Verbum, Aktionsart und Aspekt: In der Histoire du Seigneur de Bayart par le loyal serviteur [Reprint 2020 ed.] 9783112324028, 9783112324011

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Verbum, Aktionsart und Aspekt: In der Histoire du Seigneur de Bayart par le loyal serviteur [Reprint 2020 ed.]
 9783112324028, 9783112324011

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BEIHEFTE ZUR ZEITSCHRIFT FÜR

ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON

PROF. DR.

GUSTAV GRÖBER +

FORTGEFÜHRT UND HERAUSGEGEBEN VON

DR.

W A L T H E R

v.

W A R T B U R G

PROFESSOR A N DER UNIVERSITÄT LEIPZIG

LXXXVII. HEFT ALFRED

SCHOSSIG

VERBUM, A K T I O N S A R T UND

ASPEKT

IN DER HISTOIRE DU SEIGNEUR DE BAYART PAR LE LOYAL SERVITEUR

MAX

NIEMEYER

VERLAG

/

H A L L E / S A A L E 1936

VERBUM, AKTIONSART UND ASPEKT IN DER HISTOIRE DU SEIGNEUR DE BAYART PAR LE LOYAL SERVITEUR

VON

A L F R E D SCHOSSIG

MAX N I E M E Y E R V E R L A G / H A L L E / S A A L E 1936

Alle Rechte, auch dai der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten Copyright by Max Niemeyer Verlag, Halle (Saale), 1936 Printed in Germany

Erscheint all Dissertation mit gleichem Titel bei Max Niemeyer Verlag, Halle / Saale 1936

Druck Ton C. Schalte 4 Co., G. m. b. H., OrUenbalnloben

Brunhild Auerbach • Gertrud Schossig Berthold Auerbach in Dankbarkeit und Verehrung gewidmet

Gliederung. I. K a p i t e l . A. Stand der Forschung über Aktionsart und Aspekt des Verbums und Begründung einer neuen Fragestellung . Einleitung: Die Begrifie „Aktionsart" und Methode und Wissenschaftsanschauung der Forschung

Seite

i—18

„Aspekt". bisherigen I—5

I. Der einzelne Infinitiv und der Einzelsatz als Ausgangspunkt der Forschung. Verquickung von Verbalbedeutung, Aktionsart und Aspekt im Infinitiv. Mißverständnis über die Verbalkomposition in den einzelnen Sprachen. Einfluß der Psychologie als Hilfswissenschaft. Psychologisierung der sprachlichen Erscheinungen. Der Infinitiv eine „Abstraktion". „Vorstellungsarten" statt Aktionsarten. Analyse des Einzelfalls. Subjektiv und objektiv empfundene Tempora. Die realen Tempora im Französischen als Ausdruck verschiedener seelischer Grundlage

5—10

II. Der Begriff der Zeit und die Bedeutung der Aktionsart. Zeitverlauf (Zeitstufen: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft) und Handlungsverlauf (Aktionsart) und Aspekt. Die These vom Zeitrichtungsbezug ist die Relativitätstheorie der Sprache

10—14

III. Verbum, Aktionsart und Aspekt als rein sprachliche Leistungen. Die Präteritalformen des Verbums im Gefüge eines sprachlichen Ganzen und das sprachliche Ganze selbst als Ausgangspunkt der Forschung. Der Begriff der „darstellenden Leistung" (Die Verbalformen bilden als Funktionsformen die Glieder eines sprachlichen Ganzen). Der Begriff der „Darstellungsweise": Erzählung, Beschreibung, Bericht (Die Darstellungsweisen sind sprachliche Gebilde oder sprachliche Gestalten von bestimmter innerer Struktur). Der „ G r u n d " und die „Bedingungen" für die Entstehung der sprachlichen Gestalten

