Untersuchungen zur Schreibkultur Mesopotamiens im 1. Jahrtausend v. Chr. 9781501511912, 9781501517471

The starting point of this study is the materiality of texts. It provides information about how cuneiform clay tablets w

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German Pages 589 [590] Year 2022

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Table of contents :
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
Konventionen
Einleitung
1 Phänomenologie der Tontafeln
2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte
3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘
4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit
Fazit
Tafeln
Zeittafel (erstellt von Sebastian Fischer)
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tafelverzeichnis
Register
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Untersuchungen zur Schreibkultur Mesopotamiens im 1. Jahrtausend v. Chr.
 9781501511912, 9781501517471

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Babette Schnitzlein Untersuchungen zur Schreibkultur Mesopotamiens im 1. Jahrtausend v. Chr.

Studies in Ancient Near Eastern Records

General Editor: Gonzalo Rubio Editors: Nicole Brisch, Eva Cancik-Kirschbaum, Petra Goedegebuure, Amélie Kuhrt, Peter Machinist, Piotr Michalowski, Cécile Michel, Beate Pongratz-Leisten, D.T. Potts, and Kim Ryholt

Volume 29

Babette Schnitzlein

Untersuchungen zur Schreibkultur Mesopotamiens im 1. Jahrtausend v. Chr.

D 188

ISBN 978-1-5015-1747-1 e-ISBN (PDF) 978-1-5015-1191-2 e-ISBN (EPUB) 978-1-5015-1164-6 ISSN 2161-4415 Library of Congress Control Number: 2022943195 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter Inc., Boston/Berlin Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

meinen Eltern

Danksagung Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Version meiner im Jahr 2015 an der Freien Universität Berlin eingereichten Doktorarbeit. In erster Linie möchte ich meinen beiden Betreuern, Prof. Dr. Eva CancikKirschbaum und Prof. Dr. Markham J. Geller, für ihre Unterstützung danken. Meine Jahre als wissenschaftliche Hilfskraft bei Eva Cancik-Kirschbaum haben mein Interesse an dem Thema der vorliegenden Arbeit geweckt. Durch die Seminare bei Markham J. Geller konnte ich meine Kenntnisse über wissenschaftlich-literarische Texte des Alten Orients vertiefen. Ein Promotionsstipendium nach dem Nachwuchsförderungsgesetz des Landes Berlin (Elsa-Neumann-Stipendium) ermöglichte mir während 2 ¾ Jahren (April 2010 – Dezember 2012) mich intensiv der Forschung zu widmen. Da keine Forschungsansätze und Seminare vorgeschrieben waren, konnte ich unabhängig zu dem Thema meiner Doktorarbeit forschen. Im interdisziplinären DFG Graduiertenkolleg 1458 „Schriftbildlichkeit: Über Materialität, Wahrnehmbarkeit und Operativität von Notationen“ war ich assoziierte Doktorandin. Die zahlreichen Veranstaltungen und der Austausch mit den anderen Doktoranden vermittelten mir einen Eindruck von der Vielfalt der Forschungen zum Thema Schrift. Dies veranlasste mich, fachspezifische Vorstellungen und Vorgehensweisen kritisch zu hinterfragen. Berlin ist ein ‚Wissenszentrum‘ der Altertumswissenschaften. Die rege wissenschaftliche Aktivität zeigt sich durch zahlreiche Forschungsprojekte und Veranstaltungen. Für meine Promotionszeit ist insbesondere das Exzellenzcluster Topoi hervorzuheben. Neben den in Berlin tätigen Wissenschaftlern waren oft für kürzere Zeit Gastwissenschaftler zu Besuch. Durch den Besuch von Tagungen, Workshops und Vorträgen gewann ich einen Überblick über aktuelle Forschungsthemen und -ansätze. Ich konnte über einen Arbeits- und Büroplatz in einem Gebäude verfügen, in dem sich Projekträume der Altorientalistik und der Vorderasiatischen Archäologie befanden. Durch die gemeinsame Teeküche war ein reger Austausch zwischen den im Haus arbeitenden Personen möglich. Von der Gesprächsbereitschaft der in Berlin anwesenden Philologen und Archäologen mit Schwerpunkthema Alter Orient habe ich profitiert. Da die Liste derjenigen Personen, die mich in verschiedenen Phasen meiner Promotionszeit mit Ideen, Kenntnissen und Erfahrungen im persönlichen Gespräch unterstützten, lang ist, spreche an dieser Stelle einen großen Dank an alle aus, die Berlin damals für mich zu einem ‚Wissenszentrum‘ machten. Während eines zweiwöchigen Aufenthalts in London hatte ich die Möglichkeit, zahlreiche Tontafeln des British Museum zu untersuchen. Die Atmosphäre des Studiensaals ist geprägt durch den wissenschaftlichen Austausch der dortihttps://doi.org/10.1515/9781501511912-202

VIII

Danksagung

gen Angestellten und den Gästen aus aller Welt. Insbesondere möchte ich mich bei Dr. Jonathan Taylor, dem Kurator der Keilschriftensammlung, für seine Gesprächsbereitschaft bedanken und dass er ohne Zögern meinem ‚merkwürdigen‘ Wunsch, möglichst viele vollständige Tontafeln zu sehen, nachkam. Auch im Vorderasiatischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin durfte ich Tontafeln betrachten. Als Prof. Dr. Joachim Marzahn, der damalige Oberkustos der Keilschriftensammlung, von dem Thema meiner Promotion erfuhr, ermöglichte er es mir, bereits vor dem vollständig abgeschlossenen Umzug zahlreiche Tontafeln zu begutachten. Für sein großes Entgegenkommen und Interesse an meiner Arbeit sowie den Anmerkungen zu der Abgabeversion der Dissertation bedanke ich mich an dieser Stelle. Dr. Monika Freier bin ich zu Dank verpflichtet, da sie mir für meinen Forschungsaufenthalt in London ihre Kamera lieh und Teile der Abgabeversion der Doktorarbeit gegengelesen hat. Für die kritische und zügige Lektüre von Teilen der Dissertation am Ende der Promotionsphase bedanke ich mich bei Prof. Dr. Axel Gering. Für das teilweise mühevolle Korrekturlesen der gesamten Doktorarbeit sei insbesondere Dr. Sebastian Fischer gedankt. Er war auch so nett, mir für dieses Buch einen chronologischen Überblick zur Verfügung zu stellen. Nach dem Abschluss meiner Promotion war ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin in London tätig. Dies ermöglichte es mir, die im Kapitel 2.1 behandelten bildlichen Darstellungen, die sich im British Museum, London und im Musée du Louvre, Paris befinden, (nochmals) im Original zu betrachten. Prof. Dr. Gonzalo Rubio sei gedankt für sein langjähriges Interesse an der Drucklegung der vorliegenden Arbeit und der Aufnahme innerhalb der Serie „Studies in Ancient Near Eastern Records“. Für die Ermutigung das Buchmanuskript zum Abschluss zu bringen und das Korrekturlesen desselbigen bin ich Roswitha und Dr. Peter Nordmann zu Dank verpflichtet. Die beiden Gutachter des Peer-Review-Prozesses gaben nützliche Hinweise. Das Vorderasiatische Museum der Staatlichen Museen zu Berlin fertigte dankenswerterweise neue Fotografien von einigen seiner Tontafeln an und stellte sie mir zur Verfügung. Das British Museum gewährte mir als Mitarbeiterin einen Zuschuss aus dem Scholarly Publications Support Fund, was die Verwendung zahlreicher Abbildungen von Keilschriftobjekten seiner Sammlung ermöglichte. Mein Dank gilt weiterhin den Mitarbeitern des Verlags De Gruyter für die freundliche Betreuung. Auch möchte ich mich bei meinen Eltern, Gabriele und Dr. Georg Schnitzlein für all ihre Unterstützung bedanken. Ihnen ist das vorliegende Buch gewidmet. Berlin, im Juni 2022

Inhaltsverzeichnis Danksagung

VII

Konventionen Einleitung 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.2.5

2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.3.1 2.1.3.2 2.1.3.3 2.1.3.4 2.1.3.5 2.2 3 3.1 3.1.1

XIII 1

Phänomenologie der Tontafeln 9 Forschungsgeschichte 11 Konventionelle Einteilung der schriftlichen Überlieferung 11 Art der Darstellung 14 Arbeiten zum Erscheinungsbild 28 Äußere Charakteristika 38 Beschreibstoff 39 Format der Tafel 47 Paläografie 53 Layout 70 ‚Nicht-schriftliche‘ Markierungen und weitere intentionelle Veränderungen 82 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte 85 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten Darstellungen aus dem 3., 2. und Beginn des 1. Jahrtausends 85 Späthethitische Darstellungen 94 Neuassyrische Schreiberdarstellungen 100 Frühe Darstellungen 102 Schreiben nach Diktat 109 Notation der empfangenen Kriegsbeute 112 Assurbanipal mit Griffel im Gürtel 122 Umgang mit Schriftstücken 124 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte 126

85

Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ 212 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt 212 Das Konzept ‚Bibliothek‘ und seine Verwendung in der Forschungsliteratur 213

X

Inhaltsverzeichnis

3.1.1.1 3.1.1.2 3.1.1.2.1 3.1.1.2.2 3.1.1.2.3 3.1.1.2.3.1 3.1.1.2.3.2 3.1.1.2.3.3 3.1.1.2.4 3.1.2 3.1.2.1 3.1.2.2 3.1.2.3 3.1.2.4 3.1.2.5 3.2 3.2.1 3.2.1.1 3.2.1.2 3.2.1.3 3.2.1.3.1 3.2.1.3.2 3.2.1.4 3.2.2 3.2.2.1 3.2.2.1.1 3.2.2.1.1.1 3.2.2.1.1.2 3.2.2.1.2 3.2.2.1.3 3.2.2.1.4 3.2.2.1.5 3.2.2.2 3.2.2.2.1

Das Konzept ‚Bibliothek‘ in Abgrenzung zum Konzept ‚Archiv‘ 213 Behandlung altorientalischer Archive und Bibliotheken in der Forschungsliteratur 218 Allgemein 218 Archiv 223 Bibliothek 224 Deduktiver Ansatz 225 Induktiver Ansatz 233 Gemischter Ansatz 241 Fazit 246 ‚Stream of tradition‘ 251 Definition des ‚stream of tradition‘ 251 Indigene Terminologie 255 Der Diskurs über Kanonisation innerhalb der Assyriologie 258 Auseinandersetzung mit den Thesen Oppenheims durch E. Robson 269 Fazit 271 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort 274 Der Befund ‚Bibliothek Assurbanipal‘ 275 Ort 275 Tafelsammlung 281 Sammeln und Kopieren 294 Schreiben von Texten während der Regierungszeit Asarhaddons 295 Sammeln und Anfertigen von Standardversionen während der Regierungszeit Assurbanipals 303 Funktion(en) der ‚Bibliothek Assurbanipals‘ 316 Gestaltung der Tontafeln 322 Beschreibung von neuassyrischen Alltagstexten 323 Neuassyrische Privatrechtsurkunden 324 Erwerbsverträge 325 Obligationsurkunden 330 Briefe 337 Anfragen an Šamaš und Leberschauberichte 340 Astrologische Berichte 343 Einige Anmerkungen zu weiteren Texten 344 Gestaltung von Bibliothekstexten 346 Allgemein 346

Inhaltsverzeichnis

Format 351 Vorbereitung des Textlayouts 356 Einfügen von Löchern nach dem Beschriften

3.2.2.2.2 3.2.2.2.3 3.2.2.2.4 4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.3.1 4.1.3.2 4.1.3.3 4.1.4 4.2

357

4.4.3 4.4.4 4.5

Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit 359 Vergängliche Beschreibstoffe und Techniken 360 Ton 361 Holz 363 Papyrus und Leder bzw. Pergament 364 Erhaltene Schriftstücke 365 Gesiegelte Tonbullen als Hinweis auf Schriftrollen 367 Schriftliche Hinweise 375 Metall 379 Umliegende Schrifträume mit Kontakt zur sumero-akkadischen Keilschrift 379 Nordsyrien und Südtürkei (ca. 1000–700) 379 Urartu (9.–7. Jahrhundert) 387 Iran (1000 – ca. 330) 389 Taymāʾ 395 Selten bezeugte und unentzifferte Schriften 397 Die Verwendung des Aramäischen im neuassyrischen Reich 400 Aramäische Schriftzeugnisse 400 Keilschriftliche Zeugnisse für den parallelen Gebrauch des Aramäischen 408 Deutung des Befundes 410 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift 413 Aramäische Schriftzeugnisse 414 Schriftliche Hinweise auf die Verwendung der aramäischen Linearschrift 423 Das Griechische in Babylonien 435 Deutung des Befundes 442 Schlussfolgerungen 445

Fazit

448

4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.4 4.4.1 4.4.2

Tafeln

453

Zeittafel (erstellt von Sebastian Fischer)

499

XI

XII

Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis

505

Abbildungsverzeichnis Tafelverzeichnis Register

571

567

563

Konventionen Die in dieser Arbeit verwendeten Abkürzungen folgen denjenigen des „Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie“, dessen Faszikels zwischen 1928 bis einschließlich 2018 erschienen. Eine Abkürzungsliste mit Stand 01.11.2017 nach Vorarbeiten von Gabriella Frantz-Szabó sowie Ursula Hellwag zusammengestellt und bearbeitet von Anna Yordanova, überarbeitet von Josephine Fechner und Mandy Greiner findet sich online (https://rla.badw.de/fileadmin/ user_upload/Files/RLA/03_Abkverz_Ende_Nov2018.pdf). Der Arbeit ist ein Tafelteil beigefügt, auf die dortigen Abbildungen wird innerhalb der Arbeit verwiesen. Der Fokus der vorliegenden Arbeit ist auf das 1. Jahrtausend v. Chr. gerichtet. Gelegentlich wird jedoch auch auf frühere Perioden Bezug genommen. So umfasst die von Sebastian Fischer zusammengestellte und mir freundlicherweise für das Buch zur Verfügung gestellte chronologische Tabelle den gesamten Zeitraum der keilschriftlichen Überlieferung. Neben den von ihm verwendeten Bezeichnungen wird in diesem Buch noch der Begriff neubabylonisch für babylonische Texte aus etwa der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr. gebraucht. Die in diesem Buch angegebenen Datierungen verweisen überwiegend auf Zeitperioden vor Beginn der christlichen Zeitrechnung, deswegen wird in der Regel die Angabe ‚v. Chr.‘ weggelassen. Wenn der jeweilige Kontext keine eindeutige Identifikation zulässt, wurden jedoch ‚v. Chr.‘ oder ‚n. Chr.‘ hinzugefügt. Bei Herrschern werden, falls nicht anders vermerkt, ihre Regierungszeiten und nicht ihre Lebensdaten angeführt. Bei der Besprechung von Textinhalten wird die jeweilige Textedition angegeben. Wenn allerdings der Text als Artefakt beschrieben wird, ist die Museumsnummer angegeben. Die Schreibung der neuassyrischen Personennamen folgt „The Prosopography of the Neo-Assyrian Empire“, das von Simo Parpola herausgegeben wurde. Bei Herrschernamen werden die im Deutschen allgemein gebräuchlichen Formen, falls vorhanden, verwendet. Akkadische Ausdrücke und Texte werden kursiv, sumerische gesperrt und Logogramme in KAPITÄLCHEN wiedergegeben. Determinative werden hochgestellt. Bei Zeichennamen und unklarer Lesung von Logogrammen werden GROSSBUCHSTABEN gebraucht. Gelegentlich findet die Kursivschreibung auch als Schriftauszeichnung in Zitaten und für andere Sprachen Anwendung. Dies erschließt sich jedoch eindeutig aus dem jeweiligen Kontext.

https://doi.org/10.1515/9781501511912-204

Einleitung Der Titel des vorliegenden Buches lautet ‚Untersuchungen zur Schreibkultur Mesopotamiens im 1. Jahrtausend v. Chr‘. Unter dem Begriff ‚Schreibkultur‘ wird das Schreiben, d. h. das Erstellen von Schriftzeugnissen und deren Produkte, sowie die ‚Kultur‘, d. h. die soziokulturelle Verortung der Schriftzeugnisse, verstanden. Das Wort ‚Untersuchungen‘ steht im Plural. Hiermit wird aufgezeigt, dass die einzelnen Kapitel Studien mit einer jeweils spezifischen Perspektive zum zentralen Thema Schreibkultur sind. Das Wort Mesopotamien stammt aus dem Griechischen, das deutsche Äquivalent hierfür ist ‚Zweistromland‘. Es bezeichnet eine Kulturlandschaft des Alten Orients, die durch die Flüsse Euphrat und Tigris geprägt ist. Diese antike Kulturlandschaft ist demnach im Gebiet der heutigen Staaten Irak, Syrien und Türkei zu lokalisieren. Im ersten Jahrtausend v. Chr. wird in Mesopotamien die Keilschrift für Texte verschiedensten Inhalts verwendet. Daneben wird zunehmend die Linearschrift gebraucht. Insbesondere der Beschreibstoff Ton hat sich im archäologischen Befund erhalten. Der überwiegende Teil der bekannten Schriftartefakte sind mit Keilschrift beschriebene Tontafeln. Grundlage philologischer Untersuchungen ist gewöhnlich der Textinhalt. Er wird übersetzt und bei mehreren Textvertretern für einen Text wird versucht, einen lesbaren, einheitlichen Text zu rekonstruieren. Diese Texte sind wiederum Material weitergehender Betrachtungen, bspw. grammatischer Natur oder auch kulturgeschichtlicher Abrisse. Daneben ist ein Schriftzeugnis stets auch als materielles archäologisches Objekt zu untersuchen, was den Ausgangspunkt dieses Buches bildet. Die Vorgehensweise ist interdisziplinär, weil sowohl philologische als auch archäologische Quellen benutzt sowie bildwissenschaftliche Vorgehensweisen berücksichtigt werden. Diese Arbeit lässt sich den Studien des ‚material turn‘ zuordnen. ‚Cultural turns‘, zu denen auch der ‚material turn‘ zählt, sind Forschungstrends innerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften. Das vorhandene Material wird aus einer neuen Perspektive betrachtet. Dieser Perspektivenwechsel hat Veränderungen der Theorie und Methode als Konsequenz. Dabei kommen Fachgrenzen überschreitende Forschungen häufig vor.1 Beim ‚material turn‘ rückt die Materialität und Verwendung intentionell geschaffener Objekte in den Fokus der Forschung. Für die textbasierten Wissenschaften manifestiert sich dieser Forschungsansatz z. B. im Sonderforschungsbereich 933 ‚Materiale Textkulturen: Materialität und Präsenz des Geschriebenen in non-typographischen Gesell Vgl. zu ‚cultural turns‘ Bachmann-Medick (20093) und (2019). https://doi.org/10.1515/9781501511912-001

2

Einleitung

schaften‘ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) oder im DFG Graduiertenkolleg 1458 ‚Schriftbildlichkeit: Über Materialität, Wahrnehmbarkeit und Operativität von Notationen‘. Im Zuge der Einführung der sogenannten Neuen Medien und des daraus resultierenden veränderten Gebrauchs von Schrift kam es zu einer neuerlichen Reflexion über Schrift und Schriftzeugnisse. Schrift ist nach Sybille Krämer und Horst Bredekamp eine Kulturtechnik. Kulturtechniken sind erlernte, routinisierte Verfahren mit Dingen und Symbolen zu operieren. Ein Beispiel ist das schriftliche Rechnen, das mit der Verbreitung der indisch-arabischen Ziffern in Europa einherging und den Gebrauch des Rechenbrettes ersetzte. Für den alltäglichen Gebrauch ist es ausreichend, die schematisierbaren Regeln, nach welchen diese Ziffern manipuliert werden, zu kennen und zu verwenden. Ein spezifisches Wissen z. B. einer Zahlentheorie ist nicht mehr notwendig. Die Beherrschung von Kulturtechniken und damit ihre technischen und versinnbildlichenden Qualitäten können wiederum zu weiteren Innovationen führen. Als Beispiel ist das Buchstabenrechnen anzuführen, das auf der Basis des schriftlichen Rechnens eingeführt wird und die Notierung algebraischer Regeln ermöglicht.2 Wie Gernot Grube und Werner Kogge in der Einleitung zum Sammelband „Schrift: Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine“ skizzieren, ist Schrift nicht nur reine Fixierung von Sprache, sondern steht in einem Bedingungsverhältnis mit Referentialität, aisthetischer Präsenz und Operationalität.3 Schriften werden als Zeichen angesehen, die auf etwas referieren. Dies ist nicht zwingend Sprache wie im Fall der Lautschrift, sondern können wie bei der Notennotation Töne oder innerhalb der Mathematik eine sprachlich äußerst schwierig zu fassende mathematische Formel sein. Im Gegensatz zur Sprache sind Schriftzeichen der Wahrnehmbarkeit dauerhaft zugänglich. Sie sind aus der eigentlichen, zeitlich begrenzten Produktion losgelöst und in neuen Kommunikationssituationen einsetzbar. Schriftzeugnisse sind nachträglich manipulierbar. Die strukturierte Fläche der Zeichenkonfiguration steht dem Leser als Gestaltformation gegenüber und kann bisweilen auf Zusammenhänge zwischen verschiedenen Texten verweisen. Aufgrund ihrer Operationalität lässt sich Schrift von einem ‚gewöhnlichen‘ Bild unterscheiden. Ihre einzelnen Elemente bzw. Zeichen sind endlich differenziert und definit. Zwischen den Ziffern 5 und 6 gibt es zum Beispiel keinen Übergang, wie es bei den Farbtönen eines Bildes der Fall sein kann.4

 Krämer/Bredekamp (2003).  Grube/Kogge (2005).  Grube/Kogge (2005).

Einleitung

3

Für Eva Cancik-Kirschbaum und Bernd Mahr ist die Anordnung ein – wenn nicht das wesentliche – Charakteristikum von Schrift.5 In einer Allokation sind Zeichen Plätzen zugeordnet. Ein niedergeschriebenes Wort ist eine Allokation von Buchstaben auf einem Blatt Papier, ein Text eine Anordnung von bspw. Absätzen mit Wörtern. Zwischen den Plätzen bestehen Ortsbeziehungen, zwischen den Orten Symbolbeziehungen. Die Allokation dieser beiden Systeme zueinander ist für Cancik-Kirschbaum und Mahr eine Anordnung.6 Die Verknüpfung von Orts- und Symbolbeziehungen ist mit der oben erwähnten Referentialität zu vergleichen. Die physisch wahrnehmbare Allokation von Wörtern auf einem Blatt Papier etc. ist mit der aisthetischen Präsenz in Verbindung zu bringen. Die Gestaltung eines Textes, das „ästhetische Profil“ ist nicht willkürlich, sondern bestimmten ‚Zwängen‘ unterworfen. Der gewählte Beschreibstoff, die Schreibtechnik, die Textstruktur (Liste, Tabelle usw.), die Funktion des Textes etc. beeinflussen die Gestaltung des Textes. Schrift ist nur als Text zu begreifen, erst die ihm innewohnenden systematischen Anordnungen machen ihn verständlich.7 Deutlich wurde bei diesem Exkurs, dass Schrift stets einen wie auch immer gearteten physisch präsenten Text impliziert und ohne diesen nicht denkbar ist. Dieser Text ist von verschiedenen äußeren Faktoren beeinflusst, die sein Erscheinungsbild prägen. Die Faktoren sind wiederum kulturell determiniert. Den Zusammenhang zwischen Schrift und Gesellschaft gilt es nun näher zu ergründen, da dieser für Gestaltungsformationen maßgeblich verantwortlich ist. Es könnte angenommen werden, dass die Erfindung der Schrift eine zentrale Verwaltung bedingt und die Macht in die Hände einiger weniger legt und somit zur Stratifizierung der Gesellschaft und zu ungleicher Machtverteilung führt. Clifford C. Lamberg-Karlovsky stellt hingegen die Frage, warum zahlreiche Gesellschaften, die im Kontakt zu lese- und schreibkundigen Gesellschaften standen, sich bis in die Gegenwart hinein dazu entschieden, keine Schrift zu verwenden bzw. den Schriftgebrauch wieder aufzugeben. Als Grundlage seiner Beweisführung dienen überwiegend Beispiele aus dem Alten Vorderen Orient und Ägypten. Zu Beginn war Schrift ein Mittel der Verwaltung, die eine zentrale Autorität unterstützte. Erst beinahe 1000 Jahre später entwickelten sich literarische Textgattungen. Lamberg-Karlovskys Meinung nach kann Schrift nur zusammen mit dem sozialen Kontext, in welchem sie situiert ist, übernommen werden. Die entsprechende Sozialstruktur bzw. der Wille, eine solche einzuführen, fehlen offensichtlich in den nicht-literalen, oralen Gesellschaften. Die Er-

 Cancik-Kirschbaum/Mahr (2005).  Cancik-Kirschbaum/Mahr (2005) 97 f.  Vgl. Cancik-Kirschbaum/Mahr (2005) 102.

4

Einleitung

findung bzw. Entwicklung von Schrift setzen demnach eine zentrale Verwaltung, d. h. eine hierarisierte arbeitsteilige Gesellschaft voraus und begründen diese nicht.8 Georg Elwert bemerkte 1987, dass der Schriftgebrauch ohne gesellschaftliche Einbettung nicht möglich sei: Anders als andere menschliche Fähigkeiten wie Essen oder die Ausübung von Gewalt setzt Schriftgebrauch immer schon komplexe Sozialorganisation voraus. Die Schrift muss erlernt werden. Die Standardisierung von Schrift ist Bedingung der Rezeption beim Leser. Beides muß in stabile gesellschaftliche Institutionen eingebettet sein, sonst ist die Chance, verstanden zu werden zu gering, um den Aufwand, sich dieser Technik zuzuwenden, zu lohnen. Eine sozialwissenschaftliche Analyse muss also immer schon Schriftkultur als soziales System und nicht nur Schriftgebrauch zum Gegenstand haben. Die Form dieser Institution ist je nach Gesellschaft recht unterschiedlich.9

Brian Street, ein wichtiger Vertreter der ‚New Literacy Studies‘, sieht Literalität als soziale Praxis an.10 Die ‚New Literacy Studies‘ entstanden in den 1980er Jahren.11 Zahlreiche Ethnografien zum Schriftgebrauch und dem Erlernen des Schreibens entstanden in den Folgejahren. Dabei konnten vielseitige Erkenntnisse gewonnen werden. Die Verwendung von Lesen und Schreiben ist nicht kulturübergreifend gleich, sondern variiert in Raum und Zeit. Die mit der Literalität assoziierten Bedeutungen sind abhängig von den jeweiligen Teilnehmern. Die Anwendungsbereiche sind in sozialen Beziehungen, insbesondere in den äußerst wichtigen Machtbeziehungen, verwurzelt.12 Die Ethnografie von Peter Probst zeigt bspw., dass bei den Wimbum, eine Gruppe kleiner Königtümer im Grasland Kameruns, Englisch als Verwaltungssprache und -schrift verwendet wird. Das Erlernen ermöglicht es, eine Anstellung beim Staat zu bekommen. Folglich wird ein System geschaffen, das teilweise in Konkurrenz zu den traditionellen, tribalen Machtstrukturen steht. Versuche das Bimbum, die Sprache der Wimbum, zu verschriftlichen, wurden aufgegeben. Literarische Texte wie Romane oder auch das Tagebuchschreiben sind nur äußerst sporadisch belegt.13 An den ‚New Literacy Studies‘ wurde das Fehlen einer eigenen Theorienbildung kritisiert.14 Probst sieht ein Problem in der fehlenden Definition, was Schrift überhaupt ist. Er führt aus:

 Lamberg-Karlovsky (2003).  Elwert (1987) 240.  Vgl. Street (2003) 77 mit Angaben zu älterer Literatur.  Vgl. für frühe Werke Heath (1983) und Street (1984).  Vgl. Street (1984), Street (1995) und Street (2003) mit weiteren Literaturangaben.  Probst (1992a).  Siehe z. B. Street (2003) 87 f.

Einleitung

5

Auch Streets Modell hat schließlich seine Schwierigkeiten. Zwar heißt es bei ihm, Literalität sei mehr als die Technologie, durch die sie in Erscheinung tritt. Jedoch wird dieses mehr nicht erklärt. Hierzu heißt es lediglich, es handele sich um einen sozialen Prozess. Offen bleibt dabei aber die Frage nach der konkreten Verbindung zwischen Literalität als sozialem Prozess und der Technologie durch die Literalität in Erscheinung tritt.15

Weiter verweist er auf den Soziologen Emil Durkheim: Für Durkheim war der Bereich der sozialen Normen, Institutionen und Normen nicht grundverschieden von dem Bereich der materiellen Kultur. Aus seiner Sicht erwiesen sich beide vielmehr als ‚typisch verfestigte oder kristallisierte Arten gesellschaftlichen Handeln‘.16

Daran anknüpfend sieht Probst Schrift weniger als Technik, denn „symbolische Form“, die er als „materialisierter Ausdruck von kollektiven sozialen Bedeutungen“ beschreibt, „über die sich eine Gesellschaft versteht und selbst verständigt“.17 Schrift ist eine Kommunikationsform, über die sich Personen verständigen können und die in einer Vielzahl von Kommunikationssituationen gebraucht wird. Um sich mit Hilfe von Schrift zu verständigen, muss eine gewisse Anzahl von Personen sie erlernen und verwenden. Dies setzt eine wie auch immer geartete komplexere Sozialorganisation voraus – was nicht heißt, dass nicht auch orale Gesellschaften komplex organisiert sein können. Darüber hinaus ist eine gewisse Form von Standardisierung notwendig. Die Schrift fördert z. B. die Entwicklung einer Schriftsprache.18 Es werden interpretative Konventionen wie ein Briefformular geschaffen, die den Umgang mit Texten erleichtern bzw. erst ermöglichen.19 Solche interpretativen Kategorien werden von Wolfgang Raible in Anlehnung an Ernst Cassirer „symbolische Formen“ genannt: Abschließend noch ein Wort zum schon bereits mehrfach verwendeten Begriff ‚symbolische Form‘: Er stammt von Ernst Cassirer (Philosophie der symbolischen Formen) und hebt auf den Umstand ab, dass alle Erkenntnis letztlich darauf beruht, Einheit in der Vielfalt oder das Allgemeine im Besondren zu erkennen (einschlägige Begriffe sind Kategorisierung, Typisierung, Schematisierung, Modellierung, Generalisierung, Abstraktion …). Kulturell geschaffene und verbindliche symbolische Formen wie etwa die ganzen ‚kommunikativen Gattungen‘ des Alltagsleben (Smalltalk, Klatsch, Begrüßung) oder die Textgattungen der Schriftkultur, die ‚Formate‘ des Fernsehens (u. S. 244) und die Genera des Films (u. S. 293) sind solche symbolische Formen, die uns Orientierung ermöglichen,

 Probst (1990) 27 f. In zwei inhaltlich ähnlichen Aufsätzen diskutiert Peter Probst ethnologische Ansätze der 1960er bis 1980er zum Schriftgebrauch insbesondere von Jack Goody und Brian Street, s. Probst (1990) und (1992b). Für einen Überblick zu Schrifttheorien, vgl. Bachur (2017).  Probst (1990) 32.  Probst (1990) 32.  Elwert (1987) 250–253.  Elwert (1987) 250 f.

6

Einleitung

also das Erkennen der Einheit in der Vielfalt. Sie setzen, wie bereits die einfachen symbolischen Zeichen, die wir in der Kindheit erwerben (DeLoache 2004), lange Lernprozesse voraus.20

Mit diesen interpretativen Kategorien können, wie bereits oben erwähnt, charakteristische Textformate einhergehen. Aus diesen Überlegungen ergeben sich folgende Grundannahmen der vorliegenden Arbeit: 1.) Schrift und Schriftzeugnisse sind stets in gewissem Maße standardisiert, d. h., es werden bestimmte (Gestaltungs-)Regeln befolgt. 2.) Diese Regeln determinieren, wie der Textinhalt wiedergegeben wird – was selbstverständlich nicht die Entstehung neuer Schreibkonventionen ausschließt. 3.) Die Bedeutung und die Anwendungsbereiche sind kulturspezifisch. Der Gebrauch von Schrift stößt folglich keine universell gleichen Entwicklungen an. Diese Entwicklungen sind im Zusammenhang mit dem soziokulturellen Gefüge zu sehen. Welcher Sachverhalt und die Art und Weise wie dieser notiert wird, ist kulturspezifisch. So unterscheidet sich z. B. die Gestaltung von wissenschaftlichen Texten des 1. Jahrtausends v. Chr. erheblich von denjenigen der griechischen Antike. Der Begriff ‚Schriftkultur‘ bezeichnet den Umgang mit Schriftzeugnissen innerhalb einer Gesellschaft und wird teilweise auch mit Lesen und Schreiben umschrieben.21 Für den Alten Orient ist hierfür das Buch von Dominique Charpin zu erwähnen. Das Buch „Lire et écrire à Babylone“ von 2008, das 2010 in einer überarbeiteten englischen Übersetzung erschien, ist eine Überblicksarbeit zur Schriftlichkeit in Mesopotamien, insbesondere Babylonien. Neben dem Schulunterricht wird der Umgang mit Archivtexten und literarischen Texten sowie die Funktion von Inschriften erläutert. Zahlreiche erwähnte Beispiele datieren in die altbabylonische Zeit. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich hingegen vertiefend mit der Schreibkultur im 1. Jahrtausend v. Chr. Zum Thema des vorliegenden Werkes gibt es bisher keine zusammenhängende Untersuchung, sondern nur Anmerkungen sowie kleinere Studien zu Einzelaspekten. Es wird ein kompilatorischer Ansatz verfolgt, d. h., es wird die vorhandene Literatur zum Erkenntnisgewinn zusammengestellt und diskutiert. Folglich wird die Forschungsgeschichte nicht an dieser Stelle, sondern in den einzelnen Kapiteln behandelt.

 Raible (2006) 21 f.  Vgl. Stein (20102).

Einleitung

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Im Verlauf der Arbeit werden öfters Angaben zu Tontafeln gemacht, die ich im British Museum, London und im Vorderasiatischen Museum der Staatlichen Museen zu Berlin untersucht habe. Es wurden Tafeln der Kujundschik-Sammlung des British Museum begutachtet. Die Größe dieser Sammlung und die Vielfältigkeit der behandelten Themen boten die Möglichkeit, größtenteils vollständig erhaltene einkolumnige und mehrkolumnige Tafeln unterschiedlichen Inhalts wie Obligationsurkunden und Omentexte aus einer Zeitstufe und einem Ort zu sichten. In der einschlägigen Fachliteratur wird bestimmten Textsorten ein definiertes Tafelformat zugeschrieben. Diese Angaben wurden anhand ausgewählter Beispiele überprüft. Aus dem Akkadischen sind Bezeichnungen für Texte bekannt. Einige Textbezeichnungen werden in den Kolophonen der wissenschaftlich-literarischen Texte genannt.22 Tafeln mit solchen Eigenbezeichnungen wurden zur Analyse herangezogen. Auf manche der betrachteten Tafeln trifft auch mehr als eines der genannten Auswahlkriterien zu. Die Arbeit ist vom ‚Speziellen‘ zum ‚Allgemeinen‘ gegliedert, sie schlägt somit den Bogen vom Keilschriftartefakt zu dessen soziokulturellem Kontext. Schriftartefakte haben ein charakteristisches Äußeres. Dieses Äußere ist der Gegenstand des ersten Kapitels ‚Phänomenologie der Tontafeln‘. Zunächst wird auf bisherige Betrachtungen innerhalb der Altorientalistik eingegangen. Anhand der Studien, die das Äußere der Tontafeln beschreiben und bzw. oder Vorgehensweisen hierfür vorschlagen, werden Kriterien zur Beschreibung von Tontafeln entwickelt. Dem folgend werden die äußeren Charakteristika von Tontafeln dargelegt. Hierbei wird sich auf Angaben der Sekundärliteratur und auf eigene Untersuchungen von Tontafeln des Vorderasiatischen Museums und des British Museum gestützt. Im zweiten Kapitel stehen die bildlichen und schriftlichen mesopotamischen Belege für Schriftartefakte und Schreibwerkzeuge im Mittelpunkt des Interesses. Späthethitische und neuassyrische Darstellungen von Schreibern geben Auskunft über verwendete Trägermedien, Schreibwerkzeuge sowie den Kontext ihrer Verwendung. Es können auch Rückschlüsse auf nicht mehr erhaltene Beschreibstoffe und Schreibwerkzeuge gezogen werden. Im Akkadischen sind verschiedene Bezeichnungen für konkrete Schriftobjekte und den Schreibgriffel bezeugt. Die im 1. Jahrtausend verwendeten Begriffe werden erörtert, wobei ihr Bezug zu erhaltenen Artefakten behandelt wird. Tontafeln kommen häufig aus antiken Tafelsammlungen oder werden solchen zugeordnet. Die Betrachtung einer Tafelsammlung erlaubt es, den soziokulturellen Kontext einer Gruppe von Tontafeln zu bestimmen. Als Fallbeispiel für

 Vgl. Hunger (1968) passim.

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eine antike Bibliothek dient die sogenannte Bibliothek Assurbanipals, der sich das dritte Kapitel widmet. Damit soll nicht angedeutet werden, dass diese ‚Bibliothek‘ paradigmatisch für alle Tafelsammlungen Mesopotamiens ist. Allerdings ist eine Betrachtung der ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt und als epistemischer Ort paradigmatisch. Aufgrund ihrer frühen Entdeckung im 19. Jahrhundert und der hohen Anzahl der geborgenen Tontafel(-fragmente) nimmt sie einen prominenten Platz in den Fachdebatten über die Existenz von Bibliotheken und die Tradierung von wissenschaftlich-literarischen Texten ein. Darüber hinaus ist die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ ein konkreter Ort, an dem Texte redigiert, kopiert und aufbewahrt wurden. Dies zeigt sich auch in der einheitlichen Gestaltung der Manuskripte. Im vierten Kapitel wird die Mehrschriftigkeit und inhärente Mehrsprachigkeit behandelt. Neben der sumero-akkadischen Keilschrift wurden im 1. Jahrtausend in Mesopotamien und den angrenzenden Gebieten eine Reihe weiterer Schriften, und zwar Keilschriften, Linearschriften und Hieroglyphen, gebraucht. Verschiedenste Hinweise auf meist nicht erhaltene Beschreibstoffe bzw. Beschriftungstechniken werden dargelegt. In einigen an Mesopotamien angrenzenden Gebieten wurde die Keilschrift eingeführt und teilweise für die jeweilige Sprache adaptiert. Sie konnte parallel zu anderen Schriften verwendet werden. In Mesopotamien wurde neben der Keilschrift die aramäische Linearschrift und am Ende des 1. Jahrtausends v. Chr. die griechische Linearschrift benutzt.

1 Phänomenologie der Tontafeln In der Assyriologie spielt das Erscheinungsbild von Tontafeln seit jeher eine wichtige Rolle. Das Format einer Tafel und deren Schriftbild erlauben häufig die Tafeln – ohne sie im eigentlichen Sinne zu lesen – spezifischen Textsorten zuzuordnen, sowie sie zeitlich und regional zu verorten. Das Textlayout spiegelt den Textaufbau wider. Die nähere Betrachtung eines Schriftzeugnisses gibt Auskunft über die Erstellung des Dokumentes. Die Gestaltung eines Schriftstückes kann uns neben anderen Faktoren Auskunft über die intendierte Rezeption geben, so beeinflusst z. B. das Textlayout den Lesefluss. Im Zentrum der Untersuchungen von Tontafeln steht jedoch meist der Inhalt, d. h. der Text und nicht die äußere Gestaltung. So wird der Text übersetzt und dient als Quellenmaterial für kulturhistorische Fragestellungen. Studien zur Grammatik widmen sich der Sprache der Texte. In diesem Kapitel liegt der Fokus auf der äußeren Gestaltung der Schriftzeugnisse. Die Phänomenologie von Tontafeln stellt – wie Stefan Maul bemerkt – ein Desiderat der Forschung dar: Der Gegenstand der Tontafelformate und der Organisation der Darstellung von Text auf dem Schriftträger hat bislang vor allem in Hinblick auf Gelehrtentexte wenig Beachtung gefunden und stellt ein Desideratum der Forschung dar, da diese außer-textlichen Aspekte wesentliche Einblicke in den Gebrauch der Tafeln und somit den Umgang mit den Texten selbst gewährleisten.23

Dieses Kapitel widmet sich jenen „außer-textlichen Aspekten“, der Phänomenologie von Tontafeln. Der Begriff Text bezieht sich in dieser Arbeit auf schriftliche und nicht auf mündliche Äußerungen.24 Eine Textsorte definiert sich anhand eines ähnliches Inhalts und Aufbaus des Geschriebenen, welches an ein charakteristisches Erscheinungsbild gebunden ist.25 In diesem Kapitel wird die äußere Gestaltung von Tafeln behandelt. Falls der Ausgangspunkt statt des Äußeren der Inhalt  Maul (2014) = [http://www.iwh.uni-hd.de/maul2014.html] zuletzt aufgerufen am 29.10.2019 um 14.29 Uhr. Dieses Zitat ist Teil eines einleitenden Textes zu der Konferenz „Darstellung, Gestaltung und Ordnung von Keilschrifttexten. Erste Schritte auf dem Weg zu einer Phänomenologie“, die am 19.5 und 20.5.2014 an der Universität Heidelberg im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 933 der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Heidelberg stattfand. Den Begriff Phänomenologie habe ich als Titel für dieses Kapitel übernommen.  Zum Textbegriff s. Bußmann (20023) 683 f. und Thiele (2013).  Zu dem in 1970ern eingeführten Begriff Textsorte s. Bußmann (2002) 690 f. und Große (2013). Ich habe diesen Begriff gewählt, da er für Texte literarischen wie auch nicht-literarischen Inhalts verwendet wird. https://doi.org/10.1515/9781501511912-002

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1 Phänomenologie der Tontafeln

des Textes wäre, würde sich eine andere Definition von Textsorte ergeben. So tauchen z. B. Beschwörungen einerseits innerhalb von therapeutischen Texten, andererseits aber auch bei Ritualtafeln auf. Mit der in diesem Fall sehr engen Definition der Begriffe Text und Textsorte soll nicht angedeutet werden, dass es keine mündlichen Texte gibt. Für den Alten Orient sind diese jedoch, wenn überhaupt, nur sehr schwer zu rekonstruieren. Als Textsorten sind z. B. die neuassyrischen Erwerbsurkunden, die Obligationsurkunden – sie weisen jeweils ein festgelegtes Textlayout auf – und Omensammlungen – die einzelnen Omina stehen untereinander, sie beginnen stets mit dem Ausdruck šumma (wenn) und der Protasis folgt die Apodosis – zu nennen. Verschiedene Beschreibstoffe werden für die Keilschrift verwendet. Neben Tafeln haben sich andere Schriftträger aus Ton wie Tonprismen und -zylinder erhalten, aber auch Steinstelen, Stein- und Metallgefäße konnten mit Keilschriftzeichen versehen sein.26 Die Form des Schriftträgers und der Beschreibstoff beeinflussen die Zeichenform und das Textlayout. Daher wurde für die folgenden Ausführungen das Trägermedium Tontafel ausgewählt. In diesem Kapitel werden Phänomene der äußeren Gestaltung von Tontafeln beschrieben. Es wird die Frage gestellt, ob es sich hierbei um Gestaltungsregeln handelt. Aufgrund der hohen Anzahl der erhaltenen Tontafeln 27, der Zugänglichkeit von Sammlungen sowie des Forschungstands kann es hier nicht geleistet werden, alle Tontafeln zu kategorisieren und deren spezifische äußere Charakteristika zu erfassen. Zunächst wird auf die Forschungsgeschichte eingegangen. Diese liefert wichtige Ansätze zur Beschreibung von Tontafeln. In dem folgenden Unterkapitel werden die äußeren Charakteristika von Tontafeln dargelegt. Als Beispiele ziehe ich die von mir betrachteten Tafeln des Vorderasiatischen Museums (Berlin) und des British Museum (London), insbesondere der sogenannten Bibliothek Assurbanipal (vgl. Kap. 3) heran.28 Diese Tontafeln sind in sumero-akkadischer Keilschrift beschrieben. Daneben stütze ich mich auf die Angaben in der Sekundärliteratur.

 Für eine Auflistung der unterschiedlichen Schriftträger vgl. Edzard (1976–80) 567 f. Für eine kurze Beschreibung von Schriftträgern vgl. Taylor (2011) 23–26. Einen Überblick über die Schriftträger am Fundort Assur bietet Olof Pedersén (1997).  Vgl. Streck (2010). Er stützt sich bei seiner Schätzung der keilschriftlichen Überlieferung auf die Vorarbeit von Carsten Peust (Peust [2000]), vgl. Streck (2010) 36–40.  Fotos der Tafeln der sogenannten Bibliothek Assurbanipals finden sich im Online-Katalog des British Museum [http://www.britishmuseum.org/research.aspx] sowie in der Cuneiform Digital Library [http://cdli.ucla.edu/]. Fotos von einigen Tafeln des Vorderasiatischen Museum befinden sich auch in der Cuneiform Digital Library.

1.1 Forschungsgeschichte

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1.1 Forschungsgeschichte Die Forschungsgeschichte ist in drei Punkte gegliedert. Die konventionelle Einteilung der schriftlichen Überlieferung beeinflusst, welche Texte zusammen publiziert werden und auch untersucht werden. Die Art der Darstellung z. B. in einer Textedition prägt den Blick des Lesers auf die Gestalt von Schriftzeugnissen. Bisherige Arbeiten zum Erscheinungsbild von Tafeln beschäftigen sich sowohl mit der äußeren Gestaltung von bestimmten Textsorten als auch der für den Erkenntnisgewinn angewandten Methodik.

1.1.1 Konventionelle Einteilung der schriftlichen Überlieferung Die altorientalische schriftliche Überlieferung wird konventionell in 1.) Alltagstexte – Rechtsurkunden, Verwaltungstexte und Briefe –, 2.) (Königs-)Inschriften – häufig Monumentalinschriften – sowie 3.) literarische und wissenschaftliche Texte unterteilt. Diese Art der Dreiteilung wurde von William W. Hallo 1958 eingeführt.29 Auch die drei von ihm herausgegebenen Bände „Context of Scripture“ (1997–2002) sind in „Canonical Compositions“, „Monumental Inscriptions“ und „Archival Documents“ unterteilt. Unabhängig von Hallo bemerkte dies auch A. Leo Oppenheim (s. Kap. 3.1.2).30 Die Dreiteilung fand innerhalb der Assyriologie breite Akzeptanz. Einen kurzen Abriss über die keilschriftlichen Texte innerhalb der verschiedenen Zeitperioden bietet Claus Wilcke. Die von ihm verwendeten Bezeichnungen für die Textgruppen des 1. Jahrtausend habe ich hier übernommen.31 Dominique Charpin nennt sie: „archival documents“, „library texts“ und „commemorative texts“.32 Michael P. Streck bezeichnet sie als archivalische, monumentale und kanonische Texte.33 Die Bezeichnungen beziehen sich meist auf den Gebrauch, d. h. die Funktion der Texte und nicht auf ihren Inhalt, obwohl stets von unterschiedlichem Inhalt ausgegangen wird. So werden wissenschaftlich-literarische Texte angewendet und dennoch nicht den Alltagstexten zugeordnet. Monumentalinschriften können als Gründungsurkunden im Boden vergraben sein. Unabhängig von der verwendeten Terminologie gibt es Beispiele der Überschneidung der Textgruppen. Der Kodex Hammurabi sowie bestimmte Urkunden wurden immer wieder ko-

    

Vgl. hierzu mit weiterer Literatur Hallo (1991) 6 f. Vgl. Oppenheim (1960) 410–418. Wilcke (1994). Vgl. Charpin (2010a) 68. Vgl. Streck (2010) 37.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

piert, waren folglich Teil des ‚stream of tradition‘ und fanden somit Eingang in die Gruppe der teilweise als kanonisch bezeichneten wissenschaftlich-literarischen Texte (vgl. Kap. 3.1.2). Die aus neuassyrischer Zeit stammenden astrologischen Berichte sind Alltagstexte, referieren jedoch die wissenschaftlichen Texte. Solche ‚Modelle‘ sind stets nur vereinfachende Darstellungen einer komplexeren Realität. Sie erlauben es jedoch, Strukturen sichtbar zu machen und über diese zu sprechen. Alltagstexte machen den Großteil der schriftlichen Überlieferung aus. Sie besitzen meist keine Kopien. Wenn überhaupt, so ist deren Anzahl beschränkt. Zu den Alltagstexten zählen Rechtsurkunden, Wirtschaftstexte und Briefe. Bis zur Arsakidenzeit sind Rechtsurkunden und Prozessurkunden in Keilschrift bekannt. Die letzten Briefe stammen aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr.34 Häufig weisen Briefe und Rechtsurkunden wie auch andere Alltagstexte ein spezifisches Textformular, Textlayout und auch Tafelmaß auf. Meist handelt es sich um kleinere quer- und hochformatige Tafeln. Sie sind in der Regel einkolumnig. Administrative Texte wie auch Sammelurkunden können auf größeren mehrkolumnigen Tafeln geschrieben sein. Zudem wurden im heutigen Befund nicht mehr erhaltene Wachstafeln für Alltagstexte (vgl. Kap. 2.2: lēʾu, daltu) verwendet. Von den Alltagstexten aus dem 1. Jahrtausend sind etwa 47500 neu- und spätbabylonisch und 7100 neuassyrisch.35 (Königs-)Inschriften finden sich auf verschiedensten Schriftträgern wie Tonzylindern, Stein- und Tontafeln, Statuen, Stelen und Gefäßen.36 Derselbe Text eines Herrschers kann in Varianten auf unterschiedlichen Schriftträgern angebracht sein. Die Funktion der Schriftträger steht im engen Zusammenhang mit dem jeweiligen Aufstellungs- bzw. Anbringungsort. Häufig sind die Texte nicht lesbar: Sie können als Gründungsurkunden innerhalb von Gebäuden vergraben oder als Felsinschriften schwer erreichbar sein. Aufgrund der Vielfalt der Schriftträger und der daraus resultierenden Beeinflussung des Erscheinungsbildes werden (Königs-)Inschriften im Folgenden nur am Rande erwähnt. Beispiele des 1. Jahrtausends sind Tatenberichte über Feldzüge der assyrischen Herrscher wie auch neubabylonische und neuassyrische Bauinschriften, die die Renovierung und den Bau von Tempeln zum Thema haben. Die wissenschaftlich-literarischen Texte sind Textkompositionen, die verschiedenen Textsorten zugerechnet werden können. Häufig sind die standardi-

 Streck (1995) xxiv Fn. 9.  Streck (2010) 54. Jedoch ist von einer wesentlich höheren Dunkelziffer auszugehen, vgl. Streck (2010) 54–58.  Vgl. beispielsweise für die Schriftträger der Inschriften des neuassyrischen Herrschers Asarhaddons (680–669) Leichty 2011.

1.1 Forschungsgeschichte

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sierten Texte auf mehrkolumnigen Tafeln notiert. Auch kleinere einkolumnige Tafeln mit Auszügen, Schülerübungen und Kommentartexten sind vorhanden. Neben literarischen Texten wurden Listen von Omen, Vokabulare und Syllabare niedergeschrieben. Diese Listenform der wissenschaftlichen Texte ist typisch für den Alten Orient. Ton diente dabei keineswegs als der einzige Schriftträger für wissenschaftlich-literarische Texte: Sie konnten auch auf Steinamuletten erscheinen und häufig sind heute nicht mehr erhaltene Wachstafeln (vgl. Kap. 2.2: lēʾu, daltu) als Vorlage erwähnt. Die Untergrenze der Anzahl für diese akkadischen, spätsumerischen und akkadisch/sumerischen Texte ist für die Zeit vor 1500 mindestens 1200 und für die Zeit danach mindestens 10100.37 Die Texte wurden über Jahrhunderte immer wieder abgeschrieben, so dass Textkompositionen des 1. Jahrtausends häufig bereits von Tafeln aus früheren Perioden bekannt sind (vgl. Kap. 3.1.2). Einen Überblick über die behandelten Themen in der sogenannten Bibliothek Assurbanipals bietet Kapitel 3.2.1. Neben dem Erscheinungsbild und dem Inhalt unterscheiden sich die Textgruppen durch den in ihnen verwendeten Sprachstil. Die Eigenterminologie des Akkadischen trennt zwischen Aššurāiu und Akkadāiu – Assyrisch und Babylonisch. Anhand von sprachlichen Charakteristika und dem verschiedenartigen Aussehen der von ihnen verwendeten Schriftzeichen lassen sich die Sprachstile unterscheiden. Diese beiden ‚Umgangssprachen‘ werden für die jeweiligen Alltagstexte in Assyrien und Babylonien verwendet. Wissenschaftlich-literarische Texte und Inschriften sind in einer Hochsprache, dem sogenannten Jungbabylonischen – im englischsprachigen Raum auch Standard Babylonian genannt – verfasst. In Assyrien wird hierfür meist der assyrische Duktus verwendet.38 Das Jungbabylonische orientiert sich am Altbabylonischen und weicht stark von der zeitgleichen Umgangssprache ab. Es wird vor allem im 1. Jahrtausend verwendet,39 doch auch bereits bei nachaltbabylonischen wissenschaftlich-literarischen Texten des 2. Jahrtausends wird es gebraucht.40 Teilweise sind literarische Texte des 2. und 1. Jahrtausends in Sumerisch bzw. Sumerisch und Akkadisch niedergeschrieben. Die Dreiteilung der schriftlichen Überlieferung manifestiert sich auch in den Textpublikationen: Texte der drei Textgruppen werden oft getrennt veröffentlicht. Alltagstexte aus einem Archiv (zu den Konzepten Archiv und Bibliothek vgl. Kap. 3.1.1) werden oft in einem bzw. mehreren Bänden herausgebracht. Mit

 Streck (2010) 51.  Vgl. Radner (2011) 386 f. Wie auch Karen Radner anmerkt, werden teilweise archaisierende Zeichen, die auf die altbabylonische Zeit zurückgreifen, verwendet.  GAG = von Soden (1995) 3 § 2 f.  Black (1990) 95 f.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Hilfe des Fundkontexts und anhand von Textinhalten werden Archivzusammenhänge rekonstruiert. Häufig ist der Fundkontext, insbesondere bei älteren Tafeln, unzureichend oder im Falle von Tafeln, die aus dem Kunsthandel stammen, gar nicht dokumentiert. So werden dann mittels des Textinhalts Texte einer spezifischen Person bzw. Personengruppe zugeordnet. Teilweise wurden Texte, die einer bestimmten Textsorte zugehörig sind und in eine Zeitstufe datieren, gemeinsam publiziert z. B. „Assyrian and Babylonian Letters“ (ABL) und „Assyrian Deeds and Documents“ (ADD).41 (Königs-)Inschriften existieren in verschiedenen Exemplaren; oft wird daher nicht für jedes Exemplar eine Umzeichnung bzw. Umschrift gegeben. Der Schriftträger findet so kaum Beachtung. Seine Anbringung und Aufstellung liefern wertvolle Informationen zur jeweiligen Funktion, zu der jedoch aufgrund der Fundumstände häufig wenig bekannt ist. Falls eine bildliche Darstellung vorhanden ist, wird sie meist getrennt publiziert. Dies trifft übrigens auch oft auf die Siegelungen der Alltagstexte zu. Bei den wissenschaftlich-literarischen Texten werden alle Textvertreter einer Textkomposition versammelt, um mit deren Hilfe einen möglichst vollständigen Text zu rekonstruieren (für weitere Angaben s. Kap. 3.1.2). Wie oben bereits erwähnt, sind die (Königs-)Inschriften meist auf anderen Schriftträgern als Tontafeln angebracht und werden daher in diesem Kapitel nicht näher betrachtet.

1.1.2 Art der Darstellung Bei der Publikation einer Tontafel besteht die Schwierigkeit in der Wiedergabe eines dreidimensionalen Schriftträgers und einer dreidimensionalen Schrift in zweidimensionaler Form. Keine Abbildung kann das Original ersetzen. Herbert Stachowiaks abbildungstheoretischer Modellbegriff erklärt die ‚Unzulänglichkeit‘ der Darstellungen.42 Er nennt drei Hauptmerkmale für ein Modell:  ABL = Harper (1892–1914) und ADD = Johns (1898–1923). Die editieren Texte stammen bei den genannten Publikationen aus dem British Museum, und zwar aus der Kujundschik-Sammlung (s. Kap. 3.2). Der Ort der heutigen Aufbewahrung bestimmt die Zugänglichkeit der Tontafeln.  Stachowiak (1973) 131–133. Stachowiaks Modellbegriff befasst sich mit einer bestimmten Art von Modellen und ist folglich nicht allgemeingültig. Bernd Mahr hat die Definition des Modellbegriffes diskutiert, s. Mahr (2003), Mahr (2004) und Mahr (2008). Einen Gegenstand, der ein Modell darstellt, muss seines Erachtens drei Kriterien erfüllen: „Die Identität eines Gegenstandes als Modell ist dreigestaltig: sie betrifft erstens den als Modell qualifizierten Gegenstand für sich der irgendeine Erscheinungsform besitzt, z. B. als Text, Graphik, Körper oder als Menge von Regeln. Sie betrifft zweitens das Ergebnis einer in einem weiten Sinne verstande-

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1.) Abbildungsmerkmal – „Modelle sind stets Modelle v o n e t w a s , nämlich Abbildungen, Repräsentationen natürlicher und künstlicher Ordnungen, die selbst wieder Modelle sein können.“43 2.) Verkürzungsmerkmal – „Modelle erfassen im allgemeinen n i c h t a l l e Attribute des durch sie repräsentierten Originals, sondern nur solche, die den jeweiligen Modellerschaffern und/oder Modellbenutzern relevant scheinen.“44 3.) Pragmatisches Merkmal – „Modelle sind ihren Originalen nicht per se eindeutig zugeordnet. Sie erfüllen ihre Ersetzungsfunktion a) für b e s t i m m t e — erkennende und/oder handelnde, modellbenutzende — S u b j e k t e , b) innerhalb b e s t i m m t e r Z e i t i n t e r v a l l e und c) unter Einschränkung auf b e s t i m m t e g e d a n k l i c h e o d e r t a t s ä c h l i c h e O p e r a t i o n e n .“45 Ein Abklatsch, Foto, Umzeichnung, spezielle Druckfonts, Computer-Fonts, Umschrift, Übersetzung und bzw. oder ein 2D+- bzw. 3D-Modell einer beschriebenen Tontafel sind das Resultat eines Transformations- und Interpretationsprozesses bei der Bearbeitung eines Schriftträgers. Es ist ein Modell,46 welches wiederum weiter in der Forschung verwendet wird. Die verschiedenen Umsetzungen können nacheinander, aber auch parallel durchgeführt werden und sind neben forschungsspezifischen Interessen abhängig von der

nen Induktion, bei der Anschauungen, Erfahrungen, Messungen, Merkmale, Erkenntnisse oder Regelinhalte durch Auswahl, Verallgemeinerung und Bindung an eine neue Form und Repräsentation in der Weise zum Inhalt des Modells gemacht werden, dass es gerechtfertigt ist, im Gegenstand ein Modell von etwas zu sehen. Und sie betrifft drittens den Gegenstand als Bezugsgröße einer in einem weiten Sinne verstandenen Deduktion, mit der sich der in Form und Repräsentation gefasste Inhalt bei der Anwendung des Modells wieder herauslösen und auf einen anderen Gegenstand übertragen lässt, so dass es gerechtfertigt ist, im Gegenstand ein Modell für etwas zu sehen. Zwischen Induktion und Deduktion besteht eine natürliche zeitliche Reihenfolge, auch wenn bei der Modellentwicklung die Induktion durch Annahmen über die spätere Deduktion von Modellinhalten mitbestimmt werden kann. Für ein begründbares Urteil des Modellseins ist es notwendig, dass Sachverhalte bestehen, die diese dreigestaltige Identität bestätigen.“ Mahr (2004) 11 f.  Stachowiak (1973) 131.  Stachowiak (1973) 132.  Stachowiak (1973) 132 f.  Auch Jacob L. Dahl, Hendrik Hameeuw und Klaus Wagensonner merken an, dass jegliche Darstellung eines Keilschriftartefakts ein Modell sei, Dahl/Hameeuw/Wagensonner (2019) 6. Allerdings liegt ihr Hauptaugenmerk darauf, zu beschreiben was ihres Erachtens gute Bilder auszeichnet, wobei hier insbesondere das Interesse der Autoren an neueren Technologien deutlich wird, Dahl/Hameeuw/Wagensonner (2019) 6–15.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

zu einer Zeit verfügbaren Technologien. Eine forschungsgeschichtliche Abhandlung dieser Prozesse und ihrer Darstellungen ist mir nicht bekannt. Abklatsche Vor Ort werden Zeichnungen und Papierabklatsche von Inschriften angefertigt – z. B. im 19. Jahrhundert n. Chr. durch Sir Austen Henry Layard47 und im 21. Jahrhundert n. Chr. von Karen Radner und Alexa Bartelmus.48 Diese dienen bzw. dienten als Grundlage für Autografien. Die Abklatsche bestehen aus einer Art Papiermaschee. Feuchte Papierbögen werden hierzu auf die Inschrift gelegt und festgeklopft. Von diversen Inschriften sind heute nur noch die Zeichnungen und Abklatsche bekannt und keine Originale. Teilweise werden Abklatsche inzwischen digitalisiert. Abklatsche von Inschriften können auch mit flüssigem Latex gemacht werden, z. B. Mitte des 20. Jahrhundert durch D. S. Rice, wobei in diesem Fall die Negative der Fotografien dieser Abklatsche publiziert wurden.49 Für Tontafeln hat Georges F. Dales folgendes Verfahren entwickelt: Ein Latex-Abklatsch einer Tontafel wird angefertigt, dieser wird aufgeschnitten, aufgefaltet und auf eine flache Oberfläche gelegt. Hiervon wird ein flacher Gipsabguss angefertigt, der dann fotografiert wird. Aufgrund der flachen Reproduktion der Tafel wird nur eine einzige Aufnahme der Reproduktion benötigt, um die gesamte Inschrift der Tafel abzubilden. Als Vorteile des Abklatschs nennt Dales das schnelle Anfertigen exakter Kopien am Grabungsort, keine Anreise des Keilschriftspezialisten und keine zeitaufwendigen Autografien.50 Informationen zum Format gehen dem Bearbeiter allerdings verloren. Gipsabgüsse Von verschiedenen Keilschriftzeugnissen werden bzw. wurden Gipsabgüsse angefertigt, z. B. Mitte der 1840er n. Chr. durch Pierre-Victorien Lottin, besser be Budge (1925) 90 f. Layard konnte keine Keilschrift lesen, zeichnete dennoch in ‚Assyrien‘ und anderenorts einige Inschriften um und von denjenigen, die er nicht abzeichnen konnte, fertigte er Abklatsche an. Diese brachte er 1849 ins British Museum, wo Samuel Birch zuständig für die Druckvorlagen war. In Rücksprache mit anderen Assyriologen (Edward Hincks und Edwin Norris) verbesserte dieser die Zeichnungen und restaurierte Passagen der Abklatsche. Henry Creswicke Rawlinson kontrollierte sie, bevor sie dann unter Layards Namen veröffentlicht wurden.  Vgl. Radner (2009a) für die Anfertigung von Papierabklatschen der Inschriften des Bırkelyn-Höhlensystems.  Gadd (1958) 44 f.  Dales (1966).

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kannt als Lottin de Laval.51 Die Abformung des jeweiligen Objektes wird mit Gips aber auch anderen Materialien gemacht oder erfolgt durch einen 3D-Scan. Die mit Hilfe der Form angefertigte Replik kann, um die Farbigkeit des Originals wiederzugeben, bemalt sein. Neben ihrer Bedeutung im Museums- und Ausstellungswesen kommen Gipsabgüssen bei der Nicht-Zugänglichkeit der Originale eine wichtige Rolle bei der Erschließung der Texte zu. Dreidimensionale Gipsabgüsse von Tontafeln werden unter anderem dafür eingesetzt, Studierenden das Autografieren beizubringen. Gipsabgüsse ermöglichen zudem den Zusammenschluss von Fragmenten, die in unterschiedlichen Museen aufbewahrt werden. Auch von (Fels-)Inschriften existieren Gipsabdrücke, die einen früheren Erhaltungszustand des Schriftträgers dokumentieren. Fotografie Fotografien dienten und dienen als Vorlage für Autografien. Mit dem Aufkommen der Fotografie wurden auch vermehrt Tontafeln abgelichtet.52 Von einigen Tafeln sind heute nur noch die Grabungs- und bzw. oder Museumsfotos bekannt. Bei diesen Fotos kann ein Größenmaßstab beiliegen, der unter Berücksichtigung der Verzerrung – der Maßstab liegt tiefer als die Oberseite der Tafel – einen Eindruck der Größe vermittelt. Aufgrund der hohen Kosten wurden stets nur vereinzelt Fotos, meist in Schwarz-Weiß, veröffentlicht. Bei diesen fehlt in der Regel der Maßstab. Oft ist nur die Vorder- oder Rückseite der Tafel abgebildet und wenn nicht beschriftet, fehlen Aufnahmen der Ränder komplett. Obwohl viele Fotos nicht publiziert wurden, fanden sie Eingang in die weitere Forschung. Verloren gegangene Fund- und Museumsnummern lassen sich durch Grabungs- und Museumsfotos rekonstruieren. Einige Tafeln sind heute verschollen oder zerstört und folglich nur von alten Fotografien des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts n. Chr. bekannt. Auch in jüngerer Vergangenheit entdeckte Schriftzeugnisse sind teilweise nicht (mehr) bzw. schwer zugänglich. Fotos zeigen das Tafelformat. Allerdings übertragen sie eine dreidimensionale Realität in eine zweidimensionale. Da meist die ganze Tafel fotografiert und abgebildet wird, sind kleinteiligere Details der Paläografie, des Textlayouts und der Tafelwölbung nicht zu erkennen. Beim Lesen von Tontafeln werden kleinere Tafeln häufig gedreht, so dass der veränderte Lichteinfall das Lesen

 Rawlinson (1852) 18.  Vgl. für Sir William Fox Henry Talbot und die Anfertigung von Tontafelfotografien im 19. Jahrhundert am British Museum (London), Brusius (2009), Brusius (2013) und Brusius (2015). Erst 1927 wurden Fotografen fest am British Museum angestellt, Brusius (2013) 241. Vgl. zur Anwendung der Fotografie im Vorderasiatischen Museum Berlin Krohn (2007) 23–32.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

einzelner Zeichen ermöglicht, welche dann in den Autografien dargestellt sind. Eine Fotografie zeigt die Tafel unter einem nicht veränderbaren Lichteinfallswinkel. Aufgrund der Wölbung der Tafel ist auf Fotos die Schrift in Richtung der Ränder häufig schlecht lesbar; eine Verzerrung in Richtung der Ränder findet statt. Im Original ist die Farbe und Beschaffenheit des Tons zu erkennen. Ein Foto ist gewissermaßen subjektiv, da es die ‚Aspekte‘ der Tafel abbildet, auf die der Fotograf Wert legt; z. B. ist durch die spezifische Ausleuchtung die Schrift gut lesbar, aber die Wölbung der Tafel auf dem Foto nur noch schlecht erkennbar. Um den Kontrast zu erhöhen und folglich die Lesbarkeit der Schrift zu verbessern, wurden die Tafeln seit Ende der 1930er n. Chr. teilweise mit weißem Ammoniumchlorid (NH4Cl) bestäubt. Dabei legt sich der weiße ‚Staub‘ über die Tafeloberfläche, dringt jedoch nicht in die einzelnen Keile ein, so dass diese dunkler erscheinen.53 Jedoch „werden auf diese Weise die ‚Keil‘-Überschneidungsstellen oft undeutlich gemacht“ wie Dietz-Otto Edzard anmerkt.54 Auch können die einzelnen Keileindrücke dünner und bzw. oder tiefer erscheinen, so Massimo Maiocchi.55 In den letzten Jahren werden vermehrt Fotos abgebildet. Dies hängt mit den verbesserten bzw. billigeren Reproduktionsmöglichkeiten zusammen. Zu Beginn der 1990er n. Chr. wurde die digitale Fotografie eingeführt. Mit Hilfe von entsprechender Software können die digitalen Fotos nachbearbeitet und ihre Lesbarkeit verbessert werden.56 Autografien In der Regel werden die Keilschrifttafeln abgezeichnet und als Umzeichnung veröffentlicht. Auch die Kosten von Fotografien und Abbildungen in Büchern und Zeitschriften spielen hierbei eine Rolle. Die Qualität der jeweiligen Zeichnung hängt vom Talent und der Erfahrung des Kopisten ab. Autografien werden bzw. wurden mit Bleistift gezeichnet und danach mit Tusche umgezeichnet. Neben der Arbeit mit Originalen (und Abklatschen) im Museum bzw. am Fundort benützen Philologen auch Fotos ihrer Tafeln für ihre Autografien.

 S. Cameron (1948) viii f. Dieses Verfahren wurde von Dr. Debevoise entwickelt und erstmalig für Keilschrifttexte aus Persepolis angewandt, s. ebd. viii f. S. auch ebd. für Fotografien. Vgl. auch Hameeuw/Willems (2011) 165. Da nicht bekannt ist, inwieweit das Verfahren für Mensch und Artefakt schädlich ist, kommt es in den meisten Keilschriftsammlungen nicht zum Einsatz, so Dahl/Hameeuw/Wagensonner (2019) 5.  Edzard (1976–80) 557.  Maiocchi (2015) 77.  Vgl. für weitere Angaben Hameeuw/Willems (2011) 165.

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Einige legen Fotografien – teilweise in Vergrößerung – unter ein Transparentpapier und zeichnen diese dann ab. Abhängig vom Bearbeiter und der Zugänglichkeit der Artefakte wird die Methode komplementär zur Arbeit am Original bzw. beinahe ausschließlich praktiziert. Schwierigkeiten bereitet dieses ‚Durchpausen‘ bei stark kursiven Schriften, gewölbten Tafeloberflächen und bei der ausschließlichen Verwendung, insbesondere bei unzureichenden Fotografien, da keine Überprüfung von Lesungen am Original stattfindet. Franz Köcher, bekannt für seine Publikation von medizinischen Texten, arbeitete beinahe ausschließlich mit Fotos. Köchers Autografien weisen aufgrund seiner Arbeitsweise Diskrepanzen zum Original auf. So sind vereinzelt andere Keilschriftzeichen als im Original wiedergegeben.57 Teilweise fertigten Köcher und andere Assyriologen ihre Umzeichnungen sogar nach Umschriften (s. u.) an.58 Viele Philologen benützen in den letzten Jahren für ihre Autografien ein sogenanntes Grafiktablett. Mit einem Stift können an diesem digitalen Zeichenbrett die Konturen der digitalen Fotografie nachgefahren werden.59 Hierbei treten ähnliche Probleme auf wie bei dem ‚Durchpausen‘ von Fotos (s. o.) und der Verwendung von Grafikprogrammen für die Nachbearbeitung von Scans (s. u.). Die Autografien konzentrieren sich auf den Text, d. h. die Wiedergabe der Schriftzeichen.60 Zu bedenken ist, dass jede Art von Zeichnung eine Interpretation ist. Der Kopist muss abwägen zwischen der Lesbarkeit der Autografie und der Originaltreue der Abbildung, beispielsweise bei einer stark kursiven Handschrift mit sich überschneidenden Zeichen. Häufig werden Tafelformat, Textlayout und die Handschrift vernachlässigt. Meist werden die Umrisse der Tafel angegeben. Falls sich kein Text auf ihnen befindet, werden die Ränder nicht gezeichnet. Bei einer Zeile, die auf den Rand übergreift, wird dieser Rand meist nicht mehr gezeichnet, sondern nur die Schriftzeichen, die den Umriss der Tafel verlassen. Die Umrisse entsprechen oft nicht den Originalmaßen, die Seitenverhältnisse zueinander müssen nicht stimmen. Eine hochformatige Tafel kann sogar im Querformat wiedergegeben sein und umgekehrt. Falls zusätzlich keine Maße (bzw. eine Fotografie) angegeben sind, ist es nicht ratsam, anhand von Autografien Rückschlüsse auf das Format zu ziehen. Oft geben die Umzeichnungen jedoch Hinweise auf das Textlayout. Ob und wie wiederum Brüche, sogenannte Brennlöcher, Linien etc. angegeben werden, liegt im Ermessen des Kopisten. Siegelungen sind meist nicht umgezeichnet und manchmal fehlt sogar der Vermerk zu ihrer Existenz.

 So Markham J. Geller, der einzelne Tafeln und Fragmente im Museum in Istanbul überprüft hat, persönliche Mitteilung am 12.10.2012. Siehe hierzu auch Fincke (2021) 27 f.  Fincke (2021) 27 f.  Vgl. zu dieser Arbeitsweise Fincke (2021) 72 f.  Vgl. für unterschiedliche Möglichkeiten Keile umzuzeichnen Cammarosano (2015) 146.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Ein Beispiel der kompletten Vernachlässigung des Erscheinungsbildes ist Claude H. W. Johns vierbändige Ausgabe „Assyrian Deeds and Documents“ 1898–1923 (ADD). Auf Tafel 1 befindet sich z. B. die Autografie ADD Nr. 39 des Umschlags (K.318.b), einer neuassyrischen Obligationsurkunde (SAA 14 Nr. 119 s. Kap. 3.2.2.1). Nur standardisierte Keilschriftzeichen ohne Berücksichtigung des jeweiligen Duktus, des Textlayouts und des Tafelformats sind wiedergegeben. In älteren Publikationen wie in Bänden der Reihe „Cuneiform Texts from Babylonian Tablets in the British Museum“ (CT) gibt es auch ‚Kompositumzeichnungen‘ von verschiedenen Textvertretern einer Textkomposition z. B. für Šumma ālu CT 39 Taf. 22. Solche Art von Publikationen hatten die Intention, möglichst schnell Texte anderen Forschern zur weiteren Bearbeitung zugänglich zu machen. Diese Pionierarbeiten sind gar nicht hoch genug zu schätzen, da sie den Zugang zu Keilschrifttexten erleichterten bzw. erst ermöglichten.61 Für rein philologische Betrachtungen muss die äußere Gestaltung der Tafel in der Publikation nicht berücksichtigt werden. In den letzten Jahren setzt ein allmählicher Wandel ein. So berücksichtigen viele Autografien die Handschrift und das Textlayout. Sie beschreiben die jeweilige Tafel und geben an, ob Siegelungen vorhanden sind. Teilweise wird parallel zur Autografie auch ein Foto der Tafel abgebildet.62 Druckfonts Für Druckerpressen entstanden ab Mitte des 19. Jahrhunderts spezielle Druckfonts für Keilschrift, die bis Anfang des 20. Jahrhunderts verwendet wurden. Keilschriftzeichen dieser Fonts finden sich z. B. in der Zeitschrift für Assyriologie und in Robert Francis Harper 14-bändiger Ausgabe „Assyrian and Babylonian Letters belonging to the Kouyunjik Collections of the British Museum“ Chicago 1892– 1914 (ABL). Auf Tafel 2 ist ABL Nr. 44, der neuassyrische Brief K.604 (SAA 10 Nr. 91, s. Kap. 3.2.2.1) abgebildet. Die Druckfonts berücksichtigen eine spezifische Paläografie, z. B. die neuassyrische. Insbesondere ist der in London ansässige Drucker Harrison & Sons anzuführen, der bewegliche Lettern für Keilschrift entwickelte und anfertigte sowie eigens Druckplatten für Keilschrift herstellte.63 Har-

 Zu diesen Pionierarbeiten zählen u. a. auch die fünf Folianten „The Cuneiform Inscriptions of Western Asia“ Vol. 1–5 (1861–1884) von Henry Creswicke Rawlinson. Dieses Werk vermittelte einen ersten Einblick zu den Schriftzeugnissen Ninives (s. Kap. 3).  Vgl. z. B. die Edition zu Texten aus Terqa, Rouault (2011).  Austin Henry Layard erwähnt, dass Edwin Norris und er einen gewissen Mr. Harrison von St. Martin’s Lane bei der Herstellung der beweglichen Lettern für Keilschrift beratend zur Seite standen, Layard (1849) 193 f. Fn. 2. Hierbei handelt es sich um den Drucker Harrison & Sons, der in St. Martin’s Lane situiert war. E. A. Wallis Budge schreibt, dass sowohl Edwin Norris als

1.1 Forschungsgeschichte

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rison & Sons druckten z. B. – wie ab Band 5 angegeben – die bereits erwähnten „Assyrian and Babylon Letters“; ihre Fonts wurden auch von anderen Buchdruckereien benutzt.64 Solche Druckverfahren waren kostspielig. Daher wurde versucht, bevorzugt alphabetische Umschriften anzufertigen. In Deutschland und Frankreich setzte sich früher die Auffassung durch, Handkopien zu veröffentlichen. Die ‚typografische Keilschrift‘ hielt sich in England wesentlich länger.65 Keilschrift auf der Schreibmaschine Ab dem Jahre 1909 hatte die Hammond-Typewriter-Gesellschaft Typenschiffchen für Keilschrift im Programm. Die dort wiedergegebenen Keile ließen sich durch das Anschlagen verschiedener Tasten der Hammond-Schreibmaschine zu Zeichen zusammensetzen.66 Computer-Keilschrift Für den Computer werden und wurden Zeichenfonts und Tastaturbelegungen für Keilschrift entwickelt.67 Teilweise sind sie als open source aus dem Internet herunterladbar.68 Verwendet werden solche Zeichensätze auch in Publikationen. Für die Keilschriftzeichen von Rykle Borger’s „Mesopotamisches Zeichenlexikon“ (MZL2) wird größtenteils ein von ihm selbst entwickelter Computerfont benützt.69 Im Rahmen des State Archives of Assyria-Projektes in Helsinki wurden Keilschriftfonts entwickelt, mit denen eine Transliteration (s. u.) direkt in Keilschrift umgesetzt werden kann. Damit werden die Keilschrifttexte in der Serie „State Archives of Assyria Cuneiform Texts“ generiert.70 Eine Anwendung auch Theophilus Goldridge Pinches Lettern gestalteten, die von den Herren Harrison geschnitten wurden, Budge (1925) 54, 103 f. und 126 f.  So Borger (2010) 41. Daneben existierten auch andere Fonts, vgl. Borger (2010) 42.  Für Auskünfte zu den Druckfonts danke ich Nele Diekmann herzlichst, persönliche Mitteilung 24.8.2012.  Brünnow (1909). Rudolf Ernst Brünnow entwickelte die Schiffchen. Siehe auch Krebernik (2018) 21 f. Spezielle Typenschiffchen der Hammond-Typewriter-Gesellschaft wurden übrigens beim Tippen der Transliterationen für die Karteikästen des Wörterbuchprojektes („The Assyrian Dictionary“) des Oriental Institute der Universität Chicago verwendet, Breasted (1922). siehe auch Gelb (1964) xii.  Borger (2010) 34–44. Darüber hinaus gibt es auch Fonts mit denen sich Umschriften, insbesondere die dafür benötigten Sonderzeichen, leichter schreiben lassen, vgl. bspw. [http:// www.hethport.uni-wuerzburg.de/keyboards/], aufgerufen am 18.10.2019 um 16.12 Uhr, siehe auch Borger (2010) 38–41.  Vgl. bspw. [http://www.hethport.uni-wuerzburg.de/cuneifont/], aufgerufen am 16.10.2019 um 14.47 Uhr.  Borger (2010).  Kataja (1988), Parpola (1997c) v und x, Borger (2008) 282–284 und Borger (2010).

