Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt: Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission). Band I: Endgutachten und Zwischengutachten der Arbeitsgruppen [1 ed.] 9783428468553, 9783428068555


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German Pages 574 [575] Year 1990

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Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt: Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission). Band I: Endgutachten und Zwischengutachten der Arbeitsgruppen [1 ed.]
 9783428468553, 9783428068555

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Band I

Endgutachten und Zwischengutachen der Arbeitsgruppen

Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission) herausgegeben von Hans-Dieter Schwind (Vorsitzender) Jürgen Baumann (stellv. Vorsitzender) Friedrich Lösel (UK Psychologie) Helmut Remschmidt (UK Psychiatrie) Roland Eckert (UK Soziologie) Hans-Jürgen Kerner (UK Kriminologie) Alfred Stümper (UK Polizeipraxis) Rudolf Wassermann (UK Strafrechtspraxis) Harro Otto (UK Strafrechtswissenschaft) Walter Rudolf (UK Öffentliches Recht) Friedhelm Berckhauer (AGA) Edwin Kube (AG 8) Monica Steinhilper (AGA) Wiebke Steffen (AG B)

Band I Endgutachten und Zwischengutachten der Arbeitsgruppen

Duncker & Humblot · Berlin

Die Redaktion der Zwischengutachten lag bei den koordinierenden Redakteuren der Arbeitsgruppen, die Redaktion des Endgutachtens bei den Vorsitzenden der Regierungskommission sowie bei Ursula Schneider und Manfred Winter Gesamtredaktion zu Band 1: Hans Dieter Schwind und Manfred Winter Schreibarbeiten: Christine Hausdorf

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Ursachen, Prävention und Kontrolle von Gewalt: Analysen und Vorschläge der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission) I hrsg. von Hans-Dieter Schwind ... Berlin: Duncker u. Humblot NE: Schwind, Hans-Dieter [Hrsg.]; Unabhängige Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt Bd. I. Endgutachten und Zwischengutachten der Arbeitsgruppen I [Gesamtred.: Hans Dieter Schwind u. Manfred Winter].1990 ISBN 3-428-06855-6

Band I = Endgutachten und Zwischengutachten der Arbeitsgruppen Band II = Erstgutachten der Unterkommissionen Band III = Sondergutachten (Auslandsgutachten, Inlandsgutachten) Band IV = Bevölkerungsumfragen

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Hagedornsatz, Berlin 46 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3-428-06855-6

Unabhängige Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission) Band I Endgutachten und Zwischengutachten der Arbeitsgruppen

Inhaltsübersicht Endgutachten ....................... .. . . ...... . ............ . .. . . . ...... . ......... ... ... . Kurzfassung des Endgutachtens

238

Zwischengutachten -

Arbeitsgruppe A

287

-

Arbeitsgruppe B

379

-

Summary of the Final Report . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451

-

Resurne de l'expertise finale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . 501

Stichwortverzeichnis .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557

Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland Endgutachten der Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission)

erstellt von Hans-Dieter Schwind Jürgen Baumann Ursula Schneider Manfred Winter

unter Mitarbeit aller Kommissionsmitglieder (Liste S. 17)

auf der Grundlage der Zwischengutachten der Arbeitsgruppen (abgedr. in Bd. I), Erstgutachten der Unterkommissionen (abgedr. in Bd. II), Sondergutachten (abgedr. in Bd. III) sowie einer Repräsentativumfrage in der Bundesrepublik und einer Eurobarometererhebung (abgedr. in Bd. IV)

Bochum Dezember 1989

Inhaltsübersicht zum Endgutachten (Kurzfassung) Mitglieder der Regierungskommission

17

Experten im Rahmen von Anhörungen

21

Beauftragte Sondergutachter und Themen der Sondergutachten

24

Präambel

........ ... .. ..... .... ... ... ... .... ... .... ............ .. .....

25

A. Allgemeiner Tell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

I. Die Gewaltkommission der Bundesregierung II. Gewalt als Untersuchungsgegenstand

27

............................

35

III. Ausgangspunkt der Kommissionsarbeit: Das staatliche Gewaltmonopol·

49

B. Erscheinungsformen und Ausmaß der Gewalt

52

I. Politisch motivierte Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

II. Gewalt auf Straßen und Plätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

III. Gewalt im Stadion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

IV. Gewalt in der Schule

68

V. Gewalt in der Familie

72

C. Entstehungszusammenhänge und Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

I. Gewalt als individuelles und soziales Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

II. Besondere Ursachen der Gewalt in den verschiedenen Bereichen

....

86

D. Kriminalpolitische Leitlinien zur Prävention und strafrechtlichen Intervention . . 117 I. Politisch motivierte Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

4

Inhaltsübersicht zum Endgutachten II. Gewalt auf Straßen und Plätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 III. Gewalt im Stadion

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

IV. Gewalt in der Schule

150

V. Gewalt in der Familie

157

VI. Gewalt in den Medien

170

VII. Verhinderung und Kontrolle von Gewalt als Iänder-, ressort-und gruppenübergreifende Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 VIII. Zur zukünftigen Forschungs- und Informationspolitik

. . . . . . . . . . . . . . 176

E. Katalog der Vorschläge und Empfehlungen zu kriminalpolitischen Kurskorrekturen in Bund und Ländern .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . 178 Teil A: Allgemeine Empfehlungen .... .. , . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Teil B: Vorschläge

183

Teil C: Fortbestehende Forschungsaufgaben

226

F. Adressaten des Vorschlagskataloges

235

G. Kunfassung des Endgutachtens .. .. . . ... .. . .. . . . . . . . . .. .. ... . .. . .. . .. .. 238

Zitierweise: Im Endgutachten werden zitiert -die Erstgutachten der Unterkommissionen (abge_druckt in Band II): z. B. I, 305; das heißt, daß die Quelle dieses Zitats das Erstgutachten der Unterkommission I (Psychologie) ist (vgl. den Organisationsplan aufS. 34) und sich das Zitat dort auf die Randnummer 305 bezieht; - die Zwischengutachten der Arbeitsgruppen A (= A) und B (= B): abgedruckt in Band I; verwiesen wird auf die Randnummer; -die Sondergutachten (= SG): z. B. SG Weis oder SG USA (abgedruckt in Band III); verwiesen wird wiederum auf die Randnummer; -die Umfragen (abgedruckt in Band IV); zitiert wird nach Kapiteln (=Kap.). Im Endgutachten wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf eine durchgehend geschlechtsneutrale Formulierung verzichtet. Mit Bezeichnungen wie Polizeibeamter, Lehrer, Richter etc. sind weibliche oder männliche Personen gleichermaßen gemeint.

Inhaltsübersicht zum Endgutachten (Langfassung)

Mitglieder der Regierungskommission

17

Experten im Rahmen von Anhörungen

21

Beauftragte der Sondergutachter und Themen der Sondergutachten . . . . . . . . . . .

24

Präambel

25

A. Allgemeiner Teil

............................ ..................... ...

27

I. Die Gewaltkommission der Bundesregierung

27

1. Geschichte und ausländische Vorbilder

........................

27

2. Auftrag, Organisationsform und Arbeitsweise der deutschen Regierungskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

a) Der Auftrag der Bundesregierung

28

b) Organisationsplan und Arbeitskonzept

29

c) Expertenanhörungen, Sondergutachten, Repräsentativumfragen

30

3. Zur Interpretation des Regierungsauftrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gewalt als Untersuchungsgegenstand 1. Begriffsbestimmung

32

35 35

a) Der Gewaltbegriff in der öffentlichen (politischen) und wissenschaftlichen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

b) Die Ausformung des Gewaltbegriffes in der Rechtsprechung

37

c) Der Rückgriff auf einen restriktiven Gewaltbegriff als Orientierung ftir die Regierungskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

2. Zur Entwicklung der Gewaltkriminalität in der Bundesrepublik

39

a) Hellfeld der Gewaltkriminalität insgesamt

39

b) Dunkelfeld der Gewaltkriminalität insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . .

42

6

Inhaltsübersicht zum Emdgutachten c) Prognose

43

3. Sicherheitslage, Bedrohtheitsgefühl und Gewaltbereitschaft . . . . . . .

44

a) Die objektive Sicherheitslage

44

b) Das Bedrohtheitsgefühl/die subjektive Sicherheitslage . . . . . . . .

44

c) Die Gewaltbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

III. Ausgangspunkt der Kommissionsarbeit: Das staatliche Gewaltmonopol 1. Die friedensstiftende bzw. -sichernde Funktion

.................

2. Materielle Gerechtigkeit, Rechtsstaat und Demokratie

49 49

...........

49

3. Die Friedenssicherungspflicht des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

a) "Begrenzte Regelverletzungen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

b) Politischer Verzicht auf die Durchsetzung von (Straf-)Rechtsnormen

51

c) Normsetzungsdeftzite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

B. Erscheinungsformen und Ausmaß der Gewalt I. Politisch motivierte Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52 52

1. Bestimmung des Gewaltfeldes

52

2. Erscheinungsformen und Entstehungskontexte

53

a) Handlungsstrukturen

. . . .. . . .. . . . .. . . .. . .. . . . .. . .. . . . . .. .

53

aa) Gewalttätige Ausschreitungen bei Demonstrationen

53

bb) Gewalttätige Zusammenrottungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

cc) Anschläge

. . . .. . .. .. . .. . . . . .. . .. . . .. . .. . . . . . .. . . .. .

55

dd) Hausbesetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

ee) Geländebesetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

fl) Blockaden

56

b) Publikationen

56

c) Mobilisierungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

d) Tätermerkmale

57

e) Politisch motivierte Gewalt von Ausländern

58

Inhaltsübersicht zum Endgutachten 3. Ausmaß der Gewalt

7

. . ... .. .. . .. . . .. . . . .. .. . . . . . .. . . ... . .. ..

58

a) Gewalttätige Ausschreitungen bei Demonstrationen . . . . . . . . . .

59

aa) Quantitative Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

bb) Qualitative Aspekte

60

.................................

b) Anschläge

61

c) Gewalttätige Zusammenrottungen, Haus-, Geländebesetzungen, Blockaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

II. Gewalt auf Straßen und Plätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

1. Bestimmung des Gewaltfeldes

62

2. Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

a) Vandalismus im engeren Sinn

62

b) Vandalismus im weiteren Sinn

63

c) Tätermerkmale

63

3. Ausmaß der Gewalt III. Gewalt im Stadion

64

. . .. . ... .. . . ... . . . . . . .. .. . . . .. . . . . . . . .. . .. . .

65

1. Bestimmung des Gewaltfeldes

65

2. Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

a) Gewaltäußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

b) Tatort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

c) Tätermerkmale

66

3. Ausmaß der Gewalt

66

IV. Gewalt in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung des Gewaltfeldes/Erscheinungsformen

.............

68 68

a) Schüler ./. Sachen

68

b) Schüler ./. Schüler

68

c) Schüler ./. Lehrer; Lehrer ./. Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

2. Ausmaß der Gewalt a) Schüler ./. Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69 70

8

Inhaltsübersicht zum Endgutachten b) Schüler ./. Schüler

71

c) Schüler./. Lehrer

72

V. Gewalt in der Familie

72

1. Bestimmung des Gewaltfeldes

72

2. Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

a) (Ehe-)Partner ./. (Ehe-)Partner b) Eltern ./. Kinder

. . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . .

72

........................................

73

c) Geschwister ./. Geschwister

74

d) Kinder ./. Eltern

74

........................................

e) Gewalt gegen alte Menschen 3. Ausmaß

74 75

a) (Ehe-)Mann ./. (Ehe-)Frau

75

b) Eltern ./. Kinder

................. .................. . ....

75

c) Geschwister ./. Geschwister; Kinder./. Eltern; Gewalt gegen alte Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

C. Entstehungszusammenhänge und Erklärungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

I. Gewalt als individuelles und soziales Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

1. Gewalt als Interaktion

76

2. Selbstkonzept

77

3. Lernprozesse

78

a) Lernen am Erfolg

78

b) Lernen am Modell

78

c) Das Fehlen positiver Vorbilder

79

4. Soziale Normen und Definitionen

79

5. Neutralisierungsmechanismen: Feindbilder und Entpersönlichung .

79

6. Alkoholeinfluß

80

7. Gewalttransfer

80

9

Inhaltsübersicht zum Endgutachten a) Die Rolle der'Familie

80

b) Die Rolle der Schule

81

8. Massenmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

a) Erzeugung von Klischees und Feindbildern . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

b) Soziale Desintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

c) Negative Weltbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

d) Insbesondere: Die Bedeutung von Gewalt- und gewaltlegitimierenden Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

aa) Der Anteil von Gewaltdarstellungen am Medienangebot . .

83

bb) Nachahmung

84

cc) Gewöhnung

84

dd) Erzeugung von Verbrechensfurcht

85

ee) Verstärkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

fl) Sichselbsterfüllende Prophezeiungen

li. Besondere Ursachen der Gewalt in den verschiedenen Bereichen

86 ....

86

1. Gewalt in der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

a) Familienstrukturen, Rollenmuster und soziale Normen . . . . . . .

86

b) Persönlichkeit und Verhalten der Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

c) Sozialisationserfahrungen: "Kreislauf der Gewalt"

88

d) Die Rolle des Opfers

........................... .........

89

e) Sozialer und·wirtschaftlicher Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

f) Soziale Isolation und Desintegration

90

.......................

2. Gewalt in der Schule

91

a) Individuelle Merkmale gewaltbelasteter Schüler

92

b) Störungen der Identitätsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

c) Die Rolle der Familie

93

d) Die Rolle der Schule

94

aa) Identifikation mit der Schule bb) Schulgestaltung

.........................

94 94

10

Inhaltsübersicht zum Endgutachten cc) Lehrerverhalten

95

dd) Soziale Desintegration innerhalb der Schule . . . . . . . . . . . .

95

96

3. Gewalt im Stadion a) Gruppenprozesse vor dem Hintergrund sozialer Zurücksetzung

97

b) Sinnarmut und Verengung von Freiräumen . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

c) Sportbezogene Faktoren

98

aa) Identifikation des Zuschauers, Symbolwert des Spiels und Siegfixierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

bb) Kommerzialisierung des Fußballsports . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

d) Veranstaltungsbezogene Faktoren

100

e) Die Medienberichterstattung

100

4. Gewalt auf Straßen und Plätzen

101

a) Vandalismus und gewalttätiges Rowdytum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 aa) Gestaltung der baulichen Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Identitätssuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 cc) Aggressives Gruppenverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Massenunruhen und -krawalle

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

aa) Sozialstrukturelle Belastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 bb) AufschaukeJung und Massenbildung 5. Politisch motivierte Gewalt

105

............ ..... ......... , . . . . . . . 105

a) Der langfristige Erwerb von Gewaltbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . 106 aa) Politisches und gesellschaftliches Partizipationspotential, wahrgenommene Defizite in den Partizipationsstrukturen und Einstellung zur Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 bb) Wertkonflikte

.. . . ........... .. .. . .................. 108

cc) Politische Defizite

109

dd) Sozialisationseinflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 (1) Die Rolle der Familie

. . . . . . . .. . .. . . .. . . .. . . . .. . . 110

(2) Die Rolle von Schule und Hochschule . . . . . . . . . . . . . 110 (3) Die Rolle der Gleichaltrigengruppe . . . . . . . . . . . . . . . . 111 ee) Rationalität und Mißerfolgsrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

Inhaltsübersicht zum Endgutachten

11

fl) Medienpublizität und -parteinahme

b) Gewalt in der konkreten Protestsituationen

113 . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

aa) Konfliktinteressen und kalkulierte Gewalt

114

bb) Die Rolle der Polizei in akuten Konflikten

114

cc) Einstellungen zu staatlicher Repression

. . . . . . . . . . . . . . . . 116

c) Gewalterfahrungen und ihre Verarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 D. Kriminalpolitische Leitlinien zur Prävention und strafrechtlichen Intervention . . . 117 I. Politisch motivierte Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Stärkung des Rechtsbewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

2. Erweiterung der politischen Partizipationsangebote

121

3. Förderung einer gewaltfreien Demonstrationskultur

123

a) Aufklärung und Information von Seiten der Polizei

. . . . . . . . . . 123

b) Kooperation zwischen Polizei und Veranstaltern . . . . . . . . . . . . . 124 aa) Vorphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 bb) Demonstrationsphase

124

cc) Nachphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 c) "Innen"arbeit der Polizei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 d) Fernhalten von Gewalttätern

126

e) Kontrolle polizeilichen Verhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4. Erhöhung des Mißerfolgsrisikos für den Gewalttäter . . . . . . . . . . . . . 128 a) Verbesserung der polizeilichen Aufklärung und der Beweissicherung sowie der Festnahme von Gewalttätern . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Effektivierung des Strafverfahrens auf Seiten von Staatsanwaltschaft und Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 aa) Kooperation Staatsanwaltschaft - Polizei . . . . . . . . . . . . . . . 129 bb) Beschleunigung

129

cc) Spezialisierung/Fortbildung

. .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . .. . . . 131

dd) Prioritätensetzung/Personelle Verstärkung . . . . . . . . . . . . . . 132 ee) Rollenverständnis des Verteidigers fl) Pressekontakt

132

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

12

Inhaltsübersicht zum Endgutachten c) Etfektivierung/Praktikabilisierung des strafrechtlichen Instrumentariums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

133

aa) §§ 17 a, 27 Abs. 2 VersG n. F. bb) § 125 Abs. 2 StGB (i.d.F. von 1985)

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

cc) Änderungen zur Abrundung und Ergänzung des geltenden Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5. Rechtssicherheit durch Rechtsklarheit und Rechtsgleichheit

135

a) Blockaden

136

b) Haus- und Grundstücksbesetzungen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

c) Rechtsgrundlagen für die Strafverfolgungsbehörden . . . . . . . . . . 138 6. Abbau von Zukunftsängsten

138

II. Gewalt auf Straßen und Plätzen

139

I. Verstärkung der Jugendarbeit

140

2. Kriminalitätsverhütende Städteplanung und Wohnungsbau

. . . . . . . 141

3. Erhöhung des Mißerfolgsrisikos für Gewalttäter

142

4. Ausbau der Gewaltvorbeugung speziell bei Großveranstaltungen . . 143 5. Weitgehende Ausschöpfung der Möglichkeiten der informellen Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 6. Doppelstrategie bei der Neuordnung des Ausländerrechts III. Gewalt im Stadion

. . . . . . . . 144

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

1. Rückverlagerung der Verantwortung auf Vereine und Fanclubs

145

a) Pflege von Kontakten zwischen Vereinen und Fans . . . . . . . . . . 146 b) Haftung der Vereine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2. Spiel- und veranstaltungsbezogene Maßnahmen

147

a) Ordnung und Beruhigung des Stadiongeschehens . . . . . . . . . . . . 148 aa) Maßnahmen zur Erregungsdämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 bb) Maßnahmen zur Gewährleistung der Kommunikation b) Regelgerechtes und faires Spiel

148 149

3. Verbesserung der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

Inhaltsübersicht zum Endgutachten

13

N. Gewalt in der Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 1. Stärkung der Verantwortlichkeit fUr die Schule

151

a) Partizipation in der Schule

151

b) Förderung des Wir-Gefühls

151

c) Übersichtlichkeit der Schule

152

d) Wiedergutmachung von Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Behebung von Leistungsdefiziten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Leistungsförderung und Mißerfolgsbetreuung

. . . . . . . . . . . . . . . 153

b) Transparenz und eventuelle Neuregelung der Notengebung . . . 153 c) Diagnose und Therapie individueller Störungen

. . . . . . . . . . . . . 154

d) Gesteigerte Bedeutung von Schulversagen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Mangellagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3. Rückbesinnung auf den Erziehungsauftrag der Schule

154

a) Stärkung der Erzieherrolle der Lehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 b) Erfüllung erzieherischer Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Politische und soziale Erziehung zu Gewaltfreiheit und Fairneß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 bb) Persönliches Eingehen auf die Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 cc) Gewaltkontrolle und sozialintegratives Lehrerverhalten . . . 156 V. Gewalt in der Familie

157

1. Gesetzgeberische Mißbilligung der Gewalt in der Familie

a) Züchtigungsverbot b) Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in der Ehe

157 . . . . . . . . . . . 158

2. Erziehung zu Gewaltlosigkeit und prosozialem Verhalten a) Gewaltlosigkeit der Erziehung

. . . . . . . . 157

159 159

b) Befähigung der Eltern zur Gewaltlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 3. Abbau sozialer StreBfaktoren a) Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen

161 . . . . . . . . . . . 161

b) Soziale (Re-)Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

14

Inhaltsübersicht zum Endgutachten 4. Ausbau des Opferschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Erkennung der Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 b) Schutz vor Akutgefahren: Krisenintervention

164

c) Opferbehandlung

166

d) Der Schutz alter Menschen vor Mißhandlung

. . . . . . . . . . . . . . . 167

5. Betonung des Grundsatzes "Hilfe statt Strafe" . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Diversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Öffentliches Interesse an der Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . 169 c) Spezialisierung innerhalb der Strafverfolgungsbehörden . . . . . . . 170 VI. Gewalt in den Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Drastische Reduzierung der Gewaltdarstellungen

170

a) Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Sportberichterstattung

171

c) Unterhaltungsprogramme

172

2. Verzicht auf (subtile) Degradierungen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

3. Effektivierung des Systems freiwilliger Selbstkontrolle

172

VII. Verhinderung und Kontrolle von Gewalt als Iänder-, ressort- und gruppenübergreifende Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Die internationale Ebene

173

2. Die Bund-Länder-Ebene

175

3. Die kommunale/regionale Ebene

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

VIII. Zur zukünftigen Forschungs- und Informationspolitik

. . . . . . . . . . . . . . 176

1. Erforschung der Gewaltbedingungen/Beurteilung der Gewaltsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) lnstitutionalisierung eines unabhängigen Gremiums . . . . . . . . . . 176 b) Verbesserung der mit Gewalt befaßten Statistiken

177

2. Verbesserung der staatlichen Informationspolitik . . . . . . . . . ... . . . . . 178 E. Katalog der Vorschläge und Empfehlungen zu kriminalpolitischen Kurskorrekturen in Bund und Ländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

Inhaltsübersicht zum Endgutachten Teil A : Allgemeine Empfehlungen

15

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

Teil B: Vorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Teil C : Fortbestehende Forschungsaufgaben . ..... . ....... . .... . .. . . ... 226 F. Adressaten des Vorschlagskataloges

235

G. Kunfassnng des Endgutachtens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 - Summary of the Final Report

451

- Resurne de l'expertise fmale

501

Mitglieder der Regierungskommission Schwind, H.-D., Prof. Dr. (Vorsitzender der Regierungskommission)

Mitarbeiter: Schneider, U., Dr.

Landesjustizminister a. D., Universität Bochum, Kriminologie (bis 1989 Präsident der Deutschen Kriminologischen Gesellschaft) Dipl.-Psychologin, Richterin, Münster

Winter, M., Dr.

Richter am Landgericht, abg., Bochum

Baumann, J., Prof. Dr. (stellv. Vorsitzender der Regierungskommission)

Justizsenator a. D., Universität Tübingen, Strafrecht u. Prozeßrecht

Mitarbeiter: Helmken, D., Dr.

Staatsanwalt, Mannheim

Berckhauer, F., Dr.

Regierungsdirektor, Hannover (Referatsleiter U-Haftvollzug und kriminologische Forschung im Niedersächsischen Ministerium der Justiz)

Böttcher, R., Prof. Dr.

Ministerialdirigent, München (Leiter der Strafrechtsabteilung im Bayerischen Staatsministerium der Justiz)

Eckert, R., Prof. Dr.

Universität Trier, Soziologie (Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Jugendinstitutes, München)

Gemmer, K., Dr.

Polizeipräsident, Frankfurt (bis 1980 Abteilungsleiter im Bundeskriminalamt)

Hacker, F., Prof. Dr.

(t 1989), Wien / LosAngeles, Psychiatrie (ehemaliger Leiter des Instituts für Konfliktforschung Wien und der HACKER-Klinik in Los Angeles)

2 Gewaltkommission Bd. I

18

Endgutachten

Hamacher, H.-W.

Präsident a. D. des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen, Köln

Hili, H., Prof. Dr.

Hochschule für Verwaltungswissenschaften, Speyer, Öffentliches Recht (seit 1989 Minister für Bundesangelegenheiten des Landes Rheinland-Pfalz)

Hobe, K., Dr. Dr.

Ministerialrat, Bonn (Referatsleiter Kriminologie und Kriminalstatistik im Bundesministerium der Justiz)

Kaase, M., Prof. Dr.

Universität Mannheim, Politische Wissenschaft, Politische Soziologie, International Vergleichende Sozialforschung (Vorsitzender des Zentrums flir Umfragen, Methoden und Analysen (ZUMA) e. V., Mannheim)

Kaiser, G., Prof. Dr.

Universität Freiburg, Kriminologie (Direktor des Max-Planck-Instituts für ausländische und internationales Strafrecht, Freiburg)

Kerner, H.-J., Prof. Dr.

Universität Tübingen, Kriminologie (Präsident der Neuen Kriminologischen Gesellschaft (NKG) und Vorsitzender der Deutschen Bewährungshilfe)

Kreuzer, A., Prof. Dr.

Universität Gießen, Kriminologie (Mitarbeit im Wissenschaftlichen Kuratorium der Deutschen Hauptstelle gegen Suchtgefahren)

Krey, V., Prof. Dr.

Universität Trier, Strafrecht (Richter am OLG, Koblenz)

Kube, E., Prof. Dr.

Abteilungspräsident im Bundeskriminalamt, Wiesbaden (Leiter des Kriminalistischen Instituts des Bundeskriminalamtes, bis 1989 Vizepräsident der Deutschen Kriminologischen Gesellschaft)

Kühl, K., Prof. Dr. Dr.

Universität Gießen, Strafrecht

Löse/, F., Prof. Dr.

Universität Erlangen-Nürnberg, Psychologie (Direktor des Instituts für Psychologie der Universität Erlangen-Nürnberg)

Schwind I Baumann I Schneider I Winter

19

Müller-Luckmann, E., Prof. Dr.

Technische Universität Braunschweig, Psychologie (bis 1975 Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung)

Neidhardt, F., Prof. Dr.

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Soziologie (Vorsitzender des Kuratoriums der Gesellschaft sozialwissenschaftliche Infrastruktureinrichtungen [GESIS])

Otto, H., Prof. Dr. Dr. h.c. (Univ. Pecs)

Universität Bayreuth, Strafrecht

Pfeiffer, Ch., Prof. Dr.

Universität Hannover, Kriminologie (Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e. V. und Vorsitzender der Deutschen J ugendgerichtsvereinigung)

Remschmidt, H ., Prof. Dr. Dr.

Universität Marburg, Kinder- und Jugendpsychiatrie (Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Marburg)

Rudolf, W., Prof. Dr.

Staatssekretär a. D., Universität Mainz, Öffentliches Recht

Salewski, W. D.

Dipl.-Psychologe, Institut für Konfliktforschung und Krisenberatung, München

Schmidt, M. H., Prof. Dr. Dr.

Universität Mannheim, Kinder- und Jugendpsychiatrie (Direktor der kinderund jugendpsychiatrischen Klinik am Zentralinstitut für seelische Gesundheit Mann heim)

Schmidt-Jortzig, E., Prof. Dr.

Universität Kiel, Öffentliches Recht (Richter am OVG, Lüneburg)

Schneider. H. J., Prof. Dr. Dr. h.c. (PL)

Universität Münster, Kriminologie, Dipl.-Psychologe (bis 1985 Präsident der Internationalen Gesellschaft für Viktimologie)

Selg, H., Prof. Dr.

Universität Bamberg, Psychologie

Steffen, W., Dr., M. A.

Oberregierungsrätin, München (Leiterin der kriminologischen Forschungsgruppe der Bayerischen Polizei im Bayerischen Landeskriminalamt)

Steinhi/per, G., Dr.

Ltd. Ministeralrat a. D., Hannover (Vorstandsmitglied der Neuen Kriminologischen Gesellschaft [NKG])

2*

20

Endgutachten

Steinhilper, M., Dr.

Psychologie-Direktorin, Hannover (Referatsleiterin Frauenvollzug und Sozialtherapie im Niedersächsischen Ministerium der Justiz)

Strunk, P., Prof. Dr.

Universität Freiburg, Kinder- und Jugendpsychiatrie (Direktor der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Fr:eiburg)

Stümper, A., Dr.

Landespolizeipräsidnet, Stuttgart (Leiter des Landespolizeipräsidiums im Innenministerium Baden-Württemberg, Vorsitzender der Projektleitung des Kriminalpolizeilichen Vorbeugungsprogramms von Bund und Ländern)

Völz, G.

Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe

Wassermann, R., Dr.

Präsident des OLG a. D., Braunschweig (bis 1980 Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, ASJ)

Experten im Rahmen von Anhörungen* Albert, 1., Dipl.-Psychologe Landespolizeischule Harnburg Baderschneider, K., Polizeidirektor Bereitschaftspolizei Baden-W ürttemberg Bernhardt, H., Polizeidirektor Polizeipräsidium Frankfurt, Schutzpolizei Bredthauer, R., Dipl.-Politologe Landespolizeidirektion Harnburg Busch, H., Dipl.-Politologe Cilip-Informationsdienst Bürgerrechte und Polizei, Berlin Claude, J., Staatsanwalt Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt Dann, H.-D., Prof. Dr. Universität Erlangen-Nürnberg, Psychologie Deckers, R., Rechtsanwalt, Bochum Mitglied des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins Dietrich, B., Richter am Amtsgericht Amtsgericht Rüsselsheim Dörr, M., Polizeioberrat Polizeipräsidium Berlin Ebe/ing, R., Polizeioberrat Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz Engelbert, M., Polizeioberrat Polizeiinspektion Saarbrücken Fenz/, W., Polizeipräsident Polizeipräsidium Niederbayern I Oberpfalz Fritz, R ., Dr., Vors. Richter am Verwaltungsgericht Verwaltungsgericht Gießen Hagemann-White, C., Prof. Dr. Freie Universität Berlin, Soziologie Hempe/, D., Polizeioberrat Bereitschaftspolizei Schleswig-Holstein

• Anhörung durch Arbeitsgruppen oder Unterkommissionen

22

Endgutachten

Hoffmann-Riem, W., Prof. Dr. Universität Hamburg, Öffentliches Recht (Direktor des Hans-Bredow-Instituts für Rundfunk und Fernsehen) Honig, M., Dr. Deutsches Jugendinstitut, München Hurrelmann, K., Prof. Dr. Universität Bielefeld, Erziehungswissenschaften und Soziologie Kepplinger, H. M., Prof. Dr. Universität Mainz, Publizistik (Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaften) Klink, M., Ltd. Kriminaldirektor Bundeskriminalamt Wiesbaden Klockhaus, R., Prof. Dr. Universität Erlangen-Nürnberg, Psychologie Krumb, K., Kriminaldirektor Polizeipräsidium Frankfurt Lehr, F., Vors. Richter am Landgericht Landgericht Frankfurt Lohmann, H. Freie Jungenschaft Harnburg in der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Jugendverbände für Natur- und Umweltschutz, Karlsruhe Meixner, W., Staatsanwalt als Gruppenleiter Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Amberg Maeder, P., Dr. Arbeitsgemeinschaft Deutscher Frauen- und Kinderschutzhäuser, Isernhagen Münder, L., Polizeioberrat Leiter der Vollzugspolizei der Kreisverwaltung Rhein-Hunsrück-Kreis Neider, Dr., Ministerialrat Österreichisches Justizministerium, Wien Piper, H., Polizeidirektor im Bundesgrenzschutz Grenzschutzverwaltung Süd 5 Rank/, E., Polizeioberrat Polizeipräsidium Regensburg Rathgeb, G., Ltd. Kriminaldirektor Landespolizeidirektion Stuttgart Rodorf, E.,Ltd. Polizeidirektor Polizeipräsidium Duisburg von Rottenburg, I., Ministerialrätin Bundesministerium des Innern, Bonn Rudas, Dr., Psychiater Chefarzt der psychosozialen Dienste der Stadt Wien

Schwind I Baumann I Schneider / Winter Rürup, K., Polizeidirektor Landespolizeidirektion Harnburg Schmalzbauer, W., Dr., Richter am Amtsgericht Amtsgericht Schwandorf Schwarzmann, I., Vors. Richterin am Landgericht Landgericht Berlin Spangenberg, J., Kriminalrat Stadt- und Polizeiamt Bremen Thiessen, K.-E., Dipl.-Psychologe Hessische Polizeischule Wiesbaden Trum, H.-J., Dipl.-Psychologe Zentraler Psychologischer Dienst im Polizeipräsidium München Wagemann, P., Polizeirat Stadt- und Polizeiamt Bremen Walter, P., Kriminalrat Polizeipräsidium Frankfurt Weber, C., Staatsanwalt Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht BerliiJ.

Weiter, G., Inspekteur derBe-reffschaftspolizeien der Länder Bundesministerium des lnnem, Bonn Will, L., Ltd. Polizeidirektor Bezirksregierung Braunschweig

23

Beauftragte Sondergutachter und Themen der Sondergutachten Liste der Sondergutachter

Titel des Sondergutachtens

Eckert, R., Prof. Dr. Universität Trier, Soziologie

Gewaltberichte aus Großbritannien

Feltes, Th., Dr. Universität Heidelberg, Kriminologie

Gewalt in der Schule

Hobe, K., Dr. Dr. Ministerialrat, Bundesministerium der Justiz, Bonn

Bericht über die Arbeit der Kommission "Antworten auf die Gewalt" an den Präsidenten der französischen Republik

Honig, M., Dr. Deutsches Jugendinstitut, München

Gewalt in der Familie

Hurrelmann, K., Prof. Dr. Universität Bielefeld, Soziologie

Gewalt in der Schule

Kepplinger, M., Prof. Dr. Universität Mainz, Publizistik (Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaften)

Medieninhalte und Gewaltanwendung

Maeder, P., Dr. Arbeitsgemeinschaft Deutscher Frauenund Kinderschutzhäuser, Isemhagen

Organisation und Finanzierung der Frauenhäuser in den Mitgliedstaaten des Europarates

Pfeiffer, Ch., Prof. Dr. Universität Hannover, Kriminologie (Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen e. V.)

