Urologie 9783111411323, 9783111047621


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German Pages 152 [156] Year 1955

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden
Obere Harnwege
Krankheiten des Harnleiters
Krankheiten der Blase
Krankheiten der Prostata und der Samenblasen
Krankheiten des Hodens, Nebenhodens, Samenleiters
Krankheiten des Penis und der Harnröhre
Gynäkologische Urologie
Sachverzeichnis
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Urologie
 9783111411323, 9783111047621

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DER

KLINIKER

W . Paelzel / Urologie

DER EIN

SAMMELWERK

KLINIKER FÜR

STUDIERENDE

UND

ÄRZTE

Herausgegeben von Professor Dr. I. Zadek

UROLOGIE VON

DR. MED. W A L T E R

PAETZEL

FACHARZT FÜR HARN-, BLASEN-, N I E R E N L E I D E N CHEFARZT DER UROLOGISCHEN ABTEILUNG DES KRANKENHAUSES NEUKÖLLN

WA LT E R

DE

GRUYTER

& CO.

vormals G. J. Göschcn'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp. B E R L I N 1955

UROLOGIE VON

DR. MED. W A L T E R P A E T Z E L FACHARZT FÜR HARN-, BLASEN-, N I E R E N L E I D E N CHEFARZT DER UROLOGISCHEN ABTEILUNG DES KRANKENHAUSES NEUKÖLLN

Mit 63 Abbildungen

WA L T E R

DE

GRUYTER

& CO.

vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp.

B E R L I N 1955

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe, der Herstellung von Mikrofilmen und der Übersetzung, vorbehalten. Copyright 1955 b y W A L T E R D E G R U Y T E R & CO., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung . Georg R e i m e r • Karl J . Trübner . Veit & Comp. • Berlin W 35 Archiv-Nr. 515354/24 • Printed in Germany Satz und D r u c k : Oswald Schmidt K G , Leipzig 111/18/65

Vorwort I m Gegensatz zu vielen anderen Ländern ist in Deutschland Urologie kein selbständiges Prüfungsfach. E s werden zwar häufig im Staatsexamen von einigen Examinatoren urologische Fragen gestellt, aber bald wird das Thema wieder verlassen, weil die Antworten unbefriedigend ausfallen. Bei der Fülle des vom klinischen Studenten zu bewältigenden Stoffes hat der Student weder Zeit noch Interesse f ü r urologische Vorlesungen. Das Ziel seines Studiums ist ja zunächst einmal, das Staatsexamen mit seinen vielen „Stationen" zu bestehen u n d die Urologie gehört bisher nicht dazu. E s kommt hinzu, daß es in Deutschland an selbständigen urologischen Kliniken mangelt und daß selbst in großen Universitäten häufig nur eine kleine urologische Station als Anhängsel der chirurgischen Klinik vorhanden ist. So wird der junge Schüler Äskulaps vielleicht in der inneren Klinik etwas über Nephritis hören, in der chirurgischen Klinik auch gelegentlich eine Nephrektomie sehen, in der Kinderklinik ein Kind m i t fieberhafter Pyelitis vorgestellt bekommen u n d in der Dermatologie etwas von der Prostatitis bei Gonorrhoe erfahren; einen wirklichen Überblick über das Gebiet der Urologie aber vermittelt ihm niemand und erst in der Praxis bemerkt er mit Staunen, daß die Erkrankungen des Harnsystems einen sehr erheblichen Prozentsatz ausmachen. Gesamtstatistiken an Krankenhäusern haben ergeben, daß 12—14°/o aller stationären Fälle urologische Krankheiten betrafen, nur waren die K r a n k e n über die verschiedenen Abteilungen (Innere, Chirurgie, Kinder, Gynäkologie, Dermatologie) verstreut, wo sie nach den dort vorhandenen Möglichkeiten behandelt wurden. Die mangelhafte Ausbildung der jungen Ärzte bezüglich urologischer Krankheiten, Untersuchungsmethoden und Technik ist der Grund dafür, d a ß der Praktiker so oft bei Harnverhaltungen der Männer mit dem K a t h e t e r nicht „reinkommt", daß in Krankenhäusern der Katheterismus häufig einem älteren Pfleger überlassen wird und bei dessen Scheitern eine Blasenpunktion vorgenommen oder gar die überfüllte Blase als Tumor angesprochen und mit einer Laparotomie angegangen wird. Die folgenden Abhandlungen sollen kein Lehrbuch der Urologie darstellen, aber dem Praktiker und klinischen Studenten einen kleinen Überblick über das Gebiet der Urologie, die urologische Denk- u n d Betrachtungsweise, Untersuchungsmethoden und Technik vermitteln und viele veraltete Anschauungen über Schmerzhaftigkeit, Schwierigkeit u n d Gefährlichkeit urologischer Untersuchungen u n d Operationen beseitigen helfen. Dabei ist besonderer Wert darauf gelegt, die urologische Diagnostik herauszustellen, die dem Praktiker ohne kostspielige und schwer zu handhabende Instrumente zugänglich ist.

VI

Vorwart

Die gesonderte Darstellung einzelner Abschnitte der Harnwege ist gewählt worden, um dem Praktiker ein schnelles Auffinden der ihn gerade interessierenden Krankheit zu ermöglichen. Es muß aber darauf hingewiesen werden, daß eine solche Informierung häufig nicht genügt, denn die meisten urologischen Krankheiten sind sog. Systemerkrankungen, die sich zwar anfänglich oder vorwiegend an einer bestimmten Stelle des sehr langen Harnwegs entwickeln, aber auch an anderen Punkten oder gar dem ganzen Harnsystem pathologische Veränderungen hervorrufen. Das gilt nicht nur für die Tuberkulose, sondern auch für zahlreiche andere Krankheiten. So wird eine Abflußbehinderung der Blase (z.B. bei Prostatahypertrophie) fast stets auch Veränderungen an den oberen Harnwegen nach sich ziehen. Wenn auch bei den einzelnen Kapiteln immer wieder hierauf hingewiesen wird, muß sich doch der Leser dieses Büchleins bewußt sein, daß bei jeder urologischen Krankheit das gesamte Harnsystem zu untersuchen ist, ja daß oft sogar die sekundären Veränderungen an anderen Teilen des Harnsystems vordringlicher zu behandeln sind als die primäre Krankheit selbst. Nur wer mit dieser Einstellung das Buch zur Hand nimmt, wird den Nutzen davon haben, den ihm der Verfasser wünscht. Äußere Umstände haben den Druck verzögert, so daß unbedeutende Neuerungen der letzten Zeit nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Berlin, Oktober 1954 WALTER

PAETZEL

Inhalt Vorwort

V

Inhalt

VII

Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden Vorbemerkungen Krankenuntersuchung Anamnese Schmerz Miktionshäufigkeit Veränderungen des Harnstrahls Veränderungen des Urins Inspektion Palpation Perkussion und Auskultation Harnuntersuchung Ins trumenteile Untersuchung Endoskopie Röntgenuntersuchung Nierenfunktionsprüfungen Wasserversuch

1 1 2 2 2 3 4 4 5 7 10 11 15 18 24 29 30

Obere Harnwege Anatomie und Physiologie Urämie Doppelseitige hämatogene Nierenkrankheiten Chirurgische Nierenkrankheiten Mißbildungen und Dystophien Eitrige Entzündungen der Niere und der Nierenhüllen Niereninfarkt, Nierenembolie und Nierenthrombose Nierentumoren Nierenverletzungen Nierentuberkulose Nierensteine Hydronephrose Pyelytis, Pyelonephritis, Pyonephrose Essentielle Hämaturie

33 33 36 40 47 47 54 56 57 61 62 66 72 76 79

.

Krankheiten des Harnleiters

80

Krankheiten der Blase Allgemeine Bemerkungen Enuresis nocturna

86 86 87

VIII

Inhalt

Mißbildungen der Blase Entzündungen der Blase Metaplasien der Blasenschleimhaut Geschwüre der Blase Blasentuberkulose Blasenhernien Tumoren der Blase Blasensteine Fremdkörper Verletzungen der Blase

89 92 96 98 100 102 103 106 110 111

Krankheiten der Prostata und der Samenblasen Anatomische und physiologische Vorbemerkungen Prostatitis Prostatahypertrophie Blasenhalsstarre Prostatakarzinom Prostatasteine Prostatatuberkulose Verletzungen der Prostata Krankheiten der Samenblasen

112 112 113 116 121 122 125 126 127 127

Krankheiten des Hodens, Nebenhodens, Samenleiters

130

Krankheiten des Penis und der Harnröhre

134

Gynäkologische Urologie

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Sachverzeichnis

142

Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden Vorbemerkungen Die urologische Denk- und Betrachtungsweise unterscheidet sich wesentlich von der internistischen. Die Innere Medizin betrachtet die Nieren als ein Organ, das zwar paarig angelegt ist, aber eine gemeinsame Funktion ausübt und daher im Erkrankungsfalle die gleichen Veränderungen zeigt. Das trifft aber nur für die sog. hämatogenen Nierenkrankheiten zu; die meisten Nierenleiden sind aber einseitige Erkrankungen oder der Grad der Erkrankung ist in einer Niere erheblich größer als in der anderen. Der Internist betrachtet den Harn als Endprodukt des Stoffwechsels, läßt von dieser „Ausscheidung" eine gewisse Menge sammeln, schickt sie ins Labor zur Untersuchung, die meist von med.-techn. Assistentinnen ausgeführt wird, und zieht aus dem Labor-Bericht seine diagnostischen Schlüsse. Dadurch entstehen bei urologischen Krankheiten Fehlurteile, von denen nur die häufigsten erwähnt werden sollen. Bei normalem Urinbefund werden „die Nieren" als gesund angesehen oder gar dem Patienten gegenüber als gesund bezeichnet. Ein solcher „negativer Harnbefund" kann aber auch vorliegen, wenn eine Niere so schwer erkrankt ist, daß sie ihre Funktion völlig eingestellt hat; der untersuchte Harn stammte eben nur von der gesunden Niere. Eine positive Eiweißreaktion im Harn wird meist als „Nierenleiden" gedeutet. Bei den gebräuchlichen Eiweißproben werden aber auch Erythrozyten aufgelöst und geben so eine Eiweißtrübung; auch exsudative Prozesse der ableitenden Harnwege verursachen einen Eiweißniederschlag. Eine Albuminurie findet man daher nicht nur bei Nierenkrankheiten, sondern auch bei Blasenpapillomen, Blasengeschwüren usw.

Die urologische Diagnostik ist, ähnlich wie die neurologische, vorwiegend eine topische Diagnostik. Zunächst handelt es sich stets darum, den Ort der Erkrankung festzustellen, erst in zweiter Linie die Art des Leidens. Die Länge der Harnwege und die Paarigkeit der oberen Harnorgane lassen die verschiedensten Möglichkeiten des Sitzes der Krankheit zu. Die Urinuntersuchung allein vermag niemals über den S i t z der Erkrankung Aufschluß zu geben, da alle im Harn nachweisbaren pathologischen Bestandteile von jedem Punkt des langen Harnweges stammen können. Eine Ausnahme machen nur die Zylinder, die nur in der Niere gebildet werden können. Eine Hämaturie aber darf niemals ohne zystoskopische Sicherung als „Nierenbluten" oder gar als „hämorrhagische Nephritis" angesehen werden. Der Urologe hat weiterhin in Betracht zu ziehen, daß die Harnwege Aufbewahrungs- und Austreibungsorgane darstellen und daß also Erkrankungen nicht nur durch morphologische Veränderungen, sondern auch durch Störung der D y n a m i k dieser Organe hervorgerufen werden können. Daher interessiert den Urologen nicht nur der Harn als Stoffwechselprodukt, sondern auch die Art und Weise der Ausscheidung resp. des Transports von seiner Bildungsstätte bis zur Entleerung. Über die U r s a c h e urologischer Krankheiten bestehen vielfach noch überholte Anschauungen. Von den Laien, aber auch von vielen Ärzten wird vorwiegend die „Erkältung" als fast einzige Krankheitsursache beschuldigt. Daß man sich die Nieren leichter „erkälten" kann als andere Organe, die nicht so tief im Innern des Körpers 1 Faetzel, Urologie

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Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden

liegen und keine eigene Fettkapsel besitzen, ist nicht einzusehen. Es hat sich ja auch noch niemand das Herz oder die Milz, die Leber, die Bauchspeicheldrüse usw. „erkältet". Ganz gedankenlos aber ist es, ein kaltes Getränk als Ursache einer urologischen Erkrankung anzusehen, da ja der Harn nicht aus Getränken, sondern aus dem Blut gebildet wird und die Getränke nur in den Yerdauungstraktus, aber nicht in den Harntrakt gelangen. Dagegen sind Veränderungen anderer benachbarter oder auch weit entfernter Organe häufig die Ursache urologischer Krankheiten. Besonders Darmleiden (Obstipation), Lageveränderungen und Entzündungen der weiblichen Genitalien, aber auch chronisch-eitrige Entzündungen der Zähne, Mandeln, Nebenhöhlen können Krankheiten der Harnorgane hervorrufen. Das Fahnden nach derartigen Herden ( F o k u s ) gehört daher zu jeder urologischen Untersuchung. Auch an das Vorhandensein von M i ß b i l d u n g e n muß der urologische Untersucher stets denken. Kein Organsystem weist soviel Mißbildungen auf wie der Harntrakt ; viele Mißbildungen machen erst in späteren Jahren, zuweilen erst im höheren Lebensalter Erscheinungen, deren Grundlagen häufig nicht erkannt werden, weil an eine Mißbildung nicht gedacht wird oder die Vorstellung besteht, daß eine angeborene Organveränderung schon früher Erscheinungen machen müßte (vgl. z. B. Zystennieren S. 50). Krankenuntersuchung Anamnese Die Untersuchung urologisch Kranker beginnt wie in allen Disziplinen mit der Erhebung der Anamnese. Der Kranke kommt zwar meist der Aufforderung des Arztes, seine Krankheitserscheinungen zu schildern, mit einem umfangreichen „Wortschwall" nach, verliert sich aber gewöhnlich in Schilderungen oder Erklärungen, die für den Arzt bedeutungslos sind. Besonders gern verbreiten sich die Kranken über die vermeintliche Ursache ihres Leidens, wobei Erkältungen, Traumen, Arbeitsüberlastung oder die Art der beruflichen Tätigkeit sowie eindrucksvolle persönliche Erlebnisse wie Kriegsdienst, Gefangenschaft, aber auch unangenehme Ereignisse des täglichen Lebens eine große Rolle spielen. Andererseits werden wichtige Angaben unterlassen oder vergessen; eine planvolle Lenkung der Vorgeschichte ist daher unerläßlich. Die Exploration der F a m i l i e n - A n a m n e s e n entspricht der auch von den anderen Disziplinen geübten, bei der P e r s ö n l i c h k e i t s - A n a m n e s e sind auch weit zurückliegende Erkrankungen wie Infektionskrankheiten des Kindesalters, besonders Scharlach und Anginen, Lungen- oder andere Organtuberkulosen, aber auch Bettnässen, sowie anscheinend schnell vorübergegangene Krankheiten der Harnorgane wie Blasenkatarrhe, Hämaturien, Koliken und Geschlechtskrankheiten von Bedeutung. Bei Frauen sind Angaben über den Ovarialzyklus, Unterleibskrankheiten, Entbindungen, Dammriß, bei Männern auch über Störungen des Geschlechtslebens zu erlangen. Schmerz

Die Schilderung über Beginn, Sitz, Dauer und Intensität der Schmerzen wird vom Pa tienten gewöhnlich spontan in ausreichendem Maße gegeben. Eine echte Nierenkolik liegt nur vor, wenn der Schmerz vorwiegend in e i n e r Seite vorhanden war, plötzlich entstand, von der Lumbaigegend in den Harnleiterverlauf ausstrahlte und peritoneale Reizerscheinungen wie Übelkeit, Brechreiz oder richtiges Erbrechen hervorrief. Nierenkoliken sind Dehnungsschmerzen des Nierenbeckens oder einzelner Abschnitte

Krankenuntersuchung

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der Nierenhohlräume (vgl. „kleine" Hydronephrose S. 75), sie sind Ausdruck einer Abflußbehinderung in den oberen Harnwegen und kommen daher nicht nur bei Steinen, sondern auch bei Spasmen der Kelchhälse, bei Ventilhydronephrosen, Ureterstrikturen, Abknickungen des Ureters durch überzählige oder aberrierende Gefäße, entzündliche Strangbildungen, Verlegung des Ureterlumens durch Blut- oder Eitergerinnsel, Kompression durch Tumoren usw. vor, also bei jeder Verstopfung der oberen Harnwege. Der so häufig in der Literatur erwähnte „ k o n t r a l a t e r a l e N i e r e n s c h m e r z " ist aber äußerst selten. Schmerzen, die nur bei Bewegungen (z. B. beim Bücken) auftreten, rühren meist nicht von den Nieren her (Ausnahme: bewegliche Steine). Dumpfe Schmerzen im Rücken, die häufig von chronischen Nephritikern angegeben werden, sind wohl auch nicht als echte Nierenschmerzen, sondern als Ermüdungsschmerzen der langen Rückenmuskulatur infolge Eiweißmangels (Hypoproteinämie) zu deuten. Es sei an dieser Stelle auch gleich bemerkt, daß zahlreiche Nierenkrankheiten ernster Art ohne jeden Nierenschmerz verlaufen (z. B. die Nierentuberkulose) und andererseits Schmerzen in der Gegend anderer Organe empfunden werden, so daß an das Vorhandensein eines Nierenleidens kaum gedacht wird. So habe ich zahlreiche Patienten gesehen, die niemals einen Schmerz in der Nierengegend, aber häufig in der Magengrube verspürt haben und jahrelang als Magenkranke (Gastritis oder „nervöses Magenleiden" wurde diagnostiziert) behandelt und bei denen schließlich Nierensteine festgestellt wurden, nach deren Beseitigung die „Magenschmerzen" schlagartig verschwanden. Auch die dystopen Nieren (z. B. Hufeisennieren, Beckennieren) machen verständlicherweise Schmerzen, die nicht in der normalen Nierenregion, sondern im Leib oder gar im kleinen Becken lokalisiert werden.

Miktionsschmerzen können vom Kranken meist zeitlich differenziert beschrieben werden. Der i n i t i a l e H a r n s c h m e r z , d . h . der Schmerz am Beginn der Miktion deutet auf eine Erkrankung der Urethra, der k u r r e n t e Schmerz während der Miktion auf eine Erkrankung der Blase selbst und der t e r m i n a l e Schmerz auf den Sitz der Krankheit in der Nähe des Orificium internum urethrae hin (z. B. bei Zystitis colli, Prostatitis, Spermatozystitis). Auch an den unteren Harnwegen wird der Schmerz zuweilen nicht am Orte der Auslösung, also am Sitz der Krankheit, sondern in einer anderen Gegend empfunden, da ja bekanntlich der Nerv den Schmerz in seine Endausbreitung leitet. So verursachen Blasensteine nicht nur bei der Miktion, sondern auch bei Erschütterungen, z. B. Treppenherabsteigen, Schmerzen in der Glans penis, so daß die Patienten annehmen, daß an dieser Stelle „etwas kaputt sein müßte" und die Notwendigkeit einer Blasenspiegelung nicht einsehen, da sie ja in der Blasengegend keine Schmerzen haben. Der Harnschmerz wird gewöhnlich als heiß, brennend, stechend oder schneidend („schneidendes Wasser ist ein beliebter Ausdruck") charakterisiert. Es sei daran erinnert, daß ein leichtes Brennen beim Urinieren auch bei ganz Gesunden bei hoher Harnkonzentration (also nach starkem Schwitzen) sowie bei alimentärer Phosphaturie resp. Karbonaturie (also bei vegetabiler Kost) auftreten kann, hervorgerufen durch die bekannten Harnkristalle, die bei der Miktion mit großer Geschwindigkeit an der empfindlichen Harnröhrenschleimhaut entlanggeschleudert werden. Miktionshäufigkeit Die normale Miktionshäufigkeit beträgt bei Gesunden bei normaler Flüssigkeitszufuhr (je Tag etwa 1500 cm3) 5—6 Entleerungen am Tage; nachts schläft ein Gesunder bei 8stündiger Nachtruhe durch. Die Miktionshäufigkeit (MH) erfordert bei der Anamnese besondere Beachtung, da sie oft vom Patienten nicht hinreichend oder gar falsch l*

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Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden

geschildert wird. Dabei ist auffallend, daß selbst intelligente oder gebildete Kranke sich falscher Ausdrucksweise bedienen, so daß Mißverständnisse entstehen können. Mit den Worten:, ,Ich kann seit zwei Tagen nur so wenig Urin lassen'' wollen manche Kranken nicht eine Oligurie schildern, sondern zystitische Erscheinungen zum Ausdruck bringen. Nicht die Steigerung der Miktionshäufigkeit ist ihnen aufgefallen, sondern die geringe Menge der Einzelportionen. Daß bei häufigem Harndrang nicht jedesmal eine ebenso große Menge wie bei normaler Miktionshäufigkeit entleert werden kann, überschreitet zuweilen das Verständnis der Kranken, besonders dann, wenn gleichzeitig auch ein heftiger Miktionsschmerz vorhanden ist. Der Kranke hat dann das Gefühl, daß der Harn „scharf" ist, und glaubt, daß eine größere Urinmenge ihm Erleichterung verschaffen würde. Sehr verbreitet ist auch die Verwechslung von „viel" und „oft", was ebenfalls zu Mißverständnissen Anlaß geben kann. Mit den Worten „Ich muß so viel Urin lassen", wird von manchen Patienten nicht eine große Urinmenge, sondern eine abnorm hohe Miktionshäufigkeit gemeint.

Für Aufzeichnungen in Krankengeschichten empfehle ich, die Miktionshäuflgkeiten mit MH zu bezeichnen und Tag und Nacht zu trennen, z. B. MH = 4—5 + 6 - 8 oder MH = stdl. + 0 - 1 wobei dieZahlen vor dem Pluszeichen denTag und hinter dem Pluszeichen die Nacht betreffen. Gesteigerte Miktionshäufigkeit vorwiegend am Tage spricht für zystitische Veränderungen oder Fremdkörper (Steine), häufige nächtliche Miktion für Prostatahypertrophie, häufige Miktion tags und nachts spricht für Niereninsuffizienz (z. B. bei pyelonephritischer Schrumpfniere), wenn die einzelnen Harnportionen groß sind, oder für Schrumpf blase oder überdehnte Blase (z. B. bei Prostatahypertrophie), wenn die Einzelportionen klein sind. Natürlich gibt es auch physiologische Veränderungen der Miktionshäufigkeit, z. B. bei alimentärer Polyurie infolge zu großer Flüssigkeitsaufnahme oder bei kohlehydratreicher Ernährung, wie in den Kriegs- und Nachkriegsjahren. V e r ä n d e r u n g e n des H a r n s t r a h l s

Man frage auch stets nach Veränderungen des Harnstrahls, besonders, wenn es sich um Männer handelt. Normalerweise wird der Harn im Kaliber eines dünnen Bleistiftes im Bogen entleert. Wird er als feiner Strahl geschildert, so spricht das für eine Striktur der hinteren Harnröhre, weicht er von der Harnröhrenrichtung ab, muß an eine Verengerung in der vorderen Harnröhre gedacht werden; fällt er kraftlos herab, so ist eine Prostatahypertrophie wahrscheinlich. Bei dieser Krankheit wird oft vom Patienten angegeben, daß er trotz bestehenden Harndrangs eine Zeitlang warten muß, bis der Harnstrahl „anläuft". Plötzliches Unterbrechen des Harnstrahls ist auf Einklemmen eines Steines oder Tumors verdächtig. Da auch bei Frauen Harnröhrenstrikturen, Steine, Tumoren und Fremdkörper vorkommen, ist die Exploration bez. Veränderungen des Harnstrahls stets bei beiden Geschlechtern vorzunehmen; es sei schon an dieser Stelle vermerkt, daß bei Männern die Miktion stets vom Arzt beobachtet werden soll. Es gibt allerdings „nervöse" resp. befangene Männer, die nicht in Gegenwart eines anderen urinieren können. V e r ä n d e r u n g e n des U r i n s

Nach auch vom Laien leicht erkennbaren Veränderungen des Urins bezüglich der Farbe, der Durchsichtigkeit sowie der Urinmenge ist stets zu forschen. Eine vom Patienten beobachtete Trübung des Harns braucht nicht immer pathologisch zu sein (vgl. Harnuntersuchung S. 11). Beim Stehenlassen des Urins im Nachtgeschirr kön-

Inspektion

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nen sich auch beim Gesunden Niederschläge absetzen, die einen Krankheitsverdacht aufkommen lassen. Aber die Erscheinungen sind bei manchen urologischen Krankheiten schnell vorübergehend (sog. passagere Harnveränderungen); trotzdem muß eine vom Kranken beobachtete Hämaturie stets eine sehr eingehende Untersuchung des gesamten Harnsystems veranlassen. Andererseits sind Irrtümer der Patienten in bezug auf die Beschaffenheit des Urins aufzuklären. Eine geringe Harnmenge von hoher Konzentration infolge reichlicher Zufuhr fester Nahrung und starkem Schwitzen erscheint manchem ängstlichen Laien verdächtig; andere glauben wiederum, daß eine übergroße Urinmenge ein Zeichen von „besonders guten Nieren" sei; viele wissen nicht, daß achtlos genommene Medikamente (pyramidonhaltige Kopfschmerz-Tabletten, phenolphthaleinhaltige Abführmittel, Pyridin, Prontosil usw.) zu Farbänderungen des Harns führen. Wenig bekannt ist auch, daß nach reichlichem Genuß von Mohrrüben und roten Rüben rötliche Farbstoffe (Karotin) im Harn auftreten können. Andererseits erklären sich manche Kranke eine Hämaturie aus dem Trinken von Rotwein oder roten Fruchtsäften. Es ist nicht nur zweckmäßig, solche Irrtümer der Kranken sofort richtigzustellen, sondern auch bei glaubhaften Angaben über eine stattgehabte Hämaturie weitere Explorationen über Art, Umfang und Dauer der Hämaturie anzustellen. Ist die Hämaturie mit Schmerzen verbunden, so lenkt uns schon der Sitz des Schmerzes auf das erkrankte Organ, Z.B.Nierenkoliken mit gleichzeitiger Hämaturie, zystitische Beschwerden mit später einsetzender Hämaturie. Es ist aber gut zu wissen, daß eine s t a r k e renale Hämaturie meist mit einem dumpfen Schmerz in der betreffenden Lendengegend verbunden ist (weil sie zur prallen Füllung oder gar zur Verstopfung des Nierenbeckens führt), während Blasentumoren (besonders die gutartigen) meist absolut schmerzlose Hämaturien hervorrufen. Bei Blasenpapillomen ist eine plötzlich einsetzende schmerzlose Hämaturie gewöhnlich das erste Symptom, das den Kranken zum Arzt führt, während bei malignen Blasentumoren eine mäßige ohne Schmerzen einhergehende Steigerung der Miktionshäuflgkeit der ersten Hämaturie voranzugehen pflegt. S c h m e r z l o s e H ä m a t u r i e n , die kommen und gehen, sind stets auf einen T u m o r v e r d ä c h t i g . Leider erlebt man es immer wieder, daß Patienten mit solchen Hämaturien unter der Vermutungsdiagnose „Herdnephritis" mit Verordnung von „Nierendiät" ins Bett gesteckt werden, anstatt sie sofort dem Urologen zuzuführen. Die Schilderung der Herdnephritis (Hämaturie ohne Ödem und ohne Blutdrucksteigerung) in den Lehrbüchern der Inneren Medizin trägt viel an diesem Fehler schuld. Die genaue Befragung über Art, Intensität, Dauer der Blutung sowie der anderen in den vorhergehenden Abschnitten geschilderten Symptome hat größte diagnostische Bedeutung. Nur daraus ist erklärlich, daß alte Meister der Urologie, wie GUYON und THOMPSON, ohne Zystoskop und Röntgengerät fast ebenso sichere Diagnosen über Größe, Sitz und Malignität der Tumoren stellen konnten wie der moderne Endoskopiker. Es kommt immer wieder einmal vor, daß uns eine lebenbedrohende verschleppte Hämaturie vorgestellt wird, bei der auch unsere modernen Instrumente versagen oder aus äußeren Gründen nicht angewendet werden können; dann kann das Wissen und der Erfahrungsschatz der alten Meister zuweilen noch den richtigen Weg weisen.