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1 Phänomenologie der Tontafeln

dieser Technik erfolgt auch online. So lassen sich u. a. die Texteditionen der Online-Version der Serie „State Archives of Assyria“ ‚cuneified’ anzeigen.71 Scans von Tontafeln Neben der Fotografie sind Flachbettscans eine kostengünstige Alternative und stellen eine weniger arbeitsintensive Methode als traditionelle Umzeichnungen dar. Alle sechs Seiten der Tafeln werden gescannt. Unregelmäßige Oberflächen, wie es z. B. bei Siegelungen der Fall ist, können nicht genau wiedergegeben werden.72 Je stärker die Tafel gewölbt ist, desto größere Schwierigkeiten bereitet dieses Verfahren. Die Abbildungen von Tontafeln, die in die Cuneiform Digital Library (http://cdli.ucla.edu)73 eingespeist werden, sind größtenteils solche Scans. Insbesondere Schriftzeilen am bzw. in der unmittelbaren Nähe eines gewölbten oberen bzw. unteren Randes kleinerer einkolumniger Tontafeln sind teilweise auf den Scans nicht sichtbar.74 Erste Verwendung von Computern bei der Publikation fand in den 1980ern in Berlin statt. Tafeln aus der Zeit Ende des 4. und Beginn des 3. Jahrtausends wurden gescannt. Digitalisierte Fotos und Umschriften wurden im Computer gespeichert. Mit Hilfe der Fotos wurden mit vektorbasierten Grafikprogrammen die Schriftzeichen und das Tafelformat umgezeichnet. Für diese Arbeit benötigte man leistungsstarke Computer.75 Jedoch geben die Resultate nicht alle Charakteristika der Oberfläche und der Form wieder; es ist eine vereinfachte Darstellung.76 Holografie Walter Sommerfeld experimentierte mit der Holografie. Er bemerkt 1999: „Hochauflösende Hologramme sind gegenwärtig das einzige technische Mittel, mit dem solche komplexen Oberflächenstrukturen ohne Verlust an Informationen adäquat dokumentiert werden können.“77 Hologramme geben das Objekt unter nur einem Lichteinfallswinkel wieder und wie bei Fotografien kommt es zu Verkür-

 [http://oracc.museum.upenn.edu/saao/corpus], aufgerufen am 18.10.2019 um 18.50 Uhr.  Hameeuw/Willems (2011) 165.  Aufgerufen am 29.10.2019 um 14.33 Uhr.  So meine Erfahrung beim Scannen von Tontafeln des Vorderasiatischen Museums, Berlin der mittelassyrischen Periode für die Cuneiform Digital Library im Sommer 2013.  Damerow/Englund/Nissen (1989).  Hameeuw/Willems (2011) 165.  Sommerfeld (1999) 9. Für weitere Anwendungen der Holografie innerhalb der Altorientalistik vgl. Marzahn (2001) 128 Fn. 27.

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zungen im Randbereich der Tafel. Weiter wurden die hohen Kosten der Reproduktion kritisiert und dass eine Verbreitung im Internet nicht möglich sei.78 Die Holografie fand keine größere Anwendung innerhalb der Altorientalistik. 2D+- und 3D-Modelle von Tontafeln Inzwischen wird verschiedenen Orts mit Möglichkeiten von 3D- und 2D+-Modellen experimentiert.79 Die 3D- und 2D+-Modelle können entweder mit 3DScans oder durch Digitalfotos mit Hilfe der sogenannten 2D+-Technologie hergestellt werden. Sowohl 3D- als auch 2D+-Modelle können zu normalen 2D-Abbildungen ‚aufgerollt‘ werden. Die 3D-Scans sind bisher kosten- und arbeitsintensiv und es wird hierfür speziell geschultes Personal (auch für die Nachbearbeitung) benötigt. In Deutschland ist die Hilprecht-Sammlung in Jena mit 3300 Tafeln die zweitgrößte Tontafelsammlung nach dem Vorderasiatischen Museum Berlin. Mit einem 3D-Scanner wurden seit 2009 Tafeln der Sammlung digitalisiert.80 Zwischen 2012 und 2015 wurde das Gemeinschaftsprojekt „3D-Joins und Schriftmetrologie“ der Altorientalistik in Würzburg (unter der Leitung von Gerfrid Müller), der TU Dortmund und dem Projekt „Hethitische Forschungen“ an der Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz durchgeführt. Dabei wurden Tafeln und Tafelfragmente in hethitischer Sprache und Keilschrift mit einem Streifenlicht(Laser)Scanner aufgenommen. Für die erhobenen Daten wurden Methoden entwickelt, um Schriftmerkmale zu erkennen und 3D-Joins herzustellen.81 So könnten sich nicht identifizierte Fragmente einer Tontafel in einer Sammlung oder in Sammlungen, die über die ganze Welt verstreut sein können, finden lassen. Arielle Richardson, Uzy Smilansky und Joachim Marzahn entwickelten Computer Algorithmen, mit deren Hilfe von 3D-Scans die Form des verwendeten Griffels rekonstruiert werden kann.82  [http://www.hethport.uni-wuerzburg.de/3d/] aufgerufen am 29.10.2019 um 14.40 Uhr. Die Erstpublikation fand im Jahr 2000 statt.  Einen ersten Überblick über verschiedene Unternehmungen bietet ein Artikel von Hendrik Hameeuw und Geert Willem, auf den sich im Folgenden gestützt wird, Hameeuw/Willems (2011), siehe auch Dahl/Hameeuw/Wagensonner (2019).  [http://www.uni-jena.de/Mitteilungen/Archiv/Archiv+2009/PM091111_Hilprecht_3D+. html] aufgerufen am 14.10.2012 um 16.16 Uhr. Leider lassen sich inzwischen (21.10.2019) bei der Universität keine Mitteilungen mehr abrufen, die vor 2014 datieren. S. jedoch den Werkstattbericht Kantel et al. (2010).  Vgl. den Schlussbericht Müller (2016); s. auch Fisseler et al. (2013), Fisseler et al. (2014), Cammarosano et al. (2014) und Müller/Fisseler/Weichert (2015) sowie für eine Anwendung auf Tafeln aus Uruk aus dem Zeitraum 626–484 Müller/Pirngruber (2019).  Richardson/Smilansky/Marzahn (2018).

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Für 2D+-Modelle wird die Tontafel unter eine Glocke, die die Form einer Hemisphäre besitzt und mit Lichtquellen bestückt ist, gelegt. Eine Digitalkamera ist oben befestigt. Dieser Apparat wird im Folgenden als Kameradom bezeichnet. Die Belichtung kann genau kontrolliert werden, so dass Fotos unter verschiedenen Belichtungen von jeder Seite aufgenommen werden können. Entsprechende Computersoftware ermöglicht die Darstellung in 2D+-Modellen und dem Benutzer eine interaktive Verwendung. Das 2D+-Verfahren basiert auf einer als Reflectance Transformative Imaging (RTI) bezeichneten Technik: Reflectance Transformation Imaging (RTI) describes a suite of technologies and methods for generating surface reflectance information using photometric stereo i. e. by comparison between images with fixed camera and object locations but varying lighting (Woodham 1980). RTI now describes a file format (Mudge et al. 2006) in addition to a set of methods.83

Um die Fotos aufzunehmen wird entweder ein Kameradom verwendet oder es wird ein künstlicher Dom kreiert, in dem eine größere Lichtquelle in einem bestimmten Abstand vom Objekt um dieses bewegt wird. Bei letzterer Methode ist die Kamera fest an einem Stativ befestigt. Je mehr Fotos pro Seite aufgenommen werden, desto höher ist die Qualität. Denn aus den Objektfotos wird ein RTI, früher Polynomial Texture Mapping-(PTM), hergestellt. Diese Dateien werden beispielsweise benutzt, um Objekte unter verschiedenen Belichtungswinkeln darstellen zu können. An der Universität von Löwen (Leuven) entstand das „Portable Light Dome system“ (PLD), das mit 264 LED-Lämpchen bestückt ist. Die Technik ist Polynomial Texture Mapping angelehnt. Die PLD-Technologie ermöglicht es, die Daten für eine 2D+- und 3D-Visualisierung in einem „Virtual Artifact File“ von einer Größe von 10–30 MB zu speichern. In der Benutzeranwendung sind bei den 2D+-Darstellungen verschiedene Filter wie der „line drawing filter“ verfügbar. Dieser ermöglicht ein computerbasiertes, automatisches Umzeichnen der Tafeln. Auch kann bei einer Ansicht des 2D+-Modells die jeweilige Belichtung geändert werden, so dass die Lesbarkeit der Schrift im Gegensatz zu gewöhnlichen Fotos verbessert ist.84 An der Universität von Southhampton wurden „Reflectance Transformation Imaging Systems for Ancient Documentary Artefacts“ entwickelt, die bei der Digitalisierung von Keilschriftzeugnissen Anwendung finden. Hierbei ist insbesondere ein Kameradom mit 76 LED-Lämpchen zu erwähnen, der von der Cuneiform Digital Library Initiative (CDLI, s. u.) gebraucht wird.85  Earl et al. (2011) 1.  Hameeuw/Willems (2011) 167–173. Siehe auch Hameeuw (2018). Dort wird nur noch von 260 Belichtungswinkeln gesprochen, ebd. 223.  Vgl. Earl et al. (2011), Wagensonner (2015) und Dahl/Hameeuw/Wagensonner (2019) 16.

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Der Vor- und Nachteil traditioneller Umzeichnungen ist, dass sie an schwer lesbaren Stellen Interpretationen des Kopisten bieten. Gegenüber 3D-Modellen sind die 2D+-Anwendungen auf weniger Kapazität des Speichermediums angewiesen. 3D-Modelle und 2D+-Modelle benötigen besondere Programme und Datenformate. Folglich ist eine 3D- bzw. 2D+-Publikation in Printmedien nicht möglich. Hameeuw und Willems schlagen daher vor, dass, nachdem eine traditionelle Textedition in Papierform erschienen ist, die Modelle in digitalen Bibliotheken online verfügbar sein sollten.86 Die jeweilige interaktive Benutzbarkeit der Modelle ist abhängig von der Fragestellung, nach der sie produziert wurden. Neben der 3D- bzw. 2D+-Publikation bietet sich vielfach die Veröffentlichung von traditionellen digitalen Fotografien an. Sie benötigen weniger Kapazität des Speichermediums und sind deutlich weniger zeitintensiv herzustellen. Bei der Verwendung der jeweiligen Umsetzung einer Tontafel z. B. einer Autografie oder eines 3D-Modells sollte dem Betrachter der Modellcharakter dieser Darstellungen (s. o.) bewusst sein. Es ist stets zu fragen: 1.) Wie wurden die Daten erfasst und weiterverarbeitet? 2.) Welchem Erkenntniszweck dienen die Umsetzungen? 3.) Ist die jeweilige Umsetzung für meine Fragestellung brauchbar oder muss ich ggf. andere Umsetzungen bzw. das Original, z. B. bei einer Kollation, heranziehen? Umschrift und Übersetzung In Texteditionen befinden sich neben Autografien (und bzw. oder Fotos) Umschriften und Übersetzungen. Autografien, Umschriften und Übersetzungen können auch getrennt voneinander publiziert sein. Von den Texten werden Transliterationen angefertigt.87 Die Umschrift lässt auf die jeweils verwendeten Zeichen, das Syllabar, rückschließen. Eine gebundene Umschrift von Texten wird gemieden bzw. nur zu Lehrzwecken eingesetzt. Das Layout der Transliteration kann das Layout des Originals berücksichtigen. In welchem Maßstab dies geschieht, liegt im Ermessen des Bearbeiters. Bei Kompositumschriften längerer Texte ist das Layout meist nicht von Relevanz.88 Bei den Übersetzungen spielt das Erscheinungsbild meist keine Rolle mehr.

 Vgl. Hameeuw/Willems (2011) 166–176.  Für den Begriff Transliteration vgl. Bußmann (2002) 717. S. auch ebd. für den Begriff Transkription.  Vgl. beispielsweise Rykele Borger, Babylonisch-Assyrische Lesestücke, Heft 1, Rom 19942.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Bücher mit Mikrofiche oder CD-ROM Texteditionen befinden sich traditionell in Büchern und Zeitschriften. Den Büchern sind manchmal Mikrofiches oder CD-ROMs beigefügt. Mikrofiche bezeichnet auf Planfilm verkleinerte analoge Abbildungen von Vorlagen bzw. direkt auf diese Vorlage gespeicherte digitale Informationen. In größeren Bibliotheken existieren von älteren Büchern Mikroplanfilme. Die Mikrofiches werden mit einem speziellen Lesegerät vergrößert und sind so lesbar. Den von A. Kirk Grayson zwischen 1987 und 1996 veröffentlichen Bänden „The Royal Inscriptions of Mesopotamia, Assyrian Periods“ (RIMA 1–3) sind bspw. Umschriften der einzelnen Textvertreter einer Inschrift auf Mikrofiches beigelegt. Auf einer beigefügten CD-ROM sind entweder eine PDF-Datei des Buchinhaltes oder im Buch nicht vorhandene Abbildungen und Umschriften gespeichert. So können sich auf der CD-ROM Fotografien von Tontafeln etc. finden. Dem Leser werden Informationen, die sonst unveröffentlicht blieben, durch Mikrofiche und CD-ROM zugänglich. Jedoch muss ein entsprechendes Lesegerät vorhanden sein. Publikationen im Internet Inzwischen sind zahlreiche Ressourcen für die Altorientalistik auch online verfügbar. Es kann sich hierbei um eine digitale Version der in Papierform erschienen Bücher und Zeitschriften handeln, meist im PDF-Format oder aber auch um Bilddatenbanken und andere interaktive Plattformen.89 So sind die verschiedenen oben besprochenen Modelltypen von Tontafeln auch im Internet zu finden. Ein Gemeinschaftsprojekt der University of California, Los Angeles, der University of Oxford und des Max Planck Instituts für Wissenschaftsgeschichte stellt das CDLI (Cuneiform Digital Library Initiative http://cdli.ucla.edu) dar. Fotos, meist Scans aber auch RTIs (s. o.), mit Ansichten der verschiedenen Seiten von Tontafeln, Umzeichnungen und weiteren Angaben sind hier verfügbar. Kontinuierlich werden Schriftträger der verschiedensten Sammlungen weltweit wie der Tontafelsammlung des British Museum, London fotografiert und online gestellt. Beispielsweise digitalisiert das am British Museum angesiedelte Forschungsprojekt „The Library of Ashurbanipal“ alle dieser Sammlung zugeordneten Tontafeln und macht sie online verfügbar. Die Fotos werden auch ins CDLI eingespeist, wo sie eine permanente Nummer bekommen. Mit Hilfe von Museumsnummern kann man zudem auf der Musemswebseite nach den entsprechenden Objekten suchen.

 Siehe für einen Überblick über die Ressourcen der Assyriologie Charpin (2014) und für diejenigen der Hethitologie Giusfredi (2014).

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An der Universität Göttingen existiert ein kleiner dimensioniertes Projekt zu den lexikalischen Listen aus Assur, die den Grabungen von Walter Andrae entstammen. Fotos, Autografien und Bearbeitungen dieser Tafeln sind hier (http://keil.uni-goettingen.de) online verfügbar.90 3D-Scans der Kültepe-Tafeln der Universitätsbibliothek Gießen lassen sich in einer 3D-Darstellung oder einer 2D-Vorschau ansehen (http://bibd.uni-giessen.de/tf/tontafeln_giessen.html).91 Die bereits erwähnten 3D-Scans der Schriftartefakte der Hilprecht-Sammlung, Jena sind als 3D-Modelle im Hilprecht Archive Online von Manfred Krebernik (https://hilprecht.mpiwg-berlin.mpg.de/) verfügbar92 und als 2D-Abbildungen in der Heidelberger Objekt- und Multimediadatenbank zu finden (http://dx.doi. org/10.11588/heidicon.hilprecht).93 Für die Hethitologie ist das Hethitologie Portal Mainz (http://www.hethport. uni-wuerzburg.de) anzuführen.94 In der Konkordanz der hethitischen Texte sind zahlreiche Fotos auffindbar. Joinskizzen zeigen den Zusammenschluss von Tafelfragmenten. Mitunter sind auch 3D-Modelle vorhanden, für deren Ansicht man jedoch ein registrierter Nutzer sein muss. Die dafür verwendeten 3D-Scans wurden übrigens teilweise im Rahmen des Projekts „3D-Joins und Schriftmetrologie“ (s. o.) gemacht. Das Portal bietet zusätzlich eine Bibliografie zur Hethitologie und wird ständig aktualisiert. Auf der Plattform „The Open Richly Annotated Cuneiform Corpus“ (http:// oracc.museum.upenn.edu)95 sind verschiedene Webseiten zum Thema Alter Orient versammelt. So werden hier teilweise von bestimmten, schon in Buchform publizierten Texten die Transliterationen nun auch online in interaktiver Form veröffentlicht. Als Beispiel sind die „State Archives of Assyria“ (s. o.) zu nennen (http://oracc.museum.upenn.edu/saao/).96 Für die altbabylonische Zeit ist ARCHIBAB (http://www.archibab.fr/)97 anzuführen, dort sind die verstreut publizierten Texte dieser Periode auffindbar und ist Literatur hierfür angegeben. Ein vergleichbares Projekt ist NaBuCCo „The Neo-Babylonian-Cuneiform Cuneiform Corpus“ (https://nabucco.arts.kuleuven.be)98, das die babylonischen Alltagstexte des 1. Jahrtausends zum Inhalt hat. Das „Cuneiform Commentaries Project“  Aufgerufen am 29.10.2019 um 14.29 Uhr. Die Projektbeschreibung stammt vom 19.09.2006.  Aufgerufen am 24.10.2019 um 16.58 Uhr.  Aufgerufen am 24.03.2022 und 12.12 Uhr. Dort sind etwa 2000 Modelle einsehbar.  Aufgerufen am 24.10.2019 um 17.12 Uhr. Siehe auch Mara (2019). Mit Hilfe der GigameshSoftware wurden aus den 3D-Scans die 2D-Darstellungen erstellt.  Alle Webseiten habe ich mir am 29.10.2019 um 14.56 Uhr angesehen.  Aufgerufen am 29.10.2019 um 14.38 Uhr.  Aufgerufen am 14.11.2019 um 14.23 Uhr.  Aufgerufen am 29.10.2019 um 15.06 Uhr.  Aufgerufen am 13.01.2020 um 12.52 Uhr.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

(https://ccp.yale.edu)99 versammelt Literaturreferenzen, Fotografien, Autografien, Umschriften und Übersetzungen – soweit wie möglich – der bisher unvollständig bearbeiteten Textgruppe. All diese Webseiten haben jeweils eine spezifische Fragestellung, nach der sie konstruiert sind. Die von ihnen generierten Daten sind dahin gehend zu hinterfragen. Der Umgang mit der Halbwertszeit von Webseiten im Gegensatz zu Büchern und Zeitschriften ist ein Problem. Eine Webseite wird aktualisiert, so dass die vormals aufgerufene Information nicht mehr zugänglich bzw. verändert ist. Bei einigen Artikeln von Webseiten sind keine Autoren angegeben oder es arbeiteten immer wieder unterschiedliche Personen an der Webseite, so dass die Frage der Autorenschaft neu zu diskutieren ist.

1.1.3 Arbeiten zum Erscheinungsbild Es sind äußerst genaue Kenntnisse des Erscheinungsbildes bei den Bearbeitern der entsprechenden Tafeln vorhanden; diese werden jedoch in der Regel nicht ausformuliert. Bei einer vorläufigen Sichtung von veröffentlichten Fotografien und Angaben innerhalb von Textpublikationen zeigte sich, dass es verschiedene Tafelformate und Textlayouts gibt. Schriftzeugnisse können undatiert sein und stammen häufig aus ungesicherten Fundumständen. Die Paläografie und weitere Charakteristika des Erscheinungsbildes dienen der zeitlichen und regionalen Verortung dieser Schriftzeugnisse. Aufgrund des Publikationsstandes der Texte lassen sich bisher Eigenbezeichnungen, die möglicherweise Tafelformate beschreiben, nur bedingt spezifischen Tafelformaten zuordnen. (vgl. Kap. 2.2). So bezeichnet IM.GÍD.DA (vgl. Kap. 2.2) eine einkolumnige Tafel sowohl im Hochformat wie auch im Querformat, diese kann handtellergroß sein, aber auch wie die vom Ende des 1. Jahrtausends stammende Tafel VAT 227 (SBH 54) eine Größe in der Höhe von 22,5 cm und von 8,5 cm in der Breite besitzen. Auch die Wölbung der Tafeloberfläche und die Tonqualität von so bezeichneten Tafeln können sich stark unterscheiden. In diesem Unterkapitel werden zunächst einige Einzelstudien zur äußeren Gestaltung der Tontafel vorgestellt. Als nächstes werden Arbeiten behandelt, die den Bereich der Diplomatik zuzuordnen sind.100

 Aufgerufen am 24.03.2022 um 13.43 Uhr.  Kein Anspruch auf Vollständigkeit wird erhoben.

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Einzelstudien In einem Artikel von 1904 geht Carl Bezold auf das Erscheinungsbild der Tontafeln der sogenannten Bibliothek Assurbanipals ein (für eine Diskussion dieser Bibliothek vgl. Kap. 3).101 Er beschreibt die Qualität und Farbe des verwendeten Tons, Größe und Form der Tafeln, die Paläografie, das Layout und die Tafelunterschriften. Die Kenntnis des Äußeren der zahlreichen Fragmente erweist sich als überaus hilfreich für Joins.102 1906 veröffentlichte der damalige Kustos der Tontafelsammlung des Vorderasiatischen Museums Berlin, Leopold Messerschmidt, einen Artikel über die Schreibtechnik und die Anfertigung von Tontafeln. Ein erweiterter Sonderdruck erschien 1907. Er zeigte auf, dass das Schreibgerät eine Art Schilfgriffel gewesen war, der je nach Periode einen anderen speziellen ‚Zuschnitt‘ besaß. Darüber hinaus ging er auf die Herstellung der Tontafel ein. (s. Kap. 1.2.1 ‚Beschreibstoff‘ und Kap. 1.2.3 ‚Paläografie‘) Die Schreibtechnik und die Herstellung der Tontafeln prägen das Erscheinungsbild des Objekts. In seiner 1936 erfolgten Publikation der archaischen Texte aus Uruk behandelt Adam Falkenstein auch die Gestaltung der Schriftzeugnisse. Er beschreibt das Tontafelmaterial, den verwendeten Schreibgriffel, das Tafelformat und die Schriftrichtung, und zwar Zeichenausrichtung sowie Fächer und Kolumnen, d. h. das Layout.103 Christopher B. F. Walker, (ehemaliger) Kurator der Tonsammlung des British Museum, verfasste eine Einführung in die Keilschrift, die 1987 veröffentlicht wurde. Das Buch ist eine Publikation des British Museum und primär an den interessierten Laien gerichtet.104 In dem Kapitel „Tablets and Monuments“ geht er zunächst auf die Tontafel ein, und zwar auf den Beschreibstoff Ton, das Tafelformat, den verwendeten Schreibgriffel, die Linierung, die ‚nicht-schriftlichen‘ Markierungen, den Umschlag sowie die Siegelung. Dann behandelt er die (Königs-) Inschriften, wobei der Schwerpunkt auf den jeweiligen Schriftträgern liegt. Die beschriebenen Phänomene beziehen sich auf Schriftzeugnisse, größtenteils in sumero-akkadischer Keilschrift, des 3. bis einschließlich des 1. Jahrtausends.105 Ein Artikel von Jesper Eidem aus dem Jahr 2002 zeigt das Erkenntnispotential, welches im Tafelformat liegt. In altbabylonischer Zeit gibt es für Briefe unterschiedliche, zeitgleich verwendete ‚Tafelstile‘. Zu einem Tafelstil zählt Eidem

 Bezold (1904).  Bezold (1904) 266.  Falkenstein (1936) 5–12.  Dies wird insbesondere daran deutlich, dass außer einer kurzen Liste mit „Further Reading“, Walker (1987a) 63 keine Literaturhinweise gegeben werden.  Walker (1987a) 22–32.

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das jeweilige Tafelformat, die Farbe der Tontafeln (bei noch nicht gebrannten Tontafeln), die Zusammensetzung des Tons sowie die Eigenschaften der jeweils verwendeten Schrift, z. B. die Schriftgröße, ob eng oder weit geschrieben wird und die Orthografie. Verschiedene Tafelstile von Briefen aus Tell Shemshāra/ Šušarrā, Tell Leilan/Šehna (Šubat-Enlil) und Tell Hariri/Mari werden dargelegt. Er geht insbesondere auf das Tafelformat ein, welches für ihn nicht nur die Maße der Tafel beinhaltet, sondern die spezifische Wölbung der Tafel, die Gestaltung der Ecken etc. Genaue Kenntnisse der einzelnen Tafelstile erlauben es, die Schreiber, den Anfertigungsort etc. zu identifizieren. Eidem plädiert ausdrücklich für weitere Studien zur Tafel als Artefakt.106 Joachim Marzahn, (ehemaliger) Oberkustos der Keilschriftsammlung des Vorderasiatischen Museums, Berlin, baut auf die Arbeit Messerschmidts auf und stützt sich in seinen Forschungen auf die Berliner Sammlung.107 Er bietet eine knappe Beschreibung über Tafelformat, Layout des Textes und verwendete Schreibtechnik verschiedener Perioden der keilschriftlichen Überlieferung.108 Zudem untersuchte Marzahn die verwendeten Griffel der Zahlentafel aus Uruk, die womöglich gleichzeitig mit den frühesten Keilschriftzeugnissen der Schriftstufe Uruk IV zu datieren sind.109 Außerdem äußerte er sich zur Handhaltung bei der Beschriftung der altbabylonischen Schülertafeln, den sogenannten Linsentafeln, die runde Tafeln darstellen.110 Für den Fundort Babylon betrachtete Olof Pedersén Tontafeln bzw. Fotos von insgesamt über 4000 Tontafeln der alt- bis spätbabylonischen Zeit. Der Großteil der Tontafeln wurde in der Antike nicht gebrannt. Ist es dennoch der Fall, betrifft es ausgesuchte Texte wie neubabylonische Kaufurkunden über Immobilien oder wissenschaftlich-literarische Texte. Mit Stempeln, Rollsiegeln und Fingernägeln wurden Urkunden gesiegelt. Eine Ausnahme in Babylon ist die Periode von Nebukadnezar II. bis Xerxes (604–465), in welcher die rund 400 erhaltenen Verträge nicht gesiegelt sind.111 Auch die zeitlich direkt davor zu verortenden Urkunden aus Babylonien wurden häufig, im Gegensatz zu den neuassyrischen, nicht gesiegelt. In der darauffolgenden Periode wurde wieder  Eidem (2002).  Marzahn hielt zwei Vorträge zum Erscheinungsbild auf der jährlich stattfindenden Rencontre Assyriologique Internationale (davon einen auf der 45. Rencontre in Chicago). Beide Beiträge sind leider nicht publiziert. Des Weiteren ist seine am 16.01.2013 an der Freien Universität gehaltene Antrittsrede anlässlich der Verleihung der Honorarprofessur zu erwähnen.  Marzahn (2003).  Marzahn (2018a).  Marzahn (2018b). Seine Forschungen zur Schreibtechnik beschränken sich nicht auf Tontafeln, vgl. beispielsweise Marzahn (2016) zu den Letternstempeln.  Pedersén (2005) 306.

1.1 Forschungsgeschichte

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vermehrt gesiegelt.112 Die Tafeln sind hoch- oder querformatig, selten quadratisch. Die meisten Tafeln sind einkolumnig. Bei den Alltagstexten sind typisch hochformatige Tafeln Briefe, Kaufurkunden und größere juristische Dokumente. Querformatige Tafeln sind hier meist Darlehensurkunden und Quittungen. Zwei- oder mehrkolumnige Tafeln sind meist größere Tafeln. Nur wenige kleinere Tafeln solchen Charakters bzw. administrativen Inhalts existieren. Neben einigen zweikolumnigen administrativen Listen und Sammelurkunden sind zweikolumnige Tafeln mit Omina und literarischen Texten (im weitesten Sinne) beschrieben. Mehrkolumnige Tafeln sind häufig wissenschaftlich-literarische Texte, oft in Listenform. Neben vertikalen Linien kann eine Einteilung mit horizontalen Linien erfolgen. Falls horizontale Linien gesetzt sind, ist die Tafel entweder liniert oder bei Abständen, die mehr als eine Zeile betragen, erscheint der Text in Kästchen eingeteilt.113 Ein Forschungsschwerpunkt von Jon Taylor, Kurator der Tontafelsammlung des British Museum, ist die Tontafel als Artefakt. Die von ihm verwendeten Beispiele stammen aus der Tontafelsammlung des British Museum. Hierbei ist ein 2011 veröffentlichter Artikel „Tablets as artefacts, scribes as artisans“ hervorzuheben.114 Taylor stellt darin auf zwei Fotos Tafeln mit sumerischen und akkadischen Texten verschiedenen Inhalts zusammen, die unterschiedliche Tafelformate besitzen.115 Im Verbund mit den Ausführungen Marzahns und Pederséns bieten sie einen knappen Überblick über charakteristische Tafelformate und Textlayouts in unterschiedlichen Zeitperioden. Des Weiteren bespricht Taylor verschiedene Aspekte der Produktion des Schriftobjekts: die Art des verwendeten Tons, die Herstellung der Tafeln, das Beschriften. Neben der Schrift nennt Taylor beim Beschriften verschiedenste Phänomene des Textbildes wie Linien und die sogenannten Brennlöcher. Abschließend behandelt er das Recycling von Tontafeln und verweist noch auf Schriftträger aus Ton (wie Zylinder), die nicht die Form einer Tafel besitzen.116 In der Zeitschrift Scienze dell’Antichità 17 (2011) wurden unter dem Titel „II Sezione Tra Supporto, Scrittura e Testo“ Beiträge von zwei Workshops veröffentlicht. Der erste Workshop „Manufacture and Analysis of Cuneiform Tablets“ fand auf der 55. Rencontre Assyriologique International am Collège de France

 Für den Hinweis danke ich Anja Fügert, 07.08.2012.  Pedersén (2005) 305 f. Er gibt auch Querweise zu Fotos von Tontafeln, die sich in derselben Publikation befinden.  Taylor (2011).  Taylor (2011) Abb. 1.2A und 1.2B.  Taylor (2011). Siehe auch Taylor/Cartwright (2011), Cartwright/Taylor (2011), Taylor (2015) und Taylor (2018).

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1 Phänomenologie der Tontafeln

in Paris statt. Der zweite Workshop „Composition and Manufacture of Clay Tablets“ wurde im Rahmen der „7. International Conference of Archaeologists of the Ancient Near East“ in London durchgeführt. Wie bereits die Titel der beiden Workshops nahelegen, behandeln die einzelnen Beiträge die Herstellung von Tontafeln, die Analyse des Tons der Tafeln mit Hilfe arachäometrischer Methoden, aber auch die Siegelpraxis und Zeichnungen. Gebhard Selz betont in seinem Beitrag im oben erwähnten Tagungsband die Bedeutung der „physical properties“ von Schriftobjekten für deren weitergehende Interpretation. Zu den „physical properties“ zählt er 1.) „physical features“, d. h. Format, Größe, Layout etc.; 2.) „archeological context“; 3.) „material features“, d. h. Tonart, Herstellungsprozess usw.; 4.) „additions and manipulations of the written texts“. Seine Beispiele bezieht er aus dem sumerischen Textkorpus des 3. Jahrtausends.117 Für Selz liefert nicht nur der Textinhalt, sondern auch häufig vernachlässigte Aspekte des Erscheinungsbildes und Fundkontexts Hinweise auf den Umgang mit Tafeln und folglich mit Texten. Jeanette Fincke beschreibt Eigenheiten der von ihr betrachteten Manuskripte der Pflanzenlisten URU.AN.NA und MÚD-UR.MAḪ, zweier wissenschaftlichliterarischer Textkompositionen. Der Großteil der Tafeln und Tafelfragmente ist neuassyrisch zu datieren. Einige Beispiele stammen jedoch aus der mittelassyrischen und der achämenidischen Zeit. Fincke gliedert ihre Ausführungen in 1.) „The Cuneiform Tablets as Archaelogical Objects“; 2.) „Preparations before Writing: Rulings, Lines and Column Dividers“; 3.) „The Writing on the Tablets“ und 4.) „Correcting and Marking Mistakes and other Additions to the Written Text“. Zu ersteren zählt sie nur Eigenheiten, die nicht im Zusammenhang mit Schrift stehen. Das sind ihres Erachtens Format, Form, Farbe, sogenannte Brennlöcher sowie Wurmlöcher und Spuren von Fossilien.118 Eva Cancik-Kirschbaum und Bernd Mahr begreifen Anordnung als ein, wenn nicht das wesentliche Charakteristikum von Schrift (s. Einleitung). Ebenso wie die Buchstaben eines niedergeschriebenen Wortes, kann man auch einen gesamten Text als eine Anordnung z. B. von Absätzen ansehen.119 Die Gestaltung eines Schriftstücks ist nicht willkürlich, sondern verschiedenen Zwängen unterworfen. Weiter führen sie aus: Die Art und Weise, in der eine konkrete Anordnung solche einschränkenden Randbedingungen berücksichtigt, soll das ästhetische Profil der Anordnung heißen; die verschiede-

 Selz (2011b).  Fincke (2021) 29–72.  Cancik-Kirschbaum/Mahr (2005) 97.

1.1 Forschungsgeschichte

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nen Typen von Randbedingungen, die den Gestaltungsspielraum einschränken, werden die Faktoren des ästhetischen Profils genannt.120

Bei einer Tontafel sind die Faktoren nach Cancik-Kirschbaum und Mahr 1.) die Funktion des Textes (z. B. kommemorativer Monumentaltext); 2.) Material und Medium (Ton, Schreibgriffel, Fähigkeiten des Schreibers); 3.) Wahrnehmbarkeit der Anordnung (physisches Format der Tafel und menschlicher Nutzer); 4.) Ästhetik (z. B. Symmetrien) sowie 5.) der Strukturtyp (z. B. Tabelle).121 Die unterschiedlichen „ästhetischen Profile“ können in gewissem Umfang mit Textgattungen in Verbindung gebracht werden, zu denken ist hier an das unterschiedliche Erscheinungsbild von Tontafeln wie Rechtsurkunden oder literarischen Texten. Die Analyse des Inhalts und damit der Information ist nur unter Berücksichtigung des Formats möglich, wie es besonders deutlich bei einer Tabelle wird.122 Diplomatik Vielfach wird in letzter Zeit der Begriff Diplomatik bzw. äußere Charakteristika in der Forschung gebraucht. Die Diplomatik ist eine historische Hilfswissenschaft, die vornehmlich Urkunden des Mittelalters untersucht.123 Les sources diplomatiques sont formées: d'une part, des actes écrits; de l'autre, des documents résultant des actions juridiques et des activités administratives et financiéres de toute personne physique ou morale; enfin des lettres expédiées ex-officio et dont la forme est soumise à certaines règles. Constituées essentiellement de documents d’archives, les sources diplomatiques s'opposent, d'une part, aux textes littéraires et aux sources historiographiques, de l'autre, aux documents non écrits (sources iconographiques, documents archéologiques et objets matériels).124

Die Diplomatik diente ursprünglich dazu, gefälschte Urkunden entlarven zu können. Wie die obige Definition zeigt, werden neben Urkunden auch Verwaltungstexte betrachtet. Die Diplomatik untersucht sowohl die äußeren und inneren Charakteristika der Urkunden als auch ihre Ausstellung und ihre Überlieferung.  Cancik-Kirschbaum/Mahr (2005) 102.  Cancik-Kirschbaum/Mahr (2005) 108 f.  Cancik-Kirschbaum/Mahr (2005) 110.  Eine knappe Einführung für den deutschsprachigen Raum bietet Vogtherr (2008). Vgl. zudem die Rezension von Monika Gussone (2009).  So die online-Version des Vocabulaire international de la diplomatique, hrsg. von Maria Milagros Cárcel Ortí, 2. ed., Valéncia 1997 (Collecció Oberta). „Terminologie der Diplomatik“ [http://www.cei.lmu.de/VID/#VID_TOC_1] aufgerufen am 29.10.2019 um 15.17 Uhr. Diese Seite wurde von Georg Vogeler am 21.02.2005 online gestellt und stammt in der von mir konsultierten Fassung vom 21.09.2011.

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Hierbei werden auch Personen und Institutionen, die bei der Ausstellung beteiligt waren, berücksichtigt. Die Diplomatik bietet mit den sogenannten äußeren Charakteristika eine Methodik zur Beschreibung des Erscheinungsbildes. Überschneidungen zu Selzs „physical properties“ sowie Cancik-Kirschbaums und Mahrs Faktoren bestehen, obwohl diese nicht auf die Rechts- und Verwaltungstexte begrenzt sind. Die Diplomatik wird auch von J. Nicholas Postgate verwendet. In einem Buch behandelt er die neuassyrischen Rechtsurkunden und geht auch auf ihr Erscheinungsbild ein.125 In einem weiteren Artikel beschreibt er die äußeren Charakteristika – d. h. in seinem Fall Tafelformat, Umschläge und Siegelpraxis – der mittelassyrischen Tafeln in Abgrenzung zu den neuassyrischen Tafeln und geht auf die Verwendung ersterer innerhalb der Verwaltung ein.126 Den Wandel von mittelassyrischen zu neuassyrischen Rechtsurkunden – insbesondere auch ihr Äußeres – ist Thema eines weiteren Artikels.127 Auf die Vorarbeiten Postgates stützt sich Karen Radner. In ihrem Artikel „The Relation of Format and Content of Neo-Assyrian Tablets“ führt Karen Radner eine systematische Beschreibung des Tafelformats und Textlayouts von bestimmten Textsorten durch. Sie schreibt hierzu: Some text types have distinctive features which are obligatory and thus strictly followed. These features are include the size, shaping and manufacture of the tablet as well as its organization. All the texts subject to such strict rules are more or less official documents: (1) legal documents, (2) letters and (3) scientific reports to the king. Other text types as administrative lists, literary and scientific works have a less standardized appearance. Still they can be roughly classified according to the arrangement of the text. Size does not play a crucial role with these texts: the tablet is prepared according to the content. Important tablets are beautifully and scrupulously manufactured, while simply notes can be written on crudely formed lumps of clay. However, these texts need not necessarily be written on clay tablets: another possibility was the use of wax-covered writing boards.128

Festzuhalten ist, dass neuassyrische Rechtsdokumente, Briefe und Berichte meist standardisiert sind. Wissenschaftlich-literarische Texte besitzen zwar ein charakteristisches Textlayout, jedoch ist ihre Größe nicht standardisiert. Möglicherweise kann man hier von einer Schreiberkonvention sprechen. Zunächst geht Radner auf die Regeln des Layouts ein, d. h. auf vertikale Linien für Kolumnen und Tabellen und horizontale Linien. Im Folgenden werden

   

Postgate (1976) §§ 1.–1.2.4. Postgate(1986) insbesondere 11–13. Postgate (1997). Radner (1995) 63–65.

1.1 Forschungsgeschichte

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verschiedene Texttypen wie Obligationsurkunden, die ein charakteristisches Erscheinungsbild besitzen, kurz beschrieben. Hierzu gibt sie auch die Größengaben an und bietet Zeichnungen zum Textlayout.129 Ein Kapitel ihrer 1997 erschienen Dissertation ist „Die äusseren Charakteristika der neuassyrischen Privatrechtsurkunden“ betitelt. Hier wird näher auf das Erscheinungsbild der neuassyrischen Rechtsurkunden, ihre Herstellung, ihre Siegelung, die Verwendung der sogenannten Tonbullen und ungesiegelter Urkunden eingegangen.130 Dominique Charpin sieht in der Diplomatik einen wichtigen Ansatz für die Altorientalistik. Als relevante äußere Charakteristika für Urkunden des Alten Orient nennt Charpin 1.) der Beschreibstoff – sei es Ton, Stein, oder Pergamentrollen –; 2.) das Schriftsystem, wobei er hier insbesondere die Paläografie hervorhebt; 3.) das ‚Seitenlayout‘, womit er auf das Tafelformat und das Textlayout Bezug nimmt und 4.) die Siegelung. Als innere Charakteristika verweist er auf die Sprache und die Komposition, womit er das Textformular meint. Als zweiten Schritt nennt er die Ausstellung und Überlieferung, wobei hier ein Augenmerk auf die Archive gelegt wird. Sowohl für die äußeren als auch die inneren Charakteristika gibt es innerhalb der Altorientalistik allerdings sehr wenige Untersuchungen, der Schwerpunkt liegt meist auf dem Textinhalt.131 In der Einleitung ihres 2003 erschienenen Sammelbandes „Ancient Archives and Concepts for Record-Keeping“ schreibt Maria Brosius, dass dieser Sammelband die Basis für eine Diplomatik für antike Dokumente liefert.132 Die einzelnen Artikel dieses Bandes berücksichtigen unterschiedlich stark das Erscheinungsbild. Brosius beschreibt zum Beispiel wie ein Archiv in Persepolis organisiert ist und welche Texte bei welchem Verwaltungsschritt angefertigt werden. Hierbei beachtet sie auch die äußeren Charakteristika der von ihr behandelten rechteckigen Tafeln.133 Auch Gebhard Selz macht in einem 2011 erschienen Artikel eine Studie zur Diplomatik für altsumerische Wirtschaftstexte.134

 Radner (1995). Zum Format der mittelassyrischen Obligationsurkunden, Verträge und Quittungen vgl. Postgate (1997) 167. Leider fehlen hier Größenangaben.  Radner (1997) 21–47.  Vgl. für einen Überblick der Diplomatik von mesopotamischen Dokumenten mit weiteren Literaturhinweisen Charpin (2002a). Für eine englische Übersetzung siehe (2010b) 25–42. Vgl. weiter Charpin (2010a) passim, Charpin (2010b) passim sowie Charpin (2018). Der Schwerpunkt liegt auf der altbabylonischen Zeit. Mithilfe der äußeren und inneren Charakteristika konnte Charpin eine Schriftreform in Mari in der altbabylonischen Zeit nachweisen, vgl. Charpin (2012).  Brosius (2003a) 3.  Brosius (2003b).  Selz (2011a).

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Eva Cancik-Kirschbaum spricht sich ebenso für die Anwendung der Diplomatik innerhalb der Altorientalistik aus. Die heuristische Methode der Diplomatik sei auf das altorientalische Schriftgut anwendbar, wobei ihr Beispiel die mittelassyrischen Verwaltungs- und Wirtschaftstexte sind.135 Diese Methode erlaubt es, den historischen Umgang mit den Verwaltungstexten zu rekonstruieren sowie Wandel und Kontinuitäten der Verwaltung festzustellen, die wiederum Regierungsprozesse reflektieren können.136 Als vier der äußeren Hauptcharakteristika nennt sie 1.) Format der Tafel – nicht nur die Form der Tafel, sondern auch Beschaffenheit des Tons wie Art des Tons –; 2.) Existenz bzw. Fehlen eines Umschlags; 3.) Siegelpraxis und 4.) das textliche Layout.137 Sie unterteilt Punkt 4 in:138 1.) das Medium, d. h. der Schriftträger mit Kolumnen, Linien etc.; 2.) das Layout der Schrift – hier erwähnt sie die Paläografie, die Orthografie, das grammatische Level und syllabische und logografische Schreibungen –; 3.) die Sprache, wobei hier eine formalisierte Sprache und ein spezieller Stil gemeint sind; 4.) Abkürzungen; 5.) Siegelpraxis – der Großteil der Verwaltungstexte ist jedoch nicht gesiegelt –; 6.) Anmerkungen – sie kommen nur bei literarischen Texten vor. Als innere Charakteristika führt sie die Textstruktur und das Formular an.139 Willemijn Waal wendet die Diplomatik auf die größtenteils wissenschaftlichliterarischen hethitischen Texte an. Denn die hethitischen Tontafelsammlungen stellen für sie nicht Bibliotheken, sondern Archive dar. Die hethitischen Texte sind demnach Archivtexte der hethitischen (Staats-)Verwaltung.140 Waal untersucht das Erscheinungsbild und die Kolophone von 2700 publizierten, aus Hattuša/Boğazköy stammenden Tontafeln und gewinnt daraus Hinweise auf die Funktionsweise und Organisation der hethitischen Tafelsammlungen. Neben den Autografien analysiert sie Fotos sowie im Original in Ankara und Berlin betrachtete Tafeln. Als „Physical Features“ von Tontafeln betrachtet sie 1.) Form, Größe, Ton, Siegelabdrücke und andere Veränderungen wie die sogenannten Brennlöcher; 2.) Anbringung der Schrift sowie 3.) Layout, d. h. vertikale und horizontale Linien. Bei Punkt 1 untersucht sie (wie auch Eidem s. o.) nicht nur, ob sie hoch- oder querformatig sind, sondern auch wie die Tafeln gewölbt und wie die Tafelränder gestaltet sind.141

      

Cancik-Kirschbaum (2012a) 19. Cancik-Kirschbaum (2012a) 23 f. Cancik-Kirschbaum (2013) 26,. Persönliche Mitteilung Eva Cancik-Kirschbaum Juli 2014. Cancik-Kirschbaum (2012a) 26 f. Waal (2015) 173–175. Waal (2015) 1–124.

1.1 Forschungsgeschichte

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Die Diplomatik liefert uns eine Methodik, die für Tontafeln verfeinert werden kann. Bei Tontafeln mit schriftlichem Text sind drei ‚standardisierte‘ Aspekte zu unterscheiden:142 1.) Äußere Charakteristika 2.) Merkmale der Schriftsprache143 3.) Innere Charakteristika wie Struktur des Textinhalts und Formular Schrift ist nur als Text zu verstehen, der – um verständlich zu sein – stets bestimmten Regeln folgt – nach Cancik-Kirschbaum und Mahr „Faktoren des ästhetischen Profil“ (s. o.). Die Gestaltung einer Tafel ist nicht nur durch zeitliche und regionale Unterschiede und das individuelle Schreiben bedingt, sondern verweist auch auf die spezifische Funktion wie z. B. bei den sogenannten Schülertafeln. Die in der Diplomatik definierten äußeren Charakteristika für Rechtsund Verwaltungstexte können gewinnbringend für eine Phänomenologie von Tontafeln jeglichen Inhalts angewandt werden. Die äußeren Charakteristika der Tontafeln sind der Beschreibstoff, das Tafelformat, die Paläografie, das Layout sowie ‚nicht schriftliche‘ Markierungen und intentionelle Veränderungen.

 Eine Unterteilung in innere Charakteristika, äußere Charakteristika und Urkundensprache und deren Stil nimmt auch Thomas Vogtherr in seiner knappen Einführung in die Urkundenlehre vor, vgl. Vogtherr (2008) 63 und passim.  Der Ausdruck Schriftsprache verweist einerseits auf Phänomene der Schrift wie Logogramme, andererseits auf den verwendeten Sprachstil. Schrift steht stets in einem Bedingungsverhältnis mit Referentialität, aisthetischer Präsenz und Operationalität, vgl. für diese Definition von Schrift Grube/Kogge (2005). Zu ‚Merkmale der Schriftsprache‘ zähle ich die Orthografie (d. h. zum Beispiel syllabische und logografische Schreibungen), das grammatische Level usw. Diese Phänomene zu analysieren, ist ohne Kenntnis des Schriftsystems und der durch sie realisierten Sprache nicht möglich. Neuassyrische Obligationsurkunden besitzen ein bestimmtes Syllabar und bestimmte Ausdrücke des Formulars werden häufig mit ausgewählten Logogrammen geschrieben. Omentexte des 1. Jahrtausends verwenden wiederum zahlreiche Logogramme in einer festgelegten Lesung. Dies ist jedoch nicht der Fall für vergleichbare Texte der altbabylonischen Zeit, vgl. Goetze 1947 = YOS 10 und George (2013) = CUSAS 18 1–128 (Nrn. 1–21), für eine Abbildung in der ein altbabylonisches Manuskript mit teratologischen Omen mit einem Manuskript aus dem 1. Jahrtausend verglichen wird s. Frahm/Wagensonner (2019) 36 Abb. 3.20. Ich differenziere für das 1. Jahrtausend daher neben einer Fachsprache auch eine Fachschrift. Die syllabo-logografische Keilschrift eröffnet einen großen Spielraum an möglichen Schreibungen für ein Wort. Mit der Mehrdeutigkeit der Zeichen kann bewusst gespielt werden, vgl. für zwei sumerische Beispiele J. Cale Johnson (2013). Eine systematische Untersuchung der Schriftsprache kann an dieser Stelle nicht geleistet werden.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

1.2 Äußere Charakteristika Die für verschiedene Textgruppen jeweils charakteristische Gestaltung bezeugt, dass bei der Anfertigung Regeln befolgt wurden. Das Erscheinungsbild variiert zeitlich, regional und abhängig von Textgruppen und Textsorten. Meist war die gesamte Tafel beschrieben. Die Tafel muss relativ zügig im feuchten bzw. feucht gehaltenen Zustand beschrieben werden. Nach dem Trocknen des Tons ist eine Manipulation des Textes nur erschwert möglich. Es ist daher davon auszugehen, dass eine Tontafel für das spezielle Beschriften angefertigt wurde, so dass die Länge des jeweiligen Textes von vornherein einkalkuliert wurde. Bei bestimmten Textsorten wie den neuassyrischen Obligationsurkunden ist die Tafelgröße vorgegeben. Dahingehend wurde die Schriftgröße ausgewählt. Unter den Texten der altorientalischen Überlieferung befindet sich kein ‚Handbuch‘, in welchem detailliert die Regeln, nach denen die Tafeln gestaltet sind, beschrieben sind. Diese Regeln sind folglich nur induktiv zu ermitteln. Die Schreibtechnik des Eindrückens rückt die keilschriftlichen Artefakte in die Nähe des Drucks. Für die Typografie wurden verschiedentlich klare Regeln ausformuliert, u. a. von Jan Tschichold, einem der bedeutendsten Vertreter der sogenannten neuen Typografie.144 Diese Regeln und die verwendeten Begriffe Laufweite (Abstand zwischen den einzelnen Buchstaben und Zeilen), Satzspiegel (Nutzfläche für Texte auf einer Seite), Schriftauszeichnungen etc. sind meines Erachtens äußerst hilfreich bei der Rekonstruktion der Gestaltungsregeln der Tontafeln. In den folgenden Unterkapiteln werden die äußeren Charakteristika einzeln untersucht. Als erstes wird der Beschreibstoff, in diesem Fall Ton, behandelt. Darunter verstehe ich die Art des verwendeten Tons und die Produktion von Tontafeln. Der nächste Punkt ist das Tafelformat, und zwar die Maße der Tafeln und ihre Wölbung. Der Gegenstand des folgenden Unterkapitels ist die Paläografie, und zwar Schriftzeichen, Schreibtechnik, Duktus und Schriftarten. Im Unterkapitel ‚Layout‘ wird die Lineatur, eingerückte Textzeilen, Freiflächen, Zeilenabstände, Schriftauszeichnungen und Interpunktionszeichen diskutiert. Als weiterer Punkt werden zum Schluss ‚nicht-schriftliche‘ Markierungen, d. h. die Siegelungen und die sogenannten Brennlöcher und weitere intentionelle Veränderungen, verhandelt, die jedoch nicht bei jeder Tafel bzw. Textsorte auftreten.

 Ein Wandel der Typografie und auch eine Ausformulierung dessen sind aus anderen Zeitperioden wohl bekannt. Zu den Fachdiskursen über die sogenannte Neue oder Elementare Typografie der 1920er vgl. Rössler (2010). Jan Tschichold (1902–1974) war einer ihrer bedeutendsten Vertreter. Er propagierte Regeln für Maßverhältnisse von Buchseiten, Schriftarten, Schriftauszeichnungen etc., vgl. u. a. Tschichold (1975).

1.2 Äußere Charakteristika

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1.2.1 Beschreibstoff Im Folgenden wird die Art des Tons – seine chemische Zusammensetzung und Eigenschaften sowie Herkunft und Qualität des verwendeten Tons – und die Herstellung des Trägermediums Tontafel besprochen. Art des Tons Ton ist ein feinkörniges Erdmaterial, das im feuchten Zustand formbar ist. Im engeren Sinne kann es eine bestimmte Gruppe von Mineralien bezeichnen, eine Kategorie von Gesteinen und Böden, in denen diese Mineralien hauptsächlich vorkommen, oder eine bestimmte Größe der Partikel, die den Hauptbestand eben dieser Mineralien, Gesteine und Böden bilden.145 Chemisch können die meisten Tonarten als wasserhaltige Aluminiumsilikate mit der theoretischen Formel Al2O3 · 2SiO2 · 2H2O beschrieben werden.146 Falls Ton nach der Partikelgröße definiert wird, darf der Großteil dieser Partikel 2 µm (0,002 mm) nicht überschreiten.147 Ton unterschiedlicher Feinheitsgrade wird aus dem Boden gewonnen. Die Feinheit ist abhängig von der Größe der in ihm enthaltenen Partikel. Je kleiner die Partikel sind bzw. je größer der Anteil kleinerer Partikel ist, desto plastischer ist der Ton.148 Das Schlämmen ermöglicht es, Einschlüsse innerhalb des Tons zu entfernen. Um dem Ton Plastizität zu geben und zu formen, wird ihm Wasser beigefügt. Feiner Ton benötigt mehr Wasser als gröberer. Nach dem Beifügen des Wassers wird der Ton geformt. Durch das Trocknen verschwindet das Wasser, der Ton schrumpft. Feinerer Ton trocknet langsamer und schrumpft stärker als gröberer. Bei feinerem Ton trocknen zuerst die Außenseite und dann das Innere, was zu einer erhöhten Gefahr von Sprüngen führt. Bei gröberem Ton ist der Trocknungsprozess insgesamt schneller, so dass die Gefahr von Sprüngen geringer ist. Ton, in welchen mehr Wasser enthalten war, schrumpft stärker. Auch die Ausrichtung der Partikel und deren Form beeinflusst den Schrumpfungsprozess. An den Ecken und Kanten ist die Ausrichtung der Partikel unterschiedlich, so dass es dort beim Trocknen leichter zu Sprüngen kommt. Das Kneten, Schlagen usw. des Tons führt zu einer gleichmäßigeren Ausrichtung der Partikel und der gleichmäßigeren Verteilung der Feuchtigkeit. Ein kontrollierter – besonders

 Rice (1987) 36. Für eine ausführlichere Beschreibung der einzelnen Definitionen vgl. ebd. 34–50.  Rice (1987) 40.  Rice (1987) 38.  Rice (1987) 38–43. Es gibt unterschiedliche Definitionen zur Größe der Partikel s. ebd.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

in der Anfangsphase langsamer – Trocknungsprozess reduziert das Risiko von Brüchen. Das Hinzufügen von Strohhäcksel und ähnlichem in den Ton kann die Trockenzeit beschleunigen und das Schrumpfen verringern. Feiner Ton ist im getrockneten Zustand weniger bruchanfällig als gröberer. Ein guter Ton zum Töpfern besitzt eckige Einschlüsse in verschiedenen Größen, an denen sich die kleineren Partikel ‚festmachen‘ können. Dieser Ton ist gebrannt und ungebrannt relativ bruchfest.149 Carmen Gütschow beschreibt die Tone Mesopotamiens. Der Ton Mesopotamiens ist ein Mergelton, d. h., er ist mit feinem Kalk versetzt. Der Calciumoxid (CaO)-Gehalt liegt zwischen 10–20 %. Der CaO-Gehalt von Tonproben aus dem Nordost-Syrischen Raum liegt zwischen 12 % und 35 %. Der hohe Kalkgehalt vermindert die Plastizität.150 Tontafeln sind aus Mergelton. Untersuchungen an Tontafeln im British Museum, die ins frühe 3. bis in die Mitte des 1. Jahrtausends datieren, ergaben, dass diese größtenteils aus Magnesium-Aluminium-Silicat, möglicherweise Palygorskit, bestehen. Da nur weniger als 2 % der Partikel unter 2 µm sind, kann der verwendete Ton auch als Schlamm bzw. Schlick (Mischung von Wasser und Schluff bzw. Silt) betrachtet werden (s. o.). Die Partikel sind in der Regel unter 60 µm groß. Hauptsächlich wurde feinkörniger Ton mit wenigen Einschlüssen über 30 µm für die Tafeln verwendet. Eine potenzielle Quelle des Tons ist der Auelehm des Euphrat und Tigris.151 Die Tonqualität und die Korngröße des verwendeten Tons unterscheiden sich stark. Es wurde sowohl geschlämmter wie auch ungeschlämmter Ton verwendet.152 Neben der Schlämmung können größere Unreinheiten auch per Hand entfernt werden. Eine weitere Möglichkeit der Reinigung ist von der Keramikproduktion in Ägypten bekannt. Der Rohton wurde getrocknet angeliefert, für die Verwendung pulverisiert und gesiebt. Anschließend wurde Wasser und eventuell Magerungsmaterial hinzugefügt.153

 Rice (1987) 54–79.  Gütschow (2012) 42.  Thickett/Odlyha (1999) 810–812. Eine unabhängig hiervon durchgeführte Analyse der Mineralzusammensetzung des Tons zweier altbabylonischer und einer altakkadischen Tontafel kam zu vergleichbaren Ergebnissen, vgl. Glasmacher/Wagner/Altherr (2001). Untersuchungen an Tafeln der Yale Babylonian Collection aus der frühdynastischen bis neubabylonischen Zeit zeigen, dass der Ton aus Fluss- und Kanalablagerungen und dem Überschwemmungsbereich von Flüssen stammt, s. Uchida/Sasaki/Watanabe (2011). Vgl. ferner Uchida/Niikuma/Watanbe (2015).  Gütschow (2012) 41, Cartwright/Taylor (2011) 71 f.  Arnold (1993) 12.

1.2 Äußere Charakteristika

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Tontafeln sind verhältnismäßig dicke Objekte. Einschlüsse bzw. Magerungszusätze sind notwendig, um die Plastizität zu reduzieren. Taylor führt aus, dass Schreiber größere Steine und Vegetation aus dem Ton entfernten, obwohl eine Bandbreite von Einschlüssen erhalten bleibt, meist Steinchen.154 Pflanzenreste können sich im verwendeten Ton bereits befinden oder einen Magerungszusatz darstellen.155 Jedoch sind zu viele oder zu große Einschlüsse hinderlich. So ist davon auszugehen, dass sorgfältig ausgewählter und möglicherweise verfeinerter Ton verwendet wurde. Der verwendete Ton ist abhängig von der Textsorte, dem jeweiligen Ort, der Zeit und anderen Faktoren.156 Möglicherweise wurden für bestimmte Texte bestimmte Tonquellen bevorzugt verwendet: Bei neubabylonischen, dem Tempel geweihten Schülertafeln wurde ein spezifischer Ort als Tonquelle angegeben.157 Der Ton der ca. 300 Tontafeln des Amarna-Archivs aus dem 14. Jahrhundert wurde von Yuval Goren, Israel Finkelstein und Nadav Naʾaman untersucht.158 In der Regel wurde für diese Tafeln der jeweils lokal erhältliche Ton benutzt, und zwar derselbe der für die Keramik verwendet wurde.159 Die mesopotamischen Briefe (vgl. BM 29785) aus dem Amarna-Archiv bestehen aus sorgfältig ausgewähltem, möglicherweise verfeinertem Ton. Andere Tafeln hingegen weisen wie BM 20933, ein Brief des Yapaḫu aus Gezer, zahlreiche Einschlüsse auf.160 Für die babylonischen und mittanischen Briefe (= mesopotamische  Taylor (2011) 6.  Cartwright/Taylor (2011) 69.  Taylor (2011) 7. Untersuchungen an den Tafeln der Yale Babylonian Collection unter der Leitung von Chikako Watanabe zeigten u. a., dass die dortigen Umma-Texte, die in das 7. Jahr des Amar-Suena datieren, unterschiedlichen Ton für unterschiedliche Texttypen verwenden, vgl. Selz (2011b) 288. Für die Analyse von Pflanzenresten und Muscheln und deren Bedeutung für die Herstellung und den Umgang mit Tafeln, vgl. Cartwright/Taylor (2011).  Gesche (2001) 154 f. S. George (2010).  Die Hauptmethode war Petrografie ergänzt durch weitere mikromorphologische Untersuchungen und chemischen Analysen, s. Goren/Finkelstein/Naʾaman (2004). Eine weitere – zerstörungsfreie – Methode zur Untersuchung der Zusammensetzung von Ton ist ‚Portable X-RayFlourescence‘, die u. a. an einer Auswahl von Tafeln aus Hattuša und Tell el-Armana durchgeführt wurde, vgl. Goren/Mommsen/Klinger (2011). Das Ziel dieser Analysen ist die typische Zusammensetzung des Tons für einen bestimmten Fundort zu bestimmen, um in Zukunft den Ausstellungsort einer sonst nicht weiter bestimmbaren Tontafel zweifelsfrei feststellen zu können. Ähnliche Methoden wurden von einer von Chikako Watanabe versammelten Gruppe auf Tafeln der Yale Babylonian Collection und des British Museum angewandt, s. Uchida/Sasaki/ Watanabe, C. E. (2011) und Uchida/Niikuma/Watanabe, R. (2015). In einer Pilotstudie wurden bspw. Kieselalgen bei ausgewählten Tafeln des British Museum untersucht. Die gesammelten Informationen helfen bei der Rekonstruktion der antiken Umwelt, vgl. Tuji/Ogane/Watanabe, C. E. (2011).  Goren/Finkelstein/Naʾaman (2004) 318.  Goren/Finkelstein/Naʾaman (2004) 319.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Briefe) wurde Ton der Euphratsedimente bzw. seiner Oberläufe verwendet. Zwar wurde der Ton für diese Briefe aus denselben Ablagerungen wie jener der dortigen Keramik gewonnen, jedoch fehlen alle natürlich vorkommenden Einschlüsse bis auf feinen Sand. Deswegen ist davon auszugehen, dass der Ton dieser Tafeln verfeinert bzw. geschlämmt wurde.161 Die Tafeln wissenschaftlich-literarischen Inhalts – babylonischen und assyrischen Duktus – der sogenannten Bibliothek Assurbanipals enthalten kleinere Einschlüsse.162 Die eingeschlossenen Steinchen sind wie bei K.67 (AMT 73–75) meist bis zu 1 mm im Durchmesser groß, jedoch sind größere Einschlüsse keine Seltenheit.163 Bei den von mir betrachteten wissenschaftlich-literarischen Texten des sogenannten Hauses des Beschwörungspriesters in Assur, die sich heute im Vorderasiatischen Museum, Berlin befinden, wurde ein feiner, rötlichbrauner Ton verwendet, ohne dass größere Einschlüsse zu sehen sind.164 VAT 8271 (KAR 63) war wahrscheinlich mit Häcksel gemagert. Vier Tafeln VAT 199 (SBH 11), VAT 274 (SBH 10), VAT 245 (SBH 46) und VAT 227 (SBH 54) wissenschaftlich-literarischen Inhalts und vermutlich aus Babylon stammend datieren in das 2./1. Jahrhundert. Sie bestehen aus feinem Ton, meist mit Glimmer. Nach dieser Auswahl zu schließen, sind Tafeln wissenschaftlich-literarischen Inhalts in der Regel aus feinem Ton gefertigt. Dies trifft auch auf Rechtsurkunden und Briefe zu. Nach Radner bestehen die neuassyrischen Rechtsurkunden (vgl. Kap. 3.2.2.1) aus Ton hoher Qualität; selten sind Verunreinigungen durch Strohhäcksel anzutreffen.165 Zwei Beispiele hierfür sind Rm.177 (SAA 14 Nr. 11) oder der Brief K.189 (SAA 13 Nr. 134). Die babylonischen Grundstücksurkunden BM 33064 und 33090166 aus dem EgibiArchiv sind sorgfältig geformt und aus feinem Ton hoher Qualität. Sie liegen schwer in der Hand. Bei den Urkunden aus dem Archiv mit Bibliothek N14 aus Babylon bemerkte ich außer Glimmer keine sichtbaren Einschlüsse.167

 Goren/Finkelstein/Naʾaman (2004) 319.  Taylor (2011) 6.  So Jon Taylor, vgl. Schnitzlein (im Druck) Fn. 25.  Die von mir betrachteten Texte waren VAT 8271 (KAR 63), VAT 8237 (KAR 267), VAT 13633+ (LKA 40), VAT 13787 (BAM 201), VAT 13958x (LKA 137), VAT 13844✶ (BAM 178), VAT 8622 (KAR 33) und VAT 13758 (LKA 96).  Radner (1997) 23.  Vgl. die Texteditionen bei Wunsch (2000a) Bd. 2 Nrn. 51 und 121.  Vgl. zur Tafelsammlung Pedersén (2005) 228–232. Im Vorderasiatischen Museum, Berlin sah ich mir folgende Tafeln dieses Archivs an: VAT 3057 (NRV 13), VAT 2963 (NRV 45), VAT 3011 (NRV 63), VAT 3077 (NRV 114), VAT 3088 (NRV 155), VAT 2971 (NRV 169), VAT 3009 (NRV 171), VAT 2987 (NRV 297), VAT 3047 (NRV 345), VAT 2985 (NRV 373), VAT 2990 (NRV 396), VAT 2994 (NRV 660) und VAT 3101 (NRV 699).

1.2 Äußere Charakteristika

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Andere Tontafeln bestehen aus grobem Ton (s. Tafel 3). So die sogenannten Anfragen an Šamaš (vgl. Kap. 3.2.2.1), deren Oberfläche sehr brüchig ist. Bei der unvollständig erhaltenen Tafel mit einer Anfrage an Šamaš, K.11480 (SAA 4 Nr. 3), besitzen die Steinchen einen Durchmesser von bis zu 0,4 cm und sind auch an der Tafeloberfläche sichtbar; bei 1883,0118.697 (SAA 4 Nr. 77) sind die Einschlüsse bis zu 0,5 cm groß. Andere Schriftartefakte wie die dreieckige Docket K.3785168 und K.57 mit einem Auszug aus der Omenserie Šumma ālu und einem Kolophon169 besitzen auch größere Einschlüsse. Der Ton vieler neubabylonischer Schülertafeln enthält Steinchen und Muscheln. Dies weist auf eine unvollständige Schlämmung hin.170 Gröberer Ton mit größeren Einschlüssen, d. h. ungeschlämmter Ton, wurde möglicherweise in Mesopotamien für Tafeln verwendet, die nicht für eine längere Aufbewahrung bestimmt waren. Ein weiterer Grund könnte die geringere Trockenzeit sein. Größere Einschlüsse konnten auch intentionell hinzugefügt werden. Bei neubabylonischen administrativen Texten wurden dem Ton Steinfragmente beigemengt.171 Bei den Amarna-Tafeln gibt es Beispiele, bei denen Materialien wie Haare, Dung und zerdrückte Käfer dem Ton beigefügt wurden.172 Produktion der Tafeln Die Untersuchung des Tons bietet nach Caroline Cartwright und Jon Taylor Aufschlüsse über die Herstellung der Tafeln.173 Muscheln stammen wahrscheinlich aus dem ursprünglichen Schlamm, Schluff oder Ton. Sie sind Anhaltspunkte dafür, dass das Rohmaterial der Tafel nicht geschlämmt wurde (s.o.). Schilfspuren in der Tafel und auf der Oberfläche sind Nachweise dafür, dass die feuchten Tafeln in Körben gelagert wurden, Flachsspuren, dass sie in ein Tuch eingewickelt waren. Kohlereste wurden eventuell am Herstellungsort (z. B. beim Rollen des Tons) aufgenommen.174

 Fales (1986) Nr. 9.  K.57 ist unveröffentlicht, so Maul (2010a) 126 Fn. 24. Der Kolophon findet sich bei Hunger (1968) Nr. 561.  Vgl. Gesche (2001) 57 und Gütschow (2012) 44.  Taylor (2011) 7.  Goren/Finkelstein/Naʾaman (2004) 319.  Cartwright/Taylor (2011).  Vgl. Cartwright/Taylor (2011). Das Einwickeln in ein nasses Tuch konnte dazu dienen, die Tafel länger feucht und damit beschreibbar zu halten. Nach Messerschmidt haben sich Abdrücke insbesondere an Stellen ergeben, an denen das Tuch besonders feucht war, Messerschmidt (1906) 377 und Messerschmidt (1907) 52. Siehe für Abdrücke von Textilien auf Tontafeln auch Tsouparopoulou (2015) 54 f.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Die einheitlichen Tafelformattypen wie kissenförmige Tontafeln bei neubabylonischen Rechtsurkunden zeugen von einer erlernten Produktionsweise von Tontafeln. Bereits vorbereiteter Ton wurde zu Tafeln weiterverarbeitet. Dies legen die Funde von Tonzylindern nahe, die womöglich für Tontafeln verwendet wurden.175 Leopold Messerschmidt geht von folgender Produktionsweise für kleinere Tafeln aus: Wenn es sich darum handelte, kleinere Tafeln herzustellen, so wurde der Ton zwischen den flachen Händen zu einer Kugel oder einem zylindrischen Körper gerollt und dann, ebenfalls zwischen den flachen Händen, breit gedrückt, so dass eine ungefähr quadratische oder rechteckige Tafel mit zwei etwas konvexen Seiten entstand. Dann wurde, wohl mit der der Hilfe der flachen, glatten Seite des Griffels die eckige Form noch etwas besser herausgearbeitet und Unebenheiten der Oberfläche verstrichen.176

Er stützt sich auf eigene Beobachtungen und Experimente.177 Anhand von Tafeln des Vorderasiatischen Museums, Berlin lassen sich seine Beobachtungen überprüfen. Die von mir betrachteten kissenförmigen Tafeln aus dem Archiv mit Bibliothek N14 aus Babylon178 weisen häufig einen geraden linken Seitenrand der Vorderseite auf, d. h., der Rand ist nicht nach außen gewölbt und er fällt nicht zu den Ecken hin ab. Auch der rechte Seitenrand ist, sofern nicht beschriftet, teilweise recht gerade, während der obere und untere Rand mehr in sich gerundet sind (s. Tafel 4) Dies würde die von Messerschmidt vorgeschlagene Produktionsweise nahelegen. Der linke und rechte Seitenrand wurden womöglich mit dem Finger flachgestrichen. Für größere Exemplare wurde nach Messerschmidt ein Tonklumpen auf eine flache Oberfläche gelegt und dann flach gedrückt.179 Die Mitte wurde verstärkt. So ist die untere Seite flach und die obere leicht konvex. Die Ränder sollen mit einem rundlich ausgeschnittenen Formholz abgestrichen worden sein. Flachdrücken und Beschriften fand auf einer glatten Oberfläche statt. Da eine Holzmaserung sich abzeichnen würde und an Materialien wie Metall der Ton kleben bliebe, ist als Schreibunterlage von einem Tuch auszugehen.180 Carole

 Taylor (2011) 7.  Messerschmidt (1906) 377. So auch Messerschmidt (1907) 53.  Messerschmidt (1906) 377 und Messerschmidt (1907) 53.  Vgl. Fußnote 167.  Dies trifft möglicherweise teilweise auch auf kleinere Tafeln zu, Messerschmidt (1906) 378 und Messerschmidt (1907) 55 f. Nach Marie-Christine Ludwig wurde bei der Herstellung der altbabylonischen Tafeln literarischen Inhalts aus Ur unabhängig von ihrer Größe der Tafelrohkörper auf einer Oberfläche flachgedrückt, Ludwig (2009) 9.  Messerschmidt (1906) 378 f. und Messerschmidt (1907) 54–56. Er unternahm hierzu auch praktische Versuche.