Gewaltkriminalität und Strafverfolgung

Schneider, H. J., Prof. Dr. Dr. h.c. (PL), Dipi.-Psychologe, Universität Münster, Kriminologie

Bericht über die Arbeit der U .S. Violence Commission und Bericht über die neuseeländische AntiGewalt-Kommission

Schneider, U., Dr. Dipi.-Psychologin, Richterin, Münster

Gewalt in der Familie

Weis, K., Prof. Dr. Technische Universität München, Rechts- und Sozialwissenschaften

Probleme der Fanausschreitungen und ihrer Eindämmung

Präambel Die Mitglieder der Regierungskommission sind der Auffassung, daß es möglich ist, Gewalt in verschiedenen Lebensbereichen zu verringern. Sie sind jedoch gemeinsam der Überzeugung, daß Gewalt nicht ganz unterbunden werden kann. Sie ist in der menschlichen Geschichte stets aufgetreten und ist Bestandteil der natürlichen Grundausstattung des Menschen. Wesentlich ist dafür die Erkenntnis, daß es im historischen Prozeß der Zivilisation gelungen ist, das Zusammenleben von Menschen in der Gesellschaft durch die Errichtung einer Rechtsordnung zu befrieden, deren faktische Geltung durch die Staatsmacht garantiert wird. Diese Einsicht hat im geschichtlichen Verlauf nichts von ihrer Bedeutung verloren. Nur wenn dem Rechtsstaat das Monopol legitimer physischer Gewalt zugestanden, und den Versuchen, dieses auszuhöhlen, mit Entschiedenheit begegnet wird, können das friedliche Zusammenleben in einer pluralistischen, demokratisch verfaßten Gesellschaft erhalten und die geordnete Freiheit gesichert werden, in der die Rechte jedes einzelnen zu denen der anderen zu einem schonenden Ausgleich gelangen können. Dem gesellschaftlich damit einhergehenden Prozeß der Zurückdrängung privater Gewalt, der die Tabuisierung bestimmter Gewalttätigkeiten einschließt, entspricht die Festlegung einer Vielzahl von Straftatbeständen, die staatliche Sanktionen gegen die Anwendung von Gewalt vorsehen. Gewalt kann nicht allein mit den Mitteln des Strafrechts wirksam reduziert werden; Kriminalpolitik ist nicht nur Politik auf dem Gebiet der Strafrechtspflege. Unter Kriminalpolitik ist vielmehr die Gesamtheit aller staatlichen Maßnahmen zu verstehen, die zum Schutz der Gesellschaft und des einzelnen Bürgers auf Verhinderung und Bekämpfung von Kriminalität gerichtet sind. Daher ist es sachlich begründet, daß in der Regierungskommission auch über Präventionsmaßnahmen nachgedacht worden ist. Insbesondere solche Strategien, die Prävention und Repression miteinander verbinden und die Grenzen von Ressorts und Disziplinen überschreiten, haben Aussicht, erfolgreich der Gewaltdelinquenz zu begegnen. Dabei wird nicht verkannt, daß zwischen repressiven und präventiven Maßnahmen ein Spannungsverhältnis besteht, aus dem sich die z. T. unterschiedlichen Bewertungen in den Gutachten der Arbeitsgruppen A und B erklären. Die Kommission war gleichwohl bestrebt, in sich zusammenhängende Vorstellungen zu entwickeln, wobei der Ansatz primär präventionsorientiert ist, ohne die Probleme der Repression aus dem Blick zu verlieren.

26

Endgutachten

Da Gewaltphänomene komplex sind, sind auch komplexe Strategien zu ihrer Verhinderung und Kontrolle nötig. Die Konzeption der Regierungskommission kann man dahingehend beschreiben, daß im Rahmen unserer rechtsstaatliehen Ordnung Vorschläge vorgelegt werden, die interdisziplinär erarbeitet wurden. Diese sind darauf gerichtet, -

das Vertrauen in das die Freiheit aller schützende Recht zu stärken, aber auch Überreaktionen von staatlicher Seite zu vermeiden, die Demonstrationskultur i. S. des sog. Brokdorf-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zu verbessern und die Erziehungsfähigkeit der Erziehungsträger Schule und Familie zu stärken.

Familie, Schule und Medien kommt eine kaum zu überschätzende Bedeutung dabei zu, die meisten Erscheinungen von Gewalt zu reduzieren. Namentlich bei den Phänomenen der politisch motivierten Gewalt treten neben der mangelnden Verinnerlichung gemeinsamer Grundwerte während des Erziehungsprozesses auch gewaltförderliche Bedingungen anderer Herkunft auf. Soweit es sich nicht um Desperados oder politische Fanatiker handelt, mit deren bizarren Denkweisen eine erfolgversprechende Auseinandersetzung nur schwer möglich ist, ist hier nicht zuletzt die Frage zu stellen, in welcher Weise das politische System der Bundesrepublik Vertrauensverluste ausgleichen und seine Kommunikationsund Integrationsfähigkeit vor allem in bezugaufjunge Menschen erhöhen kann. Patentrezepte zur Reduzierung der Gewalt gibt es nicht. Die Vorschläge und Empfehlungen, die nicht voneinander isoliert, sondern in ihrem Zusammenhang gesehen werden müssen, zielen auf Kurskorrekturen, die ihre Begründung in den Erfahrungen finden, die aus Wissenschaft und Praxis derzeit zur Verfügung gestellt werden können. Dabei galt es, sich fortlaufend zu vergewissern, wo die Unterscheidungslinie zwischen Wissen und bloßem Meinen verläuft, auch wenn man weiß, daß ein eindeutiger Trennstrich gerade im Bereich der Human- bzw. Sozialwissenschaften oft nicht gezogen werden kann. Über die einzelnen Vorschläge und Empfehlungen hinaus will das Gutachten der Kommission Anstoß zu weiterem Nachdenken und größerem Verantwortungsbewußtsein geben. Entscheidend ist, ob es gelingt, eine geistige Atmosphäre sowie eine Kultur der politischen Auseinandersetzung zu schaffen, die der Ausbreitung von Gewalt abträglich ist. Es muß alles getan werden, um die Öffentlichkeit bzw. Bevölkerung zu überzeugen, daß Gewalttätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland weder zu heroisieren noch juristisch, ideologisch oder politisch zu rechtfertigen, sondern ohne Wenn und Aber abzulehnen ist. Nicht zuletzt ist in der Arbeit der Kommission deutlich geworden, daß bei einem Thema wie dem der Gewalt die vielbeschworene Gemeinsamkeit der Demokraten auf die Nagelprobe der Konsensbereitschaft in Grundsatzfragen zu stellen ist. Die Kommissionsmitglieder haben sich bemüht, inhaltlich und im

Schwind / Baumann/Schneider / Winter

27

Umgang miteinander konsensorientiert zu arbeiten. Es bleibt zu hoffen, daß die Ergebnisse ihrer Arbeit konstruktiv aufgenommen und nicht in die FreundFeind-Schablonen der parteipolitischen Auseinandersetzungen eingeordnet werden.

A. Allgemeiner Teil I. Die Gewaltkommission der Bundesregierung Nach der Einsetzung ähnlicher Kommissionen z. B. in den -

USA (Violence Commission: in den 60er Jahren) und in

-

Frankreich (Reponses

1

a la Violence: in den 70er Jahren)*

hat auch die deutsche Bundesregierung eine "Unabhängige Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission)" berufen, und zwar durch Kabinettsbeschluß vom 16. Dezember 1987. 1. Geschichte und ausländische Vorbilder

Vereinbart worden ist diese Kommission im Koalitionsabkommen der 2 Regierungsparteien (CDU /CSU, F.D.P.) vom 10. März 1987. Dort heißt es unter I. (Innere Sicherheit) wie folgt: "1.

2. Untersuchung überUrsachender Gewalt. Entwicklung von Konzepten zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt: Es soll eine unabhängige Regierungskommission eingesetzt werden, die sich diesen Themen umfassend widmet. Es besteht Einvernehmen, daß die Einsetzung dieser Regierungskommission parallelen gesetzlichen Maßnahmen nicht entgegensteht. Die Kommission soll zu einer Analyse und zu konkreten Vorschlägen zur Bekämpfung der Gewalt kommen. Das Bundesinnenministerium wird einen Vorschlag zur personellen Zusammensetzung, Organisation, zum Arbeitsauftrag und so weiter machen."

* Eine zweite Anti-Gewalt-Kommission ("Panel on the Understanding and Control of Violent Behavior") hat der "Nationale Forschungsrat" der "Nationalen Akademie der Wissenschaften" in Washington D. C. im Frühjahr 1989 ernannt; diese besteht aus 18 Mitgliedern und soll ihren Endbericht bis Oktober 1991 abgeschlossen haben. Eine Anti-Gewalt-Kommission ("National Committee on Violence") hat auch der australische Bundesminister der Justiz im Oktober 1988 gebildet, die 13 Mitglieder besitzt und ihren Abschlußbericht bis zum 31. Dezember 1989 erstellt hat. Ferner hat der neuseeländische Justizminister im April 1986 eine aus fünf Personen bestehende Kommission zur Untersuchung von Gewalt eingesetzt. Der Bericht dieser Kommission ("Report ofthe Ministerial Committee oflnquiry into Violence") wurde im März 1987 vorgelegt (vgl. dazu Band III, Sondergutachten Neuseeland).

28

Endgutachten

3

Der Grund für die Einsetzung der deutschen Gewaltkommission (besser: "Anti"-Gewaltkommission) ist der gleiche gewesen wie der, der z. B. auch die USA und Frankreich zur Berufung der entsprechenden Kommissionen bestimmt hat: die (Annahme einer) Eskalation der Gewalt, nicht nur in Familie und Schule, sondern auch im Stadion sowie auf Straßen und Plätzen. Sorgen bereiten in der Bundesrepublik insbesondere Gewalttätigkeiten unterschiedlichster Art im Zusammenhang mit Demonstrationen, Überfälle auf Büroräume, Brand- und Sprengstoffanschläge, Anschläge auf den Bahnverkehr und Versorgungseinrichtungen, Sitz- und Verkehrsblockaden, Gelände- und Hausbesetzungen, Massenkrawalle und Vandalismen verschiedenster Prägung.

4

Um die entsprechenden Erfahrungen des Auslands mit den verschiedenen Gewaltphänomenen in die Arbeit der deutschen Gewaltkommission mit einbringen zu können, wurden die Berichte der amerikanischen und französischen Gewaltkommissionen sowie ihre Vorschläge zur Prävention und strafrechtlichen Kontrolle (Intervention) für die Gutachten der deutschen Regierungskommission mit ausgewertet. Berücksichtigt wurden ferner die Ergebnisse der neuseeländischen Untersuchungskommission zur Gewaltfrage und die Vorschläge der in Großbritannien eingesetzten Kommissionen zur Verhinderung und Begrenzung ethnisch begründeter gewalttätiger Konflikte.

2. Auftrag, Organisationsform und Arbeitweise der deutschen Regierungskommission

a) Der Auftrag der Bundesregierung 5

Der Kabinettsbeschluß der Bundesregierung vom 16. Dezember 1987, durch den die Gewaltkommission (der 36 Mitglieder angehört haben) eingesetzt wurde, lautet vollständig (Auszug in der Präambel) wie folgt: "1. Aufgrund der Koalitionsvereinbarung zur Innen- und Rechtspolitik vom 10. März 1987 (Abschnitt I 2) wird eine ,Unabhängige Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkomrnission)' eingesetzt. 2. Die Gewaltkommission hat den Auftrag, bis Ende 1989 - in einer Sekundäranalyse die Ursachen, insbesondere - der politisch motivierten Gewalt, - der Gewalt auf Straßen und Plätzen, - der Gewalt im Stadion, - der Gewalt in der Schule und -der Gewalt in der Familie zu untersuchen und -

Konzepte zu entwickeln, die so praxisnah und handlungsorientiert gefaßt sein sollen, daß sie von Gesetzgebung, Verwaltung und Justiz auch möglichst kurzfristig umgesetzt werden können.

Schwind I Baumann I Schneider I Winter

29

3. Von den in dem vorgelegten Konzept enthaltenen Einzelheiten über personelle Zusammensetzung, Organisation und Arbeitsweise der Kommission, die vom Bundesminister des Innern im Einvernehmen mit dem Bundesminister derJustizerarbeitet worden sind, wird zustimmend Kenntnis genommen."

Aus dem Wortlaut des Auftrags ergibt sich, daß die Bundesregierung nicht 6 nur eine Sekundäranalyse der Arbeiten zu den Ursachen der (friedensstörenden) Gewalt erwartete, sondern auch konkret umsetzbare Handlungskonzepte: die "Erarbeitung eines kriminalpolitischen einschließlich eines sozialpräventiven Programms; hierbei (waren) auch Aspekte der Ausübung öffentlicher Gewalt zu berücksichtigen". b) Organisationsplan und Arbeitskonzept

Zentrales Gremium der Regierungskommission war das (interdisziplinär 7 zusammengesetzte) Plenum. Auf ihrer ersten Plenartagung, die am 4. und 5. Februar 1988 in Bonn durchgeführt wurde, haben die Mitglieder der Regierungskommission ein Arbeitskonzept verabschiedet, an dem sich alle weiteren Aktivitäten orientiert haben. aa) Die Grundlinien der Arbeitsweise ergeben sich bereits aus dem Organisa- 8 tionsplan (vgl. die Übersicht S. 34). Danach war die Kommission in zwei interdisziplinäre Arbeitsgruppen geteilt: -

die Arbeitsgruppe A (16 Mitglieder einschließlich der zwei koordinierenden Redakteure) hat sich schwerpunktmäßig mit der Straftatverhütung (Prävention) beschäftigt; innerhalb dieser AG waren vier Unterkommissionen (UK) tätig, und zwar folgender Fachdisziplinen: Psychologie, Psychiatrie, Soziologie und Kriminologie;

-

die Arbeitsgruppe B (ebenfalls 16 Mitglieder einschließlich der zwei koordinierenden Redakteure) hat sich schwerpunktmäßig mit der strafrechtlichen Kontrolle befaßt; innerhalb dieser AG waren ebenfalls vier UK tätig, und zwar folgender Arbeitsbereiche: Polizeipraxis, Strafrechtspraxis, Strafrechtswissenschaft und Öffentliches Recht.

Die Unterkommission VIII (Öffentliches Recht) hatte zugleich die Aufgabe, die Vorschläge der Regierungskommission aufihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. Den Maßstab bildete u. a. der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 14. 05. 1985 (Brokdorf - Beschluß zur Versammlungsfreiheit bzw. zum Demonstrationsrecht). bb) Organisatorische Probleme wurden von der Leitungskonferenz entschie- 9 den, der die koordinierenden Redakteure angehörten sowie die Vorsitzenden der Regierungskommission und ihre Mitarbeiter. Die Durchführung der entsprechenden Aufgaben wurde durch eine Geschäftsstelle beim Bundesminister des Innern übernommen. Die Einrichtung dieser Geschäftsstelle war auf der ersten Plenartagung (am 4. I 5. Februar 1988) von den Mitgliedern der Regierungskommission ausdrücklich begrüßt worden. Sie hat sich auch im Interesse einer

30

Endgutachten

reibungslosen Organisation (insbesondere in bezug auf die Vorbereitung der Sitzungen der verschiedenen Gremien) als sinnvoll erwiesen. 10

cc) Jede der Unterkommissionen hat aus ihrer fachspezifischen Sicht bis zum 1. Oktober 1988 ein "Ausgangsgutachten" erarbeitet, das auf der zweiten Plenarsitzung (am 10./11. November in Berlin) 1988 diskutiert worden ist. Die erste Berliner Sitzung hatte darüber hinaus die Aufgabe, Divergenzen zwischen den Ausgangsgutachten aufzudecken und so anzusprechen, daß die U nterkommissionen in den Stand gesetzt wurden, die begonnene Diskussion (in Anlehnung an die Delphi-Methode) unter sich sowie interdisziplinär (mit den anderen Unterkommissionen) in den Folgemonaten fortzusetzen. Die Ergebnisse haben die Unterkommissionen bis zum 1. Februar 1989 in jeweiligen "Erstgutachten" vorgelegt (abgedruckt in Band II). Diese Erstgutachten sind- getrennt nach Arbeitsgruppen- von den koordinierenden Redakteuren zu "Zwischengutachten" zusammengefaßt worden, die Anfang Mai 1989 an alle Mitglieder der Regierungskommission zur Vorbereitung der dritten Plenartagung in Nürnberg verschickt worden sind. Diese dritte Plenartagung, die durch ein " Vorklärungsgremium" (Vorsitzende, Koordinatoren der UK und koordinierende Redakteure der AG) interdisziplinär vorbereitet wurde, ist in der Zeit vom 31. Mai bis 2. Juni 1989 mit dem Ziel durchgeführt worden, die Vorschläge der einzelnen Unterkommissionen, die in den "Zwischengutachten" zusammengestellt wurden, zu diskutieren und zur Abstimmung zu bringen. Die Resultate sind bis zum 1. September 1989 von den koordinierenden Redakteuren der Arbeitsgruppen in die Zwischengutachten eingearbeitet worden. Beide Zwischengutachten (abgedruckt in Band I) bildeten sodann die Grundlage für das "Endgutachten" (ebenfalls in Band I abgedruckt), das auf der vierten Plenarsitzung (30. November bis 2. Dezember 1989) wiederum in Berlin diskutiert und verabschiedet wurde. Bei dem Endgutachten handelt es sich um eine Zusammenfassung der Zwischengutachten; es greift jedoch auch auf die Erstgutachten zurück und (im Ausnahmefall) auf die "Sondergutachten" (abgedruckt in Band II/; vgl. auch das Flußdiagramm aufS. 33). Deshalb ist das Endgutachten auch umfangreicher geworden als die Summe der Seiten der Zwischengutachten. c) Expertenanhörungen, Sondergutachten, Repräsentativumfragen

11

Die Konzeption der Arbeit der Regierungskommission war darauf angelegt, ein möglichst breites Wissens- , Erfahrungs- und Meinungsspektrum zu erfassen; deshalb wurden "Gewaltexperten" verschiedener Disziplinen zu Mitgliedern der Regierungskommission berufen. Auswahlkriterien waren fachliche Kompetenz, einschlägige Kenntnisse und wissenschaftliches Ansehen im In- und Ausland.

12

aa) Darüberhinaus wurden Sachverständige zu Spezialproblemen gehört, um das Meinungsbild weiter abzurunden bzw. evtl. Realitätsdefizite zu beheben. In die (insgesamt acht) Anhörungen einbezogen wurden deshalb:

Schwind I Baumann I Schneider / Winter

31

-

Wissenschaftler(innen) verschiedener Disziplinen,

-

Vertreter der Justiz einschließlich eines Rechtsanwalts (Mitglied des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins),

-

Jugendverbandsvertreter,

-

Polizeibeamte, vornehmlich Einsatzleiter aus dem höheren Dienst, die (Deeskalations-)Erfahrungen mit -

Großdemonstrationen (wie in Brokdorf, in Wackersdorf oder auf der Startbahn West in Frankfurt) und (oder

-

Hausbesetzungen (etwa Hafenstraße I Harnburg oder Kiefernstraße I Düsseldorf und Freiburg) sowie mit

-

Straßenblockaden im Rahmen von Arbeitskämpfen (vgl. Duisburg-Rheinhausen)

gesammelt hatten,* -

der Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder, Vertreter des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Bundesministers des Innern (BMI) sowie

-

Polizeipsychologen und ein Polizeipolitologe. **

bb) Hinzu kommen noch zwölf Sondergutachten, und zwar -

vier Auslandsgutachten: je eines über die Ergebnisse (16 Bände) der US-Violence Commission und der Gewaltkommission Neuseelands (beide H. J. Schneider), ein drittes über die Resultate (9 Bände) der französischen Gewaltkornmission (Hobe) und ein viertes über Vorschläge der in Großbritannien eingesetzten Untersuchungskommissionen zur Deeskalation von Konflikten mit ethnischem Hintergrund (Eckert);

-

zwei Sondergutachten zur Frage "Gewalt in der Familie" (U. Schneider und Honig);

-

zwei Sondergutachten zur Frage "Gewalt in der Schule" (Hurrelmann und Feltes);

* In diesen Rahmen gehört auch eine (von der Kommission finanzierte) Arbeitstagung mit dem Thema "Probleme der Gewalt aus der Sicht der polizeilichen Praxis", die unter der Leitung von Polizeipräsident Dr. Gemmer (Unterkommission "Polizeipraxis") in der Zeit vom 10. bis 11. Mai 1989 in der Polizeiführungs-Akademie in Münster-Hiltrup durchgeführt wurde. Teilnehmer waren Polizeiführer (h. D.) der oberen und unteren Integrationsebene mit umfangreichen (Einsatz-)Erfahrungen im Bereich gewalttätiger demonstrativer Aktionen; vertreten waren alle Bundesländer. In diesem Zusammenhang ist ferner das Seminar "Gewalt und Kriminalität" zu erwähnen, das unter der Leitung von Abteilungspräsident Prof. Dr. Kube (Koordinierender Redakteur der AG B) bereits vom 1. bis 2. September 1988 in der PFA Münster-Hiltrup stattfand. Schließlich haben sich Mitglieder der Gewaltkommission vor Ort bei den Polizeipräsidenten von Harnburg und Berlin und ihren Mitarbeitern Informationen geholt. ** Ferner wurden von Mitgliedern der Unterkommission "Psychiatrie" in Stockholm angehört: Erziehungswissenschaftler der Universität Stockholm, Kinder- und Jugendpsychiater, Vertreter des dortigen Justizministeriums, der Obersten Schulbehörde, des Sozialdienstes Stockholm und von Kinderschutzverbänden. In Wien wurden von Mitgliedern der Regierungskommission, insbesondere von der Unterkommission "Psychiatrie", ein Psychiater und ein Vertreter des dortigen Justizministeriums angehört.

13

32

Endgutachten

-

ein Sondergutachten zur Frage "Gewalt im Stadion" (Weis);

-

ein Sondergutachten zur Frage "Gewalt und Massenmedien" (Kepplinger);

-

ein Sondergutachten zum Thema "Gewaltkriminalität und Strafverfolgung" (Pfeiffer)

-

ein Sondergutachten über Organisation und Finanzierung der Frauenhäuser in den Mitgliedstaaten des Europarates (Maeder).

und auf Wunsch des BMJFFG (damals Frau Bundesministerin Süßmuth) noch

Alle Sondergutachten sind in einem gesonderten Band (Band I//) abgedruckt. 14

cc) Zur weiteren Unterstützung ihrer Arbeit haben Mitglieder der Regierungskommission (Kaase und Neidhardt) eine Repräsentativumfrage in der Bundesrepublik vorbereitet, die in der Zeit vom 20. Januar 1989 bis Anfang Februar 1989 vom EMNID-Institut durchgeführt worden ist. Befragt wurden 2012 Bundesbürger (einschließlich Westberlin) im Alter ab 14 Jahren zu Fragen der Gewalt. Dabei wurde bei der Ausarbeitung der Items systematisch darauf geachtet, daß die Antworten nicht nur akademische Interessen befriedigen können. Sie sind vielmehr auch darauf zugeschnitten, Befunde zu erbringen, die praktisch relevante Fragen beantworten helfen, wie etwa: -

Besteht für die Politik Handlungsbedarfund wenn ja: in welchem Maße besteht er?

-

Welche Einsatzstellen und Interventionspunkte sind erkennbar, um einen vorhandenen Handlungsbedarf befriedigen zu können?

15

Zu der nationalen Repräsentativumfrage wurde zusätzlich noch eine Eurobarometer-Erhebung geschaltet, um für die Urteilsbildung Vergleichsmaßstäbe gewinnen zu können. Internationale Vergleichsuntersuchungen sind jedenfalls ein bewährtes Instrument, um solche Maßstäbe zu gewinnen (zu den Umfragen ausführlich Rdn. 62- 69 und Band IV).

16

dd) Trotz der interdisziplinären Zusammensetzung der Kommission und der Einbeziehung weiterer Experten durch die Bestellung von Sondergutachten und die Durchführung von Anhörungen konnten im Hinblick auf den von der Bundesregierung gesetzten Zeitrahmen nicht alle thematisch berührten Fachrichtungen beteiligt werden. Wenn aus deren Sicht Ergänzungen oder Korrekturen notwendig sind, bittet die Kommission, ihre Vorschläge als Anstoß für eine Fortführung der Diskussion zu nehmen.

3. Zur Interpretation des Regierungsauftrages 17

Zur Interpretation des Regierungsauftrages wurden Beschlüsse bzgl. der Definition des Gewaltbegriffs und zur Schwerpunktbildung im Rahmen der Aufgabenstellung gefaßt (vgl. dazu Rdn. 20ff.). Danach "soll der Gewaltbegriff aus der Sicht des staatlichen Gewaltmonopols bestimmt werden" (vgl. dazu Rdn. ?Off.).

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(UK)

Erstgutachten der Unterkommissionen

II UK Psychiatrie

43 Experten - Psychologie -Pädagogik - Jugendverband -Polizei -Justiz - Ministerien

-Familie -Schule -Stadion - Massenmedien - Gewaltkriminalität und Strafverfolgung

I

- Frankreich - Großbritannien - Neuseeland -USA Frauenhäuser in den Mitgliedstaaten des Europarates

~

VI

UK Strafrechtspraxis

V

UK Polizeipraxis

Anhörungen

!

IV UK Kriminologie

Inlandsgutachten

'

III UK Sociologie

- Repräsentativumfrage in der Bundesrepublik - Eurobarometer Erhebung

Umfragen

I

UK Öffentliches Recht

~

VIII

VII

UK StrafrechtsWissenschaft

Arbeitsgruppe B: Zwischengutachten

Auslandsgutachten

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I UK Psychologie

Arbeitsgruppe A: Zwischengutachten

Endgutachten mit Vorschlagskatalog

Flußdiagramm zu den Materialien des Endgutachtens

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Linden, Brenneke

Unterkomm. II:

Psychiatrie

Unterkomm. I:

Psychologie

Selg Hacker E. MüllerE. MüllerLuckmann• Luckmann• Schmidt u. Mitarb. v. U. Schneider Strunk

UnterUnterkomm. VII: komm.VIII : Öffentliches Recht

StrafrechtsWissenschaft

Strafrechtspraxis

Polizeipraxis

Hili SchmidtJortzig

Krey KUh!

Unterkomm. VI:

Rudolf

Otto

Unterkomm. V:

Gemmer Böttcher Hamacher G. Steinhilper Salewski Völz

Wassermann

Gemeinsame Sitzungen einzelner Unterkommissionen

Kriminologie

Unterkomm. IV:

Unterkomm. III:

Soziologie

Kaiser Kreuzer Pfeiffer

Kaase Neidhardt

Stümper

~

Kerner

~

Eckert

Kube I Steifen

Remschmidt

Arbeitsgruppe B

Arbeitsgruppe A

/'~·-"·~·-~

stel/vertetender Vorsitzender:

A

Vorsitzender: Schwind (Mitarbeiter: Winter, U. Schneider

Geschäftsstelle beim Bundesinnenministerium:

Berckhauer IM. Steinhilper

Löse!

• mit der Koordinierung der ersten beiden UK beauftragt

Mitglieder:

Koordinatoren:

Koordinierende Redakteure:

Organisationsplan der "Unabhängigen Regierungskommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt (Gewaltkommission)"

I.;J

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Schwind / Baumann I Schneider / Winter

35

Da der Gutachtenauftrag der Bundesregierung nach Auffassung der Korn- 18 rnissionsmitglieder vor dem Hintergrund der begrenzten Bearbeitungszeit (2 Jahre) zu weit gefaßt ist, wurde auf der ersten Plenarsitzung eine Schwerpunktbildung beschlossen, nach der primär "Gegenstand der Untersuchung und von Lösungskonzepten die politisch motivierte Gewalt (sein sollte) sowie die Gewalt auf Straßen und Plätzen." Es sollten aber auch die Gewalt im Stadion, die Gewalt in der Schule und die Gewalt in der Familie behandelt werden, einschließlich der Transferproblematik. Ausgeklammert werden sollten die klassische Gewaltkriminalität mit Tatort 19 "Straße usw." (Gewalttaten aus dem Bereich der sog. Straßenkriminalität: Raubdelikte, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung usw.; vgl. auch Rdn. 125), die psychisch vermittelte Gewalt im Straßenverkehr sowie die (sog.) strukturelle Gewalt, unter der nach Galtung (1975) die Verhinderung optimaler menschlicher Entfaltung zu verstehen ist. Unberücksichtigt blieben ferner die Gewaltkriminalität ausländischer Extremisten sowie die Gewaltakte der organisierten Kriminalität; auch war keine neue Terrorismus- Untersuchung vorgesehen. Wegen der Fülle der ihr von der Bundesregierung gestellten Fragen hat die Gewaltkommission ferner davon abgesehen, den Fragenkreis religiös motivierter Gewalt zu erörtern. Dieser spielt zwar derzeit in unserem Land praktisch nur eine untergeordnete Rolle; das kann sich allerdings zukünftig (nicht zuletzt im Hinblick auf den beachtlichen Ausländeranteil der Bevölkerung) ändern. Die Gewaltkommission gibt deshalb zu der durch die Bayerische Staatsregierung an sie herangetragene Frage, ob und gegebenenfalls wie der strafrechtliche Schutz des religiösen und weltanschaulichen Friedens verbessert werden sollte (vgl. dazu BR-Drs. 367 /86), keine Empfehlung. Sie regtjedoch an, die Problematik in einem anderen geeigneten Gremium zu erörtern. Das gilt auch für die Untersuchung des Problemkreises der ·"Gewalt im Straßenverkehr". Soweit Vor- und Randbereiche der Gewalt mit den genannten Schwerpunkten sachlich zusammenhängen, wurden sie teilweise in den Erstgutachten von Unterkommissionen angesprochen.

II. Gewalt als Untersuchungsgegenstand 1. Begriffsbestimmung

In den letzten Jahrzehnten ist - vor allem vor dem Hintergrund des 20 Terrorismus und neuer politischer Protestbewegungen, wie z. B. der AntiAtomkraft-Bewegung- gerade um den Begriff der Gewalt ein heftiger Streit entbrannt. Öl in das Feuer um die Begriffiichkeit gießt u. a. die Verwendungsmöglichkeit des Gewaltbegriffs als "Kampjbegriff': gelingt es, ein Verhalten als "Gewalt" einzustufen, ist es negativ besetzt und abgewertet (1, 5; 111, 12). Daneben ist das Bekenntnis zur oder gegen die Gewalt zu einem Indikator des 3*

36

Endgutachten

(politischen) Standorts geworden und entscheidet über Verbleib bzw. Ausgrenzung aus der jeweiligen (politischen) Gruppierung (III, 9).

21

Aus der Diskussion über den Inhalt des Gewaltbegriffes hat sich bisher kein allgemeingültiges, von allen gesellschaftlichen Gruppen und Wissenschaftsrichtungen getragenes Gewaltverständnis herausgebildet. Eine mangels einer wertneutralen Begriffsbildung (I, 5; IV, 4) notwendige Übereinkunft über einen Gewaltbegriff war bis heute nicht möglich. Schon im Interesse der Verständigung war es daher geboten, den den eigenenUntersuchungenund Überlegungen zugrunde gelegten Gewaltbegriff näher aufzuzeigen. a) Der Gewaltbegriff in der öffentlichen (politischen) und wissenschaftlichen Diskussion

22

Als Minimalkonsens in der öffentlichen (politischen) Diskussion und in den einzelnen Wissenschaftsdisziplinen läßt sich ein Gewaltterminus herausfiltern, der die zielgerichtete, direkte physische Schädigung von Menschen durch Menschen erfaßt (I, 10; IV, 4). Stellt man auf das Gewaltverständnis in der Bevölkerung ab, wird überwiegend auch noch der körperliche Angriffauf Sachen einbezogen (vgl. Rdn. 65; Band IV, Kap. 3).

23

Was allerdings außerhalb dieses Bereichs unter den Gewaltbegriff zu subsumieren ist, ist streitig. Dabei reicht die Erweiterung des Gewaltbegriffes über die Erfassung psychischer Zwangsmittel (vgl. dazu Rdn. 65) bis zum Rückgriff auf "Zwangsmerkmale" in sozialen Systemen (sog. strukturelle Gewalt, I, 7; Ill, 10, 108). Mit diesem, in der Politikwissenschaft von Galtung geprägten Terminus der "strukturellen Gewalt" (III, 10, 108; IV, 7) hat der Gewaltbegriff eine geradezu inflationäre Ausdehnung erfahren (I, 11; VIII, 6, Fn. 2), dennjede Art Verhinderung von menschlichen Entfaltungsmöglichkeiten wird als Gewalt eingestuft.

24

Sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der politischen Diskussion erfolgt die Auswahl des Gewaltbegriffs in dem aufgezeigten Spektrum keineswegs wertfrei (zur Politisierung des Gewaltverständnisses vgl. auch Rdn. 65). Strategische Zwecke scheinen auf allen Seiten durch. So geht es bei der Ausweitung auf "strukturelle Gewalt", die in Zusammenhang mit den neuen Protestbewegungen zu sehen ist, darum, eine Vielzahl gesellschaftlicher Problemlagen und Mißstände mit dem Gewaltbegriff zu etikettieren, um sie so (Gewalt als "Kampfbegriff") angreifen zu können (III, 10). Eventuell eingesetzte eigene Gewalt erscheint damit lediglich als "Gegengewalt" (vgl. z. B. IV, 8).

