidung die Bindung des zuständigen Ministers an Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten. Der eigentliche Wahlakt unterliegt keiner gerichtlichen Kontrolle. Der zuständige Minister wiederum hat sich bei seiner Entscheidung den Ausgang der Wahl grundsätzlich zu eigen zu machen, es sei denn, die formellen Ernennungsvoraussetzungen sind nicht gegeben, die verfahrensrechtlichen Vorgaben sind nicht eingehalten oder das Ergebnis erscheint nach Abwägung aller Umstände und insbesondere vor dem Hintergrund der Wertungen des Art. 33 Abs. 2 GG nicht mehr nachvollziehbar. Bisher ging man davon aus, dass ein Länder-Richterwahlausschuss bei seinen Entscheidungen ebenso wie der Landesjustizminister an Art. 33 Abs. 2 GG gebunden sei. Jedoch wird man die vom Bundesverfassungsgericht getroffene Relativierung des Art. 33 Abs. 2 GG durch Art. 95 Abs. 2 GG auch auf Art. 98 Abs. 4 GG übertragen müssen.

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Vgl. Papier, in: Merten/Papier (Hrsg.), § 130 Rn. 67. Angedeutet ebd., § 130 Rn. 64. 50 Hillgruber, in: Maunz/Dürig, Art. 98 Rn. 61; a. A. Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Art. 98 Rn. 15 f. 51 BVerfG, Beschluss vom 20. 9. 2016, 2 BvR 2453/15, BVerfGE 143, 22 f. 49

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VII. Gesamtbewertung Das System der Richterauswahl in Deutschland wird von der Verfassung teilweise, aber nicht vollständig determiniert. Die Exekutive spielt bei der Richterwahl eine große Rolle, die von der Verfassung vorgegeben ist. Die Beteiligung eines Richterwahlausschusses ist teilweise obligatorisch und teilweise potentiell vorgesehen. Die Parteien, die Regierungskoalitionen, die Ministerien oder gesellschaftlich einflussreiche Gruppen wie Kirchen, Gewerkschaften und Vereine haben keine reale Chance der Steuerung der Auswahl. Bei der erstmaligen Einstellung genießt der Bewerber mit den besten Noten den Vorrang, bei höheren Posten hingegen die Bewerber mit den besten dienstlichen Beurteilungen. Hierauf hat keine der oben genannten Gruppen Einfluss. Einbruchstellen für unsachliche Einflüsse sind die Möglichkeiten, die der Justizverwaltung als oberster Dienstaufsichtsbehörde zustehen und die ein Gemauschel durch die Richterwahlausschüsse in Form des gegenseitigen Proporzdenkens ermöglichen.

Das Verfahren der Richterernennung im Rahmen der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Lichte der polnischen Verfassung Von Lech Jamróz

I. Einleitung Den Gegenstand des Rechtsdiskurses rund um die Ernennung von Richtern in einem bestimmten Staat bildet zumeist die Darstellung eines bestimmten Modells, nach dem die Ernennung durchgeführt wird. Vereinfacht wird angenommen, dass ein solches Modell die führende Rolle der Exekutive oder der Justiz im Rahmen ihrer Selbstverwaltung überlässt; seltener sind dagegen Modelle, in deren Rahmen die Bürger im Wege einer allgemeinen Wahl tätig werden oder Modelle, in denen die Parlamente bei der personellen Gestaltung der richterlichen Gewalt (oder präziser gesagt der Rechtsprechung) federführend sind.1 Eine sachgerechte Darstellung eines bestimmten Ernennungsmodells mitsamt seinen Mängeln muss sowohl alle rechtlichen Aspekte des Ernennungsverfahrens als auch die praktische Anwendung des Rechts berücksichtigen. Dabei handelt es sich um die Gesamtheit der gesellschaftlichen und rechtlichen Bedingungen, die den Prozess der Richterernennung beeinflussen. Dass diese Bedingungen in den einzelnen Staaten stark variieren, hängt mit den unterschiedlichen staatsorganisationsrechtlichen Traditionen, den jeweiligen Staatsmodellen, den Eigenschaften des jeweiligen Staates oder mit seinen historischen Erfahrungen zusammen. Aus diesem Grund verbietet sich eine unreflektierte Übernahme von Rechtsinstituten, die in anderen Staaten funktionieren. In Bezug auf die Republik Polen sollten somit im Hinblick auf die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben sowohl die rechtlichen als auch die faktischen Aspekte berücksichtigt werden.

1

Nach der polnischen Verfassung wird die richterliche Gewalt durch die Gerichte und durch die Gerichtshöfe ausgeübt (Art. 10). Die Rechtsprechung liegt dagegen grundsätzlich in den Händen des Obersten Gerichts, der ordentlichen Gerichte, der Verwaltungsgerichte und der Militärgerichte (Art. 175), wobei immerhin angenommen werden kann, dass folgende Ausnahmen von diesem Grundsatz bestehen: die Kompetenz des Staatsgerichtshofs zur Erkennung über Straftaten, die von höchsten Amtsträgern begangen wurden, sowie die Kompetenz des Verfassungsgerichtshofs zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit einer Tätigkeit einer politischen Partei.

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Die in der polnischen Verfassung normierte Richterernennung ist an das Modell der selbstverwaltenden Justiz als Inhaberin der leitenden Rolle angelehnt. Dies bedeutet aber noch lange nicht, dass außer der Richterschaft keine weiteren Beteiligten an ihr teilnehmen. Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist die Darstellung des in der Verfassung der Republik Polen vorgeschriebenen Ernennungsverfahrens eines Richters an einem ordentlichen Gericht.2 Von großer Relevanz sind hier die verfassungsrechtlichen Verfahrens- sowie Kompetenznormen. Diese dürfen jedoch nicht vom allgemeinen verfassungsrechtlichen Kontext, also von staatsorganisationsrechtlichen Grundsätzen und von der Stellung des Einzelnen im Staat, losgelöst analysiert werden.

II. Allgemeine Bemerkungen In der Verfassung ist das Ernennungsverfahren für Richter der ordentlichen Gerichte sowie für Richter im Allgemeinen äußerst synthetisch geregelt. In der Verfassung findet man nämlich nur zwei Vorschriften, die sich unmittelbar auf dieses Verfahren beziehen. Diese betreffen im Übrigen lediglich die Schlussphase des Verfahrens. Art. 179 der polnischen Verfassung besagt, dass der Präsident der Republik Polen die Richter auf Antrag des Landesrates für das Gerichtswesen auf unbestimmte Zeit beruft. Aus Art. 144 Abs. 3 Pkt. 17 i. V. m. Art. 144 Abs. 1 folgt wiederum, dass es sich bei der Berufung in das Richteramt um ein Prärogativ des Präsidenten handelt. Die Verfassung nennt keine Voraussetzungen für die Bewerbung um ein Richteramt. Diese werden einfachgesetzlich im Gesetz über die Verfassung der ordentlichen Gerichte (Prawo o ustroju sa˛dów powszechnych3) geregelt. Aus den verfassungsrechtlichen Bestimmungen ergibt sich nicht unmittelbar, wer zum Richter ernannt werden darf. Sie legen jedoch besondere Eigenschaften fest, über die ein Richter verfügen muss und insoweit auch dessen verfassungsrechtlichen Status sowie die institutionelle Garantie der Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter. Die Verfassung entscheidet nicht darüber, ob die Besetzung einer vakanten Richterstelle bei einem Gericht eine öffentliche Ausschreibung erfordert oder ob sie intern (d. h. im Anschluss an den richterlichen Assessorendienst) erfolgen darf. Die Stelle eines Gerichtsassessors ist nicht in der Verfassung, sondern im Gesetz über 2 Außer Betracht bleiben andere wesentliche Fragen, wie etwa das Ernennungsverfahren von Richtern zum Obersten Gericht, zu den Verwaltungsgerichten (einschließlich des Obersten Verwaltungsgerichts) und zu den Militärgerichten, die Beförderung von Richtern (d. h. die Ernennung zum Richter an einem höherinstanzlichen Gericht), die sog. horizontale Beförderung von Richtern (d. h. eine befristete Delegierung von Richtern an die Gerichte der höheren Instanzen) und schließlich die kontroverse Frage der Delegierung der Richter an das Justizministerium. 3 Einheitlicher Gesetzestext: Dz. U. von 2018, Pos. 23 m. spät. Änd.

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die Verfassung der ordentlichen Gerichte vorgesehen.4 Eine Novellierung dieses Gesetzes im Jahr 2017 hat die parallele Zulässigkeit der internen und externen Ausschreibungsverfahren wiederhergestellt. Aus ihrer Gesetzesbegründung ergibt sich, dass die Besetzung einer vakanten Richterstelle nun grundsätzlich im Wege einer schrittweisen Beförderung erfolgen soll, während die externe Stellenausschreibung nur einen subsidiären, ergänzenden, Mechanismus darstellen soll. Ohne eine entsprechende Bekanntmachung durch den Justizminister darf es zudem gar nicht erst zu einer solchen externen Ausschreibung kommen. Dies erwies sich in den letzten zwei Jahren als das größte Problem der Justiz, da der Minister über einen längeren Zeitraum hinweg den ihm in diesem Zusammenhang obliegenden Pflichten nicht nachkam.5 Die Verfassung versteht unter dem Begriff der „Ernennung“ ein Nominierungsund kein Wahlsystem. Zwar resultiert die „Ernennung“ eines Richters in der Begründung eines Arbeitsverhältnisses. Sie hat aber eine andere, autonome Bedeutung, denn sie ist keine Ernennung im Sinne des Arbeitsrechts, da Richter nicht abgesetzt werden können. Im verfassungsrechtlichen Schrifttum wird eindeutig und zutreffend darauf hingewiesen, dass ein Ernennungsverfahren die richterliche Unabhängigkeit gewährleistet.6 Darüber hinaus enthält die Verfassung auch weitere Elemente, die den beson4 In Polen existiert das Amt des sog. „Friedensrichters“ nicht. Es entspricht aber in gewissem Maße dem Amt des Assessors. Den Assessoren wird „die Ausübung der Pflichten eines Richters anvertraut“, d. h., sie nehmen gerichtliche Handlungen im Rahmen der Ausübung der Rechtsprechung durch die Gerichte wahr. Sie werden vom Justizminister ernannt. Bei der Ausübung ihres Amtes sind sie unabhängig und nur an die Verfassung und an das Gesetz gebunden. Nach der Rechtsprechung des polnischen Verfassungsgerichtshofs gestattet die Verfassung dem Gesetzgeber, das Rechtsinstitut eines Assessors einzuführen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: (1) es muss sich um eine Ausnahme handeln, die durch einen verfassungsrechtlich legitimierten Zweck getragen wird und die sich in den Grenzen der Realisierung dieses Zwecks bewegt (z. B. eine effektivere Ausübung des Rechts des Einzelnen auf effektiven Rechtsschutz; (2) es müssen alle „materiellen“ Voraussetzungen erfüllt sein, die für die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Assessoren sowie für die Unabhängigkeit der Gerichte maßgeblich sind; (3) der Landesrat für das Gerichtswesen muss an dem Verfahren der Anvertrauung des Assessors mit den Aufgaben eines Richters teilnehmen, da dessen fehlende Teilnahme von mangelnden Gewährleistungen zeugen würde, die für die tatsächliche Unabhängigkeit der Assessoren essentiell sind; (4) Assessoren können nicht abberufen werden, ohne dass dadurch ein Verfassungsverstoß vorliegen würde; (5) die Assessoren müssen vom Einfluss des Justizministers auf ihre Amtshandlungen abgeschirmt werden. Siehe Urteil des TK vom 24. 10. 2007, SK 7/06, OTK ZU 2007, Nr. 9 A, Pos. 108. 5 Im Jahr 2016 hat der Justizminister 13 Bekanntmachungen über 78 vakante Stellen an Amtsgerichten veröffentlicht. Im Jahr 2017 hat er dagegen gar keine Bekanntmachung publiziert. Im Jahre 2018 (bis Ende April) wurden drei Bekanntmachungen mit insgesamt 72 ausgeschriebenen Stellen veröffentlicht, siehe Monitor Polski 2018, Pos. 256, Pos. 261 und Pos. 443. 6 Siehe z. B. Garlicki, Polskie prawo konstytucyjne. Zarys wykładu, Rn. 355; Nalezin´ski, in: Sarnecki (Hrsg.), Prawo konstytucyjne RP, Rn. 553; Granat, Prawo konstytucyjne. Pytania i odpowiedzi, S. 358 f.; Sobczak, in: Skrzydło (Hrsg.), Polskie prawo konstytucyjne, S. 387.

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deren Status des Richters konstruieren und die verfassungsrechtlichen Garantien für die richterliche Unabhängigkeit gewähren. Im Lichte der Art. 178, 180 und 181 gehören die ausschließliche Bindung an die Verfassung und die Gesetze, die Berufung in das Richteramt auf unbestimmte Zeit, die Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit, die politische und berufliche Unabhängigkeit, sowie Arbeitsbedingungen und eine Vergütung, die der Würde des Amtes und dem Pflichtenkreis des Richters entsprechen dazu. Ferner gehört auch die sog. formelle Immunität (die sog. prozessuale Immunität und Immunität der Unantastbarkeit) sowie der Ruhestand dazu. Einige dieser Elemente stellen auch einen Bezugspunkt für die Beurteilung der Qualifikationen eines Kandidaten durch die am Ernennungsverfahren beteiligten Organe dar. Diese sind die Generalversammlung der Richter eines Bezirks, die Kollegien der Bezirksgerichte sowie der Landesrat für das Gerichtswesen. In einem deutlich weiteren Umfang befasst sich die Verfassung mit den Funktionen der einzelnen Staatsorgane. In Bezug auf die Gerichte findet man in Art. 45 eine Reihe von Normen, die diese präzisieren: so soll das Gericht gerecht, zuständig, unabhängig und unparteiisch sein. Es soll Rechtssachen öffentlich und ohne begründete Verzögerung verhandeln. Die Verfassung legt damit besondere Eigenschaften fest, über die ein Gericht in einem demokratischen Rechtsstaat verfügen muss. Die Verwirklichung dieser normativen Richtlinien gehört folglich zu den Aufgaben der Gerichte und anderer Staatsorgane (insbesondere der zentralen verfassungsrechtlichen Organe wie dem Parlament, dem Präsidenten, dem Ministerrat, dem Justizminister, dem Landesrat für das Gerichtswesen), sowie zu den Aufgaben der einzelnen Richter und sonstigen Amtsträger.

III. Die Beteiligung des Landesrates für das Gerichtswesen bei der Auswahl der Kandidaten für das Richteramt und bei der Vorstellung der Kandidaten beim Präsidenten Aus der Verfassung ergibt sich, dass der Landesrat für das Gerichtswesen verpflichtet ist, dem Präsidenten die Anträge auf Berufung einzelner Personen in das Richteramt vorzulegen. Die besonderen Befugnisse sowie die Arbeitsweise des Landesrates werden hinsichtlich dessen Teilnahme am Ernennungsverfahren durch das Gesetz über den Landesrat für das Gerichtswesen geregelt. Verallgemeinernd lässt sich feststellen, dass die Ausgestaltung des Ernennungsverfahrens zu einer objektiven „Auslese“ der Kandidaten für das Amt beiträgt. Richter darf nur sein, wer für eine ordnungsgemäße Ausübung der richterlichen Pflichten einsteht und dadurch das Prinzip des demokratischen Rechtsstaates7 und das Recht

7 Im polnischen Verfassungsrecht werden das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratieprinzip nicht als eigenständige Grundsätze behandelt. Vielmehr bilden sie gemeinsam nach Art. 2 der Verfassung das „Prinzip des demokratischen Rechtsstaates“ (Anm. d. Übers.).

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auf rechtliches Gehör gewährleistet.8 Die Auswahl desjenigen Kandidaten, der für das Richteramt am besten geeignet ist, obliegt überwiegend dem Landesrat für das Gerichtswesen. Letztlich vollzieht dieses Organ eine sachliche Bewertung der Kandidaten und legt dem Präsidenten die Ernennungsanträge vor. Nur der Landesrat ist dazu ermächtigt, das Ernennungsverfahren zu Ende zu führen. Er beaufsichtigt auch die Richtigkeit des Bewertungsablaufs über die Qualifikationen der Kandidaten durch die oben genannten richterlichen Gremien in den Gerichtsbezirken. In der Vergangenheit stellte der Landesrat häufig fehlerhafte Praktiken fest und empfahl daraufhin bestimmte Standards.9 Der Landesrat für das Gerichtswesen „überwacht die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter“, weil sich aus dem Wesen seiner verfassungsrechtlichen Aufgabe ergibt, dass er zu autonomen Entscheidungen hinsichtlich der Bewertung der Qualifikationen einzelner Kandidaten für Richterstellen verpflichtet ist. Es handelt sich hierbei nicht nur um formelle Bedingungen in Form von Positionen innerhalb interner Arbeitsgruppen, die sich aus einigen seiner Mitglieder zusammensetzen und zum Zwecke einer komplexen Überprüfung der bisherigen Tätigkeit eines jeden Kandidaten berufen sind. Auch handelt es sich nicht nur um abschließende Beschlüsse des Landesrates. Vielmehr verfolgt der Landesrat das Ziel eines ordnungsgemäßen und zuverlässigen Kandidatenüberprüfungsverfahrens. Dies muss auch in einer klaren und faktischen Begründung der Stellungnahmen, der durch die im Rahmen des Landesrates einberufenen Arbeitsgruppen, sowie durch den Landesrat selbst zum Ausdruck kommen. Ein Kandidat, der in einem Antrag auf Berufung in das Richteramt durch den Landesrat für das Gerichtswesen nicht erfasst wurde, kann den zugrundeliegenden Beschluss vor dem Obersten Gericht anfechten, wenn dieser seiner Auffassung nach rechtswidrig war. Die Kandidaten können in einem beschränkten Umfang auch im Hinblick auf das verfassungsrechtlich verankerte Recht auf Zugang zu öffentlichen Ämtern Rechtsschutz einholen. Rein formell betrachtet lässt das Gesetz eine gerichtliche Kontrolle der Anträge zu, wenngleich die Verfassung hierzu keine direkten Bestimmungen enthält. Es gibt insofern keine Vorschrift mit Verfassungsrang, die eine solche Kompetenz regeln würde.10

8 Die Ernennung der Richter stellt eine „Gestaltung der personellen Zusammensetzung einer dritten – separaten und eigenständigen – Gewalt“ dar. Darüber hinaus hat sie „eine große Bedeutung im Hinblick auf die Gewährleistung des verfassungsrechtlichen Standards des Rechts auf rechtliches Gehör“. Siehe Pe˛ k/Niezgódka-Medek, in: Górski (Hrsg.), Krajowa Rada Sa˛downictwa. Komentarz, S. 42. 9 Diesem Thema wurde ein separater Beitrag gewidmet, siehe Jamróz, Autonomia samorza˛du se˛ dziowskiego w procedurze wyboru na wolne stanowiska se˛ dziowskie w sa˛dach powszechnych a zasada niezawisłos´ci se˛ dziów, in: Jaskiernia/Spryszak (Hrsg.), Mie˛ dzynarodowe standardy ochrony praw człowieka z dos´wiadczenia Polski, S. 421 ff. 10 Tuleja, Kilka uwag o konstytucyjnych podstawach władzy sa˛downiczej, in: Pastwa u. a. (Hrsg.), Jednos´c´ norm i wartos´ci. Zbiór studiów dedykowanych Profesor Marii Gintowt-Jankowicz, S. 118.

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Analysiert man die Kompetenzen des Landesrates für das Gerichtswesen, ist unvermeidlich, auf die grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich der Novellierung des Gesetzes über den Landesrat für das Gerichtswesen vom 8. 12. 201711 einzugehen. Die Novellierung ist für die Frage der Legitimation des Landesrates und darauf aufbauend auch dessen Handlungsfähigkeit von großer Bedeutung.12 Bedenken hinsichtlich des Statuses und der Kontinuität der Novellierung wurden auch vom Europäischen Netz der Räte für das Justizwesen geäußert.13 Die Novellierung brachte insbesondere eine personelle Neugestaltung des Landesrates mit sich, da neue Regeln für die Auswahl seiner Vertreter innerhalb der Richterschaft eingeführt wurden. Gemäß Art. 187 Abs. 1 der Verfassung setzt sich der Landesrat für das Gerichtswesen unter anderem aus 15 Mitgliedern zusammen, die „aus den Kreisen der Richter des Obersten Gerichts, der ordentlichen Gerichte, der Verwaltungsgerichte und der Militärgerichte gewählt werden“. Vor dem Inkrafttreten der Novellierung wurden diese Mitglieder von den Vertretern der Generalversammlungen der jeweiligen Gerichte ausgewählt. Mittlerweile obliegt diese Aufgabe dem Sejm. Zwar wählt der Sejm diese Mitglieder auch aus Richterkreisen. Dies steht allerdings im Widerspruch zum Willen des Verfassungsgebers, der bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung eine Auswahl durch Richter aus Richterkreisen bezweckt hat, sowie zu weiteren Verfassungsbestimmungen, da die Kompetenzen des Sejms im Rahmen seiner Gestaltungsfunktion in der Verfassung explizit geregelt sind.14 Beide Argumente lassen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmungen aufkommen.15 Außerdem ist bei der Analyse der aktuellen Besetzung des Landesrates für das Gerichtswesen hervorzuheben, dass in diesem entgegen dem soeben dargestellten Art. 187 Abs. 1 der Verfassung weder die Vertreter des Obersten Gerichts noch die der Militärgerichte zugegen sind. Bedenklich ist auch die Tatsache, dass eine ver11

Dz. U. von 2018, Pos. 3. Vgl. z. B. Gemeinsamer Standpunkt des ehemaligen Ersten Präsidenten des Obersten Gerichts Strzembosz und des ehemaligen Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs Zoll, http:// konstytucyjny.pl/1600-2/ (abgerufen am 30. 4. 2018). 13 Siehe https://pgwrk-websitemedia.s3.eu-west-1.amazonaws.com/production/pwk-webencj2017-p/2018-04/Letter_ENCJ_EB_to_KRS_PL_5_April_2018_1.pdf?p8rIK7RQ30ID rTqV0ngndZ0kTg8Uyspl (abgerufen am 30. 4. 2018). 14 Er ernennt z. B. die Richter des TK, die Mitglieder des TS (bis auf den Vorsitzenden), den Ombudsmann (mit Zustimmung des Senats) und den Präsidenten der Polnischen Nationalbank (auf Antrag des Präsidenten der Republik Polen). 15 Eine detaillierte Präsentation der Novellierungsentwürfe mitsamt einer Aufzählung der wichtigsten Vorwürfe verfassungsrechtlicher Art findet man bei Uzie˛ bło, Kilka uwag o „reformowaniu“ Krajowej Rady Sa˛downictwa, IUSTITIA 2017, Nr. 4, S. 173 ff. Ich stimme der dortigen Argumentation und den dort aufgeführten Schlussfolgerungen völlig zu, auch bezüglich des erwarteten Resultates einer Politisierung des Richterrates. Diese These wird dadurch verstärkt, dass die Mehrheit der neu gewählten Richter unterschiedlichste Bindungen an das Justizministerium aufweisen. Beispielsweise kann man solche Mitglieder des Richterrates nennen, die zuvor an das Ministerium entsandt worden sind oder die jüngst vom Justizminister für Ämter von Gerichtspräsidenten und -vizepräsidenten nominiert wurden. 12

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hältnismäßig große Mehrheit der Sitze von Vertretern der untersten Ebene der ordentlichen Gerichtsbarkeit besetzt ist. Derzeit sind 13 von 15 in den Landesrat gewählten Richtern Vertreter der Amtsgerichte. Bei der Festlegung einer neuen Wahlprozedur von 15 Richtern für den Landesrat für das Gerichtswesen kam es zu einem weiteren erheblichen Verstoß gegen die Verfassungsbestimmungen. Aufgrund von Art. 6 des entsprechenden Änderungsgesetzes wurden nach der Neuwahl die Amtszeiten der bisherigen Mitglieder des Landesrates verkürzt, obwohl Art. 187 Abs. 3 der Verfassung bestimmt, dass „die Amtszeit der gewählten Mitglieder des Landesrats für das Gerichtswesen vier Jahre dauert“. Das bedeutet, dass eine einfachgesetzliche Norm sich über eine Verfassungsnorm hinweggesetzt hat, obwohl die Verfassungsbestimmung so präzise und eindeutig formuliert ist, dass zur Feststellung eines fehlenden Auslegungsspielraums bereits die grammatikalische Auslegungsmethode ausreicht. Die Neuwahl der Mitglieder des Landesrates am 6. 3. 2018 durch den Sejm hat nichtsdestotrotz dazu geführt, dass die Verkürzung der bisherigen Amtszeiten Realität geworden ist.16 Am Rande ist noch anzumerken, dass die Liste der Personen, die die jeweiligen Kandidaten unterstützt haben, geheim gehalten wurde, sodass nicht einmal überprüft werden kann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Auswahl der jeweiligen Kandidaten erfüllt wurden.17

IV. Die Beteiligung des Präsidenten an der Ernennung von Richtern: das Wesen des Ernennungsakts und das Problem seiner Kontrolle Die Berufung in das Richteramt durch den Präsidenten hat den Charakter eines Prärogativs und erfolgt in Form eines Beschlusses. Bei dem Prärogativ handelt es sich um eine sog. „eigene“ Befugnis des Präsidenten der Republik Polen, die keiner Gegenzeichnung durch den Ministerpräsidenten bedarf. Im Ernennungsakt des Richters drückt sich der Einfluss des Präsidenten auf die Rechtsprechung aus. Es geht gleichwohl nicht um eine Verstärkung der Position des Präsidenten, sondern eher um eine Hervorhebung der Unabhängigkeit der Gerichte von dem Ministerpräsidenten und von den ihm unterworfenen Organen, ins-

16 Die Ankündigung des vorzeitigen Auslaufs der Mandate der 13 Mitglieder des Landesrates für das Gerichtswesen wurde auf der offiziellen Webseite des Landesrates veröffentlicht: siehe http://www.krs.pl/pl/aktualnosci/d,2018,3/5279,komunikat-o-wygasnieciu-mandatu-13czlonkow-krajowej-rady-sadownictwa (abgerufen am 30. 4. 2018). 17 Gemäß der Novellierung bedarf jeder Richter, der zum Landesrat kandidiert, der Unterstützung seiner Kandidatur durch mindestens 2.000 Bürger oder durch mindestens 25 Richter, die sich noch nicht im Ruhestand befinden.

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besondere vom Justizminister (und im Falle der Richter eines Militärgerichts vom Verteidigungsminister).18 Die Ausübung des Prärogativs steht nicht im Belieben des Präsidenten, ist also nicht schrankenlos. Darauf weist vor allem Art. 126 Abs. 3 der Verfassung hin, wonach der Präsident der Republik Polen seine Aufgaben in dem Umfang ausübt, den ihm die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Grundsätze gewähren. Wenn die Erfüllung der verfassungsrechtlichen „Aufgaben“ nicht nur, aber vor allem durch auszuübende „Kompetenzen“ erfolgt, müssen im Ergebnis nicht nur „Aufgaben“, sondern auch „Kompetenzen“ auf der Grundlage eines Gesetzes sowie in dessen Grenzen ausgeübt werden. Dies stellt im Übrigen eines der Grundprinzipen des Staatsorganisationsrechts, Art. 7 der Verfassung, dar. Darüber hinaus verfolgt jedes Prärogativ ein individuelles Ziel, wobei dasjenige aus Art. 144 Abs. 3 Pkt. 17 der Verfassung das Ziel der Besetzung von vakanten Richterstellen verfolgt. Die Besetzung bedarf eines Beschlusses des Präsidenten, wobei dem Beschluss wiederum ein entsprechender Antrag des Landesrates für das Gerichtswesen vorausgehen muss. Mit der Ausübung dieses Prärogativs erfüllt der Präsident eine der Aufgaben, die kraft Art. 126 Abs. 1 der Verfassung zu seinem Pflichtenkreis gehören und mit der er die Kontinuität der Staatsgewalt in Bezug auf die Gerichte gewährleistet. In der Verfassungspraxis des letzten Jahrzehnts haben sich vor allem zwei Probleme gezeigt. Das erste betrifft die Rechtzeitigkeit der Ausübung des fraglichen Prärogativs durch den Präsidenten. Das zweite bezieht sich auf die Möglichkeit seiner Verweigerung einer Ernennung eines Kandidaten im Wege eines Beschlusses. Die Verfassung legt keine Frist für die Ernennung eines im Antrag des Landesrates für das Gerichtswesen enthaltenen Kandidaten durch den Präsidenten fest. Eine Fristenanordnung ergibt sich auch nicht aus dem Gesetz und nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs würde dies auch das Wesen des Prärogativs verletzen.19 Das bedeutet jedoch nicht, dass der Präsident in diesem Fall an gar keine Frist gebunden ist. Er soll gemäß Art. 126 der Verfassung seinen verfassungsrechtlichen Aufgaben entsprechend „unverzüglich“ handeln, es sei denn, eine Verzögerung ist „begründet“. So kann er beispielsweise feststellen, dass eine Voraussetzung vorliegt, die eine Einstellung des Ernennungsverfahrens notwendig macht.20 Das Erfordernis einer unverzüglichen Ernennung ergibt sich auch aus den Verfassungsprinzipien, etwa aus 18 Kuca, III Rzeczpospolita Polska, in: Mikuli (Hrsg.), Status prawny se˛ dziego we współczesnych systemach politycznych, S. 246. 19 Der Verfassungsgerichtshof hat im Urteil vom 5. 6. 2012, K 18/09, eine Vorschrift für verfassungswidrig erklärt, die dem Präsidenten eine einmonatige Frist für die Ausübung seiner Prärogative zur Ernennung eines Richters einräumte. In einem Sondervotum hat der Richter Tuleja eine gesetzliche Fristbestimmung für die Ausübung dieser Befugnis für zulässig erklärt, wobei er angemerkt hat, dass diese länger als einen Monat betragen sollte – OTK ZU 2012, Nr. 6 A, Pos. 63. 20 Ebd.

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dem Grundsatz des demokratischen Rechtsstaates oder aus dem daraus abgeleiteten Grundsatz des Vertrauens der Bürger in den Staat. Das vollständige Verfahren (insbesondere im Falle einer externen Ausschreibung) ist zeitlich gestaffelt und dauert meist mehrere Monate. Liegen die Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahrens nicht vor, so sollte es ohne unnötiges Zögern, d. h. unverzüglich, abgeschlossen werden. Verleihen die Rechtsvorschriften dem Präsidenten aber nun das Recht zur Verweigerung der Ernennung eines Richters? Weder die Verfassung noch die einfachen Gesetze enthalten diesbezüglich eine ausdrückliche Regelung.21 Prima facie scheint es, dass wenn der Ernennungsantrag vom Landesrat für das Gerichtswesen angefertigt und dem Präsidenten vorgelegt wurde, der Präsident nicht berechtigt ist, die Ernennung zu verweigern. In der Praxis wurde ein solcher Beschluss jedoch zweimal, in den Jahren 2008 und 2016, vom Präsidenten gefasst (einmal in Bezug auf fünf Personen, die vorher Richter waren und einmal in Bezug auf eine Person, die vorher noch kein Richter war) und im Amtsblatt „Monitor Polski“ veröffentlicht.22 Es lässt sich annehmen, dass sich die Möglichkeit der Verweigerung einer Ernennung im Wege eines Beschlusses aus dem besonderen Charakter der Aufgaben des Präsidenten ergibt und daher auch eine Stütze in der Verfassung findet. Ob die Verweigerung aber begründet ist, sollte in jedem Einzelfall eigenständig geprüft werden, was jedoch die Kenntnis der Gründe für die Verweigerung voraussetzt. Das angesprochene Problem deutet aber nicht auf das Vorhandensein einer Lücke in den Verfassungsvorschriften,23 sondern vielmehr auf die Komplexität der Verfassungsmaterie und eventuell ihre mangelnde Präzision hin.24 Ungeachtet dessen kann die Verfassung jedenfalls nicht im Lichte einzelner „aus dem Gesamttext herausgegriffenen“ Vorschriften ausgelegt werden, sondern muss unter Anwendung einer ihrem Zweck entsprechenden Auslegungsmethode ganzheitlich aufgefasst und dabei als ein vollständiger und innerlich kohärenter Rechtsakt betrachtet werden. 21 Auch in der verfassungrechtlichen Lehre besteht darüber keine Einigkeit. Siehe hierzu ein Überblick über die vertretenen Ansichten bei Szwed, Dlaczego sposób powoływania se˛ dziów ma znaczenie dla obywatela? – czyli o znaczeniu poste˛ powania w sprawie odmowy powołania se˛ dziów przez Prezydenta, http://www.hfhr.pl/wp-content/uploads/2017/11/HFPCniepowolani-sedziowie-11-2017.pdf, S. 7 ff. (abgerufen am 30. 4. 2018). 22 Monitor Polski 2008, Nr. 4, Pos. 38 und Monitor Polski 2016, Pos. 696. Die Beschlüsse betrafen auch Kandidaten für Stellen in den Gerichten der höheren Instanzen; die Verweigerung betraf im ersten Beschluss 4 Personen und im zweiten Beschluss 8 Personen. 23 Eine etwas andere Meinung äußerte der Verfassungsgerichtshof, indem er ausführte, dass die gesetzliche Regelung zu den potenziellen Folgen der Ausübung des Prärogativs zur Ernennung (bzw. Nichternennung) zum Richteramt „Lücken (Auslassungen) aufwies“ und dass diese durch entsprechende Normierungen gefüllt werden müssten. Dies sei „zweifellos wünschenswert im Hinblick auf die Vollständigkeit der Rechtsordnung und die Regeln der korrekten Legislation“; siehe Beschluss des TK vom 23. 6. 2008 r., Kpt 1/08, OTK ZU 2009, Nr. 5 A, Pos. 97, am Ende der Begründung. 24 Dies unterstreicht u. a. Jaskiernia in einer seiner Rezensionen, siehe Pan´stwo i Prawo 2009, H. 4, S. 117.

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Wenn die Verfassung eine Frage nicht ausdrücklich regelt, ist auf die Staatsstrukturprinzipien zurückzugreifen. Sehr hilfreich sind dabei die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs und die Verfassungsrechtslehre. Es handelt sich hierbei also um ein Zusammentreffen zweier Bereiche: (1) der Funktion des Präsidenten als Wächter der Verfassung und Garant der Kontinuität der Staatsgewalt sowie (2) der Eigenständigkeit der Judikative, der verfassungsrechtlichen Aufgaben des Landesrates für das Gerichtswesen und der Richtlinie der Sicherung der „Redlichkeit und der Leistungsfähigkeit bei der Verrichtung der Tätigkeit der öffentlichen Institutionen“. Letzteres folgt aus der Präambel, aber drückt auch das Wesen des Staates aus. Einerseits klassifiziert die Verfassung die Ernennung eines Richters nicht als eine Pflicht des Präsidenten. Andererseits schließt sie aber auch die Willkürlichkeit einer solchen „Entscheidung“ und seine Untätigkeit aus. Dies ergibt sich aus dem Kriterium der Rationalität des staatlichen Handelns: Ein Verfahren kann nicht deswegen so lange dauern, um sodann ohne Angabe eines Grundes abgeschlossen zu werden. Die Besetzung von staatlichen Arbeitsstellen, darunter auch von Richterämtern, muss anhand objektiver Kriterien erfolgen, um einen gleichen Zugang zum öffentlichen Dienst zu gewährleisten.25 Der Ausschluss der Willkür „dient der Verwirklichung des Gemeinwohls, indem er die Auswahl der besten Kandidaten auf die einzelnen Stellen im öffentlichen Dienst ermöglicht“.26 Der Landesrat für das Gerichtswesen hat eine ähnlich ausgerichtete Stellungnahme präsentiert, wonach der Präsident „nur in außergewöhnlichen Ausnahmefällen“ die Ernennung eines vom Landesrat ausgewählten Kandidaten ablehnen können soll. Der Landesrat hob auch hervor, dass eine fehlende Begründung einer ablehnenden Entscheidung sich nachteilig auf die Transparenz des Ernennungsverfahrens auswirken würde, was wiederum als Willkürentscheidung des Präsidenten angesehen werden könnte.27 Auch in der Lehre wird eine prinzipielle Zulässigkeit der Verweigerung einer Ernennung durch den Präsidenten anerkannt. In diesem Kontext ist aber auch von einer „absoluten Ausnahme“ und zugleich von „dem Recht auf rechtliches Gehör“28 oder auch von „nach Antragstellung durch den Landesrat bekannt gewordenen wichtigen Gründen“ sowie von einer „begründeten“ Verweigerung die Rede29. 25 Die Festlegung der Kriterien für eine Absage sowie die Anordnung der Begründung der Absage würden das Ermessen des Präsidenten begrenzen, was verfassungsmäßig unbegründet ist. Siehe den Vortrag von Tuleja im Rahmen der Tagung „Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej 12 lat po wejs´ciu w z˙ycie“ (Verfassung der Republik Polen 12 Jahre nach Inkrafttreten) am 21. 10. 2009, verfügbar unter: http://orka.sejm.gov.pl/WydBAS.nsf/0/386D42C63C1 E62C7C1257689004C6AC4/$file/12_lat.pdf (S. 20) (abgerufen am 30. 4. 2018). 26 Urteil des TK vom 29. 11. 2007, SK 43/06, OTK ZU 2007, Nr. 10 A, Pos. 130. 27 Vgl. die Stellungnahme des Landesrates für das Gerichtswesen vom 15. 9. 2016 betreffend die Ablehnung der Ernennung der durch den Landesrat vorgeschlagenen Kandidaten für Richterstellen durch den Präsidenten der Republik Polen. 28 Sułkowski, Uprawnienia Prezydenta RP do powoływania se˛ dziów, Przegla˛d Sejmowy 2008, Nr. 4, S. 54 ff., passim. 29 Siehe den Vortrag von A. Zoll im Rahmen der Tagung „Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej 12 lat …“, ebd., S. 33.

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Eine eventuell ablehnende Stellungnahme des Präsidenten in Bezug auf den Ernennungsantrag des Landesrates für das Gerichtswesen sollte nicht erst durch eine Veröffentlichung im Amtsblatt, sondern schon früher bekannt gemacht werden. Der Präsident entsendet schließlich einen Vertreter in den Landesrat für das Gerichtswesen, der diesem im Plenum die Einwände des Präsidenten gegen den jeweiligen Kandidaten mitteilen kann. Diese Tätigkeit kann im Übrigen auch den endgültigen Beschluss des Landesrates für das Gerichtswesen beeinflussen. Der Präsident kann in der konkreten Sache auch eine erneute Entscheidung beantragen. Wenn die Einwände des Präsidenten so wesentlich sind, dass sie eine Ernennung ausschließen, sollte sich erst recht der Landesrat mit den Verweigerungsgründen (darunter u. a. mit deren sachlicher Begründung) bekannt machen. Ferner sollte die Öffentlichkeit von den Gründen erfahren. Ähnlich dürfte es sich verhalten, wenn eine Entscheidung über eine Ernennung gar nicht erst stattfindet. Der Umstand, dass bisher nur wenige Personen von negativen Entscheidungen betroffen waren, ändert nichts an dieser Bewertung. Es besteht nämlich keine Sicherheit darüber, dass das betreffende Prärogativ in Zukunft nicht häufiger auf eine solche Art und Weise ausgeübt wird, insbesondere weil die bisherigen Ablehnungen auch höhere Stellen in der ordentlichen Gerichtsbarkeit betrafen. Dies könnte ein Zeichen für eine dauerhafte Ingerenz des Präsidenten in die rechtsprechende Gewalt sein. Problematisch ist vor allem, dass ein Bürger, der die verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Kriterien erfüllt und der positiv bewertet wird und daraufhin vom Landesrat für das Gerichtswesen ausgewählt und dem Präsidenten vorgestellt wird, der Erfahrung der ehemaligen Richterkandidaten nach keine Möglichkeit hat, innerstaatlich Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.30 Zudem weiß er nicht, welche Gründe der Entscheidung des Präsidenten zugrunde lagen. Die Folgen der Ablehnung werden vom Gesetzgeber nicht geregelt, was der Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluss in der bereits erwähnten Sache Kpt 1/08 betont hat. Das Zusammenwirken der Staatsorgane stellt eine verfassungsrechtliche Richtlinie für die Handlungsfähigkeit des Staates dar. Das Oberste Verwaltungsgericht hat in der Begründung zweier Beschlüsse, in denen es Kassationsklagen von gescheiterten Richtern abwies, hervorgehoben, dass die Ernennung eines Richters „ein staats30 Die Verwaltungsgerichte, darunter das Oberste Verwaltungsgericht, gehen konsequent von ihrer Unzuständigkeit aus. Sie begründen diese damit, dass es sich bei einem solchen Ernennungsakt nicht um eine Verwaltungssache handelt und das Prärogativ aufgrund seines unabhängigen und diskreten Charakters keiner Kontrolle unterliegt. Auch der Verfassungsgerichtshof hat nicht sachlich über diese Verfassungsbeschwerden entschieden, vgl. Beschluss des TK vom 29. 11. 2010, SK 37/08, OTK ZU 2010, Nr. 9 A, Pos. 119 und vom 19. 6. 2012, SK 37/08, OTK ZU 2012, Nr. 6 A, Pos. 69, wobei die letztgenannte Entscheidung durch den Verfassungsgerichtshof im Plenum gefasst wurde und zum Beschluss über die Einstellung des Verfahrens drei Sondervoten abgegeben wurden. Die Niederlage im Hinblick auf die Geltendmachung dieser Rechte führte im Jahr 2014 zur Einlegung von Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dort machten die Richter, die von der Absage betroffen waren, eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör und des Rechts auf ein faires Verfahren geltend.

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organisationsrechtlicher Akt ist, der in der Schaffung einer personellen Zusammensetzung durch die Judikative besteht“, wobei das Ernennungsverfahren dagegen „als Verwirklichung der Zusammenarbeit zwischen der Exekutive, der Judikative und der Legislative“ bezeichnet werden kann.31 Der Präsident und der Landesrat ergänzen einander, ihre Rolle ist jedoch nicht gleichrangig.

V. Schlussfolgerungen 1. Die Verfassung besagt, dass es ein Ernennungsverfahren gibt, an dem sich in chronologischer Reihenfolge der Landesrat für das Gerichtswesen auf der ersten Etappe und anschließend der Präsident auf der zweiten Etappe beteiligen. Nicht plausibel wäre deshalb die Annahme, es sei ein Anliegen des Verfassungsgebers gewesen, die „Entscheidung“ über die Berufung in das Richteramt dem Ermessen des Präsidenten zu überlassen. 2. Eine normative Richtlinie, die in der Verfassung unmittelbar festgelegt wurde, ist diejenige des Zusammenwirkens der Staatsorgane. In der Präambel wurde sie buchstäblich ausgedrückt. Sie ist aber auch im Hauptteil verankert, da sie sich direkt aus dem Wesen des Grundsatzes der Gewaltenteilung, des Gleichgewichts der Gewalten sowie aus dem Demokratie-, Rechtsstaats- und Republikprinzip ergibt. Aus der Verfassung folgt zugleich das Verbot der Konkurrenz zwischen den Staatsorganen auf den Gebieten, in denen sie öffentliche Gewalt ausüben. 3. Der Grundsatz des Zusammenwirkens der Gewalten ist sowohl ein Konstrukt als auch eine Garantie der Handlungsfähigkeit des Staates. Dies gilt auch im Kontext des Verhältnisses zwischen der öffentlichen Gewalt und dem Einzelnen. Es handelt sich hierbei nicht nur um eine rein formelle Erfüllung von Voraussetzungen für das Zusammenwirken von Gewalten, sondern um ein faktisches Zusammenwirken, das zur Stärkung mehrerer Verfassungsprinzipien beiträgt (insbesondere des Demokratieprinzips, des Rechtsstaatsprinzips und des Grundsatzes des gerechten Staates). Diese Zusammenwirkung soll aber auch die Legitimation der Staatsgewalt (in diesem Fall der rechtsprechenden Gewalt) und den Status des Einzelnen in den Staat stärken. Dabei sollte aber ein solches Zusammenwirken ausgeschlossen werden, welches auf dem Grundsatz der Einheit der Staatsgewalt beruht. Die Zusammenwirkung stellt kein Ziel an sich dar. 4. Das Handeln der Organe der öffentlichen Gewalt sollte auf eine Unterstützung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des Vertrauens der Bürger in den Staat sowie auf die Verwirklichung einer Richtlinie gerichtet sein, die in den entwickelten (westlichen) Demokratien allgemein anerkannt ist. Eine solche besagt, dass ein weitgehender Katalog der Freiheiten und Rechte des Einzelnen sowie ein System zu ihrer Gewährleistung sicher zu stellen sind und dass das Recht freiheitsfreundlich auszulegen ist. 31

Siehe z. B. Beschluss des NSA vom 7. 12. 2017, I OSK 857/17.