1.2 Äußere Charakteristika

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Roche-Hawley erkannte bei einer größeren Tafel des Syllabars A (Msk 74175a) aus Emar (aus dem 2. Jahrtausend) am oberen Rand Fingernagelspuren. Daraus schloss sie, dass die Tafel beim Beschriften auf der Innenseite des Unterarms lag und mit den Fingern festgehalten wurde.181 Neben dem Zurechtdrücken kann der Ton geknetet, gegen eine harte Oberfläche gerollt und gefaltet werden. Nach Taylor bestanden Tafeln in der Regel aus gefalteten Tonlagen. Bei einer weit verbreiteten Methode wird eine Lage Ton gefaltet und darauffolgend wird um diesen Kern eine weitere Tonlage angebracht. Die beiden Tonlagen werden meist aus demselben Ton gebildet. Bei anderen Beispielen besteht der Kern aus gröberem Material als die äußere Lage.182 Dass der Ton gefaltet wurde, zeigt das Foto von VAT 7813 (vgl. Tafel 5), ein Kommentartext aus dem frühen 2. Jahrhundert.183 Meine Beobachtungen bei Tafeln aus der sogenannten Bibliothek Assurbanipals und insbesondere bei mittelassyrischen Tafeln und Tafelfragmenten, die ich für das CDLI im Vorderasiatischen Museum, Berlin scannte, bestätigen Taylors Befund. In lexikalischen Listen ist die Vorbereitung des Tons für eine Tafel dargelegt. Der Ton wird geschlagen, dünn ausgebreitet, zusammengeknetet und zu einer Tontafel geformt.184 Diese Vorbereitung des Tons verringert, wie oben ausgeführt, die Gefahr von Brüchen. Aufgrund der von ihm beobachteten Falttechnik sieht Taylor hierzu auch Hinweise in einem altbabylonischen EdubbaText (BM 54746).185 Marzahn fertigte im Zuge einer ‚experimentellen Altorientalistik‘ größere Tafeln an, ohne den Ton davor geschlagen zu haben. Dies führte dazu, dass die Tafeln sich nicht sonderlich stabil erwiesen und zerbrachen.186 Nachdem die Tafel gefaltet wurde, wurde sie weiter geformt wie Messerschmidt (s. o.) ausführte. Bei einigen Tafeln stellte ich an den Rändern Spuren von Streichbewegungen, die von einem Instrument, womöglich – wie Messerschmidt meinte (s. o.) – der flachen, glatten Seite des Griffels, herrührt. Ein Beispiel hierfür ist der obere Rand von K.45 (CT 40 Taf. 1–4), ein neubabylonischer Omentext aus der sogenannten Bibliothek Assurbanipals; ein weiteres Exempel ist der obere Rand von BM 45634 (CT 41 Taf. 42), ein spätbabylonischer Kom Roche-Hawley (2012) 128 f.  Zur Herstellung der Tontafeln ausführlich und detaillierter mit Beispielen und Abbildungen vgl. Taylor (2011) 11 f. und Taylor/Cartwright (2011) 291–294. Auf gefaltete Tonlagen wird in der Fachliteratur auch an anderer Stelle verwiesen, vgl. zum Beispiel Ludwig (2009) 9.  Vgl. für eine Bearbeitung Verderame (2002) 106–108.  Vgl. Sallaberger (1996) 10–12 mit Edition und Diskussion der entsprechenden Textpassagen und Civil (1998). S. auch Crisostomo (2016).  Taylor (2011) 12 und Civil (1998).  Antrittsvorlesung von Prof Dr. Joachim Marzahn anlässlich der Verleihung der Honorarprofessur am 16.01.2013 an der Freien Universität, Berlin.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

mentartext (s. Tafel 6a und 6b). Andere Tafeln bzw. deren Oberflächen wurden möglicherweise mit den Fingern oder einem Tuch glattgestrichen. Tonüberzug Einige Tafeln sollen einen Tonüberzug aufweisen, was insbesondere bei mittelassyrischen und neubabylonischen wissenschaftlich-literarischen Texten vorkommen soll.187 Bei der Feststellung eines solchen Überzugs ist nach Carmen Gütschow, einer Restauratorin, jedoch Vorsicht angebracht: Bei weißlich gebrannten Scherben mit einem roten Kern – so der Fall vieler wissenschaftlich-literarischer Texte mittelassyrischer Zeit – kann dies auch das Resultat von salzhaltigen Anmachwassern sein, so dass es sich gar nicht um einen Überzug handelt.188 Die neuassyrischen Privatrechtsurkunden, insbesondere die Erwerbsurkunden, wurden zur Verfeinerung mit Tonschlicker, einer Ton-Wasser-Mischung überzogen.189 Eine Art ‚Haut‘ bei einigen Tontafeln könnte nach Julian E. Reade möglicherweise auf Vorgänge wie Ölen in der Antike verweisen.190 Brennen der Tafeln Äußerst selten wurden Tontafeln in der Antike gebrannt, d. h. sie waren in der Regel ungebrannt.191 Möglicherweise hängt dies damit zusammen, dass beim Brennen die Gefahr des Bruches besteht. Tafeln können auch sekundär ge-

 Taylor (2011) 12. Bei den neuassyrischen Tonprismen besteht die äußere Lage aus einem feineren Ton, erst diese Lage gab dem Prisma seine distinktive Form. Dies soll auch bei einigen Tafeln der Fall sein, vgl. Taylor (2011) 25 f. Für solcherart Tontafeln vgl. Taylor/Cartwright (2011) 300 Abb. 2 und Ryholt/Barjamovic (2019b) 18 Abb. 1.5.  Gütschow (2012) 42 f. Siehe auch Lambert (1965) 283. Für die hethitischen Texte spricht sich Waal gegen einen Überzug aus, vgl. Waal (2015) 40.  Radner (1997) 23.  Reade (2017) 172 f.  So bereits Messerschmidt (1906) 379 f. Bei ihrer Ankunft im British Museum waren die Tonzylinder, Prismen sowie die Tontafeln aus Ninive gebrannt, letztere jedoch vermutlich sekundär in der Antike. Die Tafeln aus Babylonien waren hingegen nur sonnengetrocknet, so Budge (1925) 148. Wie die Tontafeln zu reinigen und zu konservieren sind, musste erst herausgefunden werden, vgl. für den ersten Restaurator Robert Cooper Walpole Ready im British Museum Budge (1925) 147–157, vgl. für einen historischen Überblick der Behandlung von Tafeln und Tafelfragmente bis etwa 1980, Reade (2017) 180–196. Für Hinweise auf ursprünglich gebrannte Tafeln, vgl. Waal (2015) 41–43. Charpin gibt an, dass das Brennen von Tafeln Bibliothekstexten vorbehalten sein soll, vgl. Charpin (2010a) 71 f. Taylor meint, dass das Brennen nur von einer Handvoll neubabylonischer Kolophone und neubabylonischen Texten bekannt sei, vgl. Taylor (2011) 16. Die babylonischen, mittanischen, hethitischen und ugaritischen Tafeln des Amarna-Archivs wurden in der Antike gebrannt, vgl. Goren/Finkelstein/Naʾaman

1.2 Äußere Charakteristika

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brannt sein – bei einem in der Antike stattgefundenen Brand oder aus konservatorischen Gründen. Wenn sie bereits in der Antike gebrannt wurden, dann meist nicht intentionell. Objekte mit Königsinschriften wie Tonzylinder und Gründungstafeln konnten hingegen intentionell gebrannt sein. Durch Salzausblühungen etc. und das Brennen weisen die Tontafeln verschiedenste Farben auf, die nur bedingt Auskunft über den Ton geben.192 Wiederverwertung von Tafeln Teilweise wird der Ton nicht mehr benötigter Tafeln für neue wiederverwendet. Dies soll vor allem bei Schülertafeln vorkommen. Eine neuere Diskussion der Befunde zeigt, dass es womöglich ein Recycling gab, welches allerdings weder in großem Maßstab noch systematisch durchgeführt wurde. Ton war in Mesopotamien leicht verfügbar.193

1.2.2 Format der Tafel Edzard nennt die wesentlichen Kriterien zur Beschreibung des Formates: Der Ausdruck ‚Tafel‘ wird a potiori gebraucht. Die Oberfläche ist verschieden stark gewölbt (gewöhnlich die Rückseite stärker als die Vorderseite). Im Längsschnitt variiert die Tafel zwischen einer Scheibe, einer plankonvexen Platte und einer Linse. In der Aufsicht kann sie ein Rechteck (länglich oder breit) oder ein Quadrat bilden. Die Ecken sind nahezu rechteckig, leicht oder stark gerundet. Die Tafel kann auch ein Oval (stets länglich) oder einen Kreis bilden. Das Tafelformat war nicht nur zeitlich verschieden, sondern manchmal auch mit bestimmten Texttypen verknüpft, was archivalisch bedingt gewesen sein mag.194

Eine Tafel ist hochformatig, wenn sie parallel zur kürzeren Achse beschriftet ist. Querformatig ist eine Tafel, die parallel zur längeren Achse beschrieben ist. Die Tontafel wird zum Lesen meist von unten nach oben gewendet (nicht etwa wie die Seite eines Buches von rechts nach links), d. h. der rechte Seitenrand ist auf der Vorder- und Rückseite der rechte Seitenrand.195 Tafeln sind in verschie-

(2004) 319. Julian E. Reade behandelt die Frage, wie festgestellt werden kann, ob eine Tafel ursprünglich gebrannt war mit Angaben zur Sekundärliteratur, vgl. Reade (2017) 173–178.  Zur Restaurierung von Tontafeln und typischen Schadensbildern vgl. Gütschow (2012). Siehe auch Reade (2017) 167.  Taylor/Cartwright (2011) und s. auch Taylor (2011) 21–23 und Cartwright/Taylor (2011) 71. S. ferner Reade (2017) 170.  Edzard (1976–80) 565.  Für Ausnahmen vgl. die Angaben bei Taylor (2011) 14 f. Häufig sind solche Ausnahmen Schülertafeln wie z. B. die sogenannten Graeco-Babyloniaca, s. Kap. 4.4.3.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

denen Größenmaßen überliefert; sie können eine Seitenlänge von weniger als 2 cm bis hin zu 40 cm aufweisen und nur wenige Millimeter oder bis zu 8 cm dick sein.196 Trotz Angabe von Maßen in Texteditionen, ist es häufig nicht möglich zu erkennen, ob die jeweilige Tafel im Hochformat oder Querformat beschrieben ist. Als Breite (B.) bezeichne ich daher die Seite, zu der die Schrift parallel verläuft, die Höhe (H.) ist die andere Seite. Der Durchmesser (Dm.) ist die dickste Stelle der rechteckigen, gewölbten Tafel. Messerschmidt sieht in der Wölbung der Tafeloberfläche praktische Gründe. Kleinere Tafeln wurden in der Hand geformt, so dass beide Oberflächen gewölbt sind. Die Wölbung der Rückseite bei großen Tafeln wird für ihre Stabilität bei der Herstellung benötigt, wie Messerschmidt bei einigen Versuchen feststellte: Es zeigte sich, dass eine beiderseitig flach geformte Tafel bei der üblichen Dicke sich krumm bog, sobald man sie, z. B. beim Umwenden, von der Unterlage abhob. Erst als sie in der Mitte durch Auflage von Ton verstärkt worden war, wodurch die Oberfläche natürlich konvex wurde, behielt sie ihre Form bei.197

Waal und Eidem beschreiben das Format von Tafeln ausführlicher. Sie geben nicht nur die Maße an und ob die Tafeln hoch- oder querformatig sind, sondern auch die Wölbung (s. Kap. 1.1.3). Eidem geht auf die verschiedenen ‚Tafelstile‘ von altbabylonischen Briefen aus Tell Shemshāra/Šušarrā, Tell Leilan/Šehna (Šubat-Enlil) und Tell Hariri/Mari ein. Es existieren beispielsweise in Tell Shemshāra/Šušarrā zwei unterschiedliche Tafelformate für Briefe. Beide Briefsorten sind hochformatig. In der ersten Gruppe sind die Tafeln jedoch eher schmal, von gerundeter Form und die Rückseite ist viel stärker gewölbt als die Vorderseite. Bei der zweiten Gruppe handelt es sich um weniger stark gerundete Tafeln, die Vorderseite und die Rückseite sind eher flach und sie sind verhältnismäßig breit. Die Größe ist nicht festgelegt. Die erste Gruppe von Briefen kann Šamši-Adad und seinen Funktionären zugeordnet werden, die zweite Gruppe ist lokalen Ursprungs.198 Die hethitischen wissenschaftlich-literarischen Tafeln sind in etwa so groß wie ein DIN A4-Blatt und hochformatig. Die exakten Größen können je nach Zeit und Tafel variieren, sind aber in der jeweiligen Zeitperiode relativ gleich. Waal unterteilt die Tafeln in Typen, die sich aufgrund ihrer spezifischen Wölbung und der Gestaltung der Ränder unterscheiden. Bei dem am häufigsten vorkommenden Typ mit zwei und mehr Kolumnen ist die Vorderseite flach und die Rückseite stark gewölbt. Die Tafel ist in der Mitte über 5 cm dick, in der Mitte des linken und rechten Randes zwischen 3,0–3,5 cm und an beiden Enden etwa

 Taylor (2011) 8.  Messerschmidt (1906) 378. So auch Messerschmidt (1907) 54.  Eidem (2002).

1.2 Äußere Charakteristika

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1–1,5 cm dick. Die Kanten sind sehr gerade und eckig abgeschlossen.199 Bei einer statistischen Auswertung von Tafeln aus dem Eanna-Archiv aus dem 6. Jahrhundert kamen Michael Jursa und Reinhard Pirngruber zu dem Ergebnis, dass das Seitenverhältnis bei den hochformatigen Tafeln in etwa 3:2 (H.:B.) entspricht und dass das Seitenverhältnis der querformatigen Tafeln äußerst genau 3:4 ist. Bei der Herstellung der querformatigen Tafeln könnte nach Jursa und Pirngruber ein Messinstrument, und zwar eine Schnur mit Knoten in regelmäßigen Abständen, verwendet worden sein.200 Bei der Beschreibung des Tafelformats sind folglich die Maße, die Wölbung und die Gestaltung der Ränder zu berücksichtigen. Neben Breite, Höhe und Durchmesser einer Tafel ergeben das Verhältnis der Seiten zueinander, die Wölbung und der Randabschluss das charakteristische Äußere einer Tafel. Diese Aspekte werden – meiner Kenntnis nach – in der Fachliteratur in der Regel kaum berücksichtigt. Taylor geht auf den Zusammenhang zwischen spezifischen Textformaten, der jeweiligen Textgrößen und Textsorte ein: Generally speaking tablets fall into a limited number of groups, with the shape of a specific group reflecting the nature of the text, date and place of production. Tablet size usually depends on the quantity of text to be inscribed, but often a particular type of text will be more-or-less standard length, and thus tablets of more-or-less standard size.201

Demnach haben wir eine begrenzte Anzahl von Formattypen für verschiedene Texte.202 Der Formattyp ist abhängig von der Natur des Textes sowie der Zeit und dem Ort seiner Herstellung. Textsorten können ein standardisiertes Tafelformat

 Waal (2015) 20–34 mit Abbildungen.  Michael Jursa und Reinhard Pirngruber hielten einen Vortrag mit dem Titel „Diplomatics and Paleography of Neo- and Late Babylonian Archival Documents“ auf der Rencontre Assyriologique Internationale in Warschau 2014. Michael Jursa hat mir freundlicherweise die entsprechenden PowerPoint-Folien im September 2019 zukommen lassen. Die für die Seitenverhältnisse ausgewerteten Tafeln datieren von der Regierungszeit Nabonids bis zum zweiten Regierungsjahr Darius I.  Taylor (2011) 8.  Dessen ungeachtet gibt es auch Texte, die sich nicht aufgrund ihres Tafelformats einsortieren lassen wie z. B. die Tontafeln des Archivs des Idadda in Qaṭna/Tell Mischrife aus ca. dem 14. Jahrhundert. Bei den Texten handelt es sich um Briefe, Rechtsurkunden und überwiegend um Verwaltungstexte. Kein Zusammenhang soll zwischen den Größen, der Tafelausrichtung und der Textkategorie bestehen, vgl. Richter/Lange (2012) 13–15. Bei einer Gruppe von etwa 100 Texten aus der Ur III-Zeit konnte Mathilde Touillon-Ricci keinen Zusammenhang zwischen Format und Inhalt feststellen, die Länge des anzubringenden Textes soll vielmehr ausschlaggebend gewesen sein für die Wahl von Tafelformat und -größe, Touillon-Ricci (2019) 30–32.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

mit standardisierten Größen besitzen. Für bestimmte Textsorten ist eine Innentafel, die mit einem Tonumschlag versehen wurde, charakteristisch, z. B. Briefe und neuassyrische Obligationsurkunden (s. Kap. 3.2.2.1).203 Insbesondere bei Rechtsurkunden und Briefen sehen wir ein hohes Maß an Standardisierung. Dies betrifft sowohl Form und Größe wie auch das Layout, welches den Textaufbau widerspiegelt. Natürlich haben auch wissenschaftlich-literarische Texte ein charakteristisches Aussehen und Layout. Jedoch ist hier die Größe der Tafel abhängig von der jeweiligen Länge des Textes. Einige charakteristische Tafelformate Zahlreiche neuassyrische Alltagstexte sind in ihrer Form und in ihren Maßen standardisiert, z. B. neuassyrische Briefe und astrologische Reporte (für eine ausführliche Beschreibung vgl. Kap. 3.2.2.1).204 Neubabylonische (Kauf-)Urkunden des 6. und 5. Jahrhunderts sind im Hochformat beschrieben und weisen ein sogenanntes Ziegelformat auf. Die Oberfläche ist komplett flach bzw. eine Seite nur sehr leicht gewölbt. Sie sind verhältnismäßig dick, da sich Siegelungen am Rand befinden (vgl. Kap. 2.2: kunukku). BM 33064 hat eine Höhe von 10,7 cm, eine Breite von 7,5 cm und der größte Durchmesser beträgt 3,5 cm (Tafel 7). Die oben erwähnte Tafel VAT 227 (s. Kap. 1.2.1, s. u.) ist im Verhältnis dazu mit H. 22,5 cm x B. 8,5 cm x Dm. 3,2 cm wesentlich schmäler (Tafel 8). Die Erwerbsurkunde VAT 2963 (NRV 45 = VS V 3, s. u.) aus der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts weist kein Ziegelformat auf (Tafel 13). Ungeklärt ist, ob das Ziegelformat der (Kauf-)Urkunden zeit- oder ortsabhängig ist. Möglicherweise ist es auch abhängig von der jeweiligen Siegelpraxis. Neubabylonische Verpflichtungsscheine, Quittungen und Bescheinigungen des 6. Jahrhunderts sind kleinere kissenförmige Tafeln im Querformat, d. h. beide Seiten sind gewölbt, die Rückseite mehr als die Vorderseite und die Ecken können wie die Zipfel eines Kissens205 aussehen (s. Tafel 4; vgl. Kap. 2.2: giṭṭu und uʾiltu). Drei Beispiele aus dem Egibi-Archiv habe ich mir hierzu im British Museum angesehen. Der imittu-Verpflichtungsschein BM 30264 besitzt die Maße B. 5,84 cm, H. 4,4 cm und Dm. 2,6 cm, ein weiterer Verpflichtungsschein

 Vgl. zum Anbringen des Umschlags Taylor (2011) 19–21.  Die Bestimmung und nähere Beschreibung aller Formattypen des 1. Jahrtausends nach den eben beschriebenen Kriterien kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Ein solches ‚Lexikon‘ erfordert als Basis die Kenntnis einer großen Anzahl von Tafeln. Hierfür ist die Zusammenarbeit mit Kuratoren von Tontafelsammlungen und weiteren Forschern, die ein profundes Wissen zu einem jeweils spezifischen Textkorpus besitzen, nötig.  Die Kissenform entspricht einem britischen Kopfkissen und nicht der in Deutschland verbreiteten Form, persönliche Anmerkung Heather Baker 12.07.2019.

1.2 Äußere Charakteristika

51

(BM 30355) die Maße B. 5,7 cm, H. 3,95 cm und Dm. 2,24 cm und eine Quittung über Gerstenlieferung (BM 30797) die Maße B. 5,7 cm, H. 4,4 cm und Dm. 2,1 cm.206 Im Vorderasiatischen Museum habe ich mir 13 weitere Beispiele dieser Textsorte, die aus der Bibliothek N14 aus Babylon (s. Kap. 1.2.1) stammen, angesehen, die kleinste von ihnen (VAT 3057) hat die Maße B. 3,2 cm, H. 2,5 und Dm. 1,45 cm, die größte (VAT 2987) B. 6,2 cm, H. 4,7 cm und Dm. 2,5 cm. Im Durchschnitt waren die Tafeln zwischen 5 bis 6 cm breit und wiesen in etwa dieselben Maße wie die drei Egibi-Tafeln auf. Ab dem 5. Jahrhundert wurden Schuldscheine an den Rändern gesiegelt, so dass sie dicker wurden. (vgl. Kap. 2.2: kunukku) Ein weiteres Beispiel für ein charakteristisches Tafelformat ist eine Tafel mit einer synodischen Tabelle (VAT 209) aus dem 1. Jahrhundert. Die Tafel ist im Querformat und wirkt sehr länglich, sie besitzt die Maße B. 21,8 cm, H. 7 cm und Dm. 4 cm.207 Georg Reisner beschreibt das Tafelformat der von ihm publizierten Sumerisch-Babylonischen Hymnen, welche vermutlich aus Babylon stammen und ins 2./1. Jahrhundert datieren, und gibt (dazu) auch zwei Zeichnungen mit Umrissen an: Man kann zwei Hauptformen der Tafeln unterscheiden. Die eine (Nr. 1) ist die bekannte Form mit der gewölbten Rs.; sie ist bei unseren Tafeln zuweilen auffallend lang und schmal, und bei dünnen Exemplaren ist die Wölbung der Rs. nicht immer leicht zu erkennen. Bei der andern Hauptform (Nr. 2), die der Breite nach gar nicht gewölbt ist, ist die Rs. schmäler als die Vs., so dass der Rand von der Rs. zu der Vs. schräg nach aussen verläuft; die Kante der Vs. ist demnach schärfer als die der Rs.208

Fünf dieser länglichen hochformatigen Tafeln (bis zu 22,5 cm Höhe) aus dem 2./1. Jahrhundert – VAT 199, VAT 245, VAT 274, VAT 227 und VAT 246 (SBH Anhang I) – untersuchte ich im Vorderasiatischen Museum.209 Letztere gehört zu Typ 2. Auf Tafel 8 ist die Wölbung der Rückseite von VAT 227 zu sehen. Die äußere Gestalt weiterer wissenschaftlich-literarischer Texte aus der sogenannten Bibliothek Assurbanipals wird in Kapital 3.2.2.2 besprochen. Daher sei hier nur auf die Form der Ränder eingegangen.

 Vgl. die entsprechenden Texteditionen bei Wunsch (2000a) Bd. 2 Nrn. 105, 98 und 100.  Vgl. die Abbildung und den Katalogbeitrag in Marzahn/Schauerte (2008) 383 Abb. 286 und 388 Kat.nr. 401.  Reisner (1896) = SBH XIV.  Für die Maße vergleiche Reisner (1896) = SBH VI–X.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Waal beschreibt eine kleine Gruppe von hethitischen Texten wie folgt: […]; the edges are quite round and the obverse is also fairly spherical. At the top and the bottom of the tablet, however, there is a flattened semicircular segment on both sides. And the corners of the tablets are very lightly squeezed together.210

Eine ähnliche Gestaltung der Ränder der kürzeren Seite der Tafel ist auch bei einigen der von mir betrachteten Tafeln zu beobachten (s. u.). Die beiden kürzeren Ränder der Tafel sind intentional nach außen gewölbt, wobei der Übergang von der Tafeloberfläche zum Rand hin kantig in einer gerundeten Linie von einer Ecke zur anderen geformt ist. Bei der längeren Seite ist eine solche Form der Kante nicht zu bemerken. Die Form der Randgestaltung konnte ich bei im ‚Assurbanipal-Duktus‘ (vgl. Kap. 1.2.3) beschriebenen Tafeln beobachten. Dies tritt bei hochformatigen, mehrkolumnigen Tafeln wie K.61211 (Tafel 9) und K.71.b212 (Tafel 10) und einkolumnigen Tafeln wie DT.1213 (Tafel 11) und K.2811214 auf. Eine solche Gestaltung ist unabhängig von der jeweiligen Größe, egal ob es sich um ein Quer- oder ein Hochformat handelt. Die beiden kleineren querformatigen Tafeln K.116215 (Tafel 12) und K.1363 besitzen auch einen solchen Rand. Bei anderen wissenschaftlich-literarischen Texten im neuassyrischen Duktus ist ebenfalls eine solche Randgestaltung zu beobachten. Ein Beispiel dafür ist die aus Assur stammende Schülertafel VAT 10071 (BWL S. 31 Taf. 73).216 Diese Form des Randes kommt auch bei neuassyrischen Alltagstexten vor, wie die Obligationsurkunde K.318 (SAA 14 Nrn. 119 und 120) und die Erwerbsurkunde K.329 (SAA 14 Nr. 39) zeigen, wobei zu fragen ist, ob dies Einzelerscheinungen sind (Tafel 30, 31, 32, 33, 34, 35 und 36, s. Kap. 3.2.2.1). Auch wissenschaftliche Texte im neubabylonischen Duktus besitzen teilweise eine ähnliche Randgestaltung. Bei der Vorderseite der neubabylonischen Tafel K.45217 ist ein solcher eingezogener Rand zu beobachten. Dieser ist in sich jedoch nicht gleichmäßig gewölbt – zur Rückseite ist er schräg abfallend und bei der Tafeloberfläche der Rückseite ist kein eingezogener Rand zu erkennen.

 Waal (2015) 24.  BAM 578.  BAM 575.  CT 15 Taf. 50; BWL Taf. 31.  Für die Textedition vgl. Maul (1988) 236 ff. mit weiteren Angaben.  CT 39 Taf. 22.  Vgl. die Fotos, die sich bei der Gattungssuche Schultext auf folgender Seite finden lassen: [http://keil.uni-goettingen.de/gattung-serie-suche/] aufgerufen am 29.10.2019 um 14.29 Uhr.  Vgl. [http://cdli.ucla.edu/P237769] für ein Foto.

1.2 Äußere Charakteristika

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Bei den neuassyrischen Texten der sogenannten Bibliothek Assurbanipals sind die Ränder der längeren Seite zur Mitte hin einfallend – die Tafeln wirken leicht tailliert. Dies fiel mir nicht bei Tafeln aus dem sogenannten Haus des Beschwörungspriesters in Assur (s. Kap. 1.2.1) und bei den bereits oben erwähnten SBH-Texten auf. Wie die Erwerbsurkunde VAT 2963 (NRV 45 = VS V 3) aus Babylon zeigt, können die Ränder bei der Tafelmitte nach außen gewölbt sein; die Tafel wirkt somit bauchig (s. Tafel 13).

1.2.3 Paläografie Die Paläografie ist eine historische Hilfswissenschaft, die aus der Diplomatik (vgl. Kap. 1.1.3) entstanden ist. Nach Meyers Großem Konversations-Lexikon von 1906 ist sie: […], die Kunde der von verschiedenen Schriftarten des Altertums und Mittelalters, die das Verständnis der alten Handschriften, Urkunden und sonstigen geschriebenen Denkmäler eröffnet. Sie zieht sowohl das Material als die Form der Schrift in Betracht und gibt Anleitung, nicht nur alte Schriften zu lesen, sondern sie auch bis zu ihrer Entstehung hinauf zu verfolgen und die Veränderungen und Umbildungen, die ein und dieselbe Schrift erlitten, kennen zu lernen.218

Die Paläografie wird in der Alten Geschichte von der Epigrafik, ebenfalls eine historische Hilfswissenschaft, getrennt, welche sich mit Inschriften in Stein etc. beschäftigt. In der Altorientalistik gibt es eine solche Unterscheidung bisher nicht. Die Paläografie in der Altorientalistik beschäftigt sich mit der Form der Schrift unabhängig von dem jeweils verwendeten Beschreibstoff. Bei der Keilschrift werden dem Beschreibstoff in der Regel Vertiefungen beigefügt. Der Großteil der Keilschrifttexte wurde in Handschrift auf Ton geschrieben. Die einzelnen Keile wurden in den noch feuchten Ton eingedrückt. Demnach stellt die Keilschrift meist eine Druck-Handschrift dar. Eine vollständige Paläografie der Keilschrift ist ein Desiderat. Zeitlich und regional unterscheiden sich der Duktus und die verwendeten Zeichenformen. Es werden zwar Duktus wie Neuassyrisch, Mittelassyrisch und Neubabylonisch unterschieden, jedoch ist diese Einteilung grob, da die Begriffe Zeitperioden von mehreren Jahrhunderten umfassen (s. u.).219 Besonders einheitlich sind der Duktus und die Zeichenformen in der neuassyrischen Zeit. Häufig werden für paläografische Studien die Zeichenformen herangezogen und der jeweilige

 Meyers Großes Konversations-Lexikon Bd. 15 (19066) 315.  Edzard (1976–80) 555–557.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Duktus vernachlässigt. Dies hängt sicherlich auch mit den zugänglichen Darstellungsarten zusammen (s. Kap. 1.1.2). Schriftzeichen Keilschriftzeichen bestehen aus 1 + n Keilen: horizontalen, waagerechten, diagonalen und dem sogenannten Winkelhaken. In welchen Winkeln die Keile gesetzt sind und aus wie vielen Keilen ein Zeichen besteht, ist abhängig vom jeweiligen Zeichen, der verwendeten Schriftart, der Zeit und der Region. Bestimmte Texte können aufgrund der verwendeten Zeichenart zeitlich und regional einsortiert werden. Auch wegen des verwendeten Syllabars – der Zeichenwerte – ist dies festzustellen. Den letzten Versuch, einen vollständigen Überblick über die sumerisch-akkadischen Keilschriftzeichen zu bieten, ist Charles Fosseys „Manuel Epigraphie d’Assyriologie“ (Paris 1926) mit der Wiedergabe von mehr als 35000 Zeichen(varianten). Hierauf stützt sich das übersichtlichere Werk von René Labat „Manuel d’Epigraphie Akkadienne“, das in mehreren Auflagen vorliegt. Die letzten beiden Auflagen (1976 und 1988) wurden von seiner Tochter Florence Malbran-Labat überarbeitet. Die einzelnen Schriftstufen werden in diesem Buch in Sprünge von mehreren Jahrhunderten eingeteilt. Die ältesten Zeichenformen (‚piktografisches Sumerisch‘)220 werden unterteilt in Uruk-zeitlich (hier ist unklar, ob die Schrift das Sumerische wiedergibt), Djemdet-Nasr-zeitlich und archaisches Ur. Anschließend kommt das Klassische Sumerisch. Dem folgt das Akkadische, wobei die Schriftstufen für das Assyrische (Altassyrisch, Mittelassyrisch und Neuassyrisch) und das Babylonische (Altbabylonisch, Mittelbabylonisch und Neubabylonisch) wiedergegeben werden (vgl. Abb. 1). Im paläografischen Teil des „Mesopotamischen Zeichenlexikons“ von 2010 (MZL2) stützt sich Rykele Borger auf Fossey. Daneben existieren für verschiedene Perioden (und teilweise Orte) separate Zeichenlisten. Die Zeichen sind in Umzeichnung wiedergegeben und insbesondere ältere Zeichenlisten basieren nicht auf Originalen, sondern auf Autografien – mit den besprochenen Schwierigkeiten (s. Kap. 1.1.2),221 in jüngerer Zeit werden mitunter auch Fotografien abgebildet.222  Labat (1988) 40.  So Edzard für einen Großteil der Zeichenlisten (Stand: 1978). Er kritisiert ferner, dass die für eine Zeichenliste verwendeten Tontafeln meist unterschiedlicher Herkunft sind, s. Edzard (1976–80) 557.  Für eine Zusammenstellung von Zeichenlisten vgl. Edzard (1976–80) 555–559 und MZL2 = Borger (2010) 624–626. Interessant ist für das zweite und erste Jahrtausend auch „The Cuneiform Digital Paleography Project“ von „A Joint Interdisciplinary Project at The University of Birming-

1.2 Äußere Charakteristika

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Abb. 1: Das Schriftzeichen TUR vom 4. Jahrtausend bis einschließlich dem 1. Jahrtausend wie dargestellt in Labat (1988) 100.

Mit Hilfe der Zeichenformen ist es möglich Texte paläografisch zu datieren und einen Herkunftsort zu bestimmen. Bei der Erstellung von Zeichenlisten ist es sinnvoll, genau datierte Texte desselben Archivs und derselben Textsorte bzw. Textgruppe zu verwenden. Davon ausgehend können die dort erstellten Listen mit anderen Listen verglichen werden. So ist es dann möglich, die Zeichenformen dieser Listen mit Schriftzeichen von Tafeln bzw. Tafelfragmenten derselben Textsorte bzw. Textgruppe, die nicht datiert sind und deren Herkunft unbekannt ist, zu vergleichen.223

ham and The British Museum“. ([http://www.cdp.bham.ac.uk/] aufgerufen am 10.11.2012 um 14.00 Uhr). Das Kernstück ist die Datenbank mit Fotos von einzelnen Zeichen aus unterschiedlichen Zeitperioden; sie ermöglichen einen besseren Eindruck des ‚realen‘ Aussehens der einzelnen Zeichen. Darüber hinaus befinden sich auf der Webseite auch noch weitere Literaturhinweise. Leider ist die Webseite inzwischen, 29.10.2019 um 15.27 Uhr, nicht mehr aufrufbar. Für das Projekt vgl. jedoch Wooley et al. (2002). Bei LaBaSi „Late Babylonian Signs“ lassen sich Fotografien von babylonischen Zeichen des 7. Jahrhunderts bis einschließlich des 1. Jahrhunderts finden ([https://labasi.acdh.oeaw.ac.at] aufgerufen am 13.01.2020 um 13.41 Uhr). Vgl. für eine Beschreibung und Anwendung von LaBaSi Pirngruber (2019). Verweise auf und Zeichenlisten für das 2. Jahrtausend finden sich auch bei Homan (2020) 1–9, Appendix G–K und passim; der Schwerpunkt liegt auf der Mittani Paläografie. Für Zeichenlisten insbesondere des dritten und vierten Jahrtausends, größtenteils auch digital vorliegend s. die CDLI ([http://cdli.ox.ac.uk/wiki/sign_lists] aufgerufen am 29.10.2019 um 15.35 Uhr). Siehe zu solcherart Zeichenlisten auch Bramanti (2019) 2–4. Für die Zeichenlisten, die im 19. Jahrhundert n. Chr. erstellt wurden, vgl. Cancik-Kirschbaum/Chambon (2014) 32–36.  Markham J. Geller wählte die sogenannten astronomischen Tagebücher von 651 bis 87 v. Chr. für eine kleinere Untersuchung der Paläografie aus; diese Tafeln stellten einen geeigneten Untersuchungsgegenstand für ihn dar, da sie nicht abgeschrieben worden sind – also keine ältere Paläografie nachahmen – und exakt datiert sind. Er betrachtete die Zeichenformen, vgl. Geller (2003). Helmut Freydank betonte die Schwierigkeiten beim Erstellen einer Zeichen-

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Schreibtechnik Der Schreibtechnik wurde häufig wenig Beachtung geschenkt. So bemerkt Robert D. Biggs: A proper paleographic study would include the description of several technical points such as the angle of wedges (here I mean not the angle between different wedges in a sign, but rather how the impression was made), the evidence for kind and shape of stylus, perhaps even evidence for how it was held, and, of course, it would also require detailed analysis and description of each text in terms of such characteristics as size of writing, inclination of signs, distance between lines, relation of signs to rulings (e.g., do they ‚hang‘ from the ruling above them), use of ligatures, use of optional signs, etc. Another feature that might prove useful in delimiting regional and temporal practices is the sequence in which the various wedges in a sign were written (only possible to see, of course, by using the original tablet or a cast).224

Paläografische Studien sollen nach Biggs die Schreibtechnik und den Duktus (s. u.), der durch ebendiese Schreibtechnik geprägt ist, berücksichtigen. Solche paläografischen Studien rücken die Materialität des beschriebenen Objektes in den Vordergrund. Das epistemische Modell der Autografie (und teilweise auch die Fotografie) ist hierfür häufig nicht aussagekräftig. Falls vorhanden, wird z. B. die Linierung, die nicht unmittelbar der Textgliederung dient, in den Autografien teilweise nicht angegeben. Die Linierung wurde vor bzw. während dem Beschriften der Tafel angebracht. Mir sind drei verschiedene Arten von Linierung bekannt: 1.) die Köpfe der vertikalen Keile hängen‚ wie an einer ‚Wäscheleine‘; 2.) die Schriftzeichen sind auf die Linie geschrieben (die Linie befindet sich in etwa mittig der Zeile) und 3.) die Zeichen stehen auf der Linie. Die Linien können stark eingedrückt und gut sichtbar oder nur schwach vorgezeichnet sein. Die Linierung ist als ein Grenzfall zwischen Layout und Paläografie zu werten. Horizontale und vertikale Linien, die den Text gliedern, gehören auch zum Layout eines Textes (s. Kap. 1.2.4). Die Schreibtechnik, insbesondere wie die Keile eingedrückt worden sind und welche Winkel sie besaßen, wurde von Messerschmidt beschrieben. Ein Schriftzeichen besteht aus einem oder mehreren keilförmigen Eindrücken – den einzelnen Keilen. Wie Messerschmidt anhand eingehender Untersuchungen von Tontafeln verschiedener Zeitperioden und diverser Schreibversuche

liste, in diesem Fall der mittelassyrischen, und arbeitete eine Methodik heraus. Auch er sah als Basis eine geschlossene datierte Textgruppe an. Die Fülle des Materials machte es notwendig, für die Zeichenliste repräsentative Zeichenvarianten auszuwählen, vgl. Freydank (2010). Für eine Feinjustierung der Paläografie der Ur III-Zeit schlägt Touillon-Ricci vor, die Verwendung von ähnlich strukturierten Zeichen und von Zeichen, die die gleiche Keilgruppe besitzen, zu untersuchen, Touillon-Ricci (2019).  Biggs (1973) 40.

1.2 Äußere Charakteristika

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aufzeigen konnte, wurde für diese Eindrücke in der Regel ein längs gespaltenes bzw. geschnittenes Schilfrohr verwendet.225 Nach Michele Cammarosano handelt es sich bei der verwendeten Pflanze um Arundo donax (Pfahlrohr), das mehrere Meter hoch wachsen und einen Durchmesser von bis zu 3,5 cm besitzen kann.226 Der Griffel wird beim Beschriften stets so gehalten, so dass rechts die glatte Seite der Oberfläche des Rohrs und links die faserige Innenseite des Rohrs liegen. Dies wird bei näherer Betrachtung der tetraederförmigen Eindrücke deutlich. Die Ecke des Griffels wird eingedrückt und bildet so den tetraederförmigen Teil des einzelnen Keils (s. Tafel 14a). Je stärker der Griffel eingedrückt wird, desto größer ist dieses Tetraeder. Durch das Senken des Griffels wird die Kante des Griffels, die sich der Ecke anschließt, eingedrückt – damit entsteht die Linie des einzelnen Keils. Je weiter der Griffel ‚heruntergezogen‘ wird, desto länger wird diese Linie. So werden übrigens auch die bereits erwähnten horizontalen Linien angebracht. Wenn die Ecke beim Eindrücken stärker nach rechts – zur glatten Außenseite des Rohrs – geneigt ist, erscheint der Keil breiter, ansonsten spitzer.227 Zudem beeinflusst der Winkel des Griffels zur Tafel während des Eindrückens des Keilkopfes dessen Gestalt.228 Durch Schreibversuche fand Marzahn heraus, dass der Schreibgriffel in der Regel 7 bis 10 cm lang ist. Nicht alle keilförmigen Eindrücke lassen die Kapillare des Schilfrohres erkennen. Dies legt nach Marzahn nahe, dass auch andere Materialien wie Edelmetall für Griffel verwendet wurden.229 Schriftliche Quellen bestätigen den Befund.230 Marvin A. Powell bestätigte Messerschmidts Untersuchungen. Das Schriftgerät änderte beim Schreiben seine Lage in der Hand nicht. Im Gegensatz zum Schreiben der lateinischen Alphabetschrift bewegt sich beim Keilschriftschrei-

 Messerschmidt (1906) 185–190 und passim sowie Messerschmidt (1907) 1–10 und passim. Für seine Schreibversuche verwendete er einen Griffel, der aus einem Bambusrohr hergestellt wurde, der einen Durchmesser von 12 cm hatte. Seines Erachtens wäre bei einem geringeren Durchmesser die Krümmung bei den Keileindrücken sichtbar, Messerschmidt (1906) 304 und Messerschmidt (1907) 24 f.  Cammarosano (2014) 67 f.  Messerschmidt (1906) 195 f. und 304–309 sowie Messerschmidt (1907) 21–33. Siehe auch Cammarosano (2014) 77–84.  Bramanti (2015) 5.  Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Joachim Marzahn anlässlich der Verleihung der Honorarprofessur am 16.01.2013 an der Freien Universität, Berlin. So auch für die hethitische Schreibtradition Cammarosano et al. (2014) 11 und Cammarosano (2014) 72 f. Cammarosano spricht sich für einen Schreibgriffel mit der Länge 3–5 cm aus, ebd. 74. Möglicherweise unterscheidet sich die Länge des verwendeten Griffels abhängig von Zeit, Ort und Vorlieben des Schreibers.  Vgl. Volk (2009–11) 280–282.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

ben das Handgelenk, zumindest der schreibenden, rechten Hand – in der anderen Hand wird die Tafel gehalten –, um die Keile in unterschiedlichen Winkeln auf die Tafel anbringen zu können.231 Neben der Handhaltung hat die verwendete Griffelform Einfluss auf das Erscheinungsbild des Keils. Durch die Bestimmung der Größe des Winkels des Griffeleindrucks geht Messerschmidt von (mindestens) fünf verschiedenen Griffelformen aus, die sich in ihrem Winkel von der glatten zur faserigen Seite unterscheiden. Den verschiedenen Winkeln der Griffeleindrücke ordnet Messerschmidt verschiedenförmige Keile zu (s. Tafel 14b). Messerschmidts Begriffe für verschiedene Zeitperioden entsprechen nicht den heute verwendeten. Besonders spitz waren die Keile Ende des 4. Jahrtausends (s. Tafel 14b: I), so dass die Linie beinahe wie gezeichnet wirkt.232 Nach Falkenstein ist der Kantenwinkel bei den Keilen mit den frühesten Schriftzeichen (Schriftstufe Uruk IV) etwas weniger als 10 Grad.233 Im Verlauf der Geschichte werden die Keile breiter. Messerschmidt unterscheidet weiter Keile der ‚altbabylonischen Zeit‘ (s. Tafel 14b: II). Er verweist hierfür auf François Thureau-Dangin, „Recueil de Tablettes Chaldéennes“ (Paris 1903) der „Deuxième Série“. Die dort als Autografien abgebildeten Tafeln haben stets abgerundete Ecken, stammen aus Tello/Girsu und datieren altsumerisch. Als Keilform III führt Messerschmidt die Keile der Tello-Tafeln an. Möglicherweise meint er hiermit Ur III- bzw. Gudea-zeitliche Texte. Weiter nennt er Keile der Tafeln der ‚Hammurabi-Zeit‘(s. Tafel 14b: IV).234 Hiermit bezeichnet Messerschmidt wohl die alt- und mittelbabylonische Periode, da er Tafeln aus Tell El-Amarna – als Beispiel wird VAT 335 (EA 254) gegeben –235 und den altbabylonische Zylinder VA 2596 in diese Zeit datiert.236 Als letzte Form nennt Messerschmidt Keile der neuassyrischen Texte (s. Tafel 14b: V).237 Die Größe des Winkels der

 Powell (1981) 425–431 mit einigen Abbildungen. S. auch Messerschmidt (1906) 305 f. sowie Messerschmidt (1907) 26–28.  Messerschmidt (1906) 192–195 und Messerschmidt (1907) 12–19.  Falkenstein (1936) 5–7. Auch Marzahns Untersuchungen bestätigen, dass die Schriftzeichen der Schriftstufe Uruk IV eingedrückt wurden. Er hatte bisher keine gut genug erhaltenen Tafeln der Schriftstufe V für eine Untersuchung vorliegen, so Marzahn in seiner Antrittsvorlesung anlässlich der Verleihung der Honorarprofessur am 16.01.2013 an der Freien Universität, Berlin.  Messerschmidt (1906) 193 und Messerschmidt (1907) 14.  Dies ist abhängig von der Interpretation folgenden Satzes: „Letztere Grösse konnte ich öfter bei Tafeln der Hammurabi-Zeit bei Tell-Amarna und bei neuassyrischen Tafeln beobachten.“ Messerschmidt (1906) 195 sowie Messerschmidt (1907) 19.  Messerschmidt (1906) 307 sowie Messerschmidt (1907) 29. Für die Edition von VA 2596 siehe Meissner (1893) Taf. 58 sowie Chambon/Robson (2011) 143–145.  Messerschmidt (1906) 193 und Messerschmidt (1907) 14.

1.2 Äußere Charakteristika

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Griffeleindrücke des Typs II beträgt 45 bis 60 Grad, der Typen III bis V hingegen 90 bis 95 Grad. Einen Winkel von 95 Grad haben besonders neuassyrische Keile und Keile der Tafeln aus Tell El-Amarna. Eindrücke neubabylonischer Zeit können zuweilen mit einem Winkel von 80 Grad ein wenig spitzer sein.238 In der Sargon-Zeit soll der Winkel zwischen 60 bis 75 Grad betragen.239 Massimo Maiocchis Untersuchungen ergaben für altakkadische Texte einen Winkel zwischen 70 und 90 Grad, wobei zu Beginn der Periode die Winkel am kleinsten waren.240 Bei den Texten aus Fara/Šurrupak beträgt der Kantenwinkel nach Anton Deimel 45 Grad.241 Sie lassen sich demnach Messerschmidts Keilform II zuordnen. Wie Messerschmidt ausführt ist in der Seitenansicht des Griffels die kürzere Seite im rechten Winkel zur längeren, jedoch kann die kürzere zuweilen auch leicht abgeschrägt sein.242 Walker bemerkt diesbezüglich: „Tablets form the Old Babylonian period (seventeenth century BC) have a very distinctive slanting script which comes from a stylus with a diagonally cut end, while the Assyrian library texts are written with a flat stylus.“243 Die verwendete Form und das verwendete Material des Griffels sind zeitlich, regional und womöglich von Textsorten und Schriftarten (s. u.) abhängig. Nach Taylor ist die jeweilige Reihenfolge, in welcher die Keile eines neuassyrischen Zeichens eingedrückt werden, festgelegt. Durch die Autopsie von Texten anderer Perioden konnte er zeigen, dass diese Abdrück-Sequenzen sich bis in die Mitte des zweiten Jahrtausends zurückverfolgen lassen, so dass er von einer standardisierten mesopotamischen Keilanordnung ausgeht, deren Ursprünge im 3. Jahrtausend zu finden sind.244 Die von mir betrachteten Tafeln babylonischer und assyrischer Herkunft des 1. Jahrtausends der Textgruppen wissenschaftlich-literarische Texte und Alltagstexte weisen eine Höhe des vertikalen Keils von 0,2 bis etwa 0,5 cm auf. Innerhalb eines Textes können, z. B. wenn der Platz knapp wird, die Zeichenhöhe und der eingenommene Platz in der Breite variieren. Bei der kissenfömigen neubabylonischen Tafel VAT 2987 (NRV 297) ist bspw. zu Beginn der Vorderseite die Schrift ca. 3,5 mm und am Ende der Vorderseite stellenweise noch 2 mm hoch.

 Messerschmidt (1906) 195 sowie (Messerschmidt (1907) 19–22.  Messerschmidt (1907) 20. Die Sargon-Zeit sieht er hier als etwa zeitgleich mit derjenigen Periode an, aus welcher seine Form II stammt.  Maiocchi (2015) 76.  Deimel (1932) 216.  Messerschmidt (1906) 305 und 307 f. sowie Messerschmidt (1907) 25 f. und 29 f.  Walker (1987a) 24.  Taylor (2015).

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Auf der Rückseite wird die Schrift wieder größer, um am Ende ca. 3,5 bis 4 mm groß zu sein. Ob die Schrift groß oder klein wirkt, hängt zudem davon ab, wie eng die Tafel beschrieben ist und wie breit der tetraederförmige Eindruck (s. o.) ist. Duktus Nicht nur die Zusammensetzung der einzelnen Zeichen, sondern der „Gesamteindruck der Schrift“ ist „paläographisch relevant“, wie Dietz-Otto Edzard ausführt: Neben der Einzelform der Zeichen ist aber der ‚Gesamteindruck‘ der Schrift paläographisch relevant. Wird eng oder weit geschrieben; bleiben die Zeichen isoliert, oder gehen sie ineinander über (ohne daß dabei Ligaturen entstehen); haben bestimmte senkrechte oder waagerechte ‚Keile‘ nur die vorgeschriebene Länge, oder werden sie ‚temperamentvoll‘ weit nach rechts und unten ausgezogen, so dass z. B. ein Senkrechter die nächsttiefere Zeile noch ganz durchschneidet? Stehen die Zeichen senkrecht, oder hat der Schreiber (oder gar eine ganze Schreibergeneration) eine Neigungstendenz?245

Dieser Gesamteindruck der Schrift wird in der Altorientalistik mit dem Begriff Duktus bezeichnet. Zwischen Zeichenform und Duktus ist zu unterscheiden, wie Mark Weeden betont: Here I keep the terms ‚ductus‘ and ‚sign-forms‘ separate, the ductus referring to such matters as the manner of impressing the signs on the clay, whether deep or light impressions, the sharpness of the stylus used, as inferrable from the impressions left by it, the size of the signs, especially the length of the leading uprights, the closeness of the script and other issues peripheral to the shape and structure of the sign itself. That it is virtually impossible to make extended and particular statements about the ductus of a tablet without seeing it in the flesh, must be self-evident. Only the broadest statements about the general shape of a tablet or the crowdedness of the script, for example, can be made on the basis of photographs. The word ‚ductus‘ is also frequently used in Hittitology as a term to describe the whole overall combination of sign-forms as they appear on a particular tablet, although it is rare that this is described in concrete terms, i. e. using percentages.246

Die ‚Laufweite‘ der einzelnen Zeichen, die Höhe und Breite der Keile (s. o.), die Größe der Abstände innerhalb des Zeichens, der Zeilenabstand, die oben erwähnte Linierung etc. prägen den Duktus. Genau wie die einzelnen Zeichenformen ist der Duktus zeitlich und regional unterschiedlich. Der Begriff Duktus kann einerseits eine spezifische Linienführung einer Schrift bezeichnen, z. B.

 Edzard (1976–80) 559.  Weeden (2012) 229.

1.2 Äußere Charakteristika

61

‚neuassyrischer Duktus‘ oder ‚hethitischer Duktus‘, andererseits die individuelle Art einer einzelnen Person zu schreiben, was in der Altorientalistik häufig als Schreiberhand bzw. Handschrift bezeichnet wird. Der jeweilige Duktus steht in engem Zusammenhang mit den verwendeten Zeichen. In der Regel wird ein Schriftduktus wie z. B. der neubabylonische Duktus mit den dazugehörigen Zeichen, hier den neubabylonischen, geschrieben, obwohl natürlich auch Mischformen denkbar sind. Mit genügend Erfahrung ist es möglich, einen Duktus, z. B. den spätbabylonischen, die ungefähre Zeit und Herkunft des Textes und womöglich die individuelle Schreiberhand zu identifizieren. Teilweise gelingt dies auch mit Hilfe einer Autografie oder einem Foto. In der Hethitologie sind die paläografischen Studien weit fortgeschritten. Eine Feinjustierung des hethitischen Duktus ist gelungen und Kriterien wurden ausformuliert, anhand derer die Texte datiert werden können. Der jeweilige Duktus weist bestimmte Charakteristika auf, z. B. beim Duktustyp Ia die sogenannte schwere Handschrift, wobei die Köpfe der senkrechten Keile nach rechts geneigt und breit sind. Die Einteilung in einen Duktustyp hängt hier jedoch im Wesentlichen von sogenannten Leitzeichen ab, d. h. Zeichen mit einer charakteristischen Form für einen Duktustyp. Dennoch ist der Gesamteindruck nicht zu vernachlässigen. Tafeln sollten nicht nur einzeln für sich bewertet werden, sondern im Vergleich zu anderen.247 Walter Sommerfeld beschreibt die Duktus der Akkade-Zeit und berücksichtigt hierbei nicht nur Leitzeichen, sondern das Gesamterscheinungsbild der Schrift. Ein spezifischer Dialekt diente nach Sommerfeld als Kanzlei- und Verkehrssprache in der Akkade-Zeit (zur Kanzleischrift s. u.).248 Die Schrift ist sehr uniform: Die Schrift dieser Epoche, die hinsichtlich Ästhetik und Detailgestaltung oft als das schönste und eleganteste Beispiel aus der langen Keilschriftgeschichte angesehen wird (vgl. z. B. Gelb OAIC S. 177), mit einem kalligraphisch vollendeten Duktus (vgl. z. B. IMGULA 3/1 S. 7 ff.) und mit normierten Formen, die einheitlich im gesamten Gebiet der Verschriftung verbreitet waren, muß hier als auffälliger Faktor genannt werden, ebenso die Einführung einer Schreibreform, deren genauer Zeitpunkt zwar noch nicht faßbar ist, die aber mittels einer Neukonzipierung der Orthographie die Möglichkeiten der Darstellung des Akkadischen gegenüber der präsargonischen Epoche verbesserte.249

 Vgl. hierzu weiter Starke (1985) 21–27 und Starke (1990) 590 f. Siehe auch Klinger (1996) 33–39. Für einen kurzen Abriss der Forschungsgeschichte zur hethitischen Paläografie vgl. Rüster/Wilhelm (2012) 59–64. Für eine neuere Arbeit zur hethitischen Paläografie s. auch Gordin (2015). Siehe zudem auch Cammarosano (2015) 170–175.  Sommerfeld (2003) 583–586.  Sommerfeld (2003) 583.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Sommerfeld unterscheidet drei verschiedene Schriftformen (Duktus I, Duktus II und Duktus III), die in jeweils unterschiedlichen Verwendungszusammenhängen stehen. Bei den einzelnen Zeichen bleibt die Grundform gleich, nur die Anzahl der verwendeten Keile pro Zeichen variiert. Dieses ‚Strichgemenge‘ ist äußerst kleinteilig, so dass bei Keilschriftkopien diese drei Schriften nicht auseinanderzuhalten sind.250 Duktus I ist „eine einfache Gebrauchsschrift für Notizen“.251 Duktus II ist sorgfältiger und wird für Archivdokumente gebraucht und Duktus III ist „eine aufwendige kalligraphische Schrift für besondere Anlässe“.252 Duktus III ist sehr präzise und detailliert, die Tafel sorgfältig aufgeteilt, die Abstände sind regelmäßig. Die einzelnen Zeichen besitzen zahlreiche Keile und sind äußerst filigran. Die Keile, die die Struktur der Zeichen bestimmten, sind tief eingedrückt. Duktus II ist die normale Form für schön geschriebene Tafeln, ohne allerdings die Detailliertheit von Duktus III zu erreichen. Duktus I weist stark vereinfachte Zeichenformen mit vergleichsweise wenigen Keilen auf und die Ausführung ist nicht so sorgfältig wie bei den anderen beiden Duktus.253 Bei den Texten aus Tutub im Dijala-Gebiet, die der Textgruppe der Alltagstexte zuzuordnen sind, wurden alle drei Duktus verwendet.254 Es ist schwierig, Kriterien zur Identifikation einer Schreiberhand bzw. die Handschrift einer Gruppe von Schreibern zu definieren. Eine solche Identifikation ist oft ein Akt des Erkennens mit Hilfe des geübten Auges. Beispielsweise erkennt Hermann Hunger bei einzelnen Texten anhand von Fotos individuelle Schreiberhände; die verwendeten Zeichenformen sind gleich. Jedoch neigt sich bei einigen Texten die Schrift stärker nach links etc.255 Die Schreiber verwenden die zeit- und ortsübliche Schriftart (s. u.), während sich der individuelle Duktus unterscheidet. Vorsicht ist bei der Feststellung von unterschiedlichen Duktus angebracht. Der Erhaltungszustand einer Tafel beeinflusst das Erscheinungsbild der Schrift stark. Ist die Tafel abgerieben, verändert sich aufgrund der Dreidimensionalität

 Sommerfeld (1999) 7–9.  Sommerfeld (1999) 13.  Sommerfeld (1999) 13.  Sommerfeld (1999) 7 f.  Sommerfeld (1999) 13–17.  Hunger (1976) 11. Für die Handschrift-Erkennung könnten nach Cammarosano auch 3DScans von Tontafeln ausgewertet werden. Die Keilform auf einer Tafel wird durch den Griffel und die individuelle Schreibtechnik des Schreibers hervorgebracht. Der Keilkopf erscheint mehr oder weniger symmetrisch. Die Analyse dieser Symmetrie könnte möglicherweise erlauben, Handschriften zu erkennen. Des Weiteren könnten die geometrischen Verhältnisse der einzelnen Elemente von Keilschriftzeichen oder auch der Zeichen zueinander betrachtet werden, Cammarosano (2015) 162–164. Zu letzterem Ansatz vgl. auch Müller (2014).

1.2 Äußere Charakteristika

63

der Schrift die Erscheinung des Duktus. Außerdem sind der Reinigungszustand und die Art der Konservierung zu berücksichtigen.256 Schriftarten In der oben angeführten Definition ist die Paläografie die Kunde verschiedener Schriftarten. Ein Beispiel einer Schreibschriftart der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert ist die Sütterlin-Schrift, die eine spezielle Form der deutschen Kurrentschrift darstellt. In der Typografie ist eine Schriftart ein grafisch gestalteter Zeichensatz wie zum Beispiel die Frakturschrift Schwabacher. Ein Drucker besaß von einer Schrift einen Schrifttypensatz: in Metall gegossene Lettern. In gängigen Textverarbeitungsprogrammen am Computer werden Schriftarten als Fonts angeboten. Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass es bei der Keilschrift verschiedene Schriftarten gab. Eine Schriftart der Keilschrift ist ein grafischer gestalteter Zeichensatz. Die äußere Form der Zeichen ist neben ihrer jeweils spezifischen Zusammensetzung aus 1 + n Keilen durch das verwendete Schreibinstrument geprägt (s. o.). In der Altorientalistik wird häufig anstelle von Schriftart der Begriff Duktus gebraucht, der allerdings ein breites Bedeutungsspektrum aufweist (s. o.). Schriftarten sind nicht gleichzusetzen mit Schreiberhänden. Die individuelle Handschrift basiert jedoch stets auf einer Schriftart (s. o.). Innerhalb der Assyriologie wird zwischen Schriftarten unterschieden, die zeitlich und regional in Babylonien und Assyrien vorherrschten (s. o.). Im „Mesopotamischen Zeichenlexikon“ wird zwischen altbabylonischen, mittelbabylonischen, neu- und spätbabylonischen Schriftarten sowie altassyrischen, mittelassyrischen und neuassyrischen Zeichenformen unterschieden.257 Ein Beispiel der neuassyrischen Schrift ist die Obligationsurkunde K.318 (SAA 14 Nrn. 119 und 120). Die Höhe der vertikalen Keile des Umschlages und der Innentafel ist ca. 0,35 cm (s. Tafel 15). Der etwa zeitgleiche neubabylonische Duktus unterscheidet sich vom neuassyrischen. Beispiele sind K.2895 (CT 41 Taf. 25), ein neubabylonischer Kommentartext zu Šumma ālu (s. Tafel 16), und BM 99020 (SAA 18 Nr. 7) ein Brief des Kronprinzen (s. Tafel 17). Bei K.2895 sind die vertikalen Keile bis zu 0,35 cm groß und bei BM 99020 zwischen 0,4 und 0,5 cm. Die Keile der neubabylonischen Texte wirken länglicher als die neuassyrischen; die Ecke des Griffels ist weniger stark eingedrückt bzw. es wurde eine andere Griffelform verwendet. Dadurch sind die Tetraeder der Keile weniger breit und insgesamt kleiner und die Linie des Keils ist länger. Einige Zeichen wie NI, bei dem der obere waagrechte Keil im Neubabylonischen schräg gesetzt wird, unterschei-

 Für diesen Hinweis danke ich Olof Pedersén, November 2012.  MZL2 = Borger (2010) 624 f.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

den sich von den neuassyrischen Zeichen und dienen als Leitzeichen. Die Schrift wirkt insgesamt ‚zierlicher‘ als der neuassyrische Duktus. Teilweise können die Zeichen ‚spinnenbeinartig‘ aussehen. Diese Beschreibung der neubabylonischen Schrift trifft im Wesentlichen auch auf andere neubabylonische Texte des 1. Jahrtausends zu. Insbesondere spätere babylonische Texte, z. B. aus seleukidischer und arsakidischer Zeit, können eine starke Neigung der Schrift besitzen und die horizontalen Keile einiger Zeichen können – wie schon bei NI beobachtet – schräg sein. Weiter wird zwischen Gebrauchsschrift und der zeitgleich verwendeten Prunk- bzw. Monumentalschrift differenziert.258 Die Monumentalschrift benützt häufig Zeichenformen einer älteren Gebrauchsschrift. Im Kodex Hammurabi werden Zeichenformen vom Ende des 3. Jahrtausends verwendet, die sich deutlich von denjenigen der zeitgleich benutzten altbabylonischen Gebrauchsschrift abheben. In der altakkadischen Zeit sind sich Monumentalschrift und Gebrauchsschrift ähnlich, unterscheiden sich jedoch in der Detailliertheit der Zeichenformen (für ihre Unterschiede und ihren Verwendungskontext s. o.). In neuassyrischer Zeit ist nach Edzard nahezu kein Unterschied zwischen beiden festzustellen.259 Maul hingegen spricht von einer neuassyrischen Monumentalschrift.260 Er verwendet neben dem Wort Monumentalschrift auch das Wort Steinschrift, womöglich aufgrund des seiner Meinung nach bevorzugten Beschreibstoffs für diese Schriftart.261 Teilweise wird auch in späterer Zeit auf die altbabylonische Monumentalschrift zurückgegriffen wie beispielsweise bei den Inschriften Nebukadnezars II.262 Seltener bedient man sich auch bei neuassyrischen Stelen einer solchen Art archaisierenden Keilschrift. Die Gebrauchsschrift der altassyrischen, altbabylonischen, mittelbabylonischen Zeit sowie neu- und spätbabylonischen Zeit wird als Kursive bzw. als Kursivschrift bezeichnet.263 Der Begriff Kursive bzw. Kursivschrift ist ursprünglich eine Bezeichnung für bestimmte lineare Alphabetschriften. Nach Meyers Großem Konversations-Lexikon von 1905 ist die: Kursivschrift, die liegende, in sich verbundene Schrift in alten Manuskripten; in der Buchdruckerei die schräg von der Linken zur Rechten liegende lateinische Schrift (franz. Ita-

 Edzard (1976–80) 559 f.  Edzard (1976–80) 559 f.  Maul (2012) 96 f.  Maul (2012) 96 und 98.  Für Angaben zu einigen Beispielen vgl. Maul (2012) 83. Für solcherart Inschriften Nabonids, vgl. Schaudig (2001) 81 f.  Vgl. zum Beispiel MZL2 = Borger (2010) 624 f. Für die Bezeichnung der hethitischen Gebrauchsschrift als Kursivschrift s. Cammarosano (2015) 167–170.

1.2 Äußere Charakteristika

65

lique, engl. Italics) zum Unterschied von der aufrecht stehenden Antiqua (s. d.) so genannt, wurde zuerst 1501 von Aldus Mantius in Venedig beim Druck des Vergil angewandt.264

Bei den in der Altorientalistik bezeichneten Kursivschriften stehen die Keile der einzelnen Zeichen eng beieinander. Teilweise können bestimmte Zeichen nicht oder nur schwer voneinander unterschieden werden. Die Schrift kann sich entweder nach links oder nach rechts neigen.265 Die Neigung der Schrift muss nicht im ganzen Text durchgehend gleich sein, wofür die neubabylonische kissenförmige Tafel VAT 3057 (NRV 13) ein Beispiel ist. Am Anfang der Vorderseite stehen die vertikalen Keile gerade, um dann zunehmend schräger zu werden. Die Kursivschriften werden für Alltagstexte gebraucht, so dass die entsprechenden Texte teilweise sehr schnell geschrieben wurden und das Schriftbild flüchtig wirkt. Maul wendet den Begriff Kanzleischrift für wissenschaftlich-literarische Texte an: „Die Tontafelfassungen des ‚Kodex‘ waren – gewiß um der besseren Lesbarkeit willen – so gut wie immer in der jeweiligen zeitgenössischen Kanzleischrift verfasst.“ Die Zeilenumbrüche und die Grafien der altbabylonischen Stele wurden allerdings beibehalten.266 Da Maul in seinem Artikel auch die Monumentalschrift (s. o.) erwähnt, ist davon auszugehen, dass er mit Kanzleischrift die zeitgenössische Gebrauchsschrift meint. Selz benutzt den Ausdruck folgendermaßen: „In German one would designate documents not drawn up für long-term filing as ‚Kanzleischriftgut‘ or ‚Registraturschriftgut‘“.267 Bei der Verwendung des Begriffs Kanzleischrift ist demnach Vorsicht geboten. Je nach Autor hat der Begriff ‚Kanzleischrift‘ eine andere Bedeutung und stimmt nicht oder nur zum Teil mit den gängigen Definitionen überein. Nach Meyers Großem Konversations-Lexikon von 1905 ist eine Kanzleischrift eine „Schriftgattung (Deutsch) bei deren Zeichnung die geschriebene K.[anzleischrift] in edlen Formen nachgeahmt ist“.268 Nach dem Metzler Lexikon Sprache von 2010 ist Kanzleischrift die „Bez. für die in Kanzleien (mlat. cancelleria), den Beurkundungsstellen, von welt. Herrschern, Städten usw., angewandten kursiven oder kursiv beeinflussten Schriften für Urkunden und Aktenstücke.“269 Der Ausdruck Kanzleischrift impliziert folglich, dass die Texte offizielle Dokumente bzw. Urkunden waren, die von einer Art Beamten niedergeschrieben wurden. Die neuassyrische Schrift sowie das Erschei Meyers Großes Konversations-Lexikon Bd. 11 (19056) 870.  Nach Edzard ist die Rechtsneigung vor allem bei altassyrischen Tafeln aus Kaniš/Kültepe anzutreffen, Edzard (1976–1980) 559.  Maul (2012) 81.  Selz (2011b) 287 Fn. 8.  Meyers Großes Konversations-Lexikon Bd. 10 (19056) 583.  Enzensberger (2010).

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1 Phänomenologie der Tontafeln

nungsbild der neuassyrischen Alltagstexte sind sehr uniform.270 Die neuassyrische Schrift ist in weiten Teilen Vorderasiens verbreitet bzw. wurde wieder verbreitet (s. Kap. 4). Aufgrund der sich so manifestierenden Verwaltungsstruktur ist hier von einer Kanzleischrift zu sprechen. Dieses Maß an Einheitlichkeit ist jedoch nicht immer gegeben. Abhängig von der jeweiligen Regierungsform wurde folglich nicht in allen Perioden eine Kanzleischrift verwendet. Bei seinen Untersuchungen für das 3. Jahrtausend unterscheidet Biggs zwischen einer „book hand“ und einer „documentary hand“, die auch auf spätere Perioden – hierbei verweist er auf die altbabylonische und neubabylonische Periode – zutrifft.271 In der sogenannten Bibliothek des Assurbanipals wurde für wissenschaftlich-literarische Texte eine normierte Form der neuassyrischen Keilschrift verwendet, die ‚wie gedruckt‘ aussieht, der sogenannte Assurbanipal-Duktus. Die Zeichengröße beträgt durchschnittlich 0,2 bis 0,3 cm. Die Zeichen der einzelnen Zeilen überschneiden sich nicht, vgl. z. B. Tafel 18 und 19 mit jeweils einem Foto von K.65 (Šurpu Taf. 5 und 6) und K.2235 (CT 20 Taf. 39–42)272. Die Höhe der vertikalen Keile dieser Tafeln beträgt 0,25 bis 0,30 cm. Eine individuelle Hand kann nicht identifiziert werden. Der babylonische Duktus der Texte dieser Bibliothek ist womöglich auch charakteristisch.273 Das Schriftbild der normierten Schrift unterscheidet sich von anderen neuassyrischen Bibliothekstexten274 wie z. B. K.2164 (Bab. 6 S. 8–28 Taf. 1 und 2), eine Tafel des Nabû-zuqup-kēnu aus Kalḫu (s. Tafel 20). Das gesamte Erscheinungsbild der Tafel, d. h. auch die Schriftzeichen, ist anders als dasjenige der Bibliothekstexte der sogenannten Assurbanipal-Bibliothek in Ninive/Kujundschik. Die Zeichen sind mit 0,35 cm Höhe deutlich größer. Der Kolophon ist enger geschrieben als der restliche Text. Für die sogenannte Bibliothek Assurbanipals wurde die Existenz einer charakteristischen Schriftart festgestellt. Diese war normiert. Bei anderen Bibliothekstexten ist in der Regel zwar eine individuelle Handschrift festzustellen, jedoch sind auch diese in der Regel sehr sorgfältig geschrieben. Teilweise sind neubabylonische und altbabylonische wissenschaftlich-literarische Texte ihrem Erscheinungsbild nach kaum auseinanderzuhalten. Zu fragen ist, ob beim Kopieren der sogenannten Traditionstexte nicht gelegentlich das Schriftbild der Vorlage imitiert wird.275 Der aus Assur stammenden Omentext VAT 8611 (KAR 150)

     

So Radner (2011) 394 und passim. Biggs (1973) 41. Für die Textedition vgl. Koch (2005) 90 ff. Hinweis von Markham J. Geller im September 2011. Zum Begriff Bibliothekstext s. Kap. 3.1.1.2. Geller (2003) 68.

1.2 Äußere Charakteristika

67

ist eine Abschrift einer babylonischen Vorlage. Das Tafelformat und das verwendete Syllabar entsprechen demjenigen einer altbabylonischen Tafel. Die Paläografie ist jedoch mittelassyrisch.276 Auch bei bestimmten Alltagstexten wie Erwerbsurkunden ist eine sorgfältige Beschriftung zu bemerken. Bei anderen Alltagstexten wiederum wirkt das Schriftbild flüchtiger; die Zeichen können enger beieinander geschrieben und der Text daher schwieriger zu lesen sein. Neben den sorgfältig beschrifteten Bibliothekstexten können andere wissenschaftliche Texte wie Kommentartexte ein flüchtiges Schriftbild aufweisen. Das Schriftbild ist neben dem Inhalt abhängig von der jeweiligen (intendierten) Funktion. Es ist zwischen einer Monumentalschrift, einer Gebrauchsschrift und einer Bibliotheksschrift zu unterscheiden. Eine Unterscheidung von drei verschiedenen Schriftarten ist bereits für die Akkade-Zeit (s. o.) und altbabylonische Zeit (s. o.) möglich.277 Die verwendete Schrift ist abhängig von der Funktion und dem Inhalt des Textes. Zeitweise treten als Formen der Gebrauchsschrift Kursivund Kanzleischriften auf. Bei der Bibliothek Assurbanipal ist mit dem ‚Assurbanipal-Duktus‘ eine Normschrift belegt; eine solche Normierung ist jedoch nicht für andere Bibliotheksschriften bekannt. Neben der Verwendung von bestimmten Schriftarten für bestimmte Textgruppen ist es möglich, dass wie in Emar im 2. Jahrtausend von zwei sozialen Gruppen zwei verschiedene Schriftarten benutzt wurden, deren Gebrauch sich zumindest zeitweise überschneidet.278 Darüber hinaus dürfen Schriftreformen nicht vernachlässigt werden, bei denen übergangsweise Schriftarten parallel verwendet werden können.279 Archaisierende und pseudo-archaische Zeichen Verschiedene Schriftarten werden zeitgleich gelehrt und verwendet (s. o. und Kap. 2.2: miḫiṣtu). Ältere Zeichenformen in jüngeren Texten werden in der Forschungsliteratur wechselweise archaisierend, archaisch oder paläografisch genannt. Neben lexikalischen Listen kommen solche Zeichenformen z. B. in Monumentalinschriften und Kolophonen vor.280 Ob zwischen diesen Texten eine Verbindung besteht, ist noch ungeklärt.

 Heeßel (2011a) 376 f.  Sommerfeld (1999) 13.  Vgl. Cohen (2012) und Cohen (2016). Siehe zudem Démare-Lafont/Fleming (2015).  In altbabylonischer Zeit während der Herrschaft von Yahdun-Lim gab es beispielsweise in Mari eine solche Schriftreform, die sich nicht nur in der Paläografie, sondern auch im Tafelformat, dem verwendeten Syllabar etc. niederschlägt, vgl. Charpin (2012).  Für Beispiele aus dem 1. Jahrtausend vgl. Cancik-Kirschbaum/Chambon (2014) 15–18. Wagensonner verwendet den Begriff ‚Code-switching‘ für das Auftreten jüngerer und älterer Zei-

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Archaisierende Zeichen wurden über lexikalische Listen gelernt bzw. gelehrt. Insbesondere das Syllabar A (Sa) ist hierbei zu nennen, in welchem Zeichenformen vorkommen, die bis in die Mitte des 3. Jahrtausends zurückreichen.281 Sa (und auch Sb) wurde im Anfängerunterricht verwendet.282 Die Vertrautheit mit seinem Organisationsprinzip war wahrscheinlich ein Grund, warum diese Liste ein ‚Spielfeld‘ für paläografische Schreibungen darstellt. Die Listen sind ein Ort der Reflexion über Schrift.283 Listen mit paläografischen Zeichen treten in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends erstmals in Erscheinung und kommen auch in den Tontafelsammlungen neubabylonischer und neuassyrischer Zeit vor. Sie folgen der Organisation des Syllabars A (Sa) und des Syllabars B (Sb). Mehrere paläografische Zeichenvarianten können den zeitgenössischen Zeichen gegenübergestellt werden.284 Verschiedene Beispiele solcher Listen wurden in der sogenannten Bibliothek Assurbanipals gefunden, und zwar für das Sa und Sb.285 Das Exemplar K.8251 des Sa aus Ninive/Kujundschik weist z. B. neben der paläografischen Schreibung die neuassyrische Zeichenform auf. Einige Varianten aus Ninive bieten die babylonische Entsprechung. K.135, wiederum ein Exemplar von Sb, zeigt nur die archaisierende Spalte der Schriftzeichen. Möglicherweise aus dem Babylon der Spätzeit stammen weitere Fragmente von Sa (BM 46603 (+?) 46609). Die archaisierenden Schriftzeichen sind auf jeden Fall älter als altbabylonisch; es sind Zeichenformen des 3. Jahrtausends. Neben

chenformen innerhalb eines Texts und führt Textbeispiele aus dem 2. und 1. Jahrtausend an, Wagensonner (2019) 43–47.  Vgl. Edzard (1976–80) 560.  So z. B. in der neubabylonischen Zeit, s. Gesche (2001) 66. Neben dem Ausdruck Syllabar B (Sb) trifft man in der Fachliteratur auch die Bezeichnung Vokabular Sb an. Bei den frühesten Beispielen dieser Liste aus mittelbabylonischer Zeit kann aufgrund ihrer Einspaltigkeit nicht festgestellt werden, ob eine Nutzung als Syllabar oder Vokabular beabsichtigt war, vgl. Bartelmus (2016) 48 f.  Cancik-Kirschbaum/Chambon (2014) 18.  Neben Sa und Sb ist für das zweiten Jahrtausend zudem die sogenannte Weidnersche Götterliste anzuführen, die auch aus dem Anfängerunterricht bekannt ist. Alle bisher bekannten mittelbabylonischen Beispiele dieser drei Listen aus Nippur und Babylon verwenden paläografische Zeichen, vgl. Bartelmus (2016) 171 und 273 Fn. 1065. Für die paläografischen Listen des 2. Jahrtausends vgl. Roche-Hawley (2012) sowie Bartelmus (2016) 48 f., 50 f. 128 f., 130 f., 273 f. und 290. Für das 1. Jahrtausend vgl. Cancik-Kirschbaum/Chambon (2014), insbesondere 19 Fn. 35.  Vgl. die Datenbank von Jeanette Fincke unter Babylonian Niniveh Texts, Textkategorie ‚archaic signs‘ [http://fincke-cuneiform.com/nineveh/] aufgerufen am 29.10.2019 um 15.47 Uhr. Für weitere Angaben zu Texten siehe auch MSL 3 = Hallock/Landsberger/Schuster (1955) 10, 96 und 131.

1.2 Äußere Charakteristika

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der paläografischen Schreibung ist der Text auch ein Beispiel eines kryptografischen Keilschrifttextes, und zwar des von Laurie E. Pearce sogenannten NumberSyllabary. Hierbei werden Zahlen mit Schriftzeichen in Verbindung gebracht.286 Ein weiteres Beispiel ist ein rätselhafter Text aus Kuzane Höyük, der ein Duplikat besitzt, welches sich in einer Privatsammlung befindet.287 Er imitiert Schriftzeichen des 3. Jahrtausends. Einige wenige Fragmente aus dem 1. Jahrtausend geben Schriftzeichen wieder, die eine (versuchte) Rekonstruktion der frühesten Schriftstufe der Keilschrift darstellen. Diese Zeichen nenne ich im Folgenden pseudo-archaische Zeichen.288 Aus Ninive/Kujundschik stammen die gejointen Fragmente 1881,0727.49 + 50 von Sa. Dort sind pseudo-archaische Zeichen und ihre ‚moderne‘ Entsprechung wiedergegeben. Aus Nimrud/Kalḫu ist neben einer Liste mit pseudo-archaischen Zeichen ein womöglich historischer Text, der dieselbe Schrift aufweist, publiziert worden.289 Zwei Fragmente der physiognomischen Serie Alamdimmû (K.2087 (+?) K.2088) aus der sogenannten Bibliothek Assurbanipals enthalten auch derartige pseudo-archaische Zeichen (vgl. Kap. 2.2: miḫiṣtu). Eine weitere Tafel mit solchen pseudo-archaischen Zeichen stammt aus Assur und befindet sich heute im Museum von Istanbul.290 Ein anderes Beispiel ist Ms Nr. 2413.291 Für CTN 4 Nr. 229, das Fragment einer Liste mit pseudo-archaischen Zeichen aus Nimrud/Kalḫu, zeigten Eva Cancik-Kirschbaum und Grégory Chambon, dass für die pseudo-archaischen Zeichenformen eine andere Schreibtechnik benutzt wurde als für die ‚normalen Zeichen‘: Es wurde ein spitzer Griffel und im Falle der Zahl- und Maßzeichen ein Griffel mit rundem Querschnitt verwendet. Dies gleicht der Schreibtechnik der frühesten Schriftzeugnisse.292 In der Subkolumne 2 der lexikalischen Listen Ea A und Aa wird eine Zeichenform wiedergegeben, in weiteren Spalten kann die sumerische und akkadische Lesung sowie der Zeichenname notiert sein. Über das Aussehen der Zeichen in Subkolumne 2 steht in MSL 14: „The sign forms in (2) are in most cases imitations, often very clumsy, of OB forms. Many signs, not only in MA Assur texts but

 Pearce (1983) und (1996).  Michalowski/Mısır (1998) 53–55 mit einer Abb. auf Seite 55.  Die Schriftartefakte wurden von Cancik-Kirschbaum und Chambon versammelt und diskutiert, vgl. Cancik-Kirschbaum/Chambon (2014) 18–23.  Finkel (1997), er verweist auf die Texte CTN 4 Nrn. 229 und 235.  Persönliche Mitteilung Joachim Marzahn im Januar 2013.  Für ein Foto vgl. [http://cuneiform.library.cornell.edu/tablet-image/ms-no-2413] aufgerufen am 29.10.2019 um 15.49 Uhr. Für die Textedition vgl. CUSAS 12 Seite 260.  Cancik-Kirschbaum/Chambon (2014) 18–21.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

also in late Southern tablets, are almost unrecognizable.“293 Der Großteil der in MSL 14 berücksichtigten Textvertreter stammt aus dem 1. Jahrtausend.294 Neben den archaisierenden Monumentalinschriften des 1. Jahrtausends (s. o) gibt es aus dem 1. Jahrtausend auch Kopien von Inschriften älterer Zeit, die die altbabylonische Monumentalschrift imitieren. Maul betrachtet alle Abschriften des Kodex Hammurabi bis in die spätbabylonische Zeit und bemerkt drei Beispiele von Tontafeln, die die altbabylonische Monumentalschrift imitieren, und zwar die aus Sippar stammende ins 1. Jahrtausend datierende Schülerhandschrift BM 59776 und weitere vermutlich aus neuassyrischer Zeit stammende Textvertreter aus Assur.295

1.2.4 Layout Das Textlayout ist insofern interessant, da der Text als ‚Bildfläche‘ erscheint, innerhalb derer der Leser aufgrund von Anhaltpunkten wie Kolumnen, eingerückten Textzeilen und Kolophonen sondieren kann. Rechtsurkunden besitzen häufig ein spezifisches Textformular, welches sich im Textlayout widerspiegelt. Es ist folglich nicht zwingend notwendig, einen Text von Anfang bis Ende zu lesen, um die gesuchte Information zu finden. Generelles Texte des 2. und 1. Jahrtausend sind von links nach rechts geschrieben. Die Tafel wird zum Lesen über die Horizontale gedreht. Ist die Tafel im Hochformat geschrieben, ist sie somit über die untere kürzere Seite zu drehen (s. Kap. 1.2.2). Falls der Text in Kolumnen aufgeteilt ist, sind diese auf der Vorderseite von links nach rechts angeordnet und auf der Rückseite von rechts nach links. Alle Ränder können beschrieben werden (s. Tafel 21). Ein Seitenrand, wie er z. B. bei den einzelnen Blättern eines relativ modernen Buches üblich ist, existiert in der Regel nicht. Falls eine Zeile geschrieben wurde, nimmt sie in der Regel die ganze Breite der Tafel ein. Bei einer Tontafel kann man folglich nicht von einem Satzspiegel sprechen. Zu bedenken ist allerdings, dass im Gegensatz zu einem Blatt Papier die Tafel Ränder besitzt, die

 MSL 14 = Civil (1979) 148.  MSL 14 = Civil (1979) 155 f. Vgl. für die mittelassyrischen Texte Veldhuis (2014a) 342–347. Alle mittelassyrischen Bespiele von Ea und Aa sowie ein Textzeugnis der Liste Diri benutzen archaisierende Zeichenformen in der Subkolumne 2, so ebd. 244.  Maul (2012).