25

Diese Tendenz zur Ausweitung des Gewaltbegriffes, um so bestimmte Sachverhalte als Gewalt erfassen zu können, ist auch auf staatlicher Seite erkennbar (III, 11; IV, 15). Gemeint ist hier die als "Entmaterialisierung" oder "Vergeistigung" bezeichnete Verbreiterung des Gewaltmerkmals in der Rechtsprechung zu§ 240 StGB (ausgehend von der Bewertung der Rechtsprechungs-

Schwind I Baumann/Schneider / Winter

37

Entwicklung, wie sie u. a. das Bundesverfassungsgericht vornimmt; zum Gewaltbegriff in der Rechtsprechung vgl. Rdn. 27ff.). Autrallig in der Diskussion um den Inhalt des Gewaltbegriffes ist auch die 26 Neigung, als Gewalt zu wertendes Verhalten grundsätzlich immer nur auf der "Gegenseite" zu sehen (111, 11; IV, 10). Hiervon sind ebenfalls die staatlichen Instanzen nicht auszuklammern. "Staatliche Gewalt wird, wenn sie auftritt, als legitim betrachtet, als Gewalt, die sie immer auch ist, kaum thematisiert" (Sack, zitiert nach III, 11 ). b) Die Ausformung des Gewaltbegriffes in der Rechtsprechung

Um den Inhalt des strafrechtlichen Gewaltbegriffes (genauer gesagt: um die 27 Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Gewalt in§ 240 Abs. 1 StGB) ist in den letzten Jahren anläßlich der strafrechtlichen Beurteilung von Verkehrs-/ Sitzblockaden, wie z. B. von Blockaden vor Kasernen durch Anhänger der Friedensbewegung, (erneut) ein heftiger Streit entbrannt. In der Rechtsprechung wird überwiegend das Tatbestandsmerkmal der Gewalt in diesen Fällen bejaht (VI, 58; zur Frage der Verwerflichkeit vgl. Rdn. 380, 383). Die verurteilenden Gerichte knüpfen dabei z. T. an den Gewaltbegriff der höchstrichterlichen Rechtsprechung an, wie er seine Ausformung in der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 8. August 1969- sog. Laepple-Urteil- (VII, 57) erfahren hat. Der Bundesgerichtshof wertete hier einen "Sitzstreik" auf Straßenbahnschie- 28 nen, der zur Blockade des Straßenbahnverkehrs führte, als Gewalt im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB; dazu führte er aus: "Dieser Bewertung steht nicht entgegen, daß die Studenten die Straßenbahn nicht durch unmittelbaren Einsatz körperlicher Kräfte autbielten, sondern nur mit geringem körperlichen Kraftaufwand einen psychisch determinierten Prozeß in Lauf setzten. Entscheidend ist hierbei, welches Gewicht der von ihnen ausgeübten psychischen Einwirkung zukam. .. . Stellt sich ein Mensch der Bahn auf den Schienen entgegen, so liegt darin die Ausübung eines Zwanges, der für den Fahrer sogar unwiderstehlich ist, denn er muß halten, weil er sonst einen Totschlag beginge." (Kursiv-Hervorhebungen v. d. Verf.) Mit dieser als "Entmaterialisierung" oder "Vergeistigung" kritisierten Auswei- 29 tung hat der Gewaltbegriff eine Entwicklung erfahren, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 73, 206, 239f.) in einem dreistufigen Modell wie folgt sieht (kritisch dazu VII, SOff.): In der Ausgangsphase habe das Reichsgericht unter Gewalt die Entfaltung körperlicher Kraft auf Seiten des Täters zur Überwindung eines geleisteten oder vermuteten Widerstands verstanden. Auf einer zweiten Stufe habe der Bundesgerichtshof das Moment der Körperlichkeit vom Täterverhalten auf die Opferseite verlagert: Entscheidend sei die körperliche Zwangswirkung auf

38

Endgutachten

Seiten des Opfers. Zwar müsse auch der Täter Körperkraft einsetzen, diese brauche jedoch keineswegs erheblich zu sein- was auch bereits das Reichsgericht mitunter habe genügen lassen - . Auf der dritten Stufe habe sowohl das Moment der körperlichen Kraftentfaltung auf der Täterseite als auch der Umstand einer Einwirkung auf den Körper des Opfers als Entscheidungskriterium an Bedeutung verloren: In dieser dritten Phase stelle der Bundesgerichtshof nur noch allgemein auf eine, die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung beeinträchtigende Zwangswirkung ab. In diesem Rahmen lasse der Bundesgerichtshof nach dem "Laepple-Urteil" auch einen auf das Opfer lediglich psychisch wirkenden Zwang genügen, sofern er nur unwiderstehlich sei. 30 Die so verstandene Entwicklung des Gewaltbegriffes darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung schon immer, und zwar auch bereits das Reichsgericht, das Versperren des Weges als Gewalt verstanden hat (VII, 55). c) Der Rückgriff auf einen restriktiven Gewaltbegriff als Orientierung für die Regierungskommission

31

Angesichts der unterschiedlichen Möglichkeiten des Verständnisses des Gewaltbegriffes war eine effektive Zusammenarbeit der Mitglieder der Unabhängigen Regierungskommission nur möglich, wenn alle Beteiligten ihrer Arbeit (zumindest im wesentlichen) denselben Gewaltbegriff zugrunde legten. Erst aufgrund einer (annähernd) einheitlichen Begriffiichkeit konnte es überhaupt zu einer sinnvollen Verständigung über Ursachen der Gewalt in bestimmten Bereichen und über Konzepte zur Gewaltverhütung kommen (näher dazu I, 4ff.). Ausgangspunkt der Kommissionsarbeit mußte daher die möglichst weitgehende Einigung auf einen gemeinsamen Gewaltbegriff sein. Vor diesem Hintergrund orientierte sich die Gewaltkornmission gemäß ihres Arbeitskonzeptes grundsätzlich an folgender inhaltlicher Ausgestaltung des Gewaltterminus:

32

"Der Gewaltbegriffsoll aus der Sicht des staatlichen Gewaltmonopols bestimmt werden. Dabei soll es primär um Formen physischen Zwanges als nötigender Gewalt sowie Gewalttätigkeiten gegen Personen undf oder Sachen unabhängig von Nötigungsintentionen gehen. Ausgeklammert werden sollen die psychisch vermittelte Gewalt im Straßenverkehr und die strukturelle Gewalt." (Abschnitt IV 2a des Arbeitskonzeptes in der Fassung vom 17. Februar 1988).

33

Die Kommission lehnte sich damit an den in den Sozialwissenschaften überwiegend anerkannten Gewaltbegriff an (vgl. dazu bzgl. Soziologie und Politikwissenschaft III, 14). Sie verfügte auf diese Weise über einen für alle Unterkommissionen (bzw. Arbeitsgruppen) handhabbaren Gewaltbegriff. Inhaltlich wird der Bezug zum staatlichen Gewaltmonopol deutlich: die Monopolisierung der Gewalt beim Staat bezieht sich ebenfalls nur auf physische

Schwind I Baumann I Schneider I Winter

39

Zwangsmittel (III, 3, 19; VI, 1, 4; zum staatlichen Gewaltmonopol vgl. näher Rdn. ?Off.). Zugleich forderte die große Mehrheit der Unterkommissionen eine Einengung des Gewaltbegriffs, nicht nur für die Arbeit der Kommission, sondern auch für den Gesetzgeber und für die Rechtsprechung.

2. Zur Entwicklung der Gewaltkriminalität in der Bundesrepublik Erkenntnisse über die Entwicklung der Gewaltkriminalität lassen sich aus drei Quellen gewinnen: -

34

den (amtlichen) Statistiken, die das Hellfeld widerspiegeln (dazu Rdn. 35ff.);

-

den wissenschaftlichen Forschungen zum Dunkelfeld (dazu Rdn. 47ff.);

-

den Erfahrungen und Erkenntnissen von Polizei- und Strafrechtspraktikern (dazu im Hinblick auf die politisch motivierte Gewalt Rdn. 109, 116ff.).

a) Hellfeld der Gewaltkriminalität insgesamt

Aussagen über das Hellfeld strafrechtlich relevanter Gewalt, also über die den 35 Strafverfolgungsbehörden bekanntgewordene Gewaltkriminalität, lassen sich anhand der seit 1953 bundeseinheitlich geführten, jährlich erscheinenden Polizeilichen Kriminalstatistik ( P KS) des Bundeskriminalamtes machen. Während diese Statistik bis vor einigen Jahren noch keine übergreifende Kategorie "Gewaltkriminalität" (als Summenschlüssel) enthielt, -

es gab allerdings die Oberkategorie der "Straftaten gegen das Leben" und die der sog. Rohheitsdelikte, auch ließ sich aus den Einzeldeliktsnachweisen eine nach den eigenen Vorstellungen gebildete Oberkategorie errechnen-

ist diese Lücke bei der letzten Revision des Straftatenschlüssels (für die PKS 1983) geschlossen worden. Seitdem wird ein statistikbezogener polizeilicher Gewaltbegriff verwendet und die so definierte Kriminalität als Summenwert getrennt von anderen Daten ausgewiesen. Zudem ist auf der Grundlage dieser Definition im Überblicksteil der jüngsten Jahresberichte die Gewaltkriminalität für die Vorjahre bis 1955 berechnet worden (zum Ganzen IV, 47). Die Kategorie der Gewaltkriminalität erfaßt nach der PKS die folgenden (versuchten und vollendeten) Straftaten:

36

vorsätzliche Tötung, Vergewaltigung, Raub, räuberische Erpressung, räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, Körperverletzung mit tödlichem Ausgang, gefährliche und schwere Körperverletzung, Vergiftung, erpresserischer M enschenraub, Geiselnahme und Angriff auf den Luftverkehr (I, 20; //, 15; IV, 48; V, 15) .

Der Gewaltbegriff der PKS ist damit zum einen enger als der der Kommission 37 (vgl. Rdn. 32), mit letzterem lassen sich u. a. noch die vorsätzliche einfache Körperverletzung, die Mißhandlung von Schutzbefohlenen, die sexuelle Nötigung sowie die Sachbeschädigung erfassen (vgl. auch li, 18; IV, 49; V, 13, 30).

40

Endgutachten

Zum anderen ist der statistikbezogene polizeiliche Gewaltbegriff weiter, da die berücksichtigten Straftatbestände zum Teil auch andere Verwirklichungsmodalitäten als nur physische Gewalt erfassen und mit der Problematik des staatlichen Gewaltmonopols kaum etwas zu tun haben. 38

Gewaltkriminalität wird nicht nur in der PKS, sondern auch in anderen (amtlichen) Erhebungen abgebildet, z. B. in der von der Innenverwaltung erstellten Statistik zum Demonstrationsgeschehen. Diese anderen Quellen zum Hellfeld erfassen allerdings nicht die in diesem Abschnitt behandelte Gewaltkriminalität in ihrer Gesamtheit, · sondern beziehen sich auf einzelne, spezielle Apsekte der Gewalt. Auf diese (nur bedingt aussagekräftigen) Statistiken wird daher erst im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewaltfeld näher eingegangen, so auf die "Demonstrationsstatistik" und auf die in ihr (auch) dokumentierten gewalttätigen Ausschreitungen bei Demonstrationen im Kapitel zur politisch motivierten Gewalt (vgl. Rdn. 113ff.).

39

Stellt man auf die Gewaltkriminalität insgesamt i. S. d. PKS-Definition ab, ist für 1988 folgendes Bild zu verzeichnen: Der Anteil an der Gesamtkriminalität lag wie in den beiden Jahren zuvor bei 2,3% (Gesamtkriminalität 1988: 4.356.726 Fälle; Gewaltkriminalität 1988: 99.872 Fälle; II, 1; IV, 50; V, 16). Gewaltkriminalität wird in Großstädten mit mehr als 500000 Einwohnern etwa doppelt so häufig registriert als es der Bevölkerungsanteil dieser Städte an der Gesamtbevölkerung erwarten ließe. Für Gemeinden mit einer Einwohnerzahl von weniger als 20000 ergibt sich das umgekehrte Bild (IV, 50).

40

Die registrierte Gewaltkriminalität 1988 wurde zu 89,8% von männlichen Tatverdächtigen begangen. Im Jahr 1987 hatte der Wert 90,1% betragen. Dabei dominierten unter den Altersgruppen die 14- bis 29jährigen, auf die 61,3% (1988: 60,5 %) der tatverdächtigen Gewalttäter entfielen. Deren Bevölkerungsanteil betrug 1987 demgegenüber nur 25,4% (IV, 51).

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Ein aufschlußreiches Bild der Gewaltdelinquenz im Kindes- und Jugendalter (für den Bereich des Bundeslandes Baden-Württemberg) gibt eine Sonderauswertung der Polizeilichen Auskunftsdatei (PAD) durch das Freiburger Max-Planck-lnstitut für ausländisches und internationales Strafrecht; wegen der einzelnen Resultate wird auf die Zusammenfassung in IV, 53 verwiesen.

42

Die Entwicklung der Gewaltkriminalität i. S. d. P KS ist wie folgt verlaufen: Die Zahl der der Gewaltkriminalität zugerechneten Fälle ist seit 1955 nicht nur nominal gestiegen, sondern auch bei der - Bevölkerungsschwankungen einigermaßen neutralisierenden - Häufigkeitszahl (Zahl der bekanntgewordenen Fälle, berechnet auf 100000 Einwohner) ist gegenüber 1955 eine Steigerung zu verzeichnen (IV, 48): Die Häufigkeitszahl betrug 69,3 im Jahr 1955 und stieg recht gleichmäßig an auf 175,3 im Jahr 1982, d. h. auf das Zweieinhalbfache. Dabei ist zu vermerken, daß auch in dem für eine genaue Längsschnittanalyse maßgeblichen Zeitraum seit 1971 - seitdem sind die Erfassungsmodalitäten

Schwind I Baumann I Schneider I Winter

41

unverändert geblieben- eine starke Zunahme festzustellen ist: von 1971 bis 1982 stieg die Häufigkeitszahl um 79,3% (IV, 55). Seit 1982 ist ein leichter Rückgang festzustellen: 1988 betrug die Häufigkeitszahl163, 1 (zu Details in der Entwicklung zwischen 1971 bzw. 1978 und 1988 vgl. IV, 54ff. und V, 18fT.). Anders als die registrierte Gesamtkriminalität hat die bekanntgewordene Gewaltkriminalität i. S. d. PKS insoweit mithin leicht rückläufige Züge (II, 17). Abgenommen hat auch die (ebenfalls in der PKS dokumentierte) Anzahl der 43 Fälle, bei denen mit einer Schußwaffe gedroht oder geschossen wurde. Den 17.511 Fällen des Jahres 1971 stehen nur noch 11.615 Fälle im Jahr 1988 gegenüber -ausgenommen sind hierbei Verstöße gegen das Waffengesetz und Wilderei- (IV, 57; V, 43; B, 6).

Diese Tendenz bei der Gewaltkriminalität, so wie sie die PKS ausweist, darf 44 jedoch nicht zu der Schlußfolgerung verführen, daß eine Entspannung der Lage eingetreten sei. Die Gewaltkriminalität bewegt sich zahlenmäßig immer noch auf hohem Niveau (V, 29). Berücksichtigt man zudem nur einzelne der genannten Straftatbestände, die zwar nach der PKS nicht zur Gewaltkriminalität gerechnet werden, die nach dem Verständnis der Kommission aber zur Gewalt und damit Gewaltkriminalität gehören und die in der PKS auch gesondert ausgewiesen sind und daher hinzugenommen werden können, erhält man ein anderes, nämlich negatives Bild. Nimmt man z. B. die einfache vorsätzliche Körperverletzung zum Summenwert der Gewaltkriminalität hinzu, ergibt sich eine Gesamthäufigkeitszahl von 162,7 im Jahr 1960, von 357,4 im Jahr 1982 und 364,7 im Jahr 1988, also eine Steigerung zwischen 1960 und 1988 um mehr als das Doppelte, mit etwa gleich hohem Niveau seit 1982 (IV, 49 i. V. m. Tab. 8; vgl. ferner I, 21; II, 19; V, 41; zur Entwicklung bei Berücksichtigung weiterer Delikte vgl. V, 33ff., 42). Die vorstehenden Angaben beziehen sich auf die Gesamtbevölkerung der 45 Bundesrepublik Deutschland, d. h. auf die Straftaten von Deutschen und Ausländern insgesamt. Speziell zur Gewaltkriminalität der Ausländer (in der Bundesrepublik) sehen die Daten folgendermaßen aus: Nach der PKS des Jahres 1988 waren 24,0 % aller registrierten Gewalttäter (im dort verstandenen Sinn) Nichtdeutsche. Gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil von 6,9% erscheinen damit die ausländischen Tatverdächtigen erheblich überrepräsentiert. Eine vergleichende Längsschnittanalyse zu den wichtigsten Tatbestandsgruppen der Gewaltkriminalität (i. S. d. PKS) zeigt überdies, daß die Tatverdächtigenziffern der Ausländer ganz überwiegend seit 1984 angestiegen sind (mit Ausnahme bei der Vergewaltigung), während die der Deutschen durchweg leicht abgenommen haben. Besonders belastet erscheinen diejüngeren Altersgruppen der Ausländer (zum Ganzen IV, 63 sowie V, 83). Bei der Interpretation dieser Daten sind aber verschiedene Faktoren zu 46 berücksichtigen, die das Gesamtbild zu Lasten der Ausländer verzerren. Beispielhaft seien nur die im Hinblick auf die Kriminalitätsbelastung ungünstigere Alters- und Geschlechtsstruktur der ausländischen Wohnbevölkerung sowie die

42

Endgutachten

Tatsache genannt, daß Ausländer im Unterschied zu Deutschen überwiegend in Großstädten leben (dazu im einzelnen IV, 65f.; zu weiteren verzerrenden Faktoren vgl. IV, 64, 67fT.). b) Dunkelfeld der Gewaltkriminalität insgesamt

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Ob die- nach dem hier vertretenen Gewaltbegriff-festgestellte Steigerung der Gewaltkriminalität insgesamt (vgl. Rdn. 44) wirklich stattgefunden hat, ist mit den obigen Ausführungen allerdings nicht belegt. Diecrux liegt darin, daß die PKS nur das Hellfeld registriert; das Dunkelfeld bleibt unberücksichtigt (I, 18; II, 15; V, 13; zu weiteren Schwächen der PKS vgl. V, 58fT.). Zur Ermittlung des tatsächlichen Umfangs der Gewaltkriminalität wäre es vor allem nötig, das Dunkelfeld aufzuhellen, z. B. durch Täter- und/oder Opferbefragungen.

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In Übereinstimmung mit ausländischen Vorbildern sind Täterbefragungen in der Bundesrepublik Deutschland nicht ausschließlich auf Gewaltkriminalität bezogen. Sie zeigen für den hier interessierenden Gewaltbereich folgende Grundlinien auf (IV, 35): Die selbstberichtete Gewaltkriminalität der weiblichen Befragten ist in allen Altersstufen gegenüber der der männlichen Probanden geringer, und zwar sowohl bezüglich Quantität als auch Qualität des Handelns. Zu den Straftaten, die "normalerweise" jede männliche Person im Laufe ihrer Entwicklung begeht, gehören auch in großem Umfang Formen alltäglicher "Kleingewalt" (Auseinandersetzungen zwischen Gleichaltrige~, einfache Körperverletzungen, Wegnahme von kleineren Gegenständen oder Geldbeträgen auch unter Einsatz körperlicher Gewalt).

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Zur Frage selbstberichteter Gewaltdelinquenz von Ausländern im Vergleich zu Deutschen liegen bisher keine verläßlichen kriminologischen Studien vor (IV, 36).

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Sofern sich Opferbefragungen in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt mit Gewaltkriminalität befassen, beziehen sie sich auf die Delikte des Raubes, der vorsätzlichen Körperverletzung und der Vergewaltigung. Folgende Grunderkenntnisse lassen sich aus den Opferbefragungen gewinnen (IV, 38f.): Opfer irgendeiner Straftat zu werden, ist statistisch normal. Bis zu rund einem Drittel der Normalbevölkerung wirdjährlich in irgendeiner Weise durch irgendeine Form von Kriminalität behelligt. Dagegen ist das Risiko, Opfer eines Gewaltdeliktes zu werden, noch recht gering (IV, 38; VII, 2). Die Viktimisierungsrate sinkt mit dem Alter. Bei Männemist sie höher als bei Frauen (IV, 39).

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Offen bleibt nach diesen Untersuchungen allerdings, ob in Übereinstimmung mit der Entwicklung im Hellfeld in der Bundesrepublik Deutschland ein Anstieg der Gewaltkriminalität stattgefunden hat. Nach dem von der Unterkommission "Kriminologie" (IV, 38 f.) referierten Grundertrag der Täter- I Opferbefragungen ergeben die bis 1988 veröffentlichten Untersuchungen zu diesem Punkt

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nichts (zu den Ergebnissen der Dunkelfeldforschung vgl. auch V, 7). Inzwischen bestätigt jedoch eineUntersuchungfür die Stadt Bochurn den realen Anstieg bei den Delikten der vorsätzlichen Körperverletzung: In Bochum ist die entsprechende Kriminalität bei gleichem Dunkelfeld im Zeitraum von 1975 bis 1986 im Hellfeld um 14,5% gestiegen (865 zu 990 Fälle). Die hochgerechneten Dunkelfeldzahlen betrugen 6214 (Streuung +I- 37,3 %) bzw. 6241 (Streuung + /- 38,9% ), so daß im Ergebnis (dort) von einer realen Steigerung, also nicht von einer Verschiebung vom Dunkelfeld ins Hellfeld ausgegangen werden kann (vgl. Schwind/ AhlbornjWeiß, Dunkelfeldforschung in Bochum 1986/ 87 Eine Replikationsstudie - , Wiesbaden 1989, S. 116f.).

c) Prognose Die Wissenslücken über das Dunkelfeld der Gewaltkriminalität erschweren 52 nicht nur den Zugang zum status quo, sie beeinträchtigen auch die Einschätzung der zukünftigen Entwicklung (V, 13): Exakte Zahlen für Hochrechnungen liegen nur mit den Hellfelddaten vor. Auf dieser Grundlage ergibt sich folgender Ausblick (IV, 98; ausführlich SG Pfeiffer, 37ff.): 1987 waren rund 61% der wegen Gewaltkriminalität (i. S. d. PKS-Defini- 53 tion) registrierten Tatverdächtigen zwischen 14 und 29 Jahre alt. Diese Altersgruppe stellte 1987 einen Anteil von 25,4% an der Bevölkerung der Bundesrepublik. In absoluten Zahlen urnfaßte diese Altersgruppe rd. 15 Millionen. Nach der letzten Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 1987 soll diese Zahl bis zum Jahr 2000 auf10 Millionen und bis zum Jahr 2010 sogar auf7,6 Millionen zurückgehen, also auf die Hälfte des heutigen Standes. Eine derartige Abnahme der besonders kriminalitätsbelasteten Altersgruppe könnte auch Einfluß auf die Häufigkeit der Gewaltkriminalität haben. Ausgehend von den Tatverdächtigenziffern der verschiedenen Altersgruppen im Jahre 1987 und den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wäre bis zum Jahr 2000 mit einem Rückgang der wegen Gewaltkriminalität registrierten Tatverdächtigen zu rechnen. Die stärksten Auswirkungen wären nach dieser Hochrechnung bei den Raubdelikten zu erwarten, die geringsten bei der gefährlichen I schweren Körperverletzung.

Als sozialwissenschaftliche Prognose dürfen derartige Trendberechnungen 54 allerdings nicht gewertet werden. Die beiden der Hochrechnung zugrunde liegenden Annahmen (Konstanz der - ohnehin nur auf das Hellfeld bezogenen - Tatverdächtigenziffern der verschiedenen Altersgruppen; Bevölkerungsentwicklung gemäß den Voraussagen des Statistischen Bundesamtes) sind ihrerseits einer Fülle von Einflußfaktoren (z. B. Zuzug von Aus- und Übersiedlem, Besucherströmen, Flucht- und sonstigen Wanderungsbewegungen, Korrekturen infolge der Volkszählung) unterworfen, über die für das Jahr 2000 keine ausreichend verläßlichen Angaben gemacht werden können (I, 22; IV, 99). Die für die Zukunft ermittelten Kriminalitätsdaten können angesichts der

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Endgutachten

unsicheren Berechnungsgrundlagen nur als Orientierungshilfe dafor dienen, welche Bedeutung dem demographischen Wandel als Einflußfaktor zukommen wird.

3. Sicherheitslage, Bedrohtheitsgefühl und Gewaltbereitschaft a) Die objektive Sicherheitslage

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Als Fazit der Ausführungen zur Kriminalitätsentwicklung (Rdn. 35ff.) ist festzuhalten, daß eine genaueund übereinstimmende Einschätzung der objektiven Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland derzeit nicht möglich ist. So beginnt der Streit bei der Frage, ob nach der in der PKS abgebildeten Kriminalitätsentwicklung ein Anstieg der Gewaltkriminalität zu verzeichnen ist, schon damit, welche Delikte dieser Kategorie zuzuordnen sind. Je nach Definition dieser Kategorie kann das Ergebnis unterschiedlich ausfallen (vgl. Rdn. 42, 44). Geht man (nach einem stetigen Anstieg bis 1981) von einer leicht rückläufigen Tendenz seit 1982 aus- wobei das Niveau der Gewaltkriminalität aber auch dann immer noch hoch ist (Rdn. 44) - ,stellt sich die Frage nach den Gründenfor diesen Umschwung. Hier gibt es ebenfalls keine eindeutige Antwort. Unabhängig von einer Zu- oder Abnahme der Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung (vgl. dazu Rdn. 62ff.) kann ein Rückgang der Gewalt auch auf einem- nur schwer meßbaren- Erfolg polizeilicher Maßnahmen beruhen (II, 19). Ferner ist der (bereits bei der Prognose (Rdn. 53) angesprochene) Geburtenrückgang in die Überlegungen miteinzubeziehen: Die Zahl der überproportional für die "alltägliche" Gewaltkriminalität verantwortlichen Jugendlichen und Jungerwachsenen hat sich verringert (1, 21). Darüber hinaus kann sich die Anzeigebereitschaft der Bevölkerung verändert haben, so daß der Umschwung infolge Verschiebung von Hell- und Dunkelfeld (zumindest teilweise) nur optischer Art wäre (gegen Veränderungen im Anzeigeverhalten sprechen allerdings die Ergebnisse der bereits erwähnten (vgl. Rdn. 51) Bochumer Dunkelfeldforschung). 56 Die Unsicherheiten in der Bestandsaufnahme stehen jedoch der Bejahung eines Handlungsbedarfs für Maßnahmen zur Gewaltminimierung nicht entgegen. Vielmehr handelt es sich bei den Versuchen einer Gewalteindämmung immer um vielfältig determinierte politische Prioritätensetzungen, die keineswegs durch aktuell erhöhte Auftretenshäufigkeit von Gewalt begründet sein müssen (1, 23; II, 21 ). Auch ein Bedrohtheitsgefühl der Bevölkerung kann zum (mit-)maßgeblichen Kriterium werden (vgl. das Beispiel bei I, 23). b) Das Bedrohtheitsgefohl /die subjektive Sicherheitslage

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Nach einer im Jahr 1987 durchgeführten Umfrage des EMNID-Instituts (Bielefeld) fühlt sich der Bürger der Bundesrepublik Deutschland "zu Hause" am sichersten, während er sich bei großen Sportveranstaltungen und "auf der Straße" deutlich gefährdeter fühlt. Die Bedrohung durch Gewalt wird offenbar

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zunehmend stärker empfunden, denn staatliche Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit wurden 1987 von z. T. erheblich mehr der befragten Personen befürwortet als 1986 (VII, 1).

Ein allgemeines Unsicherheitsgefohl ist auch in der Bundesrepublik weit 58 verbreitet (vgl. dazu die Untersuchung von Schwind/ AhlbornjWeiß, aaO. (Rdn. 51), S. 149f.). Dabei zeigen die im Rahmen der Dunkelfeldforschung durchgeführte Opferbefragungen (Rdn. 50), daß die Verbrechensfurcht mit dem Alter steigt. Bei Frauen ist sie höher als bei Männern (IV, 39). Fraglich ist, ob bzw. inwieweit das Bedrohtheitsgefühl von einem Anstieg 59 insbesondere der Gewaltkriminalität abhängig ist (IV, 28). Nach der vom EMNID-Institut (im Auftrag der Kommission) vom 23. Januar bis zum 23. Februar 1989 durchgeführten repräsentativen Bevölkerungsumfrage bei Personen im Alter ab 14 Jahren (vgl. Band IV) gaben immerhin 3.4 der Befragten an, die Zahl der Gewaltopfer sei seit 1982 angestiegen bzw. stark angestiegen. Der Großteil der Bürger fühlt sich danach nicht nur zunehmend bedroht, sondern geht auch von einem Anstieg der Gewaltkriminalität aus. Die subjektive Sicherheitslage, also die Wahrnehmung der Gewaltkriminalität durch die Bevölkerung, scheint das Bedrohtheitsgefohl nicht unwesentlich zu beeinflussen. Allerdings ist die Einschätzung der Gewaltkriminalität von seiten der 60 Bevölkerung für das Bedrohtheilsgefühl nicht allein maßgeblich. Neben dem weiteren Einflußfaktor " Massenmedien" (vgl. dazu Rdn. 219) dürfte sich das "Klima des zunehmenden Bedrohtwerdens von Gewalt" in einem nicht zu unterschätzenden Ausmaß von Phänomenen ableiten, die als solche nicht ohne weiteres und nicht immer als Gewalt charakterisiert werden können, auch nicht bei einer weiten Auslegung des Begriffes. Abgesehen von einem als Beunruhigung empfundenen Anstieg des Vandalismus im öffentlichen Bereich (vgl. Rdn. 133) wirkt offenbar das Empfinden allgemeiner Unordnung oder sogar beginnender Verwahrlosung des öffentlichen Raumes verunsichernd auf die Bevölkerung (vgl. dazu näher IV, 29; bezüglich des Auftretens z. B. von Punkern vgl. Rdn. 131). Wenn man auch in der Bewertung sehr vorsichtig sein muß, erscheinen doch die sich häufenden Deutungen plausibel, daß sich in dem Maße, wie in der Bevölkerung der Eindruck entsteht, derartige Dinge könnten sich ausbreiten, das allgemeine Gefühl festsetzt, die öffentliche Ordnung werde auch in den entscheidenderen Fragen nicht mehr gewährleistet (IV, 29). Die in der Bevölkerung festzustellende Verbrechensfurcht stellt jedenfalls 61 bereits als solche, d. h. in ihrer bloßen Existenz, ein sozial- und kriminalpolitisches Problem dar, weil sie die Lebensqualität des Bürgers beeinträchtigt. Von daher gehört es auch zu den staatlichen Aufgaben, dafür zu sorgen, "daß die Bürger nicht nur tatsächlich abends auf die Straße gehen können, sondern es auch glauben, daß sie es können" (Kerner, Verbrechensfurcht und Viktimisierung in: Haesler (Hrsg.), Viktimologie, Grüsch 1986, S. 155).

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Endgutachten

c) Die Gewaltbereitschaft

Gewaltbereitschaft ist eine Einstellung. Sie bezeichnet die Neigung von Personen, unter jeweils näher zu beschreibenden Umständen für die Erreichung ihrer Ziele Gewalt einzusetzen. Die Einstellungsforschung lehrt, daß keine sehr enge Beziehung zwischen der Einstellung zu einem Verhalten und dem Verhalten selbst besteht (vgl. III, 58, 95fT.). Daraus ergibt sich: Erstens kann nicht von einer selbstverständlichen Gleichsetzung von Gewaltbereitschaft und Gewaltverhalten ausgegangen werden. Zweitens weist die Differenz zwischen beiden auf wichtige intervenierende Faktoren hin, die ein eigenständiges Untersuchungsfeld darstellen. Und drittens ist die Analyse auch von Gewaltbereitschaft insofern von außerordentlicher Bedeutung, weil auf diese Weise ein Einblick in das gesamtgesellschaftliche Gewaltklima eröffnet wird (vgl. zu diesem Abschn. Band IV, Kap. 1-3). 63 Die Gewaltbereitschaft bei bestimmten Teilen oder der gesamten Bevölkerung läßt sich nur mit Verfahren der empirischen Sozialforschung (vor allem des standardisierten Interviews) bei repräsentativen Querschnitten der gewünschten Zielgruppen erfassen. Die Kommission hat solche Untersuchungen in Auftrag gegeben (vgl. Rdn. 14): eine Erhebung bei einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin im Alter ab 14 Jahren (2012 Befragte) im Januar / Februar 1989 und eine Erhebung weniger Fragen im Frühjahr 1989 im Rahmen der zweimal im Jahr im Auftrag der EG-Kommission laufenden Repräsentativbefragungen bei der Bevölkerung der zwölf EG-Länder (das sog. Eurobarometer). Dank zeitlich zurückliegender Vergleichsdaten aus der Bundesrepublik Deutschland und aus anderen Ländern sind damit sowohl eine Analyse der Entwicklung der Gewaltbereitschaft seit 1974 in der Bundesrepublik Deutschland als auch ein internationaler Vergleich möglich. Diese Analysen beziehen sich allerdings im wesentlichen auf politisch motivierte Gewalt. 64 Angesichts der sprachlichen Vieldeutigkeit des Gewaltbegriffs erachtete die Kommission es für sinnvoll, Gewalt in ihrem inhaltlichen Verständnis und in ihrer Bewertung national und EG-weit durch die Bevölkerung mit Hilfe eines sog. semantischen Differentials näher bestimmen zu lassen. Die Analysen zeigen, daß Gewalt in der Bevölkerung umfassend negativ bewertet wird. In diesem Sinne besitzt der Begriff ausgesprochenen Tabucharakter; Gewalt gilt als etwas Schlechtes, das man meiden soll. Gleichzeitig zeigt sich aber auch, über welche Wege der Einbruch in dieses Tabu erfolgen kann. Große Teile, wenn auch keine Mehrheiten der Bevölkerung betrachten Gewalt nämlich gleichermaßen als "aufregend" und "stark" -letzteres besonders ausgeprägt in allen südeuropäischen EG-Staaten- (die Potenz-Dimension des semantischen Differentials). Gewalt entspricht also offenbar geltenden Aufmerksamkeitsregeln moderner Gesellschaften nahezu optimal; sie findet außerordentliches Interesse und besitzt eine gewisse Faszination. Hinzu tritt bei kleineren Gruppen der Bevölkerung die Zurechnung instrumenteller Funktionen von Gewalt, d. h. 62

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-in der Bundesrepublik übrigens etwas mehr (28 %) als in allen anderen EGLändern- die Vorstellung, Gewalt befördere die Durchsetzung von gesteckten Zielen. Das ist eine Idee, die gerade im politischen Gewaltumfeld eine große Bedeutung erlangt hat (vgl. auch Rdn. 93). Angesichts der allgemeinen Negativbewertung von Gewalt sind die in einer 65 Gesellschaft verfügbaren Rechtfertigungen für Gewalt besonders bedeutsam, da sie geeignet sind, Ausnahmen vom "Tabu" zu legitimieren. Eine "Ausnahmeregelung" hängt mit der Manipulation des Inhalts des Gewaltbegriffs zusammen. Dieser Begriff eignet sich schon deswegen für solche Manipulationen, weil die Beschränkung auf ein körperliches Gewaltverständnis in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend kontrovers geworden ist (vgl. Rdn. 23). Dies zeigt sich auch in Ergebnissen der Gewaltumfrage. Einerseits besteht in der Bevölkerung eine relativ hohe Übereinstimmung darüber, daß zumindest der aktive Angriff auf und die physische Beschädigung von Personen oder Sachen als Gewalt begriffen werden müssen. Dies trifft z. B. zu auf Aktionen wie "Sich bei einer Demonstration gegen Übergriffe der Polizei mit Latten oder Steinen zur Wehr setzen" (80% sagen, dies sei Gewalt), "Bei einer Demonstration mal richtig Krach schlagen, auch wenn dabei einiges zu Bruch geht" (80%) und "Wenn Bürger Asylanten handgreiflich klar machen, daß sie in ihre Heimat zurückfahren sollen" (76%). Andererseits ergeben sich erhebliche Meinungsverschiedenheiten bei der Etikettierung von Aktivitäten, die als bloß passive Hinderung anderer Personen begriffen werden können. Sitzblockaden werden z. B. nur von 24% der Bevölkerung als Gewalt verstanden. Die Zusammensetzung dieser Minderheit ergibt Hinweise auf eine starke Politisierung des Gewaltverständnisses. Wenn Bürger beispielsweise den Zugang zu Kasernen blockieren, halten dies 9% der Anhänger der GRÜNEN gegenüber 34% der CSU-Anhänger für Gewalt. Sperrt die Polizei bei Demonstrationen Bereiche ab, beurteilen 40% der Anhänger der GRÜNEN, aber nur 23% der CSU-Anhänger dies in gleicher Weise. Im politischen Raum sind also erhebliche Anstrengungen erforderlich, um zu einer größeren Übereinstimmung über Gewalt zu gelangen (vgl. auch Plate f Schneider, H., Schwereeinschätzung von Gewalthandlungen, Ergebnisse zweierrepräsentativer Bevölkerungsbefragungen, Wiesbaden 1989, S. 110fT.). Dies ist eine Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Prävention im Bereich der politisch motivierten Gewalt (vgl. Rdn. 311). Für den präventiven Umgang mit dem Gewaltphänomen sind solche 66 sozialpsychologischen Prozesse von besonderem Interesse, über die der Tabucharakter von Gewalt "übersprungen" werden kann: Offenbar häufig werden positiv bewertete Handlungen unbeschadet ihres objektiven Gewaltstatus (i. S. d. Einsatzes körperlicher Zwangsmittel gegen Personen und Sachen) als nicht gewaltsam definiert. Die Gewaltstudie der Kommission (abgedruckt in Band IV) zeigt, daß in praktisch allen Fällen die Einschätzung der Gewaltsamkeit einer Aktion entscheidend nicht nur von deren objektivem Gewaltstatus, sondern auch von dem Ausmaß ihrer Billigung abhängt. Die Stärke des

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Gewalttabus offenbart sich darin, daß Menschen dazu neigen, ein und denselben Vorgang je nachdem, ob sie ihn "in Ordnung" finden oder nicht, als gewaltlos oder als gewalttätig zu bezeichnen. Somit bestätigt sich, daß politische und gesellschaftliche Sprachregelungen für und Bewertungen von in Frage stehenden konkreten Aktionsformen einen besonders geeigneten Ansatzpunkt für präventive Maßnahmen im Bereich der politisch motivierten Gewalt darstellen. 67

36% der bundesdeutschen Bevölkerung können sich Umstände vorstellen, welche die Anwendung von Gewalt in der Politik rechtfertigen; die Analyse der von den Befragten frei formulierten Begründungen zeigt jedoch, daß in rund 40% der Fälle auf einen für die Thematik der Kommission unproblematischen Sachverhalt Bezug genommen wird, der in Art. 20 Abs. 4 GG geregelt ist: das Widerstandsrecht gegen eine Ablösung der demokratischen Ordnung oder, allgemeiner formuliert, gegen Diktaturen. Rund die Hälfte der Begründungen, d. h. konkret etwa ein Sechstel der Bevölkerung, rechtfertigen Gewaltanwendung jedoch mit Überlegungen, die den friedlichen demokratischen Entscheidungsprozeß in Frage stellen: Widerstand gegen unliebsame Entscheidungen (insbesondere in Sachen Umweltbelastung) sowie Gewalt als Reaktion auf Gefühle, der Wählerwille sei mißachtet worden. Hier zeigt sich im Ansatz eine Art "Normalisierung" der Gewaltrechtfertigung, die einem demokratisch verfaßten Gemeinwesen schlecht ansteht und die der Kommission dringend korrekturbedürftig erscheint.