Inspektion Die urologische Inspektion umfaßt natürlich in erster Linie die Bauch- und Lendenregionen sowie die äußeren Genitalien; es ist aber zweckmäßig, stets einen Blick auf die Gesamtwirbelsäule und die unteren Extremitäten zu werfen. Kranke mit

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Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden

Rückenschmerzen suchen zuweilen zuerst den Urologen auf, weil sie eine Nierenkrankheit befürchten. Schildern sie keinen typischen Nierenschmerz, so kann schon bei der Inspektion eine Wirbelverkrümmung oder andere statische Veränderung (z. B. Plattfüße) den Verdacht auf eine nicht-urologische Erkrankung erwecken. Vv. hepaticae

Aa. phrenicae int.

V. cava ini. Oesophagus

Gland, suprarcnalis dextra

Gland, suprarcnalis

A. mesenter. sup.

A. lit: nul is A. coeliaca

A. et V . renalis dextra

V. renalis sin. Capsula adip. renis

A. mesent. inf. Fett pfropf der Caps.adiposa

Vena «permal. inl.

Ureter sin. A . et V. iliaca comm.

Vena sperma!, int.

M. psoas

A. iliaca int. n n d Ureter

Abb. ]. (Aus Corning, 1913, S.463)

Große Nierentumoren und paranephritische Abszesse, die sich bei alten Steinnieren ohne wesentliche Schmerzen allmählich entwickeln können, werden bei aufmerksamer Inspektion, besonders, wenn man den Patienten im Stehen tief ein- und ausatmen läßt, leicht erkannt. Auch eine überfüllte Blase tritt meist deutlich hervor. Phimose, Epi- und Hypospadie, Kryptorchismus, Hydro- und Varikozele werden mit einem Blick erkennbar, ebenso der von manchen Patienten verschwiegene (und dann meist gonorrhoische!) Ausfluß.

Palpation

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Eine linksseitige Varikozele muß uns stets veranlassen, besonders sorgfältig nach einem Tumor der linken Niere zu fahnden, da die linke Vena spermatica interna bekanntlich nicht wie die rechte in die Vena cava, sondern in die Vena renalis mündet und bei linksseitigem Nierentumor frühzeitig gestaut ist (Abb. 1).

Auch bei Frauen ist die Inspektion der äußeren Genitalien und der Urethra zur Erkennung von Ausfluß, Urethralpolypen, paraurethralen Gängen, Urethrozele usw. erforderlich, sie wird allerdings zweckmäßig erst bei der gynäkologischen Untersuchung resp. dem Katheterismus (s. S. 11) vorgenommen. Die Inspektion der Zähne und Mandeln gehört ebenfalls zu einer gewissenhaften urologischen Untersuchung, da hier oft der Fokus für sonst schwer zu beeinflussende chronische oder häufig rezidivierende Krankheiten der Harnorgane gefunden wird (vgl. S. 41, 77). Palpation Die bimanuelle Palpation der Nieren wird von den beiden Seiten des flach liegenden Patienten aus und auch im Stehen vorgenommen. Bei der Palpation der rechten Niere faßt die linke Hand des Untersuchers flach in die Lendengegend, so daß die Fingerspitzen des 2. und 3. Fingers in das Spatium renale hineindrücken, während die rechte Hand flach von vorn die Niere dicht unter dem Rippenbogen zu tasten trachtet. Bei langsamer aber tiefer Atmung nähern sich die Hände des Arztes in der Exspirationsphase so weit, daß bei nicht zu fetten und nicht spannenden Patienten der rechte untere Nierenpol fast stets deutlich fühlbar ist. Man wiederhole die Palpation stets mehrere Male sowohl in Rücken- wie in linker Seitenlage und auch im Stehen. Das Tasten des unteren Nierenpols, das mit einem leichten Schmerz verbunden sein kann, ist r e c h t s physiologisch, links aber stets als pathologisch anzusehen. Eine Ren mobilis ist auf diese Weise einwandfrei von anderen Organen zu unterscheiden, sie läßt sich dabei deutlich in das eigentliche Nierenlager hineindrücken. Bei der Palpation der linken Niere liegt die rechte Hand des links stehenden Untersuchers im Rücken, während die linke Hand die Tastung von vorn durchführt. Auch hier ist die Untersuchung mehrmals in Rückenlage, in rechter Seitenlage und im Stehen durchzuführen. Bei jeder Nierenpalpation ist auch durch stoßweises Eindrücken der im Rücken liegenden Finger in das Spatium renale das sog., ,ballotement rénale" zu versuchen, das beim entzündlich veränderten Organ einen deutlichen Schmerz verursacht. Die Frage, ob ein in der rechten oder linken Regio hypochondriaca tastbarer Tumor der Niere oder einem anderen Organ (Leber, Milz, Colon) angehört, ist oft durch die Palpation allein nicht zu entscheiden; jedoch trifft der geübte Untersucher meist die richtige Entscheidung, wenn er folgendes beachtet : Im linken Hypochondrium kommen differentialdiagnostisch außer Nierentumoren noch solche der Milz, der Flexura lienalis des Colons und des Pankreasschwanzes in Betracht. Pankreas- und Colon tumoren liegen meist dicht unter der Bauchwand, und zwar beide etwas medialer als der Niere entspricht. Die PankreasTumoren sind gewöhnlich rundlich (Zysten) und entwickeln sich sehr langsam, so daß ihr Wachstum vom Patienten zuweilen über Jahre hindurch beobachtet wird. Colontumoren haben häufig eine spindelförmige Gestalt; bei beiden fühlt sich das Spatium renale bei der oben beschriebenen bimanuellen Palpation „leer" an, während die Nierentumoren es auszufüllen pflegen. Kleine Milztumoren liegen lateraler als Nierentumoren, ausgedehnte Milzvergrößerungen können aber auch das Spatium renale füllen.

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Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden

Im rechten Hypochondrium kommen außer Nierentumoren Colontumoren, Gallenblasen- und Lebervergrößerungen in Betracht. Für die Colontumoren der Flexura hepatica gilt ebenfalls das bezüglich des linken Hypochondriums Gesagte. Eine umschriebene Lebervergrößerung in der Gegend der rechten Niere ist außerordentlich selten, diffuse Lebervergrößerungen lassen sich durch ihre Ausdehnung bis zur Mittellinie oder darüber leicht erkennen. Die stark vergrößerte Gallenblase läßt ebenfalls das Spatium renale leer, so daß auch in der rechten Seite rein palpatorisch das betroffene Organ bestimmt werden kann. Es sei noch daran erinnert, daß Nierentumoren erheblich häufiger sind als Tumoren anderer Organe, und bei Kindern kann man praktisch jeden Tumor der rechten Oberbauchgegend mit Sicherheit als Nierenvergrößerung ansprechen. Daß durch Röntgenuntersuchungen und Labor-Untersuchungen (Blutbild, Diastase, Takata-Ara usw.) eine weitere Klärung differentialdiagnostisch schwieriger Palpationsbefunde herbeigeführt werden muß, ist selbstverständlich. Man muß bei der Palpation des Abdomens auch stets an M i ß b i l d u n g e n und d y s t o p e N i e r e n denken. Z y s t e n n i e r e n höheren Grades sind stets als doppelseitig vergrößerte Organe tastbar, auch die meisten H u f e i s e n n i e r e n sind einer gefühlvollen Hand zugänglich. Die quer im Oberbauch verlaufende Resistenz kann höchstens mit einem Magen- oder Pankreastumor verwechselt werden. B e c k e n n i e r e n haben keine Nierenform, sondern sind runde, etwas abgeflachte Gebilde, die zuweilen tastbar sind, aber wegen ihrer ungewöhnlichen Gestalt und ihrer abnormen Lage meist nicht als Nieren erkannt werden. Bei großen H y d r o n e p h r o s e n läßt sich zuweilen durch die Palpation schon feststellen, ob es sich um eine mechanische oder dynamische Hydronephrose handelt. Mechanische Sacknieren sind druckschmerzhaft, dynamische aber sind unempfindlich, sofern nicht schon eine erhebliche Perinephritis vorhanden ist (s. S. 73). Die H a r n l e i t e r sind unter normalen Verhältnissen nicht palpabel. Bei alten Pyonephrosen sowie der Nierentuberkulose sind aber die Harnleiter manchmal auf Daumendicke vergrößert und dadurch bei dünnen Leuten tastbar. Besonders der verdickte prävesikale Ureterabschnitt ist bei bimanueller Palpation bei Männern vom Rektum aus (oberhalb und seitlich der Prostata) und bei Frauen von der Vagina aus zuweilen deutlich fühlbar. Intramurale oder p r ä v e s i k a l e U r e t e r s t e i n e von Erbsgröße und darüber können auf diese Weise bei Frauen fast stets festgestellt werden. Die stark g e f ü l l t e B l a s e ist oberhalb der Symphyse als gleichmäßig birnenförmiges Organ fühlbar. Es ist seltsam, daß sogar erfahrene Untersucher beim Tasten einer derartigen Vorwölbung häufiger an ein Gewächs der Unterleibsorgane als an die überfüllte Blase denken und ich habe es mehrmals erlebt, daß Chirurgen und Gynäkologen diesen „Tumor" durch Laparatomie angingen, nur weil ihnen die Entstehung und das Krankheitsbild der überdehnten Blase nicht bekannt war. Es muß an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, daß die Blasengegend auch bei Erkrankung der Blase im allgemeinen nicht druckschmerzhaft ist. Nur bei großen Blasensteinen und der Blasentuberkulose wird bei der Palpation der Blasengegend ein Schmerz ausgelöst, im ersten Falle durch die Bewegung des Steines, wobei der Schmerz aber meist in der Urethra lokalisiert wird. Eine Druckschmerzhaftigkeit der Blasengegend selbst muß stets den Verdacht einer Blasentuberkulose erwecken. Die Palpation des H o d e n s a c k s und der darin befindlichen Organe (Hoden, Nebenhoden, Samenleiter) ist einfach; krankhafte Veränderungen dieser Organe sind meist durch die Palpation allein eindeutig zu diagnostizieren. Die nicht-tuberkulöse E p i d i d y m i t i s ist stets sehr schmerzhaft, insbesondere bei Druck, während die tuberkulöse Epididymitis fast unempfindlich ist. Der tuberkulöse Nebenhoden ist

Palpation

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auch meist unregelmäßig oder knotig verdickt und frühzeitig mit der Skrotalhaut verwachsen. Das gleiche gilt für die Samenstränge. Bei der V a r i k o z e l e fühlt man deutlich die geschlängelten erweiterten und stark gefüllten Venen, die H y d r o z e l e ist als birnenförmiges prall elastisches Gebilde tastbar, das im Gegensatz zur Leistenhernie, die ins Skrotum eingetreten ist, bei Zug nach unten seine Gestalt und Größe nicht verändert und nicht durch den Leistenkanal hindurchreicht. Dagegen ist die Durchsichtigkeit der Hydrozele gegenüber der Hernie differentialdiagnostisch kein sicheres Zeichen, da der Hydrozeleninhalt trüb oder sanguinolent (besonders bei vorhergegangenen Punktionen) sein kann. Die Anwendung des Stethoskops zur Diaphanoskopie der Hydrozele hat mehr zur Witzelei als zur diagnostischen Erkenntnis beigetragen. Z y s t e n d e s N e b e n h o d e n s (meist im Nebenhoden-Kopf) haben fast stets eine kugelige Form, desgleichen die des Samenstrangs. Die meisten echten H o d e n t u m o r e n sind von derbweicher Konsistenz, nur Seminome und Sarkome fühlen sich oft elfenbeinhart an. Zu beachten ist, daß die Hodentumoren häufig mit einer Hydrozele vergesellschaftet sind und so der genauen Palpation entzogen sind. Die sorgfältige Tastung der P r o s t a t a vom Rektum aus ist eine der wichtigsten urologischen Untersuchungen. Die normale Vorsteherdrüse hat natürlich eine individuell verschiedene Größe, die im allgemeinen der einer Kastanie entspricht. Sie zeigt in der Mitte eine längsverlaufende Furche, ihre Betastung löst nur ein geringes Druckgefühl, aber keinen Schmerz aus. Sie ist symmetrisch gebaut, von glatter Oberfläche, mittlerer Konsistenz, gut abgrenzbar und mit der Rektumschleimhaut nicht verwachsen. Bei der P r o s t a t a h y p e r t r o p h i e kann man Vergrößerungen bis zum Umfang eines großen Apfels tasten, j edoch ist das gutartige Adenom meist ziemlich gleichmäßig entwickelt, gut abgrenzbar, von glatter Oberfläche, nicht mit der Rektalschleimhaut verwachsen und etwa von der Konsistenz eines Vollgummiballes. B e i m P r o s t a t a k a r z i n o m ist sowohl die Oberfläche als auch die Konfiguration etwas unregelmäßig, die Abgrenzung zuweilen verwaschen, die Konsistenz diffus oder stellenweise (besonders nach der hinteren Urethra zu) bis zu Elfenbeinhärte vermehrt. Die Verschieblichkeit der Rektumschleimhaut ist manchmal vermindert. Während die Unterscheidung der Prostatahypertrophie vom Karzinom für den geübten Untersucher (von Grenzfällen abgesehen) allein durch den Tastbefund meist leicht ist, macht die Abgrenzung Prostatakarzinom—Prostatitis parenchymatosa resp. beginnender P r o s t a t a a b s z e ß zuweilen rein palpatorisch große Schwierigkeiten. Beim zentralen Prostataabszeß kann das Organ die Härte eines Karzinoms erreichen, zuweilen auch unsymmetrisch und mit der Mastdarmschleimhaut verwachsen erscheinen. Die Differentialdiagnose sollte aber dann stets durch andere Symptome (Temperatur, zvtologische Untersuchung, Linksverschiebung des weißen Blutbildes, evtl. Röntgenuntersuchung usw.) möglich sein. Das Übersehen eines Prostataabszesses kann die schwersten Folgen („kryptogene Sepsis") haben. Bei großen Prostataabszessen mit völliger Einschmelzung der Drüse und nur noch dünner Kapsel ist natürlich die Fluktuation leicht tastbar, besonders wenn der Abszeß zum Rektum zu perforieren beginnt. Eine tast- und sichtbare Vorwölbung am Damm ist stets Beweis dafür, daß der Abszeß die Prostatakapsel schon überschritten hat. Zuweilen sind P r o s t a t a s t e i n e der Palpation zugänglich, und zwar dann, wenn sie sehr groß sind oder zahlreiche kleine Steine vorhanden sind. Im letzten Falle fühlt man ein „Schneeball-Knirschen". Daß ich bei der rektalen Palpation der Prostata gar nicht selten bei von anderen Ärzten überwiesenen Patienten nicht die von jenen vermutete Prostatahypertrophie,

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sondern ein Rektum-Karzinom feststellen konnte, das durch Überspringen der Darmtenesmen auf die Blase zu Miktionssteigerung geführt hatte, möchte ich schon an dieser Stelle erwähnen: Wichtig ist auch zu wissen, daß die t u b e r k u l ö s e Prostata (im Gegensatz zum tuberkulösen Nebenhoden!) außerordentlich druckschmerzhaft ist. Ebenso druckschmerzhaft sind die P r o s t a t a - S a r k o m e , die schon bei Kindern in den ersten Lebensjahren auftreten können und an die stets gedacht werden muß, wenn bei Knaben Miktionsbehinderungen von Anämie und evtl. Kachexie begleitet resp. gefolgt wird. Auch eine Palpation der S a m e n b l a s e n ist in fast allen Fällen möglich, sofern nicht eine stark vergrößerte Prostata dem palpierenden Finger das Erreichen der vom oberen Rande der Prostata nach beiden Seiten im spitzen Winkel abgehenden Organe unmöglich macht. Die Untersuchung wird am besten bimanuell durchgeführt, indem durch Eindrücken der seitlichen Bauchwand mit der flachen Hand die Unterleibsorgane dem ins Rektum eingeführten Finger entgegengebracht werden (vgl. S. 8, Palpation des unteren Ureterabschnittes). Die normalen gefüllten Samenblasen sind als längliche weiche, nicht druckschmerzhafte Gebilde tastbar. Beim S a m e n b l a s e n a b s z e ß sind sie vergrößert und druckschmerzhaft, bei der Tuberkulose knotig verdickt. In beiden Fällen finden sich stets entsprechende Veränderungen der Vorsteherdrüse. Die Touchierung der w e i b l i c h e n G e n i t a l i e n gehört natürlich ebenfalls zu jeder urologischen Untersuchung, weil zahlreiche Harnsystem-Krankheiten hiervon ihren Ausgang nehmen. Besonders auf Lageveränderungen (Descensus vaginae s. uteri), Adnexentzündungen, Tumoren und Mißbildungen ist zu achten. Auf die vaginale Tastbarkeit des verdickten unteren Ureterabschnittes bei tiefsitzenden Uretersteinen und bei Ureter tuberkulöse sei nochmals hingewiesen.

Perkussion und Auskultation Diese beiden Untersuchungsmethoden spielen in der Urologie nur eine bescheidene Rolle. Nur zur Feststellung der Blasenfüllung wird die Perkussion der Blasengegend zuweilen zweckmäßig sein. An dieser Stelle sei noch eine Untersuchungsmethode erwähnt, die an sich nicht zu diesem Abschnitt gehört, aber zuweilen auch dem Urologen gute diagnostische Dienste leistet, die Prüfung der Headschen Zonen. Fährt man mit der Spitze einer fast parallel zum Körper gehaltenen Nadel in der Richtung der sensiblen Fasern der Rückenmarkssegmente leicht über die Haut, so findet man bei erkrankten Organen häufig eine Hyperästhesie der entsprechenden Zonen. Es gibt Fälle von UrogenitalTuberkulose mit positivem Bazillenbefund und schwerster tuberkulöser Krampfblase, so daß weder eine Zystoskopie noch ein retrogrades Pyelogramm vorgenommen werden kann und das intravenöse Pyelogramm keinen sicheren Hinweis auf die primär erkrankte Niere gibt. In solchen Fällen hat mir manchmal die hyperalgetische Headsche Zone die kranke Seite eindeutig angezeigt und so die Heilung durch die Nephrektomie ermöglicht. Das Kapitel dieser einfachen Untersuchungsmethoden wäre unvollständig, wenn nicht auf die Bedeutung des Kreislaufsystems und des Nervensystems bei urologischen Krankheiten hingewiesen würde. Zahlreiche Nierenkrankheiten (Nephritiden, Zystennieren, Rückstauungsnieren bei Prostatahypertrophie usw.) gehen mit Blutdruckerhöhung einher und verursachen damit Herzhypertrophie und andere Kreislaufsymptome. Auch organische Erkrankungen des Zentralnervensystems führen häufig zu Veränderungen des Harnsystems (Blasenlähmung, Steinbildung usw.), ja es kommt

Harnuntersuchung

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vor, d a ß solche E r s c h e i n u n g e n d e n P a t i e n t e n eher zum Urologen als zum Neurologen f ü h r e n u n d zuweilen sogar schon zu einem Z e i t p u n k t a u f t r e t e n , wo der Fachneurologe andere organische Veränderungen noch n i c h t m i t Sicherheit feststellen k a n n (Schrammsches P h ä n o m e n ) . Harnuntersuchung E s k a n n n i c h t die A u f g a b e dieses Büchleins sein, alle H a r n u n t e r s u c h u n g e n system a t i s c h zu beschreiben, aber es m u ß schon a m A n f a n g dieses K a p i t e l s darauf hingewiesen werden, d a ß die urologische H a r n u n t e r s u c h u n g sich vielfach von der üblichen L a b o r u n t e r s u c h u n g unterscheidet. D e r Urologe b e t r a c h t e t vor allen Dingen den frischgewonnenen k ö r p e r w a r m e n U r i n makroskopisch u n d k a n n bei einiger Ü b u n g u n d M i t a n w e n d u n g einfacher chemischer R e a k t i o n e n viel aufschlußreichere R e s u l t a t e erzielen als die L a b o r a n t i n m i t H i l f e des Mikroskops. Der in einer Flasche mitgeb r a c h t e U r i n u n d der in (die Nachtgeschirre ersetzenden) Uringläsern der K r a n k e n stationen gesammelte U r i n sollte niemals einer mikroskopischen U n t e r s u c h u n g u n t e r zogen werden. D a ß es t r o t z d e m in allen nicht-urologischen Disziplinen auch in den b e r ü h m t e s t e n K r a n k e n a n s t a l t e n täglich h u n d e r t f a c h g e m a c h t wird, spricht nicht f ü r die Richtigkeit der Methode, sondern n u r d a f ü r , d a ß die urologische Denk- u n d Betrachtungsweise noch n i c h t in die übrigen Disziplinen eingedrungen ist. B e t r a c h t e t m a n die Abbildungen in d e n L e i t f ä d e n der U r i n u n t e r s u c h u n g e n , so erkennt m a n , d a ß sie f a s t n u r eine D o k u m e n t e n s a m m l u n g v o n Kristallen (was bei einer erkalteten Salzlösung selbstverständlich ist), abgeschilferten u n d bedeutungslosen Epithelien der ableitenden H a r n w e g e (die d a s gleiche E p i t h e l v o m Nierenbecken bis zur H a r n r ö h r e n m ü n d u n g tragen) oder Verunreinigungen (Trichomonaden, Hefezellen, Pflanzenfasern, Stärkekörnchen usw.) darstellen. N a t ü r l i c h verwerfe ich n i c h t j e d e mikroskopische S e d i m e n t - U n t e r s u c h u n g (denn Zylinder k a n n m a n n i c h t anders feststellen), aber die makroskopische v o m Arzt selbst vorgenommene U n t e r s u c h u n g des frisch gewonnenen U r i n s ist wichtiger u n d aufschlußreicher. Die Hamgewinnung erfolgt folgendermaßen: Der männliche P a t i e n t m u ß den U r i n in u n u n t e r b r o c h e n e m S t r a h l in 2 oder (noch besser) in 3 Gläser entleeren. I n d a s erste Glas möglichst n u r 20—30 cm 3 , in das zweite Glas die H a u p t m e n g e des U r i n s u n d in das d r i t t e n u r die letzten K u b i k z e n t i m e t e r oder Tropfen. Die Gläser müssen zylindrische F o r m m i t einem Durchmesser von wenigstens 5 cm h a b e n u n d e t w a 300—500 cm 3 fassen. Sie müssen aus farblosem, klar-durchsichtigem Glase bestehen u n d n u r eine geringe W a n d s t ä r k e h a b e n . Die üblichen grünlich g e f ä r b t e n , 1 Liter fassenden Uringläser sind also d a f ü r n i c h t geeignet. Bei weiblichen P a t i e n t e n wird der U r i n s t e t s m i t einem G u m m i k a t h e t e r e n t n o m m e n , n a c h d e m die U m g e b u n g der U r e t h r a m i t einem f e u c h t e n T u p f e r gereinigt ist. A u c h hierbei l ä ß t m a n erst etwa 20 cm 3 a b l a u f e n (um d a s K a t h e t e r - G l e i t m i t t e l u n d abgeschilferte H a r n r ö h r e n z eilen zu beseitigen) u n d f ä n g t den R e s t in einem der oben geschilderten Gläser auf. D e r so gewonnene k ö r p e r w a r m e H a r n wird in den beschriebenen Gläsern i m diff u s e n L i c h t b e t r a c h t e t . E r ist normalerweise völlig klar, so d a ß ein d a h i n t e r gehaltener Finger ebenso deutlich zu erkennen ist wie h i n t e r einem Glase klaren Wassers. Gibt solch klarer H a r n , m i t 20% Sulfosalizylsäure in demselben Glase (nicht etwa in einem Reagenzglas!) versetzt, keine Eiweißreaktion, so erübrigt sich jede weitere mikroskopische Untersuchung. Die Betrachtung des Harns in den beschriebenen weiten Gläsern ist deshalb so wichtig, weil auch die geringste Trübung in einer so dicken Schicht mühelos erkannt wird, was im Reagenzglas nicht der Fall ist.

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Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden

Die Feststellung eines absolut klaren, eiweißfreien Harns berechtigt aber nicht zu der Erklärung, daß die Nieren gesund sind. Ist der Harn vor Anstellung der Eiweißprobe weißlich-trüb, so kann diese Trübung bedingt sein 1. durch P h o s p h a t e ; bei Zusatz von Essigsäure wird dann der Urin sofort klar. 2. Durch K a r b o n a t e ; dieselbe Säure klärt den Urin unter Aufbrausen. 3. Durch O x a l a t e ; Klärung erfolgt bei Salzsäure-Zusatz. 4. Durch B a k t e r i e n ; die Trübung hat ein „schlieriges" Aussehen, verändert sich durch Säurezusatz nicht und sedimentiert nicht, selbst wenn der Harn lange in einem Spitzglas steht. 5. Durch L e u k o z y t e n ; es ist die häufigste Art der HarntiÜbung. Zusatz von 10°/oiger Natronlauge erzeugt eine gallertige Quellung der Leukozyten, so daß die Trübung noch intensiver erscheint und nach Schütteln die Luftblasen nur sehr langsam aufsteigen (Donnésche Eiterprobe). Es läßt sich also durch diese einfachen Untersuchungen schnell und ohne Mikroskop feststellen, wodurch eine weiße Trübung des Harns hervorgerufen ist. Eine rötliche Trübung des Harns kann nur durch Erythrozyten bedingt sein. Bei Betrachtung in weiten klaren Gläsern ist schon ein rötlicher Farbton auch für den Ungeübten erkennbar, wenn etwa 20 Erythrozyten im Gesichtsfeld vorhanden sind; der Geübte erkennt makroskopisch noch erheblich geringere Erythrozyten-Beimengungen. (Allerdings sind 4 % aller Männer farbenblind und viele wissen es nicht einmal!). In Zweifelsfällen gibt meist die Sulfosalizylsäureprobe die Aufklärung: bei Anwesenheit von Erythrozyten entsteht stets ein geringer, langsam einsetzender Eiweiß-Niederschlag. Leukozyten geben dagegen Iceine Eiweißreaktion, da sie ja nicht durch Säuren, sondern durch Alkalien aufgelöst werden (vgl. Donnésche Eiterprobe, s. oben). Der so häufig in Abhandlungen zu findende Satz, Eiweißgehalt dem Eitergehalt entsprechend, ist falsch.

Außer der D u r c h s i c h t i g k e i t ist noch die F a r b e , die R e a k t i o n und das s p e z i f i s c h e G e w i c h t des Harns von Bedeutung. Normaler Harn hat (je nach Konzentration) eine hellgelbe bis dunkelgelbe Farbe, die bei sehr hoher Konzentration (z. B . bei Fieber) ins Bräunlichrötliche hineinragt. Betreffs abnormer Farbtöne wird auf das S. 5 Gesagte verwiesen. Gallenfarbstoff wird sehr leicht durch die Schüttelprobe (Braunfärbung des Schaumes) nachgewiesen. Die R e a k t i o n des Harns ist besonders bei trübem Urin aufschlußreich. Normaler Harn ist bei gemischter Kost sauer, bei vegetabiler Diät neutral oder schwach-alkalisch. Bakterien spielen bei der Reaktion des trüben Urins eine große Rolle. Koli- und Tuberkelbazillen verändern die normale saure Reaktion des Urins nicht. StaphyloStreptokokken und Proteusbazillen verursachen meist eine ammoniakalische Harngärung. Die Prüfung der Reaktion durch blaues und rotes Lackmuspapier erlaubt daher eine Wahrscheinlichkeits-Diagnose bzgl. der Erregergruppen, die therapeutisch von großer Bedeutung ist (s. Harninfektion, S. 76, 93). Das s p e z i f i s c h e G e w i c h t spielt bei der Erstuntersuchung nur eine untergeordnete Rolle, gewährt aber schon bei einer 24stündigen Beobachtungszeit eine Informierung über die Gesamtfunktion der Nieren. Die Urämie wird meist erst imVollstadium erkannt (urämisches Koma), ihr Beginn und ihr schleichendes Fortschreiten aber übersehen. Die Feststellung des spez. Gewichts der 24stündigen Urinmenge und die Berechnung der ausgeschiedenen Menge harnpflichtiger Stoffe mittels des Haesersclien Koeffizienten ermöglicht auch dem Praktiker, am Krankenbett innerhalb 24 Stunden die Diagnose Urämie zu stellen.

