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German Pages 195 Year 2015
DER STAAT ZEITSCHRIFT FÜR STAATSLEHRE UND VERFASSUNGSGESCHICHTE, DEUTSCHES UND EUROPÄISCHES ÖFFENTLICHES RECHT
Beiheft 23
Verfassung und Völkerrecht in der Verfassungsgeschichte: Interdependenzen zwischen internationaler Ordnung und Verfassungsordnung
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
Verfassung und Völkerrecht in der Verfassungsgeschichte: Interdependenzen zwischen internationaler Ordnung und Verfassungsordnung
BEIHEFTE ZU „DER STAAT“ Zeitschrift für Staatslehre und Verfassungsgeschichte, deutsches und europäisches öffentliches Recht Herausgegeben von Ernst-Wolfgang Böckenförde, Armin von Bogdandy, Winfried Brugger (†), Rolf Grawert, Johannes Kunisch (†), Oliver Lepsius, Christoph Möllers, Fritz Ossenbühl, Walter Pauly, Helmut Quaritsch (†), Barbara Stollberg-Rilinger, Uwe Volkmann, Andreas Voßkuhle, Rainer Wahl
Heft 23
Verfassung und Völkerrecht in der Verfassungsgeschichte: Interdependenzen zwischen internationaler Ordnung und Verfassungsordnung Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte in Wien vom 24. bis 26. Februar 2014
Für die Vereinigung herausgegeben von
Gabriele Schneider Thomas Simon
Duncker & Humblot · Berlin
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Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: BGZ Druckzentrum GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-6828 ISBN 978-3-428-14786-1 (Print) ISBN 978-3-428-54786-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-84786-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Georg Schmidt Der Westfälische Frieden – Ein multilateraler Reichsgrundgesetzvertrag? . . . . . Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Thomas Fröschl Staatenbund und Völkerrecht in der Gründungsphase der Vereinigten Staaten: Die Verfassungsordnung der Articles of Confederation, 1776 – 1789 . . . . . . . . . Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Reinhard Stauber Innerstaatliche Ordnung und internationales System auf dem Wiener Kongress 1814/15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Benedikt Stuchtey Freiheit und Gesetz. Über Völkerrecht und Verfassung im Britischen Empire . . 115 Jochen von Bernstorff Innen und Außen in der Staats- und Völkerrechtswissenschaft des deutschen Kaiserreiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Aussprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Schlussdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Verzeichnis der Redner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Vereinigung für Verfassungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Verzeichnis der Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183
Vorbemerkung Gegenstand der Tagung/der Aufsätze dieses Bandes sind die „Interdependenzen zwischen internationaler Ordnung und Verfassungsordnung“: Wie wirkten sich die Konstellationen und Rahmenbedingungen der internationalen Ordnung und des Völkerrechts auf die Verfassungsstrukturen der daran beteiligten Staaten aus und wie wird dies im Staats- und Völkerrecht der jeweiligen Zeit diskutiert? Die Beiträge setzen ein mit dem Westfälischen Frieden als einem multilateralen Friedens- und Reichsverfassungsvertrag (Georg Schmidt), der – zum Reichsgrundgesetz erhoben – zu einem formellen Bestandteil der Reichsverfassung wird. Insbesondere durch die darin enthaltenen Garantieklauseln, durch die Frankreich und Schweden zu Garanten der in dem Vertragswerk festgeklopften „teutschen Libertät“ der Reichsstände gemacht werden, wird die „Interdependenz zwischen der Ordnung des Reiches und derjenigen Europas augenfällig“. Allerdings relativiert Schmidt die Vorstellung einer durch den Westfälischen Frieden bewirkten „internationalen oder völkerrechtlichen Einbettung des Reichs“, denn in diesem Vertragswerk sei es doch in erster Linie um die Verhinderung einer habsburgischen Universalmonarchie in Mitteleuropa, nicht aber um eine europäische Gesamtordnung gegangen. Demgegenüber schildert Thomas Fröschl, wie sich Krieg und Frieden im ersten „weltumspannenden Krieg“ der Geschichte auf den inneramerikanischen Verfassungs-, insbesondere den Föderalismusdiskurs ausgewirkt haben. Dieser „erste Weltkrieg“ hatte sich seit 1778 aus dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg entwickelt; damals hatte sich Frankreich mit den dreizehn amerikanischen „Staaten“, die sich zwei Jahre zuvor für unabhängig erklärt hatten, gegen England verbündet. Fröschl zeigt, wie dieser Krieg die sich vom Mutterland ablösenden Kolonien zunächst zu einer gleichwohl noch lockeren „Konföderation“ zusammenführt, in der die zentrifugalen Kräfte dann aber noch deutlich zunehmen, kaum dass der gemeinsame Feind überwunden und der Pariser Friede mit England 1783/84 abgeschlossen ist. Die „Konföderation“ der amerikanischen Staaten von 1776 zeigt dann allerdings infolgedessen so unübersehbare Mängel, dass sich sehr rasch ein grundlegender Verfassungsdiskurs über die Frage erhebt, ob nicht doch eine stärkere Integration der dreizehn Staaten zu einem Bundesstaat unumgänglich sei. Der Wiener Kongress mit seinen vielfältigen Implikationen für die Verfassungsentwicklung nicht nur der deutschen Staaten im 19. Jahrhundert steht im Mittelpunkt des Beitrages von Reinhard Stauber. In seinem Beitrag beschreibt er die vielfältigen „Zusammenhänge zwischen den interstaatlichen Aspekten der Neuordnung des europäischen Systems“, wie sie durch die fünf Hauptakteure des Wiener Kongresses vorgenommen wurde, einerseits und „der politischen Ordnung der Einzelstaaten“
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Vorbemerkung
im Inneren andererseits: Die Instituierung „Kongresspolens“ als eines mit Russland lediglich in Personalunion verbundenen, administrativ aber eigenständigen Königreiches, die Neugründung der Niederlande auf neuer verfassungsrechtlicher Grundlage als einer (konstitutionellen) Monarchie, die „Neukonstitution der Schweizerischen Eidgenossenschaft“ und die bourbonische Restauration und zugleich Vereinheitlichung des „Königreichs beider Sizilien“ sind ebenso ein direktes Ergebnis der auf dem Kongress seitens der „Fünf Mächte“ vorgenommenen Neuordnung Europas wie die Begründung des Deutschen Bundes und die damit verbundenen Vorgaben für die innerstaatliche Verfassungsordnung von dessen Mitgliedstaaten. Stärker diskursanalytisch und wissenschaftsgeschichtlich ausgerichtet sind die Beiträge von Benedikt Stuchtey und Jochen von Bernstorff. Ersterer geht in seinem Aufsatz (Freiheit und Gesetz. Über Völkerrecht und Verfassung im Britischen Empire) der Frage nach, „wie das viktorianische England Einflüsse ,von außen‘ auf seine Verfassung integrierte“. „Außen“ meint bei ihm vor allem die englischen „Siedlerkolonien“ in Nordamerika, Australien und Neuseeland sowie (mit Einschränkung) Südafrika. Diese Räume sind ihm zufolge für die englischen Diskurse über das „Verhältnis von Völkerrecht und Verfassung“ im 19. Jahrhundert von zentraler Bedeutung. Dabei geht es entscheidend um das „Spannungsverhältnis“ zwischen Liberalismus und imperialistischem Staat: Wie lassen sich die innenpolitischen Postulate des Liberalismus, der Ruf nach „Freiheit“, Rechtsstaatlichkeit und politischen Partizipationsmöglichkeiten zumindest für die ökonomisch arrivierten und gebildeten Schichten mit einem imperialen Eroberungs- und Kolonisierungsprogramm in Einklang bringen, das die Unterworfenen von all’ diesen Errungenschaften ausschließt? Stuchtey zeigt die Vorstellungen und Topoi im „whiggistischen“ Weltbild, auf deren Grundlage sich „die Grenzen der politischen Partizipation und die damit verbundene Exklusion der Unterschichten im Inneren „mit der angeblichen Unfähigkeit zur Übernahme politischer Verantwortung durch koloniale Untertanen“ – jedenfalls außerhalb der Siedlerkolonien – „parallelisieren“ ließen: Was für die sozial Deklassierten im Inneren des „Mutterlandes“ galt, musste erst recht für die „Wilden“, von der Zivilisationsmission des weißen Mannes noch nicht Beglückten in den Kolonien gelten: Sie erfüllen weder intellektuell noch charakterlich die Voraussetzungen zur Wahrnehmung derjenigen politischen Rechte und Partizipationsmöglichkeiten, deren Ausweitung der Liberalismus für die Gentry zu erkämpfen suchte. Solche Vorstellungen geben Stuchtey zufolge auch den Hintergrund für die Herausbildung des Völkerrechts im Laufe des 19. Jahrhunderts ab: Es war dies – so Stuchtey – „keine vornehmlich binnen-europäische Angelegenheit“, die dann „in den außereuropäischen Raum transportiert wurde“, sondern sollte „als eine Antwort auf die Asymmetrien der Expansion verstanden werden“. „Innen und Außen“ ist auch das Thema des Beitrages Jochen von Bernstorffs (Innen und Außen in der Staats- und Völkerrechtswissenschaft des Deutschen Kaiserreiches): Die strikte „Trennung von Innen und Außen“, so seine These, „ist eine wirkungsmächtige Erfindung“ der deutschen Staats und Völkerrechtswissenschaft, die nur im Kontext der deutschen Nationalstaatsgründung zu verstehen sei. Denn
Vorbemerkung
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wollte man die Staatlichkeit des neugegründeten Norddeutschen Bundes und dann des Deutschen Reiches erweisen, dann musste man den Gründungsvorgang rechtlich als „Umwandlung eines gleichberechtigten Außenverhältnisses in ein hierarchisches Innenverhältnis zwischen Bund und Gliedstaaten“ deuten. Die „Wesensverwandlung“ einer völkerrechtlichen in eine staatsrechtliche Ordnung plausibel zu begründen, gestaltete sich allerdings außerordentlich schwierig. Es sind jedenfalls diese Diskussionen, die Bernstorff zufolge zu einer zunehmend schärfer konturierten Abgrenzung zwischen Völkerrecht und nationalem Recht führten. Das nahezu Paradoxe daran ist, dass diese verschärfte Abgrenzung zwischen „Innen und Außen“ in gerade einer Epoche stattfindet, in der die „Verflechtungen zwischen Völkerrecht und Landesrecht“ infolge ökonomischer Globalisierungsprozesse „quantitativ und qualitativ zunehmen“, sodass sich eigentlich Innen und Außen „in der Rechtspraxis immer schwieriger kategorial scheiden“ ließ. Der vorliegende Band enthält die Vorträge, die vom 24. bis 26. Februar 2014 im Juridicum in Wien gehalten, für den Druck überarbeitet und mit Fußnoten versehen wurden. Abgedruckt werden auch die mitgeschnittenen Aussprachen zu den einzelnen Vorträgen sowie die Schlussdiskussion. Der Beitrag von Benedikt Stuchtey konnte krankheitsbedingt nicht auf der Tagung vorgetragen und daher auch nicht diskutiert werden. Wir danken den Autoren für die gute Zusammenarbeit bei der Drucklegung dieses Bandes. Ein besonderer Dank geht an Herrn Mag. Johannes Kalwoda, der nicht nur die „Tontechnik“ bei den Aufnahmen der Diskussionen während der Tagung in Wien, sondern im Wesentlichen auch die Organisation der gesamten Tagung besorgt hat. Wien, im September 2015
Die Herausgeber
Der Westfälische Frieden – Ein multilateraler Reichsgrundgesetzvertrag? Von Georg Schmidt, Jena Die Gesandten des Kaisers, der Kronen Schwedens und Frankreichs unterzeichneten am 24. Oktober 1648 zusammen mit denjenigen von 15 Reichsständen den Westfälischen Friedensvertrag. Damit beendeten sie den Dreißigjährigen Krieg1 – auch für ihre Verbündeten und Anhänger, die aber weder unterschrieben noch ratifizierten (Art. XVII §§ 10 und 11 IPO; § 120 IPM).2 Die namentlich genannten selbständigen und halbautonomen Mächte wie die Fürsten und Städte Italiens oder die Herzöge von Savoyen und Lothringen3 schlossen untereinander keinen Frieden, durften jedoch wegen ihrer Unterstützung der Kriegsparteien nicht mehr belangt werden (§ 119 IPM).4 Die komplizierten Regelungen waren nötig geworden, weil statt des angestrebten europäischen Friedens in Osnabrück und Münster nur ein solcher für das Reich ausgehandelt worden war. Da der Vertrag aber auch die Sicherheitsinteressen Frankreichs, Schwedens und anderer Länder berührte, wurde er gegen Revisionsversuche zusätzlich abgesichert. Der zum Reichsgrundgesetz erklärte Frieden besaß so eine europäische Dimension, obwohl der Hegemonialkrieg zwischen Spanien und Frankreich auch auf Reichsgebiet weiterging. Die ganze Unsicherheit über dieses hybride Vertragswerk zeigt die Behandlung der Reichsstände. Sie waren als Mitunterzeichner Vertragsparteien, wurden aber zusätzlich wie auch die Reichsritter und die Hansestädte als Verbündete des Kaisers und der schwedischen Krone aufgeführt.
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Peter H. Wilson, Europe’s Tragedy. A History of the Thirty Years War, London u. a. 2009; Christoph Kampmann, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, Stuttgart 2008; Georg Schmidt, Der Dreißigjährige Krieg, 8. Aufl., München 2010. 2 IPO = Instrumentum Pacis Osnabrugense; IPM = Instrumentum Pacis Monasteriense. Text leicht zugänglich: Arno Buschmann (Hrsg.), Kaiser und Reich. Klassische Texte und Dokumente zur Verfassungsgeschichte des Hl. Römischen Reiches Deutscher Nation, München 1984, S. 289. 3 Heinhard Steiger, Der westfälische Frieden – Grundgesetz für Europa?, in: ders., Von der Staatengesellschaft zur Weltrepublik. Aufsätze zur Geschichte des Völkerrechts aus vierzig Jahren, Baden-Baden 2009, S. 383 (397). 4 Meinhard Schröder, Der Westfälische Friede – eine Epochengrenze in der Völkerrechtsentwicklung?, in: ders. (Hrsg.), 350 Jahre Westfälischer Friede, Berlin 1999, S. 119 (126).
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Der Vertrag wollte so der Doppelrolle der Reichsstände gerecht werden, die einerseits zusammen mit dem Kaiser konstitutiver Teil des Reichs-Staates, andererseits halbautonome, mit Frankreich oder Schweden verbündete Obrigkeiten und wenigstens eingeschränkt handlungsfähige Völkerrechtssubjekte waren (Art. 1 IPO/§ 1 IPM). Diese Konstruktion führte notgedrungen zu systematischen Widersprüchen. Reichsritter und Hansestädte waren keine Reichsstände. Erhielten auch sie 1648 das „ius belli ac pacis“? Als Vertragsparteien waren die Reichsstände zur Sicherung des Friedens notfalls mit Gewalt verpflichtet. Um ihre eigenen Rechte und Ansprüche im Reich zu wahren, durften sie aber keine Gewalt anwenden (Art. XVII §§ 6 und 7 IPO). Das Reich selbst wird im Friedensvertrag nicht als politischer Akteur genannt, weil die beiden auswärtigen Kronen erklärten, sich mit ihm, dessen Freiheit sie schützen wollten, nicht im Krieg zu befinden.5 Für Heinhard Steiger ergibt sich daraus, dass die Reichsstände „mit dem Kaiser den Vertragspartner der einen Seite bildeten“ und es insgesamt nur drei Vertragsparteien gegeben habe.6 Damit hätten sich die Friedens- gegenüber den Kriegsfronten verschoben. Tatsächlich unterstützten in Osnabrück protestantische Reichsstände kaiserliche Vorstellungen, während sie im parallelen Kriegsgeschehen eher auf der Seite seiner Gegner standen. Der Friedensvertrag lässt sich daher wohl am besten als ein von Kaiser und Reichsständen mit den beiden fremden Kronen ausgehandeltes und garantiertes multilaterales Reichsgrundgesetz verstehen. Ob es wirklich die „unauflösbare Einheit“ und gegenseitige Durchdringung von „europäischem Völkerrecht und Reichsverfassungsrecht“ symbolisiert, sei dahingestellt.7 Den Akteuren lagen solche staatsrechtlichen Systematisierungen fern. Sie suchten nach pragmatischen Lösungen für uneindeutige Verhältnisse und fanden Kompromisse, die alle Beteiligten ihr Gesicht wahren ließen. Der Vertrag programmierte allerdings neuen Streit – beispielsweise über die Zugehörigkeit des Elsass (§ 73 IPM) oder die aus der Garantieklausel (Art. XVII § 6 IPO) abzuleitenden Rechte. Massiv kritisiert wurde der Frieden jedoch erst im 19. Jahrhundert, als der Gedanke des souveränen und geschlossenen Nationalstaates das Staats- und Völkerrecht prägte.
I. Was wurde warum beschlossen? Die weisungsgebundenen Delegierten vereinbarten „immerwährendes Vergessen und Amnestie“ sowie einen „christlichen, allgemeinen und immerwährenden“ Frie5 Johann Gottfried von Meiern (Hrsg.), Acta pacis Westphalicae publica, Tl. 1, Hannover 1734, S. 184 f. und 188 f., S. 193 und passim. Vgl. Steiger, Das ius belli ac pacis des Alten Reiches zwischen 1645 und 1801, in: ders., (Fn. 3), S. 599 (617). 6 Vgl. Steiger (Fn. 3), S. 392. 7 Heinhard Steiger, Konkreter Friede und allgemeine Ordnung – Zur rechtlichen Bedeutung der Verträge vom 24. 10. 1648, in: Klaus Bußmann/Heinz Schilling (Hrsg.), 1648 Krieg und Frieden in Europa, 1. Bd., Münster 1998, S. 437 (438). Vgl. auch ders. (Fn. 3), S. 425.
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den. Er sollte „treue Nachbarschaft“ und „echte Freundschaft“ begründen (Art. 1 und 2 IPO).8 Neben solch allgemeinen Verfahrensweisen und Hoffnungen finden sich die materiellen Regelungen, die Friedensschlüsse kennzeichnen: Entschädigungen, Restitutionen, Abtretungen, Belehnungen, Besatzungsrechte und Sicherheitsleistungen. Der Frieden wurde von den vertragsschließenden Parteien einzeln und kollektiv garantiert und sollte als ewiges Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation wie alle anderen leges et constitutiones fundamentales imperii dem nächsten Reichsabschied und der nächsten Wahlkapitulation einverleibt werden (Art. XVII §§ 1 u. 2 IPO). Dies geschah.9 Aus den „Kriegs-Consortes“ wurden daher 1648 „Friedens-Consortes“10, die dem Reich eine neue Grundordnung gaben und unter bestimmten Bedingungen Interventionsrechte besaßen. Die Garantieklausel (Art. XVII § 6 IPO) legte fest, dass erst, wenn alle gütlichen oder rechtlichen Bemühungen innerhalb von drei Jahren erfolglos geblieben waren, der Beschädigte sich an „omnes huius transactionis consortes“, also an alle vertragsschließenden Parteien, wenden durfte. Diese waren dann verpflichtet, ihm notfalls mit Gewalt zu seinem Recht zu verhelfen (Art. XVII § 6 IPO). Die Bestimmung ist wohl so zu verstehen – und wurde entsprechend gedeutet –, dass die Garanten ein Ersuchen abwarten mussten und ihre Hilfe nicht aufdrängen durften. Inhaltlich gab es allerdings so gut wie keine Einschränkungen, denn fast alle Konflikte ließen sich als Fragen des Reichsgrundgesetzes deuten. Angesprochen werden durfte jeder Vertragspartner, also der Kaiser, die Reichsstände, Frankreich und Schweden.11 Die Interventionspflicht galt aber nur für die im Friedensvertrag angesprochenen Dinge und damit nur für das Reich. Untereinander standen die Garantiemächte „in statu naturali“, d. h. niemand besaß Vorrechte, jeder entschied für sich.12 Einvernehmlich hätten demnach Kaiser und Reichsstände das neue Reichsgrundgesetz durchaus ändern können. Dass dabei die Interessen der auswärtigen Kronen verletzt wurden, war unwahrscheinlich, denn Schweden besaß Sitz und Stimme auf dem Reichstag (Art. X § 9 IPO). Es hätte nur opponieren müssen.
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Vgl. Georg Schmidt, Westfälischer Frieden, in: Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 2006, Sp. 2692 – 2697. 9 Johann Jacob Schmauß, Corpus Juris Publici […] enthaltend des Heil Röm. Reichs deutscher Nation Grund-Gesetze […], Leipzig 1794, S. 958; Bernd Matthias Kremer, Der Westfälische Frieden in der Deutung der Aufklärung. Zur Entwicklung des Verfassungsverständnisses im Hl. Röm. Reich Deutscher Nation vom Konfessionellen Zeitalter bis ins späte 18. Jahrhundert, Tübingen 1989, S. 42. 10 Johann Jacob Moser, Von der Garantie des Westphaelischen Fridens, o. O. 1767, S. 47. 11 Vgl. Johann Jacob Moser, Von Teutschland und dessen Staatsverfassung überhaupt, Stuttgart 1766 (= NtSR 1), S. 452 ff. Vgl. ausführlich zur Garantieklausel aus französischer Sicht: Guido Braun, Die französische Diplomatie und das Problem der Friedenssicherung auf dem Westfälischen Friedenskongress, in: ders. (Hrsg.), Assecuratio pacis. Französische Konzeptionen von Friedenssicherung und Friedensgarantie 1648 – 1815, Münster 2011, S. 67 (99). – Zu den Diskussionen, ob die Reichsstände Friedensgaranten waren: ebd., S. 107. 12 Moser (Fn. 10), S. 60.
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Der Westfälische Frieden war trotz dieser multilateralen Bindungen kein völkerrechtlicher Verfassungsvertrag, denn er bestätigte und modifizierte lediglich den Reichs-Staat der deutschen Nation, schuf jedoch keine neue überstaatliche Grundordnung. Das Reich gab es nach wie vor 1648 quasi doppelt: Der Reichs-Staat, ein höchst komplexes Gefüge komplementärer Mehrebenenstaatlichkeit, das sich auf dem Reichstag konkretisierte, umfasste die vom und für das Reich zu mobilisierenden deutschen und österreichischen Kerngebiete. Das Lehensreich erstreckte sich darüber hinaus auf weite Teile Oberitaliens, des alten Burgunds und – dies ist in der Forschung umstritten – auf das Königreich Böhmen. Die Reichsstände, die mit dem Kaiser die Reichspolitik aushandelten, interessierten sich jedoch nur noch wenig für die Belange des Lehensreiches. Für die Habsburger bildete es hingegen eine Basis ihrer Herrschaft in Italien oder in den Niederlanden. Der vertraglich konstituierte Reichs-Staat, eine Art deutsches Restreich, hatte als Friedens- und Rechtsgemeinschaft im 16. Jahrhundert feste Konturen gewonnen. Richelieus Einschätzung einer Reichs-Republik mit autonomen Reichsständen, die über das Bündnisrecht verfügten und den Kaiser wählten, kam der Wirklichkeit recht nahe.13 Wie selbständig der Kaiser bzw. ein Reichsstand in diesem Mehrebenenstaat einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen handeln durfte, blieb eine Frage der Macht und des internen Aushandelns. Der reichsrechtliche Rahmen war gerade mit Blick auf Bündnisse mit auswärtigen Mächten variabel und nicht für alle gleich. Kaiser und Reichsstände verzichteten normalerweise auf absolute Loyalitätsforderungen und eindeutige Zuordnungen. Im Dreißigjährigen Krieg intervenierten Dänemark, Schweden und Frankreich, weil sie sich durch die Angriffe auf die deutsche Freiheit und die reichsständische Autonomie selbst bedroht fühlten.14 Wenn der Kaiser den Reichs-Staat monarchisch beherrschte, drohte die Universalmonarchie in Gestalt einer habsburgischen Hegemonie über Europa. Dass neben dem Kaiser auch die Kronen Frankreichs und Schwedens die Reichsverfassung garantierten, war die logische Folge ihrer Angst vor einer habsburgischen Dominanz. Der Westfälische Verfassungsgeber annullierte mit dem Restitutionsedikt und dem Prager Frieden ausdrücklich die Ordnungen, die zur Basis eines monarchisch regierten Reiches hätten werden können (Art. XVII § 3 IPO). Dabei ist es letztlich gleichgültig, ob Wien solche Absichten hegte oder nicht. Die auswärtigen Kronen und viele deutsche Reichsstände waren davon überzeugt und suchten nach Vorkehrungen. Sie wollten zurück zum status quo ante bellum. Die gemeinsame Verantwortung für das Reich basierte auf dem Prinzip, dass Herrschaft durch Herrschaft ermöglicht und kontrolliert wurde. Da dies sowohl die reichständische als auch die reichische Staatlichkeit betraf, entstanden für die Untertanen Freiräume wie die Eigen13
Braun (Fn. 11), S. 76 f. Vgl. Heinhard Steiger, Frieden und Religion in der Völkerrechtspraxis um 1600 oder die Geburt des europäischen Völkerrechts, in: Christoph Schmelz (Hrsg.), Völkerrecht und Außenpolitik Schwedens und des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im 17. und 18. Jahrhundert, Hamburg 2011, S. 9. 14
Der Westfälische Frieden – Ein multilateraler Reichsgrundgesetzvertrag?
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tums-, Mobilitäts- und Rechtsweggarantien oder die bedingte Glaubensfreiheit, die es andernorts in dieser Form nicht gab. Das Reichsgrundgesetz entwickelte zudem den Religionsfrieden 1648 in Richtung auf mehr Rechte für die Untertanen fort. Das ius reformandi galt nur noch in den habsburgischen Erblanden, weil der Kaiserhof ansonsten dem Frieden nicht zugestimmt hätte. Des Weiteren mussten alle Christen, die sich zu einer der drei im Reich anerkannten Konfessionen bekannten, „mit Nachsicht geduldet“ werden und durften in „vollständiger Gewissensfreiheit“ ihre Hausandacht halten. Angehörige der Bekenntnisse, die am 1. Januar 1624 in den jeweiligen Territorien nicht geduldet worden waren, konnten unter Wahrung einer Frist von drei bzw. fünf Jahren und ohne Verletzung ihres persönlichen Status und ihrer Eigentumsrechte ausgewiesen werden. Sie durften nicht kriminalisiert oder diskriminiert und nicht aus Gesellschaften wie Zünften, Erbengemeinschaften, Spitälern oder auch von öffentlichen Begräbnissen ausgeschlossen werden. Sie konnten die Kirchen in anderen Territorien ungehindert besuchen und ihre Kinder dort zur Schule schicken. Ihnen mussten Zeugnisse der Geburt und Abkunft, ihres Berufes und unbescholtenen Lebenswandels ausgestellt werden. Ihren Besitz durften die Betroffenen veräußern oder durch Verwalter bewirtschaften lassen. Zur Aufsicht über ihr Vermögen, zur Führung von Prozessen oder zur Eintreibung von Schulden konnten sie jederzeit und ohne besondere Erlaubnis in ihre Heimat zurückkehren (Art. V §§ 31 – 37 IPO). Eine solche Fülle an normierten und verfassungsrechtlich abgesicherten Freiheitsrechten gab es um die Mitte des 17. Jahrhunderts nicht einmal in den europäischen Republiken. Ihre Beachtung stand nicht im Belieben einzelner Reichsstände, sondern wurde von „Kaiser und Reich“ sowie von Schweden und Frankreich garantiert. Damit unterschieden sich diese Freiheitsrechte grundlegend von der Freiheit, die fürstliche oder staatliche Souveräne gewährten und jederzeit widerrufen konnten, oder die dort entstand, wo die Gesetze schwiegen. Die Reichsstände hatten unter Assistenz schwedischer und französischer Delegierter mit den kaiserlichen Gesandten das neue Grundgesetz für das Reich ausgehandelt.15 Es war nicht oktroyiert, sondern selbst gegeben. Art. VIII IPO definierte den Status der Reichsstände. Er bestätigte ihnen alle alten Rechte und Privilegien, sicherte die Landeshoheit und das Bündnisrecht unter dem Vorbehalt reichsfreundlichen Verhaltens sowie das uneingeschränkte Stimmrecht in allen Reichsangelegenheiten. Im Unterschied hierzu wurden die iura reservata des Kaisers und dessen Befugnisse im Zusammenspiel mit den Reichsständen nicht eigens normiert. Das Herkommen blieb in Kraft: Der Kaiser verlor keine Rechte. Er konnte von den Reichsständen zu nichts gezwungen werden. Deswegen prägten das Aushandeln von Kompromissen und die in Religionsfragen vorgeschriebene „amicabilis compositio“ die
15 Gabriele Haug-Moritz, Die Friedenskongresse von Münster/Osnabrück (1643 – 1648) und Wien (1814/15) als „deutsche“ Verfassungskongresse. Ein Vergleich in verfahrensgeschichtlicher Perspektive, Historisches Jahrbuch 124 (2004), S. 125 (168).
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Reichspolitik.16 Die latente Drohung mit der freundschaftlichen Vereinbarung sorgte dafür, dass Mehrheiten nicht exzessiv eingesetzt wurden. Die Reichsstände wollten das Reichsgrundgesetz Westfälischer Frieden, weil es endlich Frieden brachte und das „Nie wieder“ sicherer machte. Eine französische Eingabe forderte schon im Februar 1645, also noch vor der offiziellen Zulassung der Reichsstände, deren Zustimmung, weil der Kaiser alleine für das Reich nichts garantieren könne.17 Der schwedische Gesandte Johann Adler Salvius hatte diesen Zusammenhang bereits 1643 auf den Punkt gebracht, als er Kaiser Ferdinand III. vorwarf, die Majestätsrechte zu usurpieren: „Solches ist der rechte Weg zum absoluten Dominat und der Stände Servitut. Die Kronen werden solches pro posse hindern. Ihre Sekurität besteht in der deutschen Stände Libertät.“18 Im Januar 1646 erklärte die schwedische Gesandtschaft noch einmal, dass die „Nachbarn“ „ihres Staats Sicherheit auf des Römischen Reichs unperturbierten Statum und Aequilibrium fundirten“. Deswegen müssten sie dahin arbeiten, dass „der Status Imperii, welcher auf die Reichs-Constitutiones fundiret gewesen, in vorigen Stand gebracht werden möchte“.19 Schweden und Franzosen betonten mit der „deutschen Freiheit“ eine Leitvorstellung der politischen Rhetorik und das Verfassungsideal eines freien Reiches.20 Die im protestantischen Widerstand gegen Karl V. geborene Formel verwies auf eine gemischte Verfassung. Der strukturell nicht angriffsfähige und niemanden unterdrückende Reichs-Staat blieb eine Monarchie, doch in der Verfassungsrealität des Reiches war die Macht, als politischer Akteur zu handeln, zwischen dem gewählten Kaiser und den erbrechtlich legitimierten Ständen geteilt.21 Dieses Verfassungsgleichgewicht basierte auf unterschiedlichen Verträgen, die die Vorstellung eines freien, weder fremden Mächten noch dem eigenen Kaiser un16 Georg Schmidt, „Aushandeln“ oder „Anordnen“. Der komplementäre Reichs-Staat und seine Gesetze im 16. Jahrhundert, in: Maximilian Lanzinner/Arno Strohmeyer (Hrsg.), Der Reichstag 1486 – 1613. Kommunikation – Wahrnehmung – Öffentlichkeit, Göttingen 2006, S. 95. 17 Meiern (Fn. 5), Tl. 1, S. 360; Moser (Fn. 10), S. 5 f. 18 Zit. n. Fritz Dickmann, Der Westfälische Frieden, 6. Aufl., Münster 1992, S. 115. 19 Meiern (Fn. 5), Tl. 2, S. 186; ähnlich ebd., S. 317. 20 Georg Schmidt, Die Idee „deutsche Freiheit“. Eine Leitvorstellung der politischen Kultur des Alten Reiches, in: ders. u. a. (Hrsg.), Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400 – 1850), Frankfurt/ Main u. a. 2006, S. 159. 21 Karl Otmar von Aretin, The Old Reich: A Federation or Hierarchical System? in: R. J. W. Evans u. a. (Hrsg.), The Holy Roman Empire 1495 – 1806, Oxford 2011, S. 27; Joachim Whaley, Germany and the Holy Roman Empire, Vol. 1 und 2, Oxford 2012; Axel Gotthard, Das Alte Reich 1495 – 1806, Darmstadt 2003; Georg Schmidt, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495 – 1806, München 1999. Zur intensiven Diskussion um den Begriff „Reichs-Staat“: Matthias Schnettger (Hrsg.), Imperium Romanum – irregulare corpus – Teutscher Reichs-Staat. Das Alte Reich im Verständnis der Zeitgenossen und der Historiographie, Mainz 2002. – Zur Machtteilung prinzipiell: Alois Riklin, Machtteilung. Geschichte der Mischverfassung, Darmstadt 2006.
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terworfenen Reiches glaubhaft untermauerten. Um die monarchischen Rechte des Oberhauptes auszubauen, stützten sich die Habsburger Kaiser auf die katholischen Stände sowie die Hilfe der Spanier und des Papstes. Um solche Pläne zu blockieren, riefen die Protestanten den König von Frankreich und ihre europäischen Glaubensgenossen zu Hilfe. Die Präambel des Friedensvertrags verweist auf diese europaweiten Zusammenhänge: „Nachdem die vor vielen Jahren im Römischen Reich entstandenen Streitigkeiten und inneren Unruhen sich soweit ausgedehnt hatten, dass nicht nur Deutschland, sondern auch etliche benachbarte Königreiche, vornehmlich Schweden und Frankreich, dergestalt in Mitleidenschaft gezogen waren, dass ein langwieriger und erbitterter Krieg entstand […].“ (Präambel, IPO). Die Habsburger Kaiser erschienen im 17. Jahrhundert lange als Bedrohung des freien Reichs-Staates und der selbständigen Mächte Europas, die schon im Mittelalter mit dem „rex est imperator in regno suo“ die Idee einer universalen Einheit des Abendlandes hinter sich gelassen hatten. Der Siegeszug des Kaisers, der Ligaarmee und der Spanier hatte in den protestantischen Hauptstädten Europas die Alarmglocken schrillen lassen. Die große antihabsburgische Koalition kam jedoch auch unter der Führung Frankreichs nie zustande, weil ihre potentiellen Mitglieder nur die Angst vor der spanisch-österreichischen Übermacht einte. Die skandinavischen Königreiche rangen um die Vorherrschaft in der westlichen Ostsee. Die Generalstaaten kämpften für ihre Freiheit und Unabhängigkeit, in London agierten die katholischen Stuarts und das anglikanische Parlament mehr gegen- als miteinander und in Frankreich sorgten die Hugenotten und schließlich auch noch die Fronde für Unruhe. Der Herrschaftsraum der Habsburger in Wien und Madrid war ähnlich instabil: Portugal und Katalonien kämpften um ihre Unabhängigkeit und in Italien gab es Aufstände. Die Spanier konnten sich die langen Kriege an vielen Fronten eigentlich nicht mehr leisten. Die spanischen Instruktionen forderten einen universellen Frieden, um die allgemeine Ruhe in der Christenheit wiederherzustellen. Notfalls sollte ein Separatfrieden mit den Niederlanden geschlossen werden.22 Wegen des tiefen Misstrauens gegen Frankreich, das angeblich alle bisherigen Friedensverträge gebrochen hatte, wollte Spanien den allgemeinen Frieden nur unterzeichnen, wenn damit ein verpflichtendes System kollektiver Sicherheit verbunden war: Alle Vertragsparteien sollten sich deswegen miteinander verbünden.23 Da der Kaiser jedoch Frieden mit Frankreich schloss und die Nachschubwege am Oberrhein unter französische Kontrolle gerieten, verständigte sich Spanien mit den Generalstaaten auf den Frieden von Münster, der im Mai 1648 unterzeichnet wurde. Er machte die Republik der Niederlande zum souveränen Staat.24 22 Michael Rohrschneider, Sicherheitskonzeptionen in den spanischen Instruktionen zu den Friedenskongressen von Köln und Münster (1636 – 1645), in: Guido Braun/Arno Strohmeyer (Hrsg.), Frieden und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit, Münster 2013, S. 183 (192). 23 Rohrschneider (Fn. 22), S. 202. 24 Simon Groenveld, Der Friede von Münster als Abschluß einer progressiven Revolution in den Niederlanden, in: Bußmann/Schilling (Fn. 7), S. 123.
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Die Wiener Finanzen waren ähnlich zerrüttet. Die Aushandlungsprozesse endeten auch deswegen 1648 mit einer Lösung, die nicht Europa, aber wenigstens dem Reich einen stabilen Frieden brachte. Er wurde vor 1800 sehr geschätzt und von der Reichspublizistik häufig behandelt. Friedrich Schiller deutete ihn als das „interessanteste und charaktervollste Werk der menschlichen Weisheit und Leidenschaft“. Seines Erachtens hatte er Deutschland und Europa die politische Freiheit gebracht: dem Reich, weil der Kaiser das Mitregiment der Reichsstände anerkennen musste, und Europa, weil die Gefahr der Universalmonarchie gebannt schien.25 Schiller legte damit die Spur, die einerseits zur Abwertung des Friedens als Blockade des deutschen Nationalstaates, andererseits zur Überbetonung der Zäsur zwischen dem alten universalmonarchischen und dem neuen Staaten-Europa führte. Beide Sichtweisen basieren auf dem Gedanken einer nationalstaatlichen Abschließungssouveränität. Sie waren den pränationalstaatlichen Verhältnissen nicht angemessen, und sind es den tendenziell postnationalstaatlichen noch weniger. Die staatsrechtliche Unterscheidung zwischen Innen und Außen erscheint im Falle des Reichs willkürlich.
II. Was bedeutete die Garantieklausel für den Reichs-Staat? Die Garantieklausel machte eine gewisse Interdependenz zwischen der Ordnung des Reichs und derjenigen Europas augenfällig. Sie knüpfte an Richelieus Vorstellungen eines Systems kollektiver Sicherheit an. Die französische Delegation trat in Münster für eine pax universalis ein, einen Frieden in der Christenheit auf der Basis einer Pluralität von Staaten. Diese sollten sich auf eine Ordnung verständigen, um das habsburgische Übergewicht einzuhegen.26 Während der allgemeine Friede verfehlt wurde27, kamen die Sicherheitsgarantien den französischen Vorstellungen entgegen. Das Gleiche gilt für Schweden, das verhindern wollte, dass der Kaiser seine Macht bis an die südliche Ostseeküste ausdehnte. Seine Gesandten traten deswegen vehement für die deutsche Freiheit und für verbriefte Kontroll- und Mitherrschaftsrechte der Reichsstände ein. 25 Friedrich Schiller, Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, in: ders., Sämtliche Werke, Bd. 4, hrsg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert, 7. Aufl., München 1988, S. 363 (745). Georg Schmidt, Friedrich Schiller und seine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, in: Klaus Manger/Gottfried Willems (Hrsg.), Schiller im Gespräch der Wissenschaften, Heidelberg 2005, S. 79. 26 Christoph Kampmann, Der Ehrenvolle Friede als Friedenshindernis: Alte Fragen und neue Ergebnisse zur Mächtepolitik im Dreißigjährigen Krieg, in: Inken Schmidt-Voges u. a. (Hrsg.), Pax perpetua. Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit, München 2010, S. 141 (149 f.); Klaus Malettke, Frankreichs Reichspolitik zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens, in: Bußmann/Schilling (Fn. 7), S. 177; ders., Hegemonie – multipolares System – Gleichgewicht. Internationale Beziehungen 1648/ 1659 – 1713/1714, Paderborn u. a. 2012, S. 34 ff.; Braun (Fn. 11), S. 76 ff. 27 Kampmann (Fn. 26), S. 141.
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Um ihre Vorstellungen von einem nicht monarchisch regierten Reich zu untermauern, versuchte die französische Gesandtschaft, den Status der Reichsstände als „souverän“ begrifflich zu fixieren. Sie fand wenig Unterstützung. Die Bodinsche Formel hätte das Reich zum Staatenbund gemacht, was den Interdependenzen zwischen Kaiser und Reichsständen widersprochen hätte.28 Kurfürsten, Fürsten und Städte reklamierten dennoch ihre eigene, nicht vom Kaiser abgeleitete Obrigkeit bzw. Staatlichkeit. Das ius territoriale bestätigte und festigte ihr selbständiges Regiment (Art. VIII IPO), wurde aber durch die Loyalitätspflicht gegenüber Kaiser und Reich relativiert. Diese Regelung war unvereinbar mit allen Souveränitätskonstruktionen29 und machte die Reichsstände in ihrem Verhältnis zum Reichs-Staat nicht zu Völkerrechtssubjekten.30 Als Corpus neben und gegen den Kaiser spielten sie zudem auf europäischer Bühne praktisch keine Rolle. Die große Zeit einzelner Reichsstände auf internationalem Parkett kam erst, als diese im 18. Jahrhundert europäische Kronen trugen.31 Das Völkerrecht, das „ius inter gentes“, bot naturrechtliche und christlich fundierte Anregungen zur Ordnung der Verhältnisse, die über den Rechtsbereich autonomer Herrschaftseinheiten hinausgingen. Das vertraglich vereinbarte Recht zwischen Herrschern und Gemeinwesen32 ließ sich jedoch – weil es keine höhere weltliche Autorität gab – nur einvernehmlich sanktionieren. Es galt, solange sich alle Beteiligten daran gebunden fühlten, weil sie für sich einen Vorteil oder zumindest keinen Nachteil darin erblickten. Der Westfälische Frieden war insofern kein völkerrechtlicher, wohl aber ein multilateraler Verfassungsvertrag, dessen Verbindlichkeit durch die Sanktionsgewalt aller Vertragsparteien spürbar erhöht wurde. Das Reich hatte sich bei den in Form eines Reichstags geführten Beratungen seine Verfassung selbst gegeben, konnte und wollte aber nicht verhindern, dass diese Ordnung zusätzlich von den fremden Kronen gesichert wurde, die aber nur unter eng begrenzten Bedingungen Interventionsrechte erhielten. Der Gedanke, den Frieden kollektiv zu garantieren, entsprang dem großen gegenseitigen Misstrauen im zwischenstaatlichen Bereich und der geringen Bereitschaft,
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Stefan Oeter, Völkerrecht, in: Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 2006, Sp. 2648. Christoph Möllers, Souveränität, in: Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 2006, Sp. 2174. 30 Vgl. dagegen: Karl-Heinz Ziegler, Die Bedeutung des Westfälischen Friedens von 1648 für das europäische Völkerrecht, Archiv des Völkerrechts 37 (1999), S. 129 (139). 31 Steiger (Fn. 6), S. 581 – 598; Georg Schmidt, Wandel durch Vernunft. Deutsche Geschichte im 18. Jahrhundert, München 2009, S. 105 – 116. 32 Heinhard Steiger, Ius bändigt Mars, in: ders., Staatengesellschaft, S. 105 (123); Randall Lesaffer, War, Peace, Interstate Friendship and the Emergence of the ius publicum Europaeum, in: Ronald G. Asch u. a. (Hrsg.), Frieden und Krieg in der Neuzeit, Bd. 2: Die europäische Staatenordnung und die außereuropäsiche Welt, München 2001, S. 87 (88 f.). 29
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sich einem internationalen Gremium zu unterwerfen.33 Die im Aushandeln und Durchsetzen freiwilliger Regelungen erfahrenen Reichsstände drangen darauf, den Verpflichtungsgrad des Friedens durch Aufnahme in den Reichsabschied und in die kaiserliche Wahlkapitulation zu erhöhen. Eine solche Idee findet sich bereits in einer Instruktion des Heilbronner Bundes von 13. September 1633.34 Sie wurde bei den ersten Beratungen evangelischer Reichsstände im Oktober 1645 aufgegriffen. Im Januar 1646 forderten die evangelischen Stände: Der Friedensschluss müsse nicht nur eine „Pragmatica perpetuo valitura Sanctio im Reich“ sein, sondern auch als eine „freywillige ohngezwungene Pacificatio […] den Legibus Imperii Fundamentalibus einverleibt werden.“35 Im März und April wurde dann im Osnabrücker Fürstenrat ein Schriftsatz verlesen, der von der Überleitung des Friedensvertrages in ein ewiges Reichsgrundgesetz ausging.36 Zur „assecuratio pacis“ hatte Schweden im Juni 1645 einen Beistandspakt der beiden Kronen mit den Reichsständen zur Garantie des Friedens gefordert. Dadurch hätten sich die Reichsstände verpflichtet, im Fall des Falles gegen den eigenen Kaiser vorzugehen. Sie lehnten eine solche Klausel ab. Frankreich empfahl stattdessen eine kollektive Absicherung des Friedens unter Einschluss aller Beteiligten. Der Kaiser verlangte im Gegenzug, dass vor der Anrufung der Garanten alle internen Regelungsmechanismen ausgeschöpft werden müssten. Dafür sollte eine Frist von drei Jahren gesetzt werden.37 Die weiteren Verhandlungen drehten sich vor allem um die Einbeziehung der Reichsstände als selbständige Garanten. Der Kaiser lehnte dies ab bzw. forderte, dass sich dann auch die schwedischen und französischen Stände verpflichten müssten.38 Mit diesem Vorschlag blieb er allerdings alleine. Die französische Replik verwies auf den „status monarchicus“, der anders als im Reich sei.39 Zudem gelte das „mos gentium“, denn es handle sich um Friedensverhandlungen und keinen bloßen Reichstag.40 Den kaiserlichen Diplomaten gelang es jedoch, die Einheit des Reiches zu wahren. Die Reichsstände berieten in Osnabrück und Münster wie auf einem Reichstag, d. h. in drei Kurien, und sie übergaben ihre Gutachten nicht den Vertretern der auswärtigen Mächte sondern den kaiserlichen Gesandten.41 33
Vgl. Anja Victorine Hartmann, Rêveurs de Paix? Friedenspläne bei Crucé, Richelieu und Sully, Hamburg 1995, S. 102 ff. 34 Maria-Elisabeth Brunert, Friedenssicherung als Beratungsthema der protestantischen Reichsstände in der Anfangsphase des Westfälischen Friedenskongresses, in: Braun/Strohmeyer (Fn. 22), S. 229 (237). 35 Meiern (Fn. 5), Tl. 2, S. 206. 36 Brunert (Fn. 34), S. 247 und 257. 37 Dickmann (Fn. 18), S. 332 – 336. 38 Meiern (Fn. 5) Tl. 1, 360; ebd., Tl. 2, S. 198. 39 Moser (Fn. 10), S. 6. 40 Brunert (Fn. 34), S. 252 und 254; Whaley (Fn. 21), S. 630 f. 41 Meiern (Fn. 5), Bd. l. 1, S. 587 f. Vgl. Haug-Moritz (Fn. 15), S. 160.
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Der Kompromiss machte alle Vertragsparteien zu Garanten des Friedens und damit auch des Reichsgrundgesetzes – ein System kollektiver Sicherheit in Europa ergab sich daraus allerdings nicht.42 Der Reichs-Staat unterwarf sich freiwillig einer inner- und überstaatlichen Sicherung seiner Ordnung. Dies hat die Reichsverfassung geschützt, ohne Kaiser und Reich die Handlungsfreiheit zu nehmen. Johann Jacob Moser gebrauchte 1766 aus guten Gründen den Konjunktiv, als er davon abriet, die auswärtigen Garanten ins Reich zu ziehen, da „deren Einmischung in die Reichshändel allezeit üble Folgen nach sich ziehen dörfte“.43 Frankreich und Schweden wurden zwar als Garanten angerufen oder machten auch von sich aus ihre Rechte geltend, doch zum Krieg kam es deswegen nie. Moser sah den Sinn der Garantie sogar darin, dass diese Drohkulisse die streitenden Parteien zur Güte zwinge, damit „die Garants des Friedens ihnen [nicht, G.S.] als Friedbrecher behandlen und durch die Waffen zur Raison bringen“.44 Ganz davon abgesehen existierte ohnehin ein ebenfalls völkerrechtlich begründetes Interventionsrecht in fremde Staaten, wenn die dortigen Untertanen tyrannisch unterdrückt wurden oder die allgemeine Sicherheit und Ordnung gefährdet schien. Auch hier bedurfte es einer als legitim einzustufenden Bitte um Hilfe. Wie vieles im zwischenstaatlichen Recht war auch dieses Schutz- und Eingriffsrecht interpretationsfähig und wurde von vielen Verfechtern des Souveränitätsgedankens strikt abgelehnt.45 In der Frühen Neuzeit intervenierten Staaten in fremde Herrschaftsbereiche vor allem bei konfessionellen oder politischen Unruhen. Es lässt sich daher durchaus argumentieren, dass der Westfälische Frieden ein bestehendes Interventionsrecht lediglich normierte und einschränkte.46 Die Garantieklausel sollte ja in erster Linie verhindern, dass der Kaiser die Verfassung umstürzte und monarchisch regierte. Eine solche Konstellation fürchteten nicht nur die ausländischen Mächte, sondern auch die Reichsstände. Ihnen kam die Öffnung des Reichs-Staates durch die Garantieklausel sehr gelegen. Sie wurde kein Passepartout für Eingriffe Schwedens und Frankreichs in die Reichsangelegenheiten: „Denn dieses wäre allen Staats-Regeln entgegen, daß das Reich seine Rechte, und die gehörige Freyheit in derselben Ansehen, dem Arbitrio der Cron Frankreich hätte submittieren sollen oder wollen.“47 42
Dickmann (Fn. 18), S. 341 f. Moser (Fn. 11), S. 451. 44 Ebd., S. 455 – 469, Zitat S. 469. 45 Reinhard Stauber/Florian Kerschbaumer, Revolution, Restauration und Intervention. Beobachtungen zum Politikraum Europa während des Wiener Kongresses, in: Christoph Kampmann/Ulrich Niggemann (Hrsg.), Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm – Praxis – Repräsentation, Köln/Weimar/Wien 2013, S. 156. 46 Malettke, Hegemonie (Fn. 26), S. 50 f. 47 Christian Gottlieb Buder, Repertorium reale pragmatticum Iuris Publici feudalis Imperii Romano-Germanici […], Jena 1751, S. 765. Karl Otmar von Aretin, Das Alte Reich 1648 – 1806, Bd. 1: Föderalistische oder hierarchische Ordnung (1648 – 1684), Stuttgart 1993, S. 26; Kremer (Fn. 9), S. 45. 43
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Der Souveränitätsverlust wurde erst im 19. Jahrhundert unterstellt. Was vor 1800 mehr eine theoretische Option und Drohgebärde war, wurde unter der Leitidee des mächtigen und geschlossenen Nationalstaates zum die eigene Ohnmacht versinnbildlichenden Eingriffsrecht fremder Könige. Fritz Dickmann behauptete deswegen 1959 quasi ex negativo, dass der Friede die „Grundsätze der Souveränität und Gleichberechtigung“ bestätigt habe und so zum „Grundgesetz der neuen Staatengesellschaft“ geworden sei.48 Damit war der Bann gebrochen: Das Epochenereignis galt als Zäsur zwischen dem alten Streben nach einer Universalmonarchie und dem neuen modernen Staateneuropa.49 Selbst die bedenkenswerten Thesen Johannes Burkhardts vom Dreißigjährigen Krieg als Staatenbildungskrieg gipfeln in der Blockade universalmonarchischer Ambitionen durch die Anerkennung souveräner Staaten.50 Solche Zäsurvorstellungen blühen unter Politikwissenschaftlern, die mit dem „Westfälischen System“ ein 1648 angeblich auf der Basis von Souveränität und Gleichrangigkeit und der Tendenz zum Gleichgewicht begründetes Staateneuropa charakterisieren.51 Der Friedensvertrag regelte zwar die Entlassung der Eidgenossenschaft aus dem Reich oder die an Frankreich abgetretenen Gebiete im Sinne des Souveränitätsgedankens (Art. VI IPO/§§ 69 – 84 IPM), doch gerade die multilaterale Garantie der Reichsverfassung steht dem Souveränitätsprinzip undurchdringlicher staatlicher Grenzen prominent im Wege. 1648 scheint daher keine sinnvolle Zäsur für den Beginn einer europäischen Staatenbalance.52 Der Grundgesetzvertrag erschien erst unter der Ägide des Nationalstaates und eines darauf basierenden Völkerrechts als Diktat fremder Mächte und besonderer Tiefpunkt in der langen Geschichte des zum „Dekadenzmodell“ abgewerteten Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Der Frieden hatte demnach die staatliche Zersplitterung und Ohnmacht Deutschlands besiegelt, das Reich fremder Kontrolle unterworfen und seiner Freiheit beraubt. Diese Konstruktion wurde zum politischen Argument im damaligen Meinungsstreit: Deutschland musste stark und mächtig sein, um seine Stellung gegen alle Zumutungen seiner Gegner, insbesondere Frankreichs, behaupten und auch offensiv vertreten zu können. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg vergiftete die Analogie von Westfälischem und Versailler Frieden die Gemüter, nach dem Zweiten formte das „Nie wieder“ die Aufarbeitung. Diese 48
Dickmann (Fn. 18), S. 6. Berthold Grzywatz, Der Westfälische Frieden als Epochenereignis, Zeitschrift für Geschichte 50 (2002), S. 197 (210 ff.). 50 Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg, Frankfurt/ Main 1992; ders., Die entgipfelte Pyramide. Kriegsziel und Friedenskompromiß der europäischen Universalmächte, in: Bußmann/Schilling (Fn. 7), S. 51. 51 Vgl. Heinz Duchhardt, Westfälischer Friede und internationales System im Ancien Régime, in: HZ 249 (1989), S. 529. 52 Vgl. aufschlussreich Axel Gotthard, Der liebe und werthe Fried. Kriegskonzepte und Neutralitätsvorstellungen in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2014, S. 254 ff. und 268 ff. 49
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spezifische Erinnerung hallt in Dickmanns Darstellung nach. Dort findet sich im Fazit der dekuvrierende Satz: „Der Frieden bedeutete für unser Volk ein nationales Unglück“.53 Welches Unglück verband sich mit dem Frieden und dem Reichsgrundgesetz? Bis heute bildet das angebliche Abweichen des Reichs von der Norm des Nationalstaats die Grundlage der Meistererzählung eines deutschen Sonderwegs mit verspäteter Ankunft im Westen.54 Unter dem Eindruck der europäischen Einigung wurde aus dem deutschen Makel ein europäischer Gewinn. Böckenförde erklärte den Westfälischen Frieden zum „Grundgesetz der europäischen Völkerrechtsgemeinschaft“.55 Randelzhofer hatte kurz zuvor das Reich nach 1648 als völkerrechtlichen Verbund gedeutet und dessen Staatsqualität bezweifelt. Ihm folgte Ziegler, der 1999 den Westfälischen Frieden als einen völkerrechtlichen Vertrag des Kaisers mit den Reichsständen und dieser untereinander einstufte.56 Formal mag das Alte Reich aufgrund der Garantieklausel nicht souverän gewesen sein. Willoweit hebt deswegen die „völkerrechtlichen Bindungen“ der Friedensordnung hervor, „die auch wesentliche innerdeutsche Verhältnisse erfaßten und der souveränen Rechtsmacht des Reiches entzogen“.57 Was damit konkret gemeint ist, bleibt unklar. Sollte sich dies auf die Unveränderbarkeit des Reichsgrundgesetzes beziehen, so war dies eher ein Vorteil. Die französische Reunionspolitik oder die Angriffskriege Frankreichs und Schwedens in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatten mit der Garantieklausel nichts zu tun. Dies gilt auch für die sog. Rijswijker Klausel, eine beständige Quelle des Streites, die das Reich im 18. Jahrhundert lähmte. Die innerdeutschen Verhältnisse regelten Kaiser und Reichsstände dennoch selbst oder versuchten es wenigstens.
III. Wie europäisch war der Reichs-Staat? Die Verknüpfung der deutschen Verfassungsordnung mit der „fremden“ Garantie akzentuierte die Machtteilung in der Mitte Europas. Sie wurde 1648 als Gewinn, nicht als Verlust wahrgenommen. Als neuer Reichsstand bestimmte Schweden die Reichspolitik ohnehin mit. Blieb noch Frankreich, das traditionell auf Seiten der protestantischen oder bayerischen Gegner des Kaisers agierte. Die Zusammensetzung der Garantiemächte relativiert die Vorstellung einer internationalen oder völkerrechtlichen Einbettung des Reichs. Der Westfälische Frieden 53
Dickmann (Fn. 18), S. 494. Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, 7. Aufl., München 2010. 55 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der Westfälische Friede und das Bündnisrecht der Reichsstände, Der Staat 8 (1969), S. 449 (453). 56 So Albrecht Randelzhofer, Völkerrechtliche Aspekte des Heiligen Römischen Reiches nach 1648, 1967, S. 56; Ziegler (Fn. 30), S. 135. 57 Dietmar Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 6. Aufl., München 2009, S. 149. 54
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wurde in späteren Friedensverträgen auch nur dann rezipiert, wenn die vertragsschließenden Mächte von 1648 daran beteiligt waren.58 Er blieb – wie es der Nürnberger Exekutionsvertrag formulierte – „une paix universelle en Allemagne“.59 Die in Münster und Osnabrück verabredeten Verständigungen auf diplomatisch-zeremonielle Verfahren wurden allerdings schnell zum Gewohnheitsrecht: eine im freien Ermessen der Verhandlungspartner gefundene verpflichtende Bestimmung – ein Meilenstein für das „gewillkürte Völkerrecht“.60 Der Westfälische Frieden brachte aber keine europäische Gesamtlösung61 und formulierte auch keine normativen Bestimmungen für Europa. Genau genommen sagt er zu Europa gar nichts. Außerhalb des Reichs-Staates regelte er die Kriegsfolgen im Lehensreich. Dennoch besaß der Frieden Rückwirkungen auf andere Mächte: Der Vertrag wurde für die Republik der Eidgenossen zur völkerrechtlichen Urkunde ihrer souveränen Staatlichkeit, er legitimierte die Hoheit Frankreichs über Metz, Toul und Verdun sowie über die ehemals habsburgischen Besitzungen am Oberrhein. Er regelte Besitzansprüche in Oberitalien und im burgundischen Reichskreis und kreierte mit dem schwedischen König einen neuen Reichsstand. Die Veränderungen im Reichslehensgebiet tangierten den Kaiser, weniger die Reichsstände. Frankreich erhielt die südwestlich von Turin gelegene, strategisch wichtige, piemontesische Festung Pinerolo (§§ 70 – 72 IPM). 62 Damit der Streit zwischen den Herzögen von Savoyen und Mantua um Montferrat nicht wiederauflebte, wurde der am 6. April 1631 geschlossene Frieden von Cherasco bestätigt63 – ausgenommen die neu geregelte Verfügung über Pinerolo (§§ 92 – 94 IPM). Der Kaiser sollte den Herzog von Savoyen belehnen und der Reichstag alles bestätigen (§ 80 IPM). Damit sind alle Veränderungen genannt, die nicht den Reichs-Staat betrafen. Da der fortdauernde Krieg zwischen Frankreich und Spanien auch im burgundischen Reichskreis geführt wurde, verbot der Friedensvertrag dem Kaiser und den Reichsständen in diese Kämpfe im Reichsstaatsgebiet auf der einen oder der anderen Seite einzugreifen (§ 3 IPM). Diese notwendige, jedem Souveränitätsprinzip jedoch hohnsprechende Regelung verdeutlicht einmal mehr, wie wenig moderne staats- und völkerrechtliche Kategorien zum Verstehen des Westfälischen Friedens beitragen. Seine Bedeutung für Europa erschließt sich aus den Bedrohungsängsten und dem Gestaltungswillen der Akteure. Die fremden Mächte fochten weder für eine staatliche noch eine überstaatliche 58
Steiger (Fn. 3), S. 414. Zit. n. ebd., S. 409. 60 Steiger (Fn. 7), S. 442. 61 Vgl. Konrad Repgen, Die Hauptprobleme der Westfälischen Friedensverhandlungen von 1648 und ihre Lösungen, Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 62 (1999), S. 399 (407 f.). 62 Vgl. Robert Oresko/David Parrott, Reichsitalien im Dreißigjährigen Krieg, in: Bußmann/Schilling (Fn. 7), S. 141. 63 Vgl. Steiger, Völkerrecht versus Lehensrecht?, in: ders. (Fn. 3), S. 233 (245 ff.). 59
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Ordnung, sondern für oder gegen die Habsburger und die ihnen unterstellten universalmonarchischen, in der Praxis eher hegemonialen Ambitionen. Sie haben ihre Pflichten auch fast ausschließlich in diesem Sinn verstanden, was sich nicht zuletzt bei ihrer Reaktion auf die Annexion Kursachsens durch König Friedrich II. von Preußen zeigte.64 Dass die überstaatliche Garantie in ein Spannungsverhältnis zum „internen ,staatsrechtlichen‘ Friedens- und Rechtsschutz der Reichsverfassung“ getreten sei, scheint ein eher theoretisches Problem.65 Europa war im 17. Jahrhundert ein erst langsam in die politische Sprache und die Staatenwirklichkeit eindringender Begriff. Seit dem Spätmittelalter hatte diese Bezeichnung dazu gedient, die Abwehrgemeinschaft gegen die türkische Expansion zu inszenieren.66 Nun charakterisierte sie auch das Nebeneinander von Staaten und Herrschaften im christlichen Abendland, für das „Papst und Kaiser“ nur noch eine Orientierungsgröße unter vielen anderen war. Im Zuge der Konfessionalisierung sahen sich darüber hinaus die dynastisch zusammengehaltenen Reiche und Herrschaftsverbünde einem verstärkten Legitimations- und Sezessionsdruck ausgesetzt. Regenten und Stände stritten um die Macht. Als „völkerrechtlich“ zu klassifizierende Kategorien wie Souveränität, Krieg oder Rebellion, Innen oder Außen waren noch keine verbindlichen Unterscheidungsmerkmale. Neben den Kriegen gegen die Türken förderten diejenigen gegen Ludwig XIV. den Europagedanken und die Wahrnehmung eines zu gestaltenden Nebeneinanders von Königreichen, Republiken und Gemeinwesen mit gemischter Verfassung. Johann Jacob Moser nannte im 18. Jahrhundert die Idee einer europäischen Republik einen bloßen Gedanken und betonte das Staatenmisstrauen als die Konstante, welche die Beziehungen der souveränen und „halb-souveränen“ Mächte beherrsche.67
IV. Fazit Die staatliche Konstellation Europas deutet im 17. Jahrhundert eher auf Unfertigkeit, Unabgeschlossenheit und gegenseitiges Misstrauen, als auf ein wie auch immer geartetes System. Das Alte Reich bildete da keine Ausnahme. Es war Ziel des Begehrens, Projektionsfläche unterschiedlicher Hoffnungen und Ängste, aber auch ruhender Pol in einer unruhigen und kriegerischen Umgebung.
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Moser (Fn. 21), S. 462 ff. Martin Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter, 1983, S. 193. 66 Malettke (Fn. 46), S. 5. 67 Johann Jacob Moser, Erste Grundlehren des jezigen Europäischen Völcker-Rechts, Nürnberg 1778, S. 22, 31 und 19. 65
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Der Westfälische Frieden verminderte die Angst vor den Habsburgern.68 Der Kaiser wurde auf die Machtteilung im Reich verpflichtet und musste die legalen Interventionsmöglichkeiten der beiden Kronen beachten. Der Reichs-Staat hat davon profitiert, weil Kaiser Leopold I. es verstand, die kriegerischen Konstellationen zu seinen Gunsten zu nutzen. Während das Reich sich im Südosten gegen die Türken, im Westen gegen Frankreich und im Norden gegen Schweden verhältnismäßig gut behauptete, fand das Kaisertum als Beschützer der deutschen Freiheit zu neuer Stärke. Wenn Rousseau im 18. Jahrhundert glaubte, der Westfälische Frieden werde möglicherweise für immer die Grundlage des politischen Systems bleiben69, so meinte er das Reich als Stabilisierungsfaktor, „Widerlager und unsichtbares Fundament“ der europäischen Gleichgewichtsordnung.70 Wer Europa beherrschen wollte, musste den Reichs-Staat verändern. Napoleon hat dies erkannt. Der Deutsche Bund oder das Wilhelminische Kaiserreich konnten danach – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – die Funktion des stabilisierenden Puffers in der Mitte Europas nicht mehr erfüllen. Der klassische souveräne Nationalstaat ist inzwischen auf dem Rückzug. Freiwillig vereinbarte multilaterale Verträge haben die europäischen Staaten supranational geöffnet und ihre Souveränität disaggregiert.71 Souverän ist, wer international mitbestimmt, nicht wer sich abschließt und isoliert. Überstaatlich vereinbarte Regelungen durchdringen nationales Recht. Es gilt, Denkblockaden zu lösen. Der Westfälische Frieden bietet als multilateraler Verfassungsvertrag Einsichten in die Ausgestaltung und den Schutz von Mehrebenenstaatlichkeit und damit Erfahrungsmöglichkeiten. Prä- und postnationalstaatliche Ordnungen lassen sich in Beziehung setzen.
68 Georg Schmidt, Angst vor dem Kaiser? Die Habsburger, die Erblande und die deutsche Libertät im 17. Jahrhundert, in: Heinz Durchardt/Markus Schnettger (Hrsg.), Reichsständische Libertät und Habsburgisches Kaisertum, Mainz 1999, S. 329. 69 Zit. n. Kurt von Raumer, Ewiger Landfriede. Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance, Freiburg/München 1953, S. 352. 70 Steiger (Fn. 7), S. 438. Vgl. Bruno Bernardi, Das Konzept des Europäischen Gleichgewichts im Ius Gentium der Frühen Neuzeit. Eine begriffsgeschichtliche Skizze, in: Guido Braun (Hrsg.), Assecuratio pacis. Französische Konzeptionen von Friedenssicherung und Friedensgarantie 1648 – 1815, Münster 2011, S. 280 (S. 317). 71 Anne Marie Slaughter, A New World Order, Princeton/NJ u. a. 2004.
Aussprache Gesprächsleitung: Simon Simon: Vielen Dank, Herr Schmidt, für Ihren Vortrag. Dann wollen wir jetzt sehen, wie die Resonanz auf Ihre Provokationen aussieht und wir eröffnen die Fragen- und Diskussionsrunden. Ruppert: Herr Schmidt, unter dem Begriff des „Westfälischen Friedens“ verstehen wir ja eigentlich, wenn wir es so einfach dahinsagen und das ist jetzt auch ein Teil meiner Frage, zwei oder drei Verträge. Es gibt den Vertrag von Münster, es gibt den Vertrag von Osnabrück und es gibt natürlich auch den Vertrag zwischen Spanien und den Generalstaaten. Die Frage ist, was zählt man jetzt zum Westfälischen Frieden? Nur das IPM und das IPO? Oder nimmt man jetzt den Vertrag zwischen Spanien und den Generalstaaten hinzu? Und wenn man das tut, was man wohl in der deutschen Forschung so gut wie nie macht, wenn ich das richtig sehe, was bedeutet das denn für die völkerrechtlichen Aussagen zum Westfälischen Frieden? Wenn wir auch Spanien und die Generalstaaten dazuzählen. Und als zweites meine Frage: Sie haben uns jetzt den Westfälischen Frieden und seine Folgen vorgestellt, mich würde jetzt auch noch interessieren, wie ist er eigentlich in der völkerrechtlichen Dogmatik der Zeit und auch in der Folgezeit rezipiert worden? Was hat er da bedeutet? Hat er neue Institutionen im Völkerrecht geschaffen? Oder hat man ihn nur kommentiert? Schmidt: Vielen Dank, Herr Ruppert, für die Frage. Zum Ersten, ich habe am Anfang ausdrücklich gesagt, dass dieser Westfälische Frieden für mich nur den Dreißigjährigen Krieg beendet. Das heißt schlicht und einfach, dass ich nur das IPO und das IPM als integrale Bestandteile des Westfälischen Friedens ansehe. Mir scheint jede andere Zuschreibung auch wenig sinnvoll, denn im spanisch-niederländischen Vertrag werden eigentlich nur noch der Kaiser und die Reichsstände einmal genannt. Es gibt weder Garantiemächte noch irgendwelche mitbeteiligten verbündeten „Consortes“ oder was auch immer. Das heißt, wir haben schon von der rechtlichen Konstruktion her zwei unterschiedliche Verträge. Dass der spanisch-niederländische Vertrag im Westfälischen Frieden mitberücksichtigt werden musste, ergibt sich aus den Veränderungen des Kriegsgebietes. Der Friede von Münster ist ein eigenständiger Vertrag, der sicherlich aufgrund der Verhandlungen in Münster und in Osnabrück zustande gekommen ist. Aber mit dem, was wir normalerweise als Westfälischen Frieden bezeichnen, hat er zunächst einmal nichts zu tun. Die zweite Frage nach der völkerrechtlichen Dogmatik kann ich nicht beantworten. Da fehlt uns einfach Herr Steiger.