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Gleichwohl ist die grundsätzliche Ablehnung von politischer Gewalt gegen Personen und - noch etwas stärker ausgeprägt - Sachen in allen EGMitgliedsländern die von 89% und mehr der Bevölkerung gewählte Kategorie. In der Bundesrepublik Deutschland lehnen 1989 Gewalt gegen Personen 94,7% und Gewalt gegen Sachen 95,4% der Bevölkerung uneingeschränkt ab. Im EGVergleich nimmt die Bundesrepublik damit auf der Dimension "Gewalt gegen Personen" den 4. Rang und auf der Dimension "Gewalt gegen Sachen" den 5. Rang ein; nur Irland, Dänemark und vor allem Luxemburg sind in ihrer Ablehnung noch ausgeprägter. Auf der Grundlage solcher Zahlen kann also von einer besonderen politischen Gewaltbereitschaft in der Bundesrepublik Deutschland nicht gesprochen werden.

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Im zeitlichen Vergleich zwischen 1974, 1980 und 1989 weist die Bundesrepublik Deutschland von den vier Ländern, für die Vergleichszahlen vorliegen (daneben noch Großbritannien, Italien und die Niederlande), sowohl bei der Einstellung zur Gewalt gegen Personen als auch derjenigen zur Gewalt gegen Sachen die höchste Stabilität auf; Veränderungen über diese 15 Jahre finden praktisch nicht statt. Auch bei den drei anderen Ländern dominiert übrigens der Eindruck von Stabilität, wenngleich dort ein leichter Trend zur erhöhten Akzeptanz von Gewalt vor allem gegen Personen unverkennbar ist. Für die Bundesrepublik Deutschland bestätigt sich damit der auch aus der Ereignisdatenanalyse zur politisch motivierten Gewalt (vgl. dazu III, 20ff.) gewonnene Eindruck, daß eine Entwicklung zu größerer politischer Gewaltbereitschaft nicht

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auszumachen ist. Damit ist allerdings keine Aussage darüber getroffen, ob sich die Intensität von gewalthaften politischen Konfrontationen in der in Frage stehenden Periode erhöht hat oder nicht (vgl. dazu Rdn. 116fT.).

111. Ausgangspunkt der Kommissionsarbeit: Das staatliche Gewaltmonopol 1. Die friedensstiftende bzw. -sichernde Funktion Das Gewaltmonopol des Staates hat eine relativ weit in die Vergangenheit zurückreichende Tradition; es ist wesentlich älter als die demokratische und rechtsstaatliche Verfassung des Staates (VIII, 14).

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Theoretisch erschlossen wurde das staatliche Gewaltmonopol erstmals von 71 Jean Bodin (1530-1596), der die Souveränität des Staates und damit notwendig die Einzigartigkeit der Staatsgewalt herausarbeitete. Seine Erkenntnisse waren in zweierlei Hinsicht bedeutsam (VIII, 16): Zum einen besagten sie im Verhältnis der Staaten untereinander, also nach "außen" hin, daß diese gleichrangig und gleichberechtigt nebeneinander existieren und keinem Staat eine wie auch immer begründete Vormachtsstellung zukommt. Zum anderen und vor allem bedeuteten sie für das im Zusammenhang mit der Arbeit der Regierungskommission interessierende "Innen"verhältnis, d. h. für die Beziehung "Bürger- Bürger" bzw. "Staat- Bürger", daß das Zwangsmittel der Gewalt allein dem Staat zuzusprechen ist. Wird die Gewalt aber beim Staat monopolisiert, muß er zugleich die entsprechenden Organe einrichten und unterhalten, um die private Gewalt entbehrlich zu machen. Letzteres folgt aus der friedensstiftenden bzw. friedenssichernden Funktion des 72 staatlichen Gewaltmonopo/s. Angesichts der ungeheuren Wirksamkeit von Gewalt, und zwar in ihrer physischen Ausprägung (III, 17), soll dieses Zwangsmittel durch die ausschließliche Übertragung auf den Staat (vgl. dazu auch die Hobbes'sche Lehre vom Gesellschaftsvertrag, VIII, 16) im Interesse des einzelnen Bürgers gezähmt werden (III, 18). Aber nur wenn der Staat das M onopo/ physischer Gewaltsamkeil auch tatsächlich durchsetzen kann und auch so verfährt, ist das friedliche Zusammenleben der Bürger gewährleistet (VI, 4; VII, 7).

2. Materielle Gerechtigkeit, Rechtsstaat und Demokratie Der durch das staatliche Gewaltmonopol garantierte Rechtsfrieden bedeutet 73 noch nicht notwendigerweise die Verwirklichung materieller Gerechtigkeit. Zu Recht weist Isensee daraufhin, daß "das Gewaltmonopol aus sich heraus weder gerecht noch ungerecht, konservativ oder progressiv, gemeinwohlorientiert oder klassenparteilich" ist. "Diese Eigenschaften können nur den materialen Rechtsgütern zukommen, deren Schutz es dient" (zitiert nach VIII, 35). 4 Gewaltkommission Bd. I

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Endgutachten

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Das staatliche Gewaltmonopol als solches gewährleistet(e) auch noch keine Ausübung staatlicher Gewalt im demokratischen, rechtsstaatliehen Sinne (VIII, 18). Der absolutistische Staat kannte ebenfalls das staatliche GewaltmonopoL Erst im 19. Jahrhundert entwickelte sich der Rechtsstaat, den die Selbstbindung aller Staatsgewalt an Gesetz und Recht kennzeichnet. Im 20. Jahrhundert schließlich sind die gegen den Staat gerichteten Individualrechte immer stärker ausgebaut und gerichtlich geschützt worden (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG). Neben die Grundrechte des 19. Jahrhunderts, die als Abwehrrechte konzipiert waren, sind soziale und demokratische Teilhaberechte mit Verfassungsrang getreten.

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So wurde das Gewaltmonopol des Staates, zudem durch die Gewaltenteilung kanalisiert und portioniert, durch das Erfordernis der Rechtsstaatlichkeil vor willkürlicher Inanspruchnahme gesichert und durch die Demokratie neu legitimiert (III, 23 f.; VIII, 26).

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Dem parlamentarischen Rat als Schöpfer des Grundgesetzes ist es gelungen, alle drei Elemente - Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltmonopol ausgewogen in die Verfassung einzubauen. Diese Verzahnung der drei Elemente war geboten (VIII, 20): Das Gewaltmonopol des Staates kann nur im Rechtsstaat mit den Freiheitsbedürfnissen der Bürger zum Ausgleich gebracht werden. Die verfassungsmäßig garantierte Freiheitsausübung der Bürger kann friedlich wiederum nur durch die ausschließliche Zuordnung zwangsweiser Durchsetzungsmacht an den übergreifenden Staat sichergestellt werden. Ohne Bändigung durch die Verfassung steht das staatliche Gewaltmonopol in der Gefahr, zu Diktatur und Totalitarismus zu führen. Aber ohne das staatliche Gewaltmonopol kann die Verfassung ihre Verbindlichkeit nicht behaupten und den Friedenswahrungsauftrag nicht erfüllen.

3. Die Friedenssicberungspflicbt des Staates 77

Das staatliche Gewaltmonopol ist Essentiale einesjeden Staates (VIII, 26, 30). Wie weit der Staat noch existiert, wenn er das Gewaltmonopol verliert, belegt das Beispiel des Libanon anschaulich. Im Interesse seiner Bestandserhaltung und als Garant für den inneren Frieden - bedingt durch die vorgesehene Stellung als alleiniger Machtinhaber - muß der Staat dem Versuch, ihm das Gewaltmonopol streitig zu machen, mit Entschiedenheit und Nachdruck entgegentreten (VI, 4; VII, 7). Den staatlichen Organen obliegt eine Friedenssicherungspflicht (VII, 17), die nicht zu ihrer Disposition steht (VIII, 26, 67).

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Einzelne Normbrüche durch Gewalt berühren das staatliche Gewaltmonopol nicht. In der Durchsetzung der Norm gegenüber dem Gewalttäter werden Garantie und Gewaltmonopol vielmehr bestätigt. Wird hingegen Gewaltausübung hingenommen oder toleriert, so verliert nicht nur das staatliche Gewaltmonopol seine rechtfertigende Grundlage, der Rechtsstaat selbst wirdunglaubwürdig. Denn das Recht tritt zurück, wo die Gewalt wächst (VI, 4; VII, 7). Die Durchsetzung der Rechtsnormen gegen Rechtsverletzer ist infolgedessen die

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unerläßliche Voraussetzung für einen gesellschaftlichen Zustand, in dem freiwilliger Normgehorsam die Regel ist (VI, 5). In -

diesem Zusammenhang sind drei Gesichtspunkte hervorzuheben: "begrenzte Regelverletzungen"; politischer Verzicht auf die Durchsetzung von (Straf-)Rechtsnormen; Normsetzungsdefizite.

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a) ,.Begrenzte Rege/verletzungen" Die Herrschaft des Gesetzes verlangt nach allgemeiner Akzeptanz: Es muß im 80 Rechtsstaat einen grundsätzlichen Konsens darüber geben, daß Gesetze for niemanden disponibel sind, sondern for alle gelten und gegen jedermann durchgesetzt werden müssen (V, 364; VIII, 9). Denn der innere Frieden ist nicht erst dann gefährdet, wenn die Rechtsord- 81 nung in totoangegriffen wird (VIII, 31): Bereits der selektive Rechtsgehorsam (unabhängig davon, ob er von Parteien, Steuerzahlern, Unternehmen oder Bürgerinitiativen ausgeübt wird) gefährdet den inneren Frieden. Die Friedenssicherungspflicht des Staates schließt aus, daß das Recht nur noch für die "Gesetzestreu-Einfältigen" umfassend verbindlich ist (VIII, 31). Diesen Gesetzesgehorsam stellen aber die Teile der Bevölkerung bewußt oder 82 unbewußt in Frage, die "begrenzte Regelverletzungen" bis hin zur offenen Gewalt in Kaufnehmen bzw. ausüben, um die gesteigerte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ihre - oft als existentiell empfundenen - Anliegen zu lenken (vgl. dazu im einzelnen VIII, 9; zu den nicht überzeugenden theoretischen Legitimationsversuchen vgl. VIII, 37 ff.; vgl. ferner Rdn. 67; zur Glorifizierung dieses Verhaltens vgl. VI, 33). Die gezielte Blockade von Straßen, Zufahrten u. ä. ist dabei in den letzten Jahren ein beliebtes Mittel politischen Protestes geworden (VII, 15; vgl. auch Band IV, Kap. 1 und 3). Es ist zwar festzustellen, daß "begrenzte Regelverletzungen" und die mit ihnen verbundenen gewaltfreien Trainings als Alternative zu Gewalttätigkeiten entwickelt worden sind. Diejenigen aber, die für ihre "begrenzten Regelverletzungen" Straffreiheit mit Hinweis auf ihre moralischen Beweggründe beanspruchen, stellen damit in Frage, daß gesetztes Recht für alle gelten muß. b) Politischer Verzicht auf die Durchsetzung von (Straf-) Rechtsnormen Derzeit werden "begrenzte Regelverletzungen" von politischen Mandatsträ- 83 gern - je nach dem eigenen Standpunkt und dem Anliegen des betreffenden Personenkreises- als verständlich bezeichnet oder in ihrer Durchführung sogar unterstützt (VII, 16). Damit wird jedoch die Rechtsordnung partiell außer Kraft gesetzt und gegen die Pflicht zur Durchsetzung von (Straf-)Rechtsnormen verstoßen. Denn dem Staat ist es verwehrt ,faktisch rechtsfreie Räume zu schaffen oder zuzulassen (VIII, 67). 4*

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Deshalb steht auch die verfassungsmäßige Rechtsbindung der Exekutive nicht zur Disposition. Zum einen darf der sich aus den Polizeigesetzen der Länder ergebende Auftrag zur Gefahrenabwehr nicht außer Kraft gesetzt werden (z. B. durch Duldung von Hausbesetzungen auch bei vorliegenden Räumungsanträgen mit der Folge, daß Zonen entstehen, an deren Betreten Polizeibeamte, Bedienstete städtischer Versorgungseinrichtungen oder Beauftragte des Eigentümers gehindert werden (VI, 55f.). Zum anderen kann, wegen der Verpflichtung zur lückenlosen Rechtsverwirklichung und Rechtsverfolgung aufgrunddes Legalitätsprinzips, der Polizei kein zeitlich überdehntes Entschließungsermessen eingeräumt werden: Aus dem Gewaltmonopol des Staates erwächst auch dessen Justizgewährungspflicht (VIII, 67 ff.).

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Rechtsverwirklichung und Rechtsverfolgung müssen also grundsätzlich lückenlos sein, denn wenn die Interpretation des Rechts bzw. seine Durchsetzung unberechenbar wird, verliert es seine Autorität (VIII, 75). Dies gilt auch für die Ahndung des Fehlverhaltens von Amtsträgern. c) Normsetzungsdefizite

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Der innere Rechtsfrieden ist allerdings nicht erst dann gefährdet, wenn Rechtsnormen nicht durchgesetzt werden. Das Funktionieren des Rechtsstaates setzt auch voraus, daß das zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit erforderliche Rechtsinstrumentarium in der für alle Normadressaten notwendigen Klarheit und in einer für die Anwendungsinstanzen ausreichenden Praktikabilität zur Verfügung steht. Der Staat darf nicht auf eine eindeutige Regelung seiner Eingriffsbefugnisse verzichten (vgl. dazu die Kritik an der Lücke im Polizeirecht, soweit auf eine spezielle Regelung der Voraussetzungen für den finalen Rettungsschuß verzichtet wird, VII, 19fT.; ferner VI, 188).

B. Erscheinungsformen und Ausmaß der Gewalt I. Politisch motivierte Gewalt 1. Bestimmung des Gewaltfeldes

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Als "politisch motiviert" ist (in Anlehnung an den Begriff des politischen Konfliktes, vgl. dazu 111, 104) die Gewalt einzustufen, die von Bürgern zur Erzwingung oder Verhinderung von Entscheidungen, die für die Gesellschaft oder Teilbereiche von ihr verbindlich getroffen werden, eingesetzt wird oder mittels der gegen Zustände und Entwicklungen protestiert wird, die solchen Entscheidungen angelastet werden. Die Klassifizierung von Gewalt als "politisch motiviert" begegnet allerdings in tatsächlicher Hinsicht Schwierigkeiten, da die wahre Motivation des Gewalttäters als ein Internum nicht immer sicher festzustellen ist (IV, 114). Politische Manifestationen im Zusammenhang mit der Gewaltaus-

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übung müssen nicht die Motivlage beim Täter zutreffend wiedergeben. Daher können Allgemeinkriminelle zu Unrecht das Etikett des "politischen Straftäters" erhalten (V, 11 0), nur weil sie sich- oft zur moralischen Rechtfertigung ihrer Tat und offenbar mit dem Ziel der Minderung des Unrechts- politischer Parolen bedienen. Angesichts der Unmöglichkeit, in dieser Hinsicht nach verläßlichen Kriterien zu differenzieren, kann die Beschreibung dieses Gewaltfeldes nur nach (nicht immer die Wirklichkeit richtig widerspiegelnden) Äußerlichkeiten erfolgen, zumal es oft auch mehr das "geäußerte" Bild ist, das den Rechtsfrieden nachhaltig stört. Von daher unterbleibt eine Unterscheidung nach tatsächlich und vorgeblich politisch motivierter Gewalt. 2. Erscheinungsformen und Entstehungskontexte

a) Handlungsstrukturen

Das Spektrum politisch motivierter Gewalt ist breit. Sie äußert sich sowohl 88 gegen Personen als auch gegen Sachen. Beim Versuch, ihre hauptsächlichen Erscheinungsformen aufzulisten, sind folgende Phänomene zu nennen (II, 74; V, 11 0; VI, 24; dabei werden terroristische Akte nicht berücksichtigt, da sie aus dem Arbeitsauftrag der Kommission ausgeklammert waren, vgl. Rdn. 19): Gewalttätigkeiten unterschiedlichster Art im Zusammenhang mit Demonstrationen, Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte, Haus- und Platzbesetzungen, Beschädigung und Zerstörung von Fahrzeugen, Einrichtungsgegenständen, Fensterscheiben und Maschinen, Überfälle auf Büroräume, Brand- und Sprengstoffanschläge, Anschläge auf den Bahnverkehr und Versorgungseinrichtungen.

Im Meinungsbild der Kommission war die Frage einer Zuordnung der Blockaden 89 (zu deren Erscheinungsformen vgl. V, 127; VII, 15) umstritten. Die konträren Pole bildeten dabei die Ansichten der Unterkommission "Kriminologie" einerseits und die der Unterkommission "Strafrechtswissenschaft" andererseits. Die Unterkommission "Kriminologie" ging davon aus, daß es bei Blockaden gewöhnlich noch bei "begrenzter Regelverletzung" und dem Einsatz psychischer Gewalt verbleibt, so daß generell solche Phänomene von dem Begriff politisch motivierter Gewalt auszunehmen seien (IV, 113). Dagegen wird nach den Ausführungen der Unterkommission "Strafrechtswissenschaft" durch Blockaden eine körperlich vermittelte Zwangswirkung erzielt (VII, 61). Dies konnte allerdings dahingestellt bleiben, denn daß durch Blockaden das staatliche Gewaltmonopol tangiert wird und daß ihre Berücksichtigung schon deshalb zum Kommissionsauftrag gehörte, steht außer Zweifel.

aa) Gewalttätige Ausschreitungen bei Demonstrationen Neben den - hier nicht interessierenden, vgl. Rdn. 88 - Akten des 90 Terrorismus finden vor allem die im Zusammenhang mit Demonstrationen

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Endgutachten

begangenen Gewalttätigkeiten öffentliche Beachtung. Gewalt wird insoweit in vielfältigen Formen ausgeübt (V, 123): Es werden Steine, Brandsätze oder andere Gegenstände geworfen, Stahlkugeln und Schraubenmuttern mit Zwillen, Schleudern oder Katapulten verschossen. Auch Leuchtmunition, Nebelgranaten und Tränengas werden eingesetzt. Gezielt werden Polizeibeamte angegriffen.

91

Großdemonstrationen, an denen beispielsweise 1986 in Brokdorf und Wakkersdorfbis zu 45000 Personen teilgenommen haben (V, 122), bieten militanten Gruppen einen geschützten Raum für gewalttätige Auseinandersetzungen. Demonstrationen, bei denen Veranstalter und Polizei zusammenarbeiten, verlaufen regelmäßig ohne Gewalttätigkeiten.

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Bei den Großdemonstrationen wird die Gewaltszene seit Jahren von meist schwarz gekleideten, zu den Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet reisenden Gewalttätern aus dem "autonomen" Lager, insbesondere von dem sog. Schwarzen Block bestimmt (V, 124; VI, 31). Ihre Zahl wird auf 1000 beziffert; durch Verstärkung aus dem örtlichen Umkreis der Veranstaltung kann diese Gruppe auf ca. 3000 Personen anwachsen (VI, 31). Diese Gewalttäter sind meist vermummt und "kampfbereit"ausgerüstet und gehen generalstabsmäßig geplant und organisiert vor. Sie formieren sich blockmäßig, jedenfalls zu den einzelnen Aktionen. Nach den jeweiligen Gewalttaten wird häufig eine Art "Ziehharmonika-Taktik" praktiziert: Gruppen lösen sich auf, um an anderer Stelle wieder einen Block zu bilden. Nicht selten werden ihre Tätigkeiten über Funk gesteuert. Nach der Beendigung der Demonstration setzen sie ihre Gewalttätigkeiten oft an verschiedenen Orten in Kleingruppen oder auch als Einzelpersonen fort. Wegen Einzelheiten der Vorgehensweise wird auf die Schilderung der Unterkommission "Polizeipraxis" (V, 136ff.) verwiesen.

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Neben dem "Schwarzen Block" treten bei Demonstrationen militante Protestierer in Erscheinung, die zwar nicht zu den gewalttätigen Gruppen gehören, die aber Gewalt bei bestimmten Konstellationen als Mittel verstehen, um politische Ziele durchzusetzen (V, 125; VI, 32). Da nach den Aufmerksamkeitsregeln der Medien Gewalt stets "fit to print" ist, erscheint (auch) ihnen die Gewaltanwendung unerläßlich, um Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu gewinnen, öffentliches Bewußtsein zu bilden und die Politik zu beeinflussen (III, 123, 148, 228; VI, 32). Sie sehen in den Gewaltaktionen das ihnen gegenwärtig allein zur Verfügung stehende Mittel zu politischer Einflußnahme (vgl. dazu auch Rdn. 64).

94

Im Verhältnis zu den friedlichen Demonstranten bleiben die Gewalttäter allerdings in der absoluten Minderheit. Die Masse der friedfertigen Demonstranten hat für sie jedoch eine wichtige Funktion: Sie verringert beträchtlich das Risiko der Gewalttäter, erkannt und gefaßt zu werden (zu den einzelnen Gründen der Risikominimierung vgl. V, 137f.; VI, 34; VII, 128).

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Im Rahmen gewalttätiger Demonstrationen sind auch gelegentliche Übergriffe von Polizeibeamten festzustellen. Sie lassen sich trotz der Bemühungen der

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Polizeiführungen nicht immer unterbinden. Übergriffe sind um so bedauerlicher, als sie einen negativen Einfluß auf die ohnehin schon kritische Einstellung der Demonstrantenszene gegenüber der Polizei ausüben. Vor allem tragen sie zur Gewalteskalation bei (VI, 35). bb) Gewalttätige Zusammenrottungen In den Jahren 1986 bis 1989 kam es häufiger (ohne Zusammenhang mit einer 96 Demonstration, so daß der politische Charakter zweifelhaft ist) zu gewalttätigen Zusammenrottungen mit überfallartigen Aktionen. Besonders zu erwähnen sind die Ereignisse in Berlin-Kreuzbergjeweils am 1. Mai der Jahre 1987 bis 1989 und im Herbst 1988, da dort (so zumindest 1987 und 1989) neben "Autonomen" auch Kriminelle des sog. Kiez agierten und in bisher beispielloser Brutalität Körperverletzungs-, Eigentums- und Sachbeschädigungsdelikte begingen (V, 139; B, 84). cc) Anschläge Gewalt gegen Sachen üben seit ca. 10 Jahren ebenfalls Anhänger der 97 Ökologiebewegung aus. Diese Gewalttäter gehören sowohl militanten autonomen Gruppen als auch örtlichen Szenen an. Kennzeichnend für ihr Verhalten sind Anschläge auf Unternehmen und Einrichtungen, die nach ihrer Ansicht umweltschädlich handeln. Zu ihren Taten zählen beispielsweise das Sprengen von Strommasten, das Blockieren von Schienensträngen, Verwüstungen von Labors von Pharmafirmen, das Zerstören oder Beschädigen von Computern, das lobrandsetzen von Lastwagen der Müllverbrennungsbetriebe (IV, 122). Ferner entwickelte sich im Zusammenhang mit dem sog. Nachrüstungsdop- 98 pelbeschluß der Nato unter dem Schlagwort .,Stoppt die Munitionstransporte" eine Anschlagstätigkeit gegen Anlagen der Deutschen Bundesbahn, die zuvor lediglich auf Strecken zu beobachten gewesen war, auf denen radioaktives Material transportiert wurde. Die Aktionen bestanden in der Zerstörung von Signalanlagen, im Aufrichten von Hindernissen auf den Schienen, im Lockern von Gleisanlagen, Blockieren von Weichen oder in Beeinträchtigungen der elektrischen Oberleitungen durch Fremdkörper wie Drahtseile, Wurfanker usw. (VI, 64). dd) Hausbesetzungen Hausbesetzungen waren in den 70er Jahren teils Sinnbild für alternative 99 Lebensweisen, teils Reaktion auf eine prekäre Wohnraumsituation (V, 129). Die bestehenden Engpässe auf dem Markt für billigen Wohnraum wurden durch Luxussanierungsmaßnahmen, subventionierte Spekulation und unflexible Stadtentwicklungspolitik noch verschärft (III, 115). Das primäre Ziel heutiger Besetzungen besteht in der Schaffung und Verteidigung autonomer Freiräume

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Endgutachten

außerhalb der abgelehnten bürgerlichen Ordnung (V, 129). Ferner dienen die besetzten Häuser zum Teil als Anlaufstellen für reisende Gewalttäter (VII, 13).

ee) Geländebesetzungen 100

Geländebesetzungen wurden bei Planung und Bau von Kernkraftwerken bzw. Entsorgungsanlagen in Wyhl, Grohnde und Gorleben sowie bei der Errichtung der Startbahn-West in Frankfurt inszeniert. Dagegen spielen bestimmte, im Ausland bereits praktizierte Protestformen wie die Besetzung von Eisenbahnanlagen bei uns keine Rolle (B, 83; zu den Eingriffen in den Bahnverkehr vgl. aber Rdn. 97f.). ff) Blockaden

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Gezielte Blockaden von Straßen, Zufahrten u. ä. sind in den letzten Jahren häufiger als Mittel im politischen Meinungsstreit eingesetzt worden (VII, 15; vgl. auch Rdn. 82). Vor allem von der Friedensbewegung wurden die Blockaden von Kasernenzufahrten als aus ihrem Verständnis gewaltfreie Protestform gegen die 1983 erfolgte Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen gewählt (V, 127; VII, 15). Besondere Publizität erhielten die Sitzblockaden durch die Teilnahme prominenter Personen. Blockaden werden aber auch im Wirtschaftsund Arbeitsleben eingesetzt (Beispiele bei V, 125; VII, 15). Die Beteiligung politischer Mandatsträger oder deren öffentliche Sympathiebekundungen (vgl. Rdn. 83) führen zu besonderen Problemen bei der polizeilichen Intervention (B, 80). b) Publikationen

102

"Geistig umrahmt" wird die politische Gewalt von einer Vielzahl von Publikationen unterschiedlichen Zuschnitts, in denen die Gewalt gebilligt, befürwortet und zur Nachahmung empfohlen wird (VI, 25). Die Zahl entsprechend ausgerichteter Flugblätter, die aus konkreten Anlässen hergestellt und bei Demonstrationen und Versammlungen verteilt sowie in Szene-Kneipen, alternativen Buchläden, Jugend- und Kulturzentren ausgelegt werden, ist unübersehbar. Ob und inwieweit allerdings ein "Wirkungszusammenhang" zwischen diesen Publikationen und der Anwendung von Gewalt besteht, ist ungeklärt (IV, 13). c) Mobilisierungsfelder

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Politisch motivierte Gewaltanwendung ist seit Ende der 50er Jahre vor allem im Umkreis der Protestbewegungen zu verzeichnen (111, 111; vgl. dazu auch Rdn. 97): Anlässe und unmittelbare Ziele dieser Protestgruppen waren höchst unterschiedlich. Vermittelt durch weltumspannende Kommunikation bildeten sich immer wieder, z. B. in der Studentenbewegung, deutliche Ansätze zu einem

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gemeinsamen Bewußtsein, ähnlichem Protestverhalten und -verfahren heraus. Neben politischen Gruppen, die Formen der Wirtschaft und Herrschaft in der Gesellschaft ändern wollten, entstanden auch eher unpolitische Bewegungen wie Gammler, Hippies, Selbsterfahrungsgruppen und spirituelle Bewegungen. Dazwischen etablierten sich Gruppen, die Selbst- und Gesellschaftsveränderung miteinander verbinden wollen wie etwa die Alternativ- und Teile der Frauenbewegung. Die Entstehungszentren lagen in den 60er Jahren zunächst im Bildungssystem. In einzelnen Fällen gelang die Verbindung zu Gruppen außerhalb des Bildungssystems, die von spezifischen, ökonomischen und politischen Entwicklungen betroffen waren: so in der Ökologiebewegung zu den sich durch Kernkraft bedroht fühlenden Bauern und Winzern, im "Sanierungsprotest" zu den Bewohnern spekulationsbedrohter Häuser und Stadtviertel. Seit Mitte der 70er Jahre sind in die Protestbewegung zunehmend Jugendliche eingeströmt, die sich der verschärften Konkurrenz um Lehrstellen, schulischen Aufstieg, Arbeitsplätze und Wohnung verweigerten. Sie haben teilweise die Aktionsformen und Wertmuster übernommen, die von den Studenten entwickelt wurden, ohne allerdings deren Theoriearbeit nachzuvollziehen. Entsprechend diesen Mobilisierungsfeldern- zur Klarstellung: dies bedeutet 104 nicht, daß diese Bewegungen als solche schon gewalttätig (gewesen) sind- sind Ausgangspunktfur Gewaltakte zumeist von diesen Bewegungen erfaßte Themata: die Bedrohung des Friedens (insbesondere durch atomare Rüstung), die Bedrohung der Umwelt (insbesondere durch Atomenergie), Unterdrückung und Ausbeutung der Dritten Welt, Akte wirklichen oder vermeintlichen Unrechts (z. B. Abschiebungen, Verurteilungen) und bestimmte Institutionen oder Verfahren (z. B. Verfassungsschutz, Volkszählung). Diese Gewalthandlungen sind dem "linken Gewaltlager" zuzuordnen. Ge- 105 waltakterechter Couleur richten sich bevorzugt gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte, ausländische Arbeitnehmer- besonders Türken- und deren Zentren und Geschäfte, Synagogen sowie Gedenkstätten in Erinnerung an die Judenverfolgungen im Dritten Reich (VI, 27; vgl. auch V, 117). d) Tätermerkmale

Vom Alter her überwiegen deutlich jüngere Menschen. Aufrallig ist, daß Frauen stärker als bei anderen Formen der Gewaltanwendung beteiligt sind (II, 74; V, 140; zum Alter vgl. auch I, 62; III, 71).

106

Was die soziale Herkunft der Gewalttäter anbelangt, scheint sich ähnlich wie 107 bei den Angehörigen der Protestbewegungen (vgl. dazu Rdn. 103) ein Wandel abzuzeichnen: Nach Beobachtungen in Gerichtsverfahren, die allerdings nicht wissenschaftlich belegt sind, nimmt der einst sehr hohe Anteil von Tätern aus dem Bildungsbürgertum ab (VI, 36). Vor allem bei den Hausbesetzern ist eine hohe Zahl von Angehörigen marginalisierter Gruppen (drop-outs, Arbeitslose, Studienabbrecher) zu verzeichnen (111, 115).

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Endgutachten

e) Politisch motivierte Gewalt von Ausländern

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Unberücksichtigt blieb die Gewaltkriminalität ausländischer Extremisten (vgl. Rdn. 19). Diese tragen zunehmend ihre Konflikte auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland aus. Sie sind - von wenigen Einzeltätern abgesehen - Mitglieder extremistischer /terroristischer Vereinigungen. Die Gewalttaten richten sich in erster Linie gegen Repräsentanten und Einrichtungen ihres Herkunftslandes, Angehörige konkurrierender Organisationen und "Abweichler" der eigenen Gruppierung. Darüber hinaus sind Gewaltaktionen im Auftrag ausländischer Staaten gegen Angehörige von Exilorganisationen und Dissidenten festzustellen. 3. Ausmaß der Gewalt

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Im internationalen Vergleich ist die Bundesrepublik Deutschland nicht überdurchschnittlich mit politisch motivierter Gewalt belastet (III, 102, 245; vgl. auch Rdn. 68 f.; Band IV, Kap. 1). Von größerem Interesse istjedoch die absolut erfaßte Größenordnung dieses Gewaltfeldes in der Bundesrepublik. Insoweit gilt zunächst sehr allgemein gesagt: Quantitativ handelt es sich bei der politisch motivierten Gewalt (im Hel/feld) gegenwärtig immer noch um ein Randphänomen (II, 74). Dem entspricht, daß (nach ersten, zahlenmäßig noch nicht abgesicherten Ergebnissen) politisch motivierte Gewalt nicht zu den Fällen von Gewalt gehört, mit denen sich die Polizei bei ihrer täglichen Arbeit auseinanderset~en muß (V, 9), Dieses Ergebnis darf allerdings nicht außer acht lassen, daß - abgesehen von der Dunkelfeldproblematik - in Teilbereichen (nach den Erfahrungen der Polizei) q~,ta/itativ gesehen eine Zunahme politisch motivierter Gewalt vorliegt (v~l. Rdn. 116fT.).