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5. Die in der Verfassung und in den Gesetzen festgelegten Kompetenzen einzelner Organe der öffentlichen Gewalt sind als Befugnisse oder Pflichten zu verstehen. Sowohl die aktiven als auch die passiven Maßnahmen der Staatsorgane müssen auf einer Rechtsgrundlage beruhen. Sie müssen auch der Wahrnehmung von in erster Linie verfassungsrechtlichen, aber auch anderen Aufgaben dienen, mit denen diese Organe betraut sind.32 6. Die Ausübung der rechtlich eingeräumten Kompetenzen durch ein Organ der öffentlichen Gewalt darf nicht das Wesen, die Funktion oder die Stellung dieses Organs in der Hierarchie der Staatsorgane missachten. 7. Der Landesrat für das Gerichtswesen beurteilt die Qualifikation der Kandidaten für das Richteramt sachlich anhand von verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Voraussetzungen und überprüft so, ob die Kandidaten die formellen Anforderungen erfüllen. Danach legt er dem Präsidenten einen entsprechenden Ernennungsantrag vor. 8. Der Präsident vollzieht im Rahmen seines Prärogativs den Ernennungsakt, indem er eine Ernennungsurkunde aushändigt und den Eid abnimmt. Der Präsident ist nicht zu einer sachlichen Bewertung der Kandidaten berechtigt, da er sonst in die einem anderen Staatsorgan (dem Landesrat für das Gerichtswesen) vorbehaltenen Kompetenzen eingreifen würde. Die Befugnis des Präsidenten zur Berufung in das Richteramt stellt keinen Automatismus dar. Seine Entscheidung darf jedoch nicht willkürlich sein. Verweigern kann er die Ernennung nur in außergewöhnlichen und begründeten Fällen, wobei die Gründe dieser Ablehnung dem Landesrat für das Gerichtswesen offenbart werden sollten. 9. Im Lichte der Verfassung ist der Landesrat für das Gerichtswesen ein Organ, das sich überwiegend aus Vertretern der Richterschaft zusammensetzt (15 von insgesamt 25 Mitgliedern). Sowohl die Zusammensetzung als auch die Arbeitsweise des Landesrates für das Gerichtswesen müssen mit den verfassungsrechtlichen Vorschriften in Einklang stehen. Anderenfalls handelt es sich beim Landesrat für das Gerichtswesen nicht um das Organ, von dem in Art. 186 f. der Verfassung die Rede ist. Eine gesetzliche Verkürzung einer verfassungsrechtlichen Dauer der Amtszeiten seiner Mitglieder stellt eine evidente Verfassungsverletzung dar. Angesichts dessen ist festzustellen, dass der Landesrat für das Gerichtswesen in seiner jetzigen Form weder in Bezug auf die Realisierung der ihm von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben noch in Bezug auf die Ausübung seiner in der Verfassung und in den einfachen Gesetzen verankerten Kompetenzen über eine verfassungsrechtliche Legitimation verfügt. Die Wahl der neuen Mitglieder des 32 Die Aufgaben des Präsidenten sind in Art. 126 der Verfassung wie folgt umrissen: Er ist der oberste Vertreter der Republik Polen und ein Garant für die Kontinuität der Staatsgewalt (Abs. 1); er überwacht die Einhaltung der Verfassung, die Souveränität und die Sicherheit des Staates sowie die Integrität und die Unteilbarkeit des Staatsgebiets (Abs. 2). Die Aufgaben des Landesrates für das Gerichtswesen regelt Art. 186 Abs. 1 der Verfassung. Nach diesem behütet der Landesrat die Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter. Ferner trägt er dem Präsidenten der Republik Polen die zu ernennenden Richter an (Art. 179 der Verfassung).

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Landesrates am 6. 3. 2018 erfolgte unter einer Verletzung der Verfassung: In seiner gegenwärtigen Zusammensetzung erfüllt die Mehrheit des Landesrates nur rein formell die Voraussetzungen für die Vertretung der Richterschaft, denn sie bekleiden immerhin das Richteramt; im Landesrat fehlen allerdings Vertreter des Obersten Gerichts und der Militärgerichte.33 Des Weiteren besteht eine Lücke im Hinblick auf die Vertreter der Appellationsgerichte, also der ordentlichen Gerichte höchsten Ranges,34 obwohl die Annahme naheliegend ist, dass die Mitgliedschaft in einem verfassungsrechtlich legitimierten Organ besondere Qualifikationen sowie Erfahrungswerte erfordert. Über solche Qualifikationen verfügt im Durchschnitt naturgemäß öfter ein Richter, der an einem höherrangigen Gericht tätig ist.

VI. Zusammenfassung Aus der Perspektive des Verfahrens der Richterernennung versichert die Verfassung: – die Richtigkeit des Handelns der Organe der Judikative (begleitet von einer ganzen Reihe von verfassungsrechtlichen Garantien), – die Kontinuität des Handelns der Judikative, darunter auch die Fähigkeit der konkreten Gerichte zu einer Rechtsprechung, die mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist und die die Richtlinien des demokratischen und gerechten Rechtstaats erfüllt, – die Verwirklichung des Rechts auf rechtliches Gehör, die Legitimation der Judikative, die Verwirklichung des Grundsatzes der Gewaltenteilung und des Gleichgewichts der Gewalten, – den (gleichen – Anm. des Verfassers) – Zugang zum öffentlichen Dienst.35 Immerhin liegt es auf der Hand, dass der faktische Inhalt eines Rechts sich erst bei seiner praktischen Anwendung verwirklicht. Dies betrifft auch die verfassungsrechtlichen Normen. Die gegenwärtige Praxis lässt allerdings viele Wünsche offen. Die in den letzten Monaten ergangenen Novellierungen aus dem Bereich der Gerichtsverfassung und der Stellung der Richter (insbesondere durch das Gesetz über das Oberste Gericht, das Gesetz über den Landesrat für das Gerichtswesen und das Gesetz über die Verfassung der ordentlichen Gerichte) betrafen in erster Linie per33 Der Erste Präsident des Obersten Gerichts ist aufgrund einer separaten Vorschrift gesetzliches Mitglied des Landesrates für das Gerichtswesen, und zwar neben dem Justizminister, dem Präsidenten des Obersten Verwaltungsgerichts und einer weiteren vom Präsidenten der Republik Polen benannten Person. Schließlich gehören zum Landesrat vier Abgeordnete im Sejm und zwei Senatoren. 34 Die Appellationsgerichte entsprechen in der Gerichtshierarchie in etwa den deutschen Oberlandesgerichten (Anm. d. Übers.). 35 Weitz, in: Safjan/Bosek (Hrsg.), Konstytucja RP. Komentarz, Bd. 2, Art. 179 Rn. 6.

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sonelle Angelegenheiten. Aus diesem Grund kann mitnichten von einer Reform die Rede sein. Eine Reform sollte eine breit angelegte Änderung mit sich bringen, mehrere Aspekte der Funktionsweise der Gerichtsbarkeit betreffen und insbesondere auf einer gründlichen Analyse der Probleme der Justiz beruhen. Eine eventuelle Reform müsste insbesondere gerichtliche Prozeduren betreffen und dürfte keine höheren finanziellen Ausgaben für die Justiz scheuen, um auch den Bedürfnissen des nichtrichterlichen Justizpersonals (insbesondere denjenigen der Assistenten der Richter und der Sekretariatsmitarbeiter) gerecht zu werden. Werden verfassungsrechtliche Normen missachtet, so ist es ungewöhnlich schwierig, über die jeweiligen staatsorganisationsrechtlichen Modelle der Staatsgewalten (auch auf wissenschaftlicher Ebene) zu diskutieren. In Zeiten des Verfassungsbruchs bestehen keine Gelegenheiten für eine sachliche Diskussion über eine Reform, die auch eine Verfassungsänderung mit sich bringen könnte. Hierbei sind insbesondere diejenigen Handlungen gemeint, die sich auf der Basis der Rechtstheorie eindeutig als Gesetzesverletzungen oder unzulässige Rechtsumgehungen klassifizieren lassen. Abschließend ist jedoch anzumerken, dass die Rechtsverletzungen auch im Hinblick auf die Änderungen in der Gerichtsbarkeit (darunter auch der Richterernennung) für viele Subjekte von alltäglichem Interesse sind. Gemeint sind alle Bürgerinitiativen, aber auch zahlreiche Stimmen aus den Reihen der Richtergremien, des Ombudsmanns, des Landesrates für das Gerichtswesen (bis April 2018) sowie aus einer Reihe von Nichtregierungsorganisationen36, juristischen Fakultäten an polnischen Universitäten37 und Verfassungsrechtlern38. All dies erlaubt die zurückhaltende Hoffnung zu äußern, dass eine Verbesserung des Staates auch im judikativen Bereich zum richtigen Zeitpunkt vorgenommen wird und unter Einhaltung des Rechts und der Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens erfolgt. Übersetzung: Michał Głuchowski, Przemysław Bartosz

36 Z. B. Helsinki-Stiftung für Menschenrechte (Helsin´ska Fundacja Praw Człowieka), Stephan-Báthory-Stiftung (Fundacja im. Stefana Batorego), Stiftung Zentrum der bürgerlichen Kontrolle „OKO“ (Fundacja Kontroli Obywatelskiej „OKO“), sowie Prof. ZbigniewHołda-Stiftung (Stowarzyszenie im. Prof. Zbigniewa Hołdy). 37 Siehe z. B. den Beschluss Nr. 02/12/12016 des Rats der Fakultät für Recht und Verwaltung der Universität Warschau vom 12. 12. 2016 über die Verletzung der Verfassung durch die Staatsführung der Republik Polen. 38 Siehe z. B. den Beschluss der Polnischen Gesellschaft für Verfassungsrecht (Polskie Towarzystwo Prawa Konstytucyjnego) vom 30. 6. 2016, http://trybunal.gov.pl/uploads/media/ Uchwala_Polskiego_Towarzystwa_Prawa_Konstytucyjnego.pdf (abgerufen am 30. 4. 2018) und die Stellungnahme des Vorstands der Polnischen Gesellschaft für Verfassungsrecht vom 16. 7. 2017, http://konstytucyjny.pl/stanowisko-zarzadu-polskiego-towarzystwa-prawa-konstytu cyjnego-w-sprawie-zmian-w-ustroju-sadow/ (abgerufen am 30. 4. 2018), sowie den Beschluss der Polnischen Gesellschaft für Verfassungsrecht vom 12. 6. 2016, http://konstytucyjny.pl/ uchwala-walnego-zgromadzenia-czlonkow-polskiego-towarzystwa-prawa-konstytucyjnego-zdnia-12-czerwca-2018-r/ (abgerufen am 18. 6. 2018).

Die Kriterien und das Verfahren der Richterernennung in Polen Von Sławomir Steinborn

I. Bei der Problematik der Richterernennung handelt es sich um ein für Polen höchst aktuelles Thema auf dem Gebiet der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung des Justizwesens. Diskussionen in Bezug auf eine Reform der Gerichtsbarkeit werden in den letzten vier Jahren besonders intensiv geführt. Auch der Gesetzgeber hat in diesem Bereich bereits Maßnahmen getroffen. Diese Umstände zeigen, dass es leider zur Regel geworden ist, dass es keine Grundlage in der Form von gründlichen und soliden Analysen gibt, die einer Identifikation der wichtigsten Probleme und Schwächen des bisherigen Systems dienen könnte. Stattdessen richten sich die aktuellen als „Reform“ gekennzeichneten Maßnahmen nach den gegenwärtigen politischen Bedürfnissen und nach der selektiven und subjektiven Bewertung ihrer Autoren. Diese sind jedoch von sachlichen und wissenschaftlichen Grundlagen weit entfernt. An dieser Bewertung ändern auch die Argumente nichts, die sich auf in anderen Staaten vorherrschende Lösungen beziehen und derer sich die Befürworter der jüngsten Reform der polnischen Gerichtsbarkeit im Rahmen der derzeit andauernden öffentlichen Diskussionen häufig bedienen. Die Befürworter der Reform versuchen aufzuzeigen, dass die neu eingeführten Lösungen von den in anderen EU-Mitgliedstaaten angenommenen Lösungen in keiner Hinsicht abweichen und sie anstatt einer Abkehr von europäischen Standards vielmehr eine Einführung derselben bezwecken. Für jeden, der sich im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeit mit rechtsvergleichenden Untersuchungen befasst hat, ist jedoch offensichtlich, dass eine selektive Heranziehung von rechtsvergleichenden Argumenten ohne Rücksicht auf das gesamte fremde Rechtssystem und dessen praktische Umsetzung so viel mit einer sachlich und wissenschaftlich gestützten Diskussion zu tun hat wie Homöopathie mit Medizin. Besonders wichtig ist nämlich, dass Reformen im Bereich des Justizsystems im Ergebnis auf eine Analyse des Status quo reagieren und dass ein Heranziehen von in anderen Ländern ausgearbeiteten Lösungen auf einer Gesamtbetrachtung des jeweiligen fremden Rechtssystems basiert. Zweifellos werden nur die auf diesem Weg gewonnenen Erkenntnisse dazu beitragen, die Diskussion über das polnische System sachlicher und vertiefter zu gestalten, anstatt sich auf Argumente zu beschränken, die bloß eine von vornherein angenommene These unterfüttern. Die vorliegenden

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Ausführungen sollen den Versuch einer Diagnose des aktuellen Systems der Richterernennung darstellen und zu einer sachlichen Diskussion über dessen Verbesserung beitragen.

II. Gestatten Sie mir noch einige Vorbemerkungen, ehe ich auf das Verfahren und die Kriterien der Richterernennung in Polen eingehe. Erstens werde ich mich im Rahmen meiner Analyse aus Gründen der Schlüssigkeit und Klarheit vor allem auf die Ernennung der Richter an den ordentlichen Gerichten konzentrieren und die mit der Ernennung der Richter an den Verwaltungs- und Militärgerichten zusammenhängenden Fragen außen vorlassen. Stattdessen möchte ich Sie gerade vor dem Hintergrund der außerordentlichen Aktualität der Materie auf das neue Verfahren der Richterernennung am Obersten Gericht aufmerksam machen. Zweitens ist festzustellen, dass das Verfahren der Richterernennung in Polen nicht einheitlich geregelt ist. Da erst kürzlich die Stelle des sog. Gerichtsassessors wiedereingeführt wurde, gibt es derzeit zwei „Wegen“ in den Richterdienst. Ich werde deshalb zunächst den regulären Weg darstellen und erst anschließend auf die Besonderheiten des sog. Assessorenwegs hinweisen. Drittens werde ich mich auch auf das die höheren Instanzgerichte betreffende Verfahren beziehen, da dieses mit der Thematik der Beförderung von Richtern verbunden und dessen Beschreibung notwendig ist, um das Bild zu vervollständigen. Zum Schluss werde ich das polnische System kurz bewerten.

III. Das Verfahren der Richterernennung ist vor allem im Gesetz über die Verfassung der ordentlichen Gerichte1 sowie im Gesetz über den Landesrat für das Gerichtswesen2 geregelt. Der Rahmen dieser Gesetze wird durch die polnische Verfassung abgesteckt, denn nach ihrem Art. 179 werden die Richter von dem Präsidenten der Republik Polen auf Antrag des Landesrates für das Gerichtswesen ernannt. Daraus folgt vor allem, dass der polnische Gesetzgeber ein System der Ernennung und nicht der Wählbarkeit angenommen hat. Der Richterernennung durch den Präsidenten geht jedoch ein Verfahren voraus, das in einem einschlägigen Gesetz vorgesehen ist und das auch Elemente eines Wahlsystems, die auf der sog. Kooptierungsmethode3 basieren, beinhaltet. Aufgrund von Art. 179 der Verfassung bestehen auch keine Zweifel daran, dass die Ernennung der Richter durch den Präsidenten nur auf Antrag des Landesrates für das Gerichtswesen erfolgen darf. In diesem Sinne ist eine Zusammenar-

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Einheitlicher Gesetzestext: Dz. U. von 2018, Pos. 23 m. spät. Änd. Einheitlicher Gesetzestext: Dz. U. von 2018, Pos. 398 m. spät. Änd. 3 Siehe Weitz, in: Safjan/Bosek (Hrsg.), Konstytucja RP. Komentarz, Bd. 2, Art. 179 Rn. 6. 2

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beit der beiden Verfassungsorgane vonnöten und die Teilnahme eines jeden Organs am Verfahren sogar zwingend erforderlich.4 Die Vorschrift des Art. 179 der Verfassung regelt in keiner Weise die Prozedur, die zeitlich vor dem Richterernennungsantrag des Landesrates für das Gerichtswesen an den Präsidenten erfolgt. Es wird jedoch zutreffend angenommen, dass in diesem Bereich zumindest gewisse Voraussetzungen aus anderen verfassungsrechtlichen Regelungen abgeleitet werden können. Im Hinblick auf den Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter sollte der Ablauf eines solchen Verfahrens garantieren, dass die Legislative und die Exekutive nicht in die Auswahl eines Richterkandidaten eingreifen. Ferner sollte eine Auswahl ermöglicht werden, die garantiert, dass nur solche Personen zu Richtern ernannt werden, die die richterliche Gewalt in einer Weise ausüben, die dem Individuum einen gewissen Rechtsstandard zu garantieren imstande ist.5 Gewährte man der Exekutive (z. B. dem Justizminister) von Gesetzes wegen ein Vorschlagsrecht von Kandidaten für das Richteramt gegenüber dem Landesrat für das Gerichtswesen, so stünde dies nicht im Einklang mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichte und der Richter.6

IV. Die Ernennung zum Richter hängt von der Erfüllung einiger Grundvoraussetzungen ab, die im Gesetz über die Verfassung der ordentlichen Gerichte geregelt sind. Diese Voraussetzungen gelten instanzenunabhängig für jede Richterstelle und lauten wie folgt: (1) polnische Staatsangehörigkeit und die Möglichkeit der Inanspruchnahme aller Bürgerrechte, (2) „makelloser“ Charakter, (3) Abschluss eines Studiums der Rechtswissenschaften in Polen mit Erlangung eines entsprechenden Magistertitels und (4) ein für die Ausübung dieser Funktion erforderlicher Gesundheitszustand.

Personen, die in der Vergangenheit wegen eines vorsätzlichen Offizialdelikts oder wegen einer vorsätzlichen Straftat gegen das Vermögen rechtskräftig verurteilt wurden, können nicht in das Richteramt berufen werden. Ein Mindestalter von 29 Jahren stellt eine zusätzliche Voraussetzung für Kandidaten dar, die sich auf ein Richteramt an einem Amtsgericht (sa˛d rejonowy) bewerben. Eine Person, die sich zum ersten Mal auf eine Richterstelle bewirbt, muss eine 4

Siehe Urteil des TK vom 8. 5. 2012, K 7/10, OTK-A 2012, Nr. 5, Pos. 48; Urteil des TK vom 5. 6. 2012, K 18/09, OTK-A 2012, Nr. 6, Pos. 63. 5 Weitz, in: Safjan/Bosek (Hrsg.), Art. 179 Rn. 12. 6 Garlicki, in: Garlicki (Hrsg.), Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej. Komentarz, Art. 179 S. 4.

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Bestätigung darüber vorlegen, dass sie über die zur Ausübung der richterlichen Pflichten notwendige Gesundheit verfügt. Um eine solche Bescheinigung zu bekommen, muss sie sich nicht nur einer ärztlichen, sondern auch einer psychologischen Untersuchung unterziehen (Art. 57 § 7 und 10 plGVG). Der reguläre Weg in das Richteramt führt über den juristischen Vorbereitungsdienst (aplikacja), den Absolventen eines Studiums der Rechtswissenschaften nach dem Bestehen einer entsprechenden Aufnahmeprüfung an der Nationalen Schule für die Gerichtsbarkeit und die Staatsanwaltschaft ableisten. Für eine Richterstelle an einem Amtsgericht, also für eine erstmalig überhaupt mögliche, kann sich nämlich bewerben, wer die Richter- oder Staatsanwaltsprüfung bestanden hat und anschließend als Gerichtsassessor tätig war (die Richteraufgaben also mindestens drei Jahre lang wahrgenommen hat).7 Auf eine Richterstelle am Bezirksgericht (sa˛d okre˛gowy) kann sich dagegen nur bewerben, wer bereits mindestens vier Jahre lang als Richter tätig war. Für angehende Richter eines Appellationsgerichts (sa˛d apelacyjny) beträgt die vorausgesetzte Mindestdauer der Berufstätigkeit als Richter zehn Jahre, wobei es nicht darauf ankommt, in welcher Instanz der jeweilige Kandidat tätig war. Auch eine Berufstätigkeit als Staatsanwalt wird in diesen Mindestzeitraum mit eingerechnet. Der Richterberuf steht zumindest aus rein formeller Sicht auch Vertretern anderer juristischer Berufe offen. So können sich auch Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Rechtsberater und Notare sowie für gewöhnlich auch Professoren oder habilitierte Doktoren der Rechtswissenschaften bewerben. In Bezug auf die beiden letztgenannten gilt, dass diese sich für jedes Richteramt bewerben können, wenn sie zuvor fünf Jahre lang an einer polnischen Hochschule oder an einer anderen wissenschaftlichen Einrichtung tätig waren. Die Praxis zeigt jedoch, dass Vertreter anderer juristischer Berufe unter den Bewerbern deutlich in der Minderheit sind und sie an den Gerichten höheren Ranges sogar die Ausnahme darstellen.8 Zum Richter können auch ein Staatsanwalt, ein Rechtsanwalt, ein Rechtsberater, ein Notar sowie eine Person, die als Präsident, Vizepräsident oder Berater der Finanz-

7 Bis Juni 2017 konnten sich für das Richteramt bei den Amtsgerichten auch Rechtspfleger und Richterassistenten bewerben, die ein Berufsexamen bestanden hatten und eine Reihe von abgeleisteten Dienstjahren vorzeigen konnten. Gemäß der Studie der Stiftung Court Watch Polska dominierten solche Kandidaten entscheidend im Vergleich zu anderen Bewerbern, die sich in den Jahren 2014 – 2017 um eine Ernennung zum Richter an Amtsgerichten beworben hatten. Siehe Pilitowski/Hoffman/Kociołowicz-Wis´niewska, Ska˛d biora˛ sie˛ se˛ dziowie? Raport z badania procesu selekcji kandydatów na wolne stanowiska se˛ dziowskie przez Krajowa˛ Rade˛ Sa˛downictwa, https://courtwatch.pl/wp-content/uploads/FCWP_Skad_biora_sie_sedziowie_ vol_1.pdf, S. 18 (abgerufen am 21. 6. 2019). 8 In den Jahren 2014 – 2017 stellten die Vertreter anderer Rechtsberufe nur ca. 10 % der zum Richteramt in den Amtsgerichten ernannten Kandidaten dar. Der Landesrat für das Gerichtswesen hatte in diesem Zeitraum keinen solchen Kandidaten zur Ernennung zum Richter am Bezirksgericht und nur zwei Kandidaten (die wissenschaftliche Mitarbeiter waren) zum Richter am Appellationsgericht vorgebracht (siehe Pilitowski/Hoffman/KociołowiczWis´niewska, ebd., S. 18 f.).

Kriterien und Verfahren der Richterernennung in Polen

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prokuratur9 (Prokuratoria Generalna Rzeczypospolitej Polskiej) der Republik Polen tätig war, ernannt werden. Für die Ernennung eines Staatsanwalts zum Richter am Amtsgericht gibt es keine Anforderungen hinsichtlich der Mindestdauer seiner Berufstätigkeit als Staatsanwalt. In Bezug auf die übrigen vorgenannten Berufe wird vorausgesetzt, dass diese mindestens drei Jahre lang ausgeübt wurden. Für die Ernennung zum Richter am Bezirksgericht beträgt die Mindestdauer der Berufstätigkeit für Staatsanwälte vier Jahre und für die übrigen juristischen Berufe sechs Jahre. Für die Ernennung zum Richter am Appellationsgericht beträgt die Mindestdauer für alle Berufe dagegen einheitlich zehn Jahre. Das Ziel, das mit den vorgenannten Voraussetzungen erreicht werden soll, ist klar: Es geht darum, dass die Kandidaten über eine Berufserfahrung verfügen, die dem Rang der Richterstelle entspricht, auf die sie sich bewerben.

V. Das Ernennungsverfahren wird durch eine Bekanntmachung über eine vakante Richterstelle an einem bestimmten Gericht in Gang gesetzt, die durch den Justizminister im Amtsblatt „Monitor Polski“ veröffentlicht wird. Personen, die die soeben beschriebenen Voraussetzungen erfüllen, können ihre Kandidatur innerhalb von 30 Tagen anmelden. Sowohl die Bewerbung als auch das ganze Ernennungsverfahren erfolgen in elektronischer Form mithilfe eines IT-Systems, das durch den Justizminister betrieben wird (Art. 57 § 2 plGVG). Der Kandidat legt bei seiner Bewerbung entsprechende Unterlagen vor, die seine Befähigung zum Richteramt nachweisen, und füllt die sog. Bewerbungskarte aus. Diese Karte enthält detaillierte Angaben zur Person, zur Ausbildung und zur Berufserfahrung, zum Ablauf der bisherigen Arbeit sowie zu wissenschaftlichen, didaktischen und fachgutachterlichen Leistungen.10 Der Kandidat sollte darüber hinaus 100 Rechtssachen benennen, an denen er als Richter teilgenommen oder an denen er sich als Staatsanwalt, Rechtsanwalt oder Bevollmächtigter beteiligt hat. Bewirbt sich ein Staatsanwalt, so sollte er auch Rechtssachen angeben, in deren Rahmen er ein Ermittlungsverfahren geleitet oder beaufsichtigt hat. Bewirbt sich ein Notar, so hat dieser die von ihm ausgefertigten Notarakten vorzulegen. Bewirbt sich ein Wissenschaftler, so hat er eine Publikationsliste samt eventueller Rezensionen und entsprechende Abschriften derselben einzureichen sowie die Charakteristika seiner Leistungen auf dem Gebiet der Ausbildung oder der Forschung darzustellen. Der Bewerbung können auch andere Unterlagen, wie von Dritten angefertigte Stellungnahmen und Empfehlungen, beigefügt werden. Die ausgewählten Rechtssachen und Publikationen bilden eine Basis für die Bewertung der Kandidaten. 9 Die Finanzprokuratur ist eine staatliche Einrichtung, die der Verteidigung den Finanzund Rechtsinteressen des Staates dient. Sie vertritt die Republik Polen in Rechtsstreitigkeiten, die gegen Republik Polen eingerichtet sind (Anm. d. Übers.). 10 Siehe die Verordnung des Justizministers vom 9. 9. 2014 über den Datenumfang einer Bewerbung für freie Richterstellen, Dz. U. von 2014, Pos. 1221.

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Die erste Etappe des Ernennungsverfahrens findet bei Bewerbungen um eine vakante Richterstelle am Amtsgericht vor einem zuständigen Bezirksgericht und bei Bewerbungen für eine Stelle am Bezirks- oder Appellationsgericht vor einem zuständigen Appellationsgericht statt. Nach der Prüfung der formellen Anforderungen empfiehlt der Präsident des zuständigen Gerichts meistens eine Bewertung der Qualifikationen des Kandidaten durch einen Aufsichtsrichter (se˛ dzia wizytator) vorzubereiten. Die einzelnen Kriterien dieser Bewertung legt das Gesetz über die Verfassung der ordentlichen Gerichte in seinen Art. 57b und 57e–57 h fest. Handelt es sich bei dem Kandidaten um einen bereits amtierenden Richter (geht es also um die Beförderung in eine höhere Richterstelle), bezieht sich die Prüfung vor allem auf das sachliche Niveau seiner Rechtsprechung, auf die Funktionsfähigkeit und Effektivität des durchgeführten Verfahrens, auf dessen Kultur der Amtsausübung sowie darauf, ob er die Rechte der Verfahrensbeteiligten geachtet hat. Die Bewertung erfolgt anhand von Rechtssachen, die unter den vom Kandidaten angegebenen Rechtssachen zur Bewertung ausgelost wurden, sowie anhand einiger anderer Rechtssachen. Bei Letzteren werden Rechtssachen aus dem Referat des Kandidaten in Betracht gezogen, über die schon sehr lange verhandelt wird, in denen eine Berufungsinstanz eine Entscheidung geändert oder aufgehoben hat oder in deren Rahmen eine überlange Verfahrensdauer festgestellt wurde. Ähnliche Kriterien gelten auch für die Bewertung von Kandidaten aus anderen juristischen Berufsgruppen, wobei hier ein gewisses sachliches Niveau und eine gewisse Gründlichkeit der Schriftsätze, Qualität und Effektivität der im Laufe eines Verfahrens ergriffenen Maßnahmen sowie die Kultur der Berufsausübung ausschlaggebend sind. Die Bewertung stützt sich auf Rechtsgutachten und Schriftsätze in denjenigen Rechtssachen, die unter den vom Kandidaten genannten zur Bewertung ausgelost wurden, sowie in anderen Sachen, auf die der Bewertende selbst zurückgegriffen hat. Die Bewertung der Qualifikationen eines Wissenschaftlers erfolgt dagegen vor allem in Anlehnung an seine wissenschaftlichen Leistungen sowie an die Qualität seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Rechtsgutachten. In die Bewertung eines jeden Kandidaten müssen auch seine persönlichen Veranlagungen zum Richterberuf (z. B. seine Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen) sowie die Frage berücksichtigt werden, ob er sich an die durch das jeweilige Berufsethos aufgestellten Regeln gehalten hat (Art. 57i plGVG). Entscheidend ist, dass der Bewertende über korrekte Informationen verfügt, die eine Überprüfung der Kandidaten auch unter diesen Gesichtspunkten ermöglichen. Unter den Aufsichtsrichtern ist aber inzwischen die Tendenz bemerkbar, eine Bewertung abzugeben, die (möglicherweise auch aufgrund fehlender objektiver Informationen zur Bewertung der personellen und ethischen Eigenschaften des Kandidaten) hauptsächlich auf Dokumenten basiert und sich auf die Bewertung des Berufswegs des Kandidaten sowie auf quantitative Effekte seiner Arbeit zu konzentrieren scheint.11 Die Bewertung der Qualifikationen erfolgt schriftlich. Der Kandidat selbst wird zuallererst mit ihr bekannt gemacht und kann sie innerhalb von sieben Tagen mit Be11

Vgl. Pilitowski/Hoffman/Kociołowicz-Wis´niewska, ebd., S. 22 ff.

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merkungen versehen. Danach stellt der Präsident des zuständigen Gerichts den Kandidaten dem Kollegium des Gerichts zur Begutachtung vor. Das Kollegium beschränkt sich meist in Anlehnung an die vorab gesammelte Dokumentation auf die Abgabe einer positiven oder negativen Stellungnahme. Auf der nächsten Etappe wird der Kandidat der Generalversammlung der Richter eines Bezirks- oder Appellationsgerichts zur Begutachtung vorgebracht. Wird für eine vakante Richterstelle mehr als eine Kandidatur angemeldet, muss laut Art. 58 § 1 plGVG über alle Bewerbungen in derselben Sitzung entschieden werden. In der Sitzung werden die Person des Kandidaten sowie die vom Aufsichtsrichter angefertigte Bewertung seiner Qualifikationen vorgestellt. Im Anschluss kann auch der Kandidat selbst das Wort ergreifen und die Mitglieder der Versammlung können ihm Fragen stellen. Die Versammlung nimmt im Wege der Abstimmung zu der Kandidatur Stellung.12 Bei Kandidaten, die sich zum ersten Mal auf eine Richterstelle bewerben, wendet sich der Präsident des jeweiligen Gerichts noch an einen zuständigen Polizeikommandanten, um an Informationen aus polizeilichen Datenbanken zu gelangen. Gemeint sind u. a. Informationen über wegen einer Ordnungswidrigkeit ergangene Bußgelder oder über die Störung der öffentlichen Ordnung (Art. 58 § 3 plGVG).

VI. Anschließend beginnt die zweite Etappe des Ernennungsverfahrens, nämlich das Verfahren vor dem Landesrat für das Gerichtswesen. Der Präsident des Gerichts übergibt dem Landesrat für das Gerichtswesen alle Kandidaturen mitsamt der bisher über sie gesammelten Dokumentation. Das geschieht unabhängig davon, wie viele Stimmen der Mitglieder der Generalversammlung die einzelnen Kandidaten auf sich vereinigt haben. Der Landesrat nimmt anhand der vorgelegten Dokumentation eine Bewertung vor. Er kann, wenn er dies für erforderlich hält, einen Kandidaten auch zu einer seiner Sitzungen einladen. In der bisherigen Praxis stellte das persönliche Gespräch mit dem Kandidaten aber eher eine Ausnahme dar und fand auch nur dann statt, wenn der Landesrat Bedenken hinsichtlich des jeweiligen Kandidaten hatte. Die Beschlussfassung im Landesrat erfolgt in zwei Schritten: Zunächst wird von einer mehrköpfigen Gruppe eine vorläufige Stellungnahme vorbereitet, die eine Liste mit ihrerseits empfehlenswerten Kandidaten ausarbeitet und dabei vor allem die vom Aufsichtsrichter angefertigte Bewertung seiner Qualifikationen berücksichtigt. Sie berücksichtigt aber auch deren Berufserfahrung, wissenschaftliche Leistungen, Stellungnahmen der Vorgesetzten, Empfehlungen, Veröffentlichungen und andere Unterlagen, die der Bewerbungskarte beigefügt wurden sowie die Stel12

In der bisherigen Praxis spielte die Stellungnahme des Landesrates für das Gerichtswesen und der jeweiligen Generalversammlung der Richter eine wesentliche Rolle bei der Berufung von Kandidaten in das Richteramt, weil der Landesrat sehr selten Anträge von Kandidaten eingereicht hatte, die zuvor keine Unterstützung seitens der lokalen Richterschaft erhalten hatten (siehe Pilitowski/Hoffman/Kociołowicz-Wis´niewska, ebd., S. 25 f.).

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lungnahme des Kollegiums des zuständigen Gerichts und die Bewertung der zuständigen Generalversammlung der Richter (Art. 35 LfGWG). Der Landesrat für das Gerichtswesen prüft daraufhin die Vorschläge und fasst einen Beschluss über das Vorbringen oder das Nichtvorbringen eines Ernennungsantrags. Es ist zu unterstreichen, dass die Stellungnahme des Kollegiums des Gerichts und das Ergebnis der Abstimmung der Generalversammlung zwar nicht entscheidend sind, in der bisherigen Praxis in der Regel jedoch gerade derjenige Kandidat, der die meisten Stimmen erhalten hatte, dem Präsidenten zur Ernennung vorgebracht wurde. Zu betonen ist jedoch, dass der Landesrat nicht dazu verpflichtet ist, dem Präsidenten einen Kandidaten vorzubringen. Ist er der Auffassung, dass keiner der Kandidaten über entsprechende Qualifikationen verfügt, kann er das Verfahren auch mit einem negativen Beschluss abschließen. Dieser Beschluss wird begründet und dem Kandidaten zugestellt, der ihn vor dem Obersten Gericht anfechten kann. Dessen Kontrolle beschränkt sich jedoch auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses. Der Kandidat kann also nicht den Einwand erheben, dass die Bewertung der für das Richteramt erforderlichen Voraussetzungen fehlerhaft war (Art. 44 Abs. 1a LfGWG). Die letzte Etappe des Richterernennungsverfahrens besteht aus den vom Präsidenten vorzunehmenden Tätigkeiten. Laut Art. 44a LfGWG übergibt der Landesrat für das Gerichtswesen dem Präsidenten den schon rechtskräftigen Beschluss über das Vorbringen eines Ernennungsantrags mitsamt dessen Begründung sowie mitsamt Informationen über die übrigen Bewerber und einer Bewertung aller Kandidaten. Übergeben wird auch die ganze Dokumentation zur Sache. Fraglich ist, ob der Präsident die Ernennung eines durch den Landesrat vorgebrachten Bewerber ablehnen darf.13 Aus Art. 44a LfGWG ergibt sich, dass der Präsident zweifellos die Kompetenz hat, einen Antrag auf die Wiederaufnahme des Verfahrens an den Landesrat zu stellen, wenn neue Umstände bezüglich der kandidierenden Person bekannt werden. Am Ende des Verfahrens findet eine Feierlichkeit statt, in deren Rahmen der Präsident die Kandidaten zu Richtern ernennt, die daraufhin einen Eid ablegen.

VII. Gewisse Verfahrensabweichungen von dem soeben dargestellten Verfahren der Richterernennung betreffen die Berufung von Assessoren in das Richteramt. Bei ihnen erfolgt die Stellenbesetzung nicht im Wege einer offenen Stellenausschreibung, sondern durch eine Umwandlung einer Assessoren- in eine Richterstelle. Zu diesem Zweck beantragt der Assessor vor dem Ablauf von 36 Monaten der Wahrnehmung seiner richterlichen Pflichten beim Präsidenten des Bezirksgerichts eine Er13

Siehe auch: Garlicki, in: Garlicki (Hrsg.), Art. 179 S. 5; Weitz, in: Safjan/Bosek (Hrsg.), Art. 179 Rn. 15; Ciapała, Charakter kompetencji Prezydenta RP. Uwagi w konteks´cie kompetencji w zakresie powoływania se˛ dziów, Przegla˛d Sejmowy 2008, Nr. 4, S. 31 (37 f.); Sułkowski, Uprawnienia Prezydenta RP do powoływania se˛ dziów, Przegla˛d Sejmowy 2008, Nr. 4, S. 47 (50 f.).

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nennung zum Richter beim Amtsgericht (Art. 106xa § 1 plGVG). Dieser Antrag setzt das Verfahren der Qualifikationsbewertung und der Stellungnahme durch den Landesrat in Gang. Die Kriterien der Qualifikationsbewertung sind dieselben wie beim eine Beförderung beantragenden Richter. Der wesentliche Unterschied besteht allerdings darin, dass der jeweilige Gerichtspräsident nicht „aus freier Hand“ bestimmt, welchem Richter als Aufsichtsrichter diese Bewertung obliegt. Vielmehr wird der zuständige Richter im Wege eines Losverfahrens aus dem Kreis der Aufsichtsrichter des betroffenen Appellationsgebiets ausgewählt, wobei die Richter desjenigen Bezirksgerichts ausgenommen werden, in deren Zuständigkeitsgebiet der jeweilige Assessor seinen Dienst ableistet (Art. 106xa § 3 plGVG). Diese Lösung bezweckt zweifelsfrei die Bewertung objektiver zu gestalten. Wie beim einfachen Verfahren unterliegt der Assessor auch einer Bewertung durch das Bezirksgerichtskollegium und durch die Generalversammlung der Richter des Bezirks. Im Anschluss trifft der Landesrat für das Gerichtswesen eine Entscheidung über einen entsprechenden Ernennungsantrag vor dem Präsidenten. Der grundlegende Unterschied zwischen dem einfachen und dem Assessorverfahren besteht darin, dass der Assessor keiner Konkurrenz ausgesetzt ist und daher nur gegen sich selbst verlieren kann. Und hier kommt man zum Kern des Problems: die Auswahl der Kandidaten erfolgt im Falle des Assessorverfahrens deutlich früher, eigentlich bereits im Zeitpunkt der Aufnahmeprüfung bei der Nationalen Schule für die Gerichtsbarkeit und die Staatsanwaltschaft. Die nächste Etappe besteht in einer Richterprüfung, deren Ergebnisse auf einer Liste in der Form eines Rankings abgebildet werden, auf deren Grundlage die Bewerber eine freie Assessorstelle auswählen und die dem Landesrat für das Gerichtswesen anschließend durch den Leiter der Nationalen Schule für die Gerichtsbarkeit und die Staatsanwaltschaft vorgelegt wird. Laut den Änderungen vom 16. 6. 201814 werden die Assessoren durch den Präsidenten auf Antrag des Landesrates für das Gerichtswesen ernannt (Art. 106i § 1 plGVG). Der Landesrat kann innerhalb von zwei Monaten ab dem Zeitpunkt, in dem ihm die Liste der Bewerber vorgelegt wurde, einen Einspruch gegen die Ernennung einer Person erheben. Liegt kein Einspruch vor, übergibt er dem Präsidenten den Ernennungsantrag, der auch eine Zuweisung zu einem bestimmten Dienstort enthält (Art. 33a Abs. 15 des Gesetzes vom 23. 1. 2009 über die Nationale Hochschule für die Gerichtsbarkeit und die Staatsanwaltschaft15).

14

Siehe das Gesetz vom 10. 5. 2018 über die Änderung des Gesetzes über die Verfassung der ordentlichen Gerichte, des Gesetzes über das Oberste Gericht und einiger weiterer Gesetze, Dz. U. von 2018, Pos. 1045. 15 Einheitlicher Gesetzestext: Dz. U. von 2018, Pos. 624.

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VIII. Das neue Gesetz vom 8. 12. 2017 über das Oberste Gericht16, das am 3. 4. 2018 in Kraft getreten ist, hat wesentliche Änderungen im Bereich des Verfahrens der Richterernennung auf den Weg gebracht. Das bisherige Verfahren entsprach dem der Ernennung von Richtern in der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Geändert wurde hauptsächlich, dass die Kandidaten für ein Richteramt beim Obersten Gericht nicht mehr dem Ersten Präsidenten des Obersten Gerichts, sondern dem Landesrat für das Gerichtswesen vorgebracht werden (Art. 32 § 2 OGG). Gleichzeitig führt ein Vergleich der neuen mit der alten Regelung17 zu der Schlussfolgerung, dass das Verfahren in Bezug auf das Oberste Gericht nun ganz unabhängig von diesem erfolgt. Zwar ist nach Art. 10 § 1 OGG in den gesetzlich nicht geregelten Fällen das Gesetz über die Verfassung der ordentlichen Gerichte entsprechend anzuwenden. Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass das neue Gesetz keine Regelungen mehr enthält, die eine Notwendigkeit der Stellungnahme zum Bewerber seitens der jeweiligen Kammer des Obersten Gerichts und daraufhin auch seitens der Generalversammlung des Obersten Gerichts vorsehen. So ist naheliegend, dass der Landesrat für das Gerichtswesen eine Auswahl unter allen vorhandenen Kandidaten treffen kann, während ihm bisher vom Ersten Präsidenten des Obersten Gerichts höchstens zwei Kandidaten auf eine Richterstelle vorgebracht werden konnten, und zwar nur diejenigen, die die höchste Unterstützung seitens der Generalversammlung des Obersten Gerichts erhalten hatten. Auch fehlt es an einer Regelung, die eine von einem Aufsichtsrichter vorzunehmende Bewertung der Qualifikationen der Kandidaten vorsieht. So entsteht unweigerlich der Eindruck, dass die Autoren der neuen Lösung dem Landesrat für das Gerichtswesen bei der Besetzung der Richterämter beim Obersten Gericht eine umfassende Auswahlfreiheit einräumen wollten und eine Bewertung der Kompetenzen der Kandidaten durch amtierende Richter des Obersten Gerichts als entbehrliches Hindernis betrachteten.

IX. Die soeben dargestellte Charakteristik des Ernennungsverfahrens sowie die bisherigen Beobachtungen aus der Praxis ermöglichen es, folgende Schlussfolgerungen zu formulieren: 1.

Ein Vorteil des polnischen Systems liegt zweifellos darin, dass es auf einer umfassenden Bewertung des jeweiligen Bewerbers fußt. Die Bewertung umfasst nämlich sowohl dessen juristische Kenntnisse, darunter insbesondere die sachliche Qualität seiner Arbeit, dessen Leistungsfähigkeit und Effektivität und dessen wissenschaftliche Leistungen, als auch sein Persönlichkeits- und sein ethi16

Dz. U. von 2018, Pos. 5 m. spät. Änd. Siehe Gesetz vom 23. 11. 2002 über das Oberste Gericht, einheitlicher Gesetzestext: Dz. U. von 2016, Pos. 1254 m. spät. Änd. 17

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sches Profil.18 Als eine gewisse Schwäche des Systems kann dagegen der Umstand angesehen werden, dass eine solche Bewertung zwar in Schriftform mitsamt umfassender Begründung abgegeben wird, aber dafür nur ein einziges Mal, und nur durch eine Person, nämlich durch den vom Gerichtspräsidenten bestimmten Aufsichtsrichter. Von dieser Bewertung hängt aber vieles ab, da sie erstens als entscheidender Faktor die Stellungnahme der Generalversammlung der Richter prägt und zweitens für den Landesrat für das Gerichtswesen die Hauptinformationsquelle darstellt. Subjektive Bewertungen und Präferenzen, Sympathien und Antipathien, persönliche Verhältnisse zum Aufsichtsrichter oder auch direkt zum Gerichtspräsidenten können das Bewertungsergebnis erheblich beeinflussen. Insbesondere in Bezug auf das Beförderungsverfahren ist zu berücksichtigen, dass die Bewertung am häufigsten durch einen Aufsichtsrichter aus dem Bezirk erfolgt, in dem der Bewerber tätig ist, was eine Gefahr für die objektive Bewertung darstellen kann.19 Erst kürzlich wurde die Regel eingeführt, dass der bewertende Aufsichtsrichter im Losverfahren ausgewählt und aus einem anderen Bezirk stammen muss. Zieht man die für wissenschaftliche Ausarbeitungen, insbesondere die für Dissertationen und Habilitationen geltenden Regeln heran, so ist festzustellen, dass ein erheblich höherer Grad an objektiver Bewertung gewährleistet werden würde, wenn zwei voneinander unabhängige Bewertungen der Qualifikation des Bewerbers erfolgen würden. Das gleiche Ergebnis ließe sich auch erreichen, wenn ein aus mehreren Personen bestehender Ausschuss dazu berufen sein würde, eine detaillierte Bewertung in Schriftform zu verfassen. Das Gewicht der insofern getroffenen Entscheidungen im soeben behandelten Verfahren ist nämlich enorm, da es um eine lebenslange Ernennung in das Richteramt geht. Für Zufall und Irrtum darf hier kein Platz sein. Eine schriftliche Begutachtung durch nur einen Richter riskiert eine von subjektiven Kriterien beeinflusste Bewertung. Insbesondere die Bewertung der Persönlichkeit des Richters und dessen ethischer Vorzüge erfordern einen tiefergehenden Einblick, dessen Vornahme durch nur eine einzige Person schwierig erscheint. Wenn sich mehrere Personen auf eine Stelle bewerben und deren Bewertungen durch verschiedene Aufsichtsrichter vorbereitet werden, birgt das zusätzlich das Risiko einer fehlenden Kohärenz der jeweils angewandten Bewertungskriterien. Die individuelle Sicht des Bewertenden kann dazu führen, dass die Bewertungen nicht vollständig vergleichbar werden. Aus diesem Grund würde die Vorbereitung der Bewertung durch ein kollegiales Organ, z. B. durch einen Ausschuss, sogar dann eine größere Objektivität und Vergleichbarkeit garantieren, wenn sie auf individuell ausgearbeiteten Bewertungsentwürfen basiert. Der Landesrat für das Gerichtswesen kann ein solches 18 Siehe Droz˙dz˙ejko, Kryteria awansu w sa˛downictwie, Przegla˛d Prawa Publicznego 2012, Nr. 5, S. 30 ff.; zu der Frage der Bedeutung der einzelnen Kriterien in der Praxis siehe Pilitowski/Hoffman/Kociołowicz-Wis´niewska, ebd., S. 51 ff. 19 Dies bestätigt die Untersuchung der Stiftung Court Watch Polska – siehe Pilitowski/ Hoffman/Kociołowicz-Wis´niewska, ebd., S. 51.