1.2 Äußere Charakteristika

71

mehr oder weniger dick und mehr oder weniger gewölbt sind. Dies ist als vergleichbares Phänomen zum Satzspiegel mit seinen Stegen anzusehen. Der Zeilenbeginn ist die linke Seite der Oberfläche (Vs. und Rs.) der Tafel. Die Zeilen beginnen meist nicht auf dem linken Tafelrand. Die Anfangszeichen der Zeilen stehen untereinander. Meist wird der Platz bis zum rechten Rand der Vorderseite bzw. Rückseite beschriftet. Gegebenenfalls befinden sich Freiflächen innerhalb der Zeile. Einzelne vertikale Keile können langgezogen sein, um Platz zu füllen. Falls die Zeile zu kurz ist, wird teilweise auf den rechten Rand geschrieben bzw. auf der Rückseite weitergeschrieben. Falls auch die letzten Zeichen der Zeilen direkt untereinanderstehen, kann man von einem ‚Randausgleich‘ sprechen. Nils Heeßel sieht dies bei VAT 8611 (KAR 150), einer assyrischen Abschrift eines altbabylonischen Textes, als assyrischen Einfluss an.296 Besonders häufig ist dieser Randausgleich bei sorgfältig angefertigten größeren Tafeln wissenschaftlich-literarischen Inhalts. Lineatur Durch vertikale und horizontale Linien kann der Text gegliedert und in einzelne Sinneinheiten unterteilt werden.297 Teilweise wurde auf die Linien auch geschrieben. Ich unterscheide zwischen schwach eingedrückten Linien des ‚vorgezeichneten Layouts‘ (s. u.) und Linien zur optischen Gliederung des Textes. Durch die horizontalen Linien wird der Text in Einheiten gegliedert; z. B. wird bei einer neuassyrischen Erwerbsurkunde (s. Kap. 3.2.2.1) die Zeugenliste mit einer einfachen Trennlinie vom restlichen Text abgetrennt. Bei Sammlungen von Omen, Rezepten, Beschwörungen etc. können die einzelnen Omen usw. voneinander separiert werden. Falls vorhanden, wird vor dem Kolophon eine horizontale Linie, teilweise auch eine Doppellinie, angebracht. Bei denen von mir im Original betrachteten Tafeln wurden die horizontalen Linien stark eingedrückt. Bei einigen Tafeln, bspw. bei wissenschaftlich-literarischen Texten literarisch-liturgischen Inhalts des 1. Jahrtausends, lassen sich horizontale Linien er-

 Heeßel (2011a) 377. Eine Neuedition des Textes erfolgte als KAL 5 Nr. 30.  Bereits die frühesten Texte vom Ende des 4. Jahrtausends – die Vorläufer der Keilschrift aber auch das sogenannte Protoelamische – weisen eine solche Aufteilung mit Hilfe horizontaler und vertikaler Linien auf. Neben administrativen Texten sind bereits hier lexikalische Listen bezeugt. Für die curvilineare Schrift vgl. Green /Nissen (1987), Nissen/Damerow/Englund (1990) und Englund (1998). Für des Protoelamische vgl. Damerow/Englund (1989). Anordnung ist als Voraussetzung und Grundprinzip von Schrift zu verstehen, vgl. Canik-Kirschbaum/ Mahr (2005). Wagensonner geht auf die Organisationsprinzipen der frühen lexikalischen Listen ein, vgl. Wagensonner (2010).

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1 Phänomenologie der Tontafeln

kennen, auf die geschrieben worden ist. Die Linie verläuft mitten durch die Zeichen, die Köpfe der vertikalen Keile hängen ‚wie an einer Wäscheleine‘ an ihr oder die Zeichen stehen auf der Linie (s. Kap. 1.2.3). Interessanterweise kommen solche Linien in der Regel nicht beim Kolophon und der Rubrik vor.298 Nach Walker sind Linien, an denen die Köpfe der vertikalen Keile ‚wie an einer Wäscheleine hängen‘ typisch für Texte der Ur III-Zeit und der folgenden altbabylonischen Zeit, insbesondere kommt dies bei Briefen und literarischen Texten vor.299 Einige Beispiele sind auch noch aus der mittelbabylonischen Zeit bekannt. Auch in neubabylonischen Schülertafeln wird diese Praxis nach Walker teilweise wieder aufgegriffen.300 Die Tafel wurde vor dem Beschriften bzw. vor dem Anbringen der jeweiligen Zeile liniert. Ein Beispiel ist ein Eršaḫunga an Enlil (K.1296).301 Dort befindet sich etwa alle zwei Zeilen eine beschriebene Linie. Diese ist bei Spatien innerhalb des Textes gut sichtbar. Auf dieser Linie und in der darauf folgenden Zeile befindet sich ein sumerischer ‚Satz‘ mit seiner akkadischen Entsprechung. Anzumerken ist, dass auf der Tafel selber die so unterteilten ‚Sätze‘ gezählt wurden. Sie wurden akkadisch šumu(m) bzw. sumerisch m u genannt, was teilweise auch mit ‚Zeile‘ übersetzt wird (vgl. Kap. 2.2: šumu). Die Anzahl der gezählten ‚Sätze‘ mit Bezeichnung der ‚Textgattung‘ wurde auf der Rückseite von K.1296 zwischen zwei nicht-beschriebenen Linien angegeben. Diese beiden Linien trennen einen größeren Sinnabschnitt, die sogenannte Rubrik, ab. In größerem Abstand folgt ein Kolophon. In diesem Beispiel hängt die Linierung mit Sinnabschnitten, ‚Sätzen‘, zusammen, in anderen Fällen muss dies nicht so sein. Bei VAT 274 (SBH 10) ist in jeder Zeile eine stark eingedrückte Linie zu sehen, an welcher die Zeichen ‚wie an einer Wäscheleine‘ hängen (s. Tafel 22). Daneben gibt es auch Tafeln mit Linien, auf denen die Zeichen stehen. Es ist daher in einigen Fällen unklar, ob die Linierung zur Paläografie (s. o.) oder zum Layout gerechnet werden sollte. Durch vertikale Linien, häufig zwei oder mehr, ist eine Unterteilung in verschiedene Satzspalten bzw. Kolumnen möglich. Bei K.4149 (5R 33)302, einer Agum-kakrime-Inschrift, sind auf der Vorder- und Rückseite je vier Satzspalten vorhanden. Sie enthalten Fließtext, vergleichbar den einzelnen Spalten eines Artikels in einer Zeitung. In der Regel wird hier von einer vier- bzw. achtkolumni-

 Persönliche Mitteilung von Markham J. Geller am 25.02.2013.  Walker (1987a) 24.  Walker (1987a) 24.  Für ein Foto der Tafel s. [http://cdli.ucla.edu/P384963]. Für die Textedition und weitere Angaben s. Maul (1988) 112–121.  Für ein Foto der Tafel s. [http://cdli.ucla.edu/P395423].

1.2 Äußere Charakteristika

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gen Tafel gesprochen. Zur Unterteilung in Spalten wurden bei größeren Tafeln der sogenannten Bibliothek Assurbanipals jeweils zwei bzw. mehr vertikale Linien mit einer Schnur303 eingedrückt, wobei auf der äußersten Rechten jeweils der erste Keil der Zeilen der anschließenden Spalte eingedrückt wurde (s. Tafel 23). Die linke Linie bleibt unbeschrieben. Bei kleineren Tafeln wie z. B. der neubabylonische Kommentartext K.1 (CT 41 Taf. 26 f.) wird die vertikale Linie mit dem Griffel eingedrückt. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, für eine längere vertikale Linie mehrfach untereinander die Kante des Griffels einzudrücken. Ob die Zeichen auf die Linien gesetzt wurden, könnte raum- und zeitabhängig sein. Die mittelassyrische Tafel VAT 9307 (KAR 4)304 besitzt drei Spalten. Die jeweils zwei vertikalen Linien, welche die drei Spalten voneinander trennen, sind im Abstand von 3 mm voneinander eingedrückt – Schnurabdrücke sind nicht erkennbar. Das erste und das letzte Zeichen der Zeile einer Spalte befinden sich auf der jeweiligen Trennlinie. Da diese Linien ‚überschrieben‘ wurden und schwächer eingedrückt waren als die horizontalen Linien, sind sie in der älteren Umzeichnung (KAR 4) nicht berücksichtigt, jedoch in einer neueren schon.305 Am linken und rechten Rand der Oberfläche der Tafel kann sich jeweils eine vertikale Linie befinden (s. Tafel 24). Auf die linke Linie wird häufig geschrieben (s. u. ‚vorgezeichnetes‘ Layout). Auch lexikalische Listen sind durch vertikale Linien in Kolumnen geteilt. Die Kolumnen können wiederum mit Hilfe vertikaler Linien in Spalten (bzw. Subkolumnen), die sich aufeinander beziehen, unterteilt sein wie beispielsweise die insgesamt vierkolumnige Tafel K.49 (CT 18 Taf. 49 f.) oder auch die insgesamt sechskolumnige Tafel K.110 (CT 11 Taf. 14–18).306 Die Anzahl der vertikalen Trennlinien der Subkolumnen ist teilweise geringer als die der Hauptkolumnen, z. B. 2 versus 3. Bei verschiedenen Wirtschaftstexten kommen auch derartige Spalten vor. Hier wurde häufig nur eine einzelne vertikale Linie verwendet. Für eine weitere Unterteilung innerhalb einer Spalte werden horizontale Linien benutzt. Man kann von einem Tabellenlayout sprechen. Natürlich kann es auch eine Spaltenbildung ohne vertikale Trennlinien mit Hilfe von Freiflächen und der Anordnung der Zeichen geben, vgl. z. B. die Liste K.253 (5R 45).307

 Zur Verwendung der Schnur für vertikale Linien vgl. auch Fincke (2021) 41 sowie Taylor (2018) 42 und 50.  Für ein Foto vgl. [http://www.cdli.ucla.edu/ P282595].  Wagensonner (2018) 285 f.  Für ein Foto von K.49 s. [http://cdli.ucla.edu/P346085], für ein Foto von K.110 [http:// cdli.ucla.edu/P365223].  Für ein Foto s. [http://cdli.ucla.edu/P393810].

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Mit vertikalen Linien können jedoch nicht nur Kolumnen bzw. sich aufeinander beziehende Spalten des Tabellenlayouts voneinander geschieden werden. Bei einigen Manuskripten der sogenannten babylonischen Theodizee visualisieren diese Linien die Metrik. „The individual lines have a metre of four principal stresses, and some of the Babylonian manuscripts (aijl) have the space divided into four columns and distributed the words in their compartments.“308 Hier werden zur Unterteilung nur einfache vertikale Linien verwendet.309 Eine weitere ungewöhnliche Verwendung von Linien findet sich bei neuassyrischen Manuskripten von Lugale und Angim aus Ninive/Kujundschik. Ein Teil der Manuskripte weist auf der Tafeloberfläche oben und unten sowie rechts und links jeweils eine Linie parallel zum Seitenrand auf – der Text ist ‚gerahmt‘.310 ‚Vorgezeichnetes‘ Textlayout Bei wissenschaftlich-literarischen Texten sind teilweise feine horizontale und vertikale Linien zu erkennen, die vor dem Beschriften der Tafeln angebracht wurden.311 Bei einer abgeriebenen Oberfläche bzw. dem Überschreiben der Linien müssen diese nicht immer sichtbar sein. Das Beschriften erscheint folglich in keiner Weise willkürlich, sondern das Layout wurde vorab geplant. Wie für VAT 9307 aufgezeigt, sind die Grenzen zu den deutlich erkennbaren Linien teilweise fließend. Womöglich kommt das ‚Vorzeichnen‘ des Layouts auch bei anderen Texten vor. Stark eingedrückte horizontale Linien unterschiedlicher Funktion sind bekannt (s. o.). Neben diesen Linien dienen schwach eingedrückte Linien dazu, das Layout vor dem Beschriften zu strukturieren. Bei dem Kolophon der Tafel K.61 sind noch die Spuren solcher ‚vorgezeichneter‘ Linien zu erkennen (s. Tafel 25a). Die vertikalen ‚vorgezeichneten‘ Linien geben an, wo im Text Freiflächen sind und welche Zeichen untereinander stehen sollen. Die vertikalen Linien sind häufig sehr schwach und oftmals mit einer Schnur eingedrückt. Sie unterscheiden sich von den stärker eingedrückten Linien des Textlayouts. Es befindet sich zudem oft eine feine vertikale Linie am linken Seitenrand (s. Tafel 25a). Auf diese wurde geschrieben, so dass sie oft schwer zu erkennen ist.312 Bei K.71.b ist diese Linie beim Kolophon, welches mit vergrößerten Zeilenabständen geschrieben  Lambert (1960) = BWL, 66.  Vgl. Lambert (1960) = BWL, 69 und die Umzeichnungen auf den Tafeln 19, 20, 21, 23 und 24.  Cooper (1978) 35, Bezold (1904) 267 f. und Fincke (2021) 40 mit zahlreichen Beispielen. Für ein Foto von K.2864 (Angim) s. [http://cdli.ucla.edu/P357088].  Die schwach eingedrückten horizontalen Linien konnten womöglich auch direkt vor dem Schreiben der jeweiligen Zeile bzw. Zeilen angebracht werden.  S. hierzu auch Fincke (2021) 41.

1.2 Äußere Charakteristika

75

wurde, gut sichtbar s. Tafel 25b). Auch am rechten Seitenrand kann eine solche Linie vorkommen (s. Tafel 24). Vorgezeichnete Linien innerhalb des Textbildes befinden sich auf von mir betrachteten wissenschaftlich-literarischen Tafeln der sogenannten Bibliothek Assurbanipals (s. Kap. 3 und Tafel 26a) und bei den oben erwähnten SBH-Texten aus dem 2./1 Jahrhundert. Dies ist jedoch nicht nur für diese beiden Textsammlungen typisch, sondern trifft auch auf weitere wissenschaftlich-literarische Texte zu. Aus Assur stammt beispielsweise ein mittelassyrischer Textvertreter der Liste ana ittišu (VAT 8875). Feine vertikale Linien sind bei genauerem Hinsehen vorhanden, so auch am linken und rechten Seitenrand.313 Ein solches vorgezeichnetes Textlayout spricht dafür, dass diese langen wissenschaftlich-literarischen Texte von einer schriftlichen Vorlage bzw. einem schriftlichen Entwurf abgeschrieben und nicht nur diktiert worden sind. Eingerückte Zeilen Auf manchen Tafeln sind Textzeilen eingerückt. Bei Omensammlungen wird z. B., wenn eine Zeile nicht für die Niederschrift eines Omens ausreicht, die nächste Zeile eingerückt, um den entsprechenden Text dort zu Ende zu notieren. Die eingerückte Zeile bezieht sich inhaltlich auf die vorhergehende. Bei neuassyrischen Rechtstexten, z. B. bei der Zeugenliste, kann – falls ein Zeugeneintrag länger als eine Zeile ist – die darauf folgende Zeile eingerückt sein. Wenn die nächste Zeile nicht mehr eingerückt ist, beginnt ein neuer Sinnabschnitt. Bei Interlinearbilinguen kann die akkadische Übersetzung in einer eingerückten Zeile unterhalb des sumerischen Textes stehen, z. B. bei dem EršaḫungaGebet K.1296 (s. o.), K.2811 (Tafel 45a) und der Šurpu-Beschwörung K.65, wobei bei diesen Beispielen nach der eingerückten Zeile jeweils noch eine horizontale Linie folgt (s. Tafel 26b). Bei K.1296 und K.2811 wird auf diese geschrieben. Diese Art der Einrückung ist auch bei den erwähnten SBH-Texten zu registrieren. Eine andere Möglichkeit – die teilweise im selben Text verwendet wird – besteht darin, dass der übersetzte Teil in derselben Zeile steht und durch Trennungszeichen (s. u.) abgegrenzt ist. Dies ergibt dann folgendes Schriftbild: erste Hälfte des sumerischen Satzes: akkadische Version des Satzes: zweite Hälfte des sumerischen Satzes.314 Die Formatierung des ersten Satzes kann sich von der Formatierung des Rest des Textes unterscheiden. Die akkadische Version steht dann auf dem oberen Rand und die sumerische folgt als erste Zeile der Vorderseite.315

 Vgl. die Fotos auf [http://keil.uni-goettingen.de] aufgerufen am 29.11.2019 um 14.29 Uhr.  Für (Interlinear-)Bilinguen und deren Layoutformen siehe Krecher (1976–80a).  Cancik-Kirschbaum/Kahl (2018) 170. Siehe auch Weszeli (2002) 345 f. und 350 mit Kommentar 1.b.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Interessant ist K.156 (ASKT No.11)316, die erste Teiltafel der zi-pà-Beschwörungen, dass bei ihr statt des Interlinearstils ein Tabellenlayout angewendet wird. Auf der Vorderseite und der Rückseite befinden sich je zwei Spalten, die wiederum in zwei Spalten unterteilt sind. In der jeweils linken Subspalte steht der sumerische Text in der rechten der akkadische. Möglicherweise verweist das Tabellenlayout auf einen anderen Anwendungsbereich der Texte als der Interlinearstil.317 Freiflächen Wie das ‚vorgezeichnete Textlayout‘ zeigte, sind die Freiflächen innerhalb eines Textes oft bewusst gesetzt. Teilweise trennen diese Freiflächen einzelne Sinneinheiten voneinander ab. Bei den Eršaḫunga-Gebeten des 1. Jahrtausends sind die einzelnen Zeilen in zwei Halbversen, die syntaktischen Einheiten entsprechen, geteilt.318 Dieses Gestaltungsmittel kommt auch bei anderen Texten vor wie z. B. bei zwei Manuskripten von Ludlul bēl nēmeqi (SU 1951, 10 und SU 1951, 32) aus Ḫuzirina/Sultantepe.319 In der Mitte der jeweiligen Zeile befindet sich eine Freifläche. Oft sind Zeichen, welche zur selben ‚Sinneinheit‘ gehören, z. B. ähnliche Zeichen, direkt untereinandergeschrieben, vgl. die astronomische Tafel K.2164 (s. Tafel 27). Diese Tafel stammt ursprünglich aus Kalḫu/Nimrud. Die Schreibung einzelner Zeichen untereinander scheint bei den wissenschaftlich-literarischen Texten nicht zufällig zu sein, wie die Schnurabdrücke bei K.4386 zeigen (s. Tafel 26a). So entstehen auch hier wieder Freiflächen innerhalb einer Zeile bzw. Spalte. Bei neuassyrischen Rechtsurkunden sind bei der Zeugenliste die jeweiligen Zeugen in Zeilen untereinandergeschrieben. Falls bei einigen Zeugen eine Berufsbezeichnung angegeben ist und bei anderen nicht, kann bei letzteren Zeugen der Rest der Zeile freigelassen sein. (s. Kap. 3.2.2.1) Freiflächen können zudem auf ausgelassene Zeichengruppen verweisen. Wenn sich eine bereits niedergeschriebene Phrase später wiederholt, kann anstelle dieser eine Freifläche erscheinen. Teilweise wird noch der Anfang der Phrase notiert. Dies ist insbesondere bei Hymnen und Gebeten belegt.320 Bei

 Vgl. die Textedition von Borger (1969).  So Markham J. Geller, persönliche Mitteilung Juli 2011. Einige solcher Texte aus der sogenannten Bibliothek Assurbanipals sind u. a. bei Bezold (1899) 2032 f. unter „Grammatical paradigms“ aufgelistet. Insgesamt ist dieses Layout selten bei Bilinguen, vgl. Krecher (1976–80a) 125.  Maul (1988) 3.  Vgl. die Umzeichnungen bei Lambert (1960) = BWL Tafeln 1–2 und 8–11.  Cancik-Kirschbaum/Kahl (2018) 174 f.

1.2 Äußere Charakteristika

77

einem von einer Vorlage kopierten Text können nach Martin Worthington Leerstellen Lücken, z. B. bei einem beschädigten Original, repräsentieren.321 Vergrößerte Zeilen- und Zeichenabstände Um eine bestimmte Schriftzeile bzw. den Zeilenbeginn hervorzuheben, können auch die Abstände zwischen den einzelnen Zeichen größer (oder kleiner) sein als im restlichen Teil des Textes. Dies kommt bspw. bei den Schriftzeichen von Kolophonen vor. Auch vergrößerte (oder verkleinerte) Zeilenabstände dienen der optischen Gliederung des Textes. Bei den Kolophonen kann gegenüber dem restlichen Text der Abstand der einzelnen Zeilen untereinander größer sein als beim restlichen Text, was den Kolophon als vom restlichen Text abgetrennte Einheit erkennbar macht. Beim ‚Assurbanipal-Kolophon a‘322 sind die einzelnen Keile breiter und die Abstände der einzelnen Zeichen vergrößert. Beim neubabylonischen Pādanu-Kommentar K.1315323 ist die Tafelunterschrift mit vergrößerten Zeilenabständen geschrieben. Bei K.2164 hingegen weist der Kolophon eine kleinere Schrift mit geringerem Zeilen- und Zeichenabstand geschrieben auf (s. Tafel 20 und 27, für vergrößerte Zeilenabstände bei Kolophonen s. Tafel 9 und Tafel 25). Schriftauszeichnungen Innerhalb eines Textes wird in der Regel dieselbe Schriftart verwendet. Der Begriff Auszeichnung wird normalerweise für gedruckte Texte verwendet und bezeichnet dort das Hervorheben einzelner Wörter, Sätze oder Absätze im Vergleich zum restlichen Text, z. B. durch Sperrung.324 Solche Schriftauszeichnungen sind jedoch auch bei in Keilschrift geschriebenen Texten zu beobachten, daher wird dieser Begriff hier eingeführt. Zur Hervorhebung eines spezifischen Sinnes können einzelne Sinnabschnitte größer bzw. kleiner geschrieben sein. Bei einer Anfrage an den Sonnengott (1883,0118.697 [SAA 4 Nr. 77]) sind die Dinge, die zusätzlich bei der Durchführung der Leberschau zu beachten sind, mit einem Abstand und zunächst in kleinerer Schrift als der restliche Text geschrieben (0,6–0,7 cm zu 0,3–0,4 cm). Um Kolophone vom restlichen Text abzugrenzen, können Sperrung (in Verbindung

 Worthington (2012) 22.  Hunger (1968) Nr. 317.  Für ein Foto s. [http://cdli.ucla.edu/P238033]. Für die Publikation s. Koch-Westenholz (2000) Nr. 42.  Hiller (19915) 35.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

mit gelängten Zeichen), vergrößerte Zeilenabstände, vergrößerte Schriftzeichen, aber auch eine verkleinerte Schrift mit einem gedrängten Schriftbild eingesetzt werden. Teilweise sind einzelne Zeichen bzw. Wörter stärker eingedrückt, z. B. kann DIŠ – ein Logogramm für šumma ‚wenn‘, welches einleitend bei einem Omen steht – teilweise stärker eingedrückt und daher breiter als die restlichen Keile sein. Einzelne Wörter können ebenso größer bzw. kleiner geschrieben werden. Glossen325 verwenden häufig eine kleinere Schrift und stehen möglichst dicht beim glossierten Wort bzw. Zeichen, vgl. z. B. die neuassyrischen Tafeln K.4386 (MSL 17 221–229) und VAT 13781 (KADP 4)326. Einzelne Zeichen können auch schwächer eingedrückt sein wie die ḫepi eššu-Glossen der Zeilen 45–48 und 50–51 der Kolumne 2 von der neuassyrischen Tafel VAT 13769 (KADP 2)327. Gelegentlich erscheinen verschiedene Schriftarten in einem Text. So werden archaisierende und pseudo-archaische Zeichen (s. Kap. 1.2.3) als Schriftauszeichnung verwendet.328 Bei der neuassyrisch beschrifteten Tafel K.1351 (SAA 3 Nr. 29) verwendet die Unterschrift kleinere, neubabylonische Zeichenformen.329 Bei einer kleineren Untersuchung von Tontafeln aus Kiš, die in die Mitte des dritten Jahrtausends datieren (Frühdynastisch IIIa), wurden gelbe, rote und weiße Farbpigmente entdeckt, die womöglich der Schriftauszeichnung dienten.330

 Glossen werden von einem Schreiber, der einen Text kopiert, eingefügt. Sie können bspw. die Aussprache von Logogrammen oder die akkadische Übersetzung von sumerischen Wörtern angeben; für eine Typologie vgl. Krecher (1957–1970) und für eine kurze Zusammenfassung Frahm (2011a) 16 f. Meist lassen sie sich bei Traditions- bzw. Bibliothekstexten wie Omensammlungen finden, für eine Untersuchung der Glossen altbabylonischer literarischer Texte vgl. Sövegjártó (2020), für Glossen therapeutischer Texte Bácskay (2021). Eine Ausnahme bilden die von den neuassyrischen Gelehrten Nabû-aḫḫē-erība und Balasî geschriebenen Nachrichten an Assurbanipal, in denen sie zahlreiche Glossen einfügten, vgl. Talon (2003).  Geller entdeckte bei einer Kollation dieser Tafel weitere Glossen, vgl. für die Neuedition Geller (2015). Bei der Autopsie der Tafel stellte ich fest, dass die Glossen in kleinerer Schrift in den bestehenden Text eingefügt worden sind. Sie stehen zwischen den einzelnen Zeichen einer Zeile oder leicht versetzt ober- und unterhalb der Zeile. Gelegentlich steht eine Glosse zwischen den beiden vertikalen Linien, die die beiden Spalten der Vorderseite und Rückseite voneinander trennen. Vgl. für ein Foto [http://www.cdli.ucla.edu/P453462].  Vgl. für ein Foto [http://www.cdli.ucla.edu/P453461].  Cancik-Kirschbaum/Chambon (2014) 17.  Für ein Foto vgl. [https://cdli.ucla.edu/P238051].  Chiriu et al. (2017). Von sechs untersuchten Tafeln wurden bei zweien Farbpigmente bemerkt, s. ebd. für weitere Angaben. Für aufgemalte Schriftzeichen vgl. Kap. 4.1.1 und Kap. 3.2.2.2. Ferner sind bei Tafelfragmenten aus Tell El-Amarna literarischen Inhalts Punkte,

1.2 Äußere Charakteristika

79

‚Interpunktionszeichen‘ Im Folgenden werden Zeichen beschrieben, die eine ähnliche Funktion wie heutige Interpunktionszeichen hatten. Wörter werden in der sumero-akkadischen Keilschrift meist nicht getrennt. Innerhalb einer Zeile wird das Wort zu Ende geschrieben, ggf. auf den Rand übergreifend. Es werden nicht durchgehend Spatien wie bei unserer Alphabetschrift verwendet, um einzelne Wörter voneinander abzutrennen. In altakkadischer Zeit kann ein kleiner, senkrechter Keil als Trenner verwendet werden, d. h., einzelne Wörter oder Sinnabschnitte werden voneinander geschieden.331 Der Trenner wird häufig irreführend als Worttrenner bezeichnet.332 In hurritischen Texten aus Hattuša bzw. in hurritischen Textpassagen wird hingegen ein einfacher Winkelhaken gelegentlich als Trenner verwendet, um Sinnabschnitte voneinander abzutrennen. In einem anderen Fall dagegen, ChS I/5 Nr. 80 = KBo 33.116 + KBo 27.134, werden in den erhaltenen hurritischen Passagen die Trenner als Worttrenner verwendet.333 Einige Interpunktionszeichen wurden in der sumero-akkadischen Keilschrift verwendet. Insbesondere bei lexikalischen Texten kann am Anfang einer Zeile bzw. des Eintrags das Zeichen DIŠ, ein vertikaler Keil, eingedrückt sein, um den Anfang des Eintrags zu markieren. Daneben gibt es vor- und nachgesetzte Interpunktionszeichen – im Deutschen als Glossenkeile bzw. Trennungszeichen bekannt. Ihrem Aussehen nach ist zwischen einem schräg eingedrückten Keil, bis zu vier untereinander stehenden schrägen Keilen oder zwei Winkelhaken zu unterscheiden.334 Im ersten Jahrtausend werden meist zwei diagonale Winkelhaken verwendet.335 Im „Mesopotamischen Zeichenlexikon“ werden als Trennungszeichen GAM – bestehend aus zwei untereinander eingedrückten Winkelhaken –, ILIMMU4 – bestehend aus drei untereinander eingedrückten Winkelhaken – und : – zwei nebeneinander geschriebene Winkelhaken – genannt.336 In neubabylonischen Zylinderinschriften wird zudem ein einfacher vertikaler Keil verwendet, um Text, der in die andere Kolumne übergreift, vom anschließenden Text abzugrenzen.337 Im Engliüberwiegend rot, festgestellt worden, die womöglich auf die Metrik der Texte verweisen, s. Izre′el (2001) 81–106.  Krebernik/Nissen (1994) 278 f.  Siehe z. B. Krebernik/Nissen (1994) 278.  Für den Hinweis auf dieses Interpunktionszeichen danke ich Sebastian Fischer, Januar 2013.  Vgl. Krecher (1957–71) 433.  Frahm (2011a) 16.  MZL2 = Borger (2010) Nrn. 576, 577 und 592.  Taylor (2011) 18.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

schen werden die Trennungszeichen ‚cola‘ oder ‚separation mark‘ genannt. In der Keilschrift können sie u. a. der Einleitung von Glossen dienen.338 Das Trennungszeichen leitet nach John Zhu-En Wee nicht nur eine Glosse bzw. eine Erklärung des Davorgehenden ein, sondern markiert generell einen Bruch in der linearen Syntax.339 Häufig kommt das Trennungszeichen zur Einleitung bzw. Abtrennung der einzelnen erklärenden Passagen in babylonischen Kommentartexten vor (vgl. Kap. 2.2: ṣâtu). Wee führt einige Beispiele zu den Kommentartexten des Diagnostischen Handbuchs an, bei denen eine Funktion als Glossenkeil nicht haltbar ist.340 Das Trennungszeichen erscheint außerhalb der Kommentartexte in bilingualen (sumerisch-akkadischen) Texten. Dort findet sich z. B. der Beginn des sumerischen ‚Satzes‘, danach folgt, mit Hilfe des Trennungszeichens eingeschoben, die akkadische Übersetzung des sumerischen ‚Satzes‘. Am Ende des akkadischen Teils kommt abermals ein Trennungszeichen und es folgt der Rest des sumerischen ‚Satzes‘. Bei zweispaltigen bzw. zweikolumnigen Texten wird teilweise am Ende einer Zeile, die in die andere Spalte übergeht, ein Trennungszeichen hinzugefügt. Dies ist z. B. der Fall bei der Kolumne 6 von der insgesamt sechskolumnigen neuassyrischen Tafel VAT 13769 (KADP 2).341 Diverse Wiederholungszeichen sind bekannt. Im „Mesopotamischen Zeichenlexikon“ werden ŠU (Nr. 567), š u - b i - AŠ - à m (Nrn. 567 und 686), š u - b i GIM - n a m (Nrn. 567 und 686), Ù (Nr. 731), k i m i n , auch k i - m i n , (Nr. 742), m i n (Nr. 825) und das schon als Trennungszeichen bekannte Zeichen ILIMMU4 (Nr. 577) genannt.342 Auch das Trennungszeichen GAM kann als Wiederholungszeichen verwendet werden, wie bei den Berufsbezeichnungen in der Zeugenliste der Erwerbsurkunde K.329 (SAA 14 Nr. 39) (s. Kap. 3.2.2.1) deutlich wird. Häufig werden die Wiederholungszeichen mit englisch ditto (deutsch dito) ‚ebenfalls‘ übersetzt oder mit ‚Gänsefüßchen‘ gleichgesetzt. Falls eine Phrase, eine Gottheit usw., schon einmal davor im Text erwähnt ist, kann in der darauf folgenden Zeile bzw. bei Omina in dem darauffolgenden Satz das Wiederholungszeichen stehen. Das Zeichen ŠU kann in zweispaltigen Vokabularen auftauchen z. B. s u k k a l m a ḫ ║ŠU-ḫu, d. h. sukkalmaḫḫuḫu. Daneben gibt es auch die Kombination

 Zu Glossen vgl. Fußnote 325.  Wee (2012) 484.  Wee (2012) 485–487.  Vgl. für ein Foto [http://www.cdli.ucla.edu/P453461]. Für weitere Beispiele vgl. Fincke (2021) 45 f.  S. MZL2 = Borger (2010).

1.2 Äußere Charakteristika

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ŠU-ma, wofür es die Lesungen šu-ma ‚eben das (gleiche Wort)‘ und qātam-ma ‚ebenso‘ gibt. Die Wörter š u - b i - AŠ - à m , š u - b i - GIM - n a m sollen nach dem „Mesopotamischen Zeichenlexikon“ u. a. in Omentexten verwendet werden.343 Ù wird in derselben Weise verwendet wie k i m i n und m i n . Das Zeichen KIMIN ist eine Ligatur aus KI und MIN. Es kann auch die Bedeutung ‚beziehungsweise‘, ‚oder‘, ‚aber‘ und ‚Variante‘ besitzen. In der Funktion einer Art Wiederholungszeichen kommt es beispielsweise im 1. Jahrtausend bei den Utukkū-lemnūtu-Beschwörungen vor. Das Zeichen MIN besteht aus zwei nebeneinanderstehenden vertikalen Keilen. Dies rückt das Zeichen auch optisch in die Nähe unserer ‚Gänsefüßchen‘. Das Zeichen MIN kann auch für die Zahl 2 stehen oder – z. B. bei Füßen und Händen – als nachgestelltes Dualzeichen fungieren. Der genaue Bedeutungsunterschied der einzelnen Zeichen und deren möglicherweise unterschiedliche Anwendungsbereiche sind ungeklärt. Zudem ist nicht klar, inwieweit die Zeichen Interpunktionszeichen darstellen oder Wörter wie ‚ebenso‘ wiedergeben. Des Weiteren kommen bei einigen längeren Bibliothekstexten ‚Zählzeichen‘ vor. Am linken Rand jeder zehnten Zeile bzw. ‚Sinneinheit‘ (ein Omen kann mehr als eine Zeile lang sein, wird jedoch nur einmal gezählt) steht das Zeichen U, ein einfacher Winkelhaken. Das Zeichen ist außerhalb der Zeile, der Kolumne, d. h. des Fließtextes angebracht, vgl. z. B. K.270 (AAT 20–22).344 Bei Wirtschaftstexten aus einem Frühdynastisch IIIb- datierenden Archiv in Lagaš wird das kreuzförmige Zeichen PAB verwendet, um bestimmte Posten auf der Liste ‚abzuhaken‘.345 So wurde dieses Zeichen bis etwa der Ur III-Zeit gebraucht.346 Ab der altbabylonischen Zeit sind nach Fincke bei wissenschaftlichliterarischen Texten Korrekturzeichen belegt, die sich am Rand bzw. neben einer Kolumne oder Spalte, befinden. Zu diesen Zeichen zählt Fincke neben PAB (KÚR nakru ‚anders‘ bzw. ‚feindlich‘), NU (lā ‚nicht‘), wiederum ein kreuzförmiges Zeichen, AŠ, ein horizontaler Keil, TAB, zwei horizontale Keile übereinander, DIŠ, MIN und MAN, zwei nebeneinanderstehende Winkelhaken. Ein solches Korrekturzeichen markiert, dass in der Textzeile, neben der es angebracht wurde, ein Fehler zu finden ist.347

    

Vgl. MZL2 = Borger (2010) Nr. 567 für weitere Angaben. Für ein Foto s. [http://cdli.ucla.edu/P393816]. Vgl. für Zählzeichen auch Fincke (2021) 69 f. Selz (2011b) 285 f. Vgl. hierzu Fincke (2021) 64 mit weiteren Angaben. S. Fincke (2021) 61–68 mit Beispielen.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

1.2.5 ‚Nicht-schriftliche‘ Markierungen und weitere intentionelle Veränderungen Als ‚nicht-schriftliche‘ Markierungen bezeichne ich intentionell angebrachte Veränderungen an der Tontafel. Verschiedene mir bekannte Veränderungen werden der Reihe nach kurz beschrieben. Siegelung Rechtsurkunden und Briefe sind häufig gesiegelt, meist geschieht dies vor dem Schreibakt. Sie stellen demnach ein äußeres Charakteristikum dieser Textsorten dar. Je nach Ort und Zeit unterscheidet sich die Siegelpraxis. Der Platz der Siegelung ist im Textlayout vorgesehen. Es kann auf der Vorder- und Rückseite oder den Rändern der Tafel gesiegelt werden. Die Siegelpraxis ist im Wechselspiel mit dem Tafelformt zu sehen. Wird auf den Rändern gesiegelt, besitzt die Tafel einen größeren Durchmesser. Als Siegel können Roll- und Stempelsiegel, Fingernägel, der Gewandsaum und bzw. oder ein Siegelersatz genommen werden (vgl. Kap. 2.2: kunukku). Siegelungen stellen ein Datierungskriterium dar. Gelegentlich wurden Siegel vererbt. Die Siegelungen liefern daher einen terminus post quem. Wie bereits oben angemerkt, fehlt bei Texten aus neubabylonischer Zeit (s. Kap. 1.1.3) teilweise die Siegelung. Was als Siegel verwendet wird – Fingernägel sind durchaus üblich – ist wiederum zeit- und ortsabhängig. Zeichnungen Vereinzelt weisen Texte auch geritzte bzw. eingedrückte Zeichnungen auf.348 Eine Zusammenstellung und systematische Untersuchung dieser Zeichnungen steht noch aus. Im 1. Jahrtausend ist Derartiges beispielsweise bei Texten zur Leberschau (z. B. K.1315) anzutreffen. Auf einer Tafel mit einem Tierkreiszeichenkalender (VAT 7847 und AO 6448) aus Uruk (2. Jahrhundert) sind mehrere sorgfältig ausgeführte Zeichnungen angebracht.349

 Vgl. Finkel (2011) und Taylor (2011) 18 f. für verschiedenste Beispiele und Literatur. Für einige Angaben zu Zeichnungen bei Leberomina vgl. auch Maul (2003–05) 74. Zu Zeichnungen auf Kommentartexten vgl. Frahm (2011a) passim.  Vgl. in Marzahn/Schauerte (2008) die Kat.nrn. 398 f. S. 387 und die Abbildungen 279 a, b S. 375.

1.2 Äußere Charakteristika

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Sogenannte Brennlöcher Die sogenannten Brennlöcher wurden bei wissenschaftlich-literarischen Texten eingefügt. Dies geschah nach dem Schreiben an Stellen, an denen keine Schrift angebracht war. Für Christopher B. F. Walker ist BM 96573, ein Fragment einer altbabylonischen Tafel mit einer Hymne, das älteste Beispiel mit intentionell angebrachten Löchern. Das Fragment besitzt sieben unregelmäßig große Löcher, die in den unteren und oberen Rand eingedrückt sind. Aus der mittelassyrischen Zeit sollen die zeitlich am nächsten liegenden Beispiele stammen.350 Meist sind die Löcher rund, können aber auch quadratisch, dreieckig und mandelförmig sein.351 Bei der ersten Tafel der sogenannten mittelassyrischen Gesetze (VAT 10000) kommen sowohl mandelförmige als auch runde Löcher vor.352 Die mittelbabylonische ‚Tablet Carré‘ weist systematisch gesetzte, mandelförmige Löcher auf allen Rändern und der Vorder- und Rückseite auf.353 Bei zahlreichen Tafeln der sogenannten Bibliothek Assurbanipals sind runde Löcher vorhanden (Tafel 19). Bei K.41, wo die babylonische Schriftart verwendet wird, sind rechteckige Eindrücke zu sehen. Die Funktion der Löcher ist ungeklärt. Teilweise werden sie als Brennlöcher bezeichnet, jedoch ist das Brennen von Tafeln in der damaligen Zeit relativ selten.354 Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Bibliothekstexten mit vergleichbaren Ausmaßen, die keinerlei Löcher besitzen. Die Löcher sind häufig in die auf der Tafel existierenden Freiflächen gesetzt. Ulla Jeyes äußert die These, dass die Löcher eingefügt wurden, um die Tafel vor weiterer Beschriftung zu schützen.355 Jon Taylor bemerkt dazu, dass Löcher auch an solchen Stellen eingedrückt worden sind, an denen keine Beschriftung eingefügt werden konnte und einige Tafeln nur wenige Löcher besitzen.356 Wenn die Tafel getrocknet ist, ist das Eindrücken weiterer Zeichen nicht möglich. Eine Ausnahme wären lediglich die nur aus wenigen Fällen bekannten gemalten Keilschriftzeichen (s. Kap. 4.1.1). So ist der Theorie eines horror vacui zu widersprechen. Weitere mögliche Gründe könnten die Ästhetik oder eine Betonung des Layouts des Texts sein.  Mir ist kein Foto dieser Tafel bekannt, aber C. B. F. Walker gibt eine genaue Beschreibung der einzelnen Löcher. Ihm verdanke ich auch den Hinweis auf diesen Artikel: Alster/Walker (1989) 10 f.  Taylor (2011) 15 f. Vgl. für Beispiele und der Rekonstruktion, der für die Anbringung verwendeten Instrumente Panayotov (2016).  Eine Abbildung und kurze Beschreibung mit weiterer Literatur findet sich in Marzahn/ Schauerte (2008) 212 Abb. 142 und 224 f. Kat.nr. 138.  Vgl. Jeyes (2000).  Taylor (2011) 16.  Jeyes (2011) 371.  Taylor (2011) 16.

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1 Phänomenologie der Tontafeln

Zerstörungen Manche Texte weisen intentionelle Zerstörungen auf, die Auskunft über den weiteren Umgang mit den Tafeln geben. Bei einigen der von George Reisner veröffentlichten SBH-Texten aus dem 2. und 1. Jahrhundert befinden sich schräg in die Vorder- und Rückseite gesetzte Löcher, die angebracht wurden, als der Ton noch weich war (s. Tafel 28). Die Löcher zerstörten teilweise auch den angebrachten Text. Für Reisner sind die Tafeln nicht zufriedenstellende Schreiberübungen, die kassiert wurden.357 Selz und Marzahn bemerkten bei frühdynastischen Tafeln sogenannte Tilgungsausbrüche. Eines der Beispiele, die Selz anführt, ist eine Tafel, bei der die Schriftzeichen der Summen von Getreidelieferungen, die womöglich zurückbezahlt wurden, von der Tafeloberfläche ausgebrochen wurden.358 Hinweise auf den Schreibprozess Dass sich auch die altorientalischen Schreiber teilweise verschrieben haben, zeigen die auf manchen Tafeln befindlichen Radierungen wie bei VAT 13958 (LKA 137), s. Tafel 29. Über die Radierung von vereinzelten Textstellen konnte geschrieben werden, d. h. es wurden Korrekturen eingefügt.359 Zudem gibt es Beispiele wie altbabylonische Schülertafeln, bei denen der gesamte Text einer Tafel oder große Teile davon ‚wegradiert‘ wurden, um sie neu zu beschreiben.360 Einige Tafeln zeigen neben normal geschriebenen Textpassagen weitere Textpassagen, die eingedrückt wurden, nachdem der Ton bereits zu trocknen begann. Die einzelnen Keile sind hierbei weniger tief als bei der ‚normal‘ geschriebenen Textpassage.361 So können bei wissenschaftlich-literarischen Texten ausgelassene Zeilen sowie Glossen (s. Kap. 1.2.4) nachträglich zwischen den Kolumnen, am Seitenrand oder auch interlinear notiert werden.362 Eine kurze, vertikale Linie am Tafelrand bzw. zwischen den Kolumnen kann die Stelle markieren an der die Zeile ausgelassen wurde, die dann auf den Rand bzw. zwischen den Kolumnen geschrieben wurde.363

 Reisner (1896) XIV f.  Selz (2011b) 286.  Vgl. Cancik-Kirschbaum/Kahl (2018) 205 f. und Fincke (2021) 59–61.  Taylor/Cartwright (2011) 310 f.  Taylor/Cartwright (2011) 311 f.  Vgl. Cancik-Kirschbaum/Kahl (2018) 206 f. und Sövegjártó (2020) 66. f.  Cancik-Kirschbaum/Kahl (2018) 209 Fn. 264. Ein neuassyrisches Beispiel ist VAT 9934 (Heeßel [2012] Nr. 1). Da ich weder das Original noch ein Foto gesehen habe, kann ich nicht sagen, ob die Zeichen der nachträglich angebrachten Zeile schwächer eingedrückt waren.

2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte Thema sind die bildlichen und schriftlichen Belege für Schreibutensilien, d. h. die Trägermedien und Schreibwerkzeuge. Es wird der Frage nachgegangen, auf welche Objekte diese Belege Bezug nehmen und in welchem Kontext sie verwendet wurden. Darstellungen von Schreibern und weiteren Personen mit Schreibgeräten sind überwiegend aus der späthethitischen und neuassyrischen Zeit bekannt. Sie geben Hinweise auf die Benutzung verschiedener Schreibutensilien. Im zweiten Teil des Kapitels werden die Bezeichnungen für Schriftobjekte und den Schreibgriffel in Mesopotamien erörtert.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten Meist handelt es sich bei den Abbildungen um Schreiber. Als Schreiber bezeichne ich im Folgenden Personen, die durch eine Inschrift als solche identifiziert werden und bzw. oder Schreibutensilien wie Griffel und Tontafel bei sich tragen. Götter und Göttersymbole werden nicht berücksichtigt. Deswegen sei an dieser Stelle kurz angemerkt, dass im 1. Jahrtausend ein Schreibgriffel das Symbol des Gottes Nabû war und dass personifizierte Darstellungen dieses Gottes mit einem Schreibgriffel selten anzutreffen sind.364 Der Großteil der bekannten Abbildungen des 1. Jahrtausends von Personen mit Schreibgeräten ist neuassyrisch, daneben gibt es noch einige späthethitische Darstellungen. Auch gibt es vereinzelt weitere Beispiele, die in das 3. und das 2. Jahrtausend sowie das erste Viertel des 1. Jahrtausends datieren. Diese werden der Vollständigkeit halber in der nun folgenden Betrachtung einbezogen.

2.1.1 Darstellungen aus dem 3., 2. und Beginn des 1. Jahrtausends Statuen bzw. Statuetten bekleideter Männer und Frauen – teilweise mit einer Weihinschrift versehen – sind von der frühdynastischen bis zur neuassyrischen Zeit belegt.365 Insbesondere die frühdynastischen Fundstücke werden als Beterstatuetten bezeichnet. Ursprünglich waren die Statuen oder Statuetten in Tem-

 S. Seidl (1998–2001).  Braun-Holzinger (1991) 219. https://doi.org/10.1515/9781501511912-003

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

peln aufgestellt.366 Die Inschrift kann auch auf den Zweck der Stiftung verweisen: Die Weihung der Statuette an eine bestimmte Gottheit.367

Abb. 2: Sitzstatuette des Schreibers Dudu, IM 55204.

Zwei frühdynastische Beterstatuetten werden durch eine Inschrift als Schreiber bezeichnet.368 Die Sitzstatuette des Schreibers Dudu (Abb. 2) ist etwa 39 cm hoch, aus grauschwarzem vulkanischem Stein und stammt aus dem Kunsthandel. Die Inschrift befindet sich auf dem Rücken der Sitzstatuette.369 Die Stehstatuette des i-pu3-śar wurde wie auch andere Statuetten zerbrochen im Hof 12 des Tempels

 Braun-Holzinger (1991) 237 f.  Braun-Holzinger (1991) 220–225 und 227 f. Diese Art der Widmung ist jedoch in frühdynastischer Zeit selten, vgl. ebd. 220–222. Auch andere Objekte wie Perlen dienten als Weihgabe und konnten beschriftet sein, vgl. ebd. (1991) passim. Auch bei ihnen kommen als Stifter Schreiber vor, s. die Auflistung bei Waetzoldt (2009–11) 263. Er verweist hierin auf Braun-Holzinger (1991).  Braun-Holzinger (1991) 241 St 5 und 246 St 34 mit weiteren Literaturhinweisen. Bei einer 20 cm hohen Statuette aus Metall wird die Echtheit angezweifelt, s. Braun-Holzinger (1991) 255 St 87.  Sie befindet sich heute in Bagdad, Iraq Museum (IM 55204). Für Abbildungen vgl. Strommenger (1960) Taf. 6 (hier Abb. 2) und Orthmann (1975) Kat.nr. 29. Für eine Übersetzung der Inschrift vgl. Braun-Holzinger (1991) 241 St 5 mit weiterer Literatur.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

87

des Nini-Zaza in Mari gefunden.370 Sie ist 1,04 m hoch und besitzt eine Inschrift auf ihrem Rücken, die einen gewissen i-pu3-śar nennt, der die Statuette an eine Göttin weiht.371 Von den über 500 bekannten frühdynastischen Beterstatuetten sind ca. 90 mit einer Inschrift versehen.372 Sie waren ursprünglich in Tempeln Mesopotamiens, Syriens und des Diyala-Gebietes aufgestellt.373 Ein Beispiel aus Susa datiert Akkad-zeitlich.374 Von der Statuette ist nur der 19 cm hohe Oberkörper erhalten, auch der Kopf fehlt.

Abb. 3: Abrollung des akkad-zeitlichen Rollsiegels BM 89137.

Das Siegelbild eines akkad-zeitlichen Rollsiegels (Abb. 3) stellt eine Figur dar, die einen Gegenstand in der linken Hand hält.375 Die Figur ist die vierte in einer Reihe von sieben nach links gerichteten Personen. Die zentrale Person trägt eine Art Kappe und steht vor der Figur mit der ‚Tafel‘. Die Siegelbeischrift nennt als Siegelinhaber Kalki, den Schreiber, den Diener des Yubil-Aštar, des Bruders des Königs. Möglicherweise ist Yubil-Aštar ein Bruder Sargons I. von

 S. zum Fundkontext Parrot (1967) 23–26 und 46–48 mit Abbildungen.  Zur Beschreibung der Statuette und für Abbildungen inklusive eines Fotos der Inschrift s. Parrot (1967) 46–48. S. auch für weitere Angaben Braun-Holzinger (1991) 246 St 34. Bei der Lesung des Namens folge ich Jacob Andersson, vgl. Andersson (2012) 213.  Braun-Holzinger (1991) 225. Vgl. für die frühdynastischen Beterstatuetten Braun-Holzinger (1977) und für die beschrifteten Objekte s. auch Braun-Holzinger (1991) 240–256.  Braun-Holzinger (1991) 225.  Braun-Holzinger (1991) 259 St 98. Das Fragment befindet sich in Paris im Louvre, Sb 53.  Das Rollsiegel stammt aus der Gegend von Hilla im heutigen Irak. Es befindet sich im British Museum, hat die Museumsnummer BM 89137 und die Maße H. 3,32 cm und Dm. 2,05 cm.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Akkade. Aufgrund der Beischrift wird die Figur mit der ‚Tafel‘ als Schreiber identifiziert und die zentrale Figur als Yubil-Aštar.376

Abb. 4: Sitzbild Gudea B, AO 2, Tello/Girsu. Abb. 5: Zeichenutensilien der Sitzstatue Gudea B, AO 2, Tello/Girsu. © Musée du Louvre. © Musée du Louvre.

Von einem späteren Herrscher, Gudea von Lagaš, sind zwei Sitzbilder – Gudea B (Abb. 4 und 5) und F – bekannt, bei denen auf dem Schoß des dargestellten Herrschers jeweils eine Tafel mit einem Griffel und einem Maßstab liegt (Abb. 5).377 Gudea B ist 93 cm hoch und Gudea F 86 cm. Bei Gudea B ist zusätzlich in die Tafel ein Grundriss einer Tempelumfassungsmauer geritzt. Der dargestellte Griffel mit seinen spitz zulaufenden Enden erscheint insbesondere zum Einritzen von Zeichnungen geeignet zu sein. Ungefähr 30 bis 40 Steh- bzw. Sitzbilder und Statuenfragmente Gudeas sind erhalten, wobei diese Objekte teils aus regulären Grabungen, teils aus dem Kunsthandel stammen. Der Fundort ist meist Tello, das antike Girsu,378 das im  Collon (1982) 73 f. Nr. 141. Für die Inschrift s. RIME 2 = Frayne (1993) E2.0.0.1001 und Westenholz in Sallaberger/Westenholz (1999) 73. Bei den Lesungen der Namen folge ich Westenholz.  Beide Statuen befinden sich heute im Louvre, Gudea B (AO 2) und Gudea F (A0 3). Für eine kurze Beschreibung und weitere Literatur vgl. Braun-Holzinger (1991) 263 St 108 und 264 St 112.  Kose (2000) Fn. 2 mit weiterer Literatur. Gudea B und F und auch weitere Statuen desselben Herrschers stammen aus einem hellenistisch-parthischen Palast in Tello/Girsu, vgl. hierzu ebenfalls Kose (2000).

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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Südirak zu lokalisieren ist. Wie auf den meisten anderen Objekten ist auf Gudea B und F eine – im Vergleich zu den oben besprochenen Beterstatuetten – Weihinschrift in Sumerisch angebracht, aus der zu entnehmen ist, dass die Statuen in Tempeln standen. Die Inschrift der Statue Gudea B berichtet vom Bau des Eninnu für den Gott Ningirsu, in dem die Statue aufgestellt wurde. Auch die Inschrift von Gudea F ist ein Baubericht, diesmal für einen Tempel der Gatumdu.379 Die Darstellung Gudeas als Bauherrn verweist auf seine Taten zu Ehren der Götter.

Abb. 6: Stele, VA 7245.

 Für die Transkriptionen, Übersetzungen und weitere Literaturangaben s. Steible (1991).

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

In vielerlei Hinsicht abweichend ist die Darstellung auf einer Stele, die vermutlich aus der Ur III-Zeit stammt (Abb. 6).380 Im oberen Register ist eine Szene fragmentarisch erhalten: Eine auf einem Thron sitzende Person hält in der rechten Hand ein Schreibwerkzeug, mit dem sie auf einen ihr hingehaltenen Gegenstand schreibt. Joachim Marzahn bemerkt zu dieser Darstellung: „Diese als Schreiberszene anzusprechende Darstellung ist einzigartig und erinnert an literarische Vorbilder, nach denen Götter die Schreibkunst selbst ausüben.“381 Aus Ugarit, ins 14. Jahrhundert datiert, stammt eine Stele. Zwei Personen einander zugewandt sind darauf abgebildet. Zwischen ihnen befindet sich ein Tisch. Auf diesem liegen zwei längliche Gegenstände mit einer horizontalen Linie. Es könnte sich hierbei um seitlich dargestellte Diptychen handeln oder um jeweils zwei Tontafeln. Die links stehende Personen hat ihren linken Ellbogen auf einen der Gegenstände aufgestellt. Die rechts stehende Gestalt, die eine Art Fez trägt, hat ihren rechten Ellbogen auf dem anderen Objekt aufgestützt. Etwa mittig über dem Tisch berühren sie sich gegenseitig mit den Fingerspitzen. Sie leisten wahrscheinlich einen Schwur. Der jeweils andere Arm wird angewinkelt vor dem Bauch gehalten.382

Abb. 7: Detail einer Bronzestatuette (AO 2489) aus der mittelassyrischen Zeit.

 Börker-Klähn (1982) Kat.nr. 96. Diese Stele stammt aus dem Kunsthandel und hat die Maße H. 55 cm, B. 29,5 cm und T. 15 cm. Sie befindet sich heute in den Staatlichen Museen zu Berlin, Vorderasiatisches Museum, VA 7245, vgl. Marzahn/Schauerte (2008) 338 Abb. 257 für ein Foto (hier Abb. 6) und den Katalogbeitrag von Marzahn im selbigen Band auf Seite 349 Kat.nr. 372.  Marzahn (2008).  Börker-Klähn (1982) Kat.nr. 290. Die Stele wurde bei Ausgrabungen entdeckt. Für die Interpretation als Diptychen Postgate (2013) 401 f. und Cammarosano et. al. (2019) 301 f., jeweils mit einer Fotografie.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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Abb. 8: Umzeichnung der Statuette AO 2489.

Eine Statuette, AO 2489 (Abb. 7 und 8), ist im Gegensatz zu den vorher besprochenen Statuen bzw. Statuetten nicht aus Stein, sondern aus Bronze.383 Sie ist 30 cm groß, wiegt 1542 g und stammt aus dem Kunsthandel. Der Kopf und der größte Teil der Arme sind abgebrochen. Auf der Vorderseite, im Gürtel des langen Gewandes, steckt ein Schreibgriffel. Er wird nach oben hin breiter und weist in der Mitte horizontale Rillen auf. Vergleichbare Darstellungen von Schreibgriffeln sind von babylonischen Kudurrus384 (s. u.) und von neuassyrischen Palastreliefs bekannt (vgl. Abb. 21, 22 und 23). Auch der spätere Herrscher Assurbanipal lässt sich mit einem Schreibgriffel im Gürtel abbilden (vgl. Kap. 2.1.3.4, Abb. 24) Unterhalb des Gürtels der Bronzefigur befindet sich auf dem Gewand eine Weihinschrift Šamšī-bēlus. Der Inschrift nach war er Schreiber des Tempels der Ištar in Arbaʾil zur Zeit Aššur-dāns und hat die Statuette der Ištar geweiht. Der

 Für eine Diskussion der Darstellung, der Inschrift und deren Übersetzung sowie für weitere Literaturhinweise vgl. Braun-Holzinger (1984) 99–100 Nr. 342, RIMA 1 = Grayson (1987) 307 f. A.0.83.2001 und Wiggermann (2008) 227–229.  Vgl. z. B. den neubabylonischen Kudurru VA 208, Seidl (1989) 57–59 Nr. 100 Abb. 21.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Schreibgriffel und die Inschrift legen nahe, dass die Figur Šamšī-bēlu darstellt.385 Eine Datierung in die Zeit Aššur-dāns I. (1168–1133) scheint plausibel, aber auch eine Datierung in die Zeit Aššur-dāns II. (934–912) ist möglich.386 Um eine Eigentumsübertragung abzusichern, ließ die begünstigte Person nach einer Landschenkung des babylonischen Königs beziehungsweise einer damit im Zusammenhang stehenden Transaktion einen sogenannten Kudurru (vgl. Kap. 2.2: narû) anfertigen und in einem Tempel einer babylonischen Stadt aufstellen. Die bekannten über 160 Artefakte sind beschriftet und datieren in die mittel- bis frühneubabylonischen Zeit (bis 625 v. Chr.). In der Regel sind es Steintafeln und Stelen mit Reliefs, und zwar von Göttersymbolen, seltener sind zudem narrative Szenen anzutreffen.387 Ein Beispiel für einen solchen Kudurru schildert Ereignisse von ca. 987–943 v. Chr. Die 48 cm-hohe Stele aus Kalkstein wurde im Šamaš-Tempel von Sippar gefunden.388 Auf einer Seite des Kudurrus befindet sich die Darstellung eines babylonischen Königs, auf der danebenliegenden Seite dem König zugewandt ist ein Mann abgebildet mit einem Pfeil und Bogen. Ihm folgend steht eine Frau, sie hat die Arme angewinkelt vor ihre Brust erhoben; auf ihren Fingerkuppen liegt ein länglicher rechteckiger Gegenstand, der vermutlich eine Tontafel darstellt.389 Anhand der Beischriften lassen sich die Personen identifizieren: Bei dem König handelt es sich um Nabû Vgl. Deller (1983) 19 und Braun-Holzinger (1984) 99 f. Nach der Inschrift ist dies jedoch nicht eindeutig feststellbar: Šamšī-bēlu hat die Figur für das Leben von Aššur-dān, für sein Leben und das seines Sohnes geweiht und benannt.  Eine Datierung zu Aššur-dān III. (772–754) lehnt Eva Andrea Braun-Holzinger ab, da der Stil und die Ikonografie dieser Figur sich erheblich von den Darstellungen der neuassyrischen Zeit unterscheiden. Das Gewand soll vergleichbar auf einem Kudurru des 12. Jahrhunderts vorkommen, Braun-Holzinger (1984) 100. Frans A. M. Wiggermann verweist auf den unterschiedlichen Kleidungsstil dieses Schreibers im Gegensatz zu den anderen neuassyrischen Schreibern, Wiggermann (2008) 227 f.; vgl. zum Kleidungsstil der neuassyrischen Schreiber Reade (2012) 708. Schreibungen bestimmter Wörter sind für Karlheinz Deller das Argument für die Datierung zu Aššur-dān I. Deller weist jedoch auch auf fehlende Textzeugnisse aus der Regierungszeit Aššur-dāns I. und das Fehlen vergleichbarer Bronzen aus mittelassyrischer und frühneuassyrischer Zeit hin, Deller (1983) 18–20, vgl. auch Wiggermann (2008) 216 und 228.  Vgl. Paulus (2014a) mit einer Edition der Inschriften und Verweise auf weitere Literatur. Für eine Besprechung der Reliefs s. Seidl (1989).  Das Artefakt findet sich heute im British Museum (BM 90835). Für Fotografien des Artefakts s. King (1912) Taf. LXVII–LXXIX. Für die Edition der Inschrift s. Paulus (2014a) 622–636. Für einen Kommentar und die Kollation der Inschrift vgl. Paulus (2014b) 552–561.  Nach Ursula Seidl könnte der Gegenstand eine Urkunde sein, Seidl (1989) 210. Susanne Paulus spricht von einer Tontafel, Paulus (2014b) 560. Auf einer Darstellung eines weiteren Kudurrus (BM 90936) hält ein Mann in seiner erhobenen rechten Hand einen nach Seidl „leicht s-förmigen“ Gegenstand, der ihres Erachtens möglicherweise auch eine Urkunde sein könnte, Seidl (1989) 210. Eine Edition der Inschrift findet sich bei Paulus (2014a) 647–649,

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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mukīn-apli, der Mann mit Pfeil und Bogen ist Arad-Sebetti und die Frau Inanūr-šēri.390 Nach der Analyse und Kollation der Inschrift kommt Susanne Paulus zu dem Schluss, dass der abgebildete Arad-Sebetti seine Schwester Ina-nūršēri erschoss, letztere war mit einem Bruder von Burruša verheiratet. Diese Tat führte zu einer Schuldverpflichtung gegenüber der Familie von Burruša, was der Ausgangspunkt der in der Inschrift des Kudurrus niedergelegten Vorgänge ist. Bei der Tafel könnte es sich um einen Vertrag über die Mitgift Ina-nūr-šēris handeln.391 In der Gegend von Haditha am mittleren Euphrat im heutigen Irak wurden einige Tafeln und Stelen bei Ausgrabungen entdeckt. Sie werden in die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts datiert und Šamaš-rēš-uṣur und seinem Sohn Ninurta-kudurri-uṣur, Statthalter von Suḫu und Mari, zugerechnet.392 So auch die Stele (IM 132177) mit einer fragmentarisch erhaltenen Keilschriftinschrift (RIMB 2 S.0.0.1007), die auf der Insel ʿAna gefunden wurde. Sie hat die Maße 150 × 120 × 30 cm (H. x B. x Dm.).393 Rechts sind zwei unbekleidete Personen, die eine liegend, die andere halb sitzend, dargestellt. Über ihnen nach rechts galoppierend ist ein Pferd mit zwei Reitern zu sehen, von denen sich der eine umdreht. Links, die gesamte Länge der rechts dargestellten Personen einnehmend, steht ein nach rechts gerichteter Schreiber mit Bart und langem Gewand, dessen Darstellungsweise assyrisch anmutet (vgl. Kap. 2.1.3). Sein linker Arm ist angewinkelt. Auf der Handfläche, mit dem Daumen festgehalten, befindet sich ein länglicher, rechtwinkliger Gegenstand, wohl eine Art Tafel. Falls es sich nicht bloß um Oberflächenschäden handelt, ist die vertiefte Innenfläche der Tafel erkennbar. Dies würde für eine wachsbeschichtete Holztafel (vgl. Kap. 2.2: daltu und lēʾu sowie Kap. 2.1.3.3 und Abb. 20) sprechen. Der rechte Arm des Schreibers ist angewinkelt und erhoben. Der sich in der Hand befindliche Griffel läuft nach vorne hin spitz zu und ist hinten breiter als der Schaft. Mit einer vergleichbaren Handhaltung und ähnlichem Stylus ist auch ein Schreiber auf einem späthethitischen Relief aus Maraş abgebildet (vgl. Kap. 2.1.2 und Abb. 11). Bei den Darstellungen ist eine Entwicklung zu bemerken: Wird zunächst nur die Person durch die Inschrift als Schreiber gekennzeichnet, gewinnt im Verlauf der Zeit die Darstellung von Schreibutensilien an Bedeutung.

Fotografien bei King (1912) Taf. CIV-CV. Es ist unklar, ob und inwiefern es sich um eine Darstellung eines Textes handelt.  Paulus (2014a) 629 f.  Paulus (2014b) 552–560.  Vgl. Cavigneaux/Ismail (1990) 321–340.  Cammarosano et al. (2019) 134. Siehe ebd. S. 135 für Fotografien des Artefakts. Für zwei weitere Fotografien Cavigneaux/Ismail (1990) Taf. 37 Nr. 27.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

2.1.2 Späthethitische Darstellungen Die Stelen, Statuen und Orthostaten, die nach dem Zusammenbruch des hethitischen Reiches entstanden und im südanatolischen, nordsyrischen Raum aufgefunden wurden, werden als späthethitisch bezeichnet. Die auf den Bildträgern angebrachten Texte waren in Hieroglyphen-Luwisch oder in phönizisch-aramäischer Alphabetschrift geschrieben (vgl. Kap. 4.2.1). In Alphabetschrift wurden Phönizisch, Aramäisch und im Fall von Zincirli auch ein lokaler nordwestsemitischer Dialekt wiedergegeben.394 In Tell Halaf wurden auf den Orthostaten kurze Inschriften in Keilschrift angebracht.395 Drei, möglicherweise sogar vier Stelen und ein Orthostat sind bekannt, auf denen jeweils ein Schreiber zu sehen ist (Abb. 9–13).396 Die vier Stelen stammen aus Maraş in Südostanatolien.397 Auf drei der Reliefs aus Maraş (Abb. 9–12) ist eine Person mit einem relativ großen Griffel in der rechten Hand dargestellt.398 Hierbei handelt es sich um Grabdenkmäler. Solche Grabdenkmäler erscheinen als Statuen und Stelen und können mit einer aramäischen bzw. hieroglyphen-luwischen Inschrift versehen sein. Sie wurden nach dem Tode der betreffenden Person(en) aufgestellt und zeigen teilweise ein Totenmahl. Sie werden ins frühe 10. bis späte 8. Jahrhundert datiert.399 Die zeitliche Einordnung der Denkmäler aus Maraş erfolgt mithilfe stilistischer Vergleiche – es fehlen Inschriften wie auch ein gesicherter Fundkontext. Ich folge den Angaben bei Dominik Bonatz.400 Vereinzelt sind auch Grabdenkmäler mit hieroglyphen-luwischer Inschrift ohne Relief vorhanden.401 Neben dem Titel „Herrscher“ und „Priester“ wird im Zusammenhang der Grabdenkmäler nur der Titel „Schreiber“ erwähnt.402  Tropper (1993).  Meissner (1939) 356 f.  Vgl. zu den darauf abgebildeten Schreibgeräten auch die Erläuterungen von Kurt Galling (1971) 214–217.  Bonatz (2000) 17 C 9, 20 C 42, 21 C 51, 22 C 65. Hier finden sich auch Größenangaben und weitere Literatur zu den einzelnen Monumenten.  Bonatz (2000) 21 C 51, 17 C 9, 22 C 65.  Bonatz (2000). Das Thema dieser Dissertation sind die Grabdenkmäler. Bei seinen Thesen und für weiterführende Literatur verweist Dominik Bonatz häufig auf die unpublizierte Dissertation von Joachim Voos. Diese wurde 1986 in Berlin an der Akademie der Wissenschaften eingereicht. 1989 verstarb Voos, seine Dissertation war bereits zur Drucklegung eingereicht, wurde jedoch nicht publiziert. Bonatz verweist auf die überarbeitete Form der Dissertation von 1989. Hier sei jedoch nur auf die bereits schon schwer erhältliche Dissertation verwiesen: Voos (1986).  Bonatz (2000) 17 C 9, 20 C 42, 21 C 51, 22 C 65, vgl. für die Diskussion weiter Genge (1979) und Orthmann (1971).  Vgl. für weitere Angaben Bonatz (2000) 65 und 68–69.  Bonatz (2000) 96.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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Abb. 9: Relief aus Maraş mit der Darstellung von zwei Personen, Adana Museum Inv.-Nr. 1756.

Auf einem Relief (Abb. 9), das 875–800 datiert, sind zwei Personen abgebildet.403 Eine Frau, die nach rechts gerichtet dargestellt ist, sitzt auf einem Stuhl mit einer Spindel in der Hand. Ihr gegenüber steht ein Schreiber. Sein rechter Arm ist angewinkelt und der Unterarm erhoben. Die rechte Hand umklammert einen Griffel. Mit der Linken drückt der Schreiber eine Schreibtafel an die Brust. Bei der Darstellung sind keine Scharniere, die typisch für ein Poly- bzw. Diptychon sind (vgl. Kap. 2.2: lēʾu), zu erkennen, so kann dies eine Tontafel, einen Bleistreifen, eine einzelne gewachste, geweißte oder glatte Holztafel (vgl. Kap. 2.2: daltu) bzw. ein ebensolches Diptychon repräsentieren.404 Die dargestellte Frau ist für Bonatz die verstorbene Person.405

 Adana, Museum, Inv.-Nr. 1756, vgl. Bonatz (2000) 21 C 51.  Kurt Galling erwähnt die Möglichkeit der Tontafel. Für diese Darstellung geht er jedoch von einem innen gewachsten Diptychon aus, s. Galling (1971) 216.  Er zieht hierfür die ikonografischen und schriftlichen Belege für Rocken und Spindel sowie archäologische Funde heran. Spindeln sind aus eisenzeitlichen Bestattungen des syrohethitischen Raumes bekannt. In den hethitischen Texten sind Spindel und Rocken ein Symbol der Weiblichkeit und werden auch in einem Text zum hethitischen Totenritual erwähnt. Daher deutet Bonatz die dargestellte Frau als Verstorbene, vgl. Bonatz (2000) 79–82.

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Abb. 10: Relief aus Maraş mit der Darstellung eines Schreibers, Adana Museum Inv.-Nr. 1757.

Vergleichbar dem vorherigen Relief ist auf dem folgenden, das aus dem Zeitraum 875–800 stammt, ein Schreiber abgebildet (Abb. 10).406 Es fehlt nur die zweite Person. Die dargestellte Person ist wiederum nach links gerichtet. Die Schreibtafel, die der Schreiber in der linken Hand hält, ist in der Mitte, dort wo sie von der Hand gegriffen wird, ein wenig schmaler. Sie wirkt zerdrückt. So könnte es sich um einen Bleistreifen, Papyrus oder Leder als Schriftträger handeln. Prinzipiell kommen auch andere Schriftträger in Frage, so z. B. ein Diptychon oder eine einzelne Holztafel. Allerdings gibt es auch Tontafeln, die in der Mitte ein wenig schmaler werden (s. Kap. 1).407 In der erhobenen Faust des angewinkelten rechten Arms hält die Person einen Griffel. Dieser ist nach unten hin spitz zulaufend, das obere Ende ist breiter als der Schaft. Auf der linken Seite des Reliefs (Abb. 10) ist ein Bruchrand erkennbar, was auf ein Fehlen

 Adana, Museum, Inv.-Nr. 1757, vgl. Bonatz (2000) 17 C 9.  Galling (1971) 217. Er geht jedoch von einem mit Wachs beschichtetes Diptychon aus und zieht eine einzelne mit Wachs beschichte Holztafel nicht in Betracht, vgl. Galling (1971) 216 f.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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eines Teils des Reliefs hinweisen könnte. Folglich könnte eine vergleichbare Szene wie oben abgebildet sein. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre die dargestellte Person, der Schreiber, hier der Verstorbene.

Abb. 11: Relief aus Maraş mit der Darstellung Abb. 12: Umzeichnung des Reliefs AO 19222. von zwei Personen und einem Vogel, AO 19222. © Musée du Louvre.

Auf einer weiteren Stele, die in den Jahren 825–700 entstanden ist, steht der Schreiber nach rechts gerichtet auf dem Schoß einer sitzenden Frau (Abb. 11 und 12).408 In seiner rechten Hand hält er wiederum den Griffel. Die Haltung der Hand entspricht einer ‚Schreibhaltung‘ vergleichbar derer, die heutzutage zur Notation einer Alphabetschrift verwendet wird. Der Griffel ist wiede-

 AO 19222, vgl. Bonatz (2000) 22 C 65.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

rum nach unten hin spitz zulaufend und zum anderen Ende hin breiter als der Schaft und gleicht dem der vorher besprochenen Abbildung. In der linken Hand hält der Schreiber eine Schnur, die zu einem Vogel führt. Über seinen Kopf befindet sich seine Namenskartusche „Tarhunpiyas“ mit luwischen Hieroglyphen geschrieben.409 Rechts von ihm ist eine zusammengeklappte Schreibtafel abgebildet. Dies legt den Schluss nahe, dass auf dem Diptychon bzw. Polyptychon mit luwischen Hieroglyphen geschrieben wurde. Es bleibt die Frage, warum der Name des Schreibers angegeben wird, wenn die verstorbene Person die Frau ist. Daher ist es plausibel, dass der Schreiber der Verstorbene ist. Auf einem weiteren Relief aus Maraş,410 das in den Zeitraum 825–700 datiert, hat eine Person, die klein dargestellt hinter einer auf einem Stuhl sitzenden Person, in der linken, erhobenen Hand einen Wedel und in der rechten Hand an die Brust gedrückt, möglicherweise eine Schreibtafel.411 Bonatz sah Schwierigkeiten in der Deutung der Darstellungen mit Schreibern: Auf den beiden Stelen mit der Darstellung einer Frau könnte der Schreiber die Orakelsprüche der Verstorbenen entgegennehmen und demnach ein Spezialist für Totenevokation und Nekromantie sein. Dem widerspricht jedoch die enge Beziehung der Personen der Stele, bei der der Schreiber auf dem Schoß der Frau steht als auch die Stele mit dem Relief eines Schreibers. So entzieht sich die Schreiberdarstellung einer endgültigen Deutung.412 Aus Samʾal/Zincirli ist ein Eckorthostat erhalten, der sogenannte Schreiberorthostat des Königs Barrākib (Abb. 13). Die Zitadelle war mit zahlreichen Orthostaten ausgeschmückt, dieser stammt aus dem ‚nördlichen Hallenbau‘.413 Auf der Breitseite sitzt links ein bärtiger Mann. Ihm zugewandt steht ein Schreiber, der in der rechten Hand eine Schreiberpalette hält – nach Josef Tropper ein Schreibinstrument ägyptischer Bauart – und unter dem anderen Arm eine zusammengeklappte Schreibtafel.414 Entweder ist dies ein Diptychon bzw. Polyptychon aus glatten oder eines aus geweißten Holztafeln.415 Auf der Schmalseite hinter dem König steht ein Wedelträger. Auf der Breitseite, am oberen Bildabschluss, befindet sich eine Inschrift. Diese Alphabetschrift, die das Aramäische wiedergibt, wird von rechts nach links gelesen. Eine Datierung wird auf die Zeit

 Hawkins (2000) 247 f.  Maraş, Museum, Inv.-Nr. 215, vgl. Bonatz (2000) 20 C 42 und Taf. XVI.  So Bonatz (2000) 96. Er erschließt dies aufgrund der ähnlichen Darstellungsweise im Vergleich zu den anderen Schreiberdarstellungen aus Maraş.  Bonatz (2000) 96–97.  S. von Luschan (1911) 345–346 und Gilibert (2010) 85–88 und passim.  VA 2817; für eine Beschreibung und weitere Literaturangaben vgl. Tropper (1993) 145.  Vgl. Galling (1971) 215.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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Abb. 13: Schreiberorthostat des Königs Barrākib, VA 2817, Zincirli/ Samʾal.

um 730 eingegrenzt.416 Es steht oben rechts: „Mein Herr ist Baʿal-Ḥarrān“.417 Oben links folgt weiter: „Ich bin Barrākib, Sohn des Panamuwa“.418 Die Schreiberpalette verweist darauf, dass auf den Beschreibstoff die Schrift – der Inschrift nach zu schließen die aramäische Alphabetschrift – mit Tinte gepinselt wurde. Anhand der späthethitischen Schreiberdarstellungen wurde deutlich, dass für die luwischen Hieroglyphen und für die aramäische Linearschrift unterschiedliche Schreibutensilien verwendet wurden. Für die luwischen Hieroglyphen wurde ein Schreibgriffel mit Spitze und breitem Ende verwendet. In der Form vergleichbare, als Stili bezeichnete Metallstäbchen aus hethitischer Zeit sind in Hattuša/Boğazköy gefunden worden.419 Sie sind im Querschnitt rund, an einem Ende spitz und an dem anderen meißelartig. Nach Rainer Michael Boehmer gleichen sie späteren Schreibgriffeln griechischer, hellenistischer, römischer und byzantinischer Zeit für Wachstafeln. In den hethitischen Texten werden neben Tontafel-Keilschrift-Schreibern auch Holztafel-Schreiber er-

   

S. Tropper (1993) 146. Übersetzung nachTropper (1993) 146. Übersetzung nach Tropper (1993) 146. Boehmer (1972) 133 f., Taf. 141 und Boehmer (1979) 31, Taf. 19.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

wähnt. Da diese Stili nicht geeignet sind, um Keile einzudrücken, geht Boehmer davon aus, dass die hethitischen Holztafel-Schreiber mit eben diesen Griffeln auf ihren mit Wachs beschichteten Tafeln luwische Hieroglyphen schrieben.420 Bei dem oben diskutierten späthethitischen Relief (Abb. 11 und 12) mit luwischer Beischrift ist eine zusammengeklappte Schreibtafel abgebildet. Dies ist als wachsbeschichtete Holztafel zu interpretieren. Auf den anderen Darstellungen ist eine einfache, mehr oder weniger rechteckige Tafel wiedergegeben. Diese repräsentieren entweder wachsbeschichtete Holztafeln – sei es in Form von einzelnen Holztafeln oder Di- bzw. Polyptychen – oder Bleistreifen, wie sie vereinzelt aus dem archäologischen Befund bekannt sind (vgl. Kap. 4.2.1). Die aramäische Schrift hingegen wurde mit Tinte aufgetragen, so dass die abgebildete Tafel eine zusammengeklappte, geweißte bzw. glatte (Holz-)Tafel repräsentiert.