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Das Ausmaß die~es Gewaltfeldes genau und sicher zu erfassen, ist anhand (/{!r vorhandenen Statistiken ynmög/ich. Politisch motivierte Gewalttätigkeit wird (insgesamt oder in Teilaspekten) in verschiedenen amtlichen Statistiken erhoben und zum Teil auch veröffentlicht. Wie die PKS sind diese Datenerhebungen mit einer gan~en Reihe von interpretatorischen Schwierigkeiten belastet (1, 54). I)ies betrifft die Definition der Erhebungskriterien und ihren Wandel im Laufe der Zeit, der durch Erfahrungen und neue Erkenntnisnotwendigkeiten, aber auch durch den Wandel der Erscheinungsformen selbst beeinflußt worden ist (vgl. z. B. zur "Unfriedlichkeit" der Demonstrationen Rdn. 114). Auch lassen sich Statistiken nur schlecht in Beziehung zueinander setzen, selbst dort, wo sie (nur scheinbar?) die gleichen Sachverhalte erfassen (vgl. IV, 118 bzgl. PKS und , Staatsschutzstatistik- Sonderstatistik S -). Das macht- vom Dunkelfeld abgesehen- sichere Aussagen zu Ausmaß, Struktur und Entwicklung unmöglich. Die Statistiken erlauben keine zuverlässigen Aussagen über die Intensität sozialer Proteste, die Entwicklung des Umfangs und der Qualität von demonstrativen Aktionen sowie deren Grad der Gewalt (1, 57).

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Allerdings lassen sich mit Hilfe der Statistiken Schlaglichter setzen, die auf 111 besondere Gefahren der politisch motivierten Gewalt aufmerksam machen: Nach der (in der PKS abgedruckten) Staatsschutzstatistik werden rund 75% der Staatsschutzdelikte (zur Definition dieser Delikte vgl. PKS 1987, 7) als politisch motivierte Gewaltdelikte gegen Personen oder Sachen erfaßt. Das sind immerhinjährlich zwischen 3000 und9000 Straftaten (IV, 121). Weitere Hinweise lassen sich aus Sonderauswertungen des Bundesministeriums des lnnern über Anschläge auf Strommasten (vgl. Rdn. 119) sowie Unterlagen des Bu,ndesministeriums der Verteidigung über Sprengstoff- und Brandanschläge, Strommastenschäden und sonstige Gewaltaktionen entnehmen (IV, 123).

Auch die Verfassungsschutzberichte werfen eine ganze Reihe methodischer 112 Fragen auf, die eine Interpretation der Befunde wenig gesichert erscheinen lassen (III, 49). Gleichwohl bieten sich für die Zeit von 1985 bis 1988 zwei Schlußfolgerungen an (III, 49; A, 244): Erstens läßt sich erkennen, daß im linksextremistischen Bereich die Zahl der Gewalttaten regelmäßig um ein Vielfaches höher als im rechtsextremistischen Bereich liegt. Dieses Verhältnis verringert sich allerdings 1988 durch die höhere Affinität des rechtsextremistischen Lagers zu sonstigen Gesetzesverletzungen (Propagandadelikte bleiben hierbei unberücksichtigt). Zweitens sind 1988 die linksextremistischen Gewalttaten und sonstigen Gesetzesverletzungen erstmals seit 1985 erheblich zurückgegangen, und zwar auf den niedrigsten Stand seit 1980, während diese im rechtsextremistischen Bereich praktisch konstant blieben. a) Gewalttätige Ausschreitungen bei Demonstrationen

aa) Quantitative Aspekte Über den Kernbereich und Kristallisationspunkt der politisch motivierten 113 Gewalt, d. h. über die Gewalttätigkeiten bei Demonstrationen, gibt in gewissem Umfang die vom Bundesministerium des Innem aufgrundvon Angaben der Länder erstellte "Demonstrationsstatistik" Auskunft (1, 53 ff.; III, 48; IV, 117; V; 44f.). Nach den dortigen Angaben hat sich die Zahl der Demonstrationen in den 80er Jahren gegenüber dem vorangegangenen Jahrzehnt mehr als verdoppelt (1970-1979: 23.886; 1980-1988: 59.503). Auch die Zahl der als "unfriedlich" erfaßten Demonstrationen ist von 1.635 (Zeitraum 1970-1979) auf 2.123 (Zeitraum 1980-1988) angestiegen (zu den Zahlenangaben vgl. im einzelnen I, Tab. 5 sowie IV, Tab. 40; ferner A, 245; B, 9). Aber gemessen an der Gesamtzahl registrierter Demonstrationen ist- möglicherweise als Ergebnis erfolgreicher Kriminalpolitik und I oder infolge einer Einengung des Unfriedlichkeitsbegriffes (1, 54; IV, 119; III, 48) - der Anteil der unfriedlich verlaujenen gesunken (1, 60; III, 48; IV, 117; A, 246; B, 9): 1977-1981 waren es durchschnittlich pro Jahr 5,5%, 1983-1988 3,2%. Nachdem in den letzten Jahren zunächst ein leichter Trend zum Anstieg zu verzeichnen war (V, 45): von 3,0% (1983 I 1984) auf 3,9%

60

Endgutachten

(1987), ist der Anteil 1988 sogar auf 1,9% gefallen (B, 9). Aber selbst unabhängig von diesem Rückgang liegt der Prozentsatz in den letzten Jahren deutlich unter 5% und damit längsschnittlieh relativ niedrig (1, 60). 114

Dieses Zahlenmaterial zu den (unfriedlichen) Demonstrationen ist allerdings nur sehr bedingt aussagekräftig: Präzisen Längsschnittanalysen stehen wiederholte Änderungen der (zudem oft nicht eindeutig genug definierten) Erfassungsmodalitäten entgegen (1, 54). So werden z. B. neuerdings (seit 1987) Blockaden miteinbezogen (vgl. Rdn. 122). Die Einstufung einer Demonstration als "unfriedlich" erfolgt erst seit 1983 nach einheitlichen Kriterien (B, 9). Danach ist eine Demonstration als "unfriedlich" zu werten, "wenn in ihrem Verlauf Straftaten unter Gewaltanwendung, Gewaltandrohung oder Aufforderung zur Gewaltanwendung begangen worden sind oder wenn gegen die§§ 130, 130a Abs. 2, 131, 140 Nr. 2 StGB verstoßen wurde" (1, 55; V, 44). (Der Begriff der "Unfriedlichkeit" ist also nicht auf die hier interessierende Ausübung von Gewalt beschränkt!). Hinzukommt, daß bei der "Unfriedlichkeit" weder nach der Zahl der Straftaten und der Zahl der Straftäter noch nach der Schwere der Taten und schon gar nicht nach dem Verhältnis zwischen Demonstrantenzahl/Taten- und Täterzahl in nachprüfbarer Weise quantifiziert wird. Auch wird erst seit 1984 die Zahl der verletzten Polizeibeamten statistischerfaßt (1, 55; V, 49). U. a. an der Zahl verletzter Beamter wird deutlich, wie gering der Aussagegehalt der Einstufung als "unfriedlich" ist, d. h. wietrotzinsoweit noch vergleichbarer Angaben zur Häufigkeit die "Qualität der Unfriedlichkeit" differieren kann. Ein Vergleich der Jahre 1985 bis 1988 gibt folgendes Bild (1, 56; V, 49): Während 1985 bei 207 unfriedlichen Demonstrationen 237 verletzte Polizeibeamte gemeldet wurden, waren es 1986 bei 261 unfriedlichen Demonstrationen 818 Beamte und 1987 bei 289 unfriedlichen Demonstrationen 293 Verletzte und zugleich zwei Tote. 1988 wurden bei 133 unfriedlich verlaufeneo Demonstrationen 147 verletzte Beamte registriert (B, 9).

115

Trotz des statistischen Rückgangs der Unfriedlichkeit und der o. a. Mängel der Statistik ist darauf hinzuweisen, daß die Belastung der Polizei durch Einsätze bei Demonstrationen nicht ab-, sondern zugenommen hat (IV, 119). bb) Qualitative Aspekte

116

Bei den Einsätzen bei Demonstrationen (über die die Statistik genaue Aussagen nicht zuläßt) kommt den Erfahrungen der Polizei eine besondere Bedeutung zu (V, 47, 126). Die Polizei erfährt eine zunehmende Brutalisierung des Demonstrationsgeschehens (VI, 12), die sich vor allem in drei Punkten manifestiert (V, 123): -

die Zahl gewaltbereiter und gewalttätiger Personen steigt,

-

die Instrumente der Gewaltanwendung werden vielfä ltiger und gefährlicher,

-

gewalttätiges Verhalten wird von teilnehmenden Personen durch aktive oder passive Unterstützung oder Billigung akzeptiert.

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So ist nach den Erfahrungen der Polizei das gesamte Erscheinungsbild unfriedlicher Aktionen in Vorbereitung und Planung sowie im Verhalten aggressiver und gefährlicher geworden. Dies drückt sich in den Aufrufen, in der Kleidung (Vermummung und Schutzbewaffnung), in der Blockbildung, in Parolen, in der Lautstärke, in Beleidigungen (beispielsweise durch Ausspucken vor Polizeibeamten) usw. aus (V, 46). Personen, die der Gewalt als Protestmittel bisher ablehnend gegenüberstanden, solidarisieren sich jetzt mit den Gewalttätigen oder zeigen oft nur Sympathie für das Begehen von Straftaten. Nehmen Vermummte und passiv Bewaffnete teil, sind die Gewalttätigkeiten deutlich höher (VI, 12).

117

Für einen Großteil der politisch motivierten Gewalttäter ist auch die Frage der Gewalt als Kampfmittel gegen das ,,System" längst erledigt. Aussagen wie etwa "gewaltloser Widerstand ist nichts anderes als Verzicht aufs Leben" verdeutlichen die Einstellung zur Gewalt (B, 79).

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b) Anschläge

Von den von Anhängern der Ökologiebewegung begangenen Gewalttaten 119 (vgl. Rdn. 97) sind die Anschläge auf Strommasten gesondert dokumentiert. Nach dem statistischen Material des Bundesministeriums des Innern (IV, 123) erfolgten in den Jahren 1981 bis 1984 jährlich durchschnittlich sechs bis sieben Anschläge. 1985 wurden zehn Anschläge verzeichnet. 1986 - dem Jahr der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl- stieg die Zahl auf 163 an (vgl. auch den Anstieg im Jahre 1986 in der Statistik der Brand- und Sprengstoffanschläge, V, 51). Allein der unmittelbare Sachschaden wird für das Jahr 1986 mit 14 Millionen DM beziffert, also mit 86000 DM pro Anschlag. 1987 sank die Zahl der Anschläge auf92 und 1988 auf 35; war also im Vergleich zu den Jahren 1981 bis 1985 noch relativ hoch. Auch die Anschläge auf die Anlagen der Bundesbahn (vgl. Rdn. 98) sind 120 (intern) statistisch erfaßt. Während 1985 96 Eingriffe in den Bahnverkehr zu verzeichnen waren, stieg ihre Zahl im Jahr 1986 auf 124 an, um 1987 wieder auf 64 und 1988 auf 44 abzufallen (VI, 64). c) Gewalttätige Zusammenrottungen, Haus-, Geländebesetzungen, Blockaden

Zu den Bereichen "Gewalttätige Zusammenrottungen (ohne Zusammenhang 121 mit einer Demonstration)" und "Haus- und Geländebesetzungen" sind gesonderte nähere Angaben zum Ausmaß nicht möglich. Regelmäßig (bundesweite) Erhebungen speziell zu diesen Einzelbereichen erfolgen nicht. Blockaden werden seit 1987 in der "Demonstrationsstatistik" (vgl. 122 Rdn. 113f.) als Unterfall der unfriedlich verlaufeneu Demonstrationen erfaßt und gesondert ausgewiesen. 1987 waren danach 128, 1988 insgesamt 52 Blockadeaktionen zu verzeichnen. Allerdings ist bei diesem Zahlenmaterial Zurückhaltung geboten, weil die für die Einstufung als "unfriedlich" maßgebliche Frage, ob eine Blockade den Straftatbestand des§ 240 StOB erfüllt, bislang unterschiedlich beurteilt wurde (vgl. Rdn. 380ff.).

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Endgutachten

II. Gewalt auf Straßen und Plätzen 1. Bestimmung des Gewaltfeldes 123

Gewalt "auf Straßen und Plätzen", verstanden als Gewalt "unter freiem Himmel", ist eng mit der politisch motivierten Gewalt verbunden (I, 48). Beide Gewaltfelder weisen weitgehende Überschneidungen auf, da politisch motivierte Gewalt gerade wegen der meist intendierten Öffentlichkeitswirkung "auf der Straße" ausgeübt wird. Paradebeispiel ist hier die Gewalt im Zusammenhang mit Demonstrationen: Sie ist beiden Kategorien zuzuordnen. Um dem Problemfeld "Gewalt auf Straßen und Plätzen" in dem mit dem 124 Arbeitsauftrag vorgegebenen Fünferkatalog besonderer Gewaltlagen (vgl. Rdn. 5) eine eigenständige Bedeutung zu geben, wurde versucht, dieses Gewaltfeld auf die nicht politisch motivierte Gewalt im öffentlichen Bereich zu begrenzen (vgl. allerdings Rdn. 132, 137). Gewalt im (und sei es auch nur vorgeblich) politischen Kontext, auch wenn sie "unter freiem Himmel" ausgeübt wird, wurde der Kategorie der politisch motivierten Gewalt zugeordnet. 125 Ausgeklammert aus der "Gewalt auf Straßen und Plätzen" wurde ferner - jedenfalls im Endgutachten - die Gewalt im Straßenverkehr sowie die allgemeine Gewaltkriminalität mit Tatort "Straße pp". Gemeint sind mit letzterer vor allem die Gewalttaten aus dem Bereich der sog. Straßenkriminalität (zur Definition dieses Begriffs vgl. IV, 156). Zwar werden diese Delikte wie auch ein Teil der Tötungsdelikte und der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerade "auf der Straße" verübt, die Untersuchungen der Kommission galten grundsätzlich jedoch nicht den Erscheinungsformen und Ursachen der. klassischen Kriminalität (vgl. Rdn. 19). Vorrangig zielte das Begriffsfeld "der Gewalt auf Straßen und Plätzen" auf die unpolitische "Randale" in der Straße ab, auf den sog. Vandalismus einschließlich der krawallartigen Ausschreitungen als Form des Massenvandalismus. Letzteres kann z. B. am Rande von Großveranstaltungen wie Freiluft-Rockkonzerten zu beobachten sein (1, 162). Soweit die Exzesse allerdings im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen stehen, ging als Spezialkomplex die "Gewalt im Stadion" vor (vgl. aber Rdn. 132). 2. Erscheinungsformen

a) Vandalismus im engeren Sinn

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Der in dieser Untersuchung interessierende Vandalismus umfaßt i. e. S. Zerstörungen oder Beschädigungen in den vielfältigsten Formen an den unterschiedlichsten Objekten; charakteristisch ist die mehr oder weniger ausgedehnte Verwüstung (IV, 162; V, 232). Stellt man auf den Anfall der Straftaten in der Strafrechtspflege ab, so sind es bevorzugt öffentliche Einrichtungen wie z. B. Telefonzellen, Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel, die öffentlichen Verkehrsmittel selbst (besonders betroffen sind die S-und U-Bahn-Linien) sowie

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parkende Kraftfahrzeuge, die (zum Teil durch Brandstiftungen, mitunter auch "nur" durch Farbsprühereien) dem Vandalismus zum Opfer fallen (VI, 216). Generellläßt sich sagen (V, 245; VI, 216), daß die Vandalismustäter insbesondere gegen Gemeinschaftseinrichtungen vorgehen, der Geschädigte also meist eine anonyme Größe darstellt - so daß die Hemmschwelle zur Tat niedrig ist - . Weniger kontrollierte und bewachte Objekte werden präferiert; leichter von Zeugen wahrnehmbare Beschädigungen werden nach den Erfahrungen der Polizei bei Dunkelheit begangen. Ferner muß das Objekt "zerstörungsfreundlich" sein (was z. B. bei Autoantennen der Fall ist) und es muß bei der Zerstörung "etwas passieren" (wie Scheibenklirren, gut sichtbare Folgen). Besonders gefährdet sind Objekte mit nicht beseitigten Vorschädigungen (V, 245) sowie häßliche Gebäude (II, 81). Schwerpunktmäßig sind diese Vandalismustaten in den Großstädten zu 127 verzeichnen; vorrangig (aber nicht ausschließlich) handelt es sich um ein stadtspezifisches Phänomen (IV, 162; V, 237).

b) Vandalismus im weiteren Sinn Das gewalttätige "Austoben" muß sich nicht nur gegen Sachen, es kann sich 128 auch (zusätzlich oder ausschließlich) gegen Personen richten. Zum Teil wird ein weitgefaßter Vandalismusbegriff vertreten, der neben Sachbeschädigungen und Tierquälereien auch die Angriffe gegen Personen erfaßt (IV, 162; V, 234). Mit den vandalistischen Akten gegen Sachen und den Angriffen gegen Personen können, insbesondere bei krawallartigen Ausschreitungen, Geschäftsplünderungen verbunden sein.

c) Tätermerkmale Das Bild vandalistischer Täter ist sehr heterogen (IV, 172; V, 236). Dennoch 129 ist zu vermerken, daß das Gewaltfeld des Vandalismus noch mehr als der Bereich der politisch motivierten Gewalt eine Domäne junger Menschen ist, vor allem von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden (IV, 163, 165; V, 235); jeweils mit einer Aufschlüsselung nach Altersgruppen, die allerdings zwangsläufig (vgl. Rdn. 133) auf der mit dem Vandalismus i. e. S. nur bedingt deckungsgleichen Sachbeschädigung basiert. Im wesentlichen sind die Täter männlichen Geschlechts (li, 80; V, 235). Sie stammen aus allen sozialen Schichten; einer in früheren Untersuchungen festgestellten Dominanz der Unterschicht ist nach neueren Ergebnissen mit Skepsis zu begegnen (IV, 171; V, 236). Beim Vandalismus handelt es sich überwiegend um ein Gruppendelikt (IV, 236; V, 166). Während rund 40% der registrierten Jugendstraftaten in der Gruppe begangen werden, handelt es sich bei den Vandalismustaten vermutlich bis zu 80% um Gruppenstraftaten (V, 166).

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Endgutachten

131

Ein Teil dieser Gruppengewaltkriminalität geht von besonders abgegrenzten Gruppierungen aus, die subkulturell gefestigt erscheinen, auf einheitliche Namensgebung Wert legen und provokativ in der Öffentlichkeit auftreten (IV, 167). Zu nennen sind u. a. Rocker, Punker und Skinheads (zu Einzelheiten vgl. IV, 167 ff.; V, 238fT.). Der Eindruck in der Bevölkerung, daß Punker die öffentliche Sicherheit beeinträchtigen, scheint allerdings nicht selten mehr auf dem allgemein rüpelhaften Verhalten und Anbetteln von Seiten der Punker (vgl. IV, 157; V, 252) als auf den von ihnen verübten Gewalttaten zu beruhen (IV, 157 sowie 29; vgl. auch Rdn. 60). 132 Die die vandalistischen Ausschreitungen mittragenden Gruppierungen lassen sich zum Teil nur schwer von politisch motivierten, gewalttätigen Gruppen und/oder "Gewalt im Stadion" ausübenden Gruppierungen abgrenzen (IV, 171). Dies gilt insbesondere für die Skinheads. Diese sind zum einen mit gewalttätigen Ausschreitungen bei Fußballspielen in Verbindung zu bringen (V, 247; vgl. ferner Rdn. 142). Zum anderen treten Skinheads mit neonazisfischen Xußerungen oder Symbolen in Erscheinung bzw. pflegen verstärkt Kontakt zu rechtsextremistischen Organisationen (V, 249; zur Einschätzung dieses Verhaltens IV, 171 sowie V, 249). 3. Ausmaß der Gewalt 133

Der Vandalismus an bzw. in öffentlichen Einrichtungen ist nach den Erkenntnissen der Forschung im Ansteigen begriffen (IV, 29). Dieses Ergebnis läßt sich auch der amtlichen Statistik entnehmen, allerdings nur mit gewissen Einschränkungen. Denn die Polizeiliche Kriminalstatistik kennt für den Vandalismus (weder im engeren noch im weiteren Sinn) keine besondere Erfassungskategorie. Zwar sind in ihr die Sachbeschädigungen ausgewiesen, aber zum einen ist nicht jede Sachbeschädigung eine Vandalismustat und zum anderen kann "Randale" auch in Brandstiftung oder Körperverletzung bestehen - die ebenfalls nicht untergliedert nach Taten vandalistischer Natur - in der PKS angeführt werden (zur fehlenden Trennschärfe des Vandalismusbegriffs vgl. IV, 165). Da sich Vandalismus strafrechtlich aber meist als Sachbeschädigung i. S. d. 134 §§ 303ff StGB darstellt (V, 234), ergeben sich aus der Dokumentation dieses Deliktsbereiches Anhaltspunkte für die Entwicklung der Vandalismustaten. Danach ist im Hellfeld ein Anstieg zu verzeichnen (V, 39): Sachbeschädigungen nahmen von 280.954 im Jahr 1978 (Häufigkeitszahl: 458,3) auf383.349 Fälle im Jahr 1988 (Häufigkeitszahl: 626,0) zu. Von 1987 auf 1988 sanken die erfaßten Fälle allerdings um 2.960 (im Vorjahr waren sie um 19.580 gestiegen). 135 Über das Dunkelfeld gehen die Ergebnisse der bisher in Göttingen, Stuttgart und Solingen durchgeführten Untersuchungen auseinander: Sie reichen von Dunkelzifferrelationen von 1:15 bis zu 1:30 (IV, 165; V, 235). 136 Die Höhe des durch Vandalismus angerichteten Sachschadens ist bisher nicht annähernd festgestellt. Sicher ist nur, daß er insgesamt erheblich sein muß und leicht Millionenbeträge erreichen kann (IV, 165).

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65

Massenkrawalle durch Angehörige ethnischer Minderheiten, wie sie insbeson- 137 derein den sechziger Jahren in den USA (SG USA, 1) und in der ersten Hälfte der achtziger Jahre in Großbritannien (SG GB, 4ff.) aufgetreten sind, waren in der Bundesrepublik Deutschland bislang nur in Ansätzen zu beobachten (III, 113; I, 162). Das scheint sich inzwischen geändert zu haben: An den zum 1. Mai 1989 erfolgten Straßenschlachten in Berlin-Kreuzberg, einem Stadtteil mit hohem Ausländeranteil, sollen sich (im Gegensatz zu den Vorjahren 1987 und 1988) relativ viele Ausländer (primär Türken) beteiligt haben. Die Berliner Polizei schätzt den Anteil auf rund 50%, befragte türkische Bewohner Kreuzbergs gaben allerdings wesentlich geringere Prozentsätze an. Um jedenfalls die Entwicklung nicht aus dem Blick zu verlieren, sind auch diese Erscheinungen, soweit das noch möglich war, in diese Untersuchung miteinbezogen worden. Insoweit ist jedoch die Grenze zur politisch motivierten Gewalt fließend, so daß auch die Einordnung in diesen Bereich möglich ist (vgl. Rdn. 96).

lß. Gewalt im Stadion 1. Bestimmung des Gewaltfeldes

.. Gewalt im Stadion" ist ein Phänomen, das in der Bundesrepublik Deutschland vorrangig beim Fußballsport ins Blickfeld gerückt ist (V, 188). Dabei geht es weniger um einzelne (regelwidrige) Gewalttätigkeiten unter bzw. von Spielern (wenn auch diese Problematik nicht verkannt werden darf; vgl. dazu VI, 223) als vielmehr vor allem um die Ausschreitungen unter Zuschauern. Die Kommission hat sich daher bei ihren Untersuchungen vornehmlich auf die Gewaltausschreitungen auf Seiten der Besucher von Fußballspielen konzentriert.

138

2. Erscheinungsformen a) Gewaltäußerungen

Die so verstandene "Gewalt im Stadion" äußert sich in Sachbeschädigungen 139 und j oder körperlichen Auseinandersetzungen (1, 173; II, 86; IV, 194; VI, 221; VII, 184). Die Ausschreitungen tragen vandalistische Züge (1, 173; VI, 215). Neben diesen Gewalttätigkeiten kommt es zu verbalen Aggressionen und Drohungen, die aber wegen des Gewaltverständnisses, auf das sich die Kommission geeinigt hat (vgl. Rdn. 32), außer Betracht bleiben sollen (1, 173; IV, 194; V, 268). Ein geistiges Umfeld, welches diese Gewaltäußerungen als mit den Gesetzen in 140 Einklang stehend betrachtete oder sonst deren Tolerierung verlangte,fehlt (VIII, 93). Die nicht Gewalt ausübenden Personen halten Distanz zu den Gewalttätern und tragen damit zu deren Isolierung bei (VII, 186). 5 Gewaltkommission Bd. I

66

Endgutachten

b) Tatort 141

Der Tatort der Gewalttätigkeiten ist mit der Bezeichnung "Gewalt im Stadion" nur unvollkommen bzw. sogar unzutreffend gekennzeichnet (II, 86; IV, 193; VI, 221; VII, 185; SG Weis, 123). Sie beginnen vielfach schon auf.der Anreise der gewalttätigen Personen: Es kommt zu Beschädigungen und Zerstörungen in den Eisenbahnzügen. Die Fortsetzung spielt sich auf den Bahnhöfen und Straßen bzw. in den Straßenbahnen und Bussen zum Stadion ab. Weiter geht es im Stadion und nach der Sportveranstaltung außerhalb der Stadien auf Straßen und Plätzen. Ein Großteil der Gewalttätigkeiten spielt sich also außerhalb des Stadions ab. Vor allem die Unterkommission "Kriminologie" sieht in dieser Verlagerung aus dem Stadion heraus eine Erscheinung neueren Datums (IV, 193 unter Bezugnahme SG Weis, 123). Dagegen war nach den Ausführungen der Unterkommission "Polizeipraxis" (auf der 3. Plenarsitzung der Kommission in Nürnberg) der Tatort immer schon derart ausgeweitet.

c) Tätermerkmale 142

Nach welchen Kategorien die gewalttätigen Personen zu erfassen sind, ist ebenfalls umstritten (IV, 189). Eine Ansicht unterteilt das Publikum in friedfertige ("normale") Zuschauer, "an sich" nicht gewalttätige Fans und (den "echten" Fans allerdings ähnlich organisierte) Gewalttäter. Als letztere werden die sog. Bomberjacken, die Skinheads und sonstige gewalttätige Gruppen wie z. B. die Hooligans zusammengefaßt. Diesem Schema folgen die Unterkommission "Polizeipraxis" und teilweise die Unterkommission "Strafrechtspraxis" (V, 268ff., dort auch zu den Einzelheiten dieser Dreiteilung; VI, 222; zur Kritik an dieser Unterteilung IV, 189). Nach anderer Typologie wird nicht zwischen Fans und Gewalttätern differenziert (I, 174; IV, 190). Sie werden mit zu denen gezählt, die sich- zumindest von ihrem Verhalten her- einem bestimmten Fußballverein "verschrieben" haben. Dabei ist das Spektrum der Fans nach Meinung der Unterkommission "Kriminologie" in konsumorientierte, fußballzentrierte und erlebnisorientierJe Fans aufzulisten (vgl. dazu im einzelnen IV, 190). Zu den erlebnisorientierten Fans werden (unter gewissem Vorbehalt) Bomberjacken, Skinheads und H oo/igans gezählt, ohne diese aber schon per se als die Träger der "Gewalt im Stadion" anzusehen (IV, 192).

143

Einigkeit herrscht hinsichtlich des Alters und des Geschlechts der gewalttätigen Zuschauer: wie für die Fans schlechthin gilt, daß es sich grundsätzlich um junge männliche Personen handelt (I, 174; IV, 191; vgl. auch VI, 227).

3. Ausmaß der Gewalt 144

Es ist sehr schwer, einengenauenÜberblick über das Ausmaß der "Gewalt im Stadion" zu bekommen.

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67

Die Polizeiliche Kriminalstatistik gibt zu diesem Themenbereich nichts her: Bei den verschiedenen Tatbeständen, die in Betracht kommen (wie Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Hausfriedensbruch, Waffendelikte), fehlt die entsprechende Ausdifferenzierung. Bundesweite polizeiinterne Erhebungen speziell zu den Ausschreitungen sind wiederum lückenhaft (IV, 192). Die bislang vorliegenden Studien konzentrieren sich in der Regel auf eklatante Vorfälle oder auf selbsterhobene Stichproben, die nicht als repräsentativ angesehen werden können (II, 86; IV, 192). Gleichwohl seien, um zumindest in Einzelflillen das Ausmaß aufzeigen zu können, die Ergebnisse zweier Erhebungen genannt: Nach Gabler u. a. (1982) gab es beim VfB Stuttgart pro Spiel bei durchschnittlieh 34.000 Zuschauern etwa zehn gewalttätige Vorfälle. Dabei handelt es sich jedoch um die offiziell mitgeteilte Zahl; nach den eigenen Beobachtungen von Gabler u. a. gab es mehr gravierende Vorfälle (I, 175). Nach Angaben der Polizeidirektion Braunschweig wurden im Zusammenhangmit Fußballspielen in Braunschweig während der Spielzeiten 1986 / 87 und 1987/88 aufgrund von Strafanzeigen insgesamt 102 Ermittlungsverfahren eingeleitet (VI, 227). Die genaue Zahl der gewalttätigen Personen läßt sich ebenfalls kaum feststellen. Die Unterkommission "Polizeipraxis" geht nach ihren Erfahrungen bei ihrem Einteilungsschema (vgl. Rdn. 142) von folgender genereller Quotelung des Publikums aus (V, 268): gewaltfreie Zuschauer

146

147

148

149

ca. 80%,

"an sich" gewaltfreie Fans, von denen aber dennoch im Einzelfall Gewalttätigkeiten ausgehen können (V, 269) Gewalttäter

145

weniger als

ca. 20 %, 1%

Mangels konkreter Zahlen läßt sich auch die Entwicklung in diesem, in der 150 Bundesrepublik seit Mitte der siebziger Jahre (VII, 184) zu beobachtenden Gewaltfeld nicht zuverlässig aufzeigen. Ein Anstieg der gewalttätigen Ausschreitungen im Zusammenhang mit 151 Fußballspielen ist umstritten {IV, 192). Nach Ansicht der Unterkommission "Strafrechtswissenschaft" ist zumindest eine gefährliche Steigerung in den letzten Jahren nicht zu verzeichnen (VII, 185). Die Polizei selber geht überwiegend sogar von einer Stagnation aus (IV, 192), (mit-) bedingt durch die von ihr ergriffenen Maßnahmen (V, 56). Allerdings sollen sich nach dieser Einschätzung die Auseinandersetzungen auf einem hohen Niveau eingependelt haben. Dabei ist jedoch zu fragen, inwieweit diese Aussage zur Quantität lediglich eine geschärfte Einstellung der Gesellschaft und der Kontrollinstanzen zu diesem Gewaltphänomen widerspiegelt (IV, 192).

68

Endgutachten

IV. Gewalt in der Schule l. Bestimmung des Gewaltfeldes I Erscheinungsformen

152

Das Feld der "Gewalt in der Schule" läßt sich in Hinblick auf Täter und Opfer bzw. Angriffsobjekt in folgende Teilbereiche untergliedern (1, 218; II, 102ff.; IV, 213): - Gewalt von Schülern gegen fremde Sachen, - Gewalt von Schülern gegen Schüler, - Gewalt von Schülern gegen Lehrer, - Gewalt von Lehrern gegen Schüler. a) Schüler .f. Sachen

153

Mit der "Gewalt gegen fremde Sachen" wird entweder in das Eigentum der Schule oder in das von Mitschülern eingegriffen. Die letztere Thematik soll mangels empirischen Materials allerdings ausgeklammert werden (1, 219). Das Interesse richtet sich daher auf den das Schuleigentum betreffenden Schulvandalismus: Hier richten sich die Tathandlungen in Form von Beschädigungen gegen Schulgebäude, Einrichtungsgegenstände, Lehrmaterialien sowie technische Installationen (VI, 234). Als Angriffsziel kommt praktisch jedes im Eigentum der Schule stehende Objekt in Frage, im Vordergrund stehen aber Tische, Fenster, Türen, Wände, Toiletten, Bücher und elektrische Geräte (1, 221; II, 106). Mitunter wird in das Eigentum der Schule auch dadurch eingegriffen, daß Gegenstände entwendet werden. Nähere Tat- bzw. Tätermerkmale sehen nach dem bisherigen Forschungsstand wie folgt aus:

154

Die vandalistischen Beschädigungen und Zerstörungen ereignen sich vor allem während der Unterrichtspausen bzw. unmittelbar vor oder kurz nach ihnen. Auf das Schuljahr bezogen liegen die Höhepunkte vor dem Beginn der Ferien (II, 106).

155

Vandalistische Akte werden mehr von männlichen als von weiblichen Schülern verübt (1, 224; II, 106). Altersmäßig liegt das Schwergewicht bei den 13- bis 16jährigen (II, 106; enger noch IV, 215: bei den 14- bis 15jährigen).

156

An den Grundschulen und Gymnasien ist Vandalismus seltener anzutreffen als an Sonder-, Haupt- und Realschulen. Berufsschulen stechen nicht besonders hervor - Berufsschüler halten sich im allgemeinen auch nur einen Tag pro Woche in der Schule auf - (I, 229). b) Schüler .f. Schüler

157

Bei der Gewaltanwendung zwischen Schülern können verschiedene Modalitäten unterschieden werden: Kraftproben und Wettkämpfe, Revierkämpfe, Durchsetzungskämpfe und Terror. Gegenüber jüngeren und schwächeren

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69

Mitschülern sind die körperlichen Angriffe oftmals von emer zum Teil erheblichen Brutalität getragen (II, 105; VII, 191). Nach einer von Bach u. a. (1984) in Rheinland-Pfalz durchgeführten 158 Untersuchung (I, 250) berichten über physische Aggressionen von Schülern gegen Schüler mehr die Sonder-, Grund- und Hauptschulen als die Realschulen und Gymnasien; des weiteren ist ein Stadt-Land-Gefalle mit relativer Häufigkeit der körperlichen Angriffe in den Stadt-, insbesondere in den Stadtrandschulen zu verzeichnen. Gewalttätigkeiten häufen sich offenbar in großen Schulen und engen Klassenräumen (I, 250; III, 317; SG Hurrelmann, 11). Altersmäßig liegt der Schwerpunkt der Gewalttätigkeiten bei der Gruppe der mindestens 14 Jahre alten Schüler (II, 105). Aber auch in dieser Altersgruppe ist wie generell eine große Streubreite zu verzeichnen: Es gibt ausgesprochene "Tyrannen" oder "Streithähne"; die Mehrzahl der Schüler ist friedfertig (I, 249).