Harnuntersuchung

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Die Berechnung geschieht folgendermaßen: Die beiden letzten Ziffern des spezifischen Gewichts des 24stündigen Gesamturins werden mit der Haeserschen Zahl (2,33) multipliziert, das Produkt entspricht dann der in 1000 g Urin ausgeschiedenen Menge fester Stoffe; es wird dann auf die tatsächlich ausgeschiedene Urinm'enge umgerechnet und muß bei normaler Nierenfunktion die Zahl 60 erreichen oder übersteigen. Beispiele: 1700 cm3 mit spez. Gewicht 1Q16 16 • 2,33 = 37,28 bezogen auf 1000 cm3 7 plus JQ von 37,28 = = 26,09 = 63,37 d. h. gute Funktion. Bei einer akuten Nephritis Tagesmenge 400 cm3 vom spez. Gewicht 1035 35 • 2,33 = 81,55 6 minus -JQ von 81,55 = 48,93 32,62 also trotz hoher Konzentration nur etwas über die Hälfte von 60. Prostatiker mit 3000 cm3 von 1007 spez. Gewicht 7 • 2,33 = 16,31 3 • 16,31 = 48,93 also trotz großer Harnmenge ungenügende Ausfuhr fester Harnbestandteile (chronische Urämie).

Bei der Bestimmung des spez. Gewichts ist aber zu beachten, daß die käuflichen Urometer auf eine Temperatur von 15° geeicht sind. Für je 3° Differenz ist ein Teilstrich zu- oder abzurechnen. Bei der Messung von soeben entleertem körperwarmem Urin sind daher bis zu 7 Teilstriche (!) zu addieren. Durch die geschilderten einfachen Methoden kann man also schnell und ohne Mikroskop nicht nur die Formelemente des Urins, sondern auch die Gesamtfunktion der Nieren feststellen. Es muß noch einmal betont werden, daß durch die mikroskopische Urinuntersuchung keine topische Diagnose, d. h. kein Anhaltspunkt für den Sitz der Erkrankung gewonnen werden kann. Weder aus der Form noch der Anordnung der Leukozyten (z. B. in Haufen) läßt sich erkennen, ob es sich um eine Zystitis oder Pyelitis handelt; auch die Epithelien lassen einen derartigen Schluß nicht zu. Die als Pyelitis-Zeichen gepriesenen „ g e s c h w ä n z t e n N i e r e n b e c k e n - E p i t h e l i e n " finden sich auch in den tieferen Schichten der Blasenschleimhaut und es muß noch einmal darauf hingewiesen werden, daß die ableitenden Harnwege ein e i n h e i t l i c h e s Epithel besitzen. Auch die sog. Nierenepithelien (Tubulusepithel) sind nicht immer deutlich von gewöhnlichen Leukozyten zu unterscheiden, oder nur dann, wenn sie mit Zylindern zusammen gefunden werden oder diesen aufsitzen. Die mikroskopische Harndiagnostik hat also nur für die Erkennung der sog. hämatogenen Nierenkrankheiten Bedeutung. I n den meisten Fällen handelt es sich aber darum, zunächst zu unterscheiden, ob es sich um eine Erkrankung der ableitenden Harnwege oder der harnbereitenden Organe handelt und das ist durch die geschilderten Methoden schnell und sicher erkennbar. Wenn in einzelnen Fällen Zweifel bestehen, ob ein geringer Eiweißniederschlag „durch Erythrozyten oder echtes Niereneiweiß" (Serum-Albumin bzw. Globulin) bedingt ist, dann sedimentiere man den Harn und stelle mit dem überstehenden klaren Harn die Eiweißprobe an.

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Allgemeine Urologie und urologische Unt er su chu ngsmethoden

Die auf S. 11 beschriebene 3-Gläser-Probe erlaubt auch in geringem Umfang eine topische Diagnose. In der ersten Harnportion sind alle Beimengungen der gesamten Harnwege von der Niere an bis zur Harnröhrenmündung vorhanden; sie entspricht also dem „mitgebrachten" Urin, wie es leider immer noch üblich ist. In dieser Urinportion ist also „am meisten zu finden", aber man kann daraus keinen Schlußauf den Sitz der Krankheit ziehen. Hat z. B. der Patient eine Urethritis (simplex oder gonorrhoica), so verschweigt er häufig dem Arzt den von ihm beobachteten Ausfluß,, ja es kommt sogar vor, daß er durch Angaben über Blasenbeschwerden oder Schmerzen in der Nierengegend den Arzt in die Irre führt. Die in dieser Urinportion (resp. dem mitgebrachten Urin) enthaltenen Leukozyten sowie die angegebenen „Blasen- resp. Nierenschmerzen" bringen dann den Arzt zu der Diagnose Zystitis resp. Pyelitis, während in Wirklichkeit nur eine Urethritis vorhanden ist. In einem solchen Falle ist aber die 2, Harnportion völlig frei von irgendwelcher Trübung oder (bei mikroskopischer Untersuchung) von Leukozyten, da ja durch den Harnstrahl die Urethra reingefegt worden ist. Bei Verdacht auf eine Erkrankung der oberen Harnwege oder der Nieren ist also stetsdie 2. Harnportion zu untersuchen. Die 3. Harnportion enthält außer den Bestandteilen der 2. Portion noch etwaige Ausscheidungen der Prostata und Samenblasen. Ist also z. B. die 2. Portion völlig einwandfrei, die 3. Portion dagegen trüb, so stammt diese Trübung mit Sicherheit von den männlichen Adnexen (Prostata und Samenblasen). Die makroskopische Betrachtung der 3 Harnportionen erlaubt also schon eine Diagnose hinsichtlich des Sitzes der Erkrankung, während die mikroskopische Untersuchung desGesamtharnes nur den Schluß auf eine Erkrankung der Harnwege überhaupt zuläßt. Die Wichtigkeit der richtigen Harngewinnung sei an zwei Beispielen illustriert: Ein Mann im mittleren Lebensalter bemerkt Blutflecke in der Unterwäsche und zuweilen auch blutigen Harn ohne irgendwelche Beschwerden. Er geht zu einem Internisten, der den mitgebrachten blutigen Urin mikroskopisch untersucht und zahlreiche Erythrozyten feststellt. Da auch Eiweiß im Urin ist (bei Hämaturie eine Selbstverständlichkeit!) wird die Diagnose „Nierenbluten" gestellt und wegen Verdacht auf Nierentumor eine Röntgenleeraufnahme und ein intravenöses Pyelogramm angefertigt. Da die Röntgenbilder (1 Übersichtsaufnahme und 3 Füllungsauf nahmen Format 30 X 40 cm) völlig normale Verhältnisse aufzeigen, wird nun fachurologische Untersuchung veranlaßt. Die genaue Befragung des Patienten und die 3-Gläser-Probe geben schon weitgehende Aufklärung: Der Patient hat, auch ohne zu urinieren, Blut aus der Urethra abtropfen sehen; bei der 3-Gläser-Probe ist nur die 1. Portion blutig, während die 2. und 3. Portion völlig einwandfrei sind. Die Blutung mußte also aus der vorderen Urethra stammen; die Urethroskopie ergab ein Hämangiom der Harnröhrenschleimhaut. Die Beunruhigung des Patienten und die hohen Kosten der Röntgenuntersuchung hätten durch die sachgemäße Anamnese-Erhebung und die Anwendung der 3-Gläser-Probe, ja sogar durch die letztere allein, vermieden werden können. Eine junge Oberschul-Lehrerin bedarf zu ihrer Anstellung einer amtsärztlichen Untersuchung. Sie ergibt keine Krankheitszeichen, aber die vom Amtsarzt veranlaßte Urinuntersuchung in einem Diagnostischen Institut ergibt eine positive Eiweißreaktion sowie Erythrozyten und Leukozyten. Da die Lehrerin nie krank gewesen ist, eine Anstellung mit diesem auf ein Nierenleiden hindeutenden Befund aber unmöglich ist, wird fachurologische Begutachtung veranlaßt. Die Harnwege der jungen Lehrerin erweisen sich als völlig normal. Auch der durch Katheterismus gewonnene Harn war frei von jeglichen pathologischen Bestandteilen. Der „falsche" Befund des Diagnostischen Instituts kam dadurch zustande, daß der mitgebrachte Harn untersucht wurde und die junge Person unmittelbar nach der Menstruation etwas Ausfluß hatte, der sich natürlich dem Harn bei der Spontanmiktion beigemengt hatte.

Bei der q u a n t i t a t i v e n Eiweißbestimmung (im Esbach-Röhrchen oder durch Polarisationsinstrumente) ist darauf zu achten, daß sie vom 24stündigen Gesamturin anzustellen ist und nicht das Promille-Resultat, sondern die ausgeschiedene Eiweißmenge zu Vergleichszwecken berechnet werden muß. Wenn z. B. ein Nierenkranker,

Instrumentelle Untersuchung

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•der noch leidlich konzentrieren und diluieren kann, an einem Tage 1000 cm 3 Harn mit 2°/ 0 0 Eiweiß und am nächsten Tag 2000 cm 3 mit I^/QQ Eiweiß ausscheidet, dann hat er täglich 2 g Eiweiß verloren! Beachtet man das nicht, so kann aus dem Absinken der reinen Esbachwerte ein falscher Schluß bezüglich einer Besserung gezogen werden. Instrumentelle Untersuchung Nach Erhebung der Anamnese, der Inspektion, Palpation und Urinuntersuchung beginnt die instrumenteile urologische Untersuchung. Wieweit sie auszudehnen ist, ergibt sich aus den durch die bisherige Untersuchung entspringenden Resultaten Tesp. Verdachtsmomenten. Beim weiblichen Geschlecht ist der Katheterismus, wie bereits beschrieben, schon zur Gewinnung eines nicht verunreinigten Harns stets notwendig. Aber auch beim Mann wird die K a t h e t e r u n t e r s u c h u n g in den meisten Fällen notwendig sein, wenn sich der Verdacht einer Erkrankung der unteren Harnwege ergibt. Nur durch den Katheterismus läßt sich feststellen, ob die Urethra normal Abb. 2. Nelaton-Katheter durchgängig ist und die Blase vom Patienten s p o n t a n entleert werden kann. R e s t h a r n findet man nämlich nicht nur bei Prostatahypertrophie und Prostatakarzinom, sondern auch bei Strikturen, parenchymatöser Prostatitis,Prostata-Abszeß und ProstataBarre. Aber auch bei Frauen Abb. 3. Mercier- und Tiemann-Katheter kommt es zuweilen zu unvollständiger Blasenentleerung, besonders bei Unterleibstumoren (z.B. Myom) oder Lageveränderungen (z.B. Descensus vaginae seu uteri), die mit Bildung einer Urethrozele oder Vesikozele einhergehen. Daß auch organische Nervenkrankheiten zu Restharnbildung (partielle Blasenlähmung) führen können, muß ebenfalls stets bedacht werden. Ich habe es mehrfach erlebt, daß eine beginnende multiple Sklerose oder Tabes durch eine urologische Untersuchung zuerst vermutet resp. festgestellt werden konnte. Der Katheterismus der Frau sollte stets mit einem gut mit Katheterpurin versehenen Gummi-Nelaton-Katheter vorgenommen werden (s. Abb. 2). Die sehr verbreitete Anwendung von Metall- oder gar Glaskathetern, besonders durch ärztliches Hilfspersonal, ist zu verwerfen und bringt den Katheterismus in einen unverdienten Verruf. Ich bin mehrmals von Frauenkliniken zur-Entfernung von abgebrochenen Glaskathetern in Anspruch genommen worden. Der Katheterismus ist ein kleiner ä r z t l i c h e r Eingriff und sollte nur in Ausnahmefällen von Nichtärzten ausgeführt werden. E s ist sehr bedauerlich, daß die meisten jungen Ärzte zwar die Handhabung eines Augenspiegels während ihres Studiums erlernt, aber niemals einen Katheterismus ausgeführt haben und dann in der Assistentenzeit gewöhnlich beim ersten Versuch Schiffbruch erleiden und diesen Eingriff in Zukunft lieber einem erfahrenen Wärter überlassen, der es schlecht und recht zustande bringt. Der bei Frauen übliche Nelaton-Katheter ist für Männer meist ungeeignet. Hier ist der Tiemann -oder der Mercier-Katheter (aus Patentgummi) am zweckmäßigsten (s. Abb. 3). Beide Katheter sind so einzuführen, daß die Krümmungsebene der

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Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden

K a t h e t e r s p i t z e m i t der Sagittalebene des K ö r p e r s z u s a m m e n f ä l l t . E i n e a m E n d e des K a t h e t e r s a n g e b r a c h t e E r h ö h u n g (Nase), die in der gleichen E b e n e v e r l ä u f t , zeigt n a c h d e m Verschwinden der K a t h e t e r s p i t z e in der U r e t h r a die R i c h t u n g an. In den meisten einschlägigen Lehrbüchern wird durch Bild und Schrift die Stellung des Arztes auf der linken Seite des Kranken geschildert. Das ist unpraktisch und erschwert den Katheterismus unnötig; alle mir bekannten Urologen stellen sich auf die rechte Seite des Patienten, von wo aus der Katheter mit der rechten Hand und ohne Körperverrenkung leicht einführbar ist. Die linke Hand faßt beim liegenden Patienten den Penis zwischen 3. und 4. Finger, zieht den Penis senkrecht in die Länge, um die Schleimhautfalten der Urethra zu glätten, während die Harnröhrenöfifnung durch Daumen und Zeigefinger gespreizt wird. Der gut mit Kathetergleitmittel versehene sterile Tiemann- oder Mercier-Gummi-Katheter wird handbreit von der Katheterspitze wie ein Federhalter zwischen Daumen und 2. und 3. Finger der rechten Hand gehalten und zügig in die Urethra eingeführt. Hat die rechte Hand die Glans erreicht, liegt der Katheter also etwa handbreit in der Urethra, dann faßt der Daumen und Zeigefinger der linken Hand schnell zu und verhindert so das Drehen des Katheters, während die rechte Hand nach dem Ende des Katheters greift und ihn weiter, die Markierungsnase des Katheters stets in der Sagittalebene haltend, zügig in die Blase einführt. Die Krümmung des Tiemannoder Mercier-Katheters liegt bei derartigem Vorgehen stets der Vorderwand der Urethra an, so daß ein Verfangen des Katheters in der von der Hinterwand der Urethra ausgehenden Ausbuchtung (Sacculus urethralis, auch Vagina prostatae genannt), unmöglich ist. S t ö ß t der K a t h e t e r auf ein H i n d e r n i s , d a n n darf m a n niemals versuchen, es d u r c h größere Gewaltanwendung zu überwinden. Zwar ist bei B e n u t z u n g eines G u m m i k a t h e t e r s das Bohren eines falschen Weges k a u m möglich, aber die K a t h e t e r s p i t z e biegt sich bei stärkerer K r a f t a n w e n d u n g u m , wodurch Schmerzen u n d B l u t u n g e n entstehen.

Also bei Hindernissen stets den Katheter wieder etwas zurückziehen, seine Lage (Katheterspitze in Sagittalebene!) kontrollieren und evtl. korrigieren und dann erst wieder vorschieben! Dabei stets auf die S t r e c k u n g des Gliedes achten, also m e h r den P e n i s ü b e r den K a t h e t e r , als d e n K a t h e t e r in den P e n i s schieben! E i n e häufige U r s a c h e f ü r d e n mißglückten K a t h e t e r i s m u s ist der S p h i n k t e r k r a m p f. E s ist unmöglich, den spastisch geschlossenen Sphincter e x t e r n u s m i t einem G u m m i k a t h e t e r zu überwinden. Also auch beim S p h i n k t e r k r a m p f den K a t h e t e r wieder etwas zurückziehen, d e n P a t i e n t e n beruhigen u n d d u r c h ein p a a r t i e f e A t e m z ü g e e n t s p a n n e n lassen u n d d a n n erst einen n e u e n Versuch u n t e r n e h m e n . Der Sphinkterkrampf entsteht 1. d u r c h die Ängstlichkeit des Patienten, 2. d u r c h die Ungeschicklichkeit des Operateurs. Der Sphinct. ext. wird d u r c h den somatischen N . p u d e n d u s innerAbb. 4. Lochskala viert, k a n n also v o m ängstlichen P a t i e n t e n genau so willkürlich ang e s p a n n t werden wie ein Skelettmuskel. E r unterliegt aber auch bei I r r i t a t i o n d e r äußeren H a r n r ö h r e d e m Reflexbogen. Beim geschickten u n d selbstbewußten Operat e u r , der dem P a t i e n t e n schon durch sein A u f t r e t e n u n d die zweckmäßige H a n d h a b u n g des I n s t r u m e n t e s Vertrauen einflößt, wird daher der Sphinkterkrampf sehr selten

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auftreten, während der befangene und ungeschickte Anfänger oft mit ihm rechnen muß. Das schnelle und zügige Einführen des Katheters durch die Urethra externa ist daher das beste Mittel zur Vermeidung des Krampfes. Aber nicht nur auf die Wahl des richtigen Instrumentes (bei Frauen Nelaton-. bei Männern Tiemann- oder Mercier-Katheter) kommt es an, sondern auch auf die passende Größe. Die Skala des französischen Instrumentenmachers C H A R R I E R E hat sich in der ganzen Welt durchgesetzt, dabei entspricht 1 Ch. dem Durchmesser von 1 / 3 mm (s. Abb. 4). Man glaube nicht, daß ein dünner Katheter leichter einführbar ist als ein dicker, im Gegenteil, der dickere Katheter glättet die Falten der Harnröhre und verfängt sich daher nicht so leicht. Bei einem noch nicht untersuchten Patienten nimmt man zweckmäßigerweise einen Katheter von 18 Ch., der ungefähr der Normalweite der Urethra entspricht. Der Ungeübte ist meist geneigt, den mißglückten Katheterismus auf eine Verengung der Harnröhre zurückzuführen. Beim Fehlen einer früheren Gonorrhöe oder eines Harnröhrentraumas in der Anamnese sollte man aber mit dieser Diagnose sehr zurückhaltend sein und eher die eigene Ungeschicklichkeit in Rechnung stellen und daher mit weiteren Versuchen zur Forcierung des Katheterismus aufhören. Hat die Palpation per rectum eine erhebliche Vergrößerung der Prostata ergeben, so ist eine Striktur unwahrscheinlich, denn das g l e i c h z e i t i g e Vorhandensein einer Prostatahypertrophie und einer hochgradigen Striktur gehört seltsamerweise zu den größten Seltenheiten. Bei einer sehr großen Prostata und daher sehr starken, halbkreisförmigen Krümmung der hinteren Harnröhre passiert manchmal auch der Tiemann- oder Mercier-Katheter nicht. Es ist dann zweckmäßig, vom Damm oder per rectum mit dem Zeigefinger der linken Hand einen Druck gegen die Katheterspitze auszuüben und sie so in die passende Richtung zu bringen. Kommt man auch damit nicht zum Ziel, dann zieht man den Katheter über einen zweckmäßig gebogenen Katheterspanner (siehe Abb. 5). KatheterJ e größer die Prostata, desto größer muß die Krümmung des Katheters spanner sein. Die Spitze des Spanners darf aber nicht bis zum Auge des Katheters reichen (1 cm Abstand ist notwendig!), damit sie nicht durch Verschieben des elastischen Katheters aus dem Auge heraustreten und Verletzungen verursachen kann. Ist der Katheter auf diese Weise in die Blase eingedrungen, dann zieht man den Spanner unter Festhalten des Katheters und des Gliedes in einem der Krümmung entsprechenden Bogen wieder heraus. Die Anwendung von Metallkathetern oder Metallbougies sollte dem Facharzt oder sehr Geübten überlassen bleiben. Außer den bisher beschriebenen Gummikathetern gibt es noch SeidengespinnstLackkatheter mit verschiedenen Krümmungen, die bei manchen Verengerungen der Harnröhre gute Dienste leisten. Sie sind ziemlich steif und sollten daher, zumindestens in den dünneren Nummern, nur vom Erfahrenen angewendet werden. Der Lacküberzug wird leicht brüchig oder rauh und eignet sich daher nicht zum Dauerkathetei. Eine Untersuchung der Harnröhre durch Bougies wird nur in seltenen Fällen nötig sein. Da fast alle Bougieformen auch als Katheter hergestellt werden, wird man stets die letzten bevorzugen, weil mit dem gleichen Instrument nicht nur die Urethra untersucht, sondern auch gleichzeitig die Füllung der Blase (Restharn!) festgestellt und evtl. sofort therapeutische Blasenspülungen vorgenommen werden können. Eine 2 Paetzel, Urologie

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Ausnahme machen nur die Filiformbougies, die bei hochgradigen Strikturen verwendet werden müssen. Ihr zweckmäßiger Gebrauch (sowohl zu Untersuchungs- als auch zu therapeutischen Zwecken) setzt aber ebenfalls große Erfahrung voraus (siehe Abb. 6). Man verwendet am besten nur solche Filiformbougies, die mit einem dünnen Seidengespinnst- oder Metallkatheter (sog. Lefort-Katheter) verbunden werden können (vgl. Strikturbehandlung, S. 136). Ein früher zu diagnostischen Zwecken viel benutztes Instrument, die Steinsonde, hat heute durch Zystokopie und Röntgenuntersuchung an Bedeutung verloren. Nur in den seltenen Fällen in denen diese beiden Untersuchungsmethoden (weil die Blase nicht klargespült werden kann oder ein Röntgengerät nicht zur Verfügung steht) nicht anwendbar sind, kann der Erfahrene mit der Tastsonde einen größeren Blasenstein deutlich feststellen. Endoskopie

Es kann nicht im Rahmen dieses Büchleins, das sich an den klinischen Studenten und den praktischen Arzt richtet, liegen, eine Anleitung zum Zystoskopieren zu geben. Ich schließe mich völlig der Auffassung SCHLAGINTWEITS an, daß die Endoskopie der Harnwege dem Fachurologen überlassen bleiben muß und nur dem operierenden Gynäkologen und Chirurgen in Notfällen, besonders bei Verdacht der Verletzung der Harnwege, die Anwendung des Zystoskops zugestanden werden kann. Die endoskopische Technik und die Mannigfaltigkeit ihrer Bilder erfordern eine so große Übung und Erfahrung, daß nur der Facharzt eine einwandfreie Diagnose stellen kann. Durch den Besitz eines Zystoskops wird man ebensowenig ein Urologe wie man durch den Kauf einer Violine zum Geigenspieler wird. Die gelegentliche Handhabung eines Zystoskops durch Nichturologen hat geradezu zu einer Furcht des Publikums vor urologischen Untersuchungen geführt. Es wird Abb. 6. daher die wesentlichste Aufgabe dieses AbFiliformbougie mit Lefort-Katheter schnittes sein, die weit verbreiteten irrigen Ansichten über die Gefährlichkeit, Schmerzhaftigkeit, Dauer und Schädlichkeit endoskopischer Untersuchungen richtigzustellen. Die erste Voraussetzung für eine Endoskopie ist das Vorhandensein eines ausreichenden und modernen Instrumentariums. Wenn überhaupt nur ein Zystoskop vorhanden ist, wird man sich nicht wundern können, daß bei den meisten Patienten die Untersuchung unmöglich, blutig oder sehr schmerzhaft ist. Ebensowenig wie ein Katheter für alle Harnröhren paßt, ebensowenig ist ein Zystoskop für alle Patienten geeignet. Nur wenn für Erwachsene wenigstens drei Zystoskope von verschiedenem

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ialiber zur Verfügung stehen, k a n n m a n nach vorheriger Untersuchung der Urethra nit einem Gummikatheter das passende I n s t r u m e n t wählen (Abb. 7). Die Zystoskope unterscheiden sich aber nicht nur durch ihr Kaliber, sondern auch lurch ihre Länge. Bei einem Prostatiker mit großer P r o s t a t a u n d daher abnorm ;roßer Länge der hinteren Urethra k a n n m a n mit einem „Normalzystoskop" niemals

Abb. 7. K y s t o s k o p Hersteller: Deutsche Endoskopbau Gesellschaft Saas, Wolf & Co m. b. H., Berlin W 30

n die Blase gelangen u n d daher auch „nichts sehen". Ebenso ist es bei starker Blutung oder Trübung des Urins nicht möglich, mit einem nur mit Spülhahn versehenen Instrument ein klares Bild zu erlangen. Dazu gehört ein Zystoskop mit Dauerspülung. Die Unkenntnis der technischen Entwicklung der Zystoskope ist wohl auch die Jrsache f ü r die absolut irrige Auffassung, daß m a n K i n d e r überhaupt nicht oder n u r n Narkose zystoskopieren kann, wie selbst in den neuesten Lehrbüchern der Kinder leilkunde zu lesen ist. E s werden Blasenspiegel hergestellt, die auch beim kleinsten nännlichen Säugling eine Zystoskopie ohne jede B e t ä u b u n g ermöglichen. Die Zystoskopie kann (von ganz seltenen Ausnahmefällen abgesehen) bei jedem

'atienten bei Vorhandensein eines ausreichenden Instrumentariums und durch geübte

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Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden