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Kollegialorgan nicht ersetzen, weil es sich hierbei nur um eine Vorbereitung der Bewertung in einem früheren Stadium des Verfahrens handelt, bevor es zur Verabschiedung eines formalen Standpunktes hinsichtlich der eingereichten Bewerbungen kommt. 2.

Die Prozedur der Bewertung eines Kandidaten für eine Richterstelle erfolgt fast ausschließlich schriftlich. Ein Bewerbungsgespräch als Teil des Bewertungsverfahrens ist nicht vorgesehen. In der Praxis hatte sich etabliert, dass ein Kandidat zur Generalversammlung der Richter eingeladen wurde und dass deren Teilnehmer ihm Fragen stellen konnten. Auch der Landesrat für das Gerichtswesen kann einen Bewerber zu seiner Sitzung einladen. Es fällt jedoch schwer, diese Möglichkeit als ausreichend zu betrachten. Es handelt sich hierbei nämlich um etwas völlig anderes, und zwar um die Möglichkeit eines direkten Kontakts und inhaltlichen Gesprächs mit dem Kandidaten durch diejenigen Personen, die seine Qualifikationen bewerten sollen und die auf dieser Grundlage ein schriftliches Dokument anfertigen müssen, das die Basis für das weitere Verfahren darstellt.

3.

Insbesondere in der Situation, in der sich Vertreter unterschiedlicher juristischer Berufe um eine Richterstelle bewerben, stellt sich eine anhand einheitlicher Kriterien erfolgende Bewertung aller Kandidaten, die eine ordnungsgemäße Vergleichbarkeit gewährleistet, als schwierig dar. Die im Rahmen des Verfahrens erstellten Bewertungen weisen einen beschreibenden Charakter auf, wobei keinem unter den einzelnen Bewertungskriterien ein bestimmtes Gewicht zugeordnet wird. Die gesetzlichen Vorschriften sehen insofern also keine Hierarchie voraus, die für die Bewertung des Kandidaten sowie für die Entscheidung des Landesrates bezüglich des Vorbringens der Kandidaten beim Präsidenten von Bedeutung wären (siehe Art. 35 Abs. 2 LfGWG). Der Katalog der Kriterien ist zudem nicht abschließend.20 Ein Vergleich ist also in denjenigen Fällen problematisch, in denen zwischen den einzelnen Kandidaten in sachlicher Hinsicht keine bedeutenden Unterschiede bestehen, da dann der Raum für nicht-sachliche Kriterien eröffnet wird. Der soeben dargestellte Stand erzeugt aber die Gefahr einer Beliebigkeit21 bei der Entscheidung. Gleichzeitig tendiert der Landesrat beim Vergleich der einzelnen Kandidaten dazu, quantifizierbare Kriterien22 zu bevorzugen, was die Bewertung ebenfalls verzerren kann. In dieser Hinsicht sind Forderungen nach einem Kandidatenprofil für verschiedene frei werdende Richterposten, insbesondere im Hinblick auf den Gerichtstyp und auf die Abteilung, der die ausgewählte Person zugeordnet werden soll zutreffend; gleichzeitig würde dergestalt ein modernes Selektionsverfahren eingeführt, das auf Beweisen und auf einer komplexeren Untersuchung der Veranlagungen und Kom20

Siehe Urteil des SN vom 24. 6. 2015, III KRS 21/15. Vgl. Drajewicz, Kryteria powołania na stanowisko se˛ dziego, Przegla˛d Sa˛dowy 2017, Nr. 2, S. 77 (83). 22 Siehe Pilitowski/Hoffman/Kociołowicz-Wis´niewska, ebd., S. 24. 21

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petenzen der Kandidaten basiert.23 Das besprochene Problem kann jedoch schwer dadurch gelöst werden, dass man das Auswahlsystem nur auf einem System von Beförderungsgesichtspunkten basieren lässt, die u. a. für die Dauer der Dienstzeit, den akademischen Grad oder für Publikationen verliehen werden.24 Wenngleich diese Aspekte zweifellos zu einer Objektivierung der Bewertung beitragen, fällt es jedoch schwer anzuerkennen, dass sich eine wissenschaftliche Publikation über die sachliche Bewertung der Qualität der bisherigen Arbeit des Kandidaten hinwegsetzen können sollte. Das gilt insbesondere für die Beförderung, bei der eigentlich die Rechtsprechung des Richters als vorrangig betrachtet werden sollte. Zu den Aufgaben eines Richters gehört nämlich hauptsächlich die Rechtsprechung und nicht die Anfertigung von wissenschaftlichen Arbeiten. Aus diesem Grund ist die Forderung nach einem Verzicht auf eine Bewertung anhand von Rechtssachen, über die der jeweilige Kandidat entschieden hat, völlig irrsinnig.25 4.

Bei der Analyse des Richterernennungsverfahrens fällt vor allem sein stark auf organinterne Strukturen gestützter Charakter auf, da in ihm die Organe der Judikative dominieren.26 Personen außerhalb der Richterschaft, darunter Vertreter der Exekutive und der Legislative, nehmen erst als Mitglieder des Landesrates für das Gerichtswesen an der Entscheidung teil. An der Sitzung des Landesrates können gemäß Art. 36 LfGWG auch Vertreter anderer juristischer Verbände beratend teilnehmen. Dies gilt aber nur für den Fall, dass es sich um einen Kandidaten handelt, der einen anderen juristischen Beruf als den des Richters ausübt. Demgegenüber werden bei Richterbeförderungen gar keine Stellungnahmen von anderen juristischen Verbänden eingeholt, wenngleich diese eine Bewertung der Arbeit des Richters aus der Perspektive der „anderen Seite“ des Verhandlungsraums enthalten würden. Es wird zutreffend darauf hingewiesen, dass die juristischen Verbände nicht nur aktiv an der Begutachtung von Vertretern ihres Berufsstandes teilnehmen sollen, sondern auch bei der Begutachtung von Personen, die im Moment der Bewerbung schon amtierende Richter sind. Eine ähnliche Funktion könnten auch die spezialisierten gesellschaftlichen Verbände erfüllen.27

5.

Ein wichtiges Element ist die Stellungnahme der Generalversammlung der Richter, da diese die Teilnahme von Vertretern der Richterschaft am Richterernennungsverfahren gewährleistet. Sie erschwert nämlich die Steuerung der Besetzung von Richterstellen sowohl durch Personen, die auf einzelnen Stufen 23

Ebd., S. 88 f. Siehe Drajewicz, Kryteria powołania na stanowisko se˛ dziego, Przegla˛d Sa˛dowy 2017, Nr. 2, S. 77 (85 f.). 25 Ebd., S. 86 f. 26 Ähnlich Sułkowski, ebd., S. 49 f.; Sułkowski, Glosse zum Urteil des SN vom 10. 6. 2009, III KRS 9/08 (nicht publiziert), Przegla˛d Sejmowy 2010, Nr. 5, S. 226 (230). 27 Pilitowski/Hoffman/Kociołowicz-Wis´niewska, ebd., S. 89. 24

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der Gerichtsbarkeit verwaltend tätig sind, als auch durch Vertreter der Exekutive, darunter insbesondere durch die Leitung des Justizministeriums. Zugleich spiegelt sich in ihr die Auffassung eines Kandidaten seitens des lokalen Richterkreises, also durch Personen, die mit dem Kandidaten ständig in Kontakt sind, wider.28 Angesichts der Tatsache, dass die Generalversammlungen Kollegialorgane darstellen, die häufig mehr als 100 Mitglieder zählen, ist es wichtig, dass eine Stellungnahme nicht in ein gewisses Sympathieplebiszit umgewandelt wird.29 Eine detaillierte und objektive Bewertung der Qualifikation der Bewerber weist insofern eine erhebliche Bedeutung auf, da sie zeitlich noch vor der Begutachtung des Kandidaten durch die Generalversammlung stattfindet. 6.

Das Gesetz gewährleistet die Gleichheit der Vertreter aller juristischen Berufe beim Wettkampf um das Richteramt. In der Praxis werden allerdings „richterliche“ Kandidaten bevorzugt. Dies tritt etwa dadurch in Erscheinung, dass ein separates Verfahren für Gerichtsassessoren gebildet wurde. Während Richterstellen bei Amtsgerichten nur gelegentlich mit Vertretern anderer juristischer Berufe (mit Rechts- oder Staatsanwälten) besetzt werden, sind deren Chancen auf eine Berufung in das Richteramt bei einem Bezirks- bzw. Appellationsgericht sehr gering. Dies folgt jedoch nur zum Teil aus organinternen Präferenzen der Richterschaft. Nicht zu verkennen ist zudem die große Menge von vergleichsweise schwachen Bewerbungen. Ein Richtergehalt ist für Rechtsanwälte, die aufgrund eines hohen sachlichen Niveaus eine gewisse Anerkennung auf dem Rechtsdienstleistungsmarkt genießen, nicht attraktiv. Zu beobachten ist auch die Tendenz, dass das Interesse an einem Wechsel in das Richteramt häufig mit einem zunehmenden Erreichen des Rentenalters einhergeht und nur schwer nicht mit der Absicht verbunden sein kann, in den Genuss der Bezüge zu gelangen, die pensionierten Richtern zustehen. Gleichzeitig ist es jedoch mehr als angemessen, Juristen erst ab einem Alter von mindestens 40 Jahren zu Richtern zu ernennen. Dann weisen sie immerhin eine gewisse Leistungsfähigkeit und Berufserfahrung einerseits sowie Energie und Kraft zur Erledigung harter gerichtlicher Arbeit andererseits auf.

7.

Zweifellos besteht der erheblichste Nachteil des polnischen Richterernennungssystems darin, dass die Vertreter der Öffentlichkeit an diesem gar nicht teilnehmen.30 Man sollte sich keine Illusionen machen, dass die neu eingeführte Wahl

28 Erstaunlich und keinesfalls überzeugend ist das Argument, dass auf die Stellungnahme der Generalversammlung verzichtet werden kann, weil eine Tätigkeit in der Generalversammlung die Richter an ihrer rechtsprechenden Arbeit hindert, siehe Drajewicz, ebd., S. 86 f. 29 Vgl. Droz˙dz˙ejko, ebd., S. 42 f. 30 Auf die Notwendigkeit einer öffentlichen Debatte über die Kandidaten für die höchsten richterlichen Ämter sowie auf die Notwendigkeit der Veröffentlichung von Informationen bezüglich ihrer bisherigen Berufstätigkeit und ihrer Ausbildung in Bezug auf alle Richterstellen verweist Sułkowski, Procedura w przedmiocie nominacji se˛ dziów sa˛dów

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der Mitglieder des Landesrates für das Gerichtswesen durch das polnische Parlament, die gleichzeitig Richter sind, anstrebt, der Öffentlichkeit ein Einflussspektrum zu gewähren. Vielmehr kann insofern ausschließlich von einem Einfluss der Politiker die Rede sein. Zwar sollte in Bezug auf die Richter kein allgemeines mit Parlamentswahlen vergleichbares Wahlverfahren eingeführt werden. Erwägenswert wäre aber eine über die Richterschaft hinausgehende Teilnahme von Vertretern sonstiger juristischer Verbände wie bspw. Schöffenverbände oder gemeinnütziger Organisationen, die sich für Menschenrechte und für das Justizwesen einsetzen. Mit Sicherheit würde eine solche Lösung das Bewertungsspektrum erweitern und ein Gegengewicht zum strikt organintern strukturierten Modell bilden. 8.

Im Falle der Richterbeförderung spielen die Gerichtspräsidenten aufgrund des Rechtsinstituts der Delegierung des Richters auf eine höhere Richterstelle eine entscheidende Rolle. Ein delegierter Richter wird zu einem natürlichen Kandidaten für die Besetzung einer freien Richterstelle an diesem Gericht.31 Noch bis vor kurzem fehlte es in mehreren Gerichten an klaren Verfahrensregeln für die Auswahl der zu delegierenden Richter, was dem Gerichtspräsidenten einen erheblichen Spielraum bei der Auswahl seines „Kaders“ eröffnete. Richter werden durch den Justizminister, der in der Regel auf Antrag des jeweiligen Gerichtspräsidenten tätig wird, zu einem anderen Gericht delegiert. Selbstverständlich sind zahlreiche Verfahren frei von jeglichem Missbrauch dieser Position durchgeführt worden – vielmehr waren die sachlichen Bewertungen der zu delegierenden Richter (insbesondere in Hinblick auf die Qualität ihrer bisherigen Rechtsprechung) ausschlaggebend. Seit einiger Zeit werden zudem im Rahmen des Delegierungsverfahrens Wettbewerbe durchgeführt, was die Transparenz dieses Beförderungsverfahrens zweifellos erhöht. Diese können aber auch eine andere Gefahr erzeugen. Denn über die Delegierung eines Richters unter denjenigen Personen, die an einem solchen Wettbewerb teilgenommen haben, entscheidet der Justizminister, der dadurch einen bedeutsamen Einfluss auf die Beförderungen erhält. Es bleibt auch nicht außer Betracht, dass der gegenwärtig amtierende Justizminister gleichzeitig auch der amtierende Generalstaatsanwalt ist. Er stellt also zugleich ein Organ dar, das die Arbeiten der Staatsanwaltschaft leitet, die natürlich als eine der Beteiligten im Gerichtsverfahren auftritt.

9.

Die Teilnahme des Justizministers an der Prozedur der Richterernennung ist begrenzt. Das heißt aber nicht, dass er gar keinen Einfluss auf diese hat. Hierzu genügt ein Hinweis darauf, dass laut Art. 20a § 4 plGVG der Justizminister eine Bekanntmachung über freie Richterstellen im Amtsblatt „Monitor Polski“

powszechnych w Republice Czeskiej i w Polsce – uwarunkowania konstytucyjnoprawne, in: Jaskiernia (Hrsg.), Transformacja systemów wymiaru sprawiedliwos´ci, Bd. 1: Pozycja ustrojowa władzy sa˛downiczej i uwarunkowania transformacji, Thorn 2011, S. 485 (506). 31 Vgl. Pilitowski/Hoffman/Kociołowicz-Wis´niewska, ebd., S. 68 ff.

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veröffentlicht. Erst kürzlich wurde das Erfordernis der unverzüglichen Bekanntmachung einer freien Stelle aus der Vorschrift gestrichen. Aus diesem Grund hat der Minister zumindest in einem kleinen Umfang die Möglichkeit, über Beförderungen und Ernennungen von Richtern zu entscheiden, indem er eigenständig einen Zeitpunkt für die Bekanntmachung der Richterstelle wählt. 10. Angesichts der Änderung des Auswahlverfahrens der Richter, die gleichzeitig Mitglieder im Landesrat für das Gerichtswesen sind, wirft es Bedenken auf, dass diese seit dem Jahr 2018 durch das polnische Parlament gewählt werden. Auch die Erfahrungen, die bereits bei der ersten Wahl gemacht wurden, lassen darauf schließen, dass diese Richter in einem Verhältnis zu den Vertretern der Exekutive stehen, was Zweifel an deren Unabhängigkeit erregen könnte. Es stellt sich also die Frage nach dem richtigen Schutz des Auswahlverfahrens vor dem Einfluss der Politiker. In diesem Kontext muss auch angemerkt werden, dass die Bewertungen des Kollegiums und der Generalversammlung für den Landesrat für das Gerichtswesen nicht verbindlich sind. Es scheint aber, dass diese Gremien im Auswahlverfahren empfehlen würden, dass in einer Situation, in der der Landesrat für das Gerichtswesen für den Fall eines von ihnen nicht unterstützten Richterernennungsantrages eine besondere Begründung seiner Entscheidung vorbereiten muss, in der alle Gründe für eine solche Entscheidung aufgelistet werden müssen. Dadurch würden diese auch ihrer im Ernennungsverfahren eigentlich zugewiesenen Rolle gerecht. 11. Ein Beschluss des Landesrates für das Gerichtswesen, der dem Präsidenten den Ernennungsantrag eines bestimmten Kandidaten vorzubringen verweigert, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle. Der Umfang dieser Kontrolle ist jedoch begrenzt, da lediglich die Rechtmäßigkeit des Beschlusses geprüft wird. Für diejenigen Kandidaten, die negativ beurteilt wurden, besteht also nur schwerlich die Möglichkeit einer effektiven Kontrolle, da diese keine Begutachtung der Kriterien umfasst, die bei der Entscheidung über eine Person für einen konkreten Richterposten relevant sind.32 Gleichzeitig ist für die Transparenz der Prozedur, die Anwendbarkeit der Auswahlkriterien sowie für eine gewisse Objektivität gerade entscheidend, dass eine effektive Rechtskontrolle für die abgelehnten Kandidaten existiert. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein gutes Richterernennungsverfahren einige Bedingungen erfüllen sollte. Zunächst sollte es vor allem einen mehrstufigen Charakter aufweisen, der die Objektivität, die Genauigkeit und die Tiefgründigkeit der Untersuchung der Kandidaturen gewährleistet. Die Bewertungsund Auswahlkriterien sollten möglichst weitgehend sein und ein vollständiges Spektrum von Eigenschaften beinhalten, über die ein Richter verfügen sollte, wobei die einzelnen Kriterien unterschiedlich gewichtet werden sollten. Auch 32 Siehe auch Droz˙dz˙ejko, ebd., S. 31; in der Literatur wird sogar vorgeschlagen, den Ablehnungsbescheid des Präsidenten der gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen – siehe Sułkowski, Uprawnienia, S. 63 ff.

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ist besonders wichtig, dass das Verfahren selbst auf transparente Weise durchgeführt wird33 und dass das Organ, das die Auswahl trifft, über eine unumstrittene Autorität verfügt. Übersetzung: Eryk Sokołowski, Przemysław Bartosz

33 Zu den Fragen des Transparenzerfordernisses bei der Ernennung von Richtern siehe Sułkowski, Procedura, S. 500 f.

Kapitel II Das System der Richterwahl in den deutschsprachigen Staaten

Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl in Österreich Von Gudrun Hochmayr und Dawid Ligocki

I. Einleitung Als eine Grundbedingung der Rechtsstaatlichkeit wird die Unabhängigkeit der Richter in Österreich im Verfassungsrecht garantiert. Das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) erklärt die Richter als in Ausübung ihres Amtes unabhängig (Art. 87) und als grundsätzlich unabsetzbar und unversetzbar (Art. 88): Außer bei Erreichen der gesetzlich bestimmten Altersgrenze für den dauernden Ruhestand dürfen Richter „nur in den vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen und Formen und auf Grund eines förmlichen richterlichen Erkenntnisses ihres Amtes entsetzt oder wider ihren Willen an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden“. Art. 86 B-VG enthält Vorgaben für die Ernennung von Richtern der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Diese Verfassungsbestimmungen werden einfachgesetzlich, vor allem im Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz (RStDG), präzisiert. Im Folgenden werden das Verfahren und die Kriterien der Richterwahl sowie die Grundsätze der Ab- und Versetzbarkeit von Richtern der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Form eines Überblicks dargestellt und einer Bewertung unterzogen.1 Im Vordergrund steht die Frage, ob die Regelungen die Auswahl der am besten geeigneten Kandidaten und eine vom Einfluss der politischen Mächte freie Rechtsprechung gewährleisten.

1 Gem. Art. 80 Abs. 2 B-VG geht die ordentliche Gerichtsbarkeit vom Bund aus. Durch Art. 92 Abs. 1 B-VG ist diesbezüglich lediglich das Bestehen des Obersten Gerichtshofes vorgezeichnet. Der Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist im Übrigen im einfachen Bundesrecht normiert. Zur ordentlichen Gerichtsbarkeit gehören die Bezirksgerichte (Gerichte erster Instanz), Landesgerichte (Gerichtshöfe erster Instanz oder Gerichte zweiter Instanz), Oberlandesgerichte (Gerichtshöfe zweiter Instanz) und der Oberste Gerichtshof als Höchstgericht.

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Gudrun Hochmayr und Dawid Ligocki

II. Verfahren der Richterauswahl 1. Ausschreibung der Planstelle Die Planstelle ist grundsätzlich2 auszuschreiben (§ 30 RStDG). Gemäß § 30 Abs. 3 RStDG ist die Ausschreibung auf der beim Bundeskanzleramt eingerichteten Website „Karriere Öffentlicher Dienst“ und im „Amtsblatt zur Wiener Zeitung“ zu veröffentlichen. 2. Einreichung von Bewerbungsgesuchen Innerhalb der gesetzten Frist sind die Bewerbungsgesuche einzureichen. Sie sind im Dienstweg3 an den Präsidenten des Gerichtshofes zu richten, dessen Personalsenat den ersten Besetzungsvorschlag erstellt. Bewerbungsgesuche um die Planstellen des Präsidenten und der Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes sind an das Bundesministerium für Justiz zu richten.4 3. Erstattung von Besetzungsvorschlägen Im Anschluss sind Besetzungsvorschläge der durch Bundesgesetz dazu berufenen Senate zu erstatten (Art. 86 Abs. 1 Hs. 2 B-VG). Da den Vorschlägen weder in der Bundesverfassung noch im RStDG ein bindender Charakter zuerkannt wird, nimmt man an, dass es sich lediglich um eine unverbindliche Auswahlhilfe für den Entscheidungsträger handelt.5 Der Verfassungsgerichtshof leitet hieraus ab, dass den Bewerbern weder hinsichtlich der Erstattung der Besetzungsvorschläge noch im weiteren Verfahren Parteistellung zukommt und es keine Möglichkeit

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Ohne Ausschreibung ist eine Ernennung auf eine Richterplanstelle nur nach § 25 Abs. 4 RStDG (Versetzung) und § 85 Abs. 3 RStDG (Reaktivierung) möglich; Fellner/Nogratnig, RStDG, GOG und wichtige Nebengesetze, 2015, § 30 Rn. 1. 3 Vgl. §§ 31 Abs. 2 S. 1, 64b RStDG. 4 § 31 Abs. 2 S. 2 RStDG. 5 VfGH, Beschluss vom 15. 6. 1977, G 23/76, VfSlg 42, 362; Fellner/Nogratnig, RStDG, § 32 Rn. 9, § 25 Anm. 6 f.; siehe auch Adamovich, Die verfassungsmäßige Funktion des Richters, ÖJZ 16/1954, 409 (411); Berka, Verfassungsrecht, 2016, Rn. 823; Gamper, Verfassungsrechtliche Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Richteramts in Österreich und Europa, in: Giese/Holzinger/Jabloner (Hrsg.), Verwaltung im demokratischen Rechtsstaat, Festschrift für Harald Stolzlechner, 2013, S. 137 (138); Keller, Die demokratische Legitimation des Richters, in: Neider (Hrsg.), Festschrift für Christian Broda, 1976, S. 121 (122); Malaniuk, Ausgestaltung der richterlichen Unabhängigkeit, JBl 11/1949, 273 (275); Mayer/ Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht, 2015, Rn. 769; Mayer/Muzak, Bundesverfassungsrecht, 2015, Art. 86 III 2; wohl a. A. Binder/Trauner, Lehrbuch Öffentliches Recht – Grundlagen, 2016, Rn. 1352.

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gibt, gegen die Ernennung eines Mitbewerbers rechtlich vorzugehen.6 Es stellt aber einen Verfahrensfehler dar, einen Besetzungsvorschlag nicht einzuholen.7 Für die Erstattung der Besetzungsvorschläge sind die Personalsenate der Justiz zuständig, also richterliche Kollegien, die weder Verwaltungsbehörden noch Interessenvertretungen sind, sondern gerichtliche Senate darstellen, deren Mitglieder die volle richterliche Unabhängigkeit genießen.8 Sie erlassen Akte richterlicher Natur, die nicht der exekutivischen Überprüfung unterliegen. Es besteht demnach keine Weisungsgebundenheit der Personalsenate gegenüber der Verwaltung. Bei jedem Gerichtshof ist ein Personalsenat zu bilden (§ 36 Abs. 1 RStDG). Er besteht grundsätzlich aus zwei Mitgliedern kraft Amtes9 und drei von den Richtern selbst gewählten Mitgliedern (sog. Wahlmitgliedern).10 Jeder Besetzungsvorschlag hat grundsätzlich mindestens drei Personen je Planstelle zu umfassen (§ 33 Abs. 1 S. 1 RStDG, Art. 86 Abs. 2 B-VG). Der Personalsenat hat den Vorschlag zu begründen und sich über das Maß der Eignung jedes einzelnen Bewerbers zu äußern (§ 33 Abs. 5 RStDG). Der Vorschlag ist ohne Verzug zu erstatten und weiterzuleiten. Auf der Internethomepage des Bundesministeriums für Justiz sind unverzüglich nach Einlangen der Besetzungsvorschläge (§ 32 Abs. 7 RStDG) zu veröffentlichen: (1) die Anzahl der als geeignet angesehenen Bewerber und (2) die Namen der an dem Besetzungsvorschlag mitwirkenden Mitglieder des Personalsenates. Je nach Planstelle gestaltet sich die Zuständigkeit für die Erstellung des Besetzungsvorschlags (BV) unterschiedlich.

6 VfGH, Beschluss vom 15. 6. 1977, G 23/76, VfSlg 42, 362; VfGH, Beschluss vom 30. 11. 1995, B 665/95, RIS 14.368; VfGH, Beschluss vom 24. 2. 1997, B 2942/96, B 2949/96, B2950/96, G247/96, RIS 14.732. Teile des Schrifttums kritisieren diese Rechtsauffassung und erkennen dem unterlegenen Bewerber ein subjektives Recht zu; Storr, in: Kneihs/Lienbacher (Hrsg.), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 2014, Art. 86 Rn. 11 m. w. N. 7 Storr, in: Rill-Schäffer-Kommentar, Art. 86 Rn. 7; auch VfGH, Beschluss vom 15. 6. 1977, G 23/76, VfSlg 42, 362; zum „Einholen von Besetzungsvorschlägen“ in anderem Zusammenhang auch VfGH, Erkenntnis vom 28. 6. 1973, G 48, 49/72, G 7, 8, 10 – 13/73, VfSlg 38, 451. 8 VwGH, Erkenntnis vom 21. 10. 1991, 91/12/0083, RIS 13.513/A; VfGH, Beschluss vom 1. 3. 2012, B743/11, RIS 19.618; Fellner/Nogratnig, RStDG, § 36 Rn. 1; Storr, in: RillSchäffer-Kommentar, Art. 86 Rn. 8. 9 Nämlich dem Präsidenten und einem Vizepräsidenten des Gerichtshofes, § 36 Abs. 3 RStDG. 10 Die Ausübung des Wahlrechts ist zur Amtspflicht erhoben worden (§ 37 Abs. 6 RStDG). Beim Oberlandesgericht und Obersten Gerichtshof sind weitere Personalsenate, sogenannte Außensenate, zu bilden (§ 36a RStDG).

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Gudrun Hochmayr und Dawid Ligocki Übersicht

Planstelle

Erstattung des BV

Adressat

Planstellen bei den Bezirksgerichten und beim Gerichtshof erster Instanz, mit Ausnahme der Planstellen der (des) Vizepräsidenten und des Präsidenten

(1) Personalsenat des Gerichtshofes erster Instanz

Oberlandesgericht

(2) Außensenat des Oberlandesgerichts (zweiter BV)

! beide BV sind an das Bundesministerium für Justiz weiterzuleiten

Planstellen der Vizepräsidenten und der Präsidenten der Gerichtshöfe erster Instanz und Planstellen beim Oberlandesgericht, mit Ausnahme der Planstellen des Vizepräsidenten und des Präsidenten

(1) Personalsenat des Oberlandesgerichtes

OGH

(2) Außensenat des OGH (zweiter BV)

! beide BV sind an das Bundesministerium für Justiz weiterzuleiten

Planstellen der Richter für den Sprengel des Oberlandesgerichtes

Außensenat des Oberlandesgerichtes

Bundesministerium für Justiz („vorlegen“)

Planstellen der Vizepräsidenten und der Präsidenten der Oberlandesgerichte und Planstellen beim Obersten Gerichtshof, ausgenommen die der Vizepräsidenten und des Präsidenten

Personalsenat des OGH

Bundesministerium für Justiz („weiterleiten“)

Nach § 32 Abs. 4 RStDG ist für die Ernennung auf die Planstellen der Vizepräsidenten und des Präsidenten beim Obersten Gerichtshof kein Besetzungsvorschlag erforderlich. Die Verfassungskonformität dieser Bestimmung ist umstritten. Dem Verfassungsgerichtshof zufolge ist aus der Verfassung nicht abzuleiten, dass für alle Planstellen Besetzungsvorschläge zu erstatten sind.11 Dagegen wendet man ein, dass der Oberste Gerichtshof im Abschnitt über die Gerichtsbarkeit verfassungsrechtlich verankert wurde (Art. 92 B-VG) und ein ordentliches Gericht ist, das mit Berufsrichtern zu besetzen ist. Für diese aber sehe Art. 86 B-VG unterschiedslos die Ernennung auf Grundlage eines Besetzungsvorschlags vor.12

11 Nur falls für die Planstelle bereits bei Inkrafttreten des Bundes-Verfassungsgesetzes Besetzungsvorschläge vorgesehen waren, sei ein Verzicht hierauf unzulässig: VfGH, Erkenntnis vom 12. 3. 1979, G 104/78, VfSlg 44, 213. Vgl. dazu Storr, in: Rill-Schäffer-Kommentar, Art. 86 Rn. 7 a. E. Umfassende Kritik an dem Erkenntnis des VfGH bei Bröll, Die Besetzungsvorschläge für die Stellen des Präsidenten und der Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes, ÖRiZ 6/1980, 117 (117 f.); ablehnend auch Fasching, Verfassungsmäßige Gerichtsorganisation, 10. ÖJT Bd. I/3, 1988, S. 50 („verfehlt“); wohl auch Mayer/Muzak, B-VG, Art. 86 III 1. 12 Fasching, Verfassungsmäßige Gerichtsorganisation, S. 50 f. Die Vorschrift des § 32 Abs. 4 RStDG sei somit mit Art. 86 B-VG unvereinbar. Keine Rechtfertigung ergebe sich aus dem Umstand, dass der OGH seine eigenen Mitglieder reihen soll; denn dies sei eine schlicht unvermeidbare Situation.

Kriterien und Verfahren der Richterwahl in Österreich

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4. Streitfrage: Wiederherstellung der Bindungswirkung von Besetzungsvorschlägen § 5 des Grundgesetzes vom 22. 11. 1918 über die richterliche Gewalt bestimmte, dass die Besetzungsvorschläge der Personalsenate verbindlich waren. Mit dem B-VG 192013 ist die Verbindlichkeit von Besetzungsvorschlägen aus, wie man unterstreicht,14 politischen Gründen beseitigt worden.15 An diesem Umstand wird seitens der Justiz und der Wissenschaft seit langem Kritik geübt. Man fordert die Wiederherstellung der Bindungswirkung,16 um der Gefahr entgegenzuwirken, dass die Richter in die Abhängigkeit von der Verwaltung geraten und damit politisiert werden.17 Auch beklagt man, dass das derzeitige Modell der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts entstamme, weil der Einfluss der Verwaltung auf die Justiz erhalten geblieben sei. Die Wiedereinführung einer Bindungswirkung würde diesen Einfluss schmälern und die richterliche Autonomie stärken.18 Demgegenüber weist man zugunsten des Status quo hin, ein aus einer Bindung an die Besetzungsvorschläge der Personalsenate resultierendes Selbstergänzungsrecht der Richter biete keine Gewähr für die Wahl der besten Kandidaten und die Ausschal-

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Dieses wurde 1945 mit dem Verfassungs-Überleitungsgesetz fortgeführt. Klecatsky, Über die Ernennung der Richter, Staatsbürger 4/1967, 1. 15 Zur Historie siehe Fellner/Nogratnig, RStDG, § 25 Rn. 6. Vgl. Bundesministerium für Justiz (Hrsg.), Gesamtreform der Justiz, S. 138; Keller, in: Neider (Hrsg.), S. 121 (124 f.). Krit. zu der Änderung Novak, Das Verfassungsbild des Richters unter den Anforderungen der Gegenwart, ÖRiZ 9/1984, 194 (195): „Es ist ein merklicher und bedauerlicher Rückschritt. Denn so sehr die Bundesverfassung im allgemeinen das Modell des Grundgesetzes 1918 rezipiert, in einem Punkt weicht sie von dieser Linie deutlich ab. Die bindende Wirkung der Besetzungsvorschläge wird wieder beseitigt. Die Motive sind einigermaßen dunkel. Bei Kelsen/Froehlich/Merkl ist lakonisch – und sibyllinisch – von ,politischen Gründen‘ die Rede“. Markel, Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit, ÖRiZ 7 – 8/1984, 162 (163) vermutet „parteipolitische Gründe“. 16 Die einfachgesetzliche Einführung einer Bindungswirkung soll angesichts von Art. 67 Abs. 1 B-VG zulässig sein; Klecatsky, Über die Notwendigkeit und das Ziel einer umfassenden Reform der österreichischen Gerichtsorganisation, in: Fasching/Kralik (Hrsg.), Festschrift für Hans Schima, 1969, S. 17 (23); Walter, in: Schambeck (Hrsg.), Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz und seine Entwicklung, 1980, S. 465 mit Fn. 78; Groiss/Schantl/Welan, Die neuere Rechtsprechung des VfGH in Rundfunkangelegenheiten, ÖJZ 5/1979, 113 (113 f.); BMJ (Hrsg.), Gesamtreform der Justiz, S. 141 f. 17 BMJ (Hrsg.), Gesamtreform der Justiz, S. 147; in diesem Sinne Klecatsky, Staatsbürger 4/1967, 1; Klecatsky, in: Fasching/Kralik (Hrsg.), S. 17 (22 f.); Piegler, Der Richter im Rechtsstaat, ÖJZ 19/1965, 505 (510); Malaniuk, JBl 11/1949, 273 (274 f.); Machek, Österreichische Monatshefte 11/1967, 3 f. (zit. nach Klecatsky, Staatsbürger 4/1967, 2); Walter, Die Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit, ÖRiZ 11 – 12/1965, 174 (180). Vgl. auch Adamovich, ÖJZ 16/1954, 409 (411). 18 Klecatsky, Der Rechtsstaat zwischen heute und morgen, 1967, S. 171 f. Er stützt die Forderung eines solchen Selbstbestimmungsrechts auf die vorbildliche Praxis der Besetzung des Verwaltungsgerichtshofs, bei der die Dreiervorschläge verbindlich sind. 14

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Gudrun Hochmayr und Dawid Ligocki

tung politischer Einflüsse.19 Vereinzelt befürchtet man, dass es zu einer Politisierung erst recht dann käme, wenn die Besetzungsvorschläge bindend wären, weil innerhalb der Richterschaft eine Gruppenbildung stattfände („Verpolitisierung rechtlicher Gremien“).20 Darüber hinaus lasse sich eine Bindungswirkung der Besetzungsvorschläge nur schwer mit der Verantwortung des Ministers gegenüber dem Parlament vereinbaren. Bundespräsident und Bundesregierung würden in einem solchen Fall, wie man betont, zu bloßen Vollzugsorganen ohne eigenes Entscheidungsrecht.21 Die dann entstehende richterliche Autonomie liefe unter Umständen auf die Etablierung eines Staats im Staat hinaus.22 5. Ernennung Anschließend erfolgt die Ernennung als individueller Verwaltungsakt, mit dem die Planstelle verliehen und ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis als Richter begründet wird.23 Sie erfolgt unbefristet.24 Wie sich aus Art. 86 Abs. 1 B-VG ergibt, setzt die Ernennung einen Antrag der Bundesregierung bzw. des Bundesministers für Justiz, wenn er von der Bundesregierung dazu ermächtigt wird, voraus. Die Bundesregierung hat am 9. 7. 2002 den Bundesminister für Justiz (nach Maßgabe von Art. 67 Abs. 1 und Art. 86 Abs. 2 B-VG) ermächtigt, die Besetzungsvorschläge für die Planstellen, für die der Bundespräsident das Ernennungsrecht nicht ohnedies delegiert hat, direkt dem Bundespräsidenten zu erstatten.

19 Vgl. Fasching, Verfassungsmäßige Gerichtsorganisation, S. 49; Gamper, in: Giese/ Holzinger/Jabloner (Hrsg.), S. 137 (148). 20 BMJ (Hrsg.), Gesamtreform der Justiz, S. 147 f.; in diese Richtung auch Adamovich, ÖJZ 16/1954, 409 (411). Dem wäre entgegenzuhalten, dass die Verwaltung immerhin das Recht hätte, eine Ernennung nicht vorzunehmen, wenn sie den Besetzungsvorschlag für politisch motiviert hielte; vgl. BMJ (Hrsg.), Gesamtreform der Justiz, S. 148. 21 Fasching, Verfassungsmäßige Gerichtsorganisation, S. 49; Kropiunig, Richterbestellung und richterliche Unabhängigkeit in Österreich, in: Frank (Hrsg.), Unabhängigkeit und Bindungen des Richters in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich und in der Schweiz. Ergebnisse einer internationalen Richtertagung, 1997, S. 38 (41); BMJ (Hrsg.), Gesamtreform der Justiz, S. 148. Dagegen mit dem Hinweis, es handele sich um eine akzeptable Ausgestaltung des Gewaltenteilungsprinzips, Storr, in: Rill-Schäffer-Kommentar, Art. 88 Rn. 3. 22 BMJ (Hrsg.), Gesamtreform der Justiz, S. 148. 23 Gem. Art. VII RStDG i. V. m. § 3 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 bedarf es für die Besetzung einer Planstelle einer vorherigen Zustimmung des Bundeskanzlers. Die Planstellenbesetzungsverordnung 2012 sieht in § 2 vor, dass eine solche Zustimmung grundsätzlich als erteilt gilt. 24 Dies trägt dem Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit Rechnung, dem zufolge die Funktionsdauer entsprechend lange sein soll; Fellner, Richterlaufbahn und richterliche Unabhängigkeit, in: Weinzierl/Rathkolb/Mattl/Ardelt (Hrsg.), Richter und Gesellschaftspolitik, 1997, S. 69 (71); vgl. zum Hintergrund Pernthaler, Österreichisches Bundesstaatsrecht, 2004, S. 264.

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Ernennungsbefugt ist gemäß Art. 86 Abs. 1 B-VG der Bundespräsident.25 Das Bundes-Verfassungsgesetz sieht die Möglichkeit einer Delegation des Ernennungsrechts durch den Bundespräsidenten zugunsten eines Bundesministers vor. Eine solche Ermächtigung liegt mit der Entschließung des Bundespräsidenten betreffend die Ausübung des Rechtes zur Ernennung von Bundesbeamten26, mit der das Recht zur Ernennung der Richter der Gehaltsgruppe l, mit Ausnahme der Präsidenten und Vizepräsidenten der Gerichtshöfe erster Instanz, den Mitgliedern der Bundesregierung übertragen wurde (Art. 1 Abs. 1 Z. 4 lit. b der Entschließung), vor. Zuständig ist (§ 2 Anlage Teil 2 lit. g Z. 9) der Bundesminister für Justiz.27 Das ernennungsbefugte Organ ist an den genannten Antrag gebunden.28 Diese Bindung wird nur in den Fällen relevant, in denen die Ernennung (etwa des Präsidenten eines Gerichtshofs erster Instanz) durch den Bundespräsidenten erfolgt, weil in allen anderen Fällen der Bundesminister für Justiz zugleich antrags- und ernennungsbefugt ist. Wird im genannten Antrag mehr als ein Bewerber zur Ernennung vorgeschlagen, kommt dem Bundespräsidenten ein Auswahlrecht zu. Ferner darf die Ernennung gar unterbleiben. Beim Antritt der ersten Planstelle leistet der Richter den Diensteid (§ 29 RStDG),29 dessen Unterbleiben aber nichts an der Wirksamkeit der Ernennung ändert.30

III. Kriterien der Richterauswahl Gemäß § 26 RStDG31 kann zum Richter ernannt werden, wer die für den richterlichen Vorbereitungsdienst vorgesehenen Aufnahmeerfordernisse erfüllt (§ 2 RStDG), die Richteramtsprüfung bestanden und eine insgesamt vierjährige Rechts-

25 Die Regelung geht Art. 66 B-VG vor; Storr, in: Rill-Schäffer-Kommentar, Art. 86 Rn. 6. 26 BGBl. Nr. 54/1995. 27 Storr, in: Rill-Schäffer-Kommentar, Art. 86 Rn. 6. Ist die Bundesregierung oder der Bundesminister zur Ernennung ermächtigt, bedarf es keines Vorschlags an den Bundespräsidenten. 28 Nach Mayer/Muzak, B-VG, Art. 86 Abs. 2 ergibt sich die Bindung an den Vorschlag der Bundesregierung aus der allgemeinen Bestimmung des Art. 67 Abs. 1 B-VG. 29 Der Bundespräsident nimmt den Eid ab, wenn die Person zum Präsidenten eines OLG oder zum Präsidenten oder Vizepräsidenten des OGH ernannt wird. 30 Fellner/Nogratnig, RStDG, § 29 Rn. 3. 31 Das Bundes-Verfassungsgesetz sieht keine expliziten fachlichen Anforderungen an den Richter vor. Das Erfordernis einer fachlichen Qualifizierung ergibt sich freilich mittelbar aus Art. 87a Abs. 1 B-VG; Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht, Rn. 769; zu den Auswahlkriterien siehe auch Grünständl, Richterauswahl und Richterausbildung im Systemvergleich, 2018, S. 318 f.

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praxis,32 davon mindestens ein Jahr im richterlichen Vorbereitungsdienst, zurückgelegt hat.33 Aus dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 7 B-VG), der eine Bestenauslese verlangt, ist abzuleiten, dass im Besetzungsvorschlag eine Reihung der Kandidaten zu erfolgen hat.34 Die Reihung ist gemäß § 33 Abs. 2 RStDG nach der Eignung der Bewerber für die Stelle vorzunehmen, die sich nach den in § 54 Abs. 1 RStDG genannten Kriterien beurteilt: – Umfang und Aktualität der fachlichen Kenntnisse, insbesondere der zur Amtsführung notwendigen Vorschriften; – Fähigkeiten und Auffassung; – Fleiß, Ausdauer, Gewissenhaftigkeit, Verlässlichkeit, Entschlusskraft, Zielstrebigkeit; – soziale Fähigkeiten (§ 14 Abs. 2 RStDG), Kommunikationsfähigkeit, Eignung für den Parteienverkehr; – schriftliche und mündliche Ausdrucksfähigkeit in der deutschen Sprache und, sofern für den Dienst erforderlich, die Kenntnis von Fremdsprachen; – das nötige Verhalten im Dienst, insbesondere gegenüber Vorgesetzten, Mitarbeitern, Parteien, sowie das Verhalten außerhalb des Dienstes, sofern Rückwirkungen auf den Dienst eintreten; – bei leitenden Planstellen: Eignung hierfür; – der Erfolg der Verwendung. Bei der Gewichtung der Kriterien ist auf das konkrete Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle zu achten.35 32 Der Bundesminister für Justiz kann vom Erfordernis der einjährigen Rechtspraxis im richterlichen Vorbereitungsdienst Nachsicht erteilen, wenn kein gleichwertiger Mitbewerber aufgetreten ist, der die Aufnahmeerfordernisse erfüllt. 33 § 26 Abs. 2 RStDG enthält eine Sonderregelung für Universitätsprofessoren der rechtswissenschaftlichen Fakultät einer inländischen Universität. 34 Storr, in: Rill-Schäffer-Kommentar, Art. 86 Rn. 9. 35 ErlRV 1597, BlgNR 18 GP; Fellner/Nogratnig, RStDG, § 33 Rn. 10. Man moniert die in der Praxis vorkommende „undifferenzierte Auszählung ausgezeichneter und sehr guter Beurteilungen durch verschiedene Ausbildungsrichter oder ein allgemeines Abstellen auf eine zurückliegende Gerichtspraxis bei jenem Gericht, wo die Planstelle zu besetzen ist“, als „kaum geeignet, einen objektiven Eignungsmaßstab abzugeben“. Man unterstreicht, dass bei Folgeernennungen ein Verweis auf das Ergebnis der Richteramtsprüfung mit deren zunehmendem Zurückliegen als Willkür zu werten und stattdessen etwa auf Einschätzungen von Dienststellenleitern zu Bewerbungsgesuchen, „erbrachte Leistungen, erhaltene Ausstellungen, Einsatzfreude, die Entwicklung bisher geführter Gerichtsabteilungen, wie sie sich etwa aus Prüflisten ergibt, der Rechtsmittelerfolg, Ergebnisse einer Anhörung gem. § 32a, aufgabenspezifische Vorerfahrungen oder einschlägige Fortbildung, besondere Fähigkeiten und Kenntnisse“ abzustellen wäre; Fellner/Nogratnig, RStDG, § 33 Rn. 10.