14—18

VIII

Gliederung. Seite

B. Entwicklung eines neuen Standpunktes in der Erforschung der Aktionsarten und Aspekte

19—27

I. Die morphologische Methode der Sprach- und Literaturwissenschaft. Die Lehre von den Einfachen Formen; als Beispiel die Einfache Form Legende. Der Begriff der „Geistesbeschäftigung'*. Die Einfache Form und ihre Begründung in der Sprache: Das konkrete sprachliche Gefüge II. Die Darstellungsweise als sprachliches Ganze und die Kunstform „Livre des faits". Der innere Zusammenhang zwischen dem konkreten sprachlichen Gefüge der Einfachen Form Legende (Kunstform „Livre des faits"), zwischen Verbum, Aktionsart, Aspekt und den Darstellungsweisen Erzählung, Beschreibung und Bericht. Die sprachliche Gliederung der Kunstform „Livre des faits"

24—27

C. Zur Methode der Morphologie. Die Lehre von den sprachlichen Gestalten

27—29

I. Die Begriffsbildung vom Gegenstand der Sprache aus. Hingabe des Subjekts an das Objekt. Die Vermittlung zwischen Objekt und Subjekt II. Das Vergleichen der sprachlichen Erscheinungen untereinander. Die Teilhabe zwischen potentiell vorhandenem konkreten sprachlichen Gefüge und der Mannigfaltigkeit der Gestalten einer Ordnung . . . III. Der Charakter der sprachlichen Gestalt und ihrer Glieder. Die Gestalt als Ganzes eine gegliederte Mannigfaltigkeit. Das Ganze weist auf seine Glieder. Koordination und Subordination der Glieder. Angleichung der Glieder und Stufen. Die Kegelhaftigkeit in den sprachlichen Gestalten IV. Synthese und Analyse, die polare Tätigkeit dieser Arbeitsweise. Das konkrete sprachliche Gefüge als potentielle Einheit und die Gestalt als Ganzes vorausgesetzt in der Anschauung. Das Sondern und Beziehen eine Tätigkeit der Sprache selbst. Das Einzelne nur geschaffen in bezug auf das Ganze

19—24

27—28

28

28—29

29

2. K a p i t e l . Einfache Form Legende und Kunstform Livre des faits . .

30—59

A. Die Texte für die Bestimmung der Einfachen Form Legende und der Kunstform „Livre des faits" sowie ihres Ursprungs in der Sprache

30—33

B. Einfache Form Legende und ihre beiden Verkörperungen in der Sprache: Heiligenvita und Livre des faits . . .

33—34

C. Über die Bezeichnung der Kunstform als „Livre des faits" und ihr Vorkommen in der mittelfranzösischen Literatur

34—40

Gliederung.

IX Seite

D. Der Ursprung der Einfachen Form Legende in der Sprache. Das konkrete sprachliche Gefüge: renom (renommée) + singuläres Geschehen (Ruf + Hohe Tat)

40—56

E. Das konkrete sprachliche Gefüge der Einfachen Form Legende und seine Darstellung in der Kunstform Heiligenvita

56—59

3. K a p i t e l . Das konkrete sprachliche Gefüge: renom (renommée) + singuläres Geschehen und die Formen der Rede, die als Einzelglieder von bestimmter Konstruktion die Darstellungsweisen: Erzählung, Beschreibung (Charakteristik), Bericht jeweils bilden

60—95

A. Der Begriff der Form der Rede

60—61

B. Die feststellende Form der Rede und die Darstellungsweise Bericht

61—75

C. Die sich gestaltende Form der Rede und die Darstellungsweise Erzählung

76—81

D. Die wertende Form der Rede und die Darstellungsweise Beschreibung (Charakteristik)

81—95

4. K a p i t e l . Die Darstellungsweisen Erzählung, Beschreibung (Charakteristik), Bericht als gegliederte sprachliche Ganze und der Gegenstand ihrer Gestaltung, sowie ihr Verhältnis zum Verbum und zu seinen Akzidentien Aktionsart und Aspekt . . . A.

B.