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Ich kenne natürlich seine Arbeiten. In der Praxis wird der Westfälische Frieden als Bestandteil späterer Verträge dann aufgegriffen, wenn die Vertragsbeteiligten identisch sind. Der Westfälische Frieden wird aber nicht allen späteren Friedensverträgen quasi als Präambel vorgesetzt. Auf ihn wird immer dann Bezug genommen, wenn man auch auf Regelungen von 1648 zurückgreift. Simon: Vielen Dank. Der nächste wäre dann Karl Härter. Härter: Vielen Dank, Herr Schmidt, für diesen wunderbaren Überblick und auch die Einführung in die Problematik der Interdependenzen zwischen einer, wenn man so sagen kann, inneren Verfassungsordnung und der internationalen, völkerrechtlichen Ebene. Sie haben zu Recht betont, dass der Westfälische Frieden keine Friedensordnung war, die dauerhaft Frieden in Europa geschaffen hätte. Etwas anders würde ich es aber bezüglich der Frage der Sicherheit und Sicherheitsordnungen sehen, die anknüpft an die Frage von Herrn Kollegen Ruppert zur eher längerfristigen Wirkung des Friedens im Hinblick auf die Verwobenheit von innerer Verfassungsordnung und internationaler Ebene. Diese besteht, wie Sie zu Recht betont habe, vor allem auch in der Garantie des Friedensvertrags, die die drei Garanten übernehmen. Das wäre auch schon die erste Frage: Was hat die Garantie eigentlich für den Kaiser bedeutet? Für Frankreich und Schweden können wir uns eine solche Bedeutung vorstellen, denn dazu haben wir auch Forschungen. Aber wie hat sie der Kaiser benutzt? War sie bloßes „ideologisches“ Argument, das er immer wieder gebraucht hat? Anders als bei Schweden und Frankreich, die die Garantie und das damit verbundene Interventionsrecht und das Recht, bei Verstößen Garanten anzurufen, nutzen konnten. Auch wenn man dies nicht oft getan hat, so war damit ein neues Instrument etabliert, das verschiedenen Akteuren Optionen eröffnet hat: Letztlich vor allem ein Interventionsrecht. Wenn einer der Beteiligten – ein Reichsstand oder eine andere europäische Macht – Verstöße auch gegen die Verfassungsordnung, wie sie im Friedensvertrag niedergelegt war, feststellte, konnte einer der Garanten angerufen werden und diese konnten damit Interventionen rechtfertigen. Ich denke, 1803 haben letztlich Frankreich und teilweise Schweden und sicher Russland mit diesem Instrument operiert und argumentiert, weil sie die innere Verfassungsordnung garantieren würden, dürften sie als international handelnde Mächte diese Verfassungsordnung auch mit verändern – eine Möglichkeit der Legitimation also. Und als Ausblick: Die völkerrechtliche Dogmatik hat die Frage erörtert, ob es auf internationaler Ebene möglich ist – mit einem Schiedsgericht oder militärischen Intervention –, eine innere Verfassungsordnung zu garantieren. Aus der Garantie ergibt sich folglich die Frage nach der langfristigen Wirkung, die mit der Wiederherstellung von (innerer und äußerer) Sicherheit zu tun hat. Schmidt: Herr Härter, vielen Dank für diese ausgesprochen komplexe und vielgestaltige Frage, die uns, glaube ich, aber auch weiterführt, weil sie die Positionen klären könnte. Der Kaiser hat durch diese Garantie so gut wie nichts gewonnen, denn er darf nicht in Frankreich oder in Schweden eingreifen. Das heißt, der Kaiser wird
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durch die beiden anderen Garantiemächte – und das ist deren erklärte Absicht – gebunden. Doch die drei Mächte treten ja erst auf den Plan, wenn das Reich unter sich nicht mehr einigungsfähig ist. Zudem müssten sich die drei ja irgendwie darüber verständigen, wie ihre Intervention in die Reichsordnung eigentlich aussehen sollte. Der Paradefall für ein solches Eingreifen ist natürlich der Angriff Friedrichs II. auf Kursachsen 1756. In diesem Augenblick verletzt eine Macht die Reichsordnung, die militärisch in der Lage ist, das Reich aus den Angeln zu heben. Und genau an dieser Stelle wird über Interventionen diskutiert. Nun hat sich aber vorher die Bündniskonstellation geändert: Frankreich ist ohnehin mit dem Kaiser verbündet und in Schweden wird über ein Eingreifen in Deutschland aufgrund der Garantieklausel diskutiert. Das Ergebnis ist, man müsste eingreifen. Dies sagt alles über diese Garantieklausel. Sie war eine wirkungsvolle Drohkulisse, ein letzter potentieller Rettungsanker für diejenigen, die sich übervorteilt fühlten. Aber selbst Frankreich hat sich gehütet, diese Karte wirklich zu spielen. Das gilt auch für den Siebenjährigen Krieg. Das Interventionsrecht der Herrscher oder Staaten ist grundsätzlich eine heikle Sache. Ich fühle mich jetzt ein bisschen in einer privilegierten Situation, weil ich letzten Samstag auf dem Kolloquium zu Ehren von Herrn Steigers 80. Geburtstag sein durfte, wo genau über diese Fragen diskutiert wurde. Deswegen habe ich auch noch zwei oder drei Sätze dazu in meinen Vortrag aufgenommen. Das stets umstrittene Recht der Souveräne auf Intervention in andere Staaten bezog sich auf den Fall der Tyrannei oder einer prinzipiellen Bedrohung der Ordnung einschließlich der noch nicht weiter definierten „Menschenrechte“. Das Interventionsrecht gestehen auch Grotius und Bodin fremden Souveränen zu. Unter diesem Blickwinkel scheint es, als seien im Westfälischen Friedensvertrag Dinge festgeschrieben worden, die geradezu verhindern sollten, dass die Souveräne ihr „freies“ Interventionsrecht in Anspruch nahmen. Denn mit den nunmehr drei im Reich anerkannten Konfessionen fällt der im 16. und frühen 17. Jahrhundert wichtigste Interventionsgrund im Reich weg. Auch die Bewahrung der gegenseitigen Machtkontrolle von Kaiser und Ständen wird festgeschrieben, denn das ist der wohl entscheidende Interventionsgrund der auswärtigen Mächte im Dreißigjährigen Krieg gewesen. Mit dem Grafen von X, der irgendwelche Dinge nicht ausführt oder Ansprüche gegen Y stellt, konnte das Reich auch selbst und alleine fertig werden – nicht aber mit dem Königreich Preußen oder Friedrich II., der Sachsen überfällt und damit den Ewigen Landfrieden bricht. Habe ich jetzt etwas vergessen? Herr Härter … ach ja, 1803! Entschuldigung. Das ist eine ganz besonders heikle Geschichte. 1803 war das Reich nicht einigungsfähig. Und 1803 haben wir natürlich schon die Situation, dass Napoleon in diesem Reich ein wichtiger Machtfaktor ist. Und Napoleon hat seine Ziele weiter verfolgt. Er hat auch Talleyrand erklärt, warum man die kleinen Reichsstände erst einmal beseitigen muss, wenn man das Reich zerstören will. Das ist noch 1806 beim Rheinbundvertrag dieselbe Diskussion. Talleyrand sagt, warum belässt man es nicht bei dem kleinräumigen Reich, das kann uns nicht gefährlich werden; Napoleon dagegen will halbgroße Mächte, die Frankreich entweder helfen oder besiegt werden. Es ist die politische Lage, die 1803 Entscheidungen erzwingt. Das Reich war, meines Erachtens, irgend-
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wann nach 1797 schlicht und einfach nicht mehr zu retten. Und 1803 ist ein sicherlich wichtiger Wendepunkt in Richtung auf das Ende. Schilling: Ich habe eine Frage, die sich auf Ihre Aussage über die Souveränität bezieht. Ich stimme Ihnen zu, dass wir telelogische Aufladungen vermeiden sollten und halte selbstverständlich auch nicht den souveränen Nationalstaat für das Ziel der geschichtlichen Entwicklung. Darüber sind wir uns absolut einig. Ich weiß nur nicht, ob man nicht doch etwas weit geht, wenn man für das 17. Jahrhundert sagt, die Souveränität spiele keine zentrale Rolle. Meine Frage könnte man mit Blick auf verschiedene Ebenen stellen. Einerseits im Hinblick auf die theoretische, juristische Diskussion der Zeit, in der intensiv um die Frage der Souveränität gerungen wurde. Man könnte aber durchaus auch der Frage nachgehen, wie Reichsstände, denen im Westfälischen Frieden die superioritas territorialis garantiert wurde, die damit aber doch keine Spieler auf der Bühne der europäischen Mächtepolitik waren, agiert haben. Nur jene Reichsstände, die Kronen erlangt haben, konnten mitspielen. Ging es da nicht auch um Souveränität? Die Eidgenossenschaft, die 1648 ihre Eigenständigkeit erlangte, betonte, wie Maissen gezeigt hat, dass sie eine souveräne Republik ist, und um dies noch zu unterstreichen, fügte sie sich auch noch das Adjektiv „absolut“ dazu. Offensichtlich war die Frage der Souveränität auch in der politischen Praxis doch nicht ganz so unwichtig. Aber vielleicht habe ich Sie nur falsch verstanden. Schmidt: Entschuldigen Sie, ich denke nicht, dass Sie mich falsch verstanden haben. Die Souveränität spielt zumindest für Frankreich eine große Rolle in diesen Diskussionen. Und Frankreich wollte auch, dass die Reichsstände im Friedensvertrag als souverän definiert werden sollten. Kaiser und Reichsstände waren sich jedoch einig, dass dieser Begriff nicht für das Reich passt: Obrigkeitsrechte, Hoheitsrechte, aber nie Souveränität. Dies gilt auch für die deutschen Verhältnisse im 17. und im 18. Jahrhundert. Dass nun deutsche Fürsten wie Souveräne agieren, hängt damit zusammen, dass sie Träger auswärtiger Kronen sind. Preußen mit Sachsen oder auch die Welfen sind nun ganz anders in Europa verwoben, als dies 1648 absehbar war. Hinsichtlich der Eidgenossenschaft ist noch manches unklar. Der Baseler Gesandte Wettstein setzt diese Souveränität für Basel und die Eidgenossenschaft durch. Er hat wohl nicht rückgefragt an irgendeine eidgenössische Tagsatzung, das hat sich 1648 so ergeben und die Eidgenossen waren damit auch, glaube ich, nicht ganz unzufrieden. Herr Maissen zeigt uns nun, dass die alten Lehnsbeziehungen zum Reich immer wieder aktiviert werden. Das heißt, die betreffenden Kantone suchen den Rückhalt am Kaiser und am Lehnsystem des Reiches, nicht an dem, was ich Reichs-Staat nenne, das politische System des Reichstags, Kaiser und Reich. All die Doppeladler, die uns Herr Maissen immer wieder und aus verschiedenen Kantonen vorführt, haben ihre Funktion in Bezug auf das Lehnsystem. Ansonsten fühlte sich die Schweiz nach 1648 unabhängig, wie die Niederlande. Westphal: Auch ich möchte ganz herzlich für diesen sehr präzise formulierten Vortrag danken. Ich würde gerne noch zwei Ergänzungen vornehmen und eine
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Frage stellen. Zum einem möchte ich darauf hinweisen, dass es sehr sinnvoll ist, die Vertragstexte noch einmal genau zu lesen. Einmal ist das Problem mit der Eidgenossenschaft hier schon angedeutet worden. Im entsprechenden Paragrafen heißt es, dass die Eidgenossenschaft aus den Reichspflichten entlassen wird. Da steht nichts von einer Souveränität oder einer Unabhängigkeit vom Reich. Sie wird aus den Reichspflichten entlassen, und das heißt, alle Lasten und Pflichten werden im Prinzip hier aufgehoben, aber die lehnsrechtlichen Bindungen bleiben erhalten. Heinhard Steiger hat im Prinzip 1998 Ähnliches auch schon für die Vereinigten Provinzen der Niederlande konstatiert. In keinem Vertragstext steht, dass die nördlichen Provinzen aus dem Reichsverband ausscheiden. Das ist tatsächlich weder im IPO noch im IPM formuliert. Es gibt keinen Vertrag zwischen den nördlichen Provinzen und dem Reich, worin die 13 Provinzen aus dem Reichsverband entlassen werden. Das wird in der Forschung eher als spätere Folge gesehen. Da verweise ich noch einmal auf das, was Steiger sehr vorsichtig formuliert hat, auch wenn die europäische Euphorie 1998 sehr groß war. Ich möchte gerne noch auf den Punkt des Sicherungssystems hinweisen und würde nicht so sehr aus der modernen Perspektive argumentieren, sondern aus der traditionellen Perspektive des Ewigen Landfriedens. Es geht doch tatsächlich um die Wiederherstellung der alten Reichsverfassung. Sowohl die reichsrechtlichen Regelungen als auch das Reichsreligionsrecht knüpfen ja ganz bewusst an die älteren Traditionslinien an. Es wird der Ewige Landfrieden erneuert und dezidiert auch der Augsburger Religionsfrieden. Vor diesem Hintergrund frage ich mich tatsächlich, ob die Ähnlichkeiten zum Ewigen Landfrieden hier nicht ganz signifikant sind. Die Kronen sind dann nicht als auswärtige Mächte zu begreifen, sondern sie sind als Unterschreibende der Friedensinstrumente Teil des Sicherungssystems. Dann sollte man vielleicht gar nicht so sehr von den drei Signatarmächten als Garantiemächten sprechen, weil auch das Reich und die Reichsstände in dieses Sicherungssystem integriert waren. Und insofern kann daraus natürlich auch kein Eingriffsrecht der Kronen resultieren. Von daher ist die Sicherung des Friedens gar nicht so sehr ein europäisches Phänomen, sondern eher ein Reichsphänomen. Schmidt: Also, inhaltlich wird natürlich der Ewige Landfrieden nach diesem langen Krieg wiederhergestellt. Und er wird hergestellt für den Teil des Reiches, der politisch zusammenarbeiten will. Und zu diesem Teil des Reiches gehört eigentlich auch noch der burgundische Kreis. Dies aber führt zu Verwicklungen, denn der burgundische Kreis gehört zwar noch offiziell zum Reich – de facto aber eigentlich nicht mehr. Die Habsburger können diese Konstruktion so natürlich nicht bestätigen. Also, ich glaube, dass es gewisse Ähnlichkeiten zwischen dem Ewigen Landfrieden und dem Westfälischen Frieden gibt. Dennoch bleibt als Unterschied das, was uns hier vor allem interessiert, die sogenannte internationale Interdependenz. Ich habe Schweden seit 1648 für das Reich mitvereinnahmt. Dies sollte zeigen, dass eine zweite Garantiemacht Mitspieler im Reich ist. Bevor diese Garantieklausel überhaupt zum Tragen kommt, kann Schweden als Reichsstand im Reich schon in den normalen Reichsinstitutionen und Regelungsmechanismen tätig werden. Das gilt vor allem für die Reichskreise, wo nicht ganz unwichtig ist, wieviel Macht dort wirk-
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lich repräsentiert wird. Die dritte Garantiemacht ist aber nun einmal Frankreich und die hat mit diesem, ob Reichsstaat oder Reichssystem oder was auch immer, nichts zu tun. Sie kommt von außen, auch wenn sie traditionell interveniert hat. Nun aber ist es vor allem die Drohung mit der französischen Intervention, die Wirkung zeigt. Denken Sie zurück an den Fürstenaufstand 1551/52. Tatsächlich wurde dann aber möglichst verhindert, dass die französische Macht im Reich wirklich eingreifen konnte. Diese Tradition der Drohung und gleichzeitig der Verhinderung des Eingreifens wird jetzt in den international gebundenen Friedensvertrag eingebaut. Und dies ist etwas anderes als die bilaterale Absprache des Kurfürsten Moritz von Sachsen mit König Heinrich II. Insofern erfolgt 1648 schon etwas Neues, aber es knüpft an traditionelle Formen an, da würde ich Frau Westphal voll und ganz Recht geben. Höbelt: Ich wollte nur ganz kurz zurückkommen auf die Frage, Holländischer Friede und Westfälischer Friede. Realpolitisch gelagert ist ja der Holländische Friede total gegenläufig. Der Westfälische Friede gilt als die Niederlage des Kaisers, der Holländische Friede ist der Sieg der Spanier. Und der ist unmittelbar natürlich sehr viel erfolgreicher. Wenn Dickmann dann sagt, das nationale Unglück, ja das nationale Unglück, ist 1650 in Frankreich angesiedelt. Der Lothringer zieht zwei Jahre später in Paris ein. Was wollen sie denn noch mehr. Also, da ist der Holländische Friede, der die Spanier freisetzt, eigentlich wichtiger. Und an dieses realpolitische Argument möchte ich eine Frage anknüpfen: Souveränität, Interventionsrecht, das sind alles so Dinge, die amerikanische Kongressabgeordnete heute irgendwie umtreiben. Aber für den Kaiser damals ist eigentlich die entscheidende Frage Neutralität. Das ist der Punkt, den er den ganzen Krieg über versucht hat seinen Reichsständen auszureden, das sei völlig illegitim. Man kann ein Gegner sein, dann wird man geschlagen, wenn nicht, muss man den Kaiser als Reichsstand unterstützen. All die Verträge, die so langsam die Niederlage des Kaisers dokumentieren, sehen immer so aus, dass man mit Widerwillen die Neutralität des Einen oder Anderen zugesteht. Und jetzt wäre meine Frage daran anknüpfend: In späteren Auseinandersetzungen, gibt es da sozusagen Anknüpfungen? Ist Neutralität jetzt nach dem Westfälischen Frieden eher legitimiert, rechtlich möglich? Wie wird damit umgegangen? Und an die Neutralität schließt sich womöglich die andere Frage an: Durchmarschrecht, das ist wohl der größte Bruch mit modernen Vorstellungen von Souveränität. Bereits 1655 marschieren die Schweden durch Pommern. Und als die Brandenburger in Wien anfragen, sagen die Wiener: laissez passer. Nur ja nichts dagegen tun, das führt zu Verwicklungen. 1672, die Franzosen gegen die Niederlande, braucht es lange bis der Kaiser da reagiert und dann aus ganz anderen Gründen. Dieses Durchmarschrecht hängt natürlich auch zusammen mit den Geboten wie Werbung von Truppen, unter welchen Bedingungen darf man das, das ist ja sehr umstritten, noch in den Jahren danach. Gibt es da eine Linie, die noch einmal Anknüpfungen zeigt an 1648? Schmidt: Herr Höbelt, vielen Dank für diese Dinge, die Sie aus der Wiener Perspektive natürlich viel besser kennen als ich. Es gibt natürlich langfristige Entwicklungen hin zu einer Neutralitätsmöglichkeit. Inwiefern die unmittelbar mit 1648 in
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Verbindung zu bringen sind, da bin ich skeptisch. Es gibt diesen Gedanken der Neutralität und es gibt den Gedanken, dass Neutralität eigentlich in Konflikten, die alle betreffen und alle unmittelbar angehen, nicht denkbar ist. Der Ausweg besteht in der garantierten Neutralität wie in der Moderne, die dann auch geachtet wird. Das ist die Entwicklung, ob diese unmittelbar mit 1648 in Verbindung zu bringen ist, wage ich nicht zu sagen. Und Ihre Wertung, dass der Münsteraner Frieden wichtiger ist als der Westfälische Frieden, darüber habe ich überhaupt noch nicht nachgedacht. In der großen Perspektive und wenn man sieht, dass der Niedergang der spanischen Macht kurz nach dem Westfälischen Frieden beginnt, kann man schon sagen, dies ist ein wichtiger Ausgangspunkt des Niedergangs. Für den mitteleuropäischen Raum ist natürlich aber vor allem wichtig, dass endlich nach dreißig Jahren für dieses Gebiet ein Frieden geschlossen werden kann. Was das für die Randbereiche wie den Burgundischen Kreis bedeutet, wo der Krieg zunächst noch einmal gut zehn Jahre weitergeht, darüber wäre noch einmal gesondert nachzudenken. Die Konstruktion des Friedensvertrages – und dazu hätte ich gerne einmal etwas von den Völkerund Staatsrechtlern gehört –, was es eigentlich aus dieser Sicht bedeutet, dass in einem Teil eines Staates ein Krieg geführt wird zwischen zwei fremden Mächten, in den weder das Oberhaupt noch die mitregierenden Stände des betroffenen Staates eingreifen dürfen? Gibt es diese Konstruktion in einem anderen Vertrag auch noch einmal? Olechowski: Sie haben am Beginn ihres Vortrages dankenswerter Weise die Bedeutung des Westfälischen Friedens für Gesamteuropa ein wenig reduziert. Aber es blieb doch der Eindruck, dass der Westfälische Friede ein Wendepunkt sei, zumindest insofern, als er die Versuche der Habsburger, eine Hegemonie über das Reich zu begründen, beendet hat. Ich möchte dies jedoch ein wenig in Frage stellen, ob nicht der Westfälische Friede vielmehr nur eine Bestätigung dessen war, was sich schon längst im 16. Jahrhundert abgezeichnet hat? Ich nenne die Wahlkapitulationen, die Teilung der Habsburger in eine deutsche und eine spanische Linie und dann noch vor allem den Augsburger Religionsfrieden, sodass spätestens seit diesen Ereignissen eigentlich an eine Habsburgische Hegemonie nicht mehr zu denken war. Und wenn Sie mir einen zweiten Kritikpunkt erlauben, dann betrifft es das Schlusswort, wo Sie versucht haben, die Vorbildwirkung des Westfälischen Friedens für heute darzustellen. Ich bin skeptisch, wenn man alte Verfassungsmodelle, vor allem wenn sie auf einer nichtdemokratischen Grundlage beruhen, zum Vorbild für die Gegenwart nehmen will. Und ganz besonders beim Westfälischen Frieden, der ja von auswärtigen Mächten garantiert wurde. Was sollte das für uns bedeuten? Eine Europäische Union, die von den USA und China garantiert wird – da habe ich meine Zweifel. Schmidt: Darf ich auf den ersten Punkt kommen. Aber genau das war ja das Gefährliche. Die Habsburger Hegemonie stellte sich für Europa in der Frühen Neuzeit immer nur als eine Drohung und als eine Gefahr dar. Machtpolitisch war die Universalmonarchie oder Hegemonie nie Realität, nicht einmal bei Karl V. Dort haben sich jedoch die Muster entwickelt, die im Dreißigjährigen Krieg, vor allem gegen Kaiser
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Ferdinand II., nochmals aufgegriffen wurden. Bei ihm ist das Problem, dass er selber nicht mächtig genug ist. Aber er hat, und das wird ihm eben von den Europäern in der Wahrnehmung der anderen europäischen Mächte zum Verhängnis, er hat die spanische Macht geschlossen hinter sich. So scheint es jedenfalls aus der Sicht Frankreichs und dann auch Schwedens. Und diese Perspektive besitzt eine gewisse Realität, wenn man sieht, was sich an der Ostsee 1629/30 mit der Flottenpolitik abgespielt hat usw. Das ist die Gefahr, dass noch einmal jemand so mächtig wird und mit dem Titel Kaiser und mit der spanischen Macht Europa unter seine Hegemonie zwingt. Dies ist der Grund, weswegen die auswärtigen Mächte in diesen Dreißigjährigen Krieg eingegriffen haben. Dagegen rangiert die Religionsfrage auch bei den Schweden ganz weit hinten. Es geht um diese politischen Motive. Und diese werden im Westfälischen Frieden geblockt. Aber in der Tendenz haben Sie Recht. Karl V. und alle seine Nachfolger hatten keine Chance mehr, so etwas wie eine Hegemonie in Europa durchzusetzen. Meines Erachtens hat Ludwig XIV. das gar nicht versucht. Napoleon wäre da ein besserer Zeuge, aber auf ihn kommen wir ja im Laufe der Tagung noch zu sprechen. Die Wirkung für heute? Ich hoffe nicht, dass ich gesagt habe, dass der Westfälische Frieden ein Modell für heutige Konfliktregelungen in Europa oder anderswo in der Welt sein kann. Ich sprach davon, dass er ein Erfahrungsraum sein könnte, den man nutzen sollte, weil man doch in politologischen Studien immer wieder liest, dass die Europäische Union etwas ganz Einmaliges und Erstmaliges sei und überhaupt keine vergleichbaren Möglichkeiten eines freiwilligen Zusammenschlusses von solchen Staaten existiere. Es gibt ihn meines Erachtens und man sollte diesen Erfahrungsraum nutzen, um zu sehen, wie Herrschaft durch Herrschaft kontrolliert wurde. Und bitte, in der Europäischen Union sind das auch Herrschaftsmächte, nämlich die jeweiligen Regierungen der Länder, die in Brüssel darüber bestimmen, was dort passiert. Ich habe mich gefragt, was heißt denn das für Europa. Soll die stärkste Macht die Sicherheit des Ganzen garantieren? Soll eine weitere Macht und eine dritte von außerhalb einbezogen werden? Das kann nicht das Modell sein. Darum ging es mir nicht. Es geht mir um die Mechanismen in solchen politischen Systemen, die nicht mit einem Herrschaftsbereich identisch sind. Wie kann man sie regulieren ohne das Prinzip der Freiwilligkeit und der vertraglichen Vereinbarungen überzustrapazieren. Heun: Herr Schmidt, Sie haben sich eingangs Ihres Referates gegen die These gewendet, dass der Westfälische Frieden die Grundlage einer neuen Völkerrechtsordnung gewesen sei. Sie haben das auch als Ursprungsmythos bezeichnet und etwas in Zweifel gezogen. Ich möchte da aber doch noch einmal ein Fragezeichen setzen und ich meine, dass Sie sich dadurch in gewisser Weise in Widerspruch zu Ihrer eigenen Hauptthese setzen. Und zwar, der These nämlich, dass mit dem Westfälischen Frieden die Idee einer Universalmonarchie endgültig – und zwar auch rechtlich – begraben worden ist. Und das ist doch genau der Zusammenhang. Gerade deswegen, weil diese Idee damit rechtlich zu Grabe getragen wird, können wir sagen, hier liegt die
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rechtliche Anerkennung dessen, dass wir von einer Gleichheit der Staaten im Prinzip ausgehen müssen. Und deswegen ist der Westfälische Frieden durchaus die Grundlage einer neuen Ordnung. Und deswegen wird es in den Völkerrechtshistorien ja auch allgemein als Westfälisches System besprochen. Der Grund ist ja nicht der, dass jetzt nicht alle Staaten Europas an diesen Vertrag beteiligt waren, sondern, dass dies die Grundlage der Idee der Gleichheit der Staaten ist. Und das ist nun auch die Grundlage für die weitere Ordnung bis zur Gegenwart. Und insofern sehe ich in Ihrer These, dass die Universalmonarchie endgültig rechtlich beendet wird, eigentlich eher die Bejahung der anderen These, die Sie am Anfang verneint haben. Schmidt: Vielen Dank, Herr Heun. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie das so lesen. Aber ich möchte doch Bedenken anmelden, dass wir von einer Gleichheit der Staaten in der Form reden, in der wir das normalerweise tun. Also, wenn ich mir die Verträge anschaue oder wenn ich mir anschaue, was in Europa bis zum Westfälischen Frieden und danach gilt, sehe ich die staatliche Gleichheit nicht. Es tut mir leid, ich sehe Hegemonialordnungen, auch regionale Hegemonialordnungen, ich sehe keine Gleichheit der Staaten, die von Politologen und vor allem von denjenigen, die sich mit internationalen Beziehungen beschäftigen, immer wieder angeführt wird. Ich sehe das auch nach 1648 nicht und ich könnte Ihnen das an vielen Beispielen zeigen. Denken Sie an die Interventionen Ludwigs XIV. Denken Sie auch an den schwedischen Krieg im Reich und Sie werden feststellen, dass dort die Anerkennung von irgendwelcher Gleichheit oder Gleichrangigkeit von Staaten absolut keine Rolle spielte. Und ich glaube, das ist eine dieser Schimären, die wir irgendwie in unseren Gedankengängen einmal hinein bekommen haben und seitdem auch für die Zeit vor 1800 verteidigen. Und glücklicherweise kann ich für das Geschehen nach 1800 diese kritischen Fragen an Sie und andere richten. Hamza: Zunächst möchte ich mich hier herzlichst bedanken für die äußerst bereichernden und neuen Ausführungen von Herrn Kollegen Schmidt. Meine Frage bezieht sich auf ein Problem terminologischer Art, terminologischer Natur. Wenn ich mich nicht täusche, gerade in der Zeit – eigentlich unmittelbar nach dem Abschluss des Westfälischen Friedensvertrages – tauchte ein neuer Terminus technicus für Völkerrechte auf, auf Latein: und zwar nicht ius inter gentes, wie das früher eben der Fall gewesen ist? Übrigens gleichermaßen verhält es sich auch bei Gentili. Und wir sind, wenn ich mich nicht täusche, gerade im Jahre 1652. Also, vier Jahre nach dem Abschluss des Westfälischen Friedensvertrages. Ist es dem reinen Zufall zuzuschreiben oder lässt sich das auf eine mögliche Wirkung, auf einen möglichen Einfluss dieses äußerst wichtigen, auch auf europäischer Ebene wichtigen Vertragswerkes zurückführen? Und noch eine zweite, ganz kleine Frage, obwohl ja diese Frage mehrmals in der Diskussion angeschnitten worden ist: die Souveränität. Das Vertragswerk von Münster und Osnabrück hat die Doktrin in den verschiedenen Staaten, insbesondere in Frankreich – wir sind jetzt Jahrzehnte nach dem Erscheinen des fundamentalen Werkes von Jean Bodin „Les six livres de la République“ – aber auch in
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anderen Ländern, wie in Schweden, auch in den Niederlanden, wo es schon Universitäten gab, aber auch in der Schweiz, in Basel gab es schon eine Universität, also ganz kurz, hat die Doktrin, die Lehre, in Bezug auf das Völkerrecht oder ius inter gentes, ius gentium, den Westfälische Frieden irgendwie beeinflusst? Danke. Schmidt: Herr Hamza, vielen Dank für die Frage. Den ersten Teil ius inter gentes kann ich nicht bearbeiten. Ich möchte mich auch nicht angesichts der Spezialisten hier aufs Glatteis begeben. Ich werde eine Anfrage an Herrn Steiger stellen. Meines Erachtens ist der Begriff um 1650 da, aber ob das etwas mit dem Westfälischen Frieden zu tun hat, da bin ich schlicht und einfach überfragt. Die Souveränitätsdoktrin ist eine Doktrin die im 17. Jahrhundert sehr wohl – das ist ja auch die Frage von Herrn Schilling gewesen – eine Rolle spielt und die auch in den einschlägigen Lehrbüchern, nicht unbedingt nur zum Völkerrecht, sondern auch zum Staatsrecht diskutiert wird. Das heißt noch nicht, dass sie überall akzeptiert ist, aber in der Dogmatik ist sie durchaus vorhanden. Also, ich kenne das auch für das Reich: Mit diesen Begriffen wird gespielt, nur zum Schluss werden sie verworfen. Und darüber ist sich die Reichspublizistik ziemlich einig: Die Reichsstände sind nicht souverän. Das Reich, Kaiser und Reich insgesamt, haben einen der Souveränität ähnlichen Status, aber weder der Kaiser alleine, auch wenn er für das Reich redet, noch das Corpus der Reichsstände sind souverän. Hinsichtlich des Weiteren bin ich, das muss ich ehrlich gestehen, überfragt. Simon: Ich glaube, es sind keine weiteren Fragen mehr. Dann geht mein Dank noch einmal an Sie, Herr Schmidt, für den Vortrag und für Ihre Antworten und an die Diskutanten und Fragesteller.
Staatenbund und Völkerrecht in der Gründungsphase der Vereinigten Staaten: Die Verfassungsordnung der Articles of Confederation, 1776 – 1789 Von Thomas Fröschl, Wien
I. Vorbemerkung Die Geschichte der amerikanischen Staatsentstehung1 seit 1776 zeigt eine enge Verflechtung sowie ein bemerkenswertes Ineinandergreifen alteuropäisch-frühneuzeitlicher und moderner, in die Zukunft weisender Elemente – wenn damals etwa Parteien im heutigen Verständnis nicht vorgesehen waren, oder wenn in der Tradition des alteuropäischen Republikanismus vor Faktionen und Parteiungen als staatsgefährdend gewarnt wurde.2 Zugleich jedoch wurde das fundamentale Prinzip der Volksherrschaft verankert, d. h. die (demokratische) Überzeugung, dass alle Staatsgewalt vom Volk kommen müsse und von dort ihre letzte Legitimität ableite; nicht zu Unrecht schätzte Leopold von Ranke deshalb die amerikanische Revolution als noch bedeutender ein als die französische.3 Und doch – neben allen optimistischen Deklamationen über künftige Größe und Bedeutung – war die Gründungsphase der Vereinigten Staaten von einer heute kaum noch erinnerten tiefen Skepsis begleitet, ob das neue Experiment mangels historisch beglaubigter Erfahrungen überleben werde, oder ob die republikanische Staatsform auf kontinentalem Raum langfristig werde bestehen können. Deshalb erscheint es auch im Zusammenhang einer Beschäftigung mit der Gründungsgeschichte der USA nicht unangemessen, an Selbstverständlichkeiten der his1 Grundlegend: Robert Middlekauff, The Glorious Cause. The American Revolution, 1763 – 1789, 2. Aufl., Oxford/New York 2005; Gordon S. Wood, Empire of Liberty. A History of the Early Republic, 1789 – 1815, Oxford/New York 2009. – Vgl. auch die in Fn. 77 genannten Darstellungen sowie Hermann Wellenreuther/Claudia Schnurmann (Hrsg.), Die Amerikanische Verfassung und Deutsch-Amerikanisches Verfassungsdenken, New York/Oxford 1991. 2 So etwa George Washington in seiner Farewell-Address von 1796, in: George Washington, Writings, hrsg. John Rhodehamel, New York 1997, S. 962 – 977. 3 Leopold von Ranke, Über die Epochen der Neueren Geschichte (1854), in: Theodor Schieder (Hrsg.), Leopold von Ranke. Aus Werk und Nachlass, Bd. II, München/Wien 1971, S. 417.
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torischen Reflexion im Hinblick auf die Offenheit jeder Vergangenheit auf die Zukunft zu erinnern. Golo Mann hat 1979 im Kontext weitergehender Überlegungen darüber geschrieben: „Für die Lebenden war die Zukunft nie entschieden, sie wussten durchaus nicht, was kommen würde […] Der erzählende Historiker kann […] von außen, als ein ohne eigenes Verdienst besser Wissender an vergangene Menschenwelten herantreten und […] im Strom vergangenen Lebens schwimmen, so, als gehörte er dazu und wüsste er nicht, was, im Vergangenen, demnächst sein wird.“4
Diese offene Zukunft bezog sich damals in Nordamerika nicht nur auf den Ausgang des Krieges mit dem britischen Mutterland – denn es war keineswegs von Anfang an sicher, dass die Amerikaner aus dieser Auseinandersetzung siegreich hervorgehen würden –, sondern ebenso auf die Frage nach dem Überleben einer politischen Ordnung, die vor dem Hintergrund unterschiedlicher historischer Erfahrungen der einzelnen Kolonien zwar nur eine föderale sein konnte, deren Fortbestand auf Dauer jedoch ebenfalls ungewiss war. Mit den Articles of Confederation wurde ein Föderativverband für dreizehn frühere britische Kolonien in Nordamerika5 begründet, der in der allgemeinen Erinnerung ebenso wie in der historischen Forschung bis heute im Schatten der Bundesverfassung von 1787 steht.6 Im Zusammenhang mit dem Pariser Frieden von 1783, der den Unabhängigkeitskrieg beendete, ist analog zu den Articles festzuhalten, dass auch der historisch-politische Kontext dieses Vertrages weitgehend vergessen ist. Das hat wesentlich damit zu tun, dass der bilaterale Friedensvertrag zwischen den USA und dem früheren Mutterland den aus heutiger Sicht zwar bedeutendsten, aber nur einen Teil des Gesamtpakets von vier Friedensverträgen ausmachte, die Großbritannien mit Frankreich, Spanien, den USA und den Niederlanden verhandelt und unterzeichnet hatte.7 Nach dem Ende des Krieges hatte Frankreich die Einbindung Großbritanniens in eine neue Friedensordnung im Zeichen des Gleichgewichts angestrebt; dieses weitsichtige und zukunftsweisende außenpolitische Konzept 4
Golo Mann, Wissen und Trauer. Historische Porträts und Skizzen, Leipzig 1991, S. 232 – 243 (239). 5 Großbritannien hatte damals 26 Kolonien in Nordamerika und der Karibik; nur 13 davon erklärten ihre Unabhängigkeit. Vgl. Andrew Jackson O’Shaughnessy, An Empire Divided. The American Revolution and the British Caribbean, Philadelphia 2000. 6 Donald S. Lutz, The Articles of Confederation as the Background to the Federal Republic, Publius: The Journal of Federalism 20 (1990), S. 55 – 70. 7 Ein Beispiel ist Lawrence S. Kaplan, The Treaty of Paris, 1783: A Historiographical Challenge, The International History Review 5, 1983, S. 431 – 442, wo der größere Kontext der Friedensverträge (von Versailles und Paris) nicht vorkommt. Die weltumspannende Dimension dieses Friedens war für die Zeitgenossen ganz selbstverständlich; vgl. etwa Guillaume Thomas Raynal, Considérations sur la Paix de 1783. Envoyées par l’Abbé Raynal au Prince Fréderic-Henri de Prusse. Qui lui avoit demandé ce qu’il pensoit de cette Paix, Berlin 1783. – Die Verträge zwischen Großbritannien und Frankreich sowie Spanien wurden am 3. 9. 1783 in Versailles unterzeichnet, die beiden Verträge Großbritanniens mit den USA (am 3. 9. 1783) sowie mit den Niederlanden (am 20. 5. 1784) wurden dagegen in Paris unterschrieben.
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(Grand design) scheiterte im Kern jedoch bereits vier Jahre später und wurde mit dem Beginn der Französischen Revolution 1789 obsolet.
II. Die Unabhängigkeitserklärung und die Articles of Confederation (1776 – 1778) Zahlreiche ungelöste Probleme und unübersehbare Schwierigkeiten der politischen Ordnung sowie der föderativen Organisation der USA bis zum Ende des Bürgerkrieges 1865 hatten ihren Ursprung in einer folgenschweren Ambivalenz des Gründungsaktes der Declaration of Independence von 1776.8 In der heutigen Wahrnehmung der Wirkung dieses Dokuments wird über dem in historischer Langzeitperspektive fundamental wichtigen Gleichheitsversprechen (All men are created equal) ein anderes, für die Geschichte der USA nicht weniger bestimmendes und belastendes Grundproblem zu wenig beachtet: Die Erklärung vom 4. Juli 1776 postuliert nämlich zunächst ein amerikanisches Volk im Unterschied zum britischen („When […] it becomes necessary for one people to dissolve the political bands which have connected them with another, […]“),9 doch gleichzeitig tritt dieses (amerikanische) Volk nicht im Rahmen eines Gesamtstaates in die Geschichte ein, sondern von Anfang an in dreizehn Einzelstaaten als politischen Einheiten. Am Ende der Declaration heisst es daher folgerichtig, „[…] that these United Colonies […] ought to be Free and Independent States, […]. And that as Free and Independent states, they have full power to levy War, conclude Peace, contract Alliances, establish Commerce, and do all other Acts and Things which Independent States may of right do.“
Das dem Gründungakt somit inhärente politisch-staatsrechtliche Spannungsverhältnis zwischen Einzelstaaten und Föderation/Union10 bestimmte entscheidend die 8 Der endgültige Text der Erklärung, der Text-Entwurf sowie die Aufzeichnungen Jeffersons in seiner Autobiography über die Debatten zur Declaration in: Thomas Jefferson, Writings, hrsg. von Merrill D. Peterson, New York 1984, S. 13 – 24. – Garry Wills, Inventing America: Jefferson’s Declaration of Independence, Garden City, 1978; David Armitage, The Declaration of Independence and International Law, The William and Mary Quarterly, Third Series 59 (2002), S. 39 – 64; Thomas Fröschl, Die Declaration of Independence in Europa, 1776 – 1815 (http://www.ieg-ego.eu/froeschlt-2014-de). 9 Im Text-Entwurf des Redaktionskomitees war zunächst auch von einem dritten Volk die Rede, den afrikanischen Sklaven („a distant people“), doch wurde dieser Passus im endgültigen Text gestrichen; vgl. Jefferson, Writings (Fn. 8), S. 22. – Die Indigenen Nordamerikas gehören nicht zum „amerikanischen Volk“ und waren Teil der als unabhängig angesehenen „Indian Nations“. 10 Zur Begrifflichkeit vgl. Thomas Fröschl, Confoederationes, Uniones, Ligae, Bünde. Versuch einer Begriffsklärung für Staatenverbindungen der frühen Neuzeit in Europa und Nordamerika, in: Thomas Fröschl (Hrsg.), Föderationsmodelle und Unionsstrukturen. Über Staatenverbindungen in der frühen Neuzeit vom 15. zum 18. Jahrhundert, Wien/München 1994, S. 21 – 44.
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Geschichte der USA bis zum Bürgerkrieg (der bezeichnenderweise für die Südstaaten ein War between the States gewesen ist!). Nahezu alle Diskussionen um die Rechte der Einzelstaaten gegenüber der Zentralregierung (etwa die State-Rights-Debatten oder die Frage der Nullification)11 lassen sich auf diesen Grundwiderspruch von 1776 (ein Volk in dreizehn Staaten!) zurückführen. Dass sich erst nach dem Ende des Bürgerkrieges die Bezeichnung „Vereinigte Staaten“ im Singular durchgesetzt hat – The United States is anstelle der älteren Bezeichnung The United States are – ist dafür nur ein Beleg unter vielen. Eine aufschlussreiche Illustration der genannten Grundspannung bietet die Erklärung der Sezession des Staates South Carolina vom 24. Dezember 1860 (South Carolina Declaration of Causes of Secession)12 ; die Trennung von der Union wird genau erklärt und begründet, und das Verlassen der USA wird mit den expliziten Hinweisen auf die Declaration of Independence und die Articles of Confederation legitimiert. In der Erklärung ist zu lesen: „In pursuance of this Declaration of Independence [1776], each of the thirteen States proceeded to exercise its separate sovereignty; adopted for itself a Constitution, and appointed officers for the administration of government in all its departments — Legislative, Executive and Judicial. For purposes of defense, they united their arms and their counsels; and, in 1778, they entered into a League known as the Articles of Confederation, whereby they agreed to entrust the administration of their external relations to a common agent, known as the Congress of the United States, expressly declaring in the first article, ,that each State retains its sovereignty, freedom and independence, and every power, jurisdiction and right which is not, by this Confederation, expressly delegated to the United States in Congress assembled‘.“
Die Rechtfertigung des Trennungsaktes verstand sich als historisch-völkerrechtliche Interpretation der beiden zitierten Dokumente, auf die man sich in der Argumentation vom Dezember 1860 explizit bezog. Demnach hatte South Carolina seine 1776 erlangte Souveränität als Staat niemals abgetreten oder aufgegeben, weder an den Kontinentalkongress13 unter den Articles, noch an die Union unter der Constitution von 1787. Mit dem expliziten Hinweis auf den Friedensvertrag vom September 1783 wurde diese Position noch einmal unterstrichen und bekräftigt: „[…] the contest ended, and a definite Treaty was signed by Great Britain, in which she acknowledged the Independence of the Colonies in the following terms: ,Article 1.– His Britannic Majesty acknowledges the said United States, viz: New Hampshire, Massachusetts Bay, Rhode Island and Providence Plantations, Connecticut, New York, New Jersey, Pennsylvania, Delaware, Maryland, Virginia, North Carolina, South Carolina and Georgia, to be 11 Richard E. Ellis, The Union at Risk. Jacksonian Democracy, States’ Rights and the Nullification Crisis, New York/Oxford 1987. 12 Erik Bruun/ Jay Crosby (Hrsg.), Our Nation’s Archive. The History of the United States in Documents, New York 1999, S. 340 – 342. 13 Der 1. Kontinentalkongress versammelte sich zwischen September bis Oktober 1774 in Philadelphia, der 2. Kontinentalkongress tagte von Mai 1775 bis Oktober 1788 – meist in Philadelphia, seit 1785 in New York.
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free, sovereign and independent States; that he treats with them as such; and for himself, his heirs and successors, relinquishes all claims to the government, propriety and territorial rights of the same and every part thereof.‘ Thus were established the two great principles asserted by the Colonies, namely: the right of a State to govern itself; and the right of a people to abolish a Government when it becomes destructive of the ends for which it was instituted. And concurrent with the establishment of these principles, was the fact, that each Colony became and was recognized by the mother Country as a free, sovereign and independent State.“
Die Notwendigkeit einer föderativen Verfassung wurde schon 1776 kurz vor der Erklärung der Unabhängigkeit deutlich erkannt – auch deshalb, weil nur ein vereintes Vorgehen im Krieg gegen Großbritannien zielführend schien. Aus den Debatten um die Föderativverfassung greife ich die vom 1. August 1777 heraus14 – an diesem Tag wurde über die Vertretung der einzelnen Staaten im gemeinsamen Kontinentalkongress diskutiert. Die Mehrheitsmeinung tendierte dahin, dass nicht Individuen, sondern die einzelnen Staaten im Kongress vertreten sind – so wie in den Niederlanden die sieben Provinzen in den Generalstaaten –, und dass – ebenso wie dort – in allen grundsätzlichen Angelegenheiten Einstimmigkeit erforderlich sein soll. Zur Unterstützung der Argumentation für die Gleichheit aller Staaten im Kongress wurden in der Diskussion neben den Niederlanden auch noch die Eidgenossenschaft und das Heilige Römische Reich genannt, wo in der Tagsatzung bzw. auf dem Reichstag die kleinen und die großen Mitglieder gleichermaßen nur je eine Stimme hätten. Gegen das Prinzip gleicher Vertretung aller dreizehn Staaten und der Einstimmigkeit bei Abstimmungen gab es auch den Widerstand einer Minderheit (etwa von Benjamin Franklin); man argumentierte dafür, die Bevölkerungszahl oder die Wirtschaftsleistung zur Grundlage einer proportionalen statt einer gleichen Repräsentation zu machen. Im Blick auf die Union zwischen England und Schottland von 1707, die den Amerikanern damals als einziges Beispiel einer Staatenverbindung im Rahmen der eigenen und vertrauten englischen Tradition vor Augen stand, wurde dann die wichtige Unterscheidung getroffen zwischen einer incorporating union (EnglandSchottland, wo ein Teil im anderen aufgeht) und einer federal union (dem nach allgemeiner Überzeugung allein möglichen Zusammenschluss der Einzelstaaten in Amerika, der Gleichheit und Gleichberichtigung der Mitglieder respektiert); die Souveränität verblieb bei den Einzelstaaten. Nach längeren Diskussionen wurden die Articles of Confederation and perpetual Union between the States of New Hampshire, Massachusetts-bay, Rhodeisland and Providence Plantations, Connecticut, New York, New Jersey, Pennsylvania, Delaware, Maryland, Virginia, North-Carolina, South-Carolina and Georgia am 15. November 1777 verabschiedet; der Ratifikationsprozess kam mit der Annahme durch Maryland am 1. März 1781 zum Abschluss.15 Die wesentlichen Bestimmungen lauten: 14
Vgl. Jefferson, Writings (Fn. 8), S. 28 – 31. Der vollständige Text der Articles vom 15. 11. 1777 (in der Fassung vom 9. 7. 1778) ist abgedruckt in: The Debate on the Constitution. Federalist and Antifederalist Speeches, Ar15
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Thomas Fröschl Art. I: „The style of this confederacy shall be „The United States of America.“ Art. II: „Each state retains its souvereignty, freedom and independence […] which is not expressly delegated to the United States in Congress assembled.“ Art. III: „The said states […] enter into a firm league of friendship with each other […].“ Art. VI: „No state without the Consent of the united states in congress assembled, shall send any embassy to, or receive any embassy from, or enter into any conference, agreement, alliance or treaty with any king, prince or state; […] Not two or more states shall enter into any treaty, confederation or alliance whatever between them, without the consent of the united states in congress assembled […].“
Kriegskosten waren gemäß Artikel VIII durch die Legislativen der Einzelstaaten „in proportion to the value of all land within each state“ aufzubringen, und Artikel IX16 bestimmte: „The united states in congress assembled, shall have the sole and exclusive right and power of determining on peace and war, […] of sending and receiving ambassadors – entering into treaties and alliances […]. The united states in congress assembled shall never engage in a war, […] nor enter into any treaties or alliances […] unless nine states assent to the same […].“ 17
Alle Entscheidungen in wichtigen Fragen und Angelegenheiten mussten von jeweils neun der dreizehn Staaten getroffen werden – die erforderliche Mehrheit machte fast 70 % der im Kongress vertretenen Einzelstaaten aus.
ticles, and Letters During the Struggle over Ratification, hrsg. Bernard Bailyn, Bd. 1, New York 1993, S. 954 – 964, bzw. Bd. 2, New York 1993, S. 926 – 936. – Am 9. Juli 1778 wurde Art. XIII ergänzt und darin auf die Ratifikation durch die einzelnen Staaten hingewiesen: Sieben Staaten hatten bis dahin die Articles ratifiziert (Massachusetts, Rhode Island, Connecticut, New York, Pennsylvania, Virginia und South Carolina); bis Ende 1778 folgten New Hampshire, New Jersey, North Carolina und Georgia. Delaware ratifizierte 1779, und Maryland 1781. 16 Vom Umfang her war der Art. IX der längste mit etwa 50 % des Textes der Articles. 17 Das Recht, einen Krieg zu erklären, kommt gemäß Art. IX allein dem Kongress zu mit einer Mehrheit von neun Staaten; auch für die Ratifizierung von (Friedens-)Verträgen ist die Zustimmung von neun Staaten erforderlich: „The united states in congress assembled shall never engage in a war […] nor enter into any treaties or alliances […] unless nine states assent to the same.“ Das in der alleinigen Kompetenz des Kongresses liegende Recht, Kriege zu erklären, erfüllt genau genommen eine Hoffnung, die Immanuel Kant 1793 ausgesprochen hatte: „Dass ein jeder Staat in seinem Inneren so organisiert werde, dass nicht das Staatsoberhaupt, dem der Krieg (weil er ihn auf eines andern, nämlich des Volkes, Kosten führt) eigentlich nichts kostet, sondern das Volk, dem er selbst kostet, die entscheidende Stimme habe, ob Krieg sein solle oder nicht […] Denn dieses [Volk] wird es wohl bleiben lassen, […] sich in Gefahr persönlicher Dürftigkeit, die das Oberhaupt nicht trifft, zu versetzen.“ Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793), in: Immanuel Kant, Werkausgabe Bd. XI, hrsg. von Wilhelm Weischedel, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1978, S. 127 – 172 (170).
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III. Der weltumspannende Krieg und die Friedensverhandlungen (1778 – 1783) Innerhalb weniger Jahre hatte sich der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg als Folge der Allianz von 1778 zwischen den USA und Frankreich sowie des Kriegseintritts von Spanien 1779 (explizit an der Seite Frankreichs gegen England, damit implizit auch zugunsten der USA) zu einem Weltkonflikt mit Kriegsschauplätzen in Amerika, Europa, Asien und Afrika ausgeweitet, in den drei der wichtigsten europäischen Großmächte (Großbritannien, Frankreich und Spanien) sowie die Niederlande direkt involviert waren.18 Wie der 1775 zunächst als innerbritische Auseinandersetzung begonnene Krieg letztlich ausgehen und in welcher Gestalt die unabhängigen USA daraus hervorgehen würden, stand selbst nach dem französischen Kriegseintritt von 1778 keineswegs fest – sicher war nur, dass Frankreich die Anerkennung der amerikanischen Unabhängigkeit durch Großbritannien als nicht verhandelbares Kriegsziel verfolgte; alles andere blieb vorerst offen und musste sich (militärisch) während des Krieges sowie (diplomatisch) als Ergebnis des Ringens um die definitive Friedensregelung ergeben. Mit unterschiedlichen Szenarien zum Kriegsausgang setzte sich im kriegführenden Mutterland der schottische Nationalökonom Adam Smith in einem bemerkenswerten Memorandum vom Februar 1778 auseinander;19 er diskutierte vier seiner Meinung nach mögliche Ergebnisse des Krieges und wog sorgfältig die Wahrscheinlichkeit der jeweiligen Option ab: Im ersten Szenario für den Kriegsausgang beschrieb er die völlige Unterwerfung der Amerikaner durch Eroberung mit nachfolgender Militärregierung; dieser Ausgang des Konflikts würde zwar Großbritannien zusagen, nicht aber den Amerikanern. Möglich wäre nach einer Unterwerfung auch ein Vertrag, was Smith als bessere Lösung ansah, die zu einer constitutional union führen könne und letztlich zu einem eigenen amerikanischen Parlament führen werde, was den Vorstellungen des Mutterlandes nicht entsprach und wofür auch die Amerikaner ihre Zustimmung vermutlich nicht geben würden. Das zweite Szena18
Was die globale Dimension des Krieges für die geschichtswissenschaftliche Betrachtung und Einordnung bedeuten müsste, darauf hat Max Savelle bereits vor Jahrzehnten nachdrücklich im Rahmen einer Rezension hingewiesen: „The War for American Independence was a world war; the peace that ended it was a world peace. […] The international history of the United States […] cannot be written without considering it in the total complex of the interrelationships among the members of the international community of the North Atlantic. The issues in the War for American Independence were world issues. Any study of that war that fails to take this fact and these issues into account must be criticized as unfortunately limited by the provincialism that characterizes the work of so many American historians.“ Max Savelle, Review: The Peacemakers: The Great Powers and American Independence by Richard B. Morris, New York 1965, Political Science Quarterly 82, 1967, S. 109 – 110. 19 „Smith’s Thoughts on the State of the Contest with America, February 1778“, in: Ernest Campbell Mossner/Ian Simpson Ross (Hrsg.), The Correspondence of Adam Smith, Indianapolis 1987, S. 377 – 385. Smith bezieht sich in diesem Dokument immer auf diejenigen dreizehn Kolonien, die sich von Großbritannien trennten und im Krieg befanden.
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rio ging von der vollständigen Unabhängigkeit der dreizehn Staaten aus. In diesem Fall sollte Großbritannien einerseits Kanada an Frankreich und anderseits die Floridas (d. h. West- und Ostflorida) an Spanien zurückgeben, denn das läge im britischen Eigeninteresse, weil damit alte Feindschaften wiederbelebt werden konnten – beide großen Mächte wären die natürlichen Gegner der jungen Republik, was die Amerikaner zu (neuen) Freunden der Briten machen müsse. Ausgehend von dieser Perspektive könnte eine federal union mit den USA überlegt werden; für Smith wäre dieses Szenario das für Großbritannien beste Ergebnis des Krieges. Ein mögliches drittes Szenario schien Smith weder wahrscheinlich noch politisch durchführbar, nämlich eine Rückkehr Amerikas in den britischen Reichsverband unter Wiederherstellung des alten Reichssystems vor 1764 mit der Anerkennung britischer Oberhoheit, aber ohne Beitragsleistung der Amerikaner zu den Kosten der Verteidigung des Empire. Im vierten und letzten Szenario beschrieb Smith die Möglichkeit, dass nur ein Teil der dreizehn Kolonien die Unabhängigkeit behält, während der andere Teil bei England verbleiben bzw. unter die Herrschaft des Mutterlandes zurückkehren würde. Damit bezog er sich auf den Unabhängigkeitskampf der Niederländer im 16. Jahrhundert, wo sich sieben der 17 Provinzen von Spanien trennen konnten, während die zehn südlichen Provinzen (weitgehend das heutige Belgien) im spanischen Reichsverband geblieben sind. Dieses mögliche Ergebnis einer nur teilweisen Unabhängigkeit der dreizehn Kolonien hielt Smith für das aus der Perspektive des Jahres 1778 wahrscheinlichste, für Großbritannien wäre es jedoch das schlimmste; denn damit kehrte in anderer Form ein Zustand zurück, wie er vor dem Siebenjährigen Krieg geherrscht hatte, nur dass diesmal die Franzosen im unabhängigen Teil Nordamerikas einen Verbündeten hätten. Es ist bemerkenswert, dass dieses von Smith beschriebene vierte Szenario einer nur teilweisen Unabhängigkeit analog dem niederländischen Beispiel auch für Frankreichs Außenminister Vergennes20 bis zur Schlacht von Yorktown 1781 eine Denkmöglichkeit über den Kriegsausgang geblieben ist. So schrieb er am 30. Juni 1781 aus Versailles an den Chevalier de La Luzerne21 nach Philadelphia, dass der
20 Charles Gravier, comte de Vergennes (1719 – 1787) war nach diplomatischen Diensten in Trier, Hannover und der Pfalz französischer Botschafter im Osmanischen Reich (1755 – 1768) sowie in Schweden, bevor er 1774 von Ludwig XVI. zum Außenminister ernannt wurde und diese Position bis zu seinem Tod innehatte. Vgl. Munro Price, Preserving the Monarchy. The Comte de Vergennes, 1774 – 1787, Cambridge, Mass./New York 1995; Orville T. Murphy, Charles Gravier de Vergennes: Profile of an Old Regime Diplomat, Political Science Quarterly 83, 1968, S. 400 – 418; siehe auch die ältere Arbeit von Charles de Chambrun, A l’ecole d’un diplomat. Vergennes, Paris 1944, S. 375 – 400. 21 Anne-César Chevalier de La Luzerne (1741 – 1791), im diplomatischen Dienst Frankreichs beim Kurfürsten von Bayern (1776 – 1778), Minister in den USA (1779 – 1784) und Botschafter in Großbritannien (1788 – 1791). Vgl. Mary A. Giunta (Hrsg.), The Emerging Nation: A Documentary History of the Foreign Relations of the United States under the Articles of Confederation, 1780 – 1789, 3 Bde., Washington, D.C., 1996, Bd. I, S. 13, Fn. 4. –
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französische König nach wie vor bestrebt sei, gemäß dem Allianzvertrag von 1778 die Unabhängigkeit für alle dreizehn Einzelstaaten zu erzielen und zu sichern; dennoch könnten Umstände eintreten, die Frankreich zwängen, für eine Friedenslösung mit Großbritannien ein gewisses Opfer zu bringen, „but […] this Sacrifice is the order of probabilities; and if it becomes necessary, it will be necessary to be resigned to it: most of the Belgian Provinces had shaken off the Spanish yoke; however, only 7 have preserved their independence.“
La Luzerne möge daher die Amerikaner informieren, Frankreich werde seinen Verbindlichkeiten betreffend die Anerkennung der Unabhängigkeit aller dreizehn Staaten durch die Briten nachkommen, die hypothetische Möglichkeit einer nur teilweisen Unabhängigkeit solle er dem Kongress aber zur Kenntnis bringen: „It is especially good that you make the Americans understand that the war will not be eternal, and that there is a point at which one is obligated to stop of oneself.“22 Nicht nur wird an den historischen Präzedenzfall der Niederlande als mögliche Option für die USA gedacht, sondern Vergennes machte mit dieser Überlegung indirekt deutlich, dass der Friede mit Großbritannien im Zweifelsfall gegenüber einer Rücksichtnahme auf die Interessen der USA inzwischen Priorität erlangt hatte. La Luzerne antwortete dem Außenminister am 27. September 1781 aus Philadelphia: Nachdem er den Kongressmitgliedern die Sache unter der Voraussetzung eines allerletzten Auswegs unterbreitet habe, sei die Ablehnung einhellig und eindeutig gewesen, auch deshalb, weil sie unter Hinweis auf die Bedeutung der religiös-konfessionellen Fragen in den damaligen Niederlanden eine Analogie mit den USA weder sehen konnten noch wollten: „[…] it was well demonstrated to me that in the present state of affairs, a dismemberment could not be proposed to Congress […] As for the comparison that could be made of the revolution of the Belgian provinces, I have several times discussed this historical point in conversations indifferent in appearance; they are very far from admitting the least resemblance in this regard, and the delegates […] have observed on those occasions that of the seventeen provinces that compose the Netherlands, ten were separated early from the union, while the thirteen states remain inviolably united; that reasons of religion had a part in this separation […].“23
Die Frage einer teilweisen Unabhängigkeit war bald wieder vom Tisch, erinnert jedoch daran, dass Frankreichs Prioritäten in Europa lagen – in seinem Verhältnis zu Spanien und Großbritannien einerseits, und zum Heiligen Römischen Reich als Garantiemacht der Reichsverfassung seit dem Westfälischen Frieden andererseits. In den endgültigen Fassungen der beiden Friedensverträge zwischen Großbritannien und Frankreich sowie Spanien findet sich als Mediator Kaiser Joseph II. als Über La Luzernes Diplomatie in den USA vgl. Ralph L. Ketcham, France and American Politics, 1763 – 1793, Political Science Quarterly 78, 1963, S. 198 – 223 (205 – 217). 22 Emerging Nation Bd. I (Fn. 21), S. 205 f. 23 Emerging Nation Bd. I (Fn. 21), S. 236 – 237.
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Haupt des Heiligen Römischen Reiches genannt, und ebenso wird die russische Zarin Katharina II. als Mediatorin im Vertrag angeführt. Das ist deshalb bemerkenswert, weil die seit 1780/81 im Raum stehende gemeinsame österreichisch-russische Mediation24 für das Zustandekommen des Friedens ohne Bedeutung war und kein greifbares Ergebnis erzielt werden konnte. Dies lag in ersterer Linie darin begründet, weil Großbritannien von Frankreich als Vorbedingung einer Mediation der beiden Kaiserhöfe die Beendigung des Allianzvertrages mit den USAvon 1778 verlangte und überdies darauf bestanden hatte, dass die Vereinigten Staaten selbst kein Teil des Mediationsprozesses sein dürfen. Die Amerikaner vertraten ihrerseits den Standpunkt, dass sie einer Mediation erst nach erfolgter britischer Anerkennung ihrer Unabhängigkeit zustimmen können; einen bloßen Waffenstillstand als möglichen Ausgangspunkt für die Mediation schlossen die USA aus.25 Mit dem Beginn der Friedensgespräche 1782 zwischen Großbritannien und Frankreich bzw. Spanien stand eine Mediation der beiden Kaiserhöfe nicht mehr ernsthaft zur Diskussion. Die Instruktion Georgs III. für den britischen Unterhändler Thomas Grenville26 vom 21. Mai 1782 enthielt die Grundlagen für den Friedensschluss mit Frankreich; demnach erklärte sich der englische König bereit, „to cede to His Most Christian Majesty, & His Allies, the Point which they have […] declared to be the Subject of the War […] That is to say, to accede to the complete Independency of the Thirteen American States, and in order to make the Peace […] to cede to the said States the Towns of New York and Charlestown […] provided that in all other Respects such a general & reciprocal Restitution shall take Place, in every Quarter of the Globe, on the Part of the Belligerent Powers, as shall restore Things to the State they were placed in by the Treaty of Paris 1763.“ 27
Am 30. Mai 1782 fand eine Unterredung Vergennes mit Grenville statt,28 der dem französischen Außenminister seiner Instruktion gemäß erklärte, dass Großbritannien die USA anerkennen werde; nachdem aber die ein Jahr nach Beginn des bewaffneten Konflikts erklärte amerikanische Unabhängigkeit nach britischem Verständnis der alleinige Kriegsgrund war, könne der Krieg nun überall beendet werden. Vergennes entgegnete, dass die Briten direkt mit den Amerikanern über die Beendigung des 24 Zum Begriff der Mediation Alexander Koller, Art. Mediation, in: Enzyklopädie der Neuzeit Bd. 8, Stuttgart/Weimar 2008, Sp. 213 – 219. 25 John Adams an den Präsidenten des Congress aus Paris vom 11. 7. 1781, in: Emerging Nation Bd. I (Fn. 21), S. 207. 26 Thomas Grenville (1755 – 1846) war Mitglied des Parlaments und initiierte 1782 die Verhandlungen zur Beendigung des Krieges; vgl. Emerging Nation Bd. I (Fn. 21), S. 369, Fn. 1. 27 Emerging Nation Bd. I (Fn. 21), S. 395 – 398 (397); das schloss kleinere Veränderungen zum wechselseitigen Nutzen beider Parteien nicht aus. 28 „Fourth Peace Conference“, 30. 5. 1782, Emerging Nation Bd. I (Fn. 21), S. 411 – 412. Insgesamt fanden von 9.5. bis 9. 7. 1782 zwischen Vergennes und Grenville sieben Unterredungen statt, von denen der französische Diplomat Gérard de Rayneval (siehe unten Fn. 60) jeweils ein Memorandum erstellte; Emerging Nation Bd. 1 (Fn. 21), S. 381, Fn. 1.
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Kriegs verhandeln mögen, aber dass mit dem Ende des Krieges in Amerika keineswegs alle Probleme behoben wären; Amerika war aus der Sicht Frankreichs nicht der einzige Punkt in dieser großen Auseinandersetzung: „[…] that in addition, while admitting America as the sole object of the war with France, there remained Spain to satisfy, that power never having had anything in common with the Americans, whose independence she still did not recognize.“
Als Grenville nun doch wieder auf die Mediation des Reiches und Russlands zu sprechen kam, erinnerte Vergennes daran, Großbritannien betrachte die amerikanische Frage „as an affair purely national and domestic: it rejected any intervention by any other power, and offered to treat with France and Spain on subjects that might concern those two powers.“
Nach intensiven und sich über ein Jahr erstreckenden bilateralen Verhandlungen zwischen Großbritannien und Frankreich konnte Vergennes am 21. Juli 1783 an La Luzerne in Philadelphia berichten, dass sich beide Länder hinsichtlich des Inhalts ihres Friedenvertrages in allen Punkten verständigt hätten.29 Am 9. August 1783 kam es in Paris im Hause von Mercy d’Argenteau,30 dem kaiserlich-österreichischen Botschafter, zu einem Treffen der Vertreter der beiden kaiserlichen Mediatoren (Mercy d’Argenteau, Iwan Bariatinskii31 und Arkadi Markov) mit den Botschaftern Spaniens und Großbritanniens (dem Conde de Aranda32 und dem Duke of Manchester33) sowie mit dem französischen Außenminister Vergennes; im Zuge dieser wichtigen Unterredung34 wurden die letzten Details für die Friedensverträge Großbritanniens mit den beiden Bourbonenmonarchien besprochen und geklärt; die Amerikaner waren nicht dabei.
IV. Die vier Friedensverträge von 1783/1784 Die Präliminar-Artikel des Friedens zwischen Großbritannien und Frankreich sowie zwischen Großbritannien und Spanien waren beide am 20. Jänner 1783 in Versailles, dem Regierungssitz Frankreichs seit 1682, unterschrieben worden, und am 29 Papers of John Adams, Bd. 15, June 1783 – January 1784, hrsg. Gregg L. Lint/C. James Taylor/Robert F. Karachuk, et. al., Cambridge/London 2010, S. 80, Anm. 3. 30 Florimond-Claud, Graf von Mercy d’Argenteau (1727 – 1794) war österreichischer Botschafter in Paris von 1766 – 1790; vgl. Emerging Nation Bd. I (Fn. 21), S. 440, Fn. 1. 31 Iwan Sergeevich Bariatinskii (1740 – 1811), Russlands diplomatischer Repräsentant in Frankreich, 1773 – 1786. Emerging Nation Bd. I (Fn. 21), S. 417, Fn. 2. 32 Pablo Pedro Abarca de Bolea, Conde de Aranda (1718 – 1799) war spanischer Botschafter in Paris von 1779 – 1792; vgl. Emerging Nation Bd. I (Fn. 21), S. 125, Fn. 3. 33 George Montagu, Duke of Manchester (1737 – 1788), britischer Politiker und Gegner des Krieges mit Amerika, war britischer Botschafter in Frankreich von April bis Dezember 1783; vgl. Emerging Nation Bd. I (Fn. 21), S. 818 – 819, Fn. 1. 34 Papers of John Adams (Fn. 29), S. 80, Fn. 10.
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3. September 1783 wurden die beiden Friedensverträge zwischen Großbritannien sowie Frankreich und Spanien im Außen- und Marineministerium35 vor der europäischen politisch-diplomatischen Öffentlichkeit unterzeichnet. Die umfassende und weit über die Anerkennung der amerikanischen Unabhängigkeit hinausgehende Friedensregelung von 1783/84 bestand, wie erwähnt, aus vier Friedensverträgen, die Großbritannien mit seinen Kontrahenten im Krieg abschloss und die eine neue europäische Ordnung begründen sollten. Die Verträge mit Frankreich und Spanien standen unbestritten im Zentrum, ergänzt durch die bilateralen „Nebenverträge“ Englands mit den beiden Republiken USA und Niederlande, die in der Diplomatie des Ancien Régime in der Staatenhierarchie unterhalb der Monarchien standen. Der Friedensvertrag mit Frankreich36 enthält eine Präambel und 24 Artikel; angefügt sind zwei Separatartikel, eine Erklärung des britischen Unterhändlers, des Herzogs von Manchester, eine Gegenerklärung von Gravier de Vergennes, und je eine Erklärung von Florimond-Claud, Graf Mercy d‘Argenteau (für den Kaiser des Heiligen Römischen Reiches) bzw. von Prinz Bariatinskii sowie Arkadi Markov (für die russische Zarin) – alle vom 3. September 1783; ferner enthielt der Vertrag vier Vollmachten, ebenfalls von 1783: Von Georg III. (St. James, 20. April), von Ludwig XVI. (Versailles, 4. Februar), von Joseph II. (Wien, 16. April) sowie von Katharina II. (St. Petersburg, 12. März). Der Friedensvertrag mit Spanien37 enthält neben der Präambel nur zwölf Artikel; angefügt sind auch hier zwei Separatartikel, eine Erklärung von Manchester, eine Gegenerklärung des Grafen von Aranda, und ebenso je eine Erklärung von Mercy d‘Argenteau und Bariatinskii sowie Markov, alle vom 3. September 1783; ferner enthielt auch dieser Friedensvertrag vier Vollmachten, alle von 1783: Von Georg III. (St. James, 20. April), von Karl III. (El Pardo, 8. Februar), von Joseph II. (Wien, 16. April) und von Katharina II. (St. Petersburg, 12. März). Von Bedeutung ist in beiden Verträgen Art. II, der die Verträge von Westfalen 1648 zum Ausgangspunkt nimmt und sie zusammen mit den Friedensverträgen von Utrecht und Rastatt 1713/14, von Aachen 1748 sowie von Paris 1763 zum integralen Teil der Friedensregelung von 1783 erklärt: „[…] servent de base et de fondement à la paix, et au présent traité; […] et comme s’ils étoient insérés ici, mot à mot, ensorte qu’ils devront être observés exactement à l’avenir, dans toute leur teneur, et religieusement exécutés […].“38
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Das Gebäude ist erhalten und befindet sich in der Rue de l’Indépendance Américaine 5, unweit des Schlosses; heute enthält es die städtische Bibliothek (Bibliothèque municipale) von Versailles. 36 A Collection of all the Treaties of Peace, Alliance, and Commerce, between GreatBritain and other Powers, in three Volumes, Vol. III. From 1750, to 1784, London 1785. Der Friede mit Frankreich: Französischer Text S. 334 – 354, englische Übersetzung S. 354 – 375. 37 A Collection (Fn. 36): Der Friede mit Spanien: Französischer Text S. 375 – 392, englische Übersetzung S. 392 – 410. 38 A Collection (Fn. 36), S. 336 bzw. S. 377 – 378.
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Mit Joseph II. als Mediator ist auch das Heilige Römische Reich und mit Katharina II. als Mediatorin das Zarenreich mit eingeschlossen, auch wenn es zu diesen Friedensvermittlungen nie gekommen ist; indem aber die zwei Kaiserhöfe ausdrücklich in beiden Verträgen genannt werden, gehören sie zusammen mit Großbritannien, Frankreich und Spanien zu den fünf großen Mächten Europas und unterstreichen Rang und Bedeutung der neuen Friedensordnung. Der Siebenjährige Krieg wird meist als erster globaler Krieg bzw. Weltkrieg bezeichnet;39 darüber geriet in Vergessenheit, dass auch der „Amerikanische Unabhängigkeitskrieg“ ein weltumspannender Konflikt gewesen ist. Hier wiederholen sich die Folgen einer verkürzten historischen Wahrnehmung dieser Auseinandersetzung, weil sie in der historischen Erinnerung auf einen bloßen „Unabhängigkeitskrieg“40 mit seinen Kriegsschauplätzen in Nordamerika zu Land und auf See reduziert wurde. Die begrenzte Wahrnehmung von Krieg und Friedensschluss ist aber nachvollziehbar und liegt darin begründet, dass Kriegsverlauf und Friedensschluss für die Vereinigten Staaten von Amerika im Rahmen ihrer Gründungsgeschichte bis in die Gegenwart unmittelbar relevant sind, was für die damaligen europäischen Akteure so nie zutraf und auch heute nicht zutrifft. Doch bereits in der Präambel der beiden Friedensverträge mit Frankreich und Spanien (nicht in den beiden anderen!) kommt die weltumspannende Dimension des Konflikts deutlich zum Ausdruck: Es heißt dort ausdrücklich im Rückblick auf die Ereignisse, dass ein Krieg zu Ende geht, der seit vielen Jahren die Gebiete und Territorien der Vertragspartner betroffen hat: „[…] qui affligeoit depuis plusieurs années leurs etats respectifs […] “ bzw. „[…] which for several years past afflicted their respective dominions […]“41; diese Gebiete lagen nicht nur in Europa, sondern in Amerika, Afrika und Asien. Überdies steht in den Vollmachten der beiden kaiserlichen Mediatoren, die beiden Verträgen inseriert sind, zu lesen, dass es sich um eine globale Auseinandersetzung, um einen „Weltkrieg“ handelte. In der Vollmacht Josephs II. heißt es: „Interea cum ultimum grave bellum universum prope terrarum orbem inundaret, […]“, und in derjenigen Katharinas II. steht: „[…] la dernière guerre, qui s’etoit étendue sur toutes les parties du globe, […]“.42 Die Friedenspräliminarien zwischen Großbritannien und den USA wurden am 30. November 1782 unterzeichnet, diejenigen zwischen Großbritannien und den Niederlanden43 am 2. September 1783 – beide in Paris. Am Morgen des 3. September 39
Sven Externbrink (Hrsg.), Der Siebenjährige Krieg (1756 – 1763). Ein europäischer Weltkrieg im Zeitalter der Aufklärung, Berlin 2011. Fred Anderson, Crucible of War. The Seven Years’ War and the Fate of the Empire in British North America (1754 – 1766), New York/Toronto/London 2000. 40 Alexander Deconde, Historians, the War of American Independence, and the Persistence of the Exceptionalist Ideal, The International History Review 5, 1983, S. 399 – 430. 41 A Collection (Fn. 36), S. 334 bzw. 393. 42 A Collection (Fn. 36), S. 350 bzw. S. 352. 43 Der definitive Friedensvertrag zwischen Großbritannien und den Niederlanden wurde am 20. Mai 1784 in Paris unterzeichnet; er bestand aus einer Präambel und 11 Artikeln und
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1783 um 8 Uhr trafen sich die drei amerikanischen Unterhändler John Adams,44 Benjamin Franklin45 und John Jay mit dem britischen Unterhändler David Hartley46 in dessen Residenz im Pariser Hôtel d’York,47 tauschten ihre Beglaubigungen aus und unterzeichneten und siegelten den Vertrag. Der Text des Friedensvertrages umfasste eine Präambel und zehn Artikel; er enthielt zwei Vollmachten – eine von Georg III. vom 14. Mai 1783, die andere von Samuel Huntington, dem Präsidenten des Kongresses, vom 15. Juni 1781. Mit Ausnahme der beigefügten Präambel sowie des neuen Artikels 10, der die Ratifikationsfrist von sechs Monaten ab dem Tag der Unterzeichnung festlegte, blieb der Text in der Substanz unverändert gegenüber dem Präliminarvertrag vom 30. November 1782; in Art. I wird die Anerkennung der United States durch den britischen König ausgesprochen, und zwar in der Form, dass alle dreizehn Staaten entsprechend ihrer geographischen Lage von Nord (New Hampshire) nach Süd (Georgia) einzeln aufgezählt werden – als „free sovereign & Independent States […]“. David Hartley hatte die Amerikaner am 29. August 1783 darüber informiert, dass er bevollmächtigt war, den Friedensvertrag nur in Paris zu unterzeichnen und nicht in Versailles.48 Am folgenden 30. August beklagten die amerikanischen Unterhändler, „that Mr. Hartley’s Instructions will not permit him to sign the Definitive Treaty of Peace with America, at the Place appointed for the Signature of the others.“ 49 Der Friede, der abseits jeder internationalen Publizität unterzeichnet werden musste, war nach britischem Wunsch und Verständnis nur eine bilaterale Vereinbarung – und folglich wurden weder Joseph II. noch Katharina II. als Mediatoren genannt, wiewohl sich beide Mächte als Vermittler zwischen England und seinen dreizehn Kolonien angeboten hatten. Bereits in seinem Schreiben vom 5. September 1783 an den Präsidenten des Kongresses, Elias Boudinot, hatte John Adams das Fehlen der Unterschrift der beiden Mediatoren im Friedensvertrag bedauert und gemeint: enthielt analog zum britisch-amerikanischen Frieden ebenfalls zwei Vollmachten – eine von Georg III. vom 27. April 1784, und eine vom Präsidenten der Generalstaaten, R. Sloet, vom 19. August 1782. Der Text des Friedensvertrags (französisch und englische Übersetzung) in: A Collection (Fn. 36), S. 420 – 434. 44 John Ferling, John Adams, Diplomat, The William and Mary Quarterly, Third Series, Vol. 51, 1994, S. 227 – 252; auch in dieser sehr informativen Studie fehlt im Zusammenhang mit dem Pariser Frieden von 1783 jeder weltumspannende Aspekt des Unabhängigkeitskrieges. 45 Zur diplomatischen Leistung Franklins vgl. Gerald Stourzh, Benjamin Franklin and American Foreign Policy, 2. Aufl., Chicago 1969, S. 166 – 232, sowie Jonathan R. Dull, Benjamin Franklin and the Nature of American Diplomacy, The International History Review 5, 1983, S. 346 – 363. 46 Hartley (1732 – 1816) war ein Wissenschaftler und britischer Politiker, Mitglied des Parlaments sowie ein Freund Franklins; er verhandelte 1783 den definitiven Frieden mit den USA; vgl. The Emerging Nation Bd. I (Fn. 21), S. 21, Fn. 1. 47 Das Gebäude ist erhalten und befindet sich in der Rue Jacob 56 in Paris. 48 Papers of John Adams (Fn. 29), S. 240 – 241. 49 Papers of John Adams (Fn. 29), S. 241.
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„We should have done wisely […] accepting the Mediation on our Part. The Signature of those Ministers would have given Us Reputation in Europe, and among our own Citizens. […] The Signature of the two Imperial Courts would have made a deep & important Impression in our favor, upon full one half of Europe, as Friends to these Courts, […] It is certain, that the two Courts wished […] to sign our treaty. […] But this is now past. England and France will be most perfectly united […] to keep down our Reputation at Home and abroad.“50
Diese Einschätzung von Adams unmittelbar nach der Unterzeichnung des Vertrages erwies sich als zutreffend – Großbritannien wollte tatsächlich die internationale Einbindung des Friedens mit den USA verhindern, und Frankreich hatte dagegen keinen Einwand. Im Verlauf des Krieges hatte sich das primäre außenpolitische Interesse von Vergennes und Ludwig XVI. auf die Beziehungen mit Großbritannien im Zuge der Nachkriegsordnung verlagert. Im Interesse der künftigen Beziehungen zwischen beiden Ländern war Frankreich bereit, den Briten bei ihren Wünschen hinsichtlich der äußeren Umstände der Unterzeichnung des Friedens mit den Amerikanern entgegenzukommen; denn mit der Anerkennung der Unabhängigkeit der USA durch das frühere Mutterland war für Frankreich das Wichtigste des Allianzvertrages von 1778 ohnehin erfüllt; dort heißt es in Artikel VIII: „Neither of the two parties shall conclude either truce or peace with Great Britain, without the formal consent of the other first obtained; and they mutually engage not to lay down their arms until the independence of the United States shall have been formally or tacitly assured by the treaty or treaties that shall terminate the war.“51
Am 9. April 1782 hatte Vergennes in diesem Zusammenhang an La Luzerne geschrieben: „We are […] disposed to consent that the American plenipotentiaries in Europe treat in conformity with their instructions with those of the Court of London, […] on condition that the two Negotiations proceed at an equal pace, and that the two treaties be signed at the same time, and not resolve one without the other.“52
John Adams berichtete am 10. September dem Präsidenten des Kongresses, Frankreich hatte zwar nichts dagegen einzuwenden gehabt, dass der britisch-amerikanische Friede in Paris unterzeichnet wurde; Vergennes aber wünschte eine Unterzeichnung möglichst früh am Morgen, damit ein Eilkurier die Nachricht davon aus Paris nach Versailles bringen konnte; erst danach könne Frankreich den Frieden mit Großbritannien unterschreiben,
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Papers of John Adams (Fn. 29), S. 254 – 257. Der Text des Allianzvertrags vom 6. Februar 1778 (nicht zu verwechseln mit dem Freundschafts- und Handelsvertrag zwischen beiden Ländern vom selben Tag) in: A Collection (Fn. 36), S. 254 – 259 (257). 52 Emerging Nation Bd. 1 (Fn. 21), S. 330 – 332 (331). 51
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Thomas Fröschl „but desired that we would appoint the signing early in the Morning, and give him an Account of it at Versailles by Express, for that he would not proceed to sign on the Part of France, till he was sure that our Business was done.“53
Über die Ereignisse unmittelbar nach der Unterzeichnung des britisch-amerikanischen Friedens äußerte sich John Adams erst im Februar 1812 im Detail und legte offen, wie er damals, im September 1783, die Zukunft der neuen Friedensordnung einschätze. Dem Bericht von Adams zufolge begab er sich mit Franklin, Jay und Hartley unmittelbar nach der Vertragsunterzeichnung direkt nach Versailles; dort trafen die Amerikaner mit den Botschaftern zusammentrafen, die die Verträge Großbritanniens mit Frankreich und Spanien unterzeichnet hatten. Während des Mittagessens mit Vergennes (am 3. September) bemerkte John Adams ihm gegenüber mit großer Verbitterung, dass sein Land von Großbritannien auf eine Weise behandelt worden wäre, die weder einem großen Monarchen noch einer großen Nation anstünden – das frühere Mutterland habe im Friedenvertrag nämlich weder die Erwähnung der beiden kaiserlichen Mediatoren erlaubt (wie in den beiden anderen Verträgen) noch dessen Unterzeichnung in Versailles zugestanden.54 Für die Ratifizierung hatte Artikel X des Pariser Friedens eine Frist von sechs Monaten gesetzt, d. h. bis zum 3. März musste die Ratifikation durch die USA erfolgen. Nach der Unterzeichnung wurde der Vertragstext von einem Kurier zunächst zum Hafen von L’Orient in der südlichen Bretagne gebracht und von dort per Schiff, das am 14. September ablegte, über den Atlantik befördert. Am 19. November kam das Schiff in New York an, und am 22. November erreichte ein weiterer Kurier Philadelphia, wo der Vertrag übergeben wurde; der Kongress tagte aber in Annapolis. Gemäß Artikel IX der Articles of Confederation war für die Ratifikation des Friedens die Anwesenheit von Delegierten aus neun Staaten erforderlich. Die nun einsetzenden Bemühungen, das erforderliche Quorum zusammenbringen, erwiesen sich auch wegen des Winterwetters als mühsam. Nachdem auch Mitte Dezember erst sieben Delegationen der Einzelstaaten anwesend waren, erging am 23. Dezember 1783 ein Schreiben des Kongresses an die Gouverneure der Einzelstaaten mit der dringenden Erinnerung, dass für die Unterzeichnung des Friedensvertrags weitere Staaten nötig seien. Mit dem Eintreffen der Delegierten aus Connecticut und South Carolina waren am 14. Jänner 1784 erstmals die Vertreter der erforderlichen neun Staaten in Annapolis versammelt, und diese ratifizieren umgehend den Vertrag.55 53
Adams an Elias Boudinot, aus Passy, vom 10. 9. 1783, in: Papers of John Adams (Fn. 29), S 282 – 288 (284). 54 Papers of John Adams (Fn. 29), S. 250, Fn. 1. 55 Brief von Samuel Osgood aus Annapolis, vom 14. 1. 1784, in: Papers of John Adams (Fn. 29), S. 455, Fn. 2. (Osgood, 1748 – 1813, repräsentierte Massachusetts im Kontinentalkongress von 1781 – 1784). – Am 17. Februar schiffte sich ein Kurier in New York zur Überfahrt über den Atlantik ein, um den ratifizierten Vertrag nach Paris zu bringen, wo er Ende März eintraf – das war später als die eingeräumte Frist, doch ratifizierte Großbritannien den Vertrag am 9. April 1784; es ist nicht unwichtig sich zu vergegenwärtigen, dass der Vertrag insgesamt fast ein halbes Jahr lang zwischen Europa und Amerika unterwegs war.