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Neben dem primären Kriterium der Eignung (1) sind für die Reihung weiter zu berücksichtigen:36 (2) Frauenförderung gemäß §§ 11b, 11c B-GlBG; (3) für OGHPlanstellen: Bevorzugung von Bewerbern aus unterrepräsentierten OLG-Sprengeln; (4) bei Ersternennungen: längere Rechtspraxis gemäß § 26 Abs. 1 RStDG; (5) bei Folgeernennungen: längere Dienstpraxis; (6) bei Senatspräsidentenplanstellen des OLG bzw. OGH, soweit eine Reihung zwischen Bewerbern dieses OLG bzw. des OGH vorzunehmen ist, die bei dem betreffenden OLG bzw. beim OGH zurückgelegte Dienstzeit als Richter. Eine Reihung der Bewerber nach anderen Kriterien ist rechtswidrig.37 Diese Kriterien gelten für die Erstellung von Besetzungsvorschlägen. Das Ernennungsorgan selbst ist aufgrund von Art. 3 des Staatsgrundgesetzes38 und dem aus Art. 7 B-VG abzuleitenden Sachlichkeitsgebot39 gehalten, eine willkürfreie, sachliche Entscheidung zu treffen, ohne an die Besetzungsvorschläge gebunden zu sein.40 Da die genannten Auswahlkriterien die Auffassung des Gesetzgebers über die Anforderungen an eine sachliche und willkürfreie Entscheidung konkretisieren, dürfte das Ernennungsorgan mittelbar ebenfalls an die Kriterien gebunden sein. Trotz der klaren Kriterien beklagen Richter, dass in vielen Fällen über Karrieren Netzwerke und persönliche Sympathien entscheiden würden.41 Bisweilen stellt man also die Sachlichkeit von Auswahlentscheidungen infrage.42

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Fellner/Nogratnig, RStDG, § 33 Rn. 9. Ebd., § 33 Rn. 12. 38 „Die öffentlichen Ämter sind für alle Staatsbürger gleich zugänglich […].“ 39 Vgl. Storr, in: Rill-Schäffer-Kommentar, Art. 86 Rn. 7. 40 Vgl. ebd., Art. 86 Rn. 6. 41 Haller/Dimmel, Wie man Richter wird – wie man Richter macht, JRP 8/2000, 255 (259). (Nicht repräsentative) Interviews haben ergeben, dass das Gespräch zur Aufnahme in den richterlichen Vorbereitungsdienst in Innsbruck im Vergleich zu Wien von den Bewerbern selbst u. a. als wenig transparent empfunden wurde; Haller/Dimmel, JRP 8/2000, 255 (258). Teils moniert wurde auch die Untersuchung der psychologischen Eignung der Bewerber auf Richterstellen; zum Problem vgl. Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, S. 533. Es soll unter anderem kein Anforderungsprofil für die Untersuchung vorgegeben gewesen sein; Haller/Dimmel, JRP 8/2000, 255 (258). Das Fehlen fester Kriterien sei auf die Überzeugung der Richter zurückzuführen gewesen, selber am besten beurteilen zu können, wer geeignet war. Seit dem Jahr 2005 sind die Voraussetzungen der psychologischen Eignungsuntersuchung konkretisiert; vgl. Fellner/Nogratnig, RStDG, § 3 Rn. 3 f. 42 Siehe auch etwa https://derstandard.at/2000024888216/Richter-kritisieren-BrandstettersPersoanlpolitik (abgerufen am 5. 2. 2018). 37

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IV. Absetzung und Versetzung von Richtern Art. 88 B-VG sichert die in Art. 87 B-VG garantierte richterliche Unabhängigkeit in personeller Hinsicht ab,43 indem er die Absetzung und Versetzung des Richters an hohe Bedingungen knüpft.44 Die Absetzung (sog. Entsetzung) bedeutet den gegenüber der Ernennung gegenteiligen Akt. Mit der Versetzung im verfassungsrechtlichen Sinn ist eine „Versetzung“ gemeint, die nicht innerhalb derselben Gehaltsgruppe erfolgen muss, sondern sogar eine Versetzung in den Ruhestand umfasst.45 Absetzung und Versetzung sind, außer mit Einverständnis des betroffenen Richters, nur „in den vom Gesetz vorgeschriebenen Fällen und Formen zulässig“. Dies bedeutet nicht nur, dass die Rechtsfolge gesetzlich vorgesehen sein muss, denn diese Konsequenz entspringt bereits Art. 18 B-VG. Erforderlich ist darüber hinaus, dass das Gesetz die einzelnen Fälle, in denen Absetzung und Versetzung möglich sind, hinreichend klar festlegt46 und die Maßnahme Ausnahmecharakter hat.47 Laut Art. 88 Abs. 2 B-VG darf eine Absetzung oder Versetzung nur auf Grundlage einer förmlichen richterlichen Entscheidung („Erkenntnis“) ergehen. Dies schließt es aus, dass eine Verwaltungsentscheidung (z. B. des Bundesministers für Justiz) oder ein Gesetz diese Folge auslöst.48 Das RStDG als einfachgesetzliche Bestimmung nennt in § 82 Abs. 1 folgende Gründe für die Versetzung auf eine andere Planstelle derselben Gehaltsgruppe: (1) Dauernde so schwere Beeinträchtigung des Ansehens und der Tätigkeit des Richters auf seiner Planstelle durch von ihm nicht verschuldete, außerhalb seiner Amtsausübung gelegene Umstände, dass das Verbleiben des Richters auf seiner Planstelle der Rechtspflege zum Abbruch gereichen würde; (2) Begründung eines Angehöri43

Fellner, in: Weinzierl/Rathkolb/Mattl/Ardelt (Hrsg.), S. 69 (70 f.); auch Adamovich, ÖJZ 16/1954, 409 (411); Helige, Richteramt und Gesellschaftspolitik – Wie politisch muß ein Richter sein?, in: Weinzierl/Rathkolb/Mattl/Ardelt (Hrsg.), Richter und Gesellschaftspolitik, 1997, S. 138 (139); Markel, ÖRiZ 7 – 8/1984, 162 (162); Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht, Rn. 771; Piegler, ÖJZ 19/1965, 505 (510). 44 Keller, in: Neider (Hrsg.), S. 121 (122). 45 Entgegen der einfachgesetzlichen Legaldefinition in § 25 Abs. 4 RStDG, der zufolge es sich um eine „Ernennung des Richters auf eine andere Planstelle derselben Gehaltsgruppe“ handelt. „Versetzung“ im verfassungsrechtlichen Sinne ist demnach eine Entsetzung aus der alten Planstelle und anschließende Einsetzung in eine andere Planstelle oder in den Ruhestand; Storr, in: Rill-Schäffer-Kommentar, Art. 88 Rn. 5; siehe auch Walter, Die verfassungsrechtliche Stellung des Richters und das Richterdienstgesetz, ÖJZ 9/1962, 225 (227): Versetzung als Entsetzung und Ernennung in einem. Nach Fellner, in: Weinzierl/Rathkolb/ Mattl/Ardelt (Hrsg.), S. 69 (71) betreffen Unentsetzbarkeit und Unversetzbarkeit eine bestimmte „Stelle“. Hierzu gehört nach der Literatur nicht nur eine örtliche Beziehung, sondern auch ein zeitliches, funktionales und besoldungsrechtliches Element. 46 Walter, ÖJZ 9/1962, 225 (227). 47 Storr, in: Rill-Schäffer-Kommentar, Art. 88 Rn. 9. 48 Diese Regelung trägt der Gewaltentrennung „im ursprünglichen Sinne“ Rechnung; Walter, Verfassung und Gerichtsbarkeit, S. 80; auch Storr, in: Rill-Schäffer-Kommentar, Art. 88 Rn. 10.

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genverhältnisses gemäß § 34 durch den Richter zu einem anderen, bei demselben Bezirksgericht ernannten Richter oder Annahme an Kindesstatt durch einen solchen Richter; (3) Unzulässigkeit der weiteren Tätigkeit als Richter gemäß § 6a Abs. 2 des Unvereinbarkeitsgesetzes49. Darüber hinaus kann diese Form der Versetzung ohne Anspruch auf Übersiedlungsgebühren als Disziplinarstrafe durch ein Disziplinargericht verhängt werden (§ 104 Abs. 1 lit. c i.V. m. § 110 Abs. 1 RStDG). Eine Versetzung in den zeitlichen Ruhestand ist – auf Antrag oder von Amts wegen (§§ 83 Abs. 2; 91 RStDG) – bei krankheitsbedingter Dienstabwesenheit länger als ein Jahr50 oder, wenn die Aufnahmeerfordernisse (§§ 2 Abs. 1 Z. 2; 3 RStDG) nicht mehr erfüllt werden, möglich. Schließlich ist noch auf die Versetzung in den dauernden Ruhestand einzugehen, die mit Ablauf des Jahres, in dem der Richter das 65. Lebensjahr vollendet hat (§ 99 RStDG), kraft Gesetzes eintritt.51 Art. 88 Abs. 1 B-VG schließt es aus, dass über den Eintritt in den Ruhestand seitens der Exekutive ohne Zustimmung des Richters verfügt wird. Die strikte Altersgrenze fördert die Unabhängigkeit der Richter, da sie nicht befürchten müssen, bald eine neue Beschäftigung zu suchen.52 Sie kann aber lange Amtsperioden zur Folge haben,53 was bei der Ernennung von Höchstrichtern in jungen Jahren als besonders bedenklich erscheint. Die rigiden Erfordernisse von Art. 88 Abs. 2 S. 1 B-VG betreffen nicht Versetzungen auf eine andere Planstelle54 oder in den Ruhestand, die aufgrund von Änderungen der Gerichtsorganisation notwendig werden.55 Das Bundes-Verfassungsgesetz sieht für diesen Fall vor: „In einem solchen Fall wird durch das Gesetz festgestellt, innerhalb welchen Zeitraumes Richter ohne die sonst vorgeschriebenen Förmlichkeiten übersetzt und in den Ruhestand versetzt werden können“ (Art. 88 Abs. 2 S. 3 B-VG).56 Die Versetzung selbst muss weder durch Gesetz noch durch richterliche Entscheidung erfolgen. Verfassungsrechtlich reicht es aus, dass sie von einer Verwaltungsbehörde, etwa dem Bundesminister der Justiz, angeordnet wird. Der Anlass

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BGBl. Nr. 330/1983. Zur Berechnung siehe § 83 Abs. 3 RStDG. 51 Eine Versetzung in den dauernden Ruhestand findet ferner statt, wenn die Gesamtbeurteilung für zwei aufeinanderfolgende Kalenderjahre auf „nicht entsprechend“ lautet (§ 88 RStDG). Der Versetzung geht ein Verfahren vor dem Dienstgericht mit einer mündlichen Verhandlung voraus (§§ 90, 92, 93 RStDG); vgl. Fellner/Nogratnig, RStDG, § 88 Rn. 3. 52 Zur Verwaltungsgerichtsbarkeit Gamper, in: Giese/Holzinger/Jabloner (Hrsg.), S. 137 (147), die zugleich moniert, dass die Altersgrenze der Gewaltenteilung in zeitlicher Hinsicht abträglich ist. 53 Storr, in: Rill-Schäffer-Kommentar, Art. 88 Rn. 5. 54 Sog. Übersetzung; Storr, in: Kneihs/Lienbacher (Hrsg.), Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 2014, Art. 88 Rn. 12 („Begriffswahl irritiert“). 55 Vgl. Berka, Verfassungsrecht, Rn. 810. 56 Das Gesetz muss erkennen lassen, innerhalb welchen Zeitraums Über- und Versetzungen möglich sind. Auf den zeitlichen Aspekt findet das Verhältnismäßigkeitsgebot Anwendung. 50

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muss zwar keine tiefgreifende Änderung der Geschäftsorganisation sein,57 aber die Änderung der Organisation muss es als eine Ultima-Ratio-Maßnahme erfordern, den Richter zu versetzen.58

V. Bewertung Die Bewertung der österreichischen Rechtslage fällt durchwachsen aus: Die verfassungsrechtlichen Garantien der Unabhängigkeit, Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit der Richter und ihre einfachgesetzliche Ausformung gewährleisten eine objektive und neutrale Rechtsprechung und einen angemessenen Schutz vor Ausschaltung von politisch unerwünschten Richtern. Hinzugefügt sei, dass ein aktives parteipolitisches Engagement in der österreichischen Rechtskultur als mit der Unabhängigkeit des Richters nicht vereinbar gilt, sodass gegenwärtig auch soziale Schranken vor politischer Vereinnahmung der Rechtsprechung bestehen.59 Bedenken erweckt dagegen, dass über die erste und jede weitere Ernennung eines Richters exekutive Oberorgane entscheiden und der Richterschaft lediglich ein Mitwirkungsrecht in Form von unverbindlichen Vorschlägen der Personalsenate zukommt. An der Aufnahme als Richteramtsanwärter, also dem ersten der Ernennung als Richter vorausgehenden Schritt, sowie an der Ernennung des Präsidenten und der Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs hat die Richterschaft nicht einmal ein derartiges eingeschränktes Mitwirkungsrecht.60 Die „auch im internationalen Vergleich ungewöhnlich starke strukturelle Abhängigkeit der österreichischen Gerichtsbarkeit von der exekutiven Staatsgewalt“61 schafft erstens die Gefahr, dass die Richterauswahl von Seiten der Exekutive instrumentalisiert und aus sachfremden Gründen einem nicht in den Vorschlag aufgenommenen Bewerber der Vorzug gegeben wird. Zwar kann dieser Besorgnis die seit Bestehen der Regelung existierende soziale

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Dem einfachen Gesetzgeber steht ein weiter Spielraum zu, was die Frage der Durchführung der gerichtlichen Neuorganisation selbst angeht. 58 Storr, in: Rill-Schäffer-Kommentar, Art. 88 Rn. 12. 59 Siehe hierzu die Empfehlung in den „Salzburger Beschlüssen“ der Österreichischen Richtervereinigung aus 1982, als Richter jede parteipolitische Betätigung und die Mitgliedschaft in einer politischen Partei zu meiden. Relativierend gegenüber letztgenannter Empfehlung Helige, in: Weinzierl/Rathkolb/Mattl/Ardelt (Hrsg.), S. 142 f. Zum Ganzen Kropiunig, in: Frank (Hrsg.), S. 49 f. 60 Bei Richteramtsanwärtern besteht nur ein unverbindliches Vorschlagsrecht des Präsidenten des Oberlandesgerichts. Zur aktuellen Kritik an den Regeln zur Ernennung des Präsidenten und der Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs https://derstandard.at/ 2000073062614/Richter-fordern-transparentes-Verfahren-bei-OGH-Besetzung (abgerufen am 13. 2. 2018). 61 Reissner, Der Rat der Gerichtsbarkeit – ein Mittel zur Sicherung einer unabhängigen Rechtsprechung, ÖRiZ 1/2004, 4 (4 f.).

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Bindung an den Besetzungsvorschlag62 entgegengehalten werden. Jedoch unterliegt diese „Kultur der Unabhängigkeit“63 schon gegenwärtig gewissen Erosionserscheinungen,64 die die Dringlichkeit einer rechtlichen Vorsorge für politische Konstellationen, die sich über informelle Bindungen der Besetzungsvorschläge hinwegsetzen, deutlich machen. Zweitens erscheint ein solches exekutivisches Richterauswahlmodell in demokratischer Hinsicht defizitär, da das derzeit mit der Auswahlentscheidung betraute Organ, der Bundesminister für Justiz, nur mittelbar demokratisch legitimiert ist. Mit Blick auf Art. 1 B-VG, in dem es programmatisch heißt: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus“, vermag dies kaum zu befriedigen. Eine Reform der Richterernennung sollte das demokratische Element stärken, der Richterschaft, die wegen ihres Sachverstandes die Eignung der Kandidaten besonders einzuschätzen vermag, ein echtes Mitentscheidungsrecht einräumen, und die Möglichkeit der politischen Einflussnahme sowie unsachlicher Auswahlentscheidungen soweit wie möglich reduzieren. Diesen Erfordernissen würde es nicht genügen, eine Bindung an den Vorschlag des Personalsenats, wie im Grundgesetz vom 22. 11. 1918 über die richterliche Gewalt65, vorzusehen.66 Die Maßnahme würde zwar einen gewissen Schutz vor parteipolitischer Instrumentalisierung bieten, jedoch dem Anliegen einer „Demokratisierung der Justiz“ zuwiderlaufen und insbesondere die Gefahr von Beförderungen nach unsachlichen Kriterien, wie der Zugehörigkeit zu Netzwerken, in sich bergen. Die beste Lösung wäre die Einrichtung eines Ausschusses für die Richterwahl, wie er in vielen Ländern existiert und für Österreich seit Jahrzehnten von der Richterschaft und wissenschaftlichen Kreisen gefordert 62

Vgl. Markel, ÖRiZ 7 – 8/1984, 162 (163); Storr, in: Rill-Schäffer-Kommentar, Art. 86 Rn. 10; vgl. auch Wittreck, Die Verwaltung, S. 532 f.: „Ernennung und Beförderung der österreichischen Richter liegen in den Händen der Exekutive, die wiederum in einer zwar letztlich informalen, aber nicht zu unterschätzenden Weise an Vorentscheidungen richterlicher Gremien gebunden ist.“ Kropiunig, in: Frank (Hrsg.), S. 38 (41) bezeichnet dies als „beruhigend“; BMJ (Hrsg.), Gesamtreform der Justiz, S. 140; zu Richterstellen beim OGH Keller, in: Neider (Hrsg.), S. 121 (123). 63 Zu dem Begriff Sanders, Ein Stress-Test der Rechtsstaatlichkeit. Vorschlag für eine Reaktion auf Angriffe auf die richterliche Unabhängigkeit in Europa, ZRP 8/2017, 230 (230). 64 Jüngst wurde bei der Besetzung von Richterstellen am Wiener Verwaltungsgericht nur eingeschränkt dem Besetzungsvorschlag des Personalsenats des Verwaltungsgerichts gefolgt, was Aufsehen erregte, siehe https://derstandard.at/2000016769975/Wiener-Verwaltungsge richt-Wirbel-um-Richter-Bestellung (abgerufen am 5. 2. 2018). Siehe auch https://derstandard. at/2000024888216/Richter-kritisieren-Brandstetters-Persoanlpolitik (abgerufen am 5. 2. 2018). Auch Adamovich, ÖJZ 16/1954, 409 (411) bezeichnet die Unverbindlichkeit der Besetzungsvorschläge als Gefahrenquelle; siehe weiters Piegler, ÖJZ 19/1965, 505 (510). 65 Oder analog zur gegenwärtig bestehenden Bindung der Bundesregierung an die Dreiervorschläge der Vollversammlung oder eines aus ihrer Mitte zu wählenden Ausschusses des Verwaltungsgerichtshofes bei der Richterwahl zum Verwaltungsgerichtshof (vgl. Art. 134 Abs. 4 B-VG: „auf Grund“); Gamper, in: Giese/Holzinger/Jabloner (Hrsg.), S. 137 (146); Wittreck, Die Verwaltung, S. 538. 66 Oben II.4.

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wird.67 Dieser Ausschuss sollte direkt im Bundes-Verfassungsgesetz verankert werden. Hier sind verschiedene Modelle der Zusammensetzung und Funktionsweise vorstellbar, die eine direkte demokratische Legitimation der Richterernennung und die Mitentscheidung der Richterschaft gewährleisten und gleichzeitig eine Absicherung gegen unzulässige Einflussnahme seitens der politischen Macht und gegen sachfremde Auswahlkriterien bieten. Dem Ausschuss sollten neben von der Richterschaft gewählten Vertretern68 direkt vom Parlament gewählte Nationalratsmitglieder aus verschiedenen Klubs angehören; auch eine Beteiligung der Anwaltschaft als „Wortführer“ Rechtsuchender kann sich als sinnvoll erweisen.69 Diese heterogene Zusammensetzung würde gewährleisten, dass die Ausschussmitglieder einander auf die Finger schauen, sodass allfällige Missstände rasch aufgedeckt werden. Sind Parlamentsangehörige im Ausschuss direkt beteiligt, erscheint es vorzugswürdig, dass die Ernennung der Richter durch den Richterwahlausschuss selbst erfolgt, damit nicht ein Exekutivorgan die Auswahl eines politisch missliebigen Richters blockieren kann. Darüber hinaus sollte es die Möglichkeit geben, dass unterlegene Bewerber die Entscheidung rechtlich überprüfen lassen.70 Eine solche Lösung würde die Unabhängigkeit der österreichischen Richterschaft auch in institutioneller Hinsicht absichern und den demokratischen Rechtsstaat stärken.

67 Siehe den Vorschlag für einen Richterwahlausschuss, zu je einem Drittel bestehend aus gewählten Vertretern der Richter, Parlamentarier und Anwälte, bei Keller, in: Neider (Hrsg.), S. 134 f. Für die Einrichtung eines „Oberrats der Richterschaft“, der sich aus dem Bundespräsidenten, dem Bundesminister für Justiz, dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofes und den vier Präsidenten der Oberlandesgerichte sowie aus von der Gesamtheit der ordentlichen Richter gewählten Vertretern, zusammensetzt, Malaniuk, JBl 11/1949, 273 (275 f.); befürwortend Piegler, ÖJZ 19/1965, 505 (511); offen gelassen von Adamovich, ÖJZ 16/1954, 409 (411). Für einen Vorschlag der Österreichischen Richtervereinigung, dem zufolge den richterlichen Vertretern die Mehrheit im Gremium zukommen sollte, siehe Reissner, ÖRiZ 1/2004, 4 (4 f.). 68 Darüber hinaus kommen Mitglieder kraft Amtes, wie der Präsident des Obersten Gerichtshofes, in Betracht. 69 Keller, in: Neider (Hrsg.), S. 134 f. Es wäre allerdings dafür Vorsorge zu treffen, dass die wahlberechtigten Anwälte nicht auf die zur Wahl stehenden Richter Einfluss nehmen können. 70 Hierfür kommt der Oberste Gerichtshof in Frage.

Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl in Deutschland am Beispiel des Landes Brandenburg Von Klaus-Christoph Clavée Grundlegendes zur Richterwahl in Deutschland hat bereits Herr Prof. Wolff vorgetragen. Ich werde mich daher vor allem mit den Regelungen Brandenburgs zur Richterwahl und deren ganz praktischer Umsetzung befassen. Ich will versuchen, die Voraussetzungen für die Berufung in ein Richteramt, die Zuständigkeiten und die konkrete Vorgehensweise bei der Gewinnung von Richtern sowie das Verfahren bei deren Auswahl in Brandenburg darzustellen.

I. Zunächst muss ich jedoch eine Vorbemerkung machen bzw. einen wesentlichen Umstand in Erinnerung rufen. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland stellt den Ländern in Art. 98 Abs. 4 frei, an der Berufung von Richtern einen Richterwahlausschuss zu beteiligen. Dies und der ausgeprägte Föderalismus haben dazu geführt, dass es ohnehin nur in neun Bundesländern Richterwahlausschüsse gibt. Diese haben, wo es sie gibt, auch nicht etwa die gleichen Zuständigkeiten. Tatsächlich gibt es kaum zwei Bundesländer, die das Verfahren zur Auswahl von Richtern in gleicher Weise regeln. Ich will daher ganz deutlich sagen, dass es die Richterwahl in Deutschland nicht gibt und demzufolge auch keine einheitlichen Einstellungs- oder Auswahlverfahren. Dies verwundert, regelt § 9 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) doch die Voraussetzungen für die Berufungen in ein Richterverhältnis für ganz Deutschland einheitlich. Danach darf in ein Richterverhältnis nur berufen werden, wer Deutscher ist (Nr. 1), die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten (Nr. 2), die Befähigung zum Richteramt besitzt (Nr. 3) und über die erforderliche soziale Kompetenz verfügt (Nr. 4). Hierauf komme ich noch zurück.

II. Ich will nun vor diesem Hintergrund die rechtlichen Rahmenbedingungen skizzieren, die für Richterernennungen und auch Auswahlverfahren in Brandenburg gelten.

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Nach Art. 109 Abs. 1 S. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg entscheidet der zuständige Landesminister über die Berufung in ein Richteramt – also sowohl die erstmalige Ernennung als auch die Berufung in ein Richteramt mit höherer Besoldung – gemeinsam mit einem Richterwahlausschuss. Der Richterwahlausschuss besteht aus 12 Personen, die sämtlich vom Landtag gewählt werden. Seine Zusammensetzung ist ein wenig unübersichtlich. Acht Mitglieder sind Abgeordnete des Landtages. Zwei weitere (ständige) Mitglieder sind Richter. Ein Richter, der der jeweiligen Gerichtsbarkeit angehört, für die eine Wahl stattfindet, tritt als sogenanntes nichtständiges Mitglied hinzu. Bei Ersteinstellungen von Richtern in der ordentlichen Gerichtsbarkeit (also Zivil- und Strafgerichte) tritt an deren Stelle ein Staatsanwalt (Hintergrund hierfür ist, dass auch Staatsanwälte bei ihrer Ersteinstellung als Richter auf Probe eingestellt werden und erst mit ihrer Lebenszeitanstellung zu Beamten ernannt werden). Diese Mitglieder des Wahlausschusses werden von der Richterschaft vorgeschlagen. Ein weiteres Mitglied ist eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt, die wiederum von der Rechtsanwaltschaft dem Landtag zur Wahl vorgeschlagen werden. Den Vorsitz im Wahlausschuss führt – ohne Stimmrecht – der Minister. Seine Entscheidungen fällt der Richterwahlausschuss mit einer Mehrheit von 2/3 der abgegebenen Stimmen. Das bedeutet, dass die Landtagsabgeordneten im Wahlausschuss, also Parteipolitiker, auch ohne Stimmen aus der Richterschaft eine Entscheidung fällen können (§§ 12 f. des Richtergesetzes des Landes Brandenburg – BbgRiG). Die Entscheidung wird vorbereitet durch den Präsidenten oder die Präsidentin des jeweiligen Obergerichtes (Oberlandesgericht, Oberverwaltungsgericht, Landesarbeitsgericht, Landessozialgericht, Finanzgericht), die oder der den Personalauswahlprozess leitet, die Bewerber beurteilt und einen Besetzungsvorschlag erarbeitet. Diesen Vorschlag leitet die Präsidentin oder der Präsident dem Präsidialrat zu. Der Präsidialrat ist ein von § 74 DRiG vorgeschriebenes, aus Richtern bestehendes Gremium. In der näheren Ausgestaltung, der Zusammensetzung und Zuständigkeiten dieses Gremiums sind die Länder wiederum frei (§ 75 Abs. 1 und 2 DRiG) und Brandenburg hat sich entschieden, den Präsidialrat an nahezu allen Entscheidungen zu beteiligen, die den Status einer Richterin oder eines Richters betreffen, also insbesondere auch bei Ersteinstellungen von Richtern ebenso wie bei Berufungen in höhere Richterämter (§ 60 BbgRiG). Alle Mitglieder des Gremiums mit Ausnahme des Vorsitzenden (in der ordentlichen Gerichtsbarkeit sechs Richter) werden von der Richterschaft gewählt (§ 57 BbgRiG). Vorsitzender ist von Gesetzes wegen in Brandenburg immer der Präsident oder die Präsidentin des jeweiligen Obergerichtes. Der oder die Präsidentin leitet nun also seinen oder ihren Vorschlag dem Präsidialrat (dem er selber vorsitzt) zu, damit dieser eine Stellungnahme zur persönlichen und fachlichen Eignung des vorgeschlagenen Bewerbers abgibt (§ 75 Abs. 1 S. 2 DRiG und § 61 BbgRiG). Es handelt sich dabei nicht um eine für das weitere Verfahren bindende Entscheidung, sondern lediglich eine Stellungnahme. Eine negative Stellungnahme des Präsidialrates hindert also grundsätzlich die spätere Wahl nicht. Im Anschluss

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hieran wird der Besetzungsbericht mit dem Votum des Präsidialrates dem Ministerium vorgelegt. Will sich der Minister dem Vorschlag der Präsidentin bzw. des Präsidenten nicht anschließen, weil er einen anderen Kandidaten oder eine andere Kandidatin für geeigneter hält, muss er seinen (neuen) Vorschlag wiederum dem Präsidialrat vorlegen (§ 61 Abs. 2 S. 3 BbgRiG) – was allerdings in der Praxis so gut wie nie vorkommt. Der Minister legt sodann diesen konkreten Personalvorschlag dem Wahlausschuss mit einer Liste aller Bewerber sowie deren Personalunterlagen und der Stellungnahme des Präsidialrates vor, er schlägt dem Ausschuss also einen bestimmten Bewerber zur Wahl vor (§§ 20, 22 BbgRiG) und hat damit zugleich seinen Akt der „gemeinsamen“ Entscheidung vollzogen. Aufgrund aller vorliegenden Unterlagen kann sich der Wahlausschuss nun ein Bild machen, ob der am besten geeignete Kandidat vorgeschlagen wird. Der Wahlausschuss hat nun allerdings nicht etwa die freie Wahl zwischen mehreren Bewerbern, sondern kann nur den vorgeschlagenen Bewerber oder die vorgeschlagene Bewerberin wählen oder aber – hält er eine Mitbewerberin oder einen Mitbewerber für geeigneter – die Wahl der vorgeschlagenen Bewerberin/ des vorgeschlagenen Bewerbers ablehnen. In letzterem Fall kann der Minister dem Wahlausschuss seinen Vorschlag noch einmal in einem zweiten Wahlgang vorlegen. Wird er oder sie wieder nicht gewählt, ist die Berufung in das betreffende Richteramt endgültig gescheitert. Das dargestellte Verfahren gilt – wie eingangs angesprochen – in Brandenburg grundsätzlich für alle Entscheidungen, die den Status von Richtern betreffen, also sowohl für erstmalige Einstellungen als auch für Berufungen in höhere Richterämter.

III. Im Folgenden werden die Voraussetzungen für die Einstellung in ein Richteramt und zum konkreten Vorgehen bei der Personalgewinnung und Personalauswahl besprochen. 1. Das deutsche Richtergesetz regelt, wie bereits erwähnt, die Voraussetzungen im Einzelnen, die eine Person erfüllen muss, um in ein Richterverhältnis berufen zu werden. Wesentlich ist insoweit zunächst § 9 Nr. 3 DRiG, wonach die Person die „Befähigung zum Richteramt“ haben muss. Die Befähigung zum Richteramt nach § 5 DRiG erwirbt, wer ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität mit der ersten Prüfung und einen anschließenden Vorbereitungsdienst (Referendardienst) mit der zweiten Staatsprüfung abschließt. Der Inhalt des Studiums (hierzu im Einzelnen § 5a DRiG), der hierauf abgestimmte Vorbereitungsdienst und die entsprechenden Prüfungen sind in der Bundesrepublik geprägt vom Bild des sogenann-

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ten Einheitsjuristen, also eines einheitlich ausgebildeten Justizjuristen, der mit Abschluss der genannten Prüfungen sowohl als Richter wie auch als Rechtsanwalt, Notar oder aber als höherer Verwaltungsbeamter tätig sein kann. Es sei mir – trotz des Ortes, an dem ich diesen Vortrag halte – verziehen, dass ich auf die Besonderheit, dass auch in Deutschland tätige (ordentliche) Hochschulprofessoren der Jurisprudenz per se die Befähigung zum Richteramt haben, nicht näher eingehe, letztlich eine Privilegierung, die nicht so oft zum Tragen kommt. Geht also das Deutsche Richtergesetz davon aus, dass diejenigen, die die Prüfungen des ersten und zweiten Examens bestanden haben, ohne weiteres die grundlegende juristische Qualifikation für die Wahrnehmung eines Richteramtes aufweisen, so erklärt sich hieraus auch, weshalb es – anders als in anderen Ländern – keine weiteren Prüfungen oder Concours gibt, in denen im Rahmen von Auswahlverfahren nochmals juristische Qualifikationen abgefragt oder festgestellt werden. Da bei der Besetzung öffentlicher Ämter gemäß Art. 33 Abs. 2 GG der Grundsatz der Bestenauslese gilt, ist eine besonders hohe fachliche Kompetenz aber immer Grundvoraussetzung für eine Einstellung gewesen. Zu deren Feststellung wird auf die Ergebnisse der Examen zurückgegriffen. Üblicherweise – nicht nur in Brandenburg, sondern in der ganzen Bundesrepublik – wird (oder wurde in der Vergangenheit) daher als Einstiegsvoraussetzung (möglichst) ein Prädikatsexamen im zweiten Staatsexamen erwartet, also ein Examen im oberen Bereich der Notenskala (sehr gut bis vollbefriedigend), das regelmäßig bundesweit nur knapp 20 % der geprüften Kandidaten erreichen. Daneben sollte das 1. Examen zumindest im besseren Bereich des „befriedigend“ liegen. Da die weitere Voraussetzung, nämlich wer Deutscher im Sinne des Deutschen Richtergesetzes ist (§ 9 Nr. 1 DRiG), anhand vorzulegender Unterlagen und Urkunden ohne weiteres bestimmt werden kann, sind Gegenstand inhaltlicher Prüfungen im Rahmen des dann durchzuführenden Einstellungsverfahrens die Fragen, ob bei Bewerbern davon auszugehen ist, dass diese für die freiheitlich demokratische Grundordnung eintreten (§ 9 Nr. 2 DRiG) und – vor allem – die Frage, ob die Bewerberin oder der Bewerber über die für ein Richteramt nach § 9 Nr. 4 DRiG erforderliche soziale Kompetenz verfügt. Eine positive, ausdrückliche Prüfung der Frage, ob Bewerber die Gewähr dafür bieten, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten, ob sie also bereit sind, Bestrebungen aktiv entgegenzutreten, die sich insbesondere gegen die grundrechtlich verbrieften Menschenrechte, die Gewaltenteilung und grundlegende Prinzipien eines demokratisch verfassten Rechtsstaates wenden (§ 9 Nr. 2 DRiG) findet in der Praxis heute regelmäßig nicht mehr statt. Es wird eher davon ausgegangen, dass Bewerber diese Voraussetzung grundsätzlich erfüllen, es sei denn man hat konkreten Anlass, hieran zu zweifeln. Solche Zweifel können sich aus einer vor den Einstellungsgesprächen regelmäßig durchgeführten allgemeinen Internetrecherche oder aus den Ausbildungsakten oder dem Verlauf des Bewerbungsgespräches ergeben. Anders war dies in Brandenburg unmittelbar nach der po-

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litischen Wende und der Wiedervereinigung. Hier mussten alle Richter, die in der DDR tätig waren und in den Justizdienst übernommen werden wollten, vom Wahlausschuss gewählt werden. Dem gingen eine Überprüfung anhand vorliegender Urteile aus der Vergangenheit und insbesondere etwaiger bei dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR geführter Akten sowie persönliche Befragungen voraus. Regelanfragen bei der für diese Unterlagen zuständigen Behörde wurden in den Folgejahren – bis in die 2000er Jahre – auch bei allen Ersteinstellungen gestellt. Die Feststellung der sozialen Kompetenz oder besser gesagt: der Versuch, sich im Rahmen eines Einstellungsverfahrens ein Bild über die soziale Kompetenz einer Bewerberin oder eines Bewerbers zu machen, ist sicherlich der schwierigste Teil des Einstellungsverfahrens. Zunächst ist zu klären, was man als soziale Kompetenz für „erforderlich“ im Sinne des § 9 Nr. 4 DRiG hält. Die Vorschrift selbst gibt hierüber nämlich keine Auskunft. Üblicherweise versteht man unter sozialer Kompetenz beispielsweise die Fähigkeit, sich in das Team eines Spruchkörpers einzufinden, mit anderen angemessen zu interagieren, zuzuhören, verständlich und doch differenziert zu kommunizieren, empathisch zu sein, auf Verfahrensbeteiligte einzugehen, ihre auch hinter oder außerhalb des eigentlichen Rechtsstreits liegenden Interessen wahrzunehmen und angemessen zu würdigen. Es geht – wenn man so will – um die Persönlichkeit hinter der Juristin oder dem Juristen. Um hier zu belastbaren Ergebnissen zu gelangen, hat man in Brandenburg wie auch in anderen Bundesländern versucht verschiedene Wege zu gehen. Von Einzelgesprächen, an denen lediglich der Präsident und ein Personaldezernent einerseits sowie der oder die Bewerber/in andererseits teilnehmen, über Gespräche in Gruppen mit Beteiligung mehrerer Personen auf beiden Seiten bis hin zu Assessment-Centern mit Rollenspielen und Gruppendiskussionen unter Beteiligung von externen Psychologen und anderen Personalfachleuten ist hier alles denkbar und in der Vergangenheit auch praktiziert worden. Einige Bundesländer, die Assessment-Center durchgeführt haben, haben hiervon überwiegend allerdings wieder Abstand genommen, weil der Aufwand erheblich war, nach dem Eindruck aller Beteiligten die gefundenen Ergebnisse jedoch nicht derart von den Ergebnissen abwichen, die hinsichtlich der Bewerber in weniger aufwändigen Verfahren gefunden worden sind. Da in Brandenburg – bedauerlicherweise – in den letzten zehn Jahren wegen des von den Regierungen verfolgten Sparkurses überhaupt nur sehr wenig Richter neu eingestellt worden sind, war die Durchführung solcher Assessment-Center eher illusorisch. 2. Wie aber nun läuft praktisch das Verfahren ab, wie werden in Brandenburg Richter ganz praktisch geworben, gefunden und ausgewählt? Zu Beginn eines jeden Jahres weist das Ministerium der Justiz dem Brandenburgischen Oberlandesgericht die Richterstellen zu und legt fest, wie viele Neueinstel-

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lungen in dem jeweiligen Jahr möglich sind. Sobald diese Zahl feststeht, beginnt das Oberlandesgericht mit der Durchführung des Einstellungsverfahrens. Die Einstellungsvoraussetzungen sind – insbesondere hinsichtlich der erwarteten Examensergebnisse und aller abzugebenden Erklärungen – auf der Internetseite des Brandenburgischen Oberlandesgerichts veröffentlicht. Auch ohne besondere Ausschreibungen erhalten wir regelmäßig über das ganze Jahr verteilt Bewerbungen von Interessenten, die sich aus eigener Initiative bewerben. Ziel ist es, doppelt bis dreimal so viel Kandidaten zu den nun durchzuführenden Auswahlgesprächen einzuladen als Stellen tatsächlich zu besetzen sind. Dies soll gewährleisten, dass auch tatsächlich eine Auswahl unter mehreren Kandidaten stattfinden kann. Sind nicht ausreichend Bewerbungen vorhanden, die die festgelegten Anforderungen erfüllen, so werden die Stellen darüber hinaus öffentlich ausgeschrieben. Die Ausschreibung erfolgt in dem eigenen Mitteilungsblatt der Justiz, das im Netz abrufbar ist, und über eine einschlägige, bundesweit eingerichtete Internetplattform. Nach Ablauf der Ausschreibungsfrist werden die Bewerbungen gesichtet. In die engere Wahl und zum Auswahlgespräch eingeladen werden die Bewerber, die die grundlegenden Voraussetzungen hinsichtlich der Examensnote erfüllen. Zwischen diesen Kandidaten wird nun ein Ranking festgelegt, das sich nach den Ergebnissen beider Examen richtet, bis zumindest doppelt so viele Kandidaten gefunden sind wie Stellen zu besetzen sind. Diese Kandidaten werden sodann zum Auswahlgespräch eingeladen. Mit der Einladung wird mitgeteilt, wer an den Gesprächen seitens der Gerichtsbarkeit teilnehmen wird. Es handelt sich um ein strukturiertes Gespräch mit nur einem Kandidaten von etwa einer Stunde, an dem regelmäßig neben dem Präsidenten des Brandenburgischen Oberlandesgerichts der in der Verwaltung des Oberlandesgerichts für den richterlichen Dienst zuständige Personaldezernent, ein Mitglied des Präsidialrates, die Gleichstellungsbeauftragte und – soweit möglich – die Präsidentin oder der Präsident eines Landgerichtes teilnehmen. Zur Vorbereitung des Gesprächs wird auch Einsicht in die Ausbildungsakten genommen bzw. in die für die einzelnen Ausbildungsabschnitte des Vorbereitungsdienstes (Referendardienstes) erstellten Zeugnisse. In dem strukturierten Auswahlgespräch wird insbesondere die Motivation für die Bewerbung um ein Richteramt hinterfragt und es wird anhand verschiedener Fragestellungen und vorgegebener Fallkonstellationen versucht, einen Eindruck davon zu gewinnen, ob der Kandidat in der Lage ist, auf unvorhergesehene Situationen zu reagieren, wie er sich in bestimmte Situationen einfühlen und spontan hierauf reagieren kann. Das bezieht sich sowohl auf besondere Gesprächssituationen oder Verfahrenskonstellationen wie auch auf möglicherweise im Rahmen der Zusammenarbeit auftretende Konflikte. Ein weiterer Komplex dieser strukturierten Gespräche ist die Frage, welches Richterbild der Kandidat hat, welche Erwartungen sie oder er selbst an den Richterberuf hat, wie sie sich hier ihre Einsatzmöglichkeiten vorstellen und – für Brandenburg durchaus nicht ganz unerheblich – auch die Frage, wie örtlich flexibel die Bewerber sind. Daneben werden auch außerberufliche Interessen, etwaiges

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zivilgesellschaftliches oder ehrenamtliches Engagement erörtert. Weitere Themenkomplexe sind Fragen zur persönlichen Arbeitsorganisation und zu IT-Kenntnissen. Den Kandidaten wird zugleich auch die Möglichkeit gegeben, ihrerseits Fragen über sie interessierende Themen zu stellen, was wiederum den Teilnehmern des Auswahlgesprächs Erkenntnisse über deren Haltung und Auffassungen verschaffen kann. Abschließend wird den Bewerbern der weitere Gang des Verfahrens und der hierfür benötigte Zeitraum erläutert. Nach Durchführung sämtlicher Auswahlgespräche geben die Teilnehmer des Auswahlgesprächs ihr Votum zu den einzelnen Kandidaten ab und erklären insbesondere, in welchem Maße sie diese als für ein Richteramt geeignet ansehen. Das Maß dieser Eignung, auf das sich die Teilnehmer des Auswahlgesprächs mehrheitlich verständigt haben, fließt mit einem entsprechenden Faktor in die Gesamtbewertung ein, die nun aus dem Ergebnis des Auswahlgesprächs und dem bisher nach den Examensergebnissen vorgenommenen Ranking gebildet wird. Das sich hieraus nun neu ergebende Ranking bildet die Reihenfolge der Vorschläge, die der Präsident des Brandenburgischen Oberlandesgerichts in seinen schriftlich begründeten Besetzungsvorschlag aufnimmt, den er nun mit einer Begründung der Auswahlentscheidung – wie oben dargestellt – zunächst dem Präsidialrat zugeleitet. Auch wenn es sich – wie bereits eben erwähnt – nicht um eine Mitbestimmung, sondern lediglich um eine Mitwirkung des Präsidialrates handelt, sein Votum hinsichtlich der persönlichen und fachlichen Eignung also im weiteren Verfahren nicht bindend ist, wird praktisch aber großer Wert auf dessen Zustimmung gelegt. Mit dem Votum des Präsidialrates übersendet sodann der Präsident des Brandenburgischen Oberlandesgerichts dem Justizministerium seinen Besetzungsvorschlag und das Verfahren nimmt – wie eben allgemein dargestellt – seinen weiteren Verlauf.

IV. In der Vergangenheit hat sich der Richterwahlausschuss bei Neueinstellungen von Richtern regelmäßig mit dem durch die Minister vorgeschlagenen Kandidaten einverstanden erklärt. Das Verfahren hat nach meiner Wahrnehmung bei allen Beteiligten eine hohe Akzeptanz. Ergänzend sei aufgrund dessen, dass der Wahlausschuss wie oben ausgeführt auch an Berufungen in höhere Richterämter zu beteiligen ist, zu erwähnen, dass die Landesregierung auf Initiative des Landtages derzeit Änderungen des Brandenburgischen Richtergesetzes beabsichtigt, die insbesondere bei der Wahl der Präsidenten der Land- und Verwaltungsgerichte dem Richterwahlausschuss eine größere, freiere Wahlmöglichkeit einräumt. Das sind Änderungen, die die Richterschaft wegen des Abstimmungsquorums im Wahlausschuss – die Abgeordneten haben die entscheidende Mehrheit – durchaus kritisch sieht, weil sie hier eine deutliche Politisierung der Wahl befürchtet.

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Klaus-Christoph Clavée

Ebenfalls tagesfüllend könnte man darüber diskutieren, ob unser Grundgesetz die Beteiligung von Richterwahlausschüssen in dem Maße und in der unterschiedlichen Ausgestaltung gewollt hat, wie sie sich in der Bundesrepublik in den verschiedenen Ländern herausgebildet haben. Doch das würde hier zu weit führen.