Hand ohne jede Betäubung fast schmerzlos, auf j edenfall mit geringerer Belästigung als bei vielen anderen Untersuchungsmethoden, durchgeführt werden. Auch in dieser Hinsicht gehe ich mit anderen erfahrenen Urologen (z. B. MAY, München) konform. Die noch vielfach geübte Schleimhautanästhesie (mit Pantocain, Percain oder dgl.) ist ebenso überflüssig wie zwecklos, da sie j a nur die vördere Harnröhre anästhetisch machen kann, die sowieso wenig schmerzempfindlich ist. Die erheblich schmerzempfindlicheie hintere Harnröhre wird durch Instillation eines Schleimhautanästhetikums nicht schmerzfrei, weil das Medikament nicht darin verweilt, sondern in die Blase abfließt. Wenn also wirklich einmal eine Anästhesie notwendig wird, dann kommt nur die S a k r a l - P e r i d u r a l - oder L u m b a l a n ä s t h e s i e in Betracht, die jeden Eingriff schmerzlos macht und daher auch bei allen endovesikalen Operationen (Lithotripsie, Elektroresektion usw.) angewendet wird. Auch über die Dauer zystoskopischer Untersuchungen herrschen vielfach noch falsche Vorstellungen, Keine Zystoskopie braucht länger als 20 Minuten zu dauern. So ist z. B. bei der Farbstoffausscheidungsprobe (Chromozystoskopie) eine längere Beobachtung zwecklos. Ist in dieser Zeit keine Blauausscheidung erfolgt, so werden Uretherkatheter eingeführt, das Zystoskop unter Belassung der Katheter entfernt, so daß evtl. auch ein retrogrades Pyelogramm ohne länger dauernde Belästigung des Patienten durchgeführt werden kann. Auch die verfeinerten REHNschen Nierenfunktionsprüfungen können so ausgeführt werden. Wenn man immer wieder von Patienten hört, daß sie bei derartigen Untersuchungen 1 1 / 2 Stunden und länger mit dem Zystoskop in der Blase auf dem Untersuchungstisch gelegen haben, so kann man die ablehnende Haltung der Kranken gegenüber solchen Untersuchungen verstehen, man muß aber die Erfahrung und Geschicklichkeit derartiger Untersucher in Zweifel ziehen. Dringend notwendig ist dagegen eine Vorbereitung des Patienten zur Zystoskopie. Man wird im allgemeinen eine Blasenspiegelung nicht gleich bei der erst en urologischen Untersuchung vornehmen; nur bei Hämaturie, die j a meist flüchtig ist, ist eine sofortige Zystoskopie erforderlich, um den Ort der Blutung festzustellen. Besteht dieser Anlaß zur sofortigen Blasenspiegelung nicht, so verordne man zunächst ein Sulfonamidpräparat (z.B. Albucid 3mal täglich 2—3 Tabletten), das 3 Tage lang, beginnend 1 Tag vor der beabsichtigten Zystoskopie. genommen werden muß. Man verhütet auf diese Weise eine Infektion der Harnwege, oder falls diese schon vorhanden ist, ein Weitergreifen auf andere Organe (z. B. Nebenhoden). Denn wenn auch die modernen Zystoskope ausreichend sterilisierbar sind, so enthält doch häufig die Urethra schon Keime, die durch das Einführen des Instruments virulent werden und in die Lymphund Blutbahnen eindringen können. In den meisten Fällen, die eine Zystoskopie erfordern, wird aber schon eine Infektion der Harnwege vorhanden sein. Die rite angewendete Zystoskopie ist eine außerordentlich aufschlußreiche diagnostische Methode. Sie ermöglicht ein Bild der Harnblase von einer Klarheit und Prägnanz, wie sie weder der Operateur durch eine Eröffnung der Blase (Sectio alta) noch der Pathologe an dem entfernten Organ bei makroskopischer Betrachtung erreichen kann. Das hat zwei Ursachen: 1. Bei der Zystoskopie ist die Blasenschleimhaut entfaltet, so daß jedes Blutgefäß bis in die kleinsten Verzweigungen verfolgt, jede Einzelheit der Schleimhaut, z. B. umschriebene Entzündungsherde, kleinste Ulcera, eine kleine Divertikelöffnung usw., entdeckt werden können. 2. Durch die optische Einrichtung des Zystoskops erhält man ein Bild, das sich einem in der Mitte des Blasenhohlraums befindlichen Untersucher bieten würde. R I N G L E B hat daher den sehr treffenden Vergleich mit einem „Taucherchen" gezogen,

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der sich inmitten der Blase aufhält und so die Wände in aller Klarheit ringsherum betrachten kann. Durch Heranbringen des Zystoskopfensterchens (Eintrittspupille) an bestimmte Stellen, kann man diese wie durch ein Vergrößerungsglas sehen. Der Abstand des Zystoskop-Schnabels vom Objekt bestimmt die Größe des Gesichtsfeldes und die optische Größe des Objekts. Erfahrene Untersucher können aus dem reziproken Verhältnis dieser beiden den Umfang eines Steines z. B . gut schätzen. Aus den gleichen Gründen wird die Zystoskopie auch stets der Röntgenuntersuchung der Blase überlegen sein, selbst wenn es sich um schattengebende oder durch Kontrastmittel darstellbare Objekte handelt. Dagegen ist durch die Kombination von Endoskopie mit Röntgenuntersuchung eine weitere Verfeinerung und Ausweitung der Diagnostik geschaffen (vgl. Pyelographie, Divertikeldarstellung usw., S. 25u.ff.). Man beginnt bei der Z y s t o s k o p i e mit der Besichtigung des Blasenhimmels, an dem die Luftblase schwimmt, betrachtet dann durch Drehen des Instruments die Seitenwände, die Hinterwand und den Blasenboden mit dem sog. Trigonum (Lieutaudi) und den Ureterostien und schließlich das Orificium internum,das in seiner ganzen Zirkumferenz eingehend zu besichtigen ist. Der wichtigste Blasenabschnitt ist der Blasenboden mit den Ostien, weil auf ihm nicht nur alle nichtschwimmenden Fremdkörper und Steine liegen, sondern auch die Tumoren vorzugsweise ihren Sitz haben. Das sog. „Spiel" der Ostien ist eingehend zu studieren. Man erkennt nicht nur, ob die Nieren zystoskopisch klaren oder trüben oder blutigen Harn absondern, man kann auch aus der Beobachtung faustraner Kontraktionen und der Stärke, der Häufigkeit und Projektionskraft des Harnstrahls Rückschlüsse auf die Dynamik des Nierenbeckens und Ureters ziehen. Durch die anschließende i.v. Injektion von 0,02 Indigokarmin gelöst in 5 cm 3 Aq. dest. (am bequemsten in fertigen Ampullen der F a . Merck) gewinnt man deutlichere Einblicke in die Motorik der oberen Harnwege und gleichzeitig in die Funktion der Nieren. Trotzdem diese „Chromozystoskopie" nur über eine Partialfunktion der Nieren Aufschluß gibt, bleibt sie bei den sog. chirurgischen Nierenkrankheiten die wichtigste Funktionsprüfung. Sie läßt auch erkennen, ob eine intravenöse Pyelographie zweckmäßig oder gefährlich ist; denn wenn bei der Farbstoffausscheidungsprobe eine Niere überhaupt keine Funktion zeigt, wird sie in den meisten Fällen auch keine Kontrastdarstellung ihrer Hohlräume zulassen. Sind beide Nieren funktionsschwach, so kann die i.v. Pyelographie mit einem jodhaltigen Kontrastmittel sogar bei nicht-jodempfindlichen Patienten gefährlich sein. Die Chromozystoskopie soll also allen Kontrastdarstellungen der Harnwege vorangehen. Die Zystoskopie findet ihre diagnostische Ergänzung durch den H a r n l e i t e r k a t h e t e r i s m u s . Die dafür eingerichteten Zystoskope haben ein etwas größeres Kaliber und einen U-förmigen Querschnitt, so daß neben der runden Optik zwei Kanäle vorhanden sind, durch welche die Harnleiterkatheter geführt werden. Kurz vor dem Austritt aus dem Zystoskopschaft laufen die Katheter über einen Hebel, der durch eine Triebvorrichtung bis zu 90° aufgerichtet werden kann. Durch diesen ALBAKRANschen Hebel lassen sich die Katheter leicht in den Ostienschlitz dirigieren. Die Harnleiterkatheter sind aus gelacktem Seidengewebe hergestellt. Für jeden, der einige Übung in der Besichtigung der Blase hat und sich dort raummäßig auskennt, ist der Harnleiterkatheterismus eine technisch einfache Sache. Den „GelegenheitsZystoskopikern" erscheint die Fähigkeit, den Harnleiterkatheterismus auszuführen, als der Gipfel technischen Könnens. Nur so ist zu erklären, daß diese Untersuchungsmethode viel häufiger als die Chromozystoskopie angewendet wird, nicht befriedigende oder unsichere Resultate erzielt, die aber nicht der Methode, sondern den Fehlern des Untersuchers zuzuschreiben sind. Schon die Behandlung der Ureterkatheter wird häufig nicht zweckmäßig durchgeführt. Durch Auskochen, warme

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Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden

Lagerung oder Alter weich oder brüchig gewordene Harnleiterkatheter lassen sich nicht gut einführen und sind daher auszumerzen. Man darf ihre Verwendbarkeit aber nicht durch Einführen von Drähten zu verlängern trachten. Die von den Herstellern mitgelieferten Drähte dienen ausschließlich zur Reinigung der Katheter, die Einführung von Kathetern mit einliegenden Drähten ist gefährlich und muß als Kunstfehler angesehen werden. Man sieht es auch immer wieder, daß die Blauausscheidung mit Hilfe des Ureter katheterismus geprüft wird. Gewiß kann man so den Eintritt der Harnfärbung an dem ersten bläulichen Tropfen zeitlich genau bestimmen, aber man verliert dadurch jeden Einblick in die Dynamik des Nierenbeckens und Ureters, den die einfache Chromo-Zystoskopie ermöglicht. Ich empfehle daher, bei der Blauprobe den Harnleiterkatheterismus erst dann auszuführen, wenn nach 20 Minuten post inj. keine sichere Blauausscheidung erfolgt ist. Der richtig indizierte Harnleiterkatheterismus ermöglicht im Verein mit den anderen urologischen Methoden eine so exakte und aufschlußreiche Untersuchung, wie sie bei keinem anderen Organ durchgeführt werden kann. E r ermöglicht uns, den Harn jeder Niere einzeln aufzufangen und zu untersuchen, die feinen R E H N schen Nierenfunktions A b b . 8. Urethroskop für die vordere Harnröhre Herateller: Deutsche Endoskopbau Gesellschaft Sass, Wolf & Co m.b.H., Prüfungen, aus denen Berlin W 30 selbst Teilerkrankungen einer Niere erkennbar sind, auszuführen und die Hohlräume des Organs bis in ihre feinsten Verzweigungen durch Kontrastmittel röntgenologisch darzustellen.

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Die Endoskopie der Urethra kann im Rahmen dieses Büchleins hinsichtlich ihrer Technik sehr kurz abgehandelt werden, da sie wohl nur von Spezialisten ausgeführt wird. Sie ist für den Praktiker allgemein-diagnostisch von geringer Bedeutung, da sie nur bei wenigen Krankheiten bessere Einblicke als andere Untersuchungen ermöglicht (Abb. 8). Es ist allerdings bedauerlich, daß es immer noch kein Instrument gibt,

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d a s die K a t h e t e r u n g der Samenwege von der h i n t e r e n H a r n r ö h r e aus in den meisten Fällen ermöglicht. N u r ganz selten gelingt es, m i t dem F i s c H E R - U r e t h r o s k o p (Fa. H e y n e m a n n ) die Samenwege zu sondieren u n d zur K o n t r a s t d a r s t e l l u n g zu bringen u n d auch die etwas vollkommeneren amerikanischen I n s t r u m e n t e stellen noch keinen bedeutenden F o r t s c h r i t t dar. Vordere u n d hintere Urethroskopie erfordern verschiedene I n s t r u m e n t e . D i e Urethroscopia posterior wird m i t zystoskopähnlichen I n s t r u m e n t e n ausgeführt, bei denen durch Dauerspülung die H a r n r ö h r e entfaltet u n d d u r c h eine prograde Optik besichtigt wird. Man k a n n so a n kleinen Abschnitten der hinteren H a r n r ö h r e n w a n d entlangsehen, es fehlt aber wegen der E n g e des R a u m e s die Möglichkeit, den Colliculus seminalis v o n oben her optisch günstig zu b e t r a c h t e n . Man k a n n aber m i t dem U r e t h r o s k o p über die Größe, F o r m u n d Oberfläche des C o l l i c u l u s s e m i n a l i s einen genügenden Überblick gewinnen, T u m o r e n e r k e n n e n u n d vor allen Dingen einen E i t e r a b f l u ß a u s d e m Colliculus (bei Samenblasenempyem) beobachten, d a die d u r c h d a s I n s t r u m e n t hindurch i n die Blase abfließende Spülflüssigkeit eine Saugwirkung auf die Samenwege a u s ü b t (Abb. 9). Als S p ü l f l ü s s i g k e i t f ü r Zystoskopie u n d Urethroscopia posterior verwendet m a n a m b e s t e n reines l a u w a r m e s Wasser. D a s in allen größeren S t ä d t e n zur Verfügung stehende Leitungswasser ist keimfrei genug, es m u ß nicht u n b e d i n g t steriles W a s ser sein, d a s gewöhnlich nicht in ausreichender Menge zur V e r f ü g u n g steht. J a , es i s t besser, m i t dem in beliebigen Mengen z u r V e r f ü g u n g s t e h e n d e m Leitungswasser z u arbeiten, als m i t absolut sterilem W a s s e r zu sparen, wodurch die Besichtigung erschwert u n d die ganze Prozedur u n n ü t z ver längert wird. Auch v o n dem Zusatz desinfizierender Stoffe r a t e ich ab, d a sie entAbb. 9 weder T r ü b u n g e n hervorrufen oder F a r b Urethroskop f ü r die hintere H a r n r ö h r e stoffe enthalten. D a s so sehr beliebte 3°/o Hersteller: Deutsche Endoskopbau Gesellschaft Sass, Borwasser h a t k a u m eine desinfizierende Wolf & Co m. b. H., Berlin W 50 W i r k u n g (es wirkt nur auf Pyozyaneusbakterien schädigend) u n d darf keinesfalls bei Anwendung des elektrischen Stromes zu therapeutischen Zwecken (Elektrokoagulation, Elektroresektion der P r o s t a t a usw.) b e n u t z t werden, d a es elektrolytisch gespalten wird. Auf die auf S. 20 erwähnten vorbereitende Sulfonamidbehandlung sei nochmals hingewiesen! Die Urethroscopia anterior ähnelt einer einfachen Spiegeluntersuchung, wird also ohne Spülung mit einem die H a r n r ö h r e entfaltenden T u b u s vorgenommen, d u r c h den

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Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden

eine an langem Stiel befestigte elektrische Mikro-Glühbirne hindurchgeführt wird, so daß ein kegelartiger Bezirk der Harnröhrenschleimhaut besichtigt werden kann. Eine kleine, vor das äußere Ende des Tubus schwenkbare Vergrößerungslinse gestattet eine genauere Betrachtung. Der Tubus wird mit einem dazugehörigen Mandrin bis zum Anschlag in die Urethra eingeführt, der überschüssige Teil des Katheterpurins sowie Harnröhrensekret durch einen kleinen Stieltupfer entfernt u n d dann bei der Besichtigung langsam aus der Urethra herausgezogen. So kann die Harnröhrenschleimhaut vom Orific. ext. urethrae bis zur Harnröhrenmündung schrittweise überblickt werden. Nach Herausziehen des Mandrins darf der Tubus aber nicht mehr blasenwärts vorgeschoben werden, da sonst Blutungen resp. geringfügige Schleimhautverletzungen entstehen, die die Beobachtung stören oder unmöglich machen.

Röntgenuntersuchung Die röntgenologische Darstellung der Harnwege stellt das letzte Glied in der urologischen Diagnostik dar. Gelingt es bei den sog. Leerauf nahmen im wesentlichen, schattengebende Steine und Fremdkörper nachzuweisen, so ist durch die Kontrastfüllung die optische Darstellung der Hohlräume des gesamten Harnsystems einschließlich der Samenwege möglich. Allerdings ist die Deutung der Bilder oft nicht so einfach und meist nur im Zusammenhang mit dem übrigen klinischen und endoskopischen Befund möglich. Es ist daher völlig abwegig, vom Röntgenologen eine urologische Diagnose durch Verordnung eines intravenösen Pyelogramms zu fordern oder zu erwarten. Nur der urologisch geschulte Arzt vermag durch die Kombination aller urologischen Untersuchungsmethoden mit der Röntgenuntersuchung alle Ergebnisse zu einem einheitlichen und klaren Bild zu vereinen, dann aber bis zu einer Vervollkommnung, wie sie bisher bei keinem anderen Organsystem möglich ist. Die Röntgendarstellung der Urethra (Urethrographie) wird nur in seltenen Fällen größere diagnostische Bedeutung haben, besonders dann, wenn eine hochgradige, nicht passierbare Striktur vorhanden ist (Abb. 10). Man kann dann durch eine Füllung der Harnröhre den für Instrumente nicht mehr durchgängigen Teil sichtbar machen und dadurch über die Länge und den Verlauf der strikturierten Harnröhre, sowie über evtl. vorhandene Fisteln und Divertikel einen Überblick gewinnen, der für die Behandlung resp. die Operationsmethode von Wichtigkeit ist. Man injiziert in Halbseitenlage, das untere Bein angewinkelt, das obere gestreckt, 30 cm 3 Uroselektan oder Perabrodil aus einer mit Gummiolive versehenen Blasenspritze und „schießt" die Aufnahme, wenn 10—15 cm 3 in die Urethra resp. Blase eingedrungen sind. Ich warne vor der Verwendung von öligen Kontrastmitteln (z. B. Jodipin), die von anderen Autoren empfohlen werden, weil bei hochgradigen Strikturen ein erheblicher Druck ausgeübt werden muß und so durch Einbruch in Bluträume eine Fettembolie hervorgerufen werden kann. Bei Strikturen, die nur noch tropfenweises Harnlassen ermöglichen, sowie bei ventilähnlichen Faltenbildungen (meist angeboren) versagt häufig diese Methode. Man kann dann bei vorher sichergestellter guter Nierenfunktion (cave!) noch den Versuch machen, nach intravenöser Kontrastmittel-Injektion (mindestens 30 Minuten warten!) im Moment der Spontanmiktion eine Aufnahme zu machen, jedoch sind dann durch die Verdünnung mit der gestauten Urinmenge meist nur wenig kontrastreiche Bilder zu erzielen. Die Röntgendarstellung der Blase (Zystographie) kann und soll die Zystoskopie nicht ersetzen, vermag aber in vielen Fällen, die endoskopischen Ergebnisse zu vervollkommnen. Die Leeraufnahme der Blasengegend läßt Fremdkörper und Steine in

Instrumentelle U n t e r s u c h u n g

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der Blase, der P r o s t a t a und den Samenblasen erkennen. Prostatasteine sind palpatorisch nur selten tastbar (vgl. S. 125) und endoskopisch nicht sichtbar, im Röntgenbild aber meist gut darstellbar. Es ist selbstverständlich, daß m a n auch stets eine Leeraufnahme der Blasengegend machen muß, wenn hochgradige Strikturen oder eine Schrumpfblase eine Zystoskopie nicht zulassen. Weiche Aufnahmen lassen auch oft die K o n t u r e n einer stark vergrößerten Prostata erkennen. Die mit Kontrastmitteln

A b b . 10. Normales U r e t h r o g r a m m

gefüllte Blase (aus ökonomischen Gründen verwendet man eine 10°/o-Bromnatriumlösung) läßt nicht nur etwa vorhandene Divertikel, ausgeprägte Balkenbildung usw. erkennen, sondern auch den sog. vesikorenalen Reflux, besonders dann, wenn m a n die A u f n a h m e im Moment einer Miktion oder bei Auftreten von Harndrang vornimmt (Abb. 11). Durch das Zystogramm mit einer Füllung von 50—100 cm 3 lassen sich größere Blasentumoren als Aussparung meist gut erkennen, ebenso die stark vergrößerte Prostata. Besser wird die Darstellung bei Anwendung der Abrodil-Pfütze (nach KNEISE-SCHOBER). ES werden dabei nur 20 cm 3 Abrodil und 50—100 cm 3 L u f t in die Blase gegeben, wodurch der mit dem Kontrastmittel benetzte Tumor sich stark gegen die Luftfüllung abhebt (Abb. 12).

Die Darstellung von Blasendivertikeln wird am besten durch Einführen u n d Aufrollen eines Ureter katheters in das Divertikel, Füllung des Divertikels mit Kontrastflüssigkeit u n d Auffüllen der Blase m i t L u f t (nach Abfließen der Spülflüssigkeit) vorgenommen. So entstehen außerordentlich instruktive Bilder (s. Abb. 13). Die oberen Harnwege werden röntgenologisch ebenfalls durch Leeraufnahmen u n d Kontrastaufnahmen erforscht. Auch hier ist in jedem Falle stets eine Übersichtsaufnahme zur Erkennung von Steinen mit weicher Strahlung zu machen. I s t auf Grund der Chromozystoskopie ein retrogrades Pyelogramm beabsichtigt, so wird die Abb. 11. Zystogramm. Yesikorenaler Reflux: Aufsteigen des K o n t r a s t m i t t e l s aus der Blase in die linken oberen Harnwege. Abb. 12. Cystogramm-Pfütze: Darstellung der vergrößerten P r o s t a t a sowie einiger kleiner divertikelähnlieher Ausstülpungen bei Balkenblase. Abb. 13. Blasendivertikel. U r e t e r k a t h e t e r in dem großen Divertikel aufgespult. Divertikel mit Kontrastflüs-

Ahh

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L e e r a u f n a h m e mit eingeführten Harnleiterkathetern vorgenommen, wodurch Phlebolithen, verkalkte Drüsen usw. als außerhalb der Harnleiter liegend, erkannt werden können (Abb. 14). Die Kontrastdarstellung der oberen Harnwege wird als intravenöse Pyelographie, retrograde Pyelographie und Pyeloskopie mit gezielten Aufnahmen vorgenommen. Alle drei Methoden ergänzen sieh, sie sind aber nicht als konkurrierende Methoden zu betrachten. Der urologisch nicht Geschulte wird natürlich die Ausscheidungsurographie bevorzugen, muß sich aber darüber im klaren sein, daß mit dieser Methode allein durchaus nicht alle Erkrankungen der oberen Harnwege erfaßt werden können. Vorbedingung der i n t r a v e n ö sen (Ausscheidungs-) P y e l o g r a phie ist, 1. daß der Patient nicht jodüberempfindlich ist, 2. daß die Nieren noch hinreichend funktionstüchtig sind, um das Kontrastmittel in genügender Konzentration ausscheiden zu können. Es ist daher vor jeder i.v. Pyelographie eine Probeinjektion von 1—2 cm3 des Kontrastmittels vorzunehmen und 30 Minuten zu warten, ob eine Reaktion erfolgt. Erst nach dieser Zeit erfolgt die Injektion der restlichen 18 cm3 Perabrodil oder Uroselektan B . Außerdem muß durch wenigstens eine Nierenfunktionsprüfung (s. S. 29) sichergestellt sein, daß keine erheblicheRetention harnpflichtiger Stoffe vorliegt. Die Ausscheidungsurographie liefert brauchbare Bilder, wenn die

Abb. 14. Leeraufnahme der Harnwege: Mandelgroßer Nierenstein rechts. Abb. 15. Intravenöses Pyelogramm.

A b b . 14

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Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden

Nieren normal oder annähernd normal funktionieren. Sie liefert sehr gute Bilder, wenn eine Harnstauung bei noch guterhaltener Nierenfunktion vorliegt, also z. B. wenn ein Ureterstein mit geringer Abflußbehinderung, Erweiterung des Nierenbeckens, aber noch gute Nierenfunktion vorliegt. Sie zeigt aber keine morphologischen Veränderungen, wenn das Nierenparenchym hochgradig geschädigt ist, z. B. bei einer schweren Pyelonephritis. In diesem Falle würde bei einseitiger Krankheit nur die gesunde Niere mit ihrem Hohlraumsystem dargestellt sein, während auf der kranken Seite nur ein Ausfallen der Kontrastdarstellung zu konstatieren ist. Dieser Ausfall (von den Röntgenologen jetzt meist als „negatives" Pyelogramm bezeichnet) zeigt also nur eine schwere Erkrankung der betreffenden Niere, aber nicht die Art der Erkrankung an. Die i.v. Pyelographie leistet also in solchem Falle nicht mehr als die Chromozystoskopie, die, wie schon einmal hervorgehoben wurde, jeder Pyelographie vorangehen sollte. Bei schwerer einseitiger Nierenschädigung ist es also zwecklos, eine Ausscheidungsurographie vorzunehmen, hier kann nur die retrograde (transvesikale) Pyelographie eine Darstellung des Nieren hohlraumsystems erzielen (Abb. 15). Die r e t r o g r a d e Pyelographie, d. h. die Darstellung der Nierenhohlräume nach In j ektion eines Kontrast mittels durch in die Harnleiter eingeführteUr eterkatheter, liefert dagegen stets ein sehr deutliches HohlraumAbb. 16. Retrogrades Pyelogramm. Rechtes Nierenbecken und Kelchsystem mit Kontrastmittel gefüllt. Links nur kleine Kontrastmittel-Pfützen bei Doppelniere. Der Katheter liegt im oberen Anteil der Doppelniere. Abb. 17. Vesikulogramm.

Ahh 17

Nierenfunktionsprüfungen

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bild. Zur Erkennung von Nierentumoren, Kelchdestruktionen, Nierentuberkulose usw. wird daher in den meisten Fällen diese Methode unentbehrlich sein. Die Injektion des Kontrastmittels (20°/o Abrodil oder Uroselektan B zur retrograden Pyelographie) muß aber langsam und mit geringem Druck erfolgen, damit eine künstliche Erweiterung der Hohlräume und ein pyelovenöser Reflux vermieden wird. Sobald ein Druckgefühl in der Nierengegend vom Patienten geäußert wird, ist die Injektion abzubrechen. Die erste Aufnahme wird zweckmäßigerweise mit liegenden Ureterkathetern, die zweite nach Herausziehen der Katheter vorgenommen (Abb. 16). Auch für die P y e l o s k o p i e und die Herstellung von gezielten Nierenbeckenaufnahmen zur Darstellung der Entleerung der Nierenhohlräume ist bisher die instrumenteile Pyelographie trotz Herstellung hochprozentiger Ausscheidungskontrastmittel unentbehrlich. E s muß nochmals hervorgehoben werden, daß es sich nicht um konkurrierende, sondern ergänzende Methoden handelt, daß man in zahlreichen Fällen beide Verfahren anwenden muß, um d i e diagnostische Klarheit zu erlangen, die zur Vornahme operativer Eingriffe notwendig ist. Die Diagnostik der Nierenkrankheiten ist durch die Vielzahl der urologischen Untersuchungsmethoden so verfeinert, daß man in fast allen Fällen bei der Operation d i e Veränderungen vorfindet, die man auf Grund der vorhergegangenen Untersuchungen erwarten konnte. Eine ,,Probefreilegung", die in der Bauchchirurgie immer noch des öfteren notwendig ist, gehört in der Urologie zu den größten Seltenheiten. Die Röntgenkontrastdarstellung der Samenblasen-,,Yesikulographie" kann, von Ausnahmen (s. S. 23) abgesehen, nur nach Freilegung der Samenstränge vorgenommen werden; durch diesen kleinen, jedem Urologen geläufigen Eingriff und Einführen von Kanälen in die Samenstränge lassen sich aber sehr deutliche Füllungsbilder der Samenblasen herstellen (Abb. 17). Nierenfunktionsprüfungen Bei jeder urologischen Erkrankung muß an eine Schädigung der Nierenfunktion gedacht werden. In der Urologie handelt es sich fast stets um „Systemkrankheiten" (v. LICHTENBERG), d. h. das g a n z e Urogenitalsystem ist in Mitleidenschaft gezogen. Eine Harnröhrenstriktur hohen Grades z . B . ist niemals als lokale Erkrankung zu betrachten und zu behandeln, sondern muß stets eine genaue Untersuchung des gesamten Harnsystems veranlassen. Durch die Striktur wird eine Stauung hervorgerufen, die nicht auf das nächste höhergelegene Organ, die Blase, beschränkt zu sein braucht, sondern darüber hinaus auch zu einer Erweiterung der oberen Harnwegsabschnitte, der Harnleiter, Nierenbecken und Nierenkelche geführt haben kann. E s muß daher in jedem Falle eine Prüfung der Gesamtfunktion b e i d e r Nieren, aber auch der Arbeit j e d e r e i n z e l n e n Niere vorgenommen werden. Die wichtigsten Untersuchungsmethoden der Gesamtfunktion beider Nieren sind 1. die Berechnung der ausgeschiedenen Menge fester Stoffe mittels der HAESERschen Zahl; 2. der Wasserversuch nach VOLHARD; 3. die BABRENSCHEENsche Reaktion; 4. die R e s t - N - B e s t i m m u n g ; 5. die K r y o s k o p i e . Die beiden ersten sind also Urinuntersuchungen, die übrigen drei sind Blutuntersuchungen. Die Anwendung der HAESERschen Zahl ist auf S. 13 beschrieben, die

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Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden