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V. Frankreichs weltpolitisches Grand Design und die USA (1783 – 1787) Die schon mehrfach angesprochene neue Konzeption französischer Außenpolitik sollte im Versailler Doppelvertrag von 1783 zwischen Großbritannien und Frankreich bzw. Spanien ihr grundlegendes Fundament finden, während die USA (wie übrigens die Niederlande auch) nur noch als Nebenschauplatz angesehen wurden. Im Mittelpunkt des Grand Design von Vergennes (und Ludwig XVI.) stand die Vision einer dauerhaften Verständigung mit England, wobei sich dieses Ziel in die außenpolitischen Vorstellungen Ludwigs XVI. seit Beginn seiner Regierung 1774 gut einfügte;56 die wichtigste politische Aufgabe Frankreichs lag demnach in der Wiederherstellung seiner zentraler Rolle in Europa: „To restore the French monarchy to its traditional role as arbiter of Europe and fount of justice. That would require France becoming the determinant influence in the balance of power, interceding in international disputes to defend the rights of people […] It would also require an intense diplomatic initiative in every direction.“57
Von größter Bedeutung in diesem Konzept war der Verzicht auf territoriale Eroberungen;58 Frankreich sah sich in diesem Punkt als saturiert. In diesem Rahmen ist das französische Engagement im Amerikanischen Krieg zu sehen, auch wenn die Versuchung zunächst groß war, im Zuge der Auseinandersetzung zwischen England und einem Teil seiner amerikanischen Kolonien Revanche zu üben und den alten Gegner zu demütigen; bereits am 12. März 1776 hatte Vergennes nämlich in seinen „Considérations“ mit Blick auf Nordamerika angemerkt: „Providence has marked this moment for the humiliation of England […] that it is time to take revenge on this nation for the evil it has done since the beginning of the century to those who had the misfortune to be its neighbours or its rivals.“59
Doch schließlich wurde zum wichtigsten Ziel des Krieges von 1778/83 gerade nicht eine Demütigung Englands, sondern im Gegenteil seine Einbeziehung in das neue Gleichgewichtssystem mit Frankreich als seinem Zentrum. Obwohl die Frie56
Die außenpolitischen Maximen Ludwigs XVI. hat Orville Murphy wie folgt zusammengefasst: a) Keine territorialen Erwerbungen, b) Unterstützung der kleinen gegen die großen Staaten Europas, c) Unterstützung Schwedens und des Osmanischen Reiches gegen Russland, d) Ausschluss des anti-französischen Einflusses von GB in Europa, e) Zähmung österreichischer Ambitionen (Joseph II.), aber Fortsetzung der Allianz von 1756, f) Allianz mit den NL um GB von Europa fernzuhalten, g) Aufbau eines Netzwerks von Handelsverträgen. Orville T. Murphy, Napoleon’s International Politics: How Much Did He Owe to the Past?, The Journal of Military History 54, 1990, S. 163 – 172 (165). 57 Robert Rhodes Crout, In Search of a ,Just and Lasting Peace’: The Treaty of 1783, Louis XVI, Vergennes, and the Regeneration of the Realm, The International History Review 5, 1983, S. 364 – 398 (372). 58 Vergennes an Ludwig XVI., 12. 4. 1777: „The glory of conquering kings is the scourge of humanity; that of beneficient kings, its benediction”; zit. Crout (Fn. 57), S. 374, Fn. 33. 59 Crout (Fn. 57), S. 374.
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densordnung von 1783 eine bewusste Revision des Friedens von Paris 1763 darstellte, blieb Frankreich beim Verzicht auf territoriale Expansion – und deshalb stand eine mögliche Rückgabe Kanadas als Folge eines siegreichen Krieges auch nicht zur Diskussion. Gérard de Rayneval60 schrieb an Vergennes am 28. Jänner 1783 über den Frieden mit England, „[…] cette paix est un miracle: deux nations grandes, fières, rivales par principe comme par habitude, faisant la paix sans qu‘aucune d’elles soit forcée de la demander, est une chose sans example.“
Georg III. gegenüber wies Rayneval nochmals auf die französische Position der Zurückweisung territorialer Eroberungen hin: „Faire la paix […] était un acte d’humanité et de bienfaisance qui faisait plus d’honneur que des conquêtes.“61 In der Instruktion Vergennes an Comte d’Adhémar in London vom 25. April 1783 wurde das Grand Design Frankreichs präzisiert und konkretisiert: Das gemeinsame Ziel beider Mächte bestehe in der Bewahrung des Gleichgewichts und des Friedens, zumal die Rivalität zwischen den beiden Ländern weder natürlich noch unausweichlich sei – „que la rivalité qui a existé jusqu’à présent entre les deux Monarchies n’est point naturelle, comme on a eu l’habitude de le croire jusqu’à présent“ –, was dem englischen König mitzuteilen ist und wovon er überzeugt werden soll.62 Adhémar referierte Vergennes die Antwort des englischen Königs: Dass Frankreich und Großbritannien für eine Freundschaft wie geschaffen seien, war auch die Meinung Georgs III., und diese Verbindung liege in ihrer beider wohlverstandenem Interesse; ein enges Zusammenwirken beider Mächte werde nicht nur einen künftigen Krieg zwischen ihnen verhindern, sondern auch zwischen anderen Souveränen in Europa. Schließlich fügte der König noch hinzu, dass er nie wieder einen Krieg mit Frankreich sehen wolle.63 War das bloße Höflichkeit eines Monarchen ohne reale Möglichkeiten der Umsetzung und ohne ernst zu nehmenden politischen Willen? Jedenfalls meinte damals, im Herbst 1782, auch der britische Premierminister Earl of Shelburne, dass ein Zusammengehen für beide Länder nötig sei; „and let us lay down the law to the rest of Europe […] If we agree, we shall regain our former place and we shall direct all the changes in Europe.“64 Dieser einsichtsvolle Hinweis
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Joseph-Matthias Gérard de Rayneval (1736 – 1812), Vergennes Unterstaatssekretär; er war 1783 in diplomatischer Mission in Großbritannien. Emerging Nation Bd. I (Fn. 21), S. 316, Fn. 1. 61 Rayneval an Vergennes vom 28. 1. 1783, in: Recueil des Instructions données aux Ambassadeurs et Ministres de France depuis les Traités de Westphalie jusqu’a la Révolution Française, Bd. XXV.2, Angleterre, Bd. 3, 1698 – 1791, hrsg. Paul Vaucher, Paris 1965, S. 512. 62 Mémoire pour servir d’Instruction au Sieur Comte D’Adhémar […] allant en Angleterre en Qualité d’Ambassadeur de la part de Sa Majesté, von Vergenes aus Versailles vom 25. 4. 1783, in: Recueil (Fn. 61), S. 514 – 525 (516). 63 Recueil (Fn. 61), S. 517, Fn. 4. 64 Crout (Fn. 57), S. 388. – William Petty Lord Shelburne (1737 – 1805) war Premierminister vom 4. 7. 1782 bis 2. 4. 1783; vgl. C.R. Ritcheson, The Earl of Shelburne and Peace with
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auf die Vorteile einer engen Zusammenarbeit unterstreicht auch die Sorge um die künftige Rolle der aufsteigenden Macht des russischen Kaiserreiches im Rückblick auf die polnische Teilung von 1772, die von den beiden westlichen Monarchien nicht zu verhindern war und auch als Eingeständnis ihrer Schwäche gegenüber den drei östlichen Mächten Russland, Preußen und Österreich gelesen werden kann. Vergennes Grand Design blieb Episode und scheiterte schon vier Jahre nach der Friedensordnung von Versailles. Die alten politischen und ideologischen Gegensätze zwischen Frankreich und Großbritannien waren nicht über Nacht zu überwinden, und in beiden Ländern gab es starke Vorbehalte gegen ein Zusammengehen; überdies konnten die Briten nicht vergessen, dass der Verlust Amerikas letztlich Frankreich zu „verdanken“ war. Als dann Großbritannien gemeinsam mit Preußen 1787 in den Niederlanden intervenierte (entgegen den französischen Interessen),65 war die außenpolitische Vision Vergennes von einer neuen Friedenordnung zu Ende; in der französischen Innenpolitik ebnete das Scheitern der Pläne Ludwigs XVI. zur Reform auf der Notablenversammlung in Versailles66 im gleichen Jahr die Wege zur Einberufung der Generalstände.
VI. Kritik an den Articles und die neue Constitution der USA (1787 – 1789) Obwohl sich die Föderativverfassung der Articles im Krieg gegen England bewährte und den angesichts der militärischen Bedrohung notwendigen Zusammenhalt im Inneren garantiert hatte, wurde in den Jahren nach dem Friedensschluss und dem Wegfall des äußeren Feindes immer deutlicher, wie in den einzelnen „vereinigten“ Staaten die Einsicht zurückging, dass auch in Friedenszeiten ein gemeinsames politisches Handeln der Konföderation in ihrem Interesse liegt. Die zunehmende Wendung der Einzelstaaten nach Innen zeigte sich nirgends deutlicher als am Ausbleiben ihrer Delegierten am Sitz des Kongresses; es dauerte zeitweise lange, ehe das für Beratungen notwendige Quorum von sieben Staaten erreicht werden konnte, ganz zu schweigen von der noch größeren Schwierigkeit, die Anwesenheit von neun Staatenvertretungen für das Fassen wichtiger Beschlüsse überhaupt zu erreichen. Diskussionen über die Defizite des Staatenbundes nahmen daher seit 1783 zu, und immer wieder überlegte man mögliche Ergänzungen oder Änderungen der Articles. Eine zentrale Schwachstelle wurde unmittelbar nach dem Friedensschluss sichtbar, als große Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Friedensvertrags in einem Punkt überdeutlich auftaten – es ging um Verpflichtungen der USA gegenüber GroßbritanAmerica, 1782 – 1783: Vision and Reality, The International History Review 5, 1983, S. 322 – 345. 65 Zum historischen Hintergrund vgl. Jonathan I. Israel, The Dutch Republic. Its Rise, Greatness, and Fall 1477 – 1806, 2. Aufl., Oxford/New York 1998, S. 1098 – 1115; siehe auch Price (Fn. 20), S. 187 – 222. 66 Vgl. John Hardman, Louis XVI – The Silent King, London 2000, S. 79 – 96.
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nien, die aus den Bestimmungen des Art. V folgten, die sich aber zusätzlich aus einer neuen Friedensgesinnung heraus ergeben sollten: „It is agreed that Congress shall earnestly recommend it to the Legislatures of the respective States to provide for the Restitution of all Estates, Rights, and Properties, which have been confiscated belonging to real British Subjects; […] And that Congress shall also earnestly recommend to the several States, a Reconsideration and Revision of all Acts or Laws regarding the Premises, so as to render the said Laws or Acts perfectly consistent not only with Justice and Equity but with that Spirit of Conciliation which on the Return of the Blessings of Peace should universally prevail. “67
Darüber hinaus erwies sich die Bezahlung der Schulden an die europäischen Gläubiger, die den USA Kredite für die Kriegsführung gewährt hatten (besonders in Frankreich und den Niederlanden), als schwierig und drohte die internationale Reputation der USA nachhaltig zu beschädigen. Die mit diesen beiden Herausforderungen im Zusammenhang stehenden Fragen zogen sich über Jahre hin und legten die begrenzten Möglichkeiten des Kongresses offen, die unter dem föderativen Dach der Articles zusammengeschlossenen Einzelstaaten zu etwas zu zwingen – nicht einmal zu dem, wozu sie gemäß Friedensvertrag ohnehin verpflichtet waren! In einem Schreiben an die Gouverneure der Einzelstaaten musste der Präsident des Kongresses noch im April 1787 (!) die Bestimmungen der Articles hinsichtlich internationaler Verträge im Allgemeinen und des Friedensvertrags von 1783 im Besonderen nachdrücklich in Erinnerung rufen:68 „Our National Constitution having committed to us the management of the National concerns with foreign States and powers; it is our duty to take care, that all the rights which they ought to enjoy within our Jurisdiction by the Law of Nations, and the faith of Treaties remain inviolate. […] Let it be remembered that the Thirteen Independent Sovereign States have by express delegation of power formed and vested in us a general, though limited Sovereignty, fort he general and National purposes specified in the [Articles of] Confederation, […] [where] the 9th Article of the Confederation most expressly conveys to us, the sole and exclusive right and power of determining on War and peace, and of entering into Treaties and Alliances.“
Das bedeutete, dass ein vom Kongress ratifizierter Friedensvertrag das gesamte Land verpflichtet und somit für jeden Einzelstaat gleichermaßen verbindlich ist: „[…] no individual State has a right by Legislative Acts to decide and point out the sense in which their particular Citizens and Courts shall understand this or that Article of a Treaty. […] All the United States […] collectively are parties to this Treaty on the one side, and his Britannic Majesty on the other.“
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Der Text des Friedensvertrags vom 3. 9. 1783 in: Papers of John Adams (Fn. 29), S. 245 – 250; Art. V des Friedens: S. 248 – 249. 68 Präsident Arthur St. Clair an die Gouverneure aus New York, vom 13. 4. 1787, in: Emerging Nation Bd. III (Fn. 21), S. 472 – 477.
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Deshalb hatte der Kongress die folgende Resolution verabschiedet: „Resolved, that the Legislatures of the several States cannot of right pass any act or acts of interpreting, explaining or construing a National Treaty, or any part or clause of it, […] for that on being constitutionally made, ratified and published they become in Virtue of the Confederation part of the Law of the Land, and are not only independent of the will and power of such Legislatures but also binding and obligatory on them.“
Wie ein erläuternder Kommentar zu den Bemühungen des Kongresses gegenüber den Einzelstaaten liest sich ein Memorandum vom April 1787, das James Madison im Vorfeld der Beratungen in Philadelphia als Ergebnis sorgfältiger Analyse der Articles verfasst hatte und worin er ihre Defizite beschrieb.69 Punkt 7 des Memorandums handelt von der bedenklichsten Schwachstelle: Wie Madison darlegt, gehörten Sanktionsmöglichkeiten zum Wesen von Gesetzen, und ebenso gehört die Zwangsgewalt zum Wesen der Regierung; beides aber mangle dem aktuellen System der amerikanischen Konföderation: „Under the form of such a Constitution, it is in fact nothing more than a treaty of amity of commerce and of alliance between so many independent and Sovereign States. From what cause could so fatal an omission have happened in the articles of confederation? From a mistaken confidence that the justice, the good faith, the honor, the sound policy, of the several legislative assemblies would render superfluous any appeal to the ordinary motives by which the laws secure the obedience of individuals […]. It is no longer doubted that a unanimous and punctual obedience of 13 independent bodies, to the acts of the federal Government, ought not be calculated on.“
Madison zählte zu den prominentesten und artikuliertesten Kritikern der Schwachstellen in den Articles of Confederation. Er arbeitete konsequent auf eine Verbesserung und später Ersetzung der ersten Föderation durch eine neue, doch weiterhin föderative Verfassung hin, und im Sommer 1787 spielte er eine zentrale Rolle für die Entstehung der Constitution. Im 8. Punkt des genannten Memorandums bemerkte er über den Charakter der Articles: „As far as the Union of the States is to be regarded as a league of sovereign powers and not as a political Constitution by virtue of which they are become one sovereign power, so far it seems to follow from the doctrine of compacts, that a breach of any of the articles of the confederation by any of the parties to it, absolves the other parties from their respective obligations and gives them a right […] of dissolving the Union altogether.“ 70
Die damalige Föderation war für Madison ein völkerrechtliches Bündnis, eine Allianz, eine Liga zwischen souveränen Einzelstaaten, weshalb die USA auch keinen Gesamtstaat darstellten; eine Reform der Articles mit einer substanziellen Stärkung der Zentralgewalt erschien ihm unumgänglich.
69 Vices of the Political System of the United States, April 1787, in: James Madison, Writings, hrsg. Jack N. Rakove, New York 1999, S. 69 – 80. 70 Vices (Fn. 69), S. 74.
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Wie die Wortmeldungen von Alexander Hamilton während der Diskussionen in der Constitutional Convention belegen, hatte er kein Interesse an Frage des Föderalismus oder an staats- und völkerrechtlichen Theorien über Konföderationen, und so stellte er im Unterschied zu Madison auch keine Überlegungen darüber an, wie die föderale Grundstruktur der Articles of Confederation auch im Rahmen der neuen Verfassung bewahrt werden könnte. Von Anfang an betrachte Hamilton die USA als eine Republik, nicht aber als Staatenbund bestehend aus dreizehn Einzelstaaten; diese Ansicht vertrat er in den Beratungen zur Verfassung in Philadelphia ebenso wie in seinen Beiträgen zur darauf folgenden Ratifikationsdebatte; Gerald Stourzh bemerkte dazu: „The theory of American federalism as expounded in […]The Federalist by Madison could never have been written by Hamilton. […] [Federalism’s] irrelevance for Hamilton’s true purpose and design became apparent wherever he vindicated the limitless supremacy of the national government in the name of the primacy of foreign policy, of defense, of a ,respectable‘ stature abroad.“71
Hamiltons durchaus problematische Sicht auf die Articles unterstreicht nur, wie unterschiedlich die Amerikaner die völkerrechtliche Einordnung ihres Verfassungsdokuments gesehen haben. Noch bevor am 25. Mai 1787 die Diskussion über eine Reform der Föderativverfassung in der Convention in Philadelphia begonnen hatten, kritisierte Thomas Jefferson aus Paris am 23. Februar die Ansicht von John Adams, der geschrieben hatte: „Congress is not a legislative, but a diplomatic assembly“. Jefferson war anderer Ansicht und meinte: „The Confederation is a part of the law of the land, and superior in authority to the ordinary laws, because it cannot be altered by the legislature of any one state. I doubt whether they are at all a diplomatic assembly.“72
So überrascht es nicht, dass sich Thomas Jefferson gegen eine neue Verfassung aussprach und für die Beibehaltung der – wiewohl zu ergänzenden und zu revidierenden – Articles plädierte. Als er das in Philadelphia neu erarbeitete Verfassungsdokument schließlich in Paris in Händen hielt, bemerkte er gegenüber John Adams im Brief vom 13. November 1787: „Indeed I think all the good of the new constitution might have been couched in three or four new articles to be added to the good, old, and venerable fabric, which should have been preserved even as a religious relique.“73
Diese religiös aufgeladenen Worte können als Schlüssel zum Verständnis der heftigen Auseinandersetzungen gelesen werden, die 1787/88 um die Ratifikation der 71 Gerald Stourzh, Alexander Hamilton and the Idea of Republican Government, Stanford 1970, S. 160 – 161. 72 Lester J. Cappon (Hrsg.), The Adams-Jefferson Letters. The Complete Correspondence Between Thomas Jefferson and Abigail and John Adams, 2. Aufl., Chapel Hill/London 1987, S. 174 – 175. 73 Adams-Jefferson Letters (Fn. 72), S. 212.
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neuen Verfassung zwischen Befürwortern und Gegnern der neuen politischen Ordnung entbrannten. Die lange und intensiv diskutierte Frage einer Reform der Articles beschäftigte auch Louis Guillaume Otto74, der in einem Schreiben vom 10. April 1787 (noch vor Eröffnung der Convention in Philadelphia) an den neuen Außenminister Comte de Montmorin Saint-Hérem75 seine Zweifel darüber äußerte, ob die Einzelstaaten im Zuge der geplanten Verfassungsreform tatsächlich ihre Unabhängigkeit aufgeben wollen, mit dem zwangsläufigen Ergebnis „to be no more than provinces of a great Empire“. Otto meinte im Bericht, bei den Vertretern der Einzelstaaten mangels äußerer Bedrohungen wie im Unabhängigkeitskrieg kein großes Interesse für eine Reform der Articles feststellen zu können: „These republicans no longer have a Philip at their portals [ein weiterer Hinweis auf die Niederlande im 16. Jahrhundert], and as they threw off the yoke of England in order not to pay taxes, they bear with impatience that of a Congress that can only charge them imposts without offering them any protection against enemies that no longer exist.“76
Die Notwendigkeit für eine tiefgreifende Verfassungsrevision oder -änderung konnte dieser französische Beobachter somit nicht ausmachen. Der Verfassungskonvent in Philadelphia erarbeitete dann entgegen dem ausdrücklichen Auftrag des Kongresses zu einer Reform der Articles die neue Föderativverfassung, die am 17. September 1787 vorlag und an den Kongress in New York übermittelt wurde, der sie an die Einzelstaaten zur Ratifikation ausschickte. Die Entstehungsgeschichte der neuen Verfassung und ihrer Ratifikation sind bekannt, bestens untersucht und gut erforscht.77 Im Kontext der Überlegungen des vorliegenden Beitrags bleibt noch in Rechnung zu stellen, dass die Entstehung der Constitution auch die europäische Aufmerksam74
Louis Guillaume Otto (1754 – 1817), französischer Diplomat und Sekretär von Chevalier de La Luzerne (1779 – 1784) und Chargé d’affairs in den USA von August 1785 bis Jänner 1788 sowie von Oktober 1789 bis Juli 1791; vgl. Emerging Nation Bd. III (Fn. 21), S. 54, Fn. 2. 75 Armand Marc, comte de Montmorin Saint-Hérem (1745 – 1792), Staatsmann und Diplomat, war Frankreichs Botschafter in Spanien von 1778 – 1784 und von 1787 bis zum 1791 Außenminister als Nachfolger von Vergenne; vgl. Emerging Nation Bd. I (Fn. 21), S. 67, Fn. 1. 76 Emerging Nation Bd. III (Fn. 21), S. 464 f. 77 Nach wie vor bedeutend sind die inzwischen klassischen Darstellungen von Gordon S. Wood, The Creation of the American Republic, 1776 – 1787, NewYork/London 1969 und Bernard Bailyn, The Ideological Origins of the American Revolution, 2. Aufl., Cambridge, Mass./London 1992. Die beste Auswahl an Dokumenten zur Ratifikationsdebatte: The Debate on the Constitution (Fn. 15); eine exemplarische Darstellung zur Ratifikation: Jürgen Heideking, Die Verfassung vor dem Richterstuhl. Vorgeschichte und Ratifizierung der amerikanischen Verfassung 1787 – 1791, Berlin/New York 1988. – Ein konziser Überblick zur Entstehung des politischen Systems in den USA bei Andreas Kley, Verfassungsgeschichte der Neuzeit. Großbritannien, die USA, Frankreich, Deutschland und die Schweiz, 3. Aufl., Bern 2013, S. 94 – 119.
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keit auf sich gezogen hatte, und in Frankreich war sie größer als anderswo. Am 20. Oktober 1787 berichtete Louis Guillaume Otto aus New York an Außenminister Montmorin über seine Einschätzung der Verfassung78 ; die Vorteile der neuen politischen Ordnung hat er zwar anerkannt („Congress will be able […] to pay the public debts and to render itself formidable in America and in Europe“), unterließ es aber nicht, auf die Nachteile hinzuweisen, die das Dokument aus seiner Sicht enthielt: Es mögen zwar, meinte er, die drei Gewalten von Präsident, Senat und Repräsentantenhaus auf den ersten Blick dem englischen Vorbild von König, Oberhaus und Unterhaus entsprechen, doch bei näherem Hinsehen zeige sich, dass die politisch-soziale Zusammensetzung der Mitglieder des amerikanischen Kongresses eine völlig andere wäre als diejenige im britischen Parlament; die Folge sei, dass es eine Gewaltentrennung nicht geben könne: „In Great Britain, a coalition between the Lords and the Commons is almost impossible; in America, it will be completely natural between the Senators and the Representatives. […] Congress will be able to raise armies and fit out fleets; will it not be as interested as the Roman Senate in integrating wars in order to support many troops and to employ them later in the destruction of liberty?“
Am Schluss des Schreibens fasste er seine Beobachtungen im Sinne der Verfassungsgegner, der Anti-Federalists, noch einmal zusammen: „It would perhaps be interesting to examine whether, in the midst of peace and without any urgent necessity, it is prudent for the confederated republics to unite all their rights and powers in one center and to elect as powerful an officer as the President of the United States will be. I must leave this task, which is foreign to me, to more capable pens.“
Anders als im Falle der Articles genügte für die Annahme der „more perfect union“, wie es in der Präambel heißt, eine Mehrheit von neun Staaten, um das Verfassungsdokument in diesen neun Staaten in Kraft zu setzen; der Hinweis ist wichtig, weil sonst unverständlich bleibt, weshalb der Ratifikationsprozess auch nach der Annahme der Constitution durch den neunten Staat (New Hampshire) fortgesetzt wurde. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, die in den Debatten von 1787/88 thematisierte Möglichkeit eines Zerfalls der USA zu bedenken.79 Die Option mehrerer Konföderationen sah z. B. Louis Guillaume Otto schon vor den Ratifikationsdebatten als gegeben an; noch während der Verfassungskonvent in Philadelphia tagte, schrieb er am 10. Juni 1787 aus New York, dem damaligen Sitz des Kongresses, an den französischen Außenminister Montmorin und teilte mit, was er über die Arbeit der Convention und die dort geplanten Änderungen des Verfassungsgefüges erfahren hat:80 Diesem Bericht von Otto zufolge war eine Gruppe der Ansicht, das bisher geltende Prinzip der Einstimmigkeit bei jeder Änderung der Articles müsse fallen, zumal sich 78
Emerging Nation Bd. III (Fn. 21), S. 634 – 637. Ein Szenario dieser Art hätte sich durchaus stellen können, falls der Staat New York die Verfassung nicht ratifiziert hätte (das Abstimmungsergebnis war mit 30 Stimmen dafür und 27 dagegen alles andere als überwältigend). 80 Emerging Nation Bd. III (Fn. 21), S. 525 – 529. 79
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diese Bestimmung für die USA als nachteilig erwiesen hatte, „as the liberum Veto has been to the republic of Poland“. Eine wiederum andere Gruppierung ging von der Unvereinbarkeit einzelstaatlicher Interessen im Blick auf den gemeinsamen Staat aus, nicht zuletzt hinsichtlich der unterschiedlichen Handels- und Wirtschaftsinteressen – im Norden sei die Fischerei bestimmend, in der Mitte herrschten Farmen vor, und im Süden dominierten die Plantagen. Deshalb wäre es eine sinnvolle Option, die Union in drei Konföderationen mit voneinander unabhängigen Regierungen zu teilen: Eine Nord-Konföderation könnte Neuengland sowie New York bis zum Hudson umfassen, eine Konföderation der Mitte würde sich vom Hudson bis zum Potomac erstrecken, und eine Süd-Konföderation könnte aus Virginia, den beiden Carolinas und Georgia bestehen. Die drei Konföderationsregierungen, fuhr der Bericht fort, „would be fortified by reason of their proximity and of the identity of their political views. […] Treaties of Alliance among the various States would serve as a common bond and would produce the same effect as a general confederation.“
Eine weitere Gruppe von Delegierten schließlich sprach sich für die Beibehaltung der gegenwärtigen Verfassungsordnung mit nur geringfügigen Änderungen aus: „We do not find, they say, that the situation of the United States is as bad as some would have us to believe. […] Why change a political system which has made the States prosper and whose only inconvenience is that it defers the payment of our debts? […] It is important to our liberty that Congress be only a simple diplomatic body and not a sovereign and absolute Assembly.“
Louis Guillaume Otto meinte dann zusammenfassend zu diesen unterschiedlichen Positionen, dass auch seiner eigenen Ansicht nach die Beibehaltung des gegenwärtigen Systems schon deshalb am besten wäre, „because it is better suited than any other political system to the spirit of the people“. Nicht nur ein Auseinanderbrechen der USA in einzelne Föderationen erschien damals als denkbare Variante – sogar das Scheitern des republikanischen Experiments und die (teilweise) Wiederherstellung der Monarchie unter einem der Söhne Georgs III. galten als realistische Zukunftsszenarien. Alexander Hamilton erschien die Wahrscheinlichkeit einer Rückkehr zur Monarchie zwar nicht groß, er schloss diese Möglichkeit aber nicht aus; im September 1787 schrieb er: „A dismemberment of the Union, and monarchies in different portions of it, may be expected. It may […] happen that no civil war will take place, but several republican confederacies be established between different combinations of the particular states. A reunion with Great Britain […] is not impossible, though not much to be feared. The most plausible shape of such a business would be the establishment of a son of the present monarch in the supreme government of this country, with a family compact.“81 81 Alexander Hamilton, Conjectures About the New Constitution, verfasst gegen Ende September 1787 und nicht publiziert, in: Alexander Hamilton, Writings, hrsg. Joanne B. Freeman, New York 2001, S. 167 – 170 (169). – Beim Familienkompakt dachte Hamilton an
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Eine künftige Monarchie auf dem Gebiet der USA schien für den Comte de Moustier82 sogar wahrscheinlich, als er am 19. Jänner 1789 (immerhin nicht ganz vier Monate vor der Inauguration von George Washington zum ersten Präsidenten!) aus New York an Montmorin schrieb: „The question is to know whether the United States will proceed to monarchy by the shortest path, or whether it will reach there after having passed through all the decomposition of anarchy, […] and the gradual and successive reunion of the members proper to compose a great body solid, energetic, and harmonious.“83
VII. Epilog Wie sehr sich das alteuropäische Denken des Ancien Régime in den Kategorien der Abstufungen und des Ranges von Staaten bewegte und wie sich dieser Zugang im politisch-diplomatischen Umgang niederschlug, geht aus einem Schreiben des Comte de Moustier an Außenminister Montmorin vom 2. Februar 1789 klar hervor.84 Es ging darin um Fragen des Zeremoniells in einer Republik – und noch einmal werden hier kurz vor dem Zusammentreten der französischen Generalstände in Versailles die traditionellen Denkweisen innerhalb der alteuropäischen Welt sichtbar. Moustier sah die Souveränität der USA im Präsidenten sowie in den beiden Häusern des Kongresses repräsentiert, während sie unter den Articles of Confederation allein im Kongress verankert war. Das bedeutet, so Moustier, eine zusätzliche Herausforderung für die Gestaltung des diplomatischen Verkehrs zwischen der französischen Monarchie und der amerikanischen Republik: „It does not appear that a Sovereign (d.i. der französische König), either in his letters or through his ministers, may treat on a footing of equality with an elective Officer (d.i. der Präsident der USA) who is charged for only four years with a third part of the administration, and who does not have the right to appoint Ministers or to conclude treaties or conventions with foreign Powers without the consent of the Senate.“
Ein (gewähltes) republikanisches Staatsobersteht steht mit einem (erblichen) Monarchen grundsätzlich nicht auf gleicher Stufe, und die amerikanische Republik auch unter der Constitution wurde nicht anders als die USA unter den Articles of Confederation weiterhin im Kontext des alteuropäischen Republikanismus gesehen. Deshalb, so Moustier weiter, müssen in der gegebenen Situation grundsätzliche Überlegungen im Blick auf das künftig zu beobachtende Zeremoniell zwischen beiden Pakt mit Beistandsverpflichtungen, wie er zwischen den Bourbonen-Monarchien Spanien und Frankreich damals bestand und zuletzt 1761 erneuert worden war. 82 Eléonore François Elie, comte de Moustier (1751 – 1817) war Diplomat, von Jänner bis April 1783 Gesandter in England, von Februar 1788 bis Oktober 1789 französischer „Minister“ in den USA. Vgl. Emerging Nation Bd. I (Fn. 21), S. 755, Fn. 1. 83 Emerging Nation Bd. III (Fn. 21), S. 915 – 919 (918). 84 Emerging Nation Bd. III (Fn. 21), S. 919 – 922 (920).
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den Ländern angestellt werden, und so bat er seinen Außenminister, ihm die Details des diplomatischen Zeremoniells zu übermitteln, wie es in Den Haag, Venedig und Genua beobachtet wird, „where the chief executives of the republic, at least by their Constitution, have a great resemblance to the President of Congress, who cannot demand to be treated with more distinction than a Stadhouder or a Doge. […] In the event of a public audience, the King’s Minister is to be received by the President and the Senate together, as he is in Holland by the States General. One cannot be too attentive not to compromise the character of a foreign Minister in a democratic country, the leaders of which are most disposed to disparage him.“
In diesen Worten wird auf eindrucksvolle Weise der enorme Rangunterschied betont, wie er zwischen Monarchie (Frankreich) und Republik (Vereinigte Staaten) besteht. Zugleich wird im selben Brief noch einmal der offene, ungesicherte Ausgangs des amerikanischen politischen Experiments unterstrichen: „It cannot be concealed that the grandeur that the Americans claim to establish in their government is still purely ideal, and that the new government itself is only an infant whose existence, and consequently whose future strength, are very uncertain.“85
Instruktiv und bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein Brief des französischen Außenministers Montmorin vom 31. August 1787 an Louis Guillaume Otto, der das demokratisch-republikanische Experiment der USA mit seinen politischen Folgen kommentiert: „It appears, […] that there is in all the American provinces more or less of a tendency towards democracy, and that in several this latter form of government will prevail in the end. The result will be that the confederation will have little solidity, and that by degree the various states will live in perfect independence with regard to each other.“ 86
Diese Vorbehalte, Einschätzungen und Voraussagen waren der Ausdruck verbreiteter zeitgenössischer Wahrnehmungen in Europa, vom damaligen, noch am Ende des 18. Jahrhunderts vorherrschenden monarchisch-absolutistischen Denken wesentlich bestimmt und mitgetragen. Gerade auch deshalb ist es für die historische Analyse unabdingbar wichtig, das „selbstverständlich Gewordene nicht als das ursprünglich Selbstverständliche zu sehen“. Darin erblickte Hans Blumenberg mit Recht die zentrale Aufgabe einer jeden geschichtlichen Reflexion;87 dieser Gedanke führt nun wieder zurück zu jener Überlegung von Golo Mann, die ich einleitend am Beginn dieses Beitrags im Zusammenhang mit der historischen Einordnung der Entstehungsgeschichte der Vereinigten Staaten zitiert habe.
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Emerging Nation Bd. III (Fn. 21), S. 921. Das Schreiben aus Versailles wurde noch vor dem Ende der Beratungen auf der Convention in Philadelphia verfasst; Emerging Nation Bd. III (Fn. 21), S. 573. 87 Hans Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1988, S. 698. 86
Aussprache Gesprächsleitung: Simon Simon: Vielen Dank für Ihren Vortrag, Herr Fröschl. Dann eröffne ich wieder das Gespräch und die Diskussion. Schilling: Zunächst herzlichen Dank, das ist sehr anregend. Ich will vorab einen kurzen Hinweis geben, den Sie aber wahrscheinlich kennen. Wenn Sie sich zeitgenössische bildliche Darstellungen der Unabhängigkeitserklärung ansehen, zeigen sie die Väter der amerikanischen Verfassung sehr nachdenklich, sehr bekümmert dreinblickend, sehr ernsthaft. Es ist eigentlich erst um 1820 John Trumbull, der das bis heute weithin prägende Bild der heroisch in die Zukunft blickenden Figuren kreiert. Aber das ist nur eine Nebenbemerkung. Ich habe eine Rückfrage im Hinblick auf die von Ihnen erwähnte Mediation Josephs II. Agiert Joseph hier als Kaiser, als Erzherzog von Österreich und Souverän einer Großmacht oder ganz unabhängig von seinen Herrscherämtern? Agiert gar das Heilige Römische Reich? Damit verknüpft ist die Frage nach der Rolle der Dynasten und Dynastien. Wir haben ja die Neigung, die Mächtebeziehungen des Ancien Régime rückblickend primär als Staatenbeziehungen zu betrachten. Haben auch in der Gründungsphase der Amerikanischen Republik dynastische Interessen und Rücksichtnahmen eine Rolle gespielt, etwa bei der Entscheidung, den Frieden an zwei verschiedenen Orten zu schließen? Oder war das in diesem Fall nicht relevant? Danke. Fröschl: Bildliche Darstellungen – und das ist ein wichtiger Punkt – konnten auch das unsichere und das offene Experiment des 18. Jahrhunderts betonen, gerade auch die Perspektive einer Monarchie, gerade auch das Zerfallen des Staates, denn so sicher und so ausgemacht war das nicht. Und es gab ja Stimmen, die meinten, es sei ganz gut, dass George Washington keine eigenen Kinder hat, denn so kann keine neue Dynastie begründet werden. Das heißt, das Bewusstsein, dass man in einem monarchischen Zeitalter lebt, in dem die Republiken die absolute Ausnahme sind und auch vom Rang her herabgestuft sind, war sehr weit verbreitet. Ich habe mir die Friedensverträge genau angesehen, auch mit den Instruktionen. Diejenige von Joseph II., die im Friedensvertrag auch enthalten ist, ist in lateinischer Sprache. Und es ist der Kaiser, von dem die Rede ist. In allen Akten, auch in der diplomatischen Korrespondenz, die ich mir angesehen habe, ist nur vom Kaiser, nur vom Heiligen Römischen Reich die Rede.
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Müßig: Herr Fröschl, vielen Dank. Die Frage, die mich von Ihrem Vortragstitel her die ganze Zeit beschäftigt hat, ist: Was sehen Sie als Verfassungsordnung, jetzt konkret dieser Articles of Confederation, an? Ich würde Ihnen wirklich folgen in dieser Argumentation, dass wir natürlich frühneuzeitliches – ich würde sogar fast sagen, teilweise mittelalterliches Recht – sehen. Die Argumentation der Amerikaner rührt aus dem mittelalterlichen Common Law her, dem alten Widerstandsrecht, dass also ein König, wenn er nicht mehr dem Recht gemäß regiert, wenn er tyrannisch wird, aufhört König zu sein. Schon Bracton hat gesagt, dass eben das Recht den König macht. Dieser alte Diskurs wird jetzt mit der terminologisch neuen Unterscheidung zwischen verfassungsgemäß und verfassungswidrig verbunden. Und das ist das Neue, was in dieser Argumentation, meines Erachtens, hineinkommt und sie dann wirklich aus diesem alten Diskurs heraushebt. Dass aus diesem Grund, der amerikanische Widerstand constitutional, also verfassungsgemäß sei. Sie seien also eigentlich die wirklich verfassungstreuen Briten, wenn George III. (the royal brute) aufgehört habe König zu sein. Das, was eben die Briten selber machen, die Besteuerung der Kolonien ohne Repräsentation in Westminster, unconstitutional. Das heißt, diese Unterscheidung verfassungsgemäß und verfassungswidrig, ist – meines Erachtens – eine Konstante dieses Diskurses. Da hatte ich irgendwie auch die ganze Zeit, auch in dem Vortrag, darauf gewartet. Vielleicht können Sie noch etwas dazu ergänzen? Danke. Fröschl: Sehr gerne. Worauf Sie hier anspielen ist die große Empire-Debatte, die nach 1763 beginnt. Es geht dabei um die britischen Reformen, um die Frage, dass sich die Amerikaner in ihren verfassungsmäßigen Rechten beschwert fühlen, dass sie aber davon ausgehen, dass sie selbst Engländer sind. Bis 1774 geht es um die „Rights of Englishmen“, um Engländer, die in Amerika leben, aber letztlich Europäer sind. Da gibt es eine sehr spannende und sehr umfassende Diskussion. Darauf bin ich jetzt nicht eingegangen, denn mein Ausgangspunkt war 1776, nachdem alle Versuche einer Versöhnung mit dem Mutterland gescheitert waren und man weder in London noch in Philadelphia zu einem Kompromiss bereit war. Was ich mit Verfassungsordnung im Konkreten meine, war Ihre Frage: In Amerika waren die einzelnen, sehr unterschiedlichen Kolonien, die dann Staaten werden, alle direkt mit London verbunden, untereinander aber nicht. In dem Moment, wo die Verbindung der dreizehn Kolonien zu London wegfällt, stehen sie gleichsam alle nebeneinander, sie sind sozusagen einzelstaatliche Gebilde. Das ist eben das Interessante, worauf ich hingewiesen habe, dass in der Unabhängigkeitserklärung von einem amerikanischen Volk die Rede ist, das sich von einem britischen Volk abspaltet. (In den Entwürfen war noch von einem dritten Volk die Rede, von den afrikanischen Sklaven, aber das wurde in der Endredaktion weggelassen, während die Indigenen nicht ein Volk sind, das hier eine Rolle spielt, sondern das sind fremde Nationen). Dass man diese dreizehn Staaten im Rahmen einer föderativen Verfassung zusammenfügen muss ist auch der Grund, warum die Niederlande, das Heilige Römische Reich und die Schweiz diskutiert werden, aber auch Föderationen der Antike, über die man zugegeben wenig weiß. In der britischen Verfassungsgeschichte gibt es keinen
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Präzedenzfall, weil die Union England-Schottland von 1707 kein Modell ist, das man in Nordamerika übernehmen kann. Man bezieht 1776/77 Montesquieu in die Diskussion ein, der die Fragen behandelt: Was ist eine république fedérative? Welche Vorteile, welche Nachteile hat sie? Es bleibt noch anzumerken, dass man den Blick auf Europa nicht in einem politikwissenschaftlichen Interesse richtete! Die Forschung hat nachgewiesen, wie unpräzise und zum Teil missverständlich man das Funktionieren der Niederlande, Schweiz oder des Reichstages im Heiligen Römischen Reich interpretierte. Aber den Amerikanern damals ging es nicht um Imitationen, sondern darum, dass es Modelle gab, an denen sie sich orientieren konnten, weil sie sich an den englischen Verhältnissen nicht orientieren konnten. Die USA traten mit dreizehn Staaten in die Welt, und erst nachdem sie ihre Unabhängigkeit erklärt hatten, gaben sie sich eine föderative Verfassungsordnung. Dass es sehr unklar war, wie diese Ordnung dann auch wirklich aussehen sollte, zeigt die Diskussion bis 1787: Wie unabhängig, wie souverän sind diese Staaten? Ist der Kontinentalkongress tatsächlich eine Versammlung von Diplomaten? Hat er nicht doch auch exekutive und legislative Befugnisse? Hier gibt es noch keine wirklich klare Position, und schon John Adams sieht das anders als Jefferson. Die Verfassungsordnung der „Articles“ und das Ringen darum kam aber der endgültigen, bis heute in Kraft befindlichen Verfassung von 1787 durchaus zugute – und darum habe ich darauf hingewiesen, dass „a more perfect union“ schon eine Union voraussetzt. Höbelt: Wenn man es präsentistisch fassen will, könnte man sagen, da haben wir wieder die schöne Parallele zur Jetztzeit, wir haben keine Verfassung, aber wir haben eine Bank of the United States, die Morris Bank in Philadelphia, die Pleite geht, wenn es keine Union gibt. Da sehe ich Parallelen, aber auf die wollte ich nicht eingehen. Frage: Diese Frage mit der Religion, fiel es den Franzosen – quasi als Katholiken – nicht auf, wie sehr ja doch die konfessionellen Unterschiede zwischen den einzelnen Kolonien nicht nur gegeben sind, sondern auch die Stellung oder die Intensität ihres Engagements im Unabhängigkeitskampf sehr stark bestimmt haben, Vergleich Neuengland gegenüber den Anglikanern? Und dann zwei Fragen zu den Verträgen, die ich so genau nicht kenne. Gibt es irgendeine Conclusio aus der Frage heraus, Neutralitätsbund der Preußen, Russland und der baltischen Mächte, die ja zum ersten Mal das Thema während dieses Krieges groß aufs Tablett bringen? Was sind die Rechte von Kriegführenden? Was sind die Rechte von Neutralen? Daran eigentlich anschließend, Du hast gesagt Joseph II. sei quasi als ein Garant ein möglicher Mediator. Wie wurde die politische Stellung Josephs II. gerade von amerikanischer Seite, sofern man sich darüber Gedenken machte, eingeschätzt? Die ja sehr ambivalent ist, nach außen hin Verbündeter Frankreichs, aber interessiert, dass Frankreich sich nicht in Übersee engagiert. Rivale Hollands, das dann wieder für die Amerikaner eintritt. Also, für wie neutral oder unabhängig wurde die Stellung Josephs hier gesehen? Fröschl: Die erste Frage betrifft die Religion, die zweite die bewaffnete Neutralität, die Initiative Katherinas II. von 1780, und schließlich die Frage, wie Joseph II. in den USA wahrgenommen wird. Zur Religion: Hier ist aus französischer Sicht zu be-
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tonen, dass im Sinne des außen- und machtpolitischen Kalküls die Religion selbst keine Rolle spielt, und sie spielt keine Rolle in Philadelphia oder New York. In Neuengland dagegen sind die Ressentiments gegen das Katholische und gegen das Französische besonders stark. Wenn man im Zusammenhang des „French and Indian War“ die antikatholische Polemik in Neuengland sieht und die Hasstiraden liest, die gerade auch von Geistlichen gegen den Katholizismus losgelassen werden, versteht man gut, dass sich 1776 die neuen britischen Untertanen, d. h. die katholischen ehemaligen Frankokanadier, der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung nicht anschließen, denn ihre Religion sehen sie durch Westminster gesichert. Die Franzosen treten in Nordamerika nicht als katholische Macht in Erscheinung, und an eine Wiedereroberung von Québec ist nicht gedacht, und die früheren katholischen Untertanen sind nicht mehr die Angelegenheit Frankreichs. Die Frage der bewaffneten Neutralität ist ein wichtiges Element, aber ich bin darauf nicht näher eingegangen. Dieser Initiative Katharinas von Russland schließen sich die nordischen Königreiche Schweden und Dänemark an, und es geht darum, in diesem Krieg die Handelsverbindungen offen zu halten. Es werden die europäischen Länder, die das wollen, zum Beitritt eingeladen, und als die Niederlande dieser bewaffneten Neutralität beitreten wollen, führt das zur Kriegserklärung Großbritanniens. Für die gesamte Mediationsgeschichte ist das eine sehr spannende Sache, auch weil das fast wie eine Phantomgeschichte erscheint, die nie real wird, aber immer im Raum steht – es kommt aber nie zu wirklichen Aktionen, und doch werden Joseph II. und Katharina II. in den Friedensvertrag einbezogen. Man bedankt sich bei ihnen, dass Mediationsinitiativen gestartet wurden, obwohl es zu einer echten Mediation nie gekommen ist; das haben die Briten nicht erlaubt, und das wollten letztlich die Franzosen auch nicht. Aber es wird in Versailles eine europäische Ordnung postuliert, die in Wahrheit eine britisch-französische Ordnung ist, wo man die beiden Kaiserreiche, die Kaiserin und den Kaiser, einbezieht. Der Bezug zu Joseph II. ist vor allem eine ökonomische Geschichte, d. h. für die Amerikaner eröffnet sich mit Österreich eine neue Handelsperspektive bis hin zum Balkan, und man gründet in den 1780er Jahren in Triest eine amerikanischösterreichische Handelsgesellschaft, noch vor Ostende. Lepsius: Ein großer Vorteil unserer Vereinigung ist ja, dass sie Vertreter unterschiedlicher Disziplinen miteinander in den Diskurs bringt. Herr Fröschl, als Jurist fand ich Ihren Vortrag auch deshalb so interessant, weil die unterschiedlichen Diskurskulturen, wie sich ein Historiker oder ein Jurist dem Thema nähern würde, deutlich hervorgetreten sind. Insofern verzeihen Sie mir, wenn ich zu dem Thema ein bisschen aus der einseitigen Sicht des Juristen etwas sage, daran eine Frage anschließe und mir dann noch eine zweite herausnehme. The Articles of Confederation sind ja ein Zwischenschritt in einem Prozess, den wir natürlich die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika nennen können, den wir aber auch kategorial verselbstständigen können als einen Prozess der Neudefinition der zentralen politischen Terminologie und ihrer Legitimationsstrukturen. Die amerikanische Debatte behandelt ja nicht nur ein amerikanisches Thema, sondern sie ist ein Thema, das die Kategorienwelt des Verfassungsrechts und der ihr zugrunde liegenden politischen Theorien be-
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trifft. Und insofern sind The Articles of Confederation ein Zwischenschritt in einem Prozess, der mit der Unabhängigkeitserklärung beginnt und dann auch in Frankreich eine Fortsetzung findet und bis ins 19. Jahrhundert dauert. Was sind die neuen Dinge? Ich nehme vielleicht einmal drei Aspekte heraus, bei denen die Amerikaner völlig neu denken. Sie haben weder die Demokratie noch die Repräsentation erfunden. Aber in Europa war damals noch common sense, Demokratie ist etwas für kleine Gebilde, nicht für Flächenstaaten. Nach ganz herrschender Meinung ist die Demokratie für Flächenstaaten kein Legitimationsinstrument. Sie eignet sich für Stadtrepubliken, Genf als Vorbild gewissermaßen, Rosseau, Athenisches Denken. Repräsentation hingegen ist ein Legitimationsinstrument, das in territorialen Gebilden eine lange Tradition hat. Was den Amerikanern nun gelingt, ist die Verknüpfung von Demokratie und Repräsentation. Das ist etwas Neues. Und dieses muss natürlich jetzt in Strukturen ausgestaltet werden, denn die Strukturen dafür sind in Europa noch nicht vorhanden. Hierzu nun dienen erst einmal die einzelstaatlichen Verfassungen. Über die haben Sie nicht viel gesagt. Den Articles of Confederation vorgestaltet ist ja eine Verfassungsgebung in den zu Staaten transformierten Kolonien. Und diese Verfassungen sind interessant, weil sie noch konventionelle Verfassungen sind, die eine herrschaftsbegrenzende Funktion gegenüber der öffentlichen Gewalt haben. Dort finden wir dann auch die Rechteerklärungen, die Virginia Bill of Rights vielleicht als Prominenteste. In den einzelstaatlichen Verfassungsgebungen dominiert noch die klassische Aufgabe der Herrschaftsbegrenzung, in den Rechteerklärungen kulminierend. So wie die Verbindung von Repräsentation und Demokratie etwas Neues ist, kommt jetzt etwas Neues hinzu, nämlich die Verwendung der Idee der Verfassung zur Begründung einer neuen Herrschaftsordnung. Und die wird dann einmal Confederation oder Union oder Federal Level genannt, darum wird erst einmal gerungen. Für dieses Gebilde, die Union, brauchte man aber eine Legitimationsbasis. Woher soll die kommen? Sie entstammt dem Rechtstext, den die Amerikaner Verfassung nennen. Jetzt aber hat die „Verfassung“ eine ganz andere Funktion, sie ist nicht herrschaftsbegrenzend, sondern herrschaftsbegründend. Und das ist eine Innovation. Es geht nämlich um ein neues Gebilde, das nicht vorgefunden, sondern durch Rechtsakte konstruiert wird. Wie passt das nun zusammen, die Herrschaftsbegründung mit der Demokratie? Indem ein neues Legitimationssubjekt erfunden wird, das People genannt wird. Aber das gab es zuvor nicht, ein „people“. Es gab im Ancien Régime kein Volk; es gab Bevölkerung, Stände, Personalherrschaftsverhältnisse, aber es gab kein Volk als politische Einheit. Und jetzt kommen die Amerikaner und sagen, „we the people“: egal, ob es um Herrschaftsbegrenzung oder Herrschaftsbegründung geht, egal, ob es um Staat oder Union geht. Am Ende wurzelt alles in „we the people“. Das ist eine wunderbare Erfindung, ein Volk, das eine Einheit symbolisiert und zugleich als eine Körperschaft aus Individuen zusammengesetzt wird. Weswegen Frauen oder Schwarze auch nicht konstitutiv dazugehören müssen. Die jeweilige Zusammensetzung konnte man politisch opportun kombinieren. Wir sehen drei Erfindungen: die Demokratie in Territorialstaaten, die Herrschaftsbegründung als Verfassungsidee und das Volk als Legitimationsinstanz. So würde ich jetzt vielleicht als Jurist an dieses Thema „Verfassungsordnung“ herangehen. Jetzt meine Frage, Herr
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Fröschl: Spielen denn diese Neuerungen, wirklich Neuerungen im Weltmaßstab, weswegen ich auch nicht einverstanden bin mit Ihrer Konnotation frühneuzeitlich, spielen diese Neuerungen in den europäischen Wahrnehmungen, in den Debatten auf den Friedenverträgen, denn eigentlich eine Rolle? Und jetzt gestatte ich mir noch eine zweite Frage: Wenn ich mich in dieser Vereinigung mit Historikern unterhalte, dann gewinne ich gelegentlich den Eindruck, dass es innerhalb Ihrer Zunft Historiker und Verfassungshistoriker gibt, und dass die Verfassungshistoriker unter den Historikern auch großen Wert darauf legen. Wie würden Sie sich denn einordnen? Fröschl: Ich antworte auf die zweite Frage zuerst: Ich würde mich nicht als Rechtshistoriker im Sinne der Ausbildung bezeichnen, aber in meiner geschichtswissenschaftlichen Tätigkeit habe ich mich immer mit Rechts- und Verfassungstexten unmittelbar und direkt auseinandergesetzt. Ich verstehe mich in erster Linie als Historiker mit starken rechtshistorischen und kulturhistorischen Interessen. Nun zu Moderne und Frühneuzeit: Wenn man sich die europäischen Diplomaten anschaut, die nach Amerika gehen und darüber nach Europa berichten, vor allem die französischen Diplomaten, auch die englischen oder die niederländischen, dann erkennt man das alteuropäische Denken, da merkt man nichts von dem Modernen. Wenn sich die Franzosen im Frühjahr 1789 (!) im Blick auf die USA über Zeremonialfragen, über Präzedenzfragen, über Titel und Titulaturen den Kopf zerbrechen und meinen, es sei unter der Würde, z. B. als französische Repräsentanten in New York hinter den Senatoren in einer öffentlichen Audienz zu stehen, dann sagt das viel aus. Hinter dem Präsidenten ja, aber vor den Senatoren, und diese Debatten laufen am Beginn der Französischen Revolution. Hier wird im Rahmen alter Denkmuster argumentiert, aber es wäre ein Fehler, wenn man das jetzt auf die Revolution hin liest und jetzt sagt, eigentlich müssten sie es ja schon besser wissen, denn in einigen Monaten beginnt ja etwas vollkommen Neues. Mir ging es darum, diesen alteuropäischen Zusammenhang aufzuzeigen, denn die Amerikaner reagieren auf dieses frühmoderne diplomatische Verhalten der Europäer überhaupt nicht mit Verwunderung. Das ist für sie ganz selbstverständlich, und in ihren Zeremonialdiskussionen machen sie es nicht anders. Was mir immer wieder in dieser damaligen amerikanischen Situation auffällt, ist dieses eigenartige, seltsame Ineinandergreifen von Alt und Neu, von Vormodern und Modern. Das kann man nicht voneinander trennen, das gehört zusammen. Mir erscheint Joseph II. im Unterschied zu George Washington manchmal der weit revolutionärere und „modernere“ Mensch zu sein, und George Washington ist sozusagen „Alteuropa pur“. Was Sie mit dem Modernen, mit der Demokratie, mit der Repräsentation, mit der neuen Ordnung ansprechen, haben Sie Recht, ich habe das nicht thematisiert, weil ich das auch vom Thema dieses Vortrages her nicht als Auftrag verstanden habe. Nur ein Hinweis noch: Bei den Einzelstaatsverfassungen gab es zwei Richtungen – einerseits sollten die einzelnen Staaten neue Verfassungen schreiben, oder – andererseits – aus ihren kolonialen Charters die monarchischen Elemente entfernen. Was die Repräsentation betrifft, das Fundament demokratischer Legitimation, liegt das beim Einzelstaat, wo die Abgeordneten gewählt werden. Die Legislativen der Einzelstaaten senden Delegierte in den Kontinentalkon-
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gress, d. h. eine mittelbare demokratische Legitimation. Die einzelnen Staaten verhalten sich auch sehr oft so, als ob es keine Föderation gäbe, und man hat noch nicht den Eindruck, dass das alles schon „Amerikaner“ sind, das ist allenfalls der Beginn eines Prozesses, aber noch lange stehen die Einzelstaaten im Mittelpunkt, auch im Blick auf die Identität und Zugehörigkeit. Simon: Unser Zeitdeputat ist knapp. Es liegen noch acht Wortmeldungen vor; deshalb darf ich bitten, die Fragen im Weiteren etwas stärker zuzuspitzen auf das, was Sie wissen wollen. Es geht jetzt weiter mit Herrn Kley und dann mit Frau Westphal. Kley: Sie haben schon angedeutet, dass Montesquieu offenbar eine große Rolle gespielt hat für die Articles of Confederation. Mich würde das interessieren, denn Montesquieu diskutiert ja auch die Niederlande, also die Generalstaaten, die Schweiz und das Reich, das sind die großen Themen und Modelle für eine neue Staatenkomposition. Es ist auffällig, wie die Amerikaner genau die möglichen Vorbilder diskutieren, das kann ja nicht ohne Montesquieu gegangen sein. Ich denke, das haben die Amerikaner realisiert, dass die europäischen Modelle unterschiedlich gut geeignet sind. Über die Schweiz gibt es negative Äußerungen etwa der amerikanischen Verfassungsväter, die das als ein nicht zur Nachahmung empfehlenswertes Modell, gewertet haben („The Swiss & Belgic Confederacies were held together not by any vital principle of energy but by the incumbent pressure of formidable neighbouring nations …“, Votum vom 20. 7. 1787 im Kongress von Philadelphia, aus: Notes of Debates in the Federal Convention of 1787 reported by James Madison, New York / London 1984, S. 161 f.). Könnten Sie dazu etwas sagen? Fröschl: Es ist richtig, Montesquieu ist als Orakel bezeichnet worden. Aber wenn Sie jetzt die Beurteilungen und Bewertungen ansehen, ob die Schweiz positiv oder negativ zu sehen ist, und ebenso die Niederlande und das Reich, muss man eine wichtige Unterscheidung treffen: Das eine ist, inwieweit Montesquieus europäische und auch antike Föderationen eine Rolle spielen. Montesquieu sagte, die Lykische sei die beste Föderation überhaupt, aber 1776/77 ging es weniger um ein Modell der Übertragbarkeit, sondern wichtig war, dass es Föderationen in Vergangenheit und Gegenwart zur Orientierung gibt. Die Amerikaner müssen so etwas Ähnliches auch machen, und da wird natürlich Montesquieu zitiert. Zur Frage positiver und negativer Wahrnehmung gibt es (anders als 1776/77) in der Auseinandersetzung um die Ratifikation der neuen Verfassung von 1787 einen fundamentalen Unterschied – und es wird ein interessanter Trick vorgenommen: Die sogenannten Federalists, die für die neue Verfassung eintreten und sich gegen die Articles of Confederation aussprechen, unternehmen alles, um die drei genannten europäischen zeitgenössischen Föderationen so schlecht wie nur möglich zu machen, und stellen die Articles als viertes Beispiel in diese Gruppe hinein. Und sie argumentieren dann, dass alles, was man negativ über die Schweiz, über die Niederlande, über das Reich sagt, eben auch auf die Articles zutrifft. Die Auseinandersetzung um die Verfassungsratifikation ist eine politische Polemik und bringt keine politikwissenschaftliche Analyse, sondern
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man will die alte, noch gültige Verfassung loswerden. Die Anti-Federalists ihrerseits fallen dann in das Gegenteil, und wenn Sie sich in Virginia Patrick Henry ansehen, der die Schweiz nicht hoch genug loben kann und dann argumentiert, dass es sie trotz aller Defizite noch gibt, dann fügt er hinzu, dass es sie immer noch gibt. Das ist dann das letzte Argument – so schlecht kann die Schweiz nicht sein, sonst wäre sie längst verschwunden. Blickt man also auf die europäischen Föderationsmodelle, muss man unterscheiden, ob es sich um die Diskussionen von 1776/77 handelt, oder um die Ratifikationsdebatten elf Jahre später. Westphal: Ich möchte gerne noch einmal an die Diskussion Einzelstaatlichkeit versus Kontinentalkongress anknüpfen. Sie haben schon darauf hingewiesen, dass es bei der Ratifikation Schwierigkeiten gab. Wie sah es denn während der Friedensverhandlungen aus? Haben denn die Einzelstaaten die Friedensverhandlungen einfach laufen lassen? Oder gab es dort schon Bemühungen, einzelstaatliche Interessen in den Friedensverhandlungen zur Sprache zu bringen? Versuchten die Einzelstaaten, Gesandte oder zumindest Beobachter zu schicken, die dann vielleicht doch Einfluss im einzelstaatlichen Sinne auf die Friedensverhandlungen nehmen? Fröschl: Bei der Ratifizierung ist wieder eine wichtige Unterscheidung vorzunehmen: Die Articles of Confederation mussten auch ratifiziert werden, und zwar einstimmig. Alle dreizehn Staaten mussten zustimmen, dann erst konnten sie in Kraft treten. Nun wurden die Articles erst 1781 ratifiziert, von Maryland als letztem Staat. Die meisten Staaten hatten bereits 1777/78 ratifiziert, nur Maryland nicht – warum? Diese Frage führt wieder nach Alteuropa zurück; nicht alle dreizehn Staaten hatten zur Zeit der Unabhängigkeit Landansprüche westlich der Appalachen. Virginia hatte den größten Anspruch, und Maryland, ein kleiner Staat, hatte keine Ansprüche. Nun hat man argumentiert, dass Maryland erst dann ratifizieren soll, wenn Virginia die Ansprüche auf die enormen Landgebiete im Westen an den Kontinentalkongress abtritt. Denn wenn das nicht passiert, steht folgende Zukunftsvision im Raum, und das ist jetzt sehr wichtig, denn dann könnte Virginia das Haus Österreich in Amerika werden und die anderen Staaten beherrschen und unterdrücken, oder Virginia wird das Holland der Niederlande – diese Angst hat man gehabt. Und dann gibt es lange Diskussionen darüber, und der Staat Virginia und andere Staaten mit Landansprüchen erklären sich bereit, diese Landansprüche abzutreten, und auf diesem Gebiet entstehen dann neue Staaten. – Es ist eindeutig der Kontinentalkongress, der die amerikanischen Unterhändler instruiert und nach Europa schickt; es gab auch keine direkten Bemühungen damals, dass jetzt irgendwelche Einzelstaaten in Paris verhandeln, sondern alles läuft über den Kongress. Hillgruber: Das trifft sich gut, ich habe genau eine Nachfrage zu diesem Punkt, und zwar völkerrechtlichen Seite, weil mir das noch nicht ganz klar geworden ist. Meine Frage lautet präzise: Wer ist der Vertragspartner? Sind es die dreizehn Einzelstaaten? Die vormaligen Kolonien? Oder ist es die Konföderation? Mit anderen Worten: Haben bereits diese Articles of Confederation eine völkerrechtliche Einheit ge-
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schaffen oder wird diese erst geschaffen durch die spätere Union? Ist da bereits eine völkerrechtliche Einheit existent oder noch nicht? Die Frage der Vertretung durch den Kontinentalkongress, das kann ja auch eine Bevollmächtigung durch die Einzelstaaten sein. Wer ist der Vertragspartner? Und um auf die Thematik der Interdependenzen zwischen Verfassungsordnung und Völkerrecht einzugehen, damit hängt ja offensichtlich die innerstaatliche Ratifikationsproblematik zusammen. Offenbar bedurfte es zwar nicht der Ratifikation durch jeden Einzelstaat, wenn ich Sie richtig verstanden habe, aber immerhin von neun der dreizehn Einzelstaaten. Vielleicht könnten Sie dazu noch einmal etwas sagen. Und die Frage, wer Vertragspartner ist, ist dann auch von erheblicher Relevanz für die Frage, ob es wirklich vertragswidrig ist, wenn jeder einzelne Staat den möglicherweise auch von ihm und eben nicht von der Konföderation abgeschlossenen Vertrag anders interpretiert als ein anderer Einzelstaat. Fröschl: Ja, ich versuche kurz zu antworten. Die Geschichte geht zurück in das Jahr 1774, man ist noch nicht im Krieg mit Großbritannien; es gibt damals in Nordamerika die traditionellen Colonial Assemblies, und die senden Delegierte nach Philadelphia und beraten auf einem Kontinentalkongress Maßnahmen, wie man Großbritannien und den Herausforderungen durch das Empire begegnet. Nach einigen Monaten ist der (erste) Kontinentalkongress zu Ende; Lösungen bleiben aus, und man tritt 1775 wieder zusammen. Man ist immer formal noch im British Empire, man ist noch nicht unabhängig, und es geht immer noch um eine innerbritische Angelegenheit. Dann beginnt 1775 der Krieg, 1776 folgt die Unabhängigkeitserklärung, geschrieben von den Delegierten, die von den Assemblies geschickt wurden. Jetzt braucht das Land eine neue (föderative) Verfassung, und es braucht neue Einzelstaatsverfassungen. Ein Ausschuss wird eingesetzt, eine Verfassung geschrieben, die ausdrücklich festlegt, dass diese Articles of Confederation an die Legislativen der (nunmehr) Einzelstaaten geschickt werden. Sie werden dort diskutiert und müssen ratifiziert werden. Den Verfassungstext kann man nur akzeptieren oder ablehnen, nicht aber modifizieren oder abändern. Was die Zahl dreizehn, neun und sieben betrifft ist klar, dass eine Änderung der Articles nur einstimmig erfolgen kann, d. h. nachdem sie von allen dreizehn ratifiziert wurden, können sie nur von diesen dreizehn wieder geändert werden. (Hier hat man bei der Verfassung von 1787 gelernt und bestimmt, wenn neun Staaten zustimmen, tritt die Verfassung in den Staaten, wo sie ratifiziert wurde, in Kraft). Neun Stimmen legen die Articles fest, will man internationale Verträge annehmen, oder bei Kriegs- und Friedensschlüssen. Für alle anderen Angelegenheiten, die sozusagen nicht so wichtig sind, genügen sieben Stimmen, und das ist auf jeden Fall das Quorum. Erst wenn sieben Staatsvertreter am Sitz des Kontinentalkongresses anwesend sind, ist er arbeitsfähig. Es gibt Zeiten, da sind nur fünf oder gar nur vier Staaten vertreten, und dann muss man warten, weil man erst mit sieben arbeiten kann. Die Articles werden gerade von Frankreich, und mit Recht, seit 1778 als zentrales Verfassungsdokument der USA gesehen, und bis zur Ratifikation durch Maryland herrscht Unsicherheit über die völkerrechtliche Verbindlichkeit. Obwohl bis zum Abschluss des Allianzvertrages von 1778
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schon zwölf der dreizehn Staaten die Articles ratifiziert haben, wartet man nur noch auf Maryland, wobei hinter Maryland andere Staaten stehen, die zwar bereits ratifiziert haben, für die Maryland aber spricht, da auch sie keine Gebietsansprüche jenseits der Appalachen haben. Schönberger: Ich knüpfe an diese Diskussion gleich an. Wir haben hier Verträge ganz unterschiedlicher Art. Im Grunde gibt es so eine Art Gründungsvertrag, die Articles of Conferderation gründen irgendeine Form von Union und die wird dann in der Bundesverfassung quasi perfektioniert, verbessert. Dieser Vertrag hat offenbar eine ganz andere Natur als die völkerrechtlichen Verträge mit Frankreich oder England, es ist ein Unionsvertrag. Ich glaube, dass das auch der zentrale Grund ist, warum so intensiv über diese europäischen Beispiele nachgedacht wird. Warum wird über die Republik der Vereinigten Niederlande, warum wird über die Eidgenossenschaft gesprochen? Warum irgendwie auch noch über das Alte Reich? Weil man für die Natur eines solchen Gründungsvertrages Vorbilder sucht. Man glaubt nicht, etwas ganz Neues zu machen, man glaubt in diesen Vorbildern etwas von dem zu finden, was man organisieren muss – nämlich eine Union von Staaten, die schon da sind, die aber jetzt eng zusammengeschlossen werden. Das scheint mir wichtig zu sein und ich glaube, dass in dieser Zeit zum ersten Mal ernsthaft darüber nachgedacht wird. Was ist das überhaupt, so eine treaty of perpetual union? Eine weitere Frage ist natürlich, was macht man mit den Verträgen, die dieses neue Gebilde dann schließt? Das ist der Punkt von Herrn Hillgruber. Ich glaube, es war klar, auch damals schon, es schließt die neue Union den Vertrag. Es entsteht aber dann die Folgefrage, wenn diese den Vertrag geschlossen hat, wie kann sie denn sicherstellen, dass ihre Gliedstaaten das jetzt auch durchsetzen, was im Vertrag steht. Herr Fröschl hat ja auf ein Beispiel hingewiesen. Wie ist es, beispielsweise, wenn bestimmte Bürger etwa enteignet worden sind und etwas zurückbekommen sollen – das steht im Vertrag drinnen – die machen es aber nicht. Ich glaube, dass das eine der Schwierigkeiten war, wo man nachher versucht, durch die Supremacy Clause und ähnliches in der US-Verfassung 87 das Problem zu lösen. Wie würden Sie das denn beschreiben, was man konnte? Ich habe den Eindruck, es war so: der Kontinentalkongress beobachtet das und wenn jetzt die Einzelstaaten das nicht machen, dann fasst er einen Beschluss und erinnert sie an ihre Pflichten und sagt, ihr müsst das eigentlich einhalten. Ihr habt euch verpflichtet, das ist sozusagen geltendes Recht. Er hat aber eigentlich keine Aufsichtsmittel, keine Bundesexekution, er kann das nicht wirklich durchsetzen. Und was passiert eigentlich dann nachher 1787? Ich habe den Eindruck, es kommt nachher auch keine Bundesaufsicht oder ähnliches zustande, sondern eigentlich sagt man dann, das ist vorrangiges Recht und die Gerichte in den Einzelstaaten, die müssen das auch anwenden. Erst in dem Augenblick, in dem das durchgesetzt ist, also klar ist, die Gerichte der Einzelstaaten müssen Bundesrecht und vom Bund geschlossene Verträge für sich als maßgebliches Recht behandeln, da ist das Problem gelöst. Das hätte man aber vielleicht auch unter den Konföderationsartikeln noch hinbekommen, aber damals war zu wenig Zeit, um diese Frage zu experimentieren. Ich vermute eigentlich, dass die Frage so zu lösen wäre. Noch eine letzte kleine Anmer-
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kung: „we the people“ ist sehr fragwürdig, glaube ich. Sie haben es so dargestellt, als ob im Grunde auf eine Einheit verwiesen wird, da ist dann jetzt plötzlich das Volk. Es gibt ja sehr viele Diskussionen über die Frage, sind das nicht „we the people of Virginia, Massachusetts etc“. Ist das nicht eigentlich „the people“ im Plural, zumindest „the people of the several states“? Selbst für die Verfassung 1787 gibt es die entsprechende Diskussion. Ich glaube, es spricht einiges dafür, dass es eine sehr plurale Vorstellung ist – nicht nur weil „the people“ im Englischen ohnehin Plural ist. Danke. Fröschl: Ja, da müsste man sehr viel sagen. Zunächst: Eine zentrale Schwierigkeit im Kontinentalkongress bestand darin, dass man das Erscheinen der Delegierten am Sitz des Kongresses nicht erzwingen konnte; daher kam es immer wieder zu Verzögerungen, weil sehr oft selbst das für bloße Beratungen nötige Quorum von sieben Stimmen nicht erreicht wurde. Das ist es auch, was Madison z. B. 1787 so ankreidet, weil der Kongress hier keine Möglichkeit hat. Aber es geht noch um eine andere wichtige Frage bei den Verfassungsdiskussionen in Philadelphia, und das ist die Reputation Amerikas in Europa. Immer wieder wird daran erinnert, Amerika müsse respectable sein in Europa, denn das Land sei the spectacle of all of Europe. D.h., alles, was man in Amerika tut, wird in Europa beobachtet. Die Unabhängigkeitserklärung wird für Europa geschrieben, nicht in erster Linie für den Hausgebrauch. Das ist sehr wichtig! Alles was man tut, geschieht auch im Hinblick auf Europa. Ein letzter Punkt: „We, the people“ – was meint das? In der Unabhängigkeitserklärung ist von einem amerikanischen Volk die Rede. Aber auch in den Einzelstaatsverfassungen nach 1776 finden wir „We, the people“, z. B. the people of Pennsylvania, und es ist interessant, wie ein Altrömisches weiterwirkt, das S.P.Q.P., Senat und Volk von Pennsylvania, bis in Zeitungsartikel hinein. S.P.Q.P. ist aber auch Senat und Volk von Philadelphia. In den Articles of Confederation kommt ein amerikanisches Volk überhaupt nicht vor, da sind nur die Einzelstaaten genannt. Erst in der Verfassung von 1787 steht in der Präambel wieder „We, the people“, weil eben das eine Verfassung ist, die einerseits die alte föderative Verfassung der Articles fortsetzt, aber zugleich erstmals im Repräsentantenhaus das gesamte Volk vertritt. Ruppert: Ja, ich wollte auch nach dem Volk fragen, aber das hat sich jetzt mehr oder weniger erledigt. Aber nur noch kurz dazu nachgehakt: Kann man eine Tradition feststellen, wo dieser Volksbegriff, der hier verwendet wird, innerhalb der Unabhängigkeitsbewegung herkommt? Gibt es da bereits Forschung, ist da schon einmal nachgefragt worden? Aber meine zweite Frage geht jetzt dahin, es spielt ja in der Unabhängigkeitserklärung eine ganz, ganz große Rolle, das Versagen des Königs, der ja als Rechtsbrecher, als Tyrann gekennzeichnet wird. Und wenn man jetzt einmal auf die kulturelle und religiöse Prägung dieser Elite, die die Unabhängigkeitsbewegung trägt, schaut, dann könnte man auf den Gedanken kommen – das ist jetzt meine Frage –, dass diese Ideen auch aus den calvinistischen, monarchomachischen Traditionen kommen. Gibt es darüber irgendwelche Forschungen und hat man diesen Strang schon einmal verfolgt? Denn das sind ja auch die Argumente, die man in der Frühen Neuzeit bei den calvinistischen Monarchomachen findet. Sie machen
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ja auch ihren Untertanengehorsam davon abhängig, dass der König gerecht ist, kein Tyrann ist. Aber bei ihnen natürlich speziell fokussiert auf die Konfession, dass er auch ihre Konfession achtet und sie so leben lässt wie eben die anderen in dem Herrschaftsbereich, weil meist der König anderer Konfession ist als die calvinistischen Untertanen. Das war meine Frage. Fröschl: Zunächst zur Absetzung Georgs III. als Tyrannen, der seine Macht als König missbraucht hatte. Wir wissen, dass dem Fünferkomitee, das die Unabhängigkeitserklärung verfasste, die Absetzungserklärung Philipps II. von 1581 in einer französischen Übersetzung vorlag. Aber über einen direkten Bezug zum calvinistischen Widerstandsrecht kann ich nichts sagen, weil ich da in den Quellen und auch in den Darstellungen nichts gefunden habe. Aber die religiöse Dimension spielte grundsätzlich eine wichtige Rolle. Das wird in einem Punkt deutlich, wo der König in der Unabhängigkeitserklärung angeklagt wird, dass er 1774 den Québec Act erlassen hat, denn dort wurde den neuen, katholischen Untertanen der britischen Krone die Ausübung der katholischen Religion zugesichert. Das wird von den amerikanischen Juristen als Bruch des Krönungseides Georges III. von 1760 interpretiert, wo er sich verpflichtet, die anglikanische Religion zu schützen. Der Québec Act verursachte auch in Großbritannien eine massive Polemik, als wäre damit der Protestantismus in England gefährdet, und als wäre es nur mehr eine Frage der Zeit, bis die kanadischen Papisten kommen, um die britischen Inseln zu rekatholisieren. Das mögen Hirngespinste sein aus heutiger Sicht, aber die Polemik wirkt hinein. Das heißt, wieder aus amerikanischer Sicht, dass der König die Religion seiner Väter verrät. Und das ist der einzige explizit religiöse Punkt, der in der Declaration eine Rolle spielt. Georg III. hat sein Schutzversprechen verletzt und den Krönungseid im Zusammenhang mit der Anerkennung der katholischen Religion in Québec gebrochen. Simon: Ich wollte nur kurz daran erinnern, dass noch drei Wortmeldungen vorliegen. Seit 18.15 Uhr sollten wir eigentlich schon bei der Vollversammlung sein; deswegen bitte ganz kurze Fragen, damit wir nach Möglichkeit zusammenfassen und Herr Fröschl darauf dann im Block antworten kann. Es geht jetzt also zunächst weiter mit Herrn Heun; sodann mit Herrn Schmidt und Herrn Hamza. Heun: Erstens, die Antwort auf Herrn Hillgruber lautet eindeutig: Die Articles of Confederation sind der Vertragspartner, das wird im Continental Congress mit der qualifizierten Mehrheit von zwei Dritteln verabschiedet. Es gibt immer nur einen Botschafter der Articles of Confederation in Frankreich, in England, das ist vollständig klar. Wir haben im Übrigen, selbst heute noch, die Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat. Also, da hat sich eigentlich gegenüber den Articles of Confederation nichts geändert, sondern es ist im Grunde genommen noch immer dieselbe Situation. Ich möchte nur noch etwas zu dem Zusammenhang von Staatenbund, Völkerrecht und Verfassungsordnung sagen. Man muss sich vorstellen, 1776 als die Unabhängigkeitserklärung verfasst wird und sich die Amerikaner, aber insgesamt schon die Staaten, von England lossagen, hat man noch keine Vorstellung, wie eigentlich eine ge-
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meinsame Ordnung aussehen kann. Man hat auf der einen Seite die Einzelstaaten und da sind eigentlich bisher nur völkerrechtliche Verbindungen bekannt. Den Bundesstaat gibt es noch nicht. Und man muss einfach sehen, dass die Entwicklung von 1776 bis 1787 bis der Philadelphia Konvent einberufen wird, eigentlich ein Lernprozess ist, in dem sich erst allmählich die Vorstellung herausstellt, wie man das organisieren kann, eine „more perfect union“. Das heißt, man muss zuerst einmal auf die Vorbilder zurückgreifen, die man kennt, die eine eher völkerrechtliche Natur haben, also Staatenbünde sind, die möglicherweise auch schon gewisse Durchgriffsrechte haben, aber eher nur geringe. Und das Problem ist, dass man schon während des Krieges natürlich feststellt, dass die Articles of Confederation im Grunde genommen so nicht funktionieren. Die sind einfach kaum handhabbar und das liegt an einem Punkt, der jetzt hier noch gar nicht zur Sprache kam bisher, im Wesentlichen an den Finanzen. Es gelingt nämlich nicht, die Kontinentalarmee hinreichend auch mit Finanzen auszustatten, weil den Articles of Confederation keine Finanzkompetenzen obliegen. Die müssen immer betteln gehen und da kommt nichts, die Staaten sind nicht bereit – und das ist einer der ganz wesentlichen Gründe, deswegen muss Washington immer versuchen, irgendwie an Geld heranzukommen. Da müssen Anleihen aufgenommen werden und dergleichen. Das ist eines der ganz wesentlichen Probleme, das dazu führt, dass man sich überlegt, wie kann man es konstruieren. Und da schält sich dann eine völlig neue Konstruktion heraus. Und das ist eben eine Abkehr von der bisherigen. Das ist was grundsätzlich Neues, die Bundesstaatskonstruktion. Nun kommt aber doch wieder das Volk ins Spiel als Einheit, entgegen der Aussage von Herrn Schönberger, nämlich weil man dieses gemeinsame Staatswesen nur in der Volkssouveränität verankern kann. Man hat nämlich weiter die Mitgliedstaaten, die eigene Staatlichkeit haben und man muss ein gemeinsames Band finden. Und dieses gemeinsame Band ist letztlich die Volkssouveränität, die sich als Basis des Gesamtstaates auf der einen Seite und als Basis der einzelnen Mitgliedstaaten herausstellt. Das ist die Klammer, die beides zusammen verbindet. Und nur so kann man zu dieser Konstruktion kommen, dass wir einen Staat auf der Bundesebene haben, der in der Volkssouveränität verankert ist, und Mitgliedstaaten, die in der Volkssouveränität verankert sind. Und das Instrument dafür ist das neuartige Instrument der Verfassung. Da würde ich jetzt – anders als Herr Lepsius – sagen, auch schon die Verfassungen in den Einzelstaaten sind herrschaftsbegründend. Warum? Weil man vor einer Tabula rasa steht. Man hat zwar einerseits die überkommenen Institutionen aus der kolonialen Vergangenheit, aber man löst sich ja davon und braucht eine komplett neue Ordnung. Und insofern sind schon auch diese einzelstaatlichen Verfassungen nach 1776 herrschaftskonstituierend. Aber das Besondere ist eben diese Verbindung. Und diese Idee kommt letztlich erst auf in den Debatten unmittelbar im Philadelphia Konvent und dann zwischen Federalists and Anti-Federalists, dass man den Bundesstaat als Eigenstaat, als besondere Konstruktion hat, die in dieser Verbindung etwas ganz Neues ist. Fröschl: Ich muss da jetzt ganz unmittelbar antworten, denn ich sehe das doch ein wenig anders. Es ist wichtig zu sehen, dass die Philadelphia Convention vom Som-
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mer 1787 keinen Auftrag hatte, eine neue Verfassung zu schreiben. Und während in Philadelphia hinter verschlossenen Türen die Reform der Articles of Confederation beginnen sollte, arbeitete der Kontinentalkongress in New York normal weiter und erstellte die berühmte Northwest Ordinance, die sozusagen das amerikanische Reich bis in die unmittelbare Gegenwart organisierte. Und als die neue Verfassung fertig war, wird der Text nach Paris an Thomas Jefferson geschickt, und der ist höchst unglücklich über das neue Dokument. Er sagt: „Warum geben wir die alte Verfassung auf? Es hätte genügt, drei oder vier Artikel hinzuzufügen, die die Defekte beseitigen“. Und jetzt wörtlich: „Our good, old, and venerable fabric, which should have been preserved even as a religious relique“. Es ist sehr, sehr wichtig, dass wir nicht aus einer ex-post-Perspektive urteilen, weil die Verfassung von 1787 eine Erfolgsgeschichte war. Die Articles of Confederation waren so schlecht nicht, doch sie konnten sich nach 1787/88 nicht mehr bewähren. Aber die Tatsache bleibt, dass es ein Bruch des Auftrages war, dass man in Philadelphia eine neue Verfassung schrieb, denn das war nicht im Sinne des Kontinentalkongresses. Simon: Danke! Nun zuerst Herr Schmidt und dann Herr Hamza. Schmidt: Ja, eigentlich hatte sich meine Frage durch die Intervention von Herrn Schönberger schon erledigt, aber da Herr Heun noch einmal nachgehakt hat, muss ich auch noch etwas sagen. Ich gebe Ihnen in vielen Punkten Recht und bewundere, wie die Völker- und Staatsrechtler die Dinge auf den Punkt bringen und dann entsprechend klar und deutlich formulieren können. Das einzige Problem, das ich dabei habe, das ist doch alles nicht neu. Die Verankerung im Volk ist eine alte Tradition. Herr Waldhoff fängt gerade an zu nicken. Zum Mittelalter kann ich nichts sagen, aber für das 16. Jahrhundert gilt, wo sollen sie denn sonst die Legitimation hernehmen, wenn sie sie nicht von Gott nehmen wollen? Also, das Volk ist auch damals als Ausgangspunkt von Herrschaft ein relativ alter Hut. Ich erinnere jetzt nur einmal an den Appell zur Wende: Wir sind ein Volk. Das stammt von dem jüngeren Moser. In seiner nicht ganz unbekannten Schrift „Vom deutschen Nationalgeist“ wird es genau in diesem Sinne gebraucht: als Herrschaftsbegründung. Ein Justus Möser war der Ansicht, dass man die Reichsgeschichte 1495 noch einmal beginnen lassen müsse, weil dort der erste herrschaftsbegründende Vertrag mit dem Ewigen Landfrieden und der Reichskammergerichtsordnung geschrieben worden sei. Und noch eines, warum schauen die Verfassungsgeber denn ins Reich, in die Niederlande und die Schweiz? Weil das Staatenbünde sind? Völkerrechtlich zusammengesetzte Unionen? Ich glaube, es ist genau umgekehrt. Entschuldigung, keine Frage an Herrn Fröschl, aber ich glaube dieser Unterschied ist einfach für die Diskussion zwischen uns hier wichtig. Simon: Gut, dann noch Herr Hamza, wenn Sie vielleicht noch unmittelbar anschließen. Hamza: Meine kurze Frage bezieht sich auf die Terminologie. Im Text der Verfassungsordnung der Articles of Confederation kommen zwei Termini technici im
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englischen Text vor. Zunächst einmal republic bzw. constitution oder compact oder eine andere sprachliche Variante der Constitution. Und zwar sollte da der Terminus technicus republic zum Vorschein kommen und dann in welchem Sinne? Im Sinne der republikanischen Form der Staatsform, oder commonweal, Gemeinwesen. Das heißt, in einem ganz anderen Sinne, wie das eben bei den Klassikern der griechisch, römischen Antike der Fall war. Sehr gut bekannt, dass die Founding Fathers recht gut die Klassiker kannten und in Philadelphia auf der großen Tafel die Werke von Aristoteles und Cicero und Platon usw. sich befanden. Fröschl: Eine kurze Antwort. Soweit ich den Text jetzt im Kopf habe, kommt das Wort Republik explizit nicht vor, und auch die Staaten werden nicht als republikanisch bezeichnet. Übrigens kommt das Wort Republik auch nicht in der aktuellen Verfassung der USA von 1787 vor, mit der einen Ausnahme, dass die Verfassung den Einzelstaaten eine „republican form of gouvernment“ garantiert. Es kommt im Text der „Articles“ der Begriff „Union“ mehrmals vor, und selbstverständlich confederation/confederacy, nicht aber constitution, und auch nicht compact. Simon: Vielen Dank Herr Fröschl. Herzlichen Dank für Ihren Vortrag. Wir haben die lange Redner- und Diskutantenliste abgearbeitet. Jetzt steht die Mitgliederversammlung auf der Tagesordnung.