V. Zum Abschluss möchte ich noch ein schon jetzt bestehendes, sich in der Zukunft vermutlich aber auch noch deutlich verstärkendes Problem bei der Gewinnung von Richtern ansprechen: Ich habe dargestellt, welche Voraussetzungen hinsichtlich der juristischen Qualifikation Bewerber erfüllen sollten. Tatsache ist aber, dass in den kommenden Jahren in ganz Deutschland, gerade auch in Ostdeutschland aufgrund der hier nach der politischen Wende 1989/1990 entstandenen Altersstruktur der Richterschaft so viele Kollegen in Ruhestand gehen werden, dass der Bedarf in Zukunft in ganz Deutschland nicht mehr gedeckt werden kann, wenn man an den hohen juristischen Qualifikationen (Prädikatsexamina) festhält; denn die Zahl der so gut qualifizieren Absolventen nimmt zeitgleich ab. Wir werden die Anforderungen senken müssen. Dem Absenken dieser Standards sind allerdings Grenzen gesetzt, wenn man auch weiterhin Wert auf eine besondere Qualität im Bereich der Rechtsprechung legen möchte.

Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl in der Schweiz Von Maciej Aleksandrowicz

I. Einführung Die in der polnischen Öffentlichkeit andauernden Diskussionen über das Bedürfnis (oder die Überflüssigkeit) einer Reform des landeseigenen Gerichtswesens charakterisieren sich durch eine vergleichsweise häufige (und in der Tat ziemlich stichprobenartige) Berufung auf fremde normative Lösungen. Eine nur punktuelle und nicht hinreichend weitsichtige Berufung auf einzelne Regelungen, losgelöst unter anderem von ihrer Anwendung in der Praxis, ist meiner Meinung nach nicht richtig und kann für den Empfänger sogar irreführend sein. Daher soll der vorliegende Beitrag, der durch Herrn Prof. Dr. Maciej Małolepszy inspiriert wurde, versuchen, dem Leser die schweizerischen Lösungen im Bereich des Verfahrens und der Kriterien der Richterwahl näher zu bringen. Will man die aus staatswissenschaftlicher Sicht äußerst interessanten normativen Lösungen sowie deren praktische Anwendung und die in der Schweiz vorherrschende politische Praxis beschreiben, darf man einen sehr wichtigen Kulturaspekt dieses Landes nicht vergessen: Der Entwicklung ihrer heutigen modernen Demokratie liegt ein Prozess zugrunde, der nicht nur lang andauerte, sondern im Vergleich zu beispielsweise Polen auch geschichtlich bedingte Besonderheiten aufweist. So herrscht in der Schweiz seit über 170 Jahren Frieden (der letzte bewaffnete Konflikt, der direkt auf dem schweizerischen Gebiet stattfand, war ein Bürgerkrieg im Jahr 1847). Kein anderes Mittel als die Ruhe vor bewaffneten Konflikten macht eine solche Entwicklung im liberalen Geist des sozialen und bürgerlichen Bewusstseins einfacher (wenngleich sie natürlich nicht in der Lage ist, diese zu versichern). Mehr als anderthalb Jahrhunderte Frieden sind eine wirklich lange Zeit, die die Schweizer sehr gut für sich zu nutzen wussten. Einerseits haben sie eine wohlhabende, gut ausgebildete und moderne Gesellschaft aufgebaut. Andererseits haben sie in Kenntnis der vielen Unterschiede zwischen den Bewohnern der Schweiz (vor allem in Bezug auf die Sprache, die Religion und den Stand der wirtschaftlichen Entwicklung der einzelnen Kantone) gelernt, sich effizient über bestehende Gegensätze zu einigen. Die Idee der permanenten Suche nach einem Kompromiss ist in der schweizerischen politischen und rechtlichen Realität ständig präsent. Die Annahme, der schweizerische Alltag sei so idyllisch wie eine wunderschöne Alpenlandschaft, ist

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natürlich falsch. Politische Streitigkeiten, die oftmals sehr leidenschaftlich geführt werden, sind ein normaler Bestandteil des demokratischen Spiels. Die ganze „Kunst der Demokratie“ besteht allerdings darin, politische Opponenten in der Kategorie der Gegner und nicht in der Kategorie der Feinde zu betrachten. Meiner Ansicht nach sind diese einleitenden Bemerkungen über den Kontext der zu besprechenden normativen Lösungen für meine nachfolgenden Ausführungen unverzichtbar. So sind in der Schweiz ein hohes Niveau von politischer und rechtlicher Kultur sowie Respekt vor dem Gesetz und vor den Staatsorganen allgegenwärtig. Ferner sind die Lösungen, wie an dieser Stelle zu wiederholen ist, von einem ständigen Streben nach einem Kompromiss um des Gemeinwohls wegen geprägt. Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. 4. 19991 gewährt jedem in Art. 30 Abs. 1 das Recht auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht. Diese Bestimmung entspricht inhaltlich dem Art. 14 Abs. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte2. Darüber hinaus sind gemäß Art. 191c der schweizerischen Verfassung die Justizorgane im Rahmen ihrer rechtsprechenden Tätigkeit verpflichtet, die Unabhängigkeit zu wahren und sich nur dem Gesetz zu unterwerfen. Bei der Beschreibung der schweizerischen Lösungen für die Auswahl des Richterpersonals müssen die oben genannten Vorschriften berücksichtigt werden.

II. Die Regelungen der Richterwahl in der Schweiz Sowohl auf der föderalen als auch auf der kantonalen Ebene ist die richterliche Gewalt in der Regel durch Wahlen legitimiert und nicht durch Ernennungen oder Berufungen in das Richteramt. Die Bundesverfassung bestimmt in ihrem Art. 168 die Richterwahl als Weg zur Besetzung des Bundesgerichts. Die Ausgestaltung des Wahlverfahrens auf der kantonalen Ebene überlässt die Verfassung den Kantonen selbst (Art. 191b), wobei allerdings alle Kantone eine Richterwahl vorsehen. Jede Wahl lässt einfache (sogar primitive) Zweifel daran entstehen, ob der Wähler nicht aufgrund des einfachen Prinzips „Versprich mir etwas, und ich werde dich wählen“ die Unabhängigkeit (bzw. im Falle des Richters dessen Unbefangenheit) beeinflusst. Es scheint, dass in erster Linie Bürger aus Gesellschaften mit eher niedriger politischer und juristischer Kultur einen solchen Verdacht hegen, insbesondere dann, wenn sie häufig Gesetzesverstöße durch Personen mit einer hohen, aber nur „vorgeschobenen“ Position in der sozialen Hierarchie beobachten. Solche Verhaltensweisen werfen ein verbreitetes Misstrauen auf, das sich auf eine moderne und liberale Zivilgesellschaft tödlich auswirkt.

1 2

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. 4. 1999, SR 101. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, SR 0.103.2.

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Wesentlich ist insbesondere im Kontext der Richterwahl, dass das wählende Subjekt auf der Grundlage des Gesetzes und in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise handelt. Das bedeutet, dass es die Wahl eines bestimmten Kandidaten nicht von einer Art „Dankbarkeit“ für die Zukunft abhängig macht, d. h., ihn nicht korrumpiert. In der schweizerischen Lehre wird jedoch betont, dass der Richter, von der Perspektive des Vertrauens des Bürgers in die Judikative aus betrachtet, aufgrund seiner Wahl, über die stärkste Legitimation und folglich die stärkste Autorität für das Richteramt verfügt.3 Die Auslegung der Bundesverfassung lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass das schweizerische Volk und die Kantone die höchste staatliche Gewalt ausüben. Darunter ist zu verstehen, dass der Souverän ein kollektives Subjekt ist, das aus schweizerischen Staatsbürgern besteht, die sowohl aus der Perspektive des ganzen Landes (der sog. Schweizerischen Eidgenossenschaft) als auch aus der Perspektive der einzelnen Kantone als solche wahrgenommen werden. Letztendlich geht es um dieselbe Gruppe von Menschen, nämlich um die Bürger. Der Fokus auf die eigenständigen Hoheitsrechte der Kantone ist historisch bedingt und beeinflusst selbst direkt den föderalen Charakter der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Spricht man von einer eigenständigen Souveränität der Kantone (die im Grunde genommen eine breite politische Autonomie ist),4 so darf man nicht vergessen, dass diese der Gesamtheit der Bürger des jeweiligen Kantons entspringt.5 Da also die höchste Gewalt dem Volk (und den Kantonen) zukommt, sind die Bürger wohl am ehesten legitimiert, Personen auszuwählen, die die richterliche Gewalt über sie ausüben, ob durch eine direkte Wahl durch sie selbst oder indirekt durch ihre Vertreter. Dadurch ist die Legitimation der schweizerischen Richter wohl aus demokratischer Sicht ungewöhnlich stark. Werden sie direkt vom Volk als Souverän in das Amt gewählt, gleicht die Stärke dieser Legitimation der der gesetzgebenden Parlamentarier. Werden sie indirekt durch das Parlament bzw. die Parlamente gewählt, gleicht ihre Legitimation derjenigen der Exekutive (d. h. der Regierung in der Form des Bundesrates). Die Richter des Bundesgerichts werden gemäß Art. 168 der Verfassung durch die Bundesversammlung, d. h. durch das sog. schweizerische Zweikammerparlament, gewählt. Die Richter der kantonalen Obergerichte werden in 18 Kantonen indirekt von den Kantonsparlamenten gewählt, während sie in acht Kantonen direkt im 3 Vgl. Kiener, Wahl und Auswahl von Richterinnen und Richtern, http://www.rechtundge rechtigkeit.de/1 - 5-recht-kritik/richter-unabhaengigkeit/belege/richterwahl-problematik-unibern.pdf, S. 4 (abgerufen am 21. 6. 2019). 4 Vgl. Tschannen, Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, S. 241 f. Rn. 2 und die dort genannte Literatur. 5 Eingehend über die Spezifizität der Wahrnehmung der Kantone: Aleksandrowicz, Przejawy suwerennos´ci kantonów szwajcarskich w sferze stanowienia prawa – kilka uwag, in: Nawrot/Sykuna/Zajadło (Hrsg.), Konwergencja czy dywergencja kultur i systemów prawnych?, S. 137 (140 ff.).

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Wege der sog. Volkswahl gewählt werden.6 Bei der Wahl der Richter der erstinstanzlichen Gerichte, die zumeist Bezirksgerichte sind, verhält es sich dagegen fast umgekehrt: in neun Kantonen wählen die dortigen Parlamente die Richter, wohingegen in 17 Kantonen die Richterwahl direkt durch die Bürger erfolgt.7 Es sei hinzugefügt, dass auf der lokalen Ebene (nach dem Kantonal-, und nicht nach dem Kommunalrecht) für die Austragung der einfachsten Angelegenheiten verschiedene Schlichtungsbehörden zuständig sind. Obwohl sie nicht ausschließlich justiziellen Charakter haben, gehören sie zur Kategorie der Justizbehörden. Beispielsweise gibt es im Kanton Zug Schlichtungsbehörden für arbeitsrechtliche Streitigkeiten, die auch für Streitigkeiten aus dem Gleichstellungsgesetz zuständig sind, oder Schlichtungsbehörden für miet- und pachtrechtliche Streitigkeiten. Die Mitglieder dieser Organe werden vom Obergericht des Kantons gewählt. Sofern das Gesetz nicht etwas anderes bestimmt, ist in allen zivilrechtlichen Streitigkeiten in der Gemeinde der Friedensrichter (in manchen Kantonen auch Vermittler genannt) zuständig. Die Friedensrichter entspringen in diesem Fall den direkten Volkswahlen.8 Die Tätigkeit der Schlichtungsorgane, vor allem die der Friedensrichter, ist in der Schweiz von großer praktischer Bedeutung. Geringe Kosten im Vergleich mit Verfahren vor staatlichen Gerichten (ob kantonal oder auf Bundesebene), die Schnelligkeit der Erledigung von Streitigkeiten (das Verfahren dauert durchschnittlich etwas mehr als 2 Monate) sowie eine hohe Effektivität (laut dem Schweizerischen Verband der Friedensrichter und Vermittler werden 50 – 70 % aller Streitigkeiten endgültig auf dieser Ebene erledigt) machen diese Form der Lösung von Rechtsstreitigkeiten sehr attraktiv. Wie oft sagen die Friedensrichter über sich selbst: Wir sind in der Schweiz nicht mehr wegzudenken.9 Zur Frage der Wahl von Richtern, die tatsächlich in Gerichten arbeiten, ist anzumerken, dass diese in der Form von Volkswahlen, meist durch eine direkte Stimmabgabe für einzelne Kandidaten von der Kandidatenliste (Stimmabgabe mittels 6 Die Richterwahl wird auf der Ebene der Obergerichte durch kantonale Parlamente in Zürich, Bern, Luzern, Schwyz, Nidwalden, Freiburg, Solothurn, Basel-Landschaft (Baselland), Schaffhausen, Sankt Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin, Waadt (Vaud), Wallis (Valais), Neuenburg (Neuchâtel) und Jura durchgeführt. Die Wahl solcher Richter als Volkswahl existiert in den Kantonen Uri, Obwalden, Glarus, Zug, Basel-Stadt, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden und Genf. Entsprechende Daten entstammen Raselli, Richterliche Unabhängigkeit, Justice – Justiz – Giustizia 2011, Nr. 3, S. 2, Fußnote 4. 7 Eine entsprechende Regelung existiert auch in den Kantonen Zürich, Uri, Schwyz, Obwalden, Glarus, Zug, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft (Baselland), Appenzell Innerrhoden, Sankt Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Waadt (Vaud), Wallis (Valais) und Genf (Genève) als Volkswahl. Dagegen wird die Wahl in den Kantonen Bern, Luzern, Nidwalden, Freiburg, Schaffhausen, Appenzell Ausserrhoden, Tessin (Ticino) und Neuenburg (Neuchâtel) durch lokale Parlamente durchgeführt. Entsprechende Daten entstammen Raselli, ebd., S. 2 Fn. 5. 8 Siehe z. B. § 17 des Gesetzes über die Organisation der Zivil- und Strafrechtspflege des Kantons Zug vom 26. 8. 2010, SR 161.1. 9 http://www.svfv.ch/portrait.html.

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Wahlurnen) oder seltener anlässlich von Wahlversammlungen stattfinden.10 Der potenzielle Einfluss der Politik auf die zukünftige Unabhängigkeit des Kandidaten ist in diesem Fall nicht groß. Gleichzeitig bekommt der Richterkandidat Unterstützung aus verschiedenen Milieus und aus verschiedenen politischen Gruppen, denen er angehört. Manchmal wird auf potenzielle Gefahren hingewiesen, die dadurch entstehen, wenn sich ein Kandidat zwecks Mehrheitsgewinnung bei den Wahlen wie ein erfahrener Politiker aktiv der Massenmedien bedient, um so an Popularität zu gewinnen. Zwar muss selbst ein solches Verhalten die zukünftige Unabhängigkeit der Entscheidungen des Kandidaten nicht beeinflussen. Es wird jedoch auch darauf hingewiesen, dass der Kandidat sich sogar im Rahmen solcher „Medienauftritte“ nicht auf die „sozial sensibelsten“ Probleme beziehen kann. Fragen, die die größte Kontroverse auslösen (z. B. Todesstrafe, Schwangerschaftsabbruch, Transplantationsmedizin, Flüchtlingsrechte, Bau von Minaretten, gleichgeschlechtliche Beziehungen, Zugang zu Drogen usw.)11 sind in der schweizerischen Gesetzgebung unmittelbar und ziemlich detailliert geregelt. Der Richter kann dadurch die Rolle des „Mundes des Gesetzes“ erfüllen, wie dies bereits Montesquieu12 postulierte. Dadurch ist es unmöglich, in der Bewerbungsphase an teils niedrige Instinkte und womöglich an den Populismus der Wählerschaft zu appellieren. Ganz anders verhält es sich bei der Durchführung von Richterwahlen durch die lokalen Parlamente sowie durch das Bundesparlament, wenn es die Richter des Bundesgerichts wählt. Bei den durch ein Parlament vorgenommenen Wahlen tritt der politische Faktor mal weniger und mal mehr in den Vordergrund, wenngleich stets gefordert wird, bei der Besetzung von Richterstellen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren. In manchen Kantonverfassungen finden sich Bestimmungen, die explizit auf die Notwendigkeit hinweisen, die Vertretung von politischen Parteien (siehe die Verfassung des Kantons Luzern)13 oder eine ausgewogene Vertretung von unterschiedlichen politischen Meinungsrichtungen (siehe die Verfassung des Kantons Waadt)14 in einem angemessenen Umfang zu berücksichtigen. Damit wird der Kampf um die Wahl der Richter, die durch einzelne politische Parteien unterstützt werden, zu einem politischen Kampf um die „Aufteilung der Beute“, die einer bestimmten Partei zusteht. Diese Gefahren sind der Richterschaft und den Rechtswissenschaftlern bekannt.15 Am bekanntesten sind natürlich die oftmals sehr harten und kritischen Presseaussagen, die vorwiegend einen publizistischen 10

Kiener, Richterwahlen in der Schweiz, Betrifft JUSTIZ 2002, Nr. 71, S. 378. Raselli, ebd., S. 3. 12 Montesqieu, Vom Geist der Gesetze, 11. Buch, 6. Kapitel, S. 225. 13 Siehe Art. 44 Abs. 3 – Verfassung des Kantons Luzern vom 17. 6. 2007, SR 131.213. 14 Siehe Art. 131 Abs. 3 S. 2 – Verfassung des Kantons Waadt (Vaud) vom 14. 4. 2003, SR 131.231. 15 Eine sehr interessante und umfangreiche Sammlung von wissenschaftlichen Artikeln u. a. darüber befindet sich, in: Gass/Kiener/Stadelmann/Epiney-Colombo/Mosimann/Zappelli (Hrsg.), Justiz im Blickfeld. Ausgewählte Beiträge aus der Schweizer Richterzeitung, 2008 – 2012. 11

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Charakter haben.16 Am häufigsten wird eingewendet, dass die Justiz bei den Richterwahlen dem politischen „Parteienmarkt“ unterworfen und somit politisiert wird, was im Übrigen ein Fakt ist. Am Rande ist noch auf eine Ausnahmesituation hinzuweisen, die in der Vergangenheit bestand, als die Richter noch von der Exekutive gewählt wurden. Sie bestand in der Wahl von Richtern der sog. Rekurs- und Schiedskommissionen durch den Bundesrat und erfuhr auch in der Lehre eine starke Kritik, wenngleich sie durch die Notwendigkeit, Fachleute auszuwählen, gerechtfertigt war.17 Diese Kommissionen sieht die Rechtsordnung der Schweiz seit dem Jahr 2007 nicht mehr vor.18 Ihre Kompetenzen wurden vom Bundesverwaltungsgericht übernommen, dessen Richter durch das Bundesparlament gewählt werden.

III. Die Amtszeit des Richters Grundsätzlich üben die „regulären“ sowie die Friedensrichter sowohl auf der Bundes- als auch auf der kantonalen Ebene ihre Ämter nur auf bestimmte Zeit aus. Von diesem Grundsatz gibt es allerdings Ausnahmen. In Freiburg werden die Richter bspw. auf unbestimmte Zeit gewählt, wobei die Möglichkeit besteht, dass das Wahlgremium (also das Parlament) sie in gesetzlich vorgesehenen Fällen aus dem Amt entlassen kann.19 Die Amtszeit des Richters ist relativ kurz und beträgt meist vier bis sechs Jahre. Diese Lösung ist eine Antwort auf Montesquieus Postulat, wonach „bei jedem Staatsamt die Fülle der Macht durch die Kürze ihrer Dauer ausgeglichen werden muss“20. Das kann mit der einfachen Überzeugung begründet werden, dass wenn die Amtszeit des Richters kurz ist, er womöglich erst gar nicht in Versuchung kommt, sich durch Korruption verführen zu lassen. Selbst wenn er sich als bestechlicher Richter erweist, so wird er aufgrund der kurzen Amtszeit nicht in der Lage sein, allzu viel Schaden anzurichten. Der Amtszeitgrundsatz führt dazu, dass der Richter sich einer Wiederwahl unterziehen muss. Die Anzahl der Amtszeiten war allerdings nicht immer gesetzlich festgelegt. Meist ist auch keine oberste Altersgrenze vorgeschrieben. Nichtdestotrotz wurde bis zum Eintritt einer Reform der Gerichtsbarkeit im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts z. B. für das Bundesgericht (inoffiziell) angenommen, dass das Erreichen des 70. Lebensjahres die Amtszeit des Richters un16

Siehe z. B. Leuzinger, Der Richter und sein Parteibuch, Neue Zürcher Zeitung vom 27. 12. 2017, https://www.nzz.ch/schweiz/der-richter-und-sein-parteibuch-ld.1337947 (abgerufen am 21. 6. 2019) oder Hürlimann, Der Richter und das Parteibüchlein, Neue Zürcher Zeitung vom 26. 10. 2017, https://www.nzz.ch/zuerich/der-richter-und-das-parteibuechlein-ld. 1324004 (abgerufen am 21. 6. 2019). 17 Vgl. Kiener, ebd., S. 5 f. 18 Siehe Pkt. 5 der Verordnung über die Anpassung von Bundesratsverordnungen an die Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 8. 11. 2006, AS 2006 4705. 19 Siehe Art. 121 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Freiburg vom 16. 5. 2004, SR 131.219. 20 Übersetzt nach Montesquieu, ebd., 2. Buch, S. 113.

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terbricht.21 Nach dem Inkrafttreten eines Gesetzes, das im Jahre 2005 die Struktur des Bundesgerichts neu geregelt hat, scheiden Richter am Ende des Jahres, in dem sie das 68. Altersjahr vollenden, aus ihrem Amt aus.22 Auf der kantonalen Ebene gibt es verschiedene Lösungen in diesem Bereich. So beträgt die Altersgrenze z. B. in Zürich 67 Jahre.23 Nach schweizer Ansicht ist die Amtszeit des Richters eine der Grundlagen ihrer Demokratie. Dass das Subjekt, das die Gewalt ausübt, bei der Ausübung von staatlicher Gewalt stets an seine Quelle (also an den Souverän) gebunden ist, soll ein strukturelles Element einer jeden staatlichen Tätigkeit darstellen. Sobald das Subjekt eine öffentliche Funktion innehat, erhält es die hoheitlichen Attribute nur für eine bestimmte Zeit, wohingegen die Fortsetzung dieses Zustandes eine Bestätigung durch das Volk oder durch seine Vertretung erfordert. Damit ist das Prinzip der Gewaltenteilung in dem Sinne gewahrt, dass die Amtszeit von Natur aus jede Gewalt (hier also die Justizgewalt) begrenzt, ihre (politische) Verantwortung vor dem Souverän gewährleistet und Tendenzen übermäßiger Autonomie und Konsolidierung begrenzt.24 Im Ergebnis soll die angenommene Lösung einer Schließung oder sogar einer Oligarchisierung eines bestimmten Milieus vorbeugen bzw. Strukturen verhindern, die in der polnischen Publizistik manchmal als „der Staat im Staat“ bezeichnet werden. Die Notwendigkeit einer zyklischen Bestätigung seitens des Souveräns oder seiner Vertretung ermöglicht es, diejenigen Personen aus dem Richterkreis zu eliminieren25, die dem Unabhängigkeits- und Unparteilichkeitsprinzip untreu geworden sind. Es darf nicht vergessen werden, dass die direkte oder indirekte Wahl durch den Souverän die Position der Judikative gegenüber der Legislative und der Exekutive stärkt. Wie bereits erwähnt, haben die Richter eine Legitimation inne, die der Legitimation der anderen beiden Gewalten entspricht. Eine Amtszeit hat aber auch ihre Nachteile. Wenn das Volk den Richter erneut ins Amt wählt, besteht die Gefahr, dass er insbesondere zum Ende seiner Amtszeit hin keine sozial kontroversen Entscheidungen trifft, wenngleich diese im Einklang mit den sozialen Erwartungen stehen. Weiterhin können Urteile gefällt werden, die nicht ausschließlich den Zweck verfolgen, dass Recht gesprochen wird. Sie könnten sich 21

Kiener, ebd., S. 383. Siehe Art. 9 Abs. 2 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. 6. 2005, SR 173.110. 23 Entstammt dem Inhalt des Art. 5 der Innerparteilichen Konferenz des Bezirks Zürich, also dem Reglement für die Auswahl der Kandidaten für alle über eine Volkswahl auf Bezirksebene zu besetzenden Ämter (Richter und Staatsanwälte) im Bezirk Zürich, http://www. ipk-zurich.ch/img/uploadAdminDok/0ebf1_reglement_14per_1419_909_92017.pdf (abgerufen am 21. 6. 2019). Über den juristischen Charakter der Innerparteilichen Konferenzen und durch dessen erlassenen Rechtsakten in weiteren Teil des Artikels. 24 Kiener, ebd., S. 378. 25 Anderseits sollte die eigenartige „Abberufung“ des Richters, indem er bloß nicht wiedergewählt wird, nicht als einfache Form der Disziplinierung betrachtet werden. Dies wäre mit dem Unabhängigkeitserfordernis unvereinbar, vgl. insofern Tschannen, ebd., S. 519 Rn. 23. 22

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eher auf andere Faktoren konzentrieren, und seien sie auch noch so „bodenständig“ wie der Wille, sich bei seinen Wählern beliebt zu machen. Die Politisierung der durch das Parlament durchgeführten Wahlen steht außer Frage. Zweifel wirft jedoch die Frage nach den Qualifikationen der durch einzelne Parteien unterstützten Kandidaten auf, zumal es vorkommen kann, dass ein potenziell unterlegener Kandidat nur aufgrund seiner Parteizugehörigkeit auf Kosten eines anderen, für das Amt eigentlich besser qualifizierten Kandidaten gewählt wird. Es sollte betont werden, dass die Parteizugehörigkeit bei Richtern die Regel darstellt. Nur ausnahmsweise werden auch parteilose Kandidaten zu Richtern gewählt. Die Bundesversammlung hat bei der Wahl der Richter des Bundesgerichts neben den fachlichen Kompetenzen und Sprachkenntnissen der Kandidaten auch das sog. Kriterium der regionalen Herkunft im Sinne einer Kantonzugehörigkeit zu berücksichtigen. Insbesondere im Fall von Ergänzungswahlen kann es so zu einer Situation kommen, in der ein besserer Kandidat nur deswegen scheitert, weil er nicht aus dem für die jeweilige Wahl relevanten Kanton stammt. Während also ein solch objektiver Umstand die Eliminierung von bestimmten Richterkandidaten rechtfertigt, kann wohl die Parteizugehörigkeit eine umso stärker disqualifizierende Wirkung haben.26 Diese These muss jedoch als durchaus umstritten angesehen werden, vor allem weil die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kanton ein objektives Merkmal darstellt, das sich direkt aus der Frage der Kantonzugehörigkeit ergibt, die wiederum in der Regel auf dem Blutrecht basiert. Die Parteiangehörigkeit stellt dagegen ein Merkmal dar, das vom persönlichen Willen des Kandidaten abhängt. Die Verbindung des Richters mit der Partei zeigt sich auch durch die informelle Praxis, von Richtern die sogenannte „Mandatssteuer“ einzutreiben. Es handelt sich dabei um freiwillige Beiträge von Richtern für die Parteien, denen sie angehören und die zu ihrer Wahl beigetragen haben. Sie betragen auf Bundesebene 3.000 bis 20.000 Franken pro Jahr.27 Im Jahr 2018 wird es voraussichtlich eine Volksinitiative geben, die darauf abzielt, die Richter zu „entpolitisieren“ und ihr Wahlverfahren unter anderem durch ein Verbot der „Mandatssteuer“ parteienunabhängig zu machen.28 Die Zeit wird zeigen, was ihr Schicksal sein wird. Sowohl in der Lehre als auch in Publikationen mit publizistischem Charakter stößt man auf eine für unsere Überlegungen sehr wichtige Konstatierung von Prof. Regina Kiener von der Universität Bern. Diese besagt, dass die institutionelle Unabhängigkeit der Justiz mit der Rekrutierung des Richterpersonals durch politische Parteien jedenfalls nur so lange vereinbar ist, wie in dem Staat das Vielparteiensystem tatsächlich funktioniert und wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch respektiert wird.29 26

Kiener, ebd., S. 5. Richterliche Unabhängigkeit gefährdet Mensch und Recht, Nr. 145, September 2017, http://www.dignitas.ch/images/stories/pdf/diginpublic/mur/menschundrecht145.pdf (abgerufen am 21. 6. 2019). 28 Siehe Leuzinger, ebd. 29 Zit. nach Raselli, ebd., S. 5. 27

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IV. Bewerbungsvoraussetzungen der Richter Das Prinzip der Gewaltenteilung setzt einen gegenseitigen Ausgleich eben dieser Gewalten voraus. In der Schweiz wird betont, dass wenn jeder Wahlberechtigte in das Parlament gewählt oder Regierungsmitglied werden kann (also grundsätzlich jeder volljährige, mindestens 18-jährige Bürger), eine Einbeziehung der Richter des Bundesgerichts in die gleiche Vorschrift der Bundesverfassung (Art. 143) nur eine logische Konsequenz dieses Gedankens sein kann. Es ist jedoch anzumerken, dass Richter ohne juristische Ausbildung (Laienrichter) auf dieser Ebene in der heutigen Praxis eher die Ausnahme sind. Auf der Ebene der kantonalen Gesetzgebung (darunter in etwa der Hälfte der schweizerischen Kantone) gibt es unter anderem in der bereits erwähnten Verfassung des Kantons Waadt ähnliche Formulierungen. Dort kann man lesen, dass die Auswahl der Richter durch das Parlament sich nach ihrer juristischen Ausbildung und nach ihrer Erfahrung richten soll.30 Auch in Bezug auf das Alter gibt es bestimmte Einschränkungen. In Bern, Freiburg oder Genf können Personen z. B. erst nach Vollendung ihres 25. Lebensjahres zum Richter gewählt werden.31 Die an den zukünftigen Richter gestellten Anforderungen sind jedoch trotz allem in der Regel minimal. Sie beinhalten dessen Handlungsfähigkeit im rechtlichen Sinne, dessen schweizerische Staatsangehörigkeit und einen Wohnsitz im „richtigen“ Kanton. Am Rande muss hinzugefügt werden, dass bei den Friedensrichtern von der Voraussetzung der schweizerischen Staatsangehörigkeit zugunsten eines mehrjährigen (selbstverständlich rechtmäßigen) Wohnsitzes in der Schweiz abgesehen wird. Die Kandidaturen werden sowohl bei der erstmaligen Wahl eines Richters als auch bei seiner Wiederwahl in der Regel von sogenannten Spezialausschüssen überprüft, die meistens bei den Kantonsparlamenten angesiedelt sind. Deren Bewertung kann sich auch auf die Soft Skills einer Person beziehen, also beispielsweise auf ihre Widerstandsfähigkeit im Falle einer Beeinflussung durch andere Personen, auf ihre Verhandlungs- und Entschlussfähigkeit, auf ihre Fähigkeit, in der Gruppe zu arbeiten, auf die Integrität (Kohärenz) der eigenen Persönlichkeit, auf ihre Lebenserfahrung, auf ihre Menschenkenntnis, auf ihr Einfühlungsvermögen oder auf ihre Ausgeglichenheit. Als wichtig angesehen wird auch die Fähigkeit des Richters, sein eigenes Wertesystem zu reflektieren, das zugleich mit der Fähigkeit verbunden sein muss, sich von diesen Werten zu distanzieren, wenn im konkreten Fall die Gefahr einer unparteiischen Entscheidung besteht. In der Tat stellt aber in den meisten Fällen von allen informellen Voraussetzungen die Parteizugehörigkeit des Bewerbers die wichtigste dar. Die Spezialausschüsse sind weiterhin auch bei der Wahl der Kantonsrichter relevant. Beispielsweise gibt es im Kanton Zürich zwei solche Organe. Das erste ist die 30 31

Siehe Art. 131 Abs. 3 S. 1 der Verfassung des Kantons Waadt (Vaud). Kiener, ebd., S. 383 Rn. 9 ff.

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Justizkommission, die sich erst mit der Bewertung und daraufhin mit der Empfehlung der Bewerber für das kantonale Obergericht befasst. Dagegen befasst sich die sogenannte Interparteiliche Konferenz mit den Kandidaten, die in unmittelbaren Wahlen durch die Bürger gewählt werden. Deren Mitglieder sind Vertreter nicht nur der Parlaments-, sondern auch der kantonalen Parteien, und ihre Aufgabe besteht darin, eine Kandidatenliste zu erstellen, die dann zur Volksabstimmung gestellt wird. In Zürich kann ein Bewerber sowohl bei den Parlaments- als auch bei den Volkswahlen nur mit absoluter Mehrheit zum Richter gewählt werden. Erreicht eine ausreichende Anzahl von Kandidaten diese Mehrheit nicht, findet ein zweiter Wahlgang statt. Dort ist dann schon eine einfache Mehrheit ausreichend.32 Interne (mithin nicht allgemeingültige) Regelungen von Stellen, die die Bewerber bewerten, erwarten von den Bewerbern u. a. eine juristische Ausbildung. Nach Angaben aus dem Jahr 2016 gab es in den Kantonsgerichten in Zürich aus diesem Grund nur 16 Laienrichter auf 151 Stellen. Laienrichter sind Richter an Bezirksgerichten, von denen keiner das Amt in Vollzeit ausübt.33 Auf diese Weise werden in der Praxis manchmal Personen ohne juristische Ausbildung aus dem Richterkreis eliminiert. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass obwohl die Anforderungen an den Richterkandidaten formell sehr gering sind, die Laienrichter am Bundesgericht und an den kantonalen Obergerichten die Ausnahme darstellen. Die Tatsache, dass politische Parteien Kandidaten aufstellen, die über keine juristische Ausbildung verfügen, wird oft kritisiert. Der häufigste Vorwurf richtet sich dagegen weniger auf die Ausübung der judikativen Gewalt durch Personen ohne Berufsausbildung (wobei zu beachten ist, dass in einigen Kantonen nicht der Richter, sondern der Gerichtsschreiber34 verpflichtet ist, die Entscheidung professionell zu formulieren). Vielmehr richtet er sich gegen den politischen Charakter dieser Praxis als solche. In den Gerichten der ersten Instanz stellen Laienrichter keine besondere Sensation dar. In den Kantonen, in denen sie auftreten, können sogar mehrere Dutzend Prozent aller Richter Laienrichter sein. Unter den Friedensrichtern dominieren sogar zahlenmäßig diejenigen Personen, die über keine besondere juristische Ausbildung verfügen.

32 Siehe insofern §§ 77 Abs. 1, 84, 84b Abs. 3 des Gesetzes über die politischen Rechte des Kantons Zürich vom 1. 9. 2003, SR 161.1. 33 Dateien entstammen: Giger, Laienbeteiligung in Zivil- und Strafsachen unter besonderer Berücksichtigung der Zürcher Praxis, https://www.rwi.uzh.ch/dam/jcr:00000000-20cf-90d40000-00003207d1a7/Laienbeteilungen.pdf, S. 11 (abgerufen am 21. 6. 2019). 34 Siehe z. B. § 10 der Geschäftsordnung des Kantonsgerichts des Kantons Zug vom 6. 9. 2010, SR 161.111.

Kriterien und Verfahren der Richterwahl in der Schweiz

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V. Schlussbemerkungen Die Regeln für die Auswahl des Richterpersonals in der Schweiz sind aus der Sicht der Rechtswissenschaften sehr interessant. Den größten Vorteil der dortigen Verfahren bildet die sehr starke demokratische Legitimation des Mandats. Meiner Meinung nach ist dieser Vorteil aber gleichzeitig auch ihr größter Nachteil. Die Verstrickung der Richterkandidaten in ein Auswahlverfahren für eine von vornherein bestimmte, relativ kurze Amtszeit, die Notwendigkeit einer Überprüfung nach ihrem Ablauf oder die tatsächliche Abhängigkeit der Wahlchancen von der Unterstützung einer Partei können die Verwirklichung der anfangs erwähnten Grundprinzipien der Unparteilichkeit und der alleinigen Unterwerfung unter das Gesetz erschweren. Diese Schwäche ergibt sich aus der Tatsache, dass die schweizerischen Lösungen nur in Staaten mit gefestigten demokratischen Strukturen problemlos realisiert werden können. Sie funktionieren nicht, wenn innerhalb der Gesellschaft ein gegenseitiges Misstrauen herrscht, das durch eine bestehende oder durch eine seitens politischer Kräfte erzeugte Spaltung der Gesellschaft hervorgerufen wird. Die schweizerischen Lösungen im Bereich der Richterwahl bewähren sich aber trotz häufiger Kritik in der Praxis, da sie reibungslos funktionieren. Es soll noch einmal an den Gedanken von Prof. Kiener erinnert werden, nach dem die institutionelle Unabhängigkeit der Justiz und die Rekrutierung des Richterpersonals durch die politischen Parteien jedenfalls nur solange miteinander vereinbar sind, wie ein Vielparteiensystem besteht und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch respektiert wird. Auch ist hinzuzufügen, dass ein solches System nur in einem Staat und in einer Gesellschaft möglich ist, die über eine hohe politische und rechtliche Kultur verfügt. Ferner kann es auch nur dort funktionieren, wo die Gewinner der politischen Wahlen imstande sind, über ihren Triumph hinauszugehen und ihre Macht zu teilen. Darüber hinaus funktioniert es auch nur dort, wo die Sorge um das Gemeinwohl mehr als nur einen propagandistischen Spruch darstellt. Übersetzung: Eryk Sokołowski, Przemysław Bartosz

Kapitel III Das System der Richterwahl in sonstigen europäischen Staaten

Die Ernennung von Richtern in England und Wales Von Maciej Małolepszy und Michał Głuchowski

I. Einführung Das vorliegende Referat ist der Ernennung von Richtern in England und Wales gewidmet. Das derzeitige System ist relativ jung, da es im Jahr 2005 einer grundlegenden Reform unterzogen wurde. Aus Platzgründen beschränkt sich die Darstellung desselben aber auf den gegenwärtigen Rechtsrahmen, während auf eine Bezugnahme auf die alte Rechtslage verzichtet wird. Eine umfassende Änderung wurde durch das Verfassungsreformgesetz von 2005 (Constitutional Reform Act 2005) eingeführt, indem ein neues Organ, und zwar die Richterauswahlkommission (Judicial Appointments Commission) geschaffen wurde, die im Folgenden JAC oder einfach Kommission genannt wird. Die Kommission ist mit der Auswahl von Richtern für die Gerichte in England und Wales betraut und auch für einige Tribunale verantwortlich, deren Zuständigkeit sich auf das gesamte Vereinigte Königreich erstreckt. Eine wichtige Ausnahme bildet die Auswahl der Richter des Obersten Gerichts (Supreme Court), wobei aber ein Mitglied der JAC dem insofern zuständigen Auswahlausschuss angehört. Darüber hinaus liegt auch die Auswahl der Laienrichter, in England und Wales als Friedensrichter (magistrates) bekannt, außerhalb der Zuständigkeit der JAC. Aus strafrechtlicher Sicht ist jedoch anzumerken, dass 90 % der Strafsachen durch die Laienrichter allein vor den Friedensgerichten (magistrates’ courts) verhandelt werden. Sollte eine Rechtsfrage auftauchen, können die Friedensrichter die Hilfe eines Rechtsberaters einholen, der an dem jeweiligen Gericht tätig ist. Nur die schwersten Straftaten erfordern in der ersten Instanz einen Berufsrichter. Ferner verhandeln die Berufsrichter über Rechtsmittel in Strafsachen. Interessanterweise müssen die Berufsrichter nicht unbedingt ein mehrjähriges Studium der Rechtswissenschaften absolviert haben. Ausreichend ist eine vorherige juristische Erfahrung, z. B. als Rechtsanwalt (barrister oder solicitor), der grundsätzlich einen juristischen Abschluss haben sollte. Ein künftiger Praktiker, der bereits auf einem anderen Gebiet einen Abschluss erworben hat, kann jedoch anstatt dessen einen einjährigen juristischen Anpassungskurs (law conversion course) absolvieren. In Hinblick auf die für das Amt notwendige Bildung ist es daher möglich, nach nur

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einem Jahr fachbezogenen Studiums Berufsrichter zu werden. Eine vorhergehende mehrjährige Rechtspraxis ist dann aber zwingend erforderlich. Nachfolgend, soweit nicht anders angegeben, sind unter dem Begriff „Richter“ nur Berufsrichter zu verstehen. Soweit der Begriff „Englisch“ verwendet wird, so ist darunter zu verstehen, dass er sich sowohl auf England als auch auf Wales bezieht. Die besagte Richterauswahlkommission besteht aus einem Vorsitzenden und 14 weiteren Kommissionsmitgliedern, die durch die Königin auf Empfehlung vom Lordkanzler ernannt werden [sch. 12 Abs. 1 Constitutional Reform Act 20051]. Um ein angemessenes Gleichgewicht zwischen der Unabhängigkeit von den Richterund Juristenkreisen einerseits und der Fähigkeit zur Beurteilung der beruflichen Befähigung der Bewerber andererseits zu gewährleisten, sieht das Gesetz ein strenges Verhältnis zwischen den Laien, den Justizangehörigen und den anderen professionellen Mitgliedern der JAC vor. Die richterlichen Kommissionsmitglieder sind in der Minderheit. Der Vorsitzende und fünf weitere Kommissionsmitglieder müssen Laienmitglieder sein [sch. 12 Abs. 2(1), 2(2)(c)]. Von den übrigen neun Kommissionsmitgliedern müssen fünf Mitglieder auf verschiedenen bestimmten Ebenen der Justiz und zwei praktizierende Rechtsanwälte (barristers oder solicitors) der höchsten Gerichte sein, ein weiterer muss eines der im Gesetz aufgezählten Ämter innehaben, die für die Beilegung von Streitigkeiten zuständig sind, und schließlich muss ein anderer ein laienhafter Justizangehöriger sein [sch. 12 Abs. 2(2) ff.]. Das Bewerbungsverfahren wird nicht von der gesamten Kommission durchgeführt. Sie tritt in voller Besetzung erst in der Endphase auf die Bühne, nachdem das Auswahlgremium ihr die von ihm vorgeschlagenen Kandidaten vorgestellt hat. Auf die Details wird später noch eingegangen. Zunächst werden die Kriterien dargestellt, die durch das Auswahlgremium und durch die JAC bei der Auswahl angewendet werden.

II. Auswahlkriterien Was die Kriterien, oder genauer gesagt das Kriterium anbetrifft, die bei der Auswahl des für das Amt am besten geeigneten Kandidaten angewendet werden sollten, so ist das Gesetz sehr lakonisch. Es sieht vor, dass die Auswahl lediglich auf der Eignung des Kandidaten basieren soll [Abschnitt 63(2)]. Der Gesetzgeber legt nicht näher fest, welche Elemente bei der Bewertung der Bewerber in Bezug auf ihre Eignung berücksichtigt werden sollten. Vielmehr überlässt er dies dem Ermessen der JAC. Die Auswahl anhand eines einzigen Kriteriums in der Form der Eignung ist auch mit der Tatsache verbunden, dass das englische System großen Wert darauf legt, dass das Auswahlverfahren fair ist und alle Bewerber gleich behandelt werden (siehe generell das Gleichstellungsgesetz von 2010 – Equality Act 2010). Daher sollen andere Faktoren außer Acht gelassen werden. 1

Die Vorschriften ohne Gesetzesangabe entstammen dem Constitutional Reform Act 2005.

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Die Bestimmung über die Eignung der Kandidaten wird auch durch eine Normierung über das Streben nach Diversität ergänzt. Das Verfassungsreformgesetz sieht vor, dass die Kommission die Notwendigkeit berücksichtigen muss, die Diversität in Bezug auf die zur Auswahl stehenden Personen zu fördern [Abschnitt 64(1)]. Da die Bewerber ausschließlich aufgrund ihrer Eignung ausgewählt werden, kann eine Präferenz für einen bestimmten Kandidaten zwecks Stärkung der Diversität nur dann erfolgen, wenn zwei (oder mehr) Bewerber im Hinblick auf ihre Fähigkeiten, ihre Erfahrung und ihre Fachkenntnisse als gleich geeignet beurteilt werden. Diese Klausel wird daher als Bestimmung der gleichen Eignung (Equal Merit Provision) bezeichnet. Sie wird nur in den Bereichen der Justiz berücksichtigt, in denen sich in der Vergangenheit eine Unterrepräsentanz von Diversitätsmerkmalen manifestierte. Der Bezugspunkt zur Feststellung dessen, welchem Minderheitskandidat der Vorzug zu geben ist, ist nicht die Gesellschaft als Ganzes, sondern die Dienststelle oder Gruppe, bei der sich die besagte ausgeschriebene Stelle befindet. Mit anderen Worten kann einem Bewerber mit ausgewiesenen geschützten Merkmalen, die in der Dienststelle oder in der Gruppe, für die er zur Ernennung empfohlen wird, am wenigsten vertreten sind, der Vorrang eingeräumt werden. Es sollte auch betont werden, dass die JAC diese Bestimmung nur für ihre endgültige Auswahlentscheidung verwendet. Daher dürfen das Geschlecht, die Rasse usw. des Kandidaten „in der Mitte“ des Verfahrens nicht berücksichtigt werden, bloß um einzelne Bewerber auszusieben. Darüber hinaus gibt es auch eine negative Voraussetzung, denn eine Person darf nicht gewählt werden, sofern das Auswahlgremium nicht davon überzeugt ist, dass sie einen guten Charakter hat [Abschnitt 63(3)]. Interessanterweise sind die Bewerber verpflichtet, alle Informationen, die für diese Beurteilung relevant sein könnten, aus eigenem Antrieb anzugeben, und zwar unabhängig davon, ob sie bereits in einem früheren Antrag an die JAC angegeben wurden. Diese Informationen umfassen die Gesamtheit der vergangenen Verhaltensweisen und gegenwärtigen Umstände, die die Bewerbung beeinflussen könnten, sodass der Umfang der für die Bewertung relevanten Informationen sehr breit ist. Beispielsweise müssen alle Verurteilungen und Abmahnungen angegeben werden, selbst wenn die Strafe bereits vollstreckt wurde. Alle Anzeichen auf ein mögliches Fehlverhalten werden von der JAC ernst genommen und einzelfallbezogen geprüft. Der Leitfaden für einen guten Charakter (Good Character Guidance)2 enthält unverbindliche Richtlinien zur Behandlung verschiedener Rechtsverstöße. Die Analyse dieser Richtlinien zeigt, dass die Standards für ein in diesem Zusammenhang „anständiges“ Verhalten ziemlich hoch sind. Um dies zu veranschaulichen, lohnt es sich, die wohl häufigsten Rechtsverstöße, nämlich die Straßenverkehrsverfehlungen, genauer zu betrachten. Im Leitfaden heißt es, dass es unwahrscheinlich ist, dass eine Kandidatur nicht verworfen wird, wenn der dem Kandidaten ursprünglich ent2 Verfügbar unter: https://www.judicialappointments.gov.uk/sites/default/files/sync/goodcharacter-guidance-2016.pdf (abgerufen am 6. 9. 2018).