2.1.3 Neuassyrische Schreiberdarstellungen Auf Bronzeblechen, einer Wandmalerei und Reliefs 421 aus neuassyrischen Palästen sind insgesamt (höchstens) 48 Darstellungen422 bekannt, bei denen Personen mit Trägermedien und bzw. oder Schreibwerkzeugen abgebildet werden. Aus Imgur-Enlil/Balawat,423 das 16 km nordöstlich der assyrischen Hauptstadt Kalḫu lag, stammen die Bronzebeschläge eines Holztores des neuassyrischen Königs Salmanassars III. (858–824). Solcherart Verzierungen waren aus den verschiedensten Materialien gefertigt und sind seit dem 3. Jahrtausend aus Schriftzeugnissen bekannt.424 Die so geschmückten Tore waren für Tempel und Paläste bestimmt. In Assyrien bezeugen schriftliche Quellen seit Adad-nirari I. (1295–1264) und die fragmentarisch erhaltenen Reste aus verschiedenen Fund-

 Boehmer (1972) 133 f. Siehe auch Payne (2015) 111 f. Sie verweist auf einen im Hethitischen als ‚Nadel‘ bezeichneten Griffel s. ebd 111 f. mit weiteren Literaturangaben. Vgl. auch Cammarosano et al. (2019) 136–145. Nach Willemijn Waal hingegen wurden glatte Holztafeln verwendet, die mit „ink“ ‚Tinte‘ beschriftet wurden; die Styli dienten womöglich zum Beschriften anderer Trägermedien wie Bleistreifen, vgl. Waal (2011) 28 f.  Zur neuassyrischen Kunstperiode vgl. Russell (1998–2001).  Julian E. Reade identifizierte 35 Schreiberdarstellungen (2012) 713–716, für eine vollständige Auflistung siehe ebd. Teilweise werden Schreiberdarstellungen, deren obere Hälfte abgebrochen ist, aufgrund ihrer Stellung in der Bildkomposition als solche identifiziert. Im Folgenden verweise ich nur auf Darstellungen, bei denen die Schreibutensilien – zumindest zum Teil – erhalten sind. Bei weiteren 13 Darstellungen ist Assurbanipal mit einem Schreibgriffel im Gürtel zu sehen.  Für eine kurze Zusammenfassung der Geschichte und Archäologie vgl. Postgate (1976–80).  Vgl. hierzu Barnett (2008) 1 sowie Steinkeller (2002).

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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orten der neuassyrischen Zeit die Beliebtheit dieser reliefierten Bänder.425 Die Metallbänder wurden waagrecht an das Tor angebracht und konnten ein oder zwei Register enthalten. Die ältesten aus dem Alten Orient bekannten Wandmalereien stammen aus dem 8. Jahrtausend. In der neuassyrischen Zeit waren Paläste des Königs mit bemalten Reliefs geschmückt; ferner existierten bemalte glasierte Ziegel und Orthostaten aus eben solchen Ziegeln.426 Der Großteil der bekannten neuassyrischen Wandmalereien stammt aus Til Barsip/Tell Ahmar, einer neuassyrischen Provinzhauptstadt. Die Ruine des Ortes befindet sich am linken Euphratufer in Syrien ca. 20 km von der türkischen Grenze entfernt. Til Barsip war die Hauptstadt des späthethitischen Kleinfürstentums Bit Adini und wurde nach der Eroberung durch Salmanassar III. im 9. Jahrhundert zu Kar-Salmanassar umbenannt. Der Palast, dessen Wände teilweise verziert waren, wird Tiglat-pileser III. (745–727) zugeschrieben.427 François Thureau-Dangin teilt die Wandmalereien in verschiedene Perioden ein, die von Tiglat-pileser III. bis Assurbanipal (668–631/27) datieren. Die Schreiberdarstellung stammt aus der ältesten Periode, die tendenziell Tiglat-pileser III. zugerechnet wird, jedoch ist auch eine Datierung in die Regierungszeit Salmanassar V. (726–722) oder Sargon II. (722–705) plausibel.428 Aus den assyrischen Residenzstädten Ninive, Kalḫu und Dur-Šarrukin sind mehrere Paläste assyrischer Herrscher bekannt,429 welche mit zahlreichen Reliefs aus Stein geschmückt waren, die teilweise auch Personen mit Schreibutensilien zeigen. Diese Stätten wurden im 19. Jahrhundert ausgegraben. Sie liegen im heutigen Irak bis zu 30 km von Mosul entfernt. Nur eine Auswahl der Reliefs gelangte in europäische Museen. Von einer Vielzahl sind nur Umzeichnungen bekannt, die Existenz weiterer Reliefs wird ausschließlich in der Grabungsdokumentation erwähnt. Mithilfe der Inschriften und des Dargestellten ist ein Teil der Reliefs bestimmten Herrschern zuzuweisen, weitere werden aufgrund des Vergleichs mit sicher datierten Beispielen bestimmten Perioden zugeordnet.430

 Schachner (2007) 14–16; Curtis/Nigel Tallis (2008), s. dort besonders Kapitel 6.  Spycket (1987–90) mit weiterführender Literatur.  Spycket (1987–90) 297.  Thureau-Dangin/Dunand (1936) 45 f. und passim. Vgl. weiter Reade (1979) 76–78. Reade datiert die Darstellung zu Salmanassar V., vgl. Reade (2012) 713 Nr. 3.  Eine Zusammenstellung aller der in Texten belegten Paläste und der dort vorgenommenen Renovierungsarbeiten unterschiedlicher Herrscher mittel- und neuassyrischer Zeit sowie weiterführende Literatur findet sich bei Postgate (2003–2005). Für die archäologische Seite vgl. Miglus (2003–2005).  Vgl. für mögliche Datierungen Reade (1972) 88–90 und (1979) 76–110. John Malcolm Russell datiert die Reliefs des Südwestpalastes in Ninive/Kujundschik, aus welchem die meisten der uns bekannten Schreiberdarstellungen stammen, Russell (1991) 117–151. Bestimmte Reliefs

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Einige Darstellungen von Schreibern stammen aus dem 8. Jahrhundert, jedoch kommt der Großteil aus dem 7. Jahrhundert. Die im Gegensatz zu den Abbildungen des 7. Jahrhunderts weniger stark standardisierten Darstellungen von Schreibern des 8. Jahrhunderts werden in den Unterkapiteln ‚Frühe Darstellungen‘ – die Darstellungen aus Balawat und Tell Ahmar – und ‚Schreiben nach Diktat‘ behandelt. Im 7. Jahrhundert trifft man zwei Standarddarstellungen an: ‚Notation der empfangenen Kriegsbeute‘ und ‚Assurbanipal mit Griffel im Gürtel‘. Abweichend von den anderen Darstellungen, bei denen die Schreiber ein Schreibwerkzeug bei sich tragen, gibt es zwei Darstellungen, bei denen Personen im weiteren Umgang mit Schriftstücken gezeigt werden, was am Ende des Unterkapitels diskutiert wird. 2.1.3.1 Frühe Darstellungen Das im assyrischen Kernland lokalisierte Imgur-Enlil/Balawat wurde in der Regierungszeit Assurnasirpals II. (883–859) neu gegründet. In Balawat wurden noch Bronzebänder zweier weiterer Tore Assurnasirpals II. – Balawat A und B – gefunden.431 Am besten erhalten sind die Beschläge des Balawattores C von Salmanassar III., die sich heute größtenteils im British Museum befinden (BM 124651–124663). Balawat A, B und C wurden auf der Zitadelle gefunden. Aufgrund der nicht ausreichend präzisen Ausgrabungsmethode kann jedoch nicht mehr ihre genaue Anbringung innerhalb des Palastes bzw. Tempels rekonstruiert werden.432 Die Metallbänder Balawat C sind einheitlich 20–21 cm hoch und, falls vollständig erhalten, zwischen 2,10–2,26 m lang.433 Eckhard Unger rekonstruiert die Höhe der Türflügel mit 7,23–7,31 m und die Breite beider Türflügel mit zusammen 3,66–3,70 m.434 Auf den Beschlägen von Balawat C sind überwiegend Feldzüge des Königs und Tributabgaben durch die unterlegenen Geg-

sind sicher Sanherib und Assurbanipal zuzurechnen. Einige Reliefs, die Russell Assurbanipal zuschreibt (ebd. 150 f.), sind nach Reade hingegen Sîn-šar-iškun (629/27–612) zuzuweisen, vgl. Reade (1979) 109 f.  Curtis/Tallis (2008).  Für die Forschungsgeschichte vgl. Curtis (2008a). Eine Diskussion über eine mögliche Anbringung des Tores liefert Schachner (2007) 9–16.  Schachner (2007) 23.  Unger (1920) 7.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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ner abgebildet.435 Eine Ausnahme bildet die Bildhauerszene436 auf Band 10437 (Abb. 14–16).  Die Bezeichnung der einzelnen Bänder folgt dem von J. E. Reade 1979 angewandten System. Für eine Konkordanz der verschiedene Benennungen der Bildstreifen vgl. Schachner (2007).  Für Schachner gibt es eine weitere Abbildung von Schreibern, und zwar auf dem Band Va. Zwei Assyrer stehen hier nebeneinander. Einer der beiden trägt eine Waffe bei sich. Beide haben ihre rechte Hand vorgesteckt, auf der sich nicht näher identifizierte Gegenstände befinden. Unter Heranziehung von Jeanette C. Finckes Umzeichnungen neuassyrischer Palastreliefs mit Abbildungen von nebeneinander stehenden Schreibern schließt Schachner, dass hier zwei Schreiber dargestellt sind, vgl. Fincke (2003–04) Abb. 4–6; Schachner (2007) 45 Fn. 48, Taf. 5 und 32b; King (1915) Taf. 28. Dem folgt auch Radner (2014) 84 und 225 Endnote 95. Jedoch ist diese Darstellungsweise von Schreibern erst von Palastreliefs ab Sargon II. bekannt. Diese tragen nie Waffen bei sich und sind stets mit ihren Schreibgeräten abgebildet. Auf Band Va stehen vor dem König fünf Assyrer, denen ein Tributzug folgt. Für Jürgen Bär steht bei der Tributabgabe eine variierende Anzahl von Assyrern dem König gegenüber, meist dazugehörend zu Beginn der Bärtige mit Stirnband und abschließend der ‚Winker‘, dem der Tributzug folgt, vgl. Bär (1996) 216–218. Auf den Metallbändern aus Balawat wird die Tributabgabe an den König auf diese Art und Weise dargestellt, wobei die Anzahl der Personen, die vor dem Tributzug steht, variieren kann, vgl. Curtis/Tallis (2008) und Schachner (2007). In dem besagten Fall stehen der dritte und der vierte Assyrer nebeneinander und halten einen nicht näher identifizierten Gegenstand in der einen Hand. Die eine Gestalt ist bärtig, die andere bartlos. Die bartlose Gestalt trägt eine Waffe bei sich. Fruchtbarer erweist sich daher der Blick auf Abbildungen aus der Zeit Assurnasirpals II. (883–859), die zeitlich wesentlich näher liegen. Auf zwei Fragmenten von Bronzebändern aus Nimrud (BM N.2063 und BM N.2064), welche vermutlich zu Beginn der Regierungszeit Assurnasirpals II. entstanden, ist der König dargestellt. Ihm stehen mehrere Personen (bei N.2063 sind noch 6 erhalten, bei N.2064 fünf) gegenüber, vgl. Curtis (2008b) 75–77 Abb. 95 und 96. Die zweite und die dritte Person stehen nebeneinander, die vordere ist bartlos, die hintere bärtig. Bei N.2063 hat die vordere, bartlose Figur den rechten Arm angewinkelt und die Hand zur Faust geballt; der bärtige Mann hat seine Hände gefaltet. Bei N.2064 trägt die bartlose Figur ein Schwert, der rechte Arm hängt herab, die linke Hand ist zur Faust geballt. Die hintere Figur hält eine Hand vorgestreckt. Die dem König jeweils unmittelbar gegenüberstehende Person wird von Curtis als Kronprinz gedeutet, vgl. Curtis (2008b) 75–77. Auf einem Band MM ASH II R 5 des Balawattores A vom Tempel des Mamu ist eine vergleichbare Tributszene abgebildet; hier hat die eine Person die Hände gefaltet und die andere hintere eine Hand erhoben, vgl. Curtis/Tallis (2008) Abb. 81 und 82. Auch bei Balawat B gibt es eine zwar nur fragmentarisch erhaltene, dennoch vergleichbare Szene Band MM ASH II L 3, wobei hier beide Gestalten einen Bart tragen, vgl. Curtis/Tallis (2008) Abb. 61 und 62. Ein weiteres Beispiel mit König, Assyrern und Tributzug ist von den Palastreliefs des Nordwestpalastes aus Nimrud/Kalḫu bekannt, s. Janusz Meuszyński (1981) Taf. 2 B–7 und B–6. Ein Elfenbeinfragment aus dem Nordwestpalast in Nimrud, das ins 9. Jahrhundert datiert, stellt auch zwei Personen nebeneinander dar, vgl. Herrmann/Laidlaw (2009) Kat.nr. 223 IM 79537, 180 u. Taf. 32. In Nimrud/Kalḫu wurde darüber hinaus der ēkal māšarti – modern auch ‚Review palace‘, ‚Fort Shalmaneser‘, ‚Arsenal‘ oder ‚Zeughaus‘ genannt – ausgegraben, in dessen Thronsaal eine mit Keilschrift und Reliefs versehene Thronbasis von Salmanassar III. gefunden wurde. Auf der Nordseite der Basis befindet sich wieder die charakteristische Szene mit König, Assyrern und Tri-

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Abb. 14: Ausschnitt des Bands 10 des Tors C, Balawat/Imgur-Enlil.

Im unteren Register des Bandes 10 wird zunächst die Eroberung einer Stadt wiedergegeben, was auch durch die Beischrift vermerkt wird. Anschließend wird im unteren Register (s. u.) die Anbringung eines Reliefs des Königs oder einer Inschrift und die Gabe von Opfern in der von den Assyrern ‚Tigrisquelle‘ butzug. Auch hier lassen sich die beiden nebeneinander stehenden Personen, bartlos und bärtig, aufgrund der Darstellung nicht als Schreiber identifizieren, vgl. Oates (1963) 9–21, Taf. 6. Eine in die Mitte des 8. Jahrhunderts datierte Wandmalerei aus Til Barsip/Tell Ahmar zeigt wiederum eine Tributabgabe. Die zwei nebeneinander stehenden Männer sind beide bärtig. Der hintere hat seine Hände gefaltet. Der vordere trägt an der linken Seite ein Schwert, sein rechter Arm ist erhoben, der linke hängt herab, vgl. Thureau-Dangin/Dunand (1936), Taf. 50. Zwei weitere Wandmalereien aus Til Barsip zeigen eine vergleichbare Szenerie, die auch als Empfangsszene gedeutet werden kann; hier ist der König thronend dargestellt, zwei bärtige Männer stehen nebeneinander, vgl. Thureau-Dangin/Dunand (1936), Taf. 52 und für eine Farbabbildung Parrot (1961) 103–104, Abb. 113 und 105, Abb.114 und Kohlmeyer/Strommenger (1982) 169 Kat.nr. 157 sowie Thureau-Dangin/Dunand (1936), Taf. 49 und für eine Farbabbildung Parrot (1961) 103–104, Abb. 112. Bei letzterer Darstellung ist die vordere Figur bewaffnet. Abschließend ist zu vermerken, dass in der Darstellung von zwei Männern nebeneinander vor dem König kein Hinweis existiert, dass die abgebildeten Personen Schreiber sind. Ob die von Schachner als Schreiberdarstellung identifizierte Darstellung eine solche ist, sei dahingestellt. Wenn ja, wäre sie auf jeden Fall sehr ungewöhnlich.  Für eine ausführlichere Beschreibung des Bildbandes und der Abbildungen vgl. u. a. Billerbeck/Delitzsch (1908) 55–61, Taf. 4; Unger (1913) 44–73 und (1920) 29–62 jeweils Taf. 3; King (1915) 30–31, Taf. 54–59; Reade (1979) 69, Taf. 14–16 und Schachner (2007) 56–62, Taf. 10 und Taf. 47b–50b.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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Abb. 15: Ausschnitt des Bands 10 des Tors C, Balawat/Imgur-Enlil.

Abb. 16: Ausschnitt des Bands 10 des Tors C, Balawat/Imgur-Enlil.

genannten Grotte dargestellt, worauf auch die Beischrift verweist. Die obere Kammer der Grotte ist genau darüber abgebildet (s. u.). Im oberen Register befindet sich darüber hinaus eine Empfangsszene des Königs, die „strukturell den Empfängen von Nichtassyrern (bei Tributen und Deportationen) entspricht“438.  Schachner (2007) 59.

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Aufgrund der Kleidung werden die dargestellten Personen als Assyrer gedeutet, vermutlich empfangen sie den König bei seiner Rückkehr aus den Bergen.439 Die Grotte wird mit dem Bırkelyn-Höhlensystem, in denen sich ein Relief und eine Inschrift Tiglat-pilesers I. (1114–1076) sowie zwei Reliefs und vier Inschriften Salmanassars III. befinden, identifiziert.440 Im unteren Register wird die Anbringung des Königsreliefs oder der daneben befindlichen Inschrift in der unteren Höhle wiedergegeben (Abb. 16).441 Die Beischrift verweist nur auf die Aufstellung eines Reliefs und die Gabe von Opfern.442 Ein Felsrelief des Königs ist im Kontext von Bergen und einem großen Fluss dargestellt. Vor diesem steht ein Steinmetz, der einen Meißel in der linken Hand hält, auf den er mit einem flachen Gegenstand hämmert. Direkt hinter ihm steht eine weitere Person mit Bart. Der Höhle nähern sich zwei Personen mit Opfertieren und der assyrische König auf einem Pferd. In der darüber liegenden Szene wird die Höhle 2 des Höhlensystems abgebildet. Innerhalb der Grotte befindet sich wiederum der Steinmetz443, erkennbar an den Gegenständen in seinen Händen. Er ist offenbar damit beschäftigt, etwas in die Wand zu meißeln, entweder eine der beiden in der Grotte angebrachten Inschriften Salmanassars III. oder sein dort befindliches Relief.444 Ihm zugewandt steht ein Mann, der vergleichbar der Person gekleidet ist, die in der unteren Höhle hinter dem Steinmetz steht. Er hat in seiner  Reade (1979) 69.  Diese befindet sich nördlich des Taurus-Passes zwischen Lice und Genç/Bingöl in der heutigen Türkei. Für eine detaillierte Beschreibung dieses Höhlensystems und Abbildungen vgl. Schachner (2007) 234–243, s. auch Schachner (2009).  In der unteren Höhle befindet sich ein Relief Tiglat-pilesers I. (1114–1076) und ein Relief Salmanassars III. Unmittelbar neben dem Relief Salmanassars befindet sich die Inschrift Tigris 2. Nicht weit von dieser existiert noch eine zweite Inschrift, Tigris 3, vgl. Schachner (2007) 240, Abb. 166 und 167.  RIMA 3 = Grayson (1996) A.0.102.78. Innerhalb der Szene ist bereits das fertige Königsrelief, in der Beischrift ṣalam šarrūtia (ebd. A.0.102.78) bezeichnet, dargestellt, was für die Anbringung einer Inschrift sprechen würde. Das Wort für ‚Opfer‘ in der Beischrift könnte möglicherweise neuassyrisch auch mit ‚Schafsopfer‘ übersetzt werden, vgl. die Lesung darrûm für das Sumerogramm UDU.SISKUR.MEŠ, CDA 57. Diese Übersetzung würde sich nicht mit den dargestellten Opfertieren, Ochse und Löwen, decken. Zu fragen ist demzufolge, ob nicht die Inschrift auf den Zeitpunkt der Anbringung des Reliefs verweist und die Darstellung auf den Zeitpunkt des späteren Einmeißelns der Inschrift. So würden sich Schrift und Bild in ihrer Aussage komplementieren.  Für Schachner ist dieser Steinmetz im Gegensatz zu dem in der unteren Szene dargestellten bartlos, Schachner (2007) 58. Die Detailaufnahmen erlauben jedoch keine eindeutige Entscheidung diesbezüglich, vgl. King (1915) Taf. 59, Reade (1979) Taf. 16. Auch konnte ich bei der Betrachtung des Originals im Februar 2018 nicht ausschließen, dass der Steinmetz einen Bart hat.  In der zweiten Höhle befindet sich ein Relief von Salmanassar und zwei Inschriften, Tigris 4 und 5, deren Inhalt deckungsgleich mit den beiden Inschriften Salmanassars in der unteren Höhle ist, Schachner (2007) 234–243, Abb. 168–171.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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erhobenen rechten Faust einen Griffel und in der linken Hand einen flachen Gegenstand – eine Tontafel oder möglicherweise ein Diptychon445. Der Griffel steht senkrecht zur Tafel. Die Person ist gerade dabei, eine Tontafel zu beschreiben. Für Schachner jedoch meißelt der Steinmetz eine Inschrift in den Felsen, die ihm von der ihm gegenüberstehenden Person von einer Tontafel diktiert wird.446 Reade geht davon aus, dass die Inschrift schon in den Stein mit Tinte vorgezeichnet oder eingekratzt war und der Steinmetz sie einmeißelte. Der Schreiber gibt Ratschläge und begutachtet das Vorankommen der Arbeit.447 Am Eingang der Grotte steht eine Person auf einem Podest, die den linken Arm erhoben hat. Das Bild könnte meines Erachtens auch der Steinmetz in den Felsen einmeißeln, während die andere Person die Inschrift niederschreibt, die ihr von der Person mit dem erhobenen Arm diktiert wird. Unabhängig davon, in welcher der beiden Szenen eine Inschrift eingemeißelt wird, ist zu konstatieren, dass dem Felsrelief des Königs und seiner Inschrift ein hoher Stellenwert beigemessen wurde. Da es zur Grabungszeit um 1930 nicht möglich war, die Wandmalereien aus Til Barsip/Tell Ahmar zu konservieren, sind sie uns nur durch die Zeichnungen von Lucien Cavro erhalten. François Thureau-Dangin teilt die Räume mit Wandmalereien einem königlichen Appartement, einem Appartement 2 und einem Thronsaal zu.448 Der Raum XXIV, ein Saal mit den Maßen 24 x 8 m, der größte des Palastes nach dem Thronsaal, befindet sich im sogenannten königlichen Appartement. Die dortigen Malereien sind die größten, sie waren bis zu vier Meter hoch erhalten.449 Die dargestellten Personen sind in etwa lebensgroß. Von der nördlichen Längsseite über die Stirnseite zur südlichen Längsseite erstreckt sich eine 22 m lange Szene, deren Zentrum auf der Schmalseite der thronende König ist. Hinter dem König beginnend auf der südlichen Längsseite befindet sich sein Hofstaat. Vor ihm befinden sich drei Funktionäre, denen Nicht-Assyrer, begleitet von assyrischen Funktionären – soweit erkennbar –, folgen. Auf der südlichen Längsseite ist eine Tributabgabe, bei der der König steht, wiedergegeben. Auf der Kopfseite und nördlichen Längsseite sind die Schreiber dargestellt: Le roi, dont le buste a disparu est représenté debout à côté d’un lion couché à ses pieds. Derrière lui, un petit groupe de soldats, attestés seulement par des jambes nues et des pieds

 Reade sieht eine Linie und meint, dass es sich folglich um ein Diptychon handeln könnte, Reade (2012) 700. Bei der Betrachtung des Originals im British Museum im September 2011 und Februar 2018 ist mir dies nicht aufgefallen.  Schachner (2007) 58.  Reade (2012) 700.  Thureau-Dangin/Dunand (1936) 42–74.  Thureau-Dangin in Thureau-Dangin/Dunand (1936) 52–58, Plan B und Taf. 49–51.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

chaussés de sandales. Devant le roi deux fonctionnaires assyriens, dont le tartân ; puis l’„introducteur“ gui précède deux scribes, un scribe assyrien qui écrit au moyen d´un calame sur une tablette et un scribe araméen qui écrit au moyen d’un pinceau sur une feuille de parchemin ou de papyrus. Ces deux scribes, qui inscrivent le compte du butin, sont suivis de deux prisonniers, un adulte et un enfant, dont la peau hâlée est conventionnellement figurée en rouge et qui sont probablement des bédouins […].450

Abb. 17: Wandmalerei aus Tell Ahmar.

Der vordere Schreiber trägt einen Bart und ein langes Gewand und schreibt mit einem Griffel auf einer Tontafel, was durch deren rotbraune Farbe deutlich wird (Abb. 17). Hier wird die typische Handhaltung zum Eindrücken von Keilen sichtbar. Der hintere Schreiber, bartlos und mit einem langen Gewand bekleidet, hält sein in der rechten Hand befindliches Schreibwerkzeug in derselben Art und Weise, wie heutzutage ein Stift beim Schreiben der lateinischen Alphabetschrift geführt wird. Das Trägermedium in der linken Hand ist weiß gezeichnet und hängt von der Hand herab. Daraus ist zu schließen, dass er etwas in Aramäisch auf eine Schriftrolle notiert. Die vor den Schreibern dargestellte Person führt die Schreiber ein und hat seinen Arm erhoben; es ist der sogenannte Winker, der in den neuas-

 Thureau-Dangin/Dunand (1936) 54 f.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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syrischen Darstellungen meist vor dem Tributzug steht.451 Ob die Schreiber nach Diktat schreiben oder selbstständig notieren, lässt sich nicht erschließen. Dieser Szene folgt anschließend an der nördlichen Längsseite eine weitere Tributszene, vermutlich mit dem König auf einem rollenden Thron.452 2.1.3.2 Schreiben nach Diktat In Kalḫu/Nimrud wurden Palastreliefs im Nordwestpalast453, Südwestpalast454 und im Zentralpalast gefunden. Aus dem Zentralpalast stammen zahlreiche Reliefs Tiglat-pilesers III. (745–727). Der Zentralpalast wurde schon in der Antike zerstört und ein Teil der Reliefs wurde bei der Konstruktion weiterer Paläste verwendet. Ein Grundriss konnte nicht ergraben werden. Von den mehr als 100 gefundenen Reliefs ist nur von einem Teil der aktuelle Aufstellungsort bekannt. Heute sind 52 der Reliefplatten als Fragmente bzw. vollständig erhalten. Von 11 weiteren hat man Zeichnungen.455

Abb. 18: Neuassyrisches Relief mit einer Diktierszene, BM 118882, Kalḫu/Nimrud.

 S. Bär (1996) 217 f.  Thureau-Dangin/Dunand (1936) 56 f. und Taf. 51.  Diese werden Assurnaṣirpal II. (883–859) zugeschrieben. Größtenteils werden mytholgische Szenen abgebildet, Genien und Lebensbaum, vereinzelt existieren auch Kriegsdarstellungen, s. Meuszyński (1981) und Paley/Sobolewski (1987).  Diese werden Assurnasirpal II. (883–859), Tiglat-pileser III. (745–727) und Asarhaddon (680–669) zugeordnet, vgl. Barnett/Falkner (1962) 20–31.  Barnett/Falkner (1962) xiv–xv.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Auf zwei dieser Reliefplatten, die zu einer Reihe weiterer gehören, die Tiglatpilesers Kampagne gegen Babylon bildnerisch darstellt456, sind zwei Schreiber zu erkennen (Abb. 18).457 Auf der linken Reliefplatte befindet sich die Darstellung einer eroberten babylonischen Stadt. Rechts davon am unteren Bildrand sieht man zwei Wägen mit jeweils drei Personen, die von Ochsen gezogen werden. Vor und oberhalb dieser Wägen sieht man Viehherden, die getrieben werden. Am äußeren erhaltenen Bildrand sind noch zwei Personen zu erkennen, vielleicht ein Gefangener, der von einem Assyrer angetrieben wird.458 In der Mitte dieser Bildkomposition, rechts neben der Stadt oberhalb der Wägen, befindet sich die Darstellung der Schreiber. Ein bewaffneter, bartloser und in ein langes Gewand gekleideter Mann, der nach rechts gerichtet dargestellt ist, hat seinen rechten Arm erhoben. In der Hand hält er eine Art länglichen Stecken, möglicherweise einen Griffel. Ihm zugewandt stehen hintereinander zwei bartlose Männer in jeweils das gleiche lange Gewand gekleidet (ein anderes Gewand jedoch als bei der vor ihnen stehenden Person). Die vordere Gestalt hat in der linken Hand eine Tontafel und in der rechten erhobenen Hand einen Griffel. Die hintere ist bereits dabei, auf Papyrus bzw. Leder zu schreiben. Sowohl der ‚Stecken‘ als auch die Griffel sind in derselben Art und Weise dargestellt. Möglicherweise wird den Schreibern gerade ein Text diktiert, der den dargestellten Feldzug zum Thema hat. Sargon II. (722–705) verlegte seine Residenzstadt nach Dur-Šarrukīn/Khorsabad. Aus dem dortigen Palast stammen wiederum zahlreiche Reliefs.459 Drei Szenen mit Schreibern sind bekannt, wobei sich eine als Diktierszene (AO 19892) identifizieren lässt.460 Diese Schreiberdarstellung (Abb. 19) befand sich im Raum 13. Der nicht vollständig erhaltene Raum ist rechteckig, eine Tür führt zu einer anderen Kammer. Die dort befindlichen Reliefs bestanden ursprünglich aus zwei Registern, die durch ein Inschriftenband voneinander getrennt waren, ein Teil des unteren Registers und des Inschriftenbandes ist erhalten.461 Die Oberfläche der Schreibszene

 Barnett/Falkner (1962) xvi–xvii und Taf. 128–129. Ansonsten wurden Kampagnen gegen verschiedene weitere Gebiete dargestellt, vgl. Barnett/Falkner (1962) xvii–xxv.  BM 118882, vgl. Barnett/Falkner (1962) Taf. 3–6. Für eine Detailfotografie der Schreibszene s. Reade (1983) 35 Abb. 45.  S. hierfür Barnett/Falkner (1962) Taf. 5 f.  Für die Forschungsgeschichte vgl. Albenda (1986) 25–31 und für weitere Angaben zu den Reliefs vgl. ebd. passim. Die Seiten 107–114 dieses Buches stammen von Christopher B. F. Walker.  S. Albenda (1986) 144 Taf. 111 (Zeichnung), 111 und 150 Taf. 137 (Zeichnung) und für AO 19892 ebd. 110 f. und 163 Taf. 133 und Abb. 90 (Zeichnung und Fotografie).  Für eine ausführlichere Beschreibung vgl. Albenda (1986) 91–92 und Taf. 131–134.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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Abb. 19: Schreibszene, AO 19892, Khorsabad/Dur-Šurrukīn. © Musée du Louvre.

(AO 19892) ist stark abgerieben (Abb. 19).462 Rechts, in der Darstellung nach links gerichtet, sitzt auf einem Schemel ein bartloser Mann in langem Gewand. Er hat den rechten Arm erhoben und angewinkelt. Ihm gegenüber stehen hintereinander zwei Männer im langen Gewand. Auf der Zeichnung hält der vordere, der Form nach zu schließen, eine Tontafel in der linken und in der erhobenen rechten Hand einen Griffel. Die hintere Person hält in der linken Hand entweder Papyrus oder Leder, das wie bei der Wandmalerei von der linken Handfläche herunterhängt. Seine andere Hand ist erhoben. Auf dem Foto (Abb. 19) ist von den Schreibgeräten am deutlichsten die Tontafel zu erkennen, jedoch nicht, ob die Personen einen Bart tragen oder nicht. Nach Jean Nougayrol könnte die vordere Gestalt womöglich einen Bart besitzen.463 Bis auf das kleine Bruchstück mit der Schreibszene sind nur Zeichnungen der Reliefs aus Raum 13 überliefert. Die

 Vgl. Auch Albenda (1986) Taf. 133 und das Foto Abb. 90. Die Schreibszene als Detailzeichnung findet sich auch bei Nougayarol (1960) 204.  Nougayrol (1960) 203.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

kurze Beischrift auf der Steinplatte 4 spricht von der Eroberung Muṣaṣirs.464 Ein hügeliges Gelände erstreckt sich auf allen aus Raum 13 bekannten Platten. Auf den Platten 1 und 2 sind ein Wagen und mehrere Personen dargestellt. Auf den folgenden Platten 3 und 4 sind auf der linken Seite assyrische Soldaten, die anscheinend Kriegsbeute wegtragen, abgebildet. Rechts von ihnen wiegen zwei assyrische Beamte Gegenstände ab. Unterhalb dieser Personen zerhacken drei Personen eine große Statue. Dem folgt ein dreigeschossiges Gebäude, auf denen ein Person sitzt, der zwei Personen gegenüber stehen. Dies ist die Schreibszene. Neben dem dreigeschossigen Gebäude ist ein weiteres zu sehen, auf dessen Dach assyrische Krieger kämpfen. Wiederum daneben befindet sich ein weiteres Gebäude. Auf Platte 6 sind der König in seiner Kutsche dargestellt, zwei Reiter und zwei gehende Personen und drei weitere Reiter. Beide gerade besprochenen Schreibszenen befinden sich im Zentrum der Bildkomposition, die sich auf zwei Reliefplatten befindet. Jeweils sind zwei Schreiber abgebildet, denen wahrscheinlich etwas von einer dritten Person diktiert wird. Es ist anzunehmen, dass sie die dargestellten Geschehnisse, wie wir sie schriftlich aus den Annalen der assyrischen Könige kennen, notieren. Auch bei den Metallbändern aus Balawat ist eine Art Vorsteher zu erkennen. Bei den beiden Diktierszenen und bei der Wandmalerei sind zwei Schreiber abgebildet, wobei einer eine Tontafel hält und der andere eine Schriftrolle. Es ist davon auszugehen, dass beide Schreiber etwas notierten, obwohl natürlich nicht auszuschließen ist, dass zusätzlich Zeichnungen angefertigt wurden.465 Im Assyrischen Reich war neben Akkadisch Aramäisch die Sprache, in der Verwaltungsvorgänge notiert wurden (vgl. Kap. 4.3). So wäre es denkbar, dass der eine Schreiber in Aramäisch der andere hingegen in Akkadisch schreibt. 2.1.3.3 Notation der empfangenen Kriegsbeute Von den beiden weiteren Schreiberszenen aus Dur-Šarrukīn/Khorsabad sind heute nur noch die Umzeichnungen erhalten.466 Auch diese Schreiberszenen datieren in die Regierungszeit Sargons II. Eines der Reliefs ist der Zeichnung nach zu stark beschädigt, um weitere Aussagen treffen zu können.467 Die beiden Platten, auf denen sich die weitgehend erhaltene Schreiberszene befindet,

 Albenda (1986) 110 f.  Vgl. zur Frage, ob Zeichnungen angefertigt wurden, Reade (2012) 708–712 mit weiterer Literatur.  Albenda (1986) 144 und 151 Taf. 111 (Zeichnung), 111 und 150 Taf. 137 (Zeichnung).  Albenda (1986) 144 und 151 Taf. 111. Reade (2012) 713 Nr. 5 identifiziert die Darstellung aufgrund der erhaltenen Handhaltung als Schreiberszene.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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stammen aus Raum 14. Der nicht vollständig erhaltene Raum war ursprünglich rechteckig, aus ihm sind vier weitere Reliefplatten erhalten, auf denen Kriegsszenen dargestellt sind.468 Auf der linken Seite der Schreiberszene ist ein befestigtes assyrisches Lager zu erkennen. Nach rechts gewandt steht ein assyrischer Soldat, vor ihm, ebenfalls nach rechts gewandt, stehen zwei Schreiber nebeneinander. Beide sind in ein langes Gewand gekleidet. Der Vordere ist bartlos und hält einen Griffel in der rechten erhobenen Hand und eine Tontafel in der linken. Der hintere, bärtige Schreiber hält in der linken Hand eine Rolle aus Papyrus oder Leder, auf der er mit der rechten schreibt. Vor den beiden Schreibern – soweit erkennbar, da das Relief nicht ganz erhalten ist – befinden sich Gefangene und Soldaten. Diese Szene ist das älteste bekannte Beispiel eines spezifischen Typus von Schreiberszene, von der insgesamt 22 Beispiele soweit erhalten sind, dass weitere Aussagen zur Darstellung der beiden Schreiber gemacht werden können (Abb. 20–23).469

Abb. 20: Registrierung von Kriegsbeute, BM 124782, Kujundschik/Ninive.

 Albenda (1986) 92 und Taf. 135–138.  Für mögliche weitere Szenen vgl. Reade (2012) 713–716. Die Abbildungen 20–23 sind der Reihe nach mit Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nrn. 277, 283, 346 und 303 zu identifizieren.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Abb. 21: Zwei Schreiber mit Diptychon und Schriftrolle sowie erhobenen Griffeln, BM 124825, Kujundschik/Ninive.

Zwei Schreibern wird Kriegsbeute geliefert (vgl. Abb. 20 und 21).470 Typisch für diese Szene sind die beiden nebeneinander stehenden Schreiber. Die beiden Personen sind stets gleich gewandet, obwohl die Kleidung von Darstellung zu Darstellung variieren kann.471 Die Schreiber können nach rechts oder links gerichtet sein. Zu ihnen werden abgeschlagene Köpfe, Kriegsgefangene begleitet von assyrischen Soldaten, Frauen und Kinder, verschiedene weitere Gaben und Vieh gebracht. Anscheinend führen die Schreiber Buch über die Kriegsbeute. Soweit feststellbar sind auch die anderen Schreiberszenen meist in Räumen angebracht, in denen sich Reliefs mit Darstellungen von Feldzügen befinden. Falls das Relief entsprechend erhalten ist, ist in einiger Entfernung der König abgebildet.472

 Diese Szene ist zu unterscheiden von der Tributabgabe. Zur neuassyrischen Tributabgabe an den König und ihrer Darstellung bei Assurnasirpal II., Salmanassar III., Tiglat-pileser III. und Sargon II. vgl. Bär (1996). Mögliche Abgaben etc. an Soldaten und Beamte werden nicht in Erwägung gezogen, Bär (1996) 214–222.  Zur Kleidung der Schreiber vgl. Reade (2012) 708.  S. auch Reade (2012) 701 f.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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Auf den Palastreliefs des Südwestpalastes Sanheribs befinden sich 17 solcher Szenen.473 Das Gebäude befand sich in Ninive/Kujundschik, wo mehrere Paläste lokalisiert wurden. Der Ruinenhügel liegt an der Ostseite des Tigris gegenüber der modernen Stadt Mosul.474 In den meisten Räumen des Südwestpalastes waren Reliefs angebracht, die ein oder mehrere Ereignisse aus einem Feldzug des Königs zeigten, aus zwei Höfen (6 und 64) und einem weiteren Raum sind uns Reliefs zu mehr als einem Thema bekannt.475 Die Reliefplatten waren über zwei Meter hoch und konnten mehrere Register enthalten. Aus jedem der drei Höfe (6, 19 und 64) und aus Räumen verschiedener Größen mit einem (14, 17, 32, 36) und mehreren Zugängen (5, 7, 10, 28, 38, 51) sind Reliefs mit der charakteristischen Szene einer Notation der Kriegsbeute bekannt. In dem länglichen Raum 28 waren vier und im Hof 19 zwei Schreiberszenen vorhanden,476 ansonsten ist jeweils eine Schreiberszene anzutreffen.477 Bis auf die beiden zuletzt genannten Räumlichkeiten werden die Räume in die Regierungs-

 Eine Zusammenstellung aller Reliefs findet sich bei Barnett/Bleibtreu/Turner (1998). Im Katalogteil werden alle Umzeichnungen der Reliefs und auch Fotos abgebildet sowie verzeichnet, wo im Raum sie ursprünglich angebracht waren. Im Textteil finden sich Beschreibungen, Zeichnungsnummern, Literaturangaben etc. Der Einfachheit halber werden die Reliefs mit Schreiberszenen von mir nach der jeweiligen Kat.nr. zitiert: 51, 102, 193, 214, 244, 263, 277, 283, 342 (unteres Register), 342 (oberes Register), 346, 347, 370, 434, 450, 550, 608. Von acht dieser Platten ist das Original (b, c) bzw. ein Teil von ihm erhalten: Kat.nrn. 243b–244b – BM WA 124786a + b (51-9-2, 16); Kat.nr. 277b – BM WA 124782a–c (51-9-2, 20); Kat.nr. 282b–283b – BM WA 124825a + b (51-9-2, 1); Kat.nr. 342b (unteres Register) – BM WA 124774e (51-9-2, 22); Kat.nr. 346c – BM WA 124955 (56-9-9, 3); Kat.nr. 347c – BM WA 124956 (56-9-9, 1); Kat.nr. 369c–370c – BM WA 124902 + 124903 (56.9.9, 12); Kat.nr. 434c – BM WA 124910 (56-9-9, 14 – 15). Bei Kat.nr. 346 findet sich eine kleine Abweichung von der Standarddarstellung. Vor den beiden Schreibern befinden sich zwar abgeschlagene Köpfe, vor diesen steht jedoch mit den Rücken zu den Schreibern ein assyrischer Soldat, der mit einem anderen diskutiert, dem anschließend der Tributzug folgt. Bei einem heute verlorenen Bruchstück eines Reliefs ist nur der Teil erhalten, bei dem der Schreiber auf die Schriftrolle schreibt, BM WA 102079 (97-10-8,8), s. Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 751 und Taf. 514 (Foto).  Zu Ninive im Generellen, zur Forschungsgeschichte und den dortigen Gebäuden vgl. Reade (1998–2001).  Zur Baugeschichte und Beschreibung der einzelnen Räume und ihrer möglichen Funktion vgl. Reade (1998–2001) 411–416.  Hof 19: Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 277, 283; Raum 28: ebd. Kat.nr. 342 (unteres Register), 342 (oberes Register), 346 und 347.  Die drei bei Reade zusätzlich identifizierten Schreiberszenen – wobei aufgrund des Fehlens des oberen Teils der Schreiberdarstellung nicht sicher ist, ob hier überhaupt Schreiber abgebildet sind – stammen aus anderen Räumen, vgl. für weitere Angaben Reade (2012) Nr. 13, 14 und 23.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

zeit Sanheribs (704–681) datiert.478 Russell schreibt den Hof 19 und den Raum 28 Assurbanipal zu,479 Reade hingegen Sîn-šar-iškun (629/27–612).480

Abb. 22: Zwei Schreiber mit Schriftrolle und Diptychon, BM 124955, Kujundschik/Ninive.

Bei vier Abbildungen481 sind die Schreiber nach rechts gerichtet (s. Abb. 20), ansonsten nach links (s. Abb. 22). Es sind, bis auf eine Ausnahme, bei der zwei bärtige Schreiber dargestellt sind,482 stets ein bärtiger und ein bartloser Schreiber abgebildet. Es ist keine klare Regel erkennbar, wer von den beiden Schreibern vorne steht. Bei einem Relief sind die Köpfe nicht erhalten, so dass dort keine Aussage über das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein eines Bartes getroffen werden kann.483 Auf den übrigen 15 Reliefplatten steht viermal der bartlose Schreiber im Vordergrund.484 Das verwendete Schreibmaterial lässt sich nicht in Verbindung mit der Barttracht bringen. Bei sechs der Darstellungen notiert der bärtige Schreiber auf der Rolle.485

 Vgl. Russell (1991) 117–151.  Russell (1991) 150 f.  Reade (1972) 90 und Reade (1979) 109 f.  Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nrn. 102, 214, 277, 283.  Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 244, Taf. 173–176.  Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 370.  Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nrn. 102, 342 (oberes Register), 346, 347.  Barnett/Bleibtreu/Turner (1998), Kat.nrn. 51, 244, 263, 347, 434, 550. Bei Kat.nr. 434 erkenne ich dies auf der Zeichnung, beim Foto ist die Stelle schwer sichtbar, vgl. Taf. 338 und 339. Kat.nr. 244 bildet zwei bärtige Schreiber ab. Bei der Zeichnung des Reliefs Kat. 342 (oberes

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

117

Im Allgemeinen hält ein Schreiber eine Tontafel oder ein Diptychon, der andere eine Schriftrolle, die aus Leder oder Papyrus war. Bei vier Beispielen ist der eine Schreiber mit einer Rolle ausgestattet, beim anderen fehlt das entsprechende Schreibmaterial, jedoch – soweit der Erhaltungszustand bzw. die Zeichnung eine Beurteilung zulässt – kann er noch einen Griffel in der Hand halten.486 Das Diptychon kommt achtmal als Schreibmaterial vor487, die Tontafel dreimal.488 Bei fünf der sechs Darstellungen aus Hof 19 und Raum 28, die nach der Regierungszeit Sanheribs datiert werden, hält ein Schreiber ein Diptychon und der andere eine Schriftrolle (s. o.).489 Bei einer Schreiberdarstellung aus Raum 28, die nur von einer Zeichnung bekannt ist,490 hält der hintere Schreiber ein Diptychon in der linken Hand und seine rechte ist ohne Schreibgriffel erhoben. Der vordere Schreiber schreibt in der Handhaltung für Keilschrift, wobei nicht ersichtlich wird, ob der benutzte Schriftträger eine Tontafel oder ein Diptychon ist. Falls die entsprechenden Stellen erhalten sind (bzw. bei den Zeichnungen genau dargestellt), lassen sich auch bei acht weiteren Schreiberdarstellungen unterschiedliche Tätigkeiten der beiden Schreiber feststellen.491 Ansonsten werden die beiden Schreiber entwe-

Register) ist es schwer zu erkennen, auf was der bartlose Schreiber notiert. Bei Kat.nr. 608, Taf. 453 ist das Schreibmaterial unklar.  Diese Reliefs sind fast ausschließlich von Zeichnungen bekannt, vgl. Barnett/Bleibtreu/ Turner (1998) Kat.nrn. 51, 102, 214 und 550. Bei zwei der Abbildungen hält der Schreiber einen Griffel zeigend in der erhobenen, rechten Hand: Bei der Zeichnung Barnett/Bleibtreu/Turner (1998), Kat.nr. 51a, Taf. 56 hat der hintere Schreiber einen Griffel in der rechten, erhobenen Hand und die linke vorgestreckt (vgl. auch das Foto bei Russell [1998] Abb. 116, hier stellt sich die Frage, ob vielleicht doch ein Schreibmaterial, eine Tontafel, dargestellt ist); bei der Zeichnung Barnett/Bleibtreu/Turner (1998), Kat.nr. 214a, Taf. 143 hat die vorne stehende Person in der rechten Hand einen Griffel und den Arm erhoben, die linke Hand ist vorgestreckt. Bei Kat.nr. 550 hat der hintere Schreiber seine rechte Hand erhoben, die linke Hand ist nicht sichtbar. Ein als Griffel zu deutender länglicher Gegenstand befindet sich auf den erhobenen Händen der ihm gegenüberstehenden Person, vgl. ebd. Taf. 426. Bei der Zeichnung Kat. nr. 102a schreibt der vordere Schreiber auf eine Schriftrolle, beim hinteren ist kein Schreibmaterial erkennbar, ebd. Taf. 83. Bei zwei weiteren Reliefs lässt der Erhaltungszustand keine Aussage zu, vgl. Barnett/Bleibtreu/Turner (1998), Kat.nrn. 434 und 608.  Das Diptychon kommt bei folgenden Reliefs vor: Barnett/Bleibtreu/Turner (1998), Kat. nrn. 263, 277, 283, 342 (oberes Register), 342 (unteres Register), 346, 347, 370.  Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 193, 244 und 450.  Hof 19: Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 277, 283; Raum 28: ebd. Kat.nr. 342 (unteres Register), 346 und 347.  Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 342a (oberes Register) Taf. 244.  Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat. Nr. 51, 102, 193, 214, 244, 263, 450 und 550. Bis auf das Relief mit der Kat.nr. 244, von welchem ein Foto vorhanden ist (vgl. ebd. Taf. 175), sind die anderen hier genannten Reliefs nur von Zeichnungen bekannt.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

der jeweils mit erhobenem Schreibgriffel (teilweise mit diesem zeigend) oder schreibend dargestellt. Interessant ist die Darstellung der Schreibwerkzeuge und Materialien. Der Schreibgriffel befindet sich stets in der rechten, das Trägermedium in der linken Hand. Bei einem Relief492 (Abb. 20), bei der die Schreiber nach rechts gerichtet sind, sind die vertieften Felder des Diptychon erkennbar. Es bestand aus mit Wachs überzogenem Holz, in das man eindrücken konnte (vgl. Kap. 2.2: lēʾu). Bei dem Großteil der Darstellungen der Schriftrolle aus dem Südwestpalast ist diese am herabhängenden unteren Ende eingerollt (vgl. Abb. 20 und Abb. 22).493 Dies unterscheidet sie von den Darstellungen, die vor Sanherib datieren, was auf eine veränderte Materialität der Trägermedien verweist, sofern dies nicht einfach nur eine andere Darstellungskonvention ist.494 In einigen Fällen ist auch das Schreibwerkzeug detailliert abgebildet. Bei einem Relief (Abb. 21)495, bei dem die Schreiber nach rechts gerichtet sind, verbreitert sich der Schreibgriffel der Person, die auf dem Diptychon schreibt, äußerst leicht zur Spitze hin, der Schreibgriffel für die Rolle hingegen verjüngt sich zur Spitze hin. Bei zwei weiteren Reliefs (z. B. Abb. 22), bei der die Schreiber nach links gerichtet sind, ist zu erkennen, dass der Schreibgriffel für das Diptychon längs geteilt ist und dass sich in der Mitte eine Rille befindet.496 Der jeweilige Keilschriftschreiber hat den rechten Arm angewinkelt und erhoben. Mit der rechten Hand umklammert er den Griffel, wobei der Zeige- und der Mittelfinger ausgestreckt sind. Wenn die Hand ausgehend von diesen Darstellungen in die Schreibposition gebracht werden würde, entspräche sie der Handhaltung für Keilschrift wie auf der neuassyrischen Wandmalerei (s. o., Abb. 17) abgebildet. Dass die glatte Außenseite des Schilfrohres nach rechts beim Schreiben zeigt, ist aufgrund von Keileindrücken auf Tontafeln verifizierbar (s. Kap. 1). So ist der Keilschriftgriffel dieser Darstellung mit einem längs gespaltenen Schilfrohr zu identifizieren.497 Teilweise wird bei anderen Darstellungen von Schreibern mit

 BM WA 124782a–c; s. Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr 277, Taf. 193 und 195.  Die Ausnahmen sind Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat. Nr. 263 und 283 (s. oben Abb. 21).  Für diesen Hinweis danke ich Reinhard Bernbeck in einem Gespräch im Mai 2014.  BM WA 124825a + b; s. Barnett/Bleibtreu/Turner (1998), Kat.nrn. 282–283.  BM WA 124955 (s. oben Abb. 22), s. Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 346, Taf. 252–254 und BM WA 124956, s. Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 347, Taf. 253–256.  Die früheste Darstellung eines Rillengriffels stammt nach Ursula Seidl von einem Kudurru aus dem 12. Jahrhundert, Seidl (2007) 119. Er ist ein Symbol für den Gott Nabû. Für die Umzeichnung der Darstellung vgl. Seidl (1998–2001) 26 Abb. 2 und Seidl (2007) 122 Abb. 3b. Der Griffel wird dort zusammen mit einem Triptychon abgebildet. Bei einem weiteren Beispiel, das wiederum ins 12. Jahrhundert verortet wird, soll ein Diptychon mit einem Rillengriffel abgebildet sein, so Seidl (1998–2001) 24. Die Darstellung des Rillengriffels zusammen mit einem Triptychon sowie

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

119

dem Griffel auf etwas gezeigt (Abb. 20)498, wobei (bei dem Beispiel) der Zeigefinger ausgestreckt ist.499 Bei drei Schreiberdarstellungen, die alle in die Regierungszeit Sanheribs datiert werden, hat der vordere Schreiber einen länglichen, rechteckigen Ge-

eine weitere Darstellung von einem etwa zeitgleich datierbaren Kudurru (Sb 22), die einen keilförmigen Stylus und eine Tontafel zeigt, führte dazu, dass der Rillengriffel als Schreibwerkzeug für wachsbeschichtete Holztafeln und der keilförmige Griffel als Schreibwerkzeug für Tontafeln gedeutet wird. Für die Umzeichnung des ‚Tontafelgriffels‘ Seidl (1998–2001) 26 Abb. 1 und Seidl (2007) 122 Abb. 3a. Beide Darstellungskonventionen für einen Griffel als Symbol existieren im 1. Jahrtausend parallel, Seidl (1998–2001) 24 f. Die Rille beim Holztafelgriffel diente nach Seidl möglicherweise dazu, Flüssigkeit, eine Farbe oder einen Weichmacher für Wachs zu transportieren, Seidl (2007) 124. Bei denen bei Seidl (1998–2001) abgebildeten und beschriebenen Beispielen fällt auf, dass sie verschiedenen Denkmalgruppen wie neuassyrischen Stelen, Stempelsiegeln oder Kudurrus zuzuordnen sind und zudem die eine Form zwar stets eine Rille besitzt, die andere jedoch recht divers dargestellt ist, von zwei kleinen Keilen bis zu einem nahezu rechteckigen Griffel mit einer horizontalen Linie. Konrad Volk unterscheidet daher zwischen einem einteiligen Griffel, einem Rillengriffel und einem keilförmigen Griffel, Volk (2009–11) 282–284. Michele Cammarosano spricht von einem Griffel für Wachs- und einem für Keilschrifttafeln, wobei er auf die neuassyrischen Reliefs Bezug nimmt, Cammarosano (2014) 54–62. Von denen bei Cammarosano (2014) 56–59 angeführten Beispielen für neuassyrischen Darstellungen des Tontafelschreibers ist nur ein Relief überhaupt im Original soweit erhalten, dass Aussagen über die Gestalt des Griffels möglich sind, und zwar BM 118882 (s. Kap. 2.1.3.2 und Abb. 18). Bei dem Stylus als Symbol Nabûs unterscheidet Cammarosano zwischen einem Rillengriffel und allen anderen Darstellungsformen. Letztere unterteilt er in „‚Simple Tip‘ Stylus“ und „‚Stylized Wedge‘ Stylus”, wobei er anmerkt, dass eine Unterscheidung zwischen diesen beiden Subtypen mitunter nicht leicht ist, Cammarosano (2014) 59–62. An der besonderen Form des Griffels für wachsbeschichtete Holztafeln wird auch in einem Artikel neueren Datums festgehalten, Cammarosano et al. (2019) 158–160. Allerdings muss diese keine besondere Funktion gehabt haben, vgl. Cammarosano et al. (2019) 166–168. Wie bereits ausgeführt entspricht die Darstellung des Griffels mit einer Rille dem für Tontafeln üblichen Schreibwerkzeug, so dass für beide Schreibmaterialien bei der Verwendung derselben Schrift dieselbe Art Griffel gebraucht wurde. Flüssigkeiten sind bei der typischen Handhaltung dieses Griffels nicht plausibel. Demnach zeigt die Darstellung eines einteiligen Griffels die eine Seite und die Darstellung des Rillengriffels die andere Seite des Stylus aus Schilfrohr. Der keilförmige Griffel ist als eine stilisierte Darstellung zu werten.  BM WA 124782a–c, Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 277, Taf. 193 und 195.  Bei anderen, nur noch von Zeichnungen bekannten Darstellungen liegt der Griffel in der erhobenen geöffneten rechten Hand eingeklemmt zwischen Daumen und Handteller (vgl. hierzu oben Abb. 18), s. Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 193a Taf. 132, Kat.nr. 263 Taf. 186 und Kat.nr. 450a Taf. 363 Bei dem ersten Beispiel ist eine Tontafel zu erkennen, beim zweiten eine Diptychon, beim dritten wiederum eine Tontafel. Die Schreiber sind jeweils nach links gerichtet. Eine Längsteilung des Griffels ist bei den Zeichnungen nicht vorhanden. Jedoch kann diese bei den nicht mehr erhaltenen Originalen vorhanden gewesen sein. Gleichwohl könnte das Nichtsichtbarsein der Rille der Handhaltung zuzuschreiben sein.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

genstand unter den linken Arm geklemmt. Bei einer dieser Darstellungen500 formt der vordere Schreiber etwas, vermutlich eine Tontafel, der hintere Schreiber hat eine Schriftrolle in der linken Hand und in der Hand des erhobenen, rechten Arms seinen länglichen Griffel. Ungewöhnlich bei dieser Abbildung ist auch, dass beide Schreiber bärtig sind (s. o.). Beim zweiten Relief notiert der vordere Schreiber auf der Schriftrolle, der hintere hat vermutlich kein Schreibmaterial, hält aber seinen Griffel erhoben.501 Bei der dritten Darstellung registriert der vordere Schreiber auf einer Schriftrolle.502 Beim hinteren Schreiber ist das Schreibmaterial nicht sichtbar. Der rechte Arm ist erhoben ohne Griffel; diesen sieht man bei den Gabenbringern, so, als hätte der hintere Schreiber ihn geworfen. Bei den beiden letztgenannten Darstellungen könnte es sich bei dem rechteckigen Gegenstand um eine vereinfachte Darstellung einer Schreiberpalette handeln. Dies wäre aber im Widerspruch zum Tontafelschreiber der ersten Darstellung, der keine Schreiberpalette benötigt. Der rechteckige Gegenstand könnte auch ein Köcher für Griffel sein, jedoch sehen wir eine solche Darstellung nicht bei Assurbanipal, der seinen Griffel im Gürtel eingesteckt trägt (s. u.). Daher ist der rechteckige Gegenstand meines Erachtens eine Schriftrolle. Aus dem Nordpalast Assurbanipals in Ninive/Kujundschik sind drei weitere Vertreter der Standarddarstellung bekannt. Etwa die Hälfte des Palastes wurde freigelegt. Auf den Reliefs werden die Jagd, Kriegsszenen und Tributabgaben dargestellt.503 Es sind jeweils zwei Schreiber nebeneinander abgebildet, wobei der bartlose Schreiber vorne steht und der bärtige hinten. Abweichend von den Darstellungen aus dem Südwestpalast Sanheribs halten hier stets beide Schreiber einen breiten Griffel in der rechten Hand und in der linken jeweils ein Diptychon (für das unten beschriebene Relief vgl. Abb. 23). Die rechte Hand ist jeweils erhoben und mit dem Griffel wird auf die vor den Schreibern stehenden Personen gezeigt. Aus dem Raum F, wo der Feldzug gegen die Elamer abgebildet ist, stammt eine Darstellung von Schreibern. Der Raum hatte nur einen Zugang.504 Die Schreiber sind nach rechts gerichtet. Beide Schreiber halten in der erhobenen,  Barnett/Bleibtreu/Turner (1998), Kat.nr. 244, Taf. 174–176 mit einer Fotografie und zwei Zeichnungen (BM WA 124786a + b).  Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 51, Taf. 56 mit einer Zeichnung. Für ein Fotografie vgl. Russell (1998) Abb. 116. Ich bin mir unschlüssig, ob auf der Fotografie noch eine Tontafel oder ein Diptychon zu sehen ist.  Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 550, Taf. 426 mit einer Zeichnung.  Vgl. knapp zusammengefasst Reade (1998–2001) und für die Forschungsgeschichte und alle Abbildungen Barnett (1976).  BM 124931. Es ist die Platte 3, vgl. Barnett (1976) 39–41 für eine Beschreibung des Raumes und aller Reliefs sowie Tafel 7a und Tafel 17 für eine Fotografie des Reliefs.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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rechten Hand einen Griffel. Wahrscheinlich halten sie ein Diptychon in der linken Hand, wobei die mittlere Trennung des Schreibmaterials auf der Abbildung und im Original nicht (mehr) zu erkennen ist. Die Art der Haltung entspricht jedoch derjenigen von Diptychen. Ein Relief kommt aus dem Thronsaal M, wo mehrere Feldzüge auf Reliefs dargestellt sind.505 Hier sind die beiden Schreiber nach links gerichtet und halten eindeutig ein Diptychon in der linken Hand und einen Griffel in der rechten, erhobenen Hand. Obwohl die Schreiber nach links gerichtet sind, ist beim Griffel keine Rille bemerkbar. Dies könnte an der Handhaltung liegen, der Griffel wird jeweils von vier Fingern umschlossen, der Zeigefinger ist ausgestreckt. Vom dritten Relief steht nur noch eine Zeichnung zur Verfügung. Es soll aus dem Obergeschoss in die Räume V/T gefallen sein.506 Hier sind die Schreiber nach rechts gerichtet, die Griffel sind nicht zu erkennen, jedoch die beiden Diptychen.

Abb. 23: Zwei Schreiber mit Diptychon, Burrell Collection 28.33.

 BM 124945. Es ist die Platte 12, vgl. Barnett (1976) 45–48 für eine Beschreibung des Raumes und aller Reliefs sowie Tafel 7a und Tafel 35 für eine Fotografie des Reliefs.  Barnett (1976) 59 und Taf. 67.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Ein weiteres Fragment einer Schreiberdarstellung (Abb. 23) lässt sich wohl aufgrund der Abbildung beider Schreiber mit demselben Schreibwerkzeug, derselben Handhaltung und demselben Trägermedium auch Assurbanipal zuordnen.507 Hier lässt sich eine horizontale Teilung des Griffels bemerken. Wie weiter oben aufgezeigt wurde, konnte der Griffel für das Diptychon eine vertikale Rille besitzen. Der dargestellte Griffel wurde in der vorliegenden Studie (s. o) als gespaltenes Schilfrohr identifiziert. Hier (Abb. 23) ist nun die Außenseite des gespaltenen Rohrs abgebildet, wobei bei diesem Naturmaterial eine solche Art ‚Trennung‘ vorkommt. Aufgrund des gleichen Trägermediums und Schreibwerkzeuges ist davon auszugehen, dass beide Schreiber mit derselben Schrift – der Keilschrift – notierten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass – nach den Schreiberdarstellungen zu schließen – im Laufe des 7. Jahrhunderts das Diptychon die Tontafel als Keilschriftträger für Dokumentationen auf dem Feld ablöste.508 Die Materialität der Schriftrolle änderte sich, sie wird ab Sanherib mit eingerolltem Ende dargestellt. Vielleicht wurde zunächst Leder verwendet, welches dann durch Pergament abgelöst wurde. Jedoch stammen die ersten Pergamentschriftstücke aus dem 3. Jahrhundert (s. Kap. 4.1.3). Der Keilschriftschreiber verwendet einen Griffel aus gespaltenem Schilf, der Alphabetschreiber einen länglichen bis spitz zulaufenden Griffel. Beide Schreiber können bei derselben Tätigkeit oder bei unterschiedlichen Tätigkeiten abgebildet sein, z. B. zeigend und schreibend. Dies legt nahe, dass keine Doppeldokumentation in aramäischer Linearschrift und Keilschrift stattfand, sondern die beiden Schreiber unterschiedliche Aufgabenbereiche hatten. Sie notieren unterschiedliche Dinge. Hierfür sprechen auch die sicher Assurbanipal zugeordneten Darstellungen. Da beide die Keilschrift benutzen, ist hier eine solche Doppeldokumentation auszuschließen. Die Darstellung von zwei Keilschriftschreibern verweist darüber hinaus auf Assurbanipals großes Interesse an der Keilschriftkultur (s. Kap. 3). 2.1.3.4 Assurbanipal mit Griffel im Gürtel Aus dem Nordpalast in Ninive/Kujundschik stammen zahlreiche Reliefs, die den assyrischen König bei der Löwen- bzw. Gazellenjagd oder dem Empfang der Jagdbeute zeigen. Wenn der König nach rechts gerichtet gezeigt wird und das Relief vollständig erhalten ist, steckt schräg unter dem Gürtel seines Ge-

 Glasgow, Art Gallery and Museum, Burell Collection 28.33; Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 303, Taf. 222. Auf die Möglichkeit zur Zuordnung zum Nordpalast Assurbanipals weist bereits Erika Bleibtreu hin in, vgl. Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) 84.  So auch Reade (2012) 707.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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wandes ein Griffel.509 Wie oben bemerkt halten alle Schreiber ihren Griffel in der rechten Hand, so dass es nahe liegt, diesen auf der rechten Seite griffbereit zu tragen. In der Mitte dieses länglichen Gegenstandes befindet sich eine Rille. Somit ist die Identifikation mit dem oben erwähnten Griffel gesichert (Abb. 24).

Abb. 24: Der Griffel Assurbanipals, BM 124876, Kujundschik/Ninive.

Bekannt sind 11 solche Reliefs, deren Erhaltungszustand eine eindeutige Zuweisung erlaubt.510 Auf einem weiteren Palastrelief aus dem Nordpalast ist eine Stele abgebildet, auf der der König wiederum nach rechts gerichtet bei der Löwenjagd abgebildet ist und seinen Schreibgriffel bei sich trägt.511 Diese Stelendarstellung findet sich im Raum C, in welchem weitere Reliefs die Löwenjagd zeigen. Ferner existiert noch ein Fragment eines ‚Bildhauermodells‘, eines Reliefs, welches Assurbanipal zu Fuß zeigt, während er einen Löwen aufspießt.512

 Dies bemerkte auch Ursula Seidl, vgl. Seidl (2007) 119.  Diese befinden sich in dem großformatigen Band von R. D. Barnett (1976). Innerhalb des Bandes sind die Reliefabbildungen nach Räumen sortiert; die Tafelnummern sind durchlaufend; keine eigene Katalognummer wird vergeben. Im Folgenden werden die jeweiligen Museumsnummern angegeben und dahinter in Klammern die entsprechenden Tafeln des Buchbandes: BM 124853–4 (Taf. 10, 12) aus Raum C; BM 124872 (Taf. 46, 49, 50) aus Raum S; BM 124875 (zwei Abbildungen: oberes und mittleres Register: Taf. 46, 49, 50, 52) aus Raum S; BM 124876 (drei Abbildungen: oberes, mittleres und unteres Register: Taf. 47, 51, 52) aus Raum S; BM 124878 (Taf. 47, 51) aus Raum S; VA 960 (Taf. 53) aus Raum S; BM 124886 (zwei Abbildungen: oberes und mittleres Register: Taf. 56, 57, 59) aus dem oberen Stockwerk über Raum S.  BM 124862, Barnett (1976) Taf. 6. Den Griffel bemerkte ich, als ich das Relief im September 2011 im Original im Museum betrachtete. Ein Überprüfung aus allernächster Nähe war aufgrund des einzuhaltenden Sicherheitsabstandes nicht möglich.  BM 93011, Barnett (1976) 35 und Taf. 1.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Ein Äquivalent als Relief existiert dazu nicht. Im Gürtel befindet sich ein Rillengriffel mit horizontaler Trennung, der typische Schreibgriffel. Links daneben, auch in den Gürtel eingesteckt, ist ein spitzer länglicher Gegenstand. Dieser ist womöglich gleichzusetzen mit dem für Schriftrollen verwendeten Griffel, der teilweise auch spitz dargestellt wird (vgl. Abb. 20). Assurbanipal war der einzige assyrische Herrscher, der sich mit einem Schreibwerkzeug abbilden ließ. Er rühmte sich des Schreiben und Lesens kundig.513 Ferner war er für seine sogenannte Bibliothek (vgl. Kap. 3) bekannt, in der verschiedene Texte der altorientalischen Überlieferung versammelt waren.514 Seine Hinwendung zur Keilschriftkultur zeigt sich auch bei den ihm zeitlich sicher zugeordneten Schreiberdarstellungen; hier sind stets zwei Keilschriftschreiber abgebildet (s. o.). 2.1.3.5 Umgang mit Schriftstücken Aus dem Raum 14 des Palastes Sargons II. in Dur-Šarrukīn/Khorsabad stammt ein Relief, von dem heute nur noch eine Umzeichnung bekannt ist.515 Auf den beiden Platten wird die Eroberung von Pazashi dargestellt. Yigael Yadin identifizierte eine verhältnismäßig klein dargestellte Person in einem Rammbock als assyrischen Offizier, der von einer Schriftrolle liest.516 Im Raum 33 des Südwestpalastes von Sanherib wird die Schlacht am Fluss Ulai und dessen Folgen gezeigt.517 Die Reliefplatten datieren in die Regierungszeit von Assurbanipal. Auf der Platte 6518 wird der König Assurbanipal in einer Kutsche nach links gerichtet abgebildet, vor dieser Kutsche befinden sich nebeneinander stehend zwei assyrische Offiziere bzw. Wachen mit Bart, vor ihnen sind zwei bartlose Männer. Diese stehen auch nebeneinander. Ihre Haartracht, ihre Physiognomie und ihr Körperbau unterscheiden sie von den dahinter stehenden Assyrern. Der hintere der beiden bartlosen Gestalten trägt meines Erachtens eine zusammengeklappte Schreibtafel in beiden Händen, die Arme sind angewinkelt und nach vorne gestreckt. Die Tafel ist rechteckig und liegt mit der längeren Seite auf der Handfläche auf; durch horizontale Linien ist das

 Zur neueren Diskussion s. Livingstone (1997).  Vgl. u. a. Fincke (2003–04).  Albenda (1986) 149 f., Taf. 136.  Yadin (1963) 320 und 425.  S. Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) 94–100 für eine Beschreibung der Reliefs und weiteren Angaben zu diesen.  BM WA 124802c, s. Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 386, Taf. 308, 309 und 312 mit einer Nahaufnahme.

2.1 Darstellungen von Personen mit Schreibgeräten

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Scharnier angedeutet. Ihnen gegenüber (auf der Platte 5519 abgebildet) steht eine weitere bartlose Figur – ein Assyrer – und danach zwei durch eine größere Nase fremdländisch aussehend charakterisierte Personen. In einer Beischrift520 werden die vor dem König gehenden bartlosen Personen mit der Schreibtafel als Nabû-deʾiq und Umbadarâ521, die Großen von Elam, bezeichnet. Beide sind Gesandte des elamischen Königs Teumman, der in der Schlacht am Ulai-Fluß besiegt wurde. Die beiden elamischen Gesandten wurden laut der Beischrift in Arbaʾil vor die Großen des Rusa, des Königs von Urartu, mit lēʾāni šipir mēreḫtu ‚Holztafeln mit einer vermessenen Botschaft‘ gestellt. Vor seiner Unterwerfung in der Schlacht am Ulai-Fluß verschickte Teumman über seine beiden Gesandten solche Botschaften. Zusammenfassend ist zu sagen, dass – den Darstellungen nach – im neuassyrischen Reich Tontafeln und wachsbeschichtete Holztafeln für Keilschrift und Schriftrollen für das Aramäische verwendet wurden. Wo im 8. Jahrhundert noch Tontafeln abgebildet wurden, werden diese im 7. Jahrhundert von wachsbeschichteten Holztafeln abgelöst. Für die Keilschriftträger wird ein Schilfgriffel verwendet, für das Aramäische ein nicht näher identifizierter länglicher bzw. spitz zulaufender Griffel. Auf ein spitzes Schreibwerkzeug verweisen Schriftzeugnisse mit Ritzungen von aramäischen Zeichen, die teilweise Spuren von Tinte enthalten können (s. Kap. 4 passim). Bis auf die Ausnahme von Balawat werden immer zwei Schreiber abgebildet. Diese stehen stets aufrecht, was nicht ausschließt, dass Schreiber während des Schriftaktes auch saßen,522 wie wir es oben bei einer Darstellung aus dem 3. Jahrtausend gesehen haben. Die zwei Schreiber können bei verschiedenen Aktionen (z. B. zeigend und schreibend) oder bei denselben Tätigkeiten abgebildet sein, was darauf verweist, dass sie unterschiedliche Aufgabenbereiche hatten. Bei zumindest drei der Schreibszenen des 8. Jahrhunderts ist eine Art Vorsteher, der diktiert bzw. kontrolliert, zu erkennen, ansonsten arbeiteten die Schreiber selbstständig. Für Reinhard Bernbeck spiegelt dies eine ab Ende des 8. Jahrhunderts veränderte Arbeitsweise der Schreiber wider.523 Beim Diktat ist ein Bericht des Feldzugs inhaltlich denkbar, bei der Notation der Kriegsbeute wird diese aufgelistet. Assurbanipal ließ

 BM WA 124802b, s. Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) Kat.nr. 386, Taf. 304–6, 309 und 312 mit einer Nahaufnahme.  Vgl. für Umschrift und Übersetzung Streck (1916) 316–319, Gerardi (1988) 32 f. und Prism C VII = Borger (1996) 107 f., s. auch Russell (1999) 178, 179 Abb. 64.  Bei der Umschrift der Namen folge ich PNAE. Für weitere Angaben zu den beiden Personen und Verweise auf Texte siehe ebd.  Vgl. hierzu Charpin (2007a).  Bernbeck (2017) 267 f.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

sich mit einem Schilfgriffel im Gürtel darstellen und ein ‚Bildhauermodell‘ zeigt im Gürtel meines Erachtens auch noch den spitzen Griffel. Die ihm sicher zugeordneten Schreiberdarstellungen zeigen beide Schreiber mit Schreibutensilien für Keilschrift und nicht wie sonst üblich mit Utensilien für Keilschrift und Alphabetschrift. Schriftstücke hatten nicht nur während ihrer Verfassung Relevanz: Eine Darstellung aus der Zeit Sargons II. zeigt einen assyrischen Offizier, der während der Eroberung einer Stadt von einer Schriftrolle liest. Ein Relief aus der Zeit Assurbanipals bildet zwei elamische Gesandte mit einem Diptychon bzw. Polyptychon ab, das eine Botschaft des elamischen König zum Inhalt hatte. Bei drei Schreiberszenen des Typus ‚Notation von Kriegsbeute‘ aus der Zeit Sanheribs hat ein Schreiber meines Erachtens unter den linken Arm eine Schriftrolle geklemmt.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte Dieses Unterkapitel bietet einen Überblick über die indigenen Bezeichnungen für Schriftartefakte und den Schreibgriffel in Mesopotamien des 1. Jahrtausend. Einige weitere Begriffe (s. u.), die für diese Arbeit relevant sind, werden zusätzlich erörtert. Die behandelten akkadischen Wörter sind alphabetisch sortiert. Jeweils nach einem Begriff steht die für diesen relevante Literatur. Sie befindet sich auch in dem Literaturverzeichnis zu diesem Unterkapitel. Beispiele aus dem Deutschen für Bezeichnungen von Trägermedien sind ‚Buch‘, ‚Urkunde‘ und ‚Zeitung‘. Die Begriffe werden auch für den jeweiligen Textinhalt verwendet. Eine solche ‚Mehrdeutigkeit‘ kommt auch im Akkadischen vor. Die einschlägigen akkadischen Begriffe wurden größtenteils mit Hilfe des Index XXVII des Deutsch-Akkadischen Wörterbuchs erschlossen.524 Die Grundlage meiner Ausführungen bilden die Wörterbucheinträge im CAD und AHw sowie philologische Einzeluntersuchungen zu den jeweiligen Wörtern. Primär wird der Bedeutungskontext der Begriffe im 1. Jahrtausend behandelt. Ziel dieser Betrachtungen ist es, einen Bezug zwischen einem Begriff und einem Schriftartefakt herzustellen. Hiermit soll jedoch nicht vorausgesetzt werden, dass immer eine eindeutige Beziehung existiert. Ein Begriff kann mitunter verschiedene Arten von (Schrift-)Objekten bezeichnen, ein Schriftartefakt kann umgekehrt mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnet werden. In vielen Fällen unterscheidet sich die Verwendung eines Begriffes zeitlich und regional. Jede

 Kämmerer/Schwiderski (1998) 558 f. und passim.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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Tontafel kann mit dem Wort ṭuppu/tuppu benannt werden.525 Eine Besprechung dieses umfassenden und zugleich unspezifischen Begriffs würde daher den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, zumal die äußere Gestaltung von Tontafeln bereits ausführlich in Kapitel 1 besprochen wurde. Die Vielfalt der Textinhalte wird ferner exemplarisch im Kapitel 3 dargelegt, so dass in diesem Unterkapitel der Begriff nicht weiter erörtert werden soll, sondern andere Bezeichnungen im Mittelpunkt stehen. Einführend steht an dieser Stelle ein sehr knapper Abriss zu den Wörtern, die Thema der Einzelbeiträge sind. Der Schreibgriffel wird qan ṭuppi genannt. Eine Reihe von Wörtern bezeichnet spezifische Tontafelformate (asarru, dubgallu, egirtu, giṭṭu [siehe auch imgiddû und liginnu], uʾiltu) und andere konkrete Schriftträger (daltu, lēʾu, magallatu526, sikkatu). Begriffe für Siegel werden auch für gesiegelte Texte verwendet (kamgu, kanīku, kunukku, unqu). Für eine Hüllentafel existiert im Assyrischen der Ausdruck kiṣirtu. Ein Teil der Bezeichnungen für Tafelformate (egirtu, giṭṭu, uʾiltu) wird neben anderen Begriffen (eṭēru, dannutu, nibzu, šaṭāru, šipirtu, taḫsistu, zūku) für Alltagstexte gebraucht. Für (Königs-)Inschriften existieren eine Reihe von Ausdrücken (asumittu, mašṭaru, musarû/mušarû, narû, šiṭirtu, šiṭru, šumu [für šumu šaṭru], temmennu). Daneben kann šaṭāru allgemein für Geschriebenes stehen. Der Begriff kammu wird für eine Tontafel literarischen Inhalts verwendet. Manche der bereits genannten Begriffe sind für Kapitel 4 von Bedeutung. Einige Ausdrücke (giṭṭu, magallatu, šaṭāru, šipirtu, taḫsistu) werden auch mit dem Determinativ KUŠ ‚Leder‘ realisiert. Drei dieser Wörter (giṭṭu, šaṭāru, šipirtu) werden außerdem im Zusammenhang mit sepīru ‚Alphabetschreiber‘ (vgl. Kap. 4) erwähnt. Des Weiteren existieren Textbelege, die Begriffe als Aramäisch bezeichnen (egirtu, kanīku, nibzu). Zudem steht sipru für ‚aramäischer Text‘. Der Begriff miḫiṣtu ‚Schriftzeichen‘ wird verhandelt, da er sowohl für Keilschriftzeichen als auch für aramäische Buchstaben verwendet wird. Einige Begriffe werden näher erläutert, da sie für das Kapitel 3 wichtig sind. Eine Kopie bzw. ein Exemplar eines Schriftstückes wird als gab(a)rû bezeichnet. Dieser Ausdruck ist abzugrenzen von nisḫu, was für ‚Abschnitt‘ bzw. ‚Ausschnitt eines Textes (eine Tontafel einnehmend)‘ steht. Streng genommen keine Schriftobjekte, sondern Bezeichnungen für spezifische Texte sind mukallimtu und ṣâtu (beides Bezeichnungen für Kommentartexte).