Innerstaatliche Ordnung und internationales System auf dem Wiener Kongress 1814/15 Von Reinhard Stauber, Klagenfurt Als am 20. November 1815 zum zweiten Mal innerhalb von anderthalb Jahren in Paris Frieden mit Frankreich geschlossen wurde, erneuerten die Vertreter der vier Sieger Russland, Österreich, Preußen und Großbritannien gleichzeitig den Allianzvertrag, der seit März 1814 die Grundlage für ihren gemeinsam geführten Krieg gegen Napoleon gebildet hatte. Als Zweck dieses bemerkenswerten Akts, der gleichzeitig mit dem Abschluss des Friedens das Bündnis der Siegermächte aufrechterhielt, formulierte der zweite Artikel: die Sicherheit ihrer Staaten und die allgemeine Ruhe Europas gegenüber jenen „principes révolutionnaires“, die man noch in der Herrschaft der Hundert Tage am Werke sah, zu gewährleisten. Die „allgemeine Ruhe Europas“ („la tranquillité générale de l’Europe“) hänge ab von der strikten Aufrechterhaltung des neuen Status quo, was im Blick auf Frankreich ausdrücklich mit dem Weiterbestand der Autorität des zurückgekehrten Königs Ludwig XVIII. nach dem konstitutionellen Modell der „Charte“ vom Juni 1814 gleichgesetzt wurde.1 Diese bemerkenswerte Verschränkung zeigt, dass es spätestens mit der ungeahnten Dynamik, die die Kriegserklärung der französischen Nationalversammlung vom April 1792 entfaltet hatte, nicht mehr möglich war, innerstaatliche Ordnung und zwischenstaatliche Beziehungen als getrennt voneinander steuerbare Politikfelder zu betrachten. Nach fast zweieinhalb Jahrzehnten verlustreicher Kriege galten innenpolitische Stabilität und außenpolitische Berechenbarkeit den Entscheidern der Jahre 1814/15 als zwei Seiten eines einzigen zentralen Wertes, der Sicherung von Ruhe und Frieden. Im Fokus des folgenden Beitrags stehen daher Zusammenhänge zwischen den interstaatlichen Aspekten der Neuordnung des europäischen Systems und der Ausgestaltung (der „angemessene[n] Einrichtung“, wie eine zeitgenössische Formulierung lautete2) der politischen Ordnung der Einzelstaaten, soweit darüber direkt auf dem Wiener Kongress oder in dessen zeitlichem Nahfeld verhandelt wurde.
1 Text der Quadrupelallianz z. B. bei Wilhelm G. Grewe (Hrsg.), Fontes historiae iuris gentium, Bd. 3: 1815 – 1945, Berlin 1992, S. 100 – 104. 2 Aus den „12 Artikeln“ vom Oktober 1814 – Klaus Müller (Hrsg.), Quellen zur Geschichte des Wiener Kongresses 1814/15, Darmstadt 1986, Nr. 71, S. 353; vgl. unten Abschnitt IV.
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Reinhard Stauber
I. Restauration? Vorab sei eine nur scheinbar terminologische Bemerkung gestattet. Trotz ungebrochener Präsenz in den Titeln neuerer Überblicksdarstellungen3 ist der Terminus „Restauration“ sowohl als Epochenbezeichnung als auch zur Charakterisierung der Arbeit des Wiener Kongresses aus mehreren Gründen denkbar ungeeignet. Ständig Ausnahmen von der angeblich angestrebten Rückkehr zu den vorrevolutionären Verhältnissen (man denke allein an die Verfassungsstruktur des Alten Reiches) definieren zu müssen, senkt den analytischen Wert des Konzepts beträchtlich. Als programmatischer Leitbegriff bei den Verhandlungen des Wiener Kongresses taucht „Restauration“ nicht auf, wohl aber „restitution“. Damit wird zum einen die Rückkehr einer durch Umsturz vertriebenen Dynastie wie jener der Bourbonen in Frankreich, Spanien und Neapel bezeichnet, zum anderen tritt auch das gesamteuropäische System als Bezugsrahmen der Begriffsverwendung auf („l’œuvre de la restitution […] pour toute l’Europe“). Eine „konservative[n] Entwicklungsblockade“, die Verteidigung des Status quo um seiner selbst willen, die Entwicklung einer „Stillhaltekultur“ wurden nirgends auf dem Kongress programmatisch niedergelegt; sie sind eine Entwicklung der Jahre ab 1819/20.4 Wenn man „Restauration“ als Begriff zur Charakterisierung der politischen Kultur des nachnapoleonischen Europa sinnvoll einzusetzen sucht, dann nicht im Sinne eines bewussten „roll-back“ in Richtung Ancien Régime, sondern als Beschreibung jener politischen Ordnung, die 1814 in Frankreich etabliert wurde. Der von Ludwig XVIII. durchgesetzte Erlass der „Charte constitutionelle“ per Oktroi und Beugnots Präaambel zum Verfassungstext unterstreichen das „monarchische Prinzip“, aber eben nicht im Sinne des „Absolutismus“ des 18. Jahrhunderts, sondern als konstitutionelle Monarchie mit Repräsentativverfassung und Zweikammerparlament.5 Die hochgradig improvisierte, phasenweise gerade zu chaotische Auftaktphase des Wiener Kongresses, der im Augenblick seiner faktischen Eröffnung Anfang November 1814 bereits kurz vor dem Scheitern stand, lässt es geraten scheinen, inten3
Andreas Fahrmeir, Europa zwischen Restauration, Reform und Revolution 1815 – 1850, München 2012; Alexa Geisthövel, Restauration und Vormärz 1815 – 1847, Paderborn/München/Wien/Zürich 2008. Als „Konkurrent“ für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts scheint sich neuerdings das Begriffspaar „Reform und Revolution“ zu etablieren; vgl. Andreas Fahrmeir, Revolutionen und Reformen. Europa 1789 – 1850, München 2010; Wolfgang von Hippel/Bernhard Stier, Europa zwischen Reform und Revolution 1800 – 1850, Stuttgart 2012. 4 Vgl. Reinhard Stauber, Der Wiener Kongress, Wien/Köln/Weimar 2014, S. 11 – 14. „Restitution“ bezogen auf Europa in einer Note Talleyrands an Metternich vom 19. Dezember 1814 (Angeberg, Comte d‘ [Chodz´ko, Leonard Jakób Borejko] (Hrsg.), Le Congrès de Vienne et les traités de 1815. Précédé et suivi des actes diplomatiques qui s’y rattachent, Paris 1863/ 64, S. 540). „Entwicklungsblockade“ bei Dieter Langewiesche, Europa zwischen Restauration und Revolution 1815 – 1849, 4. Aufl., München 2004, S. 61; „Stillhaltekultur“ bei Geisthövel (Fn. 3), S. 9. 5 Volker Sellin, Die geraubte Revolution. Der Sturz Napoleons und die Restauration in Europa, Göttingen 2001, S. 275 – 325, v. a. S. 320 – 325.
Innerstaatliche Ordnung und internationales System
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tionalistische Interpretationen hintanzustellen, denn für zielgerichtete, rationale Entscheidungen über vorab definierte Ziele war aufgrund der Fülle der handelnden Parteien und der zu lösenden Probleme weder Zeit noch Raum. Was aber alle maßgeblichen politischen Akteure auf dem Kongress einte, war der Wille, eine stabile und berechenbare neue Ordnung für Europa zu schaffen. Leitbegriffe aus den Quellen dafür sind „Wiederherstellung“ („restitution“), Gerechtigkeit („la vertu première est la justice“), Legitimität („légitimité“), Gleichgewicht („équilibre“) und der Bezug auf das „öffentliche Recht Europas“ („le droit public de l’Europe“). In der (allerdings erst um 1850 niedergeschriebenen) Sicht Metternichs garantierten „Ordnung“ und „Ruhe“ als „erstes Bedürfnis für das Leben und Gedeihen der Staaten“ berechenbare Verhältnisse in der Nachkriegsphase des Kontinents.6 Dass überhaupt im ersten Friedensschluss von Paris am 30. Mai 1814 ein „congrès général“ nach Wien einberufen wurde, um die Regelungen des Friedenswerks im Sinne des angezielten „système d’equilibre réel et durable en Europe“ zu vervollständigen und neue Hegemoniebestrebungen zu verhindern, verdankt sich einer gemeinsamen Überzeugung der Spitzendiplomaten der Gegner Napoleons, die Castlereagh schon im Dezember 1813 auf eine griffige Formel gebracht hatte: Nach einem Sieg über Napoleon werde es darauf ankommen, den Frieden nicht nur herbeizuführen, sondern auch zu erhalten („not only to procure, but to preserve peace“).7 Bei allem kulturgeschichtlichen Interesse am Rahmenprogramm ist überdies festzuhalten, dass der harte Kern der Wiener Verhandlungen territoriale und sicherheitspolitische Fragen betraf. Es ging um Machtpolitik und, in jeweils wechselnden Konstellationen und in durchaus an den „Länderschacher“8 des 18. Jahrhunderts gemahnenden Formen, um die Sicherung militärisch-strategischer Einflusszonen und günstiger territorialer Konstellationen. Den Frieden zu sichern und neue Hegemonieversuche auszuschließen – dies war der bemerkenswert stabile Grundkonsens unter den leitenden Diplomaten der vier alliierten Mächte Russland, Österreich, Preußen und Großbritannien, die seit Jahresbeginn 1813 in engem persönlichen Kontakt kooperierten und dies auch in Wien versuchten. Aber hier stießen sie im Herbst 1814 auf die einzige Ausnahme von diesem Grundkonsens, und das war die Frage der Zukunft Polens.
6 Die französischen Begriffe sämtlich entnommen der schon zitierten Note Talleyrands vom Dezember 1814 (vgl. Fn. 4); Abdruck bei Angeberg (Fn. 4), S. 540 – 544, übersetzt ins Deutsche bei Müller (Fn. 2), Nr. 51, S. 268 – 273. Metternich zitiert nach Klemens Wenzel Nepomuk Lothar von Metternich, Denkwürdigkeiten, hrsg. von Otto Brandt, Bd. 2, München 1921, S. 465 f. 7 Erster Pariser Friede: Eckhardt Treichel (Bearb.), Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes, Bd. 1/1: Die Entstehung des Deutschen Bundes 1813 – 1815, 2 Teilbde., München 2000, Nr. 27, S. 165 (Art. 32) bzw. S. 166 (erster Zusatzartikel); Castlereagh: Charles K. Webster (Hrsg.): British Diplomacy 1813 – 1815. Select documents dealing with the reconstruction of Europe, London 1921, Nr. XXXII, S. 58. 8 Fahrmeir 2010 (Fn. 3), S. 132.
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II. Zusammenhänge von innerstaatlicher Ordnung und internationalem System 1. Polen Bleiben wir, um den Zusammenhängen von internationaler, zwischenstaatlicher Ordnung und politischem System der Einzelstaaten nachzugehen, zunächst bei diesem Fall, Polen. Am zweiten Tag nach seiner Ankunft in Wien, am 26. September 1814, hatte Zar Alexander I. seine Pläne mit Polen offiziell bekannt gemacht. Er gedachte das gesamte Herzogtum Warschau (außer einem Preußen zugesagten Gebietsstreifen östlich der Oder mit Kulm und Posen) zu übernehmen, den 1795 erloschenen Königstitel wiederzubeleben (und in Personalunion mit dem Zarentum zu verbinden) sowie dem Land eine eigene institutionelle Ordnung und eine Verfassung zu geben. Vergeblich bemühte sich der britische Außenminister Castlereagh um eine vermittelnde Lösung; seine Regierung hatte ihm eigentlich aufgetragen, eine „Befreiung“ („liberation“) Polens in die Wege zu leiten und, falls kein eigenständiges polnisches Staatswesen wiederrichtet werden könne, allenfalls eine Teilung des napoleonischen Herzogtums Warschau entlang der Weichsel zu akzeptieren.9 Castlereaghs Versuch, zusammen mit den beiden anderen Ostmächten eine politische Front gegen die Ansprüche des Zaren aufzubauen, scheiterte Anfang November an König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, der seinem Staatskanzler Hardenberg offen verbot, in Sachen Polen gegen die Interessen des Zaren vorzugehen. Damit war der Kongress, der am selben Tag, dem 3. November 1814, mit der Prüfung der Vollmachten seine Arbeit offiziell aufnahm, im Augenblick der Eröffnung in der wichtigsten Frage schon festgefahren und die angestrebte Vorabverständigung der Siegermächte über die Grundzüge der territorialen Neuordnung obsolet. Während die Neukonstituierung und Vergrößerung der Niederlande bereits bei den Londoner Gesprächen im Juni 1814 festgelegt worden war, hatten Berlin und Wien sich in Sachen Polen in Spekulationen über die Pläne Alexanders verloren und es versäumt, vor den Verhandlungen in Wien ausreichende Handlungsoptionen zu entwickeln. In den folgenden Wochen brachten die Debatten um die von Preußen nun ersatzweise vorgebrachten Ansprüche auf ganz Sachsen den Kongress an den Rand des Scheiterns, bis Castlereaghs Vermittlung und die Zuziehung Frankreichs Anfang des Jahres 1815 ein neues Gremium konstituierten – jene Runde der fünf Mächte der europäischen Pentarchie, die im Lauf von 45 Sitzungen bis zum Juni 1815 Entscheidungen in allen Territorialfragen herbeiführte. Am 12. Januar 1815 trat das Fünfer-Gremium erstmals zusammen; Thema war der von Hardenberg vorgelegte „Plan pour la reconstruction de la Prusse“. Am selben Tag brachte Castlereagh das polnische Problem noch einmal ins Spiel. In einer offiziellen Note, die vor allem auf Wirkung im britischen Parlament berechnet war, griff 9
Müller (Fn. 2), Nr. 36, S. 221 f.
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er nochmals auf seine Instruktionen und seine Gespräche mit Metternich und Hardenberg vom Oktober 1814 zurück: Eigentliches Ziel der britischen Politik sei gewesen, an der Nahtstelle zwischen den drei Ostmächten ein selbständiges polnisches Staatswesen aufgerichtet zu sehen „qui serait régi par une dynastie distincte, et formerait une puissance intermédiaire entre les trois grandes monarchies.“ Am unüberwindlichen Widerstand des Zaren, der das Herzogtum Warschau seinem Kaiserreich einverleiben wolle, sei dieser Plan gescheitert. Erstaunlich offen wies der Brite auf das Bedrohungspotential dieser neuen Territorialkonstellation hin, das nach seiner Meinung „la tranquilité du Nord et l’équilibre général de l’Europe“ gefährdete. Weniger deutlich fiel seine Herausforderung an die Ostmächte aus, allen Polen, die nun weiter aufgeteilt auf die Gebiete jener drei Reiche lebten, die ihren Staat zwischen 1772 und 1795 zergliedert hatten, ein eigenes, adäquates Administrationssystem zu gewähren („un système d’Administration dont les formes soient à la fois conciliantes et en rapport avec le génie de ce peuple“) und sie „als Polen“ zu behandeln („de traiter comme Polonais la partie de ce peuple qui pourra se trouver placée sous leur domination respective“).10 Diesem Plädoyer für die Konstruktion einer verfassungs- oder wenigstens verwaltungspolitisch erkennbaren, politisch aber ganz virtuell bleibenden polnischen „Nation“ folgten ebenso wortreiche wie unverbindliche, für die politische Realität der Jahre bis 1830 aber nicht ganz folgenlose Zusicherungen der drei angesprochenen Monarchen. Die entsprechenden Noten wurden am 21. Februar 1815 offiziell zu Protokoll gegeben, nachdem die grundsätzliche Verständigung über die Teilung Sachsens und die weiteren Entschädigungen für Preußen erreicht und Castlereagh bereits abgereist war. Zar Alexander sprach davon, das „Los der Polen zu verbessern“, ihre „Nationalität zu schützen“ („de contribuer à l’amélioration du sort des Polonais autant que le desir de protéger leur nationalité“) und nannte „verfassungsmäßige Bindungen („liens constitutionnels“) als Voraussetzung für die „Wiedervereinigung“ („réunion“) des Herzogtums Warschau mit seinem Reich. Friedrich Wilhelm III. ließ zusichern, seinen „Untertanen polnischer Nation“ alle legitimen Vorteile zu sichern („de procurer à ses sujets polonais de nation tous les avantages qui pourront former un objet de leurs voeux légitimes“) und dafür auch eigene Administrationsformen („un mode d’administration adapté aux habitudes et au génie de leur habitants“) zu erwägen. Metternich und Wessenberg schließlich gaben zu Protokoll, ihr Kaiser gehe gänzlich konform mit den „liberalen Standpunkten“ des Zaren im Sinne „nationaler Institutionen“, von denen die „Völker Polens“ profitieren sollten („partage […] les vues libérales de l’empereur Alexandre en faveur des institutions nationales … d’accorder aux peuples polonais“).11 Danach tauchte Polen als Verhandlungspunkt nur noch einmal auf der Tagesordnung der Fünfer-Runde auf, als der russische Bevollmächtigte Razumovskij am 3. April 1815 jenen Text einreichte, der, nach entsprechenden Vertragsabsprachen 10 11
Angeberg (Fn. 4), S. 795 – 797; Hardenbergs Plan ebd., S. 602 – 604. Angeberg (Fn. 4), S. 797 – 801.
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am 3. Mai, praktisch ohne Änderungen als Art. 1 an den Anfang der Wiener Schlussakte rückte. Dort hieß es in einer den historischen Tatsachen nicht eben gerecht werdenden Formulierung, das „Herzogtum Warschau“ („le duché de Varsovie“) werde mit dem „Russischen Reich“ („empire de Russie“) unwiderruflich und auf Dauer „wiedervereint“ („réuni“). Es werde vom Zaren und seinen Nachfolgern unter dem Titel eines „Königs von Polen“ („czar, roi de Pologne“) regiert, aber getrennt von den russischen Ländern verwaltet werden und eine eigenständige institutionelle Ordnung („administration distincte“) erhalten. Es folgte, als Niederschlag der Noten vom Februar, die bemerkenswerte Zusage an alle Polen, gleich ob sie russische, österreichische oder preußische Untertanen waren bzw. blieben, „eine nationale Vertretung und nationale Institutionen“ zu erhalten („une représentation et des institutions nationales“). Deren politische Ausgestaltung („le mode d‘existence politique“) solle jedem Einzelstaat obliegen.12 Zur Umsetzung dieser Zusagen müssen hier einige Hinweise genügen. Sie sollen vor allem daran erinnern, dass es nach 1815 tatsächlich einige Maßnahmen gab, die sich im Sinn der Gewährung einer gewissen kultur- und verfassungspolitischen Autonomie interpretieren lassen; die Ereignisse der Jahre 1830/31 und ihre Folgen sollten den Blick darauf nicht gänzlich verstellen. Das russische Königreich Polen, dessen Bevölkerung ca. 3,3 Millionen Menschen umfasste, erhielt am 27. November 1815 eine liberale Verfassung, deren Grundzüge Fürst Czartoyski noch in Wien ausgearbeitet hatte. Sie blieb bis 1832 in Kraft und enthielt u. a. einen Katalog „allgemeiner Garantien“ für alle Bürger und Bestimmungen zur Gleichheit aller religiösen Bekenntnisrichtungen. Die Nationalrepräsentation, der Sejm, umfasste zwei Kammern, den Senat und die Kammer der „Landboten“, in der Adel und Kommunen vertreten waren. Der Zar und König wurde durch einen Statthalter vertreten; die tatsächliche Macht lag jedoch beim Oberbefehlshaber der Armee, Großfürst Konstantin, und beim Staatsrats-Kommissar Novosiltsev, einem engen Vertrauten Alexanders. Warschau erhielt 1816 eine Universität; der Abbau der Zollschranken ins russische Reich bewirkte tendenziell einen Aufschwung der Wirtschaft.13 Auch in den an Preußen gefallenen westpolnischen Gebieten mit ihren ca. 800.000 Einwohnern, die als Provinz Posen organisiert wurden, wurde der König (als einziger unter den zehn neuen Provinzen) durch einen Statthalter vertreten, Fürst Antoni Henryk Radziwiłł, der einer der wichtigsten Familien des polnischen Adels entstammte und mit einer preußischen Prinzessin verheiratet war. Ein 12
Angeberg (Fn. 4), S. 1146 – 1170, 1389 f. Martina Thomsen, Polen, in: Werner Daum (Hrsg.), Handbuch der europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel, Bd. 2: 1815 – 1847, Bonn 2012, S. 663 – 718, hier S. 663 – 681; Andreas Kappeler, Rußland als Vielvölkerreich. Entstehung, Geschichte, Zerfall, 2. Aufl., München 2008, S. 78 82. Deutsche Übersetzung der polnischen Verfassung von 1815 in: Peter Brandt u. a. (Hrsg.), Quellen zur europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel, CD Nr. 2: 1815 – 1847, Bonn 2010, Nr. 9.2.4. 13
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weiteres Signal war die Berufung des katholischen Oberpräsidenten Joseph Zerboni di Sposetti. In den 1824 eingerichteten Provinzialständen waren Adel, Städte und Grundbesitzer vertreten. Polnisch als Amts- und Unterrichtssprache sowie die Ausübung des katholischen Kultus wurden gewährt. Die entsprechenden Maßnahmen hatte der preußische König zeitgleich mit seiner Besitzergreifung in einem „Zuruf“ an die „Einwohner des Großherzogtums Posen“ noch von Wien aus angekündigt (15. Mai 1815). Dort hieß es einleitend: „Auch Ihr habt ein Vaterland, und mit ihm einen Beweis Meiner Achtung für Eure Anhänglichkeit an dasselbe erhalten. Ihr werdet Meiner Monarchie einverleibt, ohne Eure Nationalität verleugnen zu dürfen. Ihr werdet an der Constitution teilnehmen, welche Ich Meinen getreuen Untertanen zu gewähren beabsichtige; und Ihr werdet wie die übrigen Provinzen Meines Reichs eine provinzielle Verfassung erhalten. Eure Religion soll aufrecht erhalten und zu einer standesmäßigen Dotierung ihrer Diener gewirkt werden […] Mein unter Euch geborener Statthalter wird bei Euch residieren. Er wird Mich mit Euren Wünschen und Bedürfnissen, und Euch mit den Absichten Meiner Regierung bekannt machen.“14
Die Habsburgermonarchie behielt das Gebiet des „Königreichs Galizien und Lodomerien“ aus der ersten Teilung von 1772 mit seinen ca. 3,5 Millionen Einwohnern; von den Abtretungen des Schönbrunner Friedens 1809 kamen die Gebiete östlich von Lemberg zurück, außerdem die wichtigen Salzwerke von Wieliczka. Eine ganze Reihe von Aktivitäten lässt sich im Sinne einer Anerkennung der kulturellen Autonomie der Polen interpretieren, vor allem die formelle Gründung eines als Büchersammlung und Verlag fungierenden „Nationalinstituts“, des „Ossolineum“ in Lemberg, 1817. Namenspatron war Graf Ossolin´ski, seit 1809 Präfekt der Wiener Hofbibliothek und Förderer des von Samuel Linde 1807 – 1815 herausgebrachten etymologischen Wörterbuchs der polnischen Sprache. Auch im österreichischen Teil des früheren Polen spielten die Hochschulen eine wichtige Rolle: 1817 wurde die Universität in Lemberg wiedereröffnet und erhielt eine 1826 eine Lehrkanzel für Polnisch. Nach der Neubelebung der Ständeverfassung für das Königreich 1817 förderte der 1826 – 1832 amtierende Gouverneur Fürst Lobkowitz die Verwendung polnisch stämmiger Personen im Staatsdienst, besonders im Bereich der Justiz.15 2. Skandinavien Für die hier 1815 vollzogene (und 1831 wieder aufgehobene) föderative Angliederung eines pränationalen Staatswesens an ein bestehendes Großreich unter Respektierung der bestehenden Rechtsordnung, wie sie gleichermaßen für die frühneu14 Brandt (Fn. 13), Nr. 9.1.2. Vgl. Ilja Mieck, Preußen von 1807 bis 1850. Reformen, Restauration und Revolution, in: Otto Büsch (Hrsg.), Handbuch der preussischen Geschichte, Bd. 2: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Berlin 1992, S. 3 – 292, hier S. 76, 101 – 103. 15 Vgl. Helmut Rumpler, Österreichische Geschichte 1804 – 1914. Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie, Wien 1997, S. 155 – 160.
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zeitlichen „composite states“ der Frühen Neuzeit wie für die imperiale Integration großer Räume charakteristisch war,16 bietet im russischen Fall die Autonomie Finnlands eine bemerkenswerte sachliche und zeitliche Parallele. 1809 hatte das Zarenreich von Schweden die Abtretung Finnlands, der Åland-Inseln und Teilen Lapplands erzwungen. Alexander I. erhob Finnland, unter Anfügung früherer Gebietsgewinne in Karelien, zu einem eigenständigen, in der Person des Herrschers mit dem Zarenreich verbundenen Großfürstentum und versprach auf dem Landtag von Porvoo im März 1809 die Aufrechterhaltung der schwedischen Rechts- und Verwaltungspraxis und die „Garantie traditioneller ständischer Autonomie und Privilegien“. Weder militärisch noch politisch wurde Finnland dem Zarenreich inkorporiert. Diese umfassende innere Autonomie war nicht in einer Verfassungsurkunde festgeschrieben, sorgte aber dafür, dass die „finnländische Oberschicht […] in der Folge Rußland gegenüber loyal“ war.17 Erwähnt sei noch ein weiterer zeitlich-sachlicher Parallelfall. Der im Frieden von Kiel (14. Januar 1814) proklamierte Anfall von Norwegen an die Krone Schwedens musste vom schwedischen Kronprinzen Karl Johann (Napoleons früherem Marschall Bernadotte) erst militärisch durchgesetzt werden; in der Zwischenzeit hatte eine in Eidsvoll zusammengerufene Reichsversammlung eine Verfassung („Grunnlov“; 17. Mai 1814) mit einem starken, nach liberalen Zensusvorschriften gewählten Zweikammer-Parlament verabschiedet. Nach dem siegreichen Feldzug Karl Johanns an den Oslofjord brachte die Konvention von Moss (14. August 1814) eine tragfähige Grundlage für das bis 1905 anhaltende Miteinander der skandinavischen Königreiche. Norwegen blieb ein eigenständiges Staatswesen auf Basis der Verfassung von Eidsvoll, die am 4. November 1814 im Sinne einer Personalunion mit Schweden modifiziert wurde. Der erste Artikel dieser Fassung lautete: „Das Königreich Norwegen ist ein freies, selbstständiges, untheilbares und unabhängiges Reich, mit Schweden unter einem Könige vereinigt. Seine Regierungsform ist eingeschränkt und erblich monarchisch.“18
In einem „(fiktiven) freien Entschluss gemäß der zuvor […] beschlossenen Verfassung“19 wählte die Mehrheit der Abgeordneten des Storting dann den schwedischen König Karl XIII. auch zum König von Norwegen. Von allen skandinavischen Staaten konnte sich in Norwegen auf Basis der Verfassung von 1814 die liberalste
16 Vgl. Dieter Langewiesche, Kleinstaat – Nationalstaat. Staatsbildungen des 19. Jahrhunderts in der frühneuzeitlichen Tradition des „zusammengesetzten Staates“, in: ders., Reich, Nation, Föderation. Deutschland und Europa, München 2008, S. 194 – 210, hier v. a. S. 201 f. 17 Beide Zitate bei Kappeler (Fn. 13), S. 89. 18 Brandt (Fn. 13), Nr. 14.2.5. 19 Peter Brandt, Norwegen, in: Daum (Fn. 13), S. 1173 – 1220, Zitat S. 1181; Hervorhebung R.St.
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Staats- und Gesellschaftsordnung mit einem quasi-parlamentarischen Regierungssystem (Wahl des Königs!) etablieren.20 3. Niederlande Das Ende 1813 proklamierte niederländische Staatswesen, in besonderem Maße „eine Schöpfung gesamteuropäischer Staatsräson“21, wurde zu einer konstitutionellen Monarchie umgestaltet, erblich im Haus Oranien-Nassau. Zum „Souveränen Fürsten der Niederlande“, wie der Titel vorerst lautete, wurde aus dem britischen Exil der Sohn des letzten Erbstatthalters der Republik der Vereinigten Niederlande, Prinz Wilhelm VI. von Oranien, berufen. Eine Versammlung von Notabeln verabschiedete im März 1814 eine Verfassung, die u. a. die Generalstaaten als parlamentarische Versammlung und Repräsentanten des gesamten niederländischen Volks etablierte. Substantielle Gebietsvergrößerungen zur Sicherstellung der eigenen Verteidigungsfähigkeit und als Beitrag zum Gleichgewicht der Sicherheit in Europa waren dem Oranier bereits im Ersten Pariser Frieden in Aussicht gestellt worden. Verhandelt wurde diese Frage schon vor dem Wiener Kongress, beim Londoner Treffen der vier Siegermächte im Juni 1814. Die Briten hatten ein besonderes Interesse am Einbau eines vergrößerten niederländischen Staates in eine linksrheinische Barriere gegen Frankreich. Von Anfang an unumstritten war, dass die vormals Österreichischen Niederlande („Belgique“) und das Fürstbistum Lüttich das Substrat für diese Gebietsvergrößerung abgeben sollten, und die entsprechenden Beschlüsse für eine „réunion […] intime et complète“ wurden im Juli 1814 gefasst.22 Dagegen war die Zuweisung des Herzogtums Luxemburg mit seiner Festung lange umstritten – der Oranier wäre lieber großflächig mit Gebieten zwischen Rhein und Maas entschädigt worden, die schließlich aber für Preußen benötigt wurden; er verlor im Übrigen auch die Kolonie am Kap der Guten Hoffnung und Cochin an der indischen Malabarküste, das sich die Briten für ihre guten Dienste sicherten. Auch auf die rechtsrheinischen Stammlande seiner Linie musste er verzichten; sie fielen in einem mit Preußen organisierten Ringtausch großteils an den herzoglichen Zweig des Gesamthauses Nassau. Insofern war es auch ein kompensatorischer Akt, dass die fürstliche Herrschaft des Hauses Nassau-Oranien in den vergrößerten Niederlanden zum Königtum („Roi des Pays-Bas“) aufgewertet wurde. Wilhelm musste auf diese von ihm angestrebte Rangerhöhung relativ lange warten; sie wurde im Haag am 16. März 1815 proklamiert und auf Antrag Wellingtons tags darauf in Wien vom Gremium der Fünf Mächte offiziell anerkannt.23 20 21 22 23
Hippel/Stier (Fn. 3), S. 204. Hippel/Stier (Fn. 3), S. 207. Die „Acht Artikel“ vom 21. Juli 1814 bei Angeberg (Fn. 4), S. 207 – 209. Angeberg (Fn. 4), S. 774 f., 928 – 930, 952 f.
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Alle Abmachungen fanden sich festgeschrieben in einem Vertrag des neuen Königs Wilhelm I. mit den vier alliierten Mächten vom 31. Mai 1815, dessen wesentliche Bestimmungen auch in die Kongressakte übernommen wurden. Bezug auf die Innenpolitik nahm dabei Art. 73, der noch einmal die Beachtung der „Acht Artikel“ und ihrer Maßgaben für die Integration der früher österreichischen und lüttichischen Gebiete festschrieb. Die nun auch für die neuen Landesteile gültige Verfassung vom März 1814 wurde einer Revision unterzogen und am 24. August 1815 neu verabschiedet, allerdings nur im Gebiet der alten „Sieben Vereinigten Provinzen“ im Norden. Die hier bereits durchscheinenden Spannungen zwischen den alten und den neuen Landesteilen führten dazu, dass das neuformierte Königreich der Niederlande schon 15 Jahre nach dem Wiener Kongress genau an dieser Nahtstelle wieder auseinander brach und 1830/31 ein selbständiges Belgien als liberaler Verfassungsstaat entstand.24
III. Intervention und „intervenierende Mächte“ Um das politisch-rechtliche Regelsystem Europas, wie es im Rahmen der „Wiener Ordnung“ entstand, als Raum gemeinsamer politischer Verantwortung handhabbar zu machen, bedurfte es konkreter Instrumente. Am wichtigsten war der Mechanismus regelmäßiger multilateraler Konsultationen, wie er sich nicht nur in den bekannten Mächtekongressen von Aachen 1818, Troppau und Laibach 1820/21 sowie Verona 1822 manifestierte, sondern auch in der Arbeit ständiger Botschafterkonferenzen in Frankfurt, Paris und London, auf denen u. a. die Ausgestaltung des Deutschen Bundes, die Regelung der im deutschen Raum offen gebliebenen Territorialfragen und die Abwicklung der französischen Kriegskostenentschädigungen besprochen wurden.25 Diese Konsultationsmechanismen wurden übrigens nicht in Wien, sondern erst im sechsten Artikel der eingangs erwähnten Neufassung der Quadrupelallianz vom 20. November 1815 vereinbart. Die Wahrnehmung Europas als politisches System prinzipiell gleichberechtigter Souveräne sowie Reflexionen über die Möglichkeit, unter diesen eine dauerhafte Friedensordnung zu schaffen und deren Einhaltung über Diplomatie und „droit public“ zu garantieren, war keine Neuigkeit der Jahre 1814/15. Wir begegnen derlei bereits im großen Friedensplan des Abbé de Saint-Pierre von 1712/13; schon bei ihm findet sich auch das zentrale Problem einer gemeinschaftlichen Instanz benannt, die bei Verletzung des Regelwerks Entscheidungen auch gegen den Willen einzelner Mitglieder treffen und durchsetzen sollte. Rousseau entwickelte in seiner Beschäftigung mit Saint-Pierres Konzeptionen ein Modell Europas als eines dauerhaften Bundes („confédération solide et durable“), ausgestattet mit einem zentralem Rats24
Jeroen van Zanten, Die Niederlande, in: Daum (Fn. 13), S. 433 – 483, v. a. S. 435 – 447. Wolfram Pyta, Konzert der Mächte und kollektives Sicherheitssystem. Neue Wege zwischenstaatlicher Friedenswahrung in Europa nach dem Wiener Kongreß 1815, Jahrbuch des Historischen Kollegs 2 (1996), S. 133 – 173, v. a. S. 161 – 172. 25
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gremium („une Diete ou un Congrès permanent“), das zur Anwendung von Sanktionen oder notfalls auch bewaffneter Maßnahmen befugt sein sollte.26 Im Gedankenhaushalt der politischen Entscheider von 1814/15 waren die Garantie innenpolitischer Stabilität und das Austarieren des außenpolitischen Gleichgewichts eng aufeinander bezogen. Dies führte tendenziell, bezogen auf beide Politikbereiche, zur politischen Verabsolutierung des Metternichschen Wertepaares „Ruhe und Ordnung“. Zu den der Aufrechterhaltung der Friedensordnung dienenden und insofern als legitim geltenden Instrumenten zählten punktuelle Interventionen in Drittstaaten, auch mit bewaffneter Macht. Wenn in der Perzeption der politischen Entscheider Änderungen der innerstaatlichen Ordnung das Potential außenpolitischer Auseinandersetzungen in sich bargen, dann musste, immer in der Logik dieser Perzeption, die Beseitigung von Aufstandsherden zugleich der Friedenswahrung dienen: „Der kleine Krieg sollte zum Ersatz für den vermiedenen großen werden.“27 In der Praxis des internationalen Systems zwischen 1815 und 1830/31 folgten die Schemata der Interventionspolitik allerdings keinem eindeutigen Muster. Gehandelt wurde pro forma im Kollektiv, nach gegenseitiger Absprache oder zumindest Information. Wer intervenierte, legte Wert auf ein „Mandat“ als Legitimation. Am gängigen Bild von den demokratischen Westmächten und den repressiven Ostmächten sind etliche Abstriche zu machen: Die Franzosen etwa intervenierten 1823 in Spanien, 1831 in Belgien; die Briten trieben ab 1826 die Unterstützung der griechischen Unabhängigkeitsbestrebungen gegen die osmanische Herrschaft voran.
1. Schweiz Aber nicht immer wurde das Interventionsprinzip über die Androhung militärischen Eingreifens oder der tatsächlichen Entsendung von Truppen umgesetzt, sondern dies geschah auch auf diplomatischem Weg und in vertraglichen Absprachen. Das interessanteste Beispiel dafür in der Situation von 1814/15 liefert die Neukonstitution der Schweizerischen Eidgenossenschaft unter den Auspizien der europäischen Pentarchie. Nach dem Ende des Mediations-Systems im Spätjahr 1813 waren innerhalb der Eidgenossenschaft grundlegende Differenzen über die künftige Gestaltung der politischen Ordnung und der sozialen Verhältnisse aufgekommen, die im Frühjahr 1814 an den Rand eines Bürgerkriegs führten. Strittig war vor allem die Anerkennung der drei neuen Kantone Wallis, Neuenburg und Genf; damit eng zusammen hing die vor allem von Bern verlangte Restitution der alten Untertanengebiete. Eine Sonderver26
Vgl. Olaf Asbach, Die Zähmung der Leviathane. Die Idee einer Rechtsordnung zwischen Staaten bei Abbé de Saint-Pierre und Jean-Jacques Rousseau, Berlin 2002, S. 180 – 183, die Zitate aus Rousseau hier S. 266 f. 27 Jürgen Osterhammel, Krieg im Frieden. Zu Form und Typologie imperialer Interventionen, in: ders., Geschichtswissenschaft jenseits des Nationalstaats. Studien zu Beziehungsgeschichte und Zivilisationsvergleich, 2. Aufl., Göttingen 2003, S. 283 – 321, hier S. 297 f.
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sammlung der konservativ orientierten Kantone („Orte“), die zum Bund der 13 Orte und zu den Untertanenverhältnissen zurückkehren wollten, wurde Ende März 1814 auf Druck der vier alliierten Mächte aufgelöst. Von April bis September 1814 tagte in Zürich die „Lange Tagsatzung“, bei der Russland, Österreich, Preußen und Großbritannien durch Gesandte vertreten waren. Sie verlangten die Verabschiedung eines neuen Bundesvertrags und machten davon ausdrücklich die Möglichkeit abhängig, Vertreter der Schweiz am Wiener Kongress zu akkreditieren. Das neue Vertragswerk wurde am 9. September mehrheitlich beschlossen und die Tagsatzung entsandte drei Delegierte als Vertreter der Gesamtschweiz nach Wien (daneben waren zehn Kantone durch Einzelgesandte vertreten), die eine Reihe von Forderungen zur Abrundung der Schweizer Grenzen sowie die Anerkennung von Unabhängigkeit und Neutralität der neuen Eidgenossenschaft vertreten sollten. Doch herrschte unter den drei Delegierten keine Einigkeit, ob die Differenzen unter den Orten im Rahmen eines herkömmlichen Schiedsverfahrens intern lösbar seien (so Jean François de Montenach aus Fribourg) oder ob ein „Eingreifen der Mächte“ „dringend notwendig“ sei, wie Johannes von Reinhard, Bürgermeister von Zürich, formulierte.28 Aufgrund dieser Differenzen und der bereits seit Frühjahr 1814 laufenden Vermittlung in innerschweizer Angelegenheiten gerieten die Großmächte hier in einer Gemengelage von Push- und Pull-Faktoren auf dem Kongress in eine Rolle, die sie mit der Formel „In den Angelegenheiten der Schweiz intervenierende Mächte“ („Puissances intervenantes dans les affaires de la Suisse“) umschrieben. Um der vielfach verschlungenen Aufgabe gerecht zu werden, Konfliktfreiheit innerhalb des Schweizer Staatenbundes, die neue Verfassungsordnung und deren Grundprinzipien, Grenzen und Forderungen zwischen den einzelnen Kantonen, Gebietsforderungen an der Grenze und den Wunsch nach europäischer Anerkennung der Neutralität zu regeln und zu garantieren, richteten die Vier Mächte Mitte November 1814 einen eigenen Ausschuss für die Angelegenheiten der Schweiz ein; bei dieser Gelegenheit tauchte die erwähnte Formel von den „Intervenierenden Mächten“ erstmals auf.29 Angesichts der Gebietsansprüche Genfs wurde auch Frankreich bald um die Entsendung eines Vertreters ersucht. Damit stellte die Schweizer Kommission des Wiener Kongresses ab Ende November 1814 das erste offizielle Kooperationsforum der fünf europäischen Großmächte dar und bereitete atmosphärisch wie formal den Boden für die Einbeziehung der Bourbonenmonarchie in die Entscheidungen über die Neuordnung Europas. Der Tagsatzung war aufgetragen worden, „während der Zeit, da man sich in Wien mit den inneren Angelegenheiten dieses Staates befassen wird“, in der Schweiz vor allem „die Ruhe […] aufrechtzuerhalten.“ Angesichts der fortgesetzten Debatte über die Untertanengebiete war eine erste Entscheidung des Schweizer Komitees, getroffen am 10. Dezember 1814, von besonderer Bedeutung. Die Fünf Mächte legten sich 28 29
Müller (Fn. 2), Nr. 99, S. 446 f. Angeberg (Fn. 4), S. 430.
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darin auf die territoriale Integrität der bestehenden 19 Kantone fest; das bedeutete eine Existenzgarantie für den Aargau und die Waadt, zwei der neuen Kantonsbildungen von 1803, und eine Ablehnung der Restitutionsansprüche Berns.30 Die komplizierte Frage der Schaffung einer Landverbindung zwischen Genf und der Eidgenossenschaft, die mit dem König von Sardinien-Piemont geführten Gebietsverhandlungen über Savoyen, die Frage der Entschädigung Berns und vor allem Österreichs Ansprüche auf Verbleib des Veltlin bei der Lombardei verhinderten rasche Fortschritte in der Kommissionsarbeit. Auch hier war es erst Napoleons Rückkehr nach Frankreich, die eine Entscheidung herbeiführte. Sie wurde in eine Deklaration gefasst, die die Acht Mächte am 20. März 1815 verabschiedeten, und die später der Schlussakte des Kongresses inkorporiert wurde; sie gab die Grundlinien für die Neugestaltung des Schweizer Staatswesens vor.31 Die Deklaration vom 20. März bezeichnete sich selbst als „transaction“ jener Mächte „[…] appelées á intervenir dans l’arrangement des affaires de la Suisse pour l’exécution […] du Traité de Paris“. Als „base du systéme helvétique“ wurde die Integrität der 19 seit der Mediationszeit bestehenden Kantone in ihrer territorialen Gestalt vom Jahresende 1813 anerkannt; das bedeutete, dass als „nouveaux cantons“ Wallis, das „territoire de Genève“ und Neuchâtel dem Schweizer Bundessystem beitraten. Fürst von Neuchâtel war seit Anfang 1814 wieder, wie schon im 18. Jahrhundert, der König von Preußen, der für das Gebiet am 18. Juni 1814 eine Verfassung erließ und eine Ständevertretung einrichtete. Frankreich konzedierte freien Warenverkehr auf der Straße von Genf Richtung Osten am Nordufer des Genfer Sees, ebenso den Zugang zur Genfer Exklave Peney-le-Jorat. Bern wurde für seine Gebietsverluste mit dem Fürstbistum Basel und der Stadt Biel entschädigt. Überhaupt spielte das Arrangement finanzieller Entschädigungen („compensations“) für eine Reihe alter Orte eine wichtige Rolle in der Deklaration und trug so zur inneren Befriedung bei. Auch dem letzten Fürstbischof von Basel, seinem Domkapitel und dem Fürstabt von St. Gallen, der bisher die Aufhebung seines Klosters von 1805 nicht anerkannt hatte, wurden Zahlungen zugesichert. Die Gewährung einer Generalamnestie sollte die Aufrechterhaltung des inneren Friedens der Konföderation („la paix intérieure de la Confédération“) gewährleisten. Nach Zustimmung der Tagsatzung zu diesen Grundsätzen Ende Mai 1815 war endlich der Weg frei für die Beschwörung des Bundesvertrags vom September 1814, die in Zürich am 7. August 1815 vollzogen wurde. Diese bis 1848 in Kraft bleibende Verfassung konstituierte die Schweiz als sehr lockere Föderation von nunmehr
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Müller (Fn. 2), Nr. 99, S. 447; Angeberg (Fn. 4), S. 511. Druck bei Angeberg (Fn. 4), S. 934 – 939; Auszüge (dt.) bei Hans-Dieter Dyroff (Hrsg.), Der Wiener Kongreß 1814/15. Die Neuordnung Europas, München 1966, Nr. 41c, S. 248 – 250. 31
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22 souveränen, gleichberechtigten Kantonen; der Akzent lag auf der Garantie äußerer und innerer Sicherheit und der Finanzierung der gemeinsamen Armee.32 Ein zentrales Ziel der Schweizer Politik konnte erst mit dem Zweiten Pariser Frieden vom 20. November 1815 erreicht werden. Nach nochmaligen Verbesserungen für die territoriale Situation von Genf erließen die Acht Mächte eine feierliche Erklärung, in der sie feststellten, dass die Unabhängigkeit der Schweiz dem Interesse Europas („[…] les vrais intérêts de la politique de l’Europe entière“) entspreche. Deshalb sprachen sie „une reconnaissance formelle et authentique de la neutralité perpétuelle de la Suisse“ und die Garantie der Integrität und Unverletzlichkeit ihres neu fixierten Gebietsstandes aus.33 2. Neapel-Sizilien Militärische und diplomatische Instrumente einer Intervention kombinierte Österreich bei seinem Vorgehen im Süden Italiens ab dem Frühjahr 1815. Nachdem die Kongressmächte in ihrer Haltung gegenüber König Joachim Murat von Neapel lange geschwankt hatten, ermöglichte dessen Übergang auf die Seite Napoleons zu Beginn der „Hundert Tage“ ein offensives militärisches Vorgehen auf der italienischen Halbinsel. Österreichische Truppen besiegten Murats Truppen am 3. Mai bei Tolentino und zogen am 21. Mai 1815 in die Stadt Neapel ein. In den beiden nunmehr wieder vereinigten Teilen des neapolitanischen Königsstaats („le due Sicilie“) wurde durch Art. 104 der Kongressakte die Herrschaft des bourbonischen Monarchen Ferdinand IV., nunmehr als Ferdinand I. „roy du royaume des Deux-Siciles“, restauriert.34 Die Anbindung der neuen Herrschaft des alten Monarchen an die politischen Interessen der Pentarchie erfolgte in einer Serie vertraglicher Absprachen mit Österreich, als dessen Einflusssphäre die gesamte Apenninenhalbinsel unstrittig galt. Zunächst fand sich König Ferdinand verpflichtet auf einen Kurs innenpolitischer Aussöhnung und einen Verzicht auf Repressionen; dazu zählten die Unterlassung der Verfolgung der Anhänger Murats, die Anerkennung des Verkaufs von Staatsgütern, die Anerkennung der Adelstitel aus napoleonischer Zeit sowie die Bestätigung der militärischen Ränge, Ehren und Pensionen gegen Treueschwur auf den neuen Monarchen (29. April / 20. Mai 1815). In einer geheimen Zusatzvereinbarung zum Allianzvertrag vom 12. Juni verpflichtete sich Ferdinand I. „pour assurer la paix intérieure de l’Italie“, die Einrichtung der staatlichen Ordnung seines Königreichs so vorzunehmen, dass diese im Einklang stand einerseits mit den alten monarchischen Institutionen seines eigenen Landes, andererseits mit jenen Grundprinzipien, die der 32 Text: Werner Näf (Bearb.), Die deutsche Bundesakte und der schweizerische Bundesvertrag von 1815, 2. Aufl., Bern/Frankfurt 1974, S. 78 – 89. 33 Angeberg (Fn. 4), S. 1640 f. 34 Angeberg (Fn. 4), S. 1428.
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österreichische Kaiserstaat der inneren Regierung seiner italienischen Provinzen zugrunde legen werde – was im Klartext vor allem hieß, keine Verfassung zu erlassen.35 Die Auswirkungen dieser Verpflichtungen gestalteten sich in den beiden Teilen der Monarchie sehr unterschiedlich. In Unteritalien verfolgte Minister Luigi de Medici tatsächlich eine Amalgamierungspolitik mit dem Ergebnis, „dass in Unteritalien mit einer Konsequenz wie nirgendwo sonst auf der Halbinsel die französischen Reformen als vollendete Tatsachen begriffen und daher weitgehend aufrechterhalten wurden“. Für Sizilien dagegen bedeutete der Übergang „von der dynastischen zur territorialen Union“ die Übertragung des festländischen Administrationsmodells, die Aufhebung der (stark aristokratisch geprägten) Konstitution von 1812, eine unklare Zukunft für die Rolle der ständischen Vertretung und den Verlust autonomer Rechte, auch auf symbolischer Ebene (so wurde der Vizekönig in Palermo ersetzt durch eine General-Statthalterschaft). Erhalten blieben das Ämtermonopol für Sizilianer auf der Insel und der eigene Kassationshof.36
IV. Vorgaben für die politische Ordnung der Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes Erst spät im Lauf der Wiener Verhandlungen, am 23. Mai 1815, fiel die endgültige Entscheidung, ein „Generalinstrument“ als formalen Rahmen für alle verbindlich formulierten Beschlüsse aufzusetzen. Lange dauerten die Diskussionen über den Kreis der Unterzeichnungsberechtigten – man einigte sich schließlich Anfang Juni auf jene Runde der acht Signatare des Pariser Friedens, die sich am 8. Oktober 1814 in Wien erstmals versammelt hatte. Das heute als „Kongressakte“ geläufige Dokument, am Ballhausplatz am 9. Juni paraphiert und von den Vertretern von sieben Mächten (Spanien fehlte bis 1817) am 19. Juni unterschrieben, bildete mit seinen 121 Artikeln und 17 beigeschlossenen Verträgen das Fundament jener „Wiener Ordnung“, die, ergänzt um die Pariser Beschlüsse vom November 1815, zum Regelwerk der europäischen Friedensordnung des 19. Jahrhunderts wurde.37
35 Angeberg, Comte d‘ [Chodz´ko, Leonard Jakób Borejko] (Hrsg.), Autriche et Italie. Recueil des traités, conventions et actes diplomatiques concernant l’Autriche et l’Italie depuis l’année 1703 jusqu’au commencement des hostilités (1859), Paris 1859, S. 200 – 203; Brandt (Fn. 13), Nr. 4.1.1.1, 4.1.1.2. 36 Zitate: Werner Daum, „Beide Sizilien“ – Doppelmonarchie oder Reichseinheit? Kontinuität und Wandel dynastischer Herrschaft in Neapel-Sizilien 1806 – 1821, in: Helga Schnabel-Schüle/Andreas Gestrich (Hrsg.), Fremde Herrscher – fremdes Volk. Inklusionsund Exklusionsfiguren bei Herrschaftswechseln in Europa, Frankfurt/Main 2006, S. 191 – 215, hier S. 209, 211. Vgl. John A. Davis, Naples and Napoleon. Southern Italy and the European Revolutions 1780 – 1860, Oxford 2009, S. 276 – 294. 37 Zusammenfassend Stauber (Fn. 4), S. 129 – 136; Abdruck der Kongressakte z. B. bei Johann Ludwig Klüber (Hrsg.), Acten des Wiener Congresses in den Jahren 1814 und 1815, Bd. 6, Erlangen 1816, S. 12 – 96, alle Anlagen auf S. 96 – 207.
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Zur Anwendbarkeit eines solchen Regelwerks gehörte die Beachtung der diffizilen Balance zwischen Stabilität und Berechenbarkeit der interstaatlichen Beziehungen auf der einen und der innerstaatlichen Institutionen- und Verfassungsordnung auf der anderen Seite. Die Implikationen dieser Balance klangen in den Fällen Schweiz und Neapel gerade an, und unter dem Stichwort „Interventionspolitik“ ließen sich dazu, wozu hier der Raum fehlt, umfassende Ausführungen anschließen, nicht erst für die Jahre ab 1820 (Troppauer Kongress), sondern etwa auch für die Debatte unter den Alliierten im Spätwinter 1814, ob es ein legitimes Kriegsziel sein dürfe, die Dynastie Bonaparte in Frankreich zu stürzen.38 Für den Deutschen Bund, dessen Verfassungsbestimmungen unter hohem Zeitdruck Ende Mai, Anfang Juni 1815 entstanden und bewusst eng mit dem europäischen Regelwerk der Kongressakte verflochten wurden, stellte sich dieses Problem der Verschaltung von Außenbeziehungen und innerer Ordnung in Gestalt der Frage, ob den einzelnen Bundesgliedern eine „angemessene Einrichtung“ ihrer innerstaatlichen Ordnung vorgeschrieben werden könne. Das Zitat stammt aus den „Zwölf Artikeln“, dem ersten gemeinsamen Verfassungsentwurf Preußens und Österreichs, auf dessen Basis ab Mitte Oktober 1814 in einem eigenen Ausschuss über den Deutschen Bund beraten worden war. Es ging dabei um die Garantie gewisser Rechte für jeden „Deutschen“ (das Recht auf Auswanderung etwa, oder den Eintritt in die Dienste eines anderen Staates), um die „Notwendigkeit einer ständischen Verfassung in jedem einzelnen Bundesstaat“ und die Gewährung eines „Minimum[s] der ständischen Rechte“. Im Übrigen sei es den Einzelstaaten überlassen, „ihren Ständen nicht nur ein Mehreres einzuräumen, sondern auch ihnen eine der Landesart, dem Charakter der Einwohner und dem Herkommen angemessene Einrichtung zu geben.“39 Die Formulierung erinnert in ihrer Vagheit an die schon behandelten Zusagen für die Ausgestaltung der Rechte der „polnischen Nation“ durch die Monarchen von Russland, Österreich und Preußen. Die Vertrauenskrise unter den deutschen Großmächten wegen des Streits um Sachsen führte ab November 1814 zu einer langen Pause in den Verhandlungen über deutsche Angelegenheiten. Damit war auch das von Berlin favorisierte, über ein System von Kreisen organisierte Modell einer österreichisch-preußischen Doppelhegemonie gescheitert, und nach dem Neustart der Verhandlungen ganz am Ende des Kongresses, in der letzten Maiwoche 1815, waren es vor allem die immer wieder vorgebrachten Einwände Bayerns, die in Richtung einer Stärkung der souveränen Stellung der einzelnen Fürsten und Magistrate wirkten und beispielsweise für den endgültigen Ausschluss der Mediatisierten von der politischen Entscheidungsfindung auf Bundesebene sorgten. 38 Vgl. dazu Reinhard Stauber/Florian Kerschbaumer, Revolution, Restauration und Intervention. Beobachtungen zum Politikraum Europa in der Zeit des Wiener Kongresses, in: Christoph Kampmann/ Ulrich Niggemann (Hrsg.), Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm, Praxis, Repräsentation. Köln/Weimar/Wien 2013, S. 156 – 174. 39 Müller (Fn. 2), Nr. 71, S. 353.
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Schließlich blieb in der Bundesakte nicht viel übrig an „Mindestanforderungen an die Grundordnung der Mitgliedstaaten“40 : die Gewährleistung einer aus drei Instanzen bestehenden Zivil- und Strafgerichtsbarkeit (Art. 12), dann die einheitliche Rechtsstellung der Mediatisierten, der „Standesherren“ (Art. 14b) hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zum Hochadel und ihrer Stellung als „privilegirteste Klasse“ im mediatisierenden Staatswesen, ferner die Gleichheit der christlichen Bekenntnisse in Bezug auf die Ausübung aller bürgerlichen Rechte (Art. 16) und die Zusicherung bestimmter „Unterthanen“-Rechte (Art. 18), wie freier Erwerb von Grundeigentum, Abzugs- und Nachsteuerfreiheit sowie das Recht, ungehindert in die Dienste eines anderen Staaten zu treten. Zur Befassung an die erste Bundesversammlung wurden die wichtigen Fragen der Pressefreiheit bzw. und der Schutz von Urhebern vor Raubdrucken überwiesen. Und natürlich blieb die bekannte Zusage des Art. 13: „In allen Bundesstaaten wird eine Landständische Verfassung statt finden“. Bei der bewusst vage und äußerst knapp gehaltenen Formel,41 angenommen auf der vierten Sitzung der „Zweiten Deutschen Konferenzen“ am 30. Mai 1815,42 wies der Austausch des Hilfsverbs „soll“, das im Art. 10 des Verhandlungsentwurfs vom 23. Mai gestanden hatte,43 gegen „wird“ nur scheinbar in Richtung einer allgemeinen Verpflichtungserklärung – in Wirklichkeit ging die Abänderung auf eine Intervention die bayerischen Gesandten Rechberg zurück, um den Verpflichtungscharakter der „soll“-Vorschrift zu dämpfen. Die Sache selbst war schon in den ersten Verhandlungsentwürfen Humboldts und Hardenbergs vom April bzw. vom Juli 1814 präsent und unstrittig, die Festlegung von Mindestrechten der Ständeversammlungen noch in der österreichisch-preußischen Verhandlungsvorlage von Mitte Oktober 1814 erwähnt.44 Metternichs unter dem Namen des zweiten österreichischen Kongressbevollmächtigten Wessenberg lancierter Verfassungsplan vom Dezember 1814 forderte gar eine Einführung von Ständen „binnen Jahr und Tag“, nannte „Steuern“ und „allgemeine LandesAnstalten“ als deren Wirkungskreis und kombinierte damit den vagen Verweis aus den „12 Artikeln“ auf das Recht jeden einzelnen Souveräns, „den Ständen eine der Landesart, dem Charakter der Einwohner und dem Herkommen gemäße Einrichtung zu geben.“45 In dem Maß, in dem die Ansprüche der beiden deutschen Großmächte auf die alleinige Führungsrolle für die Ausgestaltung des Bundes verloren gingen und Metternich auf die gleichberechtigte Einbindung einer immer größeren Zahl 40 Michael Kotulla, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Alten Reich bis Weimar (1495 – 1934), Heidelberg 2008, S. 339; Abdruck der auf den 8. Juni 1815 datierten Bundesakte etwa bei Treichel (Fn. 7), Nr. 250, S. 1503 – 1518. 41 Der niederländische Vertreter Gagern protestierte gegen die Textierung, diese sei viel „zu nackt und unbefriedigend gefaßt“; vgl. Treichel (Fn. 7), Nr. 241, S. 1410. 42 Treichel (Fn. 7), Nr. 241, S. 1406. 43 Treichel (Fn. 7), Nr. 228, S. 1303. 44 Müller (Fn. 2), Nr. 64, S. 310; Nr. 65, S. 318 (hier, in Hardenbergs „41 Artikeln“, war die Rede von einer „ständische[n] Verfassung“); Nr. 72, S. 353. 45 Müller (Fn. 2), Nr. 85, S. 393.
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von deutschen Staaten setzte, wandelte sich dieser Artikel von einem möglichen Interventionsinstrument des Bundes zu einem „äußerst ,flexibel‘ handhabbaren Merkposten“46, einer Generalklausel ohne Fristen und vor allem ohne allen konkreten Inhalt. Es folgten die öffentliche Debatte um die korrekte Interpretation des Begriffs „Repräsentativverfassung“ mit der von Gentz 1819 vorgetragenen Ablehnung der Prinzipien von Volkssouveränität und Rechtsgleichheit, und, nachdem die Durchsetzung einer authentischen Interpretation auf dem Karlsbader Kongress 1819 am Widerspruch Württembergs gescheitert war, die für die künftige Bundespolitik verbindliche Erläuterung durch Art. 54 – 62 der „Wiener Schlussakte“ vom 15. Mai 1820.47 Auch diese kann nicht einfach unter der Etikettierung „restaurativ“ abgebucht werden, da keine Normierung im „alt“- oder „neuständischen“ Sinn festgelegt und die einseitige Abschaffung oder Änderung bestehender Verfassungen ausgeschlossen wurden. Wichtig wurde Art. 57 über den Begriff des „souverainen Fürsten“, demzufolge „die gesammte Staats-Gewalt in dem Oberhaupte des Staats vereinigt bleiben“ müsse und „der Souverain […] durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden“ könne.
V. Völkerrecht und globale Aspekte Europa als politisch-rechtliches Regelsystem, wie es 1814/15 in Ansätzen entstand, benötigte Institutionen und Instrumente, um als Raum gemeinsamer politischer Verantwortung handhabbar zu werden. Die institutionelle Unterfütterung blieb wenig entwickelt, die Schaffung multilateraler Konsultationsforen (Mächtekongresse; Botschafterkonferenzen) Ende 1815 bezeugt aber den neuen Willen der führenden Mächte zu einer abgestimmten, berechenbaren Politik. Für die Entwicklung neuer, zum Teil bis heute gültiger Normen des internationalen Rechts spielten die Verhandlungen in Wien eine wichtige Rolle. Eine eher wenig bekannte Maßnahme wurde schon im 19. Jahrhundert als zukunftsweisend gewürdigt; in ihr ist auch der politische Wille erkennbar, aus ökonomischen Überlegungen heraus die Barrierewirkung der eben neu gezogenen Grenzen zu überwinden. Es ging um die Festsetzung verbindlicher Regeln zur Förderung freier Schifffahrt auf Flüssen, deren Lauf das Gebiet von zwei oder mehr Staaten berührte, von der Völkerrechtswissenschaft später zum Prinzip der „Verkehrsfreiheit“ verdichtet und kanonisiert. Zukunftsweisend an den von einem eigenen Ausschuss erarbeiteten „Règlements“ für den Rhein vom 24. März 1815 waren die kooperative Grundidee des internationalen Gemeingebrauchs infrastruktureller Ressourcen, 46
Kotulla (Fn. 40), S. 342. Abdruck der Schlussakte etwa bei Ernst Rudolf Huber (Hrsg,), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803 – 1850, 3. Aufl. Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1978, Nr. 31, S. 91 – 100. 47
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das Ziel einer möglichst weitgehenden Deregulierung des Handels anstelle des Zwangsregimes von Zöllen und Abgaben, und schließlich die Möglichkeit der Übertragung auf andere europäische Flusssysteme. Zu vermerken ist in diesem Zusammenhang die Gründung der ältesten bis heute bestehenden internationalen Verwaltungsinstitution, der „Zentralkommission für die Rheinschifffahrt“, 1816 erstmals in Mainz zusammengetreten, heute mit Sitz im „Palais du Rhin“ in Straßburg.48 Die von Talleyrand initiierte Arbeit eines Ausschusses zu „Rang- und Präzedenzfragen“ mündete in ein kurzes „Règlement sur le rang entre les agents diplomatiques“ vom 19. März 1815, das drei Rangstufen diplomatischer Vertreter von monarchischen Souveränen unterschied (Botschafter, Gesandte, Geschäftsträger) und ihre Rangfolge nach dem Prinzip der Anciennität (innerhalb der jeweiligen Rangstufe) am jeweiligen Dienstort festsetzte. Der von Consalvi verlangten Sonderstellung der päpstlichen Nuntien wurde lediglich mit dem Satz Rechnung getragen, die Regelung bringe keine Neuerungen hinsichtlich des Umgangs mit vom Papst entsandten Diplomaten mit sich. Dies sind bis heute Bestandteile der entsprechenden völkerrechtlichen Regelungen, wie sie zuletzt im „Wiener Übereinkommen“ der Vereinten Nationen 1961 festgeschrieben wurden.49 Die Unterfertigung des Dokuments geschah bewusst nach einer neuen Regel, in der alphabetischen Reihenfolge der Höfe entsprechend den Staatenbezeichnungen in französischer Sprache (von „Autriche“ bis „Suède“). Nach diesem Modell der wertfreien Reihung, das sich aus Praktikabilitätsgründen gegenüber dem ursprünglich diskutierten Losverfahren durchsetzte, wurde Anfang Juni auch die Unterzeichnung der Schlussakte organisiert. Das Thema der Abschaffung des Handels mit afrikanischen Sklaven stand für eine besondere Qualität der Verknüpfung von Außen- und Innenpolitik, vor allem in Großbritannien angesichts der dort aktiven Abolitionsbewegung. Seit der Durchsetzung eines entsprechenden Verbotsbeschlusses im Parlament von Westminster 1807 gehörten Vorstöße zur Ausweitung dieser Regelung zum Pflichtprogramm britischer Diplomaten auf Auslandsmission. Für den britischen Außenminister Castlereagh war ein entsprechender Beschluss in Wien aus Rücksicht auf die innenpolitische Erwartungslage, aber auch angesichts des Aktionismus abolitionistischer Interessenvertreter am Tagungsort zu einer zentralen Prestigefrage geworden, und Talleyrand unter48 Druck der Reglements bei Angeberg (Fn. 4), S. 957 – 959 (allgemeiner Teil), S. 959 – 969 (Vorschriften für den Rhein). Vgl. Milosˇ Vec, Das Prinzip der Verkehrsfreiheit im Völkerrecht. Die Rheinschifffahrt zwischen dem Frieden von Lunéville (1801) und der Mannheimer Akte (1868), Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 30 (2008), S. 221 – 241; Willem Jan M. van Eysinga, Die Zentralkommission für die Rheinschiffahrt. Geschichtliche Darstellung, Leiden 1936; allgemein Andreas Fahrmeir, Frieden durch Handel? Der Wiener Kongress und die Wirtschaftspolitik, in: Reinhard Stauber/Florian Kerschbaumer/Marion Koschier (Hrsg.), Mächtepolitik und Friedenssicherung. Zur politischen Kultur Europas im Zeichen des Wiener Kongresses, S. 123 – 133. 49 Druck des Reglements von 1815 bei Klüber (Fn. 37), S. 204 – 207; Text der „Vienna Convention on Diplomatic Relations“ vom 18. April 1961 z. B. unter http://web.archive.org/ web/20130809032525/http://untreaty.un.org/ilc/texts/instruments/english/conventions/9_1_ 1961.pdf (06. 08. 2014).