159

c) Schüler. f.Lehrer; Lehrer./.Schüler

Zu den Erscheinungsformen physischer Gewalt im Schulbereich gehört in den 160 USA auch die Gewaltanwendung von seilen der Schüler gegenüber dem Lehrpersonal (SG USA, 136). In der Bundesrepublik Deutschland scheinen nach bisherigen (sehr vagen) Forschungserkenntnissen körperliche Angriffe nur als Einzelfälle zu verzeichnen zu sein (I, 219); Gewalt in der Beziehung der Schüler zu den Lehrern wird vorrangig in psychischer Form ausgeübt (II, 104). Dies gilt auch in der umgekehrten Richtung, also in der Beziehung der Lehrer zu den Schülern: Wenn auch dieses Verhältnis keineswegs gewaltfrei ist, so überwiegt doch psychische Gewalt (II, 104). Angesichts der (wohl) nur marginalen Bedeutung der Ausübung körperlicher Gewalt im Verhältnis Schüler-Lehrer bzw. Lehrer-Schüler und da andere Formen der Gewalt grundsätzlich nicht Gegenstand der Untersuchung der Kommission sind (vgl. Rdn. 32), erscheint es zulässig, diese Teilkomplexe der "Gewalt in der Schule" im Gutachten auszusparen, aber einschlägige Forschung vorzuschlagen. 2. Ausmaß der Gewalt

In den 70er Jahren ließen Meldungen aus den USA aufhorchen, nach denen 161 dort die Gewalt im schulischen Bereich ein zuvor nicht bekanntes Ausmaß angenommen hat. In einem Bericht des US-Senats über Gewalttätigkeit und Vandalismus in der Schule aus dem Jahre 1975 wurde zusammenfassend festgestellt: "Der Grad an Gewalttätigkeit und Vandalismus hat solche krisenhaften Ausmaße erreicht, daß die Fähigkeit des Erziehungssystems, seine vorrangige Funktion wahrzunehmen, ernsthaft bedroht ist" (VII, 190).

70

Endgutachten

162

Während die Medien in bundesdeutschen Schulen gelegentlich eine Annäherung an die amerikanischen Verhältnisse glauben feststellen zu können, scheint das Fazit der vorliegenden Forschungserkenntnisse jedoch zu lauten, daß Gewalt an den deutschen Schulen grundsätzlich kein zentrales Thema ist (I, 220). In Einzelfällen kann allerdings der Schulvandalismus ein größeres Ausmaß erreicht haben (vgl. Rdn. 167), wie überhaupt dieses Phänomen der Schwerpunkt schulischer Gewalt in der Bundesrepublik zu sein scheint (IV, 214, 217). Für den von den Medien behaupteten generellen Gewaltanstieg im hiesigen Schulbereich gibt es keine empirischen Belege (III, 314; VII, 191).

163

Repräsentatives Zahlenmaterial zum Gesamtbild "Gewalt in der Schule" liegt für die Bundesrepublik Deutschland bislang nicht vor (1, 221, 248; li, 101; IV, 214): Die PKS gibt in der derzeitigen Fassung nichts her, da ein schulischer Bezug der erfaßten Deliktsgruppen nicht ausgewiesen wird. Wissenschaftliche Untersuchungen auf Bundesebene sind bisher nicht durchgeführt worden. Es existieren allerdings verschiedene Einzelstudien zu einzelnen oder mehreren Teilbereichen "schulischer Gewalt"; partiell kann auch auf aussagekräftiges Zahlenmaterial der Versicherungsträger zurückgegriffen werden. a) Schüler .f. Sachen

164

Für den Vandalismus-Bereich ist vor allem auf die Studien von Holtappeis (1985), von Bach u. a. (1984) sowie von Klockhaus und Habermann-Morbey (1986) hinzuweisen.

165

Holtappeis erstreckte seine Befragung 1984 auf etwa 760 Schüler und Schülerinnen in den Großstädten Düsseldorf und Duisburg (7.-9. Jahrgang). Dabei gaben 12% der Befragten an, schon einmal Sachen im Schulgebäude abmontiert zu haben; 17% hatten nach ihren Angaben im Schulgebäude absichtlich etwas beschädigt (34% versehentlich) (SG Hurrelmann, 4).

166

Bach u. a. führten eine repräsentative Erhebung im Bundesland RheinlandPfalz durch (vgl. Rdn. 158). Auf der Grundlage von Lehrereinschätzungen kamen sie zu dem Ergebnis, daß nur 1,4% der Schüler vandalistische Handlungen begangen hatten (I, Z20, 222).

167

Klockhaus und Habermann-Morbey befragten in Nürnberg die Schüler (nur) solcher Lehranstalten, die über Vandalismus offiziell berichtet hatten. An diesen Schulen gaben 1983 allerdinga 87%, 1984 sogar 95 % der 13- bis 18jährigen Schüler vandalistisches Verhalten zu (1, 222; vgl. auch II, 106; IV, 215).

168

Offen bleibt bei den Unt~rsuch1.1ngen teilweise, ob und wie weit kleine Beschädigungenjeweils als Vandalismus verstanden wurden: Fastjeder Schüler hat zum Beispiel Namen in Schulbänke geritzt oder Schulwände beschrieben; man könnte solche fast alltäglichen Beschädigungen auch dem normalen Verschleiß im Schulbetrieb zurechnen (1, 221).

Schwind I Baumann I Schneider I Winter

71

Nicht nur die Zahl der Vorfälle von Vandalismus und die Zahl der an ihnen 169 beteiligten Schüler bleibt auf Bundesebene noch ziemlich im Dunkeln, auch die Größe des durch Vandalismus angerichteten Schadens ist nicht hinreichend bekannt. Detaille schätzt den finanziellen Aufwand zur Schadensbeseitigung in den Schulen für 1982 auf 150 Mio. DM (VII, 191). b) Schüler./. Schüler

Die Gewalt zwischen Schülern war ebenfalls Gegenstand der Untersuchungen 170 in Rheinland-Pfalz (vgl. Rdn. 158). Bach u. a. (1984) fanden bei 5,6% der Schüler physische Aggressionen (1, 248). Nach direkten Beobachtungen von Humpert und Dann (1987) lagen bei etwa 11% aller Unterrichtsstörungen physische Auseinandersetzungen vor (1, 249). In der Untersuchung von Holtappeis (1985) gaben 32% der in Düsseldorf und Duisburg befragten Schüler an, sich schon einmal mit Mitschülern geschlagen zu haben; 25% berichteten, mit anderen einen Mitschüler verprügelt zu haben (SG Hurrelmann, 4). Die Ergebnisse sagen letztlich aber wenig aus: Die körperlichen Auseinandersetzungen können eine harmlose Rauferei unter Freunden anzeigen, aber auch eine relativ brutale Körperverletzung zum Inhalt haben (1, 248). Wie bereits erwähnt (Rdn. 163), kann auf das Zahlenmaterial der PKS nicht 171 zurückgegriffen werden. Aber selbst wenn dort die Gewaltdelikte im Schulbereich gesondert ausgewiesen wären, wären die Zahlen wenig aussagekräftig. Das Dunkelfeldist gerade in diesem Bereich sehr groß: Die Verletzungen werden noch weniger als die Vandalismusschäden der Polizei gemeldet (V, 292f.). Eine Mitteilung ergeht aber durchaus an die Versicherung, so daß hier eine wertvolle Informationsquelle vorliegt (II, 105): Nach einer Übersicht des Bundesverbandes der Unfallversicherungsträger der Öffentlichen Hand aus dem Jahre 1988 sind rd. 27% aller Schülerunfälle auf Tätlichkeiten zurückzuführen. Bei den durch Rangeleien und Raufereien bedingten Verletzungen in Schulen im Zeitraum von 1975 bis 1986 läßt sich bis 1984 ein Anstieg feststellen (bedingt durch die Zunahme der besonders belasteten Altersklassen, vgl. dazu Rdn. 159). Seit 1984 ist die Tendenz leicht rückläufig. Mit diesen Angaben ist allerdings nichts über die Schwere der Tätlichkeiten ausgesagt. Die Rehabilitationsstatistik der Unfallversicherungsträger der Öffentiichen Hand erlaubt aber eine gewisse Absch~t:z;ung des Schweregrades dun;h RUckgriff auf diejenigen Tätlichkeitsverletzungen, die einen mindestens 14tägigen Krankenhausaufenthalt erforderlich machten. Deren Rate liegt über die Jahre recht stabil bei 0,5% der durch Tätlichkeiten bedingten Verletzungen. Diese Zahlen zeig(m, daß von einer kontinuierlichen Zunahme aggressiven Verhaltens unter den Schülern in den Schulen der Bundesrepublik Deutschland nü;:ht gesprochen werden kann,

72

Endgutachten

c) Schüler./. Lehrer

172

Gewalt von Schülern gegen Lehrer ist in den USA keine Einzelfallerscheinung mehr (II, 104; vgl. auch SG USA, 136). In der bundesdeutschen Forschung ist dieser Aspekt schulischer Gewalt bisher vernachlässigt worden (III, 314). Nicht ganz klar ist, ob dies darauf beruht, daß- wie es zu sein scheint- Gewalt von Schülern gegen Lehrer an bundesdeutschen Schulen eine Ausnahmeerscheinung ist, oder ob hier vielmehr ein Forschungsdefizit vorliegt, das angesichts des tatsächlich bereits erreichten Umfangs der Gewalt schnellstmöglich behoben werden sollte (1, 219f.).

V. Gewalt in der Familie 1. Bestimmung des Gewaltfeldes

173

Unter "Gewalt in der Familie" ist die Gewaltanwendung zwischen Personen zu verstehen, die in einer auf gegenseitiger Sorge und Unterstützung angelegten intimen Gemeinschaft zusammenleben (1, 258). Dabei wird (hier) der Begriff der Familie nicht auf die Familie im Rechtssinn begrenzt, sondern es wird (grundsätzlich) auch die familienähnliche Beziehung erfaßt.

2. Erscheinungsformen 174

Das Gewaltfeld "Familie" kann nach den an der Gewaltausübung unmittelbar beteiligten Personen auf Täter- und Opferseite in mehrere Teilbereiche untergliedert werden (1, 259; li, 123 ff.; IV, 225 f.): -

die Gewaltanwendung unter Ehepartnern oder Partnern einer nichtebeliehen Lebensgemeinschaft ("Partnergewalt"),

-

die Gewaltanwendung der Eltern oder Elternersatzpersonen gegenüber ihren Kindern ("Eltern-Kind-Gewalt"),

-

die Gewalt unter Geschwistern oder Kindern und Jugendlichen, die wie Geschwister aufwachsen ("Geschwistergewalt"),

-

die Gewalt der Kinder gegenüber den Eltern oder Elternersatzpersonen ("Kind-Eltern-Gewalt"). a) (Ehe- )Partner./. (Ehe-) Partner

175

Die "Partnergewalt" läßt sich noch weiter untergliedern in die Gewalt des (Ehe-) Mannes gegen die (Ehe-)Frau und die der (Ehe- ) Frau gegen den (Ehe-) Mann (1, 260). Nach den bisherigen Erkenntnissen scheint die von der Frau ausgehende Gewalt - ausgeklammert ist die Abwehr von Angriffen des Mannes -mehr Einzelfallcharakter zu haben (II, 126).

Schwind I Baumann I Schneider I Winter

73

Die Kategorie der Gewalt gegen die (Ehe-) Frau stellt dagegen eine der 176 häufigsten Formen der familialen Gewaltanwendung dar (II, 124). Sie reicht von der leichten Verletzung bis zum Mord. Amerikanische Untersuchungen haben gezeigt, daß die Gewalt gegen die Frau in den meisten Fällen aber keineswegs dem Muster eines einseitigen Angriffs des Mannes gegen eine wehrlos bleibende Frau folgt. Vielmehr nimmt die Frau meist aktiv an den gewaltsamen Auseinandersetzungen teil (1, 273; II, 126; IV, 232; beiderseitige Gewaltanwendung als dritte Form der "Partnergewalt"). Allerdings dürften die tätlichen Auseinandersetzungen abgesehen von Einzelfällen von den Männern ausgehen (II, 126). Zudem begehen gerade die Männer die schwersten Verletzungshandlungen; auch wiederholen Männer häufiger ihre Gewalthandlungen als Frauen (1, 273). Eine besonders gravierende Form der Gewalt gegen die Ehefrau ist die 177 Vergewaltigung in der Ehe. Diese Handlung stellt einen schweren Bruch einer Liebes- und Vertrauensbeziehung dar, oft der einzigen engen Beziehung, die die Frau hat; vergewaltigte Frauen erleben sich als zutiefst erniedrigt und gedemütigt, noch mehr als durch andere körperliche Mißhandlungen (II, 125). Vergewaltigte (Ehe-)Frauen sind häufig auch Opfer anderer (sich wiederho- 178 Jender und immer intensiver werdender) Gewalthandlungen des Partners (1, 271; II, 125). Hierin kann ein Muster von ehelichen Interaktionen und Beziehungen deutlich werden, das in der Literatur als "Battered Woman Syndrome" Eingang gefunden hat (I, 271; II, 136). b) Eltern .j. Kinder

Die von Eltern gegen Kinder ausgeübte körperliche Gewalt manifestiert sich 179 wie die Gewalt gegen die Frau ebenfalls in allen Arten von Verletzungshandlungen und in Tötungen (IV, 235). Auch Gewaltanwendung zu sexuellen Zwecken ist zu verzeichnen (zu Einzelheiten vgl. II, 131 f.). Bei schweren Kindesmißhandlungen lassen sich häufig in soziale Kontakte eingebettete Krankheitsbilder, das "Battered Child Syndrome", feststellen (I, 270; II, 136). Die "Eltern-Kind-Gewalt" richtet sich überwiegend gegen Kinder in den ersten 180 Lebensjahren (1, 268; ll, 129; IV, 230). Säuglinge und Kleinkinder sind besonders mißhandlungsgefährdet, hier vor allem Frühgeborene und Neugeborene mit einem geringen Geburtsgewicht (I, 268). Mißhandelte Kinder sind häufig unerwünschte Kinder. Ferner erhöhen 181 angeborene Mißbildungen, ungewöhnliches Verhalten des Neugeborenen und von der Norm abweichendes Aussehen das Risiko des Kindes, mißhandelt zu werden (II, 140). Auf der Täterseite treten stärker junge Eltern in Erscheinung (1, 268); die 182 Täterschaft liegt häufiger bei den Müttern als bei den Vätern (I, 272). Mißhandelnde Eltern(-teile) entstammen allen sozialen Schichten (SG Schnei-

74

Endgutachten

der, 20); allerdings ist- wie überhaupt bei allen gewalttätigen Auseinandersetzungen unter Familienangehörigen- eine Häufung in Familien der Unterschichten zu finden (1, 267; IV, 237), insbesondere in Familien, die durch materielle Not und soziale Isolation gekennzeichnet sind (II, 142). 183

Zwischen den Kindes- und den (Ehe-)Frauenmißhandlungen dürfte von der Erscheinung her ein Zusammenhang bestehen. Nach ersten empirischen Befunden scheint es so zu sein, daß in überproportional vielen Familien beide Formen der Gewalttätigkeit auftreten (SG Schneider, 29). c) Geschwister .f. Geschwister

184

Gewalt zwischen Geschwistern gehört selbst in den USA (zu deren "Vorreiter"funktion auf dem Forschungsgebiet "Gewalt in der Familie" vgl. I, 264) zu den noch wenig beachteten Forschungsthemen (II, 134; IV, 226). Nach bisherigen US-amerikanischen Untersuchungen sind an der "Geschwistergewalt" Mädchen und Jungen gleichermaßen beteiligt (II, 147). Mit zunehmendem Alter lassen die Gewalthandlungen nach (II, 134; ausführlich SG USA, 146). d) Kinder .f. Eltern

185

Ebenfalls bisher zu wenig erforscht. (in der Bundesrepublik Deutschland bislang noch gar nicht, I, 264) ist die Gewalt der Kinder gegen die Eltern bzw. gegen die Elternersatzpersonen (II, 133). Zum Problem werden Gewalttätigkeiten in diesem Bereich meist erst bei älteren Kindern, wenn diese ihre Eltern weniger als Autorität akzeptieren und durch ihre zunehmende Kraft den Eltern auch körperlich gewachsen sind. Nach US-amerikanischen Untersuchungen besteht ein enger Zusammenhang mit der Gewalt der Eltern gegen ihre Kinder (II, 133). e) Gewalt gegen alte Menschen

186

Im Zusammenhang mit der "Gewalt in der Familie" wird auch die "Gewalt gegen alte Menschen" behandelt (1, 259; II, 135; IV, 226; V, 306). Dieses Gewaltfeld stellt zum Teil einen Sonderbereich aus dem Komplex der Gewalt von Kindern gegen Eltern dar - was auch die Verortung des Problems bei der "Gewalt in der Familie" rechtfertigt-. "Gewalt gegen alte Menschen" geht aber über das Eltern-Kind-Verhältnis hinaus und erfaßt zum einen auch gewaltsame Angriffe seitens sonstiger jüngerer Angehöriger, in deren Haushalt das Opfer lebt und die teilweise Sorgefunktionen für den alten Menschen übernommen haben (1, 259). Zum anderen wird über den Familien- bzw. Verwandtschaftsverband hinaus die Gewaltanwendung gegen Bewohner von Altenund Pflegeheimen durch das Personal thematisiert (IV, 226).

187

Auch dieser Gewaltbereich ist erst in den jüngeren Jahren - wiederum ausgehend von den USA - und noch nicht sehr umfassend Gegenstand

Schwind I Baumann I Schneider I Winter

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wissenschaftlicher Forschung geworden (li, 135; IV, 226). Erste Ergebnisse ausländischer Untersuchungen sprechen- wie zu vermuten- dafür, daß im Familienverband insbesondere die aufgrund von Krankheit oder Gebrechlichkeit pflegebedürftigen oder die wirtschaftlich abhängigen älteren Menschen gefährdet sind (1, 269). 3. Ausmaß Gewalt in der Familie ist nach den bisherigen (sehr lückenhaften) Erkenntnis- 188 sen die verbreitetste Form von Gewalt (I, 265; III, 298; IV, 234; V, 302f.). Gegenwärtig ist es jedoch nicht möglich, einen genauen, zuverlässigen Überblick über das statistische Ausmaß familialer Gewaltanwendung in der Bundesrepublik zu gewinnen (I, 261; III, 299). Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist Gewalttaten in der Familie nicht gesondert aus (IV, 227; V, 303). Lediglich über das Delikt der Kindesmißhandlung als Unterfall des § 223 b StGB gibt sie Auskunft (1, 261; IV, 228). Auch im übrigen beziehen sich verfügbare Daten nur auf Einzelphänomene der Gewalt in der Familie, meist aufschwere Kindes- und Frauenmißhandlungen. Sie beruhen auf Schätzungen und demoskopischen Erhebungen oder stammen (so der Hauptanteil) aus behördlichen Zählungen; letztere berücksichtigen aber nicht das Dunkelfeld (SG Schneider, 7). a) (Ehe-) Mann .f. (Ehe-) Frau

Zur Frage des Umfangs der Gewalt gegen die (Ehe-)Frau greift selbst das 189 Bundesfamilienministerium auf (zweifelhafte) Schätzungen zurück (1, 263; li, 124): Danach werden in der Bundesrepublikjährlich bis zu vier Millionen Frauen von ihrem Mann mißhandelt. Andere Schätzungen gehen von einer Größenordnung von hunderttausend bis zu einer Million mißhandelter Frauen aus (zur Zahl der Frauen, die in Frauenhäusern vor der "häuslichen Gewalt" Zuflucht suchen, vgl. I, 263; li, 124). Diese Angaben beziehen sich auf das Gesamtspektrum der Mißhandlungen. 190 Zu einzelnen Erscheinungsformen wie der Vergewaltigung in der Ehe (vgl. Rdn. 177) ist der Erkenntnisstand zwar noch geringer (vgl. dazu II, 125; IV, 233), doch besteht kein Zweifel an der praktischen Bedeutung des Problems im Alltagsleben. b) Eltern./. Kinder

Soweit sich die Gewalt der Eltern gegen die Kinder als körperliche Mißhand- 191 Jung im Sinne des§ 223 b StGB darstellt, kann bezüglich des Hellfeldes auf die PKS zurückgegriffen werden. Danach sind 1988 im gesamten Bundesgebiet 1145 Fälle polizeilich registriert worden; die Zahl war von 1980 bis 1987 fallend (1, 261, 266; II, 129; V, 302). Die rückläufige Tendenz kann jedoch auf dem Sinken der Geburtenrate beruhen. Vor allem aber geben die polizeilichen Zahlen

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wiederum wegen des erheblichen Dunkelfeldes gerade im Bereich der Kindesmißhandlung (1, 261; II, 129; IV, 239; V, 301) nur wenig Aufschluß über den wirklichen Umfang und die tatsächliche Entwicklung in diesem Gewaltfeld. Schätzungen bewegen sich zwischen 20.000 und 500.000 Kindesmißhandlungen pro Jahr (1, 261; II, 129; V, 302; vgl. ferner IV, 229). Diese Schätzwerte sind allerdings in hohem Maße spekulativ. Sie beruhen nicht auf entsprechenden Dunkelfelduntersuchungen für die Bundesrepublik, sondern bestenfalls auf generalisierten regionalen Behördenzählungen (1, 261; II, 129). Zudem wird der Begriff der Kindesmißhandlung in unterschiedlicher Weise gebraucht (1, 261; IV, 229). 192

Angesichts der fließenden Übergänge von der als Erziehungsmaßnahme gedachten Züchtigung zur körperlichen Mißhandlung von Kindern (II, 141; IV, 226) ist auch die Verbreitung dieses "Erziehungs"mittels in der Bundesrepublik Deutschland von Interesse. Schneewind u. a. (1983) befragten 1976 und 1977 in sechs Bundesländern 570 Familien zu den Erziehungspraktiken, die sie gegenüber ihrem 9- bis 14jährigen Kind anwendeten. 75% der Mütter und 62% der Väter sagten, daß sie ihr Kind gelegentlich ohrfeigten. 40% der Mütter und 36% der Väter berichteten, daß bei ihnen eine "Tracht Prügel" vorkomme, und fast 10% der Mütter und 8% der Väter gaben an, daß sie ihr Kind gelegentlich mit einem Stock oder Gürtel schlügen. Da die Stichprobe dieser Erhebung nicht repräsentativ, sondern eher nach den höheren sozialen Schichten verzerrt war, nehmen die Autoren an, daß die ermittelten Ergebnisse eher eine Unterschätzung des Problems darstellen (1, 262; II, 141; vgl. ferner IV, 230). Körperliche Strafen gehörtenjedenfalls damals zum selbstverständlichen Repertoire elterlicher Erziehungsmittel. c) Geschwister .j. Geschwister; Kinder./. Eltern; Gewalt gegen alte Menschen

193

Die Erscheinungsphänomene der "Geschwistergewalt", der Gewalt der Kinder gegen die Eltern und der Gewalt gegen alte Menschen sind in der Bundesrepublik Deutschland bislang völlig unerforscht (1, 263). Zum Umfang dieser Gewalt sind daher keine näheren Angaben möglich (zu Untersuchungen über die amerikanischen Verhältnisse vgl. I, 264; II, 133; SG Honig, 17; ausführlich SG USA, 146).

C. Entstehungszusammenhänge und Erklärungsansätze I. Gewalt als individuelles und soziales Problem 1. Gewalt als Interaktion

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Gewalt entsteht und verwirklicht sich in Interaktionsprozessen (1, 5, 13; II, 23ff.; III, 5, 103). Sie darf

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weder einseitig als Merkmal bestimmter Personen oder Gruppen betrachtet,

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noch kann sie ausschließlich als situationsbezogene Reaktion auf Außenreize oder als Funktion der gesellschaftlichen Ordnung und materieller und sozialer Belastungsfaktoren erklärt werden.

Vielmehr entwickelt sich gewaltsames Verhalten in dynamischen interindividuellen (=sozialen) Verläufen. Gewalt kennzeichnet die Endphasen eskalierender Konflikte und wachsender Kommunikationsbarrieren -

nicht nur zwischen Einzelpersonen, z. B. innerhalb der Familie,

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sondern auch zwischen gesellschaftlichen Gruppen und politischen Strömungen.

Sie wird als Mittel der Konfliktlösung eingesetzt und als Ausdrucksform persönlicher Unzufriedenheit und Verbitterung gewählt, wenn keine anderen Verständigungsmöglichkeiten vorhanden sind oder vorhanden zu sein scheinen (vgl. I, 36; III, 103 ff.). Auf gesellschaftlicher Ebene erscheint sie also weniger als "Schrei der Stummen", sondern eher als "Sprache" derer, mit denen kein ausreichender Dialog geführt worden ist oder werden konnte. Die anfangs vergleichsweise harmlos vorgetragenen Proteste bleiben (oft geradezu demonstrativ) unbeachtet. Dies weckt bei den "Unerhörten" den Gedanken an dramatischere Schritte, die eher Beachtung finden (A, 17). In die konflikthaften, (potentiell) gewaltträchtigen Sozialprozesse bringtjeder Beteiligte seine individuellen Eigenheiten ein. Die interindividuellen Verläufe, die in Gewalttätigkeit münden, stehen in Wechselwirkung mit intraindividuellen Prozessen, in denen sich beim einzelnen eine gewaltsame Verhaltensäußerung vorbereitet. Grundlage der intraindividuellen Entwicklung sind genetische und andere biologische Prädispositionen des einzelnen Menschen (vgl. ausführlich II, 32ff.), die in Prozesse der Persönlichkeitsbildung einfließen und von ihnen überlagert werden. Gewalt muß daher als Ergebnis und Bestandteil dynamischer Rückkoppelungsvorgänge gesehen werden. In sie gehen soziale und individuelle Bedingungen ein, die sich ihrerseits in prozeßhaften Abläufen ausgebildet haben und selbst wiederum durch das Gewaltereignis beeinflußt werden (I, 14). 2. Selbstkonzept

Ein bedeutsamer individueller Faktor für aggressives und gewalttätiges 195 Verhalten ist das sog. Selbstkonzept, die "Theorie über sich selbst", die "Einstellung gegenüber der eigenen Person". Das Selbstkonzept ist eine dynamische Größe, die von der sozialen Umwelt und den sozialen Beziehungen mit beeinflußt wird. Grundlage ist das Selbstwertgefühl, das wiederum für das gesamte Verhalten eines Menschen und seine von ihm selbst erlebte Stellung in der Gemeinschaft von größter Bedeutung ist. Ein negatives Selbstkonzept kann

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Endgutachten

nonkonforme Reaktionen in Belastungssituationen fördern. Der einzelne unterliegt leicht dem Gruppendruck und damit auch gruppenabhängigem delinquenten Verhalten. Ein negatives Selbstkonzept führt in der Regel zu geringer Selbstachtung und als Folge häufig zu sozialem Rückzug, Aggressivität und Delinquenz (li, 40; V, 95ff.; A, 22).

3. Lernprozesse 196

In den inter- und intraindividuellen Verläufen, die schließlich zu gewalttätigem Verhalten führen, spielen Lernprozesse eine ganz erhebliche, wenn nicht sogar die schlechthin entscheidende Rolle (vgl. die Betonung der Wichtigkeit von Lernprozessen bei I, 24ff.; II, 24; III, 140; IV, 133; V, 79; SG USA, 33; SG NZ, 13). In ihnen entwickeln sich nicht nur Persönlichkeitsmerkmale, die mit Aggressionsneigung und Gewaltbereitschaft bei dem einzelnen in Zusammenhang stehen können (vgl. zu diesen Persönlichkeitsmerkmalen li, 38ff.). Bedeutsamer für die Vorbeugung gegenüber Gewaltkriminalität sind die direkt gewaltfördernden Lernprozesse, in denen die Einzelperson gewaltbegünstigende Einstellungen und gewaltsame Verhaltenstechniken erwirbt. a) Lernen am Erfolg

197

Nach den Grundsätzen des Lernens am Erfolg steht aggressives Verhalten unter der Kontrolle seiner positiven oder negativen Folgen (I, 25; A, 23). Aggressive Verhaltensweisen werden verstärkt und eingeübt, wenn der Handelnde das mit ihnen verfolgte Ziel erreicht. Das verursacht bei ihm die Erwartung, in einer ähnlichen Situation durch aggressives Verhalten wiederum erfolgreich zu sein. Diese Erwartung wird zum Beweggrund weiterer aggressiver Handlungen (Wiederholungseffekt des erfolgreichen Täters). Wenn aggressives Verhalten oft zu einem begehrten Ziel führt, können sich bei dem einzelnen schon während des Verhaltens angenehme Gefühle einstellen, die im Extrem einer ausgesprochenen Lust an der Aggression gleichkommen (I, 25; A, 23). 198 Mißerfolge, z. B. Strafen, bauen Verhalten keineswegs so schnell ab, wie Erfolge es aufbauen. Hier wirkt die außerordentlich wichtige Regel der intermittierenden Verstärkung: Ein Verhalten, das hin und wieder zu einem Erfolg, hin und wieder zu einem Mißerfolg führt, wird im allgemeinen nicht gehemmt; es wird vielmehr besonders hartnäckig gelernt. Es ist so, als nehme der Lernende einige Mißerfolge hin, um sich dann der nächsten Belohnung um so sicherer zu sein (I, 26). Demgegenüber können aggressive und gewalttätige Verhaltensweisen zum Verschwinden gebracht werden, indem sie konsequent und kontinuierlich nicht belohnt werden. b) Lernen am Modell

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Ein Lernen am Modell ist eingetreten, wenn eine Person das Verhalten einer von ihr beobachteten Modellperson in ihr Verhaltensrepertoire aufnimmt (vgl.

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I, 27). Die größte Rolle spielen beim Kindfamiliäre und schulische Lerneinflüsse (vgl. auch II, 63f.). Zunehmende Wichtigkeit erlangen darüber hinaus die symbolischen Modelle in den Massenmedien, insbesondere im Fernsehen (vgl. ausführlich II, 68 ff.). Die Darbietung erfolgreicher gewalttätiger Modelle schafft insbesondere für Kinder und Jugendliche einen Anreiz, gewalttätiges Verhalten als erfolgversprechend und "normal" anzusehen. c) Das Fehlen positiver Vorbilder

Das Fehlen von positiven Vorbildern in der Erwachsenenwelt, die sozial 200 konstruktive Einstellungen und Verhaltensmuster verkörpern, begünstigt mittelbar aggressives Handeln des jungen Menschen. Es führt beim Kind und Jugendlichen zur Orientierungs/osigkeit (vgl. V, 79f.), die sie anfällig für die Aufnahme gewaltsamer Verhaltensmodelle macht. Die fehlende Orientierung können sie in einer Gleichaltrigengruppe suchen, die gesellschaftliche Werte oftmals geringschätzt. In sozialpsychologischen Gruppenprozessen entwickeln sie oftmals eine Delinquenz- oder Gewaltneigung. Der Jugendliche begibt sich in einen sozialen Raum, in dem er sozial abweichende oder gar ·gewaltsame Vorbilder geboten bekommt und für eigenes aggressives Verhalten verstärkt wird (II, 65; V, 79). 4. Soziale Normen und Defmitionen

In Lernprozessen werden soziale Normen und Definitionen erworben, die 201 Gewalt fördern oder hemmen. Gesellschaftliche und Gruppennormen zu gewalttätigem Verhalten sind durchaus zwiespältig. Einerseits ist Gewalt historisch gesehen im innergesellschaftlichen Verkehr noch nie so stark tabuiert gewesen wie heute (III, 28). Andererseits gibt es spezifische Räume, in denen Aggressionen ausgelebt und Konflikte gewalttätig ausgetragen werden können. Menschen leben in sozialen Gruppen, die jeweils ihre eigenen Definitionen legitimer und illegitimer Gewalt entwickeln und über Lernprozesse an den einzelnen weitergeben. Von diesen erlernten Definitionen hängt ab, was für den einzelnen und die Gruppe Objekt von Gewalt ist, was Aggressionen auslöst und was relativ emotionsfrei als Gegenstand definiert wird, dem gegenüber Gewalt angewendet werden muß (III, 29). 5. Neutralisierungsmechanismen: Feindbilder und Entpersönlichung

Schließlich werden in Lernprozessen die Neutralisierungsmechanismen erwor- 202 ben, die dem einzelnen bei der Überwindung des internalisierten gesellschaftlichen Gewalttabus helfen. Er lernt, die (möglichen) Opfer seiner Aggressivität oder sogar Gewalttätigkeit mit Feindbildern zu belegen (sog. "Dehumanisierung", vgl. I, 37) .. Die Bezeichnung des anderen als "Barbar", "Bulle", "Chaot"

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oder "Untermensch" hilft, Gewalttätigkeiten gegenüber einem "entmenschlichten" Opfer zu begehen. 203 Verwandt mit diesem Mechanismus ist das Phänomen der Entpersönlichung des Täters (sog. "Deindividuation", vgl. I, 37). Dem einzelnen wird erlaubt, in einer großen Menschenmenge oder in einer Organisation mit klaren Befehlshierarchien unterzutauchen oder seine Individualität hinter einer Vermummung oder Einheitskleidung zu verstecken und damit seine eigene Verantwortung für sein gewalttätiges Handeln abzustreifen oder vor sich selbst und anderen zu verschleiern. Entpersönlichung tritt dabei nicht nur auf Seiten der Gewalttäter auf. Auch die Polizeiführung muß sich der Gefahr bewußt bleiben, daß es bei den in größeren Einheiten eingesetzten uniformierten, möglicherweise durch besondere Schutzkleidung unkenntlich gemachten Beamten ebenfalls zu solchen Phänomenen kommen kann. 6. Alkoholeinfluß

204

Im Prozeß der Auslösung gewalttätigen Verhaltens spielt Alkohol als konstellativer Faktor eine nicht zu übersehende Rolle (vgl. zum folgenden II, 58; A, 26). 1987 wurde in der Bundesrepublik Deutschland mehr als jedes dritte Gewaltdelikt (Totschlag, Sexualmord, Vergewaltigung, gefährliche und schwere Körperverletzung, Raubmord) unter Alkoholeinfluß begangen. Nach amerikanischen Untersuchungen ist bei 60% bis 93% der Mißhandlungen von Partnern und Kindesmißhandlungen Alkohol im Spiel. Übermäßiger Alkoholkonsum selbst kann bereits ein Versuch der Flucht vor unlösbaren Konflikten sein. Da durch ihn die Probleme meist nur noch verschlimmert werden, kann er aggressive Entgleisungen vorbereiten. Zugleich bietet er eine willkommene Rechtfertigung für den Verlust der Verhaltenskontrolle und für Gewalt. 7. Gewalttransfer