 Vgl. zur Diskussion der Lesung tuppu Streck (2009) 136–140. S. ferner für die Auflistung zahlreicher Textbelege und Verwendungskontexte CAD Ṭ ṭuppu 129–149.  Vgl. für die Besprechung des Begriffs Kap. 4.1.3.3.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Literaturliste Kämmerer, T. R./Schwiderski, D. 1998. Deutsch-Akkadisches Wörterbuch, AOAT 255, Münster. Streck, M. P. 2009. Rezension zu The Assyrian Dictionary of the Oriental Institute of the University of Chicago, Volume 18 T (2006) und Volume 19 Ṭ (2006), ZA 99, 135–140.

asarru Der Begriff ist im 1. Jahrtausend bezeugt. Er erscheint in einer neuassyrischen Bestandsliste (SAA 7 Nr. 49 Rs. Kolumne 2 Z. 7) der Bibliothek Assurbanipals (vgl. zu den Bestandslisten Kap. 3.2.1) und bezeichnet eine Art Tontafel.527 Daneben werden noch die Begriffe egirtu, daltu, lēʾu und ṭuppu (vgl. Kap. 2.2) für Schriftträger in diesen Texten erwähnt. Auch bei einem Text, BM 41577, der aus dem hellenistischen oder parthischen Babylonien stammt, kommt das Wort asarru vor. Der Text hat ein Ritual von Esagil, dem Tempel Marduks in Babylon, zum Inhalt und erwähnt in den Zwischenrubriken asar kalûti ‚asarru aus dem Korpus des Klagepriesters‘ (Kolumne 3, Z. 5 und 21) und asar āšipūti ‚asarru aus dem Korpus des Beschwörungspriesters‘ (Kolumne 4 Z. 20ʹ). Der Ausdruck wird hier für eine schriftliche Textkomposition verwendet.528 Bei zwei Texten ist die Deutung des Wortes nicht gesichert, und zwar bei einem neubabylonischen, astrologischen Text aus Ninive/Kujunschik529 und einer neubabylonischen Tafel CBS 16106 (RIME 2 1.5.10). Bei letzterer befindet sich auf der Vorderseite der Abdruck einer Inschrift eines altakkadischen Herrschers und auf der Rückseite ein Kolophon, in der der Begriff vorkommt (Rs Z. 2 f.).530

 Parpola (1983a) 2.  George (2000) 260–270 mit der Textedition und Diskussion des Texts, vgl. ebd. 268 f. für die Besprechung des Begriffs.  Pingree/Reiner (1974–77) Rs. Kolumne 2 Z. 4. Die genaue Deutung ist den Autoren unklar, ebd. 53.  Die Lesung des Kolophons ist erschwert dadurch, dass die Bedeutung des hier auftretenden Ausdrucks pa-li-su-tì (Z. 2) unklar ist, siehe CAD A/2 asarru A 329 f. und CAD P pālisu 66 f. Für eine Fotografie vgl. [https://cdli.ucla.edu/P227533]. Die Belege beider Texte werden von Wayne Horowitz miteinander in Verbindung gebracht, Horowitz (1998) 191 Fn. 59.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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Literaturliste George, A. R. 2000. Four Temple Rituals from Babylon, in: George, A. R./ Finkel, I. L. (Hg.), Wisdom, Gods and Literature. Studies in Assyriology in Honour of W. G. Lambert, Winona Lake, Indiana, 259–299. Horowitz, W. 1998. Mesopotamian Cosmic Geography, MesCiv. 10, Winona Lake, Indiana. Parpola, S. 1983a. Assyrian Library Records, JNES 42, 1–29. Pingree, D./Reiner, E. 1974–77. A Neo-Babylonian Report on Seasonal Hours, AfO 25, 50–55.

asumittu Der Begriff ist im Babylonischen und Neuassyrischen belegt und wird syllabisch geschrieben. Ihm voran kann das Determinativ NA4 stehen. Neuassyrisch erscheint der Begriff auch in der Form us(u)mittu.531 Er bezeichnet eine Platte bzw. Stele aus Stein oder Metall, die beschriftet und bzw. oder reliefiert war. Ab der Zeit Assurnaṣirpals II. wird asumittu gleichbedeutend mit narû (vgl. Kap. 2.2: narû) angesehen532 und als Synonym gebraucht.533 Der Begriff wird bspw. zur Bezeichnung von sogenannten Kudurrus (vgl. Kap. 2.2: narû), und zwar für beschriftete und reliefierte Steinstelen oder -platten verwendet.534 Ein bekannter Beleg der neubabylonischen Zeit ist indirekt. BM 91002 enthält den Abdruck eines Reliefs. Dieselbe Szene findet sich auf der sogenannten Sonnengotttafel des Nabû-apla-iddina (BM 91000, vgl. Kap. 2.2: šipirtu), einer beschrifteten Steintafel mit Relief. Beide Schriftstücke wurden zusammen in Sippar gefunden.535 BM 91000 besitzt die Maße H. 29,5 cm × B. 17,8 cm (s. Abb. 25).

 Karen Radner gibt hierfür die Lesung ušmittu an, vgl. Radner (2005) 163.  CAD A/2 asumittu 348.  Radner (2005) 163.  Vgl. Für weitere Angaben Brinkman (2006) 6, 8.  Vgl. für die Edition der Texte Woods (2004). Für die Fundgeschichte s. Finkel/Fletcher (2016). Vgl. ebd. für Fotografien der Objekte. In der (älteren) Literatur wird auf die Texte meist folgendermaßen Bezug genommen: BM 91000 = BBSt. Nr. 36 (Seite 120–127) Taf. 98 f.; BM 91002 = BBSt. 127 f. und Taf. 100 f.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Abb. 25: Sonnengotttafel des Nabû-apla-iddina (BM 91000), Sippar. © The Trustees of the British Museum.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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Es ist eine Kopie einer royalen, gesiegelten Urkunde (vgl. Kap. 2.2: šipirtu).536 Die Darstellung auf BM 91002 wurde nach Irving L. Finkel und Alexandra Fletcher durch eine Abrollung, vermutlich eines großen Zylindersiegels, angebracht und stellt keinen Abdruck von BM 91000 dar.537 Auf der Rückseite von BM 91002 befindet sich eine kürzere Inschrift über die Opfergabe von Gewändern an Šamaš bei der lubuštu-Zeremonie.538 In der vorletzten Zeile dieser Inschrift (Z. 18) steht: … d ki GABA.RI a-su-ú-mi-it šá UTU EN ⸢sip-par ⸣ ‚ … Kopie eines asumittu des Šamaš, des Herrn von Sippar‘. Nach Finkel und Fletcher bezieht sich asumittu hier auf ein uns nicht bekanntes Dokument, von dem der Text abgeschrieben wurde, und nicht auf BM 91000 (vgl. Kap. 2.2: gab(a)rû).539

Literaturliste Brinkman, J. A. 2006. Babylonian Royal Land Grants, Memorial of Financial Interest, and Invocation of the Divine, JESHO 49, 1–47. Finkel, I. L./Fletcher, A. 2016. Thinking outside the Box: The Case of the Sun-God Tablet and the Cruciform Document, BASOR 375, 215–248. Radner, K. 2005. Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbsterhaltung, Santag 8, Wiesbaden. Woods, C. E. 2004. The Sun-God Tablet of Nabû-apla-iddina Revisited, JCS 56, 23–103.

daltu Das Wort wird auch mit dem Sumerogramm gišIG geschrieben und ist in der Bedeutung ‚Tür‘ ab der altassyrischen/altbabylonischen Zeit bezeugt. Neuassyrische Inventare von Tafeln und neubabylonische Texte belegen, dass ein gišIG eine wachsbeschichtete (Holz-)Tafel bezeichnete, die entweder einzeln verwendet wurde oder eine Tafel eines lēʾu (Diptychon bzw. Polyptychon, s. Kap. 2.2: lēʾu) war.540 Dies bestätigt auch eine Sektion aus Ḫḫ V (Ḫḫ V Z. 210, MSL 6 23): giš

i g l i-u 5

“ li-ʾi

Tafel eines Polyptychons

 Vgl. Finkel/Fletcher (2016) 237 f.  Finkel/Fletcher (2016) 232–237 und 239.  Vgl. Woods (2004) 32.  Finkel/Fletcher (2016) 239. Für eine andere Interpretation Woods (2004) 32–34.  Vgl. Stol (1998) 343 f. Eine weitere bei Stol nicht angeführte kurze Inventarliste ND 2653 ist aus Kalḫu/Nimrud bekannt, s. Parker (1961) 17, 41 u. Taf. XXII.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

In neubabylonischer/neuassyrischer Zeit wurde daltu als Schriftträger für wissenschaftlich-literarische Texte gebraucht.541 In einer neubabylonischen Urkunde (BM 92707 = Nbk. Nr. 129:4) wird ein daltu in Kombination mit Torhüterpfründen als Pfand bei einer Silberanleihe eingesetzt.542 Möglicherweise handelt es sich hierbei um eine Urkunde über die Pfründe, die auf einem daltu niedergeschrieben waren, jedoch kann dies nicht mit Sicherheit geklärt werden. Eine syllabische Schreibung aus neuassyrischer Zeit legt auch eine Lesung ēdiltu bzw. ēdissu für das Sumerogramm gišIG nahe.543 In einer Inschrift Nabonids (YOS 1 Nr. 45 I Z. 34) ist nach Paul-Alain Beaulieu eine syllabische Schreibung da-al-tú anzutreffen, diesmal nicht für die Bedeutung Tür, sondern für ein einzelnes Tafelblatt.544 Aus dem Semitischen wurde das Wort in der Bedeutung Klapptafel(n) ins Griechische, deltos, übernommen. Kurt Galling verweist hierfür auf Belege des hebräischen Worts delet.545 Marten Stol geht von einer Übernahme aus dem Phönizischen aus.546

Literaturliste Ahmad, A. Y. 1996. The Archive of Aššur-Mātu-taqqin Found in the New Town of Aššur and Dated mainly by Post-Canonical Eponyms, Al Rāfidān 17, 207–288. Beaulieu, P.-A. 1989. The Reign of Nabonidus, King of Babylon, 556 – 559 B.C., New Haven u. a. Galling, K. 1971. Tafel, Buch und Blatt, in: Goedicke, H. (Hg.), Near Eastern Studies in Honor of William Foxwell Albright, Baltimore/London, 207–223. Parker, B. 1961. Administrative Tablets from the North-West Palace, Nimrud, Iraq 23, 15–67. Radner, K. 1997. Die neuassyrischen Privatrechtsurkunden als Quelle für Mensch und Umwelt, SAAS 6, Helsinki. Schaudig, H. 2001. Die Inschriften Nabonids von Babylon und Kyros᾽ des Großen samt den in ihrem Umfeld entstandenen Tendenzschriften. Textausgabe und Grammatik, AOAT 256, Münster. Stol, M. 1998. Einige kurze Wortstudien, Maul, S. M. (Hg.), Festschrift für Rykle Borger zu seinem 65. Geburtstag am 24. Mai 1994, CunMon. 10, Groningen, 343–352.

 Vgl. für weitere Angaben Stol (1998) 343 f. und Kap. 2.2: lēʾu.  Für die Übersetzung der entsprechenden Passage vgl. CAD D daltu 3 56; das Wort wird hier übersetzt mit ‚(a type of revenue)‘. Der Gegenstand wird als Pfand eingesetzt, daher ist es gut vorstellbar, dass eine mit wachsbeschichtete (Holz-)Tafel gemeint sein könnte.  S. Ahmad (1996) 236 und Radner (1997) 22.  Beaulieu (1989) 130 Anm. 36. Für eine neuere Übersetzung dieser Inschrift vgl. Schaudig (2001) 373–377 (2.7. En-nigaldi-Nanna-Zylinder). Er greift den Vorschlag von Beaulieu allerdings nicht auf, s. Schaudig (2001) 2.7 Kolumne I Z. 34.  Galling (1971) 210 f.  Stol (1998) 343.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

133

dannutu Der Begriff ist im Assyrischen sowie Alt- und Jungbabylonischen belegt; im Assyrischen kann er u. a. eine Urkunde bezeichnen.547 Neben der allgemeinen Bezeichnung ṭuppu ist dannutu die am häufigsten vorkommende Bezeichnung für neuassyrische Rechtsurkunden (s. Kap. 3.2.2.1 für die Beschreibung).548 Besonders oft wird der Begriff für Erwerbsverträge verwendet, aber es sind nach Karen Radner auch Obligationsurkunden, Gerichtsurkunden sowie königliche Erlässe, „[…] mittels derer hohe Beamte vom König Land geschenkt oder Vergünstigungen gewährt bekommen, […]“549 mit der Benennung belegt.550 J. Nicholas Postgate widerspricht jedoch einem Gebrauch des Begriffs für Obligationsurkunden und sieht eine primäre Verwendung für Erwerbsverträge, sei es für Grundstücke, Häuser oder Personen.551 Ins Aramäische ist der Begriff als Lehnwort dnt übergegangen; das Wort erscheint in Beischriften auf neuassyrischen Keilschrifttexten sowie in zwei auf Ton geschriebenen aramäischen Texten.552 Für Radner besitzt das aramäische Wort wie seine akkadische Entsprechung die Bedeutung ‚Rechtsurkunde‘.553 In den Beischriften der Tontafeln aus Dūr-Katlimmu/Tall Šēḫ Ḥamad (dem Inhalt nach Erwerbsverträge) werden die Begriffe dnt und ʾgrt (s. Kap. 2.2: egirtu) alternierend verwendet, so dass diese Wörter von Wolfgang Röllig als ‚Dokument‘ und ‚Urkunde‘ übersetzt wurden.554 Ein Beispiel eines neuassyrischen Erwerbsvertrags mit aramäischer Beischrift dnt ist K.329 (SAA 14 Nr. 36), s. Kap. 3.2.2.1.

 Vgl. CAD D dannatu 87 ff. und AHw 1 dannatu 160 für das Bedeutungsspektrum des Begriffs.  Radner stellt die Belege für diesen Begriff aus neuassyrischen Rechtsurkunden, Verwaltungsdokumenten und königlichen Erlässen zusammen und kommt zu der Deutung ‚Rechtsurkunde‘, Radner (1997) 52 u. 56–60.  Radner (1997) 56.  Radner (1997) 56–61. Die königlichen Erlässe werden fast immer mit diesem Begriff bezeichnet, vgl. Radner (1997) 58.  Postgate (2011) 155. Er nimmt hierin Bezug auf Radner (1997) und folgt seiner Deutung von 1986. Eine abschließende Urkunde eines Landverkaufs ist nach Postgate der mittelassyrische Ausdruck ṭuppu dannutu. Die neuassyrische ‚abgekürzte‘ Form dannutu steht für Erwerbsverträge, vgl. Postgate (1986) 17 f. Für den mittelassyrischen Ausdruck s. auch Postgate (2013) 65 f. S. für eine Diskussion des neuassyrischen Begriffs auch Zaccagnini (1997).  Zur Diskussion des aramäischen Begriffs (auch in Abgrenzung zu egirtu/ʾgrt vgl. Fales (1986) 6–18, Zaccagnini (1997), Radner (1997) 52, 56–58 und Fales in Fales/Radner/Pappi/Attardo (2005) 611 f. Vgl. die Zusammenstellung der Belege für dieses Wort bei Schwiderski (2008). S. für die aramäischen Beischriften aus Dūr-Katlimmu/Tall Šēḫ Ḥamad auch Radner (2002) 263.  Radner (1997) 52 und 56.  Röllig in Radner (2002) 23.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Literaturliste Fales, F. M. 1986. Aramaic Epigraphs on Clay Tablets of the Neo-Assyrian Period, StSem. NS 2, Rom. Fales, F. M./Radner, K./Pappi, C./Attardo, E. 2005. The Assyrian and Aramaic Texts from Tell Shiukh Fawqani, in: Bachelot, L./Fales, F. M. (Hg.), Tell Shiukh Fawqani 1994 – 1998, HANEM 6/2, Padua, 595–694. Postgate, J. N. 1986. Middle Assyrian Tablets: the Instruments of Bureaucracy, AoF 13, 10–39. Postgate, J. N. 2011. Making Tablets or Taking Tablets? Ṭuppa/u Ṣabātu in Assyria, Iraq 73, 149–160. Postgate, J. N. 2013. Bronze Age Bureaucracy. Writing and the Practice of Government in Assyria, Cambridge/New York. Radner, K. 1997. Die neuassyrischen Privatrechtsurkunden als Quelle für Mensch und Umwelt, SAAS 6, Helsinki. Radner, K. 2002. Die neuassyrischen Texte aus Tall Šēḫ Ḥamad. Mit Beiträgen von Wolfgang Röllig zu den aramäischen Inschriften, BATSH 6, Berlin. Schwiderski, D. (Hg.). 2008. Die alt- und reichsaramäischen Inschriften. Bd. 1: Konkordanz, Fontes et Subsidia ad Bibliam pertinentes 4, Berlin/New York. Zaccagnini, C. 1997. On the Juridical Terminology of Neo-Assyrian and Aramaic Contracts, in: Waezoldt, H./Hauptmann, H. (Hg.), Assyrien im Wandel der Zeiten. XXXIXe Rencontre Assyriologique Internationale Heidelberg 6.–10. Juli 1992, HSAO 6, Heidelberg, 203–208.

dubgallu Der Begriff ist ein im Jungbabylonischen belegtes, sumerisches Lehnwort und wird mit ‚Großtafel‘ übersetzt. Er kommt in Kolophonen von wissenschaftlichliterarischen Texten ab der mittelassyrischen Zeit vor und bezeichnet die Vorlage von der kopiert bzw. exzerpiert wurde.555 Im Kolophon der mittelassyrischen, sechskolumnigen Götterliste K.4349 (CT 24 Taf. 20–46) steht a-na pi-i dub-gal-li LIBIR.RA ‚nach dem Wortlaut einer alten Großtafel‘. Als Schreiber wird ein gewisser Kidin-Sîn genannt.556 YBC 2401, ein mittelassyrisches Duplikat der Götterliste, hat ebenfalls je sechs Kolumnen auf der Vorder- und Rückseite. Die Tafel misst etwa 39,5 cm × 30,5 cm × 4,6 cm– 1,8 cm am Rand (H. x B. x Dm.); die Schriftgröße ist klein, die Höhe einer Zeile beträgt nur etwa 2,1 mm.557 Im Kolophon wird als Vorlage ana pi-i ṭup-pi-MEŠ LIBIR.RA-MEŠ ‚nach dem Wortlaut alter Tafeln‘ erwähnt und der Schreiber ist wie-

 Vgl. Hunger (1968) 161 und CAD Ṭ ṭupgallu 126 für Belege. Siehe auch Abusch/Schwemer (2009) 53 mit Fn. 2.  Hunger (1968) Nr. 51 Z. 8 f.  Litke (1998) 16 f. mit einer Beschreibung des Äußeren.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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derum Kidin-Sîn.558 Möglicherweise ist K.4349 eine Abschrift von YBC 2401,559 oder aber der Schreiber berücksichtigte für beide Texte unterschiedliche, alte Vorlagen, wie die Kolophone implizieren. Tzvi Abusch und Daniel Schwemer gehen davon aus, dass solche großen, fünf- bis sechskolumnigen Tafeln, die für lexikalischen Listen ab der altbabylonischen Zeit belegt sind, dubgallu-Tafeln repräsentieren.560 Ein weiterer Beleg findet sich im Kolophon eines kleineren, neubabylonischen, querformatigen Kommentartextes zu Leberomina (K.1315). Die Tafel ist das vierte abschließende nisḫu ‚Exzerpt‘/‚Abschnitt‘ (s. Kap. 2.2: nisḫu) einer Großtafel, Exemplar (s. Kap. 2.2: gab(a)rû) aus Assyrien.561

Literaturliste Abusch, T. Schwemer, D. 2009. The Chicago Maqlû Fragment (A 7876), Iraq 71, 53–87. Cancik-Kirschbaum, E./Kahl, J. 2018. Erste Philologien. Archäologie einer Disziplin vom Tigris bis zum Nil, Tübingen. Frahm, E. 2011a. Babylonian and Assyrian Text Commentaries. Origins of Interpretation, GMTR 5, Münster. Hunger, H. 1968. Babylonische und assyrische Kolophone, AOAT 2, Kevelaer/Neukirchen-Vluyn. Litke, R. L. 1998. A Reconstruction of the Assyro-Babylonian God-Lists, AN: dA-NU-UM and AN: ANU ŠÁ AMĒLI, TBC 3, New Haven. Koch-Westenholz, U. S. 2000. Babylonian Liver Omens. The Chapters Manzāzu, Padānu and Pān tākalti of the Babylonian Extispicy Series mainly form Aššurbanipal’s Library, CNIP 25, Kopenhagen.

egirtu/egertu Das nur im Neuassyrischen belegte Wort egirtu benennt den Formattypus der einkolumnigen Tafel unabhängig des Inhalts. Ein egirtu kann sowohl eine hochformatige als auch eine querformatige Tafel sein; auch Hüllentafeln können so bezeichnet werden.562

 Litke (1998) 17 Kolophon Z. 95 f.  Eva Cancik-Kirschbaum und Jochem Kahl postulieren, dass K.4349 eine neuassyrische Kopie von YBC 2401 ist, Cancik-Kirschbaum/Kahl (2018) 134 Fn. 149 und 165 Fn. 96.  Abusch/Schwemer (2009) 53 f. mit Beispielen.  Vgl. Hunger (1968) Nr. 484 Z.1 und Koch-Westenholz (2000) 251 f. Nr. 42 Ms. I Rs. Z. 5. Für ein Foto der Tafel [https://cdli.ucla.edu/P238033]. S. auch Frahm (2011a) 28 und 177 f.  Vgl. hierzu Radner (1997) 60–62 mit weiteren Literaturhinweisen. Eine weitere besondere Art von Tafel ist uʾiltu. Dieses Tafelformat soll zweimal so dick gewesen sein wie ein egirtu, vgl. Radner (1995) 72. In diesem Fall benützt Radner uʾiltu in Bezug auf die astrologischen Re-

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Abb. 26: Neuassyrischer Brief mit Eigenbezeichnung K.604 (SAA 10 Nr. 91) aus Ninive/ Kujundschik; H. 5,9 cm, B. 2,7 cm, Dm. 1,9 cm. © The Trustees of the British Museum.

porte (vgl. Kap. 2.2.) und egirtu für eine bestimmte Form standardisierter Briefe. Für die Beschreibung des Äußeren von neuassyrischen Alltagstexten vgl. Kap. 3.2.2.1.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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Auf Briefe (s. Abb. 26), Rechtsurkunden aber auch literarische und wissenschaftliche Texte verschiedensten Inhalts findet dieser Begriff Anwendung. ‚Der Großteil der Belege bezieht sich auf Briefe, was möglicherweise auch an der Textsorte liegt.563 Teilweise werden in Urkunden Tafelbezeichnungen angegeben; diese können sich auf die vorliegende Tafel bzw. andere Tafeln beziehen.564 Inventarlisten von wissenschaftlich-literarischen Texten aus der Bibliothek Assurbanipals (vgl. Kap. 3.2.1) zeigen aber auch, dass eine Vielzahl von Texten bzw. Manuskripten von verschiedenen Werken in diesem Formattypus geschrieben wurden.565 Das aramäische Wort ʾgrt bezeichnet einen Brief, Vertrag oder auch eine Urkunde und ist in ägyptischen und assyrischen Texten (auch postkanonisch) belegt.566 Im neuassyrischen Schriftraum wird ʾgrt gleichbedeutend mit egirtu verwendet.567 Beide Begriffe können auch Schriftzeugnisse in der jeweils anderen Sprache bezeichnen. In einem Brief an den neuassyrischen König Asarhaddon wird ein aramäisches egirtu, ein aramäischer Brief, erwähnt (SAA 16 Nr. 99 Z. 10‘). Das aramäische Wort ʾgrt kommt in aramäischen Beischriften vor, welche den Inhalt einer mit Keilschrift beschriebenen Tontafel (Urkunde) kurz zusammenfasst.568 In den Beischriften der Erwerbsverträge aus Dūr-Katlimmu/Tall Šēḫ Ḥamad werden die Begriffe dnt und ʾgrt (s. Kap. 2.2: dannutu) abwechselnd verwendet, so dass Wolfgang Röllig die Wörter mit ‚Dokument‘ und ‚Urkunde‘ übersetzte.569 Frederick Mario Fales sieht hierin einen allmählichen Begriffswandel während der späten neuassyrischen Zeit: ʾgrt für Rechtsurkunde.570

 S. die Belege CAD E egirtu 1 45 f.  S. Radner (1997) 52 und für die Zusammenstellung aller Belege aus neuassyrischen Rechtsurkunden und Verwaltungsurkunden siehe ebd. 61 f. Mit Hilfe einer Genitivverbindung kann der Inhalt des Textes spezifiziert sein, vgl. Radner (1997) 61 und Faist (2007) 39. Häufig bezeichnet er dann eine Obligationsurkunde. Nach J. Nicholas Postgate steht egirtu für ‚contract-tablet‘ in Abgrenzung zu dannutu (s. Kap. 2.2: dannutu) ‚title deed‘, Postgate (2011) 155.  Parpola (1983a) u. SAA 7 Nrn. 49–56 mit einer Neuedition der entsprechenden Texte.  Schwiderski (2008) 13 f. gibt hierfür Belege der neu- und reichsaramäischen Zeit an. S. für die aramäischen Beischriften aus Tall Šēḫ Ḥamad auch Radner (2002) 263.  So Postgate (1976) 3, dem folgt u a. Fales (1986) 16 und Radner (1997) 52.  S. Fales (2000).  Röllig in Radner (2002) 23.  Fales in Fales/Radner/Pappi/Attardo (2005) 611 f.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Literaturliste Faist, B. 2007. Alltagstexte aus neuassyrischen Archiven und Bibliotheken der Stadt Assur, StAT 3, Wiesbaden. Fales, F. M. 1986. Aramaic Epigraphs on Clay Tablets of the Neo-Assyrian Period, StSem. NS 2, Rom. Fales, F. M. 2000. The Use and Function of Aramaic Tablets, in: Bunnens, G. (Hg.), Essays on Syria in the Iron Age, ANES Suppl. 7, Löwen/Paris/Sterling, Virginia, 89–124. Fales, F. M./Radner, K./Pappi, C./Attardo, E. 2005. The Assyrian and Aramaic Texts from Tell Shiukh Fawqani, in: Bachelot, L./Fales, F. M. (Hg.), Tell Shiukh Fawqani 1994 – 1998, HANEM 6/2, Padua, 595–694. Parpola, S. 1983a. Assyrian Library Records, JNES 42, 1–29. Postgate, J. N. 1976. Fifty Neo-Assyrian Legal Documents, Warminster, England. Postgate, J. N. 2011. Making Tablets or Taking Tablets? Ṭuppa/u Ṣabātu in Assyria, Iraq 73, 149–160. Radner, K. 1995. The Relation Between Format and Content of Neo-Assyrian Texts, in: Mattila, R. (Hg.), Nineveh 612 BC. The Glory and Fall of the Assyrian Empire, Catalogue of the 10th Anniversary Exhibition of the Neo-Assyrian Text Corpus Project, Helsinki, 63–77. Radner, K. 1997. Die neuassyrischen Privatrechtsurkunden als Quelle für Mensch und Umwelt, SAAS 6, Helsinki. Radner, K. 2002. Die neuassyrischen Texte aus Tall Šēḫ Ḥamad. Mit Beiträgen von Wolfgang Röllig zu den aramäischen Inschriften, BATSH 6, Berlin. Schwiderski, D. (Hg.). 2008. Die alt- und reichsaramäischen Inschriften. Bd. 1: Konkordanz, Fontes et Subsidia ad Bibliam pertinentes 4, Berlin/New York.

eṭēru Die Infinitivform des Verbes eṭēru, das im Neuassyrischen, Neu- und Spätbabylonischen in der Bedeutung ‚bezahlen‘ verwendet wird, bezeichnet nach Matthew W. Stolper im Spätbabylonischen eine Quittung.571

Literaturliste Stolper, M. W. 1993. Late Achaemenid, Early Macedonian, and Early Seleucid Records of Deposit and Related Texts, AIUON Suppl. 77, Neapel.

 Stolper (1993) 40.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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gab(a)rû Dieses Wort ist im Mittelbabylonischen, Neubabylonischen und Neuassyrischen belegt. Es ist ein sumerisches Lehnwort von g a b a - r i ( - a ) und wird auch mit dem Wortzeichen GABA.RI geschrieben. Kopien, Duplikate und Exemplare von Urkunden werden so bezeichnet;572 dies kommt häufig im Babylonischen vor.573 Eine Briefantwort wird als gabrû – oft in Verbindung mit egirtu, šipirtu (s. Kap. 2.2) – bezeichnet. Wissenschaftlich-literarische Texte und (Königs-)Inschriften wurden abgeschrieben. In den Kolophonen wird die Vorlage eines Textes als gab(a)rû aus einem bestimmten Ort bezeichnet und bzw. oder der Schriftträger wird nach der Nennung von gab(a)rû spezifiziert, und zwar mit agurri574, asumittu, lēʾu, IM.GÍD.DA575, narû oder musarû/mušarû (s. Kap. 2.2).576 Ferner kommt der Begriff auch in der Bedeutung ‚Gegner‘ und ‚Äquivalent‘ vor.577 Das sumerische zusammengesetzte Wort g a b a - r i ( - a ) bedeutet so viel wie „das Entgegengebrachte, Entgegengeführte“578; es wird u. a. in der Bedeutung ‚Kopie‘, ‚Duplikat‘ (von einer Tafel), ‚Antwort‘, ‚Gegner‘ und ‚Vorderseite‘ verwendet.579 Das Wort ist für die Ur III-, und die altbabylonische Zeit belegt.580 Das Sumerogramm GABA.RI wird im Akkadischen u. a. auch für das Wort meḫru benützt.581 Im altbabylonischen Akkadisch existiert das Lehnwort gab(a)rû noch nicht.582 meḫru wird in der Bedeutung ‚Kopie‘, ‚Abschrift‘, ‚Antwort(schreiben)‘, ‚Äquivalent‘ und vergleichbar mit dem sumerischen Wort u. a. für ‚Vorderseite‘ und ‚Opfer‘ verwendet.583 Ein ähnliches Bedeutungsspektrum besitzt das im Altbabylonischen, Altassyrischen und Jungbabylonischen belegte Wort miḫirtu/  Für die Verwendung des neubabylonischen Terminus vgl. Baker (2003) 246 u. v. a. 251. Auch aus Assyrien sind Kopien von Urkunden bekannt; im Gegensatz zu den Originalen sind sie ungesiegelt, vgl. Radner (1997) 40–47.  Vgl. AHw 1 gab(a)rû 271 f. und CAD G 2 f.  Auf Deutsch ‚Backstein‘. Da es keine generelle Bezeichnung für Schriftträger ist, wird dieser Begriff im Kapitel 2.2 nicht besprochen.  Vgl. Kap. 2.2: liginnu und giṭṭu.  Vgl. für die Belege aus Kolophonen Hunger (1968) 162.  Einige größtenteils mittelassyrische und mittelbabylonische Belege für das Sumerogramm GABA.RI in dieser Bedeutung finden sich auch bei Jeyes (2000) 366.  Selz (1995) 270.  Halloran (2006) 71.  „The Pennsylvania Sumerian Dictionary“ (ePSD 2) [http://oracc.museum.upenn.edu/ epsd2/sux], aufgerufen am 22.10.2020 um 12.15 Uhr.  Auch für das Wort māḫiru ‚Der der entgegen ist‘ ist dieses Sumerogramm belegt.  Selz (1995) 270.  Vgl. CAD M/2 miḫru A 54–60; AHw 2 me/iḫru(m) 640 f.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

meḫertu.584 Im Altassyrischen bedeutet ferner noch meḫratum ‚Abschrift‘. Laut CAD und AHw wird der Begriff meḫru für Texte (z. B. in der Bedeutung ‚Kopie‘) im Altakkadischen, Altassyrischen, Altbabylonischen, in Hattuša, Ugarit und Elam verwendet. Die Situation scheint vergleichbar bei miḫirtu/meḫertu zu sein.

Literaturliste Baker, H. D. 2003. Record-Keeping Practices as Revealed by the Neo-Babylonian Private Archival Documents, in: Brosius, M. (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World, Oxford, 241–263. Halloran, J. A. 2006. Sumerian Lexicon. A Dictionary Guide to the Ancient Sumerian Language, Los Angeles. Hunger, H. 1968. Babylonische und assyrische Kolophone, AOAT 2, Kevelaer/Neukirchen-Vluyn. Jeyes, U. 2000. A Compendium of Gall Bladder Omens Extant in Middle Babylonian, Nineveh, and Seleucid Versions, in: George, A. R./Finkel, I. L. (Hg.), Wisdom, Gods and Literature. Studies in Assyriology in Honour of W. G. Lambert, Winona Lake, Indiana, 345–373. Radner, K. 1997. Die neuassyrischen Privatrechtsurkunden als Quelle für Mensch und Umwelt, SAAS 6, Helsinki. Selz, G. J. 1995. Maš-da-r̆i-a und Verwandtes. Ein Versuch über da–r̆i „an der Seite führen“: ein zusammengesetztes Verbum und einige nominale Ableitungen, ASJ 17, 251–274. Internetseiten ohne Nennung eines Autors: The Pennsylvania Sumerian Dictionary (ePSD2) [http://oracc.museum.upenn.edu/epsd2/sux] Abruf: 22.10.2020 um 12.15 Uhr.

giṭṭu Der Begriff ist im Neu- und Spätbabylonischen belegt und kann sowohl syllabisch wie auch mit den Wortzeichen IM.GÍD.DA, IM.GÌ.DA, IM.GÌ.DI und GÍD.DA geschrieben sein.585 Das Sumerogramm IM.GÍD.DA wird auch für liginnu und imgiddû (vgl. Kap. 2.2) verwendet und nicht in allen Fällen ist die akkadische Lesung eindeutig. Die Wortzeichen IM.GÍD.DA, IM.GÌ.DA, IM.GÌ.DI, GÍD.DA erscheinen in Kolophonen von wissenschaftlich-literarischen Texten. IM.GÍD.DA-Tafeln konnten zu Serien zusammengefasst werden.586 Die Schreibungen IM.GÌ.DA, IM.GÌ.DI

 Vgl. CAD M/2 miḫirtu.  Vgl. AHw 1 giṭṭu 294 und CAD G giṭṭu 112 f. IM.GÌ.DI ist in Kolophonen belegt (s. u.).  Hunger (1968) 7.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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Abb. 27: The Babylonian Chronical Tablet BM 96273; H. 4,5 cm, B. 5,8 cm, Dm. 2,1 cm; in: Millard (1964) Taf. 6.

und GÍD.DA, die aus neu- und spätbabylonischen Texten bekannt sind, legen nach Hermann Hunger eine Lesung giṭṭu zu dieser Zeit nahe.587 Er liest IM.GÌ. DA und IM.GÌ.DI als imgì-ṭa und imgì-ṭi.588 Neben syllabischen Schreibungen

 Hunger (1968) 7.  Vgl. Hunger (1968) 162.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

deutet auch GÍD.DA auf eine Lesung giṭṭu.589 An anderen Stellen verweist eine feminine Konstruktion von IM.GÍD.DA auf liginnu (vgl. auch Kap. 2.2: liginnu), da giṭṭu maskulin ist. So ist die Entscheidung, ob IM.GÍD.DA in Kolophonen, insbesondere der neu- und spätbabylonischen Zeit, als giṭṭu, liginnu oder imgiddû zu lesen ist, nicht mit Sicherheit zu treffen.590 Hunger führt deswegen keine akkadische Lesung für IM.GÍD.DA an.591 Auf Tafeln, die Hunger als giṭṭu bezeichnet, können wissenschaftlich-literarische Texte verschiedenen Inhalts wie Medizin, Astronomie, Omina oder Epen stehen. Entweder handelt es sich um einen Kommentar – ṣa-a-tú ù šu-ut pî ‚Lemmata und mündliche Erklärungen‘592 – zu einem bestimmten Text (vgl. Kap. 2.2: ṣâtu), wofür es in den Kolophonen die meisten Belege gibt, oder um als ‚Auszug‘ bezeichnete Texte (vgl. Kap. 2.2: nisḫu, s. Abb. 27)593 oder andere Texte.594 Das Tafelformat kann sowohl hoch- als auch querformatig sein;595 das Textlayout ist einkolumnig. Die Kommentartexte sind meist auf kleinen (ungefähr handtellergroßen) Tafeln geschrieben. Heather D. Baker untersuchte den Gebrauch von Begriffen für Urkunden anhand von Texten aus Privatarchiven der neubabylonischen bis früh-achäme-

 Hunger (1968) 7.  Hunger (1968) 7.  Hunger (1968) 7 und für die einzelnen Kolophone ebd. 163.  S. Hunger (1968) Nr. 411. Bei der Übersetzung wird hier Frahm gefolgt, vgl. Frahm (2011a) 50 f. Weitere Kommentare mit dieser Eigenbezeichnung sind Hunger (1968) Nrn. 120, 168, 409, 410. Eckart Frahm spricht von im-gíd-da-Tafeln unabhängig von der jeweils angesetzten Lesung (giṭṭu, imgiddû, liginnu), vgl. Frahm (2011a) 29. Von den ebd. in der Fußnote 96 angegebenen Kommentartexten, die vom Ende des 1. Jahrtausends stammen, sind, wenn wir der angesetzten Lesung Hungers folgen, die folgenden babylonischen Kommentartexte auf giṭṭuTafeln niedergeschrieben: BAM 401, SpTu 1 Nr. 29, SpTu 2 Nrn. 38 und 54.  S. hierzu Hunger (1968) Nr. 174, siehe auch ebd. Nr. 164.  Hunger (1968) Nrn. 135, 137, 143, 471. In Nr. 135 wird der Text als Geheimwissen bezeichnet. Der Kolophon Nr. 137 wurde erneut in Livingstone (1986) 259 editiert. In seinem Buch „Mystical and Mythological Explanatory Works of Assyrian and Babylonian Scholars“ wird der gesamte Text BM 35034 (Sp I, 131) besprochen, vgl. Livingstone (1986) 7. Im Kolophon Nr. 471 wird angegeben, dass ‚nach dem Wort des Gelehrten‘ geschrieben wurde.  Von den bei Hunger (1968) 162 angegebenen Kolophonen mit der Eigenbezeichnung giṭṭu befinden sich folgende – soweit dies die Umzeichnungen erkennen lassen – auf querformatigen Tafeln: Nrn. 143, 411 u. 471. Der Kolophon Hunger (1968) Nr. 164 ist auf der Tafel BM 96273 niedergeschrieben, die nach dem Foto bei Millard (1964) Taf. 6 querformatig ist (s. Abb. 27). Im British Museum habe ich mir den spätbabylonischen Kommentartext BM 92683 (Hunger [1968] Nr. 410) angesehen, der querformatig ist. Bei SBH 26 (VAT 298 +) mit der Eigenbezeichnung GÍD.DA (Hunger [1968] Nr. 174) sind die Maße angegeben; die Tafel ist hochformatig. Auch die spätbabylonischen Kommentartexte SpTU 2 Nrn. 36 und 38 sind nach der Kopie im Hochformat geschrieben.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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nidischen Zeit, d. h. des späten 7. Jahrhunderts bis 482.596 Aufgrund von einigen syllabischen Schreibungen schlägt sie in diesem Kontext eine Lesung von im 597 GÍD.DA als giṭṭu vor. Das Sumerogramm wird auch ohne das Determinativ 598 Der Begriff bezeichnet Quittungen und Bescheinigungen. Diese gebraucht. sind in der Regel parallel zur längeren Seite beschriftet und meist ungesiegelt. Sie sind kissenförmig, d. h., beide Seiten sind gewölbt, die Rückseite mehr als die Vorderseite, und die Ecken können wie die Zipfel eines Kissens aussehen. Die Tafeln sind in der Regel klein. Dies ist das typische Tafelformat für ungesiegelte neubabylonische Urkunden (s. auch Kap. 2.2: uʾiltu).599 Ferner gibt es Belege mit dem Determinativ KUŠ, die auf die Existenz von Pergament/Lederurkunden verweisen.600 Teilweise wird GÍD.DA im Zusammenhang mit einem sepīru (vgl. Kap. 4) erwähnt.601 Demnach wurden Quittungen und Bescheinigungen auch in Aramäisch niedergeschrieben.

Literaturliste Baker, H. D. 2003. Record-Keeping Practices as Revealed by the Neo-Babylonian Private Archival Documents, in: Brosius, M. (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World, Oxford, 241–263. Bloch, Y. 2018. Alphabetic Scribes in the Land of Cuneiform: Sēpiru Professionals in Mesopotamia in the Neo-Babylonian and Achaemenid Periods, Gorgias Studies in the Ancient Near East 11, Pisacataway, NJ, USA. Frahm, E. 2011a. Babylonian and Assyrian Text Commentaries. Origins of Interpretation, GMTR 5, Münster. Hunger, H. 1968. Babylonische und assyrische Kolophone, AOAT 2, Kevelaer/NeukirchenVluyn. Livingstone, A. 1986. Mystical and Mythological Explanatory Works of Assyrian and Babylonian Scholars, Oxford. Jursa, M. 2005a. Neo-Babylonian Legal and Administrative Documents. Typology, Contents and Archives, GMTR 1, Münster. Millard, A. R. 1964. Another Babylonian Chronicle Tablet, Iraq 26, 14–35.

 Baker (2003) 241 f.  Baker (2003) 251.  Vgl. AHw 1 giṭṭu 294 und CAD G giṭṭu 112 f.  Baker (2003) 244 u. 251. Die Studie stützt sich auf Privattexte des 6. und 5. Jahrhunderts. Zum Textformular s. Jursa (2005a) 44 mit weiterer Literatur.  Vgl. CAD G giṭṭu 3 113.  Vgl. CAD S sepīru 1a 225. Siehe hierzu auch Bloch (2018) 63–66.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

imgiddû Dieses Wort ist ein sumerisches Lehnwort und ist nach Ḫḫ X Z. 475 (MSL 7 103 Z. 475) mit dem Sumerogramm IM.GÍD.DA gleichzusetzen.602 Das Wort imgiddû ist bisher nur im Jungbabylonischen belegt und mit ‚einkolumnige Tafel‘ zu übersetzen. Auch im Sumerischen bezeichnet i m - g i d 2 - d a ‚Langtafel‘ eine einkolumnige Tafel.603 Aus neu- und spätbabylonischen Wirtschaftstexten ist keine syllabische Schreibung von imgiddû bekannt, das Sumerogramm IM.GÍD.DA ordnet Heather D. Baker daher in diesem Fall giṭṭu (s. Kap. 2.2: giṭṭu) zu.604 In Kolophonen wissenschaftlich-literarischer Texte taucht das Sumerogramm häufig auf.605 Dieses Sumerogramm wird jedoch an einigen Stellen feminin konstruiert, was dann auf eine Lesung liginnu (s. Kap. 2.2: liginnu) verweist.606

Literaturliste Baker, H. D. 2003. Record-Keeping Practices as Revealed by the Neo-Babylonian Private Archival Documents, in: Brosius, M. (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World, Oxford, 241–263. Hunger, H. 1968. Babylonische und assyrische Kolophone, AOAT 2, Kevelaer/NeukirchenVluyn. Löhnert, A. 2009. „Wie die Sonne tritt heraus!“ Eine Klage zum Auszug Enlils mit einer Untersuchung zu Komposition und Tradition sumerischer Klagelieder in altbabylonischer Zeit, AOAT 365, Münster. Wagensonner, K. 2019. Larsa Schools: A Palaeographic Journey, in: Devecchi, E./ Mynářová, J./Müller, G. G. W. (Hg.), Current Research in Cuneiform Palaeography 2. Proceedings of the Workshop organised at the 64th Rencontre Assyriologique Internationale, Innsbruck 2018, Gladbeck, 41–65.

kam/ngu, kanku Dieser Begriff kommt in allen Sprachstufen des Babylonischen vor und bezeichnet sowohl eine gesiegelte Urkunde wie auch ein Siegel.

 AHw 1 imgiddû 376 u. CAD I imgiddû 115.  Löhnert (2009) 33 f. und passim. Aus altbabylonischer Zeit sind sowohl hoch- als auch querformatige Tafeln bekannt, vgl. für Beispiele Wagensonner (2019) 51–54 und 76–78.  Baker (2003) 251.  Hunger (1968) 163.  Hunger (1968) 7.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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In Standardphrasen der neubabylonischen Kaufverträge tritt nach David I. Owen und Kazuko Watanabe eine syllabische Schreibung kám-gi/kam-gi für diesen Begriff auf, aber auch das Sumerogramm na₄KIŠIB/imKIŠIB wird verwendet. Problematisch sind die Belege mit imKIŠIB, da im Neubabylonischen die Zeichen KIŠIB und DUB (ṭuppu ‚Tafel‘) häufig nicht auseinanderzuhalten sind.607 In den Texten der Privatarchive der neubabylonischen bis früh-achämenidischen Zeit, d. h. des späten 7. Jahrhunderts bis 482, ist nach Heather D. Baker keine syllabische Schreibweise dieses Begriffes belegt. Allerdings findet sich eine syllabische Schreibung für den Begriff kunukku (s. Kap. 2.2: kunukku), der mit demselben Sumerogramm wie kamgu geschrieben wird.608 Das Wort kangu wird nach Michael Jursa im 7. Jahrhundert für eine gesiegelte Urkunde verwendet.609 Diese beiden Begriffe bezeichnen oft ‚Ziegelformat‘-Tafeln.610 ‚Ziegelformat‘-Tafeln sind relativ große, hochformatige Tafeln – geschrieben mit klar abgegrenzten Seitenrändern –, die mit Fingernägeln oder Siegeln gesiegelt wurden (vgl. Kap. 1.2.2, Tafel 7a und 7b). Erwerbsverträge bedienen sich dieses Formats.611

Literaturliste Baker, H. D. 2003. Record-Keeping Practices as Revealed by the Neo-Babylonian Private Archival Documents, in: Brosius, M. (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World, Oxford, 241–263. Jursa, M. 2005a. Neo-Babylonian Legal and Administrative Documents. Typology, Contents and Archives, GMTR 1, Münster. Owen, D. I./Watanabe, K. 1983. Eine neubabylonische Gartenkaufurkunde mit Flüchen aus dem Akzessionsjahr Asarhaddons, OrAnt. 22, 37–48.

kammu Das Wort ist ein sumerisches Lehnwort und bezeichnet ein (Schmuck-)Plättchen, eine Tontafel sowie den Tafeltext. Nach dem AHw 1 433 ist das Wort im

    

S. Owen/Watanabe (1983) 44–47. Baker (2003) 252. Jursa (2005a) 5 f. Jursa (2005a) 6 Fn. 28. Jursa (2005a) 4.

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Babylonischen, Mittel- und Neuassyrischen bezeugt.612 In Bezug auf Schriftstücke soll das Wort nach CAD K 125 f. nur im Altbabylonischen und Jungbabylonischen verwendet worden sein. Hierbei wird es für Tafeln literarischen Inhalts wie auch den Tafeltext gebraucht. Das Wort ist im Plural (kammāni) in einer Bestandsliste der Bibliothek Assurbanipals (SAA 7 Nr. 49 Z. 3‘) erwähnt (vgl. Kap. 3.2.1). Nach Simo Parpola könnte dies ein genereller Begriff für Hymnen und andere poetische Werke sein.613 In seiner Übersetzung von ADD 943(+)944 (=SAA 7 Nr. 49) gibt er bei Zeile 3‘ die Übersetzung ‚esoteric(?) compositions‘614 an. Unabhängig von der jeweiligen Deutung des Wortes zeigt dieser Text, dass das Wort kammu auch im Neuassyrischen gebräuchlich war. Das Wort wird vergleichsweise selten verwendet, z. B. in der Inschrift L4 Assurbanipals (vgl. Kap. 3.2.1 für weitere Angaben zu L4), in der Assurbanipal ein kammu auf Sumerisch liest.615 Im Kolophon am Ende der Rückseite von KAR 177 (VAT 9663) erscheint für diese Tafel die Eigenbezeichnung kammu.616 KAR 177 ist eine Hemerologie und besitzt 8 Kolumnen, ein weiterer Kolophon befindet sich allerdings am Ende der Vorderseite (für die Diskussion dieses Kolophon vgl. Kap. 3.1.2).

Literaturliste Hunger, H. 1968. Babylonische und assyrische Kolophone, AOAT 2, Kevelaer/NeukirchenVluyn. Parpola, S. 1983a. Assyrian Library Records, JNES 42, 1–29. Postgate, J. N. 1973a. The Governor’s Palace Archive, CTN 2, London.

kanīku Der Begriff ist seit der altbabylonischen Zeit belegt und bezeichnet den Formattypus der gesiegelten Tontafel – unabhängig davon, ob es sich hierbei um

 Für Plättchen schlägt J. Nicholas Postgate im Neuassyrischen die Singularform kammutu vor, vgl. Postgate (1973a) 164 Anm. 1.  Parpola (1983a) 7.  Parpola (1983a) 12.  Vgl. für eine Umschrift und Übersetzung der Textzeile auch CAD K kammu C 126. Siehe ebd. für weitere Textstellen.  Vgl. für den Kolophon Hunger (1968) Nr. 271.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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Briefe, Verwaltungstexte oder Rechtsurkunden handelt.617 Ebenso wie in mittelassyrischer Zeit ist der Begriff in neuassyrischer Zeit selten belegt.618 Es sind nur drei Belege aus Kalḫu/Nimrud619 bekannt, die eine Rechtsurkunde als kanīku bezeichnen. Dies spiegelt jedoch nicht die tatsächliche Siegelverwendung wider: Neuassyrische Rechtsurkunden müssen gesiegelt sein, um rechtsgültig zu sein.620 Auch für Briefe wird der Begriff verwendet, wobei auch hier fast alle Belege aus Kalḫu/Nimrud stammen.621 Bei diesen Briefen handelt es sich in der Regel um gesiegelte Hüllentafeln.622 (Das Äußere der neuassyrischen Alltagstexte ist ausführlich in Kapitel 3.2.2 beschrieben.) Im Neubabylonischen werden die Begriffe kunukku und kamgu (vgl. Kap. 2.2) verwendet und relativ selten ist auch kaniktu belegt623. In einem Brief aus Kalhu/Nimrud (ND 2686, CTN 5 154 f. Z. 3–5624) ist ein aramäisches kanīku erwähnt: ka-ni-ku an-ni-tú kurár-mi-tú mdPA-še-zib ⸢TAV⸣ ŠÀ-bi uru ṣur-ri ⸢ú⸣-si-bi-l[a] ‚Dieses aramäische kanīku hat mir Nabû-šēzib aus Tyros geschickt‘.

Literaturliste Herbordt, S. 1992. Neuassyrische Glyptik des 8.–7. Jh. v. Chr. unter besonderer Berücksichtigung der Siegelungen auf Tafeln und Tonverschlüssen, SAAS 1, Helsinki. Radner, K. 1995. The Relation Between Format and Content of Neo-Assyrian Texts, in: Mattila, R. (Hg.), Nineveh 612 BC. The Glory and Fall of the Assyrian Empire, Catalogue of the 10th Anniversary Exhibition of the Neo-Assyrian Text Corpus Project, Helsinki, 63–77. Radner, K. 1997. Die neuassyrischen Privatrechtsurkunden als Quelle für Mensch und Umwelt, SAAS 6, Helsinki. Stol, M. 2004. Wirtschaft und Gesellschaft in Altbabylonischer Zeit, in: Charpin, D./Edzard. D. O./Stol, M., Mesopotamien. Die altbabylonische Zeit, OBO 160/4, Fribourg/Göttingen, 643–975.

 Vgl. CAD K kanīku 150 ff. u. AHw 1 kanīku 437 u. Radner (1997) 63 für die Belege aus Briefen und Rechtsurkunden.  Radner (1997) 63.  S. Radner (1997) 63.  Zur Siegelpraxis in neuassyrischer Zeit vgl. Herbordt (1992) 33–70 u. für die Siegelung neuassyrischer Urkunden Radner (1997) 32–51.  Radner (1997) 63.  Radner (1995) 71 f. zu den beiden Formaten neuassyrischer Briefe.  Dies bedeutet soviel wie Gesiegeltes. Im Altbabylonischen wird der Begriff für gesiegeltes Silber gebraucht, vgl. Stol (2004) 902 f.  Erstpublikation Iraq XVII 130 Nr. XIII und Taf. XXXI. Eine weitere Edition des Textes ist SAA 19 Nr. 23.

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kiṣirtu Im Zusammenhang mit Tontafeln ist der Begriff nur in mittel- und neuassyrischer Zeit anzutreffen. Er bezeichnet eine Hüllentafel. Aus neuassyrischer Zeit sind sieben Belege dieses Begriffs für Obligationsurkunden (vgl. für die Beschreibung des Äußeren Kap. 3.2.2) bekannt. Ungewöhnlich ist, dass der Begriff beinahe wie eine Überschrift zu Beginn des Urkundentextes steht.625

Literaturliste Donbaz, V./Parpola, S. 2001. Neo-Assyrian Legal Texts in Istanbul, StAT 2, Saarbrücken. Postgate, J. N. 2003. Documents in Government under the Middle Assyrian Kingdom, in: Brosius, M. (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World, Oxford, 124–138. Postgate, J. N. 2013. Bronze Age Bureaucracy. Writing and the Practice of Government in Assyria, Cambridge/New York. Radner, K. 1997. Die neuassyrischen Privatrechtsurkunden als Quelle für Mensch und Umwelt, SAAS 6, Helsinki.

kunukku kunukku wird auch mit dem Sumerogramm na₄KIŠIB geschrieben. Der Begriff ist seit der altbabylonischen/altassyrischen Zeit belegt. Er steht für 1.) Siegel, Zylindersiegel; 2.) Siegelabdruck, -abrollung,626 Bulle und 3.) gesiegelte Tontafel (Rechts- oder Wirtschaftsurkunde bzw. Brief). Für die neuassyrische Zeit ist keine syllabische Schreibung bekannt.627 Im Neuassyrischen wird mit dem Begriff kanīku (vgl. Kap. 2.2: kanīku) eine gesiegelte Tontafel bezeichnet. Neubabylonisch ist kunukku auch syllabisch geschrieben.628 Neben dem Begriff kunukku wird im Neubabylonischen kangu (vgl. Kap. 2.2: kam/ngu, kanku) für gesiegelte Tafeln verwendet.

 Radner (1997) 63–65. Die zwei bei ihr angegebenen Texte aus Istanbul sind inzwischen veröffentlicht, vgl. Donbaz/Parpola (2000) A 2509 = Nr. 153 + Nr. 154 und A 1820 = Nr. 155. Auch im Mittelassyrischen wird der Begriff für Hüllentafeln gebraucht, vgl. Postgate (2003) 126 f., 131–133, Postgate (2013) 70–73.  Laut CAD kann es sich bei Bedeutung 2 nur um die Abrollung eines Zylindersiegels handeln. CAD K kunukku 543.  Postgate (1976) 7.  Baker (2003) 252.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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Zu unterscheiden sind Stempelsiegel und Zylindersiegel, die aus verschiedensten Materialien wie Lapislazuli, Quarz, Glas u. v. m. angefertigt waren.629 Zylindersiegel sind in der Mitte durchbohrt. Auf der Außenseite ist die Darstellung eingetieft, so dass das Siegel auf Ton abgerollt werden kann. Gesiegelt wurden Tafeln zur Beglaubigung ihrer Authentizität. Tonverschlüsse mit diversen Siegelungen können an Gefäße etc. angebracht sein.630 Neuassyrische Urkunden sind stets gesiegelt, bei Hüllentafeln – Briefe und Obligationsurkunden – ist der Siegelabdruck auf der Hülle.631 Andere Objekte wie Muscheln und Perlen können als Siegelersatz dienen; sie werden im Urkundentext dennoch als kunukku bezeichnet. Am häufigsten als Siegelersatz ist jedoch der Fingernagelabdruck anzutreffen, im Urkundentext ṣupru genannt.632 Im Laufe des 7. Jahrhunderts wurden zunehmend mehr Stempelsiegel als Rollsiegel verwendet.633 Im 8. und 7. Jahrhundert wurde in Babylonien mit dem Fingernagel gesiegelt, wobei hier die Bemerkung ‚anstelle eines Siegels‘ stand.634 Danach wurden zunehmend zusätzlich Roll- und Stempelsiegel sowie Siegelringe verwendet. Nach dem Beginn des 3. Jahrhunderts wurde nicht mehr mit dem Fingernagel gesiegelt;635 es wurden fast ausschließlich Siegelringe – in der Tafelbeischrift als un-qa (vgl. Kap. 2.2: unqu) bezeichnet – benutzt.636 Bei neubabylonischen Urkunden, insbesondere des 6. und 5. Jahrhunderts, sind Tafeln im Hochformat mit scharf abgesetzten Rändern, teilweise mit komplett flacher Oberfläche (das sogenannte Ziegelformat), teilweise mit einer leicht gewölbten Oberfläche, gesiegelt (vgl. Kap. 1.2.2, Tafel 7a und 7b). Mit Rollsiegeln wurde auf den Seitenrändern gesiegelt, Nagelmarken konnten hingegen auch am oberen und unteren Tafelrand angebracht sein (vgl. Tafel 7b).637 „This format of tablet was used in particular for the recording of real estate, but also for

 Zur Siegelpraxis, Siegelmaterialien etc. im Generellen s. den Ausstellungskatalog „Mit sieben Siegeln versehen“, Klengel-Brandt (1997). Allgemein zu den Zylindersiegeln der unterschiedlichen Perioden s. Collon (20052). Einen Überblick über die Darstellungen der Zylindersiegel der neuassyrischen und neubabylonischen Zeit bietet Collon (2001) und für die zweite Hälfte des 1. Jahrtausends s. Merrillees (2005). Stempelsiegelabdrücke des 1. Jahrtausends behandeln Mitchell/Searight (2008).  Zur Siegelpraxis mit Angabe weiterer Literatur s. Radner (2009–2011) und Otto (2009–2011).  Zur neuassyrischen Siegelpraxis vgl. Herbordt (1992) 33–69 und Radner (1997) 32–51.  Radner (1997) 35 f.  Dies trifft sowohl auf die erhaltenen Rechtsurkunden als auch auf Tonverschlüsse der zentralen Verwaltung zu, s. Herbordt (1992) 46, 123–145.  Oelsner (1978) 168.  Oelsner (2003) 293.  Lindström (2003) 15.  Zur Siegelpraxis vgl. Wunsch (2000) Bd. 1 xii und 34–39.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

court records and other records which necessitated a formal treatment.“638 Die Begriffe kunukku bzw. kangu bezeichnen häufig solche ‚Ziegelformat-Tafeln‘.639 Bis zum 5. Jahrhundert war das Tafelformat für diese wichtigen Transaktionen im Gebrauch.640 Nach der neubabylonischen Zeit ändern sich Tafelformat und Siegelpraxis.641 Ab dem Ende des 5. Jahrhunderts siegelten stets die Zeugen, so dass nun auch die Schuldscheine, im Neubabylonischen uʾilāti (vgl. Kap. 2.2: uʾiltu) bezeichnet, mit Siegel versehen waren, in der Regel auf dem Rand der Tafel. Folglich sind diese Tafeln dicker als in der vorhergehenden Periode.642 Gesiegelte Tonverschlüsse in Serviettenringform aus dem hellenistischen Uruk und Seleukia geben Hinweise auf die Verwendung von Schriftträgern aus vergänglichem Material wie Pergament und Papyrus (vgl. Kap. 4.1.3.2).643

Literaturliste Baker, H. D. 2003. Record-Keeping Practices as Revealed by the Neo-Babylonian Private Archival Documents, in: Brosius, M. (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World, Oxford, 241–263. Bregstein, L. B. 1993. Seal Use in Fifth Century B.C. Nippur, Iraq: A Study of Seal Selection and Sealing Practices in the Murašû Archiv, Ann Arbor, Michigan. Collon, D. 2001. Catalogue of the Western Asiatic Seals in the British Museum. Cylinder Seals V. Neo-Assyrian and Neo-Babylonian Periods, London. Collon, D. 20052. First Impressions. Cylinder Seals in the Ancient Near East, London. Herbordt, S. 1992. Neuassyrische Glyptik des 8.–7. Jh. v. Chr. unter besonderer Berücksichtigung der Siegelungen auf Tafeln und Tonverschlüssen, SAAS 1, Helsinki. Jursa, M. 2005a. Neo-Babylonian Legal and Administrative Documents. Typology, Contents and Archives, GMTR 1, Münster.

 Baker (2003) 244 f.  Jursa (2005a) 5 f. Fn. 28.  Jursa (2005a) 4.  Michael Jursa bemerkt diese Veränderung ab dem zweiten Viertel des 5. Jahrhunderts. Er merkt zudem an, dass „The study of Neo-Babylonian legal and administrative texts as material objects – Neo-Babylonian diplomatics – is a largly uninvestigated field.“, vgl. Jursa (2005a) 4 f. Baker (2003) behandelt die Terminologie und das Tafelformat der Texte der Privatarchive des 6. und des Beginns des 5. Jahrhunderts. Zur neu- und spätbabylonischen Siegelpraxis s. Oelsner (1978). Für das Murašu-Archiv (Nippur, 5. Jahrhundert) gibt es inzwischen eine Einzelstudie, s. Bregstein (1993). Für die hellenistischen Siegelabdrücke auf Tafeln und Tonbullen aus Uruk vgl. Wallenfels (1994), Wallenfels (1998), Wallenfels (2000) und Lindström (2003).  Oelsner (2003) 291–293.  S. Lindström (2003) und Oelsner (2003) 294–296.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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Klengel-Brandt, E. (Hg.). 1997. Mit Sieben Siegel versehen. Das Siegel in Wirtschaft und Kunst des Alten Orients, Katalog-Handbuch zur Sonderausstellung „Mit Sieben Siegeln versehen“ im Vorderasiatischen Museum vom 30.5–28.9.1997, Mainz am Rhein. Lindström, G. 2003. Uruk. Siegelabdrücke auf hellenistischen Tonbullen und Tontafeln, AUWE 20, Mainz am Rhein. Merrillees, P. H. 2005. Catalogue of the Western Asiatic Seals in the British Museum. Cylinder Seals VI. Pre-Achaemenid and Achaemenid Periods, London. Mitchell, T. C./Searight, A. 2008. Catalogue of the Western Asiatic Seals in The British Museum. Stamp Seals III. Impressions of Stamp Seals on Cuneiform Tablets, Clay Bullae, and Jar Handles, Leiden/Boston. Oelsner, J. 1978. Zur neu- und spätbabylonischen Siegelpraxis, in: Hruška, B./Komoróczy (Hg.), Festschrift Lubor Matouš II, Budapest, 167–186. Oelsner, J. 2003. Cuneiform Archives in Hellenistic Babylonia. Aspects of Content and Form, in: Brosius, M. (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of RecordKeeping in the Ancient World, Oxford, 284–301. Otto, A. 2009–11. Siegelpraxis. B. Archäologisch., RlA 12, 469–474. Postgate, J. N. 1976. Fifty Neo-Assyrian Legal Documents, Warminster. Radner, K. 2009–11. Siegelpraxis (Sealing Practice). A. Philologisch, RlA 12, 466–469. Wallenfels, R. 1994. Uruk. Hellenistic Seal Impressions in the Yale Babylonian Collection. I Cuneiform Tablets, AUWE 19, Mainz am Rhein. Wallenfels, R. 1998. Seleucid Archival Texts in the Harvard Semitic Museum. Text Editions and Catalogue Raisonnée of the Seal Impressions, CunMon. 12, Groningen. Wallenfels, R. 2000. Sealing Practices on Legal Documents from Hellenistic Babylonia, in: Perna, M. (Hg.), Administrative Documents in the Aegean and Their Near Eastern Counterpart. Proceedings of the International Colloquium Naples, February 29 – March 2, 1996, Turin, 333–348. Wunsch, C. 2000a. Das Egibi-Archiv. I. Die Felder und Gärten, CunMon. 20, Groningen.

lēʾu Ab der Ur III-Zeit ist der Begriff lēʾu für eine als Schriftträger gebrauchte (Holz)-Tafel bezeugt.644 Im 1. Jahrtausend bezeichnet er ein Diptychon bzw. Polyptychon unterschiedlichster Größe bestehend aus mit Wachs überzogenen (Holz)-Tafeln.

 Konrad Volk gibt noch einen etwas früher datierenden Beleg, und zwar aus einem Gudeazylinder, an, Volk (2014–16b) 611. Vgl. auch CAD L lēʾu 156–159, AHw 1 lēʾu 546 f. Für den Gebrauch in der Ur III-Zeit s. Steinkeller (2004), die entsprechenden Belege finden sich ebd. 75 f. Fn. 17. J. Nicholas Postgate behandelt die Verwendung dieser Tafeln in der mittelassyrischen Zeit, vgl. Postgate (1986) 22–26, (2003) 133–136, (2008) 84, (2013) 64 und 217; s. hierfür auch Freydank (2001) und Jakob (2003) 29 f. Holztafeln dienten als Vorlage für sogenannte Kudurrus (vgl. Kap. 2.2: narû), CAD L lēʾu b 1‘ 157, Brinkman (1980–83) 270 f., Brinkman/Dalley (1988) 92 Fn. 70, Charpin (2002b) 176 und 178, Paulus (2012) 362 f. Die drei letztgenannten Autoren ver-

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Abb. 28: lēʾu aus Elfenbein, Nimrud/Kalḫu, in: Wiseman (1955) Taf. 2.

Neben der syllabischen Schreibung, bei der im 1. Jahrtausend jedoch meistens das Determinativ GIŠ vorangestellt wird, existiert eine Schreibung 1.) mit dem Pseudologogramm gišLE.U5.(UM); 2.) in neu- und spätbabylonischen Texten mit dem Sumerogramm gišDA645 und 3.) in den neuassyrischen Texten (und frühen

weisen auf die beiden abschließenden Zeilen eines kudurrus von Marduk-šāpik-zēri (1081– 1069), in dem steht: Kolumne V(15) GABA.RI gišLE5.U.UM (16) ù na₄KIŠIB LUGAL.E šá šip-re-e-ti, s. Rashid (1980) 144, 146, hierfür vgl. auch Kap. 2.2: šipirtu. Die Verwendung von Holztafeln für wissenschaftlich-literarische Texte in der mittelbabylonischen Zeit bezeugt UM 29–15-393, eine Tontafel in mittelbabylonischer Schrift, die sich als Kopie eines lēʾu aus Susa bezeichnet, vgl. Rutz (2006). Mit den hethitischen Quellen und den Belegen aus Emar/Meskene sowie Ugarit/Ras Šamra beschäftigt sich Symington (1991). Der früheste bekannte Beleg für eine wachsbeschichtete Tafel stammt aus einem Brief der altassyrischen Zeit aus Kaniš/Kültepe, Kt 92/k 233 = Veenhof (2010) Nr. 11 Z. 21 f., i-na ṭup-/ pì-im ✶ša i–is-ku-ri-im✶, siehe ebd. Seite 100 Anm. 22 für weitere Angaben. Für eine Diskussion des Befunds siehe auch Cammarosano et al. (2019) 129–141.  Vgl. Baker (2003) 252 f. und CAD L lēʾu b 157–159. In Kolophonen von Tafeln aus Babylon und dem seleukidenzeitlichen Uruk/Warka wird das Sumerogramm benutzt, vgl. Hunger (1968) 166. Von Tafeln aus Uruk stammen die Kolophone Hunger (1968) Nrn. 87, 88, 90, 99 und 107; von Tafeln aus Babylon Hunger (1968) Nrn. 142, 143, 152, 161, 164 und 165.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

153

neubabylonischen Texten)646 mit dem Sumerogramm gišZU647. Neuassyrische Inventare von Tafeln und neubabylonische Texte belegen, dass ein lēʾu aus mehreren gišIG (daltu, vgl. Kap. 2.2), einzelnen Tafeln/Blättern, besteht.648 Wie aus schriftlichen Quellen des 1. Jahrtausends bekannt ist, konnte ein lēʾu u. a. aus bīnu ‚Tamariske‘, taskarinnu ‚Buchsbaum‘ und šurmēnu ‚Zypresse‘ bzw. Elfenbein angefertigt sein.649 Die auf neuassyrischen Palastreliefs dargestellten Diptychen werden von den jeweiligen Schreibern in der linken Hand gehalten (vgl. Kap. 2.1).650 Diese handliche Größe besitzt auch das in Assur gefundene Exemplar aus Elfenbein.651

 Hierfür wird ein Beispiel im CAD L lēʾu b 2‘ 157 angegeben, und zwar SAA 18 (ABL 716) Nr. 181 Vs. Z. 23.  Für Mario San Nicolò ist dies eine mittel- und neuassyrische Schreibung, vgl. San Nicolò (1948) 61. Postgate erwähnt jedoch keine solche Schreibung für die mittelassyrische Zeit, vgl. Postgate (1986) 22–26. Ein Gegenbeispiel ist inzwischen bekannt, und zwar MARV 4 Nr. 131 Rs. Z. 46 gišZU ŠITmeš, nach Freydank (2009) 65 „Holztafeln der Zahlen“. Für den Hinweis auf diesen Beleg danke ich Jaume Llop-Raduà, 04.07.2014. Postgate führt weiter an, dass ihm kein Beispiel einer syllabischen Schreibung mit einem Determinativ GIŠ für die mittelassyrische Zeit bekannt ist, vgl. Postgate (1986) 23. Zwar erscheint nach Postgate auch zweimal eine syllabische Schreibung mit Determinativ, und zwar MARV 2 Nr. 17 Z. 24 und 100, dem jetzt noch ein Fragment des Umschlags MARV 4 Nr. 161 Z. 3 (=Z. 100 Innentafel) hinzuzufügen ist (Für diesen Hinweis Dank an Jaume Llop-Raduà, 04.07.2014), doch handele es sich dabei um Holzbretter für architektonische Zwecke, ebd. 23. Im MZL2 = Borger (2010) 252 Nr. 15 wird die Bedeutung Schreibtafel für ZU mit und ohne Determinativ GIŠ angegeben und es wird hierbei auf Mayer (1989) 270 f. verwiesen. Dieser gibt jedoch nur Beispiele verschiedener Platten ZU.MEŠ aus Metall. Das Zeichen DA und das Zeichen ZU können jeweils auch für das akkadische Wort lēʾû ‚können‘ stehen. Aufgrund der Homophonie dieses Wortes mit dem akkadischen Wort lēʾu wurden diese Sumerogramme ausgewählt. ZU steht darüber hinaus auch für e/idû ‚wissen‘ und mūdû ‚wissend‘. Bei dem überwiegend im Neuassyrischen verwendeten Sumerogramm wird demnach der Aspekt des Wissens betont.  So ND 2653 aus Kalḫu/Nimrud, vgl. Parker (1961) 17, 41 u. Taf. XXII. Wie Bestandslisten von literarischen und wissenschaftlichen Werken aus Ninive/Kujundschik (vgl. Kap. 3.2.1) zeigen, konnten diese Werke auf verschiedensten Schriftträgern, u. a. Polyptychen bestehend aus mehreren Tafeln, niedergeschrieben sein, s. Parpola (1983a), vgl. auch SAA 7 Nrn. 49–56 mit einer Neuausgabe der entsprechenden Texte. Vgl. für die neubabylonischen Belege insbesondere CT 55 Taf. 146 Nr. 411 aus Sippar/Tell Abū Ḥabbah, vgl. Stol (1998) 343 f.  Hunger (1972–75) u. CAD L lēʾu 156–159. Möglicherweise gab es auch Polyptychen aus Gold, vgl. Mayer (1989) 270 f. Zudem existieren Belege von ZU, bei denen kein Determinativ erscheint. MZL2=Borger (2010) 252 Nr. 15 deutet dies als Schreibtafeln, vgl. hierzu zwei Fußnoten weiter oben.  Auch auf späthethitischen Abbildungen werden Diptychen dargestellt (vgl. Kap. 2.1). Dies deutet daraufhin, dass diese Schriftträger auch für andere Schriften benützt wurden (vgl. Kap. 4).  S. Klengel-Brandt (1975).