Methode ist von jedem Praktiker, selbst in der Besuchspraxis, innerhalb von 24 Stunden mit einfachsten Geräten (1 Urometer, 1 Thermometer) durchführbar. Auch der W a s s e r - u n d K o n z e n t r a t i o n s v e r s u c h ist in seiner vereinfachten Form in 24 Stunden leicht durchführbar: In der dem Wasserversuch vorangehenden Nacht darf von 20 Uhr ab keine Flüssigkeit mehr genossen werden. Die nächtliche Urinmenge wird gemessen und gewogen. Morgens zwischen 7.30 Uhr und 8.00Uhr trinkt der Patient 1500 cm3 Wasser oder dünnen Tee, dann nichts mehr bis zum nächsten Morgen. Stündlich wird die durch Spontanmiktion oder bei Harnverhaltung durch Dauerkatheter entleerte Menge gemessen und gewogen und in eine Tabelle eingetragen. Die in den ersten 4 Stunden produzierten Urinmengen werden addiert. Nachmittags wird in 2stündigen Abständen ebenso verfahren. In der Mittagszeit darf der Patient etwas trockene Nahrung (belegtes Brot) zu sich nehmen. Die folgende Tabelle zeigt am besten die Durchführung. Wasserversuch

Vorbereitung: Von 20 Uhr abends bis 7.30 Uhr morgens nichts trinken. Nachturinmengen messen und wiegen. 7.30 Uhr bis 8.00 Uhr 1500 cm 3 Wasser oder dünnen Tee trinken. Für den Rest des Tages und die nächste Nacht darf keine Flüssigkeit mehr genossen werden. Bei der Berechnung des spez. Gewichts ist zu beachten, daß die Urometer auf 15° Celsius geeicht sind. Für je 3° darüber ist ein Teilstrich zuzurechnen, für 3° darunter ein Teilstrich abzuziehen. Menge

Spez. Gewicht

20— 8 (Nachturin)

450

1011

8- 9 9-10 10-11 11-12

360 580 310 150

1004 1001 1003 1008

Zeit

1400 12-14 14-16 16-18 18-20

1012 1016 1017 1018

80 60 50 30 Becherzahl:

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Nachturin: Von 20 Uhr bis 8 Uhr morgens messen und wiegen. Die sog. B E C H E R s c h e Zahl ergibt sich durch Addition der Hunderter der in den ersten 4 Stunden ausgeschiedenen Menge und der beiden letzten Ziffern des höchsten spezifischen Gewichtes; in unserm Beispiel sind es die Zahlen 14 (aus der Menge 1400) und 18 (aus der Zahl 1018) = 32. Eine Becherzahl von 30 oder darüber zeigt ganz normale Nierenfunktion. Becherzahlen von 24—30 geringe Funktionseinschränkung, solche von 18—24 stärkere Funktionseinschränkung und Werte unter 18 schwere Nierenschädigung (Urämie). DieNiereninsuffizienzprüfungen, die mit dem Blut resp. Serum angestellt werden, beruhen auf der Überlegung, daß bei ungenügender Ausscheidung harnpflichtiger Stoffe durch die Nieren eine Anreicherung im Blute stattfinden muß. Es ist eine sehr

Nierenfunktionsprüfungen

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große Zahl solcher Untersuchungsmethoden, z. T. auf sehr geistreichen Überlegungen basierend, geschaffen worden (ausführlich in Abderhaldens Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden von Volhard und Becher bearbeitet); alle erfordern Reagenzien und Laboreinrichtungen, die dem praktischen Arzt nicht zur Verfügung stehen. Eine Ausnahme macht nur die BARRENSCHEENsche Reaktion, die schnell und mit einfachsten Mitteln anzustellen ist. 5—10 cm3 Blut wird zentrifugiert, das Serum durch Trichloressigsäure enteiweißt und filtriert. Tropft man einen Tropfen dieses Filtrats auf weißes Fließpapier, das mit Ehrlichs Reagens angefeuchtet ist, so zeigt sich bei Niereninsuffizienz eine Gelbgrünfärbung, die um so stärker ist, je weiter die Nierenschädigung fortgeschritten ist. Die Bedeutung des R e s t s t i c k s t o f f s (Rest-N) für die Erkennung einer Niereninsuffizienz beruht auf folgender Überlegung: Unter Rest-N versteht man d e n Stickstoff des Blutes, der nach Ausfällen des Eiweißes ins Filtrat übergeht. Der Rest-N ist also der Nichteiweißstickstoff des Blutes. E r besteht zwar aus mehreren Stickstoffkomponenten, wir wissen aber aus Erfahrung, daß der H a r n s t o f f - S t i c k s t o f f etwa die Hälfte des gesamten Rest-N beträgt und daß bei Niereninsuffizienz das Ansteigen des Rest-N im wesentlichen auf den Anstieg des Harnstoff-Stickstoff-Anteils zurückzuführen ist. Nur bei schwerster Niereninsuffizienz (d. h. meist erst kurz vor dem Tode) findet sich auch eine Zunahme der übrigen Stickstoffkomponenten. Der normale Rest-N-Wert beträgt 20—40 mg-1/«. Die G e f r i e r p u n k t s b e s t i m m u n g des Blutes (Kryoskopie) ist eine ältere Methode der Feststellung der Arbeitsleistung der Nieren; sie beruht auf der Grundidee, daß durch Anreicherung von harnpflichtigen Stoffen auch eine Erhöhung der Salze im Blut eintritt, wodurch natürlich der Gefrierpunkt erniedrigt wird. Die durch die einfache Apparatur des BEOKMANNschen Gerätes bestimmbare Gefrierpunktserniedrigung (gegenüber destilliertem Wasser) wird mit dem Buchstaben Delta bezeichnet und ist normalerweise A = —0,54—0,56. Die Methode wird in den meisten Kliniken nicht mehr angewendet; die ihr anhaftenden theoretischen Mängel kann man nicht abstreiten; trotzdem halte ich sie im klinischen Betrieb immer noch für eine wichtige Untersuchungsmethode, da mit ihr jeder Assistent resp. technische Assistentin innerhalb einer halben Stunde ein brauchbares Resultat erzielen kann. Die Rest-N-Werte, die ich mit demselben Blut gleichzeitig in verschiedenen Laboratorien habe ermitteln lassen, zeigten oft sehr erhebliche Diskrepanzen; ich kann diese divergierenden Resultate nur durch die Verwendung nicht ganz reiner Reagenzien (z. B . nicht ganz reiner Schwefelsäure beim Enteiweißen) erklären. In solchen Fällen kann die einfache Kryoskopie dem Kliniker eine erhebliche Stütze sein. Außer der Prüfung der Gesamtfunktion beider Nieren, die mit den soeben geschilderten Methoden vorgenommen werden können, interessiert den Urologen noch besonders die Funktion j e d e r e i n z e l n e n Niere. Hier ist noch immer die Chromozystoskopie die beherrschende Methode (s. S. 20). Trotzdem die Farbstoffausscheidung nur eine Partialfunktion der Niere ist, ist die Fähigkeit zur Farbausscheidung bei den sog. c h i r u r g i s c h e nNierenkranklieiten meist schon sehr frühzeitig gestört oder verzögert. Man kann nach der Indigokarmininjektion nicht nur aus dem Einsetzen der Farbausscheidung, sondern auch aus der Farbintensität weitreichende Schlüsse bez. der Nierenfunktion ziehen. Für die Beschreibung der Farbintensität in Krankengeschichten hat sich mir folgendes Schema bewährt: Der Harnstrahl wird unter Beifügung der Zeit nach der i.v. Injektion (z. B . 4') beschrieben als: u n g e f ä r b t , d. h. ohne Blaubeimischung; anscheinend schwach blau;

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Allgemeine Urologie und urologische Untersuchungsmethoden

d e u t l i c h b l a u , d. h. daß an der Blaufärbung nun kein Zweifel mehr besteht; schwach blau mäßig blau diese Ausdrücke dienen zur Charakterisierung der Steigerung gut blau der Farbintensität. stark blau tief blau Wird während der Beobachtungszeit von 20 Minuten überhaupt keine Bewegung des Ostiums und keine Ausscheidung beobachtet, so notiere ich: kein Leben, keine Funktion. Frustrane Kontraktionen des Ostiums ohne Ausscheidung bezeichne ich als „leergehend". Eine wesentliche Verfeinerung der Funktionsprüfung jeder einzelnen Niere ist durch die Ü E H N s c h e S ä u r e - A l k a l i p r o b e geschaffen worden. Sie erfordert aber auch nach ihrer Vereinfachung durch RAABE und andere Mitarbeiter REHNS noch immer einen Spezialtest, ziemlich viel Zeit und entsprechende Übung und braucht daher im Rahmen dieser Ausführungen nicht näher beschrieben zu werden.

Obere Harnwege Anatomie und Physiologie Die N i e r e n liegen normalerweise im Cavum retroperitoneale dicht neben der Wirbelsäule in Höhe der beiden unteren Brust- und der beiden oberen Lendenwirbel. Die rechte Niere steht gewöhnlich 1—2 Querfinger tiefer als die linke, so daß im Röntgenbild die 12. Rippe schräg über das obere Drittel der rechten Niere zieht, während auf der linken Seite gewöhnlich die beiden untersten Rippen innerhalb der Nierenkontur zu liegen scheinen. Die Längsachsen der Nieren konvergieren deutlich in kranialer Richtung (s. Abb. 18). Paralleler oder divergierender Achsenverlauf im Röntgenbild muß Verdacht auf Hufeisenniere erwecken. Die Nebennieren sitzen meist fest den Nieren auf, besonders die linke Nebenniere ist ziemlich innig und breitbasig mit der Capsula propria renis verwachsen und reicht häufig bis zum Nierenstiel. Auch bei sehr dünnen Menschen ist eine gut ausgebildete N i e r e n f e t t k a p s e l vorhanden, die bei dicken Personen mehrere Zentimeter stark sein kann. Sie liegt innerhalb der beiden Blätter der Fascia lumbodorsalis, so daß bei Abmagerung eine erhöhte Beweglichkeit und Tiefertreten der Nieren resultiert. Bei fetten Personen erscheinen im Röntgenbild oft die Nierenkonturen sehr groß, weil infolge des Tangentialeffektes nicht das eigentliche Parenchym, sondern die Nieren einschließlich Fettkapsel dargestellt werden. Das N i e r e n b e c k e n kann sehr vielgestaltig und unterschiedlich groß sein, so daß der nicht versierte Betrachter eines Pyelogramms zuweilen pathologische Bilder zu sehen glaubt, während es sich in Wirklichkeit nur um seltene Formen oder Größen handelt. Das Nierenbecken kann völlig oder größtenteils vom Nierenparenchym bedeckt sein (intrarenales Nierenbecken) oder frei aus der Niere herausragen (extrarenales-Nierenbecken). Für operative Eingriffe (Pyelotomie) ist die letztere Nierenbeckenlage günstiger. Über die vordere Wand des Nierenbeckens ziehen gewöhnlich Blutgefäße in die Niere hinein, während die hintere Nierenbeckenwand meist frei von Gefäßen ist. Operationen am Nierenbecken werden daher fast stets an der Hinterwand ausgeführt (Pyelotomia posterior). Der Ureter verläuft in einem S-förmigen Bogen hinter dem Peritoneum zur Blase; er kreuzt auf diesem Wege die Iliakalgefäße an der Teilungsstelle der Iliaca externa und interna (Hypogastrica), die unmittelbar unter dem Harnleiter verlaufen. Dicht vor der Blase wird der Ureter von der Art. uterina gekreuzt, es ist das einzige Gefäß, das über ihn hinwegzieht. Das Lumen des Ureters weist drei physiologische Engen auf: die erste am Abgang vom Nierenbecken, die zweite in der Gegend der Iliakalgefäße und die dritte dicht am Eintritt in die Blase, deren Muskelwand schräg durchzogen wird. Diese drei physiologischen Engen sind daher auch die Prädilektionsstellen für das Einklemmen von Uretersteinen. Als vierte Prädilektionsstelle ist der Kreuzungspunkt mit der Art. uterina zu erwähnen. Eine Ureterotomie an dieser Stelle kann häufig nur nach Unterbindung der Art. uterina vorgenommen werden, was aber unbedenklich geschehen kann. Der Ureter „klebt" stets am Bauchfell. Nach 3

Paetzel, Urologie

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Obere Harnwege

Abschieben des Peritoneums von der Lumbalfaszie resp. der Rückenmuskulatur muß daher der Ureter stets am Bauchfell und nicht dahinter gesucht werden. Die G e f ä ß v e r s o r g u n g d e r N i e r e n kann zahlreiche Varianten aufweisen. Die Diaphragma

Ganglia coeliaca

Aorta

A b b . 18. ( A u s CORNING, 1913, S. 4 9 5 )

Aufspaltung der Nierenarterie und Nierenvene kann schon außerhalb des Nierenparenchyms beginnen; überzählige Gefäße an den Nierenpolen sind recht häufig. Stets bestehen zahlreiche Anastomosen zwischen den eigentlichen Nierengefäßen und den Kapselgefäßen (s.Abb. 19). Wichtig ist auch, daß die Vena spermat. int., die den Ureter eine große Strecke lang begleiten, auf der rechten Seite in die Vena cava, links aber stets in die Vena renalis mündet (vgl. Abb. 1).

Anatomie und Physiologie

Die N e r v e n d e r N i e r e n stammen aus dem Plexus renalis mit seinen zahlreichen Ganglienknoten, deren wichtigster das Ggl. aorticorenale ist. Es liegt auf der rechten Seite zwischen Vena cava und Aorta, während es links gewöhnlich dicht oberhalb der Art. renalis nahe der Wirbelsäule zu finden ist. Die vom Ganglion ausgehenden Fasern umziehen die großen Gefäße so innig, daß es leicht zu Einrissen, besonders in der Vena cava, kommt, wenn man versucht sie stumpf zu zerreißen. Die Nerven der Niere stehen in Verbindung mit dem Plexus spermaticus, so daß bei Nierenkoliken auch Hodenschmerzen und andererseits bei Prostatitis auch Nierenschmerzen auftreten können. Anomalien jeglicher Art (Mißbildungen, Hypo- und Aplasien, Verschmelzungen, Doppelbildungen und Dystopien) sind außerordentlich häufig. An diese Möglichkeit sollte daher stets, besonders bei Kindern, gedacht werden. Die Nieren üben als wichtigstes Ausscheidungsorgan eine außerordentlich komplizierte und auch heute noch nicht bis in alle Einzelheiten völlig geklärte Tätigkeit aus. Sie garantieren unter physiologischen Verhältnissen die normale Zusammensetzung des Blutes bzw. der osmotischen undmolekularen Verhältnisse, der Elektrolyte und des Wassergehalts. Die Schlacken des Nahrungs- sowie des Zellstoffwechsels werden eliminiert durch einen komplizierten Vorgang, der sich teils in den Glomerulis, teils in den 3*

V

Abb. 20. Injektionspräparat der Nierenarterien. (Aus Hdbch. d. Urologie, Erster Teil, Verlag Springer)

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Obere Harnwege

Tubulis abspielt. Wahrscheinlich spielt sich in den Glomerulis vorwiegend ein Filtrationsprozeß ab, der im wesentlichen den Gesetzen der Osmose unterliegt. Der „Glomerulus-Harn" enthält daher nicht nur alle im Blut vorkommenden Salze, Vitamine, Hormone usw., sondern auch Eiweißkörper. In den Tubuli findet dann ein Resorptions- und Sekretionsvorgang statt, der zur Schaffung des normalen Harns führt. Das hohe Tubulus-Epithel hat daher eine umfangreiche selektive Aufgabe, die es gegenüber einer außerordentlich großen Zahl von Stoffen unterschiedlicher chemischer, physikalischer und elektrischer Struktur in bewundernswerter Weise löst. Mit Ausnahme gewisser Hirnzellen stellen die Tubulusepithelien wohl die am höchsten entwickelten Zellen des menschlichen Körpers dar. Trotzdem die Niere bei makroskopischer Betrachtung aus drei verschiedenen Geweben (Rindenschicht, Markschicht und das sehr spärliche Stützgewebe) besteht, ist sie arbeitsphysiologisch betrachtet ein einheitliches Gebilde, das nur aus den sog. Nephronen und dem Gefäßsystem zusammengesetzt ist. Unter einem Nephron versteht man die Malpighischen Körperchen mit dem dazugehörigen Kanälchen. Das Malpighische Körperchen besteht aus der Glomerulusschlinge (Wunderknäuel), umschlossen von der Bowmanschen Kapsel, dem Anfangsteil des Harnkanälchens, das teils gerade, teils gewunden verlaufend und die Henleysche Schleife bildend, sich immer mehr erweiternd schließlich als Sammelröhrchen in derPapillenspitze mündet. Es sind also stets genau ebensoviel Wunderknäuel wie Nephrone vorhanden. Ähnlich wie beim Herzen sind in der Niere ständig nur ein Teil der funktionellen Einheiten tätig. Von den etwa 21j2 Millionen Nephronen verharren etwa 4 0 % in Ruhe, sie stellen die Reservekräfte dar, die bei Überlastung oder bei Krankheiten vikariierend einspringen. Die ableitenden Harnwege beginnen mit den Kelchen 2. Ordnung, welche die 18—20 Papillen jeder Niere umfassen. Kelche, Kelchhälse, Nierenbecken und Ureter enthalten feine aber kräftige glatte Muskulatur, die den aus den Papillen abtropfenden Harn aktiv und rhythmisch austreiben. Das Nierenbecken entleert sich aber niemals ganz, sondern stößt nur Teilmengen in den Ureter ab, der den Urin in sog. Harnspindeln weiterbefördert. Auf einem normalen intravenösen Pyelogramm sind daher auch niemals die Ureteren in ganzer Länge sichtbar. Der Versuch vieler Röntgenologen, durch ein Kompressionsgerät eine bessere Darstellung der oberen Harnwege beim Ausscheidungspyelogramin zu erzielen, ist daher unphysiologisch und schafft nur Stauungserscheinungen, die dem retrograden Pyelogramm ähnlich sind, ohne die Schattendichte und Klarheit des letzteren zu erreichen.

Urämie Es erscheint mir zweckmäßig, als Abschluß dieser kurzen Betrachtung über die Physiologie der Nieren das Krankheitsbild zu beschreiben, das bei schweren Erkrankungen der Nieren entweder schleichend oder akut auftritt, aber stets eine ernste Gefährdung des Lebens darstellt: die U r ä m i e . Unter U r ä m i e versteht man denjenigen Grad von Niereninsuffizienz, bei dem harnpflichtige Stoffe in übernormaler Menge im Blute kreisen. Der Begriff „Urämie" deckt sich aber nicht mit dem Begriff „Niereninsuffizienz", sondern geht weit darüber hinaus. Eine Niereninsuffizienz ist schon vorhanden, wenn die Nieren eine ihrer physiologischen Fähigkeiten, z. B . die Fähigkeit zur Herstellung eines konzentrierten Harns, verloren haben. Solche Nieren vermögen aber noch häufig die harnpflichtigen

Urämie

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Stoffe durch große Urinmengen auszuschwemmen; dann besteht, wie ich es in Analogie zu Herzkrankheiten nennen möchte, eine k o m p e n s i e r t e Niereninsuffizienz. Sind die Nieren dagegen nicht mehr imstande, die harnpflichtigen Stoffe in genügender Menge zu eliminieren, so reichern sie sich im Blute an. Die Urämie ist also eine d e k o m p e n s i e r t e Niereninsuffizienz. Die Urämie verläuft in zwei Formen, als a k u t e und als c h r o n i s c h e Urämie. Die akute Urämie begegnet uns vorwiegend bei der diffusen hämatogenen Glomerulonephritis, der akuten toxischen Nephrose sowie bei den etwas selteneren doppelseitigen pyogenen Nierenkrankheiten, z. B. doppelseitigem Nierenkarbunkel. Die chronischen Urämie finden wir im Endstadium der chronischen Glomerulonephritis resp. der Nephrosklerose sowie bei den meisten doppelseitigen chirurgischen Nierenkrankheiten, z. B. den Harnstauungsnieren, der doppelseitigen Pyelonephritis, doppelseitigen Hydronephrosen, Steinnieren usw. Die akute Urämie tritt sowohl bei der akuten oder subakuten Glomerulonephritis als auch bei den akuten doppelseitigen chirurgischen Nierenkrankheiten ziemlich plötzlich mit Nachlassen der Urinsekretion oder völliger Anurie auf. Dabei ist das Allgemeinbefinden des Patienten häufig nur wenig gestört; man bemerkt zwar oft eine gewisse Gleichgültigkeit oder ein vermehrtes Schlafbedürfnis des Patienten, das Sensorium erscheint aber nicht beeinträchtigt, ja es setzt immer wieder in Erstaunen, wie lange Patienten mit völliger Anurie sich eines guten subjektiven Wohlbefindens erfreuen, sofern nicht eine Pseudo-Urämie mit Hirnsymptomen (Krämpfe, tiefe Bewußtlosigkeit) dazukommt. Gelingt es aber nicht, die Funktion der Nieren in Gang zu bringen oder die Diurese zu steigern, so tritt in kurzer Zeit der Tod im u r ä m i s chen K o m a ein. Die c h r o n i s c h e U r ä m i e der hämatogenen und chirurgischen Nierenkrankheiten beginnt schleichend mit Nachlassen des Appetits, besonders auf feste Speisen, stärkerem Durstgefühl und Nachlassen des Schlafbedürfnisses. Die Zunge ist belegt, aber noch feucht, es tritt allgemeine Mattigkeit und Unlust auf. Im späteren Stadium wird die Zunge trocken, das Schlafbedürfnis steigt und das Durstgefühl verschwindet bis zur völligen Verweigerung der Flüssigkeitsaufnahme ante exitum. Aber die chronische Urämie der an einem sog. internen Nierenleiden Erkrankten verläuft doch anders als die chronische Urämie der chirurgischen Nierenkrankheiten. Zwar produzieren beide einen diluiertenHarn mit annähernd gleich hohem spezifischem Gewicht — es besteht also bei beiden Erkrankungsformen eine Nierenstarre — aber die Urinproduktion bei der auf nephritischer oder arteriolosklerotischer Basis entstandenen Schrumpfniere ist doch niemals so hoch wie bei der pyelonephritischen Schrumpfniere. So erklärt sich auch, daß bei gleichhohem Rest-N-Wert im Blut der chronische Nephritiker Ödeme bildet, während der mit Harnstauungsnieren Behaftete an Gewebsflüssigkeit und Gewicht verliert. Der chronische Nephritiker sieht daher blaß (blasser Hochdruck), aber nicht elend aus, der Arteriolosklerotiker sieht rot und etwas gedunsen aus (roter Hochdruck), während der Harnstauungsnierenträger kachektisch wird. Das Fehlen der Ödembereitschaft bei letzterem ist auch der Grund dafür, daß wir bei chirurgisch Nierenkranken niemals eine Pseudo-Urämie infolge Hirnödems sehen. Auch im Endstadium der Urämie unterscheiden sich noch diese beiden Gruppen von Nierenkrankheiten. Die Anhäufung von giftigen Stoffwechselprodukten im Blut u n d im Gewebe erzeugt beim Nephritiker die u r ä m i s c h e G a s t r i t i s mit unstillbarem Erbrechen und die u r ä m i s c h e E n t e r i t i s mit Durchfällen. Bei den chirurgischen Nierenkrankheiten reiner Art fehlen diese Erscheinungen, bei ihnen versucht der Organismus die nicht im Gewebe, sondern vorwiegend im Blut angehäuften harn-

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Obere Harnwege

Pflichtigen Stoffe durch die sog. urämische Hämaturie zu beseitigen: Der Körper macht sich selbst einen Aderlaß. Auch bei morphologischer oder anatomischer Betrachtung der Nieren dieser beiden Urämieformen ist ein großer Unterschied feststellbar. Die Nieren der an nephritischer Urämie Verstorbenen sind zwar bez. Größe, Farbe und Differenzierung der Rinden- und Markschicht auch bei makroskopischer Betrachtung deutlich verändert, aber sie bleiben doch dem Normalen noch ähnliche Organe? während wir bei unsern Operationen oder den Sektionen der an chirurgischen Nierenkrankheiten Verstorbenen so weitgehend zerstörte Organe finden, daß die Frage auftaucht, wie diese Menschen fast ohne Nierenparenchym überhaupt solange leben konnten. Wir haben z. B. doppelseitige Zystennieren von über Mannskopf-Größe operiert, bei denen keine Spuren von normalem Rindengewebe mehr zu finden waren und diese Patienten haben noch lange Zeit in recht gutem Zustand gelebt. Ebenso bekannt sind die Fälle von doppelseitigen Sacknieren mit pyelographisch darstellbaren riesenhaften Hohlräumen, die bei der Autopsie nur noch aus bindegewebigen Säcken ohne Nierenparenchym zu bestehen scheinen. Ebenso auffällig ist, daß die Leichen der an internen Nierenkrankheiten Verstorbenen den bekannten urämischen Geruch ausströmen, was bei „chirurgischer" Urämie meist vermißt wird. In manchen Fällen von chirurgischen Nierenkrankheiten erscheinen die Merkmale chirurgischer und interner Urämie nicht so deutlich, weil auch nephritische Veränderungen gleichzeitig vorhanden sind, wie wir bei histologischer Untersuchung feststellen können. Sehr deutlich wird aber immer wieder der Übergang einer chronischen Urämie in eine akute, was besonders bei operativen Eingriffen in Form des „urämischen Schocks" der Fall zu sein pflegt. Selbst bei vorsichtigstem Handeln begegnen wir immer wieder dieser Erscheinung. Sogar die an sich dringend notwendige Dauerkatheterbehandlung bei einem Prostatiker mit großem Restharn und chronischer Urämie, der bisher nur über mangelnden Appetit und größeres Durstgefühl bei sonst noch gutem Allgemeinbefinden klagt, kann einen urämischen Schock auslösen, der allerdings meist schnell wieder zu beseitigen ist, so daß die Urämie in eine kompensierte Niereninsuffizienz verwandelt werden kann. Die T h e r a p i e d e r U r ä m i e ist somit weitgehend davon abhängig, ob es sich um eine akute oder chronische Form und ob es sich um eine interne oder chirurgische Nierenkrankheit handelt. Die Gefahr des akuten urämischen Schocks bei der chronischen Urämie der chirurgisch Nierenkranken verpflichtet uns zu vorsichtigem Handeln und alle — auch kleine — operativen Eingriffe zunächst zu vermeiden. Es ist also nicht ratsam, bei solchen Kranken sofort eine Vasektomie vorzunehmen oder sofort eine Blasenfistel resp. bei doppelseitigen Hydronephrosen gleich eine Nierenfistel anzulegen. Erst wenn durch Dauerkatheter oder Dauerureterkatheter-Behandlung eine Besserung eingetreten ist, können weitere entlastende Operationen durchgeführt werden. Unbedingt notwendig ist aber, solche Patienten sehr knapp zu ernähren oder gar hungern zu lassen, gleichzeitig aber große Flüssigkeitsmengen zuzuführen. Bei schon vorhandener Schläfrigkeit müssen Infusionen von physiol. Kochsalzlösung mit Traubenzucker-Zusatz, bei schon vorhandener Azidose 3—5% Soda- oder Natriumbikarbonat-Infusionen vorgenommen werden. Pervitinmedikation ist zuweilen geeignet, den Patienten wach zu halten und zum Trinken anzuregen und hat auch eine geringe diuretische Wirkung. Natürlich muß der Kreislauf zur Bewältigung der großen Flüssigkeitsmengen gestützt werden. Auch Wärmeapplikation in jeder Form ist zur Anregung der Schweißproduktion, die auch harnpflichtige Stoffe eliminiert, sowie

Urämie

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zur Beseitigung der bei Urämie oft vorhandenen Untertemperatur erforderlich. Doppelseitige eitrige Nierenkrankheiten kommen besonders leicht bei Diabetikern vor. Die Unterscheidung von diabetischem oder urämischem Koma ist häufig in solchen Fällen sehr schwer und daher ist es stets notwendig, Penicillin und Insulin v o r jedem Eingriff anzuwenden; die Operation im Koma führt stets zum Mißerfolg. Die sog. „reflektorische" Anurie tritt nach meinen Erfahrungen niemals in einer ganz gesunden Niere auf. Eine „reflektorische" Anurie bei einseitiger Harnleiterstein-Einklemmung muß stets den Verdacht einer (häufig nephritischen) Erkrankung auch der anderen Niere erwecken und macht entsprechende Untersuchungen erforderlich. Im allgemeinen sollen also bei der akuten Urämie der chirurgischen Nierenkrankheiten konservative Methoden dem chirurgischen Eingriff vorangehen. Nur die doppelseitige urämische Hämaturie erfordert die sofortige Anlegung einer einseitigen Nierenfistel. Die akute Urämie der internen Nierenkrankheiten erfordert stets ein schnelles aber überlegtes Handeln. Da sie nicht nur in der Retention von harnpflichtigen Stoffen im Blut und Gewebe, sondern auch von Wasser besteht, kommt es hier nicht darauf an, Flüssigkeit zuzuführen, sondern auszuscheiden. Daher sofortiger Aderlaß von 500 cm 3 ! Ein geringer Hämoglobingehalt des Blutes oder die Blässe des Patienten sind keine Gegenindikation, da es sich meist nicht um eine echte Anämie, sondern um eine Hydrämie handelt! Nach dem Aderlaß sofort hochprozentige (40%) Traubenzucker-Injektion anschließen. Der von manchen Autoren empfohlene Wasserstoß darf nur angewendet werden, wenn wirklich keine Wasserretention (Ödeme) vorhanden ist; meist ist in diesen Fällen eine zu lange verabfolgte kochsalz- und flüssigkeitsarme Kost innegehalten worden, die zur Hypochlorämie geführt hat. In solchen Fällen ist dann aber kein Wasserstoß, sondern die Zufuhr von physiologischer oder höherprozentiger Kochsalzlösung erforderlich. Bei völliger Anurie soll diese Therapie aber höchstens zwei Tage lang durchgeführt werden; ist sie nicht erfolgreich, so muß spätestens am dritten Tage die Dekapsulation einer Niere, am besten mit Exstirpation des Ganglion aortico-renale, vorgenommen werden. Oft tritt zur akuten oder auch chronischen internen Urämie eine Pseudourämie mit Krämpfen infolge Hirnödems hinzu. Hier wirkt die Lumbalpunktion zuweilen lebensrettend, jedoch muß ihr stets ein ausgiebiger Aderlaß folgen, da sonst das Hirnödem schnell wieder ansteigt. Die schleichende Urämie der chronischen Nephritiker erfordert zunächst eine 3—ötägige Fastenkur, deren Dauer vom Gesamteiweißgehalt des Blutes abhängig ist, um dann zu einer eiweiß-, kochsalz- und flüssigkeitsarmen Diät überzugehen, wobei natürlich eine Kontrolle des Eiweiß- und Kochsalzspiegels nötig ist. Der Hochdruck und seine subjektiven Beschwerden werden durch häufige kleinere Aderlässe von 200—300 cm 3 bekämpft, gegen die Azidose wird Natr. bicar. per os gegeben und die Ausscheidung von harnpflichtigen Stoffen über die Gallenwege durch Decholingaben vermehrt. Die Diurese wird durch 40°/o Traubenzuckerlösung (50 cm 3 2—3mal je Woche) angeregt. Zuweilen bringt ein Wasserstoß die Diurese in Gang. Bei stärkeren Ödemen können Quecksilberdiuretica wie Salyrgan und Novurit bei solchen Kranken unbedenklich angewendet werden. Die folgende Tabelle gibt einen kurzen Überblick über die Therapie der verschiedenen Urämieformen.