205

Lernprozesse, die zu Gewalt führen, ereignen sich vor allem in der Familie (vgl. II, 63) und in der Gleichaltrigengruppe (vgl. II, 65; V, 78 ff.). Die bedeutsamste soziale Institution, in der gleichaltrige junge Menschen zusammenkommen, ist die Schule. Familie und Schule spielen daher bei der Entstehung von Gewalt eine Schlüsselrolle. Wenn es auch bislang keine Indizien für einen unmittelbaren Transfer von Gewalt in der Familie und Schule in die politische Auseinandersetzung hinein gibt, ist doch wahrscheinlich, daß die Neigung zu aggressivem und gewalttätigem Handeln, vor allem in Konfliktsituationen, aufgrundfrüherer Erfahrungen bereits "mitgebracht" wird (111, 107; A, 41). a) Die Rolle der Familie

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Die Familie ist der Ort, an dem die meisten Menschen das erste Mal Gewalt erfahren. Gewalterlebnisse innerhalb der Familie üben wesentliche Einflüsse auf

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die Entwicklung von Wertvorstellungen beim Kind aus. Sie prägen die Einstellung des Kindes und späteren Erwachsenen zur Anwendung von Gewalt. Das Kind lernt, daß ein bedeutendes Ziel die Ausübung von Gewalt erlaubt (1, 288). Aggressive Interaktionsmuster der Eltern, punitive Erziehungsweisen oder die verdeckte Billigung von Aggressionen fördern die Gewaltbereitschaft der Kinder (1, 28f.). Wer Gewalt in der Familie als erfolgreiches Konfliktlösungsmittel kennengelernt hat, wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch später anwenden (II, 63). Es sind enge Zusammenhänge zwischen Gewalterlebnissen in der Kindheit und der Entwicklung gewaltbeforwortender Einstellungen im Erwachsenenalter sowie sozialabweichendem Verhalten und Kriminalität, insbesondere Gewaltkriminalität, beobachtet worden. So wurde in einer Sekundäranalyse von Untersuchungsdaten der OS-amerikanischen "National Commission on the Causes and Prevention of Violence" ein enges positives Verhältnis zwischen Gewalterfahrungen in der Kindheit, insbesondere in der Familie, und der Befürwortung des Einsatzes von Gewalt in zwischenmenschlichen Konflikten und ihrer Nutzung für politische Zwecke festgestellt (vgl. SG USA, 160). In einer anderen Untersuchung wurden Zusammenhänge zwischen familiärer Gewalterfahrung und der Befürwortung der Todesstrafe ermittelt (vgl. I, 288). Gewalterfahrungen spiegeln sich nicht nur in Einstellungen, sondern auch in 207 Verhaltensweisen wider. Der Erziehungsstil der Eltern, insbesondere der Mütter, hat einen deutlichen Einfluß auf aggressive Handlungsweisen von Jugendlichen. Es konnte nachgewiesen werden, daß sich neben einer negativistischen Haltung der Mütter in den ersten Lebensjahren vor allem ausgeprägte Permissivität gegenüber aggressivem Verhalten und körperliche Bestrafungen beim Kind und Jugendlichen aggressionsfördernd auswirken. Die im Kindesund Jugendalter entwickelten aggressiven Verhaltensformen setzen sich mit hoher Konstanz bis ins Erwachsenenalter fort (II, 48, 63). Kinder oder Jugendliche, die Opfer von Mißhandlungen ihrer Eltern sind oder waren, sind besonders delinquenzgefahrdet. Aber auch Kinder, die Gewalttätigkeiten unter ihren Eltern beobachten mußten, zeigen eine hohe Neigung zu sozialabweichendem und kriminellem Verhalten. Der Zusammenhang zwischen Kindesmißhandlung und Gewaltkriminalität wird in einigen außergewöhnlichen Einzeiflillen besonders deutlich. Fast alle nationalsozialistischen Gewalttäter waren in ihrer Kindheit irgendeiner Form von ernster Mißhandlung oder Grausamkeit ausgesetzt. In den USA wurde festgestellt, daß Täter von Mord oder Totschlag in ihrer Kindheit häufiger und ernsthafter von ihren Eltern mißhandelt worden waren als ihre Brüder, die keine Tötungsdelikte begangen hatten (vgl. I, 288). b) Die Rolle der Schule In der Familie .eingeübte gewaltsame Verhaltensweisen und -neigungen 208 werden in die Schule hineingetragen. Sie können dort nur schwer ausgeglichen werden (II, 63f.). 6 Gewaltkommission Bd. I

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Das Erleben gewalttätiger Vorbilder im Elternhaus begünstigt gewaltsames Verhalten in der Schule (vgl. li, 107, 63): Aggressionen auch in der Schule werden gefördert durch elterliche Strafandrohungen, direkte Hinweise, zu kämpfen und sich seiner Haut zu wehren, Geringschätzung von Menschen, die sich nicht "angemessen" wehren, die Duldung von tätlichen Auseinandersetzungen, geringe Kontrolle, geringe Leistungserwartung, Permissivität und Inkonsequenz der Mütter, Strenge und körperliche Bestrafung durch die Väter. Für die Entstehung aggressiven Verhaltens bei Kindern sind häufig Interaktionssequenzen in Familien verantwortlich, die durch geringe Selbstkontrolle, Dichtkontingentes Strafen, Willkürlichkeit in der Erziehung, Abqualifizierung der Kinder und unangemessene Strenge gekennzeichnet sind. 209

Es besteht die Gefahr, daß die Schule aggressive Handlungen der Schüler noch verstärkt. Die Schule ist oft gerade für sozial aufTaUige oder zurückgesetzte Kinder Quelle von Mißerfolg und Konflikten (II, 64). Überdies erweisen sich Lehrer nicht immer als souverän gegenüber Aggressionen. Aggressive Kinder erhalten mehr Aufmerksamkeit seitens der Lehrer als unauffällige Kinder. Dabei handelt es sich relativ oft nicht um tadelnde, sondern um positive und deshalb in dieser Situation fehlerhafte Zuwendung (I, 252). Das aggressive Verhalten wird durch Aufmerksamkeit belohnt und so verfestigt. Unauffällige Kinder erhalten einen Anreiz, dem erfolgreichen aggressiven Vorbild ihrer Mitschüler nachzueifern. Auch die Schule kann so zum Prozeß des Transfers gewaltsamer Einstellungen und Verhaltensweisen von der Familie in den gesamtgesellschaftlichen Raum beitragen. 8. Massenmedien

210

Im Prozeß der Entstehung von Gewaltkriminalität kommt den Massenmedien eineerhebliche Bedeutung zu (vgl. I, 31ff.; II, 68fT.; III, 147ff.; IV, 173, 197; V, 88fT.; VII, 15fT.; SG F, 43ff.; SG NZ, 65; SG USA, 72fT.; ausführlich SG Kepplinger). Sie übernehmen immer mehr die Rolle, die früher den Schulen, den Kirchen und den Familien oblag, nämlich Einfluß auf die Werte, Zielsetzungen und Verhaltensstile einer Gesellschaft zu nehmen (SG USA, 72). Das Fernsehen ist "Hauptinstrument der Bewußtseinsindustrie" (Hacker 1980 nach II, 68) . . Die Menschen in der Bundesrepublik widmen den Medien, neben Schlafen und Arbeiten, die meiste Zeit in ihrem Leben, nämlich durchschnittlich fast 6,5 Std. täglich (li, 68). Die Medien erlangen also eine erhebliche Wirkungschance. a) Erzeugung von Klischees und Feindbildern

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Die modernen Medien haben den Horizont breiter Bevölkerungsschichten in früher nicht vorstellbarer Weise erweitert. Andererseits wird durch vereinfachende und damit notwendig verfälschende Abbildung der Wirklichkeit jedoch

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auch die Entwicklung sozialer Klischees gefördert (II, 69). Die Erzeugung von Klischeevorstellungen über bestimmte gesellschaftliche Gruppen, wie z. B. "die" Ausländer, "die" Alternativen oder "die" Wirtschaftsbosse, oder Institutionen, wie die Polizei, die Parteien oder die Regierungen, kann im Prozeß der Entstehung von Gewaltkriminalität eine erhebliche Rolle spielen, weil Klischees oftmals Ausgangspunkt und Nährboden für die Entwicklung von Feindbildern sind. b) Soziale Desintegration

Das Fernsehen beeinflußt das Sozialverhalten und kann zu einer geringeren 212 Teilnahme am Gemeinschaftsleben führen (II, 69). Der Rückzug aus der Gemeinschaft, die soziale Desintegration, wird vielfach als wesentlicher Faktor im Prozeß der Entwicklung von sozialabweichendem Verhalten und Kriminalität, insbesondere auch Gewaltkriminalität, gesehen. c) Negative Weltbilder

Durch ihre Informationsflut und Sensationsorientierung können Massenme- 213 dien ein eher negatives Weltbild vermitteln (1, 79). Die Heraushebung von sozialen und Umweltkatastrophen und politischen und wirtschaftlichen Skandalen führt bei sensiblen und jungen Menschen zu einer "Endzeitstimmung". Diese Menschen neigen dazu, die Schuld für wirkliche und vermeintliche Mißstände bei den früheren Generationen und den gegenwärtigen Machtträgern zu suchen, denen sie kein Vertrauen mehr entgegenbringen. Dies ist auch eine Ursache für Orientierungslosigkeit der Jugend und Aggression gegen das Bestehende (vgl. V, 88fT., 94). d) Insbesondere: Die Bedeutung von Gewalt- und gewaltlegitimierenden Darstellungen

Von besonderer Bedeutung für die Entstehung von Gewaltkriminalität sind 214 Gewalt- und gewaltlegitimierende Darstellungen in den Massenmedien. Gewaltdarstellung ist die verbale und I oder optische Präsentation physischer oder psychischer Gewalt. Gewaltlegitimierend ist die Darstellung von Verhaltensweisen, Einstellungen und Meinungen, die Entstehung von Gewalt bewirken können (vgl. II, 70; ausführlich SG Kepplinger, 2). Zu den gewaltlegitimierenden Darstellungen können auch degradierende Darstellungen gesellschaftlicher Gruppen, insbesondere von Frauen (z. B. auch in pornographischen Werken), gerechnet werden (vgl. I, 34). aa) Der Anteil von Gewaltdarstellungen am Medienangebot Gewaltdarbietungen haben einen erheblichen Anteil am Programmangebot 215 des Fernsehens. In Nachrichtensendungen wird die Berichterstattung über 6*

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Gewalt an den Anfang gestellt. Bei der ARD und beim ZDF ist gerade das Vorabendprogramm (16-20 Uhr), das vornehmlich von Kindern und Jugendlichen gesehen wird, besonders gewaltträchtig (Untersuchung von Media Control 1985 nach II, 68). 1983 entfielen rund 45% des Videofilmangebots auf extreme Gewalt- und Horrordarstellungen, die besonders von Kindern und Jugendlichen konsumiert werden. Diese Filme genießen in der Ausleihe eine erhebliche Beliebtheit. Obwohl der Anteil an jugendgefährdenden, gewaltverherrlichenden Filmen in Videotheken zurückging, ist ihr Anteil an der Gesamtzahl der ausgeliehenen Filme nach wie vor sehr hoch (vgl. II, 68). 216

Viele Nachrichtensendungen konzentrieren sich auf die sensationellen "action"Aspekte der Gewalt. Zur Unterhaltung ihrer Rezipienten wenden sich die Massenmedien mehr dem oberflächlichen Ereignis eines gewalttätigen Konflikts als seinen Ursachen und seiner Bedeutung für soziale Veränderungen zu. In der Unterhaltung wird Gewalt noch weniger Wirklichkeitstreu dargestellt als in den Nachrichten (I, 33). Auf ein Nachdenken über die Ursachen, auf Bilder vom Elend, das der Gewalt vorausgeht und ihr nachfolgt, wird regelmäßig verzichtet. Es wird zusammenhanglos "action" gezeigt; Gewalt wird mit Gewalt beantwortet und "geschönt". Die Bilder von Gewalt prägen sich ein; Unterhaltung wird von Information nicht immer geschieden. Die gehäufte und gleichförmige Darbietung von Gewalt formt das Bild der Gewalt in den Köpfen der Betrachter, Zuhörer und Leser (1, 33; II 71). bb) Nachahmung

217

Die Rezipienten von Gewaltdarstellungen lernen Einstellungen und Verhaltensweisen, die unter bestimmten Bedingungen ihr Handeln beeinflussen (vgl. II, 71; zu den Lerntheorien der Medienwirkungen ausführlich: SG Kepplinger, 17 f.). Zwar ist nur ein kleiner Teil der Gewalttaten von Jugendlichen unmittelbar auf Auswirkungen der Gewaltdarstellung in den Massenmedien zurückzuführen. Jedoch erweitert die Darbietung gewaltsamer Modelle das aggressive Verhaltensrepertoire und erhöht die Gewaltbereitschaft (1, 31). Als real aufgefaßte und erfolgreiche Gewalthandlungen erwecken beim weniger kompetenten (insbesondere beim kindlichen und jugendlichen) Zuschauer den Eindruck eines wirksamen Problemlöseverhaltens und sind insofern von größerem Einfluß. Gleichwohl ist vermutlich die Annahme falsch, daß die Darstellung erfolgloser und deutlich fiktionaler Gewalt nur geringe gewaltfördernde oder sogar gewaltmindernde Wirkung habe (II, 71). cc) Gewöhnung

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Da Gewaltdarstellungen nur bei wenigen Beobachtern eine direkt gewaltauslösende Wirkung haben, sind Nachahmungstaten oft ohnehin gewaltorientierter Menschen wohl nicht das eigentliche Problem der Gewalt in den Medien. Es liegt vielmehr zum einen darin, daß - erfolgreich scheinende - aggressive

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Modelle ganz allmählich Einstellungen gegen Gewalt verändern. Selbst wenn die dargestellte Gewalt nicht unmittelbar nachgeahmt wird, führt die ständige Überschwemmung des Bewußtseins mit Gewaltreizen zur Trivia/isierung der Gewalt, die als alltägliches Ereignis weder als ungewöhnlich eingestuft noch vermieden wird (II, 71). Erfolgreich scheinende aggressive Modelle bauen Aggressionshemmungen ab. Ungefestigten und überforderten Menschen kann sich Gewalt zunehmend als Problemlösungsmittel aufdrängen (1, 31; A, 31). Kinder und Jugendliche lernen Gewalt als "legitime Normalität" kennen (vgl. IV, 33). Damit kann die Bereitschaft wachsen, Gewalt hinzunehmen (vgl. auch SG F, 43). Es wird schwer, den gesellschaftlichen Konsens darüber zu bewahren, daß Gewalt kein zulässiges Mittel zur Lösung von Konflikten sein darf (IV, 33). dd) Erzeugung von Verbrechensfurcht Zum anderen verändern Gewaltdarstellungen das Weltbild des Rezipienten 219 und erzeugen in erheblichem Maße Verbrechensfurcht (I, 33; IV, 31 ff.). Da vor allem ängstliche Menschen gezielt nach Nachrichten suchen, die ihren Befürchtungen entgegenkommen, kann durch Gewaltdarstellungen ein sich selbst verstärkender Prozeß wachsender Verbrechensfurcht in Gang kommen (IV, 31 ). Unangemessene Verbrechensfurcht fördert nicht nur irrationale Reaktionen auf tatsächlich geschehende Gewalttaten, sondern führt zu sozialem Mißtrauen und damit zu sozialer Desintegration, die wiederum eine gewaltfördernde Bedingung bildet. ee) Verstärkung Die Berichterstattung von Gewalttaten in der Öffentlichkeit kann schließlich 220 Rückwirkungen auf die Gewaltkriminalität haben (vgl. III, 147ff.; ausführlich SG Kepplinger, 23f.). Insbesondere bei politisch motivierten Gewalttaten wird die gegenwärtige oder voraussichtliche Berichterstattung in den Massenmedien zum Handlungsmotiv, das das Verhalten verändert. Indem die Medien ihre Aufmerksamkeit einseitig dem gewalttätigen Protest zuwenden, verhelfen sie dieser Form des Protests zumindest zu einem Teilerfolg und belohnen ihn damit (vgl. I, 32, 78; III, 123; V, 90, 152; B, 66f.; SG USA, 72fT.). Wenn sich Journalisten gezielt, teilweise sogar im Zusammenspiel mit Verteidigern einseitig parteinehmend in Ermittlungs- und gerichtliche Strafverfahren einschalten, behindern sie nicht nur die Rechtspflege (vgl. VI, 117), sondern lassen kriminelle Taten in einem besseren Licht erscheinen und tragen so zur Erosion des Rechtsbewußtseins bei. Die Anwesenheit von Reportern bei Ausschreitungen im Verlaufvon Demonstrationen oder auch bei Auseinandersetzungen zwischen den Zuschauern in Sportstadien kann den Akteuren einen direkten Anreiz dafür bieten, sich durch gewaltsames Verhalten in Szene zu setzen (SG Kepplinger, 23f.; SG USA, 72ff.).

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Endgutachten ff) Sichselbsterfüllende Prophezeiungen

221

Einseitige Berichte über gewalttätige Demonstrationen oder Ausschreitungen in Fußballstadien können bei möglichen Teilnehmern einer solchen Veranstaltung aggressionsbezogene Erwartungshaltungen erzeugen und zur Stigmatisierung friedlicher Demonstranten oder Fußballzuschauer führen (1, 78). Dies kann dazu beitragen, daß friedfertige Personen von der Teilnahme an solchen Veranstaltungen abgeschreckt und gerade solche Besucher angelockt werden, die die Sensation gewalttätiger Auseinandersetzungen suchen.

II. Besondere Ursachen der Gewalt in den verschiedenen Bereichen 1. Gewalt in der Familie

222

Theoretische und empirische Erkenntnisse zur Verursachung von Gewalt in der Familie beschränken sich bislang vornehmlich auf die Bereiche der Gewalt gegen Kinder und Frauen. Insbesondere das Problem der Gewalt gegen alte Menschen ist erst vor kurzem ins Blickfeld gerückt. Es gibt noch keine eigenständigen Ansätze zur Erklärung dieses Gewaltphänomens.

223

Jede Form der Gewalt in der Familie ist Produkt und Bestandteil von Interaktionsprozessen innerhalb der Familie und zwischen der Familie und ihrer sozialen Umgebung (1, 282; III, 300). An diesem Interaktionsprozeß sind neben dem Täter das Opfer und die übrigen Familienmitglieder beteiligt; der Sozialisationsprozeß und die spezifische soziale Situation der Familie gewinnen in ihm Einfluß. Um Gewalt in der Familie zu erklären, darf sich der Blick daher nicht nur auf Täter und Opfer, ihr Verhalten, ihre Persönlichkeit und Erziehung richten, sondern muß die gesamte Struktur der Familie, ihre Verflechtung mit dem sozialen Umfeld, ihre Lebensbedingungen und die Normen und Einstellungen der Gesellschaft mit berücksichtigen (A, 75; li, 136; IV, 238; vgl. ausführlich SG U. Schneider, 48fT., 57fT.). a) Familienstrukturen, Rollenmuster und soziale Normen

224

Es sind nicht nur "pathologische" soziale und individuelle Faktoren, die in dem familiären Interaktionsprozeß wirksam werden und zu Gewalt in der Familie führen. Soziologen sprechen vielmehr von einem "strukturell angelegten Gewaltpotential in Familien", d. h., daß schon die Struktur der Familie als soche konfliktträchtig ist und daß soziale Normen die familiäre Gewalt zumindest in bestimmten Bereichen billigen (A, 76; I, 282; III, 290ff.; IV, 238): Das intime Zusammenleben von Menschen mit zumindest teilweise verschiedenen Interessen, denen unterschiedliche Alters- und Geschlechtsrollen zugewiesen sind, denen das Recht zuerkannt wird, sich gegenseitig zu "erziehen", die einerseits ihre gegenseitigen Schwächen genau kennen und ausnutzen können

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und andererseits ihre Beziehungen zueinander nicht ohne weiteres freiwillig lockern dürfen, muß unausweichlich zu Konflikten führen. Ihre Privatheil schneidet die Familie von sozialer Hilfe und Kontrolle ab (vgl. ausführlich SG U. Schneider, 49). Das Nebeneinander von traditionellen, eher patriarchalisch orientierten 225 Vorstellungen über die Verteilung der Autorität und der Rollenmuster und von modernen emanzipatorisch-demokratischen Erwartungen über Partnerschaften und die Stellung des Kindes in der Familie erschwert dem einzelnen eine Orientierung seines Handeins und begünstigt damit das Entstehen von Spannungen und Gewalt (1, 280; IV, 238). Häufig werden die Unterschiedlichkeil der Geschlechtsrollen und die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Verteilung sozialer Macht als Bedingungen für Gewalt in der Familie, insbesondere für Frauenmißhandlung, gesehen. Vor allem die sozial und wirtschaftlich von ihrem Mann abhängige Frau ist gefährdet, Opfer ehelicher Gewalt zu werden. Andererseits muß auch die ihrem Partner überlegene, intelligentere, besser ausgebildete und beruflich erfolgreichere Frau damit rechnen, von ihrem Mann körperlich mißhandelt zu werden. Sowohl die einseitige wirtschaftliche Abhängigkeit der Frau vom Mann als auch die relative soziale Überlegenheit der Frau über den Mann scheinen daher die Gefährdung der Frau zu erhöhen (A, 78; I, 280 f.; vgl. ausführlich SG Schneider, 45ff.). Soziale Normen, die Gewalt gegen Familienmitglieder als "Element eines 226 kulturell dominanten lntimitätsmusters" zulassen (SG Honig, 12), werden zu Schlüsselverbindungen zwischen der Konflikt- und der Gewaltanfälligkeit der Familie (1, 282). Das elterliche Züchtigungsrecht, das Gewalt zu einem legitimen Mittel der Kindererziehung macht, birgt die Gefahr der Mißhandlung. Die Grenze zwischen erlaubter Züchtigung und unerlaubter Mißhandlung ist fließend und nicht klar definiert. Gerade in einer affektiven Erregungssituation besteht die Gefahr, daß körperliche Züchtigungen unkontrolliert eskalieren (1, 283; II, 141). Gewalt unter Partnern ist zwar nicht rechtlich, aber doch sozial als "läßliche Sünde" geduldet, solange sie gewisse- wiederum unklar definierteGrenzen einhält. Gewalt wird so zu einem "normalen" Bestandteil des Familienlebens (vgl. ausführlich SG Schneider, 50). b) Persönlichkeit und Verhalten der Täter

Der Versuch, Mißhandlungen auf Persönlichkeitseigenschaften von Tätern 227 zurückzuführen, hat keine überzeugenden Nachweise erbracht. Einerseits ist davon auszugehen, daß Persönlichkeitsmerkmale des Täters als verhaltensbeeinflussende Variable in den Prozeß der Gewaltverursachung eingehen. Andererseits ist ungeklärt, ob es bestimmte Merkmale oder Merkmalskombinationen gibt, die einen Menschen in besonderem Maße dafür anfällig machen, seine Familienangehörigen zu mißhandeln (A, 76; I, 275, 277; III, 300).

88 228

Endgutachten

Der Stand der Diskussion in den Unterkommissionen läßt sich auf folgenden gemeinsamen Nenner bringen: Mißhandelnden Eltern fehlt ein angemessenes erzieherisches, gewalttätigen Männern oder Frauen ein angemessenes partnerschaftliebes Konfliktlöseverhalten. Sie haben dieses in ihrer eigenen Jugend nicht gelernt oder sind durch psychische Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen oder aktuelle Konflikte daran gehindert, ein konstruktives Sozialverhalten zu erlernen oder anzuwenden (vgl. Darstellung der interaktionsorientierten Erklärungsansätze bei II, 139).

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Ein nicht geringer Anteil mißhandelnder Eltern - und wohl auch mißhandelnder Männer - ist psychiatrisch auffällig und leidet an Alkoholismus, psychotischen oder schweren neurotischen Erkrankungen (II, 141). Derartige Auffälligkeilen mit Krankheitswert wurden allerdings vor allem bei solchen Eltern und Männern diagnostiziert, die klinisch in Erscheinung traten oder den Strafverfolgungsbehörden bekannt wurden (vgl. I, 275). Hierbei handelt es sich um ein nichtrepräsentatives Sampie von gewalttätigen Eltern oder Männern, da familiäre Gewalttaten überwiegend weder den Kliniken noch den Behörden bekannt werden. Gewalt in der Familie erscheint zu weit verbreitet, als daß sie hauptsächlich als Ergebnis von Persönlichkeitsstörungen oder psychischen Krankheiten gesehen werden kann (vgl. I, 276).

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Bestimmte Persönlichkeitszüge, wie mangelnde lmpulssteuerung, Sensitivität, Isolationstendenz und ein hoher Angstpegel (II, 141) sollen das Risiko erhöhen, in Belastungssituationen mit körperlicher Gewaltanwendung zu reagieren. Da sich Gewalt in der Interaktion zwischen den Familienmitgliedern und zwischen der Familie und ihrer sozialen Umgebung entwickelt, kann solchen Tätermerkmalen nicht die führende Rolle für das Zustandekommen von Gewalthandlungen beigemessen werden (vgl. I, 276). c) Sozialisationserfahrungen: "Kreislauf der Gewalt"

231

Der Umgang mit Konflikten und sozialen Belastungen und das Ausmaß der Gewaltbereitschaft von Eltern oder Partnern wird ganz wesentlich durch ihre in die familiäre Interaktion einfließenden Sozialisationserfahrungen bestimmt (1, 285ff.; II, 91). Es besteht ein Zusammenhang zwischen Gewalterfahrung in der Kindheit und eigener Gewaltanwendung des Erwachsenen gegenüber Familienmitgliedern, der plakativ als "Zyklus" oder "Kreislaufder Gewalt" gekennzeichnet wird (A, 78 f.; I, 285 ff. ; die Darstellung der individuumszentrierten Erklärungsansätze bei II, 137; IV, 237; SG Schneider, 51 f.; SG Honig, 11): Kinder, die von ihren Eltern mißhandelt wurden oder Mißhandlungen unter ihren Eltern ansehen mußten, tragen ein erhöhtes Risiko, als Erwachsene ihre eigenen Kinder oder ihren Partner zu mißhandeln (1, 285; IV, 237). Daneben gibt es Anhaltspunkte dafür, daß Gewalterfahrungen in der Kindheit bei Mädchen auch das Risiko steigern, als Erwachsene Opfer von Frauenmißhand-

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Jung zu werden. Ein hoher Anteil von mißhandelten Frauen stammt aus Familien, in denen sie Gewalt, emotionale Zurückweisung und Zerrüttung erlebt haben (1, 286). Die festgestellten Beziehungen zwischen passiver Gewalterfahrung und eigener 232 Gewalttätigkeit oder Duldung von Gewalt müssen als ursächliche Zusammenhänge aufgefaßt werden, die durch Lernprozesse (vgl. I, 286; Rdn. 195 ff.) vermittelt sind. Am Modell seiner Eltern lernt das Kind Gewalt als Konfliktlösungstechnik und sozial gerechtfertigtes Mittel zur Durchsetzung eigener Wünsche gegenüber den nächststehenden Menschen kennen. Dabei ist Gewaltlernen in der Familie mit der spezifischen Botschaft verbunden, daß Liebe und Gewalt sich nicht ausschließen, sondern daß im Gegenteil "aus Sorge" geschlagen werden kann (SG Honig, 12). Gewalt in der (Herkunfts-)Familie muß daher als eine der wesentlichsten Einzelursachen und -bedingungen für die Weitergabe von Gewalt in der (Fortpflanzungs-)Familie erscheinen (1, 286). d) Die Rolle des Opfers

An der konfliktbeladenen Interaktion, die schließlich zur Gewaltanwendung 233 führt, nimmt das Opfer teil. Nicht nur der Täter, sondern auch das Opfer von Partnergewalt hat oft aufgrund mangelhafter Sozialisationserfahrungen im Umgang mit Konflikten kein ausreichendes konstruktives Konfliktlöseverhalten erworben (1, 285f.). Mißhandelte Frauen tragen daher nicht selten z. B. durch Klagen, Nörgeln oder verbale Angriffe aktiv zur gewaltsamen Eskalation eines Konflikts bei. Derartiges provozierendes Verhalten der Frauen darf dabei freilich ebenfalls nur im Zusammenhang der partnerschaftliehen Interaktion gesehen werden, d. h. als eine Antwort auf ein Verhalten des Mannes. Es gibt dem Mann keinesfalls das moralische Recht, gewalttätig zu werden. Ebenso gefahrlieh wie eine provokative Haltung des Opfers ist eine demütige Duldung der Gewaltanwendung. Die Frau, die Gewalttätigkeiten hinnimmt und es versäumt, Verhaltensgrenzen und -regeln festzulegen, und sich stattdessen um eine stärkere Anpassung an die Wünsche und Bedürfnisse des Mannes bemüht, verstärkt sein gewalttätiges Verhalten und nimmt eine Opferhaltung ein (vgl. ausführlich SG Schneider, 57). Auch diese Opferrolle ist- oftmals bereits in der Kindheit - gelernt (vgl. A, 79; I, 285ff.). Ein Mädchen, das selbst Gewalt erlitten oder gewaltsame Auseinandersetzungen unter seinen Eltern mitangesehen hat, lernt Gewalt als gängiges Mittel innerfamiliärer Konfliktlösung kennen und ist eher geneigt, als Frau Gewalttätigkeiten ihres Partners gleichsam als "natürliche Kosten partnerschaftlicher Intimität" zu dulden. Auf Seiten des mißhandelten Kleinkindes sind es oft besondere kindliche 234 Merkmale, die es für Schläge und Mißhandlungen anfällig machen (vgl. zum folgenden I, 268f.; II, 149): Kinder der jüngsten Altersgruppen - vor allem frühgeborene Kinder und Neugeborene mit einem geringen Geburtsgewicht-

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Endgutachten

sind allgemein unverhältnismäßig häufig von elterlicher Gewaltanwendung betroffen (vgl. Rdn. 180). Angeborene Mißbildungen oder Behinderungen, ungewöhnliches Verhalten des Neugeborenen, von der Norm abweichendes Aussehen oder ähnliche Faktoren erhöhen das Risiko des Kindes, mißhandelt zu werden. Diese Kinder befriedigen die elterlichen Erwartungen weniger als normalgeborene Kinder. Frühgeborene, Neugeborene mit zu geringem Gewicht oder .behinde~;te Kinder,bedüt:f~n.mehr der Fürsorge J~nd qer.Pf\ege als &.Qd.et:e,Kinger und stellen an die Eltern hohe Anforderungen. Viele von ihnen werden sofort nach der Geburt von ihren Müttern getrennt und in Intensiv- oder Kinderstationen aufgezogen, bis sie aus dem Krankenhaus entlassen werden können. Der Aufbau einer warmen emotionalen Bindung zwischen Eltern und Kind kann durch diese frühe Trennung wesentlich erschwert werden (1, 268). e) Sozialer und wirtschaftlicher Druck

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Etliche Untersuchungen haben einen statistischen Zusammenhang zwischen belastenden sozioökonomischen Lebensumständen von Familien, wie Armut, Arbeitslosigkeit, schlechten Berufschancen, nichtehelicher Elternschaft oder einer großen Kinderzahl, und Kindes- oder Partnermißhandlung ergeben (vgl. I, 277; II, 142; IV, 237). Obgleich gewalttätige Auseinandersetzungen innerhalb der Familie und Kindesmißhandlung kein typisches Phänomen der sozialen Unterschicht sind, sondern in allen Schichten vorkommen, ist doch eine Häufung in Familien zu finden, die durch materielle Not und schlechte soziale Zugangschancen gekennzeichnet sind (vgl. I, 277; II, 142; IV, 237; Rdn. 182). Allerdings können wirtschaftliche und soziale Variablen nur in ihrer Interaktion mit psY,chol.ogi.schen Größen zu Gewalt in der Familie in Beziehung gebracht werden. Psychologische Variablen, insbesondere Sozialisationserfahrungen, greifen moderierend in die Beziehung zwischen sozialem Druck und Gewalt ein, indem sie den Umgang mit Belastungen erleichtern oder erschweren (1, 277). f) Soziale Isolation und Desintegration

236

Als sozialökologische Bedingung für die Entstehung von Kindesmißhandlung und Gewalt unter Partnern haben die soziale Isolation der Familie und die soziale Desintegration der sie umgebenden Gemeinschaft eine wesentliche Bedeutung (1, 278; II, 142; A, 84).

237

Familien, in denen es zu Kindesmißhandlung kommt, leben häufig in Nachbarschaften, die nicht nur durch materielle Armut, sondern auch durch Isolation innerhalb der Gemeinschaft und durch eine Konzentration von Risikofamilien gekennzeichnet sind (sog. "soziale Verarmung") (Garbarino/Gilliam nach I, 278). Das Leben in einer Umgebung, die durch

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Instabilität, Beziehungslosigkeit, raschen Wohnungswechsel, geringe Nachbarschaftshilfe und erhebliche soziale Konflikte gekennzeichnet ist, beraubt die Familie der Möglichkeit, Hilfe und Unterstützung von außen zu erfahren. Durch diese "intrafamiliäre Ghettoisierung" ist eine konstruktive Problemlösung nicht möglich, weil sich die Interaktionsprozesse immer in denselben Bahnen bewegen (II, 142) und die Familie von außen keine neuen Lernimpulse geboten bekommt. Besonders starre Grenzen zwischen der Familie und der Umwelt bauen 238 oftmals Inzestfamilien auf: Nahezu alle Aktivitäten spielen sich inQerhalb der Familie ab, dies führt nicht nur zur Isolation, sondern auch zu einer großen wechselseitigen Abhängigkeit der Familienmitglieder. Generations- und Rollengrenzen werden verwischt (sog. "verstrickte Familien"): Kinder übernehmen die Rollen Erwachsener, Erwachsene haben unrealistische Erwartungen an die Kinder - von der Übernahme von Verantwortungen für die Familie bis zur Befriedigung sexueller und emotionaler Bedürfnisse der Eltern (A, 85; II, 144). Die soziale Isolation der Familie spielt auch bei Frauenmißhandlung eine 239 wesentliche Rolle. Ist die Frau von Kontakten zu ihrer Elternfamilie abgeschnitten und verhindert der Mann freundschaftliche und nachbarschaftliehe Beziehungen, erhöht sich ihre soziale und emotionale Abhängigkeit vom Partner (A, 87; I, 279; ausführlich SG Schneider, 86). 2. Gewalt in der Schule Der Stand der empirischen Erkenntnis zu den Entstehungsbedip.gungen dt> et autres groupes rnilitants - , le desir de reconnaissance sociale et le sentiment d'appartenance ä un groupe peuvent faire office de normes incitant ä Ia violence. Le developpement d'une identite sous-culturelle revet ä ce propos une signification particuliere, avec ses stereotypes autogenes et heterogenes specifiques, par exemple les schemas amiennemi non differencies face ä d'autres groupes ou ä des institutions sociales. (8) Les considerations du ratio coüt ä profit: rationalite et risque d'echec: l'usage de Ia violence lors des actions de protestation est souvent conditionne par des considerations de ratio coüt ä profit. L'un des grands principes de Ia psychologie de motivation est que les actions agressives seront executees d'autant plus facilement que la valeur subjective et Ia vraisemblabilite subjective de consequences negatives previsibles sont considerees comme plutöt reduites par rapport aux succes positifs. L'incitation ä la violence est d'autant plus grande si l'action risque de recevoir un !arge echo ou consiste a troubler un evenement politique a haute valeur symbolique, par exemple une visite officielle de chef d'Etat. Dans ce sens, Ia violence verse des dividendes sous forme d'attention publique. Ceci vaut meme si l'on ne parvient pas, par Ia suite, ä identifier et ä condamner legalement !es veritables de!inquants violents. L'ampleur des sanctions potentielles, autrement dit le montant de Ia peine, joue un moindre röle que le risque de sanction pour Ia demotivation des protestataires violents. Commettre des actes de violence est donc d'autant plus seduisant que le risque d'etre saisi est reduit, par exemple pour les delits commis dans l'anonymat de Ia foule. De meme, les compromis entre Ia justice et l'injustice, comme en concluent parfois les instances politiques pretes a Ja concession dans leurs negociations avec les squatters, encouragent ä en faire autant. Ils ont parfois entralne Ia creation d' « espaces de non-droit» (occupations de rues entieres ou de complexes immobiliers; « villages de huttes ») dont l'acces est interdit aux organes de !'Etat. L'acceptation de tels etats de choses est consideree comme un signe de lächete de l'Etat, qui ebranle Ia confiance dans !'Etat de droit et dans les dirigeants politiques. (9) La publicite dans les medias: l'importante attention publique que 'recueille dans les medias de masse toute protestation politique violente peut, certes, avoir des aspects positifs sous !'angle de Ia prise de conscience du problerne dans Ia societe. D 'un point de vue psychologique, cependant, on doit 34 Gewaltkommission Bd. I

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retenir que !es reportages des medias risquent tn!s vraisemblablement de conforter dans leur opinion !es delinquants violents concernes. U n sentiment de toute-puissance peut s'instaurer chez eux en particulier si, dans leur vie passee ou dans d'autres domaines, !es succes remportes ont ete plutöt rares. bb) Les constellations d'actions concretes Ce sont !es constellations et situations d'actions concretes - qui agissent egalement au second degre, «actif», du developpement de Ia violence a motivation politique - qui determinent si, dans !es conditions decrites cidessus, conditions individuelles et sociales favorisant Ia violence et qui agissent plutöt along terme et agrande echelle, il se produit reellement une explosion de violence. Dans cette mesure (cf. a ce sujet aussi Ia definition de Ia violence a motivation politique numero en marge 87), il convient cependant de faire une distinction entre -

Ia violence en tant qu'expression spontanee de protestation (violence expressive},

-

Ia violence en tant que moyen d'imposer ou d'empecher des decisions politiques (violence instrumentale),

-

Ia violence d'escalade, qui se cristallise dansdes situations interactives concn!tes, par exemple lors de confrontations entre Jes manifestants et Jes forces de police.