Die Darstellungsweise Erzählung als sprachliches Ganze und der Gegenstand ihrer Gestaltung: das singuläre Geschehen, in ihrem Wesen und in ihrer Gliederung I I . Die Darstellungsweise Erzählung und der Stellenwert der Einzelglieder in der sich gestaltenden Form Form der Rede I I I . Das Ordnungsprinzip der Darstellungsweise Erzählung und seine Auswirkung in bezug auf das Verbum und seine Akzidentien Aktionsart und Aspekt. Interpretation von Texten aus der Histoire de Bayart, Kapitel: X I X , X X , X X I , X X I I , X X I I I , X X V . .

96—205

I.

96—in

111—119

120—167

I. Die Darstellungs weise Beschreibung (Charakteristik) in ihrem Wesen und in ihrer Gliederung als sprachliches Ganze und der Gegenstand ihrer Gestaltung: der Mensch als Person (Preux) 167—172 I I . Die Darstellungsweise Beschreibung (Charakteristik) und der Stellenwert der Einzelglieder in der wertenden Form der Rede 172—178

X

Gliederung. Seite

III. Das Ordnungsprinzip der Darstellungsweise Beschreibung (Charakteristik) und seine Auswirkung in bezug auf Verbum, Aktionsart und Aspekt . .

178—196

Interpretation der Darstellungsweise Beschreibung (Charakteristik) aus verschiedenen Texten: a) Déclaration de tous les hauts faits et glorieuses adventures du duc Philippe de Bourgogne celuy qui se nomme le grand duc et le grand lyon. . . b) Des vertus qui estoient au bon chevalier sans paour et sans reprouche (Bayart) c) Die Beschreibung und Charakteristik des Ritters Jacques De Lalaing C. Die Darstellungsweise Bericht

178—190 190—193 193—106 196—205

I. Der Gegenstand der Darstellungsweise Bericht und seine Wiedergabe durch die feststellende Form der Rede

196—199

II. Interpretation von Kapitel X X V I und X L V I der Histoire de Bayart als Beispiele der Darstellungsweise Bericht

199—205

5.

Kapitel.

Übersicht der Aktionsarten und Aspekte im Mittelfranzösischen an hand der Historie Du Seigneur De Bayart . . .

206—247

A. Die Aktionsart und ihre Bedeutungsklassen im Mittelfranzösischen. Definition der Aktionsart. Die Bedeutungsklassen der Aktionsart

207—220

B. Die Polarität der Aspekte und ihre Erscheinungsformen im Mittelfranzösischen. Definition des Aspektes: Perfektiver und imperfektiver Aspekt. Die Erscheinungsformen des perfektiven und imperfektiven Aspektes im Mittelfranzösischen

220—226

C. Präf. par- + verbum simplex, bzw. verbum compositum und estre pour •+- infinitiv, s'en aller -f infinitiv, aller -f- infinitiv als periphrastische Bildungen und andre Verbalformen zum Ausdruck des rein perfektiven Aspektes im Mittelfranzösischen