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Aus Kalḫu/Nimrud sind Reste von Tafeln aus Walnussholz, die ursprünglich mit Scharnieren miteinander verbunden waren, bekannt. Sie sind in drei verschiedenen Größen erhalten, teilweise größer als die ebenfalls dort gefundenen aus Elfenbein,652 die ca. 33,8 cm × 15,6 cm (Höhe x Breite) messen. Die 16 Exemplare aus Elfenbein (s. Abb. 28 und 29) waren ursprünglich mit Scharnieren aneinander befestigt und konnten zu einem ‚Buch‘ bzw. mehreren ‚Büchern‘ zusammengefaltet werden.653 Eine eingemeißelte Inschrift auf der ‚Titelseite‘ – sie gibt auch die Eigenbezeichnung gišLE.U5.UM ZÚ AM.SI = ‚Polyptychon aus Elfenbein‘ an – und Reste der in Wachs eingedrückten Zeichen belegen, dass die Elfenbeintafeln mit der Serie Enūma Anu Enlil beschrieben waren.654 Aus Ninive/Kujundschik und Kalḫu/Nimrud sind einige Exemplare eines runden, scheibenförmigen Tonverschlusses bekannt. Der Durchmesser des Verschlusses beträgt zwischen 3,5 cm und 4,2 cm. Er ist mit dem Typ des großen ‚Königssiegels‘ (vgl. Kap. 2.2: unqu) gestempelt und besitzt eine Inschrift. Die Rückseite ist flach und zeigt Abdrücke einer Holzfläche sowie von Schnüren bzw. einem Knoten. Aufgrund des Abdrucks, der Inschriften, der geringen Größe und des Inhalts der Inschriften wird postuliert, dass es sich hierbei um Siegelungen von Holzschreibtafeln handelt, die detaillierte Listen von Warenlieferungen enthalten.655 Die einzelnen Tafeln der Diptychen bzw. Polyptychen waren in der Regel mit einem Gemisch von Wachs und kalû-Erde ‚gelber Ocker‘ aufgefüllt.656 Die Seitenfläche der Tafeln war vertieft und mit Ritzungen versehen (vgl. Abb. 28 und 29); dort konnte eine Mischung aus Bienenwachs und Auripigment eingefüllt werden, wie Reste von Wachs auf den Nimrud-Elfenbein- und Holztafeln be-

 S. Wiseman (1955) 4 Fn. 22.  Howard (1955).  Wiseman (1955) 6–8. Neben den Exemplaren aus Nimrud und Assur sind aus zwei Fundorten vergleichbare Tafeln bekannt. Zwei Holztafeln stammen aus dem spätbronzezeitlichen Schiff von Ulu Burun, das vor der Südwestküste der Türkei geborgen wurde, vgl. Payton (1991). Eine etruskische Elfenbeintafel wurde in Marsiliana, Italien gefunden, vgl. Wiseman (1955) 9 f. und Taf. 3. Die Art der verwendeten Scharniere können sich unterscheiden, vgl. Cammarosano et al. (2019) 147 f.  Herbordt (1992) 60. Sie schließt sich der Deutung Postgates (1974) 26 an. Aus Ninive sind nach Herbordt nur 9 Stück bekannt. Das macht einen Anteil von 1,5% der Tonverschlüsse aus diesem Fundort aus, vgl. Herbordt (1992) 60. S. auch Radner (2008) 482 f. und 491 f. Beischriften [A.1], [A.2] [B.1].  Vgl. Stol (1998) 343, 347 f. u. San Nicolò (1949) 67–70. Ein weiterer Text, NBC 4709, aus dem 6. Jahrhundert – vermutlich aus dem Eanna-Tempelarchiv aus Uruk – gibt die Abgabe einer bestimmten Anzahl von Minen Polyptychen, Wachs und kalû-Erde an einen Juwelier an, vgl. Nemet-Nejat (2000) 249–251. Unter kalû ist nach Marten Stol ‚gelber Ocker‘ zu verstehen, vgl. Stol (1998) 347 f., s. auch Thavapalan (2020) 197 und Cammarrosano et al. (2019) 153 f.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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Abb. 29: Zwei Tafeln des lēʾu aus Elfenbein (BM 131952 und BM 131953), Nimrud/Kalḫu. © The Trustees of the British Museum.

zeugen (vgl. Abb. 29).657 Annick Payne merkt hierzu an: „Da Bienenwachs von durchscheinender Farbe ist, ist es wünschenswert, dieser durch Beimischung von Farbpigmenten einen matten Anstrich zu geben, da die Schriftzeichen auf einem matten Hintergrund besser lesbar sind.“658

 Wiseman (1955) 5 f. Die Verwendung von Auripigment stellt nach Konrad Volk nicht die Identifikation von kalû mit ‚gelben Ocker‘ in Frage. Vielmehr ist Auripigment als teure Luxusbeimischung anzusehen, s. Volk (1999) 286 Fn. 61, Volk (2014–16a) 609 und Cammarosano et al. (2019) 153 f.  Payne (2015) 108. Nach eigenen Experimenten mit unbehandeltem Bienenwachs folgert Payne, dass die Bienenwachsmischung wohl im erwärmten Zustand oder mit einem erwärmten Stylus beschriftet wurde, Payne (2015) 109. Bei Wachs mit Beimischung ist eine Erwärmung nicht nötig, so Cammarosano et al. (2019) 162–166.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Neben Tontafeln wurden lēʾāni als Schreibunterlage für wissenschaftlich-literarische Texte gebraucht.659 Auch für neuassyrische Verwaltungstexte fanden lēʾāni Anwendung; keine neuassyrische Rechtsurkunde mit dieser Bezeichnung ist bisher bekannt.660 Der elamische Herrscher Teumman ließ lēʾāni mit einer unangemessenen Botschaft661 an den neuassyrischen König Assurbanipal schicken. In einem neubabylonischen Brief Nabû-balassu-iqbis an einen neuassyrischen König wird ein lēʾu, welches mit einer Nachricht beschrieben und an den König gesandt wurde, erwähnt.662 Demnach konnten lēʾāni als Schriftträger für Briefe fungieren. In neu- und spätbabylonischer Zeit wurden die lēʾāni in der Tempelverwaltung verwendet, wo sie als Register für verschiedenste Ein- und Ausnahmen sowie von Pfründen dienten.663 Vereinzelt existieren in neubabylonischen Quellen Hinweise, dass sie in der privaten Sphäre für Urkunden gebraucht wurden.664 Eine weitere Verwendung findet lēʾu im mythologischen Bereich als ‚Tafel des Lebens‘ des Gottes Nabû, die gleichgesetzt werden kann mit der ‚Schicksalstafel‘.665 Auf zwei mittelbabylonischen Kudurrus ist ein Diptychon bzw. ein Triptychon als Symbol von Nabû dargestellt.666

 Häufig wird in Kolophonen wissenschaftlich-literarischer Texte assyrischer und babylonischer Herkunft als Vorlage, von der abgeschrieben wurde, ein lēʾu genannt, s. Hunger (1968) 166, so auch bei der Untergruppe der Kommentartexte, s. Frahm (2011a) 30. Für babylonische und assyrische Polyptychen in der Bibliothek des Assurbanipal s. Fincke (2003–04) 124–129 und Frame/George (2005) 282 f. Siehe für spätbabylonische Texte, die sich als Abschriften von einem lēʾu bezeichnen, Clancier (2009) 242 Fn. 1036. Auch in anderen Texten werden lēʾāni als Schriftträger für wissenschaftlich-literarische Texte erwähnt, vgl. CAD L lēʾu b 3‘ 158 f.  Radner (1997) 22 f. Zwei Beispiele für den Gebrauch des Sumerogramms gišZU für ein Polyptychon im administrativen Bereich finden sich in den neuassyrischen Briefen SAA 1 Nr. 128 Vs. Z. 18 und SAA 13 Nr. 39 Vs. Z. 14. Daneben werden auch die oben erwähnten Schreibungen verwendet.  Prism C VII 84 = Borger (1996) 108. Prism C VII ist die Beischrift eines Reliefs, auf dem ein lēʾu dargestellt wird, für eine Beschreibung des Reliefs und weitere Literaturhinweise vgl. Kap. 2.1.3.5.  K.31 = SAA 18 Nr. 181 Vs. Z. 23–24: … re-eš-su ina ŠÀ-bi gišZU ki-⸢i⸣ áš-ṭu-ru a-na LUGAL be-líía al-ta-par ‚Früher schrieb ich auf ein lēʾu, dass ich an den König, meinen Herrn schickte‘. Danach folgt ein Zitat der Nachricht, die sich auf diesem lēʾu befand (SAA 18 Nr. 181 Z. 25–28).  S. San Nicolò (1948), MacGinnis (2002), Baker (2003) 252 f., Baker (2004) 76, Jursa (2004) 170–178 und Kozuh/Nielsen (2021). Für Joachim Oelsner ist es eine offene Frage, ob sie in der hellenistischen Zeit in Babylonien für Urkunden und in der Verwaltung verwendet wurden, vgl. Oelsner (2003) 295. Jedoch gibt Clancier (2005) 90 einige Belege eines in Verträgen vorkommenden Ausdrucks, die für die Verwendung als Verwaltungstexte sprechen, s. auch ebd. 92.  Baker (2003) 253.  CAD L lēʾu b 4‘ 159; auch für Nisaba wird ein lēʾu erwähnt. Vgl. auch Barrabee (2011–13) u. Volk (2014–16b).  Seidl (1989) Nr. 40 (Triptychon SB 25) und Nr. 43 (Diptychon BM 90836).

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

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2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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liginnu Das Wort ist im Alt-, Jung-, Neu-, Spätbabylonischen und Neuassyrischen belegt.667 Es kann genauso wie giṭṭu und imgiddû mit dem Sumerogramm IM.GÍD.DA geschrieben werden (vgl. Kap. 2.2). Die genaue Deutung ist jedoch unklar: „While in Sum. the term i m . g í d . d a refers to a one-column tablet (hence ‚long‘ tablet), subscripts of late texts usually refer with this term to an oblong, excerpttablet […]. It cannot be decided whether the term IM.GÍD.DA in late texts refers to the shape, to the content, or is a learned (and poetic) word for tablet; […]“668 Im Altbabylonischen kommt der Begriff syllabisch geschrieben in der Bedeutung ‚Aktennotiz‘ bzw. ‚Langtafel‘ vor.669 So ist zu dieser Zeit IM.GÍD.DA mit liginnu gleichzusetzen.670 Ansonsten soll liginnu ein „tablet (containing texts or excerpts, especially for teaching purposes)“ sein.671 Die Tafeln enthielten wohl Auszüge aus dem „scribal repertoire or curriculum“.672 Auf die neubabylonische

 CAD L liginnu 183. Hier habe ich den Begriff Standardbabylonisch mit Jungbabylonisch übersetzt.  CAD L liginnu 184.  Vgl. AHw 1 liginnu 552 mit Belegen aus einem Text aus Mari und Krebernik (2001) 237 mit einem Beleg für diesen Begriff in einem Text aus Tall Bi’A/Tuttul.  Hunger (1968) 7.  CAD L liginnu 183.  Lenzi (2008) 151.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Schülertafel (BM 76978) mit einem Auszug des Vokabulars SbB mit der Eigenbezeichnung IM.GÍD.DA trifft diese Definition zu. Sie ist auf der Vorderseite mit zwei Kolumnen und auf der Rückseite mit einer Kolumne versehen und hochformatig.673 In einem neuassyrischen Brief, SAA 10 Nr. 177, werden zwei li-gin-a-te ša ṣa-a-ti erwähnt. Das Wort ṣâti (s. Kap. 2.2: ṣâti) bezeichnet sowohl zweisprachige Listen – Vokabulare – als auch Kommentartexte. In neu- und spätbabylonischen Wirtschaftstexten kommt liginnu nur in Bezug auf kanonische Texte sowie in Verbindung mit qabû vor;674 dieser Ausdruck ist auch für das Neuassyrische belegt. liginna qabû bedeutet wörtlich so viel wie ‚eine Schultafel rezitieren‘.675 Selten ist (im Neubabylonischen) liginnu auch in Verbindung mit qabû im Š-Stamm belegt: liginna šuqbu.676 Der Ausdruck wird folgendermaßen gedeutet: ‚liginnu-Tafeln aufsagen/aufsagen lassen, lesen, lernen, studieren/ lehren‘.677 Die etwa ab dem 8. Jahrhundert auftauchenden Kommentartexte (s. Kap. 2.2: mukallimtu, ṣâti) werden größtenteils auf kleinen einkolumnigen Tafeln geschrieben. Die neu- und spätbabylonischen Kommentartexte aus Babylonien weisen eine Eigenbezeichnung auf, die jedoch aufgrund ihrer Schreibung oft als giṭṭu (s. Kap. 2.2: giṭṭu) zu lesen ist. Die entsprechenden Tafeln sind sowohl hoch- als auch querformatig.678 Ein neuassyrischer Kommentartext mit der Eigenbezeichnung IM.GÍD.DA ist K. 398 (ACh. 2. Suppl., 77; III R 2, Nr. 19).679 Zusätzlich zu den Kommentartexten, den hochformatigen Schülertafeln und den im CAD L 184 angeführten querformatigen Exzerpttafeln wie K.2166 (TBP Nr. 24) mit einem Auszug

 Petra D. Gesche (inzwischen Sr. Dr. Bonifatia Gesche) ordnet diese der Schulstufe 2 zu, die einkolumnige, längliche Tafeln im Hochformat benutzt, deren Größe variabel ist, vgl. Gesche (2001) 49 f. Die Größe wird mit 7,1 cm × 5,3 cm × 2,4 cm (H. x B. x Dm.) angegeben, vgl. Gesche (2001) 769.  Baker (2003) 251. Heather D. Baker stützt ihre Studie auf Texte aus Privatarchiven der neubabylonischen bis früh-achämenidischen Zeit, d. h. des späten 7. Jahrhunderts bis 482, s. Baker (2003) 241 f.  Meier (1937–39) 238.  Für eine Diskussion der beiden Belege für liginna šuqbu vgl. Beaulieu (1992) 103–105, Dietrich (2001) 77 und Lenzi (2008) 151–154. Der Text NBC 11488, YOS 19,110 aus dem EannaTempel in Uruk (541 v. Chr.) wird untersucht. Abhängig von der Interpretation der Zeitform des Verbs durften širku-Sklaven schreiben lernen oder nicht. Ein Brief aus Nippur, der aus der Mitte des 8. Jahrhunderts stammt (IM 77120/ OIP 114 Nr. 83), deutet auch darauf hin, dass bestimmte ‚Sklaven‘ lesen lernten, vgl. Cole (1996 = OIP 114) 179, s. auch Dietrich (2001) 68–75 und Dietrich (2003a) 20 f. Fn 24.  Dietrich (2001) 72. Dieser stützt sich auf Beaulieu (1992) 103–105.  Frahm (2011a) 29.  Frahm (2011a) 56, s. auch Hunger (1968) Nr. 293. Er stammt ursprünglich aus Kalḫu/Nimrud und ist etwa zur Hälfte erhalten, für ein Foto vgl. [https://cdli.ucla.edu/P393824].

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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aus den physiognomischen Omina680 gibt es auch weitere Beispiele hochformatiger IM.GÍD.DA-Tafeln. Zwei derartige Texte aus Ninive/Kujundschik habe ich mir im British Museum angesehen: die neubabylonische Tafel BM 98582 (CT 34 Taf. 8 f., s. Abb. 30)681 und die ursprünglich aus Kalḫu/Nimrud stammende neuassyrische Tafel K.2164 (Bab. 6, 8–28 Taf. 1 und 2)682. BM 98582 besitzt eine Höhe von 9 cm, eine Breite von 5,5 cm und einen Durchmesser von 2,7 cm.

Abb. 30: Rückseite der Tafel BM 98582, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

 Böck (2000) 282–287.  Mit dem Kolophon Hunger (1968) Nr. 437.  Mit dem Kolophon Hunger (1968) Nr. 304.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Die in ihrer Höhe mit 13,25 cm unvollständig erhaltene Tafel K.2164 hat eine Breite von 9,5 cm und einen Durchmesser von 2,6 cm. Weitaus später, ins 2./1. Jahrhundert, datiert eine Anzahl spätbabylonischer Texte mit Kultlyrik, die sich teilweise als IM.GÍD.DA bezeichnen.683 Bei diesen Texten wird angegeben, dass sie einen x. nisḫu (vgl. Kap. 2.2) einer bestimmten Textkomposition enthalten.684 Bei einem weiteren Vertreter dieser spätbabylonischen Texte (SBH 37) mit Kultlyrik steht anstelle von nisḫu IM.GÍD.DA.685 Der zu dieser Textgruppe gehörige Text SBH 26 weist hingegen die Eigenbezeichnung GÍD.DA auf, was eine Lesung giṭṭu nahelegt (vgl. Kap. 2.2).686 Nach Angaben innerhalb der entsprechenden Publikation (SBH) sind die Tafeln hochformatig und haben eine Breite von ca. 6,5 cm bis 8,5 cm. Eine Höhe von bis zu 25,5 cm hat sich erhalten.687 Es gibt einen Brief eines Astrologen aus arsakidischer Zeit, in dem anstelle des sonst üblichen IM PN (ṭuppu PN ‚Tafel/Brief von PN‘) im Briefkopf eine syllabische Schreibung von liginnu steht.688 Die Verbindung eines Briefes zu liginnu könnte darin bestehen, dass auch Briefe vorgelesen wurden bzw. es sich auch hier um eine einkolumnige Tafel handelt. In der Regel sind nämlich IM.GÍD.DA-Tafeln einkolumnig. Jedoch gibt es auch Gegenbeispiele wie die aus dem 2. Jahrtausend stammende, vermutlich in die kassitische Zeit zu datierende Tafel mit einer Abschrift des Kodex Hammurabi, die insgesamt zehn Kolumnen aufweist.689

Literaturliste Baker, H. D. 2003. Record-Keeping Practices as Revealed by the Neo-Babylonian Private Archival Documents, in: Brosius, M. (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World, Oxford, 241–263. Beaulieu, P.-A. 1992. New Light on Secret Knowledge in Late Babylonian Culture, ZA 82, 98–111. Böck, B. 2000. Die babylonisch-assyrische Morphoskopie, AfO Beih. 27, Wien.

 Vgl. die Kolophone Hunger (1968) Nrn. 144, 147, 149, 163, 167. Hunger gibt die entsprechenden Autografien in SBH = Reisner (1896) an.  Außer im Kolophon Hunger (1968) Nr. 163.  Hunger (1968) Nr. 159.  Hunger (1968) Nr. 174.  SBH = Reisner (1896) vii–x. In SBH sind die Maße der einzelnen Tafeln vermerkt. SBH 53 ist vollständig erhalten und besitzt die genannte Länge von 25,5 cm und eine Breite von 7,5 cm.  AB 247, s. Jursa (2001) und für eine Kopie und Transkription des Textes s. McEwan (1981a) 139–141.  Finkelstein (1969).

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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magallatu Das Wort kommt im Jungbabylonischen und Spätbabylonischen vor und bezeichnet eine Leder- bzw. Pergamentrolle (vgl. Kap. 4.1.3.3).

mašṭaru/malṭaru Dieser Begriff ist im Mittelbabylonischen, Jungbabylonischen, Neuassyrischen und Neubabylonischen belegt. Das Wort wird einerseits für eine Inschrift in Stein und Metall gebraucht, aber auch für einen Text, d. h. einen Textträger und einen Textinhalt, verwendet. Karen Radner übersetzt das Wort mit ‚Geschriebenes‘ und verweist darauf, dass der Begriff ins Sumerische entlehnt

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

wurde: maš-dara ₃.690 Der Begriff wird für verschiedene Texte benutzt, z. B. für Rezepte wie bei dem spätbabylonischen Text BM 42298.691

Literaturliste Finkel, I. L. 2000. On Late Babylonian Medical Training, in: George, A. R./ Finkel, I. L. (Hg.), Wisdom, Gods and Literature. Studies in Assyriology in Honour of W. G. Lambert, Winona Lake, Indiana, 137–223. Radner, K. 2005. Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbsterhaltung, Santag 8, Wiesbaden.

miḫiṣtu (miḫištu, miḫiltu) Der Begriff miḫiṣtu kommt ab der mittelbabylonischen Zeit im Babylonischen vor, seltener auch im Neuassyrischen. Neben ‚Wunde‘ wird er auch mit ‚Schriftzeichen‘ gleichgesetzt. Er wird für Schriftzeichen unterschiedlicher Form – Keilschriftzeichen, archaisierende Keilschriftzeichen und Buchstaben – gebraucht. Die Belege in den lexikalischen Listen zeigen eine Gleichsetzung mit dem sumerischen g e , dass mit einem einzelnen Keil (U, AŠ, DIŠ, GE22 und GE23) geschrieben wird. Sumerisch g e bedeutet so viel wie ‚Wunde‘, ‚Eindruck eines Schreibgriffels‘ oder auch šaṭāru (vgl. Kap. 2.2: šaṭāru).692 miḫiṣtu in der Bedeutung ‚Schriftzeichen‘/‚Zeichenform‘ bzw. ‚Schrift‘ (in Bezug auf die verschiedenen Zeichenformen) kann mit dem Sumerogramm GU/GÚ/GÙ.SUM geschrieben werden;693 auch dieses Sumerogramm erscheint in den entsprechenden Listen. Der sumerische Begriff g u 3 - s u m bedeutet wortwörtlich ‚Laut-Geber‘. Das akkadische Wort miḫiṣtu stammt von maḫāṣu ‚schlagen‘ und verweist auf die materielle Realisierung des Zeichens.694

 Radner (2005) 162.  Finkel (2000) 180–182 Text 23.  Für Verweise auf die entsprechenden Belege vgl. CAD M/2 miḫiṣtu 54.  Vgl. Parpola (1983b) 334 Nr. 320 und Sjöberg (1975) 160.  Frahm (2011a) 70 f. Fn. 338. In einem Strophengedicht, das nach der Herrschaft Nabonids unter Kyros als Schmähschrift entstanden ist, wird maḫāṣu in Bezug auf den Schreibakt verwendet: mi-hi-iṣ GI.DUB-pu ul i-di a-ta-mar n[i-ṣir-tú], s. Schaudig (2001) 569, P1 Kolumne 5 Z. 10᾽. Hanspeter Schaudig übersetzt dies mit „die Keilschrift kenne ich (zwar) nicht, habe (dennoch) Ve[rwahrtes] geschaut“, vgl. ebd. 576. Den Ausdruck mi-hi-iṣ GI.DUB-pu übersetze ich wörtlich mit ‚Einschlagen des Schreibgriffels‘ anstelle von ‚Keilschrift‘. Das Verb amāru ‚sehen‘ wird auch für ‚leise lesen‘ verwendet, vgl. Charpin (2010a) 42. So übersetze ich die Textstelle fol-

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

165

Die Textvertreter des zweisprachigen (sumerisch-akkadischen) Examenstexts A datieren ins 1. Jahrtausend.695 In Zeile 19, erhalten auf einer Tontafel (1881,0727.130) aus Ninive/Kujundschik, ist von den verschiedenen Zeichenformen, die ein Schreiber beherrschen soll, die Rede: [x (x)] si-sa₂ ti bal sal-la gu₃-sum-til-la-[bi i₃-zu-u₃] i-šar-ta i-ni-ta ṣi-li-ta raq!-qa-t[a x x x x ti-de-e] [Kennst Du] die normale, ‚veränderte‘, ‚feine‘, ‚vollendete‘ (Schrift)? (ditto)696 Auf einer weiteren Tafel aus Ninive/Kujundschik (1883,0118.235, SAA 10 Nr. 384) sind Zeichenformen, die unverständlich sind, erwähnt: GU.SUM-MEŠ šá la i-ḫakim-u-ni.697 Diese Zeichen sollen laut dem Text erklärt werden. In der Inschrift L4 (K.2694 + 3050) rühmt sich Assurbanipal Schriftzeichen von vor der Flut zu kennen.698 In Ninive/Kujundschik wurden zwei interessante Tafelfragmente (K.2087[+?]K.2088), die der physiogonomischen Serie Alamdimmû zugehörig sind, gefunden.699 In diesen beiden Fragmenten werden Schriftzeichen, die sich im Gesicht einer Person befinden können, in schwer erkennbarer Form, die frühesten Keilschriftzeichen nachahmend, wiedergegeben. Bei K.2088 Z. 4‘ steht: 4 700 GÙ.SUM šá KA 2-ti IM.GÍ[D.DA] ‚Vier Zeichen aus der zweiten IM.GÍD.DA-Tafel‘; folglich werden die oberhalb dieser Zeile wiedergegebenen archaisierenden Schriftzeichen als miḫiṣtu bezeichnet.701 Aus den drei vorherigen Beispielen

gendermaßen: ‚Das Einschlagen des Schreibgriffels kenne ich (zwar) nicht, habe (dennoch) Ve[rwahrtes] gelesen.‘ An dieser Stelle wird folglich das Vermögen zu schreiben dem Lesevermögen gegenübergestellt, nicht jeder der lesen kann, muss zwingend in der Lage sein, selber schreiben zu können. Für den Hinweis auf diesen Textbeleg danke ich Johannes Bach.  Sjöberg (1976) 160.  Die Textedition findet sich bei Sjöberg (1975). Für die hier wiedergegebene Zeile siehe ebd. 142 f.  SAA 10 Nr. 384 Vs. Z. 5.  Für eine Edition siehe Novotny (2014) Textnr. 18. Für eine Transliteration und Übersetzung der Zeile vgl. ebd. 76 und 96 Z. 23. Eine knappe Beschreibung der Passage und Angaben zu weiterer Literatur finden sich in Kap. 3.2.1.4.  Für die Kopien der Tafelfragmente vgl. Kraus (1939) = TBP Tafeln 35 f., die Textedition findet sich bei Böck (2000) 258–261. Eckhart Frahm diskutiert die archaisierenden Zeichen ausführlich, vgl. Frahm (2010) 127–130.  Böck (2000) 258.  Frahm (2010) 128. Er folgt nicht Barbara Böcks Übersetzung, vgl. Böck (2000) 259 Z. 6, sondern derjenigen von Kraus (1935) 50, 108. Frahm übersetzt IM.GÍD.DA mit liginnu, vgl. Kap. 2.2: imgiddû, liginnu und giṭṭu für die Diskussion von IM.GÍD.DA.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

wird deutlich, dass im 1. Jahrtausend unterschiedliche Erscheinungsformen von einem Zeichen bekannt waren und gelehrt wurden. Dies deckt sich mit dem materiellen Befund: Verschiedene Erscheinungsformen von Zeichen, z. B. archaisierend bei Königsinschriften, werden je nach Text verwendet. (vgl. Kap. 1.2.3) Auf einer Tafel aus Khorsabad/Dur Šarrukin ist auf der Vorderseite und der Rückseite jeweils ein Gebet geschrieben. Die Anfangszeichen sowie die Endzeichen der einzelnen Zeilen der beiden Gebete lassen sich auch von oben nach unten lesen – jedes der Gebete ist ein Akrostichon. Unterhalb der Gebete steht jeweils nach Angabe der Zeilenzahl: rēš miḫilti u qīt miḫilti ana šinīšu iššassû.702 rēš miḫilti und qīt miḫilti sind womöglich jeweils ein Genitiv der Beziehung (GAG § 136 4 i). Der Satz lässt sich folgendermaßen ins Deutsche übertragen: ‚Das Anfangszeichen und das Endzeichen wird zweifach gelesen.‘703 Das einzelne Keilschriftzeichen sowie dessen unterschiedliche Erscheinungsformen wird als miḫiṣtu bezeichnet. Der Begriff wird auch für Buchstaben verwendet. In zwei Texten aus der Regierungszeit Darius I. werden miḫiltu ša sepīru ‚Schriftzeichen des Alphabetschreibers‘ erwähnt,704 die als Markierungen auf Tieren und Menschen angebracht waren. Diese Zeichen lassen sich mit aramäischen Buchstaben in Verbindung bringen (vgl. Kap. 4.4.2).

Literaturliste Böck, B. 2000. Die babylonisch-assyrische Morphoskopie, AfO Beih. 27, Wien. Charpin, D. 2010a. Reading and Writing in Babylon, Cambridge, Massachusetts/London, England. Frahm, E. 2010. Reading the Tablet, the Exta, and the Body: The Hermeneutics of Cuneiform Signs in Babylonian and Assyrian Text Commentaries and the Divinatory Texts, in: Annus, A. (Hg.), Divination and the Interpretation of Signs in the Ancient World, OIS 6, Chicago, 93–141. Frahm, E. 2011a. Babylonian and Assyrian Text Commentaries. Origins of Interpretation, GMTR 5, Münster.

 Für die Kopie der Tafel und die Edition des Textes vgl. Lambert (1968) 130–132.  Ronald F. G. Sweet bemerkte die doppelte Lesbarkeit der Anfangs- und Endbuchstaben und übersetzte den oben angegebenen Satz mit „the beginning of each line and the end of each line may be read in two ways“, vgl. Sweet (1969).  NBC 6166 (x. Jahr Darius), Vs. Zeile 2–3 in Jursa (2005b) 399 f. und BM 64240 (10. Jahr Darius) Vs. Z. 3 in Jursa/Weszeli (2000) 82 f. BM 64249 wird im CAD M/2 miḫiṣtu 54 fälschlicherweise mit BM 64622 wiedergegeben.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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Jursa, M. 2005b. Nochmals: aramäische Buchstabennamen in akkadischer Transliteration, in: Rollinger, R. (Hg.), Von Sumer bis Homer. Festschrift für Manfred Schretter zum 60. Geburtstag am 25. Februar 2004, AOAT 325, Münster, 399–405. Jursa, M./Weszeli, M. 2000. Der ‚Zahn’ des Schreibers. Ein aramäischer Buchstabenname in akkadischer Transkription, ZA 90, 78–84. Kraus, F. R. 1935. Die physiognomischen Omina der Babylonier, MVAG 40/2, Leipzig. Kraus, F. R. 1939. Texte zur babylonischen Physiognomatik, AfO Beih. 3, Wien. Lambert, W. G. 1968. Literary Style in First Millennium Mesopotamia, JAOS 88, 123–132. Novotny, J. 2014. Selected Royal Inscriptions of Assurbanipal. L3, L4, LET, Prism I, Prism T, and Related Texts. Introduction, Cuneiform Text and Transliteration with a Translation, Glossary, Indices and Sign List, SAACT 10, Winona Lake, Indiana. Parpola, S. 1983b. Letters from Assyrian Scholars to the Kings Esarhaddon und Assurbanipal. Part II: Commentary and Appendices, AOAT 5/2, Neukirchen-Vluyn/Kevelaer. Schaudig, H. 2001. Die Inschriften Nabonids von Babylon und Kyros᾽ des Großen samt den in ihrem Umfeld entstandenen Tendenzschriften. Textausgabe und Grammatik, AOAT 256, Münster. Sjöberg, Å. W. 1975. Der Examenstext A, ZA 64, 137–176. Sjöberg, Å. W. 1976. The Old Babylonian Eduba, in: Lieberman, S. J. (Hg.), Sumerological Studies in Honor of Thorkild Jacobsen on His Seventieth Birthday June 7, 1974, AS 20, Chicago, 159–179. Sweet, R. F. G. 1969. A Pair of Double Acrostics in Akkadian, OrNS 38, 459–460.

mukallimtu Eckart Frahm verhandelte den Begriff sowie die zugehörigen Tafelformate und versammelte zahlreiche Texte. Im Folgenden stütze ich mich auf seine Ausführungen.705 Gegen Ende des 2. Jahrtausends ist der Begriff mukallimtu erstmals in lexikalischen Listen bezeugt mit der sumerischen Entsprechung n i g 2 - p a d 3 - d a .706 Ebenso wie ṣâtu bezeichnet der Begriff eine Art von Kommentartext und kein Tafelformat (für die Erläuterung vgl. Kap. 2.2: ṣâtu). Das Wort ist ein feminines Partizip von kullumu ‚sehen lassen‘, ‚zeigen‘.707 Alle Tafelunterschriften mit dieser Eigenbezeichnung befinden sich auf Tafeln aus der Bibliothek Assurbanipals,708 die jedoch teilweise aus anderen,

   

Frahm (2011a) 28–59. Frahm (2011a) 41. Frahm (2011a) 42. Frahm (2011a) 46.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

früheren Tafelsammlungen stammen.709 Bis auf acht Tafeln, die Kommentare zu Enūma Anu Enlil sind, sind diese Texte im neuassyrischen Duktus geschrieben.710 Einige Texte sind zudem Abschriften von Texten aus Babylon. Nach dem 7. Jahrhundert sind keine Tafeln mit der Eigenbezeichnung mukallimtu bekannt.711 In zwei von den zehn bei Frahm angegebenen Tafelunterschriften erscheint mukallimtu in Verbindung mit (šūt pî) ša pī ummâni,712 was auf eine Verbindung zum mündlichen Bereich verweist. Wie die Tafelunterschriften zeigen, können derartige Kommentare mehrere Tafeln umfassen, es wird angegeben, dass es sich um die ṭuppi n-KAM ‚n-te Tafel‘713 oder n nisḫu ‚n-ter Abschnitt‘714 (vgl. auch Kap. 2.2: nisḫu) handelt. Im Gegensatz zu den ṣâtu-Kommentaren werden in den mukallimtu längere Zitate des Originaltextes, wie z. B. eine gesamte Zeile einer Beschwörung, aufgeführt. Bis auf einige der babylonisch beschrifteten Tafeln, die tabellenförmig wie ṣâtu geschrieben sind, werden alle so benannten Texte in dem nach Frahm „Indentation type commentary“ genannten Format geschrieben.715 Hierbei wird erst die Phrase wiedergegeben und dann – teilweise durch das Trennungszeichen abgetrennt bzw. in der darauffolgenden Zeile – die Erklärung. Die darauffolgende(n) Zeile(n) ist bzw. sind eingerückt. Die nächste zu erklärende Zeile wird nicht eingerückt geschrieben usw.716 Für mukallimtuTexte werden kleinere Tafeln verwendet, sie können sowohl hoch- als auch querformatig sein. K.35 (III R 57, Nr. 4, ACh. Išt. 5), ein Kommentar zu Enūma Anu Enlil, besitzt die mukallimtu-Tafelunterschrift 2a,717 dem folgt direkt der ‚Assurbanipal-Kolophon k‘718 in einer 2½-zeiligen Rezension. Die hochformatige Tafel hat die Maße H. 12,1 cm × B. 7,3 cm × Dm. 2,2 cm (s. Abb. 31).

 Einige der Tafeln stammen aus Kalḫu/Nimrud, vgl. Frahm (2011a) 266, wie beispielsweise diejenigen mit der Tafelunterschrift 4, vgl. ebd. 46. Eine Reihe von Kommentartexten kommen nach Frahm auch aus früheren Sammlungen, vgl. ebd. 278 f., z. B. K.872 mit Tafelunterschrift 2a, vgl. ebd. 43, und K.6450 mit Tafelunterschrift 3a, vgl. ebd. 46.  Vgl. Frahm (2011a) 43 Tafelunterschrift Nr. 1a.  Frahm (2011a) 46 f.  Frahm (2011a) 43–45 Nrn. 2a und 2b. In der Tafelunterschrift Nr. 2a wird der Ausdruck šūt pî verwendet. Nach Frahm handelt es sich dabei um Wissen, das nicht aus Texten, die am Ende des 2. Jahrtausends kanonisiert wurden, stammt, vgl. ebd. 44 f., 87. Vgl. auch die Diskussion zum ‚stream of tradition‘ Kap. 3.1.2.  Frahm (2011a) 46 Nrn. 3a, 3b, 4 und 5.  Frahm (2011a) 46 Nr. 3c.  Frahm (2011a) 42.  Frahm (2011a) 35 f.  Frahm (2011a) 43.  Hunger (1968) Nr. 323.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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Abb. 31: Kommentartext K.35, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

K.872 (AAT 58, ACh. Adad 25), wiederum mit mukallimtu-Tafelunterschrift 2a, ist zwar nur fragmentarisch erhalten, wurde jedoch im Querformat beschrieben und besitzt die Eigenbezeichnung uʾiltu, eine Bezeichnung für eine kleinere einkolumnige

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Tafel (s. Kap. 2.2: uʾiltu). Es handelt sich um eine Kopie eines Textes aus Babylon.719 Einrückungen zur Strukturierung eines Textes werden häufig in wissenschaftlich-literarischen Texten wie Omen und bilingualen Beschwörungen verwendet.

Literaturliste Frahm, E. 2011a. Babylonian and Assyrian Text Commentaries. Origins of Interpretation, GMTR 5, Münster. Hunger, H. 1968. Babylonische und assyrische Kolophone, AOAT 2, Kevelaer/Neukirchen-Vluyn.

musarû/mušarû musarû/mušarû ist eine Entlehnung des sumerischen m u s a r - r a und ist seit der mittelbabylonischen Periode belegt.720 Im Mittel- und Neuassyrischen wird mušarû verwendet. Das Wort wird sowohl syllabisch als auch mit dem Sumerogramm MU.SAR geschrieben. Es bezeichnet ein Objekt mit einer königlichen Inschrift oder eine Inschrift an sich. Der Inschriftenträger konnte aus verschiedenen Materialien bestehen wie Marmor, Silber, Ton etc.. Auch verschiedene Formen sind belegt wie Tafel, Zylinder (s. Abb. 32) und Prisma (s. Abb. 33). Die Königsinschrift šiṭir šumi (vgl. Kap. 2.2: šiṭru) wurde auf den musarû/ mušarû angebracht. Manchmal wird der Begriff musarû/mušarû parallel mit narû (vgl. Kap. 2.2: narû) verwendet; beide Begriffe haben ähnliche Bedeutungen, decken sich jedoch nicht.721 Häufig ist das Wort musarû/mušarû in Bauinschriften (vgl. Kap. 2.2: temmennu) anzutreffen: „The word is often encountered in Neo-Assyrian and Neo-Babylonian building inscriptions in reference to the old foundation deposits and other inscribed objects which frequently turned up during the excavations of the foundations of old buildings, mainly temples.“722 Von Königsinschriften existieren oft Duplikate auf verschiedenen Schriftträgern. Wie auch zwei Kolophone belegen, wurden ältere Exemplare, z. B. von Hammu-

 Frahm (2011a) 46.  Vgl. Radner (2005) 161. Karen Radner plädiert für eine Transkription musarrû/mušarrû anstatt der im AHw und CAD angegebenen musarû/mušarû, vgl. ebd. Fn. 867. In altbabylonischen Kopien älterer Königsinschriften erscheint der Ausdruck mu sar-ra regelmäßig, z. B. RIME 2 = Frayne (1993) E2.1.1.2 Kolophon Z. 1 und E2 1.2.6 Kolophon 3 Z. 1. und ebd. passim.  CAD M/2 musarû A 232 f.  Beaulieu (1993) 70.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

171

Abb. 32: ‚Nabonid-Zylinder‘ (543–539) aus dem Ebabbar-Tempel in Sippar, BM 91109; B. 22,86 cm, Dm. 9,2 cm. © The Trustees of the British Museum.

rabi, abgeschrieben.723 Ferner gibt es auch einige wenige aus der neubabylonischen und Achämeniden-Zeit stammende Hymnen an Götter, die sich als musarû bezeichnen. Paul-Alain Beaulieu nimmt an, dass dies damit zusammenhängt, dass die angepriesenen Götter Ninurta und Nabû Könige unter den Göttern waren. Eine enge Verbindung zum Schriftträger Zylinder existiert.724

Literaturliste Beaulieu, P.-A. 1993. Divine Hymns as Royal Inscriptions, NABU 1993/84. Frayne, D. R. 1993. Sargonic and Gutian Periods (2334–2113 BC), RIME 2, Toronto. Hunger, H. 1968. Babylonische und assyrische Kolophone, AOAT 2, Kevelaer/Neukirchen-Vluyn. Radner, K. 2005. Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbsterhaltung, Santag 8, Wiesbaden.

 Hunger (1968) Nrn. 140 und 485.  Beaulieu (1993).

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Abb. 33: Prisma mit 10 Kolumnen aus Kujundschik/Ninive (‚Rassam-Zylinder‘), BM 91026; H. 48,89 cm, Dm. 20,32 cm, Breite pro Kolumne durchschnittlich 6,35 cm. © The Trustees of the British Museum.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

173

narû Der aus dem Sumerischen entlehnte Begriff ist ab der altbabylonischen/altassyrischen Zeit belegt; er wird syllabisch und mit den Wortzeichen NA4.RÚ.A bzw. (na₄) NA.RÚ.A geschrieben. Er bezeichnet sowohl den Schriftträger einer (Königs-) Inschrift als auch eine (Königs-)Inschrift selbst. Der Begriff ist ein sumerisches Lehnwort von n a - r u 2 - a ,725 was mit ‚aufgerichteter Stein‘ – Stele – zu übersetzen ist.726 Ab der Isin-Larsa- und altbabylonischen Zeit wurde das Lehnwort vielfach im Akkadischen benützt.727 Beate Pongratz-Leisten fasst die Verwendung des Begriffes – sowohl des sumerischen wie auch des Lehnwortes im Akkadischen – von der Mitte des 3. Jahrtausends bis zum Beginn des 2. Jahrtausends wie folgt zusammen: So wird der Begriff narû bereits in den ersten 500 Jahren seiner Existenz verwendet, um Stelen zu bezeichnen, für die sich im Laufe der Zeit drei Funktionen feststellen lassen: die des ‚Grenzsteins‘, der ‚Gesetzesstele‘ und der ‚Stele‘ des Königs als kommemoratives Monument, wobei im letzteren Fall sprachlich und inhaltlich eher die narrative oder die hymnische Form im Vordergrund stehen kann. Das gemeinsame Element ist in allen Fällen der Schriftträger, nämlich die Stele. Der inhaltliche gemeinsame Nenner besteht darin, daß sie das Wort des Königs trägt, das in allen Fällen – so unterschiedlich Sprachstil und Inhalt sein mögen, – normativen Charakter hat.728

Spätestens ab der altbabylonischen Zeit wird der Begriff für alle (Königs-)Inschriften verwendet unabhängig vom jeweiligen Schriftträger.729 So bezeichnen sich eine Vielzahl – unserer Ansicht nach – unterschiedlicher Monumente als narû, z. B. neuassyrische Felsreliefs mit Inschrift, Felsinschriften, beschriftete Stelen, Grenzsteine (sogenannte Kudurrus), Gründungstafeln etc. Die Kudurrus sind babylonische Dokumente, die Haus- und Landbesitz, Steuererlässe, Tempelämter und persönliches Eigentum behandeln. Über 160 Artefakte sind bekannt.730 Sie sind oft aus Stein und teilweise mit bildlichen Symbolen verziert731 und stammen aus der mittelbabylonischen bis frühneuba Vgl. für die verschiedenen Schreibungen und Belege „The Pennsylvania Sumerian Dictionary“ (ePSD 2) [http://oracc.museum.upenn.edu/epsd2/sux], aufgerufen am 22.10.2020 um 12.15 Uhr.  Westenholz (1993) 207–211, s. auch Paulus (2014a) 43.  Westenholz (1993) 211 f.  Pongratz-Leisten (1999a) 77.  Radner (2005) 163, s. auch Pongratz-Leisten (1999a) 77–79.  Brinkman (2006) 2. Paulus zieht für ihre Untersuchung etwa 178 Kudurrus heran, von denen 126 eine Inschrift tragen, Paulus (2014a) 12–17, 875–881 und passim.  Brinkman (2006) 2, vgl. für das Korpus Paulus (2014a) 7–27 und für eine Übersicht aller Objekte ebd. Anhang 1. Vgl. Brinkman (2006) 39–43 und ausführlicher Paulus (2014a) 273–291 für die historische Entwicklung dieser Denkmalgattung. Einen knappen Abriss zu den wich-

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

bylonischen Zeit des 14. bis zur Mitte des 7. Jahrhunderts (ca. 1550–625).732 Die 78 datierbaren Exemplare733 weisen teilweise die Eigenbezeichnung narû auf: […], narû is the most commonly used self-referent for classical stone stelae with reliefs and for stone plaques. It is not as yet attested in a self-reference to any artifact among the three remaining physical types: stone tablets with reliefs, stone tablets without reliefs, or clay cones.734

Seltener wurden für die Kudurru-Steinstelen auch die Begriffe kudurru 735, asumittu (vgl. Kap. 2.2) und abnu (‚Stein‘) verwendet. 736 Einmal wird das Wort asumittu auch für eine Kudurru-Steinplatte gebraucht.737 Im 1. Jahrtausend lassen neuassyrische Herrscher zahlreiche Stelen, Felsreliefs und Statuen mit Tatenberichten und einem königlichen Bildnis – wahlweise ṣalmu oder narû benannt – im neuassyrischen Reich aufstellen bzw. anbringen, wie bspw. in Bawian: 6 na₄NA.RÚ-[e DÙ?]-⸢uš?⸣ ṣa-lam DINGIR-MEŠ GAL-MEŠ EN.MEŠ-ia ab-ta-ni qé-rebšú-un ù ṣa-lam LUGAL-ti-ia la-bi-in ap-pi ma-ḫar-šú-un ul-ziz mim-ma lip-ta-at ki ŠU.II-ia ša qé-reb NINA i-tep-pu-šú ṣe-ru-uš-šú-un ú-šá-áš-ṭir-ma ana LUGAL. MEŠ-ni DUMU.MEŠ-ia e-zib ṣa-ti-iš [Ich fertig]te sechs Stelen an. Ein Bildnis der großen Götter, meiner Herren brachte ich auf ihnen an. Darüber hinaus ließ ich mein könglichliches Bildnis ‚das die Nase streicht‘ vor sie platzieren. Jegliches Werk meiner Hände, dass ich in Ninive unternommen habe, ließ ich auf ihnen niederschreiben und ich hinterließ (sie) für immer für die Könige, meine Nachfahren.738 Die Gesamtdarstellung wird hier als narû bezeichnet, die einzelnen Kombinationselemente – Götterbild, Königsbild und Inschrift – werden voneinander geschieden. Auch andere Begriffe wie temmennu ‚Gründungsgabe‘ und sikkatu

tigsten Publikationen findet sich bei Paulus (2014a) 2–5. S. Seidl (1989) für die Reliefs und Paulus (2014a) für die Inschriften der Kudurrus.  Paulus (2014a) 1 f.  Brinkman (2006) 4 geht noch von 65 aus. Er bezieht sich auf die bei Slanski (2003) diskutierten Objekte. Das Korpus der datierbaren Objekte hat sich inzwischen auf die genannten 78 erweitert, s. Paulus (2014a) 12–14.  Brinkman (2006) 8.  Nach CAD K kudurru A 495 f. ist kudurru ein Grenzstein, eine Grenze oder ein Gebiet. Zu einer Diskussion des Begriffes vgl. Brinkman (2006) 38 f. und Paulus (2014a) 36–49.  Brinkman (2006) 5–8, s. auch Paulus (2014a) 35–49.  Brinkman (2006) 6, 8.  RINAP 3/2 Nr. 223 Z. 55–57a. Für weitere Angaben s. RINAP 3/2 = Grayson/Novotny (2014) 305–307.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

175

‚Nagel‘ bezeichnen die jeweiligen Objekte und später auch die auf ihnen eingeschriebene Inschrift (vgl. Kap. 2.2).739 Problematisch ist, dass narû häufig als Bezeichnung einer Textgattung, der ‚Königsinschrift‘, verwendet wird, so auch von Michael Haul.740 In einer Fußnote verweist er allerdings darauf, dass der Begriff nicht nur die Inschrift selbst, sondern auch das ganze Objekt, die Stele, meinen kann.741 Die Textgattung narû unterscheidet er von der Textgattung der sogenannten literarischen narû (von ihm als „fiktionale narûs“ bezeichnet).742 Letztere sind nach dem Schema von Königsinschriften aufgebaut und bezeichnen sich im Text selbst als narû, sind jedoch fiktional, d. h. nicht-authentische Königsinschriften wie z. B. die KuthaLegende.743 Die Verwendung von narû als Bezeichnung einer Textgattung ist irreführend, da sie die indigene Bedeutung des Begriffes nicht einbezieht und Texte, die diese Eigenbezeichnung besitzen, aus der sogenannten Textgattung ausschließt. Tremper Longman plädiert dafür, Textgattungen aufgrund von Ähnlichkeiten zwischen einzelnen Texten, z. B. in ihrer Struktur und im Inhalt, zu definieren.744 Den Zugang zu diesen Textgattungen mit Hilfe von emischen Begriffen verwirft er für Mesopotamien, da keine präzisen altmesopotamischen Bezeichnungen für diese vorhanden sind.745 Dem folgend wendet er auch nicht den Ausdruck ‚fiktionaler narû‘ oder ähnliches für die von ihm behandelte Textgruppe an, sondern nennt sie „Fictional Akkadian Autobiography“.

Literaturliste Brinkman, J. A. 2006. Babylonian Royal Land Grants, Memorial of Financial Interest, and Invocation of the Divine, JESHO 49, 1–47. Haul, M. 2009. Stele und Legende. Untersuchungen zu den keilschriftlichen Erzählwerken über die Könige von Akkade, GBAO 4, Göttingen. Grayson, A. K./Novotny, J. 2014. The Royal Inscriptions of Sennacherib, King of Assyria (704– 681). Part 2, RINAP 3/2, Winona Lake, Indiana.

 Radner (2005) 163 f.  Haul (2009) 6 und passim.  Haul (2009) 96 Fn. 5.  Haul (2009) 130.  Vgl. die Diskussion des Begriffes mit weiterer Literatur bei Haul (2009) 95–131 sowie Radner (2005) 155–161, die darauf hinweist, dass diese Texte auf eine nicht existierende originale Gründungsinschrift verweisen. S. auch Pongratz-Leisten (1999a) 80–90 und Pongratz-Leisten (2001) 23–31.  Longman (1991) 1–21.  Longman (1991) 14.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Longman, T. 1991. Fictional Akkadian Autobiography: A Generic and Comparative Study, Winona Lake, Indiana. Paulus, S. 2014a. Die babylonischen Kudurru-Inschriften von der kassitischen bis zur frühneubabylonischen Zeit. Untersucht unter besonderer Berücksichtigung gesellschaftsund rechtshistorischer Fragestellungen, AOAT 51, Münster. Pongratz-Leisten, B. 1999a. „Öffne den Tafelbehälter und lies ...“. Neue Ansätze zum Verständnis des Literaturkonzeptes in Mesopotamien, WO 30, 67–90. Pongratz-Leisten, B. 2001. Überlegungen zum Epos in Mesopotamien am Beispiel der KuthaLegende, in: Rüpke, J. (Hg.), Von Göttern und Menschen erzählen. Formkonstanzen und Funktionswandel moderner Epik, Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge 4, Stuttgart, 12–41. Radner, K. 2005. Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbsterhaltung, Santag 8, Wiesbaden. Seidl, U. 1989. Die babylonischen Kudurru-Reliefs. Symbole mesopotamischer Gottheiten, OBO 87, Freiburg, Schweiz/Göttingen. Slanski, K. E. 2003. The Babylonian Entitlement narûs (kudurrus). A Study in Their Form and Function, ASOR Books 9, Boston, MA. Westenholz, J. G. 1993. Writing for Posterity: Naram-Sin and Enmerkar, in: Rainey, A. F. (Hg.), kinattūtu ša dārâti. Raphael Kutscher Memorial Volume, Tel Aviv, 205–218. Internetseiten ohne Nennung eines Autoren: The Pennsylvania Sumerian Dictionary (ePSD 2) [http://oracc.museum.upenn.edu/epsd2/sux] Abruf: 22.10.2020 um 12.15 Uhr.

nibzu Dieses Wort ist bisher nur im Neuassyrischen bezeugt. Alle beschrifteten Tontafeln können als nibzu bezeichnet werden. Es gibt noch keine Belege für den Begriff, die auf eine Rechtsurkunde zu beziehen sind, sondern nur für Briefe, Omenberichte und Verwaltungstexte.746 Ein Brief (SAA 16 Nr. 63 Vs. Z. 13 f.) aus der Zeit Assarhaddons erwähnt ein aramäisches und ein assyrisches nibzu. Im Aramäischen, allerdings bisher nur mit einem Beleg aus Ägypten, ist der Begriff nbz belegt.747

 Radner (1997) 65 f.  Vgl. Schwiderski (2008) 560. Er berücksichtigt keine biblischen oder sich auf die Bibel beziehenden Textbelege.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

177

Literaturliste Radner, K. 1997. Die neuassyrischen Privatrechtsurkunden als Quelle für Mensch und Umwelt, SAAS 6, Helsinki. Schwiderski, D. (Hg.). 2008. Die alt- und reichsaramäischen Inschriften. Bd. 1: Konkordanz, Fontes et Subsidia ad Bibliam pertinentes 4, Berlin/New York.

nisḫu Der Begriff nisḫu wird im Babylonischen und Neuassyrischen verwendet. Im Zusammenhang mit Schrift kommt er in Kolophonen neu-/spätbabylonischer und neuassyrischer Tafeln vor.748 Neben der syllabischen Schreibung ist auch die Schreibung mit dem Sumerogramm ZI möglich. Es ist eine Bezeichnung, welche sich nicht primär auf die Tontafel als physischen Gegenstand bezieht. Neben nisḫu können nämlich noch weitere Tontafeltermini in den Kolophonen erwähnt sein, wie IM.GÍD.DA749 (vgl. Kap. 2.2: giṭṭu, liginnu, imgiddû), ṭuppu750 oder uʾiltu (vgl. Kap. 2.2). Ein aus einem Text kopierter kompletter Abschnitt – oder auch ein Exzerpt – wird als nisḫu bezeichnet. Meist werden ‚nisḫu-Tafeln‘ in Kolophonen mit ‚n-ter nisḫu (von einem Text)‘ bezeichnet.751 Oft wird in dem Zusammenhang auch das Verb nasāḫu verwendet. Nach Jeremy A. Black kommt der Terminus nisḫu häufig bei bilingualen Kultliedern des 1. Jahrtausends vor. Hier ist der Ausdruck ‚n-ter nisḫu von (einer Textkomposition)‘ mit ‚n-te Tafel von (einer Textkomposition)‘ gleichzusetzen. Die nisḫu-Aufteilung ist demnach eine Aufteilung des Textes in eine Länge, die für einzelne Tafeln geeignet ist.752 Für die verschiedensten Textsorten, bspw. für medizinische Texte und Beschwörungen, existieren nisḫēti/nA nisḫāni. Auch für Kommentartexte (Tafeln einer Kommentarserie) des Typs mukallimtu (vgl. Kap. 2.2: mukallimtu) kann der Terminus nisḫu gebraucht werden, auch hier wiederum mit Nummerierung.753 Der Standardkommentar zu Šumma izbu, eine Textkomposition mit teratomantischen Omina aus Ninive/Kujundschik, besitzt 563 Einträge auf einer vierkolum-

 Ein mittelbabylonischer Beleg ist bekannt, vgl. Hunger (1968) Nr. 72.  Z. B. bei zwei spätbabylonischen Texten aus dem 2. und 1. Jahrhundert, vgl. Hunger (1968) Nrn. 144 und 147.  Z. B. bei einer neuassyrischen Tafel aus Assur, vgl. Hunger (1968) Nr. 200.  Vgl. für die einzelnen Kolophone Hunger (1968) 170 und für die Selbstbezeichnungen bei Kommentaren des Typs mukallimtu Frahm (2011a) 45 f. Nr. 2b und 3c.  Black (1985) 93. Siehe auch Gabbay (2014) 230 f.  Vgl. die Selbstbezeichnungen 2b und 3c bei Frahm (2011a) 45 f.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

nigen Tafel. Hierzu soll es vier ‚nisḫu-Tafeln‘ geben: Der Standardkommentar wurde auf vier Tafeln aufgeteilt, die jeweils eine vollständige Kolumne des Standardkommentars enthalten.754 Zu den Leberomina gibt es eine Kommentarserie, bei der sich die einzelnen durchnummerierten Tafeln als nisḫu bezeichnen.755 K.1315 ist beispielsweise der abschließende nisḫu zu einem Kommentartext zu Leberomina.756 Die einzelnen Tafeln können teilweise recht groß sein wie die aus dem 2./ 1. Jahrhundert stammende einkolumnige, hochformatige Tafel VAT 159 (SBH 53) mit einer Länge von 25,5 cm. Sie enthält ein Eršemma, welches Teil eines Balag ist.757 Laut dem Kolophon wurde die Tafel für das Singen kopiert.758 Bei medizinischen nisḫu-Texten kann angegeben sein, dass sie für eine bestimmte Durchführung kopiert worden sind.759 Da das Verb nasāḫu(m) häufig im Zusammenhang mit nisḫu erwähnt ist, wird es an dieser Stelle verhandelt. Der Begriff nasāḫu bedeutet so viel wie ‚herausreißen‘ und wird ab der altakkadischen Zeit verwendet. Sowohl das CAD N/2 als auch das AHw 2 geben als Übersetzung in Verbindung mit Schrift ‚exzerpieren (eines Textes)‘ an. Das Wort kann mit dem Sumerogramm ZI geschrieben werden. Im AHw ist der früheste Beleg im Zusammenhang mit dem Umgang mit Texten altbabylonisch. Häufig kommt der Begriff in Kolophonen neu-/spätbabylonischer und neuassyrischer Tafeln vor.760 Black schlägt im Gegensatz zu der gängigen Übersetzung eine Alternative vor. Er plädiert dafür, dass unter dem Wort ‚kopieren‘ zu verstehen ist, da bei einigen Texten eine Abschrift und kein Exzerpt erstellt wurde. Das Wort beschreibt demnach den Vorgang des Abschreibens und nicht des Zusammenstellens einer verkürzten, exzerpierten Fassung des Originals.761 Karen Radner verweist auf die Stiftungsurkunden des Adad-nērāri III. aus dem Aššūr-Tempel in Assur. Diese Urkunden sind ungesiegelt und schließen mit dem Satz ina pî dannāte ša kunukku ša Aššur u Ninurta nasḫā ‚nach dem Wortlaut der Urkunden mit dem Siegel von Aššur und Ninurta sind sie kopiert‘. Die Stiftungsurkunden

 So Leichty (1970) 22 f. Für Literaturangaben zu diesen Kommentaren s. Frahm (2011a) 202–206. S. ferner De Zorzi (2014) 238–240.  Frahm (2011a) 169 mit weiteren Angaben.  Frahm (2011a) 177 f.  Cohen (1988) 650–667. Siehe auch Gabbay (2015) 150–163.  Hunger (1968) Nr. 147.  Z. B. Hunger (1968) Nr. 202.  AHw 2 nasāḫu 8 750 und CAD N/2 nasāḫu 6 9 f. Für die Kolphone vgl. auch Hunger (1968) 169.  Black (1985).

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

179

stellen für sie Abschriften von Originalurkunden dar, so dass in diesem Zusammenhang ebenfalls eine Übersetzung mit ‚kopieren‘ korrekt erscheint.762 Bei einigen Texten wird angegeben, dass nur eine bestimmte Anzahl von Zeilen des Originals kopiert bzw. exzerpiert wurden.763 Zu Šumma izbu, einer Serie mit teratomantischen Omina, gibt es aus der Palastbibliothek Assurbanipals eine Exzerptserie, die eine abgekürzte Fassung von Šumma izbu darstellt; der Vorgang ist jeweils mit nasḫa (ZI-ḫa) angegeben. Auch hier wird häufig die Anzahl der kopierten bzw. exzerpierten Zeilen aufgeführt.764 Bei einer von Irving L. Finkel publizierten babylonischen Tafel (BM 42298), ein Text mit medizinischen Rezepten – möglicherweise eine Schülertafel –, befindet sich auf der Rückseite die Zeile a-tar maš-ṭar šá GÌŠ? ana ZI ‚Weitere Rezepte für den Penis (sind) zu kopieren‘.765 Dies scheint auch auf die Tätigkeit des Schreibens zu verweisen. Folglich ist nasāḫu(m) mit ‚kopieren‘, teilweise nur von Ausschnitten, als auch ‚exzerpieren‘ zu übersetzen.

Literaturliste Black, J. A. 1985. Nasāḫu ‘to copy’, RA 79, 92–93. Cohen, M. E. 1988. The Canonical Lamentations of Ancient Mesopotamia, Potamac, Maryland. De Zorzi, N. 2014. La serie teratomantica Šumma izbu. Testo, tradizione, orizzonti culturali, HANEM 15, Padua. Finkel, I. L. 2000. On Late Babylonian Medical Training, in: George, A. R./ Finkel, I. L. (Hg.), Wisdom, Gods and Literature. Studies in Assyriology in Honour of W. G. Lambert, Winona Lake, Indiana, 137–223. Frahm, E. 2011a. Babylonian and Assyrian Text Commentaries. Origins of Interpretation, GMTR 5, Münster. Gabbay, U. 2014. Pacifying the Hearts of the Gods. Sumerian Emesal Prayers of the First Millennium BC, Heidelberger Emesal-Studien 1, Wiesbaden. Gabbay, U. 2015. The Eršema Prayers of the First Millennium BC, Heidelberger Emesal-Studien 2, Wiesbaden. Hunger, H. 1968. Babylonische und assyrische Kolophone, AOAT 2, Kevelaer/NeukirchenVluyn. Leichty, E. 1970. The Omen Series Šumma Izbu, TCS 4, Locust Valley, New York. Radner, K. 1997. Die neuassyrischen Privatrechtsurkunden als Quelle für Mensch und Umwelt, SAAS 6, Helsinki.

   

Radner (1997) 41. Vgl. die Belege im AHw 2 nasāḫu 8 750 und CAD N/2 nasāḫu 6 9 f. Leichty (1970) 22 und passim. Finkel (2000) 180.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

qan ṭuppi Der Begriff qan ṭuppi (qan/rṭuppu) wird ab der altbabylonischen Zeit verwendet und ist wortwörtlich mit ‚Schilfrohr für die Tontafel‘ zu übersetzen. Der Begriff bezeichnet den Schreibgriffel für die Keilschrift. Er wird syllabisch oder auch GI ṭuppi bzw. GI.DUB.BA(.A) geschrieben. Der akkadische Begriff ist eine Übersetzung des Sumerischen g i d u b ( - b a ) . Der Schreibgriffel im Alten Vorderen Orient wurde umfassend von Konrad Volk diskutiert, auf den ich mich im Folgenden stütze.766 Der Ausdruck qan ṭuppi ist u. a. in einer Reihe von lexikalischen Listen bezeugt.767 Interessant ist eine Stelle der thematischen Liste ḪAR-ra = ḫubullu (Ḫḫ) gi-dub-ba-an / qa-an ṭup-pa-ni (Ḫḫ IX Z. 311),768 was mit ‚(Schilf-)Rohr für die (Ton-)Tafeln‘ zu übersetzen ist. Nach dem Kommentar ḪAR-gud zu den Tafeln Ḫḫ VIII–IX ist als Äquivalent MIN (= qa-an) ⸢šá⸣-la-l[i] anzusetzen.769 Nach CAD Š/1 195 f. ist dies eine spezifische Art Schilf, die hauptsächlich in Texten medizinischen, pharmazeutischen, rituellen und magischen Inhalts erwähnt wird. Es ist anzunehmen, dass Griffel aus diesem besonderen Schilf sein konnten. Demnach beschreibt Ḫḫ VIII Z. 2–4c, falls die Rekonstruktion der Textstelle korrekt ist, die Herstellung von Schreibgriffeln770: (2) (3) (4) (4a)

g i N U N. M E. T A G gi-šul-hi g i - š u l - h i m a₂ - g a n - n a [g i - š u l - h i a l - b a r - r a]

qa-an šip-ri MIN šá-la-li MIN MIN ma-ak-kan [ḫe]-pu-[u]

 Volk (2009–11). Siehe ebd. für Literaturhinweise. Er zieht für seine Diskussion sumerische und akkadische Quellen, ikonografische Quellen und archäologische Befunde heran. Ich fokussiere mich auf das 1. Jahrtausend und ergänze einzelne, bei Volk angesprochene Punkte. Für die Begrifflichkeit im Hethitischen vgl. Weeden (2011) 119 f. Es wird davon ausgegangen, dass die hethitischen Griffel üblicherweise aus Metall waren, s. auch Cammarosano et al. (2014) 11 und Cammarosano (2014) 72 f. Es wird hier bei der Schreibung von ṭuppu ‚Tontafel‘ dem CAD Ṭ ṭuppu 129–149 gefolgt. Mitunter erscheint in der Fachliteratur auch die Schreibung tuppu, so auch bei Volk (2009–11) 280.  Vgl. die Angaben bei Volk (2009–11) 280 f.  MSL 7 52 Z. 311 und MSL 9 185 Z. 311 mit der Variante -nu. Der Zusammenhang mit den darauf folgenden Zeilen ist unklar, Wehr und Brennholz wird u. a. genannt.  MSL 7 67 Z. 12. Vgl. auch MSL 9 186 Z. 9 gi-šal-li.  Walter Sallaberger arbeitete verschiedene Ordnungsprinzipien für Ḫḫ X heraus, zu denen auch Exkurse zählen, nach denen wieder zum Grundthema zurückgekehrt wird, s. Sallaberger (1996) 46–47. Dies könnte auch auf jene oben zitierte Stelle zutreffen. Er verweist (10–13) auch auf eine Stelle in Ḫḫ X, wo die Herstellung einer Tontafel thematisiert wird.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

(4b) [g i - š u l - h i a l - d a r - r a] (4c) [g i - š u l - h i t u r] (2) (3) (4) (4a) (4b) (4c)

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[l]e-tu-[u] zi-i-r[um]771

(Schilf-)Rohr der Botschaft šalāli-Schilf šalāli-Schilf aus Magan geschnitten/gebrochen gespalten klein

Der Schreibgriffel bestand aus gespaltenem Schilfrohr, wie die Eindrücke auf den Tontafeln (vgl. Kap. 1.2.3) und die neuassyrischen Darstellungen zeigen (vgl. Kap. 2.1.3, vgl. ebd. auch zur Beschreibung der spezifischen Handhaltung). Er wurde für das Eindrücken der Keile in Tontafeln und wachsbeschichtete Tafeln verwendet.772 Je nach Zeitperiode und Region unterscheidet sich die Griffelform (vgl. Kap. 1.2.3). Schriftliche Hinweise erwähnen Schreibgriffel aus Holz und Edelmetallen, insbesondere für Götter und Herrscher.773 Dass teilweise bei den Keileindrücken die Spuren der Kapillaren des Schilfes fehlen, bestätigt den schriftlichen Befund: Es wurde auch ein anderes Material außer Schilf, womöglich Metall, für Schreibgriffel verwendet (vgl. Kap. 1.2.3).774 Im archäologischen Befund erhalten sich vergängliche Materialien wie Schilf und Holz nur äußerst selten. Darüber hinaus ist bei der Identifikation von Schreibgriffeln zu bedenken, dass mit beinahe jeder beliebigen Kante das Eindrücken von Keilen in Ton und Wachs möglich ist. Falls der entsprechende Gegenstand keine Kante besitzt, ist er – zumindest zum Schreiben von Keilschrift – ungeeignet.775 Im 2. und 1. Jahrtausend erhält qan ṭuppi eine herausragende Bedeutung als Symbol Nabûs, des Gottes der Schreibkunst. Mit dem Schreibgriffel schrieb Nabû auf die ‚Tafel des Lebens‘ (vgl. Kap. 2.2: lēʾu). Der Schreibgriffel als Symbol für Nabû wird auch ikonografisch dargestellt und zwar auf den sogenannten Kudurrus (vgl. Kap. 2.2: narû), aber auch auf Siegelbildern. Aufbauend insbesondere

 MSL 7 7 Z. 2–4c. Für die Rekonstruktion wird dort auf Analogien verwiesen.  Neben den neuassyrischen Darstellungen spricht hierfür das Fehlen eines Ausdrucks für einen spezifischen Griffel für wachsbeschichtete Tafeln und die Verwendung des Begriffes im Zusammenhang mit lēʾu.  Vgl. Volk (2009–11) 280 für nähere Angaben.  Siehe auch Cammarosano et al. (2014) 11 und Cammarosano (2014) 70–73. Michele Cammarosano stützt sich hierbei auf seine Autopsie von Tontafeln von hethitischen Fundorten.  Für eine Aufstellung von angeblichen Schreibgriffeln vgl. Volk (2009–11) 285 f. sowie Cammarosano (2014) 62–65. Für Darstellungen und Diskussion von Schreibgriffeln für andere Schriftsysteme vgl. Kap. 2.1.2 und 2.1.3.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

auf die Arbeiten Ursula Seidls776 unterscheidet Volk zwischen einem einteiligen, zweiteiligen und keilförmigen Schreibgriffel,777 jedoch sind häufig die Grenzen zwischen den Typen nicht eindeutig zu ziehen.778 Ersterer kann horizontale Linien besitzen, der Zweite hat eine vertikale Rille. Sich auch auf Seidl beziehend identifiziert Michele Cammarosano zwei Typen von Schreibgriffeln, den „‚grooved‘ stylus“ und den „‚wedge‘ stylus“, wobei er bei letzterem zwei Phänotypen bemerkt: den „‚simple tip‘ stylus“ und den „‚stylized wedge‘ stylus“.779 Gleichwohl führt Cammarosano an, dass die Darstellungweise nicht immer eine Zuordnung zu einem der beiden Phänotypen erlaubt.780 Der ‚grooved‘ stylus entspricht Volks zweiteiligem Griffel, der ‚simple tip‘ stylus dem einteiligen und der „‚stylized wedge‘ stylus“ dem keilförmigen Griffel. Wie im Kapitel 2.1.3 für die neuassyrischen Darstellungen aufgezeigt werden konnte, stellen dort einteilige und zweiteilige Griffel Abbildungskonventionen desselben Griffels, eines gespaltenen Schilfrohrs, dar. Demnach ist anzunehmen, dass auch die drei Abbildungstypen von Volk und Cammarosano jeweils auf den gleichen (Keilschrift-)Griffel Bezug nehmen.

Literaturliste Cammarosano, M. 2014. The Cuneiform Stylus, Mesopotamia 49, 53–90. Cammarosano, M./Müller, G. G. W./Fisseler, D./Weichert, F. 2014. Schriftmetrologie des Keils. Dreidimensionale Analyse von Keileindrücken und Handschriften, WO 44, 2–36. Sallaberger, W. 1996. Der babylonische Töpfer und seine Gefässe. Nach Urkunden altsumerischer bis altbabylonischer Zeit sowie lexikalischen und literarischen Zeugnissen, MHE Series 2. Memoirs 3, Gent. Seidl, U. 1989. Die babylonischen Kudurru-Reliefs. Symbole mesopotamischer Gottheiten, OBO 87, Freiburg, Schweiz/Göttingen. Seidl, U. 1998–2001. Nabû. B. Archäologisch, RlA 9, 24–29. Volk, K. 2009–11. Schreibgriffel, RlA 12, 280–286. Weeden, M. 2011. Hittite Scribal Schools outside of Hattusa?, AoF 38, 116–134.

 Siehe u. a. Seidl (1989) 121–125, (1998) 24–27.  Volk (2009–11) 282–284.  Vgl. die Diversität der abgebildeten Griffel bei Seidl (1998–2001) 26 f. Seidl gibt für die Kudurrus an, dass der einteilige Griffel die Form eines schlanken Keils besitzt, vgl. Seidl (1998–2001) 123. Volk bezieht sich bei den keilförmigen Griffeln auf die Siegelbilder, wobei hier zu beachten ist, dass bereits die geringe Größe des Mediums Siegel eine starke Stilisierung des dargestellten Schreibgriffels begründet.  Cammarosano (2014) 59–62.  Cammarosano (2014) 60. Dies zeigt sich auch bei seinen abgebildeten Beispielen, s. ebd. 61 f. Abb. 5 und 6. Diese wurden von Fotos von Artefakten verschiedener Denkmalgattungen u. a. Kudurrus, Zylindersiegeln und neuassyrischen Stelen abgezeichnet.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

183

sikkatu Der Begriff sikkatu kommt im Assyrischen ab dem frühen 2. Jahrtausend vor und bedeutet ‚Nagel‘. Mit diesem Begriff werden auch tönerne Wandknäufe781 bezeichnet, die eine Inschrift tragen konnten (vgl. Abb. 34).782 Sekundär kann das Wort auch für die Inschrift auf den Wandknäufen selbst verwendet werden.783

Abb. 34: Wandknauf Salmanassars III. (Ass 9976, VA 8444) mit Inschrift (vgl. RIMA 3 A.0.102.44), Assur; H. 22,8 cm, Dm. 13,5 cm; in Nunn (2006) Kat.nr. 1389 Taf. 32.

In einer Inschrift Ērišums I., eines altassyrischen Herrschers, wird ein sikkatu erwähnt, welches wahrscheinlich mit einem solchen Wandknauf in Verbindung zu bringen ist.784 Das Wort ist als Eigenbezeichnung in Inschriften auf töner-

 Für Tonknäufe vgl. van Ess/Tourtet (2014–16).  Für die beschrifteten Objekte, vgl. Walker (2014–16).  Radner (2005) 164.  RIMA 1 A.0.33.1 mit älterer Literatur und für altbabylonische und altassyrische Belege CAD S sikkatu A 3b 250 f.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

nen Wandknäufen ab Puzur-Aššur III. (ca. Mitte des 2. Jahrtausends) belegt – Knaufinschriften vorheriger assyrischer Herrscher sind zu fragmentarisch, um eine Aussage diesbezüglich treffen zu können.785 Später werden für sie auch die allgemeineren Ausdrücke narû, temmennu, šumu šaṭru und šiṭru verwendet (vgl. Kap. 2.2).786 Auch im Neuassyrischen wird der Begriff sikkatu für Wandknäufe gebraucht; Textbeispiele belegen die Existenz von Exemplaren aus Metall.787 Einige tönerne Wandknäufe Salmanassars III. (858–824) weisen eine Eigenbezeichnung na₄sikkatu auf.788 Im Neuassyrischen taucht ab Tiglat-pileser III. (745–727) noch der Ausdruck sikkat karri ‚Nagelknauf‘ auf; er wird jedoch als Bezeichnung für Bauschmuck – häufig aus Metall – verwendet.789 In einer dreisprachigen achämenidischen Inschrift (Altpersisch, Elamisch, Akkadisch) auf einem Wandknauf aus einer Art Stein von Darius I. (✶ 550 – † 486), der aus Persepolis stammt, wird mit diesem Ausdruck der Schriftträger bezeichnet.790 Beschriftete und unbeschriftete Wandknäufe stammen überwiegend aus Monumentalbauten – Tempel, Paläste und Umfassungsmauern. Sie können sowohl glasiert als auch unglasiert sein und auch ihre Form ist variabel.791 Ab der frühdynastischen Zeit sind Exemplare tönerner, beschrifteter Wandknäufe bzw. Nägel bekannt. Ursprünglich wurde dieses Format wohl für Rechtsurkunden verwendet: Beim Besitzwechsel eines Hauses wurden sie zur Eigentumskenn-

 Vgl. RIMA 1 passim.  RIMA 1, 2, 3 passim. Francelin Tourtet berücksichtigte in seiner Untersuchung die tönernen Wandknäufe vom 15. bis zum 12. Jahrhundert. Ab Adad-nērārī I. bis zum Ende des von ihm berücksichtigten Zeitraums (bis Tukultī-Ninurta I.) werden die beiden Begriffe narû und temmenu verwendet, vgl. Tourtet (2010) 93 f.  Vgl. CAD S sikkatu A 3a 250.  Beispiele für Inschriften auf tönernen Wandknäufen mit dieser Eigenbezeichnung aus Assur von Salmanassar III. sind RIMA 3 A.0.102.41 und A.0.102.44. Weitere Beispiele mit derselben Schreibung finden sich bei Inschriften Salmanassars III., vgl. CAD S sikkatu A 3a 250. Eine Inschrift Sargons II., die auf diversen Wandknäufen angebracht wurde, erwähnt sí-ka-a-ti šú-ut abni ‚Wandknäufe aus Stein‘. Ernst F. Weidner meint, dass sich dies nicht auf das Material Stein bezieht, sondern darauf, dass die Wandknäufe ‚steinhart‘ gebrannt wurden, vgl. Weidner (1926) 2 Z. 5 f. und Fn. 9. Dies würde auch die Schreibung mit dem Determinativ für Stein, NA4, erklären.  AHw 2 karru II 3 450; CAD K karru A a 221.  Herzfeld (1938) 23 Nr. 10. Eine weitere Knaufinschrift stammt von Xerxes, vgl. ebd. 23 f. Nr. 11. S. auch Schweiger (1998) 33–38 und 101–102. Für die elamische Begrifflichkeit vgl. Tourtet (2010) 92 und Tourtet (2013) 173.  Für die Objekte aus Assur, vgl. Jakob-Rost (1982), Donbaz/Grayson (1984), RIMA 1, 2, 3, Pedersén (1997) und Nunn (2006). Für eine Zusammenstellung der Objekte aus der Spätbronzezeit vgl. Tourtet (2010). Für die verschiedenen Formen der Tonknäufe und ihrer Verbreitung vom 4. bis einschließlich des 1. Jahrtausends und weiterführende Literatur vgl. van Ess/Tourtet (2014–16) 94 f., s. auch Walker (2014–16) für die beschrifteten Tonnägel.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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zeichnung in das Gebäude geschlagen bzw. dort angebracht.792 Später wurde das Format für Bauinschriften adaptiert.793 Die beschrifteten Exemplare aus dem 1. Jahrtausend datieren überwiegend in die neuassyrische Zeit, obwohl es auch einige spätbabylonische Exemplare gibt.794

Literaturliste Ess, M. van/Tourtet, F. 2014–16. Tonknauf, RlA 14, 93–96. Donbaz, V./Grayson, A. K. 1984. Royal Inscriptions on Clay Cones from Ashur now in Istanbul, RIM Suppl. 1, Toronto/Buffalo/London. Herzfeld, E. 1938. Altpersische Inschriften, AMI Erg.-Bd. 1, Berlin. Jacob-Rost, L. 1982. Die Tonnagel-Inschriften aus Assur, FuB 22, 137–177. Kraus, F. R. 1947. Altmesopotamische Tonnaegel mit Keilinschriften, Halil Edhem Hatıra Kitab. In Memoriam Halil Edhem Vol. 1, Türk Tarih Kurum Yayınlarından VII. Seri No. 5, Ankara, 71–113. Nunn, A. 2006. Knaufplatten und Knäufe aus Assur, WVDOG 112, Saarwellingen. Pedersén, O. 1997. Katalog der beschrifteten Objekte aus Assur. Die Schriftträger mit Ausnahme der Tontafeln und ähnlicher Archivtexte, ADOG 23, Saarbrücken. Radner, K. 2005. Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbsterhaltung, Santag 8, Wiesbaden. Schweiger, G. 1998. Kritische Neuedition der achaemenidischen Keilinschriften, Taimering. Steinkeller, P. 1989. Sale Documents of the Ur-III-Period, FAOS 17, Stuttgart. Tourtet, F. 2010. Spätbronzezeitliche Wandknäufe im Vorderen Orient: Archäologische und philologische Betrachtungen zur Erschliessung ihrer Funktion(en), unpub. Magisterarbeit eingereicht im November 2010 am Institut für Vorderasiatische Archäologie, Freie Universität Berlin. Tourtet, F. 2013. Distribution, Materials and Functions of the „Wall Knobs“ in the Near Eastern Late Bronze Age: From South Western Iran to the Middle Euphrates, in: De Graef, K./ Tavenier, J. (Hg.), Susa and Elam. Archaeological, Philological, Historical and Geographical Perspectives. Proceedings of the International Congress held at the Ghent University, December 14–17, 2009, MDP 58, Leiden/Boston,173–190. Walker, C. B. F. 2014–16. Tonnagel (beschriftet) (cone), RlA 14, 96–98. Weidner, E. F. 1926. Assyrische Emailgemälde vom achten Feldzuge Sargons II., AfO 3, 1–6.