(1) La violence calculee par les groupes de protestation: ces trois secteurs de violence peuvent se recouper ou se developper de maniere centrifuge. Ce faisant, on ne doit pas oublier que l'eclatement de conflits de groupes et de masses violents ainsi que leur deroulement sont tout d'abord caracterises pour l'essentiel par !es interets de conflits des groupes responsables. Le declencheur d'une violence calculee peut etre, par exemple, Ia construction du centre de retraitement de combustibles nucleaires de Wackersdorf, Ia construction d'un centre de stockage intermediaire correspondant a Gorleben, l'extension de Ia piste de decollage Ouest de l'aeroport de Francfort, des transports d'armes concrets, Je deploiement de systemes d'armes, l'organisation du recensement, etc. A l'occasion des manifestations de violence correspondantes, il se produit ineluctablement aussi, regulierement, des confrontations avec !es forces de !'ordre public, autrement dit avec Ia police. (2) Le röte de Ia police dans !es conflits aigus: Ia presence et le comportement de Ia police jouent un röte essentiel dans Je processus d'escalade ou de desescalade du conflit aigu, qui se traduit par des actions demonstratives et est aussi engendre par elles. 11 existe une etroite interaction entre les activites des manifestants et celles de Ia police. L'exces aussi bien que l'insuffisance de reaction deIapart de !'Etat et de Ia police qui agit en son nom peuvent alors, en fonction de Ia situation respective, contribuer a l'escalade. A ce propos, on ne peut pas proceder pour autant de ce qu'il existe un contexte lineaire entre Ia vigueur de Ia repression etatique et Ia violence des actions des Citoyens. 11 n'est pas permis de supposer que, selon le «modele de dissuasion», Ia violence

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diminue au rythme de l'augmentation de Ia repression etatique. Le «modele d'escalade» ne permet pas non plus de supposer qu'une repression accrue declenche avant tout fureur et indignation et renforce le voeu d'attaquer d'autant plus violemment l'Etat et ses instances. Bien au contraire, l'usage de moyens policiers a un double effet, qui rend difficilement previsibles !es repercussions du comportement de Ia police: la repression declenche aussi bien Ia crainte que l'indignation et renferme aussi bien un potentiel de dissuasion que d'excitation. Si l'on renonce totalement ä Ia menace de Ia repression, cela n'aura nullerneut pour effet de faire disparaltre les actes de violence qui se produiront toujours ä un degre eleve. Une presence policiere caracterisee par Ia retenue au debut des manifestations s'avere etre, dans de nombreux cas, un moyen eprouve pour accroitre la tension et empecher l'adoption d'attitudes d'animosite et, ainsi, pour liquider !es conflits par des voies pacifiques. Si, en revanche, les forces de police se revelent trop faibles au cours de confrontations violentes, !es succes eventuels ainsi remportes inciteront les protestataires ä accroitre leur agressivite. Si Ia police recourt ä des moyens de repressiondansdes situations generatrices de violence, cela n'augmente pas automatiquement l'indignation ni Ia resistance violente des manifestants. Bien au contraire, l'indignation nait surtout lorsqu'une repression respective est ressentie et consideree comme disproportionnee. Un important facteur d'aggravation des protestations est donc une interventionnon differenciee de Ia police simultanement contre des participants violents et des manifestants pacifiques. L'utilisation de gaz lacrimogene, en particulier, ne permet guere de faire une teile differenciation. L'absence de differenciation dans Je traitement physique aversif des participants ä des manifestations declenche, en particulier parmi les personnes qui ressentent comme disproportionnee Ia reaction de Ia police ä leur propre comportement pacifique, une indignation qui accroit alors Ia propension ä l'escalade. Selon Ia nature et Je moment de l'intervention, l'engagement massif de Ia police peut donc avoir des consequences variables. Les manifestants ressentent surtout comme une demonstration de puissance et une brimade une presence disproportionnee de Ia police, l'anonymat et Ia militarisation de celle-ci par son equipement et son armement, Je deploiement en unites faisant bloc, ainsi que Ia surveillance par des cameramen et photographes de Ia police. Cela met clairement en exergue Je conflit d'objectifs entre l'augmentation du risque d'insucces pour !es manifestations violents, d 'une part, et Je comportement propice ä Ia desescalade adopte par Ia police, d'autre part. Des modeles d'intervention rigides et le transfert d'experiences en provenance d'autres contextes s'averent frequemment inefficaces et inadequats pour contröler et resoudre des cont1its. La nature de Ia reaction de Ia police n'a, il faut l'avouer, toutefois que peu d'influence sur les manifestants ayant des conceptions endurcies de l'ennemi. La 34*

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reaction elle-meme leur semble deja etre une provocation. La reaction conforme aux n!gles - et souvent provoquee consciemment, deja, est consideree comme un nouvel echelon de l'escalade, qui exige a son tour une reponse d'autant plus vigoureuse. cc) La stabilisation a long terme du comportement violent Il n'est pasrare que Ia participation a des manifestations soit, pour l'individu, ressentie comme une phase biographique qui a aussi une action en tant qu'element de «carrü!re». (1) Les experiences faites lors de conflits et leur assimilation plus ou moins consciente se traduisent pardes processus d'apprentissage qui representent un element important de Ia socialisation politique et exercent une influence essentielle sur !es futurs comportements en vue de conflits. Dans cette mesure, Ia confirmation positive de manifestations violentes par l'obtention d'une attention publique et l'absence de punitions attendues, notamment, constitue une condition importante pour Ia stabilisation du comportement violent des groupes de manifestants. (2) Mais !es experiences faites lors de conflits modifient aussi bien !es attitudes latentes des participants aux manifestations que celles des agents de police auxquels ils sont confrontes. Une consequence possible est, ici aussi, Ia polarisationentre Je groupe auquell'on appartient et le groupe adverse. Ainsi, du cöte de Ia police, ceci peut faire augmenter Ia loyaute a l'egard des colh!gues intervenant a leurs cötes (jusqu'a Ia couverture d'infractions au droit). D'un autre cöte, les stereotypes de Ia perception de J'adversaire sont confortes et peuvent aller jusqu'a devenir des schemas d'ennemi. (3) Parsuite de schemas de I'ennemi a connotation extremerneut negative, les dommages causes a Ia victime re~YOivent meme une qualite de confirmation consequente sur le plan psychologique. Les signes de blessures et de douleurs exprimes par !es personnes attaquees qui sont victimes de Ia violence sont ressentis comme un succes. La violence personnelle de l'individu est rationnalisee, entre autres, par !es mecanismes suivants: par une justification morale, une minimisation, un report de Ia responsabilite sur autrui, par l'attribution de Ia faute aux victimes ou par leur devaluation, etc (cf. a ce sujet numero en marge 307). V. Propositions pour Ia prevention et l'intervention sur le plan du droit penal

(numeros en marge 308-514)

A Ia lumiere des phenomenes de violence decrits (cf. numeros en marge 87 et suivants) ainsi que des contextes d'emergence et ebauches d'explication presentes ci-dessus (cf. numeros en marge 194 et suivants), Ia Commission s'est efforcee d'elaborer des propositions pour endiguer Ia violence dans !es domaines

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recommandes par le gouvernement federal. La priorite est mise a ce sujet sur les aspects de Ia prevention, mais sans negliger toutefois les mesures de repression (avec leur caractere parfois egalement preventif). Pour prevenir et reprimer Ia violence, Ia Commission a 6labore douze recommandations (cf. page 179 et suivantes)- qui concernent les conditionscadre sociales- et 158 propositions tres detaillees (cf. page 183et suivantes). Pour des raisons aisement comprehensibles, on ne peut presenter, dans Ia synthese suivante, que quelques-unes de ces propositions. Les justifications et contextes conceptionnels des corrections de cap consideres comme necessaires en matiere de politique criminelle ne se mettent toutefois clairement en evidence qu'a Ia lecture du catalogue de propositions lui-meme. Celui-ci a une structure teile que des theses resultent des principes directeurs, theses dont resultent a leur tour les propositions concn!tes. Dans Ia description ci-apres, les principes directeurs constituent les sous-titres des paragraphes classes selon une thematique precise. 1. La violence a motivation politique

Selon les voeux du commanditaire de l'etude, les propositions relatives a Ia prevention et a la repression de Ia violence a motivation politique ont figure au coeur des considerations de Ia Commission gouvernementale. Les principes directeurs correspondants vont du renforeerneut de Ia prise de conscience du droit a la resorption des craintes concernant l'avenir, en passant par la promotion d'une culture de manifestation exempte de violence ainsi que par l'augmentation du risque d'echec pour les auteurs d'actes de violence. a) Le renforcernent de Ia prise de conscience du droit

Un progres determinant, voire decisif, dans Ia voie consistant a couper !'herbe le pied a toute justification de Ia violence serait realise si l'on parvenait a faire adopter (par Ia majorite des citoyens) de Ia Republique federale d' Allemagne une attitude incitant a condamner l'usage de violence. Dans ce domaine, il convient de conforter Ia prise de conscience du droit parmi les citoyens. En effet, Ia Republique federale a tout motif d'accorder l'attention qui leur revient aux changements d'attitudes qui s'annoncent sous des termes generiques comme «regression de l'acceptation des normes», «erosion de Ia prise de conscience du droit» ou «obeissance selective au droit». C'est dans une teile perspective que s'inscrit Ia necessite de faire de l'education au droit une partie integrante predominante de Ia formation politique (cf. proposition n° 73). SOUS

L'ecole joue un röle important dans ce processus d'initiation. Il conviendra de continuer a developper les curricula et materiaux pedagogiques scolaires de fa9on correspondante pour qu'elle puisse accomplir cette täche dans son integralite. A ce propos, il convient d'examiner tout particulierement aussi les livres d'ecole: les analyses des livres d'ecole dont l'on dispose permettent de

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penser que le theme de Ia force politique dans son ensemble ainsi que Ia question de Ia definition de Ia violence sont abordes de fa~on parfois problematique, mais aussi parfois insuffisante quand eile n'est pas totalement Iaissee de cöte. En outre, Ia formation et le perfectionnement professionnels des enseignants devraient beneficier d'une attention particuliere (cf. proposit~on n° 74). Ceci est d'autant plus vrai qu'une partie du corps enseignant- au meme titre que pour les ecoles superieures specialisees et les universites- fait preuve d'un manque effrayant d'orientation quand il ne s'exprime et ne se comporte pas meme de maniere destructrice a l'egard de Ia problematique du contröle a exercer par l'Etat sur Ia violence a motivation politique. Le Centre federal et les Centres regionaux de Formation politique pourraient soutenir les ecoles dans leur mission de formation politique (cf. proposition no 76). b) L'augmentation des offres de participation politique

11 est possible d'envisager un elargissement de Ia participation directe aussi bien au choix de Ia decision a prendre qu'a Ia prise de Ia decision elle-meme. C'est toutefois Ia premiere forme qui devra avoir Ia priorite si l'on veut eviter d'edulcorer Ia responsabilite politique du parlement dans le systeme de democratie representative de Ia Republique federale. Le monopole de decision en derniere instance et de responsabilite du parlement ne doit pas etre battu en breche. Mais le premier mode cite d'integration dans le processus de decision peut deja faciliter Ia Iiquidation rationnelle de conflits a laquelle l'on aspire et permettre d'exercer Ia capacite souhaitee d'accepter le compromis. De plus, il est deja de nature a resorber le caractere unilateral du radicalisme ideologique. 11 convient d'envisager de nouvelles offres de participation par principe, aussi bien a l'echelon federal qu'a l'echelon des Länder et des communes. Etant donne Je morcellement de Ia Republique federale, des considerations de praticabilite suggerent toutefois de favoriser !es possibilites de participation au sein de Ia commune. Des concepts recommandables a ce propos sont, par exemple, les concepts tels que !es « cellules de planification » (cf. proposition no 77), cellules qui eliminent Je problerne de l'autorecrutement par interet personnel. A l'echelon des Länder et de !'Etat federal, il convient de reflechir aux moyens d'elaborer un consensusexperimentalen amont de Ia legislation (cf. proposition n° 78): a ce propos, Ia democratie representative ne doit pas s'etioler en une « demoscopocratie». En outre, le champ d'application du plebiscite merite d'etre etendu. Dans Ia mouvance du mouvement ecologique, !es initiatives de citoyens se sont cristallisees en tant que nouveaux acteurs politiques collectifs, parallelement aux partis politiques. Dans l'interet de leur ancrage dans une formation canalisee de Ia volonte politique (cf. numeros en marge 280, 322), il convient donc de leur accorder, a elles aussi, de plus grandes possibilites de participation.

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Ceci est vrai aussi bien a l'echelon local, pour les differentes initiatives de citoyens JocaJes, qu'a l'echelon des Länder ou de J'Etat federaJ pour leurs federations et organisations centraJes (cf. proposition no 80). Etant donne Ja portee qu'a prise Je theme de la protection de J'environnement dans les discussions poJitiques, il sembJe, en outre, particulierement urgent de trouver un modus vivendi pour la Iiquidation des conflits ecologiques (cf. proposition no 81 ). En effet, au rythme meme ou les mouvements s'etablissent et ou leurs avis sont ecoutes meme sans demonstrations spectaculaires, il semble que la propension a la vioJence se circonscrive a des groupes marginaux isoles. S'il faut appliquer de nouvelles methodes dans le processus de formation de la volonte politique, il faut aussi essayerde rendre (de nouveau) acceptables a un plus grand degre qu'auparavant les possibilites existantes de participation. Une possibilite de resorber le degout des partis (cf. numeros en marge 280, 322), consiste a envisager une ouverture des structures des partis etablis. Ceci vaut en particulier pour le processus pratique de selection des candidats (cf. proposition no 83). En outre, les partis traditionnels doivent analyser intensivement les moyens, pour eux-memes et leurs Organisations de jeunes, d'interesser a nouveau les pans de la jeunesse «degoutes des partis» et de les inciter a leur fournir un concours actif (cf. proposition no 84). c) La promotion d'une culture de manifestations sans violence

De l'avis de la Commission gouvernementale, les mesures ci-apres sont de nature a promouvoir une culture de manifestations sans violence: aa) Vulgarisation et information de la part de la police Lors de manifestations imminentes, il convient de donner des informations concretes quant aux evenements prevus (propositions nü94 et n° 95). Cela implique des informations sur le comportement adequat a adopter, les genes incontournables, les mesures a prendre par la police en cas de recours manifeste a la violence et leur justification. De meme, les enquetes realisees dans d'autres secteurs nous ont appris que la cooperation des citoyens est optimale lorsque l'intervention de la police est justifiee par le problerne et est accompagnee d'explications donnees par la police ainsi que, comme mesure concomitante, par des personnes «impartiales» telles que les medias, des hommes politiques, des citoyens, etc. bb) La cooperation entre la police et les organisateurs Dans son jugement du 14 mai 1985 (ce que l'on appelle Ia decision de Brokdorf), la Cour constitutionnelle federale a deja mis en exergue l'importance de la cooperation entre la police et l'organisateur d'une manifestation. Le legislateur n'a, cependant, pas pu se decider a adopter une dispositionjuridique.

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L'article 14 a de la loi sur les reunions, prevu dans l'avant-projet de loi d'article du 26 aout 1988, n'a pas obtenu force de loi. Mais, compte tenu de la signification determinante que revet la cooperation, la Commission a approuve l'adoption d'une norme pour ce point. Le Iibelle de la reglementation proposee par elle (cf. proposition no 128) presente quelques modifications par rapport a l'avant-projet susmentionne de l'article 14 a de la loi sur les reunions. A ce propos, nous pouvons faire deux autres propositions: -

Un contact et une cooperation avec l'organisateur de Ia manifestation, tout comme, d'ailleurs, les participants ä Ia manifestation, ne devraient pas etre instaures seulement avant, mais aussi durant Ia manifestation (cf. ä ce sujet proposition n°92).

-

Par principe, il est egalement judicieux de. reexaminer a posteriori Ia manifestation (cf. ä ce sujet proposition no 93e). De telles discussions ulterieures figurent dejä dans Je texte de loi propose par Ia Commission (cf. proposition no 128).

cc) Le travail «interieur» de Ia police Une intensification des mesures susceptibles d'ameliorer la competence de Ia police en cas d'intervention est recommandee au sein de la police et tout particulierement sous I'angle des interventions lors de manifestations (mais aussi de maniere generale). Compte tenu du stress deja eleve auquel sont confrontes les agents de police et de Ia tension temporeUe et emotionneUe particuliere lors des interventions dans le cadre de manifestations, il serait judicieux de !es entrainer a surmonter le stress. D'un autre cöte, il convient de multiplier aussi les mesures de formation et de perfectionnement professionnels qui sont capables d'ameliorer Ia perception emphatique d'autrui et Ia communication. Celles-ci sont aptes a combattre les prejuges et a resorber les schemas de l'ennemi (cf. propositions numeros 87- 89, 96). dd) L'eloignement des auteurs d'actes de violence Un facteur qui contribue de fa~on determinante au deroulement pacifique d'une manifestation consiste a intercepter auparavant les personnes qui, selon !es connaissances de Ia police, sont classees comme « auteurs itinerants d'actes de violence », autrement dit qui ne veulent en aucun cas se reunir « paisiblement » au sens de l'article 8, alinea 1 de Ia Loi fondamentale. Voila bien un important champ d'activite pour les mesures preventives de la police. C'est pourquoi Ia mise en reuvre de mesures qui ont fait leurs preuves dans ce domaine - ainsi, par exemple, les contröles en amont- doit etre intensifiee (cf. proposition n° 99). Ces mesures ne doivent pas pour autant etre utilisees de fa~on abusive pour empecher une participation a Ia manifestation. Parmi les mesures preventives de la police, nous pouvons encore citer a titre particulier ce que l'on appelle la retention de prevention ou d'empechement. La mise en detention autorisee conformement au droit de la police en vigueur ne

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peut atteindre ces objectifs si les personnes iucarcerees sont liberees un moment premature leur permettaut neanmoins de participer ades actes de violence dans le contexte de Ia manifestatiou (pour Ia duree maximale de Ia detention preventive, cf. proposition n° 130). ee) Le contröle du comportement de Ia police Enfin, un contröle consequeut du comportement et de Ia fa~on de proceder de Ia police peut mener a uue meilleure acceptation des mesures prises par eile et, partant, rendre l'atmosphere de Ia manifestatiou d'autant plus pacifique. La perception et Ia mise en evidence des exces de Ia police sont devenues un theme tout specifique qui determine les conflits et il n'est pas rare qu'elles aient ete l'origine d'escalades, aussi existe-t-il un interet general, mais aussi tout particulier en ce qui concerne Ia police, ace que l'on n'empeche pas seulement les erreurs de comportement des agents, mais poursuive aussi avec esprit de suite les griefs formules, qui doivent alors etre eclaircis de maniere convaincante. La population doit savoir que les exces commis par certains certains agents de police seront energiquement poursuivis sur le plan disciplinaire et sur celui du droit penal. Lorsque, par contre, de tels griefs ne sont formules que pour paralyser le travail de la police, il convieut de poursuivre pour denonciation calomnieuse les personnes ayant porte plaiute.

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d) L'augmentation du risque d'echec pour l'auteur d'actes de violence

Le risque encouru par un auteur d'actes de violence d'etre condamne pour violence commise dans le .c outexte d'une manifestation est actuellernent eucore iuferieur ä un pour cent. Cela signifie, tout specialerneut dans ce secteur partiel de Ia violence a motivation politique qui est tres en vue dans l'opinion publique (cf. numero en marge 90), que la justice repressive ne fait pratiquernent preuve d'aucune efficacite. Dans d'autres dornaines de la violence a rnotivation politique, on coustate egalerneut de considerables deficits d'efficacite de Ia justice repressive. Ce risque tres reduit, pour l'auteur d'actes de violence a rnotivation politique, de subir une sanction en raison de son action est particulierement preoccupant, precisernent parce que (entre autres), comrne nous l'apprenueut les enseignemeuts de la psychologie, il y a tout lieu de craiudre que cela n'ait pour consequence uue inteusification des actes de violeuce, aussi bien sous I'angle de leur frequence que de leur intensite. Selon les enseignernents de la psychologie pedagogique, les actes de violence sont repetes des lors qu'ils font l'objet d'un renforeerneut positif (cf. uurnero en rnarge 197: «Apprendre par le succes»). Parmi ces souhaits un cornporterneut agressif figure l'absence de sauctions penales a priori previsibles. Pour eudiguer Ia criminalite pour faits de violence, un facteur determiuant cousiste donc (aussi) a accroitre le risque, pour l'auteur d'actes de violence, d'etre saisi, coudarnne et de faire l'objet d'une sanction en raison de son acte. C'est pourquoi il est propose ce qui suit:

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aa) L'ametioration du taux d'eclaircissement par la police et de la conservation des preuves ainsi que de l'arrestation d'auteurs d'actes de violence La police a longtemps accorde la priorite au contröle de la situation par des mesures prises pour parer aux dangers, en particulier lors de manifestations geantes. Ce n'est que ces dernü!res annees que les dirigeants de la police ont commence a accorder a l'arrestation des delinquarits et a la conservation des preuves l'attention particuliere qui leur revenait. L'intervention d'unites speciales pour les arrestations et la conservation des preuves, en particulier, s'est averee prometteuse de succes. Non seulement des membres de ces unites formes specialement parviennent a mettre la main sur les auteurs d'actes de violence avant que ceux-ci ne parviennent a disparaltre dans Ia massedes manifestants, mais, immediatement a l'issue de l'arrestation, ils prennent des mesures necessaires pour la conservation des preuves et documentent les evenements de teilemaniere que des moyens de preuve utilisables par le tribunal- ce qui etait souvent une lacune jusqu'a present - peuvent etre remisesau Parquet. Pour ces motifs, des unites de la police specialisees dans les arrestations et les conservations des preuves seront formees et interviendront a un rythme aceeiere (cf. proposition n097). bb) Plus grande efficacite de la procedure penale deIapart du Ministere public et des tribunaux Un accroissement des efforts de la part de la police n'est pas la seule condition pour que les auteurs d'actes de violence arretes fassent le plus vite possible l'objet, aupn!s d'un tribunal, d'un jugement ayant force de chose jugee. La fa~on de proceder du Ministere public et des tribunaux doit, eile aussi, etre ametioree (cf. les propositions no 102 et suivantes; 131 et suivants). cc) Plus grandes efficacite et praticabilite de l'instrument de droit penal Une autre possibilite permettant d'augmenter le risque d'echec pour l'auteur d'actes de violence consiste aamender le droit penal materiel. Toutefois, face aux problemes de criminalite, il convient de ne pas en appeler immediatement au legislateur. La Commission a juge de fa~on variable la question de la constitutionnalite, de Ia compatibilite dogmatique, de la praticabilite et de l'efficacite de l'interdiction de se masquer et de l'armement passif, tous deux passibles d'une peine. La Commission n'est pas parvenue a se mettre d'accord sur la question de savoir si ce caractere reprehensible, conformement au droit entre temps en vigueur, doit s'appliquer egalement au chemin menant a la manifestation. L'unanimite s'est cependant faite quant au manque de recherches empiriques qui pourraient servir de base a la prise de decisions pour le domaine regi par les

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articles 17a et 27, alinea 2 de Ia loi sur !es reunions, nouvelle version. Il est donc recommande de proceder a une observation scientifique pour savoir si et dans quelle mesure cette disposition fait ses preuves dans Ia pratique. Si cette recherche concornitante devait se solder par un resultat negatif, il conviendrait alors d'abolir le caractere reprehensible du port de masque ou de l'armement passif (cf. proposition n° 117). Dans cette hypothese, Ia Commission a toutefois prevu par prudence un amendement prenant en consideration le champ de tensions entre Ia liberte de manifestation et l'efficacite de Ia poursuite penale, de l'article 125, alinea 2 du StGB / Code penal (dans sa version de 1985). Une version pouvant entrer en ligne de compte serait le Iibelle de Ia proposition n° 117. e) Certitude juridique par Ia clarte juridique et l'egalite juridique

Outre les efforts incitant a penser que l'on eherehe a socialiser ou a rendre excusable l'usage de Ia violence a motivation politique (cf. proposition n° 137), une breche essentielle dans Ia conscience du droit reside dans l'inegalite de traitement de comportements comparables par les services publics. Si des mesures prisespar !'Etat sont ressenties comme arbitraires et injustifiees pour des raisons d'inconsistance, Ia conscience du droit chez les citoyens s'en trouve lesee (cf. numero en marge 85). Pour eviter de telles inconsistances prejudiciables lors de l'action de l'Etat, il est indispensable que le Iibelle des lois soit sans equivoque; Ia clarte juridique s'impose. La clarte juridique et (ce qui en resulte notamment aussi) l'egalite juridique presupposent une certitude juridique qui ne fasse pas seulement obstacle a une perte de legitirnite, mais puisse meme contribuer a instaurer une confiance correspondante. Ace propos, il convient d'evoquer trois points: Ia suite adonner sur le plan du droit penal aux blocages, le traitement des occupations de maisons et de terrains sur le plan du droit penal et les bases de droit penal pour les autorites de poursuite crirninelle (cf. sur ce demier point numeros en marge 389 et suivants). aa) Les blocages Au cours des dernieres annees, le blocage dans un but precis de rues, voies d'acces, etc. a ete un moyen de protestation politique frequemment utilise (cf. numero en marge 101). La suite donnee sur le plan politique et du droit penal aux blocages isoles a ete fort variable par Je passe. On a trop frequemment eu l'impression que le contexte politique different (sit-ins du mouvement pour Ja paix et du mouvement ecologique, d'une part, barrages de routes par des agriculteurs, des ouvriers de Ja siderurgie et des transporteurs, d'autre part) ont ete a l'origine d'une inegalite de traitement. Ceci a ineluctablement pour consequence de porter prejudice a Ia confiance rnise dans l'Etat de droit en general et dans Ia justice en particulier, ce qui contribue en dernier ressort a augmenter Ia propension a Ia violence.

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Outre les efforts generaux consentis pour y remedier (cf. proposition n° 120), des mesures concn!tes s'imposent egalement. La Commission considere ä une tres grande majorite comme indispensable le caractere actuellement reprehensible de blocages non seulement purement ä court terme et non seulement peu genants, c.-ä-d. de blocages non negligeables conformement ä l'article 240 StGBjcode penal. Dans l'interet de Ia clarte et de Ia comprehensibilite necessaires de Ia loi, eile propose de restreindre ä Ia violence physique Ia notion de violence au sens ou l'entend l'article 240 alinea 1 du StGBjcode penal (des amendements dans d'autres dispositions penales ne sont donc pas envisages). 11 faudra alors combler (cf. ä ce sujet proposition n° 118) Ia lacune de caractere reprehensible de l'element constitutif de l'infraction de contrainte qui serait creee si - ce qui ne semble pas absolument necessaire - on ne considere les blocages que comme une violence physique (cf. numero en marge 89). L'amendement de loi propose se justifie egalement SOUS un autre aspect: comme cela a ete explique (cf. numero en marge 311), l'une des täche incombant au legislateur consiste ä jouer un röle de pionnier dans Ia restriction necessaire de Ia notion de violence ä Ia violence physique. Une porte d'acces est, dans ce contexte, Ia notion de violence de l'article 240, alinea 1, StGBjcode penal. Mais c'est surtout Ia dite clause de caractere de reprehensible de l'article 240, alinea 2 du StGBjcode penal qui a ete ä l'origine d'une incertitude juridique considerable dans le cadre du jugement sur le plan du droit penal des actions de blocage. De meme, Ia nouvelle jurisprudence de la Courfederale de justice (en particulier le jugement du 5 mai 1988) n'a pas aboli l'incertitude regnant jusqu'ä present. La Commission propose donc une nouvelle redaction de l'article 240, alinea 2 du StGB j code penal (cf. ä ce sujet, en particulier, la proposition n° 119). bb) Occupations de maisons et de terrains En ce qui conceme les conflits dans le contexte d'occupations de maisons et de terrains, egalement, on constate une inconsistance des reactions de l'Etat: les personnes concemees ne pouvaient prevoir si elles devaient s'attendre ä des contrats d'utilisation ou ä une eviction et ä une poursuite penale. Des pourparlers menes avec une autorite (services du bätiment, etc.) ont ete contrecarres, par exemple ä Berlin, pardes mesures prisespar d'autres autorites (Services de I' Interieur, Ministere public), si bien que beaucoup de jeunes etaient convaincus d'avoir affaire ä un «arbitraire» de l'Etat et ä une «repression» contre les occupations de maisons. Ce comportement des autorites a rapidement contribue ä une escalade des conflits et de Ia violence (cf. numero en marge 285). Frequemment, aussi, Ia perspective d'etre tolere par l'Etat a aussi ete un motif «pour faire un essai». Des spheres temporairement exemptes de droit pour les squatters peuvent avoir pour consequence d'empecher ä courttermedes effets de solidarisation non souhaitables, mais, ä long terme, cette pacification pretendue au detriment de Ia legitimite de !'Etat revient tres eher et incite ä suivre cet exemple.

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Face aux occupations de maisons et de terrains, il ne peut donc y avoir, tout d'abord, qu'une issue: l'evacuation immediate (cf. proposition n082). Dans ce contexte, la coordination opportune, et non pas etablie avec peine a posteriori, entre !es services publies concernes est indispensable. Independamment de eela, il reste vrai que !es Iogements non occupes durant de longues periodes sont en contradiction avec l'esprit social inherent a Ia propriete. En ce qui concerne !es edifices appartenant aux pouvoirs publies ou contröles par ceux~ci, l'adrninistration doit faire pression pour que le plus grand nombre possible de contrats de location soient passes pour ces Iogements. f) Resorber les craintes face

a I'avenir

Parrni !es täches primordiales dans Je cadre des mesures prises pour endiguer Ia violence a motivation politique figure egalement Ia necessite de trouver des reponses constructives et generalerneut convaincantes sur le plan politique aux craintes collectives qui sont formulees de fayon particulic~rement vehementes en Republique federale et peuvent etre une source de motivation au desarroi, aux infractions au droit et ä Ia terreur. Cela implique, par exemple, Ia necessite d'ameliorer les perspectives d'avenir des jeunes generations qui, a Ia sortie de l'ecole ou ä Ia finde leur apprentissage, sont menacees d'etre au chornage (cf. numero en marge 286). Une condition deterrninante de Ia prevention de Ia violence ä l'avenir sera que l'on «n'oublie pas» cette problematique des lors que Ia situation de l'apprentissage recommence a s'ameliorer. De fayon generale, on peut dire qu'il est necessaire de creer des perspectives pour l'avenir. Cela sous-entend que, sur Je plan politique, econornique et social, soient reunies des conditions de vie qui constituent pour !es jeunes generations une offre d'integration attrayante, en particulier sous forme d'ameliorations dans Ia politique sociale, du marche du travail, economique et culturelle, mais aussi sous forme d'une politique durable pour preserver l'environnement et sauvegarder Ia paix. 2. La violence dans /es rues et sur /es places

La repression efficace du vandalisme cite en exemple pour ce champ de violence (cf. numero en marge 125) n'est pas un problerne d'instruments juridiques. Oe nouvelles bases d'habilitation specifiques au droit de Ia police ne semblent pas etre necessaires. Les normes de droit penal prennent suffisamment en consideration !es comportements incrimines et se sont aussi averees praticables sous cet angle. Ne serait-ce que pour cette raison - de meme que, d'aiJleurs, parce que, de fayOD generale, Ja poursuite penale ne peut etre que Ja reaction ultima ratio de !'Etat pour empecher ou endiguer la violence - Ia Comrnission a rnis l'accent, dans ses propositions, sur !es mesures de prevention (cf. aussi numero en marge 308).

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Resurne de l'expertise finale a) Renforcement du travail aupres de Ia jeunesse

L'assistance ambulante et, en partie, stationnaire pardes pedagogues sociaux et des assistants sociaux des groupes marginaux de jeunes particulierement menaces revet une signification particuliere dans les mesures preventives concretes correspondantes. Ceci est d'autant plus vrai que, dans les annees soixante-dix et quatre-vingt, l'education en maisons de correction- contestee sur le plan pedagogique - a ete supprimee. Elle doit etre remplacee par une assistance ambulante sur place, d'autant plus qu'une partie precisement des jeunes auxquels il est fait allusion ici a plus tendance a