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zogene Führerschein ihm erst in den letzten vier Jahren wieder erteilt wurde oder wenn er sechs Strafpunkte für einen einzigen Vorfall oder insgesamt mehr als sechs Strafpunkte hat. Wenn der Kandidat weniger Strafpunkte hat, werden die vorgenannten Umstände wahrscheinlich nicht der einzige Grund sein, der ihn zu disqualifizieren vermag. Allerdings werden sie bei der Gesamtbeurteilung seines Charakters immer noch berücksichtigt. Die Erklärung der Kandidaten sollte, auch in ihrem eigenen Interesse, umfassend und vollständig sein. Wenn der Bewerber auf dem Bewerbungsbogen sämtliche Informationen nicht vollständig und genau offenlegt, kann dies von der JAC selbst als Beweis seiner Ungeeignetheit für die Richterernennung angesehen werden. Das Aufdeckungsrisiko ist nicht unbedeutend, da die JAC die Charakterprüfungen unter Zuhilfenahme zahlreicher Kontrollstellen, z. B. des Strafregister-Amts ACRO, durchführt.

III. Das Verfahren Das durch die JAC durchgeführte Richterauswahlverfahren ist gesetzlich nicht geregelt, sodass die JAC bei der Gestaltung des Auswahlverfahrens über einen weiten Ermessenspielraum verfügt. In der Praxis wird das Auswahlverfahrensprogramm jedoch vom Justizminister und vom Justizdienst Ihrer Majestät (Her Majesty’s Courts and Tribunals Service) entwickelt. Die Informationen über die einzelnen Etappen der Auswahl sind auf der Internetseite der JAC allgemein zugänglich,3 was die Transparenz des Verfahrens stärkt und zudem den Kandidaten eine entsprechende Vorbereitung ermöglicht. Die Kommission verfolgt einen sehr pragmatischen Ansatz und ändert manchmal die allgemein festgelegten Schritte, um den Bedürfnissen des Einzelfalls gerecht zu werden. Beispielsweise wird das traditionelle mehrstufige Auswahlverfahren verkürzt, wenn es nur eine Handvoll Bewerbungen für eine bestimmte freie Stelle gibt. Das typische Verfahren kann jedoch wie folgt beschrieben werden: Die JAC schreibt auf ihrer Webseite eine bestimmte Stelle aus und setzt eine Frist für die Einsendung der Bewerbungen. Hervorzuheben ist, dass die Bekanntmachungen eine genaue Gehaltsangabe beinhalten. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Bewerber nicht nur für eine sofort verfügbare, sondern auch für eine zukünftige Ernennung auf eine noch nicht ausgeschriebene Stelle ausgewählt werden können. Die Kommission beruft ein Auswahlgremium ein, das den Auswahlprozess bestimmt. Das Auswahlgremium besteht normalerweise aus dem Vorsitzenden, einem gerichtlichen Mitglied und einem außergerichtlichen Mitglied. Abgesehen von den letzten Schritten wird der überwiegende Teil des Verfahrens vom Auswahl3 https://www.judicialappointments.gov.uk/overview-selection-process (abgerufen am 6. 9. 2018).

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gremium und nicht von der gesamten Kommission durchgeführt. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist werden einige der Kandidaten in die engere Wahl gezogen. Die Hauptmethoden der Vorauswahl (shortlisting) sind zum einen eine Vorauswahl von Bewerbern anhand von eingesendeten Unterlagen und zum anderen eine Vorauswahl anhand von Online-Qualifikationstests. Im Falle einer Vorauswahl anhand von Unterlagen wird das Auswahlgremium auch mit der Selbsteinschätzung der Bewerber und mit zumindest zwei unabhängigen Bewertungen des Kandidaten vertraut gemacht. Unabhängige Bewertungen werden von Dritten, beispielsweise von den Vorgesetzen der Kandidaten, angefertigt und dem Gremium von den Kandidaten selbst vorgelegt. Sie werden als notwendig erachtet, um die Kandidaten angemessen bewerten zu können, und ihre Einreichung wird von der Kommission unabhängig von der gewählten Auswahlmethode verlangt, sei es bei der Vorauswahl anhand von Unterlagen oder sei es anhand von Online-Qualifikationstests. Die Online-Tests messen die Fähigkeit des Kandidaten, Informationen in einer begrenzten Zeit zu absorbieren und zu analysieren, die Probleme zu identifizieren und sie durch eine korrekte Anwendung des Rechts zu lösen. Sie können aus Multiple-Choice-Fragen oder aus traditionelleren schriftlichen Prüfungen bestehen. Jeder Test wird von erfahrenen Richtern, die im relevanten Rechtsbereich tätig sind, für die Zwecke der jeweiligen Stelle konzipiert. Die Kandidaten werden vorab informiert, welche Art von Test sie erwarten können, damit sie sich entsprechend vorbereiten können. Folglich spiegeln die Ergebnisse die relevanten Fähigkeiten der Kandidaten besser wider als im Falle einer Prüfung, bei welcher die Kandidaten mit den Aufgabentypen gänzlich überrascht wären. Ein anderes Mittel für die Vorauswahl von Kandidaten, das üblicherweise anstelle oder zusätzlich zu den oben genannten Methoden verwendet wird, ist das Telefongespräch. Nach der shortlisting-Phase folgt die zweite Hauptphase, nämlich der Selektionstag. Auch hier können die angewandten Bewertungsmethoden variieren, wenngleich alle Methoden eine direkte, persönliche Interaktion zwischen dem Auswahlgremium und den Bewerbern beinhalten. Genau wie bei der Vorauswahl werden die Bewerber vorab darüber informiert, welche Art von Auswahlmethode sie erwarten können. Diese Methoden können umfassen: - ein Gespräch mit dem Auswahlgremium, - eine situative Befragung zu Szenarien aus der gerichtlichen Praxis, - ein Rollenspiel oder - eine Präsentation. Die Wahl einer bestimmten Methode hängt von den Besonderheiten des Einzelfalles ab. Zum Beispiel sind Präsentationen bei der Auswahl für Führungspositionen, die entsprechende Leitungs- und Managementfähigkeiten erfordern, nützlich. Auf der anderen Seite werden Rollenspiele häufig verwendet, wenn die Kommission erwartet, dass die meisten sich im jeweiligen Auswahlprozess befindlichen Bewerber

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zuvor nie als Richter gearbeitet haben. Dieser Ansatz beruht auf der Tatsache, dass Rollenspiele trotz ihres relativ großen organisatorischen Aufwands eine unübertroffene Methode für die Bewertung der relevantesten Soft Skills für einen potenziellen Richter bilden, und zwar einschließlich der Fähigkeit, das Verfahren zu führen und die Parteien zu kontrollieren. Spätestens hier muss klar werden, dass eine sachgerechte Beurteilung der für das Richteramt relevanten Kompetenzen eine Teilnahme von amtierenden Richtern oder zumindest von Juristen als Teil des Auswahlgremiums erfordert, da die Laienmitglieder der Kommission allein nicht mit der fachlichen Beurteilung der Kandidaten belastet werden können. Ein weiterer wichtiger Schritt besteht in einer Konsultation mit einer oder mehreren Personen, die das Amt, für das sich die Kandidaten bewerben, in der Vergangenheit bekleidet oder andere einschlägige Erfahrungen gesammelt haben. Diese Beratung ist in den Vorschriften über die Richterernennung vom Jahr 2013 vorgeschrieben. Auf sie kann nur dann verzichtet werden, wenn der Vorsitzende der Kommission und die zuständige Behörde dies im Voraus vereinbaren. Die Beratung findet in der Regel nach dem Auswahltag statt. Der letzte Schritt des Verfahrens schließt schließlich die Beteiligung der gesamten Kommission ein. In diesem Stadium wählen die Kommissionsmitglieder den am besten geeigneten Kandidaten aus, dessen Ernennung sie empfehlen werden. Sie bilden das Auswahl- und Rufkomitee und gehen der Frage nach, ob es irgendwelche Umstände gibt, die den guten Charakter des Bewerbers in Frage stellen könnten. Die Kommissionsmitglieder machen sich auch mit den Materialien vertraut, die in den vorherigen Auswahlphasen gesammelt wurden – also mit den Berichten des Auswahlgremiums, den unabhängigen Bewertungen und den während der Konsultationen geäußerten Meinungen. Nach einer Analyse all dieser Materialien bestimmt die Kommission den kompetentesten Kandidaten. Kommt es zu einem Unentschieden, d. h., die Kommissionsmitglieder kommen zu dem Schluss, dass zwei oder mehr Spitzenkandidaten gleich geeignet sind, dann entscheiden sie darüber, ob sie die Bestimmung der gleichen Eignung anwenden. Wenn die Anwendung dieser diversitätserhöhenden Bestimmung die Situation nicht löst, z. B. weil keiner der Spitzenkandidaten einer Minderheit angehört oder sie alle derselben Minderheit angehören, werden die besten Bewerber zu einem zweiten Gespräch eingeladen. Nachdem sich die Kommission schließlich auf einen bestimmten Kandidaten geeinigt hat, empfiehlt sie seine Ernennung bei der zuständigen Behörde. Je nach Stelle ist diese Behörde entweder der Lordkanzler, der Lordoberrichter von England und Wales oder der Präsident der Verwaltungstribunale. Die Kommission empfiehlt nur einen Kandidaten für jede freie Stelle. Die Empfehlung muss aber die Kommentare der vorab konsultierten Personen beinhalten und etwaige Meinungsverschiedenheiten zwischen den Kommissionsmitgliedern erklären. Nach ihrem Einreichen kann die zuständige Behörde sie annehmen, ablehnen oder um ihre Überprüfung bitten. Wenn die Behörde die Empfehlung nicht annimmt, muss sie hierfür schriftlich ihre Gründe angeben.

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Es ist auch erwähnenswert, dass das englische Rechtssystem die Gleichheit, die Transparenz und die Unparteilichkeit durch ein weit gefasstes Beschwerderecht gewährleistet. In der ersten Instanz wird die Beschwerde von der Kommission selbst geprüft, die innerhalb einer Frist von 20 Arbeitstagen eine Antwort geben soll. Die Antwort muss die Schlussfolgerungen und die Gründe für die Nichtannahme der Empfehlung beinhalten, aber auch Informationen über die Art, die Hintergründe und die Tatsachen der Beschwerde geben. Wenn der Bewerber mit der Antwort unzufrieden ist, kann er in zweiter Instanz weitere Hilfe vom Beauftragten für die Ernennung von Richtern und das Verhalten (Judicial Appointments and Conduct Ombudsman) anfordern. Wenn der Beauftragte auf die Beschwerde positiv reagiert, so kann er empfehlen, eine Entschädigung zu gewähren, das Ernennungsverfahren zu ändern oder noch andere Wiedergutmachungsmittel empfehlen.

IV. Einfluss von Politikern Die Beschreibung des Ernennungsverfahrens wäre unvollständig, würden nicht zumindest einige Worte über den Einfluss von Politikern auf dieses fallen. Glücklicherweise ist dieser Teil der Ausführungen nicht allzu umfangreich, da ihr Einfluss marginal ist. Die Kommissionsmitglieder werden vom Lordkanzler, also von einem hohen Staatsbeamten empfohlen, der für das effiziente Funktionieren und für die Unabhängigkeit der Gerichte verantwortlich ist. Im Zeitraum zwischen der Ernennung der Kandidaten durch die Kommissionsmitglieder und der Vorlage der Empfehlung an die zuständige Behörde besteht kein Kontakt zwischen der Kommission und den Politikern.

V. Bewertung Der vorgestellte Grundriss des englischen Ernennungssystems erlaubt es, einige abschließende Bemerkungen zu äußern. Zunächst ist es offensichtlich, dass das englische Verfahren so gestaltet wurde, dass eine Unabhängigkeit des rechtsprechenden Organs vom Einfluss der Politiker und von den Juristenkreisen gewährleistet wird. Die Kommission legt einen großen Wert darauf, dass die Parteilichkeit ausgeschlossen, der Gleichheitsgrundsatz eingehalten und dass kontrolliert wird, ob die Auswahl streng nach der Eignung der Kandidaten erfolgt. Auf der anderen Seite legt das englische System auch großen Wert auf die Akzeptanz der Justiz in der Bevölkerung. Dies wird nicht nur durch den sehr breiten Einsatz von Laienrichtern sichtbar, sondern auch durch die Bemühungen, die Diversität innerhalb der Richterschaft zu erhöhen. Eine Einbeziehung von Vertretern aus allen sozialen Gruppen stärkt nämlich das Vertrauen der Minderheiten in das Justizwesen. Was die formale juristische Ausbildung der zukünftigen Richter anbetrifft, so ist der englische Ansatz sehr pragmatisch. Im Extremfall hat ein Richter vielleicht nur

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einen einjährigen juristischen Kurs absolviert. Als kleine Randbemerkung kann man hinzufügen, dass Lord Sumption, ein Richter am Obersten Gerichtshof und ein ehemaliges Mitglied der JAC, Schlagzeilen gemacht hat, als er angehenden Juristen den provokanten Ratschlag unterbreitete, im Erststudium ein anderes Fach als Rechtswissenschaften zu studieren.4 Ungeachtet dessen, ob und inwieweit diese ergreifende Kritik an der ausschließlich auf die Rechtswissenschaften bezogenen Ausbildung Zustimmung verdient, hat Lord Sumption zweifellos Recht, wenn er betont, dass eine Kenntnis des Rechts allein nicht ausreicht, um ein guter Jurist zu werden. Auch das Absolvieren des Studiums der Rechtswissenschaften mit summa cum laude garantiert nicht, dass der Richterkandidat über die notwendigen Sozialkompetenzen, die soziale Eignung und über die Fähigkeit verfügt, das Verfahren fließend zu leiten. Das von der Kommission eingesetzte mehrstufige Verfahren ist lobenswert, weil es eine Evaluation der Sozialkompetenzen und der richterlichen Intuition der Kandidaten ermöglicht. Zum Schluss ist anzumerken, dass das Richteramt in England bzw. in Wales der Höhepunkt der juristischen Laufbahn ist. Die meisten Richterstellen setzen eine vorangehende juristische Berufserfahrung von mindestens fünf oder sieben Jahren voraus. Das prestigeträchtige Amt des Richters zieht aber auch viele noch erfahrenere, erfolgreiche Rechtsanwälte an, deren Verdienste das Richtergehalt deutlich übersteigen. Daher ist die Aufgabe, den besten Kandidaten auszuwählen, keine leichte. Dank eines gut durchdachten Verfahrens ist das englische Rechtssystem aber bestens darauf vorbereitet, dieser Herausforderung gerecht zu werden. Übersetzung: Magdalena Pierzchlewicz, Monika Pierzchlewicz

4 Siehe z. B. The best lawyers are not law graduates, claims judge, The Telegraph vom 8. 7. 2012, https://www.telegraph.co.uk/news/uknews/law-and-order/9384619/The-best-lawyers-arenot-law-graduates-claims-judge.html (abgerufen am 6. 9. 2018).

Die Kriterien und das Verfahren der Richterernennung in Frankreich Von Paulina Pawluczuk-Buc´ko Die Struktur der Gerichtsbarkeit in Frankreich ist kompliziert und deren Gestaltung unterscheidet sich wesentlich von derjenigen in anderen Ländern. In Frankreich unterscheidet man zwischen der ordentlichen (juridiction judiciare) und der administrativen (juridiction administrative) Gerichtsbarkeit. Es muss auch erklärt werden, dass der polnische Begriff „se˛ dzia“ (Richter) nicht unmittelbar als Pendant zum französischen Terminus „juge“ betrachtet werden kann. Die Verfassung der V. Republik sowie die Ordonnanz aus dem Jahr 1958 verwenden als Bezeichnung für den Berufsrichter den Begriff „magistrat“. Die Begriffe „juge“ und „magistrat“ sind folglich nicht identisch. Nicht jeder juge wird den Status eines magistrat haben (z. B. ein Richter am Handelsgericht), sowie auch nicht jeder magistrat die Funktion eines juge ausübt (z. B. ein Staatsanwalt). Der Status der Richter, die auf den einzelnen Stufen der Gerichtsbarkeit tätig sind, wird durch separate Vorschriften reguliert. Zu erwähnen ist, dass es auch auf den einzelnen Stufen keine unterschiedlichen Aufteilungen gibt. Im Rahmen der ordentlichen Gerichtsbarkeit gehören zu einem gerichtlichen Korps sowohl die Berufsrichter (magistrats du siège), die als „sitzende Beamte“ bezeichnet werden, als auch die Staatsanwälte (magistrats du parquets) und die Gerichtsassistenten (auditeurs de justice). Die Gerichtsassistenten sind Besucher der nationalen Richterschule (École nationale de la magistrature), in der sie sich auf den Beruf des Richters oder des Staatsanwalts vorbereiten.1 Zum Magistrat gehören dagegen nicht die ehrenamtlichen Richter (juges non professionnels), die von Kollegien von Vertretern bestimmter Berufsgruppen gewählt werden. Einen solchen Status haben Personen, die u. a. den Spruchkörpern der Handelsgerichte (tribunaux de commerce) oder den für einige Arbeitsangelegenheiten zuständigen Gerichten (conseil de prud’hommes) angehören.2 Aufgrund einer notwendigen Begrenzung des Umfangs der vorliegenden Bearbeitung wird sich die Analyse auf die ordentliche Gerichtsbarkeit unter Ausschluss der Verwaltungsgerichtsbarkeit beschränken. An dieser Stelle ist es auch wichtig anzudeuten, wie die ordentliche Gerichtsbarkeit in Frankreich organisiert ist. 1

Verordnung Nr. 58-1270 vom 22. 12. 1958 über den Status des Gerichtswesens (ordonnance n 58-1270 du 22. 12. 1958 portant loi organique relative au statut de la magistrature). 2 Machowska, Organy ochrony prawnej, in: Machowska/Wojtyczka (Hrsg.), Prawo Francuskie, Bd. 2, S. 106.

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In der ersten Instanz unterscheidet man zwischen den folgenden Zivilgerichten: dem Landgericht (tribunal de grande instance), das nur mit Berufsrichtern besetzt ist, und dem Amtsgericht (tribunal d’instance), das ebenfalls nur mit Berufsrichtern besetzt ist. Darüber hinaus unterscheidet man noch zwischen den spezialisierten Zivilgerichten. Darunter fallen: - das Arbeitsgericht (conseil des prud’hommes), das je zur Hälfte mit Repräsentanten von Arbeitgebern und Arbeitnehmern besetzt ist, die in der Folge von Wahlen ins Amt berufen werden, - das Handelsgericht (tribunal de commerce), deren Besetzung aus Vertretern von Unternehmern besteht, die in der Folge von Wahlen ins Amt berufen werden, - das Gericht für Sozialversicherungsangelegenheiten, und - das paritätische Gericht für landwirtschaftliche Miet- und Pachtangelegenheiten (tribunal paritaire des baux ruraux), das durch den Richter aus dem Amtsgericht geleitet wird. Letzterer wird von 4 Laienrichtern unterstützt: aus den Wahllisten, die durch den Präfekten angefertigt werden, werden auf Antrag des Ausschusses, der die Wahllisten vorbereitet, zwei Verpächter und zwei Pächter für eine sechsjährige Amtszeit ausgewählt. Die Strafgerichte teilen sich hingegen folgendermaßen auf: - das Polizeigericht (tribunal de police), das für Ordnungswidrigkeiten zuständig ist, - das Erziehungsgericht (tribunal correctionnel), das für die Verurteilung von Vergehen zuständig ist, - das Geschworenengericht (cour d’assises), das für die Verurteilung von Verbrechen zuständig ist, und - das Erziehungsgericht (tribunal correctionnel), das die strafrechtliche Abteilung des Landgerichts darstellt. Das Landgericht besteht aus Berufsrichtern (magistrats professionnels). Darunter fallen der Vorsitzende, der Vizevorsitzende, einzelne Richter, der Staatsanwalt der Republik, die Vizestaatsanwälte und die Stellvertreter des Staatsanwaltes der Republik. Zum Korps gehören auch spezialisierte Richter, wie z. B. der Jugendrichter (juge des enfants). Dieser ist für die Anordnung von Schutzmaßnahmen gegenüber Minderjährigen zuständig, die sich in Gefahr befinden, sowie für Entscheidungen bei leichten und mittleren Rechtsverstößen (Ordnungswidrigkeiten und Vergehen), die durch Minderjährige begangen wurden.3 Zu den Befugnissen des Strafvollzugsrichters gehört dagegen die Bestimmung der Strafvollstreckungsregeln. Der Untersuchungsrichter (juge d’instruction) unternimmt wiederum unter Beaufsichtigung der Untersuchungskammer des Appellationsgerichts sämtliche sachdienlichen 3 https://e-justice.europa.eu/content_ordinary_courts-18-fr-restore-pl.do?member=1 (abgerufen am 29. 1. 2018).

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Schritte, „die der Wahrheitsfindung dienen“.4 Er sammelt alle notwendigen Beweise in der Sache, und wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, kann er einen Einstellungsbeschluss erlassen oder den Fall vor das Geschworenengericht oder vor das Erziehungsgericht bringen.5 In der zweiten Instanz wird das Appellationsgericht (cour d’appel) tätig. Es besteht ausschließlich aus Berufsrichtern (magistrats), und zwar aus dem Gerichtspräsidenten, den Kammervorsitzenden und aus Beratern. An jedem Gericht gibt es Fachkammern (für Zivil-, Sozial-, Handels- und Strafsachen), die jeweils aus drei Berufsrichtern, darunter aus einem Vorsitzenden und zwei Beratern, bestehen.6 Das Kassationsgericht mit Sitz in Paris ist das oberste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Es überwacht die korrekte Anwendung des Rechts, würdigt die Tatsachen allerdings nicht erneut. Damit ist das Kassationsgericht ein Organ, das mithilfe einer einheitlichen Auslegung des Rechts der Einheitlichkeit der Rechtsprechung dient. Das Gericht darf somit nicht als dritte Instanz wahrgenommen werden.7 Das Kassationsgericht gliedert sich in Kammern, darunter u. a. in drei Zivilkammern, eine Finanz- und Wirtschafts- (bzw. Handels-)Kammer, eine Sozialkammer und eine Strafkammer. Um nun zur Beschreibung des Bewerbungsprozesses um einen Richterposten zu kommen, muss betont werden, dass in Frankreich eine von zwei alternativen Berufswegen gewählt werden muss. Im Grundsatz bewirbt sich ein Kandidat für ein Richteramt bei der Nationalen Richterschule (École nationale de la magistrature – ENM), wobei es sich hierbei um den sog. ordentlichen Weg handelt (voie royale). Die Absolventen dieser Schule bekommen je nach Endnote Ernennungsangebote zum Richteramt an bestimmten Gerichten. Die ENM wurde im Jahr 1959 gegründet und ist die älteste Schule für die Ausbildung von Justizbeamten in Europa.8 Der Hauptsitz der Schule befindet sich in Bordeaux, ihre Außenstelle befindet sich hingegen in Paris. Zu den wesentlichen Aufgaben der Pariser Außenstelle gehören die Koordinierung von zyklischen Schulungen sowie die Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit. Es muss auch betont werden, dass die Nationale Richterschule eine staatliche Verwaltungsbehörde ist

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Übersetzung der Autorin anhand von Informationen von der folgenden Internetseite: http://www.vie-publique.fr/decouverte-institutions/justice/fonctionnement/justice-penale/quoisert-juge-instruction.html (abgerufen am 28. 1. 2018). 5 Ebd. 6 Ebd. 7 Information zugänglich auf der offiziellen Website des französischen Kassationsgerichts (Cour de Cassation) https://www.courdecassation.fr/institution_1/presentation_2845 (abgerufen am 28. 1. 2018). 8 Information zugänglich auf der offiziellen Website der Nationalen Richterschule (ENM) https://www.enm.justice.fr/?q=Presentation-ENM (abgerufen am 1. 2. 2018).

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und vom Justizminister beaufsichtigt wird. Die Schulleitung obliegt dem Verwaltungsrat und dem Direktor.9 Die Schule ist hauptsächlich mit den folgenden Aufgaben betraut: - mit der Organisation von Wettbewerben für die Kandidaten, die sich auf einen Platz in der Schule bewerben, - mit der Ausbildung von zukünftigen Richtern sowie von Wirtschaftsprüfern, - mit der ständigen Weiterbildung der französischen Richter, - mit der Schulung von ausländischen Richtern anhand von Verträgen über eine entsprechende Zusammenarbeit sowie - mit der Schulung der Mitarbeiter des Justizwesens.10 Nach Art. 15 der Ordonnanz aus dem Jahr 1958 erfolgt die Aufnahme der Gerichtsassistenten (auditeurs de justice) in die ENM im Wege eines Auswahlverfahrens oder aufgrund von entsprechenden Qualifikationen. Laut Art. 16 der Ordonnanz11 muss der Anwärter bestimmte Voraussetzungen erfüllen. So muss er: - ein Diplom haben, das den Abschluss eines mindestens vierjährigen Studiums nach bestandener Abiturprüfung belegt, - die französische Staatsangehörigkeit haben, - alle Bürgerrechte (droits civiques) in Anspruch nehmen können sowie über einen „makellosen“ Charakter verfügen (être de bonne moralité), - seine Militärdienstverhältnisse geregelt haben und - sich in einem für die Ausübung der Funktion erforderlichen Gesundheitszustand befinden. Art. 17 der Ordonnanz aus dem Jahr 1958 bestimmt für das Auswahlverfahren drei Kategorien: Die erste Kategorie ist für diejenigen Kandidaten bestimmt, die das erste Kriterium des Art. 16 Abs. 1 erfüllt haben, also für diejenigen, die ein mindestens vierjähriges Studium abgeschlossen haben, wobei es sich nicht zwingend um ein juristisches Studium handeln muss. Die zweite ist für diejenigen Beamten bestimmt, die dem I, II, III und IV Titel des allgemeinen Statuts der Staats- und Lokalbeamten unterfallen sowie die Vertreter des Militärs und anderer Staatsvertreter und der lokalen Exekutive sind, die ihrerseits mindestens vier Jahre in diesen Bereichen tätig waren. Die dritte Kategorie ist für diejenigen Personen bestimmt, die insgesamt acht Jahre lang eines oder mehrere Mandate in den Vertretungsorganen der lokalen Behörden ausgeübt haben oder als Laienrichter tätig waren. Die Dauer der vorgenannten Amtszeiten oder Funktionen kann nur dann berücksichtigt werden, wenn 9

Ebd. Ebd. 11 Verordnung Nr. 58-1270 vom 22. 12. 1958 über den Status der Gerichtsbarkeit, Übersetzung der Autorin. 10

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die an einem Richteramt interessierten Personen in dieser Zeit nicht den Posten eines Richters, eines Staatsbeamten, eines Militäroffiziers oder eines anderen öffentlichen Beamten ausgeübt haben. Die Personen, die das Auswahlverfahren erfolgreich durchlaufen haben, werden vom Justizminister in das Amt des Gerichtsassistenten berufen. An dieser Stelle muss erläutert werden, dass diese Assistenten im Moment ihrer Berufung zu Mitgliedern des richterlichen Korps werden (corps judiciare). Eine Ernennung außerhalb dieses Auswahlverfahrens bedarf dagegen einer Zustimmung (avis conforme) eines zuständigen Beförderungsausschusses. Die fachliche Ausbildung (formation professionnelle) ist grundsätzlich auf 31 Monate angesetzt. Während der ersten Etappe findet ein 13-wöchiger theoretischer Kurs statt. Zur gleichen Zeit finden Praktika in von der Justiz unabhängigen Einrichtungen statt, wie etwa in kommunalen Ämtern oder in öffentlichen Unternehmen. Der Hauptteil der Ausbildung findet in Bordeaux statt und dauert acht Monate.12 Im Rahmen der Ausbildung sind die Anwärter verpflichtet, ein 14-monatiges Praktikum bei einem Gericht zu absolvieren. Unter der Betreuung eines Patrons (magistrat maître de stage) nehmen die Assistenten an den gerichtlichen Tätigkeiten teil. Sie beteiligen sich an den Ermittlungsmaßnahmen eines Ermittlungsrichters und begleiten einen Staatsanwalt bei der Ausübung der Funktion des öffentlichen Anklägers. Während der Ausbildung in der ENM machen die Anwärter auch ein mindestens sechsmonatiges Praktikum bei der Rechtsanwaltschaft. Die Liste mit den Personen, die das für die Ausübung des Richteramtes erforderliche Ergebnis erreicht haben, wird dem Justizministerium übergeben. Die ENM in Bordeaux verfügt über eine ständige Gruppe von 25 Trainern, die die Schulungen durchführen und die die Funktion der sog. Koordinatoren der Schulungen übernehmen.13 Darunter handelt es sich bei 23 Trainern um Richter, die für höchstens sechs Jahre in die ENM entsandt wurden, wodurch eine der Berufspraxis in der Justiz gerechte Ausbildung sichergestellt wird. Zur Gruppe gehört ferner ein Sprachlehrer. Die Koordinatoren überwachen die Bearbeitung des didaktischen Materials und führen die Lehrveranstaltungen durch. Die Schule verfügt auch über eine Gruppe von Mitarbeitern aus Lehrberufen, die aus ca. 50 Richtern und anderen Fachleuten wie Rechtsanwälten, Ärzten, Lehrern und Forschern besteht. Diese lehren zwar regelmäßig, sind aber zugleich in ihrem jeweiligen Beruf tätig. Jedes Jahr geben über 750 Referenten ihr Wissen auf dem Gebiet des Rechts, der Geschichte, der Soziologie, der Psychiatrie, der Kriminalistik und der Kriminologie weiter. Jedes Jahr nehmen fast 2.000 Richter und Fachleute aus allen – d. h. sowohl aus öffentlichen als auch aus privaten – Sektoren an ca. 500 wissenschaftlichen Sitzungen, Symposien, Konferenzen und Kursen teil, die von der Abteilung für die Weiterbildung der 12

Information zugänglich auf der offiziellen Website der ENM http://www.enm.justice.fr/ ?q=Presentation-ENM (abgerufen am 2. 2. 2018). 13 Verordnung Nr. 58-1270 vom 22. 12. 1958 über den Status der Gerichtsbarkeit, Übersetzung der Autorin.

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ENM veranstaltet werden. Einige Sitzungen können auch von anderen französischen und ausländischen Professionellen auf dem Gebiet der Justiz besucht werden, was mit dem Gedanken der Öffnung der Thematik für diese anderen natürlichen Partner begründet wird. Um auf eigene Tätigkeiten im europäischen Justizwesen aufmerksam zu machen und die eigenen Kenntnisse im Bereich der ausländischen Justizsysteme zu vertiefen, können die französischen Richter an internationalen Schulungen teilnehmen, die von mit der ENM assoziierten Schulungsnetzen angeboten werden. Die Schule ist Mitglied des Europäischen Netzes für die Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten (EJTN), im Europäischen Ausbildungsprogramm für Menschenrechte für Juristen (HELP) sowie in der Internationalen Organisation für justizielle Ausbildung (IOJT). Das französische Recht sieht ebenfalls die Möglichkeit vor, sich im Rahmen eines sog. begleitenden Bewerbungsprozesses auf eine Richterstelle zu bewerben, d. h. ohne eine Ausbildung in der ENM absolviert zu haben. In solchem Fall ist jedoch eine Altersbegrenzung vorgesehen. Laut Art. 16 der Ordonnanz müssen solche Kandidaten das 35. Lebensjahr vollendet und mindestens sieben Jahre lang eine berufliche Tätigkeit ausgeübt haben, die eine zuverlässige künftige Ausübung der gerichtlichen Tätigkeit gewährt. Auf derselben Grundlage dürfen sich auch Beamte bewerben, die mindestens sieben Jahre lang als Amtsträger der sog. A-Kategorie im Justizministerium tätig waren. Darüber hinaus sehen die Vorschriften der Ordonnanz auch vor, dass sich Personen bewerben können, die mindestens 17 Jahre lang eine berufliche Tätigkeit ausgeübt haben, die sie in einer besonderen Weise für die Wahrnehmung der Gerichtsfunktionen qualifiziert. Bewerben können sich danach ferner auch Leiter von Gerichtskanzleien, die über eine entsprechend lange Berufserfahrung verfügen und eine entsprechend hohe Stelle innehaben. Ein Kandidat, der nicht an der Ausbildung in der ENM teilgenommen hat, ist verpflichtet, eine entsprechende Genehmigung von dem Beförderungsausschuss zu bekommen. Die Anwärter nehmen in diesem Zusammenhang zunächst an einer Einstiegsschulung teil, die von der ENM organisiert wird. Nach dem Abschluss der Schulung in der ENM, in einer Reihenfolge, die sich aus einer entsprechenden Qualifikationsliste ergibt, nennt der Gerichtsassistent dem Justizminister unter Berücksichtigung der Reihenfolge auf der Einstufungsliste die Dienststelle, die er antreten möchte. Teilt er seine Präferenzen nicht mit, schlägt der Minister dem Gerichtsassistenten von Amts wegen eine Dienststelle vor. Die Ablehnung des Vorschlags gilt als Verzicht und schließt die Möglichkeit einer weiteren beruflichen Entwicklung aus. Der Justizminister stellt dem Obersten Rat für den Richterstand (Conseil Supérieur de la Magistrature, CSM) die Liste der Kandidaten mitsamt einer Anweisung auf die Zuordnung zu konkreten Stellen vor. Im Falle einer negativen Stellungnahme muss der Justizminister einen neuen Vorschlag für eine mögliche Anstellung des betroffenen Absolventen vorlegen. Lehnt der Gerichtsassistent den neuen Vorschlag ab, gilt dies als Verzicht und sperrt seinen Zugang zum Beruf.

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Der Justizminister übergibt dem Obersten Rat für den Richterstand den Antrag auf Ernennung samt positiver Bewertung des Obersten Rates für den Richterstand. Schließlich ernennt der Präsident der Republik den Richter für eine bestimmte Richterstelle. Laut Art. 65 Abs. 4 der Verfassung erfolgt die Ernennung auf Antrag des Obersten Rates für den Richterstand, wenn es sich um eine Stelle beim Kassationsgericht oder um die Stelle des ersten Vorsitzenden an einem Appellationsgericht oder eines Vorsitzenden eines Gerichts der großen Instanz handelt. Es muss erläutert werden, dass ein Absolvent der ENM seine Karriere auf dem zweiten Dienstgrad beginnt. Mit dem Ablauf einer bestimmten abgeleisteten Dienstzeit sind die Absolventen jedoch berechtigt, auf den ersten Grad befördert zu werden. Dafür gibt es eine spezielle Beförderungstabelle, in der die Richter alphabetisch aufgelistet sind. Jedes Gericht bereitet jährlich eine Liste mit Kandidaten vor, die nach dem Grad ihres Verdiensts geordnet ist. Diese Tabelle wird durch den hierfür speziell berufenen Beförderungsausschuss vorbereitet. Dieser Ausschuss besteht: - aus dem Dekan des Kollegiums der vorsitzenden Kammern des Kassationshofs als Vorsitzendem, - aus dem ältesten der ersten Generalstaatsanwälte am Kassationsgericht, - aus dem Generalinspektor der Justizdienste im Justizministerium, - aus einem Richter und einem Staatsanwalt, die jeweils am Kassationsgericht tätig sind, - aus zwei ersten Vorsitzenden an Appellationsgerichten und zwei Generalstaatsanwälten sowie - aus zehn magistrats der Gerichte und Gerichtshöfe.14 Das Beförderungsdekret hingegen wird vom Präsidenten auf Antrag des Justizministers mit der Zustimmung des Obersten Rates für den Richterstand unterzeichnet. Überdies kann auf Antrag des Justizministers auch ein Professor der Rechtswissenschaften, der mindestens zehn Jahre lang selbständig wissenschaftlich tätig war, Richter werden. Die Möglichkeit, zum Richter am Appellationsgericht ernannt zu werden, steht auch einem Rechtsanwalt offen, der mindestens 25 Jahre lang in seinem Beruf tätig war (es sei denn, es geht um den ersten Vorsitzenden dieses Gerichts). An dieser Stelle muss auch erläutert werden, wie die Richter „aus der Nähe“ gewählt werden. Sie haben nicht den Status des Berufsrichters inne, aber gewährleisten aufgrund ihrer reichen beruflichen Erfahrungen eine zuverlässige Ausübung der richterlichen Pflichten. Gleichzeitig handelt es sich dabei um Personen, die außerhalb des Korps magistrature ausgewählt werden. Zum Richter „aus der Nähe“ kann ein französischer Staatsangehörige ernannt werden, der zu einer der nachfolgenden Kategorien gehört: 14 Verordnung Nr. 58-1270 vom 22. 12. 1958 über den Status der Gerichtsbarkeit, Übersetzung der Autorin.

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- ein ehemaliger Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit oder der Verwaltungsgerichtsbarkeit, - eine Person, die das 35. Lebensjahr vollendet hat, die ein mindestens vierjähriges Studium abgeschlossen hat oder ein Mitglied einer Vereinigung einer der juristischen oder der justiziellen freien Berufe ist, dessen Berufstitel rechtlich geschützt ist, und die gleichzeitig über eine mindestens vierjährige juristische Berufserfahrung verfügt, - ein ehemaliger Amtsträger der sog. A-Kategorie im Justizministerium, der die in Art. 16 Abs. 1 der Ordonnanz genannten Voraussetzungen nicht erfüllt, aber 7 Jahre lang erfolgreich den entsprechenden Dienst abgeleistet hat, sowie - ein Schlichtungsrichter, der seine Tätigkeiten seit mindestens fünf Jahren ausübt. Es sollte auch Art. 18-1 erwähnt werden, aufgrund dessen für einen Richterposten auch Personen ernannt werden dürfen, die mindestens vier Jahre lang im Bereich der Rechtswissenschaften, der Wirtschaftswissenschaften oder der Geistesund Sozialwissenschaften tätig waren. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sie über ein Diplom verfügen, das ihnen eine mindestens vierjährige Ausbildung nach dem Abschluss ihrer Abiturprüfung bestätigt, welche im Bereich der Rechtswissenschaften stattgefunden oder in einer mindestens gleichwertig anerkannten Qualifikation laut der Voraussetzungen aus dem Dekret Conseil d’État bestanden haben muss. Nach Erfüllung der Voraussetzungen aus Art. 16 Pkt. 2 – 5 dürfen unter den gleichen Voraussetzungen ernannt werden: - ein Doktor der Rechtswissenschaften, der außer einem Doktordiplom noch über einen weiteren Abschluss verfügt, - ein Doktor der Rechtswissenschaften mit einer mindestens dreijährigen Erfahrung als juristischer Assistent, - Personen, die ein Diplom haben, das ihnen ein zumindest fünfjähriges Studium im Bereich der Rechtswissenschaften nach ihrem Absolvieren der Abiturprüfung bescheinigt, - Personen, die über eine Qualifikation verfügen, die laut der Verordnung des Staatsrates unter bestimmten Bedingungen als mindestens gleichwertig angesehen werden können und die über eine mindestens dreijährige Erfahrung als juristischer Assistent verfügen, sowie - Personen, die drei Jahre nach Erhalt ihres rechtswissenschaftlichen Diploms (mindestens fünf Jahre nach dem Bestehen der Abiturprüfung) eine Stelle im Bereich der Didaktik oder an einer öffentlichen Hochschule (mindestens fünf Jahre nach dem Bestehen der Abiturprüfung) inne hatten oder die über Qualifikationen verfügen, die laut der Verordnung des Staatsrates als mindestens gleichwertig eingestuft werden können.

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Die Zahl der Personen, die kraft dieses Artikels ernannt werden, darf nicht mehr als ein Drittel der verfügbaren Plätze in den Wettbewerben betragen, die in Art. 17 der Ordonnanz vorgesehen sind. Die Kandidaten, die in diesem Artikel genannt werden, werden auf Anweisung des Justizministers und nach der Genehmigung des in Art. 34 der Ordonnanz genannten Ausschusses ernannt. Laut Art. 23 der Ordonnanz15 dürfen für die Stelle des ersten Grades der gerichtlichen Hierarchie direkt ernannt werden: - die Personen, die die Voraussetzungen des vorgenannten Art. 16 erfüllen und die über eine mindestens 15-jährige Arbeitserfahrung verfügen, die sie zur Ausübung der richterlichen Pflichten berechtigt, sowie - die Direktoren des gerichtlichen Dienstes, die die Voraussetzungen für eine Einstellung, die im Dekret des Staatsrates bestimmt sind, erfüllen und deren Kompetenzen und Erfahrung besonders zur Erfüllung der vorgenannten gerichtlichen Funktionen berechtigen. Die Art der Prozedur der Ernennung dieser Richter unterscheidet sich geringfügig von der Art der Ernennung von Berufsrichtern. Der Justizminister legt den entsprechend betrauten Personen des Obersten Rats für den Richterstand die Liste der Kandidaten vor. Vor dem Erlangen einer Stellungnahme durch diesen muss der Kandidat ein Praktikum in der ENM absolvieren. Dieses folgt analog denjenigen Regeln, die auch für die Gerichtsassistenten gelten. Wenn der Oberste Rat für den Richterstand einen Kandidaten positiv bewertet, wird dieser als Richter „aus der Nähe“ kraft eines Dekrets des Präsidenten der Republik ernannt. Wichtig ist, dass die Ernennung in diesem Fall nur einmalig erfolgen darf und die Amtszeit in diesem Fall sieben Jahre beträgt. Es muss betont werden, dass die Hierarchie des Gerichtswesens sich aus zwei Stufen zusammensetzt. Der Zugang von der ersten zur zweiten Stufe ist abhängig von der sog. Beförderungstabelle. Außerhalb der Hierarchie bleiben u. a. bestehen:16 - die Richter des Kassationsgerichts, mit der Ausnahme der Referendalräte, - der erste Vorsitzende der Appellationsgerichte sowie die ersten Generalbeauftragten der oben genannten Gerichte, - die ersten Vorsitzenden der gerichtlichen Kammern und die ersten Generalbeauftragten in den vorgenannten Gerichten, - die Friedensrichter, die die Funktion des Generalinspektors, des Vorsitzenden des Generalen Justizinspektorates, des Vorsitzenden des Generalinspektorats für das Justizwesen sowie des Generalinspektors für das Justizwesen ausüben. 15

Verordnung Nr. 58-1270 vom 22. 12. 1958 über den Status der Gerichtsbarkeit, Übersetzung der Autorin. 16 Art. 3 der Verordnung Nr. 58-1270 vom 22. 12. 1958 über den Status der Gerichtsbarkeit, Übersetzung der Autorin.