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Obere Harnwege T h e r a p i e der U r ä m i e Akute Form

bei internen Nierenkrankheiten Hungern und Dursten Aderlaß 500 cm3, anschließend Natr. bicarb. oder 3—5°/o Sodalösung (200 cm3) i.v. 40°/o Traubenzucker (50 cm3) i. v. f r ü h z e i t i g : Debapsulation und Sympathektomie

bei chirurgischen Nierenkrankheiten Hungern, reichlich Getränke Physiol. NaCl-Lösung mit Traubenzuckerzusatz als Infusion Evtl. Natr. bicarb. oder Soda-Infusion Dauerkatheter resp. Dauer - Ureterkatheter Operative Eingriffe (Blasenfistel, Nierenfistel, Uretero-Lithotomie) erst bei Unwirksamkeit der bisherigen Therapie Bei diabetischen eitrigen Nierenkrankheiten erst Penicillin und Insulin Bei starker doppelseitiger urämischer Hämaturie einseitige Nierenfistel s o f o r t anlegen

Chronische Form bei internen Nierenkrankheiten Pasten 3—5 Tage danach eiweiß-kochsalzarme Diät, Flüssigkeitsbeschränkung Aderlaß von 200-300 cm3 14tägig Natr. bicarb. per os oder Kalzium i. v. 40°/o Traubenzucker (50 cm3) i.v. Wasserstoß, Decholin, Hg-Diuretica

bei chirurgischen Nierenkrankheiten Sparsame Ernährung viel trinken Physiolog. NaCl + 5 % Traubenzucker i.v. (bis 1000 cm3 pro die) Dauerkatheter, Dauerureterkatheter, später größere entlastende Operationen Bei Schläfrigkeit: Pervitin

Pseudourämie: Lumbalpunktion mit nachfolgendem Aderlaß.

Doppelseitige hämatogene Nierenkrankheiten Die hämatogenen Nierenkrankheiten werden gewöhnlich in den Lehrbüchern der inneren Medizin ausführlich besprochen und gelten bisher als Domäne dieses Faches und nicht der Urologie. Es ist auch kein Zweifel, daß dieses Gebiet durch zahlreiche Internisten erforscht und erfolgreich bearbeitet worden ist; trotzdem halte ich eine kurze Abhandlung dieser „inneren Nierenleiden" auch in einem urologischen Werk für erforderlich, nicht nur um die Einheit der Urologie zu wahren, sondern auch weil heute die chirurgische Therapie auch bei diesen Krankheiten zuweilen herangezogen wird. K I C H A B D B B I G H T hat im Anfang des vorigen Jahrhunderts als erster den Zusammenhang von Albuminurie und Ödemen mit organischeil Veränderungen der

Doppelseitige hämatogene Nierenkrankheiten

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Nieren erkannt; VOLHARD hat unsere Kenntnisse auf diesem Gebiet enorm erweitert und die B r i g h t s c h e n N i e r e n k r a n k h e i t e n in 1. 2. 3. 4.

Diffuse Glomerulonephritis Herdnephritis Nephrose Nephrosklerose

eingeteilt. Er hat auch den Begriff der Kardinalsymptome — Hämaturie, Ödeme, Blutdrucksteigerung — geschaffen. Die Glomerulonephritis ist danach durch das Vorhandensein aller 3 Symptome gekennzeichnet, während die Herdnephritis von der Hämaturie, die Nephrose vom Ödem und die Nephrosklerose von der Hypertonie monosymptomatisch beherrscht wird (Abb. 21). Diese klare und allseitig bekannte Einteilung hat aber, wie die tägliche Erfahrung lehrt, leider dazu verleitet, bei einer Hämaturie nur an eine Glomerulonephritis oder Herdnephritis zu denken; dem Patienten wird Bettruhe und Nierendiät verordnet und dabei wird sehr häufig übersehen, daß die meisten Hämaturien nicht durch eine Nephritis, sondern durch Tumoren oder andere Erkrankungen der Nieren oder ableitenden Harnwege hervorgerufen werden. Es ist im Kapitel Harnuntersuchung schon darauf hingewiesen worden, daß durch noch so gewissenhafte Laboruntersuchungen nicht der Sitz der Blutung erkannt werden kann und nur die zystoskopische Untersuchung während der Blutung Aufschluß zu geben vermag. Auch das Zusammentreffen aller drei Kardinalsymptome bedeutet noch nicht mit Sicherheit, daß nur eine GlomeAbb. 21. (Aus Z. Urologie) rulonephritis vorhegen kann; ein Adrenalin produzierendes Hypernephrom bei einem Kranken mit kardialem oder Mangelödem kann ebenfalls alle drei Kardinalsymptome aufweisen. Ebenso häufig habe ich gesehen, daß Zystennieren jahrelang als chronische Nephritis behandelt wurden, weil alle Symptome dieser Krankheit einschließlich der immer stärker werdenden Niereninsuffizienz vorhanden waren. Die schon im Vorwort erwähnten unzureichenden Ausbildungsmöglichkeiten in der Urologie verleiten den nur in der inneren Medizin geschulten Arzt dazu, in erster Linie an eine Brightsche Nierenkrankheit zu denken und die Möglichkeit einer anderen Erkrankung gar nicht in Erwägung zu ziehen. Die sorgfältige Erhebung der Anamnese gibt häufig schon wichtige Hinweise. Die „internen" Nierenkrankheiten verlaufen ohne einen typischen Nierenschmerz, denn das Nierenparenchym besitzt keine zentripetalen sensiblen Fasern. Eine geringe Schwellung im Gesicht oder an den Füßen, meist mit Nachlassen der Urinsekretion, treibt den an akuter Nephritis Erkrankten zum Arzt. Meist ist eine scheinbar überstandene Infektionskrankheit, z.B. Scharlach, Masern, Angina usw. vorhergegangen, wohingegen die Herdnephritis gewöhnlich schon w ä h r e n d einer entzündlichen, häufig sehr geringfügigen Erkrankung aufzutreten pflegt. Die sog. Fokalinfektionen (HUNTER 1910) an Zähnen, Tonsillen, Nebenhöhlen sowie den Adnexen beider Geschlechter spielen ursächlich eine große Rolle. Die Nephrosen sind häufig durch Intoxikationen oder chronisch verlaufende

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Obere Harnwege

Infektionskrankheiten bedingt (Lues, Tbc.). Auf die diagnostische Bedeutung der Palpation sei nochmals hingewiesen. Die tastbare Vergrößerung e i n e r Niere bei gleichzeitiger Hämaturie muß stets an einen Tumor und nicht ap eine Brightsche Nierenkrankheit denken lassen, ebenso wie eine doppelseitige Nierenvergrößerung bei „nephritischem" Urinbefund unbedingt an Zystennieren gemahnt. Das Urinsediment läßt uns häufig bei der Abgrenzung einer Bright sehen von einer „chirurgischen" Nierenkrankheit im Stich und wird meist noch diagnostisch überwertet. Die sog. Zylinder sind zwar als Eiweißausgüsse der Tubuli recti für eine Erkrankung des Nierenparenchyms pathognomonisch, erseheinen aber bei Oligurie oft nicht im Urin (sie müssen j a durch den Harnstrom aus den Tubulis ausgespült werden) und finden sich andererseits, wenn auch in geringer Zahl, bei anderen parenchymatösen Nierenkrankheiten (z. B. bei raumbeengenden Nierentumoren und Pyelonephritis). Im alkalischen Harn (die „Nierendiät" führt zur alimentären Alkaliurie) können sogar in der Niere gebildete Zylinder aufgelöst werden. Nur die echten granulierten Zylinder, die doppelt brechenden und die Wachszylinder sind für bestimmte Nierenkrankheiten pathognomonisch: die granulierten sind abgestorbene Epithelschläuche der Tubuli und zeigen einen degenerativen nephrotischen Prozeß an; die doppelt brechenden kommen bei der Lipoidnephrose und im 2. Stadium der chronischen Nephritis vor; die stets sehr breiten gelblich getönten Wachszylinder kommen nur bei chronischer Nephritis vor. Eine kurze Betrachtung erfordert auch die Albuminurie. Noch immer scheint die Auffassung zu gelten, daß Eiweiß im Harn Beweis für eine Nierenkrankheit ist. Ich habe schon im Kapitel Harnuntersuchung darauf hingewiesen, daß Erythrozyten durch eiweißfällende Säuren aufgelöst werden und so eine positive Eiweißreaktion entsteht, wenn gar kein gelöstes Eiweiß im Harn vorhanden ist. Aber selbst bei Vorhandensein von gelöstem Eiweiß braucht dieses kein „Niereneiweiß" zu sein. Bei größeren Epitheldefekten der ableitenden Harnwege (z. B. beim Ulcus vesicae) kommt es zur serösen Exsudation und damit zur Beimischung eiweißhaltiger Flüssigkeit zum Harn (manche Autoren sprechen von Zystitis albuminurica). Selbst eine stärkere Albuminurie bedeutet also nicht, daß eineNierenparenchym-Krankheit vorliegt, und die Albuminurie gehört ja auch nicht zu V O L H A K D S Kardinalsymptomen. Der Eiweißgehalt des Harnes ist auch kein absoluter Gradmesser der Schwere einer Nierenkrankheit, läßt aber gewisse Rückschlüsse auf das Stadium oder die Art der Brightschen Krankheit zu. Er ist bei der akuten Glomerulonephritis im ersten Stadium ziemlich hoch (bis 10°/00), im zweiten Stadium geringer und im dritten Stadium sowie bei der Nephrosklerose gering oder sogar ganz minimal. Die Herdnephritis geht gewöhnlich nur mit einer mäßigen Albuminurie (bis 5°/00) einher, während bei der Nephrose der Eiweißgehalt des Harnes den Eiweißgehalt des Blutserums (10 % 0 ) übersteigen kann. Das Ödem ist bei der akuten Glomerulonephritis meist nur in geringem Grade im Gesicht und an den Unterschenkeln vorhanden und nur ein sehr flüchtiges Symptom; es ist ebenfalls kein Gradmesser der Nephritis. Stärker ausgeprägte Ödeme zeigen immer eine nephrotische Komponente an und bei echten Nephrosen findet sich meist «ine ausgeprägte „Wassersucht". Bei den Nephrosen kommt es ja infolge der hohen Eiweißausscheidung im Harn sehr schnell zur Hypalbuminämie und damit zur Verminderung des kolloidosmotischen Druckes in den Geweben bei Erhaltung des Kapillardruckes. Das nephrotische Ödem ist also gar kein Zeichen des Nierenversagens, sondern der Ausdruck des verhinderten Wassertransportes vom Gewebe zur Niere. Daher ist auch das nephrotische Ödem im Gegensatz zum nephritischen außerordentlich eiweißarm.

Doppelseitige hämatogene Nierenkrankheiten

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Auch die Frage der renalen Genese des Hochdrucks macht oft diagnostische Schwierigkeiten. Bei einem jungen Menschen mit anderen nephritischen Symptomen und Hochdruck ist der Zusammenhang mit dem Nierenleiden offensichtlich. Hier zeigt sich auch klinisch am deutlichsten die Eigenart des in der Niere gebildeten Hochdruckstoffes Renin oder seiner Vorstufe Nephrin. Der jugendliche Nephritiker mit renalem Hochdruck hat ein blasses pastöses Aussehen, so daß man auch vom „blassen" Hochdruck gegenüber dem „roten" des Arteriosklerotikers spricht. Der Augenhintergrund, der bei jedem Verdacht auf eine Brightsche Krankheit zu spiegeln ist, zeigt besonders eindrucksvoll die gefäßverengernde Wirkung des Renins (Silberdrahtarterien), von den Ophthalmologen als Fundus angiospasticus bezeichnet, der sich bei längerem Bestehen zur Retinitis angiospastica (früher und schlechter als Retinitis albuminurica bezeichnet) entwickeln kann. Im Gegensatz dazu steht der Fundus hypertonicus beim roten Hochdruck, der erweiterte resp. verdickte Arterien (Kupferdrahtarterien) und pralle Venen aufweist. Das sog. Gunnsche Kreuzungsphänomen findet sich bei beiden Formen und ist also diagnostisch nicht zu verwerten. Es sei noch erwähnt, daß der angiospastische Einfluß des Renins sich auch auf den diastolischen Blutdruck auswirkt, so daß bei der Nephrosklerose resp. dem letzten Stadium der Glomerulonephritis besonders der diastolische Druck erhöht ist. Bei der Diagnostik der Brightschen Nierenkrankheiten müssen auch gewisse Veränderungen des Blutes berücksichtigt werden, die durch das Krankheitsgeschehen hervorgerufen sind. Es ist verständlich, daß eine länger anhaltende Hämaturie (bei akuter Glomerulonephritis resp. bei Herdnephritis) eine sekundäre Anämie hervorrufen kann und in der üblichen Weise zu behandeln ist. Bei chronischer Nephritis findet man aber meist eine therapieresistente Anämie. Hier handelt es sich sowohl um eine Störung der Hämatopoese als auch um eine echte Hämolyse infolge Anhäufung von Phenolen im Blut. Bei der Nephrose dagegen liegt zuweilen nur scheinbar eine Anämie vor. Hier handelt es sich in Wirklichkeit um eine Hydrämie mit einem relativ geringen Anteil von Erythrozyten im vermehrten Blutplasma. Der starke Eiweißverlust bei der Nephrose führt schnell zu einer Hypalbuminämie mit pathologischem Quotienten, während bei den übrigen hämatogenen Nierenkrankheiten der Plasmaeiweißspiegel gewöhnlich in normalen Grenzen (7—9%) bleibt. Der Blutkochsalzspiegel ist bei der Glomerulonephritis anfänglich erhöht, bei Nephrosklerose normal oder leicht vermindert, bei den Nephrosen deutlich vermindert (normal 570—625mg-%). Der Blutcholesteringehalt ist bei echter Nephrose meist erheblich vermehrt (über 400 mg-%), bei den übrigen Brightschen Krankheiten normal (140—200 mg-%) oder leicht vermehrt. Infolge des verminderten Gesamteiweißes bei der Nephrose wird das Gewebsfett abgebaut und durch das Cholesterin transportiert. So kommen bei der Nephrose auch die Lipoidzylinder zustande, da die Lipoide durch die Glomeruluskapillaren austreten. Auch der auffällige Gewichtsverlust, der nach der Ausschwemmung der Ödeme feststellbar ist und das Gewicht der ausgeschiedenen Ödemflüssigkeit übersteigt, findet so eine Erklärung (echte Abmagerung). Der Reststickstoff (s.S. 31) ist bei der Glomerulonephritis meist nur im dritten Stadium wesentlich erhöht, ebenso bei der Nephrosklerose. Es ist aber zu beachten, daß sowohl bei Hypalbuminämie als auch bei Polyurie und längerer eiweißarmer Ernährung der Rest-N verringert sein kann. Über die wichtigsten differentialdiagnostischen Symptome gibt die folgende Tabelle Auskunft.

Obere Harnwege

44 Glomerulonephritis Beginn

nach Infektionskrankheiten

Herdnephritis

Nephrose

während bei chron. Infektionskrank - Infektionskrank heiten heiten (Tbc, Lues)

Nephrosklerose Jederzeit als Endstadium einer Nephritis oder im 5. Jahrzehnt als maligne Arteriosklerose

Harn makrosk.

1. Stadium: konzentriert, später diktierter bis Starre. Klar oder sanguinolent

Meist sanguinolent

mikrosk.

Erythrozyten, Zylinder, hyalin oder granuliert, keine Leukozyten

Lipoid-infiltr.Reichlich Ery„Granulierte Epithelien u. throzyten, Zylinder" Zylinder, echte wenige hyaline granulierte Zylinder Zylinder

Meist klar, mäßig konzentriert

Diluiert, Starre, 1010

Albuminurie

Gering bis 1. Stadium: bis mäßig 10°/oo» 2 . S t a d i u m : mäßig, 3.Stadium: gering

Hochgradig

Sehr gering

Hämaturie

Doppelseitige, anhaltende, mäßige Hämaturie im akuten Stadium

Fehlt

Fehlt

Ödem

1. Stadium: Gesicht, 2. Stadium: fehlt, 3. Stadium: sub fin.

Fehlt meist

Hochgradig

Fehlt oder erst sub fin. (kardial)

Blutdrucksteigerung

1. Stadium: stark, 2. Stadium: mäßig, 3. Stadium: stark

Fehlt

Fehlt

Erhöht, besonders der diastolische Druck

Bluteiweiß

Meist normal

Normal 7—9%

Vermindert

Normal

Cholesterin

Normal oder gering vermehrt

Normal 140/200 mg%

Vermehrt, stark

Normal oder gering vermehrt

Blutkoehsalz

Erhöht

Normal 570/625 mg%

Vermindert

Normal oder vermindert

Rest-N

1.Stadium: normal, Normal 2. Stadium: fast 20/40 mg% normal, 3. Stadium: erhöht

Normal

Erhöht

Wasserkonzentrationsversuoh

1. Stadium: Konz. Normal ' gut, Verdünnung sehlecht, 2. Stad.: Konzentration u. Verdünnung herabgesetzt, 3. Stadium: Starre

F a s t normal

Große, gleichbleibende Mengen. Starre

Urämie

In

Fehlt

Vorhanden

jedem möglich

Stadium Fehlt

Doppelseitige hämatogene Nierenkrankheiten

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Bei Verdacht auf eine „interne" Nierenkrankheit ist es zweckmäßig, den Wasserund Konzentrationsversuch (S. 30) nicht auf 24 Stunden zu beschränken, sondern die Yolhardsche Originalmethode anzuwenden, die sich auf 2 Tage erstreckt und genaueren Aufschluß über die Verdünnungsfähigkeit (Glomerulusfunktion) und das Konzentrierungsvermögen (Tubulusfunktion) gibt. Die seit kurzem empfohlenen Clearence-Methoden, die eine noch feinere Beurteilung der Tubulusfunktion ermöglichen, sind bisher in Deutschland noch nicht ohne Fehlermöglichkeiten ausführbar (reines Inulin wird bisher nicht hergestellt) und ihre Schilderung würde den Rahmen dieses Büchleins überschreiten. Die P r o g n o s e der hämatogenen Nierenkrankheiten ist davon abhängig, in welche der vier großen Gruppen der Volhardschen Einteilung die Krankheit hineingehört. Die H e r d n e p h r i t i s ist bei entsprechender Therapie am günstigsten zu beurteilen. Da nur ein Teil der Nephronen befallen ist, kommt es weder zur Blutdrucksteigerung noch zur Niereninsuffizienz und fast stets zur Ausheilung. Die N e p h r o s e n gehen zwar auch ohne Hypertension einher, aber die Schädigung des Tubulusepithels ist meist irreversibel, so daß die Ödeme und die Hypalbuminämie zunehmen und schließlich Aszites und Lungenödem das Ende herbeiführen. Nephrotiker sind auch besonders empfänglich für die sonst ziemlich seltene PneumokokkenPeritonitis. Die G l o m e r u l o n e p h r i t i s kann verschiedene Verlaufsstadien durchmachen. In einigen Fällfen tritt sehr schnell eine Besserung ein und die anfänglich bedrohlich aussehende Erkrankung geht in wenigen Wochen in völlige Ausheilung über. Manchmal ist der Verlauf etwas protrahierter: nach dem ersten akuten Stadium bessert sich das Krankheitsbild weitgehend und es bleibt nach einigen Monaten nur eine „Rest-Albuminurie", aber ohne Niereninsuffizienz und ohne Blutdrucksteigerung zurück. Die Prognose ist dann günstig, wenn der Harnsäurespiegel im Blut 4 mg-% nicht wesentlich übersteigt. Leider sehen wir aber oft die chronische Verlaufsform, die durch den Übergang aus der akuten in die zweite Phase mit geringer Niereninsuffizienz und mäßiger Albuminurie und Blutdrucksteigerung und schließlich in die dritte Phase mit Schrumpfnierenbildung gekennzeichnet ist. Das Leiden zieht sich dann meist über viele Jahre hin und endet gewöhnlich mit einer immer stärker werdenden Urämie, sofern nicht eine Apoplexie oder Kreislauf versagen den zwar nicht überraschenden, aber doch plötzlichen Tod herbeiführen. In seltenen Fällen durchläuft die Glomerulonephritis die drei Stadien schon in wenigen Monaten (subchronische Verlaufsform). Gelingt es überhaupt nicht, die akute Glomerulonephritis zu beeinflussen, dann kann sie auch schon in ganz kurzer Zeit (meist infolge Anurie) tödlich enden (subakute Form, Abb. 22). Die T h e r a p i e der hämatogenen Nierenkrankheiten erschöpft sich durchaus nicht mit den beiden Schlagworten Bettruhe und „Nierendiät". Auf die verschiedenen Ansichten, ob es sich bei der akuten Glomerulonephritis mehr um eine echte Entzündung oder eine allergische Reaktion handelt, einzugehen, ist hier nicht der Platz. Therapeutisch sollte man sich aber im akuten Stadium so verhalten, als wenn es eine Entzündung wäre. Ein entzündetes Organ wird in allen Fächern der Medizin vor

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Obere Harnwege

allen Dingen ruhiggestellt. Die F a s t e n k u r bei einer akuten Nephritis ist wenigstens zum Teil auf dieses Prinzip abgestellt. Es ist zweckmäßig, zuerst absolut fasten zu lassen, d.h. auch ohne jede Flüssigkeitszufuhr oder Obstgenuß. Dadurch wird nicht nur das Hungergefühl, das sich bei Gewährung von Flüssigkeit lästig bemerkbar macht, in leicht erträglichen Grenzen gehalten, sondern auch eine gute Ausschwemmung der Ödeme erzielt. Die Dauer des strengen Fastens richtet sich nach dem Allgemeinzustand des Patienten, seinem Bluteiweißspiegel, seinen Ödemen und seiner Willensstärke; über 3—5 Tage braucht man die Fastenkur niemals auszudehnen. Daß sie mit strenger Bettruhe kombiniert sein muß, braucht wohl nicht extra hervorgehoben zu werden. Über einige Obsttage geht man dann zu einer eiweiß- und kochsalzarmen Diät über. Von größter Wichtigkeit ist es, so früh wie möglich mit der Fokussanierung zu beginnen, wobei den Tonsillen die stärkste Aufmerksamkeit zu schenken ist. Ich habe noch niemals eine Scharlachnephritis bei einem Tonsillektomierten auftreten sehen und anderseits oft beobachtet, daß sowohl die Glomerulonephritis als auch besonders die Herdnephritis durch Tonsillektomie ohne jede weitere Therapie schlagartig beseitigt werden konnte. Natürlich muß die Herdausschaltung frühzeitig geschehen, um wirksam zu sein; man kann von ihr nicht mehr viel erwarten, wenn schon große Teile des Nierenparenchyms (z.B.infolge Glomerulusverödung) zugrunde gegangen sind. Man lasse sich nicht durch einzelne „schwere" Symptome, z.B. eine starke Albuminurie, verleiten, die bei chronischer Tonsillitis erforderliche Tonsillektomie hinauszuzögern: je eher der Herd beseitigt wird, desto schneller und sicherer heilt die Nephritis aus. Gelingt es nicht, einen Herd zu finden, so kann doch zuweilen eine Penicillin- oder Sulfonamidbehandlung günstigen Einfluß haben. Man muß aber damit so lange warten, bis die Diurese in Gang gekommen ist, und solche Präparate wählen, die keine Neigung zur Kristallisation in den Tubuli haben. In vielen Fällen wird daneben eine symptomatische Behandlung nötig sein. Der Angiospasmus (Blutdruckerhöhung) erfordert zu seiner Überwindung eine ausreichende Herzkraft und daher die Anwendung von Cardiacis, die auch mit Diureticis aus der Reihe der Purinderivate (Diuretin, Euphyllin, Deriphyllin) kombiniert werden können. Auch hochprozentige Traubenzuckerlösungen wirken diuretisch, ebenso das Kalziumglukonat. Tritt keine Besserung ein oder droht Anurie und Urämie, so sind die Maßnahmen zu ergreifen, die im Kapitel Urämie geschildert werden. Über den Wert der D e k a p s u l a t i o n bei der a k u t e n Nephritis ist viel gestritten worden, ihre Anwendung bei der Anurie wird jetzt aber von fast allen Autoren gefordert. Wenn sich diese Operation aber bei der Nephritis im Stadium höchster Lebensgefahr als segensreich erwiesen hat, dann ist nicht einzusehen, warum man sie nicht schon frühzeitiger ausführen sollte. Die akute Nephritis heilt entweder ziemlich schnell aus oder sie nimmt einen mehr oder weniger chronischen Verlauf, der nicht mehr in Heilung übergeht. Wir nehmen daher die Dekapsulation auch bei der akuten Nephritis dann vor, wenn nach etwa 8 Wochen der geschilderten konservativen Behandlung keine Besserung eingetreten ist. Eine von mir zuerst beobachtete günstige Wirkung hat die Dekapsulation mit Exstirpation des Ganglion aortico-renale auf die R e t i n i t i s a n g i o s p a s t i c a bei chronischer Nephritis. Selbst wenn das zugrunde liegende Nierenleiden anscheinend nicht oder nur wenig beeinflußt wurde, trat ein Rückgang der Augenhintergrundsveränderungen und eine auffällige Besserung der Sehkraft ein. Trotzdem diese Beobachtung vor mehreren Jahren von mir veröffentlicht wurde, scheint sie nicht in ophthalmologische oder andere ärztliche Kreise gedrungen zu sein.