227—238

D. Die adverbialen Bestimmungen und ihr Einfluß auf A k tionsart und Aspekt

238—244

E. Zusammenfassung

244—247

Bibliographie

248—251

i. K a p i t e l . A . Stand der Forschung über Aktionsart und A s p e k t des Verbums und Begründung einer neuen Fragestellung. Die Bemühungen der Sprachwissenschaft um das Wesen der Aktionsart und des Aspektes beim Verbum reichen bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts und, in den Anfängen, noch weiter zurück 1 ). Jedoch erst um die Jahrhundertwende beginnen zahlreichere Arbeiten sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Mit ihnen häufen sich die Meinungen und Gegensätze. Es ist dies zu der Zeit, da die Vergleichende Grammatik Brugmann-Delbrücks geschrieben wird, und in der die Indogermanistik die bisherige Forschung in großzügiger Weise zusammenfaßte. Neben dem Problem der Aktionsarten war einer ihrer Hauptgegenstände die Frage nach der Bedeutung der Tempusstämme und der Tempora. Man glaubte damals, eine einigermaßen befriedigende Antwort darauf gegeben zu haben 1 ). Seitdem aber sind Jahrzehnte vergangen, und die Frage nach dem Wesen der indogermanischen Tenipusstämme und Tempora, sowie der Aktionsarten und Aspekte beschäftigt immer wieder von neuem die Vergleichende Sprachwissenschaft im allgemeinen wie auch die Germanistik die Romanistik oder die Slavistik. Denn der richtige Standpunkt, von dem aus das Problem anzugreifen wäre, ist trotz so langer Zeit und so vieler Bemühungen noch nicht gefunden worden. Vor allen Dingen hat man von Beginn an theoretisch wie praktisch die verschiedensten und oft sich widersprechendsten Dinge verbunden und hat nur s c h e i n b a r Gleichartiges von einer Sprache auf die andere übertragen, z. B. die Kompositionsweisen der Aktionsarten W. Streitberg, Perfektive und imperfektive Aktionsart im Germanischen, P B B . X V , 1891, S. 70—177. E. Curtius, Sprachvergleichende Beiträge zur griechischen und lateinischen Grammatik Bd. 1. Berlin 1846: Die Bildung der Tempora und Modi im Griechischen und Lateinischen. 2) Brugmann-Delbriick. Vgl. Grammatik der idg. Sprachen. II. Bearbeitung. Straßburg 1916. II. Band, 3. Teil, S. 68ff.: Vorbemerkung über die Bedeutung der Tempus- und Verbalstämme (sog. Aktionsarten). — Brugmann-Delbrück. Vgl. Grammatik der idg. Sprachen. IV. Band, 2. Teil, 1897, K a p . X V I S. 1 — 1 5 : Tempora und Aktionen. Schossig,

B e i h e f t zur Zeitschr. f. rom. Phil. L X X X V I I .

1

2

A. Stand der Forschung über Aktionsart und Aspekt usw.

und Aspekte und ihr Verhältnis zu den Tempusstämmen und den sog. Zeitstufen. Infolgedessen sind neben der Frage und Erörterung des Begriffes der „Zeit" und der „Zeitdauer", der Bedeutung der Tempusstämme und der Zeitstufen, wie ihrer morphologischen Verhältnisse schon in den Grundbegriffen Mißverständnisse eingetreten. Die Forschung ist sich nicht einmal über die Bezeichnungen des Gemeinten einig. So verwendet die Indogermanistik, die Germanistik und Romanistik, die klassische Philologie und zum Teil auch die Slavistik stets den Begriff „Aktionsart". Dagegen spricht die französische Wissenschaft, sei es in vergleichenden Arbeiten über die idg. Sprachen oder über Einzelsprachen wie das Griechische, Lateinische, Französische, Slavische (Meillet, Barbelenet, Brunot, Mazon), immer nur vom „Aspekt" beim Verbum. Man meinte teils Gleiches, teils Verschiedenes unter beiden Benennungen. Manche Slavisten indessen sprachen von Aktionsart u n d Aspekt beim Verbum und verstanden darunter verschiedene sprachliche Kategorien. Auch betonten sie, daß die Systeme der Aktionsarten und Aspekte, wie sie in den slavischen Sprachen vorlägen, in den anderen Sprachen nicht in gleicher Weise bzw. überhaupt nicht vorzufinden seien. Aber selbst innerhalb der Slavistik herrschte über die Grundbegriffe wenig Klarheit. Da sich die Sprachforschung stets bei den slavischen Sprachen für das Problem der Aktionsarten und Aspekte Rat und Anweisung geholt hat, übernahm sie auch die unscharfe Scheidung beider Begriffe. Erst in jüngster Zeit hat man Aktionsart und Aspekt deutlich voneinander getrennt und die beiden durch die Slavistik nahegelegten Kategorien in ihrem eigentlichen Sinn zu verstehen versucht. Heute befindet sich die Sprachwissenschaft mitten in einer Auseinandersetzung darüber, deren Frage lautet: Was ist die Bedeutung und die Aufgabe der Kategorie Aspekt, und welches Verhältnis besteht zwischen Aktionsart und Aspekt in der Sprache ? Nach früheren Versuchen von Noreen, S. Agrell und anderen Forschern, haben E. Hermann, Objektive und subjektive Aktionsart, IF. 45 (1927) S. 207ff., W. Porzig, Zur Aktionsart indogermanischer Präsensbildungen, IF. 45 (1927) S. I52ff., Jacobsohn, Gnomon 2, S. 379ff., und zuletzt Koschmieder in seiner Abhandlung „Zeitbezug und Sprache" 1929 (1928) — früher in Kuhns Zeitschrift 55/56 — das Verdienst, rein begrifflich und zum Teil in der Bedeutung (Koschmieder, Hermann) den Unterschied zwischen Aktionsart und Aspekt dargelegt zu haben. Sie haben zum erstenmal klar ausgesprochen, daß wir es bei Aktionsart und Aspekt mit „zwei verschiedenen Dimensionen der Verbalbedeutung" zu tun haben (Porzig, IF. 45, S. 153), für Koschmieder, Zeitbezug und Sprache, besonders S. 27/28; für Hermann IF. 45, besonders S. 216/217, 223/224. Um für das Folgende verständlich zu sein, sei der Unterschied zwischen Aktionsart und Aspekt kurz dargelegt. Wir folgen dabei