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Es muss auch gesagt werden, dass die berufliche Aktivität des jeweiligen Richters alle zwei Jahre bewertet wird. Diese Bewertung ist von hoher Bedeutung bezüglich einer eventuellen Beförderung oder Erneuerung einer Stelle. Sie wird mit der Anfertigung eines Tätigkeitsberichts über einen konkreten Richter eingeleitet und fährt fort mit der Befragung des Jurisdiktionschefs, an dem der Richter ernannt wurde oder mit der Befragung des Vorsitzenden der Abteilung, in der er seine Tätigkeiten ausübt. Die Bewertung des Richters wird durch ein Gespräch mit dem Gerichtsvorsitzenden, dem der Richter zugeordnet ist, eingeleitet. Der schriftliche Bericht wird an den zuständigen Richter weitergeleitet. In Bezug auf diejenigen Personen, die eine leitende Funktion an einem Gericht inne haben, muss bei der Bewertung ihrer Arbeit außer ihren Fähigkeiten im Rahmen der Rechtsprechung auch ihre Fähigkeit berücksichtigt werden, eine Einrichtung der Rechtspflege zu leiten. Ein Richter, der die nach den oben genannten Grundsätzen vorgenommene Bewertung seiner Tätigkeiten infrage stellt, kann bei dem Beförderungsausschuss eine Beschwerde einlegen. Nach Erhalt der vorgenannten Bewertungen übersendet der Beförderungsausschuss das begründete Gutachten, das in den Akten des jeweiligen Richters festgehalten wird. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in Frankreich der Präsident über die Ernennung zum Richter entscheidet. Die Ernennung erfolgt im Wege eines Dekrets und ausgewählt wird aus dem Kreis der vom Justizminister vorgeschlagenen Kandidaten. Der Minister holt zwar eine Stellungnahme des Obersten Rats für den Richterstand ein; diese ist für ihn aber nicht verbindlich.17 Der Status des Obersten Rates für den Richterstand wird durch Art. 65 der Verfassung aus dem Jahr 1958 geregelt. Es handelt sich dabei um ein Organ, das die richterliche Unabhängigkeit gewährleistet und das sich aus zwei Abteilungen zusammensetzt, wobei eine Abteilung für die Richter und die andere für die Staatsanwälte zuständig ist. Die Abteilung, die für die Richter zuständig ist, setzt sich zusammen aus: - dem Präsidenten der Republik, - dem Justizminister, - fünf Richtern, - einem Staatsanwalt, - einem durch den Staatsrat delegierten Berater, - drei Personen, die weder zum Parlament noch zum richterlichen Umfeld gehören und die durch den Präsidenten der Republik, den Vorsitzenden der

17 Übersetzung der Autorin anhand eines auf der folgenden Internetseite zugänglichen Textes: http://www.conseil-superieur-magistrature.fr/le-csm/nos-missions sowie http://www. vie-publique.fr/decouverte-institutions/justice/personnel-judiciaire/magistrats/qu-est-ce-queconseil-superieur-magistrature.html (abgerufen am 2. 2. 2018).

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Nationalversammlung und den Vorsitzenden des Senats entsprechend bestimmt werden.18 Übersetzung: Aleksandra Ligocka, Michał Głuchowski

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Informationen über die Struktur und über die Art und Weise der Richterernennung an den obersten Gerichten in ausgewählten Ländern lassen sich nachlesen in: Zeszyty Prawnicze Biura Analiz Sejmowych Kancelarii Sejmu 2017, Nr 2, S. 213 f., http://orka.sejm.gov.pl/wyd bas.nsf/0/0D7996710A2A7A89C125818300376101/%24File/Strony_od_ZP_2_2017-17.pdf (abgerufen am 2. 1. 2018).

Kapitel IV Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl im Rechtsvergleich

Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl für die ordentliche Gerichtsbarkeit im Rechtsvergleich Von Maciej Małolepszy und Bartosz Jakimiec

I. Einleitende Bemerkungen Das sich aus der Tagung ergebende Forschungsmaterial erlaubt es, einen Vergleich der einzelnen Richterwahlmodelle für die ordentliche Gerichtsbarkeit in Europa durchzuführen. Bereits an dieser Stelle lässt sich feststellen, dass es für dieses Problem keine einheitliche Lösung gibt und die in den erforschten Gesetzgebungen vorgesehenen Lösungen eng mit der dort herrschenden Rechtskultur und mit dem Vertrautheitsgrad, welches die Öffentlichkeit den herrschenden Politikern, die in der Mehrheit der Fälle den größten Einfluss auf die Richterwahl haben, entgegenbringt, zusammenhängen. Die folgende Analyse wird sich auf drei Elementen konzentrieren, aus denen das Modell der Richterwahl besteht. Diese Elemente sind: die an der Richterwahl beteiligten Subjekte (siehe Punkt II.), das Verfahren der Richterwahl (siehe Punkt III.) und die Kriterien, auf deren Grundlage die Richter ausgewählt werden (siehe Punkt IV.). Unter den Subjekten, die an der Richterwahl teilnehmen, werden drei Gruppen hervorgehoben, die in den erforschten Rechtssystemen Einfluss auf die Richterwahl nehmen können. Diese Subjekte sind zum einen die politische Herrschaft, worunter man in diesem Fall die Legislative und Exekutive versteht (siehe Punkt II.1.), juristische Kreise, unter anderem auch die Judikative (siehe Punkt II.2.) und der soziale Faktor (siehe Punkt II.3.). Sodann wird im Rahmen der Überlegungen über die jeweils herrschenden Prozeduren in den oben genannten Rechtssystemen das Problem der Transparenz und Klarheit jeder von ihnen untersucht (siehe Punkt III.1.). Außerdem wird auch die Frage über die Existenz und den Geltungsbereich der Instanzenkontrolle hinsichtlich der Entscheidung innerhalb der Richterwahl untersucht (siehe Punkt III.2.). Zweifelsfrei stellt nur eine transparente und klare Prozedur, die Kontrollmöglichkeiten bezüglich der gefällten Entscheidung durch ein vom Entscheidungsträger unabhängiges Organ zuspricht, eine Garantie für die Auswahl des bestmöglichen Kandidaten für das Richteramt dar. Außerdem wird auch die Bedeutung des Mündlichkeitsprinzips und Schriftlichkeitsprinzips in den erforschten Prozeduren der Richterwahl analysiert (siehe Punkt III.3.). Im letzten Punkt der Überlegungen werden die Kriterien, die ein Kandidat für das Richteramt in den einzelnen Auswahlmodellen erfüllen muss, erforscht. Es werden

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nicht nur Fragen, die mit fachlichen Kompetenzen zusammenhängen (z. B. Fachwissen, Ausbildung – siehe Punkt IV.1.), sondern auch soziale Kompetenzen (siehe Punkt IV.2.), die ein Kandidat für das Richteramt erfüllen muss, analysiert. Darüber hinaus werden andere Kriterien (siehe Punkt IV.3.), also solche, die sich in keine der oben genannten Gruppen einordnen lassen, besprochen. Schließlich wird eine Zusammenfassung der Analyse vollzogen. Im Rahmen dieser wird versucht, die analysierten Modelle hinsichtlich der oben genannten gemeinsamen Punkte zu bewerten, sowie versucht, die Frage zu beantworten, welches der Modelle den höchsten Standards bei der Auswahl der besten Kandidaten für das Richteramt entspricht. Um die präsentierte Ausführung zu ordnen, muss darauf hingewiesen werden, dass der Vergleich nur die Fälle betrifft, in denen die sog. erste Auswahl für das Richteramt getroffen wird. Die Analyse beschränkt sich dadurch auf die Auswahl von Kandidaten, die vorher noch nie die Funktion eines Richters erfüllt haben und zum ersten Mal für dieses Amt nominiert werden. Die Überlegungen werden nicht amtierende Richter, die in das Richteramt einer höheren Instanz befördert werden, betreffen. Außerdem werden sich die Überlegungen ausschließlich auf die Auswahl von Richtern ordentlicher Gerichte erster Instanz konzentrieren. Fragen zur Richterwahl für Gerichte zweiter Instanz, der obersten Gerichtshofe oder Tribunale, sowie der Verwaltungsgerichte werden ausgelassen.

II. Die Beteiligten des Richterwahlverfahrens 1. Einfluss der politischen Herrschaftsmacht (Exekutive und Legislative) Die Teilnahme der politischen Herrschaftsmacht an der Richterwahl ist in den untersuchten Rechtssystemen von großer Bedeutung. Nahezu in jedem untersuchten Modell – mit Ausnahme des englisch-walisischen – haben Vertreter der Exekutive und Legislative einen entscheidenden Einfluss auf die Entscheidung darüber, wer Richter wird. Diese Tendenz birgt zweifellos die große Gefahr, dass die Kandidaten gemäß des sog. Parteischlüssels und nicht gemäß objektiver sachlichen Kriterien ausgewählt werden. Außerdem stellt sich dabei die Frage der Unabhängigkeit und Unvoreingenommenheit von Richtern, die durch Politiker gewählt werden. Das System, in dem man die Richterwahl als im höchsten Grade „politisiert“ ansehen kann, ist ohne Zweifel das schweizerische System. Mit Ausnahme von Fällen, in denen Richter der ersten Instanz im Wege der Direktwahl ausgewählt werden, entscheiden die kantonalen Parlamente über die Auswahl von Richtern. In diesem Fall wird die Auswahl von „eigenen“ Richtern zu einem Privileg der aktuell regierenden Partei. Nicht ohne Grund spricht man in diesem Kontext über das sog. Phänomen der Politisierung des Richteramtes. Dieses Phänomen wird dadurch bekräftigt, dass das Richteramt in der Schweiz innerhalb begrenzter Amtszeiten ausgeübt wird. Dadurch

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wird deutlich, dass die Einführung eines solchen Modells der Richterwahl in Ländern mit niedriger politischer und juristischer Kultur zu einer Situation führen könnte, in der jeder Wahlsieg einer neuen regierenden Partei jedes Mal zu einer Gelegenheit der Auswechslung des gesamten Richterkorps und zum Forcieren eigener Kandidaten für die frei gewordenen Richterämter werden würde. In der Schweiz, die ein Land mit einer gefestigten Demokratie und hoher juristischer Kultur ist und wo die Richterwahl nicht als Parteibeute verstanden wird, funktioniert trotz der genannten Gefahren diese Lösung seit Jahren mit Erfolg. Man muss dabei daran erinnern, dass in der Schweiz Richter in der Regel politischen Parteien angehören, was den großen Einfluss der politischen Herrschaft auf die Richterwahl unterstreicht. Von Bedeutung ist auch der Einfluss der Politiker auf die Auswahl von Richtern im Wege der Direktwahlen. In einigen Kantonen sind Politiker für die vorbereitende Überprüfung der Kandidaten für das Richteramt, die sich für die Direktwahlen angemeldet haben, zuständig. Die Kandidatenliste wird von der sog. Interparteilichen Konferenz, die aus Vertretern der im gegebenen Kanton wirkenden Parteien besteht, vorbereitet. Die politische Herrschaft hat also großen Einfluss darauf, welche Kandidaturen letztendlich tatsächlich zur Wahl stehen werden.1 Durchgeführte Untersuchungen haben gezeigt, dass auch in Österreich Politiker die entscheidende Stimme bei der Richterwahl haben. In diesem Fall gehört diese Stimme jedoch der Exekutive, in Form der Regierung und des Bundespräsidenten. Der zentrale Machtapparat bestimmt, wer Richter wird. Gemäß dem österreichischen Bundes-Verfassungsgesetz muss der Antrag auf Ernennung eines Richters an den Bundespräsidenten von der Bundesregierung oder vom Bundesminister für Justiz gestellt werden. Zwar wird der Antrag der Bundesregierung oder des Ministers durch Vertreter der Judikative von einem Bewertungsverfahren der Kandidaten und der Vorbereitung von Besetzungsvorschlägen eingeleitet, jedoch ist solch ein Besetzungsvorschlag für die Exekutive nicht verbindlich. Über die Ernennung der Richter entscheidet letztendlich der Bundespräsident, der dank seiner weitreichenden Kompetenz ein Auswahlrecht zwischen den von der Regierung vorgeschlagenen Kandidaten hat. Dieser hat jedoch auch die Möglichkeit alle Kandidaturen abzulehnen. Als Argument für die Begrenzung des Einflusses der politischen Herrschaft muss darauf hingewiesen werden, dass der Bundespräsident keinen Kandidaten auswählen darf, der nicht im aufgeführten Antrag als ein Bewerber für die Ernennung vorgeschlagen wurde.2 Weniger politisiert erscheint die Prozedur im deutschen Bundesland Brandenburg zu sein. Hier entscheidet der zuständige Landesminister gemeinsam mit dem Richterwahlausschuss über die erstmalige Berufung in ein Richteramt. Unter einer solchen „gemeinsamen“ Entscheidung ist zu verstehen, dass der Richterwahlausschuss 1

Aleksandrowicz, Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl in der Schweiz, S. 86 ff., 92 ff. 2 Hochmayr/Ligocki, Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl in Österreich, S. 68 f.

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dem Vorschlag des Landesministers zustimmen muss. Die Mitglieder des Ausschusses werden gänzlich vom Landtag ins Amt gewählt. In der Zusammensetzung des Ausschusses überwiegt der politische Faktor: acht Mitglieder sind Abgeordnete des Landtages, die anderen vier Mitglieder sind Vertreter der Justiz, unter anderem Richter, ein Staatsanwalt und ein Rechtsanwalt. Für die Bewertung des Einflusses der politischen Herrschaft für die Richterwahl ist von Bedeutung, dass Entscheidungen des Richterwahlausschusses durch eine Zweidrittelmehrheit gefällt werden. Hier sieht man also, dass die Abgeordneten theoretisch die Stimmen der Praktiker nicht berücksichtigen müssen. Vorsitzender des Ausschusses ist ebenfalls ein Politiker, nämlich der zuständige Landesminister, der selber aber kein Stimmrecht hat. Damit ein vom Landesminister vorgeschlagener Kandidat gewählt werden kann, muss jedoch der Wahlausschuss zustimmen. Fehlt diese Zustimmung, ist die Berufung eines Kandidaten für das Richteramt durch den zuständigen Landesminister nicht möglich.3 Auch im französischen Modell haben Vertreter der Legislative und Exekutive die entscheidende Stimme bei der Berufung von Richtern. Der Justizminister, also ein Politiker, entscheidet über die vorgeschlagenen Nominierungen für das Richteramt und bereitet Vorschläge einer Beschäftigung für konkrete Kandidaten vor, die dann dem Obersten Richterrat zur Beurteilung vorgelegt werden. Die Abteilung im Obersten Richterrat, die für die Richterwahl zuständig ist, besteht aus dem Staatspräsidenten, Justizminister, fünf Richtern, einem Staatsanwalt, einem Rechtsberater, der durch den französischen Staatsrat delegiert wird und drei Mitgliedern, die vom Staatspräsidenten, vom Versammlungspräsidenten und vom Senatspräsidenten benannt werden und weder dem Parlament noch dem richterlichen Umfeld angehören. Nachdem der Justizminister eine positive Bewertung des Obersten Richterrats erhalten hat, legt er dem Präsidenten die Kandidaturen für das Richteramt vor. Letztendlich entscheidet der Präsident über die Ernennungen für das Richteramt.4 Von allen untersuchten Modellen scheint das Modell in England und Wales am wenigsten politisiert zu sein. Für die Vorbereitung der Empfehlungen für die Auswahl ist der Richterernennungsausschuss verantwortlich, der von der Königin auf Antrag des Lordkanzlers berufen wird. Der Einfluss auf die Zusammensetzung des Ausschusses ist einer der Aspekte, durch den die Politikmächte die Richterwahl beeinflussen können. In einem weiteren Schritt, schon nachdem die Mitglieder des Ausschusses berufen worden sind, wird dieser Einfluss marginalisiert, da unter den Mitgliedern des Ausschusses keine Politiker sind. Die Entscheidung darüber, wer für das Richteramt empfohlen wird, liegt in den Händen des Ausschusses, der sowohl aus nichtjuristischen Laien als auch aus Vertretern der Justiz und anderer juristischer Berufsgruppen besteht. Solch eine starke Einschränkung oder gar Ausschließung des 3

Clavée, Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl in Deutschland am Beispiel des Landes Brandenburg, S. 78 f. 4 Pawluczuk-Buc´ko, Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl in Frankreich, S. 116 f.

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Einflusses der Politiker auf die Auswahl von Richtern ist nicht verwunderlich, wenn man berücksichtigt, dass im englisch-walisischen System die Überzeugung herrscht, dass die Richterwahl ausschließlich anhand deren Kompetenzen ausgeführt werden sollte. Der Einfluss der politischen Herrschaft kann erneut entstehen, nachdem die Kommission ihre Empfehlung ausgesprochen hat, welche dem Entscheidungsträger übertragen wird. Dieser kann, je nachdem für welche Stelle die Auswahl getroffen wird, ein Politiker, nämlich der Lordkanzler oder ein Richter – der Lordoberrichter von England und Wales, sein.5 Betrachtet man die oben erläuterten Lösungen der ausländischen Rechtssysteme, muss das Modell der Richterwahl in Polen als ziemlich politisiert angesehen werden. Zwar entscheidet über die Berufung ins Richteramt in der Tat der Landesrichterrat, der kein reines politisches Organ ist, jedoch haben seit den letzten Gesetzesänderungen über das Landesrichterrat Politiker einen großen Einfluss darauf, wer einen Sitz im Rat hat. Dabei muss angemerkt werden, dass in der aktuellen Rechtslage die Legislative (das Parlament), faktisch über die Auswahl von 21 der 25 Mitglieder des Rats entscheidet. Das sind 15 Richter als Mitglieder, vier Sejm-Abgeordnete als Mitglieder und zwei Senatsabgeordnete als Mitglieder. Dazu kommt der Anteil der Exekutive in Form des Justizministers und einer durch den Staatspräsidenten Polens berufenen Person. Die neuesten Praktiken der Richterwahl in Polen stärken ebenfalls die Rolle des Staatspräsidenten Polens in dem Auswahlverfahren. Der Präsident ist nicht mehr nur ein „Notar“ der Entscheidung des Landesrichterrates, wie dies bisher der Fall war, sondern hat in bestimmten Fällen und unter bestimmten Bedingungen ein Recht auf Verweigerung der Berufung eines Richters, der vom Landesrichterrat vorgeschlagen wird.6 2. Einfluss von Juristenkreisen, darunter der Judikative Analysiert man die Teilnahme von Juristenkreisen beim Verfahren der Richterwahl, zeigt sich, dass in der Mehrheit der untersuchten Modelle Vertreter der Juristenkreise keinen entscheidenden Einfluss auf die Richterwahl haben. In allen Fällen haben Juristenkreise, darunter auch die Judikative, im Verhältnis zur Exekutive und Legislative, die tatsächlich die Auswahl trifft, eher beratende Kompetenzen. In den meisten Fällen hat das politische Machtgebilde keine Pflicht, die Stimme der Vertreter der Juristenkreise, darunter die der Judikative, zu berücksichtigen. Es besteht kein Zweifel daran, dass sie das jedoch tun sollte. Juristenkreise sollten gehört und in möglichst breitem Ausmaß beachtet werden, was in der Praxis auch in der Regel der Fall ist. 5 Małolepszy/Głuchowski, Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl in England und Wales, S. 100, 104. 6 Jamróz, Das Verfahren der Richterernennung im Rahmen der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Lichte der polnischen Verfassung, S. 33 ff.; Steinborn, Die Kriterien und das Verfahren der Richterernennung in Polen, S. 45 ff., 50.

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Die Rolle des juristischen Umfelds, vor allem die der Judikative, konzentriert sich in den meisten Fällen auf die Vorbereitung der Vorschläge der Richteramtsnominationen, die dann dem Entscheidungsorgan, das in der Regel aus Vertretern der Politik besteht, weitergegeben werden. Man sollte jedoch nicht meinen, dass Vertreter der Judikative eine marginale Rolle innehaben. Im Grunde stellen sie im gesamten Auswahlverfahren einen äußerst wichtigen und einflussreichen Aspekt dar. Sie entscheiden im Wesentlichen, welche Kandidaten zur Ernennung vorgeschlagen werden und welche nicht. Die Vertreter der politischen Herrschaft können oft nur zwischen den Kandidaten entscheiden, die vorher durch das juristische Umfeld überprüft und empfohlen werden. Solch ein System funktioniert z. B. in Brandenburg und in Österreich. Der Einfluss der Judikative auf die Richterwahl in Brandenburg ist nicht zu unterschätzen. Die Judikative, insbesondere der Präsident des Brandenburgischen Oberlandesgerichts und der Präsidialrat, hat das Recht ihren Kandidaten auszuwählen, der dann dem zuständigen Landesminister sowie dem Richterwahlausschuss empfohlen wird. Man muss beachten, dass das erste Organ, welches das Verfahren der Richterwahl initiiert, der Präsident des Brandenburgischen Oberlandesgerichts ist. Zu ihm fließen Bewerbungen von Interessenten ein. Er ist ebenfalls verantwortlich für die Durchführung der ersten Stufe des Auswahlverfahrens, also vor allem der Auswahlgespräche mit den Kandidaten. Auf Basis der Ergebnisse dieser Auswahlstufe entsteht ein Ranking der Kandidaten und ein Besetzungsvorschlag, der als nächstes dem Präsidialrat zugeleitet wird. Der Präsidialrat, ein Organ, welches ausschließlich aus Richtern besteht, hat die Aufgabe, eine Stellungnahme zur persönlichen und fachlichen Eignung der vom Präsidenten des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vorgeschlagenen Kandidaten abzugeben. Als nächstes übermittelt der Präsidialrat seine Stellungnahme zusammen mit dem Besetzungsvorschlag eines konkreten Kandidaten dem zuständigen Landesminister. Falls der Minister nicht mit dem vorgeschlagenen Kandidaten einverstanden ist und der Auffassung ist, dass eine andere Person besser für die Stelle geeignet ist, muss der Kandidat des Ministers ebenfalls vom Präsidialrat bewertet werden. Eine eventuelle negative Bewertung des Präsidialrats steht jedoch der Auswahl eines solchen Kandidaten nicht im Wege. Solche Situationen finden allerdings in der Praxis sehr selten statt, was nur zeigt, dass der Minister die Stimmen des juristischen Umfelds berücksichtigt. Nachdem der Minister eine begutachtete Kandidatur erhalten hat, stellt er diese dem Richterwahlausschuss zur Abstimmung vor. Wie bereits erwähnt, gehören diesem Ausschuss auch Vertreter von Juristenkreisen an. Sie sind jedoch in der Minderheit und können immer durch die politische Herrschaft überstimmt werden. Man muss dabei bedenken, dass alle Mitglieder des Richterwahlausschusses, auch die Vertreter der juristischen Kreise, vom Landtag, also von Politikern berufen werden. Die Möglichkeit der Beeinflussung der Kandidatenauswahl durch den Richterwahlausschuss ist ziemlich beschränkt. Der Richterwahlausschuss hat kein Recht darauf einen eigenen Kandidaten auszuwählen. Er kann lediglich einen vom Minister vorgeschlage-

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nen Kandidaten – der in der Regel auch der Kandidat der Richter ist – annehmen oder ablehnen.7 Eine ähnliche Rolle haben die Juristenkreise im österreichischen Auswahlverfahren. Dieses Verfahren ist jedoch weniger komplex und sieht keine Beteiligungsmöglichkeiten anderer Umfelder außer den Richtern vor. Auch in diesem Fall ist der Präsident des Gerichts das initiierende Organ und die Bewerbungsgesuche werden bei ihm eingereicht. Im Falle einer Bewerbung für ein Gericht erster Instanz ist der Präsident des Gerichtshofes zuständig. Als nächstes werden die Kandidaturen durch die an Gerichten bestehenden Personalsenate analysiert, die ausschließlich aus Richtern bestehen. Diese bereiten dann den ersten Besetzungsvorschlag vor, der dann an ein Oberlandesgericht geschickt wird, deren Außensenat wiederum den zweiten Besetzungsvorschlag vorbereitet. Jeder Besetzungsvorschlag muss grundsätzlich mindestens drei Kandidaten umfassen, die in einem entsprechenden Kompetenzranking für das Richteramt aufgeführt werden. Beide Besetzungsvorschläge werden als nächstes an das Bundesministerium für Justiz weitergeleitet, das die Entscheidung trifft, ob ein Bewerber dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorgeschlagen wird. Der Bundesminister für Justiz kann im Falle einer Delegation des Ernennungsrechts durch den Bundespräsidenten selber die Entscheidung über die Ernennung der entsprechenden Kandidaten treffen. Wenn man dieses System mit dem in Brandenburg funktionierenden System vergleicht, merkt man, dass das Ermessen des Bundesministers in Österreich viel größer ist als das in Brandenburg. Er muss nicht in Vereinbarung mit einem externen Gremium seine Auswahl treffen und hat die Möglichkeit zwischen mehr als nur einer von den Richtern vorgeschlagenen Kandidatur zu wählen.8 Eine andere Rolle der Vertreter der Juristenkreise ist im englisch-walisischen System vorgesehen. Die tatsächliche Entscheidung darüber, wer für das Richteramt ausgewählt wird, trifft nämlich der Richterernennungsausschuss, der dem zur Ernennung berechtigten Organ eine festgelegte Kandidatur vorlegt. Dem 15-köpfigen Ausschuss gehören neun Personen aus Juristenkreisen an, nämlich Richter, Rechtsanwälte oder Rechtsberater, eine Person, die für Streitbeilegung verantwortlich ist und ein sog. unprofessionelles Mitglied der Justiz. Die weiteren Mitglieder sind sog. Laien. Die Wichtigkeit des richterlichen Umfelds ist auf jeder Etappe des Auswahlverfahrens geeigneter Kandidaten sichtbar. Richter sitzen immer in Auswahlteams, die eine tatsächliche Überprüfung der beruflichen und sozialen Kompetenzen der Kandidaten durchführen. Nachdem die Auswahl getroffen wurde, fungieren die Richter auch als Berater, die ihre Meinung zu den einzelnen Kandidaturen äußern. Zwar hat ansonsten der Lordkanzler, also ein Politiker, das endgültige Stimmrecht, jedoch muss dieser die Empfehlung des Ausschusses berücksichtigen und im Fall einer Ablehnung der Empfehlung eine schriftliche Begründung unterbreiten. Das richterliche Umfeld

7 8

Clavée, ebd., S. 80 ff. Hochmayr/Ligocki, ebd., S. 64 ff., 68 f.

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hat also in England den entscheidenden Einfluss darauf, wer für das Richteramt nominiert wird.9 Was das französische System angeht, so besteht der Oberste Richterrat, der die vom Justizminister unterbreiteten Kandidaturen begutachtet, auch aus Personen, die mit der Justizpraxis zu tun haben, nämlich aus fünf Richtern, einem Staatsanwalt und einem Rechtsberater, der durch den französischen Staatsrat delegiert wird. Zweifellos ist die Stimme des juristischen Umfelds also wichtig bei der Begutachtung der Kandidaten. Die endgültige Entscheidung trifft jedoch der Staatspräsident, also ein Politiker.10 Im Fall des schweizerischen Systems nehmen Juristenkreise auf keine organisierte Art und Weise als Mitglieder spezialisierter Ausschüsse zur Bewertung der Kandidaturen oder als Beschlussorgane an der Auswahl von Richtern teil. Sie haben jedoch Einfluss auf die Auswahl, genauso wie alle Staatsbürger, wenn der Richter durch das Volk in Direktwahlen gewählt wird. Der Anteil der Juristenkreise im polnischen Modell ist im Vergleich mit den präsentierten Lösungen ziemlich bedeutend. Auf der ersten Stufe des Auswahlverfahrens, der Begutachtung der Kandidaturen, nimmt ausschließlich das richterliche Umfeld, also der Aufsichtsrichter, der jede Kandidatur bewertet, das Richterkollegium und die allgemeine Richterversammlung teil. Die Bewertungen der Aufsichtsrichter mitsamt den entsprechenden Gutachten des Kollegiums und der Versammlung werden an den Landesrichterrat, in dem die Mehrheit der Mitglieder aus Richtern besteht, weitergeleitet. Zwar sind die Gutachten des Kollegiums und der Versammlung für den Landesrichterrat nicht bindend, jedoch zeigt die Praxis, dass in der Mehrheit der Fälle Kandidaten, die durch das richterliche Umfeld positiv bewertet wurden, auch eine positive Bewertung des Landesrichterrats erhielten.11 In manchen Fällen können bei Sitzungen des Landesrichterrats auch Vertreter der Rechtsanwaltschaft, Rechtsberater, Notare oder Staatsanwälte in beratender Funktion teilnehmen. Die jüngsten Ereignisse zeigen jedoch, dass das bisherige, auf Zweistufigkeit basierende Modell des Auswahlverfahrens grundlegend geändert werden könnte. Man muss hier auf den neuesten Standpunkt des Landesrichterrats hinweisen, laut dem „der Rat die Möglichkeit hat, über eine Sache zu entscheiden, obwohl es an einer entsprechenden Bewertung der Kandidaten durch ein Organ der richterlichen Selbstverwaltung fehlt.“12 Ohne ins Detail zu gehen was die Umstände dieses Standpunkts angeht, sollte es als beunruhigend angesehen werden, dass der aktuelle Landesrichterrat auf die bisherigen Auswahlstandards, die die Stimme des richterlichen Um9

Małolepszy/Głuchowski, ebd., S. 99 f., 102 ff. Pawluczuk-Buc´ko, ebd., S. 116. 11 Steinborn, ebd., S. 48 ff. 12 Vgl.: http://www.krs.pl/pl/aktualnosci/d,2019,1/5658,stanowisko-krajowej-rady-sadow nictwa-z-10-stycznia-2019-r-dotyczace-skutkow-podjecia-przez-organ-samorzadu-sedziowski ego-uchwaly-o-odroczeniu-zaopiniowania-kandydatow-na-wolne-stanowiska-sedziowskie (abgerufen am 21. 5. 2019). 10

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felds berücksichtigt, verzichtet und damit dazu führt, dass Entscheidungen einzig durch politische Organe oder Organe, die von der politischen Herrschaft ausgewählt wurden, getroffen werden. Betrachtet man das Thema, kommen Fragen bezüglich der Unabhängigkeit der Vertreter der Juristenkreise, die zu den Gremien, die Richter berufen, gehören und deren Auswahl durch die Legislative getroffen wurde, auf. Diese Frage stellt sich nicht nur im Fall des polnischen Systems, sondern auch im Fall des deutschen Systems, in dem Mitglieder des Richterwahlausschusses ebenfalls durch das Parlament gewählt werden. 3. Einfluss von sozialen Faktoren Überlegungen zum sozialen Faktor der Richterwahl betreffen nicht alle analysierten Modelle. Mit Ausnahme des schweizerischen und englisch-walisischen Systems und in sehr geringem Maße des französischen Systems, haben Vertreter der Gesellschaft, also Personen, die nicht zu den zwei vorher erörterten Gruppen gehören, keinen Einfluss auf die Auswahl von Richtern in ihren Ländern. Zweifellos ist das schweizerische Verfahren der Richterwahl ein Schulbeispiel für einen großen Anteil des sozialen Faktors an der Richterwahl. Die erste Auswahl von Kandidaten für eine Richterstelle wird in der Mehrheit der Kantone direkt durch die Bürger getroffen. Die Wahl des Volks findet in der Regel in Form einer Direktwahl von aufgelisteten Kandidaten oder – was seltener stattfindet – bei explizit dafür angeordneten Wahltreffen statt. Jeder Bürger eines Kantons, in dem so ein Wahlmodell vorgesehen ist, hat also direkten Einfluss darauf, wem die Judikative übertragen wird. Die Legitimität eines so berufenen Richters ist also äußert stark.13 Im Fall des englisch-walisischen Systems ist der große Einfluss von Personen, die nicht mit dem richterlichen Umfeld zu tun haben, im Richterernennungsausschuss hervorzuheben. Allein die Tatsache, dass der Vorsitzende dieses Ausschusses eine vom juristischen Umfeld unabhängige Person ist, zeigt, dass das englische System auf die Notwendigkeit der Gewährleistung der Vielfalt der Gremien, die an der Prozedur der Richterwahl teilnehmen und diesbezüglich auf die Sicherung der angemessenen Balance zwischen dem juristischen und nichtjuristischen Umfeld achtet. Neben dem Vorsitzenden müssen auch fünf andere Mitglieder des Ausschusses Laien sein.14 Im Fall des französischen Systems beschränkt sich der soziale Faktor auf die Gewährleistung der Möglichkeit für Vertreter des Volks im Obersten Richterrat teilnehmen zu können. Der Oberste Richterrat begutachtet die Kandidaturen, die danach dem Präsidenten durch den Justizminister unterbreitet werden. Die volle Unabhängigkeit dieser Personen von der Politik ist jedoch, aufgrund dessen von wem sie aus13 14

Aleksandrowicz, ebd., S. 86 f. Małolepszy/Głuchowski, ebd., S. 100.

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gewählt werden, relativ problematisch. Die drei Mitglieder, die nicht dem Parlament oder dem richterlichen Umfeld angehören, werden vom Staatspräsidenten, dem Präsidenten der Nationalversammlung sowie vom Senatspräsidenten, also von Vertretern der politischen Herrschaft in den Richterrat gewählt.15

III. Das Verfahren der Richterwahl Die durchgeführte Analyse hat gezeigt, dass für das Verfahren der Richterwahl nicht nur entscheidend ist, wer die Auswahl trifft, sondern vor allem auf welche Art und Weise und mit welchen Regelungen sie getroffen wird. Es besteht kein Zweifel daran, dass nicht einmal das personell am vielfältigsten aufgebaute Gremium, das die Auswahl trifft, die höchsten Wahlstandards garantieren kann, wenn es dieser selber an bestimmten Elementen fehlt. Zweifellos sollte das Verfahren der Richterwahl vor allem Transparenz und Klarheit aufweisen. Man sollte im Hinterkopf behalten, dass es sich hierbei um die Auswahl von Personen handelt, die – lebenslänglich oder für eine längere Zeit – die richterliche Gewalt innehaben werden und Entscheidungen im Namen des Volkes treffen werden, die einen signifikanten Einfluss auf das Leben jedes Bürgers haben. Bei der Gründung von Richterwahlverfahren und deren Regeln sollte der Gesetzgeber berücksichtigen, dass Personen, die in Folge dieses Verfahrens ausgewählt werden, hohe fachliche und soziale Kompetenzen besitzen müssen, sowie höchste moralische Standards aufweisen sollten. Die Möglichkeit einer falschen Auswahl sollte durch ein Verfahren, das transparent, klar, objektiv und für alle Kandidaten gleich ist, minimiert werden. Das Verfahren sollte mündliche und schriftliche Elemente enthalten. Eine Vervollständigung wäre die Möglichkeit einer reellen Kontrolle der gefallenen Entscheidung durch ein unabhängiges Organ. 1. Transparenz des Verfahrens Die Transparenz ist einer der Schlüsselwerte, auf dem das Verfahren der Richterwahl basieren sollte. Wenn man bewertet, ob ein bestimmtes Verfahren als transparent angesehen werden kann, sollte man nicht nur berücksichtigen, ob die Kandidaten darüber aufgeklärt werden, wie die einzelnen Verfahrensschritte ablaufen und was auf jeder Stufe des Verfahrens passiert, sondern auch, ob ihnen die Kriterien, auf deren Basis die Entscheidung getroffen wird, bekannt und klar sind, sowie ob diese keinen Anlass zu Bedenken geben. Der Kandidat sollte ebenfalls die Möglichkeit haben, sich mit der Begründung der Entscheidungen der einzelnen Organe, die an der Auswahl teilnehmen, vertraut zu machen und gegebenenfalls das Recht darauf haben angehört zu werden oder auch Maßnahmen zu ergreifen, die die Kontrolle einer Entscheidung anstreben. Das Fehlen einer entsprechenden Transparenz birgt 15

Pawluczuk-Buc´ko, ebd., S. 116 f.

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das Risiko des Erhebens eines Verdachts, die Wahlentscheidung sei ohne die Befolgung der Verfahrensregeln oder auf Basis anderweitiger Kriterien getroffen worden und die tatsächlich besten Kandidaten seien ohne nachvollziehbare Gründe nicht ausgewählt worden. Fehlende Transparenz untergräbt nicht nur das Vertrauen in den Staat, sondern auch in die vom Staat gewählten Vertreter der Gremien, die die Richterwahl treffen. Das im Rahmen der Konferenz gewonnene Forschungsmaterial zum Verfahren der Richterwahl in Europa zeigt, dass man nur wenige Modelle als transparent betiteln kann. Beginnend mit dem brandenburgischen Verfahren, ist aufzuführen, dass jede Ausschreibung für eine Richterstelle im Internet veröffentlicht wird und öffentlichen Charakter hat. In der Anzeige wird auch angegeben, welche Anforderungen ein Kandidat erfüllen sollte, insbesondere was die Anforderung des Erreichens einer gewissen Punktzahl bei den Staatsexamina betrifft, die das Studium und das Referendariat beenden. Die weiteren Verfahrensetappen sind nicht mehr öffentlich. Auf der ersten Stufe findet sowohl die Begutachtung der Kandidaten durch ein vom Präsidenten des Oberlandesgerichts berufenes Team, als auch durch den Präsidialrat in einem geschlossenen Richtergremium statt. Die im nächsten Schritt dem zuständigen Landesminister und dem Richterwahlausschuss unterbreitete Stellungnahme wird den Kandidaten nicht bekannt gegeben. Die Kandidaten haben kein Recht darauf eventuelle Bemerkungen und Vorbehalte zu melden. Der Landesminister wählt selber „seinen Kandidaten“ aus, den er dem Richterwahlausschuss vorstellt, der die vorgestellte Kandidatur annehmen oder ablehnen kann. Die vom Landesminister unterbreitete Kandidatur ist ebenfalls vertraulich. Ob ein Kandidat ausgewählt wurde, erfährt er erst in der letzten Verfahrensstufe, nachdem die Entscheidung des Landesministers, die immer eine Begründung enthalten muss, bekannt gegeben wird.16 Das österreichische Verfahren ist – ähnlich wie die deutsche Prozedur – insbesondere bei den Beratungen der einzelnen Organe, die für die Begutachtung von Kandidaten für das Richteramt zuständig sind, vertraulich. Die Kandidaten dürfen grundsätzlich nicht an den Beratungen teilnehmen, jedoch gibt es in Ausnahmesituationen die Möglichkeit, einen Bewerber anzuhören. Die Kandidaten dürfen ferner keine Vorbehalte oder Bemerkungen, was die von den Personalsenaten vorgenommene Bewertung betrifft, zur Kenntnis geben. Die Bewertungen mitsamt Begründung werden den Organen, die die Entscheidung treffen, weitergegeben. Im direkten Vergleich zu Brandenburg, ist die Pflicht zur Veröffentlichung der Namen der Kandidaten, die in den Besetzungsvorschlägen enthalten sind, sowie der Namen der Mitglieder der Personalsenate, die diese Besetzungsvorschläge vorbereitet haben, als positiv hervorzuheben. Auch der Name des Kandidaten, der das Verfahren gewonnen hat und für die Richterstelle berufen wurde, muss öffentlich gemacht werden.17 Andererseits ist zu beanstanden, dass es ein großes Manko des österreichischen Systems ist, dass es

16 17

Clavée, ebd., S. 78 f., 81 ff. Hochmayr/Ligocki, ebd., S. 68 f.

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keine Pflicht gibt, die Entscheidung über die Auswahl, die der Bundespräsident oder im Fall einer Delegation der Bundesjustizminister trifft, zu begründen. Ein Verfahren, das sich – was die Transparenz angeht – zweifellos von den anderen Verfahren unterscheidet, ist das englisch-walisische. Die Personen, die sich für das Richteramt bewerben, werden von den Organisatoren in eine sehr klare Lage versetzt. Bevor man sich für eine Bewerbung entscheidet, hat man die Möglichkeit, sich mit dem genauen Verfahrensablauf vertraut zu machen, da die Informationen dazu auf einer öffentlich zugänglichen Internetseite zu finden sind. Zusätzlich wird der Kandidat vor jeder Stufe des Auswahlverfahrens genau darüber informiert, was er zu erwarten hat (z. B. einen Online-Test, ein Gespräch mit einem Team, ein Rollenspiel usw.), um die Möglichkeit zu haben, sich entsprechend vorzubereiten. Auch bei den weiteren Stufen wird der Kandidat darüber informiert was passiert, bis er am Ende erfährt, ob er als der kompetenteste Kandidat ausgewählt wurde und seine Kandidatur dem entsprechenden Organ unterbreitet wird. Die Empfehlung des Ausschusses muss eine Begründung enthalten. Akzeptiert das entscheidungstreffende Organ die Empfehlung nicht, muss es diese Entscheidung schriftlich begründen. Der Kandidat, der nicht für die Nominierung empfohlen wurde, hat das Recht darauf, darüber informiert zu werden, wieso der Ausschuss so und nicht anders entschieden hat, was ihm die Möglichkeit gibt, die getroffene Entscheidung anzufechten.18 Es lässt sich behaupten, dass die Transparenz und Klarheit des Verfahrens darin zum Ausdruck kommt, dass das Richteramt einer gewissen Amtszeit unterliegt. Die Lösung des schweizerischen Rechts hat trotz vieler Gefahren und Bedenken, die sie mit sich bringt, zweifellos einen Vorteil, nämlich die Transparenz des Verfahrens. Diese geht daraus hervor, dass jeder Kandidat für das Richteramt Rechenschaft über seine bisherige Arbeit gegenüber den Wählern ablegen muss, falls er das Ziel verfolgt, weiterhin seine Richterarbeit fortzuführen. Solch eine Rechenschaft erlaubt es etwaige Mängel zu enthüllen und Personen ausscheiden zu lassen, die der Richterrolle nicht gerecht wurden. Dies verhindert, dass ein geschlossener Kreis von bevorzugten Personen entsteht, deren Wirken auf keine Art und Weise bewertet und kontrolliert wird und die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Wichtig ist auch, dass jeder Bürger das Recht hat eine Wahl zu treffen und im Falle von Bedenken dem Kandidaten entsprechende Fragen zu stellen. Die Richterwahlen an sich sind ebenfalls transparent. Es wird eine Kandidatenliste vorbereitet, aus der die Wähler ihre Vertreter in der Judikative auswählen können. Es gewinnt der Kandidaten, der die größte Unterstützung der Wähler genießt.19 Was das Auswahlverfahren in Polen betrifft, ist vor allem die erste Stufe, die mit der Begutachtung der Kandidaten durch das richterliche Umfeld verbunden ist, diese eher kritisch zu bewerten. Sowohl das Richterkollegium als auch die allgemeine Richterversammlung sind nicht öffentlich. Zwar sieht das Recht die Möglichkeit der Einladung der Kandidaten zur Versammlung vor, jedoch hat er die Möglichkeit 18 19

Małolepszy/Głuchowski, ebd., S. 102 ff. Aleksandrowicz, ebd., S. 90 ff.