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stützte ihn im Herbst mehrfach dabei, das Thema auf den Verhandlungstisch zu bekommen. Zwischen dem 20. Januar und 8. Februar 1815 traten die Vertreter der acht Signatarmächte des Pariser Friedens zu vier Sondersitzungen zusammen (die iberischen Mächte hatten das Thema nicht behandelt sehen wollen und wurden überstimmt) und einigten sich auf den Text einer knappen Absichtserklärung, den Gentz entworfen hatte.50 Der Handel mit schwarzafrikanischen Sklaven wurde als den Prinzipien der Humanität und der allgemeinen Moral Hohn sprechend stigmatisiert und seine völlige Abschaffung („abolition universelle“) verlangt, allerdings ohne jede zeitliche Konkretisierung (die Rede war von „le plus tôt possible“). Ab 1816 arbeitete eine Botschafterkonferenz in London an einer Umsetzung konkreter Folgeabsprachen, die namentlich auf Portugal, Spanien und Frankreich zielten. Die internationale Ordnung Europas, wie sie 1814/15 neu begründet wurde, beruhte auf einem „flexiblen Nebeneinander“ mehrerer Grundprinzipien.51 Dazu zählten die Gleichrangigkeit der fünf großen Mächte, die Betonung des monarchischen Prinzips, die Sorge um die Verhinderung hegemonialer Strategien sowie die Absicherung gegen einen großen Krieg. Die damit einhergehende intensivere Kommunikation fand ihren Niederschlag in multilateralen Verträgen und Konsultationen auf unterschiedlichsten Ebenen. Das Ergebnis war eine engere Vernetzung der europäischen Politik zu einem Rechts- und Regelsystem und damit ein entscheidender struktureller Wandel des europäischen Staatensystems vom konfliktreichen, auf Wettbewerb ausgelegten „Balance of Power“-System des 18. zum Mächtegleichgewicht im europäischen „Konzert“ des 19. Jahrhunderts mit einer deutlichen verringerten Frequenz militärischer Konflikte.52 Was die für die Geschichte des 19. Jahrhunderts so bedeutende „Wiener Ordnung“ nicht war, (noch) nicht sein konnte, war eine Ordnung von globaler Gültigkeit. In der Forschung wurde argumentiert, dass Europa sich bei den Verhandlungen in Wien und Paris ganz bewusst von Konfliktschauplätzen in Übersee, besonders der Dekolonialisierung Lateinamerikas, abgeschottet habe. Durch diese „Abschirmung Europas gegenüber einer konfliktreichen Peripherie“, der spiegelbildlich die Betonung der Unverletzlichkeit der eigenen Hemisphäre in der berühmten Kongressbotschaft des amerikanischen Präsidenten Monroe vom 2. Dezember 1823 entsprach, sei auf dem Alten Kontinent eine stabile und wirksame Friedensordnung etabliert worden, die ihrerseits Grundvoraussetzung für den dynamischen Fortgang der europäischen Expansion im 19. Jahrhundert gewesen sei.53
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Text der Deklaration vom 8. Februar 1814 bei Angeberg (Fn. 4), S. 726 f. Vgl. Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, München 2014, S. 36 – 38. 52 So die zentrale These des großen Werks von Paul W. Schroeder, The Transformation of European Politics 1763 – 1848, New York 1994, S. 580. 53 Das Zitat bei Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, 2. Aufl. München 2009, S. 679. 51
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Verantwortlich für diesen Abschirmeffekt war vor allem die Politik der Briten. Zur Aufrechterhaltung der eigenen Dominanz zur See hatten sie schon früh im Jahr 1814 durchgesetzt, dass Fragen der maritimen Rechte bei den kommenden Verhandlungen über Frankreich und Europa ausgeklammert blieben. Jeder kontinentalen Großmacht gestanden sie in deren jeweiliger Einflusssphäre ein Recht zur Intervention mit militärischen Mitteln zu, setzten aber jedem Versuch, eine Pflicht (gar eine automatisch auslösbare Pflicht) zum Eingreifen zu definieren, harten Widerstand entgegen. Dieses wäre (in Formulierungen Castlereaghs von 1821) auf ein „federative system“ und eine überstaatliche Entscheidungsinstanz in Europa hinaus gelaufen, was als Anmaßung ungehöriger „supremacy“ scharf abgelehnt wurde.54 Dies hieß keineswegs Verzicht auf die offensive Durchsetzung eigener Interessen in passenden Konstellationen: Angesichts der in den 1820er-Jahren zunehmenden Unruhen im Mittelmeergebiet zunächst strikt auf Nichteinmischung und Wahrung des Status quo bedacht, vollzog die britische Politik in der griechisch-osmanischen Problematik 1826/27 den Übergang zur militärischen, humanitär begründeten Intervention in Absprache mit Russland und Frankreich.55 Aus der von Großbritannien forcierten, unterschiedlichen Anwendung internationaler Regularien entstand so zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Mehrzahl globaler politischer Ordnungsräume mit je unterschiedlichen Regelsystemen. Die Frage, ob damit bewusst auf „die Initiative zu einer […] globalen Rechtsordnung“ verzichtet und „die konzeptionelle Trennung von Europa und Außereuropa“56 befördert wurde, oder ob sich nicht vielmehr die Dynamik eines wachsenden „Bewusstsein[s] der gemeinsamen Bindung am eine vertraglich geschaffene europäische völkerrechtliche Ordnung“57 als zukunftsprägend erweisen sollte, scheint weitere Diskussion zu lohnen.
54
Die Zitate aus einer britischen Zirkulardepesche vom 19. Januar 1821 (British and Foreign State Papers 1820 – 1821, London 1830, S. 1161). Vgl. Charles K. Webster, The Foreign Policy of Castlereagh 1812 – 1822, Bd. 2: 1815 – 1822. Britain and the European Alliance, London 1925, S. 320 – 324. 55 Vgl. dazu Brendan Simms/David J.B. Trim (Hrsg.), Humanitarian Intervention. A History, Cambridge 2011. 56 So Osterhammel (Fn. 53), S. 680. 57 Bardo Fassbender, Internationale Beziehungen, in: Daum (Fn. 13), S. 53 – 65, Zitat S. 55.
Aussprache Gesprächsleitung: Härter Härter: Vielen Dank, Herr Stauber, für diesen ausgezeichneten Überblick, der uns auch analytisch in das Zentrum von zentralen Fragestellungen unserer Tagung geführt hat: dem Zusammenhang zwischen internationaler Ordnung und inneren Verfassungsordnung, zwischen europäischer Machtpolitik und Verfassungspolitik, die nun in dieser Phase des Wiener Kongresses eine ganz andere Bedeutung gewinnt. Wir haben von Ihnen gelernt, dass selbstverständlich auch ältere Muster oder Maßnahmen – wie Intervention oder Garantie – benutzt wurden, um diesen Zusammenhang herzustellen. Aber neu ins Spiel kommt auch der Zusammenhang von Sicherheit, Ruhe und Ordnung oder die Frage kulturelle Autonomie, über die nun die internationale Ebene mit der Ebene der inneren Verfassung verknüpft wird – und das seit der französischen Revolution in einer völlig neuen Bedeutung. Denn damit kommt auch auf der internationalen Ebene und in der Mächtepolitik zum Tragen, dass eine Veränderung der inneren Verfassung durch Aufstände, durch Revolution ganz erhebliche Auswirkungen auf die internationale oder Machtpolitik in Europa hatte und das Gleichgewicht zerstören konnte. Interessant ist daher Ihre These, dass die Staaten keine wirklich dezidierten Vorstellungen entwickelt haben, wie sie eine innere legitime Verfassungsordnung erneuern und wie diese in diesen Einzelstaaten aussehen könnte, mit Ausnahme der defensiven Komponente, der Verhinderung von Verfassungsänderung, Aufständen und Revolution. Es entsteht folglich wieder die Frage nach der Sicherheitsordnung und ob Sicherheit das zentrale Moment ist, das seit dem Wiener Kongress innere Verfassungsordnung und europäische Mächtepolitik verknüpft. So viel als einleitende Bemerkung und nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich um Ihre Fragen bitten. Zunächst Herr Battenberg. Battenberg: Sie haben mit gewissem Recht restaurative Tendenzen der Wiener Ordnung in Zweifel gezogen. Es gibt aber, denke ich, einen Bereich, in dem die restaurativen Tendenzen ganz deutlich zu sehen sind. Ich frage mich, wie Sie dazu stehen. Und zwar meine ich die Frage der Judenemanzipation. Sie haben selbst gesagt, dass in der Ordnung die Gleichberechtigung der jüdischen mit der christlichen Konfession festgelegt worden sei. Juden, die ja weitgehend in denjenigen Staaten, die französisch besetzt waren, bereits Emanzipationsrechte hatten, also gleiche Rechte wie die der Christen errungen hatten, wurden jetzt in der Wiener Ordnung mit einer Vorschrift konfrontiert, in der gesagt wird, dass nur dort, wo diese Emanzipationsgesetze unmittelbar von den Fürsten selbst erlassen wurden, diese aufrechterhalten
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werden könnten. Alle anderen Gesetze, der Besatzungsmacht insbesondere, oder auch Emanzipationsgesetze für Juden anderer Provenienz, nicht mehr gültig seien. Ich denke, das war der Artikel 16 der Wiener Kongressakte. Wie stehen Sie dazu? Meiner Ansicht nach ist dies ein deutliches Zeichen dafür, dass hier, zumindest in diesem Bereich, restaurative Tendenzen weiterhin maßgebend waren. Stauber: Herr Battenberg, danke. Ja, das ist völlig richtig, der Hinweis, hier gibt es eine tatsächliche Verschlechterung. Während bei den christlichen Konfessionen, verglichen mit dem Alten Reich, gegenüber der Anerkennung der drei Bekenntnisse sich nichts Wesentliches ändert. Das ist – zum Beispiel für die nördlichen Staatswesen, wie in Norwegen – schon ein Schritt, dass jetzt nicht nur die lutherische Kirche, sondern auch andere Bekenntnisse, sozusagen exercitium religionis, toleriert werden. Aber bei der jüdischen Bevölkerung gibt es tatsächlich die Situation, wo es eine faktische Verschlechterung gibt. Da gibt es dann tatsächlich ein Rollback, einen Weg zurück. Ich möchte das auch nicht in Frage stellen. Ich wollte nur noch einmal darauf hinweisen, dass ich mit dem Gesamtbegriff Restauration, vor allem als Epochenbezeichnung, aber auch als bewusst handlungsleitendes Prinzip, also dass ich da so meine Schwierigkeiten habe. Dass es Einzeleffekte gibt, die restaurativ rauskommen, überhaupt kein Thema. Härter: Vielen Dank. Ich darf vielleicht noch einmal ganz kurz daran erinnern, bitte Namen und Ort zu nennen, bevor Sie Ihre Frage stellen. Als nächstes habe ich Herrn Kley notiert. Kley: Ich bin Ihnen sehr dankbar für das Referat. Sie haben die Eidgenossenschaft angesprochen und hier möchte ich anknüpfen. Es stellte sich nämlich die Frage, ob die europäischen Großmächte in der Schweiz intervenieren müssen. Sie sprechen damit ein heikles Thema an, wenn ich jetzt auf die Binnen-Schweizerische Perspektive wechsle. Denn die moderne Schweiz ist eine Gründung der Wiener Großmächte gewesen, wogegen Heroen, wie ein Wilhelm Tell, keinerlei Rolle spielten. Das müsste man den Schweizern eigentlich einmal sagen, und das widerlegt auch nicht Schillers Wilhelm Tell, denn das ist eine ganz andere Geschichte. Insbesondere Zar Alexander I. hat für die Schweiz hervorragende Verdienste erworben. Sein Außenminister Antoine Capodistria, ein Grieche, der später erster griechischer Präsident geworden ist, hat ständig bei den Tagsatzungen interveniert und musste mit Krieg drohen, um die Schweizer zur Vernunft zu bringen. Das ist von einem unglaublichen innenpolitischen Gehalt, da in der Schweiz immer noch die alten Geschichten von Tell und Bundesbrief bemüht werden, um etwa die Europäische Union abzuwehren. Es ist auch so, dass die Schweizer Geschichtswissenschaft und die Schweizer Staatsrechtslehre davon keine Kenntnis nehmen. Es wird bis heute so getan, als hätte es diese Zeit des Wiener Kongresses nicht gegeben. Wenn man die heutigen Staatsrechtslehrbücher anschaut, wird behauptet, die Schweiz 1815 sei ein Staatenbund gewesen, das Verhältnis unter den Kantonen sei völkerrechtlicher Natur gewesen. Diese Aussage ist aus einer historischen Perspektive falsch. Denn die Wiener Kongressmächte
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haben es abgelehnt mit einzelnen Kantonen zu verhandeln; sie wollten nur mit der „corps hélvétique“ verkehren. Etwa Bern wollte die Untertanengebiete Waadt und Aargau wieder gewinnen. Die Kongressmächte haben es abgelehnt mit einem einzelnen Kanton zu verhandeln. Der Wiener Kongress hat im Grunde genommen für die Schweiz eine Art gemeineidgenössisches Recht geschaffen. Das ist interessant, wenn man den Begriff des Völkerrechts im 19. Jahrhundert ernst nimmt. Im Verhältnis zur Schweiz etwa ist ein anderes Recht entstanden. Darüber nachzudenken lohnt es sich, denn heute spricht man teilweise auch von einem gemeineuropäischen Recht, das sich auf das Verhältnis unter den europäischen Staaten bezieht. Mich würde interessieren, wie Sie das sehen, namentlich hinsichtlich der Rechtsnatur dieses Rechts. Stauber: Herzlichen Dank. Also, ich bin sehr froh über diesen Exkurs zur Schweiz. Das scheint mir tatsächlich eine zentrale Rolle zu spielen. Und es wird konsequent immer übersehen, auch bei den älteren Gesamtausstellungen zum Wiener Kongress, sodass das nicht ganz von Schaden war, was ich da angerichtet habe. In der Tat war es so – das nur noch zur Ergänzung –, dass zehn Einzelkantone auch Gesandte in Wien hatten, wie wir uns das diplomatische Parkett ja sowieso sehr bunt vorstellen müssen, dass aber, wie Sie mit Recht sagen, keine Verhandlungen mit einzelnen Kantonen geführt wurden. Ein bisschen anders, das ist noch einmal extra kompliziert, ist es mit der Frage Graubündens und der Zugehörigkeit der drei Vogteien, auf die Österreich Anspruch erhoben hat. Die Ausgestaltung, ja, da verlasse ich mich auf die gängige Literatur aus der Schweiz und die gängigen europäischen Rechtsgeschichten. Die sind auch nicht immer allerneuesten Datums. Ob ich das jetzt richtig sehe, da müssten Sie mir vielleicht noch einmal helfen. Also, ob das tatsächlich rein völkerrechtliche Beziehungen sind, die dort gemacht werden, ist vielleicht ein bisschen wenig. Die Handbücher sagen, es wird eine sehr lockere Konföderation, ich weiß nicht, vielleicht wie bei den „Articles of Confederation“, von 22 Gleichberechtigten? Allerdings findet man auch die Formel von 22 souveränen gleichberechtigten Kantonen. Ich bin da selber ein bisschen ratlos, muss ich gestehen. Aber vor der Folie des Deutschen Bundes, mit der Garantie äußerer und innerer Sicherheit, einer gemeinsamen Armee, die der Deutsche Bund ja nicht hat, also, diese Minima hat man ja doch einmal. Und dann würde ich doch sagen, dass es Züge von Staatlichkeit in sich hat. Härter: Als nächstes habe ich auf der Liste Herrn Kollegen Fröschl. Fröschl: Ich darf, und man wird mir das nachsehen nach meinem gestrigen Vortrag, wieder Europa kurz verlassen bzw. auf den Schlussteil Deines schönen Vortrages kommen, wo Du auf die globalen Aspekte zu sprechen kommst und darauf hinweist, dass es sich um eine Abschließung gegenüber Außereuropa, vor allem Lateinamerika, handelt. Und da ist nun die Frage: Du hast davon gesprochen im Zusammenhang mit der Sklaverei- oder Anti-Sklaverei-Initiative oder konkreter der Anti-Sklavenhandels-Initiative und dem Widerstand der beiden iberischen Mächte, Portugal und Spanien, dagegen. Wenn Portugal ein europäisches Land ist, wenn die
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portugiesische Regierung und der portugiesische König europäisch sind, befinden die sich aber seit 1808 in Rio de Janeiro, das ist damals die Hauptstadt des portugiesischen Reiches. Portugal wird von Brasilien aus regiert, der Königshof ist in Rio, und die europäischen Diplomaten sind ebenfalls in Rio akkreditiert. Am Wiener Kongress 1815 wird Brasilien auch zum Königreich erhoben, es gibt nun das „Vereinigte Königreich von Portugal, Algarve und Brasilien“. Und die Frage ist nun, ist Brasilien – außerhalb Europas – ein Teil dieser Wiener Ordnung? Denn das ist doch der einzige Fall, dass ein europäisches Land von einem außereuropäischen regiert wird als Provinz. Wie sieht dieses Verhältnis aus, wenn der portugiesische Königshof in Rio de Janeiro als Teil Europas gesehen wird? Danke. Stauber: Das ist tatsächlich ein spezieller Fall. Bei den Portugiesen, man wird ihnen wohl nicht unrecht tun, wenn man sagt, der europäische Teil der portugiesischen Politik ist sehr stark britisch geprägt. Und von daher ist es auch kein Wunder, dass es schon vor dem Wiener Kongress eine erste Vertragsabsprache mit Portugal in dieser Richtung gibt. Weil die Briten den späteren Johann VI. und die leitenden Politiker natürlich seit vielen Jahren gut kennen und, ich will nicht sagen, am Gängelband haben, aber das ist ja seit der iberischen Offensive 1808 ein sehr enges Thema. Es gibt also diesen Vertrag schon. Und diese Verträge sehen immer gleich aus. Da wird eine Übergangsfrist von fünf bis acht Jahren definiert, wo dann auf portugiesischen Schiffen zum Beispiel keine Sklaven mehr erlaubt sind nördlich des Äquators, es gibt dann auch noch eine relativ große Kette von Einschränkungen, dass mehr transportiert werden soll oder darf und es sind natürlich regelmäßig britische Geldzahlungen damit verbunden. Das ist auch wichtig festzuhalten. Also, dort wird nicht mit humanitären Prinzipien gearbeitet, sondern auch mit dem Scheckbuch dazu. Und insofern ist es wirklich ein atlantisches Phänomen, würde ich sagen. Und die Opposition bei dieser Situation, die ich angesprochen habe, da im Januar, kommt auch nicht von den Portugiesen. Die kommt vom spanischen Bevollmächtigten Labrador. Der dann überhaupt so ein bisschen zum enfant terrible des Kongresses wird, weil er ja der einzige ist, der dann nicht die Kongressakte unterschreibt für seinen König, weil sie mit der territorialen Regelung in Italien nicht einverstanden sind. Aber die Außenseiterrolle des Spaniers, die kommt dort schon heraus, und es gibt vorerst keine Möglichkeit, die zu überwinden. Der wird tatsächlich dann überstimmt und beginnt dann, glaube ich, von da an eine gewisse eigenständige Politik, die dazu führt, dass Spanien vorerst, weil es die Wiener Kongressakte nicht unterschreibt, kein Teil der Wiener Ordnung ist, aber dieses portugiesische Brasilien doch. Härter: Vielen Dank. Ihre starke These von der Entglobalisierung könnte man natürlich auch noch hinterfragen im Hinblick auf das Moment der Sicherheit, der Revolution und der Aufstände, denn darüber sind transatlantische Beziehungen und die Interventionsfrage gegeben. Aber wir haben nun eine noch lange Rednerliste und noch etwa 30 Minuten zum Diskutieren. Ich habe noch neun Fragesteller auf der Liste, möchte diese nun schließen und darum bitten, so wie bisher, relativ konzise
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Fragen zu stellen und konzise zu antworten. Der nächste auf der Liste ist Herr Kotulla. Kotulla: Herr Stauber, ist nicht vielleicht diese Unterscheidung zwischen Restauration und Restitution etwas sophistisch? Vielleicht auch nicht zielführend? Zumal Sie uns auch gar nicht erklärt haben, was man denn unter Restauration verstehen würde oder was Sie speziell darunter verstehen und was man unter Restitution verstehen würde. Also, ich störe mich ein klein wenig daran, weil ich glaube, egal wie man das Ganze bezeichnet, es uns an dieser Stelle nicht weiter führt. Ein anderer Punkt: Sie bemerkten etwas lapidar, dass sich der Wiener Kongress doch in erster Linie als die Lösung von Territorialfragen begriff. Da möchte ich doch massiv widersprechen. Der Wiener Kongress – und da halte ich es mit Ernst Rudolf Huber – ist ein Friedensvollzugskongress, und zwar der erste. Er blickt in die Zukunft und ist eigentlich nur unter dem Eindruck zu verstehen, dass Napoleon Europa über anderthalb Jahrzehnte hinweg mit Krieg überzogen hatte. Man ist kriegsmüde, möchte eigentlich eine dauerhafte Neuordnung. Sie streuen das ja selbst an verschiedenen Stellen ein, wenn Sie darauf hinweisen, dass das Gleichgewicht auf dem Kontinent angestrebt werde. Mir kommt die Sicherheitsbalance auf dem Kontinent, die erreicht werden sollte, und die dann eigentlich auch im Deutschen Bund als Mittelpunkt, ja auch als Hauptkonstrukt zum Ausdruck kommt, zu kurz. Man sieht das dann auch an so „exotischen“ Regelungen wie den Bundesfestungen, die einzig dazu dienten, ein Gleichgewicht gegenüber Frankreich zu schaffen. Ich denke, dass die anderen Aspekte – etwas provokativ ausgedrückt – eher nebensächlicher waren und der so genannte Deutsche Kongress den eigentlichen Kern bildete. Wenn Sie abschließend noch ein paar Worte zu den eigentlichen Wirkungen des Wiener Kongresses erübrigen könnten, da mir dieser Gesichtspunkt etwas zu kurz gekommen zu sein scheint. Vielen Dank. Stauber: Danke, Herr Kotulla für den Widerspruch. Ich widerspreche, sozusagen aus didaktischen Zwecken, kurz noch einmal – das mit Restauration und Restitution lassen wir im Moment einmal weg. Sie haben natürlich Recht, es ist ein gewisses Unbehagen an einem Begriff, von dem ich nicht weiß, was er für die politische Analyse der Pariser und Wiener Ordnungen tatsächlich bringt. „Restitution“ hat dann den Vorteil, einfach der Quellenbegriff zu sein, während, wo Restauration herkommt, wissen wir ja, sozusagen aus einem Handbuch. Und von daher wollte ich noch einmal sagen, scheint es mir für eine Epochenbezeichnung relativ schwierig. Mir scheint das als Definition eines handlungsleitenden Prinzips nach dem Motto, die sitzen jetzt da zu viert und wollen auf Teufel komm raus restaurieren, nicht darstellbar, ehrlich gesagt. Der Wiener Kongress wäre, wenn Metternich tatsächlich ein „Kutscher Europas“ gewesen wäre, geplatzt. Es gibt das schöne Diktum von Castlereagh Ende Oktober, da sagt er „I found the Prince of Metternich without a fixed plan“. Das ist genau die einzige Taktik, die funktioniert hat. Man gibt sich zwei Monate der Belustigungsmaschinerie hin und versucht, ob man den Zaren von dieser Polensache wieder wegbekommt. Und erst als das scheitert am 3. November, beginnt die mühsame Arbeit in
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den diplomatischen Kanälen, die auch nur funktionieren kann, weil sich diese Leute so gut kennen und sich auch vertrauen können. Das wäre so ein Stück Wirkungsgeschichte übrigens, um das aufzugreifen. Also, so eine Vertrautheit, die Akzeptanz, regelmäßige Informationen und Konsultationen. Wichtig ist, dass bis 1823 nie einseitig interveniert wurde, sondern dass das Thema immer per diplomatischem Rundlauf gemeinsam zumindest angegangen wurde. Das scheint mir schon eine Folge dieser neuen Kultur auf dem, Sie sagen ja mit Recht, Friedensvollzugskongress. Der Wiener Kongress ist ja ganz was Merkwürdiges, weil er kein Friedenskongress ist. Der Friede ist geschlossen. Und die Frage ist, was sollen wir jetzt noch machen nach dem Frieden? Und da gibt es ja die Briefe von Metternich in der Londoner Zeit, es gibt ja auch schon eine Art Londoner Kongress im Juni. Der bekommt dann die Niederlande geregelt und Metternich sagt, dann reden wir noch darüber, was wir in Deutschland machen müssen, und das dauert so drei, vier Wochen in Wien und dann können wir das unterschreiben und fertig. Das funktioniert eben nicht, dass die Machtpolitik so im Fokus steht, Herr Kotulla. Das war vielleicht schon auch ein bisschen provozierend gesagt, aber gerade bei dem Beispiel Niederlande sieht man es relativ gut, glaube ich. Auch diese Verquickung des politischen Zwecks, der ist auch ein militärisch-sicherheitspolitischer, die Barriere gegen Frankreich. Wer darf auf das linke Rheinufer? Also, da sind die Briten, Castlereagh und Wellington, ganz strikt: keine kleinen Mächte auf das linke Rheinufer. Wenn die Österreicher nicht mehr wollen, müssen die Preußen hin und allenfalls noch die Bayern, das geht noch. Also, die Niederlande stark machen, Luxemburg, diese Debatte der Bundesfestungen. Ich glaube schon, dass es sehr stark um diesem Fokus geht. Die beiden deutschen Verhandlungsserien, die Sie in Ihrer Darstellung groß in den Fokus stellen und so weiter und so fort, die sind jetzt bei mir in diesem Referat auch deswegen zu kurz gekommen, weil ich wusste, dass es nach mir noch einen Beitrag zum Deutschen Bund gibt, über den wir dann sprechen und auch diskutieren können. Härter: Danke. Franz-Josef Arlinghaus. Arlinghaus: Vielen Dank für dieses breite Tableau, das Sie uns präsentiert haben und das eine ganze Reihe von Denkanstößen bereithält. Ich hätte zwei Fragen zur Begrifflichkeit bzw. zu Konzepten, die vielleicht auf dem Kongress, gerade weil es keinen ,Fahrplan‘ gab, wie Sie gerade noch einmal betont haben, doch sozusagen durch die Verhandlungen vielleicht erst generiert wurden. Die erste Frage betrifft den Begriff der Ruhe. Da würde mich interessieren, gegen wen richtet sich das eigentlich? Der Gegenbegriff ist, dass Krieg ist, dass Revolution ist. Ist das ein Begriff, der sich an die anderen Staaten und Souveräne richtet oder an die eigene Bevölkerung? Vielleicht lässt sich das relativ leicht klären? Auch im Anschluss an das Referat gestern, würden mich die folgenden Begriffe interessieren (auch wenn sie nicht alle genannt wurden, so liegen sie doch ,in der Luft‘): die Begriffe Nation, Königreich, Herzogtum, Staat und Souverän. Bei Polen, so wie Sie es dargestellt haben, würde mich interessieren: Ist das jetzt eine Nation? Ist das eine Kulturnation? Oder ist das ein Herzogtum? Oder ein Königreich? Als was wird das eigentlich kon-
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zeptioniert jetzt in diesen Quellen und in den Verhandlungen? Bei Norwegen könnte man sagen: Das ist fast moderne Staatlichkeit mit einer Verfassung, und dann wird ein König quasi ,draufgeschraubt‘. Die Niederlande, ich weiß nicht, wie man das beurteilen will. Und vorhin der Wortbeitrag zur Schweiz hat ja gezeigt, dass da ja wohl offensichtlich ,richtige‘ Staaten erst gemacht werden sozusagen. Meine Frage wäre, ob sozusagen hinter den Rücken der Akteure, wenn ich das so formulieren darf, Konzepte auftauchen, mit denen die vielleicht gar nicht umgehen wollten? Vielleicht hat man wirklich auch auf einen ,Souverän‘ oder ,Monarchen‘ gesetzt, aber im Grunde genommen kommt durch die Hintertür so etwas wie ,Nation‘ und ,Staatlichkeit‘ hinein, ohne dass dies beabsichtigt gewesen wäre. Wenn Sie das aus den Quellen vielleicht erklären könnten, denn die Situation in dem von Ihnen betrachteten Zeitraum war ja offen, sodass sich neue Konzepte vielleicht im Diskurs entwickelt haben? Stauber: Vielen Dank. Das mit der „Ruhe“ ist tatsächlich relativ schnell geklärt. Da habe ich auch einen Zeitsprung eingebaut. Sie haben völlig Recht, das ist kein Konzept auf dem Wiener Kongress, das sieht man auch schon daran, weil es nicht französisch formuliert ist. Das ist aus einem Papier des alten Metternich, der Vorrede zu den autobiographischen Schriften, post 48 sind wir da, wo er sich mit dem Freiheitsbegriff auseinandersetzt und sinngemäß sagt: Die Freiheit ist der verkehrte Anfang, was wir erst einmal brauchen, ist Ordnung. Und um Ordnung zu haben und zu halten, brauchen wir Ruhe. Die Nation kommt tatsächlich am Wiener Kongress in den Texten relativ wenig vor. Sie kommt, wenn sie vorkommt, sozusagen ganz, ich sage einmal, im frühneuzeitlichen Sinn vor. Das sieht man an den auf die Polen bezogenen Texten, da gibt es ja immer noch die Debatte darüber, ob das nun am Beginn der Formulierung von nationalen Rechten, von Minderheitenschutz steht. Das ist schon sehr bemerkenswert, dass man nicht nur den Zaren für die neuen polnischen Untertanen, sondern auch die alten Teilungsmächte darauf verpflichtet. Die Formulierungen sind auch im Französischen sehr gewunden. Kulturelle Artikulation, der katholische Glaube, das ist sozusagen schon Standard geworden. Das ist schon ein bemerkenswerter Schritt. Und ich wollte nur kurz andeuten, es gibt auch in der realpolitischen Ausfüllung, bei allen drei Mächten, dann tatsächlich Maßnahmen in diese Richtung. Wenn man das nur als Restauration kennzeichnen würde, dann wäre das, glaube ich, verfehlt. Aber die Nation ist kein großer Spieler auf dem Wiener Kongress. Der Souverän und der souveräne Monarch vor allem, egal ob er jetzt souveräner Fürst ist oder König dann der Niederlande, dann sehr wohl. Da merkt man ganz deutlich, dass er sozusagen als Akteur anerkannt wird. Und es ist ja die Triumphstunde des monarchischen Prinzips. Die Niederländer gibt es nicht mehr als Republik, die Genuesen werden Sardinien-Piemont eingegliedert und bekommen einen König. Also, es ist kein großer republikanischer Moment, der Wiener Kongress. Härter: Vielen Dank. Nun Herr Ruppert. Ruppert: Herr Stauber, ich wollte das Problem Restitution, Restauration, das uns ja in vielen Fragen hier bewegt hat, in eine andere Form fassen, in eine These fassen.
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Die These ist auch gleich meine erste Frage. War nicht der Wiener Kongress in Zusammensetzung und in den Objekten, die er behandelt hat, aber vor allen Dingen, wenn man auf die Maßstäbe, nach denen er entschieden hat, eigentlich einer der letzten Fürstenkongresse des Ancien Régime? Anders gewendet: Ich habe immer den Eindruck, in Wien hat man verhandelt und entschieden, so als ob es die politischen Kräfte, die in der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung, in der französischen Revolution und auch durch Napoleon sich artikuliert hatten, und auch noch in den deutschen Befreiungskriegen, als ob es diese politischen Kräfte eigentlich nie gegeben hätte. Ich finde schon – und da schließe ich mich auch Herrn Kotulla und einigen anderen an – man hätte das deutsche Problem schon stärker betonen müssen und zwar mit Blick auf das Thema unserer Tagung. Denn der Wiener Kongress ist doch eigentlich der klassische Fall der Interdependenz zwischen internationaler Ordnung und Verfassungsgebung, da ist er nun wirklich der klassische Fall in zweierlei Hinsicht. Erstens, die nationale Verfassung Deutschlands und die innere Ordnung der deutschen Bundesstaaten werden völkerrechtlich festgelegt. Wo gibt es das noch einmal in der Geschichte? Also, ich kenne da außer dem Westfälischen Frieden keine Beispiele. Aber nicht nur hinsichtlich des Rechtlichen, sondern auch, wenn man so will, des Historisch-Politischen. Denn dass der Deutsche Bund, wie er dann entstanden ist und die innere Ordnung mit dieser landständischen Formulierung in Artikel 13, das ist ja reiner Zufall. Zu Beginn des Kongresses, also insofern hängen wir auch stark von der internationalen Ordnung ab, zu Beginn des Kongresses war das ja überhaupt nicht so vorgesehen. Diese Formulierung, die nationale Verfassung Deutschlands, wie die Verfassung der Bundesstaaten, sind ein Zufallsprodukt der Entwicklung und zwar deswegen, weil sich die Großmächte über Polen und Sachsen zerstreiten und weil Napoleon zurückkommt. Das war so nie vorgesehen. Es waren sehr viel stärkere, staatlichere Strukturen, eine völlig andere Verfassung für Deutschland vorgesehen. Stauber: Ich bitte um Nachsicht dafür, dass ich anscheinend ein doch wichtiges Thema weitgehend ausgespart habe. Also, ich packe dem Herrn Schönberger jetzt alles in den Rucksack. Ich war mir relativ sicher, dass eben mein Fokus nicht auf dem Deutschen Bund liegen sollte, wenn ein eigenes Referat zum Deutschen Bund vorgesehen ist. Ich habe das Wenige, das ich dazu habe, im mündlichen Vortrag auch weitgehend übersprungen. Herr Ruppert, zur deutschen Ordnung der Dinge möchte ich anmerken: Bereits die Zwölf Artikel vom Oktober 1814, das ist die gemeinsame Verhandlungsgrundlage, mit der die Österreicher und die Preußen die Serie der sogenannten „Ersten deutschen Konferenzen“ eröffnen, bereits die zählt bestimmte zu garantierende Mindesteinrichtungen auf. Und da sind die ständischen Vertretungen und die Rechte dieser ständischen Vertretungen schon dabei und bleiben es auch. Das kommt nicht erst irgendwie später. Das wird dann abgebrochen im November 1814, aber die Papiere bleiben auf dem Tisch, kommen im Mai 1815 dann unter hohem Zeitdruck und unter den Prämissen der militärischen Notwendigkeiten wieder auf den Tisch, aber Hardenberg und Metternich haben darüber schon den ganzen Sommer 1814 über korrespondiert. Keiner der beiden hat sich an diesen Formu-
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lierungen gestört, dass es ständische Vertretungen geben soll, dass diese mit einem bestimmten Ausmaß an Rechten ausgestattet werden sollen, dass es bestimmte Rechtsgarantien für alle Untertanen dieser Fürsten geben sollte. Die entscheidend wichtige Frage, die Sondierung „Wie souverän ist der Souverän?“, die in den deutschen Verhandlungen geführt wird, ist für mich eher die Frage der Mediatisierten. Da geht es ja ordentlich zur Sache, das ist ein großes Problem. Welche Rechtsstellung sollen die Mediatisierten haben? Sollten sie auf Bundesebene irgendwie mitsprechen dürfen? Oder sind sie ihrem Souverän sozusagen absolut unterstellt und bekommen dann bestimmte Rechte zugestanden als erster Stand, als „Standesherren“, wie es dann tatsächlich geregelt wurde? Da sieht man eine sehr dynamischere Entwicklung und kontroversere Diskussionen, beim Thema der Mediatisierten, der Standesherren, als das, glaube ich, beim Verfassungsprinzip des Artikel 13 der Fall gewesen ist. Zum Thema Fürstenkongress: Eher nein, es ist ein Diplomatenkongress, es ist ein Kongress der bevollmächtigten Fachleute. Man könnte sagen, dass die Anwesenheit eines Monarchen wie Alexander I. eher störend gewirkt hat. Also, das hat Metternich sicher so gesehen, Castlereagh auch. Wenn Alexander I. nicht in Person da gewesen wäre mit Friedrich Wilhelm III. im Schlepptau, wären vielleicht ein paar Dinge rascher lösbar gewesen. Der österreichische Kaiser stört sozusagen nicht besonders, der dänische König hat keine besonderen Interessen, ist auch gar nicht in der Lage, sie zu artikulieren. Es ist kein Fürstenkongress, es ist ein Diplomatenkongress und natürlich gibt es eine Öffentlichkeit, die dieses europäische Forum der Diplomaten und auch Fürsten, das sich auch so glanzvoll darstellt in Wien, adressiert. Sie kennen alle den Fall der Buchdrucker, die jüdischen Gemeinden sind auch präsent. Es ist ganz interessant, im Wiener Archiv in den Kongressakten sich nicht die Protokollserien anzusehen, sondern die, wie soll man sagen, vermischten Eingänge von außen. All die Rechtfertigungsschriften, die Adressen, die an dieses europäische Forum herangebracht wurden, das geht über die Frage des Buchhandels und des Schutzes vor Nachdrucken bis zum Sklavenhandel. Also, da kommt dann alles Mögliche vor dieses Forum, dessen sich die Öffentlichkeit auch bedienen will. Die Öffentlichkeit schafft sich jedenfalls in Wien über die Flugschriften Gehör, aber sie schafft es natürlich nicht über die zweite Ante-Chambre in der Staatskanzlei hinaus. Die Interessenten legen ihre Petitionen ab und werden dann wieder hinausgeleitet. Härter: Danke. Wir haben noch 15 Minuten und sechs Wortmeldungen. Ich darf daher noch einmal in Erinnerung rufen, möglichst knappe Fragen zu stellen und auch entsprechend knapp zu antworten. Die Nächste ist Frau Siegrid Westphal. Westphal: Ich würde gerne noch einmal den Restitutionsbegriff aufgreifen, weil er ja auch ein Schlüsselbegriff in Friedensverhandlungen der Frühen Neuzeit ist. Gerade beim Westfälischen Frieden ist er neben Amnestie und Satisfaktion der dritte große Begriff. Dort besteht die enge Koppelung zwischen Restitution und Amnestie. Gibt es diese Koppelung überhaupt noch? Und dann im Vergleich zum Westfälischen Frieden die Frage nach dem Zeitpunkt der Restitution. Gestritten wurde darüber, welchen Zustand man eigentlich restituieren soll. Darüber gab es völlig unterschiedliche
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Vorstellungen, über die man dann lange gerungen hat. Mich würde interessieren: Welche Vorstellungen des Zeitpunktes, auf dem man hin restituieren will, gab es eigentlich auf dem Wiener Kongress? Gab es hier auch Konflikte? Der zweite große Komplex, der mich interessiert, ist – wieder im Vergleich oder mit Blick auf die Frühe Neuzeit – die Frage nach der rechtlichen Regelung. Sie haben ja mehrfach betont, dass es eben nicht darum ging, ein internationales System zu schaffen oder einen obersten Gerichtshof. Wie sieht es denn aus mit der Idee der Mediation, spielt die denn eine Rolle? Gab es im Grunde auch schon Ideen und Vorstellungen darüber, ob vor einer Intervention Mediation stattfinden sollte und wie sollte diese dann aussehen? Ich würde sie dann vielleicht als eine Art Vorstufe sehen wollen. Stauber: Ja, das kann man tatsächlich ein bisschen kürzer halten. Was zum Beispiel in der Schweiz bei dieser Sondertagsatzung läuft Anfang 1814, das könnte man sicher als eine Vermittlungsbemühung, also als eine Mediation ansehen, vorausgesetzt, der Mediator ist von allen Seiten anerkannt. Also, was bei einer großen Macht wie Großbritannien sozusagen in der Situation von 1814 nicht groß diskutiert werden muss, sondern das wird als relativ selbständig hingenommen. Diese Dinge, die ich unter Intervention abgehandelt habe, die haben tatsächlich in ihrer Einleitung immer auch so eine Vermittlungsphase, das könnte man schon sagen, also eine Vorstufe. Bei der Restitution und der Koppelung mit der Amnestie noch einmal der Hinweis, wir haben ja den Frieden schon vorher, der Kongress diskutiert diese Sachen eigentlich nicht mehr groß. Alles, was man über Amnestie und es herrsche ewige Freundschaft und so und so viele Millionen Francs sagen kann: Der Erste Pariser Frieden hat Frankreich ja keine Kriegsentschädigung aufrechterlegt, bemerkenswerterweise, der zweite dann schon. Alles, was man dort zu regeln hätte, wäre im Vertragswerk des Pariser Friedens aufzusuchen, der ja den Kongress dann auch einberuft, um die dort in 36 Artikeln niedergelegte Ordnung noch weiter auszuarbeiten. Da heißt es dann zum Beispiel, Holland soll größer werden und zwar so groß, dass es sich selber verteidigen kann. Das sind die Formulierungen des Friedensvertrages. Die deutschen Staaten sollen durch ein föderatives Band (un lien fédératif) verbunden werden. Und diese Dinge, diese Vormerkpunkte, ungefähr fünf oder sechs, sind auszudiskutieren. Und der Optimismus von Metternich, dass man das in fünf oder sechs Wochen schafft, gründet sich tatsächlich darauf, dass diese Liste im Vergleich zur Länge des Friedensvertrages relativ kurz ist. Härter: Herr Schmidt, bitte. Schmidt: Ich komme auch noch einmal auf dieses leidige Problem „Restauration“ zu sprechen. Und ich gehe davon aus, dass Sie meinen, dass Restitution, sagen wir einmal ein etwas positiv klingender Begriff für die Verhältnisse ist, die dort geregelt worden sind. Wenn man einen anderen „Sehepunkt“ einnimmt, könnte man natürlich auch Herrn Battenberg zustimmen und sagen, eine grundsätzliche Verschlechterung. Wenn Sie die etwas längere Entwicklung anschauen, dann gibt es beispielsweise im englischen Unterhaus diese Anfrage dieses Earl Bulwer, der sagt, die englische Re-
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gierung müsse nun endlich in den Deutschen Bund intervenieren. Damit bringt er seinen Außenminister, der das auch vorher gesagt hatte, in große Schwierigkeiten. Der stellt dann offiziell fest, dass der Deutsche Bund ein souveräner Verein ist oder irgend so etwas und dort kann man nicht so ohne weiteres eingreifen. Und dem englischen König als Herrscher von Hannover, dem hat das englische Parlament nun wiederum nichts vorzuschreiben. Das heißt, wir haben die Souveränität und in der Sache sind inzwischen auch viele der „souveränen“ deutschen Fürsten der Ansicht, dass sie im Alten Reich mit bestimmten Institutionen, die „von oben“ eingegriffen haben, besser gefahren sind. Und dann schaue ich auf Frau Westphal und sage, das Reichskammergericht schien auch für diese Fürsten nun eine gute Regelung, jedenfalls eine bessere, als die gegenwärtige im Deutschen Bund. Deswegen meine Frage: Ist das Wort Restitution nicht vielleicht doch durch den Begriff von Battenberg zu ersetzen? Danke. Stauber: Vielen Dank. Irgendwie hat das funktioniert mit der „Restauration“, wenn ich mir ansehe, was Sie mir jetzt alles zu bedenken mitgeben. Ich habe mich im Moment einmal – alles Weitere dann beim Kaffee, damit wir nicht ins Gedankenkreisen kommen – bezogen auf den Begriff, der in den Quellen vorkommt. Also den, den ich gelesen habe in den diplomatischen Quellen, dass es restitution in einem doppelten technischen Sinn gibt, wie ich gesagt habe, eine abgesetzte Fürstendynastie wieder zu holen, vor allen auf die Bourbonen bezogen. Talleyrand ist das ein Grundanliegen, restitution, in Frankreich haben wir es schon, in Spanien haben wir es auch schon, in Neapel brauchen wir es dann auch, der Murat muss weg. Das ist der konkrete Sinn, daneben gibt es auch Bezüge auf das gesamte europäische Staatensystem (restitution pour toute l’Europe). Und ich sehe Restauration dort einfach nicht aufscheinen und meine nur, warne quasi davor, eine große gemeinsame Rollback-Strategie am Werk zu sehen. Die sehe ich nicht. Härter: Herr Olechowski, bitte. Olechowski: Ich hätte noch eine Frage zum europäischen Mächtekonzert, konkret zur Quadrupelallianz, die ja dann in den Jahren nach 1815 immer wieder zu Kongressen zusammentrat, Aachen, Troppau usw. Ist dies eine Idee, die schon am Wiener Kongress geboren wird? Kann man es fixieren, dass man sich immer wieder treffen wird? Oder sind das spontane Treffen, die anlassbezogen sind? Und wie verhalten sich diese Treffen zur Heiligen Allianz? Hat die Heilige Allianz eigentlich eine Propagandawirkung? Oder ist mehr etwas Realpolitisches dahinter? Stauber: Der Sitz im Leben der Quadrupelallianz ist natürlich das militärische Vorgehen des Frühjahrs 1814 gegen Napoleon. Übrigens mit interessanten Debatten darüber verbunden, ob es erlaubt ist, den französischen Kaiser abzusetzen oder nicht. Metternich sagt, das können wir nicht unbedingt machen. Die Quadrupelallianz in Chaumont ist eine Militärallianz, hinter der noch relativ wenig politische Einheit erkennbar ist. Und sie wird dann zweimal erneuert, im März 1815, in der Krisensitua-
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tion der Hundert Tage, ganz wichtig, befördert dann auch den Ausgang des Kongresses und dass man sozusagen eine Dynamik bekommt, die Entscheidungen möglich macht. Am 20. November 1815, da werden dann diese Konsultationsmechanismen festgeschrieben, an die man sich hält. Ich habe das angedeutet: Wer interveniert, interveniert nur nach Mandatserteilung oder in Abstimmung, also zumindest Information. Und der Kern dieses europäischen Systems, glaube ich, bleibt gegenüber dem deklaratorischen Moment der Heiligen Allianz tatsächlich die Quadrupelallianz. Die dann natürlich, um Frankreich als maßgeblichen Mitplayer erweitert wird, allerdings erst nach 1818. Härter: Als nächstes habe ich Herrn Kollegen Hamza. Hamza: Meine Frage bezieht sich auf die Rolle in Wien, bei der Wiener Ordnung, der Neuregelung der Situation im Norden Europas, insbesondere in Norwegen bzw. in Dänemark und in Schweden, gewissermaßen auch in Bezug auf Finnland. Bekanntermaßen ist die Verfassung Norwegens, die – wenn ich mich nicht täusche – im November 1814 verabschiedet worden ist, mit geringfügigen Modifikationen und Änderungen die älteste noch immer in Kraft stehende schriftliche Verfassung Europas. Spielte im Wiener Kongress die Neuregelung oder die Beibehaltung der alten Regelung eine gewisse Rolle? Was für eine Rolle spielten die Gesandten, wenn sie behaupten, dass die hier in Wien anwesend waren, die Repräsentanten von Schweden bzw. von Dänemark? Danke. Stauber: Der schwedische Vertreter Löwenhielm gehört zum Kreis der Acht, zum Kreis der acht Signatarstaaten des Pariser Friedens. Und das ist das Komitee der Acht, das formell jede Schlussentscheidung trifft, nachdem die Fünf es sachpolitisch festgeklopft haben. Schweden ist vertreten, Dänemark nicht. Dänemark ist eher auf der Verliererseite, dafür ist der dänische König präsent als Person in Wien und der schwedische König nicht. Die Ruhe des Nordens, wie man so schön sagt, ist bereits wieder hergestellt durch den Kieler Frieden von Jahresanfang 1814. Und der Norden ist eigentlich nur ein kleineres Randthema auf dem Wiener Kongress zwischen Preußen und Dänemark. Es geht um Vorpommern, um diesen Ringtausch, dass der Däne Lauenburg bekommt und dafür Vorpommern aufgibt und die Preußen Vorpommern übernehmen können, das ist die letzte Abrundung. Aber das ist nur eine Kleinigkeit. Die wichtige Frage, das war mir eben auch ein Anliegen, das zu erwähnen, weil es für die norwegischen Kollegen und Kolleginnen – das habe ich gelernt jetzt in der Reihe von Kontakten – ein sehr wichtiges Jubiläum ist, 1814 – 2014. Darum habe ich den Fall hier auch ein bisschen ausgebreitet. Diese norwegischen Dinge selber werden am Wiener Kongress nicht besprochen. Härter: Nun bitte Herr Hillgruber. Hillgruber: Vielen Dank. Ich wollte auch noch einmal den Blick auf die völkerrechtliche Seite des Wiener Kongresses und der auf ihm errichteten internationalen
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Ordnung richten. Sie haben das eben auch in der Beantwortung der Frage von Herrn Olechowski noch einmal deutlich gemacht, aber ich glaube, das sollte man vielleicht noch stärker herausheben. Was ist eigentlich das Neue an dieser internationalen Ordnung? Es ist, glaube ich, nicht die Tatsache, dass es zu Interdependenzen zwischen Völkerrecht und Verfassungsordnung kommt. Denken Sie an das Referat gestern zu 1648, da haben wir jedenfalls auch bereits Verbindungslinien und Schnittpunkte. Was das wirklich Neue und Weiterführende ist, ist meines Erachtens der Umstand, dass diese europäische Staatengemeinschaft anfängt sich zu organisieren, rudimentär zu organisieren und institutionell zu verfestigen. Und da wird in Wien der Anfang gemacht, indem sich eine Gruppe von Mächten herausbildet, die sich selbst – auch unangefochten von den übrigen Staaten – die Zuständigkeit zuspricht, die entscheidenden großen territorialen und sonstigen Statusfragen zu klären. Und das ist eben keine Eintagsfliege, sondern setzt sich dann in Aachen usw. fort. Es bildet sich eben erst die Vier-Mächte-Konstellation heraus, dann wird daraus die Pentarchie, und ich betone das deshalb so stark, weil diese Art von institutioneller Verfestigung, Herausbildung von Entscheidungszuständigkeiten dann zu einem Kontinuum wird. Dieses Europäische Konzert der Mächte kooptiert dann selbst neue Mächte, die zu diesem erlesenen Kreis der Zuständigen dazugehören. Erst ist es Frankreich, 1856 ist es dann das Osmanische Reich, von dem es da heißt, es werde fortan „der Vorteile des europäischen öffentlichen Rechts teilhaftig“. Das bedeutet nicht, dass das Osmanische Reich zu diesem Zeitpunkt erst Völkerrechtssubjekt geworden wäre, das wäre völlig absurd, sondern es wird kooptiert in diesen Kreis der zuständigen Mächte. Und das geht ja dann auch weiter. Das Europäische Konzert endet zwar mit dem Ersten Weltkrieg, aber das wird dann ersetzt durch den Völkerbundrat, später durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Damit wird eine Struktur eingezogen in die Völkerrechtsgemeinschaft, die dann bei allen Veränderungen, die es gegeben hat, Bestand hat. Während inhaltlich der Konsens in Sachen droit public ja außerordentlich dünn ist. Das sind alles Formelkompromisse, wage Begriffe. Und wo es dann etwas präziser wird, Legitimitätsprinzip, da sind es ja dann nur die Mächte der Heiligen Allianz, die sich darauf verständigen können. In der Griechenlandfrage ist der brüchige Konsens dann auch schon wieder weg. Das heißt, inhaltlich kann man sich zukunftsgerichtet auf die neue Ordnung gar nicht wirklich verständigen. Worauf man sich verständigt – und das hatte dann Zukunft – ist sozusagen Verfahren und Zuständigkeit. Stauber: Ich bin völlig d’accord, will nur darauf hinweisen: Erstens noch einmal, die Konsultationsmechanismen werden nicht in Wien festgeschrieben, sondern im Zweiten Pariser Frieden, also in einem internationalen Friedensvertrag. Und zweitens, diese Vertrautheit miteinander, im Umgang miteinander, diesen Sitz im Leben sozusagen, diesen Kontakt der europäischen Diplomaten untereinander in dieser Generation Metternich, das darf man nicht unterschätzen. Die sind alle im Geschäft seit Leipzig, seit den Verhandlungen des Jahres 1813. Anfang des Jahres 1814 kommt dann in Basel Castlereagh dazu, die britische Präsenz ist ganz etwas Neues, so dass die leitenden Staatsmänner der vier alliierten Mächte dort sind,
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dann kommt Talleyrand dazu, quasi der Übergabemann, dann haben wir fünf Mächte. Diese persönliche Vertrautheit, die da über zwei Jahre wächst und auch noch weiterwächst, die spielt sicher eine ganz große Rolle, um diese entstehende Institutionenordnung auch persönlich zu unterfüttern. Sollte man vielleicht nicht ganz übersehen. Härter: Wir kommen zur letzten Intervention von Herrn Wißmann. Wißmann: Vielen Dank. Ich komme ganz zum Schluss noch einmal auf den Anfang, auf die Hauptthese zurück. Der Wiener Kongress folgt keiner restaurativen Gesamtordnung, keinem Gesamtplan. Die Frage, die ich besonders wichtig finde, ist, warum tut er das nicht? Und vielleicht kann man hier doch noch etwas abschichten: Die Modernität der französischen Neuordnung des Europäischen Kontinents soll erhalten bleiben zum Nutzen der alten Fürstenhäuser, der regierenden Häuser. Schon da hat man, sozusagen, eine Ambivalenz. Und eine Frage, die sich für mich damit verbindet, ist: Sie haben, nach meinem Eindruck, sehr stark die Konsistenz des Verhandlungsgangs betont. Müsste man nicht insoweit die Phasen stärker unterscheiden? Pointiert formuliert: Es fehlt an einem restaurativen Gesamtschluss, weil Napoleon zurückkommt. Und, sozusagen, der Schreck dann tief sitzt. Also, in Formeln gebracht, Ihre Dekonstruktion hat mich ganz überzeugt. Die Frage ist, folgt daraus eine Rekonstruktion, wie man den Kongress tatsächlich neu einordnen kann? Der zweite Punkt, ganz kurz, die Legitimation der internationalen Ordnung, die dort errichtet wird: Sie haben die Präambeln angesprochen, das würde mich einfach noch einmal interessieren: Auf was beruft sich diese neue internationale Ordnung? Auf die monarchischen Souveränitätsrechte, auf die Völker Europas? Oder ist das schlicht eine Ungleichzeitigkeit? In England ist es eben schon das Unterhaus, das dahinter steckt, Sie hatten das erwähnt, andernorts ist es immer noch monarchische Souveränität. Danke. Stauber: Also, was ich versuchte zu betonen, ist die Kontingenz des Verhandlungsganges gewesen. Also, wirklich die Rolle von Zufälligkeiten und von günstigen und nicht so günstigen und auch verpassten Gelegenheiten, das muss man sagen. Bei allen Fortschritten, die man mit dem Ausschuss-System gemacht hat, das ist wirklich kein geringer Fortschritt, bis zu fünf, sechs parallel arbeitende Ausschüsse zu haben. Es ist im Kreis der Fünf und im Kreis der Acht, durch die Präsenz auch des Zaren, immer die Letztentscheidungskompetenz und ein gewisser Vorbehalt gegeben. Ich würde also eher Kontingenz bei den Verhandlungen betonen. Ihrem Abschichtungsvorschlag könnte ich sehr viel abgewinnen, muss ich sagen. Der König von Bayern wäre auch nicht gern restauriert worden, als Kurfürst von Pfalzbayern. Das hat er auch sehr deutlich gesagt. Das ist völlig undenkbar. Die Staatenzerstörung Napoleons hat ja auch Profiteure gehabt und die wollten nicht hinter diesen Stand zurückfallen, sondern haben eine sehr effektive und gute Politik gemacht. Und in der Phase der Schlussverhandlungen hat Rechberg für seinen bayerischen König noch etliches an Souveränitätsrechten zu sichern. Dort würde ich diesem Abschichtungsmodell dann, wenn man das einmal gut organisiert hat, horizontal, glaube ich, etliches ab-
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gewinnen können. Die Rechtfertigung, und damit jetzt ein Dämpfer zum Schluss, die programmatischen Rechtfertigungen, nach denen man immer sucht, diese großen Erklärungen usw., die stellen sich recht zögerlich ein in diesem deklaratorischen Texten. Ich finde sehr oft diese nicht unsympathische, aber auch verlegene Formel von „cet ordre des choses“. Also, so wie wir es jetzt haben, dass der Napoleon weg ist und dass wir gemeinsam reden und sitzen und diese Dinge besprechen, so wollen wir es haben. Was sich auf keinen Fall wiederholen darf, ist eine neue Attacke auf den Status Quo. Das heißt, jetzt noch eine finale Provokation zum Kaffee, also dieser Wiener Kongress sitzt erst einmal da und ist mit dem Status Quo ganz zufrieden und möchte eine Ordnung nicht für die Zukunft, sondern einfach, dass es einmal so eine Zeit lang bleiben kann, wie es ist. Härter: Lieber Herr Stauber, ich darf Ihnen noch einmal ganz herzlich danken für das ausgezeichnete Referat und die Diskussion und auch den Kolleginnen und Kollegen für die zahlreichen und gehaltvollen Interventionen. Und jetzt begibt sich der Kongress nicht zum Tanzen, sondern zum Kaffee.
Freiheit und Gesetz Über Völkerrecht und Verfassung im Britischen Empire Von Benedikt Stuchtey, Marburg Der Historiker, Statistiker, Natur- und Völkerrechtler Gottfried Achenwall notierte in seiner „Geschichte der heutigen vornehmsten Europäischen Staaten im Grundrisse“ (1773), seit den 1760er Jahren habe Großbritannien sich auf die Erweiterung seines Handels und die Festigung seines Besitzes in Amerika konzentrieren können: „Die Wilden im Nördlichen Amerika, an den Gränzen Pensilvaniens, hielten sich, durch die Ausbreitung der Englischen Colonisten, zu sehr eingeschränkt, und erregten darüber einige Unruhen, die man mit Klugheit hemmete. London ward durch neue Anstalten verschönert. Die Insel Man, die dem Schleichhandel zur Zuflucht gedienet hatte, ward, nachdem der Herzog von Athol wegen seines Eigenthumsrechts daran befriedigt worden, mit der Krone vereiniget. Und die White-Boys in Irland wurden zu ihren Pflichten zurückgebracht.“1
Achenwall steckte damit wichtige geographische sowie außerdem wichtige thematische Koordinaten des britischen Empires ab, ohne freilich seine eurozentrische und anglophile Neigung zu verbergen. Er stellte die architektonische Repräsentativität Londons neben die Pazifizierung vorhandener Kolonialgebiete und die Erschließung neuer. Was sich auf der anderen Seite der Irischen See und des Atlantiks abspielte war, mit anderen Worten, für das Selbstverständnis Großbritanniens genauso maßgeblich wie Ereignisse im Herzen der Hauptstadt oder auf der kleinen Insel Man. Lokale, nationale und internationale Geschichte waren demnach eng miteinander verbunden, möglicherweise gar nicht unabhängig voneinander zu denken. Probleme im „Zentrum“ spiegelten sich mit Problemen in der kolonialen „Peripherie“, und umgekehrt konnten in dieser idealisierten Sichtweise Lösungen für europäische wie nichteuropäische Situationen gefunden werden. So äußerte Achenwall große Erwartungen an die englische Verfassung. Von diesen hielt Walter Bagehot wiederum bekanntlich nicht viel, als er nahezu einhundert Jahre später kategorisch eine Annäherung zwischen Nation und Expansion ablehnte, weil das Empire ein „miscellaneous aggregate“, mithin viel zu vielgestaltig sei: „There has been a whole series of attempts to transplant to the colonies a graduated English society. But they have always failed at the first step.“2 Bagehots 1
Gottfried Achenwall, Geschichte der heutigen vornehmsten Europäischen Staaten im Grundrisse, Göttingen 1773, S. 310. 2 Walter Bagehot, The English Constitution (1867), hrsg. von Paul Smith, Cambridge 2001; Zitate S. 81 und 29.
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klassischer Text „The English Constitution“ (1867) zählt zu den zentralsten Kommentaren der viktorianischen Verfassungsdebatte, so wie seine Meinung repräsentativ war für das komplizierte Spannungsfeld zwischen internationaler und nationaler, zwischen völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Verortung Großbritanniens und seines Empires im langen 19. Jahrhundert.3 Dieses Spannungsfeld mit Blick auf die hochviktorianische Epoche leitet die Fragestellung der folgenden Ausführungen, die sich auch anhand der Positionen von Achenwall und Bagehot so auf den Punkt bringen lässt: ausgehend von der grundsätzlichen Feststellung, dass es aus heutiger Perspektive so wie für die meisten Zeitgenossen gar kein einheitliches Empire geben konnte, es „unvollendet“ war,4 sondern – ob durch die Siedlerkolonien oder Afrika, Indien oder die Karibik – ein Bündel verschiedenster Modelle existierte, ist es attraktiv, der Frage wieder mehr Aufmerksamkeit zu schenken, wie das viktorianische England Einflüsse „von außen“ auf seine Verfassung integrierte. Dass die Metropole die Grundsätze ihres „Mutterparlaments“ exportierte, ist dagegen eine Legende. Dafür war die Bedeutung des Empires viel zu groß.5 Enthusiastisch kommentierte Benjamin Disraeli bereits 1866, England sei dem europäischen Kontinent entwachsen und „no longer a mere European power; she is the metropolis of a great maritime Empire […] she is really more an Asiatic power than a European“.6 Allzu stark hat insbesondere die ideen- und kulturgeschichtliche Forschung der vergangenen Jahre und Jahrzehnte die Räume der Siedlerkolonien vernachlässigt, während sie für die Politik, Wirtschafts- und vor allem Verfassungsgeschichte außerordentlich aufschlussreich sind. Für die Zuspitzung der Frage des Verhältnisses von Völkerrecht und Verfassung sind sie nachgerade zentral, und dies sowohl für die Zeit des „colonial reform movement“ der 1830er und 1840er Jahre als auch die hochviktorianische Epoche, als sich Autoren im Umfeld der Konzepte des „Greater Britain“ und der „imperial federation“ auf das Problem konzentrierten, in welchem konstitutionellen Verhältnis das „Mutterland“ und die „weißen“ Kolonien zueinander stünden und ob sie im Ergebnis nicht sogar ein „globales“ Empire begründeten.7 Das reduzierte nicht die Bedeutung Indiens, sondern plädierte für die Wahrnehmung eines möglichst breiten Spektrums intellektueller Optionen. Bereits James Anthony Froude schrieb dazu, die Siedlerkolonien müssten wieder verstärkt ins Blickfeld rü3
Hierzu Stefan Collini/Donald Winch/John Burrow, That noble science of politics. A study in nineteenth-century intellectual history, Cambridge 1987, S. 161 – 181. 4 John Darwin, Unfinished Empire. The Global Expansion of Britain, London 2012. 5 James Vernon, Notes towards an introduction, in: ders. (Hrsg.), Re-reading the constitution. New narratives in the political history of England’s long nineteenth century, Cambridge 1996, S. 1 – 21, hier S. 11. 6 Zitiert nach C. R. M. F. Cruttwell, Neutrality, 1866 – 1874, in: A. W. Ward/G. P. Gooch (Hrsg.), The Cambridge History of British Foreign Policy 1783 –1919, Bd. 3 (1866 – 1919), Cambridge 1923, S. 3 – 71, hier S. 9. 7 Siehe Charles Dilke, Greater Britain. A Record of Travel in the English-Speaking Countries During 1866 and 1867, 2 Bde., London 1868; ders., Problems of Greater Britain, 2 Bde., London 1890.
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cken, „because the entire future of the English Empire depends on our avaiing ourselves of the opportunities which those dependencies offer to us“.8 Denn im Unterschied zu anderen Regionen des Empires stellten sie idealtypisch moralische Regenerations- und politische Phantasieräume zur Verfügung. Festgehalten werden muss in diesem Zusammenhang, dass Froude nicht vorrangig am Status der Kolonien interessiert war, sondern an den Vorteilen, die Großbritannien aus ihrem Besitz ziehen konnte. Was in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Edward Gibbon Wakefield, vornehmlich in seinen Schriften „Letter from Sydney“ (1829) und „A View of the Art of Colonization“ (1849) sich angelegen machte,9 griffen zwei Generationen später nochmals unter anderem Dilke, Goldwin Smith, John Robert Seeley, Albert Venn Dicey, W.E. Forster, James Bryce und Froude auf: das Konzept einer Allianz zwischen „Mutterland“ und Siedlungskolonien, das darauf beruhte, dass ihre geographische Distanz voneinander durch ihre „charakterliche“ Nähe zueinander überbrückt werden konnte. Wakefield gehörte zu den Mitbegründern der „Colonization Society“ (1830) und übte maßgeblichen Einfluss auf John Stuart Mill aus, wie man seiner Abhandlung über den Kolonialismus in „Principles of Political Economy“ (1848) ablesen kann. Auch Karl Marx bekannte sich in „Das Kapital“ (1867) ausdrücklich zu ihm sowie zum Konzept des „responsible government“.10 Der imperiale „Charakter“, seine Formierung „zuhause“ ebenso wie in den Kolonien, erlaubte und erforderte eine ständige Wechselbeziehung auch in Form der Migration zwischen Europa und der nichteuropäischen Welt. „Charakter“ war sowohl in seiner individuellen wie kollektiven Qualität zu verstehen. Er war in der Auffassung der meisten viktorianischen Intellektuellen nicht das Ergebnis einer genetischen Vorbestimmung, sondern Produkt der gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und ökonomischen Verhältnisse und Beziehungen, in denen der Mensch sich befand. Mithin formten die menschliche Natur vorwiegend äußerliche Einflüsse. Boten die Siedlerkolonien sich als Versuchsräume an, so unterschieden sie sich auch in dieser Hinsicht grundsätzlich, beispielsweise von Indien. Während auf dem Subkontinent die Zivilisierungsmission an oberster Stelle auf der imperialen Agenda stand, spielte sie etwa in Australien eine gänzlich untergeordnete Rolle. Wer „freies“ Land besiedelte, musste an der Formierung seines eigenen „Charakters“ arbeiten, aber nicht an der Transformierung der indigenen Bevölkerung. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür,
8 J.A. Froude, England’s war, Fraser’s Magazine 3, 1871, S. 135 – 150 (Zitat S. 144); vgl. Ciaran Brady, James Anthony Froude. An Intellectual Biography of a Victorian Prophet, Oxford 2013, S. 257 ff.; Duncan Bell, Republican Imperialism: J.A. Froude and the Virtue of Empire, History of Political Thought 30, 2009, S. 166 – 191. 9 W. K. Hastings, The Wakefield colonisation plan and constitutional development in South Australia, Canada and New Zealand, Journal of Legal History 11, 1990, S. 279 – 299; W. Metcalf (Hrsg.), Edward Gibbon Wakefield and the Colonial Dream, Wellington 1997. 10 H.O. Pappe, Wakefield and Marx, Economic History Review 4, 1951, S. 88 – 97; Ged Martin, Wakefield’s Past and Futures, in: Metcalf (Hrsg.), Wakefield, S. 20 – 44.
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wie diversifiziert das Empire war.11 Und warum aus diesem Grund Lord Blachford, Mitbegründer der Tageszeitung „The Manchester Guardian“, um die Einheit des Empires fürchtete.12 Wie in Frankreich, Portugal, Russland, dem Osmanischen oder dem Habsburger Reich waren in erster Linie in Großbritannien und seinem Empire staatliche Struktur und nationale Identität mittels der Konstruktion verschiedenster imperialer Bezüge in Asien, Afrika, der Karibik und Ozeanien eng aufeinander abgestimmt. Zeitgenössische Autoren haben diese intellektuelle Symbiose in der Regel bestätigt, die in der kolonialen Praxis massive existentielle Implikationen für die nichteuropäischen Bevölkerungen mit sich brachte.13 In der europäischen Debatte ließ sie sich auf den Nenner insbesondere von zwei Kernfragen bringen: zum einen die Einbeziehung der Freiheitsfrage im Spannungsfeld der kolonialen Expansion, sowie zum anderen die globale Kontrolle über Handel und Seefahrt.14 Damit aber waren zwei zentrale Grundvorstellungen europäischen politischen Denkens artikuliert, und wichtiger noch: sie waren im Licht der kolonialen und wirtschaftlichen, kommerziellen Expansion auf ihr Rechtfertigungspotential getestet worden. Freiheit und Souveränität, bzw. ihr Gegensatz, ob in Europa oder außerhalb von Europas Grenzen, besaßen im philosophischen und juristischen Diskurs stets eine herausragende Bedeutung.15 Die konstitutionelle Entwicklung der europäischen (Kolonial-)Staaten, insbesondere des britischen Staatssystems, vor dem Hintergrund der Entwicklung des Völkerrechts sollte daher im Wechselverhältnis von Nation und Expansion betrachtet werden. Imperiale Biographien wie jene John Stuart Mills, der sich beinahe sein ganzes Leben der East India Company verpflichtet fühlte, geben davon Zeugnis.16 Darauf machte der Dubliner Professor für Volkswirtschaftslehre, John Elliot Cairnes, in der Mitte der 1860er Jahre neu gegründeten „Fortnightly Review“ aufmerksam, 11 Arthur Mills, Our Colonial Policy, The Contemporary Review 11 (Mai 1869), S. 216 – 239, hier S. 226; J.A. Froude, England and her colonies, Fraser’s Magazine 1 (Jan. 1870), S. 1 – 16; Herman Merivale, The Colonial Question in 1870, Fortnightly Review 7/38 (Febr. 1870), S. 152 – 175. 12 Lord Blachford (Frederic Rogers), The Integrity of the British Empire, The Nineteenth Century 2 (Okt. 1877), S. 355 – 365; siehe ebenfalls Robert Lowe, Imperialism, Fortnightly Review 24/142 (Okt. 1878), S. 453 – 465; Henry Thring, Home Rule and Imperial Unity, Contemporary Review 51 (März 1887), S. 305 – 326. 13 Edward Gibbon Wakefield, The New British Province of South Australia, London 1838; ders., England and America. A Comparison of the Social and Political State of Both Nations, 2 Bde., London 1833; Henry Wheaton, History of the Law of Nations in Europe and America from the Earliest Times to the Treaty of Washington, 1842, New York 1845. 14 John Malcolm Ludlow, A glance beyond the „Trent“ difficulty: the international law of the sea, Macmillan’s Magazine 5 (Nov. 1861), S. 253 – 265. 15 So auch in der verfassungsgeschichtlichen Diskussion: William Stubbs, The Constitutional History of England down to 1485, 3 Bde., Oxford 1873 – 1878; Edward A. Freeman, The Growth of the English Constitution from the Earliest Times, London 1872. 16 Gleichwohl widmet eine der wichtigsten Biographien, Richard Reeves, John Stuart Mill. Victorian Firebrand, London 2007, hier S. 339 ff., Mill als kolonialem Denker nur wenig Aufmerksamkeit.
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indem er bemerkte, Mill und Maine bildeten die wenigen Ausnahmen, Bentham und Austin ebenfalls, die sich mit der Problematik des Völkerrechts vor dem Hintergrund des britischen Empires befasst hätten. Cairnes lieferte überdies eine für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts gültige Definition: „International law is merely the formal expression of the public opinion of the civilised world respecting the rules of conduct which ought to govern the relations of independent nations, and is consequently derived from the source from which all public opinion flows – the moral and intellectual convictions of mankind.“17
Infolgedessen ist dieser Aufsatz in folgende Schritte gegliedert: erstens sollen die Beziehungen zwischen Liberalismus und Imperialismus analysiert werden (I.); daraufhin wird nach der Bedeutung der Verfassungsfrage im Allgemeinen und der Völkerrechtsdebatte für den viktorianischen Imperialismus im Besonderen gefragt (II.); schließlich ist auf dieser Grundlage die Relevanz zu erörtern, die sich aus dem Modell des „Greater Britain“ bei John Stuart Mill und seinen Zeitgenossen für ein globales Verständnis des britischen Empires sowie die Beziehung zwischen Freiheit und Gesetz, Völkerrecht und Verfassung ergeben hat (III.).
I. Liberalismus und Empire Wiederholt hat Duncan Bell darauf hingewiesen, dass sowohl die Geschichte des politischen Denkens als auch jene der internationalen und imperialen politischen Ideen das viktorianische Zeitalter bisher stiefmütterlich behandelt haben, obwohl ihr Gegenstand den größten imperialen Verbund in der Geschichte hervorbrachte.18 Bekanntlich hatte sich dieser Eindruck bereits bei Zeitgenossen wie John Robert Seeley oder John Stuart Mill eingestellt, die die angebliche „geistige Abwesenheit“ und „Indifferenz“ beklagten.19 Aber dazu beigetragen hat sicherlich auch, dass in kaum einer anderen Epoche der Begriff des Empires so ambivalent, so umkämpft und so unpräzise geblieben ist. Dies lässt sich nicht nur mit der außerordentlichen Diversität der Quellen erklären, sondern auch mit dem reichen Spektrum an Gelehrten bzw. „public moralists“ (Collini) mit ihren Debatten.20 Letztere haben freilich dazu ge17 John Elliot Cairnes, International Law, Fortnightly Review 2 (Nov. 1865), S. 641 – 650, hier S. 643. 18 Duncan Bell, Empire and international relations in Victorian political thought, Historical Journal 49/1, 2006, S. 281 – 298; ebf. Jennifer Pitts, Political Theory of Empire and Imperialism, Annual Review of Political Science 13, 2010, S. 211 – 235, hier S. 216 ff. 19 J. R. Seeley, The Expansion of England: Two courses of lectures, London 1883; Duncan Bell, John Stuart Mill on Colonies, Political Theory 38, 2010, S. 34 – 64. 20 Stefan Collini, Public Moralists. Political thought and intellectual life in Britain 1850 – 1930, Oxford 1991, v. a. S. 251 – 307 über die Juristen als „public moralists“; Benedikt Stuchtey, Die europäische Expansion und ihre Feinde. Kolonialismuskritik vom 18. bis in das 20. Jahrhundert (= Studien zur internationalen Geschichte Bd. 24), München 2010, S. 123 – 218 und 314 – 373; Gregory Claeys, Imperial Sceptics. British Critics of Empire, 1850 – 1920, Cambridge 2010, S. 112 ff.
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führt, dass dem Liberalismus in seinem Spannungsverhältnis zum imperialistischen Staat viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde, das Völkerrecht und die internationalen Beziehungen dagegen schwächer vertreten blieben. Es ist bemerkenswert, wie Liberale die Verfassungsreformen von 1832 und 1864 einfordern konnten, aber zugleich die koloniale Expansion rechtfertigten.21 Insbesondere seitdem Liberalismus und „liberal“ als politische Kategorien eingestuft werden konnten, also seit ungefähr dem frühen 19. Jahrhundert, ließen sie sich mit Anliegen der kolonialen Expansion gut in Übereinstimmung bringen: (a) der whiggistische Begriff vom Fortschritt, (b) die teleologische, zu Freiheit und Wohlstand hinführende, für Reformen offene Geschichtssicht, (c) die inklusive Überzeugung von der Normativität der europäischen Moderne, (d) daran geknüpft der liberale, abstrakte Rationalismus als exportierbare Vorlage für vermeintlich universale Werte und ethische Ansprüche, (e) im britischen Fall die Kontrolle der Rechtsstaatlichkeit (rule of law), (f) die Akzeptanz (früh-)kapitalistischer Wirtschaftsformen sowie Formen der Ausbeutung menschlicher und natürlicher Ressourcen, (g) die Einsicht von der Ungleichheit der Menschen, (h) die starke Betonung des Individualismus unter Ausschluss anderer Modelle des menschlichen Zusammenlebens und in diesem Sinne die Herausbildung des „Charakters“ – alle diese Punkte schrieben sich die Verteidiger der imperialen Herrschaft ebenso auf ihre Fahnen. Dessen ungeachtet bildete liberales Denken aber kein uniformes Gebäude, ebenso wenig wie imperiales Denken. Was sie einte war ihre Fähigkeit, sich verändernden Situationen und sich verändernden Anforderungen institutioneller bzw. interessegeleiteter Art anzupassen. So wie die Prämissen der Kolonialpolitik Prioritäten unterworfen waren, so war die Aufmerksamkeit liberaler Beobachter geteilt. Wie noch jüngst Catherine Hall feststellte, spielte „The History of British India“ (1817) von James Mill dafür, nicht zuletzt für die intellektuelle Entwicklung der Macaulays, eine wichtige Rolle.22 Diese Synthese profitierte von der schottischen „conjectural history“ ebenso wie vom Utilitarismus Benthams und zeichnete sich darin aus, die koloniale Expansion als triumphale Überwindung kultureller Unterschiede darzustellen. Ein aus dem 18. Jahrhundert geborener Universalismus legte für das folgende Jahrhundert die Grundlagen für die Zivilisierungsmission, während der imperiale Liberalismus, wie ihn Tocqueville mit Blick auf Algerien und John Stuart Mill hinsichtlich Indiens, Irlands, Jamaicas und den Siedlerkolonien vertraten, gleichzeitig dafür sorgte, die Grenzen der politischen Partizipation im Inneren mit der angeblichen Unfähigkeit zur Übernahme politischer Verantwortung durch koloniale Untertanen zu parallelisieren.23 Wem Indien als „rückständig“ galt, der konnte 21 Bhikhu Parekh, Liberalism and Colonialism: A Critique of Locke and Mill, in: Jan Nederveen Pieterse/Bhikhu Parekh (Hrsg.), The Decolonization of Imagination. Culture, Knowledge, and Power, London 1995, S. 81 – 98. 22 Catherine Hall, Macaulay and Son. Architects of Imperial Britain, New Haven und London 2012, S. 207 - 210. 23 Beate Jahn, Barbarian thoughts: imperialism in the philosophy of John Stuart Mill, Review of International Studies 31, 2005, S. 599 – 618.