A. Stand der Forschung über Aktionsart und Aspekt usw.

3

Porzig (IF. 45, S. 152/153), dessen Auffassung zunächst einmal gelten soll (für die genauere Bestimmung von Aktionsart und Aspekt vgl. Kap. V, Teil A, S. 206—220, Teil B, S. 220—238). „Die Aktionsart ist die Art, wie eine Handlung oder ein Vorgang verläuft; morphologisch entsprechen ihr die tempusstammbildenden Formantien. Durch diese werden also die Vorgänge ebenso in Klassen eingeteilt, wie die Gegenstände durch die nominalstammbildenden Formantien . . . Der Aspekt dagegen ist der Gesichtspunkt, unter dem ein Vorgang betrachtet wird, nämlich als Verlauf oder als Ereignis. . . . Der Aspekt ist also seinem Wesen nach streng polar, d. h. wir nennen einen solchen Unterschied innerhalb der Verbalbedeutungen Aspekt, der die Vorgänge unter den Gesichtspunkt „Verlauf" und „Ereignis" bringt. Ob es in einer gegebenen Sprache den Aspekt gibt, ist nur zu erkennen durch die Morphologie; denn jede Bedeutungskategorie muß morphologisch faßbar sein . . . Es bleibt also als ursprüngliches Kennzeichen der Aspektkategorie nur die Verwendung verschiedener Tempusstämme übrig." Fragt man, weshalb die Forschung bisher mit dem Problem der Aktionsart und des Aspektes zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen ist, so erfordert eine Antwort, trotz des Teilgebietes, das die Wissenschaft hier nur bearbeitet, zuvor die Methode und die Wissenschaftsanschauung dieser gesamten Sprachforschung in ihren Hauptpunkten zu charakterisieren. Jede wissenschaftliche Methode ist der Ausdruck einer bestimmten Anschauung im Gebiete des Forschens. Die Ergebnisse der Forschung erstehen und ordnen sich stets nach der Art der Frage, die man an den Gegenstand stellt, und danach, mit welcher Absicht und Einstellung man überhaupt an das zu erforschende Objekt — hier die Sprache — herantritt. So ist selbst jene Forschungsweise von einer Wissenschaftsanschauung erfüllt, die nur die konkreten, empirischen Tatsachen (Materialien) sammelt und das Gefundene nach Gesetzen ordnet und aufbaut. Diese Wissenschaftsanschauung sieht ihre Aufgabe darin, einen Überblick über die empirischen sprachlichen Tatbestände zu bekommen. Ihre Methode ist rein feststellend, sammelnd und ordnend. Sie bestimmt die Gesichtspunkte ihrer Ordnungen, soweit sie kann, historisch und kennt den Begriff der Entwicklung 1 ). Selbst eine deskriptive Forschung, die synchronisch die Sprachbestände betrachtet und analysiert, hat das Bestreben, ihre Ergebnisse historisch einzuordnen und zu verstehen. Eine solche Wissenschaftsanschauung enthält sich im Grunde jeglicher Interpretation der Sprache. Die „sprachphilosophische" Forschung wird grundsätzlich i) Vgl. H. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte, Einleitung S. 3, „Aufhellung der Bedingungen geschichtlichen Werdens". 1*