Chirurgische Nierenkrankheiten

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Mit anderen Mitteln ist die c h r o n i s c h e N e p h r i t i s mit Niereninsuffizienz kaum noch wirkungsvoll zu beeinflussen; bezüglich ihrer Behandlung wird auf das Kapitel Urämie verwiesen. Die Behandlung der H e r d n e p h r i t i s unterscheidet sich nur wenig von der Therapie bei Glomerulonephritis. Da sie ohne Ödeme, Blutdrucksteigerung und Niereninsuffizienz verläuft, genügt es meist, den Herd zu finden und zu sanieren. Besteht eine stärkere Hämaturie, so sind Bluttransfusionen, zelldichtende Medikamente (Kalzium, Birutan), Vitamin C und anämiewirksame Stoffe (Eisenpräparate, B 12) anzuwenden. Bei der Behandlung der N e p h r o s e n steht die Störung des Wasserhaushalts und die Hypalbuminämie im Vordergrund. Eine eiweißarme Ernährung ist hier völlig falsch, es muß im Gegenteil eine eiweißreiche, aber flüssigkeitsarme und salzarme Kost verabfolgt werden. Am wirksamsten sind Blutplasma-Infusionen, die nicht nur das Allgemeinbefinden wesentlich bessern, sondern auch den Wassertransport befördern. Gelingt es, den meist sehr niedrigen Bluteiweißspiegel mit seinem pathologischen Quotienten durch zahlreiche Plasma-Infusionen zu bessern, so stellt sich auch eine bessere Diurese ein. Völlig unwirksam sind bei Nephrosen die Parinkörper, während Quecksilbermedikamente (Salyrgan, Novurit usw.) wenigstens eine vorübergehende Ausschwemmung herbeiführen können. Zuweilen gelingt es, durch Schilddrüsenpräparate, die bei der Nephrose in erstaunlich hohen Dosen vertragen werden, eine Besserung der Diurese herbeizuführen. Neuerdings soll durch ACTA das nephrotische Syndrom grundlegend beeinflußt worden sein. Eigene günstige Erfahrungen liegen bisher nicht vor. Bezüglich der N e p h r o s k l e r o s e n gilt das, was schon bei der chronischen Nephritis gesagt worden ist. In fortgeschrittenen Fällen ist die chronische Nephritis von der schweren Arteriolosklerosis kaum zu unterscheiden. Ihre Progredienz ist auch durch Sympathektomien meist nicht aufzuhalten, dagegen kann auch hier die Retinitis angiospastica zuweilen durch solche Eingriffe wenigstens zum Stillstand gebracht und die Erblindung verhütet werden.

Chirurgische Nierenkrankheiten Mißbildungen und Dj^stopien Die schwerstwiegendeMißbildung besteht im einseitigen N i e r e n m a n g e l . Die einseitige Nierenaplasie, die man auch bei gegenteiliger Betrachtung als Solitärniere bezeichnet, bleibt den Trägern im allgemeinen unbewußt und wird auch bei Erkrankungen dem Arzt erst bei genauer urologischer Untersuchung offenbar. Es ist eine sehr seltene Mißbildung, sie wird aber bei Erkrankungen und besonders bei Verletzungen sehr bedeutungsvoll. Es ist schon vorgekommen, daß bei Unfällen ein Mensch mit einer Verletzung in einer Nierengegend und gleichzeitiger Hämaturie ins Krankenhaus eingeliefert wurde und der Chirurg eine blutende Verletzung der Niere vorfand, die ihn zur Nephrektomie veranlaßte; wie sich dann durch die Anurie herausstellte, war leider eine Solitärniere von dem Unfall betroffen worden. Es ergibt sich daraus die Lehre, auch in dringendsten Fällen sich von dem Vorhandensein einer zweiten Niere zu überzeugen, bevor eine Nephrektomie vorgenommen wird. Die „konservative Nierenchirurgie" ist so weit entwickelt, daß wir heute in vielen Fällen, in denen früher eine Nephrektomie notwendig wurde, das erkrankte oder verletzte Organ erhalten können.

Wesentlich häufiger als die totale Aplasie einer Niere ist die H y p o p l a s i e . Hie: landelt es sich um ein verkümmert angelegtes Organ, das meist keine Funktion ausübt [m Gegensatz zur Aplasie ist aber stets ein Harnleiter und auch ein Harnleiter Dstium vorhanden, so daß bei der einfachen Zystoskopie normale Verhältnisse vor suliegen scheinen. Erst die Chromozystoskopie und das retrograde Pyelogramm lassei iie Funktionslosigkeit und die Verkümmerung des Organs erkennen (Abb. 23). Vor großer klinischer Bedeutung ist aber, daß derartige Z w e r g n i e r e n Schmerzen ver

\.bb. 23. Zwergniere mit zahlreichen deinen Steinen. Aufgeschnittenes 3perationspräparat

Abb. 24. Retrogrades Pyelogramm bei linksseitiger Zwergniere. Rechts ist eine Doppelniere vorhanden, von der nur das obere Kelchsystem gefüllt isl

irsachen können, f ü r die ohne spezialurologische Untersuchung kein Substrat geü n d e n wird, da Palpationsbefund, Urin, Gesamtfunktion der Nieren (Rest-N-, lYasserversuch) sowie Blutbild und Blutsenkung völlig normal sind. Die Exstirpatior ler Zwergniere, die manchmal nur die Größe einer Mirabelle hat u n d daher nicht eicht zu finden ist, beseitigt sofort die jahrelangen Beschwerden (Abb. 24). Eine interessante und gar nicht so sehr seltene Mißbildung stellen die H u f e i s e n l i e r e n dar. Dabei sind die unteren Pole beider Nieren verwachsen oder verschmol:en, so daß ein Gebilde entsteht, das einem auseinander gebogenen Hufeisen odei veit geöffneten U ähnlich sieht. Sind die parenchymreichen Pole miteinander verichmolzen, dann ist das Organ meist im Oberbauch etwas oberhalb des Nabels tastbai

Chirurgische Nierenkrankheiten

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fäße, andere Organe und das Ggl. coeliacum vorhanden. Handelt es sich nur um eine fibröse Verwachsung, dann fehlen diese Anzeichen oft. Im Pyelogramm sind abei beide Formen leicht erkennbar: die Nierenachsen konvergieren nicht kranial, sondern kaudal oder verlaufen wenigstens parallel (s. S. 33), die Nierenbecken befinden sich langgestreckt auf der Vorderwand der Nieren, so daß die Kelche in Deckung mit dem Pyelon sind oder sogar z. T. medial davon liegen, die Ureteren verlaufen über die unteren Teile der Nieren hinweg. Häufig sind bei Hufeisennieren noch andere Anomalien wie Ureterverdoppelungen und Varianten der Gefäß Versorgung vorhanden. Es ist begreiflich, daß solche Organe leicht erkranken; hydronephrotischeVeränderungen und Steinbildung sind häufig (Abb. 25). Gut funktionierende, nicht infizierte und keine Beschwerden verursachende Hufeisennieren bedürfen natürlich keiner Therapie. Sind j edoch Schmerzen, die durch andere Organleiden nicht erklärt werden, oder Erkrankungen einer oder beider Verschmelzungsnieren vorhanden, so darf man sich nicht auf eine Pyelotomie oder dgl. bei Steinbildung beschränken, sondern muß auch die Trennung der verschmolzenen Organe vornehmen. I n den Händen eines mit der modernen Nierenchirurgie vertrauten Operateurs stellt dieser Eingriff keine besondere Gefahr mehr dar. Die sog. D o p p e l n i e r e n , die einoder beidseitig bei etwa 1—2% aller Menschen vorhanden sind, sind langgestreckte, aber sonst normal konfigurierte Organe, bei denen eigentlich nur eine doppelte Nierenbecken- und Abb. 25. Hufeisenniere.. Die Nierenhohlsysteme Harnleiter-Anlage besteht. Ver- sind wirbelsäulenwärts gerichtet, die Harnleiter schmelzen die Ureteren v o r der Ein- ziehen über die Verschmelzungsnieren hinweg. Links stärkere Pyelonephritis mündung in die Blase, ist also nur ein Harnleiterostium auf jeder Seite vorhanden, so spricht man von Ureter fissus, verlaufen dagegen beide Harnleiter getrennt bis zur Blase, sind also auf einer Seite auch zwei Ostien vorhanden, so nennt man es Ureter bipartitus. In diesem Falle kreuzen sich die Harnleiter nach dem Robert Meyerschen Gesetz, d. h. der zum oberen Nierenbecken gehörige Ureter mündet stets unterhalb (und medial) des vom unteren Nierenbecken abgehenden Harnleiters. Die röntgenologische Darstellung von Doppelnieren macht zuweilen Schwierigkeiten. Bei guter Funktion aller Nierenteile werden zwar im i n t r a v e n ö s e n Pyelogramm beide Nierenbecken und meist auch beide Ureteren wenigstens teilweise sichtbar, bei Funktionslosigkeit eines Nierenanteils wird aber nur ein Nierenbecken und ein Ureter dargestellt. Ist die Nierenkontur deutlich erkennbar, dann wird man allerdings aus der vorwiegend im oberen oder unteren Teil der Niere

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befindlichen Kontrastansammlung auf eine Doppelniere schließen können. Bei fetten Personen sind aber die Nierenumrisse oft nicht erkennbar; in diesem Falle kann nur die geringe Größe des dargestellten Nierenbecken- und Kelchsystems den Verdacht auf eine Doppelniere (oder Nierenhypoplasie) aufkommen lassen. Beim i n s t r u m e n t e l l e n Pyelogramm hingegen dringt bei Ureter fissus der Katheter nur in ein Nierenbecken hinein; ist dieses nicht erweitert, so kann aus den soeben gezeigten Überlegungen und Symptomen auf eine Doppelniere geschlossen werden. Dringt aber der Katheter zufällig in den hydronephrotisch erweiterten Teil der Doppelniere und ist die Gesamtkontur der Niere nicht dargestellt, so kann der Eindruck einer gewöhnlichen Hydronephrose entstehen. Nur durch Zurückziehen des Harnleiterkatheters unterhalb der Harnleitergabelung und nochmalige Kontrastmittel-Einspritzung lassen sich häufigbeideNierenbeeken mit ihren Veränderungen gleichzeitig darstellen. Gerade bei den Doppelnieren zeigt sich, daß intravenöse und retrograde Pyelographie nicht konkurrierende, sondern sich ergänzende Methoden sind (vgl. 8. 29. Abb. 26) Doppelnieren stellen an sich eine harmlose Art von Mißbildung dar; die von vielen Autoren betonte Anfälligkeit der Doppelnieren kann ich nicht bestätigen. Bei vielen Nierenkrankheitenist sogar dasVorhandensein einer Doppelniere von Vorteil, da gewöhnlich eine getrennte Gefäßversorgung besteht, so daß eine Heminephrektomie verhältnismäßig leicht durchführbar ist, während sonst eine Entfernung der ganzen Niere notwendig wäre (z. B. bei Abb. 26. Doppelniere. Intravenöses Pyelogramm bei doppelseitigen Doppelnieren und Ureter fissus Korallenstein). Zu den nicht so seltenen und häufig erst sehr spät diagnostizierten Mißbildungen gehören die Z y s t e n n i e r e n . Sie entstehen durch polyzystische Degeneration der Malpighischen Körperchen, die keinen Anschluß an die aus der Ureteranlage sprossenden Tubulischläuche gefunden haben. Hier handelt es sich stets um eine d o p p e l s e i t i g e angeborene Mißbildung, die sich im Laufe des Lebens immer stärker entwickelt und schließlich Erscheinungen verursacht, die denen einer chronischen Nephritis sehr ähnlich sind (Albuminurie und meist auch Zylindrurie, Blutdrucksteigerung, Niereninsuffizienz). Im weit vorgeschrittenen Stadium ist die Diagnose durch die enorme doppelseitige Nierenvergrößerung leicht zu stellen, in jüngeren Jahren dagegen imponieren mehr die „nephritischen" Symptome und oft werden selbst tastbare Vergrößerungen der Nieren eher als „große, weiße Nieren", also als subakute oder subchronische Glomerulonephritis, denn als Zystennieren angesprochen. Das retro-

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grade Pyelogramm ist meist so typisch, daß eine sichere Diagnose gestellt werden kann (Abb. 27). Die Kelchhälse erscheinen verlängert, auseinandergezogen, die Kelche selbst komprimiert oder erweitert mit kugeligen Eindellungen. Da durch den Druck der langsam größer werdenden Zysten der geringe Anteil von normalem Nierenparenchym immer mehr schwindet, ist die frühzeitige Freilegung wenigstens einer Niere, die Dekapsulation und Elektropunktur der Zysten, die mit trüber oder blutiger Flüssigkeit gefüllt sind, erforderlich. Durch eine derartige ,,elektrische Stichelung" verringert sich der Umfang des Organs auf fast normale Größe und es tritt eine erhebliche Druckentlastung ein. Das Leben der Zystennierenträger kann so, wenn in etwa 1 / 2 jährlichem Abstand auch die andere Niere elektropunktiert wird, um viele J a h r e verlängert werden. Auch eine spätere nochmalige Operation in der gleichen Art kann noch erfolgreich sein. Da Zystennieren auch mit anderen Nierenleiden, z. B. Steinen, kombiniert sein können, muß darauf hingewiesen werden, daß die Feststellung einer polyzystischen Degeneration bei Nierensteinen niemals die Veranlassung zur Nephrektomie abgeben darf. Unter Nierendystopie versteht m a n die angeborene Verlagerung des Organs. E s bleibt aber stets retroperitoneal gelegen, hat jedoch häufig eine vom Normalen abweichende Form (Ringniere, Kuchenniere) sowie eine abnorme Gefäßversorgung. Bei der häufigsten echten Nierendystopie, der B e c k e n n i e r e , die zuweilen dicht oberhalb der Blase im kleinen Becken liegen kann, ist ein Abb. 27. Zystennieren. Retrogrades Pyelogramm eigentlicher Gefäßstiel (normalerbei hochgradigen Zystennieren weise aus Art. und Vena renalis) nicht vorhanden. Meist findet sich nur eine aus der unteren Aorta entspringende Arterie, dazu aber noch von der Iliaca abgehende Gefäße, was bei einer Nephrektomie in Rechnung zu stellen ist. Das Nierenbecken liegt gewöhnlich auf der Vorderseite zentral dem rundlichen Organ auf. Dystope Nieren neigen sehr zur Steinbildung sowie zu hydronephrotischer Entartung. Auf den Palpationsbefund wurde schon auf S. 8 hingewiesen. Der Harnleiter ist entsprechend der tiefen Lage des Organs verkürzt; durch Messen der Harnleiterlänge mit einem Ureterkatheter oder röntgenologische Darstellung des Ureters läßt sich daher eine Nierendystopie stets von einer gesenkten Niere unterscheiden. I n sehr seltenen Fällen können auch beide Nieren auf einer Seite liegen, wobei es noch zu Verschmelzungen beider Organe kommen kann (gekreuzte Dystopie). Das pathologisch gelagerte Organ ist meist erheblich kleiner, mißbildet und funktionell

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unterwertig. Zu beachten ist, daß bei allen Dystopien die Nebenniere, die sonst de Niere fest aufsitzt, an normaler Stelle bleibt (Abb. 28). Obwohl die N i e r e n s e n k u n g nicht zu den Dystopien gehört, wird sie zweck mäßigerweise an dieser Stelle besprochen. Unter Senkniere, Nierenptose, Wander niere, Ren mobilis versteht man eine übernormale Beweglichkeit des Organs, das be aufrechter Körperhaltung nach unten in den Bauch hinein zu rutschen scheint. Auel normalerweise besteht eine gewisse Beweglichkeit der Nieren, die durch die Zwerch fellkontraktion bei der Atmung bedingt ist (respiratorische Yerschieblichkeit). Be der ptotischen Niere findet man dar über hinaus eine mehr oder minde: hochgradige Bewegungsmöglichkei nach unten und medial. I n hochgra digen Fällen kann man das Organ ii seiner gesamten Zirkumferenz um fassen und in den Bauch hinein drücken und wieder in die „Nieren löge" zurückschlüpfen lassen. J( tiefer die Niere tritt, desto stärker isl auch die Längsachsenverschiebung der obere Pol wird lateral, der untere medial verlagert, so daß das Nierenbecken eine kraniale Richtung einnimmt. Der Harnleiter verläuft etwas geschlängelt, da er ja im Gegensatz zu echter Dystopie in normaler Länge angelegt ist, die Nierengefäße sind ungewöhnlich lang. Auch bei der ptotischen Niere bleibt aber die Nebenniere stets an normaler Stelle, worauf in der Literatur kaum hingewiesen wird. Die Ursache der Erkrankung ist daher wohl in erster Linie eine allgemeine Bindegewebsschwäche, und häufig findet man Zeichen einer allA b b . 28. Nierendystopie. Rechte Niere, die einen gemeinen Ptose sowie Hernien, Varigroßen Kelchstein und einen Nierenbeckenverzen usw. bei demselben Patienten. schlußstein enthält, an normaler Stelle. Linke Niere Die beiden Blätter der Pascia lumbaebenfalls rechts von der Wirbelsäule liegend mit s t a r k erweitertem Hohlraumsystem lis sind schlaff und nur mangelhaft mit Fettgewebe gefüllt. Die Träger des Leidens sind vorwiegend asthenische Typen, meist Frauen; die rechte Seite ist viel häufiger befallen als die linke. Schwere körperliche Arbeit und Schwangerschaften begünstigen die Entstehung resp. das Fortschreiten. Trotzdem machen selbst hochgradige Formen von Nierensenkung meist keine Beschwerden. Andrerseits gibt es aber auch Fälle, in denen Beschwerden mannigfaltiger Art geklagt werden und kein krankhafter Befund an anderen Organen vorliegt, so daß die Nierenptose als einzige Ursache angesehen werden muß. Leib- und Kreuzschmerzen, Darmstörungen sowie gastritische oder an eine Gallenaffektion erinnernde Beschwerden werden geäußert, auch typische Nierenkoliken werden geschildert. Durch den Druck der verlagerten Niere auf andere Organe

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Erklärung. Trotzdem sollte die Indikation zur Operation (Nephropexie) sehr eng gefaßt werden. Eine a b s o l u t e Indikation zur Nephropexie ist nur gegeben, wenn häufige oder dauernde Abflußbehinderungen vorliegen. Im letzteren Falle ist eine Punktionseinengung und eine Erweiterung des Hohlraumsystems der Niere stets nachweisbar. Die durch temporäre Abknickung.des Ureters bedingten Koliken lassen sich durch Zurückschieben des verlagerten Organs und Beckenhochlagerung ohne Anwendung schmerzlindernder oder krampflösender Medikamente schnell beheben. Zur Erkennung des Zusammenhangs dyspeptischer oder neuralgischer Beschwerden mit der Nierenptose ist dieser Versuch ebenfalls anzuwenden. Man muß r ^ S ^ H ^ f f e r MMR* sich aber hüten, gleich zur Operation » 1 9 M E * zu schreiten, wenn die Beschwerden iflK^P erstnacheinerzufälligfestgestellten Ä'ft % ; Nierensenkung geäußert werden. Es ^ .1 P handelt sich dann meist um neurf Jt asthenische oder hysterische Perj£ sonen, so daß ein Erfolg der Operation ausbleibt oder bald wieder ähnliche Beschwerden (zuweilen in der anderen Seite) geäußert werden. Es ''.JB^Wk • ; ; empfiehlt sich daher, den Patienten gegenüber niemals den Ausdruck « S ,.,Wanderniere" zu gebrauchen oder / 4. ^ gar von „Abreißen" der Niere zu • «¡r-'i - '¡Sil sprechen (Abb. 29). . ' \ L Therapeutisch werden von den ^^^ » "'we • > m'ir^ meisten Autoren konservative und i^m^Mmss.^'s^j1' operative Methoden gegenüberge- ^ S m «i^g 'Sfek ^rerf stellt. Als geeignete konservative ^ ^ ^ ^ H j E l^WÜ^I Maßnahmen werden Leibbinden iw ' . j p 8 | und Mastkuren empfohlen sowie schwere körperliche Arbeiten verboten. Gegen den letzteren Hat habe ich nichts einzuwenden, trotzdem bei schwerer körperlicher Arbeit nicht nur die Muskeln des BeweAbb. 29. Nephroptose. Tiefstand der rechten Niere, starke Schlängelung des rechten Ureters u n d geringe gungsapparates, sondern auch die Pyelonephritis Bauchmuskeln gestärkt werden. Durch Leibbinden kann eine allgemeine Ptose der Bauchorgane etwas gemildert werden, jedoch wird die Erschlaffung der Bauchdecken durch eine derartige Maßnahme eher noch gefördert (Inaktivitätsatrophie). Ganz abwegig sind m. E. aber die Mastkuren. Eine Anreicherung des Fettgewebes zwischen den beiden Blättern der Fascia lumbalis kann bestenfalls zu einer Fixati on der Niere in einer Mittelstellung zwischen der eigentlichen Nierenlage und dem tiefsten Punkt, den die gelockerte Niere erreichen kann, führen, und dieser tiefste Punkt ist durch die Länge der Nierengefäße bedingt. Da das Fettgewebe sich aber in der ganzen Zirkumferenz der Niere bildet, kann es niemals zu einer Fixierung in der eigentlichen Nierenloge kommen. Die Mast führt natürlich auch stets zu einer allgemeinen Durchsetzung des Bindegewebes und der Muskulatur mit Fett und daher zu einer weiteren

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daß bei der Ptosis der Niere die Nebenniere stets an normaler Stelle bleibt. Die Erschlaffung des mesenchymalen Gewebes zwischen Nebenniere und Niere ermöglicht also vorwiegend die Lockerung und das Herabsteigen der Niere und man findet daher bei der Operation ptotischer Nieren diesen Raum mit lockerem, mit Fett reichlich durchsetztem Bindegewebe (zuweilen auch mit einer Bauchfellausstülpung) gefüllt. Ein Erfolg konservativer Maßnahmen kann daher immer nur bei ganz geringen Graden von Nephroptose, und zwar vorwiegend bei neurasthenischen Patienten eintreten. In allen Fällen aber, wo eine eingehende Untersuchung und Beobachtung objektive Zeichen für eine Irritation anderer Organe oder der Niere selbst durch die Ptose ergibt, ist die N e p h r o p e x i e die einzige erfolgreiche Maßnahme. Unter den zahlreichen Operationsmethoden bevorzugen wir die Raffung der beiden Blätter der Fascia renalis, die am besten die Niere in ihre physiologische Lage bringt und das Nierenparenchym überhaupt nicht tangiert. Nur in seltenen Fällen sahen wir uns zur Fixation an der 12. Rippe gezwungen. E i t r i g e E n t z ü n d u n g e n der Niere u n d der Nierenhüllen Trotzdem funktionell Niere und ableitende Harnwege eine Einheit darstellen, gibt es Krankheiten, die nur das Nierenparenchym ergreifen. Es sind: die doppelseitigen hämatogenen Nierenkrankheiten, die im vorigen Kapitel als sog. interne Nierenkrankheiten geschildert wurden, die eitrige Nephritis und der Nierenkarbunkel. Die e i t r i g e N e p h r i t i s ist eine vorwiegend durch Kokken hervorgerufene metastatische, fast immer einseitige Erkrankung, die während oder erst nach dem Abklingen anderer eitriger Krankheiten auftritt. Als primäre Herde kommen Furunkel, Anginen, Panaritien oder eitrige Entzündungen anderer Organe in Betracht. Handelte es sich hierbei um akute hoch virulente Infektionen, dann nimmt auch die eitrige Nephritis einen stürmischen Verlauf. Sind jedoch sog. Fokalinfektionen (Zahngranulome, chronische Tonsillitiden usw.) mit ihren abgeschwächten Erregern die Ursache, dann kommt es gewöhnlich auch nur zu einer weniger heftigen eitrigen Nephritisform, die größere diagnostische Schwierigkeiten bereitet. Die akute eitrige Nephritis beginnt schlagartig wie andere septische Erkrankungen mit hohem Fieber (Schüttelfrost), starker allgemeiner Abgeschlagenheit und Beeinträchtigung des Kreislaufs, so daß der Befallene sofort einen schwerkranken Eindruck macht, der sich nicht von dem Zustandsbild einer akuten Baucherkrankung unterscheidet. Pulsbeschleunigung, Leukozytose, trockene Zunge sind ebenfalls vorhanden, nur der Palpationsbefund weist nicht in die Richtung einer abdominalen Erkrankung: es besteht eine ausgesprochene Druckschmerzhaftigkeit der befallenen Niere, trotzdem der Spontanschmerz vom Patienten meist nur unbestimmt im Bauch angegeben wird. Der Harn ist frei von Formelementen und zeigt meist nur eine geringe Eiweißreaktion wie bei anderen hochfieberhaften Krankheiten. Ausschlaggebend gegenüber der Abgrenzung von intraabdominalen Entzündungen ist die Funktionsbeschränkung der erkrankten Niere bei der Chromozystoskopie und der Nachweis von Kokken im Harn. Pathologisch-anatomisch handelt es sich um kleinste Abszesse der Nierenrinde, die im Verlauf der Erkrankung entweder in die Nierenhüllen oder in die Harnkanälchen einbrechen können. Die Folgen sind entweder ein paranephritischer Abszeß oder der Übergang in eine Pyelonephritis, was sich durch Auftreten von Leukozyten im nunmehr makroskopisch trüben Harn äußert. Bei der durch wenig virulente Erreger hervorgerufenen schleichenden eitrigen Nephritis tritt gewöhnlich kein paranephritischer Abszeß, sondern nur eine infiltrative Perinephritis auf, die