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den Glauben vertreten, dass die Europäer keine Verpflichtung besaßen, das Völkerrecht auf Gesellschaften außerhalb der europäischen Zivilisationsgrenzen anzuwenden.24 Selbst „the burden of imperialism“ (Kipling) kannte Grenzen, insofern als der Liberalismus sich für eine eingeschränkte globale Ordnung einsetzte und unweigerlich in das Spannungsverhältnis von Frieden und Gerechtigkeit einerseits, imperialer Vorherrschaft andererseits geriet. Das Paradoxe an diesem Befund war, dass die stärksten imperialen Mächte zugleich auch die stärkste liberale Tradition besaßen – im 19. Jahrhundert ohne Zweifel das britische Empire. Wie die anderen europäischen Kolonialreiche befand es sich in einem Prozess des globalen Austausches mit Ideen, die in anderen Kontinenten außerhalb Europas entwickelt wurden und Europa zwar nicht „provinzialisierten“, wohl aber deutlich intensiver vernetzten. Die Moderne, so Bayly, entfaltete sich vor den Gleichzeitigkeiten historischer Prozesse. Die weltweite Verflechtung auch liberaler Ideen hatte eine Verdichtung des Raumes zur Folge, an der die liberale Verurteilung der Expansion beteiligt war.25 Aus dieser intellektuellen Konstruktion sollte aber keineswegs geschlossen werden, das viktorianische Zeitalter habe keine kritische Auseinandersetzung mit dem Imperialismus gekannt, eine These, die sich zusätzlich zu jener, es habe überhaupt kaum Berührungspunkte zwischen Nation und Expansion gegeben, wiederholt lesen lässt.26 Man wird eher vom Gegenteil ausgehen müssen und daraus direkt zum liberalen Denken in internationalen Kategorien überleiten können, wie dies klassischerweise bereits Heinz Gollwitzer getan hat.27 In diesem Licht würden radikal-liberale Intellektuelle, wie zum Beispiel Richard Cobden, in einem für die Verfassungsdebatte dann charakteristischen Spannungsfeld betrachtet werden: sie konnten sich durchaus mit spezifischen Spielarten des Empires arrangieren, aber sie taten ebenso offen kund, dass sie die der kolonialen Eroberung innewohnende Aggression und Arroganz grundsätzlich ablehnten.28 Freilich bezog sich der zweite Aspekt häufig nicht allein auf die koloniale Herrschaft der eigenen Nation, sondern auf diejenige anderer. Seeley etwa schrieb, Fehler der Briten seien gemacht worden, doch im 24 Hierzu exemplarisch Martin I. Moir/Douglas M. Peers/Lynn Zastoupil (Hrsg.), J.S. Mill’s Encounter with India, Toronto 1999. 25 Christopher A. Bayly, The Birth of the Modern World, 1780 – 1914: Global Connections and Comparisons, Oxford 2004, S. 284 ff. 26 Jennifer Pitts, A Turn to Empire. The rise of imperial liberalism in Britain and France, Princeton und Oxford 2005; Uday Singh Mehta, Liberalism and Empire. A Study in Nineteenth-Century British Liberal Thought, Chicago 1999; Andrew Satori, The British Empire and its Liberal Mission, Journal of Modern History 78, 2006, S. 623 – 642. 27 Heinz Gollwitzer, Geschichte des weltpolitischen Denkens, Bd. 2 (Zeitalter des Imperialismus und der Weltkriege), Göttingen 1982, hier S. 253 ff.; ebenso siehe Duncan Bell, The Idea of Greater Britain. Empire and the Future of World Order, 1860 – 1900, Princeton und Oxford 2007, hier S. 199 ff. 28 Gregory Claeys, The ,Left‘ and the Critique of Empire, c. 1865 – 1900. Three Roots of Humanitarian Foreign Policy, in: Duncan Bell (Hrsg.), Victorian Visions of Global Order. Empire and International Relations in Nineteenth-Century Political Thought, Cambridge 2007, S. 239 – 266.
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Wechselspiel mit anderen (europäischen) Kolonialmächten seien koloniale Verbrechen universal.29 Wollte er die Missstände im Empire damit zwar nicht rechtfertigen, so fügte er sie aber in einen europäisch-außereuropäischen Gesamtkontext, demzufolge koloniale Herrschaft nicht lediglich unter dem Primat der Zivilisierungsmission stand, sondern unter Leitbegriffen wie „Charakter“, „Pflichtbewusstsein“ und der „Verbindlichkeit“, eine einmal begonnene Sache weiterzuführen. Der initiierende Blickpunkt des politisch und kulturell Missionarischen, also der Zivilisierungsmission, wich seit den 1870er Jahren deutlich den bewahrenden Aspekten, die mit Pflicht, Charakterbildung und Ehre für Königin, Nation und Empire assoziiert wurden. Vor diesem Hintergrund und auf dieser soliden Grundlage des viktorianischen Moralverständnisses ließen sich koloniale Krisenzustände mit dem Argument relativieren, dass sie erstens ein universalgeschichtliches Phänomen darstellten und zweitens von den Briten angeblich erfolgreicher bewältigt werden konnten als von anderen Imperialmächten, weil sie der Ausbildung des „imperialen Charakters“ hohe Priorität schenkten.30 Deshalb befand sich der britische Liberalismus in einer nachgerade unlösbaren Krise zwischen Zustimmung und Ablehnung des Imperialismus, ein Phänomen, das unter anderem auf die Erfassung des englischen Kolonialismus in Amerika durch John Locke zurückgeht. Lockes Ambivalenz war symptomatisch für die Herausarbeitung der philosophischen Axiome der Freiheit vor dem Erfahrungshorizont der kolonialen Expansion. Die globalgeschichtlich betrachtete Hierarchisierung der Gesellschaften war zwangsläufig eine Konsequenz der Assoziation von Liberalismus und Empire.31 Ob in ablehnender oder in zustimmender Haltung: liberales Denken war nicht nur ein Motor des Imperialismus, sondern es bildete in seinen unterschiedlichen Traditionsbeständen ebenfalls eine Korrekturfolie für die Debatten über die völkerrechtlichen und die verfassungsrechtlichen Aspekte imperialer Herrschaft. In den meisten Fällen diente es der Rechtfertigung – entweder der persönlichen Freiheit oder der politischen Souveränität. Auch wenn sich Liberale gerne als philanthropische und humanitäre Skeptiker präsentierten, legitimierten sie die koloniale Expansion mit den Instrumenten einer neuen außenpolitischen Grammatik, der zufolge die Logiken der Zivilisierungsmission sowie der Konstruktion einer Hierarchie der Nationen der Logik des sich als akademische Disziplin allmählich etablierenden Völkerrechts folgten. Diese engmaschige Verbindung war dem Spannungsverhältnis zwischen Nation und Expansion geschuldet. Denn die in den (europäischen) „Mutterländern“ oftmals auf revolu29 John Robert Seeley, Our Insular Ignorance, Nineteenth Century 18, 1885, S. 861 – 873; ders., Georgian and Victorian Expansionism: The Rede Lecture, 1887, Fortnightly Review 42, 1887, S. 23 – 39. 30 Kathryn Tidrick, Empire and the English Character, London 1992; Benedikt Stuchtey, James Brooke, Rajah von Sarawak. Vom „Charakter“ und der Konstruktion eines viktorianischen Kolonialhelden, Historische Zeitschrift 298, 2014, S. 625 – 652. 31 Barbara Arneil, John Locke and America. The Defence of English Colonialism, Oxford 1996; David Armitage, John Locke, Carolina, and the ,Two Treatises of Government‘, Political Theory 32, 2004, S. 602 – 627.
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tionärem Wege erkämpften Freiheiten durften unter dem Eindruck kolonialer Willkürherrschaft in den „Peripherien“ nicht aufs Spiel gesetzt werden, wenn sich der Kolonialstaat international nicht der Kritik aussetzen wollte, mit zweierlei Maß zu messen.32 Von den frühneuzeitlichen, jesuitischen Kritikern des spanischen Kolonialismus in Lateinamerika bis zu Locke, Diderot, Adam Smith, Herder, Kant, Montesquieu, Burke und vielen anderen: die sowohl moralphilosophisch als auch staatspolitisch geführte Debatte, wie sie sich nun für die viktorianischen Intellektuellen des britischen Empires entfaltete, hatte es seit mehreren Jahrhunderten in unterschiedlichsten Formen gegeben.33 Neuartig aber war, dass sie sich mit einer neuen, d. h. globalen und zunehmend unter völkerrechtlicher Beobachtung produzierten imperialistischen „situation coloniale“ konfrontiert sah. Hierauf Antworten zu finden, gestaltete die britische Seite dieser Debatte besonders perspektivenreich, weil sie unter anderem Positivisten und die oben bereits genannten Utilitaristen miteinschloss.34 Dabei war dieser Befund nicht ohne weiteres naheliegend. Der Positivismus als eine englische Parallele zum deutschen Historismus konnte als ein intellektuelles Werkzeug zur Etablierung nationaler Hegemonie und nationalstaatlicher Souveränität betrachtet werden, aber in diesem Sinne auch als ein Gegenmodell zu dem im Zeichen der Aufklärung entwickelten universellen Verständnis von Rechten, also von Universalrechten.35 Die positivistische Jurisprudenz unterstrich die oberste Staatsgewalt und die Überzeugung, dass Staaten, nicht einzelne Akteure, die Motoren hinter dem Völkerrecht seien. In dem Augenblick, in dem der Positivismus sich dieser Eigenschaft bemächtigte, verdrängte er die im 18. Jahrhundert gelegten Grundlagen völkerrechtlichen Denkens, doch machte er sich zugleich für die gegen Anfang des 19. Jahrhunderts im Entstehen begriffene liberale Verfassungsdiskussion unersetzlich. Dieses Dilemma war nur dann auflösbar, wenn es der Völkerrechtsdebatte gelang, so ihren Weg in die liberale Auseinandersetzung mit dem Imperialismus zu finden, dass sie Rechte als eine universelle moralische Instanz definierte und sie damit vom jeweiligen (Imperial-)Staat trennte. Einen tieferliegenden Widerspruch aufzulösen, war wiederum noch komplizierter. Denn die enge, für seine Glaubwürdigkeit nachteilige Komplizenschaft, die der Liberalismus im Laufe des viktorianischen Zeitalters mit dem Imperialismus eingegangen war, hatte zur Konsequenz, dass er sich wie ein Bündel verschiedenster Konzepte anbot: assoziierten die einen mit ihm Besitzfragen und den Freihandel, so andere die klassische Verkörperung im „rule of law“. Für Gegner wie für Befürworter des Empires boten sich liberale Positionen gleichermaßen an. Für Theoretiker von Verfassung und Völkerrecht musste demgegenüber die Herausforderung darin liegen, den Rechtscharakter zu bestimmen 32
Vgl. Arthur Mills, Representative Government in the Colonies, The Nineteenth Century 8/42 (Aug. 1880), S. 237 – 248. 33 Sankar Muthu, Enlightenment against Empire, Princeton 2003, S. 259 ff.; Stuchtey (Fn. 20), S. 39 – 122. 34 Collini, Winch und Burrow, That noble science of politics, S. 127 ff. 35 Jennifer Pitts, Boundaries of Victorian International Law, in: Bell (Fn. 28), S. 67 – 88.
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– war er eine Dimension des (imperialen) Staates, oder drückte er grundsätzliche, für alle Menschen geltende Ansprüche aus?
II. Verfassungsfrage und Völkerrechtsdebatte Nun bemühten sich um das koloniale Argument nicht allein der historische und der philosophische Diskurs, sondern insbesondere der juristische. Es ist von daher naheliegend, unter den viktorianischen „public moralists“ eine hohe Anzahl von Juristen vorzufinden, deren Arbeiten das internationale und das imperiale Denken ihrer Zeit maßgeblich prägten. Weil die Gesetzesordnung auch die (ungleiche) Ordnung der Welt widerspiegelte, ließ sich mit ihrer Hilfe eine Kodifizierung der Weltordnung vornehmen. Teile dieser Welt bzw. ihrer Wahrnehmung wurden in ihrer Eigenschaft als Kolonien zwangsläufig zu Laboratorien, in denen unterschiedlichste Vorstellungen Anwendung fanden – in diesem Fall legislative Vorstellungen für die Umsetzung von Reformen, in anderen Fällen kulturelle, rassistische oder biologistische. Inwieweit die Jurisprudenz nationale und imperiale Belange auf der einen, universale Anliegen auf der anderen Seite berührte, anders gewendet: inwieweit sie das Recht auf koloniale Eroberung debattierte und möglicherweise bestätigte oder einschränkte, war nicht zuletzt eine Frage, die unmittelbar auf das Kräftespiel der Imperialmächte untereinander Einfluss ausübte.36 So entwickelte sich im Zeitalter des liberalen Imperialismus das Völkerrecht zu einem Kulturfaktor.37 Es musste sich die gleiche Frage stellen lassen, die auch die Beziehung zwischen Liberalismus und Imperialismus berührte, namentlich ob die Kategorien, nach denen das Völkerrecht konzipiert worden war, nicht ihrem Ursprung nach koloniales Denken reflektierten und imperialer Herrschaft zu ihrer Legitimation verhalfen; und ob, zweitens, juristische Imaginationen und koloniale Praktiken ineinander griffen. So eindeutig lässt sich das Verhältnis sicherlich nicht fassen, ebenso wie im (radikalen) Liberalismus starke anti-imperiale Tendenzen vorzufinden waren, was unter dem Eindruck zahlloser politischer und gesellschaftlicher Skandale beispielsweise auf die Dritte Republik in Frankreich zutraf.38 Gleichwohl 36 Richard Tuck, The Rights of War and Peace. Political Thought and the International Order from Grotius to Kant, Oxford 1999; Sharon Korman, The Right of Conquest. The Acquisition of Territory by Force in International Law and Practice, Oxford 1996; hier S. 41 – 66, bes. S. 56 ff. 37 Hierzu Martti Koskenniemi, The gentle civilizer of nations: the rise and fall of international law, 1870 – 1960, Cambridge 2001, bes. S. 98 – 178; Andrew Fitzmaurice, Liberalism and Empire in Nineteenth-Century International Law, American Historical Review 117, 2012, S. 122 – 140; Casper Sylvest, British Liberal Internationalism, 1880 – 1930: Making Progess?, Manchester 2009; Karuna Mantena, The Crisis of Liberal Imperialism, in: Bell (Fn. 28), S. 113 – 135; Antony Anghie, Imperialism, Sovereignty and the Making of International Law, Cambridge 2005, S. 32 – 114; David Kennedy, International Law and the Nineteenth Century: History of Illusion, Quinnipiac Law Review 17, 1997, S. 99 – 138. 38 Jean-Paul Lefebvre-Filleau, Les scandales de la IIIe République, Paris 2005.
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wird insbesondere aus den britischen Quellen gut ersichtlich, dass die Entwicklung des Völkerrechts ohne die Geschichte des britischen Empires eine andere gewesen wäre und beides parallele, nicht nachgeordnete historische Prozesse waren.39 Denn hätten sie in chronologischer Abfolge stattgefunden, hätte die Dekolonisation im 20. Jahrhundert ein Ende völkerrechtlicher Ungleichheiten bedeuten müssen, was aber keineswegs der Fall war. Die Ungleichheiten und Hegemonien wurden lediglich unter anderem Vorzeichen fortgeführt, sowie im Zeitalter des Hochimperialismus das Völkerrecht unter dem Eindruck des „colonial encounter“, des kolonialen Gegenüber, des „Anderen“ entwickelt worden war. Burbank und Cooper haben hierfür den Begriff der „Politiken der Differenz“40 eingeführt. Koloniale Herrschaft lebte davon, ihre Souveränität auf der Grundlage konstruierter Verschiedenartigkeit zu legitimieren. Ähnliches lässt sich für die Herausbildung des Völkerrechts im Laufe des 19. Jahrhunderts behaupten, was demnach keine vornehmlich binnen-europäische Angelegenheit war, die, einmal konstituiert, dann in den außereuropäischen Raum transportiert wurde, sondern die als eine Antwort auf die Asymmetrien der Expansion verstanden werden sollte. Und weil – wie eingangs bereits erwähnt – das Britische Empire ein besonders asymmetrisches, gleichsam „unvollendet“ errichtetes Kolonialreich darstellte,41 profitierte das Zentrum des Kolonialstaats von den oftmals in seinen Peripherien geführten juristischen Auseinandersetzungen insofern, als es das Einzige war, Kolonialrecht und Völkerrecht in einen Interessensausgleich zu bringen. Das 1833 geschaffene, bis in die Gegenwart existierende „Judicial Committee“ bildete dafür eine maßgebliche Instanz.42 Davon überzeugt, dass internationale Reformen zumindest partiell ein Spiegelbild der historischen Entwicklung der Nationalstaaten und ihrer Gesellschaften darstellten, emanzipierten sich britische Rechtsgelehrte von den abstrakten und noch im frühen 19. Jahrhundert vorherrschenden Ideen des Naturrechts, nicht zuletzt unter dem Eindruck der in ihrer Häufigkeit und Intensität zunehmenden Kolonialkrisen wie beispielsweise dem Indischen Aufstand 1857/58 und der Affäre um Gouverneur Eyre auf Jamaika im Jahr 1865. Als 1873 das „Institut de Droit international“ gegründet wurde, setzte parallel dazu auch unter den vornehmlich liberal eingestellten britischen Gelehrten ein Rechtsdenken ein, das sich als eine gelungene Symbiose aus der Rechtfertigung der kolonialen Expansion zum einen und der Anpassung des Empires an völkerrechtliche Bindungen zum anderen begreifen lassen kann. Überwiegend bereit zu Reformen, ließen sich so ein „moderater“ Nationalismus mit Interna39
So z. B. in einer Artikelserie für die Fortnightly Review (FR): John Morley, England and the Annexation of Mysore, FR 6/33 (Sept. 1866), S. 257 – 271; Frederic Harrison, Our Venetian Constitution, FR 7/3 (März 1867), S. 261 – 283; T.E. Cliffe Leslie, Nations and International Law, FR 4/19 (Juli 1868), S. 90 – 102. 40 Jane Burbank/Frederick Cooper, Empires in World History. Power and the politics of difference, Princeton/Oxford 2010. 41 Darwin (Fn. 4), S. 1 – 12. 42 Loren P. Beth, The Judicial Committee as constitutional court for the British Empire 1833 – 1971, Journal of International and Comparative Law 7, 1977, S. 47 – 84.
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tionalismus verbinden, ein Gleichgewicht zwischen Partikularismus und Universalismus herstellen und das für den Hochviktorianismus so charakteristische Moralverständnis aufrechterhalten, mit dessen Konstruktion das Gesetz in erster Linie als ein „moral rule“ festgeschrieben und identifiziert werden konnte. Eingebettet in das whiggistische Denkgebäude der Evolution,43 bildete die Gesetzesreform in Anpassung an die evolutionäre Entwicklung ein Schlüsselelement in der Argumentation für koloniale Eroberung und Besitznahme. So sollte imperiale Expansion als Projektion europäischer Souveränitätsvorstellungen in Übersee verstanden werden, während das Völkerrecht daran beteiligt wurde, die Ausbreitung des (europäischen) Zivilisationsbegriffs zu relativieren, gegebenenfalls zu begrüßen, in jedem Fall aber zu problematisieren. Im Kern der Debatten lagen Fragen nach der Rechtmäßigkeit der Expansion und der Gerechtigkeit imperialer Herrschaft. Wenige andere Zeitgenossen haben dies so auf den Punkt gebracht wie Henry Maine. Seit 1871 Mitglied im Indian Council, hatte Maine den Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn als Whewell Professor of International Law (Cambridge) erreicht und war einer der Frühesten seiner Zeit, die historische Methode auf das Studium politischer Institutionen anzuwenden. Er war der Verfasser zahlreicher maßgeblicher Arbeiten, unter anderem seine bahnbrechenden Bücher „Ancient Law“ (1861) und „Village Communities“ (1871).44 Maine war es daran gelegen, Reformen an universell gültige Maßstäbe zu knüpfen, sie gleichsam jenseits der jeweiligen kolonialen Rechtssysteme zu rationalisieren und damit über den Prozess der kolonialen Expansion hinaus auch die politischen Richtlinien für imperiale Herrschaft an sich festzulegen. Dass dieser Anspruch die praktische Realität allerdings oftmals nicht berührte, oder, was ebenso problematisch war, politischen Zuständen „vor Ort“ schadete, war dem Kenner der römischen Rechtsgeschichte durchaus präsent. Maine, ein Advokat der vergleichenden Methode zwischen „Roman law“ und „Indian society“, reflektierte das Problem intensiv und meinte, im Lichte der Erfahrungen, die das Empire in Indien mache, relativierten die politischen Maxime sich insofern, als dass der Utilitarismus seine angestrebte globale Gültigkeit einbüßte und das Rechtsdenken der Viktorianer Alternativen suchen müsse. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden diese von Lord Lugard mit Begriffen wie „trusteeship“ und „indirect rule“ erneut in die Diskussion gebracht.45
43 John Burrow, Historicism and Social Evolution, in: Benedikt Stuchtey/Peter Wende (Hrsg.), British and German Historiography, 1750 – 1950. Traditions, Perceptions, and Transfers, Oxford 2000, S. 251 – 264. 44 Henry Maine, Ancient Law: Its Connection with the Early History of Society and its Relation to Modern Ideas, London 1861; ders., Village Communities of the East and West, London 1871; ders., International Law. A Series of Lectures Delivered before the University of Cambridge 1887, London 1888. 45 Frederick John Dealtry Lugard, The Dual Mandate in British Tropical Africa, Edinburgh/London 1922.
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Aber was Lugard mit Blick auf Afrika thematisierte, war ursprünglich ein Problem gewesen, das sich für Indien gestellt hatte.46 Wie andere Viktorianer auch, ließ Maine sich nicht allein von der römischen Antike als Vorbild für das Empire beeindrucken, sondern sah griechische Analogien. Großbritannien habe vom klassischen Griechenland liberales Fortschrittsdenken übernommen und damit die Aufgabe übertragen bekommen, es über den Weg rechtlicher Reformen und seiner Verfassung an sein Empire weiterzureichen: „It is this principle of progress which we Englishmen are communicating to India.“47 Und nicht nur nach Indien! Edmund Burke, ein intimer Kenner Indiens, und vor ihm Adam Smith hatten diesbezüglich das gesamte Empire im Blick, wenn sie ihre Zeitgenossen dazu ermahnten, sich am griechischen Kolonialismus zu orientieren und die Autorität des Souverän an den Freiheitsbegriff des Individuums zu knüpfen, was wiederum Fortschritt und Wohlstand begründe: „It is the spirit of the English constitution which […] pervades, feeds, unites, invigorates, vivifies every part of the empire.“48 Es war kein weiter Schritt, sich auch an den klassischen griechischen Konzepten des internationalen Rechts zu orientieren.49 Die Großräume, ob der asiatische oder der afrikanische, verdeutlichten indessen das hohe Maß der intellektuellen Durchdringung der viktorianischen Gesellschaft mit Themen und Problemen des Empires, was jedoch nicht heißen soll, dass nicht auch die transatlantische und vor allem die europäische Blickrichtung nach wie vor große Prioritäten genossen.50 Maine hatte sie über die Rechtsdebatte in den Alltag geholt und daran die grundsätzlichen Fragen geknüpft, ob das Recht die Gesellschaft oder die Gesellschaft das Recht verändere und inwiefern beide Prozesse analog zu Darwins fast zeitgleich erschienenen „Origins of Species“ (1859) nicht Prozesse evolutionären Wechsels über außergewöhnlich lange Zeitperioden darstellten. In der Summe war seine Perspektive so bahnbrechend, weil Maine das Recht unmittelbar an soziale Kategorien knüpfte und er argumentierte, „social necessities and social opinion“ seien für die Fortschritte in der Gesetzgebung maßgeblich.51 Für die Verfassungsfrage wie die Völkerrechtsdebatte bildeten diese Punkte im Zusammenhang von kolonialer Expansion und imperialer Herrschaft wichtige Axio46 Vgl. Karuna Mantena, „Law and tradition“: Henry Maine and the theoretical origins of indirect rule, in: Andrew Lewis/Michael Lobban (Hrsg.), Law and History, Oxford 2004, S. 159 – 188; Sandra Den Otter, Rewriting the utilitarian market: colonial law and custom in mid-nineteenth-century British India, The European Legacy 6, 2001, S. 177 – 189. 47 Maine, Village Communities (Fn. 44), S. 238. 48 Anon., What has the British tax-payer to do with colonial wars or constitutions?, Fraser’s Magazine 44/263 (1851), S. 575 – 590, hier S. 578. 49 Vgl. H. Brougham Leech, Ancient International Law, The Contemporary Review 43 (Feb. 1883), S. 260 – 274; ders., Ancient International Law, part II., The Contemporary Review 44 (Dec. 1883), S. 890 – 904. 50 J.P. Parry, The Politics of Patriotism. English liberalism, national identity, and Europe, 1830 – 1886, Cambridge 2006. 51 Maine, Ancient Law (Fn. 44), S. 24.
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me.52 Der britische Völkerrechtler Travers Twiss, dessen Lebensdaten nahezu das gesamte 19. Jahrhundert umspannten, griff sie direkt auf, seitdem er seit Mitte der 1850er Jahre die königliche Professur für Zivilrecht in Oxford besetzte, eine Position, von der ihn erst 1870 James Bryce ablöste. Wie bei Maine in Cambridge signalisierte auch die Oxforder Professur eine intensive Professionalisierung der Rechtswissenschaften in Großbritannien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wovon auch das Völkerrecht profitierte und sich an den Universitäten fest etablierte. Zumeist hatte das Völkerrecht bis dahin eine Sonderrolle gespielt, war als eine Sonderform positiver Sittenlehre begriffen und nur mit geringem Respekt behandelt worden. Aber das änderte sich allmählich und zum Ende des Jahrhunderts hin nachhaltig, seit eine intellektuelle Auseinandersetzung mit den internationalen Beziehungen, ob in Wirtschaft oder Politik, gefordert wurde. Diese Prozesse waren eng aufeinander bezogen – zum einen Teil als Ausformung juristischer Doktrinen in den Metropolen, zum anderen als koloniale Praxis in den Peripherien. Britische Rechtsgelehrte, wie auch Robert Phillimore, nahmen an ihnen teil, weil sie sich den anderen Wissenschaften vergleichbar als Glied einer internationalen Gesellschaft verstanden.53 Ihr Wirkungskreis wurde ebenso globalisiert, zumindest aber auf das größte Kolonialreich seiner Zeit ausgedehnt. Erst die koloniale Expansion war ausschlaggebend dafür, dass das Völkerrecht seinem universalen Anspruch wesentlich gerecht wurde. Man kann daraus durchaus schließen, dass liberaler Internationalismus und liberaler Reformismus sich mit dem modernen Völkerrecht gut arrangierten.54 Eine wesentliche Voraussetzung für alle drei Komponenten bildete die koloniale Expansion, genauer die imperiale Herrschaft, die ein Beziehungssystem zwischen Europa und der nichteuropäischen Welt schuf, das in der Folge einer juristischen Basis bedurfte. Dass diese nicht ausschließlich auf dem Konzept der Zivilisierungsmission gründete, sondern überdies auf dem spezifisch britischen Konzept des „Charakters“, ist oben bereits erwähnt worden. Die Rechtfertigung der territorialen Expansion auf der Grundlage der Unterscheidung der Menschheit in „Zivilisierte“ und „Barbaren“ erweiterte sich um das Argument des Fortschritts, ob in materieller oder moralischer, „charakterlicher“ Hinsicht. Zwei weitere Aspekte traten hinzu: zum einen verstand sich der Zivilisierungsbegriff als ein ursprünglich und im Wesen ausschließlich europäischer, der in die nichteuropäische Welt zu übertragen sei; zum zweiten war er zutiefst religiös konnotiert. Der (britische) Evangelikalismus hatte ein Vokabular der „Toleranz“ geschaffen, aus dem sich auch der juristische Dis-
52 James Thuo Gathii, Imperialism, Colonialism, and International Law, Buffalo Law Review 54, 2007, S. 1013 – 1066. 53 Robert Phillimore, Commentaries upon International Law, 4 Bde., London 1854 – 1861. 54 Anthony Anghie, Finding the Peripheries: Sovereignty and Colonialism in NineteenthCentury International Law, Harvard International Law Journal 40, 1999, S. 1 – 80.
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kurs bedienen konnte, etwa bei John Stuart Mill.55 Denn an dieser Scharnierstelle setzte Mill an, auf den in Punkt III. abschließend eingegangen wird. Vorerst konzentrierte Travers Twiss sein wissenschaftliches Anliegen in erster Linie darauf, aktuellen politischen Fragen mit rechtshistorischen Instrumenten zu begegnen und sich einen Namen im Kontext des Völkerrechts mit Blick auf Afrika zu machen.56 Sein zweibändiges Hauptwerk „The Law of Nations Considered as Independent Political Communities. On the Rights and Duties of Nations in Time of Peace“ (1861 und 1863) trug die Handschrift eines Gelehrten, der großen Respekt für Fürst Metternich und dessen System eines über fortwährende Kongresse geschaffenes, kontrolliertes Gleichgewicht der Mächte hatte. Die internationale Gemeinschaft, so war Twiss überzeugt, strebe kontinuierlich einer höheren Zivilisationsstufe zu, wenn sie sich grundsätzlich an die Ordnung internationaler Gesetze halte. Als Mitglied des „Institut de Droit International“ war er einer der Editoren der von dieser Einrichtung herausgegebenen Zeitschrift mit dem Schwerpunkt auf die vergleichende Gesetzgebung. Hier veröffentlichte er selbst regelmäßig. So schrieb er 1883 über „La libre navigation du Congo“, womit er sich rechtzeitig für die dann auf dem Berliner Kongress 1884/85 verhandelte Kongofrage qualifizierte und auf britischer Seite die legalen Gesichtspunkte regelte.57 Das kam dem belgischen König gerade recht, in dessen Auftrag er die Verfassung des kongolesischen Freistaats entwickelte. Aber Twiss fand sich zwangsläufig in dem Dilemma zwischen den moralischen Argumenten für einen „liberalen Imperialismus“ einerseits und völkerrechtlichen Standpunkten andererseits wieder, die in ihrer Summe unterschiedslos hierarchischen Kriterien gehorchten. Denn die Ordnung Afrikas, wie sie auf dem Berliner Kongress zum Thema wurde, war ein Spiegelbild der europäischen, ja globalen Mächtekonstellationen und darin eine Folge der Rangordnung der Anwendung des Völkerrechts. War der liberale Moralismus kompatibel mit den Funktionen des Völkerrechts und ließen beide sich für imperiale Projekte einspannen, so lief der Jurist Twiss Gefahr, ein Apologet König Leopolds zu werden.58 Oder anders formuliert: das Völkerrecht machte sich imperialen Interessen dienstbar, anstatt sie zu kontrollieren, sobald es mit einer Realität konfrontiert wurde, die sich den theoretischen Prämissen entzog. Das war seit der Zeit von Hugo Grotius zwar durchaus nicht neu und schon im frühen 17. Jahrhundert war dem Völkerrechtsdenken der Vorwurf gemacht worden, Argumente für die Rechtfertigung der kolonia55 Siehe Mark Tunick, Tolerant Imperialism. John Stuart Mill’s Defense of British Rule in India, The Review of Politics 68, 2006, S. 586 – 611. 56 Travers Twiss, Two Introductory Lectures on the Science of International Law, London 1856; ders., The Law of Nations Considered as Independent Political Communities, London 1863. 57 W. C. Cartwright, The Congo Treaty, Fortnightly Review 36/211 (Juli 1884), S. 88 – 107. 58 Casper Sylvest, ,Our passion for legality‘: international law and imperialism in late nineteenth-century Britain, Review of International Studies 34, 2008, S. 403 – 423, hier S. 408 – 415.
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len Expansion zu liefern. Im Interesse der niederländischen East India Company hatte Grotius große theoretische und juristische Anstrengungen unternommen und sich nicht nur für eine moderne und internationale Gemeinschaft gleicher und unabhängiger, souveräner Staaten eingesetzt, sondern auch für eine geteilte, den europäischen Staaten untergeordnete Souveränität außereuropäischer Territorien.59 Burke, Constant und Tocqueville folgten ihm bekanntlich nach.60 Aber in dieser Intensität und Globalität bildete die Zivilisierungsmission in ihrer juristischen Komponente doch durchaus ein neuartiges Phänomen, weil sie in ihrer moralischen Aufladung als Werkzeug eines gesetzmäßigen Gewissens der „zivilisierten“ Welt interpretiert werden konnte. Um diesem Gewissen zu genügen, übernahmen die stärkeren wie die schwächeren Nationen in Friedens- wie in Kriegszeiten Verpflichtungen, besaßen jedoch auch ihnen zugeschriebene Rechte. Britische Kommentatoren bedienten sich nun des Arguments, dass die Pflichten aus der christlichen Tradition ableitbar, während die Rechte mit der europäischen (Verfassungs-)Geschichte kompatibel seien.61 Weil die europäische Geschichte seit der Frühen Neuzeit auch eine Geschichte der Expansion in nichteuropäische Territorien darstellte, ergab das Völkerrecht in der Praxis nur dann Sinn, wenn es für diese Territorien eine Definition fand. Den Zeitgenossen öffnete der Begriff der „terra nullius“ Perspektiven: angeblich unbewohntes Land, das „entdeckt“, erkundet und erforscht werden musste, bevor es in den Prozess der imperialen Zivilisation eingebunden wurde. Lebte in diesem Land eine „unzivilisierte“, „barbarische“ Bevölkerung, so konnte diese nicht für sich beanspruchen, dem Wirkungsbereich des Völkerrechts anzugehören. Die Doktrin der „terra nullius“ kam einer Einladung zur kolonialen Eroberung gleich. Analog zu John Locke in den „Treatises of Government“ (1689), in denen er argumentierte, dass die Natur dem Menschen nur dann nütze, wenn sie über Arbeit angeeignet werde, und analog zu Lockes bereits 20 Jahre davor wichtigen Rolle beim Entwerfen der „Fundamental Constitutions of Carolina“ (1669), bildete auch für die europäische Expansion im Zeitalter des Hochimperialismus der Prozess der rechtmäßigen Aneignung von Land über dessen Bearbeitung ein zentrales Motiv. Als der belgische König Leopold II. den Kongo zu seinem persönlichen Privatbesitz erklärte, konnte er sich auf diese Argumentationsweise stützen sowie auf einen ideengeschichtlichen Traditionsbestand, der vom 17. bis in das späte 19. Jahrhundert reichte. So befand sich Twiss in guter intellektueller Gesellschaft, wenn er im Interesse Leo59
M.J. van Ittersum, Profit and Prinicple. Hugo Grotius, Natural Rights Theories and the Rise of Dutch Power in the East Indies, 1595 – 1615, Leiden und Boston 2006. 60 Richard Bourke, Edmund Burke and the politics of conquest, Modern Intellectual History 4, 2007, S. 403 – 432; Cheryl B. Welch, Colonial Violence and the Rhetoric of Evasion: Tocqueville on Algeria, Political Theory 31, 2003, S. 235 – 264. 61 England’s Place among the Nations. By a military contributor, Macmillan’s Magazine 23 (Nov. 1870), S. 358 – 368; J. St. Mill, Treaty Obligations, Fortnightly Review 8/48 (Dez. 1870), S. 715 – 720; A.G. Stapleton, Political Reminiscences, Macmillan’s Magazine 31 (Nov. 1874), S. 423 – 432; W.E. Hall, On certain proposed changes in international law, The Contemporary Review 26 (Juni 1875), S. 735 – 757.
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polds ausführte, das internationale Recht teile sich zum einen in das zwischen den „zivilisierten“ Völkern bzw. europäischen Staaten geltende Völkerrecht und zum anderen in eine Form natürlicher Gesetzlichkeit, die die Beziehung zwischen den „Zivilisierten“ und den „Barbaren“ regelte.62 Sich auf der Seite derjenigen Mächte zu betrachten, für die der Kolonialismus eine Angelegenheit von Philanthropie und interesseloser Forschung darstellte, war für Leopold unkompliziert, sofern er Rückendeckung von Institutionen wie etwa der International African Association oder der International Congo Association besaß.63 In einer Zeit, in der im belgischen Kongo beispiellos gefoltert und gemordet wurde und wenige andere Regionen Afrikas die Aufmerksamkeit der internationalen Kolonialismuskritik im Umfeld von Edmund Dene Morel und Roger Casement so geschlossen auf sich zogen wie das „Herz der Finsternis“, kam es aber einem unbeschreiblichen Zynismus gleich, wenn der belgische Kolonialismus sich als Vertreter von Zivilisation, freiem Handel und Christentum verkaufte. Morel entlarvte dieses System erbarmungslos, Casement schloss sich der internationalen humanitären Bewegung an. Auch Twiss verurteilte die im Kongo praktizierte Sklaverei und den dort florierenden Sklavenhandel aufs schärfste, gleichwohl schloss er sich mit viel Sympathie Leopolds Anspruch an, eine internationale Freihandelszone geschaffen zu haben. Außerdem entwickelte er für den Fluss Kongo die Idee einer internationalen Schutzzone, die die freie und unbegrenzte Schifffahrt gewährleisten sollte.64 Das war, in der Summe, ein Beispiel dafür, wie politischer Pragmatismus Hand in Hand gehen konnte mit juristischer Beratung und wie das Konzept der „terra nullius“ eine ideologische, moralische und sogar legale Rechtfertigungsstrategie manifestierte. Wie weit es in der imperialen Praxis trug, war die andere Seite der gleichen Münze.
III. Die Verfassung des „Greater Britain“, John Stuart Mill und seine Zeitgenossen Die Anzahl derjenigen viktorianischen Gelehrten, die sich für die Verfassungsfrage des Empires im Umfeld des internationalen Rechts engagierten, ist groß, doch in der Forschung zumeist auf besonders prominent wirkende Vertreter wie Seeley, Dicey, Dilke und Bryce konzentriert worden. Sie waren treibende Kräfte für die britischen Debatten, deren Qualität darin bestand, die britische politische Kultur zwischen Völkerrecht und nationaler Souveränität nicht zu spalten, sondern auf sie integrativ zu wirken und das Parlament als Referenzpunkt stets im Blick zu behalten.65 62 So auch das Argument bei Richard Wildman, Institutes of International Law, Bd. 1 (International Rights in Time of Peace), London 1849, S. 19 ff. 63 Hierzu Jean Stengers, Leopold II and the Association Internationale du Congo, in: Stig Förster/Wolfgang J. Mommsen/Ronald Robinson (Hrsg.), Bismarck, Europe, and Africa. The Berlin Africa Conference 1884 – 1885 and the Onset of Partition, Oxford 1988, S. 229 – 244. 64 Travers Twiss, An International Protectorate of the Congo River, London 1883. 65 Robert Saunders, Parliament and People: The British Constitution in the Long Nineteenth Century, Journal of Modern European History 6, 2008, S. 72 – 87.
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Ein außergewöhnlicher Aspekt der Debatten lag darin, liberale Positionen, wie jene von John Stuart Mill, und konservative Richtungen, herausragend vertreten durch Froude, füreinander zu öffnen. Ähnliche Fraktionen hatte es bereits in den 1830er Jahren gegeben, in deren Umfeld sich in der Folge die die philosophischen Radikalen vertretende Zeitschrift „Westminster Review“ und die liberale „London Review“ gründeten. Für letztere wirkten unter anderem John Stuart Mill, George Grote, William Molesworth und John Arthur Roebuck.66 Obwohl Mill zeit seines Lebens das Problem Indiens und auch Irlands besonders beschäftigte und speziell Indien bezüglich Fragen von territorialer Souveränität und völkerrechtlicher Aushandlung zwischen „zivilisierten“ und „unzivilisierten“ Regionen eine bedeutsame Funktion hatte,67 widmete er sich ebenfalls den Siedlerkolonien und einer spezifischen Rezeption Wakefields.68 Er war auf diesem Wege intellektuell weit einflussreicher, als man gewöhnlich für diesen Vordenker liberaler Ideen anzunehmen gewohnt war, was sicherlich auch daran liegt, dass man Mill in erster Linie mit der Arbeit der East India Company assoziiert, für die er seit seinem 17. Lebensjahr bis in das Jahr 1858 tätig war.69 Die Siedlerkolonien („settler colonies“), die im Denken Froudes und anderer eine so große Rolle spielten, weil sie den vermeintlichen Fortschritt der Zivilisierungsmission illustrierten, bildeten für Mill Räume kolonialer Erschließung, in denen sich britisches Verfassungsdenken weiter entwickeln und in Einklang mit internationalem Rechtsdenken bringen ließ – und in denen sich, im umgekehrten Prozess, juristische Erfahrungen machen ließen, deren Wert auf die Verfassungsentwicklung in Großbritannien einsetzbar war. Mills Klassifikation der Kolonien war deutlich viktorianischen Traditionsbeständen geschuldet. Wie Froude, doch weniger dogmatisch, unterschied er zwischen jenem Kolonialbesitz, der dem „Mutterland“ sehr ähnlich war und das Potential besaß, in eine verfassungsmäßige, anglophone Einheit eines „Greater Britain“ geführt zu werden, und auf der anderen Seite denjenigen Kolonien, die diese Möglichkeiten seiner Meinung nach nicht besaßen und nicht reif für Eigenregierung waren. Imperiale Herrschaft, daran ließ Mill keinen Zweifel, war ein fester, wenngleich „unfertiger“ („unfinished“) Bestandteil der Verfassung Großbritanniens und seiner Geschichte. Die Besiedlung Nordamerikas und Australiens, die Siedlerkolonien in Südafrika und Kenia: sie teilten nach Mill mit dem „Mutterland“ grundsätzliche analytische Eigenschaften, die beispielsweise Ägypten und Indien in Bezug zu Großbritannien nicht besaßen. Sie waren, in den Worten des australischen Historikers Belich, eingebunden in die Selbstwahrnehmung eines globalen Prozesses, der „das Ergänzen“ bzw. „Auffüllen“, d. h. die Be66
Vgl. Stuchtey (Fn. 20), S. 133 – 155. Zum Beispiel bei John Westlake, Chapters on the Principles of International Law, Cambridge 1894, S. 193 – 219. 68 R. N. Gosh, John Stuart Mill on Colonies and Colonization, in: John Cunningham Wood (Hrsg.), John Stuart Mill, London 1987, S. 354 – 367; Donald Winch, Classical Political Economy and Colonies, Cambridge (MA) 1965, S. 139 ff. 69 Lynn Zastoupil, John Stuart Mill and India, Stanford 1994, hier bes. S. 126 – 168; ebf. Moir/ Peers/Zastoupil (Fn. 24). 67
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siedlung „freien“, angeblich unbewohnten Territoriums nicht nur erlaubte, sondern nachgerade dazu einlud.70 Land war demnach auch für Mill „terra nullius“, wenn es der Qualität entsprach, die Kolonisierung als einen Verbesserungsprozess für das britische Staatswesen und die Welt als Ganze zu versinnbildlichen. Es wurde erschlossen und im Besiedlungsverlauf realisierte sich die ursprünglich lediglich imaginierte Geographie des Empires. Mill verkannte nicht, dass dieser Prozess auf Kosten der einheimischen Bevölkerung mit zumeist hemmungsloser Gewalt erzwungen wurde, dass er ein Resultat von Kolonialfantasien war und dass er die Idee konstruierte, die Fortschrittlichkeit der Kolonien im Besonderen würde eine beschleunigende Rolle bei der Verbesserung („improvement“) der Menschheit im Allgemeinen einnehmen können. Erneut tritt hier der für das 19. Jahrhundert so zentrale Begriff des „Charakters“ bzw. der Charakterformierung zutage. Denn wer eine verantwortungsvolle Regierung („responsible government“) führe, der schaffe völkerrechtlich verbindliche Normen für permanente zivilisierte Gesellschaften, unabhängig davon, auf welchem Kontinent diese sich befänden. Die politische Ökonomie des Utilitarismus, die Mill in Anlehnung an Ricardo in kolonialpolitisches Denken transportierte, bildete eine Voraussetzung für den Fortschrittsglauben in globaler Absicht. Was für das Empire prinzipiell eine Leitlinie war, nämlich einen Raum für Bewegung und Austausch von Menschen, Ideen, Informationen, Kapital sowie Arbeit darzustellen, konnte Mill zufolge universalistisch umgesetzt werden. Freilich geschah dies nicht ohne Desillusion. Insbesondere bei Mills spezifischer Verbindung von imperialem und liberalem Denken, die er zu einem „imperial liberalism“ kombinierte, ist eine desillusionierte, nahezu melancholische Note nachvollziehbar. Mit zunehmendem Problembewusstsein für die strukturelle und weit verbreitete Gewalt des Siedlerkolonialismus an der Frontier bot es sich von daher an, Nation und Expansion mit getrennten Maßstäben zu messen: der im viktorianischen EmpireDiskurs ansonsten häufig anzutreffende Punkt, „Metropole“ und „Peripherie“ konstituierten ein einheitliches politisches Feld und seien vor allem im Kontext von Siedlerkolonien und Mutterland eng aufeinander angewiesen, relativierte sich nicht in seiner analytischen Qualität, wohl aber in seinem integrativen Potential.71 In dieser Hinsicht lässt sich am Beispiel Mills eine Scharnierstelle im britischen imperialen Denken feststellen, in deren Folge Mill stärker als seine Vorgänger, zugleich Einfluss ausübend auf seine Zeitgenossen im Empire eine universalgeschichtliche Kontinuität herausarbeitete, die sich mit Blick auf die Siedlerkolonien am klassischen Griechenland orientierte und nicht, wie ansonsten vorherrschend, am antiken Rom: „Like the Grecian colonies, which flourished so rapidly and so wonderfully as soon to eclipse 70 James Belich, Replenishing the Earth. The Settler Revolution and the Rise of the AngloWorld, 1783 – 1939, Oxford 2009. 71 Vgl. John Douglas, Imperial Federation from an Australian Point of View, Nineteenth Century 16/94 (Dez. 1884), S. 853 – 868; Arthur Mills, The Problem of Empire, I.– Imperial Federation, Fortnightly Review 37/219 (März 1885), S. 338 – 351; Alphaeus Todd, Parliamentary Government in the British Colonies, Boston 1880; Edward Wakefield, New Zealand and Mr. Froude, Nineteenth Century 20/114 (Aug. 1886), S. 171 – 182.
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the mother cities, this settlement will be formed by transplanting an entire society, and not a mere fragment of one.“72 Das hatte sich die Bewegung der kolonialen Reformer angelegen gemacht – Emigration in die unterbevölkerten Siedlungsgebiete war eine Methode, Kapital- und Arbeitsüberschuss in England zu einem und dem Mangel an verfügbarem Land zum zweiten zu begegnen. Mithin sollte nach Mills Auffassung der Kolonisationsprozess als ein systematischer, einer rationalen, utilitaristischen Ordnung folgend begriffen werden, nicht als einer, der dem Zufall überlassen war, wie später Seeley bekanntlich behauptete. Er folgte abstrakten Gesetzen, die ihrerseits praktische Regeln hervorriefen, von denen alle sozialen Schichten, auch die Arbeiterklasse, profitierten.73 Eine systematische Kolonisation in die Siedlungskolonien besaß wie die Aufhebung der Korngesetze erstens ein ungeahntes Potential für die britische Wirtschaft und die des Empires, zweitens eben jene verfassungsmäßigen Entwicklungsmöglichkeiten, an die das Völkerrecht nahtlos anknüpfen würde, und drittens war es Mill zufolge Ausdruck eines kolonialen Patriotismus, der sich durchaus ebenso mit Weltbürgerschaft arrangieren ließe, weil ihm die sozial-utopischen, republikanischen und antikapitalistischen Erträge der „terra nullius“ innewohnten. Aus diesen drei Axiomen konnte schließlich abgeleitet werden, was in utilitaristischer Absicht nationalen und internationalen Interessen nutzte. Mill betonte, dass ein Erfolg dieses Prozesses ohne die Expertise philosophischer Gesetzgebung nicht erreichbar sei. Repräsentativdemokratie und umsichtige Administration – im Fall Indiens schwebte ihm ein Idealbild der East India Company vor Augen – schufen eine Grundlage, auf der die Verbesserung der Menschheit („improvement of humanity“) aufbaute. Mit der zunehmenden Neugestaltung der Welt als eine Welt der Imperien, d. h. Weltreichen als Grundmuster staatlicher und zwischenstaatlicher Organisation, gewann das Kolonialsystem insgesamt für Großbritannien an unschätzbarer Bedeutung – und ebenso distanzierte es sich bei aller Zurückhaltung vom „Mutterland“ im Zeichen von Emanzipation durch „self-government“ bzw. „responsible government“.74 Von daher hatte die Beziehung einen voluntaristischen Gehalt, der unter anderem auf Benthams Aufruf an den französischen Nationalkonvent (1793) zurückgeht.75 Der Moment der paternalistischen Rechtfertigung der Kolonialherrschaft wurde gleichwohl aufrechterhalten, denn auch die Siedlungskolonien waren in erster 72
Zitiert aus Bell (Fn. 19), S. 39. Robert Stout, A Colonial View of Imperial Federation, Nineteenth Century 21/121 (März 1887), S. 351 – 361; Goldwin Smith, The Canadian Constitution, Contemporary Review 52 (Juli 1887), S. 5 – 20; George Denison, Canada and her relations to the empire, Westminster Review 144 (Juli 1895), S. 248 – 265. 74 Julius Vogel, Is it open to the colonies to secede?, Nineteenth Century 26/154 (Dez. 1889), S. 897 – 911; C. Gavan Duffy, How British Colonies Got Responsible Government, Contemporary Review 58 (Aug. 1890), S. 153 – 180. 75 Jeremy Bentham, Emancipate Your Colonies! Addressed to the National Convention of France, Anno 1793, Shewing the Uselessness and Mischievousness of Distant Dependencies to an European State, in: Philip Schofield/Catherine Pease-Watkin/Cyprian Blamires (Hrsg.), Rights, Representation, and Reform. Nonsense upon Stilts and Other Writings on the French Revolution, Oxford 2002, S. 289 – 315. 73
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Linie Ausdruck „legitimer“ politischer Gewalt. Das manifestierte sich besonders dramatisch in der irischen Geschichte, von der die viktorianischen liberalen Kolonialreformer behaupteten, sie sei viele Jahrhunderte von den Engländern derart dominiert worden, dass sich dadurch der „irische Charakter“ deformiert und zum Willen auf Selbstständigkeit unfähig erklärt habe. Dem schloss selbst Mill in seinen „Considerations on Representative Government“ (1861) sich an, wenn er argumentierte, dass Irland das voluntaristische Motiv nicht teile und prinzipiell weniger für die Gewalt des Kolonialherrschers als die des Kolonisierten stehe. Als sich das Gewaltmuster auf andere Siedlerkolonien, vor allem Kanada, zu übertragen schien, fühlte sich Mill in seiner pessimistischen Einschätzung bestätigt.76 Kolonisation, Zivilisation, Fortschritt: diese Begriffe waren für die Vision einer Ordnung des Empires von ausschlaggebender Bedeutung, aber sie waren nicht zuletzt im Zusammenhang der Siedlerkolonien, ob Australien oder Kanada, so zentral. Hier fand die Formierung des imperialen Charakters statt, der seinerseits über die Bezüge des Imperiums hinaus eine globale Gültigkeit beanspruchte. Mill rezipierte Wakefield so stark, im Übrigen ähnlich wie Marx, weil er aus dessen Konzept der Kolonisation völkerrechtliche Verbindlichkeiten einerseits und imperiale Souveränitäten andererseits in einem deduzierte. Aus diesem Grund blieb eine Distanz zwischen Mutterland und Kolonie/“Peripherie“ absichtlich gewahrt. Wie dem antiken griechischen Vorbild ablesbar, war die Distanz so beschaffen, dass Identitäten über die weiten Entfernungen hinweg, etwa zwischen Sydney und London, nur bedingt hergestellt werden konnten und sollten. Interessen, seien sie politische, wirtschaftliche oder militärische, konnten leichter geteilt als mögliche gemeinsame Wesensformen künstlich aufgebaut werden. So bildeten die Kolonien, und mit ihnen ihr völkerrechtliches Potential, Experimentierräume und Laboratorien.77 Weil die Siedlerkolonien aber noch so rezipiert wurden, als befänden sie sich allein in ihren Anfangsstadien, waren sie mit Hoffnung besetzt und mit Enttäuschung, wenn sich die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllten und in der kolonialen Alltagsgewalt untergingen. Wie ihr griechisches und so von Wakefield, dann von Mill und seinen Zeitgenossen entwickeltes Vorbildmodell verblieben sie in einer Unverbindlichkeit innerhalb des Empires, die erst die neuen Verbindlichkeiten des internationalen Rechts relativierten, um Frieden und Sicherheit zu garantieren: „The constant extension of the boundaries of law is one of the most striking facts in the history of mankind, and the reason is easily discovered in the imperious general need for peace and security.“78 76 John Stuart Mill, Considerations on Representative Government (1861), hg. von Harry Burrows Acton, London 1987, S. 409 – 428 (Kap. 18: Of the Government of Dependencies by a Free State). 77 Vgl. Thomas Baty, The basis of international law, Macmillan’s Magazine 78/466 (Aug. 1898), S. 279 – 283. 78 Leslie (Fn. 39), S. 101; vgl. außerdem: Saliha Belmessous (Hrsg.), Empire by Treaty. Negociating European Expansion, Oxford 2014; Lauren Benton, A Search for Souvereignty: Law and Geography in European Empires, 1400 – 1900, Cambridge 2010.
Innen und Außen in der Staats- und Völkerrechtswissenschaft des deutschen Kaiserreiches Von Jochen von Bernstorff, Tübingen Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist weltweit eine Zeit dramatischer gesellschaftlicher Transformationen. Das deutsche Kaiserreich als staatsrechtlich verfasste und völkerrechtlich mit seiner Außenwelt verbundene Ordnung ist Ergebnis und Akteur weltgeschichtlicher Umwälzungen. Globalhistoriker wie Jürgen Osterhammel haben eine durch technischen Fortschritt globalisierte Ökonomie, Nationalismus, Imperialismus und Rassismus als Triebkräfte weitreichender gesellschaftlicher Veränderungen in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ausgemacht. Hinzu kommen gesellschaftliche Wandlungsprozesse durch eine Reihe von neuen humanitären und sozialen Internationalismen, wie dem Pazifismus, dem Sozialismus und der Frauenrechtsbewegung. Das Recht stabilisiert nachholend, spiegelt, verzögert oder dynamisiert die transformativen Kräfte der Epoche. Als zunehmend autonomisiertes Reflektionssystem des öffentlichen Rechts beschreibt und kommentiert die deutsche Staats- und Völkerrechtswissenschaft dieses nun als „positiv“ definierte Recht. Die starke Trennung von Innen und Außen, so meine übergreifende These, ist eine wirkmächtige Erfindung einer dominanten Strömung der Staats- und Völkerrechtswissenschaft, die nur im Kontext der deutschen Nationalstaatsgründung zu verstehen ist. Es ist der deutsche Staatswillenspositivismus, der damit das hergebrachte Verständnis eines die Verfassungsordnungen natürlich umfassenden und ursprünglich interdynastischen ius publicum europaeum grundlegend revidiert. Im Wege einer Privatrechtsanalogie wird das Völkerrecht erst jetzt in aller Konsequenz als horizontales Rechtsverhältnis konzipiert – ein Koordinationsrecht souveräner Staatssubjekte. Zugleich entsteht diese Erfindung von Innen und Außen in einer Zeit, in der Verflechtungen zwischen Völkerrecht und Landesrecht quantitativ und qualitativ zunehmen. Innen und Außen lassen sich also in der Rechtspraxis aufgrund dynamischer Wandlungs- und Transformationsprozesse eigentlich immer schwieriger kategorial scheiden. Gespiegelt werden diese transformativen Entwicklungen wissenschaftlich in der berühmten Monographie Heinrich Triepels „Völkerrecht und Landesrecht“ aus dem Jahr 1899.1 Triepel versucht geradezu verzweifelt, die Umwälzungen der letzten drei 1 Carl Schmitt sah die Triepelsche Monographie von 1899 als einen Wendepunkt hin zu einer starken dualistischen Trennung von Innen und Außen in der deutschen Staats- und Völkerrechtswissenschaft. Tatsächlich schließt diese, wie unten dargelegt werden soll, wohl eher eine theoretische Entwicklung ab, die in den sechziger und siebziger Jahren des
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Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts in feste begriffliche Kategorien von einem klar getrennten Innen und Außen zu fassen und wird damit zum Begründer der sog. dualistischen Theorie. Drei rechtliche Entwicklungen und zeitgenössische Debatten möchte ich im Folgenden aus der Perspektive globaler Transformationen beschreiben: erstens die konstruierte Verwandlung des äußeren völkerrechtlichen Rechtsverhältnisses der deutschen Einzelstaaten untereinander in ein staatsrechtliches Binnenverhältnis – in der zeitgenössischen Literatur als Staatenbund/Bundestaatsdebatte verhandelt (I.). Der deutsche Einigungsnationalismus wirkte hier als politische Triebfeder und hinterlässt seine Spuren in der rechtswissenschaftlichen Debatte. Als zweites Beispiel sollen dann die Wirkungen des sich verdichtenden völkerrechtlichen Normbestands im innerstaatlichen Recht dienen (II.). Der große Beschleuniger war hier eine globalisierte Weltwirtschaft. Die Autoren reagierten auf die qualitativ und quantitativ zunehmenden Verflechtungen auf sehr unterschiedliche Weise. Die prominenten Vertreter des deutschen Staatswillenspositivismus insistierten auf einer klaren Trennung von völkerrechtlicher und staatsrechtlicher Geltung von angewandtem Völkervertragsrecht. Als drittes und letztes Schlaglicht werde ich auf den rechtlichen Status der deutschen Kolonien eingehen, in dem die Unterscheidung von Innen und Außen von der Reichsexekutive und der Literatur bewusst offen gehalten wurde (III.). In diesem Bereich wirkten Imperialismus und Rassismus als dynamische Kräfte.
I. Die Staatenbund-Bundestaatsdebatte Die begrifflich scharfe Bestimmung von Innen und Außen stellt für die Publizistik des Kaiserreiches eine geradezu existentielle Frage dar. Wie konnte wissenschaftlich erklärt werden, dass trotz der völkervertraglichen Anbahnung zwischen dem Norddeutschen Bund und den vormals unbestritten souveränen süddeutschen Einzelstaaten ein Bundestaat entstanden war? Wie wird aus äußeren völkervertragsrechtlichen Beitrittsabreden zu einer weitgehend erhaltenen Ordnung ein Innenrecht eines neuen Staates? Es ging bei diesen begrifflichen Herausforderungen um nicht weniger als das juristische Fundament des endlich errungenen Nationalstaats. Laband und Jellinek hatten wirkmächtige Stichworte geliefert. Völkerrechtliche Verträge waren nach ihrer Ansicht nicht in der Lage, einen neuen Staat zu schaffen, sondern führten bestenfalls zu einem Staatenbund mit voll-souveränen Einzelstaaten.2 Nur eine „That 19. Jahrhunderts ihren Anfang nimmt und eng mit dem staatsrechtlichen Begriffsapparat des deutschen Staatswillenspositivismus verbunden ist, C. Schmitt, Der Nomos der Erde, 1974, S. 183. 2 Hierzu Michael Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2, München 1992, S. 365 – 368; zur späteren Kritik der Kelsen Schule an der StaatenbundBundesstaatsdebatte des Kaiserreiches und ihrer Dichotomien Jochen von Bernstorff, Der Glaube an das universale Recht. Zur Völkerrechtstheorie Hans Kelsens und seiner Schüler, Baden Baden 2001 S. 109 – 113.
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der Nation“3 könne einen neuen Staat schaffen, der in der Lage sei, vormals souveräne Einzelstaaten in nicht-souveräne Gliedstaaten eines Bundesstaates zu verwandeln. Frühere Ansätze in der Literatur, die die Entstehung eines Bundesstaates durch einen völkerrechtlichen Vertrag als möglich erachtet hatten – zum Teil mit der Hilfskonstruktion des „konstitutiven Vertrages“ – wurden nun als unhaltbar kritisiert.4 Die Reichsgründung war aus juristischer Perspektive nun eine Umwandlung eines gleichberechtigten Außenverhältnisses in ein hierarchisches Innenverhältnis zwischen Bund und Gliedstaaten in einer neuen Gesamtordnung. Nach der „That der Nation“, d. h. der Staatsgründung, die für Jellinek etwas Faktisches war, wird die völkerrechtliche Ordnung zu einer staatsrechtlichen Ordnung. Man könnte auch von einer nationalen „Wesensverwandlung“ bzw. „Transsubstantiation“ sprechen. Auch das auf die vertraglichen Abreden folgende Verfassungsgesetz des Reiches vollzieht für diese Ansicht diese nationale Eucharistiefeier nur nach. Das weit verbreitete existentielle Verständnis von den Umständen der Reichsgründung zeigt sich in den Äußerungen des konservativen Abgeordneten Wagener aus Neustettin während der Verhandlungen zur Reichsverfassung aus dem Jahr 1870: „Meine Herren, es ist nicht von ungefähr, dass diese Verfassung aus dem Feldlager des deutschen Volkes kommt; […] aus dem Feldlager, wo jetzt das ganze Deutschland den Erbfeind niedergeschlagen hat – meine Herren, daher haben wir diese Verfassung.“5
Durch die Überhöhung der nationalen Einigung als eine „Tat“ des deutschen Volkes wurde die Abgrenzung zwischen Völkerrecht und nationalem Recht begrifflich schärfer konturiert; was in der Rechtspraxis vielfach verwoben und bis dahin für weite Teile der Literatur zusammengehört hatte, wurde nun begrifflich getrennt. Ein fließender Übergang zwischen vertraglichen und verfassungsrechtlichen Staatenverbindungen war mit Laband und Jellinek konzeptionell genauso ausgeschlossen wie die frühere Vorstellung einer geteilten Souveränität zwischen Bund und Einzelstaaten. Freilich blieben trotz oder gerade wegen dieser begrifflichen Schärfung der Konturen viele ungelöste Rechtsfragen, bei denen die Laband und Jellinek folgende Literatur dann wieder Zugeständnisse an die klare Trennung zwischen Völkerrecht und staatlichem Recht machen musste. Wie passte z. B. die Tatsache ins Bild, dass die Reichsverfassung in einzelnen Normen selber auf die Weitergeltung spezieller Klauseln aus den vertraglichen Abreden des norddeutschen Bundes mit den einzelnen süddeutschen Staaten verwies bzw. diese ohne Zustimmung des betroffenen Gliedstaates für unabänderlich erklärte?6 Und wie ließ sich konzeptionell verarbeiten, dass viele wichtige völkervertragsrechtliche Abreden zwischen den Gliedstaaten unver3
Georg Jellinek, Die Lehre von den Staatenverbindungen, Wien 1882, S. 285. Siehe die Übersicht über die Literatur bei Godehard Josef Ebers, Die Lehre vom Staatenbunde, Breslau 1910, S. 287. 5 Ernst Bezold (Hrsg.), Materialien der deutschen Reichsverfassung, Bd. 3, Berlin 1873, S. 190. 6 Art. 78 Abs. 2, hierzu Carl Heinrich Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, Leipzig, 1899, S. 133. 4
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ändert weiterbestanden7 und insgesamt natürlich viele völkerrechtliche „staatenbündische“ Charakteristika der alten Ordnung im Reich erhalten geblieben waren?8 Insgesamt führte die Überhöhung des nationalen Ereignisses in der Literatur zu einer begrifflichen Abgrenzung zwischen dem „nationalen“ Bundesstaat und dem überwundenen völkerrechtlichem Staatenbund und damit zu einer begrifflichen Dichotomie, die der eng verflochtenen staats- und völkerrechtlichen Rechtspraxis des Reiches kaum entsprach, sich aber dennoch durchsetzte.
II. Die Staats- und Völkerrechtswissenschaft des Kaiserreiches und die Verdichtung des völkerrechtlichen Normbestands als Folge ökonomischer Globalisierungsprozesse Von Beginn an erfassten die rechtsintegrativen Wirkungen zunehmender weltwirtschaftlicher Verflechtungen das Kaiserreich bzw. seine Gliedstaaten. Diese insbesondere über das Völkervertragsrecht gesteuerten Prozesse hoben Grenzen zwischen Innen und Außen zunehmend auf und stellten damit die rechtswissenschaftliche Literatur vor neue begriffliche Herausforderungen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhöhte sich die Regelungsdichte und Tiefe des Völkerrechts rasant. Triebfeder war die von Wirtschaftshistorikern für diese Phase identifizierte sog. erste ökonomische Globalisierung.9 Das Völkerrecht drang nun unter dem Primat ökonomischer Regulierungsbedürfnisse spürbar in das alltägliche Leben der Menschen in Europa und allen anderen Kontinenten ein. Es lassen sich schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts regionale und globale ökonomische Integrationsprozesse beobachten, die über das Völkerrecht konstituiert und vom nationalen Recht verarbeitet und stabilisiert wurden. Auf regionaler Ebene ist der deutsche Zollverein ein gutes Beispiel für eine regionale Freihandelsordnung, die nicht nur das Außenhandelsvolumen der beteiligten Staaten steigerte, sondern auch zu einer Harmonisierung der einzelnen Rechtsordnungen beitrug. Zu dem zwischenstaatlichen bzw. im Ursprung interdynastischen Recht der europäischen Großmächte, dem ius publicum europaeum, trat ab den 1850er Jahren ein internationales Regulierungs- und Wirtschaftsrecht hinzu, welches Völkerrecht, nationales öffentliches Recht und Privatrecht verband. Auch im deutschsprachigen Raum wurde nach der Gründung des Institut de 7
Mit Übersicht über die Literatur: Triepel (Fn. 6), S. 247 – 250. Wie z. B. das Recht der Gliedstaaten ausländische Gesandten zu empfangen und eigene zu entsenden. 9 Siehe hierzu auch aus ökonomischer Perspektive den Sammelband Rainer Klump/Milosˇ Vec (Hrsg.), Völkerrecht und Weltwirtschaft im 19. Jahrhundert, 1. Aufl., Baden-Baden 2012; Sebastian Conrad/Jürgen Osterhammel (Hrsg.), Das Kaiserreich transnational, Göttingen 2004; Cornelius Torp, Weltwirtschaft vor dem Weltkrieg. Die erste Welle ökonomischer Globalisierung vor 1914, HZ 279 (2004), S. 561; Steiger spricht von Verdichtungsprozessen im 19. Jahrhundert, Heinhard Steiger, Entwicklung des Völkerrechts 1815 bis 1945 im Spiegel seiner Quellen, Der Staat 34 (1995), S. 130 (135). 8
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Droit International 1873 nicht zufällig neben der Bezeichnung „Völkerrecht“ die des „internationalen Rechts“ immer gebräuchlicher, um die als modern empfundenen regulativen Dimensionen des Rechtsgebietes besser zu beschreiben.10 Auch bildete das Völkerrecht mit den sog. Verwaltungsvereinen nun zum ersten Mal eigene Organe aus, um kontinuierlich Standards im Kommunikations-, Verkehrs-, Finanz-, Urheberrechts- und Sanitätswesen zu vereinheitlichen.11 Lorenz von Stein sprach im Hinblick auf die neueren Regulierungs- und Kooperationsformen vom „internationalen Verwaltungsrecht“.12 Auch über das klassische bilaterale Vertragsrecht wurden z. B. im Wege von weltweiten Handels- und Konsularverträgen nun intensiviert ökonomische Interessen durchgesetzt. Dazu gehört insbesondere der Schutz der eigenen Investoren vor Enteignungen im Ausland. Hinzu kommt die Zunahme von zwischenstaatlichen schiedsgerichtlichen Streitbeilegungsmechanismen, die im 19. Jahrhundert ebenfalls vor allem ökonomischen Bedürfnissen folgte. Nicht zufällig war Großbritannien auch hier als ökonomisch führende Welthandelsmacht zusammen mit den USA Schrittmacher dieser Entwicklung. Das Völkerrecht verdichtete also seinen bilateralen und multilateralen Normbestand und experimentierte mit neuen Regulierungs- und Kooperationsformen, die tief in das nationale Recht einwirkten. Ich möchte die vor allem ökonomisch induzierten intensivierten Verflechtungen des Völkerrechts mit der Rechtsordnung des Deutschen Reiches im Folgenden an zwei rechtlichen Phänomenen und ihrer Verarbeitung in der Literatur veranschaulichen: Zum einen die Praxis der Publikation völkerrechtlicher Verträge im Gesetzes- und Verordnungsblatt in Zeiten eines rasanten Anstiegs der Bedeutung des Völkervertragsrechts und zum Anderen die Einwirkungen völkerrechtlicher bzw. transnationaler Standards auf das nationale Recht, vor allem im Bereich des Fremdenrechts und des internationalen Wirtschaftsrechts. 1. Die Kritik an der Publikationspraxis des Reiches Einen guten Einblick in das Verhältnis von Völkerrecht und staatlichem Recht im Kaiserreich vermittelt die Debatte um die Praxis der Publikation von völkerrechtlichen Verträgen im Gesetzes- und Verordnungsblatt. Völkerrechtliche Verträge wurden gemäß Art. 11 Abs. 1 Reichsverfassung vom Kaiser verhandelt und ratifiziert. Verfassungsrechtlich waren nach Art. 11 Abs. 3 der Reichsverfassung hierfür die Zustimmung des Bundesrates und Genehmigung des Reichstages erforderlich, wenn 10 August von Bulmerincq, Das Völkerrecht oder das internationale Recht, 2. Aufl., Freiburg i.Br. 1889. 11 Aus zeitgenössischer Sicht Paul S. Reinsch, International Unions and their Administrations, I AJIL 1907, S. 579; zu diesem Prozess im Überblick, Christian Tietje, History of Transnational Administrative Networks, in: Olaf Dilling/Martin Herberg/Gerd Winter (Hrsg.), Transnational Administrative Rule-Making – Performance, Legal Effects, and Legitimacy, Oxford/Portland 2011, S. 23. 12 Lorenz von Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, 1. Theil, 3. Aufl., Stuttgart 1887, S. 262 – 267.
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Gegenstände der Reichsgesetzgebung betroffen waren. Was die Umsetzung dieser Verträge betrifft, so hatte das Reich die ursprünglich preußische Praxis übernommen. Gemäß dieser Praxis wurden alle abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge unabhängig von der Frage des internen parlamentarischen Genehmigungserfordernisses im Reichsgesetzblatt abgedruckt. Jeder völkerrechtliche Vertrag erschien so ohne Ratifikationsurkunde und unkommentiert in seiner paraphierten Fassung im Reichsgesetzblatt, auch wenn vorher neben dem Kaiser keine Gesetzgebungsorgane des Reiches in den Vertragsabschluss oder deren Umsetzung involviert waren. Mit dieser Publikation begriffen die Rechtsanwendungsorgane des Kaiserreiches den Vertrag grundsätzlich als geltendes, von den Gerichten anwendbares Recht. Wenn der Vertrag explizit Gesetzgebungsmaßnahmen des Reiches vorsah, so wurden diese in der Regel durch weitere Umsetzungsakte vorgenommen, ansonsten aber waren weitere explizite Umsetzungsakte verfassungsrechtlich nicht erforderlich. Sie standen also im Ermessen der Rechtsetzungsorgane des Reiches. Das Reichsgericht bezog sich in ständiger Rechtsprechung auf die im Reichsgesetzblatt verkündeten Verträge, auch wenn keine weiteren innerstaatlichen Transformationsakte vorgenommen worden waren.13 Auch der Verordnungsgeber setzte völkerrechtliche Verträge direkt um, wenn diese konkrete nationale Ausführungsbestimmungen vorsahen oder notwendig machten. Ein weiteres Reichsgesetz wurde in der Verfassungspraxis hierfür nicht für erforderlich gehalten.14 Vermehrt ging die Vertragspraxis in dieser Zeit zudem dazu über, detaillierte Ausführungsregeln in völkerrechtliche Verträge bzw. sog. Zusatzkonventionen aufzunehmen. Diese wurden von den Reichsbehörden häufig wie Verwaltungsvorschriften direkt angewandt.15 Die Verflechtungen zwischen Völkervertragsrecht und staatlichem Recht nehmen also in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowohl in Preußen als auch in den Ordnungen des Norddeutschen Bundes und des Kaiserreiches nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zu.16 Unter den Vorzeichen des Staatswillenspositivismus wurde die Innen und Außen verschränkende Rechtspraxis gegen Ende des Jahrhunderts für die Literatur 13
So sah das Reichsgericht in seiner Entscheidung vom 24. Januar 1898, im Abdruck eines streitentscheidenden völkerrechtlichen Vertrages im Reichsgesetzblatt eine rechtswirksame Verkündung, „weil es nach der bekannten Einrichtung des die Herstellung und die Ausgabe des Reichsgesetzblattes betreffenden Verfahrens nicht zweifelhaft sei, dass die Bemerkung hinsichtlich der Ratifikation mit Billigung der obersten Reichsbehörde erfolgt sei, ihre Richtigkeit also von dieser anerkannt werde“; Beilage zum Reichsanzeiger 1898, S. 125 ff. 14 Hierzu Paul Laband, Das Staatsrecht des deutschen Reiches, Bd. 2, 4. Aufl., Tübingen 1901, S. 153, der die Genehmigung des Reichstages gemäß Art. 11 Abs. 3 Reichsverfassung hierfür als ausreichend ansieht (dort mit Bezug auf die Verordnung vom 4. Juli 1883, Reichsgesetzblatt S. 153 zur Ausführung der Reblaus-Konvention). 15 Laband (Fn. 14), S. 153 mit zahlreichen Beispielen in Fn. 4, Beispiele wären der Ausführungsvertrag zum Weltpostvereinsvertrag oder Ausführungsverträge zu bilateralen Auslieferungsverträgen. 16 Zur Quantität siehe die empirische Übersicht bei C. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 1. Aufl., Berlin 2001, S. 122 – 124.