A. Stand der Forschung fiber Aktionsart und Aspekt usw. vermieden, da man darin „metaphysische Spekulationen wittert, von denen die historische Sprachforschung keine Notiz zu nehmen brauche" (H. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte, Einleitung S. i). Beginnt diese nach reichlichen und bis ins Einzelne gehenden Befunden nach dem Sinn der Einzelheiten zu fragen, so bleibt ihr nur eine Darstellung der sprachlichen Erscheinungen im Rahmen von historischen Systemen und vermittels herkömmlicher Kategorien übrig. Oder, bei einer Bezugnahme auf psychische und soziologische Faktoren, bleibt, unserer Anschauung nach, die Erklärung der Sprache in außersprachlichen Gesichtspunkten stecken 1 ). Diese Methode und Wissenschaftsanschauung ist die des Positivismus 2 ). Auf die Erforschung der Aktionsarten und Aspekte haben sie folgende Wissenschaftler angewandt: Streitberg, Leskien, Brugmann, Delbrück, Herbig, Pollak, Ernst A. Meyer, selbst Hartmann und E. Hermann, sowie Deutschbein fürs Englische, Vising, Brunot, Gougenheim fürs Französische, ebenso auch Meillet, Barbelenet und G. Guillaume. Im Gegensatz dazu steht eine Methode und Wissenschaftsanschauung in der Sprachforschung, die nach einer Sinndeutung der Sprache strebt. Sie versucht, alle sprachlichen Tatsachenbefunde aus dem materiellen Gebundensein herauszuheben und die Sprache als „innere Form" philosophisch zu begreifen oder sie als psychische Leistung zu verstehen. Dies unternahmen für die Aktionsarten und Aspekte bzw. die Tempusstämme und Zeitstufen Koschmieder (Denkpsychologie), G. Guillaume (Explication psychologique des faits linguistiques, à côté de l'explication mécanique (historique), Intr. S. i—6), Lorck (Psychologie), Lerch (Psychologie, Sprachphilosophie Voßlers), dazu noch E. Winkler (Psychologie und Sprachphilosophie Martys), Gamillscheg, Hanckel. Diese Forscher arbeiten jedoch unserer Einsicht nach mit keiner neuen Methode und neuen Wissenschaftsanschauung. Sie bewegen sich in der gleichen Richtung wie der Positivismus. Denn sie erforschen wie dieser Einzelheiten und Einzelfälle, um sie zu deuten und dann auf Grund einer Hypothese zu verallgemeinern. Zum Teil verwerten sie die Ergebnisse des sprachwissenschaftlichen Positivismus und interpretieren sie als Auswirkungen oder Spiegelungen der politischen, kulturellen und psychischen Eigenart des Volkes (Voßler, Lerch). Sie gehen nicht von der ganzheitlichen Gliederung der Sprache und den ebenfalls gestalthaft gefügten Kultur- und Lebensformen des Volkes aus, wie es eine Sprachforschung tun muß, die sich um die „innere Form" bemüht. Deshalb geben sie auch keine wahre Interpretation der Sprache. Immer ist es wesentlich, ob Methode und Wissenschaftsanschauung den Gegenstand Sprache im Innern erfassen, oder ob sie mehr oder minder als Schema und Maßstab von *) Vgl. H. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte, Einleitung S. 6, § 4 ff. s ) Vgl. G. Ipsen, Sprachphilosophie der Gegenwart, I. Kap., S. 1 — 9 (Berlin 1930).