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nur an dem Teil der Versammlung teilzunehmen, die ihn selbst betrifft. Aus Sicht der Transparenz ist auch die Tatsache problematisch, dass weder der Beschluss des Richterkollegiums noch der Beschluss der Richterversammlung eine Begründung enthalten müssen. Es ist dadurch schwer festzustellen, nach welchen Kriterien diese Gremien ihre Wahl getroffen haben. Der Kandidat kann nur ahnen, welche Faktoren bei der Entscheidung überwogen haben, da er Zugang zum Gutachten des Aufsichtsrichters über seine Person hat und sogar das Recht dazu hat diesem Gutachten eigene Bemerkungen beizufügen.20 Die Auswahlstufe vor dem Landesrichterrat genießt größere Transparenz, da aufgrund des Öffentlichkeitsprinzips der Plenarsitzungen und dessen, dass diese im Internet übertragen werden, jeder Kandidat sich mit dem Ablauf der Diskussion und der Abstimmung über seiner Kandidatur vertraut machen kann. Der Landesrichterrat hat ebenfalls die Möglichkeit, den Kandidaten vor dem Treffen einer Entscheidung anzuhören. Jeder Beschluss des Landesrichterrats in den individuellen Fällen muss zudem begründet sein. Aus dem Gesetz folgen jedoch keine konkreten Kriterien, die solch eine Begründung erfüllen muss, was in der Praxis oft dazu führt, dass der Kandidat, nachdem er sich mit der Begründung vertraut gemacht hat, nicht wirklich weiß, aus welchen Gründen und aufgrund welcher Kriterien seine Kandidatur als schwächer bewertet wurde und nicht dem Präsidenten zur Ernennung unterbreitet wurde.21 In diesem Kontext ist es wichtig, dass den Kandidaten das Recht zur Berufung gegen einen Beschluss des Landesrichterrats zusteht, über die das Oberste Gericht entscheidet. 2. Instanzielle Kontrolle der Richterwahl Ein Aspekt, der untrennbar mit dem Problem der Transparenz und Klarheit der Richterwahl verbunden ist, ist die Frage, ob das jeweilige Modell eine wirksame Kontrolle der Entscheidungen durch ein unabhängiges Organ, z. B. durch ein Gericht, vorsieht. Transparent und objektiv ist nämlich nur so ein Verfahren, das klare und wirksame Kontrollmechanismen, die sich auf die Auswahl eines bestimmten Kandidaten für das Richteramt beziehen, beinhaltet. Nur so ein Verfahren wird also das Vertrauen von allen Beteiligten wecken. Das Bewusstsein des entscheidenden Organs darüber, dass die Entscheidung durch ein anderes unabhängiges Organ kontrolliert werden kann, motiviert sicherlich dazu, die Entscheidung mit größerer Sorgfalt zu treffen, die Vorschriften genauer zu befolgen und die Begründung klar und verständlich zu formulieren. Es verhindert auch Situationen, in denen die Entscheidung

20

Steinborn, ebd., S. 49, 54 f. Vgl. Pilitowski/Hoffman/Kociołowicz-Wis´niewska, Ska˛d biora˛ sie˛ se˛ dziowie? Raport z badania procesu selekcji kandydatów na wolne stanowiska se˛ dziowskie przez Krajowa˛ Rade˛ Sa˛downictwa, S. 79 ff., die zutreffenderweise darauf aufmerksam machen, dass es an klaren Kriterien für die Begründungen der Beschlüsse des Landesrichterrats fehlt, sodass eine Möglichkeit besteht, die Kriterien zu manipulieren, indem sie je nach Bedarf unterschiedlich gewichtet werden. 21

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auf Basis nicht gesetzlicher Kriterien getroffen wird, z. B. durch Bekanntschaften, Familienverbindungen oder politische Verbindungen. Die Analyse der in den untersuchten Rechtssystemen funktionierenden Lösungen zeigt, dass in der Mehrheit der untersuchten Systeme solche Kontrollmechanismen vorgesehen sind. Solche Mechanismen treten insbesondere im englisch-walisischen Modell auf, wo das Beschwerdeverfahren gegen eine Entscheidung des Richterernennungsausschusses zweistufigen Charakter hat. Auf der ersten Stufe hat ein mit der Entscheidung unzufriedener Kandidat die Möglichkeit, beim Ausschuss Beschwerde einzureichen. Die Antwort des Ausschusses sollte Informationen zu den Entscheidungsgründen enthalten. Falls der Kandidat mit der Antwort des Ausschusses unzufrieden ist, hat er die Möglichkeit ein spezialisiertes Organ, den Beauftragten des Richterwahlausschusses, dazu aufzufordern, zu kontrollieren, ob die Beschwerde ordnungsgemäß bearbeitet wurde. Der Beauftragte hat die Möglichkeit dem Beschwerdeführer eine Entschädigung zuzusprechen oder auch eine Veränderung des Auswahlverfahrens zu empfehlen. Die Kontrollbefugnis gibt jedoch keine Möglichkeit, die Entscheidung über die Auswahl eines Richters zu ändern.22 Eine interessante Lösung in Sachen des Einlegens von Beschwerden gegen die Organe, die die Richterwahl durchführen, sieht auch das deutsche System vor. Im Fall Brandenburgs trifft der zuständige Landesminister gemeinsam mit dem Richterwahlausschuss die endgültige Auswahl. Der Minister ist bei der Entscheidungsfindung an Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes gebunden, der das sog. Prinzip der Bestenauslese statuiert. Deshalb muss der Landesminister umfassend begründen, wieso er genau jenen Kandidaten im Hinblick auf dessen fachliche und soziale Kompetenzen als den besten Kandidaten erachtet. Eine solche Entscheidung des Landesministers unterliegt der Gerichtskontrolle im Wege des Konkurrentenstreitverfahrens. In der Praxis kommt dieses Verfahren häufig vor.23 Im Gegensatz zu den restlichen Modellen sieht das österreichische System keine Möglichkeit zur Beschwerde gegen Entscheidungen im Rahmen der Richterwahl vor. Der Verfassungsgerichtshof nimmt an, dass den Bewerbern für das Richteramt keine Verfahrensbeteiligtenstellung zukommt. Deshalb haben sie weder das Recht dazu gegen Besetzungsvorschläge der Personalsenate, noch gegen die Entscheidung des Bundespräsidenten oder des Bundesjustizministers über die Ernennung eines anderen Kandidaten ins Richteramt rechtlich vorzugehen. In diesem Fall unterliegt die Kompetenz des Bundespräsidenten – oder im Fall einer entsprechenden Delegation – des Bundesministers, keiner instanziellen Kontrolle. Zwar kann der Bundespräsident nur zwischen Kandidaten auswählen, die von der Bundesregierung oder von dem Minister vorgeschlagen wurden. Er hat aber auch das Recht die Auswahl dieser Kandi22

Małolepszy/Głuchowski, ebd., S. 104 f. Wolff, Die Kriterien und das Verfahren der Richterwahl im Lichte des Grundgesetzes in Deutschland, S. 22 f. 23

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daten abzulehnen, was zeigt, dass der Einfluss des Bundespräsidenten auf die Richterwahl entscheidenden Charakter hat.24 Die im polnischen Modell vorgesehenen Lösungen fallen im Vergleich zu den anderen europäischen Lösungen nicht befriedigend aus. Die Person, dessen Kandidatur zum Präsidenten mit entsprechendem Antrag auf die Auswahl für das Richteramt im Rahmen eines sog. Negativbeschlusses durch den Landesrichterrat abgelehnt wurde, kann eine Beschwerde beim Obersten Gericht einlegen. Diese ist jedoch nur begründet, wenn der Beschluss des Landesrichterrates rechtswidrig ist, was dazu führt, dass der Anwendungsbereich der richterlichen Kontrolle sehr begrenzt ist. Die Kontrolle der Entscheidung an sich umfasst z. B. nicht die Überprüfung, ob ein abgelehnter Kandidat die zu berücksichtigenden Kriterien tatsächlich nicht erfüllt hat. Daher kann man nicht sagen, dass dem abgelehnten Kandidaten die Möglichkeit einer effektiven richterlichen Kontrolle der gefallenen Entscheidung zusteht.25 Die jüngsten Ereignisse zeigen, dass das Problem der fehlenden effektiven Kontrolle über den Landesrichterrat in Kürze dadurch abgelöst werden könnte, dass es überhaupt keine Kontrolle über solch eine Entscheidung geben wird. Der letzte Antrag des Landesrichterrates an den Verfassungsgerichtshof auf Überprüfung des Gesetzes über den Landesrichterrat hinsichtlich seiner Verfassungsmäßigkeit enthält unter anderem einen Antrag darauf, dass die Regulierung, die die Beschwerdemöglichkeit gegen Beschlüsse des Landesrichterrats vorsieht, als verfassungswidrig anerkannt wird.26 Berücksichtigt man die Bedeutung der gerichtlichen Kontrolle für die Garantie der Transparenz und Objektivität des Richterwahlverfahrens, ist der Versuch der Beseitigung solcher Kontrollmechanismen aus dem polnischen Rechtssystem als sehr kritisch zu bewerten. 3. Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Richterwahlverfahren Darüber, ob ein gegebenes Richterwahlverfahren tatsächlich die Auswahl der besten Kandidaten garantiert und es ermöglicht, die Kompetenzen der Kandidaten weitgehend zu überprüfen, entscheidet auch, ob das Verfahren mündlich oder schriftlich abläuft. Ohne die Problematik der Auswahlkriterien auszuschöpfen, lässt sich generell sagen, dass in allen untersuchten Modellen der Gesetzgeber vorgesehen hat, dass 24

Hochmayr/Ligocki, ebd., S. 64, 68 f. Steinborn, ebd., S. 58 f. 26 Vgl. Beschluss Nr. 577/2018 des Landesrichterrats vom 22. 11. 2018 hinsichtlich der Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof in Sachen einer Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vom 12. 5. 2011 über den Landesrichterrat (Dz. U. von 2018, Pos. 389 m. spät. Änd.) und Art. 388 § 1 der Zivilprozessordnung vom 17. 11. 1964 (Dz. U. von 2018, Pos. 1360 m. spät. Änd.), verfügbar unter: https://ipo.trybunal.gov.pl/ipo/dok?dok= F-1547517588%2FK_12_18_wns_2018_11_22_ADO.pdf (abgerufen am 21. 5. 2019). Letztendlich hat der polnische Verfassungsgerichtshof am 25. 3. 2019 das Verfahren hinsichtlich des Antrages auf die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Art. 44 Abs. 1 LfGWG, soweit diese Regelung die Beschwerde gegen Beschlüsse des Landesrichterrates zulässt, eingestellt. 25

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der Kandidat für das Richteramt sowohl entsprechende berufliche als auch soziale Kompetenzen innehaben sollte. Es unterliegt keinen Zweifeln, dass die Überprüfung der fachlichen Kompetenzen vor allem schriftlich erfolgen sollte, z. B. durch entsprechende Examen, Wissenstests oder Falllösungen aus der richterlichen Praxis. Es ist jedoch auch offensichtlich, dass die Überprüfung der sozialen Kompetenzen nur möglich ist, wenn die Bewertenden direkt mit dem Kandidaten konfrontiert werden. Es ist nämlich fernliegend nur anhand schriftlicher Stellungnahmen oder mündlicher Erklärungen des Kandidaten zu bewerten, ob dieser mit Stress gut umgehen kann, eine Verhandlung führen kann und klar Gedanken formuliert. Obwohl alle Modelle eine soziale Kompetenz des Richters erwarten, sehen erstaunlicherweise nur einige der analysierten Prozeduren eine Anhörungspflicht des Kandidaten vor. Die Problematik ist im österreichischen Modell, das trotz der relativ ausgebauten Anforderungen an die sozialen Kompetenzen der Kandidaten nur eine fakultative Anhörungsmöglichkeit des Kandidaten vorsieht, am meisten sichtbar. Das gesamte Verfahren hat dort also grundsätzlich schriftlichen Charakter. Die Entscheidung beider Senate über die Besetzungsvorschläge wird getroffen, nach dem sich diese mit dem vom Kandidaten eingereichten Dokumenten vertraut gemacht haben. Anders sieht die Lage in Brandenburg aus, wo es neben den größtenteils schriftlichen Verfahrensetappen auch mündliche Elemente gibt. Mündlich ist vor allem die erste Etappe, bei der der Präsident des Oberlandesgerichts die Aufgabe hat, eine Rankingliste vorzubereiten, die er dem Präsidialrat unterbreitet. Nur auf dieser Etappe ist es möglich festzulegen, ob der Kandidat entsprechende soziale Kompetenzen für das Richteramt besitzt. Diese Bewertung beruht auf dem mit den Kandidaten durchgeführten Auswahlgespräch. Während des Gesprächs ist es möglich die Motivation des Kandidaten, seine Belastbarkeit und sein Verhalten in gegebenen Situationen, die in der zukünftigen Berufspraxis auftreten können, zu prüfen. Diese Stufe ist sehr wichtig, da die Prüfer nicht nur die Vorstellungen der Kandidaten vom Richteramt, sondern auch ihre charakterliche Geeignetheit bewerten können. Es scheint, dass das Entscheidungsgremium nach einem solchen Gespräch, verglichen mit einer Bewertung nur auf Grundlage schriftlicher Informationen, besser in der Lage ist, die sozialen Kompetenzen des Kandidaten zu bewerten.27 Eine positive Bewertung der ersten Auswahlstufe muss im weiteren Ablauf des Richterwahlverfahrens jedoch verändert werden, da die Bewertung der Kandidaturen durch den Präsidialrat und den Richterwahlausschuss ausschließlich schriftlich ist. Zudem tritt das Problem auf, dass im weiteren Verfahren in der Regel keine Personen teilnehmen, die mit dem Kandidaten direkten Kontakt hatten. Falls diese Personen Mitglieder des Präsidialrates sind, nehmen die Mitglieder des Richterwahlausschusses nicht an den Gesprächen mit den Kandidaten teil und müssen auf dem Bericht des Präsidialrates basieren. Es scheint also, dass die Bewertung des Ausschusses, die lediglich auf schriftlicher Basis erfolgt, ein gewisses Fehlerrisiko mit sich bringt. 27

Clavée, ebd., S. 81 ff.

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Ein völlig anderer Weg des Verfahrens bei der Richtereinstellung wurde im englisch-walisischen System eingeschlagen. Das Auswahlverfahren der besten Kandidaten hat hier gemischten Charakter, wobei auf zweiter Auswahlstufe, das Selektionsteam des Richterernennungsausschusses die Möglichkeit hat, mit den Kandidaten durch ein Gespräch, Fragen oder Simulationen direkt zu interagieren. Die anderen Auswahlstufen haben schriftlichen Charakter und basieren auf der Tatsachenfeststellung über den Kandidaten auf Grundlage von Berichten, unabhängigen Bewertungen oder Konsultationen. Zwar haben die Kandidaten in den weiteren Stufen nicht mehr die Möglichkeit, vom gesamten Ausschuss angehört zu werden, jedoch dürfen die Mitglieder des Selektionsteams, die mit dem Kandidat Kontakt hatten, an der Abstimmung über seine Empfehlung teilnehmen und den restlichen Mitgliedern des Ausschusses ihre Bewertungen und Bemerkungen vorstellen.28 Solch eine Möglichkeit gibt es beispielsweise in Brandenburg nicht. Hier hat auf der letzten Auswahlstufe durch den Richterwahlausschuss kein Mitglied die Möglichkeit, sich mit dem Kandidaten persönlich zu treffen. Verglichen mit den oben aufgeführten Modellen kann auch das polnische System als schriftlich-mündlich betitelt werden, der schriftliche Aspekt ist jedoch hervorzuheben. Obwohl es den an der Auswahl teilnehmenden Organen rechtlich möglich ist, den Kandidaten anzuhören, nehmen diese Organe diese Möglichkeit in der Praxis selten wahr. Diese Möglichkeit beinhaltet die Einladung der Kandidaten auf die Richterversammlung und die Anhörung der Kandidaten durch ein Team des Landesrichterrats. Wie die Praxis zeigt, werden die Kandidaten auf die allgemeine Richterversammlung eingeladen und dort angehört. Anders sieht die Situation im Landesrichterrat aus, wo eine Anhörung eines Kandidaten eher sporadisch erfolgt. Zudem ist problematisch, dass es keinerlei Prozedur dafür gibt, wie solch eine Anhörung ausgestaltet sein muss und welche konkreten Fragen oder Aufgaben dem Kandidaten gestellt werden.29 Außer diesen zwei Möglichkeiten ist das restliche Auswahlverfahren von schriftlichem Charakter. Die Bewertung der Qualifikationen eines Kandidaten, die von einem Aufsichtsrichter vollzogen wird, erfolgt ausschließlich auf Basis von Akten und Dokumenten. Eine Konfrontation des Aufsichtsrichters mit bestimmten Kandidaten ist dabei nicht vorgesehen. Auch beim Verfahren vor dem Landesrichterrat ist grundsätzlich30 keine Anhörung des Kandidaten bei der Plenartagung vor dem ganzen Rat vorgesehen. Der Charakter des Kandidaten und seine persönli-

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Małolepszy/Głuchowski, ebd., S. 102 ff. Auf dieses Problem wird hingewiesen in: Pilitowski/Hoffman/Kociołowicz-Wis´niewska, S. 66 ff., 75 ff. 30 Eine Ausnahme davon wurde in Art. 33 Abs. 2 des Gesetzes über den Landesrichterrat geregelt, wonach in begründeten Fällen der Landesrichterrat das persönliche Erscheinen der Beteiligten anfordern kann. Diese Regelung wird durch § 18 Abs. 3 der Ordnung des Landesrichterrates vom 12. 9. 2017 präzisiert, wonach das Team anregen kann, einen Beteiligten in eine Sitzung des Teams oder in eine Plenarsitzung des Rates zur Anhörung einzuladen. Die Anhörung kann auch im Wege einer Videokonferenz durchgeführt werden. 29

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che Geeignetheit für das Richteramt werden also in der Regel ausschließlich auf Grundlage der angesammelten Dokumentation bewertet.

IV. Kriterien der Richterauswahl Ein weiteres Element jedes Modells sind die Auswahlkriterien der Kandidaten. Das Vertrauen der Kandidaten in das Auswahlverfahren sollte nicht nur darauf basieren, dass das Verfahren transparent und objektiv ist und es instanzielle Kontrollmechanismen einer gefallenen Entscheidung gibt. Wichtig ist nämlich auch, dass die Auswahl neuer Richter auf Grundlage klarer und transparenter Kriterien erfolgen soll. Diese Kriterien sollten an die Erwartungen, die der Staat an einen potenziellen Richter hat, angepasst sein und den besonderen Charakter und die Spezifität dieses Amtes berücksichtigen. Die durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass es kein einheitliches Modell der Auswahl des besten Kandidaten für das Richteramt gibt. In den untersuchten Ländern unterscheiden sich die Auswahlkriterien stark – von der Feststellung an, ob ein Kandidat überhaupt eine juristische Ausbildung haben sollte, bis dahin, ob ein Richter einer politischen Partei angehören sollte. Auch die Art und Weise der Regelung unterscheidet sich in den untersuchten Rechtssystemen. In den meisten Fällen sind die Kriterien, die ein Kandidat erfüllen muss, gesetzlich geregelt. Es gibt aber auch Situationen, in denen die Kriterien auf die bisherige Praxis der Organe, die die Auswahl treffen, zurückzuführen sind. Alle analysierten Auswahlmodelle haben jedoch die Überzeugung gemeinsam, dass ein Kandidat für das Richteramt nicht nur entsprechende berufliche Kompetenzen, sondern auch sog. soziale Kompetenzen haben sollte. 1. Berufliche Kompetenzen Unter beruflichen Kompetenzen versteht man vor allem das Wissen und die Ausbildung, die von einem Kandidaten für das Richteramt erwartet werden. Dabei scheint es, dass es eine sine qua non Bedingung der Auswahl ist, dass ein Kandidat eine entsprechende juristische Ausbildung hat und das Referendariat erfolgreich beendet hat. Dieses Modell bewährt sich im deutschen, österreichischen und polnischen System, was nicht bedeutet, dass es überall gilt. In den vorangegangenen Modellen werden die beruflichen Kompetenzen für den Richterberuf auf Grundlage eines beendeten rechtswissenschaftlichen Studiums und Referendariats sowie auf Grundlage einer bestandenen Berufsfachprüfung bewertet. Dies ist vor allem in Brandenburg sichtbar. In diesem Fall hat das Ergebnis des zweiten Staatsexamens, das der Berufsfachprüfung gleicht, entscheidenden Einfluss darauf, ob ein Kandidat für das Richteramt ausgewählt wird. Als Beispiel sollte man anfügen, dass das Kandidatenranking für das Richteramt in erster Linie auf Grundlage

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der bei den Staatsexamina erzielten Noten zusammengestellt wird. Die an dem Auswahlverfahren teilnehmenden Personen weisen klar darauf hin, dass man von einem Kandidaten erwartet, das erste Staatsexamen mindestens mit der Note „befriedigend“ bestanden zu haben und beim zweiten Staatsexamen mindestens die Note „vollbefriedigend“ erzielt zu haben. Aufgrund des hohen Schwierigkeitsgrades dieser Examen, führt man in Brandenburg keine Wissenstests des juristischen Fachwissens durch. Ähnlich sieht die Situation in Österreich aus, wo ein Kandidat einen richterlichen Vorbereitungsdienst erfolgreich beendet haben muss und die Richteramtsprüfung bestanden haben muss. Er muss zudem eine insgesamt vierjährige Rechtspraxis vorweisen können. Vom Kandidaten wird erwartet, dass sein berufliches Wissen so breit und aktuell wie möglich ist und insbesondere, dass er die Gesetze kennt und weiß, wie diese anzuwenden sind.31 Nicht weniger wichtig ist die berufliche Praxis des Kandidaten, die oft ein wichtiges – und in manchen Fällen geradezu das wichtigste – Kriterium bei der Richterwahl ist. Genauso wie in Deutschland sieht das Auswahlverfahren keine Überprüfung des Wissens des Kandidaten auf dem Wege von separaten Prüfungen vor.32 Ein ähnliches Modell ist in Polen vorgesehen. Der Kandidat muss ebenfalls eine entsprechende Ausbildung vorweisen und ein Hochschulstudium der Rechtswissenschaften absolvieren. Der Unterschied im Vergleich zu den vorherigen Systemen besteht darin, dass man auf dem Weg der sog. Umqualifikation durch den Übergang aus einem anderen Beruf oder nach dem Beenden des richterlichen Referendariats und des Assessorexamens zum Richter gewählt werden kann. Je nachdem, ob der Weg eines Kandidaten ins Amt über das richterliche Referendariat oder durch den Übergang aus einem anderen Beruf führt, sieht das Recht ein unterschiedliches Verfahren, sowie eine unterschiedliche Art und Weise der Bewertung der Kandidaten vor. Die Bedeutung der Examensergebnisse wird besonders im Assessorverfahren deutlich. In diesem Fall wird die Auswahl für eine Richterstelle schon im richterlichen Referendariat und beim Richterexamen getroffen. Auf der Grundlage der Ergebnisse des Examens wird ein Ranking erstellt, nach dem die Referendare die Assessorstelle auswählen. Nachdem der Kandidat drei Jahre lang Assessor war, bekommt er die Möglichkeit, sich darum zu bemühen, seine Assessorstelle in eine Richterstelle umzuwandeln. Das Wettbewerbsverfahren beruht dann darauf, dass ein Aufsichtsrichter die Qualifikationen und Kompetenzen eines Assessors für das Richteramt bewertet. Seine beruflichen Kompetenzen werden dabei auf Grundlage seiner Rechtsprechungsarbeit bewertet.33 Ein anderes System gibt es in Frankreich, England und der Schweiz. Der grundsätzliche Unterschied liegt darin, dass man dort nicht vom Kandidaten verlangt, ein Hochschulstudium der Rechtswissenschaften beendet zu haben. 31

Clavée, ebd., S. 80. Hochmayr/Ligocki, ebd., S. 69 f. 33 Steinborn, ebd., S. 50 f. 32

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Was Frankreich angeht, ist das Auswahlverfahren etwas differenzierter. Man kann Richter werden, wenn man das Referendariat an Nationalen Richterschule beendet. Um an dieser Schule angenommen zu werden, muss man ein mindestens vierjähriges Hochschulstudium beendet haben, wobei nicht verlangt wird, dass dies ein Studium der Rechtswissenschaften ist. Potentielle Richter können somit auch bestimmte Staatsbeamte und lokale Beamte, die eine entsprechende Dienstzeit vorweisen, sowie Personen, die ein Mandat in den Vertreterorganen der Gebietskörperschaften ausfüllen, werden.34 Im englisch-walisischen System wird ebenfalls nicht erwartet, dass ein Kandidat für das Richteramt ein Hochschulstudium der Rechtswissenschaften beendet hat. Im Fall von Personen, die kein juristisches Studium beendet haben, reicht für die Ernennung zum Richter das Beenden eines einjährigen juristischen Adaptationskurses. In diesem Modell setzt man mehr auf die Feststellung der Fähigkeiten des Kandidaten hinsichtlich der Rechtsanwendung, als auf eine vorangehende Rechtsausbildung. Dies zeigt sich vor allem dadurch, dass eine mehrjährige juristische Praxiserfahrung vorzuweisen ist.35 Die niedrigsten beruflichen Anforderungen an Kandidaten hat die schweizerische Regelung. In diesem Fall muss der Kandidat lediglich uneingeschränkt rechtsfähig sein, die schweizerische Staatsbürgerschaft innehaben und den Wohnort im entsprechenden Kanton vorweisen. Zusätzlich sehen manche Kantonsverfassungen (z. B. die des Kanton Vaud) oder auch interne Vorschriften der für die Bewertung der Kandidaten verantwortlichen Organe vor, dass bei der Auswahl des Kandidaten seine juristische Ausbildung oder Erfahrung berücksichtigt werden sollte. Aus der Praxis geht jedoch hervor, dass Situation, in der eine Person, die keine juristische Ausbildung hat, ins Richteramt gewählt wird, keine Ausnahme darstellen. Zweifellos überwiegen aber unter den Berufsrichtern solche, die eine solche Ausbildung haben.36 2. Soziale Kompetenzen Bei der Richterwahl spielen soziale Kompetenzen (sog. Soft Skills) eine wichtige Rolle, die sogar wichtiger als ihre beruflichen Kompetenzen sein können. Zweifellos ist es einem potenziellen Kandidaten für das Richteramt möglich, das entsprechende juristische Fachwissen durch Fortbildung und die Teilnahme an speziellen Schulungen zu gewinnen. Die Bildung von sozialen Kompetenzen ist jedoch nicht so einfach und beschränkt sich nicht lediglich auf Lehrbuchwissen. Selbst der fachlich am besten vorbereitete Kandidat, der sich durch die Kenntnis von Gesetzen und Rechtsprechung hervorhebt, ist kein guter Kandidat für das Richteramt, wenn er z. B. nicht mit Stress umgehen kann oder seine Emotionen oder die Emotionen der Beteiligten im Gerichtssaal nicht kontrollieren kann. 34

Pawluczuk-Buc´ko, ebd., S. 109 ff. Małolepszy/Głuchowski, ebd., S. 99 f., 105 f. 36 Aleksandrowicz, ebd., S. 93 f. 35

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Die Wichtigkeit des Aspekts sozialer Kompetenzen ist besonders in der englischwalisischen Prozedur ausgeprägt. Das Auswahlverfahren ist so konstruiert, dass nicht nur das juristische Fachwissen des Kandidaten und seine Erfahrung überprüft werden, sondern auch seine persönlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Richteramts. Schon bei der zweiten Auswahlstufe wird der Kandidat mit einem Auswahlteam konfrontiert, welches seine Soft Skills durch Situationsfragen, Rollenspiele oder Präsentationen überprüft. Die Verifikation dieser Fähigkeiten soll es erlauben unter anderem zu bewerten, ob ein Kandidat mit der Verhandlungsleitung zurechtkommt und ob er die Lage der Beteiligten eines Prozesses beherrschen kann.37 Die Untersuchung sozialer Kompetenzen der Kandidaten für das Richteramt spielt auch im österreichischen System eine wichtige Rolle. Abgesehen von den bereits ausgedrückten Zweifeln darüber, ob das österreichische Verfahren, das ausschließlich schriftlichen Charakter hat und grundsätzlich keine Konfrontation mit dem Kandidaten vorsieht, tatsächlich entsprechend darauf vorbereitet ist, solche Kompetenzen zu bewerten, lässt sich feststellen, dass der österreichische Gesetzgeber präzise aufgezeigt hat, welche sozialen Fähigkeiten ein Kandidat für das Richteramt haben sollte. Im österreichischen RStDG ist unter anderem von Kritik-, Konflikt-, Kommunikations- und Teamfähigkeit und der Eignung für den Parteienverkehr die Rede.38 Auch im deutschen System hat der Gesetzgeber expressis verbis vorausgesehen, dass ein Kandidat für das Richteramt die nötigen sozialen Kompetenzen haben sollte. Es wird jedoch nicht präzise ausgedrückt, um welche konkreten Kompetenzen es sich hierbei handelt. Jedoch werden als Beispiel Team- und Kommunikationsfähigkeit genannt. Ein perfekter Kandidat für das Richteramt sollte auch empathisch sein, zuhören können, die Interessen der jeweiligen Prozessbeteiligten verstehen und diese angemessen würdigen können. Um zu überprüfen, ob ein Kandidat die genannten Bedingungen erfüllt, sieht das Auswahlverfahren in Brandenburg verschiedene Möglichkeiten vor, beispielsweise Einzelgespräche mit jedem Kandidaten oder ein sog. Assessment-Center, bei dem durch entsprechende Simulationen eine Gruppe von Personalfachleuten und Psychologen zu bewerten versucht, ob ein Kandidat in Zukunft in der Richterrolle zurechtkommen wird.39 Auch im schweizerischen System wird eine Überprüfung der Soft Skills eines Kandidaten für das Richteramt durchgeführt. Im Fall einer Auswahl, die durch das kantonale Parlament durchgeführt wird, führt eine spezielle Kommission, die am Parlament wirkt, diese Überprüfung durch. Als Beispieleigenschaften, die ein perfekter Kandidat mitbringen sollte, nennt man: Belastbarkeit, Verhandlungsgeschick, Entscheidungsfreudigkeit, Teamfähigkeit, persönliche Integrität, Lebenserfahrung, Menschenkenntnis, Einfühlungsvermögen, Ausgeglichenheit sowie die Be37

Małolepszy/Głuchowski, ebd., S. 102 ff. Hochmayr/Ligocki, ebd., S. 70 f. 39 Clavée, ebd., S. 81. 38

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fähigung, eigene Werthaltungen zu überdenken und sich von ihnen zu distanzieren, wo sie für die Regelung der konkreten Streitigkeit ohne Bedeutung sind.40 Im polnischen System gibt der Gesetzgeber ebenfalls zum Ausdruck, dass ein Kandidat gewisse soziale Kompetenzen haben sollte. In Art. 61 § 1 Pkt. 2 plGVG wird darauf hingewiesen, dass ein Kandidat einen makellosen Charakter aufweisen sollte. Die Vorschrift wird durch Art. 57b § 1 i. V. m. Art. 106xa plGVG präzisiert. Diese Vorschriften regeln die Bewertungskriterien eines Assessors und weisen darauf hin, dass ein Aufsichtsrichter die Effizienz der ergriffenen Maßnahmen und der Arbeitsorganisation bei der Bearbeitung von Rechtssachen oder bei der Ausübung von anderen übertragenen Aufgaben und Funktionen untersuchen sollte. Dabei sollten der Belastungsgrad der Aufgaben, deren Komplexität, die Realisierung des Prozesses der Weiterbildung, die Art der Amtsverrichtung, gute Umgangsformen, die Organisationsart und der Respekt gegenüber den Rechten der Prozessbeteiligten eines Verfahrens während der Bearbeitung von Rechtssachen oder bei der Ausübung von anderen übertragenen Aufgaben und Funktionen berücksichtigt werden. Weiter wird in Art. 57b § 1 i. V. m. Art. 106xa plGVG relativ bündig darauf hingewiesen, dass „bei der Bewertung der Qualifikationen eines Kandidaten für eine freie Richterstelle dessen persönliche Voraussetzungen für das Richteramt sowie die Beachtung von ethischen Regeln des ausgeübten Berufs berücksichtigt werden“. Es liegt jedoch kein Hinweis darauf vor, was man unter persönlichen Voraussetzungen für das Richteramt verstehen sollte. Der Gesetzgeber präzisiert an keiner Stelle, welche konkreten Eigenschaften ein perfekter Kandidat für das Richteramt haben sollte, so wie es z. B. im österreichischen Modell der Fall ist. 3. Weitere Auswahlkriterien Analysiert man die Kriterien der Richterwahl in den einzelnen Ländern, stellt man fest, dass in manchen Ländern auch andere Kriterien außerhalb der beruflichen oder sozialen Kompetenzen Einfluss auf die Auswahl haben. Diese Kriterien kommen üblicherweise dann zum Einsatz, wenn im Ergebnis der Bewertung auf Grundlage von sachlichen und sozialen Kompetenzen mehr als zwei Kandidaten, die gleich bewertet wurden, übrig bleiben. Am interessantesten ist hierbei zweifellos das schweizerische System, in dem die politische Zugehörigkeit eines Kandidaten ein inoffizielles Auswahlkriterium ist. In der Schweiz ist es nämlich unüblich, dass ein parteiloser Kandidat ausgewählt wird. Nicht selten kommt es zu Situationen, in denen ein gewisser Kandidat ausgewählt wird, weil er zu bestimmten politischen Kreisen gehört. In manchen kantonalen Verfassungen wird sogar explizit auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Par-

40 Kiener, Wahl und Auswahl von Richterinnen und Richtern, http://www.rechtundgerech tigkeit.de/1 - 5-recht-kritik/richter-unabhaengigkeit/belege/richterwahl-problematik-uni-bern. pdf, S. 11 (abgerufen am 21. 6. 2019); Aleksandrowicz, ebd., S. 93.

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teizugehörigkeit oder die Berücksichtigung verschiedener politischer Weltanschauungsoptionen hingewiesen.41 Weniger kontrovers ist die Regulierung der sog. anderen Kriterien im österreichischen Modell. Diese sieht eine Berücksichtigung der Frauenquote bei der Auswahl eines dem Bundespräsidenten zur Ernennung vorgeschlagenen Kandidaten vor. Im Fall, in dem beide Kandidaten also sowohl beruflich, als auch sozial genauso kompetent bewertet werden, hat bei einer zu geringen Frauenquote die Frau den Vorrang. Die Einzelheiten dieser Lösung reguliert das österreichische Gleichbehandlungsgesetz.42 Ein Kriterium, das ebenfalls bei der Auswahl von Richtern in Erwägung gezogen wird, welches man jedoch nicht einem der oben genannten Kriterien zuordnen kann, ist die sog. Vielfaltsklausel. Diese Lösung tritt in England und Wales auf. Nach dem gängigen Recht muss der Ausschuss bei der Auswahl die Notwendigkeit der Vielfaltsförderung bei der Kandidatenwahl berücksichtigen. Falls es zu einer Situation kommt, in der zwei oder mehr Kandidaten als gleichwertig bewertet werden, wird die oben genannte Klausel benutzt, die den sog. Minderheitskandidaten, der einer Gruppe zugehören, deren persönliche Eigenschaften nicht ausreichend vertreten wird, bevorzugt. Solche Eigenschaften sind meistens die Rasse oder das Geschlecht des Kandidaten. Wichtig ist, dass diese Eigenschaften nur im Fall einer ebenbürtigen Bewertung der Kompetenzen der Kandidaten berücksichtigt werden dürfen.43

V. Zusammenfassung 1. Bewertungsversuch Ein Bewertungsversuch der analysierten Modelle ist relativ problematisch. Die Formulierung kategorischer Bewertungen, in denen man behauptet, ein Modell sei besser als ein anderes, birgt das Risiko, zu falschen Schlüssen zu gelangen, denn jedes der vorgestellten Richterwahlmodelle funktioniert in einer gewissen Rechtskultur und einem Paradigma der Wahrnehmung der Richterrolle und dessen Aufgaben in der Gesellschaft. Daher kann man auch nicht prima facie feststellen, ob z. B. das schweizerische Modell abgelehnt werden sollte, da es vorsieht, das Richter Mitglieder politischer Parteien sein dürfen, keine juristische Ausbildung haben müssen und in allgemeinen Wahlen gewählt werden. Betrachtet man solche Regeln aus dem polnischen Sichtpunkt und der historischen sowie kulturellen Rolle eines Richters, sowie auf Grundlage einer anderen Rechtskultur und eines anderen Vertrauensniveaus in den Staat, wäre ein solches Modell in Polen abzulehnen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein Verfahren, das in Polen keine Daseinsberechtigung hat, nicht in 41

Aleksandrowicz, ebd., S. 89 f., 92. Hochmayr/Ligocki, ebd., S. 70 f. 43 Małolepszy/Głuchowski, ebd., S. 101. 42

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einem anderen Land funktionieren kann. Andererseits muss bedacht werden, dass rechtsvergleichende Analysen die große Gefahr bergen, rechtliche Lösungen in die heimische Rechtsordnung zu übertragen, ohne dabei kulturelle, historische und soziale Aspekts, in dem solch eine Lösung funktioniert, zu beachten. Im vorliegenden Fall kann der Rechtsvergleich jedoch dazu dienen, festzustellen, wie die jeweiligen Lösungen in anderen Ländern funktionieren und ob diese tatsächlich effektiv die angenommenen Ziele verwirklichen und dazu beitragen die besten Kandidaten für das Richteramt auszuwählen. Dadurch kann beim Erlass nationaler Vorschriften aus den Fehlern der Nachbarländer gelernt werden. Indem man fremde Regulierungen kennenlernt, kann man zu breiteren Schlüssen darüber gelangen, wie ein optimales Normensystem, in dem drei Elemente (nämlich die Beteiligten, das Verfahren und die Auswahlkriterien) die Auswahl der besten Kandidaten für das Richteramt gewährleisten, aufgebaut werden kann. 2. Die Beteiligten des Richterwahlverfahrens Die aktuelle Debatte zum polnischen Richterwahlmodell konzentriert sich vor allem auf dem Problem des Einflusses der Politiker auf die Auswahl. Die Fragen, die aufkommen, betreffen die Beteiligung und den Einfluss von Politikern an der Richterwahl. Durchgeführte Untersuchungen haben gezeigt, dass in allen analysierten Modellen in größerem oder kleinerem Ausmaß Politiker Einfluss darauf haben, wer für eine Richterstelle ausgewählt wird. Dies ist vor allem deshalb offensichtlich, weil die Vertreter der Politik das Volk repräsentieren und Entscheidungen im Namen des Volkes treffen. Berücksichtigt man das für die demokratische Ordnung fundamentale Prinzip der gegenseitigen Kontrolle und der Gewaltenteilung, kommt man zu dem Ergebnis, dass auch Politiker Einfluss darauf haben sollten, wer die Judikative vertreten wird. Zweifellos dürfen Richter nicht eine Berufsgruppe bilden, die vom Staat auf keinerlei Art und Weise kontrolliert wird. Dabei sollte jedoch auch klar sein, dass sie keine politischen Marionetten darstellen sollten, die zum Dank für die Ernennung ewige Schuld bei ihrem politischen Betreuer haben, welche sie durch Urteile, die den Interessen dieser Person entsprechen, bezahlen. Die Problematik der Gründung eines geeigneten Richterwahlsystems liegt vor allem darin, solche Mechanismen zu schaffen, die Situationen, in denen gewisse Interessengruppen (z. B. Richter oder Politiker) entscheidenden Einfluss auf die Auswahl haben und andere Stimmen nicht beachtet werden müssen, einzugrenzen. Daher sollten in den Gremien, die an der Bewertung eines Kandidaten für das Richteramt oder später an Empfehlung oder an der Auswahl teilnehmen, die Personen aus verschiedenen Interessengruppen teilnehmen. Diese Subjekte sollten zweifellos Vertreter aus der Politik sein. Die Stimme der Vertreter juristischer Kreise und des Volks selber sollte dabei jedoch nicht vergessen werden. Im Streben nach dem perfekten Richterwahlmodell ist es notwendig, dass es sich nicht nur um eine scheinbare Teilnahme der Gruppen handelt. Es ist notwendig solche Mechanismen aufzubauen, die die Mitglieder solch eines Gremiums dazu zwingen, zu einer bestimmten Einigung zu kommen, um eine

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Entscheidung treffen zu können. Solch ein Mechanismus kann z. B. die Einführung einer entsprechenden Mehrheitswahl (z. B. zwei Drittel) bei einer entsprechenden quantitativen Teilnahme der Vertreter einer gewissen Gruppierung (z. B. je zwei Vertreter der politischen Herrschaft, zwei Vertreter der Judikative und zwei Volksvertreter, dazu die Ernennung eines Volksvertreters als Vorsitzender dieses Gremiums) sein. Es scheint, dass nur dann Situationen, in denen bestimmte Gruppen eigene – nicht immer die besten – Kandidaten, unterstützen und dabei nicht die Stimme der anderen berücksichtigen, vorgebeugt werden kann. Die Einfügung solcher Mechanismen sollte die an der Richterwahl teilnehmenden Gremien dazu bringen, die gegenseitigen Argumente zu verstehen und einen Kompromiss auszuarbeiten, bei dem es tatsächlich zur Auswahl des besten Kandidaten kommt. Es scheint, dass gegenseitiger Respekt und gegenseitiges Verständnis sowie das Bewusstsein über die große Wichtigkeit der getroffenen Entscheidung in solchen Gremien offensichtlich sein sollte und nicht durch den Gesetzgeber erzwungen werden sollte. Allerdings kommt es in manchen Situationen dazu, dass nicht der beste Kandidat unterstützt wird, was zu Missständen führt, die grundsätzlich eine Gefahr für das Wohl des Staates darstellen. Daher sollten gewisse Verhaltensstandards gesetzlich angeordnet werden. 3. Das Richterwahlverfahren Nicht weniger wichtig scheint die Gestaltung eines Verfahrens hinsichtlich bestimmter Prinzipien und Werte, die die Auswahl der besten Kandidaten garantieren soll. Das Auswahlverfahren sollte vor allem transparent sein. Die Transparenz des Verfahrens sollte durch klare und verständliche Regeln und Auswahlkriterien, sowie durch das Recht, sich gegen eine Entscheidung bezüglich der Richterwahl zu wehren, gewährleistet werden. Zweifellos ist innerhalb der polnischen Regulierung problematisch, dass es keine transparenten Verfahren gibt, die die Auswahl der besten Kandidaten für das Richteramt garantieren würden. Die Veränderungen sollten deshalb hinsichtlich einer präzisen Regulierung der Bewertungskriterien der Kandidaten für das Richteramt und mit entsprechender Gewichtung jedes Kriteriums, sowie der Begründungspflicht einer durch die bewertenden Beteiligten ergangenen Entscheidung getroffen werden. Die Kandidaten sollten die Möglichkeit haben, die Entscheidung der an dem Verfahren teilnehmenden Organe auf jeder Etappe zu erfahren und das Recht darauf haben, angehört zu werden. Auf der letzten Auswahlstufe sollte der Kandidat die Möglichkeit haben, nach der Entscheidung Kenntnis über die Entscheidungsmotive und die Begründung der Ablehnung seiner Kandidatur zu erfahren. Die Pflicht der ausführlichen Begründung einer Entscheidung scheint unerlässlich, da nur so ein optimales Verfahren, in dem der Entscheidungsträger seine Entscheidung genauestens überdenkt und dadurch Vertrauen der Kandidaten in das Verfahren schafft, gewährleistet wird. Darüber hinaus wirkt es potenziellen Anschuldigungen hinsichtlich der Entscheidungsfindung auf Grundlage von sog. unsachlichen Kriterien, die in einem Rechtsstaat sehr

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gefährlich sein können, entgegen. Ein weiteres unerlässliches Element eines optimalen Auswahlverfahrens ist die effektive instanzielle Kontrolle. Es sollte möglich sein, die Begründung des Entscheidungsträgers von einem unabhängigen Gericht kontrollieren zu lassen. Das Gericht sollte, nachdem es sich mit der Begründung vertraut gemacht hat, nicht nur kontrollieren, ob die Begründung rechtmäßig verfasst wurde, sondern auch, ob tatsächlich der beste Kandidat ausgewählt wurde. Ein letzter äußerst wichtiger Punkt ist die Gründung eines Verfahrens, das mündliche und schriftliche Elemente miteinander vereint. Zweifellos kann ein Verfahren, das ausschließlich auf schriftlichen Kriterien aufgebaut ist, nicht die Auswahl der besten Kandidaten garantieren. Anhand von schriftlichen Gutachten oder Erklärungen lässt sich nämlich nur schwer überprüfen, ob ein Kandidat entsprechende soziale Kompetenzen hat, z. B. ob er mit Stress umgehen kann, ob er sich klar und deutlich ausdrücken kann, ob er schnell Probleme lösen kann usw. Nur eine Gegenüberstellung der an der Wahl teilnehmenden Beteiligten erlaubt es, sich ein vollständiges Bild zu machen, in dem nicht nur die beruflichen, sondern auch die sozialen Kompetenzen berücksichtigt werden. Die Richterwahl sollte in einem demokratischen Rechtsstaat nicht nur eine lästige Pflicht sein, die man schnellstmöglich abfertigt. Man darf nicht vergessen, dass das Wesen der Richterwahl darin besteht, ein Korpus von Menschen aufzubauen, die den Staat repräsentieren und in dessen Namen Urteile fällen sollen. Das Schaffen der besten Richtergruppe darf nicht in Eile, ohne Bedacht und weitere Reflexion durchgeführt werden und sollte sich nicht auf das Streben nach der Einstellung „eigener Leute“ beschränken. Hier sollte tatsächlich der Gedanke an das Staatswohl und die Gewährleistung, die Besten der Besten für solch ehrenvolle, aber auch äußerst verantwortliche Funktion zu berufen, die Oberhand gewinnen. Es ist besser einige Stunden mehr für eine zuverlässige Überprüfung der Kandidaten und die Auswahl der Besten zu opfern, als es eine nicht darauf vorbereitete oder nicht dafür geeignete Person ins Richteramt zuzulassen. Die Konsequenzen der von diesen Personen gemachten Fehler sind für den Staat und die Bürger viel schwerwiegender als das Opfern einiger Stunden während des Auswahlverfahrens. 4. Kriterien der Richterwahl Die durchgeführten Untersuchungen haben gezeigt, dass außer der Ausgestaltung der an der Richterwahl teilnehmenden Gremien und Verfahrensregeln, die Kriterien, auf deren Grundlage die Auswahl getroffen wird, von großer Bedeutung sind. Der ideale Kandidat für das Richteramt sollte nicht nur fachlich perfekt auf die Aufgabe vorbereitet sein, also das Recht und Rechtsprechung kennen, sondern auch entsprechende soziale Kompetenzen haben. Ein Richter darf nicht eine seelenlose Maschine sein, die Urteile fällt. Er muss Empathie besitzen, zuhören können, die gegenseitigen Interessen beider Seiten verstehen und sie laut seinem eigenen Gewissen beurteilen. Er sollte auch mit schwierigen Stresssituationen, die der Gerichtssaal im Alltag mit sich bringt, umgehen können. Es ist also wichtig, dass sich der Gesetzgeber die Frage

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beantwortet, was für Richter er eigentlich erwartet, wie ihr Persönlichkeitsprofil aussehen sollte und welche Kompetenzen sie haben sollten. All diese Fragen sollten ihr normatives Spiegelbild in den Gesetzen und Verordnungen finden. Jeder Kandidat sollte, bevor er sich bewirbt, überprüfen können, ob er tatsächlich für das Richteramt geeignet ist und die Voraussetzungen erfüllt, die Bewerbern gestellt werden. Der Vorschlag der Stiftung Court Watch, ein Profil eines perfekten Kandidaten für das Richteramt zu erstellen und zu veröffentlichen, ist hierbei sehr positiv zu bewerten. Es bleibt zu hoffen, dass der polnische Gesetzgeber tatsächlich die entsprechenden Schritte einleitet, um diese Empfehlungen umzusetzen.44 Die Einführung einer solchen Lösung würde sicherlich dazu beitragen, in Zukunft tatsächlich die Kandidaten auszuwählen, die sich als die Besten der Besten erweisen. Übersetzung: Anna Szarek

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Siehe Pilitowski/Hoffman/Kociołowicz-Wis´niewska, ebd., S. 88.

Autorenverzeichnis Dr. Maciej Aleksandrowicz, Universität Białystok Klaus-Christoph Clavée, Präsident des Brandenburgischen Oberlandesgerichts Michał Głuchowski, LL.M., Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Prof. Dr. Gudrun Hochmayr, Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Bartosz Jakimiec, LL.M., Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Dr. Lech Jamróz, Universität Białystok Dr. Dawid Ligocki, LL.M., Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) Prof. Dr. Maciej Małolepszy, Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Universität Zielona Góra Paulina Pawluczuk-Buc´ko, Universität Białystok Prof. Dr. Sławomir Steinborn, Universität Danzig, Richter am Appellationsgericht Danzig Prof. Dr. Heinrich Amadeus Wolff, Universität Bayreuth