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zu einem Problem. Sie insistierte in der Folge immer stärker auf einer klareren Trennung von Völkerrecht und staatlichem Recht. Die oben dargestellte vertragsgesetzliche Publikationspraxis, die keinen expliziten Aufschluss darüber gibt, ob der Vertrag oder einzelne Bestandteile desselben damit in staatliches Recht umgewandelt wurde, wird im Kaiserreich zum Gegenstand staatsrechtlicher Polemik.17 Dass eine Umwandlung in Landesrecht erfolgen müsse, wird spätestens von Triepel dogmatisch vorausgesetzt. Die hergebrachte Annahme einer direkten Wirkung des Völkerrechts als Völkerrecht auch im innerstaatlichen Rechtsraum scheint Ende des Jahrhunderts trotz ihrer Praxisnähe wissenschaftlich diskreditiert. Triepel fordert 1899 in seiner Kritik an der Publikationspraxis eine stärkere begriffliche Abgrenzung zwischen der genuin völkerrechtlichen Vertragssphäre und der staatsrechtlichen Gültigkeit des Inhaltes des Vertrages ein:18 „Es ist demnach schlechterdings keine Antwort auf unsere Frage, wenn man sagt, der Vertragsinhalt werde auf jene Weise zum Inhalte eines formellen Gesetzes. […] Nun ist aber der in Preussen und im Reiche übliche Modus der Vertragspublikation alles andere als die Form der Gesetzgebung, und es bliebe geradezu zu untersuchen, ob trotz der mangelnden Gesetzesform hier dasselbe entstehen kann wie dort, wo die Form gewahrt ist. Setzt man sich hierüber aber einmal hinweg, so fragt es sich ja für uns in allererster Weise, was durch die Vertragspublikationen statt zu formellem Gesetz zu materiellem Landesrecht wird.“
Wie die Unzufriedenheit an der Publikationspraxis des Reiches beispielhaft veranschaulichen kann, reagierten führende Stimmen der Staatsrechtswissenschaft auf die zunehmenden Verflechtungen zwischen Völkervertragsrecht und der nationalen Rechtspraxis durch den Versuch, Abgrenzungen zwischen Innen und Außen stärker begrifflich zu konturieren. Die Annahme eines natürlichen Zusammenhangs zwischen Völkerrecht und Landesrecht im Sinne einer Geltung des Völkerrechts als Völkerrecht im innerstaatlichen Rechtsraum überzeugte nicht mehr.19 Bei der Kritik des jungen Triepel wirken diverse Grundannahmen der Gerber-Laband Schule nach.20 Das gilt vor allem für das Verständnis des staatlichen Rechts als vertikales Herrschaftsrecht und das Verständnis vom Bürger als Objekt staatlicher Herrschaft.21 Außerhalb des Staat-Bürger Verhältnisses kann der Bürger nicht rechtlich verpflichtet oder berechtigt werden. Das Völkerrecht wird bei Triepel als ein rein zwischenstaatliches Recht konzeptionalisiert. Es kann ohne staatlichen Umsetzungsakt nicht in das exklusive und vertikal konzipierte Staat-Bürger Verhältnis eindringen. Dass die völ17
Mit einem Überblick über die Literatur Triepel (Fn. 6), S. 390 in Fn 1. Triepel (Fn. 6), S. 391. 19 Zum Methodenwandel im Blick auf das internationale Verwaltungsrecht C. Tietje, Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 1. Aufl., Berlin 2001, S. 86 ff. 20 So sieht es Triepel rückblickend selbst: C.H. Triepel, Staatsrecht und Politik, Berlin/ Leipzig 1929, S. 9; hierzu Tietje (Fn. 19), S. 91 – 98; Walter Pauly, Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, Tübingen 1993, S. 209; Ulrich M. Gassner, Heinrich Triepel, Berlin 2010, S. 447. 21 Zu den Grundannahmen Gerbers und seiner juristischen Methode Stolleis (Fn. 2), S. 335 – 337. 18
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kerrechtliche Vertragspraxis seiner Zeit allerdings in zahlreichen Fällen genau gegenteilig verfährt, wird von Triepel als „laxe Praxis“ kritisiert. Folgendes Zitat illustriert damit auch den Glauben der deutschen Staatsrechtswissenschaft am Ende des 19. Jahrhunderts an die Kraft der eigenen Begrifflichkeit, die nach ihrem Selbstverständnis offensichtlich gegenläufige Tendenzen aus der Rechtspraxis nicht zu fürchten brauchte: „Allerdings bietet das positive Material gerade in dieser Hinsicht erhebliche Schwierigkeiten. Denn selten weisen die zwischenstaatlichen Vereinbarungen, die ich hier vornehmlich im Auge habe, eine äußere Fassung auf, die der wahren Natur der Verhältnisse entspricht. Ein Blick in jeden der für unser Jahrhundert so charakteristischen Niederlassungs-, Handels-, Schiffahrtsverträge und viele andere zeigt, dass die einzelnen auf die ,Verhältnisse‘ der Staatsangehörigen zugeschnittenen Bestimmungen durchweg ihrer Form nach diesen Individuen Fähigkeiten, Rechte und Verbindlichkeiten beilegen. Ja, diese Fassung ist häufig – und vielleicht nicht ohne Absicht – von vorneherein so gewählt, dass sie der Form einer gebietenden, verbietenden, gewährenden Satzung des Landesrecht wie ein Haar dem anderen gleicht.“22
Triepel versuchte also durch seine Monographie, die seiner Konstruktion zuwiderlaufende Vertragspraxis rechtswissenschaftlich auf ihren „wahren“, d. h. auf ihren rein zwischenstaatlichen rechtlichen, Gehalt reduzieren. 2. Die Staats- und Völkerrechtswissenschaft und die Entstehung eines globalen Fremden- und Wirtschaftsrechts Ein wichtiges, aber in der zeitgenössischen Literatur wenig beachtetes rechtliches Verflechtungsphänomen zwischen Innen und Außen im 19. Jahrhundert ist die Ausbildung eines basalen und global weitgehend vereinheitlichten und durch die nationalen Rechtsordnungen abgesicherten Rechts des internationalen Wirtschaft. Die englische völkerrechtliche Literatur des 19. Jahrhunderts spricht vom law merchant oder teilweise auch von der lex mercatoria.23 Der prominente englische Rechtswissenschaftler Bell definiert das law merchant 1883 wie folgt: „The law merchant is a part of the law of nations founded upon the principles of natural equity, as regulating the transactions of men who reside in different countries and carry on the intercourse of nations.“24
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Triepel (Fn. 6), S. 21. James Lorimer, The Institutes of the Law of Nations Volume 1, Aalen 1980, S. 379. 24 Bell, Commentaries, Introduction, S. 5, zitiert nach Lorimer (Fn. 23), S. 379. Die lex mercatoria in ihrer heutigen Ausprägung hat in den letzten beiden Jahrzehnten bei Anhängern pluralistischer Rechtskonzeptionen viel rechtstheoretische Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Gunter Teubner hat im Blick auf die lex mercatoria in den neunziger Jahren von einem „global law without a state“ gesprochen; Teubner, „Global Law without a State“ (1999). Ob das für die heutige Zeit die richtige Umschreibung ist, kann hier dahingestellt bleiben. Für das „law merchant“ des 19. Jahrhunderts ist eher das Gegenteil der Fall. Es gibt hier trotz der 23
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Das law merchant basierte inhaltlich auf grundlegenden Prinzipien des nationalen Privatrechts der europäischen Großmächte, insbesondere die britische, aber auch die französische und deutsche Privatrechtstradition standen hier Pate. Trotz aller Differenzen in der nationalen Anwendung ruhte das law merchant zudem auf völkerrechtlichen Grundsätzen, es war gleichsam völkerrechtlich verfasst. Teilweise wird es von den zeitgenössischen Autoren auch ganz einfach dem Völkerrecht zugerechnet.25 Das sog. völkerrechtliche Fremdenrecht bot als gewohnheitsrechtlicher Grundsatz hier eine normative Grundlage, die dem Fremdem, d. h. vor allem dem ausländischen Händler, basale Rechte zusprach.26 Dazu gehörte vor allem das Recht des Ausländers auf ein faires Verfahren vor den nationalen Gerichten, zentrale habeas corpus Rechte, Bekenntnisfreiheit und der Schutz vor willkürlichen Enteignungen.27 Das Völkerrecht sollte somit „die elementaren Voraussetzungen des internationalen Verkehrs“,28 einschließlich der freien Religionsausübung der Gesandten und der ausländischen Kaufleute sicherstellen. Dieser fremdenrechtliche Mindeststandard geht häufig schon im 18. Jahrhundert in die nationalen europäischen Rechtsordnungen ein, ohne dass in der Regel seine völkerrechtliche Provenienz noch sichtbar wäre.29 Das law merchant des 19. Jahrhunderts kann auf dieser Grundlage als grenzüberschreitendes Rechtsphänomen eine gewisse Autonomie ausbilden, ist aber sowohl völkerrechtlich als auch durch das nationale Recht staatlich rückgebunden. Das Zentralprinzip ist nach zeitgenössischer Betrachtung der Schutz von „Treu und Glauben“30 bzw. die „Fairness“ im internationalen Handels- und Warenverkehr, welche im Zweifel auch gegen Details des nationalen Rechts durchzusetzen ist. Hugo Preuß beschreibt diese sich zwischen Formalität und Informalität bewegenden Rechtsphänomene 1891 wie folgt: „Ist das Völkerrecht nach meiner obigen Formulierung – die rechtliche Form zur Sicherung derjenigen Lebensbedingungen der staatlich organisierten Gesellschaft, welche zu ihrer materiellen Befriedigung der Weltwirtschaft bedürfen […]. Da entwickelt sich neben dem ausdrücklich formulierten Recht ein stillschweigend anerkanntes, dessen Kern die bindende Kraft von Treu und Glauben bildet.“31
behaupteten quasi-naturrechtlichen Provenienz viele Verbindungen zum geschriebenen staatlichen Recht. 25 Lorimer (Fn. 23), S. 379. 26 Zum Fremdenrecht aus zeitgenössischer Sicht: Karl Theodor Pütter, Das praktische europäische Frendenrecht, Leipzig 1845; August Wilhelm Heffter, Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart auf den bisherigen Grundlagen, 8. Ausgabe, bearbeitet von F. Heinr. Geffken, Berlin 1888, S. 132. 27 Siehe als eine zeitgenössiche deutsche Darstellung des Fremdenrechts Pütter (Fn. 26). 28 Hugo Preuss, Gesammelte Schriften, Bd. 2, Tübingen 2009. 29 Preuss (Fn. 28), S. 450. 30 Preuss (Fn. 28), S. 447; das ist im Übrigen auch der tiefere historische Sinn der bis heute anerkannten sog. allgemeinen Rechtsgrundsätze als eigenständiger Rechtsquelle des Völkerrechts neben dem Völkergewohnheits- und dem Völkervertragsrecht. 31 H. Preuss (Fn. 28), S. 447.
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Preuss kommt 1891 zu dem Schluss, dass das deutsche Handelsrecht nicht nur mit diesen völkerrechtlichen Rechtsgrundsätzen übereinstimme, sondern diese auch mitgeprägt habe.32 In der Völkerrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts wurde an der Beachtung dieser ungeschriebenen Regeln zudem häufig gemessen, ob ein Staat als zivilisiertes Gemeinwesen angesehen werden konnte. In Europa galt dieser Standard als selbstverständlich und war überwiegend im nationalen Recht abgesichert, außerhalb Europas wurde er im Zweifel auch mit Zwang durchgesetzt. Insbesondere Japan und China, die phasenweise versuchten, sich der Öffnung ihrer Volkswirtschaften für den ausländischen Handel zu widersetzen, wurden sog. ungleiche Verträge aufgezwungen, die diese Mindestgarantien für Gesandte und Kaufleute oktroyierten.33 Auch liberale Vertreter der deutschen Staats- und Völkerrechtswissenschaft hielten dieses Vorgehen für gerechtfertigt.34 Im Hinblick auf einen Staat wie China, der versuche, Fremden den Zutritt zu verwehren, spricht z. B. Robert von Mohl von einem „Feinde des Menschengeschlechts“, der mit Gewalt zur „Aufhebung seiner Verkümmerung der natürlichen Lebenszwecke genöthigt werden“ könne.35 Unter den Wirkungen einer globalisierten Weltwirtschaft lösen sich im Bereich des Wirtschafts- und Handelsrechts sowohl Grenzen zwischen Völkerrecht und nationalem Recht als auch Grenzen zwischen den nationalen Rechtsordnungen durch Harmonisierungsprozesse auf. Der Staatswillenspositivismus des Kaiserreiches kann solche evolutiven Integrationsprozesse begrifflich nur mit großen Schwierigkeiten abbilden.36 Nicht nur bei Triepel werden diese Rechtsphänomene auf Fragen des anwendbaren Rechts reduziert, die durch das (deutsche) internationale Privatrecht geregelt werden. Auch aus dem „internationalen Verwaltungsrecht“ eines Lorenz von Stein wird bei Neumeyer zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter demselben Titel ein nationales Verwaltungsjurisdiktionsabgrenzungsrecht nach dem Vorbild des internationalen Privatrechts.37 Hugo Preuss stellt mit seiner beeindruckenden rechtssoziologischen Studie „Das Völkerrecht im Dienste des Wirtschaftslebens“ eine Ausnahmeerscheinung in der deutschsprachigen Literatur des Kaiserreiches dar und ist nicht zufällig kaum rezipiert worden.38 Er erkennt die transformative Kraft der „Weltwirtschaft“ und sieht das Völkerrecht als eine praktisch vollständig an öko32
H. Preuss (Fn. 28), S. 447. Anne Peters, Unequal Treaties, Max Planck Encyclopedia of Public International Law (http://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690e1495?prd=EPIL). 34 Stefan Kroll, Internationales Finanzrecht im ausgehenden 19. Jahrhundert, in: Klump/ Vec (Fn. 9), S. 164. 35 Robert von Mohl, Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Monographien, Erster Band, Staatsrecht und Völkerrecht, Tübingen 1860, S. 627, zitiert nach Kroll (Fn. 34), S. 164. 36 Vgl. Schmitt (Fn. 1), S. 208 – 210. 37 Zur Verengung der Perspektive auf die internationale Verwaltung bei Triepel und Neumeyer Tietje, (Fn. 19), S. 90 – 98; zur Rezeptionsgeschichte des internationalen Verwaltungsrechts in Deutschland Stolleis (Fn. 2), S. 410. 38 H. Preuss, Das Völkerrecht im Dienste des Wirtschaftslebens (1891), in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, Tübingen 2009, S. 426. 33
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nomischen Regulierungsbedürfnissen ausgerichtete Ordnung. Auch die alte deutsche Debatte über die verbindliche Kraft des Völkerrechts in Ermangelung überstaatlicher Institutionen der Rechtssetzung und Durchsetzung verliert für ihn aus der ökonomischen Perspektive seine Bedeutung: „Dagegen ist das moderne Völkerrecht in diesen Zustande der Vollreife zur Zeit nicht eingetreten; das internationale Recht besitzt in der internationalen Gemeinschaft keine analoge Organisation wie das Recht im Staate. Daher ist die bestimmende Einwirkung der wirtschaftlichen Bedürfnisse auf das Völkerrecht noch eine unmittelbare und unverhüllte; jener innere Zwang der rechtlichen Sicherung der wirtschaftlichen Lebensbedingungen – beim Mangel des äußeren Zwanges einer Organisation die einzige und direkt schöpferische Macht. Keineswegs wird jedoch dadurch der spezifische rechtliche Charakter des Völkerrechts irgendwie zweifelhaft; Im Gegenteil erscheint die für alles Recht im Grunde maßgebende rechtschaffende Kraft des Wirtschaftslebens, welche in dem späteren Entwicklungsstadium der anderen Rechtsgebiete verhüllter und daher schwerer erkennbar ist, beim Völkerrecht in geradezu paradigmatischer Klarheit und Reinheit. Ist für die tiefere wissenschaftliche Erfassung des Rechts überhaupt die ökonomische Betrachtung notwendig, kann nur sie die Jurisprudenz vor Erstarrung zu leerem Formelkram bewahren, so bedarf das Völkerrecht sofort und unmittelbar dieser ökonomischen Betrachtung, ist ohne sie völlig haltlos. Das Völkerrecht wurzelt direkt im Wirtschaftsleben.“39
In optimistischen Ton beschreibt Preuss die europäischen Staaten als eine ökonomische Interessengemeinschaft, die durch das Völkerrecht realisiert werde, welches „strukturbildend“ auf die nationalen Rechtsordnungen einwirke.40 Die ökonomische Rationalität der „Weltwirtschaft“ wird bei ihm zum eigentlichen Geltungsgrund des Völkerrechts. Dabei werden potentielle ökonomische Interessengegensätze der europäischen Staaten zwar nicht völlig ausgeblendet, Preuss hält diese jedoch in einer liberal-optimistischen Weltsicht für überwindungsfähig, wenn die Staaten realisieren, dass alle letztlich von ökonomischer Kooperation, insbesondere dem Freihandel, profitierten. Ungeachtet des zeittypisch eurozentrischen Zugangs Preuss, der die Auswirkungen des Welthandels auf die ökonomisch ausgebeuteten Kolonialvölker mit keinem Wort erwähnt, bietet diese Studie eine bemerkenswerte und im deutschen Schrifttum wohl einzigartige Analyse der Zusammenhänge zwischen ökonomischer Globalisierung, Völkerrecht und staatlichem Recht im 19. Jahrhundert.41 Die britische Völkerrechtswissenschaft nimmt im Gegensatz zur kontinentaleuropäischen Völkerrechtswissenschaft das law merchant als ein internationales Recht der Kaufleute mit in die gängigen Völkerrechtslehrbücher auf und verwebt dessen Grundsätze mit dem britischen Privatrecht.42 Mit ihrem starken Bewusstsein für Gewohnheit und Präzedenzen und ihrer Verbundenheit mit dem Naturrecht eignet 39
Preuss (Fn. 38), S. 435 – 436. Preuss (Fn. 38), S. 39; hierzu Kroll (Fn. 34), S. 155. 41 Vgl. zu dieser Studie Rudolf Stichweh, Dimensionen des Weltstaates im System der Weltpolitik, in: M. Albert/R. Stichweh (Hrsg.), Weltstaat und Weltstaatlichkeit. Beobachtungen globaler politischer Strukturbildung, Wiesbaden 2007, S. 27; Kroll (Fn. 34), S. 154 – 155. 42 Lorimer (Fn. 23), S. 379. 40
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sich die common law-Tradition besonders gut, um ein grenzüberschreitendes Phänomen wie das law merchant abzubilden. Überhaupt sind die ökonomischen Dimensionen des Konsularrechts, des Fremdenrechts und der sog. Kapitulationen, sowie des Seerechts und der Völkerrechtsordnung insgesamt in der britischen Literatur viel präsenter als im deutschsprachigen Raum; in aller Regel natürlich bewusst affirmatorisch, um die globalen Handelsinteressen Englands rechtlich abzusichern. Die britische Völkerrechtswissenschaft ist die eines global vernetzten Imperiums, wohingegen die deutsche diejenige eines jungen, aber mächtigen Nationalstaates ist. Der deutschen Staats- und Völkerrechtswissenschaft geraten gegen Ende des Jahrhunderts sowohl die stärkeren europäischen Verflechtungen im Regulierungsbereich als auch die völkerrechtlichen und privatrechtlichen Harmonisierungsphänomene immer stärker aus dem Blick. Oder, vorsichtiger formuliert, wenn sie in Einzelstudien wie der von Hugo Preuss bearbeitet werden, fand dies wenig Widerhall in der Disziplin.
III. Die deutsche Staats- und Völkerrechtswissenschaft und der Status der Kolonien Die deutschen Kolonien wurden vom Gesetzgeber als „Schutzgebiete“ tituliert.43 Sowohl die völkerrechtliche als auch die staatsrechtliche Einordnung des Status der deutschen Kolonien blieb in der Literatur dabei unklar. Das hängt zum einen mit dem Gesetz über die Schutzgebiete selbst zusammen, welches die Frage nach dem Innen und Außen bewusst in der Schwebe hält. Völkerrechtlich sollte das Schutzgebiet zum Reich gehören, d. h. insbesondere sollte gegenüber anderen Kolonialmächten eine exklusive Zugriffsmöglichkeit bestehen.44 Zwei Erwerbstitel für diese ausschließlichen Sonderrechte kamen nach zeitgenössischem Völkerrecht in Betracht. Entweder die effektive Okkupation von herrenlosem Gebiet oder eine völkervertraglich eingeräumte Übernahme von Hoheits- und Schutzrechten. Da in aller Regel Verträge durch die Kolonialgesellschaften oder den Kaiser selbst mit Stammeshäuptlingen geschlossen worden waren, lag zunächst der derivative Erwerb von Hoheitsrechten aus völkerrechtlicher Sicht am Nächsten. Allerdings scheute die ganz überwiegende deutsche Literatur vor der Annahme eines derivativen Erwerbs zurück und vertrat stattdessen die Theorie von der Okkupation herrenlosen Gebietes.45 Holtzendorff benennt in seinem einflussreichen Handbuch des Völkerrechts den Grund für die Ablehnung des derivativen Erwerbs prägnant: „Auch freiwillige Abtretung von Raumflächen durch wilde Völkerstämme oder von Häuptlingen erscheint in der Hauptsache 43
S. 75. 44
Gesetz betreffen die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, RGBl. 1886,
P. Laband, Deutsches Reichsstaatsrecht, Bd. 1, 5. Aufl., Tübingen 1909, S. 194 ff. Jörg Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, Wiesbaden 1984, S. 297– 311. 45
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doch nur als Scheingeschäft, weil den dabei beteiligten Barbaren die fundamentalen Vorstellungen von Staat, Gebiet, Grundeigenthum und Hoheitsrecht völlig fehlen.“46 Zudem schien die bei der Annahme eines derivativen Erwerbs implizite Anerkennung der „Barbaren“ als gleichwertige Vertragspartner für die meisten Autoren unannehmbar zu sein. Aber auch der Erwerb durch „Occupation“ bedurfte eines gewissen völkerrechtlichen Argumentationsaufwandes. Das okkupierte Land musste gemäß der privatrechtlichen Herkunft des Okkupationsbegriffes grundsätzlich „herrenlos“ gewesen sein, d. h. im Normalfall unbewohntes oder weitestgehend unbesiedeltes Land sein. Dies war bei der kolonialen Okkupation aber bekanntlich nur höchst selten der Fall, häufig trafen die Kolonialgesellschaften auch in Afrika nicht nur auf bewohntes, sondern auf organisatorisch verfestigte und hierarchisch geführte Stammeskulturen oder sogar proto-staatliche Strukturen. Daraus folgte für die Autoren in den Worten Holtzendorffs: „Somit bleibt nur die Alternative: Entweder Occupation staatenlosen, aber bereits bewohnten Urlandes auszuschließen und damit die Quelle höherer Kultur verschütten oder seine Zuflucht zu Scheingeschäften und Ausflüchten mannigfacher Art zu nehmen, um einen derivativen Erwerbsakt zu construieren. Europäischen Nationen gegenüber haben, völkerrechtlich genommen, staatenlos lebende Wilde ebenso wenig Handlungsfähigkeit, wie in civilrechtlicher Sicht Kinder oder Unmündige. Völkerrechtliche und friedliche Occupation muss also auch dann als vorhanden angenommen werden, wenn Eingeborene sich aus Furcht einfach unterwerfen.“47
Zugrunde liegt diesen Ausführungen die ab den 1880er Jahren herrschende Theorie der sog. „herrenlosen Souveränität“.48 Da die kolonisierten Völker nach Auffassung der europäischen Autoren nicht selbst Staatsgewalt ausüben konnten, wurde die Souveränität über die Bewohner und das Territorium als „herrenlos“ konstruiert und konnte so von den Kolonisatoren einfach ergriffen werden. Die damit verbundene erhebliche Abweichung von der klassischen Okkupationstheorie, die ein unbesiedeltes Land (terra nullius) voraussetzte, wird bei Holtzendorff offen mit dem politischen Zweck geheiligt, der darin bestand, den „Wilden“ die „Quelle höherer Kultur“ zu eröffnen. So wurde letztlich in der Völkerrechtswissenschaft der europäischen Großmächte unverblümt auf der Grundlage der These der kulturellen Suprematie ein neuartiger völkerrechtlicher Erwerbstitel konstruiert.49 Da den Autoren dabei nicht ganz wohl zu Mute war, verwies man zusätzlich darauf, dass keine Europäische Großmacht den so hergeleiteten Ansprüchen über koloniale Territorien anderer Großmächte bislang widersprochen habe.50 Welchen staats- und völkerrechtlichen Status das okkupierte Territorium nach dem Erwerb der Gebietshoheit aber genau einnehmen sollte, blieb bei den deutschen „Schutzgebieten“, dessen ungeachtet, ungeklärt. 46
Franz von Holtzendorff, Handbuch des Völkerrechts, Bd. 2, Hamburg 1887, S. 256. Holtzendorff (Fn. 46), S. 256. 48 Grundlegend die Analyse bei J. Fisch, Die europäische Expansion und das Völkerrecht, 1984, S. 306 – 311. 49 Fisch (Fn. 48), S. 306 – 311. 50 Holtzendorff (Fn. 46), S. 257. 47
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Der Name „Schutzgebiet“ lässt sich auf die „Schutzbriefe“ zurückführen, die die privaten Kolonialgesellschaften von der Reichsregierung ausgestellt bekommen hatten. Die politische Rolle des Reiches bestand dabei anfänglich nur darin, in der Kolonie den Schutz der Handel treibenden Reichsangehörigen sicherzustellen. Für Holtzendorff waren sie im rechtlichen Sinne weder Kolonien noch halbsouveräne Staaten (Protektorate), sondern „international zugelassene Übergangsformen, bei welchen nicht nur ein territoriales Abhängigkeitsverhältnis von Europäischen Mutterländern in Rede steht, sondern personale Herrschaftsverhältnisse sich vervielfältigen“.51 Dieser Definitionsversuch war nichts weniger als eine vollständige Kapitulation völkerrechtlicher Dogmatik vor der imperialen Politik des Reiches, denn die Schutzgebiete wurden damit juristisch konturlos außerhalb jeder bekannten völkerrechtlichen Kategorie verortet. Für den Kolonialstaat ergaben sich aus dieser Einordnung unbegrenzte Herrschaftsrechte und keinerlei völkerrechtliche Pflichten gegenüber der Kolonie oder seinen Bewohnern selbst. Aus staatsrechtlicher Sicht vermerkte Laband, dass eine Inkorporation in das Staatsgebiet des Reiches in den deutschen Kolonien nicht stattgefunden habe. Sie seien „nicht Bestandteile, sondern Pertinenzen des Reiches“.52 Konkret bedeutete dies, dass die „Schutzgebiete“ aus staatsrechtlicher Perspektive mal „Inland“ im Sinne einer Erstreckung von allgemeinen Reichsgesetzen und mal „Ausland“ im Sinne einer Verneinung der Anwendbarkeit von allgemeinen Reichsgesetzen waren, je nach Bedarf des Gesetz- und Verordnungsgebers.53 In allen Kolonien galt durch das Schutzgebietsgesetz eine sehr weitgehende Verordnungsbefugnis der Exekutive, d. h. des Kaisers. Damit war die Legislative des Reiches weitgehend aus der Steuerung der Verwaltung der Kolonien verdrängt.54 Das allgemeine Reichsrecht sollte in der Regel nur dann Anwendung finden, wenn Rechtsverhältnisse von Reichsangehörigen untereinander oder Staatsangehörige anderer europäischer Großmächte betroffen waren. Die sog. Eingeborenen oder „Farbigen“ (Laband) waren Objekte des Verordnungsrechts der Exekutive, vor Ort ausgeübt über sog. „kaiserliche Kommissare“.55 Das Gerichtswesen in den Kolonien war rassisch strukturiert. Gerichte für „Weiße“ wurden von den Gerichten für „Farbige“ institutionell getrennt. In diesem Kontext entsteht der Begriff der „Weißenrechtspflege“.56 Dabei behielten Stammeshäuptlinge zum Teil die traditionelle Gerichtsbarkeit über Streitsachen zwischen den Eingeborenen, solange es nicht zu Konflikten mit den deutschen Koloni51 Holtzendorf, (Fn. 46), S. 263, dort wird auch zitiert Karl von Stengel, Die staats- und völkerrechtliche Stellung der deutschen Kolonien, Berlin 1886, S. 40. 52 Laband (Fn. 44), S. 195. 53 Laband (Fn. 44), S. 195; Georg Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete, Leipzig, 1888, S. 88 ff. 54 Hierzu umfassend Marc Grohmann, Exotische Verfassung, Die Kompetenzen des Reichstages für die deutschen Kolonien in Gesetzgebung und Staatsrechtswissenschaft des Kaiserreiches (1884 – 1914), Tübingen 2001. 55 Zur Verwaltungsstruktur Laband (Fn. 44), S. 201. 56 Hermann von Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht, Leipzig 1911, S. 11.
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alherren kam.57 Die Idee der Heranführung der kolonisierten Völker an die westliche Zivilisation im Sinne eines wohlfahrtsstaatlichen Paternalismus war zu Beginn des kolonialen Engagements gering ausgeprägt. Laband kommentiert diese anfängliche Zurückhaltung wie folgt: „Für die staatlichen Angelegenheiten der eingeborenen Bevölkerung zu sorgen, war dagegen weder ein Bedürfnis des Reiches, noch ist es dazu befähigt, da es auf die Kulturstufe und Anschauungsweise dieser Völker nicht hinunterzusteigen vermag.“58
Allerdings wandelte sich diese Zurückhaltung der Reichsexekutive in einigen Kolonien recht schnell, sodass die Kommentatoren dann nach dem Jahrhundertwechsel zu dem Schluss kommen, dass die Schutzgewalt als eine umfassende Staatsgewalt zu konzeptionalisieren sei.59 Im Ergebnis kann von einer weitgehenden ad hoc-Willkürherrschaft der Exekutive gesprochen werden, die sowohl paternalistische und zivilisatorisch-edukative Motivlagen als auch rassistische und ausbeuterische Maßnahmen mit einschloss. Die zum Teil gewährte Autonomie der Stammesführer in der Selbstverwaltung konnte jederzeit suspendiert werden.60 Auf dem Territorium des Schutzgebietes selbst herrschte ein rassisch motivierter Rechtspluralismus. Während nämlich in den Kolonien für die Reichsangehörigen und die Bürger der sog. zivilisierten Nationen das Reichsrecht und völkerrechtliche Mindestgarantien galten, waren die einheimischen Bewohner letztlich bloße Objekte des kolonialen Maßnahmestaates. Dieser konnte bei Widerstand wie z. B. im Fall der Hereros und der Nama in Deutsch-Südwestafrika auch zu exterminatorischen Mitteln greifen, ohne sich besonderen juridischen Rechtfertigungslasten ausgesetzt zu sehen. Die Rechtsbeziehungen mit und in den Kolonien waren nach der Literatur insgesamt weder völkerrechtlicher noch allgemein staatsrechtlicher Natur, eine systemische Integration des Kolonialrechts in den Begriffsapparat des Staatswillenspositivismus findet bis zum Ende der deutsche Kolonialherrschaft nicht statt. Letztlich wurde die Frage des „Innen oder Außen“ im Blick auf die Kolonien offengehalten, aus Sicht der Reichsregierung vor allem wohl, um sich in der Kolonialpolitik sowohl verfassungsrechtlichen als auch völkerrechtlichen Bindungen zu entziehen.61
IV. Fazit Was bedeuten aber nun diese wissenschaftsgeschichtlichen Schlaglichter für die Frage, wie die Staats- und Völkerrechtswissenschaft des Kaiserreiches auf globalhistorische Transformationen ihrer Zeit reagiert hat? Erst einmal muss man sich vor Ge57 Laband (Fn. 44), S. 200 – 201, hierzu Felix Hanschmann, Die Suspendierung des Konstitutionalismus im Herz der Finsternis, Kritische Justiz 2012, S. 144 (146 ff.). 58 Laband (Fn. 44), S. 193. 59 Laband (Fn. 44), S. 193. 60 Hanschmann (Fn. 57), S. 144 (146 ff.). 61 Vgl. Hanschmann (Fn. 57), S. 144 (146 ff.).
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neralisierungen in Acht nehmen. Die Auswahl der Autoren muss in einer solchen kurzen Studie begrenzt bleiben. Ich habe mich überwiegend auf die besonders erfolgreichen und vielzitierten Autoren beschränkt. Ein Schwerpunkt lag auf berühmten Vertretern des deutschen Staatswillenspositivismus. Insgesamt zeigt sich, dass die methodische Grundausrichtung dieser einflussreichen Strömung im deutschen öffentlichen Recht erhebliche Schwierigkeiten hatte, grenzüberschreitende Rechtsverflechtungen begrifflich abzubilden. Triepel versuchte am Ende des Jahrhunderts in seiner großen Monographie die entstandenen rechtlichen Verflechtungen zwischen Völkerrecht und Landesrecht wieder auf klare dogmatische Unterscheidungen zwischen Innen und Außen, d. h. zwischen horizontaler völkerrechtlicher Koordination einerseits und vertikaler staatsrechtlicher Herrschaft andererseits zurückzuführen. Den Grenzaufhebungen in der Rechtspraxis, die häufig ökonomisch induziert waren, wurde geradezu gegenläufig eine stärkere begriffliche Trennung von Innen und Außen entgegengesetzt. Für die globalen ökonomischen Umwälzungen der Epoche und ihre zahlreichen rechtlichen Resonanzen dagegen fehlt den Vertretern des Gerber-Laband-Positivismus in der Staats- und Völkerrechtswissenschaft des Kaiserreiches – qua postulierter Methodik – ein Sinn. Nicht zufällig war das beim Gierke-Schüler Hugo Preuss anders, der mit seinem organisch-evolutiven Rechtsverständnis die transformativen Kräfte einer rasant entstehenden ökonomischen Globalität erkannte und beschreiben konnte. Gleichzeitig zeigte sich die praktizierte juristische Methode, insbesondere Labands, aber hochanschlussfähig für nationalpatriotische Strömungen, die mit der Reichsgründung einhergingen. Die Absage an die Lehren von der geteilten Souveränität und die systembildende Kraft der juristischen Methode leisteten trotz ihres sachlichen und betont unpolitischen Duktus einen affirmatorischen Beitrag zur Einheitsbildung des neu gegründeten Nationalstaats.62 Bei der Kolonialfrage erschöpfte sich die rechtswissenschaftliche Bearbeitung dann in einer deskriptiven Darstellung der Rechtspraxis, die sich bewusst außerhalb jeglicher etablierter Grundsätze des Verfassungs- und Völkerrechts bewegte. Das „Kolonialrecht“ als systemfremdes und vollständig ungebundenes Sonderrecht des Kaisers wurde auf diese Weise überwiegend unkritisch hingenommen. Wie also Innen und Außen rechtswissenschaftlich rekonstruiert werden, hängt neben letztlich flexiblen methodischen Dispositionen vor allem vom politisch-moralischen Blick des Autors auf das eigene Gemeinwesen und die Welt ab. Nationalismus und Imperialismus, aber auch eine globalisierte Ökonomie haben auf diesem Weg in der Staats- und Völkerrechtswissenschaft des Kaiserreiches ihre Spuren hinterlassen.
62 Differenziert und Laband zu Recht gegen Polemiken der Weimarer Staatsrechtslehre in Schutz nehmend Stolleis (Fn. 2), S. 346 – 348.
Aussprache Gesprächsleitung: Hillgruber Hillgruber: Vielen Dank, Herr von Bernstorff, das war ein wirklich spannender Vortrag. Wie ich denke, der Versuch, die Grenzüberschreitungen, die rechtlichen Verpflichtungen, die sich zwischen Staats- und Völkerrecht ergeben haben in dieser Zeit, zu kontrastieren mit Versuchen der Staats- und Völkerrechtswissenschaft, hier wieder klare Unterscheidungen, Abschichtungen vorzunehmen. Ich darf jetzt um Wortmeldungen bitten. Herr Heun hat sich, glaube ich, als Erster gemeldet. Herr Heun bitte. Heun: Herr Bernstorff, ich habe eine Nachfrage, und zwar nach den Konsequenzen dieser Unterscheidung zwischen Innen und Außen. Wozu Sie, soweit ich das erkennen konnte, jetzt nichts gesagt haben. Wenn man das so versteht wie Sie, die Wendung von Triepel dagegen, dass quasi durch die bloße Veröffentlichung im Verordnungsblatt eigentlich Materien, die Gesetze darstellen, der Sache nach ohne weiteres für die Bürger verpflichtend werden, muss man sich die Frage stellen, was ist eigentlich die Konsequenz, die er damit bezweckt? Die könnte jetzt ja darin liegen, dass dann nach den Vorschriften der Reichsverfassung, der Gesetzgeber, sprich der Reichstag, dem zustimmen muss und den Transformationsakt erlassen muss. Dann hätte die begriffsjuristische Konstruktion, jedenfalls aus unserer heutigen Sicht, durchaus einen demokratisierenden parlamentarischen Sinn und Zweck. Man würde das doch durchaus positiver sehen können, während – und das wäre jetzt einfach die Frage – während man dann, wenn man sagt, das fällt dann gleichwohl in das Verordnungsrecht des Monarchen und er muss nur das noch einmal veröffentlichen als Verordnung, worin man aber keinen richtigen Sinn sehen würde, das natürlich keine derartige Wirkung hätte. Also, insofern die Nachfrage: Ist das eigentlich die Konsequenz dieses Triepelschen Ansatzes, dass internationale Verträge, die eigentlich in die Materie der Reichsgesetzgebung fallen, wie die Formulierung der Reichsverfassung lautet, dann tatsächlich der Zustimmung des Reichstages bedürfen und nicht einfach am Reichstag vorbei, am Gesetzgeber vorbei, quasi durch die bloße Veröffentlichung, nachdem sie nur durch die Regierung ausgehandelt worden sind, unmittelbare Wirkung für den Bürger entfalten? Jedenfalls würden mir diese Konstruktionen einleuchten. Aber ich weiß nicht, wie die tatsächliche Praxis und die Intention von Triepel gewesen ist.
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Aussprache
Bernstorff: Danke Herr Heun. Das ist, glaube ich, eine sehr wichtige Frage. Die Frage nach den Konsequenzen dieser Konstruktion. Bei Triepel sehe ich vor allen Dingen das Bedürfnis nach Klarheit und nach einem expliziten Umsetzungsakt. Die Genehmigung, wenn es in diesen Bereich der Reichsgesetzgebung fällt, musste sowieso erteilt werden nach Artikel 11 und vorher eine Genehmigung der Ratifikation durch den Kaiser erfolgen. Insofern geht es ihm nicht primär darum, es geht ihm auch nicht um irgendwelche demokratischen Beteiligungen des Reichstages, sondern um eine Klarstellung der Rechtsfolgen, da mit dieser bloßen Publikation für ihn unklar bleibt, ob das jetzt einfach ein deklaratorischer Hinweis auf neues Völkerrecht ist, der als solcher für ihn nicht gelten kann im innerstaatlichen Rechtsraum, zumindest nicht gegenüber dem Bürger. Oder ob damit schon gemeint ist, wie es das Reichsgericht auch ständig praktizierte, dass sich daraus Rechtsfolgen für den innerstaatlichen Bereich ergeben. Und er möchte eine Klarstellung, das heißt, er möchte eine Publikationspraxis, die ganz klar besagt, diese Normen sind hiermit transformiert in Reichsrecht und binden ab jetzt den Reichsrechtsanwender. Das ist sein Problem, weil er nur in diesem Dualismus denken kann oder denken möchte. Und die bisherige Praxis, dass eine Norm als Völkerrecht behandelt wird, das im innerstaatlichen Bereich Geltung haben kann, wenn sie konkret genug ist, damit hat das Reichsgericht überhaupt kein Problem. Das passt aber eben nicht in Triepels Konzept von dieser klaren Trennung der Rechtssphären. Und deswegen wendet er sich dagegen. Es ist kein demokratischer Impuls. Im Gegenteil, in dem Buch „Völkerrecht und Landesrecht“ formuliert er immer wieder Spitzen gegen eine zu starke parlamentarische Beteiligung im Bereich der völkerrechtlichen Vertragspraxis. Er möchte eher den Reichstag da raushaben aus der völkerrechtlichen Vertragspraxis, weil er eine Beteiligung für eine zu starke Behinderung der Exekutive hält. Also, eher eine gegenläufige Tendenz. Das amerikanische Modell mit den starken Rechten des Senats, findet Triepel deswegen auch nicht wünschenswert. Dieses wird in dem Buch auch kritisiert. Hillgruber: Vielen Dank. Herr Wißmann, bitte. Wißmann: Vielen Dank, Herr von Bernstorff, für Ihren Vortrag. Ich wollte zunächst auch die Frage von Herrn Heun stellen. Ich darf sie vielleicht doch noch einmal an Sie zurückspielen, weil Sie selber vom unpolitischen Gestus dieser Staatsrechtslehre gesprochen haben. Das legt ja die Frage doch nahe, welches politische Konzept dahinter zu entlarven oder freizulegen wäre, bei der Vorstellung einer rein bei sich bleibenden begriffsgeleiteten Jurisprudenz. Und ein Angebot wäre, wenn man schon nicht von Demokratie sprechen kann, ist nicht für diese klassische Staatsrechtslehre doch die Gewaltenteilung, und damit die balance of power, ohne das übertrieben demokratisch zu verstehen, ein Element der Bundesstaatlichkeit, das nach 1870 eine neue Legitimation und eine Modernität schafft. Ich fand es zum zweiten sehr eindrucksvoll, dass Sie uns noch einmal ein Beispiel vorgeführt haben für den Lehrsatz: Wenn die Wirklichkeit dem Konzept nicht folgt,
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umso schlimmer für die Wirklichkeit. Das ist ja etwas, was die deutsche gegenwärtige Verfassungsrechtswissenschaft auszeichnet, dass sie üblicherweise diesem Streben in den Elfenbeinturm nicht nachgibt, sondern wir uns anlehnen an die Praxis und versuchen sie zu systematisieren. Und gerade in Beziehung zum Bundesverfassungsgericht wird uns das dann typischerweise auch vorgeworfen, dass wir nicht die notwendige Distanz zu unserem Forschungsgegenstand haben. Könnten Sie das Verhältnis Staatsrechtslehre zum Reichsgericht vor diesem Hintergrund noch einmal aufklären? Gesunde Distanz oder Praxisferne? Danke schön. Bernstorff: Vielen Dank. Zur Gewaltenteilung, ich kann das, zumindest bei den Autoren, die ich mir angeschaut habe, und zu den Fragen, die ich hier behandelt habe, nicht unbedingt feststellen, dass das ein großes Anliegen ist. Ich finde das Kolonialbeispiel zeigt sehr gut, dass es im Grunde kein Anliegen ist, gerade weil in der Kolonialpolitik praktisch alle Gewaltenteilungsprinzipien, die man der Reichsfassung entnehmen kann, außer Kraft gesetzt werden. Darüber regt sich auch niemand auf. Insofern ist das, wie ich finde, eher ein Gegenbeispiel. Und ich habe auch, wie gesagt, bei der Publikationspraxis den Stein des Anstoßes eher in der fehlenden Klarheit gesehen. Das ist ja vielleicht auch ein wichtiges Anliegen. Ich will das gar nicht diskreditieren. Die fehlende Klarheit, was diese Publikationspraxis jetzt bedeutet für den Rechtsanwender und dass das Reichsgericht das einfach so macht, das reicht den Autoren nicht. Das Selbstbewusstsein der Disziplin gegenüber dem Reichsgericht ist sehr stark, wahrscheinlich viel stärker als bei uns heute gegenüber dem Bundesverfassungsgericht. Sodass damit keineswegs die Sache geregelt ist, wenn das Reichsgericht irgendetwas in einer bestimmten Art und Weise macht. Das Selbstbewusstsein ist enorm, wie man an dem Beispiel, glaube ich, ganz gut gesehen hat. Das muss auch nicht unbedingt schlecht sein, ich will das nicht in Bausch und Bogen verdammen. Nur bei dem Buch von Triepel ist das Erstaunliche, wie er immer wieder mit diesen dogmatischen, systematischen Argumenten anfängt und dann kommt die ganze Rechtspraxis, die aber immer gegenläufig ist. Und das ganze im Ansatz sehr beredt, sehr eloquent, und auch vergleichend durchgeführt; es schwirrt einem fast der Kopf, es folgen dann weitere dreißig Seiten, warum aber diese ganze Praxis falsch ist. Aber erst einmal wird die ganze Praxis auch sehr genau dargeboten. Das ist doch das Tolle an dem Buch, es ist unheimlich reich an Praxis, reich gerade auch im Rechtsvergleich. Aber irgendwie hat man hier das Gefühl, es ist ein Don Quichote am Werke. Also wirklich, es wird irgendein Prinzip aufgestellt, die Rechtspraxis – auch rechtsvergleichend – läuft dem zwar komplett zuwider, aber am Ende wird trotzdem darauf beharrt, dass das der richtige Ansatz ist. Das ist schon ein enormes Selbstbewusstsein gegenüber der Praxis – eine starke Autonomie der Wissenschaft gegenüber der Praxis auf jeden Fall: ein autonomes Reflektionssystem mit hoher Distanz. Das hat diese Schule aufgebaut, aber irgendwann fragt man sich, ähnlich wie bei der Frage Bundesstaat – Staatenbund, wenn dann die Rechtswirklichkeit dem gar nicht mehr entspricht, oder sogar eine gegenläufig ansteigende Tendenz hat, ob dann nicht auch die Begrifflichkeit problematisch ist. Aber diese Unterscheidung, der starke Dualismus und dieses horizontale Rechtsverständnis des Völkerrechts
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haben sich letztlich durchgesetzt. Die kontinentale Schule ist die erfolgreiche Schule und auch die französischen Kollegen machen das mit. Es gibt dann noch einen Universalisierungsschub in den 20er Jahren mit Kelsen und Scelle, aber diese Ansätze setzen sich nicht durch. Das sind wissenschaftliche Blüten der universalistischen, kosmopolitischen Begeisterung der Völkerbundzeit. Letztlich was sich durchsetzt, sind Triepel und Anzillotti. Anzillotti, der Triepel fast eins zu eins folgt, und auch die französischen Autoren, die das übernehmen. Das Verständnis, das wir heute vom Völkerrecht haben, ist durch diese Schule und auch durch dieses Triepelsche Buch extrem stark geprägt. Hillgruber: Herr Schönberger, bitte. Schönberger: In diesem Zusammenhang stellt sich schon die Frage: Warum machen sie es denn? Die eigenartige Sache bei Triepel ist doch auch, dass er im Grunde schon ein Spätling ist, oder? Das Ganze ist um 1900, da ist der Höhepunkt des staatsrechtlichen Positivismus fast schon wieder überschritten. Seit den 90er Jahren gibt es jede Menge Herausforderungen für den staatsrechtlichen Positivismus, keiner will es mehr so stark glauben. Jellinek fängt schon mit der sozialen Staatslehre an, entdeckt die Gesellschaft wieder, Hugo Preuß ist vielleicht nicht nur ein Sonderling im Jahr 1891, sondern drückt schon etwas aus, was in der Zeit liegt. Daher meine Frage: Gibt es denn solche Tendenzen auch in der Völkerrechtswissenschaft der Zeit? Gibt es andere Autoren, bei denen wir das eher finden könnten? Hat Jellinek eigentlich, als er die soziale Staatslehre entdeckt, auch das Völkerrecht noch mit im Blick? In der geistigen Landschaft um 1900 wirkt, finde ich, Triepel sowie ein verspäteter Epigone der Laband-Tradition, der das jetzt fürs Völkerrecht durchexekutiert. Ist das eine richtige Beobachtung? Das wäre die eine Frage. Die andere Frage ist nach der Funktion dieser Innen-Außenunterscheidung in dieser Situation, die mich ein wenig an das Maastricht-Urteil erinnert, von der Grundsituation her. Je intensiver die Verflechtung schon ist, je stärker sie durchgreift, je unwahrscheinlicher die Erzählung, dass das eigentlich alles vom nationalen Recht abgeleitet ist, je unplausibler das rechtliche Material diese Erzählung macht, umso notwendiger scheint sie zu werden. Ich finde diese Erzählung in dieser Zeit passt, das ist ein ähnliches Schema. Die Frage wäre, gibt es da eine Funktion? Ist das nur so eine Art retardierende Funktion nach dem Motto, wir halten es sonst gar nicht mehr aus, was da an Überformung schon passiert ohne eine Gegenerzählung, oder gibt es eine Funktion darüber hinaus? Jedenfalls ist die Beobachtung, so denke ich, doch eine Auffällige. Diese Gleichzeitigkeit – das positivrechtliche Material geht sozusagen fast über uns hinweg – sehr plausibel kann man das nun nicht mehr erzählen, und genau in dem Moment kommt die kontrafaktische Erzählung. Bernstorff: Zunächst zur Frage, ob Triepel sozusagen so eine späte Erscheinung ist? Ich glaube schon. Ich hätte gesagt, der letzte Höhepunkt der juristischen Methode, der diese auf das Völkerrecht anwendet und sich ja dann selber abwendet von dieser Tradition. Danach also die neuen Zeichen der Zeit erkennt und mit den neueren
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Strömungen mitschwimmt. Das ist genau die Zeit, in der diese Tradition zu Ende geht. Und viel von dem, was er da durchexerziert, baut auf dem, was Laband gemacht hat oder auch Jellinek, auf. Und er ist ja noch relativ jung, es ist eine frühe, seine erste Monografie und insofern kommt er noch aus dieser Tradition und erkennt dann aber danach, dass diese Methode nicht mehr en vogue ist. Von den anderen Autoren im Völkerrecht, soweit ich sehe, macht das niemand. Es hat auch vorher niemand so gemacht wie Triepel. Das ist ja auch das besondere Merkmal dieses Buches. Diese Frage monografisch so durchzuexerzieren, rechtsvergleichend, praxisauswertend, hat niemand vorher getan. Ja, das gab es auch danach nicht, bis vielleicht in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Insofern ist es einfach, man kann niemanden dagegen legen, der aus einer anderen Perspektive z. B. aus der Gierke-Schule ein Gegenbuch geschrieben hätte. Ich sehe im Ersten Weltkrieg dann eine weitere nationalistische Verengung der deutschen Staatsrechtswissenschaft und Völkerrechtswissenschaft; vor allem durch Zorn und die Bonner-Schule, wo das Völkerrecht nur noch äußeres Staatsrecht ist. Völkerrecht als äußeres Staatsrecht, das fängt auch bereits an der Jahrhundertwende an und reduziert das Völkerrecht nur noch auf das, was von einem einzelnen souveränen Staat aus anerkannt werden kann – also MaastrichtUrteil – da gibt es durchaus Parallelen. Und dann kommt der Universalismus im Weltkrieg, der return of universalism als Gegenreaktion auf den Krieg. Und zwar, getragen von der pazifistischen Bewegung mit dem Konzept des Völkerrechts als kriegshemmendes oder sogar kriegsverhinderndes Medium. Das geht erst im Weltkrieg los. Hier gehört dann auch die Kelsen-Schule mit dazu. Dieses von Ihnen angesprochene Reaktionsmuster, dass man dann theoretisch damit anfängt, wenn die Praxis sich gerade komplett davon weg bewegt, ja, das sehe ich bei Triepel auch so. Vielleicht ist das ein Muster, das man häufiger so beobachten kann. Das müsste man einmal genauer untersuchen. Man sieht vor allen Dingen, dass dieser einheitsstiftende Nationalismus sehr eng mit der juristischen Methode im Staatsrecht zusammenhängt. Am Ende geht es immer zugunsten der Reichsexekutive aus. Also, die methodischen Kritiker wie Gierke sind zwar da, und zwar schon sehr früh. Aber diese nationalistische Grundströmung kann vielleicht auch erklären, warum das Triepelsche Modell so erfolgreich war. Weil diese ja im Grunde erst sehr spät einsetzt in seiner extremen Form im 19. Jahrhundert und dann das 20. Jahrhundert, hier vor allem die erste Hälfte, extrem prägt. Nach Jürgen Osterhammel ist das 19. Jahrhundert die Zeit der Imperien, das 20. Jahrhundert dagegen die Zeit des Nationalismus und der Nation. Und wenn man das zugrunde legt, dann versteht man auch, warum dieser Dualismus und diese starke Trennung so mächtig werden zu Beginn des 20. Jahrhunderts und sich dann auch global durchsetzen. Diese Grundströmung ist offensichtlich so stark, dass sie sich nicht nur in Europa, sondern von Europa aus auch in den Kolonien durchsetzt und auf die anderen Kontinente überträgt, so dass dann solche Konzepte einen stärkeren Anklang finden als monistisch-universalistische Völkerrechtskonzepte, die es ja immer auch schon gab. In der Völkerrechtsgeschichte beobachtet man ohnehin einen stetigen Wandel zwischen solchen universalistischen Konzepten und denen, die eher von der Nation ausgehen oder vom Staat.
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Hillgruber: Herr Grothe, bitte. Grothe: Zunächst einmal herzlichen Dank, Herr Bernstorff, für das wunderbare Referat. Meine Frage wäre nun folgende: Wirkt sich der Sonderstatus des Reichslandes Elsass-Lothringen auf die rechtstheoretischen Debatten aus? Einmal im Hinblick auf die Frage „Bundesstaat – Staatenbund“. Zweitens aber auch auf die Frage der Behandlung der sogenannten Schutzgebiete, weil man im neuen Reichsland ja auch das Problem der Anwendung von Staatsrecht unmittelbar hat. Bernstorff: Bei den Kolonien ist das auch für Laband immer der Ausgangspunkt. Er stellt immer als erste Frage, können wir das so machen wie mit Elsass-Lothringen? Und dann sagt er, nein, geht nicht, wir haben eine ganz andere Situation und deswegen können alle Grundsätze, die wir entwickelt haben für Elsass-Lothringen mit diesem Spezialstatus, keine Anwendung finden. Und dann wird im Grunde die Praxis dargestellt. Die Praxis der Verwaltung der Schutzgebiete ohne irgendeinen systematischen Anspruch, ohne Eingliederung in irgendwelche Prinzipien. Da wird die Darstellung eine reine Wiedergabe der Praxis. Aber das Thema wird am Anfang immer aufgeworfen. Es steht auch im Kommentar – von der Gliederung her – relativ nahe an der Frage Elsass-Lothringen. Hillgruber: Herr Lepsius. Lepsius: Aus Ihrem Vortrag habe ich viel gelernt, Herr von Bernstorff, herzlichen Dank. Meine Nachfrage gilt dem von Ihnen thematisierten Nationalismus. Kann es sein, dass der Nationalismus, gerade der deutsche Nationalismus, in einem Zusammenhang steht zum Verfassungsrecht des Kaiserreiches, insofern als das Kaiserreich ja nur begrenzte Exekutivkompetenz hatte? Da gab es die Kolonien, es gab das Reichsland Elsass-Lothringen, es gab die Marine. Die Reichsämter als Produkt der Gesetzgebung sind ja dann eine andere, spätere Kategorie. Also wenn der Kaiser als Kaiser auftreten wollte und nicht als preußischer König, wohin konnte er denn fahren? Wo konnte er Kaiser sein? Er konnte nach Kiel fahren, nach Straßburg oder in die Kolonien. Ist der territorial begrenzte Kompetenzraum des Reiches eine Vorbedingung oder ein begünstigender Faktor für die nationalistische Selbstdarstellungsform des Reiches? Bernstorff: Dass dieser Umstand das Bedürfnis nach Repräsentation, Selbstdarstellung verstärkt hat, finde ich nicht unplausibel. Es geht vor allen Dingen um nationale Symbolik. Wenn man sich die Stimmen hier anschaut nach 71, also wie begeistert durchwegs die Staatsrechtswissenschaft jetzt ist. Diese nationalistische Erhebung, die ist überall zu spüren in der Literatur, und dann auch die neue konstruktive Aufgabe: wir machen das Gebilde jetzt auch zu einem richtigen Nationalstaat und wir leisten unseren Beitrag! Ich glaube schon, dass das im Selbstbewusstsein der Autoren sehr stark verankert war. Insofern ist dieser einheitsbildende Nationalismus ein spezieller, auch ein spezieller deutscher Nationalismus. Aber es gibt ja global ver-
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gleichbare Phänomene, auch wenn man im Detail immer schauen muss, was waren die Bedingungen, die in einem bestimmten gesellschaftlichen Kontext solche nationalistischen Strömungen auch wirkmächtig haben werden lassen. Hillgruber: Herr Härter, bitte. Härter: Vielen Dank, Herr von Bernstorff. Sie hatten dargelegt, dass die Auslieferungsverträge im Reichsgesetzblatt publiziert werden. Nun hat aber nicht nur das Reich, sondern auch die Länder haben solche Verträge abgeschlossen, zum Beispiel Bayern mit Russland, und das ist im bayrischen Gesetzes- und Verordnungsblatt publiziert worden. Freilich mit der Bemerkung, man wolle diesen Vertrag damit dem Publikum zur Kenntnis bringen. Wie fügt sich das in dieses Modell ein? Die zweite Frage geht noch einmal ins Allgemeine: Sie haben ja im Wesentlichen dargelegt, wie versucht wird, die Dichotomie Innen und Außen aufzulösen – im Völkerrecht und in der Völkerrechtswissenschaft – und wie diese in die nationalen Ordnungen integriert oder mit diesen kompatibel gemacht wird bzw. werden soll. Wenn man sich nun den Bereich des Strafrechts und solche Phänomene wie die internationale Kriminalität anschaut, gibt es aber noch einen anderen Weg. Nämlich den Versuch, das internationale Strafrecht als eine neue normative internationale Rechtsordnung zu konstruieren, in die man nun das, was man aus dem Völkerrecht für kompatibel hält, und das, was man aus den nationalen Rechtsordnungen für wesentlich und kompatibel hält, integriert. Über Völkerrecht und die nationale Ordnung hinausgehend wird sozusagen ein neuer Rechtsraum konstruiert. Wie würden Sie diesen Versuch in das Modell, das sie uns dargelegt haben, einordnen? Bernstorff: Ich halte diese Verflechtungsphänomene nicht für einseitig in dem Sinne, dass sie nur vom Völkerrecht ins nationale Recht führen, sondern ich sehe genau auch die andere Richtung und das, glaube ich, passt zu Ihrem Beispiel. Die andere Richtung, also vom nationalen Recht aus, von gemeinsamen Rechtsüberzeugungen in Bezug auf die Regelung bestimmter Sachbereiche in den europäischen Staaten. Man versucht daraus eine Internationalisierung zu machen. Das ist ja auch in den technischen Bereichen Verkehr, Weltpostverein, Kommunikation häufig der Fall. Da gibt es bestimmte Praktiken, die fangen national an und dann merkt man, man kommt an seine Grenzen. Und das ist genau die Phase, die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der dieses Bewusstsein sehr stark ist, dass die nationale Regelung alleine nicht mehr ausreicht. Wir haben so starke Verflechtungen – gesellschaftlich –, dass wir eben internationale Regelungen brauchen. Wir brauchen einen Weltpostverein, wir brauchen ein internationalisiertes Strafrecht, wir brauchen bilaterale und multilaterale Lösungen für unsere gesellschaftlichen Verflechtungen – europäisch und weltweit. Ich würde sagen, das wäre ein schönes Beispiel, wie rechtliche Verflechtungen zunehmen und bestimmten gesellschaftlichen grenzüberschreitenden Phänomenen folgen. Und was die Frage nach der Publikationspraxis anbetrifft: Triepel würde sagen, dadurch wird es ja noch unklarer! Das passt aber auch zu der Frage Bundesstaat – Staatenbund sehr gut, weil natürlich die Einzelstaaten, die
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Gliedstaaten, viele völkerrechtliche Praktiken, die sie immer schon durchgeführt hatten, inklusive Gesandtschaftswesen weiterführen im Reich. In diesem neuen Nationalstaat sind die alten staatenbündischen völkerrechtlichen Charakteristika alle noch da, und dazu gehört auch diese Publikationspraxis. Weil man natürlich weiß, dass das Auswirkungen hat, auch in den Gliedstaaten, und dann sagt, wir hatten ja früher diese Praxis und wir haben ja auch über den Bundesrat eventuell mitgewirkt an dem Vertragsschluss. Wie der Bundesrat mitwirkte – also in dem Fall des Strafrechts – müsste man noch schauen. Aber wahrscheinlich gab es vorher eine Genehmigung des Bundesrates. Das heißt, dann wird auch gesagt, wir können das hier auch national und im Gliedstaat publizieren. Hillgruber: Ich habe mir erlaubt, mich auch auf die Fragestellerliste aufzunehmen, und möchte doch noch einmal nachfragen, ob man die dualistische Sichtweise des Verhältnisses von Staats- und Völkerrecht, wie wir heute sagen würden – oder Völker- und Landesrecht, wie Triepel gesagt hat –, ob man die wirklich ausschließlich erklären kann als einen übertriebenen Nationalismus? Ich würde meinen, gegen diese Deutung spricht doch entscheidend der Umstand, dass wir jedenfalls die Form von Nationalismus, von der wir hier reden, evident überwunden haben, und doch gleichwohl, wie Sie ja auch betont haben, die dualistische Sichtweise bis heute die eigentlich die ganz herrschende ist. Das Bundesverfassungsgericht, etwa, hat sich nicht im Maastricht-, aber in der Görgülü-Entscheidung, diese Sichtweise explizit zu eigen gemacht. Zu einem hat Herr Schönberger sicher eine wichtige Erklärung mit dem Hinweis gegeben, dass in Zeiten zunehmender internationaler, auch international-rechtlicher Verflechtungen man den Unterschied zwischen Innen und Außen stärker betont, das ist ein Akt der Selbstbehauptung. Man kann auch sagen, es geht um das berühmte letzte Wort, dann sind wir auch wieder beim Maastricht-Urteil. Es geht ja nicht um Völkerrechtsfeindlichkeit. Triepel jedenfalls ist ja kein Völkerrechtnihilist. Man denke an seine Konstruktion des völkerrechtlichen Vertrages auf der Basis eines Gemeinwillens. Triepel ist jemand, der das Völkerrecht anerkennt, es aber in einer spezifischen Weise konstruiert, die dem Staat, in Gottes Namen auch dem Nationalstaat, aber jedenfalls dem einzelnen Staat das letzte Wort zuspricht, welches Völkerrecht in welchem Umfang auf dem von ihm beherrschten nationalen Territorium zur Anwendung kommt. Ist die Kritik an dieser Sichtweise daher nicht vielleicht doch etwas überzeichnet und können wir nicht heute – das ist ja im Grunde die These des Verfassungsgerichts – den Dualismus im Grunde demokratisch erklären und vielleicht auch ein Stück weit legitimieren. Also, es ist ja keine Völkerrechtsfeindlichkeit. Die Rechtsharmonisierung zeigt das ja auch. Man hat ja den Bedarf nach internationaler Vereinheitlichung anerkannt, aber Rechtsharmonisierung ist eben der Weg. Wir schließen völkerrechtliche Verträge, wir nehmen das selbst als Staaten in die Hand und transformieren es anschließend in nationales Recht. Ein letzter Punkt, Sie haben sich ja auch stark mit der Frage des Status der Kolonialgebiete auseinandergesetzt. Da wäre meine Nachfrage, ist die Tatsache, dass sich das Deutsche Reich hier mit dieser etwas luftigen Kategorie des Schutzgebietes von verfassungs- und völkerrechtlichen Bindungen freizeichnen
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wollte, nun wirklich ein spezifisch deutsches Phänomen oder wird man das nicht für Kolonialherrschaft durch alle europäischen Großmächte annehmen müssen, sodass dieser Punkt jedenfalls nicht unter „deutscher Sonderweg“ verbucht werden kann? Bernstorff: Vielen Dank, Herr Hillgruber. Ich bin dankbar für die Frage, weil ich nicht den Eindruck vermitteln möchte, dass ich Triepel in eine nationalistische Völkerrechts-Leugner-Ecke stellen würde. Das ist er ja überhaupt nicht und das würde auch völlig fehl gehen. Triepel hat in dem Buch noch einen viel weiteren Anspruch, er möchte im Grunde eine komplette neue Theorie des Völkerrechts darbieten und löst das Völkerrecht aus den Schlacken des jus publicum; diese werden von Triepel im Grunde erledigt. Das ganz herrschende, aus der historischen Rechtsschule auch überbekommene Verständnis, dass das Völkerrecht auf einem gemeinsamen europäischen Rechtsbewusstsein aufruht, was bei allen Völkerrechtslehrbüchern bis in die 1870er Jahre ganz gängig ist, wird am Anfang gleich verabschiedet. Es gibt kein gemeinsames Rechtsbewusstsein, es gibt nur den Staatswillen. Der erzeugt das Völkerrecht, nicht irgendein organisches Bewusstsein der gemeinsamen Ordnung. Er führt im Grunde den Staatswillen-Positivismus fürs Völkerrecht durch, aber in einer völkerrechtsfreundlichen Variante, indem er es versucht – Jellinek weiterentwickelnd – mit der Theorie vom Gemeinwillen, sodass Völkerrecht trotzdem auch verbindliches Recht ist. Auch wenn es vom subjektiven Staatswillen ausgeht, verwandelt es sich bei mehreren gleichgerichteten Willensäußerungen bestimmter Qualität in einen Gemeinwillen. Und der Gemeinwillen ist dann auch nicht mehr zugänglich dem souveränen Staatswillen; und deswegen bindet er, auch wenn der souveräne Staatswille sich ändert. Das ist ja das Problem bei Jellinek mit der Selbstverpflichtung. Was passiert, wenn der souveräne Staatswille sich ändert, gibt es da noch eine Bindung oder nicht? Und das Problem „löst“ bzw. verschiebt Triepel, würde ich eher sagen, mit seiner Gemeinwillen-Theorie. Nationalismus, ja. Bei Triepel, glaube ich, dass man die Kräfte des Nationalismus, des einheitsstiftenden Nationalismus, sehr gut sehen kann, vor allem auch bei der Frage Staatenbund – Bundesstaat. Ich glaube aber nicht, dass es die allgemeine Erklärung für Alles ist, was in der Völkerrechtstheorie in dieser Zeit passiert. Das wäre wirklich zu weit. Und für Triepel würde ich nur sagen, dass die Gerber-Laband-Schule und die Fixierung auf den einheitlichen Nationalstaat zu diesen starken Abgrenzungen nach außen führten. Und vielleicht ist es auch eine Gegenreaktion auf ein neues Regulierungsrecht oder ein neues internationales Recht, welches viel stärker wird in der Zeit. Vielleicht kann man auch sagen, wenn man es freundlicher formulieren möchte, dass diese Problematik auch jetzt behandelt werden musste, weil das Völkerrecht nun so intensiv in das innerstaatliche Recht einwirkte? Vielleicht gab es aber auch wirklich ein berechtigtes Interesse, dogmatisch dieser Sache irgendwie Herr zu werden. Ich glaube nicht, dass es der Weisheit letzter Schluss war, wie der Staatswillens-Positivismus das Problem dann gelöst hat. Und Triepel bekommt bestimmte Sachen gar nicht mehr in den Blick mit diesen starken Dichotomien, aber es ist zugleich auch eine ganz verständliche Reaktion der Rechtswissenschaft zu sagen: Wir haben diese starke Verflechtung und wir müssen das jetzt irgendwie rechtswissenschaftlich verarbeiten und kanalisie-
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ren, dogmatisieren. Und es entsteht in dieser Zeit tatsächlich ein neues Völkerrecht. Wir erleben eine Universalisierung des Völkerrechts. Das alte jus publicum stirbt genau in dieser Phase. Und dass dann natürlich auch neue Ansätze geboren werden in der Rechtswissenschaft als Reaktion hierauf, ist verständlich und nachvollziehbar. Hillgruber: Vielen Dank. Herr Waldhoff, bitte. Waldhoff: Ich wollte noch auf eine Gruppe von Verträgen oder Abkommen aufmerksam machen, die vielleicht für unsere Themenstellung ganz interessant ist, auch wenn ich das hier nicht wirklich ausführen kann: Die Doppelbesteuerungsabkommen. Die ersten dieser Abkommen finden wir, glaube ich, noch im Deutschen Bund, also in der Staatenbundsituation. Preußen – Sachsen ist eines der ersten Doppelbesteuerungsabkommen. Dann, nach der Nationalstaatsbildung, werden diese Abkommen zu echten völkerrechtlichen Verträgen, „nach außen“, abgeschlossen mit anderen industrialisierten Mächten. Innerbundesstaatlich wird das Doppelbesteuerungsproblem durch ein Gesetz gelöst, in der Schweiz richterrechtlich, im Bismarckreich durch ein Doppelbesteuerungsgesetz. Also durch ein Bundesgesetz, das die Funktion hat, die sonst die Verträge hatten, seien sie völkerrechtlich oder quasi völkerrechtlich. Das Interessante daran ist, dass die legitimatorische Frage wegen der Sachmaterie Besteuerung ganz stark im Zentrum steht. Doppelbesteuerungsabkommen sind heute völkerrechtliche Verträge, die unmittelbar anwendbar sind, die im Grunde einen gesteigerten demokratischen Legitimationsbedarf haben, weil es um staatliche Besteuerungsrechte im unmittelbaren Durchgriff auf die geht. Besteuerungsfragen waren immer eine Art Nukleus für Mitwirkungsrechte, sei es ständische Mitbestimmung oder auch für den Vorbehalt des Gesetzes. Das könnte ein interessantes Feld sein. Innerbundesstaatlich wurde das Problem dann konsequenterweise durch Gesetz bewältigt, nicht durch Verträge; man müsste noch einmal überprüfen, ob man so etwas erwogen hat oder nicht. Hillgruber: Dann ist jetzt Herr Jestaedt dran, bitte. Jestaedt: Mir hat sehr gut gefallen Ihre Darstellung, Ihre Verbindung, Ihr Zusammenhang von Nationalismus in Deutschland, in dem sich findenden Deutschen Reich auf der einen Seite, und Staatswillens-Positivismus, wie es dann in der Unterscheidung und der starken Betonung von Innen und Außen auszeichnet. Im Laufe der Diskussion und schon vorher beim Anhören ist mir die Frage gekommen, ist das ein spezifisch deutsches Phänomen, ist es gar ein exklusiv deutsches Phänomen? Eigentlich sind wir schon längst bei der Antwort, dass das nicht der Fall ist. Frage also, wie sind diese Zusammenhänge? Zunächst einmal leuchten mir sehr ein: Staatswillens-Positivismus, der sich gründet auf dieser Grund-Dichotomie von Privatrecht und Öffentlichem Recht und dann wird das Völkerrecht irgendwie als Privatrecht zwischen Staaten konstruiert usw. Da habe ich zwei Fragen dazu: Erstens, ist es wirklich ein Problem von Rechtswissenschaft, Rechtspraxis? Weil, so schien es jetzt, die Rechtswissenschaft versucht, den Hiatus zur Rechtspraxis dadurch zu verkleinern,
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indem sie ihn sensibilisiert durch eine überstarke Theorie und am Ende ihm sagt, umso schlimmer für die Praxis. Das scheint mir zweifelhaft zu sein. In unserer heutigen Zeit würde ich sagen, wenn ich mir die amerikanische Völkerrechtsdoktrin anschaue – wobei ich mit Doktrin durchaus auch die Praxis meine –, wird Innen und Außen dort massivst unterstrichen, obwohl man Privat- und Öffentliches Recht in dieser Form als zentrale theoretische Bezugskategorie gar nicht kennt. Zweite Frage: Sie haben vorhin selber angesprochen, wenn wir jetzt auf der rechtswissenschaftlichen Ebene bleiben oder nicht mit Unterscheidung von Rechtswissenschaft, Rechtspraxis im Auge haben, Sie haben auf die französische Völkerrechtswissenschaftslehre etwa hingewiesen. Würden Sie sagen, dass es ist nur ein Nachzügler, ein Nachahmer im Hinblick auf die deutsche Völkerrechtslehre mit dem Dualismus? Ist das auch nationalistisch geprägt oder wie ist dort Ihr Erklärungsmuster? Bernstorff: Ich würde sagen, für die deutsche Völkerrechtswissenschaft kann man diese Verbindungen mit der Nationalstaatsgründung auf jeden Fall sehr schön aufzeigen. Ich glaube, man könnte für jedes andere europäische Land dasselbe machen, aber mit unterschiedlichen Ergebnissen. Also, die enge Verknüpfung der jeweiligen Völkerrechtswissenschaft mit den, zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden politischen ideologischen Strömungen. Und die sind natürlich in England ganz anders, der Staat ist kein Problem. Das ist ein deutsches Problem. Seit der Glorious Revolution ist er kein Thema mehr. Das Empire ist das Thema. Und dieser große heterogene Rechtsraum, der ist für die Rechtswissenschaft wichtig. Der Staat spielt, wie gesagt, keine große Rolle. Das ist so weit weg von der deutschen Völkerrechtswissenschaft in dieser Zeit, wie es weiter weg eigentlich nicht sein könnte. Zu Frankreich: meine Beobachtung ist, dass Triepel am Anfang des 20. Jahrhunderts, dass Triepel und Jellinek zusammen plötzlich sehr stark rezipiert werden in Frankreich und in Italien und von da aus auch noch in anderen Rechtsgebieten. Aber in England erst einmal nicht. England behält im Grunde seine eigene Völkerrechtsperspektive bei bis die deutschen Emigranten nach England gehen. Also eine Rezeption vor allem über Oppenheim und Lauterpacht auch in der dynamischen Abkehr davon. Das Völkerrecht wird dann übernommen bzw. beeinflusst von Deutschen, wenn man so möchte, von der deutschen Tradition in England vor und nach dem Krieg. Die USA ist ein ganz spezieller Fall, aber ich glaube, auch da ließe sich das sehr gut rekonstruieren, wie weit die Theorie auch in der jeweiligen Zeit besonders anschlussfähig ist für außenpolitische Interessen der USA. Das müsste man noch einmal genau untersuchen. Also zum Beispiel in der Zeit um 1890, in der die USA dort eine ganz spezifische Position haben, eigentlich noch als der große Newcomer im 19. Jahrhundert im Völkerrecht; und auf jeden Fall vom Einfluss her noch eher geringer im Vergleich zum britischen Einfluss. Hillgruber: Vielen Dank. Herr Kraus. Kraus: Ich fand Ihre Kennzeichnung der Rechtsstellung der Eingeboren in den deutschen Kolonien als – ich habe es mir notiert – Objekte des kolonialen Maßnahmenstaates doch allzu pauschal. Ich meine, da müsste man doch ganz entschieden differenzie-
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ren. Gerade für die Spätzeit des Kaiserreiches gilt, dass die deutsche Kolonialverwaltung sehr daran interessiert war, die Eingeborenen kulturell zu heben. Es gab Bemühungen – ich habe mich selbst gewundert, als ich das gelesen habe – und Pläne, technische Spezialschulen zu gründen für die Eingeborenen. Vor dem Ersten Weltkrieg bereisten Mitarbeiter der afro-amerikanischen Hochschule in Tuskegee/Alabama auf Einladung die deutschen Kolonien, um dort Rat zu geben für solche Schulgründungen. Und das zeigt ja doch, dass man darauf hingearbeitet hat, den Eingeborenen nicht nur einen anderen kulturellen, sondern auch einen deutlich anderen Rechtsstatus zu geben. Das ist das Eine. Das Zweite ist eine Frage: Es gab ja koloniale Soldaten, die sogenannten Askaris, die müssen ja doch eine ganz spezielle Rechtsstellung gehabt haben. Meine Frage: Welche Rechtsstellung hatten die? Hat man das deutsche Militärrecht oder meinetwegen das preußische Militärrecht nun eins zu eins auf die Kolonien übertragen? Oder gab es ein spezielles koloniales Militärrecht? War das ein Teil des deutschen Kolonialrechts? Da hätte ich ganz gerne eine Auskunft von Ihnen. Bernstorff: Zu der ersten Frage: Ich sehe diese Phänomene. Ich habe es ja versucht kurz zu beschreiben, dass sich das Ganze wandelt. Am Anfang ist es sehr hands off, man will viel Autonomie der Stammesführer zulassen, man will nicht in diesen paternalistischen, edukativen Kolonialmodus verfallen. Auch eine kulturelle Assimilation wird völlig ausgeschlossen am Anfang. Das wandelt sich aber dann sehr schnell. Und dann hängt es auch von der Kolonie ab, plötzlich gibt es dann doch sehr ehrgeizige Projekte bei der Heranführung der Eingeborenen an das sogenannte kulturelle Niveau der zivilisierten Nationen. Hier hängt es aber, wie gesagt, auch immer von den jeweiligen Kolonien, von den Kommissaren oder Gouverneuren ab, wie die das im Einzelnen behandeln. Das Rechtsstatut ist aber völlig klar. Es gibt keinen Rechtsschutz. Es gibt für Maßnahmen der Exekutive des Kolonialherrn vor keinem Gericht irgendeine Form von Rechtsschutz. Und diese Exekutive ist ungebunden, das heißt, sie braucht nicht ein spezielles Reichsgesetz. Insofern ist der Rechtsstatus ziemlich begrenzt. Aus rechtlicher Perspektive, wenn man abwehrrechtlich denkt, herrschte eben Willkür. Einige eingesetzte Gouverneure oder Kommissare konnten eben, wenn der Kaiser das mitgemacht hat, in den Kolonien wüten. Andere wollten das nicht und haben auf paternalistischfreundlichere Art versucht, diese Kolonie zu verwalten. Man kann das zwar nicht über einen Kamm scheren, aber aus rechtlicher Perspektive waren die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen diese Exekutive des Kolonialherrn sehr begrenzt. Hillgruber: Erlauben Sie mir dazu eine kurze Nachfrage, weil ich das ja auch thematisiert hatte. Ist das ein „Sonderfall Deutschland“ oder ist diese Rechtlosigkeit, die natürlich erschreckend ist, nicht eigentlich kennzeichnend für den Status der eingeborenen Bevölkerung in praktisch allen Kolonialgebieten? Oder meinen Sie tatsächlich, dass die Franzosen und Engländer das prinzipiell anders gehandhabt haben? Bernstorff: Die Franzosen haben auch ein sehr exekutivlastiges System gehabt und hatten ja auch ihre diversen Exzesse in der Kolonialverwaltung. Da ist der Unterschied wahrscheinlich begrenzt. In Bezug auf England muss man sagen, England
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hat ein sehr differenziertes System, je nach Status der Kolonie. Da gab es ja auch rechtlich ein sehr abgestuftes System. In vielen Bereichen galt ja das englische Recht, das Common Law wurde praktisch komplett exportiert, in anderen Bereichen wiederum nicht. Da müsste man sehr differenziert auch nach den Kolonien unterscheiden. Aber das Phänomen als solches ist ein koloniales Phänomen. Das findet man in allen kolonialen Systemen. Ich würde sagen, im englischen wahrscheinlich ein bisschen weniger stark ausgeprägt als in den deutschen oder französischen Systemen. Aber da müssen wir differenzieren. Hillgruber: Vielen Dank. Herr Hamza, bitte. Hamza: Vielen Dank, Herr von Bernstorff, für Ihre schönen Ausführungen. Sie haben in Ihrem Vortrag die Bedeutung der rechtsvergleichenden Analyse in den Werken von Heinrich Triepel betont. Wie verhält es sich mit der Bedeutung der historischen Analyse? Ich möchte zwei fundamentale Werke aus der Feder von Triepel erwähnen. Zunächst einmal seine Doktorarbeit, sein Doktorvater, wenn ich mich nicht täusche, war ja Karl Binder. Über das Interregnum war das erste Werk, seine Promotionsarbeit, aber sein fundamentales Werk war, veröffentlicht im Jahre 1938, die Hegemonie. Ein Buch von den führenden Staaten, vor zwanzig, dreißig Jahren in Deutschland in einer zweiten Auflage erschienen. Und in beiden Werken, aber insbesondere im Zweiten, die Hegemonie, kommt ja, meines Erachtens, der historische Aspekt besonders zum Vorschein. Und zwar insbesondere in Bezug auf den staatsrechtlichen, völkerrechtlichen Charakter der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Also, er vertritt die ein bisschen merkwürdig anmutende These, dass eben, mit Rücksicht auf seine Geschichte, hätte Ungarn – wäre Doppelmonarchie Ende des Ersten Weltkrieges nicht untergegangen – dann, aller Wahrscheinlichkeit nach, auf historische Argumente, die führende Position gehabt. Das heißt, die hegemoniale Stellung, also, das heißt, insbesondere in diesem fundamentalen Werk über die Hegemonie, ein Buch von den führenden Staaten. Also, spielt ganz eindeutig die Geschichte oder der geschichtliche Aspekt eine ganz entscheidende Rolle. Danke. Bernstorff: Ich denke, ich kann Ihnen da weitgehend zustimmen. Die historische Dimension in den Triepelschen Arbeiten ist ja immer sehr stark; vor allem das historische Bewusstsein für die Entwicklung von Rechtsordnungen; nicht aber in diesem Werk, über das ich gesprochen habe oder da nur begrenzt. In dem großen Hegemoniebuch natürlich viel mehr. Also, da kann ich Ihnen im Grunde nur beipflichten, dass das eine wichtige Dimension ist, die bei Triepel eine große Rolle spielt, allerdings erst in einem späteren Stadium seines Schaffens. Hillgruber: Ja, meine Damen und Herren, wenn Ihnen keine weiteren Fragen mehr auf der Seele brennen, dann können wir an dieser Stelle schließen mit ganz herzlichen Dank an Herrn von Bernstorff für sein so anregendes Referat.