A. Stand der Forschung über Aktionsart und Aspekt usw. außen an ihn herankommen und demzufolge auch nur das Äußere und nur Teile davon zu beschreiben vermögen 1 ). I. Wir können sagen: Allen Arbeiten, auch denen, die sich mit einer philosophischen oder psychologischen Deutung der Erscheinungen Aktionsart und Aspekt beschäftigen, ist eigen, daß sie vom I n f i n i t i v und dem sprachlichen E i n z e l f a l l in ihren theoretischen Erörterungen und ihren Belegen ausgehen. Dabei wird versucht, die E i n z e l s ä t z e oder T e x t s t ü c k e mit ihren Verbalformen dem Sinne und den morphologischen Kennzeichen nach in G r u p p e n u n d K l a s s e n e i n z u t e i l e n . Der Infinitiv wird als die Grundform des Verbums anerkannt, mit der man glaubt, die Aktionsarten und Aspekte in allen Sprachen fassen und darstellen zu können. Zur Kritik dieser Auffassung ist folgendes zu bemerken: Es handelt sich vor allem darum, sie sog. Verbal„bedeutung" und ihr Verhältnis zu Aktionsart und Aspekt festzustellen. Man übersieht erstens, daß man Infinitive in ihrer Bedeutung, sowohl innerhalb einer Sprache, wie auch innerhalb mehrerer Sprachen nicht ohne weiteres nebeneinander stellen kann, wie man es mit dem Nomen allenfalls noch zu tun vermag. Denn das verbale Element unterliegt in bezug auf seine Bedeutung innerhalb der idg. Sprachen ganz anderen Gesetzen als das nominale. Vor allen Dingen sind es die syntaktischen Funktionsformen, die dem Verbum Sinn und Gehalt verleihen. Neben der morphologischen Kennzeichnung ist die syntaktische Verbundenheit des Verbums im Satz, sowie dieses Satzes mit dem vorhergehenden und dem darauffolgenden Satze in einem Sprachganzen, und ist dieses Sprachganze in seiner Struktur selbst wichtig zur Erfassung der einzelnen Verbalbedeutung und damit der Aktionsarten und Aspekte. Man kann behaupten, daß die morphologischen Bestandteile und Kennzeichen für Aktionsart und Aspekt sich erst aus der syntaktischen Gestaltung herausbilden, unterscheiden, und daß sie auch damit erst ihren Sinn bekommen. Auf diese Weise ist es möglich, daß gleiche morphologische Kennzeichen oft verschiedenen syntaktischen Wert erhalten 2 ). *) Vgl. G. Ipsen, Besinnung der Sprachwissenschaft, Idg. Jb. XI, S. i—32; W. Porzig, Der Begriff der Innern Sprachform, IF. 41 (1923), S. 150ff.; L. Weisgerber, Das Problem der inneren Sprachform: Germ. Rom. Monatsschrift 15 (1927), S. 241 ff. l ) Gegen das Ausgehen vom Infinitiv, dieser „abstrakten und blutleeren Form", sowie gegen die Belege in einzelnen, stückhaften Sätzen („aus dem Zusammenhang herausgerissenes, beschnittenes Material") hat sich schon Ernst A. Meyer ausgesprochen (op. cit. S. 9 [167]), und er hat auf die Rektion und den Satzton zur Bestimmung der Aktionsart (d. h. der Aspekte) im Deutschen aufmerksam gemacht und damit auf die Notwendigkeit, die Dinge im Zusammenhang der Rede zu sehen. Er hat aber den Sinn des Zusammenhangs nicht erkannt, da er das übergeordnete sprachliche Ganze, von dem der Zusammenhang und die Glieder eindeutig bestimmt werden, nicht feststellte. Ebenso ist F. Hartmann auf die Bedeutung des Zusammenhangs eingegangen (N. J . kl. A. 43.)