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sich palpatorisch durch Vergrößerung des Organs bei nur mäßiger Druckschmerzhaftigkeit dokumentiert, aber zu einer Kompression des Nierenhohlraumsystems führt, so daß das Pyelogramm ein an Tumor erinnerndes Bild bieten kann. T h e r a p e u t i s c h ist bei dieser ausgesprochenen Kokkenerkrankung Penicillin das überragende Mittel. Bei rechtzeitiger Anwendung in genügenden Dosen (400000 O. E. pro die) kann der paranephritische Abszeß verhindert werden und das anfänglich bedrohliche Krankheitsbild schnell schwinden. Ist es aber zum Abszeß gekommen, so ist die chirurgische Eröffnung und Drainage unbedingt vorzunehmen und in den meisten Fällen mit einer Dekapsulation zu verbinden. Der N i e r e n k a r b u n k e l verläuft klinisch ähnlich wie die eitrige Nephritis; er unterscheidet sich von ihr nur dadurch, daß er einen kegelförmigen Abschnitt einer Niere befällt, wobei die Spitze des Kegels markwärts gerichtet ist und die Basis über die Nierenoberfiäche kalottenartig hinausragt. Auch hier handelt es sich um eine Kokkenembolie von einem anderen meist geringfügig erscheinenden Eiterherd aus, aber die dicht beieinander stehenden bis in die Markschicht hineinragenden Nekrosen haben wenig Neigung zur Einschmelzung, dagegen große Tendenz zur Ausbreitung. Im Pyelogramm ist meist eine Auseinanderdrängung der beiden benachbarten Calices majores zu erkennen. Auch beim Nierenkarbunkel braucht der Harn keine pathol. Formelemente zu enthalten, jedoch gelingt es meist, die Kokkenerreger im Harn nachzuweisen. Die Nierenhüllen sind stets ödematös oderleukozytär infiltriert, so daß es fast regelmäßig zum paranephritischen Abszeß kommt, sofern keine frühzeitige Penicillinbehandlung angewendet wird. Vor der Penicillin-Ära mußte meist die Nephrektomie ausgeführt werden, die auch heute noch vorgenommen werden muß, wenn das Krankheitsbild unter der Penicillinbehandlung nicht in wenigen Tagen seinen ernsten Charakter verliert. Die P e r i n e p h r i t i s , die soeben als Begleiterkrankung der eitrigen Nephritis und des Nierenkarbunkels erwähnt wurde, kann auch als selbständige Krankheit der Nierenhüllen ohne Beteiligung der Niere selbst auftreten. Die häufigste und am leichtesten erkennbare Form ist der peri- und paranephritische Abszeß. Er kann metastatisch von einem geringfügigen Eiterherd der Haut oder anderer Organe, der schon abgeheilt sein kann, ausgehen und entwickelt sich vorwiegend in der Nierenfettkapsel. Neben den üblichen Zeichen einer Eiterung (Fieber, Leukozytose, Linksverschiebung) findet man eine Druckschmerzhaftigkeit der betroffenen Nierengegend und häufig auch einen Spontanschmerz, der in das Bein ausstrahlt, oder umgekehrt beim Anheben des Beines in der Nierengegend auftritt. Bei der Bauchatmung wird die erkrankte Seite geschont, die Lendengegend ist vorgewölbt, was besonders bei der Inspektion vom Rücken aus deutlich hervortritt: die Taille ist verstrichen. Bei allen nicht renal bedingten perinephritischen Abszessen ist der Harn völlig normal oder zeigt nur eine geringfügige „Fieberalbuminurie". Im Röntgenbild ist die respiratorische Verschieblichkeit der Niere aufgehoben. Die Eröffnung und Drainage des perinephritischen Abszesses ist auch in der Penicillin-Ära unbedingt nötig, erstens weil nur so mit Sicherheit die Beteiligung der Niere ausgeschlossen werden kann und zweitens, weil nur dadurch der Übergang in die fibröse Perinephritis verhindert wird. Unterbleibt die chirurgische Behandlung, so breitet sich der Abszeß gewöhnlich dem Ureterverlauf entsprechend nach unten bis in das Beckenbindegewebe aus, aber es kommen auch Perforationen in die Pleura oder das Peritoneum vor. Die f i b r ö s e P e r i n e p h r i t i s kann sich nicht nur aus der eitrigen abszedierenden Nierenhüllenentzündung, sondern auch als Krankheit sui generis entwickeln. Die nicht mehr hoch virulenten Erreger verursachen eine fibröse Schwartenbildung, die mehrere Zentimeter dick sein kann und die Niere komprimiert; kommt es dann noch

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zu Kalkablagerungen in den Schwarten, so entsteht ein Gebilde, das man in Analogie zur Pericarditis flbro-calculosa = Panzerherz mit Panzerniere bezeichnen kann. Im Pyelogramm erscheinen bei dieser Krankheitsform die Nierenhohlräume fadendünn und ihre Verästelungen dicht aneinandergedrückt. Ständige Schmerzen, die sich zu Koliken steigern können, sind die Folgen der Strangulation der Niere. Der Harn kann dabei völlig frei von pathologischen Elementen sein, die Nierenfunktion ist aber stets eingeschränkt. Die Diagnose wird durch den Palpationsbefund, die Punktion sbeschränkung und das (retrograde) Pyelogramm gestellt? jedoch ist zuweilen die Abgrenzung gegenüber einem echten Blastom der Niere schwierig, besonders wenn durch die Strangulation auch die Gefäße betroffen werden und Hämaturien auftreten. Die Therapie besteht in der Enthülsung der Niere mit sorgfältiger Beseitigung des Schwartengewebes. Die von einigen Autoren als selbständige Krankheitsformen beschriebenen s e r ö sen und h ä m o r r h a g i s c h e n P e r i n e p h r i t i d e n sind nach meinen Erfahrungen stets fortgeleitete Ergüsse von benachbarten entzündeten Organen (Gallenblase, Pankreas, Colon usw.) oder Hämorrhagien aus der Niere selbst infolge Niereninfarkt oder maligner Nierentumoren. Sie erfordern sofortige Freilegung der Niere und sorgfältige Inspektion des Organs und seiner Nachbarschaft einschließlich benachbarter intraperitonealer Organe. Niereninfarkt, Nierenembolie u n d Nierenthrombose Ebenso wie in anderen Organen kann es auch in der Niere auf dem Boden einer schweren Atherosklerose oder Endokarditis zu Zirkulationsstörungen im Nierenparenchym kommen. Handelt es sich nur um einen kleinen Embolus, der in einer A. areiformis steckengeblieben ist, so entsteht nur ein kleiner anämischer Infarkt mit hämorrhagischem Hof, der in kurzer Zeit mit einer narbigen Einziehung des betroffenen Bezirks ausheilen kann. Ein plötzlich einsetzender Schmerz in der betroffenen Niere und eine mäßige einseitige Hämaturie sind die einzigen Erscheinungen, die bei Vorhandensein eines entsprechenden Grundleidens die Diagnose ermöglichen. J e größer der infarzierte Bezirk ist, desto stärker ist der Spontanschmerz, die Druckschmerzhaftigkeit, die Hämaturie und die Funktionsbeschränkung der befallenen Niere. Das blitzartige Auftreten des Schmerzes ist der wichtigste Hinweis; nur beim N i e r e n i n f a r k t tritt der Schmerz so plötzlich und sofort in voller Stärke auf, um dann allmählich abzuklingen. Auch die fast stets vorhandenen abdominalen Erscheinungen gehen mit der Größe des Infarkts parallel. Ein sehr großer arterieller Thrombus kann den völligen Verschluß der Nierenarterie herbeiführen. Eine solche N i e r e n e m b o l i e geht mit blitzartig einsetzendem Schmerz von höchster Intensität einher, dem schon in kurzer Zeit die Zeichen eines ,,akuten Abdomens" folgen. Da die ganze Niere schlagartig außer Funktion gesetzt wird, fehlt die bei kleineren Infarkten stets vorhandene Hämaturie, jedoch tritt selbstverständlich eine Oligurie auf, die aber bei der Schwere des Krankheitsbildes meist unbeachtet bleibt. Die frühzeitig auftretenden und immer stärker werdenden abdominalen Zeichen lassen häufig eher an eine Embolie eines intraperitonealen Organes denken; ausschlaggebend ist der völlige Funktionsausfall (ohne Hämaturie !) der befallenen Niere. Therapeutisch kommt nur die sofortige Nephrektomie in Betracht, die bei gesicherter Diagnose trotz des stets vorhandenen schlechten Allgemeinzustandes vorzunehmen ist. Selbstverständlich muß die durch den Eingriff noch gesteigerte Thrombosebereitschaft durch gerinnungshemmende Mittel (Thrombocid, Dicumarol) ebenfalls bekämpft werden.

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Differentialdiagnostisch außerordentlich schwierig zu trennen ist die isolierte Arteriosklerose einer Nierenarterie von der Nierenvenenthrombose. In beiden Fällen kommt es zu massiven Hämaturien, die mit kolikartigen Schmerzen (infolge der prallen Füllung des Nierenhohlraumsystems mit Blut) verbunden sind. Abdominale Symptome (mit Ausnahme des bei Koliken üblichen Brechreizes) fehlen. Pathologisch-anatomisch handelt es sich zwar bei der isolierten Arteriosklerose um eine sehr langsam sich entwickelnde, bei der Nierenvenenthrombose um eine plötzlich entstandene Krankheit. Der Arteriosklerotiker wird auch gewöhnlich geringfügige und daher nicht schmerzhafte Hämaturien schon früher beobachtet haben, die Nierenblutung pflegt aber auch bei ihm ganz plötzlich einzusetzen. Da bei beiden Erkrankungen nur die Nephrektomie das Leben retten kann, ist die klinisch sehr schwierige Unterscheidung praktisch bedeutungslos. Nierentumoren Eine pathologisch-anatomische Einteilung der Tumoren der oberen Harnwege zu geben, halte ich für überflüssig. Wie bei allen anderen Organen können auch an oder in den Nieren gutartige und bösartige Gewächse entstehen, allerdings überwiegen die malignen Tumoren ganz erheblich. Sie können von den Nieren selbst, dem Nierenhohlsystem einschließlich Nierenbecken und Ureter oder den Nierenhüllen ausgehen und sollen in dieser Reihenfolge besprochen werden. Die malignen Tumoren der Niere sind Karzinome, Sarkome oder Hypernephrome; von ihnen sind die Sarkome am seltensten; nur im Kindesalter sind fast alle echten Blastome der Nieren Sarkome. Die Hypernephrome (Grawitz-Tumoren) entstehen aus versprengten Nebennierenkeimen, sind aber nicht einheitlich gebaut, so daß ein so guter Kenner der Harnwegstumoren wie HÜCKEL behauptet hat, in j edem „Hypernephrom" auch karzinöse Gewebselemente gefunden zu haben. Zuweilen produzieren Hypernephrome sogar Adrenalin, so daß es nach der Exstirpation solcher Tumoren zu erheblichem Abfall des Blutdrucks kommen kann. Die Metastasierung der malignen Nierentumoren geschieht .vorwiegend in die Lungen, das Becken, die Wirbelsäule und die langen Röhrenknochen, die daher vor der Nephrektomie stets röntgenologisch zu durchforschen sind. Im ganzen ist die Metastasierungsneigung der Nierentumoren geringer als bei anderen Organen; selbst bei Tumoren riesigen Ausmaßes habe ich oft keine Metastasierung, dagegen zuweilen lokale Rezidive, offenbar von zurückgelassenen Resten der Umgebung, gesehen. Die Diagnostik der Nierentumoren ist natürlich sehr einfach, wenn schon eine Vergrößerung des Organs tastbar ist. Besonders die Tumoren des unteren Pols sind bei mageren Personen leicht als harte Auftreibung des Organs palpabel. Der Spontanschmerz ist bei echten Nierentumoren meist sehr gering oder erst von einer gewissen Größe ab vorhanden, wenn ein Druck auf benachbarte Organe oder die Nerven der Lumbairegion ausgeübt wird. Bei der Palpation (vgl. S. 7) ist aber das vergrößerte Organ fast stets druckschmerzhaft. Das wichtigste Symptom (und häufig auch das erstel) ist aber die Hämaturie. Das plötzliche Auftreten von Blut im Harn ohne irgendwelche Beschwerden und ohne Störung "des Allgemeinbefindens ist fast stets ein Zeichen einer Tumorbildung in den Harnwegen und erfordert in jedem Falle eine genaue fachurologische Untersuchung. Die Stärke der Blutung und ihre Dauer sind dabei völlig belanglos. Es ist keine „Therapie", wenn der Hausarzt einen Patienten mit schmerzloser Hämaturie ins Bett steckt, ein Hämostyptikum und blande Diät verordnet, und es ist auch kein Erfolg dieser „Therapie",wenn die Blutung nach einigen Tagen sistiert und wieder normaler Harn produziert wird. Bei den Tumoren

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der Harnwege kommt und geht die Blutung auch ohne jede ärztliche Einwirkung, und es wird durch diese Behandlung nur erreicht, daß der Patient bei der nächsten Hämaturie nicht einmal den Arzt zu Rate zieht, sondern nach dem Vorbild der ersten ärztlichen Behandlung die gleichen Medikamente benutzt und Bettruhe innehält. Das Verhalten des Arztes bei der ersten Hämaturie kann für das Leben des Patienten entscheidend sein und mancher Tumor der Harnwege ist durch das Versäumnis einer frühzeitigen urologischen Untersuchung inoperabel geworden. Es ist

Abb. 30. Nierentumor. Retrogrades Pyelogramm bei linksseitigem Nierenkarzinom

Abb. 31. Retrogrades Pyelogramm bei Hypernephrom mit Zerfall im oberen Pol

heute Allgemeingut der Ärzte, daß eine extramenstruelle Blutung eine genaue Untersuchung der Genitalorgane der Frau erfordert und in jedem FaÜe den Verdacht auf ein beginnendes Uteruskarzinom erwecken muß — bezüglich der Hämaturie besteht noch immer eine sehr weitverbreitete Unwissenheit und Indolenz. Es ist daher für jeden Arzt ein unabdingbares Gebot: Bei jeder schmerzlosen Hämaturie muß der Patient s o f o r t einer genauen urologischen Untersuchung zugeführt werden. Die s o f o r t i g e Untersuchung ist deshalb so wichtig, weil nur durch die Zystoskopie bei noch b e s t e h e n d e r Blutung der Ort der Blutung (eine oder beide Nieren, ableitende Harnwege usw.) eindeutig bestimmt werden kann. E s k o m m t a l s o f ü r den z u e r s t zu R a t e e e z o s e n e n A r z t n i c h t d a r a u f a n . die Blutunsr zu s t i l l e n .

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s o n d e r n d e n S i t z d e r B l u t u n g zu e r f o r s c h e n o d e r e r f o r s c h e n zu l a s s e n . Und das ist nicht durch eine noch so eingehende Urinuntersuchung, sondern nur durch die Endoskopie möglich. E s ist in der Urologie nicht anders als bei den übrigen Disziplinen: Auch ein kleiner, bisher nicht palpabler Tumor kann frühzeitig metastasieren und deshalb ist die Frühdiagnose so wichtig. Aber in e i n e m Punkte sind wir bei der Tumordiagnose in der Urologie glücklicher dran als der Praktiker oder der Internist bei der Diagnostik maligner Tumoren z . B . des Magens: wir haben ein Frühsymptom, nämlich die H ä m a t u r i e ! Es liegt an uns, dieses Warnzeichen der Natur richtig zu würdigen und es nicht zu mißachten oder gar symptomatisch zu behandeln. Das wichtigste Mittel zur Erkennung von Tumoren der oberen Harnwege ist die retrograde Pyelographie, nicht die intravenöse Ausscheidungs-Urographie. Die letz-

Abb. 32. Zytologisches Präparat. Stark gefärbte Karzinomzellen im Prostataexprimat bei Prostatakarzinom

tere kann bei einem schon palpablen Nierentumor und einer anamnestisch vorhandenen Hämaturie die eigentlich schon gestellte Diagnose bestätigen, zur Frühdiagnose reicht sie aber meist nicht aus. Das instrumentelle Pyelogramm zeigt dagegen in voller Klarheit die mannigfachen Veränderungen, die der Tumor im Nierenhohlraumsystem verursachen kann: Kleines oder verdrängtes Nierenhohlraumsystem im Verhältnis zur Größe der Nierenkontur, unvollständige Darstellung einzelner Kelchgruppen (Füllungsdefekt), wobei die vom Tumor entfernt liegenden Kelche meist erweitert erscheinen, Verlängerung und Kompression der Kelchhälse, Deformierung und Abschnürung von Kelchen oder Kelchbechern, Verdrängung und unvollständige Füllung des Nierenbeckens, Verschiebung der Längsachse des Nierenbeckens in die Horizontale und stark bogenförmiger, bis an die Wirbelkörper heranreichender Abgang des Ureters. Die Bildung von Blutkoageln im Hohlraumsystem und der Einbruch des Tumors in das Nierenbecken kann einzelne Kelche, Becher oder das Pyelon auch erweitert erscheinen lassen (Abb. 30 und 31).

so

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In allen Fällen, in denen keine palpable oder röntgenologisch sichere Vergrößerung ier Niere und keine eindeutige Veränderung des Hohlraumsystems erkennbar ist, kann die zytologische Urinuntersuchung — am besten aus dem durch Harnleiterkatheterung gewonnenen Merenharn — nach PAPANICOLAOU beitragen, die Diagnose m sichern. Diese ursprünglich für die Frühdiagnose des Uteruskarzinoms geschaffene Untersuchung stellt eine gewisse Bereicherung unserer Fähigkeiten in der Erkennung maligner Tumoren der Harnwege dar und wird daher von uns in allen zweifelhaften Fällen — besonders beim Prostatakarzinom (s. S. 123) — gern angewendet. Es ist dabei nicht notwendig, die von PAPANICOLAOU angegebene Färbung vorzunehmen auch mit der bekannten Hämatoxylin-EosinLösung oder der von QUENSEL angegebenen Methode lassen sich die gleichen Resultate erzielen. Die Karzinomzellen zeichnen sich durch Vergrößerung der Kerne, undeutliche Zellgrenzen, Hyperchromie der Kerne und häufige Kernteilung und Bildung von Nukleolen aus. Die zytologische Untersuchung setzt allerdings auch eine gewisse Übung und Erfahrenheit des Untersuchers voraus, kann aber in zweifelhaften Fällen zur Sicherung der Diagnose beitragen (Abb. 32). Die klinische Untersuchung vermag natürlich nicht, auch die feingewebliche Struktur der malignen Nierentumoren zu erkennen, jedoch sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, daß Hypernephrome zuweilen Blutdruckerhöhungen machen können und Methämoglobin im Harn bilden. I n der Nierenfettkapsei findet man bei malignen Tumoren stets sehr große Gefäße, so daß zuweilen auch auskultatorisch A b b . 33. Nierenzyste. Große rechtsseitige Solitärzyste m i t V e r d r ä n g u n g des r e c h t e n H o h l s y s t e m s u n d oberen H a r n l e i t e r d r i t t e l s

e i n

Schwirren (allerdings n u r ü b e r schon palpablen Gewächsen) vern e h m b a r ist.

Die Therapie der malignen Nierengeschwülste besteht in der Nephrektomie, wobei möghchst auch die Nierenfettkapsel mit entfernt werden soll. Sie ist meist sehr derb und mit großen Venen durchsetzt und mit dem Peritoneum fest verwachsen, so daß zuweilen die fest anhaftenden Teile des letzteren mit entfernt werden müssen. Bei sehr großen Tumoren ist daher manchmal die transperitoneale Nephrektomie der lumbalen vorzuziehen. Vergrößerte Drüsen in der Nähe der Nierengefäße werden ebenfalls exstirpiert. Eine Nachbestrahlung ist nur notwendig, wenn Drüsen oder verdächtige Fettkapselreste zurückgelassen werden mußten. Die Resultate sind auch bezüglich Dauerheilung sehr günstig. B e n i g n e T u m o r e n des Nierenparenchyms sind selten und machen meist keine Erscheinungen. Multiple kleine Fibrome und Leiomyome können bei aus anderen

Chirurgische Nierenkrankheiten

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Gründen vorgenommener Nierenfreilegung Rindentuberkeln so ähnlich sein, daß der Operateur zur Nephrektomie veranlaßt wird. Die einzigen benignen Nierentumoren, die infolge ihrer Größe Beschwerden verursachen, sind die sogenannten S o l i t ä r z y s t e n . Obwohl man sich die Entstehung dieser Zysten durch eine Hemmungsmißbildung, ähnlich der bei Zystennieren, vorstellen muß, kommen sie einseitig und als Einzelgebilde vor, können aber infolge Druck auf das übrige Nierengewebe Hämaturie verursachen. Sie sind von einer gewissen Größe ab als rundliche Vorwölbung palpabel, zumal sie am unteren Nierenpol zu sitzen pflegen, und sind gewöhnlich auch röntgenologisch (i.v. Pyelogramm) gut darstellbar. Die äußere Zystenwand ist nur noch von der Capsula propria renis bedeckt, nach dem Markgewebe zu aber fest mit dem Nierenparenchym verbunden. Eine Ausschälung der Zyste ist daher nicht möglich. Nach Abtragen der über das Niveau der Niere herausragenden Zysten wand (am besten durch Elektroschnitt) wird der dünne Inhalt entfernt und der Boden der Zyste durch Elektrokoagulation oder flüssige Ätzmittel vernarbt (Abb. 33). Auch der N i e r e n e c h i n o k o k k u s stellt eine seltene Art der Zystenbildung dar. Große Echinokokkuszysten lassen im guten Röntgenbild eine Kammerung erkennen, die Serodiagnose erlaubt meist eine absolute Sicherung vor der Operation. I m Gegensatz zu den Solitärzysten ist die Ausschälung der Mutterblase aus dem Nierenparenchym möglich, wenn eine H ä r t u n g der Zystenwand durch Formalin-Injektion vorgenommen wird. Nieren Verletzungen Alle Verletzungen der Nieren gehen mit zwei eindeutigen Symptomen einher: 1. der Blutung in das Nierenlager, 2. der Blutung in die ableitenden Harnwege. J e nach dem Sitz und der Ausdehnung der Verletzung überwiegt wohl eine dieser beiden Erscheinungen, jedoch gehen beide mit einer erheblichen Schockwirkung (neben dem allgemeinen Unfallschock) einher: Die plötzliche Massenblutung füllt Nierenbecken, Harnleiter und bald danach auch die Blase nicht nur mit flüssigem Blut, sondern auch mit Koageln, die den Abfluß behindern und dadurch Nierenkoliken und Harnverhaltung hervorrufen. Die Blutung ins Nierenlager f ü h r t zu einem unerträglichen Spannungsschmerz und zu peritonealen Reizerscheinungen, so daß fast stets auch der Verdacht auf eine intraperitoneale Blutung aus einem anderen Bauchorgan auftreten muß. Die Einteilung in direkte (Schuß- und Stich-) und indirekte (Quetsch-) Verletzungen z.B. durch Überfahren halte ich f ü r wenig bedeutungsvoll, wenn auch vermerkt werden muß, daß manche Schuß- und Stichverletzungen weniger schwere Zerstörungen und damit auch Erscheinungen verursachen als stumpfe Zerreißungen. Tritt nach Bekämpfung des allgemeinen Unfallschocks keine Erholung des Verletzten ein, wird die Vor Wölbung der Lendenregion stärker und praller oder kommt es zum Blasenhochstand durch einen großen Blutkuchen, so zögere man nicht mit der Operation, denn der durch die Anfüllung des Nierenlagers resp. der Blase bedingte Schock läßt sich auf keine Weise beheben und der Blutverlust kann bedrohlich werden. Bei allen frischen, schweren Verletzungen der Niere empfehle ich, den transperitonealen Zugang zu wählen. Er gibt die Möglichkeit 1. gleichzeitig aufgetretene Verletzungen des Bauchraumes (besonders der Leber) zu erkennen und operativ zu versorgen, 2. festzustellen, ob eine zweite, normale Niere vorhanden ist, 3. in einfacher Rückenlage zu operieren.

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Obere Harnwege

Die Operation selbst soll nach Möglichkeit eine Erhaltung des Organs anstreben, d.h. die Blutung durch Naht des Nierenparenchyms oder des Nierenbeckens usw. zu stillen versuchen. Auch bei erheblichen Nierenrupturen (meist in querer oder radiärer Richtung) kann so das Organ erhalten werden und später auffallend gute Funktion zeigen. Es ist wohl selbstverständlich, daß bei allen transperitonealen Operationen verletzter Nieren vor dem Schluß des hinteren Bauchfells eine Drainage in die Lumbaigegend vorgenommen werden muß. Bei geringen Blutungen und gutem Allgemeinzustand ist natürlich eine konservative Therapie mit Eisblase, Gerinnungsmitteln und Ruhigstellung durch Opiate usw. möglich; in solchen Fällen ist auch ein retrogrades Pyelogramm schon nach 2—3 Tagen möglich und häufig diagnostisch aufschlußreich.

Nierentuberkulose Eine gesonderte Abhandlung der Nieren tuberkulöse ist eigentlich nicht möglich, weil eine tuberkulöse Erkrankung eines Abschnittes der Harnwege sehr schnell auch die übrigen Teile des ganzen Harnsystems ergreift, so daß man besser von einer U r o g e n i t a l t u b e r k u l o s e spricht. Trotzdem soll in diesem Büchlein aus Gründen der Einteilung der Versuch gemacht werden, die Tuberkulose der einzelnen Organe resp. Abschnitte des Urogenitalsystems gesondert darzustellen, und zwar 1. weil die tuberkulöse Erkrankung des gesamten Systems stets von den beiden äußersten Polen, den Nieren oder dem Nebenhoden resp. der Prostata, ausgeht und 2. durch operative Beseitigung der urogenitoprimär erkrankten Pole eine Ausheilung der dazwischenliegenden Systemabschnitte erzielt werden kann. Die N i e r e n t u b e r k u l o s e verdient daher die breiteste Darstellung. Wenn auch die Harnwegstuberkulose stets voraussetzt, daß ein primärer Herd in der Lunge vorhanden ist, so ist sie doch häufig klinisch nicht als Sekundärleiden aufzufassen. Diese Darstellung hat nämlich bedauerlicherweise dazu geführt, daß bei gewissen Veränderungen oder Erscheinungen an den Harnwegen nur dann an eine Tuberkulose gedacht wird, wenn eine manifeste Tuberkulose anderer Organe vorhanden ist. Die Erfahrung lehrt aber, daß einseitige Nierentuberkulose häufig bei Personen auftritt, denen niemals eine tuberkulöse Infektion anderer Organe bekannt geworden ist und bei denen eine Erkrankung anderer Organe mit unseren heutigen diagnostischen Mitteln nicht nachweisbar ist. Gerade bei diesen Patienten ist aber eine Heilung der Nierentuberkulose bei einigermaßen frühzeitiger Erkennung durch operativen Eingriff möglich. Ist dagegen eine manifeste Lungen- oder Knochentuberkulose vorhanden, dann handelt es sich fast stets um die d o p p e l s e i t i g e metastatische Nierentuberkulose kavernöser Form, die bisher weder operativ noch durch Bakteriostatika oder Antibiotika heilbar ist. Schon vor mehreren Jahrzehnten war durch Tierversuche festgestellt worden, daß die doppelseitige miliare Nierentuberkulose mit dem Hauptsitz in der Rinde durch eine massive Infektion mit hochvirulenten Kochschen Bazillen hervorgerufen wird, während eine spärliche, wenig virulente Infektion meist nur eine e i n s e i t i g e chronische Nierentuberkulose mit dem Sitz im Markgebiet resp. den Papillen erzeugt. Wenn auch neuere Forschungen ergeben haben, daß auch die spärliche Infektion zunächst kleinere Knötchen in beiden Nieren verstreut bildet, so hat sich doch gezeigt, daß diese „primären" Nierentuberkel starke Heilungstendenz durch fibröse Umwandlung zeigen und entweder in beiden Nieren oder wenigstens in einer Niere

Nierentuberkulose

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erscheinungslos abheilen. In letzterem Falle bleibt die eine Niere klinisch gesund, während in der anderen Niere die Erkrankung weitergeht und das Bild der einseitigen chronischen Nierentuberkulose bietet. Auf die therapeutischen Konsequenzen dieser modernen Vorstellung von der Genese der Nierentuberkulose komme ich noch zu sprechen. Das pathologisch-anatomische Bild der einseitigen chronischen Nierentuberkulose ist sehr vielgestaltig und zeigt einzelne Tuberkel mit fibröser Schrumpfung neben anderen mit Verkäsung, kavernöse Zerfallsherde im Mark und später auch in der Rinde sowie Destruktion und Nekrose von Papillen. Gewöhnlich schreitet die Erkrankung von den Papillen aus auf Mark und Rinde fort und JHBSf^ kann schließlich auch die Nierenhül, , rtf*®* len ergreifen. Dadurch kann das VoJjf f^St , lumen solcher Nieren stark vergrö- UMPM^^^HL-lflt'V .. ßert sein, es kann aber auch durch jJ^^^KpvT Austrocknen des käsigen Kavernen® IpT • s inhalts zu kleinen mehr rundlichen '' Kittnieren kommen. Auf dem Lymphwege ergreift die Erkrankung Ä jB Ureter, der dadurch verdickt und verkürzt, verlegt oder (infolge Wandnekrose) auch erweitert sein kann. Lymphogen (zumindest viel seltener als durch den Harnstrom) wird auch die Blase in Mitleidenschaft gezogen

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