Schlussdiskussion Gesprächsleitung: Härter, Simon, Waldhoff Simon: Wir kommen zum letzten Programmpunkt, der Schlussdiskussion. Ich leite das jetzt nur ein und Kollege Karl Härter wird dann den Versuch machen, einige Punkte anzusprechen, die man als Zusammenfassung betrachten kann. Für meinen Teil möchte ich mich darauf beschränken, an eine Anregung zu erinnern, die bei den Mitgliederversammlungen der letzten Jahre mehrfach vorgetragen wurde, dass man nämlich die Anzahl der Vorträge wieder auf ein Maß reduziert, wie es am Anfang der „Vereinigung“ anscheinend üblich war, um damit den Diskussionen (wieder) mehr Raum geben zu können. Nach den Erfahrungen der jetzigen Tagung hat dieser Vorschlag aus meiner Sicht einiges für sich, denn ich fand die Diskussionen dieses Mal besonders anregend, weil man sie nicht mangels Zeit abstellen musste. Ich habe bei dieser Tagung jedenfalls für meinen Teil deutlich die positiven Seiten der unfreiwilligen „Programmverschlankung“ wahrgenommen. Aber das ist letztlich etwas, was dann der neue Vorstand in seine Erwägungen zur Programmgestaltung der nächsten Tagung einbeziehen kann. Waldhoff: Ich habe noch zwei Ansagen, die nichts mit der Tagung zu tun haben. Einerseits: Beim deutschen Rechtshistorikertag in Tübingen im September findet wieder eine verfassungsgeschichtliche Sektion unter dem Leitthema „Verfassungsinstitution und ihr Personal“ statt. Darauf wollte ich aufmerksam machen, die Rechtshistoriker unter Ihnen sind ohnehin informiert und die Einladungen gehen demnächst heraus. Die zweite Ansage ist die, dass das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe inzwischen die alten Akten, v. a. die Prozessakten, an das Bundesarchiv abgegeben hat. Das Gericht hatte sich jahrelang geweigert das zu tun. Es gab auch Bestrebungen, das Gericht darauf aufmerksam zu machen. Die ersten Akten sind jetzt allgemein zugänglich (vgl. Florian Meinel/Benjamin Kram, Das Bundesverfassungsgericht als Gegenstand historischer Forschung. Leitfragen, Quellenzugang und Perspektiven nach der Reform des § 35b BVerfGG, JZ 2014, S. 913 ff.). Härter: Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir kommt die Aufgabe zu – auch im Namen des Vorstandes – noch einmal einige Punkte zusammenzufassen, die man vielleicht abschließend diskutieren könnte und die sich im Laufe der Tagung aus den verschiedenen Referaten ergeben haben. Wie ließen sich für die Thematik der Interdependenzen zwischen internationaler Ordnung und Verfassungsordnung verfassungshistorische Entwicklungsstränge überhaupt beschreiben? Generell könnte man konstatieren, dass beginnend mit dem Westfälischen Frieden von 1648 das Phä-
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nomen oder auch die Option auftritt, dass eine Verfassungsordnung – im Sinne einer inneren Verfassungsordnung – wesentlich durch völkerrechtliche Akte verändert, modifiziert, vielleicht sogar neu geschaffen werden konnte. Solche völkerrechtlichen Akte begegnen uns als Friedensverträge oder Ergebnisse von Friedensverhandlungen, nicht nur 1648, sondern mit dem Wiener Kongress oder nach dem Ersten Weltkrieg; auch für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hätte man Beispiele finden können. Seit 1648 können wir ebenfalls feststellen, dass Verfassungsordnungen durch internationale Akteure bzw. andere Staaten garantiert und geschützt werden. Daraus resultiert das Problem der Intervention, das wir kurz andiskutiert haben. Damit wurde langfristig eine Möglichkeit oder ein dauerhaftes Instrument der Einwirkung auf eine Verfassungsordnung von außen, von der internationalen Ebene bzw. Akteuren ausgehend, etabliert. Wie sich diese internationale „Verfassungsintervention“ seit 1648 bis heute entwickelte, ist eine offene, diskutable Frage, auch wenn sie vielleicht nur als eine Drohkulisse fungierte und es nicht zu einer tatsächlichen Intervention kam. Damit verbunden ist auch (wie das Beispiel Ungarn zeigte), das Fortwirken vormoderner verfassungs- und völkerrechtlicher Strukturen: Führen nur einzelne Akte (Friedensverträge, Krieg) zur völligen Veränderung von Verfassungsordnungen oder müssen wir nicht vielmehr sehr viel stärker darauf achten, dass trotz solcher Einschnitte vormoderne völkerrechtliche Strukturen fortwirken? Ein zweiter Problemkreis, den wir angesprochen haben, ist der Zusammenhang zwischen Völkerrechts- und Verfassungsnormen. Es wurden Modelle der Transformation von internationalen völkerrechtlichen Normen in Verfassungsrecht vorgestellt: von der internationalen Ebene in die innere Verfassungsordnung bzw. Verfassungsrecht verändert sich im Kontext der Veränderung von Völkerrecht. Offen ist dabei aber, inwiefern nicht auch der umgekehrte Prozess, den wir kurz angesprochen haben, stattfindet: Gibt es auch eine Transformation von Verfassungsnormen in Völkerrecht, von der nationalen normativen Ordnung hin zu einer internationalen Ebene? Ein Beispiel, das wir auch kurz angesprochen haben, wären die Menschenrechte. Diese stammen auch aus inneren Verfassungsordnungen und werden auf die internationale Ebene transformiert; dies gilt für den Minderheitenschutz. Auch diesbezüglich gibt es wohl einen Prozess der Transformation von der Verfassungsordnung zum Völkerrecht. Damit verbunden sind allerdings auch erhebliche Kollisionen, Reibungen und Konflikte zwischen Verfassungsrecht und Völkerrecht, die man nicht unterschätzen sollte. Auch das kann man an dem Problem nationale Verfassungsordnung und Minderheitenschutz ablesen, das sich seit 1789 entwickelte. Grundsätzlich kann man feststellen, dass es zwischen Änderungen von Verfassungsordnungen auf der inneren oder nationalen Ebene und der internationalen Ebene ein erhebliches Spannungs- und Konfliktpotential gibt. Wobei es eine offene Frage ist, wie sich solche Konflikte auswirken und in welche Richtung sie wirken. Werden diese auf die internationale Ebene transformiert, bearbeitet, reguliert oder müssen sie doch eher in den einzelnen nationalen Rechtsordnungen bearbeitet werden? Damit verbunden ist eine spezielle Problemlage, die verschiedentlich angesprochen worden ist: die Verfassungsordnungen föderaler Gebilde im Kontext von Völ-
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kerrecht und internationalen Ordnungen. Wählt man den Blickwinkel der internationalen Ordnung und des Völkerrechts, werden klassische Modelle wie Bundesstaat und Staatenbund zumindest in Frage gestellt; auch darüber haben wir diskutiert. Man könnte auch die starke These wagen, dass sich seit 1648 eine Internationalisierung von Verfassung oder vielleicht sogar eine Globalisierung von Verfassung historisch entwickelt hat und daher auch die Bedeutung und die Auswirkungen von Völkerrecht auf innere Verfassungsordnungen zugenommen haben. Das hätte erhebliche Auswirkungen auf das Problem der Souveränität, das wir auch diskutiert haben, oder für die Frage der Nation, die seit 1789 ebenfalls im Zentrum von Verfassung steht. Die historische Entwicklung scheint sich daher ganz so eindeutig mit Modellen wie Modernisierung und Weiterentwicklung von inneren Verfassungsordnungen deuten zu lassen, sondern kann auch in Richtung von Restauration oder Restitution gehen: Internationalisierung von Verfassung kann daher kaum mit Modernisierung von Verfassung gleichgesetzt werden. Zumal auch diesbezüglich die Frage auftaucht, wie der Wandel von Verfassungsordnungen die internationale Ebene beeinflusste: Wurden Verfassungskonflikte zunehmend zu internationalen Konflikten, die dann in diesem internationalen Kontext gelöst werden mussten? Wie veränderte sich Völkerrecht im Hinblick auf die Veränderungen von Verfassungsordnungen und der Bewältigung von dabei auftretenden Konflikten? Auch das scheint mir eine offene Frage zu sein, die sich aus dieser Tagung ergibt und die man weiter diskutieren könnte: Verfassungsordnungen und ihre Veränderungen können auch die internationale Stabilität verändern, sie können sie gefährden, aber auch zur Erhaltung von internationaler Stabilität beitragen. Wir haben Beispiele gehört, dass Verfassungsordnungen modifiziert oder gar geschaffen wurden, um die Stabilität des internationalen Systems bzw. eines Mächtesystems zu erhalten. Gleiches gilt umgekehrt für die innere Verfassungsordnung. In diese Entwicklung gehört auch der Zusammenhang von innerer und äußerer Sicherheit, der auf dem Wiener Kongress zum ersten Mal thematisiert worden ist, der aber im Grunde schon seit 1648 virulent war. Denn auch beim Westfälischen Frieden waren die Reichsverfassung und die Lösung von Konflikten mit dem Problem der „internationalen Stabilität“ verbunden. Wir haben folglich anhand verschiedener empirischer Beispiele eine Fülle von relativ schwierigen Problemen und Fragen angesprochen. Diese werden wir kaum zu einem neuen verfassungsgeschichtlichen Modell oder Konzept von Verfassung und Völkerrecht verdichten können. Aber ich denke, dass diese Tagung und diese Thematik gezeigt haben, dass wir damit traditionelle Modelle und Konzepte der Verfassungsgeschichte kritisch hinterfragen und neue Aspekte einbringen können. Insofern freuen wir uns auf eine rege Schlussdiskussion, in der wir sicher viele und weitere solcher Fragen stellen und aufgreifen können. Vielen Dank. Simon: Ich gebe das Wort ans Publikum. Herr Schmidt. Schmidt: Vielen Dank, Herr Härter, für die aufschlussreiche Zusammenfassung unserer Tagungsergebnisse und überhaupt dem Vorstand für diese Tagung. Das Pro-
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blem, was wir meines Erachtens umkreist haben, ist das goldene Kalb der Souveränität. Sie haben es angesprochen, dieses Denkmodell steht hinter dem, was wir hier gesagt haben. Wir alle haben irgendein Modell von Souveränität im Kopf, das so funktioniert, dass Staaten abgeschlossen sind und dass sie eben nur durch internationale Ordnungen in gewisser Weise geöffnet werden – gerade der letzte Vortrag war ein gutes Beispiel dafür. Es werden Staaten konstruiert und dann wird ihnen gleich gesagt, das und das dürft ihr aber nicht tun. Das heißt, die Souveränität wird von Beginn an durchbrochen. Die Frage ist, ob unser altes Souveränitätsmodell – auf Bodin fußend – überhaupt noch in irgendeiner Form das wiedergibt, was wir diskutieren. Was für mich überraschend und gleichzeitig wichtig war, dass für die Zeit um 1900, wo ich dachte, dass das Souveränitätsmodell auch eine staatliche Realität besaß, dass auch dort Modell und Realität weit auseinanderklafften. Das heißt, die Aufforderung an die Staatsrechtler, an die Völkerrechtler, an die Verfassungsrechtler sollte sein, sich mit der Souveränität auseinanderzusetzen und gleichzeitig Bodin zu delegitimieren und zu dekonstruieren. Diese, bei den Historikern inzwischen beliebte Begriffsbildung, gebrauche ich sonst ausgesprochen selten, aber in diesem Fall scheint mir dies ausgesprochen notwendig, um überhaupt erst wieder mit neuen Denkmodellen dasjenige zu erfassen, was auch gerade in der europäischen Union die Wirklichkeit ist. Herr Schönberger, Sie haben es wunderbar vorgeführt, Sie haben über Bundesstaat – Staatenbund gesprochen und Imperien weggelassen. In den Imperien haben wir das Problem der Souveränität als solches so nicht. Imperien haben bei uns daher den Beigeschmack, dass sie einen Staat nach dem anderen unterwerfen. Es gab aber auch anders konstruierte Imperien und auch darüber wäre in diesem Zusammenhang nachzudenken. Danke. Simon: Der nächste wäre dann Herr Lothar Schilling. Schilling: Ich will jetzt nicht geschichtspolitische Fragen diskutieren, obwohl man das könnte. Ich würde vielmehr gerne ein methodisches Problem noch einmal ansprechen. Es ist verknüpft mit der „Lepsius-Frage“, die wir am ersten Tag gehört haben: Was tun Historiker? Was tun Juristen? Zunächst einmal ist gerade auf dieser Tagung deutlich geworden, dass wir kein historisches Thema angehen können, ohne uns jeweils intensiv mit der Rezeption dieses Themas durch die Nachwelt zu beschäftigen. Das ist bei Herrn Schönbergers Referat ganz besonders klar geworden, gilt im Grunde genommen aber für alle Themen, die hier diskutiert wurden. Es sind SinnSchichten, die sich über das historische Phänomen selbst gelagert haben und die wir analysieren müssen. Sonst sind wir in der Gefahr, uns einer Authentizitäts-Illusion hinzugeben, was unseren Zugriff auf die Quellen angeht. Problematisch sind insbesondere Kontinuitäts- und Diskontinuitätskonstruktionen. Die wiederum erfolgen in ganz hohem Maß über entsprechende Begriffsbildung. Wir haben das gesehen im Zusammenhang mit Begriffen wie Vertrag, Verfassung und Internationalisierung. Es sind dies Begriffe, die Kontinuitäten insinuieren und implizieren, die ihrerseits nicht unproblematisch ist. Dagegen steht als Korrektiv – und da scheint mir die spezifische Aufgabe von Historikern zu liegen – der Versuch, die Horizonte der Akteure zu re-
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konstruieren. Die historischen Akteure verfügen notwendigerweise nicht über die Klarheit und Schärfe begrifflich zugespitzter Alternativen, über die wir verfügen und die uns wichtig sind. Gerade dieses Problem ist meines Erachtens auch eine Rechtfertigung dafür, warum es in dieser Vereinigung unbedingt notwendig ist, dass Juristen, die ein besonderes Interesse an der Schärfung ihres begrifflichen Instrumentariums haben, und Historiker, die sich stärker den Horizonten der Akteure verpflichtet fühlen, zusammenarbeiten sollten. Das ist das Produktive. Mit Blick auf unser Tagungsthema heißt dies, dass in dem Maß, in dem man die Horizonte der Akteure in den Mittelpunkt rückt, vormoderne Vorstellungen auch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr deutlich hervortreten. Es ist uns in den letzten Tagen immer wieder vor Augen geführt worden, in welchem Maße Akteure des frühen 19. Jahrhunderts mit den Begriffen, den Kategorien, den Erfahrungen der Vormoderne operierten. Das heißt nicht (als in besonderem Maße mit der französischen Geschichte befasster Historiker möchte ich dies betonen), dass die Zäsur des Jahres 1789 bedeutungslos wäre, doch müssen wir eben – etwa mit Blick auf die Deutsche Bundesakte – auch anerkennen, wie viel Vormodernes auch nach der Großen Revolution die Horizonte der Akteure geprägt hat. Vielen Dank. Simon: Herr Mußgnug, bitte. Mußgnug: Ich habe bei dieser Tagung sehr viel darüber gelernt, wie multilaterale Verträge das nationale Verfassungsrecht prägen und beeinflussen. Für mein Empfinden etwas vage geblieben ist aber, wie weit das allgemeine Völkerrecht das Verfassungsrecht bestimmt, und umgekehrt, wie Herr Härter sagte, das Verfassungsrecht auf das Völkerrecht zurückwirkt. Wenn ich es richtig sehe, geht es vor allem um das Souveränitätsdogma, das Herr Schmidt angesprochen hat, das völkerrechtlich die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten verbietet. So habe ich das als Student 1955 noch in Hermann Moslers Völkerrechtsvorlesung gelernt, der die Nichteinmischung als die Kardinaltugend des Völkerrechts dargestellt hat. Heute sehen wir das Nichteinmischungsgebot differenzierter; aber abgeschafft haben wir es keineswegs. Umso intensiver ist der Diskussionsbedarf, den es heute – ganz anders als zu meiner Studentenzeit – auslöst. Was legitimiert zur Einmischung? Lassen sich in der Völkerrechts- und Verfassungsgeschichte Entwicklungslinien aufzeigen, die möglicherweise Gesetzmäßigkeiten im Schwanken zwischen striktem Einmischungsverbot, verhohlener und unverhohlener Einmischung aufdecken? Vor der Wiedervereinigung habe ich stets einen halben Hauch von Unbehagen, wenn ich in der Staatsrechtsvorlesung auf das Wiedervereinigungsgebot des GG zu sprechen kam. Natürlich half mir darüber das Bewusstsein hinweg, dass „Deutschland als Ganzes“ über den 8. Mai 1954 bestehen geblieben ist, das ja nicht nur ein frommer Glaube der „Westdeutschen“, sondern eine durch völkerrechtlich verbindliche Rechtsakte der Alliierten abgesichertes Faktum gewesen ist. Aber dieser Rettungsanker verlor im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte erst peu a peu und dann ab der „neuen Ostpolitik“ der Regierung Brandt mit wachsender Geschwindigkeit seine Le-
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gitimationskraft: Die Wiedervereinigungsfrage begann von der „innerdeutschen“ Frage des „Deutschland als Ganzes“ zum bilateralen Konfliktstoff zwischen „den zwei deutschen Staaten“, also zur Einmischung der Bundesrepublik in die Souveränität der DDR zu werden. 1989 hat es der Bundesrepublik vorübergehend heftiges Kopfzerbrechen bereitet, wie sie sich zum plötzlichen Zerfall der DDR-Staatlichkeit verhalten soll. Es gab starke Kräfte, die weniger an das Wiedervereinigungsgebot des GG und dafür sehr viel mehr auf das Nichteinmischungsgebot des Völkerrechts setzten. Was wog schwerer? Hilft die Geschichte bei der Suche nach der rechten Antwort auf diese Frage? Wäre nicht dankenswerterweise die Wiedervereinigung dazwischen gekommen, so könnten wir das Wiedervereinigungsgebot heute anno 2014 wohl schwerlich aufrechterhalten. Mehr als eine verfassungshistorische Reminiszenz wäre es nicht mehr. Gott sei Dank weiß die Geschichte es mitunter besser. Aber darüber, wie weit es erlaubt ist, das Nichteinmischungsgebot für die Beziehungen zwischen zwei gespaltenen Staaten – China und Taiwan, Süd- und Nordkorea, Russland und Ukraine – zu relativieren ist nach wie vor intensiv nachzudenken. Das humanitäre Völkerrecht weitet sich aus und das Nichteinmischungsverbot weicht vor dieser Frage zurück, wie undemokratisch und unrechtsstaatlich die Verfassungen der Staaten sein dürfen. Kann die Völkerrechtsgemeinschaft dulden, dass manche Länder, die die Religionsfreiheit zugunsten ihrer Staatsreligion mit Füßen treten und Menschen nur deshalb verfolgen oder gar töten, weil sie sich nicht zu ihrer Staatsreligion bekennen? Oder – um mit der europäischen Reaktion auf die – in der außerösterreichischen Diskussion – sogenannte – „Haider-Affaire“ ein eher groteskes Beispiel anzusprechen: Durften sich die europäischen Nationen derart munter in die inneren Angelegenheiten Österreichs einmischen, wie sie es hier getan haben? Darüber wär meines Erachtens weiter zu diskutieren. Simon: Dann kommt Herr Schönberger. Schönberger: Ich würde gerne an dem Punkt anknüpfen, den Herr Schmidt auch schon genannt hat. Herr Härter, mir ist bei Ihrer Zusammenfassung aufgefallen, wie sehr die gesamte Beschreibungsform von einer ganz späten Grundwahrnehmung ausgeht. Nämlich zu sagen, da gibt es so etwas wie nationale Verfassungen und da kommt dann etwas dazu, sozusagen von außen, und das ist dann das Völkerrecht und das wirkt irgendwie ein. Ich halte für einen der Haupterträge unserer Tagung, dass das für die älteren Perioden keine sinnvolle Beschreibungsformel ist, sondern in den älteren Perioden haben wir schon eine Schwierigkeit überhaupt diese Schichten von Recht genau zu unterscheiden. Was ist denn da genau Völkerrecht? Was ist denn da genau inneres Staatsrecht und Verfassungsrecht? Das sind doch Kategorien aus dem späten 19. Jahrhundert, die dann im 20. Jahrhundert vielleicht noch weiter getragen worden sind. Machen wir nicht einen großen Fehler, wenn wir mit diesen Kategorien die älteren Formen beschreiben wollen und die dann dort wiederentdecken? Ich würde da ein ganz großes Fragezeichen machen und habe eigentlich den Eindruck, dass all die älteren Erfahrungen im Alten Reich und in ähnlichen Formen uns eher zeigen, wie wenig das selbstverständlich ist, wie wenig dieses Innen-
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Außendenken – und das ist ja indirekt natürlich mit Souveränitätsformeln verknüpft –, wie wenig das eigentlich der historischen Rechtserfahrung über ganz lange Zeiträume entspricht. Ich glaube, wir müssten ein bisschen mehr den Einfluss naturrechtlicher Grundvorstellungen thematisieren. Denn bis ins 19. Jahrhundert hinein ist doch deutlich, dass immer wieder Recht mit naturrechtlichen Grundvorstellungen umschrieben wird. Das wandelt sich natürlich von den Formeln her, das wandelt sich natürlich von den Vorstellungen her, aber das ist ein sehr weit geteilter Konsens. Und so lange dieser Konsens geteilt wird, auch wenn er inhaltlich natürlich immer sehr unterschiedlich gefüllt wurde, ist natürlich dieses Auseinanderdividieren von Rechtsschichten viel schwieriger einerseits, aber auch viel weniger nötig in der Erfahrung der Akteure. Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Punkt und der wird verkannt und verschüttet in dem Augenblick, in dem wir dann fragen, wie hat den damals das Völkerrecht auf das innere Staatsrecht eingewirkt? Es ist wahrscheinlich für einen größeren Teil historischer Epochen eine sinnlose Fragestellung. Daher muss sie anders formuliert werden, wenn wir ein Ergebnis haben wollen. Wir müssten dann fragen, was war denn die spezifische Rechtsschicht, die am ehesten dem entspricht, was wir später Völkerrecht genannt haben? Gab es irgendwelche Besonderheiten? Es scheint mir auch nach unseren Diskussionen in Vielem eine offene Frage zu sein. Dazu gehört, meiner Ansicht nach, ein weiterer Verlustbefund, ein Thema, das wir nicht so stark diskutiert haben: Wie ist es denn mit der Rolle der Dynastien? Wie ist es überhaupt mit dieser noch nicht völligen Verselbstständigung der Herrscher gegenüber dem jeweiligen Staatswesen? Selbst noch im Deutschen Bund klingt das ja irgendwie so, als ob der eher von Fürsten geschlossen ist, als von Staaten. Man hat dann schon den Eindruck, es sind die Fürsten für ihre Staaten, aber es sind schon fast moderne Staatsrechtler, die dann sagen, so haben die das im Deutschen Bund auch schon gemeint. Ganz so haben die es, glaube ich, noch nicht gemeint, es schillert noch so ein bisschen. Auch das Fürstenrecht, das sich dann im 19. Jahrhundert ausdifferenziert mit den Hausgesetzten usw., als dann plötzlich das abgestoßen wird aus dem staatsrechtlichen Bereich – eine ganz späte Entwicklung. In dem Sinne würde ich immer noch viel stärker dafür plädieren, diese vormodernen Erfahrungen, die viel länger präsent geblieben sind als man denkt, stärker noch in unsere Reflektionen einzubeziehen. Dadurch kommen wir dann eher weg, glaube ich, von diesem späten souveränitätstheorien-geprägten Denken. Im Grunde sind das noch letztlich die Kategorien der Laband-Welt, die dann immer wieder rückprojiziert werden. Da sehe ich die große Gefahr. Simon: Ein Zwischenruf von Karl Härter. Härter: Vielen Dank, Herr Schönberger. Sie rennen damit gleichsam offene Türen ein. Ich wollte natürlich keineswegs vorschlagen, dass wir jetzt dieses Modell der Einwirkung von Völkerrecht auf nationale Verfassungsordnungen in die Vormoderne transformieren. Eher sollte damit eine der „Hauptgeschichtserzählungen“ der Verfassungsgeschichte hinterfragt werden. Und ich würde Ihnen völlig zu stimmen, dass wir, wenn wir in der Beschreibung neue Modelle entwickeln, weit über alte Entwick-
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lungsmodelle hinausgehen müssen. Ich hatte selbst ein solches Mehrebenen-System mit verschiedenen Akteuren vorgeschlagen. Gleichwohl bleibt bestehen, dass es seit der Vormoderne Diskurse und Akteure gibt – darauf hat Herr Schilling hingewiesen – die mit ihren Begriffen und Modellen Völkerrecht strukturieren, das wir für die Vormoderne folglich nicht vollkommen ignorieren und „abschaffen“ können. Die Frage ist natürlich – und das ist zutreffend und ein Ertrag der Tagung –, dass wir diese Diskurse ein Stück weit „dekonstruieren“ oder doch so weiterentwickeln müssen, dass wir zu neuen Modellen der wissenschaftlichen Beschreibung kommen. Diesbezüglich hat diese Tagung viele Ansätze, aber noch keine fertigen Ergebnisse erbracht. Simon: Ich möchte anknüpfen, an das; was Sie sagten, Herr Schönberger. Leider ist der Vortrag zum Naturrecht ausgefallen. Im Naturrecht ist die Unterscheidung zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht angelegt: Die Normen des Naturrechts gelten unmittelbar nur im zwischenstaatlichen Verhältnis, während es im Inneren der Staaten eines von der voluntas legislatoria getragenen Rechtssetzungsaktes bedarf, um Recht zu erzeugen. Schade, dass wir das nicht vertiefen konnten. Der nächste war dann Herr Hillgruber. Hillgruber: Ich habe mich eigentlich nur deshalb zu Wort gemeldet, weil ich feststellte, dass hier wieder das übliche Souveränitäts-Bashing stattfindet. Und da fühlte ich mich doch jetzt zur Intervention berufen; um die Terminologie noch einmal aufzugreifen. Denn ich glaube, hier beruht vieles auf einem großen Missverständnis. Schon wenn man meint, man müsse Bodin dekonstruieren, um diesen Souveränitätsbegriff zu überwinden. Ich habe einmal einen Beitrag verfasst unter dem Titel „Souveränität, Verteidigung eines Rechtsbegriffs“. Mir geht es um den Rechtsbegriff der Souveränität. Der Rechtsbegriff ist immer mit Rechtsbindungen untrennbar verbunden. Schon Bodin kennt nicht den Souverän, der frei von jeglicher rechtlicher Bindung ist. Das ist zwar auch ein Souveränitätsverständnis, das auch immer wieder herumgeistert, aber es ist nicht das juristische Souveränitätsverständnis. Insofern muss man hier keinen Popanz aufbauen, um dann darauf einschlagen zu können. Es ist im Übrigen völlig richtig und wir haben dies im Laufe dieser Tagung unter den verschiedensten Aspekten und in den verschiedensten historischen Epochen festgestellt: Es gibt Bezugnahmen von Völkerrecht und Verfassungen und es gibt wechselseitige Einwirkung, das ist völlig unbestritten. Es kommt hinzu, darauf hat Herr Schönberger mit Recht hingewiesen, dass das, was wir Verfassung nennen; und auch das, was wir Völkerrecht nennen, in dieser geschichtlichen Entwicklung nicht immer ein und dasselbe geblieben ist. Es gibt einen Wandel des Völkerrechtsverständnisses. Herr von Bernstorff hat gestern bereits darauf aufmerksam gemacht, dass im Grunde das Völkerrecht, so wie wir es heute kennen, als positiv geltendes Recht im Grunde auch eine späte Entwicklung ist. Eben fiel das Stichwort Naturrecht. Natürlich ist das ius publicum europaeum etwas ganz anderes als das positiv geltende Völkerrecht, von dem wir vielleicht erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sprechen können. Und so hat sich natürlich auch das Verfassungsverständ-
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nis grundlegend gewandelt. Das alles in Rechnung stellend, scheint es mir aber gerade wegen der vielfältigen Einwirkungen wechselseitiger Art doch eben eigentlich geboten zu sein weiterhin, auch wenn das kritisiert wird, zwischen Innen und Außen, zwischen Völker- und Staats-/Verfassungsrecht zu unterscheiden. Denn ungeachtet dieser vielfältigen wechselseitigen Verweisungen und Einwirkungen ist es ja nicht so, dass beides nun zu einer ununterscheidbaren einheitlichen Rechtsmasse geworden wäre. Also, je mehr es solche Einwirkungen gibt, umso wichtiger ist es doch, meines Erachtens, zu identifizieren, wie weit erstens die Einwirkung genau reicht, und festzustellen, ob sie vermittelt wird oder ob sie unmittelbar erfolgt. Also, genau diese Fragen werden umso wichtiger, je mehr sich die Einsicht Bahn bricht, dass sie nicht in der Weise nebeneinander stehen, dass eine undurchdringliche Wand diese beiden Rechtsmassen teilt. Also, ich denke, das ist der Grund, über die Grenzverläufe nachzudenken, gerade wenn der Grenzverlauf nicht mehr so offensichtlich sichtbar ist. Vielen Dank. Simon: Danke schön. Nächster wäre dann Wilhelm Brauneder. Brauneder: Danke. Zuerst vielleicht eine Feststellung zu Naturrecht – Völkerrecht. In der Zeit, jedenfalls der naturrechtlichen Kodifikationen, waren diese beiden Ausdrücke eindeutig Synonyme. Völkerrecht und Naturrecht ist synonym gebraucht worden und es sagt jetzt vielleicht nicht sehr viel für andere Perioden aus. Aber dann noch zur Stellung des Monarchen: Naturrecht ist beschränkbar, durchaus darauf hingewiesen durch den innerstaatlichen Gesetzgeber: § 17 ABGB, „… soweit nicht Beschränkungen des Naturrechts vorliegen gilt Naturrecht“. Gilt Naturrecht schau ich in eine Naturrechtsdarstellung und die wende ich an. Entspricht § 17 ABGB, Lückenfüllung durch Naturrecht. Aber in dieser Zeit ist ja der innerstaatliche Gesetzgeber der Monarch, formell zumindest. Und es ist auch der Monarch jene Kraft, die Verträge mit anderen Monarchen – wir würden sagen, mit anderen Staaten – schließt. Im Völkerrecht, in unserem Sinne, gibt es natürlich auch Beschränkungen, nicht nur im innerstaatlichen Recht. Und die Beschränkung kommt von derselben Kraft her. Und dazu noch eine zweite Feststellung: Es wäre doch einmal sehr reizvoll Folgendes zu untersuchen: Lange Zeit basieren, modern gesagt, völkerrechtliche Verträge auf Rechtstiteln. Also, dieser „brutale“ Überfall von Friedrich dem Großen auf diese arme Frau Maria Theresia ist ja ganz entsetzlich – aus der patriotischen Geschichtsschreibung heraus. Nur in Wahrheit hat ja Friedrich der Große seine Ansprüche auf Schlesien mit Erbansprüchen untermauert. Sämtliche polnischen Teilungen beruhen auf zumindest vorgeblichen Erbansprüchen. Also, man hatte zumindest damals noch die Idee, ich muss hier mit Rechtstiteln hantieren. Das kommt dann offenbar ab, großer Sprung zum Referat von Herrn Hamza vermutlich. Nach dem Ersten Weltkrieg, Pariser Vorortverträge, da ist ja von Rechtstiteln überhaupt keine Rede mehr. Ein bisschen vielleicht, wenn es um historische Grenzen geht. Gut. Letzter Punkt, die Souveränität. Ich glaube, es gibt zumindest noch einen empirischen Weg, der mir naheliegender wäre. Nämlich zu sehen, welche Rechte üben Staaten aus, die von sich behaupten souverän zu sein? Und da wird man sicherlich in verschiedenen Zeiten
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verschiedene Kataloge, vielleicht für verschiedene Staaten parallel, aufstellen können. Österreich stand ab 1922 unter einer empfindsamen Finanzkontrolle des Völkerbundes, sodass man davon sprach, Österreich ist eigentlich kein souveräner Staat, sondern eine Völkerbundkolonie. Ungarn hatte, so glaube ich, nicht so eine strenge Kontrolle. Entschuldigen Sie, diese dumme Bemerkung, Frankreich hatte sie natürlich nicht. Aber alle diese Staaten haben behauptet, sie sind souverän. Das wäre dann eher vielleicht der historischere Zugang zum Souveränitätsbegriff. Danke. Simon: Vielen Dank. Das Wort geht an Herrn Battenberg. Battenberg: Ich wollte im Großen und Ganzen auf die Einlassung von Herrn Schilling reagieren, der Hiatus bzw. die Frage der Zusammenarbeit zwischen Historikern und Rechtshistorikern bzw. Juristen. Ich denke, es geht nicht nur darum, dass Historiker die Aufgabe haben, Akteure herauszufinden, sondern auch und vor allem darum, überhaupt die Kontextualisierung bestimmter juristischer Vorgänge zu finden. Ich denke, das hat die Diskussion dieser Tagung sehr gut deutlich machen können, etwa in Bezug auf die Frage nach dem Innen- und dem Außenbereich. Dies gilt etwa für die Diskussion, die über bestimmte Begrifflichkeiten in der „nationalen Zeitspanne“, also der Zeit der Reichsgründung, hier in Deutschland geführt wurde. Laband und andere wurden ja zitiert. Ich möchte meinen Standpunkt anhand eines Beispiels näher ausführen: Ein Problembereich, über den heute und in den letzten Tagen hier nicht diskutiert wurde, betrifft die Frage der Autonomie innerhalb von souveränen Staaten, von Nationen. Die Frage der Autonomie kann natürlich abstrakt diskutiert werden. Wie weit reichte sie? Sie kann damit unabhängig von den historischen Kontexten gesehen werden – erhält aber eine andere Dimension, wenn diese einbezogen werden. Ich denke an ein Beispiel aus dem beginnenden 19. Jahrhundert. Damals wurde in Bezug auf die Emanzipation der Juden diskutiert, dass jüdische Gemeinden vom Mittelalter an über die Frühe Neuzeit bis zur damaligen Gegenwart eine autonome Struktur aufgewiesen hätten. Das ist eine Behauptung, die sich an den Quellen eigentlich nicht so recht nachvollziehen lässt. Es gab natürlich autonome Strukturen, die aber in ihrer Reichweite von den Interessen der jeweiligen Obrigkeiten abhängig waren. Wenn man sich überlegt, dass diese Diskussion, diese Argumentation im Zusammenhang mit der Emanzipation stattfand, und nicht schon früher, dass man sich im frühen 19. Jahrhundert gegenüber älteren Strukturen abheben wollte, wird es verständlich, warum plötzlich behauptet wird, es habe eine Autonomie bei den jüdischen Gemeinden gegeben, wie sie nun nicht mehr zu akzeptieren sei. Hier zeigt sich auch das Problem des Innen und Außen, das hier eine wichtige Rolle spielt. Das muss mitbedacht werden. Wir hatten von Transformation, von Normen des Völkerrechts in staatliches Recht gesprochen. Es gibt einen hierzu sehr aufschlussreichen Bereich, nämlich die Übersetzungsfrage. Internationale Verträge, die in Englisch oder in allgemeinen Sprachen gehalten werden, sollen plötzlich nationales Recht werden und werden unter Umständen nicht ganz adäquat übersetzt. Was dazu führt, dass eine Diskussion geführt
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wird, die manchmal etwas merkwürdig anmutet. Ich denke etwa an ein Beispiel aus der Gegenwart, nämlich die Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte behinderter Menschen. Dort gab es eine offizielle Übersetzung für Österreich, Deutschland und die Schweiz, die von Integration sprach und das Wort Inklusion ganz bewusst vermied. Das führte dazu, dass plötzlich die Konvention im nationalen Recht, also hier in Deutschland, relativiert wurde, weil man nun behaupten konnte, es sei hier ja nur von Integration die Rede, und das sei ein Zustand, den wir ja bisher schon hatten, Inklusion müsse also nicht erreicht werden. Das führte dazu, dass eine sogenannte Schattenübersetzung angefertigt wurde, die versucht hat, genau diese Ungenauigkeiten richtig zu stellen. Da ist das Problem der Transformation von internationalen Vertragstexten in unterschiedliche Sprachen erkennbar. Eine weitere Frage, die wir hier nicht diskutiert hatten, die aber dennoch eine große Rolle in unserem Problemzusammenhang spielt. Wir hatten von Rechten der Minderheiten gesprochen, die Frage, wie das Völkerrecht diesbezüglich auf die nationale Gesetzgebung einwirken kann. Wie sind diese Zusammenhänge aus heutiger Sicht zu bewerten? Ich denke, es gibt im Völkerrecht eine Entwicklung bis zur Gegenwart, die bei rechter Betrachtung Ähnlichkeiten mit den alten Strukturen aufweist. Ich denke hier zum Beispiel an das moderne, noch keineswegs allgemein anerkannte Institut der responsibility to protect bei der Frage des Schutzes von Menschenrechten innerhalb eines Staates. Es wurde ja schon verschiedentlich angesprochen. Im Grunde genommen geht es auf den Minderheitenschutz zurück. Aber um dieses Institut überhaupt einführen zu können, bedurfte es einer Relativierung des alten Souveränitätsdenkens, des Denkens in nationalen Kategorien, das ja die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten vorsah. Hier ist eine Weiterentwicklung bis zur Gegenwart zu beobachten. Es wird in der Politik gegenwärtig heftig diskutiert, und auch das sollte man auch im Auge behalten. Härter: Vielen Dank. Autonomie ist ein zentraler Punkt, der durchaus, aber letztlich nur im Hintergrund unserer Diskussion aufgeleuchtet ist. Denn er verbindet vormoderne Strukturen, wie wir sie für Imperien kennen, mit den heutigen Problemen der Intervention und der Nichteinmischung. Konflikte um Autonomie führen z. B. zu separatistischen Bewegungen und solche Gruppen fordern die Intervention, auch als humanitäre Intervention der internationalen Gemeinschaft. Die Frage der Autonomie verweist auf eine starke Verbindung zwischen Verfassungsordnung – auch vormoderner Verfassungsordnung und Imperien – und der modernen Problematik von Nichteinmischung und Intervention. Von daher ist das ein wichtiger Hinweis, der hilft, über diese Problemlage Verbindungen von der Vormoderne zur Moderne und Kontinuitäten zu betrachten. Simon: Es liegt noch eine Wortmeldung vor von Herrn de Wall. de Wall: Der zeitliche Rahmen unserer Veranstaltung erstreckt sich ja bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Eigentlich lädt das Thema dazu ein, weiter zu gehen und eine Tagung anzuschließen für den Zeitraum bis 1990 und darüber hinaus.
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Schlussdiskussion
Das führt mich zu einer anderen Frage. Müsste man nicht in unserem Tableau unterscheiden zwischen „echten“ völkerrechtlichen Einflüssen auf die Verfassungsordnung und, salopp formuliert, „Siegerrecht“? Kann man beides gleichsetzen? Sind Forderungen der Siegermächte an einen Unterlegenen das Gleiche wie sonstige völkerrechtliche Einflüsse, nur weil sie in einem völkerrechtlichen Friedensvertrag oder in einer Waffenstillstandsvereinbarung niedergelegt sind? Wie sind eigentlich die Einflussnahmen etwa der Sowjetunion auf die Verfassunggebung in der DDR zu werten, die ja massiv waren? Ergäbe es für deren Bewertung einen Unterschied, wenn im Hintergrund ein völkerrechtlicher Vertrag mit der DDR gestanden hätte? Und ist ein „erzwungener“ oder gar „erpresster“ Vertrag genauso zu bewerten wie eine Vereinbarung, bei der alle Vertragschließenden einen gewissen Handlungsspielraum haben? Ich meine, dass man insofern differenzieren muss. Gerade bei Vorgängen im Rahmen eines Friedensschlusses nach kriegerischen Ereignissen, über die wir heute Vormittag gesprochen haben, spielt das Problem der Souveränität eine untergeordnete Rolle. Der, der unterlegen ist und militärisch am Boden liegt, muss jeder Einschränkung seiner Souveränität zustimmen. Für die völkerrechtsdogmatische Einordnung eines solchen Friedensvertrags können wir den Begriff der Souveränität des vertragschließenden Unterlegenen gleichsam als schöne Fiktion aufrechterhalten. Ob das aber das Diktat der Sieger zum „völkerrechtlichen Einfluss“ adelt, darüber sollte man nachdenken. Simon: Vielen Dank! Es liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit kann ich die Tagung schließen. Meine Damen und Herren, ich möchte mich bedanken bei den Referenten für die Vorträge und bei den Diskutanten für die interessanten Diskussionen. Ich hatte ja schon gesagt, ein besonderer Reiz gerade dieser Tagung lag für mich darin, dass wir die Diskussionen nicht bei einen bestimmten Punkt abbrechen mussten, sondern ungestört zu Ende führen konnten. Unser Dank auch für diese, für mich teils wirklich sehr bereichernden Diskussionsbeiträge! Wir sehen uns in zwei Jahren wieder in Hofgeismar. Vielen Dank, Herr Mußgnung, dass Sie noch einmal an den großen Beitrag von Herr Kalwoda erinnern: Herr Kalwoda hat diese Tagung weitgehend selbstständig organisiert. Ich glaube, er hat es zur Zufriedenheit Aller gemacht.
Verzeichnis der Redner Arlinghaus:
105 f.
Battenberg:
100 f., 176 f.
Bernstorff:
154 ff.
Brauneder:
175 f.
Fröschl:
64 ff.
Grothe:
158
Hamza:
35 f., 78, 111, 165
Härter:
28, 100 ff., 159, 167 ff.
Heun:
34 f., 75 f., 153
Hillgruber:
71 f., 111 f., 153 ff., 174 f.
Höbelt:
32, 66
Jestaedt:
162 f.
Kley:
70, 101 f.
Kotulla:
104
Kraus:
163 f.
Lepsius:
67 ff., 158
Mußgnug:
171 f.
Müßig:
65
Olechowski: 33, 110 Ruppert:
27, 74 f., 106 f.
Schilling:
30, 64, 170 f.
G. Schmidt:
27 ff., 77, 109 f., 169 f.
Schönberger: 73 f., 156, 172 f.
180
Verzeichnis der Redner
Simon:
27 ff., 64 ff., 167 ff.
Stauber:
100 ff.
Waldhoff:
162, 167
de Wall:
177 f.
Westphal:
31, 71, 108 f.
Wißmann:
113, 154 f.
Vereinigung für Verfassungsgeschichte Satzung §1 1) Die Vereinigung für Verfassungsgeschichte stellt sich die Aufgabe: a) Wissenschaftliche Fragen aus der Verfassungsgeschichte, einschließlich der Verwaltungsgeschichte, durch Referate und Aussprache in Versammlungen ihrer Mitglieder zu klären; b) Forschungen in diesem Bereich zu fördern; c) auf die ausreichende Berücksichtigung der Verfassungsgeschichte im Hochschulunterricht sowie bei staatlichen und akademischen Prüfungen hinzuwirken. 2) Sie verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne des Abschnitts „Steuerbegünstigte Zwecke“ der Abgabenordnung in ihrer jeweils gültigen Fassung. 3) Sitz der Vereinigung ist Frankfurt am Main.
§2 Gründungsmitglieder der Vereinigung sind diejenigen Personen, die zur Gründungsversammlung am 4. 10. 1977 in Hofgeismar eingeladen worden sind und schriftlich ihren Beitritt erklärt haben.
§3 1) Mitglied der Vereinigung kann werden, wer a) auf dem Gebiet der Verfassungsgeschichte, einschließlich der Verwaltungsgeschichte, seine Befähigung zu selbständiger Forschung durch entsprechende wissenschaftliche Veröffentlichungen nachgewiesen hat und b) an einer Universität bzw. gleichgestellten wissenschaftlichen Hochschule oder Hochschuleinrichtung als selbständiger Forscher und Lehrer, an einem wissenschaftlichen Forschungsinstitut als selbständiger Forscher oder im Archivdienst tätig ist. 2) Das Aufnahmeverfahren wird durch schriftlichen Vorschlag von drei Mitgliedern der Vereinigung eingeleitet. Ist der Vorstand einstimmig der Auffassung, dass die Voraussetzungen für den Erwerb der Mitgliedschaft erfüllt sind, so verständigt er in einem Rundschreiben die Mitglieder von seiner Absicht, dem Vorgeschlagenen die Mitgliedschaft anzutragen. Erheben mindestens fünf Mitglieder binnen Monatsfrist gegen die Absicht des Vorstandes Einspruch oder beantragen sie mündliche Erörterung, so beschließt die Mitgliederversammlung über die Aufnahme. Die Mitgliederversammlung beschließt ferner, wenn sich im Vorstand Zweifel erheben, ob die Voraussetzungen der Mitgliedschaft erfüllt sind.
182
Vereinigung für Verfassungsgeschichte – Satzung
3) In besonders begründeten Ausnahmefällen kann Mitglied der Vereinigung auch werden, wer die Voraussetzungen nach Abs. 1 lit. b nicht erfüllt. In diesem Falle wird das Aufnahmeverfahren durch näher begründeten schriftlichen Vorschlag von fünf Mitgliedern der Vereinigung eingeleitet. Über die Aufnahme entscheidet nach Stellungnahme des Vorstandes die Mitgliederversammlung mit 2/3-Mehrheit der anwesenden Mitglieder.
§4 Die ordentliche Mitgliederversammlung soll regelmäßig alle zwei Jahre an einem vom Vorstand bestimmten Ort zusammentreten. In dringenden Fällen können außerordentliche Versammlungen einberufen werden. Auf Verlangen von 1/3 der Mitglieder ist der Vorstand verpflichtet, eine außerordentliche Mitgliederversammlung unverzüglich einzuberufen. Auf jeder ordentlichen Mitgliederversammlung muss mindestens ein wissenschaftlicher Vortrag mit anschließender Aussprache gehalten werden.
§5 Der Vorstand der Vereinigung besteht aus einem Vorsitzenden und zwei Stellvertretern. Die Vorstandsmitglieder teilen die Geschäfte untereinander nach eigenem Ermessen. Der Vorstand wird am Schluss jeder ordentlichen Mitgliederversammlung neu gewählt; einmalige Wiederwahl ist zulässig. Der alte Vorstand bleibt bis zur Wahl eines neuen Vorstandes im Amt. Zur Vorbereitung der Mitgliederversammlung kann sich der Vorstand durch Zuwahl anderer Mitglieder verstärken. Auch ist Selbstergänzung zulässig, wenn ein Mitglied des Vorstandes in der Zeit zwischen zwei Mitgliederversammlungen ausscheidet.
§6 Der Beirat der Vereinigung besteht aus fünf Mitgliedern; die Mitgliederzahl kann erhöht werden. Der Beirat berät den Vorstand bei der Festlegung der Tagungsthemen und der Auswahl der Referenten. Die Mitglieder des Beirats werden von der Mitgliederversammlung auf vier Jahre gewählt.
§7 Zur Vorbereitung ihrer Beratungen kann die Mitgliederversammlung, in eiligen Fällen auch der Vorstand, besondere Ausschüsse bestellen.
§8 Zu Eingaben in den Fällen des § 1 Ziff. 2 und 3 und über öffentliche Kundgebungen kann nach Vorbereitung durch den Vorstand oder einen Ausschuss auch im Wege schriftlicher Abstimmung der Mitglieder beschlossen werden. Ein solcher Beschluss bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder; die Namen der Zustimmenden müssen unter das Schriftstück gesetzt werden.
§9 Der Mitgliedsbeitrag wird von der Mitgliederversammlung festgesetzt. Der Vorstand kann den Beitrag aus Billigkeitsgründen erlassen.
Verzeichnis der Mitglieder (Stand 30. Juni 2015) Vorstand 1. Schilling, Dr. Lothar, Professor, Universität Augsburg, Geschichte der Frühen Neuzeit, Universitätsstraße 10, D 86135 Augsburg, [email protected] 2. Schönberger, Dr. Christoph, Professor, Universität Konstanz, Fachbereich Rechtswissenschaft, Universitätsstraße 10, Fach D-110, D 78457 Konstanz, [email protected] 3. Thier, Dr. Andreas, Professor, Universität Zürich, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Rämistraße 74, CH 8001 Zürich, [email protected], [email protected], [email protected]
Beirat 1. Hausmann, Dr. Jost, Oberarchivrat, Fasanenweg 28, D 56179 Vallendar 2. Kley, Dr. Andreas, Professor, Universität Zürich, Rechtswissenschaftliches Institut, Rämistraße 74/34, CH 8001 Zürich, [email protected] 3. Kotulla, Dr. Michael, Professor, Universität Bielefeld, Universitätsstraße 25, D 33615 Bielefeld, [email protected], [email protected] 4. Lepsius, Dr. Oliver, Professor, Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Allgemeine und Vergleichende Staatslehre, Universitätsstraße 30, D 95440 Bayreuth, [email protected] 5. Waldhoff, Dr. Christian, Professor, Humboldt-Universität zu Berlin, Juristische Fakakultät, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Finanzrecht, Unter den Linden 6, D 10099 Berlin, [email protected], [email protected] 6. Westphal, Dr. Siegrid, Professor, Lürmannstraße 25, D 49076 Osnabrück, [email protected], [email protected] 7. Wiederin, Dr. Ewald, Professor, Universität Wien, Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Schottenbastei 10 – 16, A 1010 Wien, [email protected]
184
Verzeichnis der Mitglieder
Mitglieder 1.
Althoff, Dr. Gerd, Professor, Universität Münster, Historisches Seminar, Domplatz 20 – 22, D 48143 Münster, [email protected]
2.
Arlinghaus, Dr. Franz-Josef, Professor, Gustav-Adolf-Straße 17, D 33615 Bielefeld, [email protected]
3.
Asch, Dr. Ronald G., Professor, Universität Freiburg, Historisches Seminar, Werthmannplatz, KG IV, D 79085 Freiburg, [email protected]
4.
Asche M.A., Dr. Matthias, Professor, Aischbachstr. 5, D 72108 Rottenburg-Dettingen, [email protected]
5.
Badura, Dr. Peter, Professor, Am Rothenberg Süd 4, D 82431 Kochel, [email protected]
6.
Barmeyer-Hartlieb, Dr. Heide, Professor, Auf den Bohnenkämpen 6, D 32756 Detmold, [email protected]
7.
Battenberg, Dr. J. Friedrich, Professor, Hessische Historische Kommission, Karolinenplatz 3, D 64289 Darmstadt, [email protected]
8.
Baumgart, Dr. Peter, Professor, Frankenstraße 176, D 97078 Würzburg, [email protected]
9.
Becht, Dr. Hans-Peter, Stadtarchiv Pforzheim, Kronprinzenstraße 28, D 75177 Pforzheim, [email protected]
10.
Becker, Dr. Hans-Jürgen, Professor, Karl-Fischer-Weg 2, D 93051 Regensburg, [email protected]
11.
Birtsch, Dr. Günter, Professor, Bachwies 16, D 54296 Trier/Filsch, [email protected]
12.
Blockmans, Dr. Wim, Professor, Rijksuniversiteit te Leiden, Postbus 9515, NL 2300 Leiden, [email protected]
13.
Böckenförde, Dr. Ernst-Wolfgang, Professor, Türkheimstraße 1, D 79280 Au bei Freiburg
14.
Boldt, Dr. Hans, Professor, Krafftgasse 1, D 79379 Müllheim, [email protected]
15.
Borck, Dr. Heinz-Günther, Professor, Karthäuserhofweg 22, D 56075 Koblenz, [email protected]
16.
Bosbach, Dr. Franz, Professor, Prorektor der Universität Duisburg-Essen, Universitätsstraße 2, D 45141 Essen, [email protected]
17.
Brand, Dr. Jürgen, Professor, Schragen 20, D 40822 Mettmann, [email protected]
Verzeichnis der Mitglieder
185
18.
Brandt, Dr. Hartwig, Professor, Wilhelmstraße 19, D 35037 Marburg/Lahn, [email protected]
19.
Brandt, Dr. Harm-Hinrich, Professor, Sonnenrain 10, D 97234 Reichenberg, [email protected]
20.
Brauneder, Dr. Wilhelm, Professor, Universität Wien, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Schottenbastei 10 – 16, A 1010 Wien, [email protected]
21.
Bulst, Dr. Neithard, Professor, Universität Bielefeld, Fakultät für Geschischtswissenschaft und Philosophie, Universitätsstraße 25, D 33615 Bielefeld, [email protected]
22.
Burkhardt, Dr. Johannes, Professor, Universität Augsburg, Philosophische Fakultät II, Universitätsstraße 10, D 86135 Augsburg, [email protected]
23.
Buschmann, Dr. Arno, Professor, Universität Salzburg, Institut für europäische und vergleichende Rechtsgeschichte, Churfürststraße 1, A 5020 Salzburg, [email protected]
24.
Butzer, Dr. Hermann, Professor, Moltkestraße4, D 30989 Gehrden, [email protected]
25.
Cancik, Dr. Pascale, Professor, Universität Osnabrück, Martinistraße 12, D 49069 Osnabrück, [email protected]
26.
Carl, Dr. Horst, Professor, Universität Gießen, FB 04 Historisches Institut Neuere Geschichte II, Otto-Behaghel-Str. 10/C1, D 35394 Gießen, [email protected]
27.
Chittolini, Dr. Giorgio, Professor, Via Cabrini Madre 7, I 20122 Milano, [email protected]
28.
Collin, Dr. Peter, Dozent, Max-Plank-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Postfach 930227, D 60457 Frankfurt/Main, [email protected]
29.
Cordes, Dr. Albrecht, Professor, Universität Frankfurt am Main, Fachbereich Rechtswissenschaft, Institut für Rechtsgeschichte, Grüneburgplatz 1, D 60323 Frankfurt/Main, [email protected]
30.
Dilcher, Dr. Gerhard, Professor, Kuckucksweg 18, D 61462 Königstein/Taunus, [email protected]
31.
Dippel, Dr. Horst, Professor, Glosterstraße 5, D 21735 Jork, [email protected]
32.
Dölemeyer, Dr. Barbara, Professor, Max-Plank-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Postfach 930227, D 60457 Frankfurt/Main, [email protected]
33.
Eisenhardt, Dr. Ulrich, Professor, Tückingschulstraße 39 E, D 58135 Hagen
34.
Endres, Dr. Rudolf, Professor, An den Hornwiesen 10, D 91054 Buckenhof
186
Verzeichnis der Mitglieder
35.
Fenske, Dr. Hans, Professor, Kardinal-Wendel-Str. 45, D 67346 Speyer
36.
Fiedler, Dr. Wilfried, Professor, Universität des Saarlandes, Campus 16/A, Postfach 151150, D 66041 Saarbrücken, [email protected]; [email protected]
37.
Fioravanti, Dr. Maurizio, Professor, Universtità degli Studi di Firenze, Facoltà di Giurisprudenza, Dipartimento di Scienze Giuridiche, Via delle Pandette, 32, I 50127 Firenze, [email protected], [email protected]
38.
Fröschl, Dr. Thomas, Professor, Universität Wien, Institut für Geschichte, Universitätsring 1, A 1010 Wien [email protected]
39.
Frotscher, Dr. Werner, Professor, Universität Marburg, Fachbereich Rechtswissenschaft, Institut für Öffentliches Recht, Universitätsstraße 6, D 35032 Marburg, [email protected]
40.
Gall, Dr. Lothar, Professor, Universität Frankfurt am Main, Historisches Seminar FB 8, Grüneburgplatz 1, D 60323 Frankfurt/Main, [email protected]
41.
Gosewinkel, Dr. Dieter, Dozent, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Reichpietschufer 50, D 10785 Berlin, [email protected], [email protected]
42.
Gotthard, Dr. Axel, Professor, Universität Erlangen-Nürnberg, Departement für Geschichte, Kochstraße 4/BK 11, D 91054 Erlangen, [email protected]
43.
Grawert, Dr. Rolf, Professor, Aloyisiusstraße 28, D 44795 Bochum
44.
Grimm, Dr. Dieter, Professor, Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Unter den Linden 11, D 10117 Berlin, [email protected]
45.
Grothe, Dr. Ewald, Professor, Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Archiv des Liberalismus, Theodor-Heuss-Str. 26, D 51645 Gummersbach, [email protected]
46.
Grypa, Dr. Dietmar, Professor, Postfach 1115, D 85065 Eichstätt, [email protected]
47.
Gusy, Dr. Christoph, Professor, Universität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaft, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Staatslehre und Verfassungsgeschichte, Universitätsstraße 25, D 33615 Bielefeld, [email protected]
48.
Härter, Dr. Karl, Professor, Max-Plank-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Postfach 930227, D 60489 Frankfurt/Main, [email protected]
49.
Hahn, Dr. Hans Henning, Professor, Universität Oldenburg, Institut für Geschichte, Postfach 2503, D 26111 Oldenburg, [email protected], [email protected]
Verzeichnis der Mitglieder
187
50.
Hahn, Dr. Hans-Werner, Professor, Universität Jena, Historisches Institut, Fürstengraben 13, D 07743 Jena, [email protected]
51.
Hamza, Dr. Gabor, Professor, ELTE Római Jogi Tanszék, Egyetem ter 1 – 3, H 1053 Budapest, [email protected]
52.
Hartmann, Dr. Bernd J., Professor, Universität Osnabrück, Institut für Kommunalrecht und Verwaltungswissenschaft, Martinistraße 12, D 49078 Osnabrück, [email protected]
53.
Haug-Moritz, Dr. Gabriele, Professor, Universität Graz, Institut für Geschichte, Attemsgasse 8/III, A 8010 Graz, [email protected]
54.
Hausmann, Dr. Jost, Oberarchivrat, Fasanenweg 28, D 56179 Vallendar, [email protected], [email protected]
55.
Heun, Dr. Werner, Professor, Universität Göttingen, Institut für Allgemeine Staatslehre und Politische Wissenschaften, Goßlerstraße 11, D 37073 Göttingen, [email protected]
56.
Heyen, Dr. Erk Volkmar, Professor, Universität Greifswald, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Domstraße 20, D 17489 Greifswald, [email protected]
57.
Hille, Dr. Martin, PD, Universität Passau, Innstraße 25, D 94032 Passau, [email protected]
58.
Hillgruber, Dr. Christian, Professor, Universität Bonn, Institut für Öffentliches Recht, Adenauerallee 24 – 42, D 53113 Bonn, [email protected]
59.
Höbelt, Dr. Lothar, Professor, Porzellangasse 19/4, A 1090 Wien, [email protected]
60.
Hofmann, Dr. Hasso, Professor, Christoph-Mayer-Weg 5, D 97082 Würzburg, [email protected]
61.
Hoke, DDr. Rudolf, Professor, Postgasse 19, A 1010 Wien
62.
Hufeld, Dr. Ulrich, Professor, Universität Hamburg, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Holstenhofweg 85, D 22043 Hamburg, [email protected]
63.
Isenmann, Dr. Eberhard, Professor, Universität zu Köln, Historisches Seminar, AlbertusMagnus-Platz, D 50923 Köln, [email protected]
64.
Ishibe, Dr. Masakuke, Professor, Osaka International University, Department of Economy and Policy, Hirakat-shi, Sugi 3 – 50 – 1, Osaka Fu, Japan
65.
Jahns, Dr. Sigrid, Professor, Bommersheimer Weg 20, D 61348 Bad Homburg, [email protected]
188
Verzeichnis der Mitglieder
66.
Jestaedt, Dr. Matthias, Professor, Universität Freiburg, Institut für Staatswissenschaft und Rechtsphilosophie, Abteilung 3: Rechtstheorie, D 79085 Freiburg/Breisgau, [email protected], [email protected]
67.
Johanek, Dr. Peter, Professor, Universität Münster, Historisches Seminar, Domplatz 20 – 22, D 48143 Münster, [email protected]
68.
Jouanjan, Dr. Olivier, Professor, Bergstraße 5, D 79294 Sölden, [email protected]
69.
Kampmann, Dr. Christoph, Professor, Philipps-Universität Marburg, Seminar für Neuere Geschichte, Wilhelm-Röpke-Straße 6 C III, D 35032 Marburg/Lahn, [email protected]
70.
Kannowski, Dr. Bernd, Professor, Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte, Universitätsstraße 30, D 95447 Bayreuth, [email protected], [email protected]
71.
Kern, Dr. Bernd-Rüdiger, Professor, Universität Leipzig, Juristenfakultät, Burgstraße 27, D 04109 Leipzig, [email protected], [email protected]
72.
Kersten, Dr. Jens, Professor, Universität München, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft, Prof.-Huber-Platz 2, D 80539 München, [email protected]
73.
Kirsch, Dr. Martin, Professor, Am Kriegergarten 2, D 67433 Neustadt/Weinstraße, [email protected]
74.
Kleinheyer, Dr. Gerd, Professor, Universität Bonn, Fachbereich Rechtswissenschaft, Adenauerallee 24 – 42, D 53113 Bonn
75.
Kley, Dr. Andreas, Professor, Universität Zürich, Rechtswissenschaftliches Institut, Rämistraße 74/34, CH 8001 Zürich, [email protected]
76.
Klippel, Dr. Diethelm, Professor, Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Rechtsgeschichte, Universitätsstraße 30, D 95440 Bayreuth, [email protected]
77.
Kohl, Dr. Gerald, Professor, Universität Wien, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Schottenbastei 10 – 16, A 1010 Wien, [email protected]
78.
Kohler, Dr. Alfred, Professor, Universität Wien, Institut für Geschichte, Universitätsring 1, A 1010 Wien, [email protected]
79.
Kotulla M.A., Dr. Michael, Professor, Universität Bielefeld, Universitätsstraße 25, D 33615 Bielefeld, [email protected], [email protected]
80.
Kraus, Dr. Hans-Christof, Professor, Universität Passau, Philosophische Fakultät, Neuere und Neueste Geschichte, Innstraße 25, D 94032 Passau, [email protected]
Verzeichnis der Mitglieder
189
81.
Kroeschell, Dr. Karl, Professor, Fürstenbergstraße 24, D 79102 Freiburg/Breisgau
82.
Kühne, Dr. Jörg-Detlef, Professor, Universität Hannover, Juristische Fakultät, Königswortherplatz 1, D 30167 Hannover, [email protected], [email protected]
83.
Lanzinner, Dr. Maximilian, Professor, Universität Bonn, Lehrstuhl Neuzeit I, Konviktstraße 11, D 53113 Bonn, [email protected]
84.
Leonhard, Dr. Jörn, Professor, Universität Freiburg, Historisches Seminar, Rempartstraße 15 – KG IV, D 79085 Freiburg, [email protected]
85.
Lepsius LL.M., Dr. Oliver, Professor, Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Allgemeine und Vergleichende Staatslehre, Universitätsstraße 30, D 95440 Bayreuth, [email protected]
86.
Lieberwirth, Dr. Rolf, Professor, Rainstraße 3 B, D 06114 Halle/Saale
87.
Lingelbach, Dr. Gerhard, Professor, Universität Jena, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Carl-Zeiß-Straße 3, D 07743 Jena, [email protected]
88.
Löffler, Dr. Bernhard, Professor, Universität Regensburg, Institut für Geschichte, Lehrstuhl für Bayerische Landesgeschichte, Universitätsstraße 31, D 930453 Regensburg, [email protected]
89.
Lück, Dr. Heiner, Professor, Universität Halle-Wittenberg, Juristische Fakultät, Universitätsring 4, D 06108 Halle/Saale, [email protected]
90.
Luntowski, Dr. Gustav, Professor, Am Hiddelk 2, D 34519 Diemelsee
91.
Lutterbeck, Dr. Klaus-Gert, Dozent, 1, Chemin de la Fontaine, F 46250 Montcléra, [email protected]
92.
Maleczek, Dr. Werner, Professor, Universität Wien, Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Universitätsring 1, A 1010 Wien, [email protected]
93.
Malettke, Dr., Klaus, Professor, Universität Marburg, Seminar für Neuere Geschichte – Frühe Neuzeit, Wilhelm-Röpke-Straße 6 C, D 35032 Marburg, [email protected]
94.
Manca, Dr. Anna Gianna, Professor, Università degli Studi di Trento, Dipartimento di Filosofia, Storia e Beni Culturali, Via Santa Croce 65, I 38100 Trento, [email protected]
95.
Marquardt, Dr. Bernd, Professor, Calle 128b, No. 72 – 80, casa 3, Bogotá D.C., Columbia, [email protected]
96.
Masing, Dr. Johannes, Professor, Universität Freiburg, Institut für Öffentliches Recht V, Platz der Alten Synagoge 1, D 79085 Freiburg, [email protected]
190
Verzeichnis der Mitglieder
97.
Mazzacane, Dr. Aldo, Professor, Calata San Francesco 13 A, I 80127 Napoli, [email protected], [email protected]
98.
Menk, Dr. Gerhard, Archivoberrat, Hessisches Staatsarchiv Marburg, Friedrichstraße 15, D 35037 Marburg, [email protected], [email protected]
99.
Modeer, Dr. Kjell A., Professor, Universität Lund, Juridicum, S 22105 Lund 1, [email protected]
100. Möllers, Dr. Christoph, Professor, Humboldt-Universität zu Berlin, Juristische Fakultät, Unter den Linden 6, D 10099 Berlin, [email protected] 101. Mohnhaupt, Dr. Heinz, Max-Plank-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Postfach 930227, D 60457 Frankfurt/Main, [email protected] 102. Müßig, Dr. Ulrike, Professor, Universität Passau, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht sowie Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte, Juridicum, Innstraße 39, D 94032 Passau, [email protected], [email protected] 103. Murakami, Dr. Junichi, Professor, Toin-University Yokohama, Faculty of Law, 1614 Kurogane-cho, Aoba-, 225 – 8502 Yokohama, Japan 104. Mußgnug, Dr. Reinhard, Professor, Keplerstraße 40, D 69120 Heidelberg, [email protected] 105. Neitmann, Dr. Klaus, Dozent, Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Zum Windmühlenberg, D 14469 Potsdam, OT Bornim, [email protected] 106. Neschwara, Dr. Christian, Professor, Universität Wien, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Schottenbastei 10 – 16, A 1010 Wien, [email protected] 107. Neugebauer, Dr. Wolfgang, Professor, Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophische Fakultät I, Institut für Geschichtswissenschaften, Geschichte für Preußen, Unter den Linden 6, D 10099 Berlin, [email protected] 108. Neuhaus, Dr. Helmut, Professor, Universität Erlangen-Nürnberg, Lehrstuhl für Neuere Geschichte I, Fichtestraße 46, D 91054 Erlangen, [email protected] 109. Nicklas, Dr. Thomas, Professor, Université de Reims, Département d’allemand, 57 Rue Pierre Taittinger, F 51096 Reims, [email protected] 110. Nilsén, Dr. Per, Professor, Syddansk Universitet, Juridisk Institut, Campusvej 55, DK 5230 Odense M, [email protected] 111. Oestmann, Dr. Peter, Professor, Universität Münster, Institut für Rechtsgeschichte, Universitätsstraße 14 – 16, D 48143 Münster, [email protected]
Verzeichnis der Mitglieder
191
112. Olechowski, Dr. Thomas, Professor, Universität Wien, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, A 1010 Wien, [email protected] 113. Pahlow, Dr. Louis, Professor, Universität Frankfurt am Main, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Rechtsgeschichte, Zivilrecht und Gewerblicher Rechtsschutz, Grüneburgplatz 1, D 60629 Frankfurt/Main, [email protected], [email protected] 114. Pape, Dr. Matthias, Dozent, Historisches Institut der RWTH Aachen, Theaterplatz 14, D 52056 Aachen, [email protected], [email protected] 115. Pauly, Dr. Walter, Professor, Universität Jena, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, CarlZeiß-Straße 3, D 07743 Jena, [email protected] 116. Pelizaeus, Dr. Ludolf, Professor, Universität Mainz, Historisches Seminar, Neuere Geschichte, Jakob-Welder-Weg 18, D 55122 Mainz, [email protected] 117. Peterson, Dr. Claes, Professor, Stockholms universitet, Juridiska institutionen, Universitetsvägen 10c, Södra huset, Frescati, S 10691 Stockholm, [email protected] 118. Pieroth, Dr. Bodo, Professor, Universität Münster, Institut für Öffentliches Recht und Politik, Universitätsstraße 14 – 16, D 48143 Münster, [email protected] 119. Pietschmann, Dr. Horst, Professor, Postfach 420465, D 50898 Köln, [email protected], [email protected] 120. Polley, Dr. Rainer, Professor, Archivdirektor, Archivschule Marburg, Bismarckstraße 32, D 35037 Marburg, [email protected] 121. Prodi, Dr. Paolo, Professor, Via Galliera 34, I 40121 Bologna 122. Ranieri, Dr. Filippo, Professor, Universität des Saarlandes, Forschungsstelle für Europäisches Zivilrecht, Postfach 151150, D 66041 Saarbrücken, [email protected] 123. Reiter-Zatloukal, Dr. Ilse, Professor, Universität Wien, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Schottenbastei 10 – 16, A 1010 Wien, [email protected] 124. Robbers, Dr. Gerhard, Professor, Universität Trier, FB V, Rechtswissenschaften, Institut für Rechtspolitik, Postfach 3825, D 54286 Trier, [email protected] 125. Rudersdorf, Dr. Manfred, Professor, Universität Leipzig, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit, Beethovenstraße 15, D 04107 Leipzig, [email protected], [email protected]
192
Verzeichnis der Mitglieder
126. Rückert, Dr. Joachim, Professor, Universität Frankfurt am Main, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Institut für Rechtsgeschichte, Postfach 111932, D 60054 Frankfurt/ Main, [email protected] 127. Ruppert, Dr. Karsten, Professor, Am Unteren Schlittberg 19, D 67354 Römerberg, [email protected] 128. Schennach, DDr. Martin P., Professor, Universität Innsbruck, Institut für Römisches Recht und Rechtsgeschichte, Innrain 52, A 6020 Innsbruck, [email protected] 129. Schilling, Dr. Lothar, Professor, Universität Augsburg, Geschichte der Frühen Neuzeit, Universitätsstraße 10, D 86135 Augsburg, [email protected] 130. Schindling, Dr. Anton, Professor, Universität Tübingen, Seminar für Neuere Geschichte, Wilhelmstraße 36, D 72074 Tübingen, [email protected]; [email protected] 131. Schmidt, Dr. Georg, Professor, Universität Jena, Historisches Institut, Fürstengraben 13, D 07743 Jena, [email protected] 132. Schmidt-de Caluwe, Dr. Reimund, Professor, Universität Halle-Wittenberg, Juristische Fakultät, Universitätsplatz 5, D 06108 Halle/Saale, [email protected] 133. Schmoeckel, Dr. Mathias, Professor, Universität Bonn, Institut für Deutsche und Rheinische Rechtsgeschichte, Adenauerallee 24 – 42, D 53113 Bonn, [email protected], [email protected] 134. Schneider, Dr. Hans-Peter, Professor, Universität Hannover, Deutsches Institut für Föderalismusforschung, Königswortherplatz 1, D 30167 Hannover, [email protected], [email protected], [email protected] 135. Schneider, Dr. Reinhard, Professor, Aßmannshauser Str. 26, D 14197 Berlin 136. Schönberger, Dr. Christoph, Professor, Universität Konstanz, Fachbereich Rechtswissenschaft, Universitätsstraße 10, Fach D-110, D 78457 Konstanz, [email protected] 137. Schubert, Dr. Werner, Professor, Universität Kiel, Juristisches Seminar, Leibnizstraße 6, D 24118 Kiel, [email protected] 138. Schulze, Dr. Reiner, Professor, Universität Münster, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universitätsstraße 14 – 16, D 48143 Münster, [email protected], [email protected] 139. Schütz, Dr. Rüdiger, Professor, Am Burggraben 24, D 52080 Aachen, [email protected] 140. Schwab, Dr. Dieter, Professor, Riesengebirgstraße 34, D 93057 Regensburg, [email protected]
Verzeichnis der Mitglieder
193
141. Simon, Dr. Thomas, Professor, Universität Wien, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte, Schottenbastei 10 – 16, A 1010 Wien, [email protected] 142. Stauber, Mag. Dr. Reinhard, Professor, Universität Klagenfurt, Institut für Geschichte, Universitätsstraße 65 – 67, A 9020 Klagenfurt, [email protected] 143. Steiger, Dr. Heinhard, Professor, Oberhof 16, D 35440 Linden, [email protected] 144. Stickler, Dr. Matthias, Professor, Universität Würzburg, Institut für Geschichte, Am Hubland, D 97074 Würzburg, [email protected] 145. Stollberg-Rilinger, Dr. Barbara, Professor, Universität Münster, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit, Domplatz 20 – 22, D 48143 Münster, [email protected] 146. Stolleis, Dr. Michael, Professor, Max-Plank-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Postfach 930227, D 60457 Frankfurt/Main, [email protected] 147. Takii, Kazuhiro, Professor, International Research Center for Japanese Studies, 3 – 2 Goryo Oeyama Nishikyo, Kyoto 610 – 1192, Japan, [email protected] 148. Thier, Dr. Andreas, Professor, Universität Zürich, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Rämistraße 74, CH 8001 Zürich, [email protected], [email protected], [email protected] 149. Ullmann, Dr. Hans-Peter, Professor, Universität Köln, Philosophische Fakultät, Historisches Institut, Albertus-Magnus-Platz, D 50923 Köln, [email protected] 150. Vormbaum, Dr. Thomas, Professor, Fern-Universität Hagen, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Universitätsstraße 21, D 58097 Hagen, [email protected] 151. Wahl, Dr. Rainer, Professor, Universtität Freiburg, Institut für Öffentliches Recht, Hagenmattenstraße 6, D 79117 Freiburg, [email protected] 152. Waldhoff, Dr. Christian, Professor, Humboldt-Universität zu Berlin, Juristische Fakakultät, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Finanzrecht, Unter den Linden 6, D 10099 Berlin, [email protected], [email protected] 153. Wall, Dr. Heinrich de, Professor, Universität Erlangen-Nürnberg, Hans-Liermann-Institut für Kirchenrecht, Lehrstuhl für Kirchenrecht, Staats- und Verwaltungsrecht, Hindenburgstraße 34, D 91054 Erlangen, [email protected] 154. Walther, Dr. Helmut G., Professor, Universität Jena, Historisches Institut, Mittelalterliche Geschichte, Fürstengraben 13, D 07743 Jena, [email protected]
194
Verzeichnis der Mitglieder
155. Weiß, Dr. Dieter J., Professor, Universität München, Historisches Seminar, Institut für Bayerische Geschichte, Geschwister-Scholl-Platz 1, D 80539 München, [email protected] 156. Weitzel, Dr. Jürgen, Professor, Reifensteinweg 2, D 97286 Sommerhausen, [email protected] 157. Westphal, Dr. Siegrid, Professor, Lürmannstraße 25, D 49076 Osnabrück, [email protected], [email protected] 158. Wiederin, Dr. Ewald, Professor, Universität Wien, Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Schottenbastei 10 – 16, A 1010 Wien, [email protected] 159. Wienfort, Dr. Monika, Professor, Humboldt-Universität zu Berlin, Philosophische Fakultät I, Institut für Geschichtswissenschaften, Friedrichstraße 191 – 193, D 10117 Berlin, [email protected] 160. Will, DDr. Martin, Professor, EBS Universität für Wirtschaft und Recht, Lehrstuhl für Staatsrecht, Verwaltungs-, Europarecht, Recht der neuen Technologien sowie Rechtsgeschichte, Gustav-Stresemann-Ring 3, D 65189 Wiesbaden, [email protected] 161. Willoweit, Dr. Dietmar, Professor, Unterer Dallenbergweg 11, D 97082 Würzburg, [email protected] 162. Winkelbauer, Dr. Thomas, Professor, Universität Wien, Institut für Österreichische Geschichtsforschung, Universitätsring 1, A 1010 Wien, [email protected] 163. Wißmann, Dr. Hinnerk, Professor, Universität Münster, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insb. Verwaltungswissenschaften, Kultur- und Religionsverfassungsrecht, Wilmergasse 28, D 48143 Münster, [email protected] 164. Wittreck, Dr. Fabian, Professor, Universität Münster, Institut für Öffentliches Recht und Politik, Bispinghof 24/25, D 48143 Münster, [email protected] 165. Wolgast, Dr. Eike, Professor, Universität Heidelberg, Historisches Seminar, Grabengasse 3 – 5, Postfach 105760, D 69120 Heidelberg, [email protected] 166. Würtenberger, Dr. Thomas, Professor, Universität Freiburg, Rechtswissenschaftliche Fakultät, Forschungsstelle für Hochschulrecht, Belfortstraße 20, D 79085 Freiburg, [email protected] 167. Wüst, Dr. Wolfgang, Professor, Am Sonnenhang 4 12, D 86199 Augsburg, [email protected], [email protected] 168. Wyduckel, Dr. Dieter, Professor, Technische Universität Dresden, Juristische Fakultät, Mommsenstraße 13, D 01062 Dresden, [email protected]