6

A. Stand der Forschung über Aktionsart und Aspekt usw.

Zweitens begeht man in der Verquickung von Verbalbedeutung (bzw. Verbalbegriff), Aktionsart und Aspekt in der Weise einen Fehler, daß man jedes Verbum mit dem Infinitiv und seiner Aktionsart auf e i n e n der beiden Aspekte (imperfektiv oder perfektiv, d. h. Verlauf oder Ereignis) festzulegen sucht, obwohl man erkennt, daß ,,es fast keinen .Verbalbegriff* giebt mit so scharf ausgeprägter Bedeutung, daß er nicht in beiden Aktionsarten (d. h. für uns Aspekte), der imperfektiven wie der perfektiven, denkbar wäre" — so schon Herbig in I F . 6, S. 198. Auch Porzig verfällt erneut diesem Irrtum, wenn er behauptet: „Grundsätzlich sind bei jedem Vorgang beide Gesichtspunkte möglich (Verlauf oder Ereignis), doch liegt in der konkreten Sprache für gewisse oder für alle Vorgänge der Gesichtspunkt fest, unter dem sie betrachtet werden m ü s s e n 1 ) . " Dabei wird a) die Polarität der Aspekte verkannt und aufgehoben, und b) werden zwei verschiedene Äußerungsformen — einmal Infinitiv und Tempusstamm (mit sog. Tempus und Modus) und dann Aktionsart und Aspekt — einander nahegerückt, j a im Grunde auf die numerische Eins zurückgeführt, die sich als Äußerungsformen nicht einmal morphologisch, aber auch nicht dem Sinne und der Bedeutung nach gleichordnen, sondern unterordnen, und deren zweite (Aspekt) sich mit ihrer Polarität weiter differenzieren kann je nach der Stelle im syntaktischen Gefüge des betreffenden sprachlichen Ganzen, gegebenenfalls auch zur Aktionsart übergehen kann. Das heißt aber, man spricht stets von der „Kategorie" Verbum und den „Kategorien" Aktionsart und Aspekt, während man eigentlich die „Kategorie" Verbum und seine „Akzidentien" vor sich hat, wobei als Akzidentien noch Aktionsart und Aspekt zu unterscheiden sind. Dieser doppelte Widerspruch (a und b) wird erstens dadurch aufgehoben, daß man weder im Slavischen noch im Deutschen oder Französischen den Sinn der Verbalkomposition richtig versteht. Man setzt die morphologischen Kennzeichen, so besonders die Präfixe, wie die Infinitive und auch die sog. Tempora (und Tempusstämme) in ihrer Bedeutung in den verschiedenen Sprachen gleich, da man meint, sie sagen dasselbe aus. Nach Koschmieder (Zeitbezug und Sprache, S. 28/29) ist der Tatbestand folgender: Während z. B . die poln. Vorsilbe „ w y - " in wyci%gn%6 (herausziehen) mit einer Bedeutungsveränderung einen perfektiven Aspekt des Simplex ,,ci%gn$ö" (ziehen) zum Ausdruck bringt, der soviel heißt wie: solange ziehen bis man etwas aus einem 44. Bd., 1919, S. 331, sowie Kuhns Zeitschrift 48/49) und hat verschiedene „Stilformen" aufgestellt. Doch auch er hat keine genaue Bestimmung des sprachlichen Ganzen von der Syntax aus gegeben, wenn er auch das Problem der Aktionsarten und Aspekte viel besser gesehen hat. ') Von Porzig selbst gesperrt, IF. 45 (1927), S. 152.

A. Stand der Forschung über Aktionsart und Aspekt usw. anderen vollständig herausgezogen hat, drückt die deutsche Vorsilbe „heraus" in „herausziehen" außer einer Änderung der Verbalbedeutung „ziehen" keinen perfektiven Aspekt im Sinne des polnischen „wyci%gn$ö" aus. Nun ist aber ,,wyci%gn%6" gar nicht die erste und eigentliche Perfektivierung des in durativer Aktionsart und imperfektivem Aspekt stehenden „ci%gn§ö", sondern dies ist „poci§gn§6" (Präfix „po-") und heißt: eine Zeitlang, eine Weile ziehen. Die Vorsilbe „ p o - " verändert hier, wohlbemerkt, die Bedeutung des Verbums nicht oder nur sehr wenig und bildet doch ein perfektives Verbum. Der entsprechende imperfektive Aspekt wiederum zu dem perfektiven Aspekt „wyci%gn%6" ist nicht „ci%gn%6" sondern ,,wyci%g%6". Somit haben wir folgende Übersicht (Koschmieder, Zeitbezug und Sprache, S. 29): Zwei Typen lexikalischer Dubletten: 1. ci%gn%ö: poci$gn%