 Kraus (1947) 82–92, s. auch Steinkeller (1989) 238 f., Radner (2005) 164 u. Nunn (2006) 91–98.  Radner (2005) 164. Margarete van Ess und Francelin Tourtet diskutieren sowohl für die beschrifteten als auch die unbeschrifteten Objekte die Funktionen Bauelement, Türverschluss, Bauschmuck, Wandbefestigung und symbolische Funktion, vgl. van Ess/Tourtet (2014–16) 95 f.  Walker (2014–16) 97 f.

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sipru Der Begriff sipru ist ein aramäisches Lehnwort und wird im Akkadischen zur Bezeichnung von aramäischen Texten verwendet. Er kommt im Neu- und Spätbabylonischen vor. In einem Antwortschreiben (SAA 17 Nr. 2) des neuassyrischen Königs Sargon II. (721–705) an Sîn-iddinam, den Statthalter von Ur, wird dessen Vorschlag das Schreiben von Nachrichten in Aramäisch untersagt: (15) (16) (17) (18) (19) (20) (21) (22)

[um-ma] k[i]-[i IGI LUG]AL maḫ-ru ina ŠÀ si-ip-ri [kur]ár-m[a-a-a lu-u]s-pi-ir-ma a-na LUGAL [l]u-še-bi-la mi-nam-ma ina ši-pir-ti ak-ka-da-at-tu la ta-šaṭ-ṭar-ma la tu-šeb-bi-la kit-ta ši-pir-tu šá (Rasur) ina ŠÀ-bi ta-šaṭ-ṭar-ru ki-i pi-i a-gan-ni-tim-ma i-da-at lu-ú šak-na-at …

Wenn es dem König genehm ist, will ich aramäische Nachrichten schreiben und an den König senden. – Warum schreibst und sendest du mir nicht Botschaften auf Akkadisch? Fürwahr, die Botschaft, die du mir schreibst, muss wie diese (Botschaften) sein. Das ist ein festgelegtes Muster!795 Demnach steht si-ip-ri [kur]ár-m[a-a-a] an dieser Stelle für aramäische Briefe/ Nachrichten. Nach den neu- und spätbabylonischen Textbelegen im CAD S 304 zu schließen, wird sipru als Bezeichnung für einen Text rechtlichen Inhalts verwendet. In einem Rechtstext (BM 79074)796 aus der Regierungszeit des achämenidischen Herrschers Darius I. wird eine Sklavin (GÉME) erwähnt, ša sipri ina 797 UGU ritti jānu ‚auf deren Hand sich kein aramäischer Schriftzug befindet‘. Eine solche Art von Markierung ist auch von anderen zeitgleichen Texten bekannt (für weitere Angaben vgl. Kap. 2.2: miḫiṣtu, šaṭāru und Kap. 4.4.2). Im Aramäischen bedeutet spr ‚Schreiben‘, ‚Brief‘, ,Buch‘, ,Inschrift‘.798

 SAA 17 Nr. 2 Vs. Z. 15–22.  Vgl. für Kopie, Umschrift und Übersetzung Waerzeggers (1999–2000) 189 f. Für den Hinweis auf diesen Textbeleg bedanke ich mich bei Julia Giessler.  Vs. Z. 7, vgl. Waerzeggers (1999–2000) 189 f.  Schwiderski (2008) 611.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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Literaturliste Schwiderski, D. (Hg.). 2008. Die alt- und reichsaramäischen Inschriften. Bd. 1: Konkordanz, Fontes et Subsidia ad Bibliam pertinentes 4, Berlin/New York. Waerzeggers, C. 1999–2000. The Records of Inṣabtu from the Naggāru Family, AfO 46–47, 183–200.

ṣâtu (ṣiātu) Der Begriff wird sowohl für ‚ferne Zeit‘ als auch für ‚lexikalische Liste‘ und ‚Kommentartext‘ verwendet. Im Folgenden interessieren nur letztere beide Bedeutungen. Am Ende des 2. Jahrtausends erscheinen erstmals die beiden Begriffe mukallimtu und ṣâtu in einigen lexikalischen Listen Bezug nehmend auf Kommentartexte. Kommentartexte wurden ausführlich von Eckart Frahm verhandelt, auf ihn stütze ich mich.799 Eine der sumerischen Entsprechungen n i g ₂ - z i - g a l ₂ e d i n - n a von ṣâtu kommt bereits in sumerischer Edubba-Literatur vor. Dort bezeichnet es eine Art lexikalische Liste.800 Bis in die spätbabylonische Zeit wird der Begriff hierfür benützt, wobei der Begriff dann bilinguale (sumerisch-akkadische) Listen wie ḪAR-ra = ḫubullu bezeichnet. Er ist nur als Referenzterminus überliefert. Diese Listen können mehrkolumnig sein, es gibt allerdings auch kleinere Schülertafeln. Eine akkadische Synonymenliste wird übrigens als lišānu bezeichnet.801 Das Wort ṣâtu gehört zur Wurzel (w)aṣû.802 Frahm schlägt die Übersetzung ‚Lemmata‘ vor, wenn sich das Wort auf einen Kommentartext bezieht, und ‚ṣâtuListe‘, wenn es sich um eine bilinguale Wortliste handelt.803 Kommentartexte werden entweder als mukallimtu oder ṣâtu bezeichnet, wobei sich diese nach der Art des Kommentars und des Textlayouts unterscheiden lassen. Die ältesten Tafeln mit Kommentartexten stammen aus der Bibliothek Nabû-zuqup-kēnus aus Kalḫu/Nimrud, der zwischen 716 bis 683 tätig war. Seine Bibliothek wurde in diejenige des neuassyrischen Herrschers Assurbanipal in Ninive/Kujundschik integriert, aus welcher über die Hälfte der uns bekannten Kom-

 Frahm (2011a). Er verhandelt in seinem Buch die über 860 erhaltenen Kommentartexte. Hierbei berücksichtigt er auch ihr Erscheinungsbild und ihre Eigenbezeichnung. In den folgenden Ausführungen beziehe ich mich auf sein Buch, weitere Angaben sowie ältere Literatur finden sich dort.  Frahm (2011a) 41 und 48. Für die entsprechenden Belege siehe ebd. Daneben wird noch der sumerische Begriff u d - u l - d u 3 - a für ṣâtu gebraucht, s. ebd. 41.  Frahm (2011a) 48 f. Im Gegensatz zu den bilingualen Listen wird in diesen der Schwerpunkt auf den akkadischen Thesaurus gelegt. Für die umfangreichste Synonymenliste Malku = šarru vgl. Hrůša (2010).  Labat (1933) 15.  Frahm (2011) 50.

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mentartexte stammt. Aus Babylonien sind ab Mitte des 6. bis zum Ende des 2. Jahrhunderts datierbare Kommentartexte bezeugt, die sich dann durchgehend als ṣâtu bezeichnen.804 Kommentartexte erklären Ausdrücke bzw. Phrasen aus meist einem standardisierten Text und ziehen dafür Belege aus anderen Quellen wie den lexikalischen Listen heran. Der Begriff ṣâtu kommt in zahlreichen Tafelunterschriften von Kommentartexten – häufig in Begleitung von Ausdrücken wie šūt

Abb. 35: Rückseite eines Kommentartextes zu Šumma ālu, K.1, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

 Vgl. hierzu Frahm (2011a) 24–27.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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pî, mašʾaltu, ša pī ummâni und malšutu – vor.805 Letztere beziehen sich auf den mündlichen Bereich insbesondere den Bereich der mündlichen Vermittlung und sind meist von dem davorstehenden ṣâtu mit einem u abgegrenzt, was Frahm mit ‚und‘ übersetzt, z. B. Tafelunterschrift 3b: ṣâtu u pî ša (Tafelincipit) ‚Lemmata und mündliche Erklärungen bezogen auf (Tafelincipit)‘806. Sehr selten kommen solche Termini für Kommentartexte ohne die Begriffe mukallimtu und ṣâtu vor.807 Ein Textlayout, das für ‚ṣâtu-Kommentare‘ benutzt wird, tituliert Frahm „Tabular commentary“ ‚Kommentar in Tabellenform‘ (vgl. Abb. 35). Die entsprechenden Tafeln konnten in babylonischer oder (seltener) in assyrischer Schrift beschrieben sein und stammen meist aus Assyrien und zwar aus Ninive.808 Die Tafeloberfläche ist in zwei Spalten eingeteilt.809 In der linken Spalte befindet sich das Zitat – in der Regel ein Wort, seltener ganze Sätze – aus dem kommentierten Text, in der rechten Spalte die Erklärung, z. B. wird bei einem Sumerogramm die akkadische Entsprechung angegeben. Bevor die Tafel beschrieben wurde, wurde sie bereits mit Linien unterteilt. Bei einigen ist trotz der Tabellenform keine vertikale Linie sichtbar.810 Drei Beispiele für dieses Layout – K.1 (CT 41 Taf. 26f.), K.118 (CT 41 Taf. 33) und K.2895 (CT 41 Taf. 25) – habe ich im British Museum betrachtet. Sie kommentieren allesamt Šumma ālu, bezeichnen sich in ihrer Tafelunterschrift als sâtu, sind in neubabylonischer Schrift geschrieben und hochformatig.811 Bei K.1 sind horizontale Linien angebracht und in der Mitte der Vorder- und Rückseite eine vertikale Linie (Abb. 35). Bei K.118812 und K.2895 (vgl. Abb. 36) befinden sich auf der Vorderund Rückseite zwei vertikale Hilfslinien parallel zueinander. Auf der Linken wurde das letzte Zeichen der ersten Spalte und auf der Rechten das erste Zeichen der rechten Spalte gesetzt, so blieb in der Mitte ein Freiraum. K. 1 und K.118 sind voll-

 Frahm (2011a) 42. Für die verschiedenen Typen der ṣâtu-Tafelunterschriften s. ebd. 50–55.  Frahm (2011a) 51. Die englische Übersetzung habe ich ins Deutsche übertragen.  Frahm (2011a) 56.  Frahm (2011a) 35 und 55.  Frahm führt bei diesem Layouttyp zudem zwei Kommentare ḪAR-gud zu ḪAR-ra = ḫubullu und den ‚Kommentar‘ aus Assur zur Weidner Götterliste an, die mehr als zwei Spalten besitzen, vgl. Frahm (2011a) 35. Bei ersteren bemerkt er jedoch später, dass sie in den Tafelunterschriften nie als ṣâtu bezeichnet wurden, vgl. Frahm (2011a) 250 f. Bei letzteren sind keine Tafelunterschriften erhalten. Frahm stellt sich die Frage, ob diese Kommentare aufgrund ihres Umfanges selber überhaupt noch als Kommentare zu bezeichnen seien, vgl. Frahm (2011a) 256.  Frahm (2011a) 34.  K.1 und K.2895 verwenden die Tafelunterschrift (nach Frahm) des Typs 2b sâtu ša ṭuppi n-KAM (Titel der Serie) ‚Lemmata von der n-ten Tafel von (Titel der Serie)‘, K. 118 den Typ 2c sâtu ša (Tafel-Incipit) ‚Lemmata von (Tafel-Incipit)‘, vgl. Frahm (2011a) 50 f., siehe auch ebd. 193.  Für ein Foto https://cdli.ucla.edu/ P237784.

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Abb. 36: Abb. 13: Ausschnitt der Rückseite eines nur zum Teil erhaltenen Kommentartextes zu Šumma ālu, K.2895, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

ständig erhalten. Bei K.1 sind die Maße H.11,1 cm × B. 5,1 cm × Dm. 2,7 cm und bei K.118 H. 7,7 cm × B. 4,9 cm × Dm. 2,4 cm. Die meisten Texte aus Babylonien mit der Eigenbezeichnung ṣâtu sind „Cola type commentaries“. Hier werden längere Zitate des kommentierten Textes angeführt sowie komplexere Erklärungen. Die einzelnen Einträge und Erläuterungen werden durch das ‚Cola‘, das Trennungszeichen, der sogenannte Glossenkeil (vgl. Kap. 1.2.4), voneinander geschieden und nicht durch Spalten oder Einrückungen wie bei mukallimtu. Der Text erscheint folglich als Fließtext. Bei einigen späten Texten markieren – je nachdem aus wie vielen Keilen (bis zu vier) das ‚Cola‘ zusammengesetzt ist – diese Trennungszeichen die Einleitung unterschiedlicher Textpassagen.813 Die Eigenbezeichnung und das spezifische Textlayout der Kommentartexte zeugen davon, dass es sich hierbei um eine spezifische Textsorte handelt. Die 21 erhaltenen assyrischen Kommentare mit Eigenbezeichnung ṣâtu stammen aus der Bibliothek Assurbanipals und sind überwiegend in babylonischer Schrift verfasst. Sie sind alle Kommentare in Tabellenform. Die meisten Kommentartexte aus Babylonien sind auf kleinen einkolumnigen Tontafeln niedergeschrieben, die in den Kolophonen als IM.GÍD.DA (vgl. Kap. 2.2: imgiddû, liginnu, giṭṭu) bezeichnet werden.814 Im Neuassyrischen kann das Tafelformat uʾiltu genannt sein, insbesondere

 Frahm (2011a) 36 f.  Frahm (2011a) 28 f.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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bei mukallimtu-Kommentaren (vgl. Kap. 2.2: uʾiltu, mukallimtu). In einigen Kolophonen von Kommentartexten wird als Vorlage eines Kommentartextes lēʾu ‚eine mit Wachs überzogene Holztafel‘ erwähnt (vgl. Kap. 2.2: lēʾu).815

Literaturliste Frahm, E. 2011a. Babylonian and Assyrian Text Commentaries. Origins of Interpretation, GMTR 5, Münster. Hrůša, I. 2010. Die akkadische Synonymenliste malku = šarru. Eine Textedition mit Übersetzung und Kommentar, AOAT 50, Münster. Labat, R. 1933. Commentaires assyro-babyloniens sur les présages, Bordeaux.

šaṭāru (šaṭṭāru) Der Begriff ist im Jungbabylonischen, Neuassyrischen, Neu- und Spätbabylonischen belegt. Er wird syllabisch, mit dem Wortzeichen SAR, teilweise mit dem Determinativ KUŠ ‚Leder‘ oder IM ‚Ton‘ geschrieben. In Kolophonen wissenschaftlich-literarischer Texte wird er in der Bedeutung Schriftstück/Schreiben gebraucht,816 so auch in einem neuassyrischen Brief (SAA 10 Nr. 235 Rs. Z. 4–9): (4) ina UGU šá-ṭa-a-ri (5) ša LUGAL be-lí-iá (6) mGIN-i ki-ma e-ta-mar (7) ina mar-te i-mu-at (8) d+EN u dPA ŠU.II (9) SIG5 a-na LUGAL is-sak-nu Hinsichtlich des Schreibens des Königs, meinen Herrn, Kēnî wird sterben vor Eifersucht (wörtlich: Galle) wenn er (es) sieht; Bēl und Nabû haben dem König mit einem guten Paar Hände ausgestattet. Laut einer Rechtsurkunde (VS 4 Nr. 39, NRV 13)817, die im vierten Regierungsjahr Nabonids in Babylon ausgestellt wurde, erhält eine Person Geld für ein asumittu (‚aufgerichteter Stein‘) und gibt zusätzlich ein šá-ṭa-ru GABA.RI a-su-mit-ti ‚ein Schriftstück, Kopie des asumittu‘ (vgl. Kap. 2.2: asumittu, gab(a)rû).818 Nicht nur zeitgenössische Schriftartefakte wurden kopiert, wie die neu-/spätbabylonische

 Frahm (2011a) 30.  Vgl. Hunger (1968) 175, CAD Š/2 šaṭāru 1a 221 f. u. AHw 3 šaṭāru 1 1203, für weitere Belege hierzu vgl. Beaulieu (1997) 159.  VAT 3057.  NRV 13 Vs. Z. 1–6.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Tafel IM 124480 zeigt. Auf dieser findet sich die Abschrift einer altbabylonischen Weihinschrift, abschließend ist vermerkt (Rs. Z. 14–17): (14) šá-ta-ru (15) šá UGU da-áš-ši ZABAR (16) [k]i-ma la-bi-ru (17) ú-maš-šil áš-ṭur Inschrift, die auf einen Bronzebock ist. Gemäß seinem Original machte ich (es) entsprechend und schrieb (es).819 Im Babylonischen – in Texten aus Privatarchiven der neubabylonischen bis früh-achämenidischen Zeit, d. h. des späten 7. Jahrhunderts bis 482.820 – wurde šaṭāru als allgemeine Bezeichnung für Rechts- und Verwaltungsurkunden, z. B. uʾiltu (vgl. Kap. 2.2), verwendet.821 Häufig wurden von babylonischen Urkunden mehrere Exemplare angefertigt, von denen jede der beteiligten Parteien eine Kopie – ein šaṭāru – erhielt.822 In Texten neubabylonischer/früh-achämenidischer Zeit aus Borsippa wird der Begriff hingegen für eine Quittung über den Erhalt einer bestimmten Summe Silber gebraucht. Für eine Erwerbsurkunde über Immobilien und Grundstücke wird dort der Begriff ṭuppu benutzt.823 Die Schreibung von šaṭāru mit Determinativ KUŠ deutet darauf hin, dass neben Tontafeln ein Leder-Schriftträger, der vermutlich mit einer Alphabetschrift versehen war, ein šaṭāru sein kann. Wie die Belege aus den astronomischen Tagebüchern zeigen, wurden diese in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts auch in der Öffentlichkeit vorgelesen.824 Auch im Aramäischen wurde der Begriff šṭr für Urkunde verwendet. Neben dem Vorkommen des Begriffes in zwei ägyptischen Papyri erscheint er häufig in aramäischen Beischriften neu- und spätbabylonischer mit Keilschrift versehenen Tafeln (s. auch Kap. 4.4.1).825 Wie bereits oben bemerkt wird das Wort auch in der Bedeutung ‚Schreiben/ Inschrift‘ verwendet, z. B. auch bei einer Inschrift auf Händen. Hier wird die In-

 Al-Rawi (2002) 247 f. Rs. Z. 14–17.  Baker (2003) 241 f.  Vgl. Baker (2003) 254 und für weitere Belege CAD Š/2 šaṭāru 1b 222–224.  Baker (2003) 246–248.  So Waerzeggers (2010) 633. Caroline Waerzeggers behandelt in ihrem Buch die Priester des Ezida Tempels in Borsippa in der Zeit von ca. 750–484, vgl. ebd. 3. Sie stützt sich auf ein Korpus von Alltagstexten und gibt eine Liste von Hauptarchiven an, von denen das Älteste in der Regierungszeit von Aššur-nādin-šumi (699–694) beginnt, vgl. ebd. 14 f.  S. Geller (1997) 48 Fn. 22 und Westenholz (2007) 278 f. Fn. 17.  Vgl. für eine Zusammenstellung der entsprechenden Textbelege Schwiderski (2008) 778 f. und Oelsner (2006a) für die Zusammenstellung der Beischriften und weiterer Literatur.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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schrift als šaṭāru ša sepīru bezeichnet.826 Es handelt sich folglich um eine Inschrift in aramäischer Linearschrift. (für sepīru vgl. Kap. 4.4.2)

Literaturliste Al-Rawi, F. N. H. 2002. Tablets from the Sippar Library X. A Dedication for Zabaya of Larsa, Iraq 64, 247–248. Baker, H. D. 2003. Record-Keeping Practices as Revealed by the Neo-Babylonian Private Archival Documents, in: Brosius, M. (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World, Oxford, 241–263. Beaulieu, P.-A. 1997. I. Neo-Babylonian and Late Babylonian, in: Beaulieu, P.-A./Mayer, R., Akkadische Lexikographie: CAD Š2 und Š3, OrNS 66, 157–165 (bzw. 180). Bloch, Y. 2018. Alphabetic Scribes in the Land of Cuneiform: Sēpiru Professionals in Mesopotamia in the Neo-Babylonian and Achaemenid Periods, Gorgias Studies in the Ancient Near East 11, Pisacataway, NJ, USA. Geller, M. J. 1997. The Last Wedge, ZA 87, 43–95. Hunger, H. 1968. Babylonische und assyrische Kolophone, AOAT 2, Kevelaer/NeukirchenVluyn. Oelsner, J. 2006a. Aramäische Beischriften auf neu- und spätbabylonischen Tontafeln, WO 36, 27–71. Schwiderski, D. (Hg.). 2008. Die alt- und reichsaramäischen Inschriften. Bd. 1: Konkordanz, Fontes et Subsidia ad Bibliam pertinentes 4, Berlin/New York. Waerzeggers, C. 2010. The Ezida Temple of Borsippa. Priesthood, Cult, Archives, Achaemenid History 15, Leiden. Westenholz, A. 2007. The Graeco-Babyloniaca Once Again, ZA 97, 262–313.

šipirtu (šipištu) Der Begriff ist seit der altbabylonischen Zeit belegt und wird syllabisch geschrieben. Er bezeichnet eine schriftliche Anweisung, einen schriftlicher Auftrag bzw. einen Brief oder eine Nachricht.827 Er wird im Neu-, Spätbabylonischen und auch im Neuassyrischen verwendet. Für neuassyrische Briefe wird auch die Bezeichnung egirtu verwendet (s. Kap. 2.2: egirtu und Kap. 3.2.2 für das Äußere von neuassyrischen Brie-

 CAD Š/2 šaṭāru 2 224 f. Siehe hierzu auch Bloch (2018) 31–40.  Vgl. CAD Š/3 šipirtu A 65–69; AHw 3 šipirtu 1244 f. Klaas R. Veenhof bemerkt, dass für dieses Wort im Altbabylonischen ein Plural šipirātum vorhanden ist, der morphologisch und semantisch von šiprātum „work, tasks performed“ zu unterscheiden ist. Er übersetzt das Wort in seinem Text mit ‚order‘, vgl. Veenhof (1991) 294. Dieser Deutung schließt sich auch Wilfred H. van Soldt an, van Soldt (1994) 89 Fn. 96.

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

fen). Im divinatorischen Kontext der neuassyrischen Zeit kann šipirtu nach Beate Pongratz-Leisten „eine göttliche Äußerung wie auch eine Mitteilung des Königs an den Gott bezeichnen“.828 Heather Baker gibt für die neubabylonische bis früh-achämenidische Zeit829 folgende Definition: „The term šipirtu was used for ‚letter‘ or written ‚authorization‘. It occurs in the context of missives requesting action or authorizing payment.“830 Nach Erkki Salonen ist in spätbabylonischen Briefen, aber manchmal auch in neubabylonischen und neuassyrischen Briefen der Kujundschik-Sammlung des British Museum, die gewöhnlichste Anredeformel am Anfang eines Briefes: ṭuppi PN ana PN2 (abīja, bēlīja)831 ‚Tafel des PN an PN2 (meinen Vater, meinen Herrn)‘. Gelegentlich kommt in neubabylonischen Briefen die Phrase šipirtâ lu lú mukinnīja832 ‚mein Brief möge fürwahr mein Zeuge sein‘ vor. Der neubabylonische Brief CT 22 Taf. 33 Nr. 176 weist die Anredeformel und in Z. 18 die erwähnte Phrase auf, dem folgend steht: (19) dnabû lu-ú i-di (20) ki-i gab-ri ši-pir-ti-iá (21)

 Pongratz-Leisten (1999b) 226. Sie diskutiert hierfür drei Beispiele. Als erstes nennt sie SAA 13 Nr. 43 (ABL 1369, 1883,0118.249). Auf der Rückseite Z. 7 f. steht: ši-pìr-ti ša áš-pur-ak-ka-ni ša ki-it-ti ši-i ‚Meine Botschaft, die ich dir sandte, ist wahr.‘, s. Pongratz-Leisten (1999b) 226 f. Der Text ist nach Pongratz-Leisten „als Mitteilung einer Gottheit zu klassifizieren, die ohne einleitendes Formular oder abschließende Bemerkung, wie es in dem ‚Brief‘ Ninurtas an einen assyrischen König der Fall ist, von jemandem auf einer Tafel niedergeschrieben wurde.“, ebd. 227. Das zweite Beispiel ist SAA 3 Nr. 47 (BA 5 657 f., K.2764), der gerade erwähnte Brief des Gottes Ninurta an einen assyrischen König. Nach dem eigentlichen Tafeltext erscheint die Tafelunterschrift auf der Rückseite Z. 3‘: ši-pir-ti! d40-⸢urta⸣ x[x x x x x x x x x] ‚Botschaft des Ninurta … ‘, s. Pongratz-Leisten (1999b) 230. Danach, wiederum durch eine Trennlinie abgegrenzt, folgt der Assurbanipal-Kolophon d, vgl. Hunger (1968) Nr. 319. Nach Ansicht von Pongratz-Leisten wurde das Wort šipirtu nicht vom Schreiber des Bibliothektextes eingefügt, sondern ist eine Bemerkung des Überbringers der Botschaft in Analogie zu SAA 13 Nr. 43, vgl. Pongratz-Leisten (1999b) 230. Das dritte Beispiel ist Bauer Asb. 83 f. (CT 35 Taf. 44 f.; K.3408), ein Brief Assurbanipals an den Gott Aššur. In der Tafelunterschrift wird der vorliegende Text eindeutig als šipirtu ‚Brief‘ klassifiziert, vgl. Pongratz-Leisten (1999b) 248. Pongratz-Leisten kommt zu dem Schluss, dass der Begriff sowohl eine mündliche wie auch eine schriftliche Mitteilung bezeichnen kann, ebd. 260. Bei den beiden göttlichen Botschaften geht sie von einem Empfänger und einem Überbringer, der die Nachricht in mündlicher Form überbringt, aus. Von einer weiteren Person wird diese dann niedergeschrieben, ebd. 227 und 230.  Baker (2003) 241 f. Sie untersucht in ihrem Artikel den Gebrauch von Begriffen für Urkunden anhand von Texten aus Privatarchiven der neubabylonischen bis früh-achämenidischen Zeit, d. h. des späten 7. Jahrhunderts bis 482.  Baker (2003) 254.  Salonen (1967) 81. Für ṭuppi wird häufig das Sumerogramm IM verwendet. Die Briefe können auch an/von mehrere/n Personen geschriebenen sein, vgl. MacGinnis (1995) passim.  S. CAD M/2 mukinnu 186.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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la áš-ṭu-ru … ‚(19) Nabû fürwahr weiß: (20) Fürwahr eine Abschrift meiner Botschaft habe ich gemacht … ‘833 Folglich wird der Brief in der Anredeformel als ṭuppi bezeichnet und später im Text wird mit dem Begriff šipirtu auf ihn Bezug genommen. Der Begriff šipirtu wird als Referenzterminus verwendet; in Briefen – auch in neuassyrischen – wird mit diesem auf andere Briefe bzw. Anweisungen Bezug genommen. Eine Ausnahme bildet der Brief BM 99020 (SAA 18 Nr. 7, CT 54 Taf. 137 Nr. 580, vgl. Tafel 17) des Kronprinzen von Babylon mit der einleitenden Zeile: ši-pir-ti šá DUMU–L[UGAL] ‚Brief des Kronprinzen‘. Briefe (Ende der neubabylonischen Zeit/Beginn der Achämeniden-Zeit) sind im Hochformat beschrieben: „The letters are written on small oblong tablets of clay, far smaller than those employed for letters in the Old-Babylonian period, and the letters are smaller and the writing more closely packed. After the letters were written they were carefully enclosed in envelopes of clay as in earlier periods, […].“834 Den Briefen ist die Untergruppe der ‚letter orders‘ zuzuordnen.835 Jedoch ist kein ‚letter order‘ mit der Eigenbezeichnung šipirtu bekannt.836 Die neubabylonischen und achämenidenzeitlichen ‚letter orders‘ aus Sippar sind parallel zur längeren Seite beschrieben und häufig gesiegelt.837 Bei einem ‚letter order‘ aus der neubabylonischen Zeit weist Baker darauf hin, dass dieser im uʾiltu-Format ist, d. h., die Tafel ist kissenförmig und im Querformat.838 In der sogenannten Sonnengotttafel des Nabû-apla-iddina (BM 91000 s. auch Kap. 2.2: asumittu) erscheint vor einer Fluchformel in der Kolumne VI Zeile 30– 31: GABA.RI na₄KIŠIB LUGAL šá šip-re-e-ti ‚(This is) a copy of the sealed royal document‘ nach der Übersetzung von Christopher E. Woods (s. Kap. 2.2: gab(a)rû und kunukku).839 Der Ausdruck erscheint auch in der Inschrift eines Rollsiegels, das die Form eines achteckigen Prismas besitzt (CS 220 und Taf. 36k): na₄KIŠIB LUGAL šip-re-e-ti šá LUGAL. Dieses Siegel ist nach Susanne Paulus jedoch ein Weih- und Votivsiegel.840 Der neubabylonische Plural šiprētu erscheint in einer Reihe von

 Ebeling (1949) Nr. 176.  CT 22 S. 4.  Literaturverweise für publizierte Textcorpora finden sich bei Jursa (2005a) 48 f. Für Kritierien zu ihrer Identifikation vgl. MacGinnis (1995) 16.  MacGinnis (1995) 22 und Nr. 61.  Vgl. MacGinnis (1995) passim.  Baker (2004) 154 Nr. 74 (VAT 458).  Woods (2004) 88. Siehe auch Finkel/Fletcher (2016) 237 f.  Paulus (2012) 366 f. „Die Beischrift erklärt sich dabei durch den Kolophon, der sich unter der Abschrift einer Landschenkung des Gouverneurs des Meerlandes an die Göttin Uṣuramāssu (um 1000) befindet. Dieser lautet: ‚das, was auf dem Siegelstein (na₄KIŠIB) der Halskette der Uṣur-amāssu ist‘. Das zeigt, dass Landschenkungen auf Siegelsteine geschrieben

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2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Ausdrücken wie kunuk šiprēti ša šarri, kunuk šarri ša šiprēti und gabarē kunuk šarri ša šiprēti, die nach John A. Brinkman und Stephanie Dalley „either the king’s official seal or the original (or copy) of a tablet sealed by the king’s official seal“ bezeichnen.841 Weiter führen sie aus: Despite the restricted contexts in which šiprētu occurs, it seems likely that it refers to official or administrative acts (as a plural of šipirtu, ‚command‘ or ‚order‘). CAD Š sees in šiprētu an institution or repository and translated it as ‚chancery‘ or ‚official archive‘; but this is probably overspecific. Kienast translates it as ‚Anweisung‘ or ‚Zuweisung‘, which may be appropriate if understood in context as referring to an official act; […]842

Für die steinerne Sonnengotttafel, die mit einem Relief versehen ist, geht Woods aufgrund der eingangs erwähnten Phrase davon aus, dass sie von einer Tontafel, auf der sich das königliche Siegel befand, abgeschrieben wurde. Die Phrase erscheint häufig in Inschriften der Kudurrus (vgl. Kap. 2.2: narû).843 Paulus diskutierte die Phrase und den damit zusammenhängenden rechtlichen Kontext und kommt zu dem Schluss, dass es mit ‚Gesiegelte Urkunde des Königs über die Anweisungen‘ zu übersetzen ist und kein Königssiegel bezeichnet.844 Teilweise wird das Wort auch mit dem Determinativ KUŠ für ‚Leder‘ geschrieben. So auch in Texten aus dem Murašû-Archiv (5. Jahrhundert) aus Nippur. Wiederholt erscheint dort der Ausdruck kunukku (na₄KIŠIB) u (kuš)šipirtu, was mit gesiegeltes (Leder bzw. Pergament-)Dokument übersetzt wird.845 Teilweise erscheint das Wort in Verbindung mit dem Begriff sepīru (vgl. Kap. 4.4.2).846 So kann šipirtu auch eine Anordnung bzw. Brief auf Leder bzw. Pergament in Aramäisch bezeichnen.847 In seleukidischer Zeit ist kuššipirtu gut belegt.848

werden konnten, die dann von den Göttern sozusagen auf dem Leib getragen werden konnten, was auch zum Schutz der Schenkung beigetragen haben dürfte.“ Paulus (2012) 367.  Brinkman/Dalley (1988) 92 Fn. 70.  Brinkman/Dalley (1988) 92 Fn. 70. Sie verweisen auf Kienast (1987). Susanne Paulus ergänzt Belege, die nicht bei Kienast (1987) angeführt sind, Paulus (2012) 359 f. Fn. 17.  Woods (2004) 99. Er verweist neben dem CAD auch auf Slanski (2003) 121–22, 216.  Paulus (2012) 366 und passim.  Stolper (1985a) 159.  S. CAD S sepīru 1b 225. S. auch Bloch (2018) 51–59.  Vgl. CAD Š/3 šipirtu A 2 66; AHw 3 šipirtu I 1244 f.  Vgl. Clancier (2005) 90. Er gibt zwei Beispiele an, die vom König verschickt wurden. In der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts sind solche Dokumente, die laut vorgelesen werden sollten, in den astronomischen Tagebüchern erwähnt, vgl. Geller (1997) 48 f. Fn. 23 und Westenholz (2007) 278 f. Fn. 17.

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Literaturliste Baker, H. D. 2003. Record-Keeping Practices as Revealed by the Neo-Babylonian Private Archival Documents, in: Brosius, M. (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World, Oxford, 241–263. Baker, H. D. 2004. The Archive of the Nappāḫu Familiy, AfO Beiheft 30, Wien. Bloch, Y. 2018. Alphabetic Scribes in the Land of Cuneiform: Sēpiru Professionals in Mesopotamia in the Neo-Babylonian and Achaemenid Periods, Gorgias Studies in the Ancient Near East 11, Pisacataway, NJ, USA. Brinkman, J. A./Dalley, S. 1988. A Royal Kudurru from the Reign of Aššur-nādin-šumi, ZA 78, 76–98. Clancier, P. 2005. Les scribes sur parchemin du temple d'Anu, RA 99, 85–104. Ebeling, E. 1949. Neubabylonische Briefe, ABAW NF 30, München. Finkel, I. L./Fletcher, A. 2016. Thinking outside the Box: The Case of the Sun-God Tablet and the Cruciform Document, BASOR 375, 215–248. Geller, M. J. 1997. The Last Wedge, ZA 87, 43–95. Hunger, H. 1968. Babylonische und assyrische Kolophone, AOAT 2, Kevelaer/NeukirchenVluyn. Jursa, M. 2005a. Neo-Babylonian Legal and Administrative Documents. Typology, Contents and Archives, GMTR 1, Münster. Kienast, B. 1987. NA₄ KIŠIB ša siprēti, in: Rochberg-Halton, F. (Hg.), Language, Literature, and History: Philological and Historical Studies Presented to Erica Reiner, AOS 67, New Haven, Connecticut, 167–174. MacGinnis, J. 1995. Letter Orders from Sippar and the Administration of the Ebabbara in the Late-Babylonian Period, Posen. Pongratz-Leisten, B. 1999b. Herrschaftswissen in Mesopotamien. Formen der Kommunikation zwischen Gott und König im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr., SAAS 10, Helsinki. Paulus, S. 2012. Vom babylonischen Königssiegel und gesiegelten Steinen, in: Wilhelm. G. (Hg.), Organization, Representation, and Symbols of Power in the Ancient Near East. Proceedings of the 54th Recontre Assyriologique Internationale at Würzburg 20–25 July 2008, Winona Lake, Indiana, 357–367. Salonen, E. 1967. Die Gruss- und Höflichkeitsformeln in babylonisch-assyrischen Briefen, StOr. 38, Helsinki. Slanski, K. E. 2003. The Babylonian Entitlement narûs (kudurrus). A Study in Their Form and Function, ASOR Books 9, Boston, MA. Stolper, M. W. 1985a. Entrepreneurs and Empire. The Murašû Archive, the Murašû Firm, and Persian Rule in Babylonia, PIHANS 54, Leiden. Soldt, W. H. van. 1994. Letters in the British Museum 2, AbB 13, Leiden/New York/Köln. Veenhof, K. R. 1991. Assyrian Commercial Activities in Old Babylonian Sippar – Some New Evidence in: Charpin, D./Joannès, F. (Hg.), Marchands, Diplomates et Empereurs. Études sur la civilisation mésopotamienne offerte à Paul Garelli, Paris, 287–303. Westenholz, A. 2007. The Graeco-Babyloniaca Once Again, ZA 97, 262–313. Woods, C. E. 2004. The Sun-God Tablet of Nabû-apla-iddina Revisited, JCS 56, 23–103.

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šiṭirtu Der Begriff ist im Altakkadischen, im Altbabylonischen und im Jungbabylonischen belegt sowie in Boğazköy. Er bezeichnet eine Inschrift bzw. einen Text. Karen Radner schlägt eine Übersetzung mit ‚Geschriebenes‘ vor.849 Im Altakkadischen ist der Begriff nur einmal belegt; er ist ein typischer Begriff der altbabylonischen Zeit. In altakkadischen Königsinschriften wird mit DUB, ṭuppum, die Inschrift bezeichnet, im Altbabylonischen dann mit šiṭirtu.850 Darüber hinaus meint die Verbindung šiṭirti šamāmi, wörtlich ‚Inschrift des Himmels‘, den Sternenhimmel (vgl. auch Kap. 2.2: šiṭru).851 Dieser Ausdruck ist in Königsinschriften des neubabylonischen Herrschers Nebukadnezar II. belegt.852

Literaturliste Radner, K. 2005. Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbsterhaltung, Santag 8, Wiesbaden. Rochberg, F. 2004. The Heavenly Writing. Divination, Horoscopy, and Astronomy in Mesopotamian Culture, Cambridge u. a. Shafer, A./Wasserman, N./Seidl, U. 2003. Iddi(n)-Sîn of Simurrum: A New Rock-Relief Inscription and a Reverential Seal, ZA 93, 1–52.

šiṭru Der Begriff ist seit dem Altakkadischen belegt und wird syllabisch und mit dem Wortzeichen SAR geschrieben. Mit šiṭru wird auf den Text einer Tafel (ṭuppu) sowie auf eine Inschrift Bezug genommen.853 In der mittel-, neuassyrischen und neubabylonischen Zeit wird der Ausdruck šiṭir šumi, wörtlich ‚Niederschrift des Namens‘, für eine Königsinschrift gebraucht.854 Dies ist eine synonyme Variante zu šumu šaṭru (Sumerisch: m u

 Radner (2005) 162.  Shafer/Wasserman/Seidl (2003) 19.  Vgl. auch Rochberg (2004) 1 f.  S. die entsprechenden Belege in CAD Š/2 šiṭirtu 144.  Vgl. für die Belege und Bedeutungen CAD Š/3 šiṭru 144–147. Die unter der dritten Bedeutung angegebenen Belege für ‚(a song)‘ sind wohl dem Wort šitrûm zuzuordnen, dass von der Wurzel ŠRʾ abstammt und so viel wie Orchester bedeutet, vgl. Ziegler (1999) 70 Fn. 467; Durand (1987) und (1997) 413 j.  Radner (2005) 165.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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s a r - a ).855 Die Inschrift konnte auf unterschiedlichen Schriftträgern wie ṭuppu, ṣalmu, musarû/mušarû und narû angebracht sein (vgl. Kap. 2.2: šumu, musarû/ mušarû und narû). Im übertragenen Sinn wird šiṭru in šiṭir šamê und šiṭir burūmê, wörtlich ‚Inschrift des Himmels‘, für ‚Sternenhimmel‘ und ‚Sterne‘ in den Königsinschriften des 1. Jahrtausends verwendet (s. auch Kap. 2.2: šiṭirtu).856 Als Wohnstatt der Götter werden šamu ‚Himmel‘ und burūmû ‚Himmelsgewölbe‘ angesehen.

Literaturliste Durand, J.-M. 1987. Noms de fonction, NABU 1987/16. Durand, J.-M. 1997. Les documents épistolaires du palais de Mari 1, Littératures anciennes du Proche-Orient 16, Paris. Radner, K. 2005. Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbsterhaltung, Santag 8, Wiesbaden. Rochberg, F. 2004. The Heavenly Writing. Divination, Horoscopy, and Astronomy in Mesopotamian Culture, Cambridge u. a. Ziegler, N. 1999. Le Harem de Zimrî-Lîm. La population des palais d’après les archives royales de Mari, Florilegium marianum 4, Mémories de NABU 5, Paris.

šumu Das Wort ist ab der altakkadischen Zeit bekannt und kann sowohl syllabisch als auch mit dem Sumerogramm MU geschrieben werden. Es bedeutet u. a. ‚Name‘. Seit der altakkadischen Zeit formulieren die Könige den Wunsch, dass ihr Name in Inschriften weder gelöscht noch durch einen anderen Namen ersetzt werden soll. Auch der später allgemein geäußerte Wunsch, die Inschrift möge erhalten bleiben, ist im engen Zusammenhang mit der Erhaltung des Namens zu sehen. Inschriften waren auf den verschiedensten Schriftträgern angebracht. So sind hier u. a. die Bild-Schrift-Träger Stelen, Felsreliefs, Statuen und Orthostaten zu erwähnen und die sichtbaren und unsichtbaren Bauinschriften auf gebrannten Lehmziegeln, Tonnägeln, beschrifteten Türrahmen, Schwellen, Torleibungsfiguren, Knauffliesen, Tonhänden und Gründungsgaben sowie Tafeln

 Radner (2005) 162. Zur Bedeutung von Inschriften insbesondere des niedergeschrieben Namens in der altorientalischen Überlieferung vgl. ebd. passim.  S. Rochberg (2004) 1 f.

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aus Ton, Stein und Metall, Tonkegel, -zylinder und -prismen (vgl. auch hierzu auch Kap. 2.2: asumittu, narû, sikkatu, temmennu).857 šumu šaṭru – und das sumerische Äquivalent m u s a r - r a – bedeutet ‚geschriebener Name‘, wird aber auch in der Bedeutung ‚Inschrift‘ (vgl. auch Kap. 2.2: musarû, narû, šiṭirtu, šiṭru) verwendet.858 In Fluch- und Segensformeln neuassyrischer Bauinschriften taucht häufig der Wunsch auf, dass nach einer Renovierung des Gebäudes der geschriebene Name an seinen Platz zurückgebracht werden soll, so auch in einer Inschrift Adad-niraris II (911–891) šu-mì šaṭ-ra a-na áš-ri-šu lu-ter859. Möglicherweise bezieht sich dies auf das jeweils beschriftete Objekt, z. B. Tontafeln oder Steintürschwellen. Folglich kann der Ausdruck ‚geschriebener Name‘ auch je nach Kontext ‚Inschrift‘ oder ‚Objekt mit Inschrift‘ bedeuten. Mit šumu kann auch die Bedeutung eines Begriffes in einem Kommentartext (ṣâtu, mukallimtu) gemeint sein. Im Akkadischen kann šumu darüber hinaus einen Texteintrag, eine Textzeile/Tafelzeile, innerhalb eines Textes bezeichnen. In den Kolophonen von wissenschaftlich-literarischen Texten ist teilweise die Zeilenanzahl des Textes angegeben. Der Zeilenbegriff ist jedoch ein anderer als unserer: Bei einer Omensammlung kann sich die Niederschrift eines Omens mit Protasis und Apodosis über zwei Zeilen erstrecken. Die Zeilen, die ein Omen umfasst, sind ein šumu. Anhand des Textlayouts sind diese einzelnen Zeilen in der Regel klar zu unterscheiden.

Literaturliste Radner, K. 2005. Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbsterhaltung, Santag 8, Wiesbaden. Wagensonner, K. 2011. A Scribal Family and Its Orthographic Peculiarities. On the Scientific Work of a Royal Scribe and His Sons, in Selz, G. (Hg.), The Empirical Dimension of Ancient Near Eastern Studies. Die empirische Dimension altorientalischer Forschungen, WOO 6, Wien/Berlin/Münster, 645–701.

 An dieser Stelle kann das Thema der Inschrift, die Inschriftenträger und ihre Anbringung nur kurz angerissen werden, vgl. jedoch Radner (2005) 114–155 mit weiterer Literatur.  Radner (2005) 161, CAD Š/3 šumu 1d 1‘ 290, CAD Š/2 šaṭru 1241 f., AHw 3 šaṭru 1205 u. šumu A 2a 1273. Für die Funktion von Inschriften, den ‚geschriebenen Namen‘ und ‚Namen‘ vgl. Radner (2005). S. ferner für einige mittelassyrische Belege in Kolophonen Wagensonner (2011) 660 und passim.  RIMA 2 A.0.99.1 Rs. Z. 17‘. Vgl. u. a. auch RIMA 2 A.098.3 Z. 17 sowie RIMA 3 A.0.102.10 u. Rd. Z. 3 und A.0.102.47 Z. 10 f.

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taḫsistu Das Wort ist im Altassyrischen, Mittelbabylonischen, in Nuzi, im Jungbabylonischen und Neu/Spätbabylonischen belegt. Es umfasst die Bedeutungen‚ ‚Erinnerung‘, ‚Aufzeichnung‘, ‚Niederschrift‘, ‚Memorandum‘ und ‚(Protokoll-)Notiz‘. Im Neu/Spätbabylonischen kann der Begriff auch taḫsittu, taḫḫittu und taḫḫissu geschrieben sein. Das Wort kommt in wissenschaftlich-literarischen Texten in der Bedeutung ‚Erinnerung (für nachfolgende Generationen)‘ vor, z. B. in Kolophonen von Texten aus Assur. Im Neu- und Spätbabylonischen erscheint bei Tontafeln die Unterschrift taḫsistu (ša ana) la mašê, was so viel bedeutet wie ‚Memorandum, um nicht zu vergessen‘. Heather D. Baker betrachtete den Gebrauch von Begriffen für Urkunden anhand von Texten aus Privatarchiven der neubabylonischen bis früh-achämenidischen Zeit, d. h. des späten 7. Jahrhunderts bis 482.860 Diese oben genannte Tafelunterschrift erscheint nach Baker in kurzen Texten, die normalerweise den Transfer von Gütern vor nicht mehr als drei Personen dokumentieren. Bei den Personennamen fehlt oft, wie sonst üblich, das Patronym und der Familienname auch werden sie nicht als Zeugen identifiziert. Die Urkunden sind zwar normalerweise datiert, aber der Ausstellungsort ist nicht angegeben.861 In seleukidischer Zeit konnte das Wort mit dem Determinativ KUŠ für ‚Leder‘ oder IM für ‚Tontafel‘ realisiert werden.862 So wird in CT 49 Taf. 32 Nr. 140 Z. 6‘, ein Tontafelfragment aus Babylon, ein Text als Kopie eines solchen Lederdokuments bezeichnet: [GA]BA.RI kuštaḫ-sis-tu₄ ša PN. Dies legt nahe, dass zu dieser Zeit der Begriff taḫsistu für konkrete Schriftstücke und nicht ‚nur‘ für den Textinhalt verwendet wurde und dass ein taḫsistu in einem anderen Schriftsystem – vermutlich das aramäische Alphabet – verfasst sein konnte. Robartus (Bert) J. van der Spek schlägt für die arsakidische Zeit (125 bis 93) die Übersetzung ‚security note‘ bzw.,bank note‘ vor.863

Literaturliste Baker, H. D. 2003. Record-Keeping Practices as Revealed by the Neo-Babylonian Private Archival Documents, in: Brosius, M. (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World, Oxford, 241–263.

   

Baker (2003) 241 f. Baker (2003) 256 f. Stol (1980–83) 541 und Oelsner (2003) 295. van der Spek (2004) 314.

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Oelsner, J. 2003. Cuneiform Archives in Hellenistic Babylonia. Aspects of Content and Form, in: Brosius, M. (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of RecordKeeping in the Ancient World, Oxford, 284–301. Spek, R. J. van der. 2004. Palace, Temple and Market in Seleucid Babylonia, in: Chankowski, V./Duyrat, F. (Hg.), Le roi et l’économie. Autonomies locales et structures royales dans l’économie de l’empire séleucide. Actes des recontres de Lilli (23 juin 2003) et d’Orléans (29–30 janvier 2004), Topoi, Suppl. 6, Lyon, 303–332. Stol, M. 1980–83. Leder(industrie), RlA 6, 527–543.

temmennu Das akkadische Wort temmennu (auch temmēnu) ist ein Lehnwort vom Sumerischen t e m e n . Es ist ab der altbabylonischen Zeit belegt. Einerseits steht es für die Gründungsurkunde, andererseits auch für den Grundstein bzw. das Fundament, in dem sich die Gründungsgabe befinden konnte.864 Die Inschriften stammen in der Regel von den Herrschern, also im 1. Jahrtausend von den neuassyrischen und neubabylonischen Königen. Häufig wird der Begriff zusammen mit narû (vgl. Kap. 2.2) erwähnt. Karen Radner beschreibt den Bedeutungskontext des Begriffes temmennu wie folgt: Genau wie narûm meint auch der sumerische Begriff t e m e n , der als temmennum weiter ins Akkadische entlehnt wurde, zunächst ein Objekt: Handelt es sich ursprünglich nur um den Vermessungsnagel, der bei der Gründung eines Gebäudes rituell im Fundament beigesetzt wurde, bezeichnet der Begriff dann allgemein die Gründungsgabe. Seit der frühdynastischen Zeit war die Anbringung von Texten auf verschiedenen Bestandteilen des Gründungsdepositums üblich, und das Wort wurde sekundär auch auf die auf einer solchen Gabe eingeschriebene Inschrift übertragen. […] Seit der altbabylonischen Zeit wird in akkadischen Texten häufig die Kombination narûm u temmennum verwendet, womit offensichtlich ‚Bauinschriften jeder Art‘ bezeichnet werden sollen. Die Annahme liegt nahe, daß narûm hier generell die sichtbaren Inschriften meint, während temmennum die verborgenen Inschriften bezeichnet.865

Neben Gegenständen wie bspw. Schmuck866 befanden sich verschiedenste beschriftete Objekte im Gründungsdepositum. Im 1. Jahrtausend waren dies Ton-, Stein-, Gold- und Silbertafeln, Tafeln aus anderen Metallen sowie Tonprismen

 Vgl. für zahlreiche Textzitate CAD T temmennu 337–339.  Radner (2005) 163 f. S. ferner für eine Diskussion des Begriffes und für Gründungsdepositen zur Zeit des neubabylonischen Herrschers Nabonids (556–539) Schaudig (2001) 44–46 und Schaudig (2003). Vgl. auch Ellis (1968).  Vgl. Schaudig (2001) 45.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

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und -zylinder.867 (Königs-)Inschriften konnten abgeschrieben werden (vgl. Kap. 2.2: gab(a)rû).868 In bisher einem Kolophon (BM 67673 +) wird als Vorlage temmennu genannt.869

Literaturliste Bartelmus, A./Taylor, J. 2014. Collecting and Connecting History: Nabonidus and the Kassite Rebuilding of E(ul)maš of (Ištar)-Annunītu in Sippar-Annunītu, JCS 66, 113–128. Ellis, R. S. 1968. Foundation Deposits in Ancient Mesopotamia, New Haven/London. Radner, K. 2005. Die Macht des Namens. Altorientalische Strategien zur Selbsterhaltung, Santag 8, Wiesbaden. Schaudig, H. 2001. Die Inschriften Nabonids von Babylon und Kyros᾽ des Großen samt den in ihrem Umfeld entstandenen Tendenzschriften. Textausgabe und Grammatik, AOAT 256, Münster. Schaudig, H. 2003. Nabonid, der „Archäologe auf dem Königsthron“. Zum Geschichtsbild des ausgehenden neubabylonischen Reiches, in: Selz, G. J. (Hg.), Festschrift für Burkhard Kienast zu seinem 70. Geburtstage dargebracht von seinen Freunden, Schülern und Kollegen, AOAT 274, Münster, 447–497.

uʾiltu Dieser Begriff ist nur im Neubabylonischen und Neuassyrischen belegt. Er bezeichnet eine größtenteils kleinere hoch- bzw. querformatige Tafel mit einem einkolumnigen Text. Im Neubabylonischen benennt der Begriff neben dem Format auch eine spezifische Textsorte.870 Bei wissenschaftlich-literarischen Texten konnte am Ende der Tafel ein Kolophon angebracht sein, der den Schriftträger als uʾiltu bezeichnet. Texte verschiedensten Inhalts wie Beschwörungen, Rezepte und Kommentartexte, z. B. Rm-II.126 (Abb. 37), befinden sich auf solchen Tafeln. Alle Schriftzeugnisse mit einem solchen Kolophon stammen aus neuassyrischen Fundorten, der Großteil aus dem sogenannten Haus des Beschwörungspriesters. Beim Überprüfen der Belege der bei

 Vgl. Ellis (1968) 94–125.  Vgl. Schaudig (2003) 450–454 für Abschriften älterer Königsinschriften aus der Zeit Nabonids.  Bartelmus/Taylor (2014) 115, 118 und 119 Fn. 8. Vgl. ebd. für die Edition und Diskussion des Textes.  Vgl. für Belege CAD U and W uʾiltu 51–54.

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Abb. 37: Rückseite der Tafel Rm-II.126, Kujundschik/Ninive; B. 8,3 cm (unvollständig), H. 5,98 cm, Dm. 2,4 cm. © The Trustees of the British Museum.

Hermann Hunger aufgelisteten Kolophone zeigte sich, dass etwa die Hälfte der Tafeln mit der Eigenbezeichnung uʾiltu im Hochformat beschrieben sind.871 Die

 Vgl. die Angaben bei Hunger (1968) 180 und die dort nicht verzeichneten Kolophone Hunger (1968) Nr. 198 C und Nr. 203 G und I. Fast alle Tafeln mit einer solchen Eigenbezeichnung stammen aus dem Haus des Beschwörungspriesters in Assur, N 4, vgl. Pedersén (1986) 41–76. Die Texteditionen liefern oft keinen verlässlichen Eindruck zum Format. Einige sind zudem nur als Bruchstück erhalten, so dass es schwierig ist, eine Aussage über ihr tatsächliches Format zu machen. Die von mir im VAM betrachteten Tafeln VAT 8271 (KAR 63), VAT 8254 (KAR 230), VAT 8267 (KAR 62), VAT 8622 (KAR 33), VAT 13787 (BAM 201) und VAT 13958 (LKA 137) sind im Hochformat beschrieben. Ihre Maße sind (H. × B. × Dm.): VAT 8271 (10,6 cm [nicht komplett] x 6,3 cm × 2,15 cm), VAT 8254 (9,5 cm × 5,2 cm × 1,8 cm), VAT 8267 (9,1 cm × 5,8 cm × 1,7 cm), VAT 8622 (11,1 cm × 6,5 cm × 2,2 cm), VAT 13787 (11,9 cm [fast vollständig] x 6 cm × 2,1 cm) und VAT 13958 (13,5 cm × 7,2 cm × 2,3 cm). Der Kolophon von VAT 8622 ist an der Stelle, an der uʾiltu stehen müsste, nicht erhalten. Nach einem Museumsfoto zu schließen, ist A 392 (BAM 212) auch eine hochformatige Tafel. Weitere Museumsfotos zeigen, dass es sich bei A 259 (BAM 33), A 226 (BAM 191), VAT 8896 (KAR 114) und A 53 (LKA 93) um querformatige Tafeln handelt. Der Kolophon von A 259 ist an der Stelle, an der uʾiltu stehen müsste, nicht erhalten. Von einigen querformatigen Tafeln sind auch Fotos in Publikationen bekannt: O. 192 (BAM 199), s. Eilers (1933) Abb. 9 und 10, VAT 8275 (KAR 44), s. Geller (2000a) Abb. 8, VAT 8611 (KAR 150), s. Heeßel (2011a) Abb. 1. Vier weitere Tafeln mit dieser Eigenbezeichnung stammen nicht aus Assur. STT 237 mit dem Kolophon Hunger (1968) Nr. 400 stammt aus Ḫuzirina/Sultantepe und ist nach Größenangaben innerhalb der Publikation eine kleinere querformatige Tafel. K.872 (AAT 58) mit dem Kolophon Hunger (1968) Nr. 504 aus Ninive/Kujundschik habe ich mir im British Museum angesehen. Sie ist zwar nur als Bruchstück erhalten, jedoch ist zu erkennen, dass es ursprünglich eine querformatige Tafel war: B. 6,3 cm (unvollständig), H. 4,6 cm und Dm. 1,8 cm. Die Tafel ist sorgfältig geformt und mit ‚Schönschrift‘ versehen. Sie ist, wie der Kolophon angibt, ein mukallimtu (eine Art von Kommentar, vgl. Kap. 2.2) zu Enūma Anu Enlil. Ein weiterer Kommen-

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

205

Tafeln sind in der Regel einkolumnig.872 Eine interessante Beobachtung ist am Text KAR 44 (VAT 8275, vgl. Abb. 38) – ein Katalog mit sumerischen und akkadischen Titeln verschiedener Beschwörungen – zu machen. Er wird im Kolophon als uʾiltu bezeichnet, während der Kolophon eines Duplikats Manuskript d (Rm.717) die Eigenbezeichnung giṭṭu (vgl. Kap. 2.2) aufweist. Auch dieses Duplikat ist im Querformat beschrieben und besitzt ein ähnliches Textlayout wie KAR 44.873 Im Kolophon Hunger (1968) Nr. 199 A von KAR 63 (VAT 8271) wird angegeben, dass es sich bei dem Text um den abschließenden nisḫu (vgl. Kap. 2.2) handelt. Ein astrologischer Report, der parallel zur längeren Seite beschrieben ist, wird als uʾiltu bezeichnet.874 Diese Reporte (vgl. Abb. 39) sind kurze, an den König adressierte Mitteilungen über besondere Ereignisse und enthalten relevante

tar, Rm-II.126 (ACh. Suppl. 52), ein mašʾaltu zu Enūma Anu Enlil, kommt aus Ninive/Kujundschik und lässt sich mit Hilfe des Kolophons Hunger (1968) Nr. 333, vgl. auch Frahm (2011a) 56, der Palastbibliothek Assurbanipals zuordnen. Die Tafel ist querformatig, mit dem Duktus Assurbanipals beschriftet und hat die Maße B. 8,3 cm (unvollständig), H. 5,98 cm und Dm. 2,4 cm (vgl. Abb. 37). Ein weiteres Beispiel einer querformatigern Tafel ist K.8510 (ACh. 2. Suppl. 33) mit dem Kolophon Hunger (1968) Nr. 518. Möglicherweise verweist das Format auf den Inhalt bzw. die Funktion der Texte. Für spätbabylonische Schultafeln medizinisch-magischen Inhalts des Bēl-rēmanni-Archivs in Sippar zeigt Irving J. Finkel, dass die dortigen querformatigen Tafeln zur asûtu ‚Medizin‘ und die hochformatigen zur āšipūtu ‚Beschwörungskunst‘ gehören, Finkel (2000) 146. Ferner gibt er noch eine Auflistung aller von Franz Köcher identifizierten neuassyrischen Schultafeln, wobei er vermerkt, ob diese hoch- bzw. querformatig sind, vgl. Finkel (2000) 144. Soweit bekannt, stammen diese ebenso wie viele der als uʾiltu bezeichneten Tafeln aus dem Haus des Beschwörungspriesters.  Eine Ausnahme ist VAT 10162 + (Gabbay [2015] Nr. 92). Es handelt sich hierbei um eine zweikolumnige Auszugstafel; Gabbay (2014) 230 f. Fn. 16.  Geller (2000a) 242–254. Für eine Neuedition s. Geller (2018b).  Ein astrologischer Report, 1883,0118.220 aus Ninive/Kujundschik, weist als Eigenbezeichnung uʾiltu auf, vgl. für eine Neuedition des Textes SAA 8 Nr. 527. Der Begriff uʾiltu wird innerhalb von Briefen verwendet, um auf astrologische Reporte Bezug zu nehmen, vgl. Oppenheim (1969) 127 Endnote 8. Die astrologischen Reporte sind auf relativ kleinen Tafeln geschrieben, deren Größe vergleichbar der von neuassyrischen Briefen ist; die Schriftgröße ist variabel, s. Hunger (1992) = SAA 8 XV u. Oppenheim (1969) 98. Ein als egirtu (vgl. Kap. 2.2 und Kap. 1) bezeichneter, parallel zur kürzeren Seite beschriebener Brief ist hingegen halb so dick wie ein astrologischer Report, vgl. Radner (1995) 72. Aufgrund dieses Tafelformats und unter Heranziehung anderer Beispiele kam Simo Parpola zu dem Schluss, dass uʾiltu dieses Tafelformat bezeichnen soll, Parpola (1983b) 65. Für eine genauere Beschreibung des Äußeren vgl. Kap. 3.2.2.

206

2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Abb. 38: KAR 44 (VAT 8275), Assur, in: Geller (2000a) 243 Abb. 8. Assur Photo.

Abb. 39: Astrologischer Report K.725, Kujundschik/Ninive; H. 2,7 cm, B. 5,8 cm, Dm. 1,7 cm; in: Thompson (1900) Nr. 205.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

207

Zitate aus Omenserien, meist Enūma Anu Enlil (zu einer genaueren Beschreibung des Äußeren vgl. Kap. 3.2.2).875 Die Zitate sind in jungbabylonischer Sprache, der übrigbleibende Text ist je nach Absender mit neuassyrischen bzw. neubabylonischen Zeichenformen in dem entsprechenden Dialekt geschrieben.876 Nach dem AHw bezeichnet uʾiltu eine literarische Auszugstafel.877 Neben den astronomischen Berichten beinhalten auch die oben behandelten wissenschaftlich-literarischen Texte Auszüge aus anderen Texten. Im Kolophon Hunger (1968) Nr. 199 A wird vermerkt, dass es sich um einen abschließenden nisḫu (vgl. Kap. 2.2) handelt. AAT 58 (K.872) ist ein mukalimmtu-Kommentar und wie ACh. Suppl. 52 (Rm-II.126, vgl. Abb. 37) ein Kommentar zu Enūma Anu Enlil.878 Kommentartexte enthalten einzelne kopierte Zeilen bzw. Wörter eines Textes, die erläutert werden. Kommentartexte und auch nisḫēti / neuassyrisch nisḫāni befinden sich ansonsten auf als IM.GÍD.DA bzw. spätbabylonisch giṭṭu bezeichneten Tafeln (s. Kap. 2.2: liginnu, giṭṭu, imgiddû). Es handelt sich demnach bei uʾiltu im Neuassyrischen um eine (kleinere) einkolumnige Tafel, die Auszüge bzw. einen Abschnitt einer größeren Textkomposition enthält.

Abb. 40: imittu-Verpflichtungsschein, Rückseite von BM 30355; B. 5,7 cm, H. 3,95 cm, Dm. 2,24 cm. © The Trustees of the British Museum.

Ein uʾiltu bezeichnet im Neubabylonischen eine Zahlungsverpflichtung bzw. einen Schuldschein über bspw. eine bestimmte Menge Silber (teilweise auch

   

Oppenheim (1969) 98, s. auch Hunger (1992) für die Edition der Texte. Hunger (1992) XV. AHw 3 uʾiltu 1405. Vgl. Fußnote 871 für weitere Angaben.

208

2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

Verpflichtungsschein genannt). Es gibt jedoch auch einige wenige Belege für andere Vertragstypen, die mit diesem Terminus bezeichnet werden. Im 6. und 5. Jahrhundert sind die als uʾilāti zu bezeichnenden Tafeln parallel zur längeren Seite beschriftet; auch die Seiten selbst können beschriftet sein. Sie sind kissenförmig (s. Kap. 1.2) und meist ungesiegelt (vgl. Abb. 40). Dies ist das typische Tafelformat für ungesiegelte Urkunden (s. Kap. 2.2: giṭṭu).879 Der Großteil der neubabylonischen Obligationsurkunden ist in diesem Format geschrieben.880 Ab dem zweiten Viertel des 5. Jahrhunderts werden in Babylonien die Tafeln dicker und größer; in hellenistischer Zeit werden alle Vertragstypen gesiegelt.881

Literaturliste Baker, H. D. 2003. Record-Keeping Practices as Revealed by the Neo-Babylonian Private Archival Documents, in: Brosius, M. (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World, Oxford, 241–263. Eilers, W. 1933. Ein verkannter medizinischer Keilschrifttext, Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin, Bd. 26, H. 4 (25. November 1933), 318–328. Finkel, I. L. 2000. On Late Babylonian Medical Training, in: George, A. R./ Finkel, I. L. (Hg.), Wisdom, Gods and Literature. Studies in Assyriology in Honour of W. G. Lambert, Winona Lake, Indiana, 137–223. Gabbay, U. 2014. Pacifying the Hearts of the Gods. Sumerian Emesal Prayers of the First Millennium BC, Heidelberger Emesal-Studien 1, Wiesbaden. Gabbay, U. 2015. The Eršema Prayers of the First Millenium BC, Heidelberger Emesal-Studien 2, Wiesbaden. Geller, M. J. 2000a. Incipits and Rubrics, in: George, A. R./ Finkel, I. L. (Hg.), Wisdom, Gods and Literature. Studies in Assyriology in Honour of W. G. Lambert, Winona Lake, Indiana, 225–258. Geller, M. J. 2018b. The Exorcist’s Manual (KAR 44), in: Steinert, U. (Hg.), Assyrian and Babylonian Scholarly Text Catalogues. Medicine, Magic and Divination, BAM 9, Boston/ Berlin, 292–312. Heeßel, N. P. 2011a. Die divinatorischen Texte aus Assur. Assyrische Gelehrte und babylonische Traditionen, in: Renger, J. (Hg.), Assur – Gott, Stadt und Land, CDOG 5, Wiesbaden, 371–384.

 Baker (2003) 244 u. 255 f. Heather D. Baker untersuchte den Gebrauch von Begriffen für Urkunden anhand von Texten aus Privatarchiven der neubabylonischen bis früh-achämenidischen Zeit, d. h. des späten 7. Jahrhunderts bis 482. Zum Formular des Textes vgl. Jursa (2005a) 41 f. Für eine ausführliche Diskussion des Begriffs und der Bedeutung ‚Verpflichtungsschein‘ s. Koschaker (1911) 117–135.  Darüber hinaus gibt es noch Texte im so bezeichneten Ziegelformat, vgl. Baker (2003) 244. S. auch Kap. 2.2: kunukku.  Jursa (2005a) 4 f.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

209

Hunger, H. 1968. Babylonische und assyrische Kolophone, AOAT 2, Kevelaer/NeukirchenVluyn. Hunger, H. 1992. Astrological Reports to Assyrian Kings, SAA 8, Helsinki. Koschaker, P. 1911. Babylonisch-assyrisches Bürgschaftsrecht. Ein Beitrag zur Lehre von Schuld und Haftung, Leipzig/Berlin. Jursa, M. 2005a. Neo-Babylonian Legal and Administrative Documents. Typology, Contents and Archives, GMTR 1, Münster. Oppenheim, A. L. 1969. Divination and Celestial Observation in the Last Assyrian Empire, Centaurus 14, 97–135. Parpola, S. 1983b. Letters from Assyrian Scholars to the Kings Esarhaddon und Assurbanipal. Part II: Commentary and Appendices, AOAT 5/2, Neukirchen-Vluyn/Kevelaer. Pedersén, O. 1986. Archives and Libraries in the City of Assur. A Survey of the Material from the German Excavations. Part II, Studia Semetica Upsaliensia 8, Uppsala. Radner, K. 1995. The Relation Between Format and Content of Neo-Assyrian Texts, in: Mattila, R. (Hg.), Nineveh 612 BC. The Glory and Fall of the Assyrian Empire, Catalogue of the 10th Anniversary Exhibition of the Neo-Assyrian Text Corpus Project, Helsinki, 63–77. Thompson, R. C. 1900. The Reports of the Magicians and Astrologers of Nineveh and Babylon in the British Museum. The Original Texts, Printed in Cuneiform Characters, Edited with Translations, Notes, Vocabulary, Index and an Introduction. Vol. 1, Luzac’s Semitic Text and Translation Series 6, London.

unqu Das Wort unqu wird ab der altbabylonischen Zeit benutzt und umfasst die Bedeutungen ‚Ring‘, ‚Siegelring‘, ‚(königliches) Siegel‘,,Siegelung‘ und ,gesiegeltes/r Dekret/Brief‘.882 Es wird syllabisch (teilweise auch unqa statt unqu) oder mit dem Sumerogramm ŠU.GUR geschrieben. Im Neuassyrischen und Neubabylonischen bezeichnet der Begriff meist einen Siegel(ring), einen Siegelabdruck oder eine gesiegelte Tafel.883 Karen Radner besprach die Verwendung von unqu im neuassyrischen Reich. Mit unqu wurde das neuassyrische königliche Siegel, ein Amtssiegel aus Gold, bezeichnet. Als Motiv zeigt dieses den König, der mit dem Schwert auf einen aufbegehrenden Löwen einsticht. Kein Originalsiegel hat sich erhalten, jedoch legt die Bezeichnung unqu nahe, dass es sich um einen Siegelring handelt. Die Untersuchung der Siegelabdrücke zeigt, dass sich das Motiv auch auf Zylindersiegeln und den Kappen von Zylindersiegeln befunden hat. Mit dem königlichen Amtssiegel konnten Tontafeln und Anhänger gesiegelt sein; ferner befand sich

 CAD U unqu A 167. Hier wird auch noch die Bedeutung ‚gesiegelter Schatz‘ angegeben. Siehe ebd. für zahlreiche Textbelege.  AHw 3 unqu 1422.

210

2 Mesopotamische Zeugnisse für Schreibgeräte

dieses Motiv auf Siegelverschlüssen von lēʾāni (vgl. Kap. 2.2: lēʾu), Säcken, Gefäßen etc. Die Abrollung bzw. der Abdruck eines unqu oder auch eine Tontafel mit einer solchen Siegelung werden jeweils als unqu bezeichnet. Die Amtssiegel konnten von königlichen Administratoren geführt werden, die so an Autorität gewannen. Solcherart gesiegelte Tontafeln waren königliche Anordnungen.884 Auch im Neubabylonischen Reich wurde ein Brief mit einem königlichen Amtssiegel als unqu bezeichnet.885 Darüberhinaus wurde im Neu- und Spätbabylonischen mit unqu der Siegelring bezeichnet bzw. der Abdruck von diesem.886 So kann auf einer gesiegelten Tontafel der achämenidischen Zeit die Siegelbeischrift unqu/unqa PN bzw. unqu/unqa ša PN ‚Siegelabdruck des PN‘ stehen.887 Für Fingernagelabdrücke wurde bei diesen Siegelbeischriften der Begriff ṣupru und für andere Siegel na₄KIŠIB (s. Kap. 2.2: kunukku) gebraucht. Gesiegelte Tontafeln der achämenidischen Zeit aus Babylonien waren zu etwa einem Drittel – nach den Beischriften zu schließen – mit Siegelungen von Siegelringen versehen.888 Siegelringe waren während der seleukidischen Zeit die am häufigsten benutzten Siegel.889 In der frühen seleukidischen Periode wurden in Uruk die Begriffe unqu und na₄KIŠIB bei Tafelbeischriften auswechselbar verwendet, später (nach dem Jahr 17 der seleukidischen Ära) kam in Uruk der Begriff na₄ 890 KIŠIB außer Gebrauch.

Literaturliste Balzer, W. 2007. Achaimenidische Kunst aus Babylonien. Die Siegel der Keilschriftarchive. Ikonographie. Stile. Chronologie. Inaugural Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. [http://dx.doi.org/10. 5282/edoc.8732] Jursa, M. 2014. The Lost Correspondence of the Babylonian Empire as Reflected in Contemporary Administrative Letters, in : Radner, K. (Hg.), State Correspondence in the Ancient World. From New Kingdom Egypt to the Roman Empire, Oxford Studies in Early Empires, Oxford, 94–111.

 Radner (2008) 487–494 mit Verweisen zu älterer Literatur und einigen Abbildungen. S. auch Radner (2014) 77 f. Für eine genauere Beschreibung des Motives und eine Liste der Siegelbilder dieses Motivs vgl. Herbordt (1992) 123–127.  So Jursa (2014) 101.  Nach den Belegen im CAD U unqu A 167–170. Im Neubabylonischen wird der Begriff auch für einen Ring, der an einer Tür befestigt wurde, verwendet.  So Balzer (2007).  Balzer (2007) 100 f.  Oelsner (2003) 296.  Wallenfels (1998) xiii f. Fn. 4.

2.2 Akkadische Begriffe für Schreibgeräte

211

Oelsner, J. 2003. Cuneiform Archives in Hellenistic Babylonia. Aspects of Content and Form, in: Brosius, M. (Hg.), Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of RecordKeeping in the Ancient World, Oxford, 284–301. Radner, K. 2008. The Delegation of Power: Neo-Assyrian Bureau Seals, in: Briant, P./ Henkelman, W./Stolper M. (Hg.), L'archive des Fortifications de Persépolis. État des questions et perspectives de recherches. Actes du colloque organisé au Collège de France par la « Chaire d’histoire et civilisation du monde achéménide et de l’empire d’Alexandre » et le « Réseau international d´études et de recherches achéménides » (GDR 2538 CNRS), 3–4 novembre 2006, Persika 12, Paris, 481–515. Radner, K. 2014. An Imperial Communication Network. The State Correspondence of the NeoAssyrian Empire, in: Radner, K. (Hg.), State Correspondence in the Ancient World. From New Kingdom Egypt to the Roman Empire, Oxford Studies in Early Empires, Oxford, 64–93. Wallenfels, R. 1998. Seleucid Archival Texts in the Harvard Semitic Museum. Text Editions and Catalogue Raisonnée of the Seal Impressions, CunMon. 12, Groningen.

zūku/zukkû Im Spätbabylonischen wird der Begriff nach Matthew W. Stolper für eine Verzichtserklärung verwendet.891

Literaturliste Stolper, M. W. 1993. Late Achaemenid, Early Macedonian, and Early Seleucid Records of Deposit and Related Texts, AIUON Suppl. 77, Neapel.

 Stolper (1993) 40 f.

3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ Über 31 000 Tontafeln und Tafelfragmente wurden in Kujundschik/Ninive (Irak) gefunden und gelangten ins British Museum. Die Faszination, die der Fundkomplex dieser sogenannten Bibliothek Assurbanipals ausübt, liegt sicherlich an der hohen Anzahl der dort gefundenen wissenschaftlich-literarischen Texte. Nur etwa ein Fünftel der Tafeln sind Alltagstexte, z. B. Briefe von Gelehrten und Privatrechtsurkunden. In beinahe jeder gängigen Textpublikation von wissenschaftlich-literarischen Texten ist mindestens ein Manuskript, das dieser ‚Bibliothek‘ zuzuschreiben ist. Wenn außerhalb der Altorientalistik eine Bibliothek des Alten Orients in generellen Werken zur Bibliotheksgeschichte oder Schreibkultur genannt wird, ist es diese. Meist nur am Rande erwähnt ist die charakteristische Gestaltung der Tontafeln, die Verwendung eines spezifischen babylonischen sowie eines spezifischen assyrischen Duktus und das Layout der meisten der wissenschaftlich-literarischen Tontafeln; dies ist auch beim fünften Band des „Catalogue of the Cuneiform Tablets in the Kouyunijik Collection“892 der Fall. Deren Verfasser, Carl Bezold, sammelte darüber hinaus Informationen zu den Tafeln der Sammlung. 1904 beschwerte er sich in einem Artikel über das Erscheinungsbild dieser Tafeln: Diese Sammlungen lagen schon einer englisch abgefaßten, für die Trustees des Britischen Museum angefertigten, ausführlichen Einleitung zum V. Bande meines Catalogue zu Grunde, die eigentümlicher Weise von der Museumsverwaltung nur verstümmelt und teilweise entstellt zum Abdruck gebracht wurde (Cat. Vol. V. S. XIII). Aus dem ursprünglichen Manuskript dieser ‚Introduction‘ ist ein Teil des hier Mitgeteilten wörtlich ins Deutsche übersetzt.893

In diesem Kapitel gilt es, der Frage nachzugehen, welcher Zusammenhang zwischen dem Konzept Bibliothek, der sogenannten Bibliothek Assurbanipals und dem Erscheinungsbild der Tafeln, der ‚typografischen Revolution‘, besteht.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt Die sogenannte Bibliothek Assurbanipals ist ein epistemisches Objekt. Verschiedene in der Altorientalistik diskutierte Fragen sind damit direkt bzw. indirekt verbunden. Hierbei sind insbesondere zwei Aspekte zu nennen: die Definition von

 Bezold (1889–99).  Bezold (1904) 18 Fn. 3. https://doi.org/10.1515/9781501511912-004

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

213

Bibliothek und Archiv sowie die Tradierung von Texten. Wir sehen die Bibliothek Assurbanipals ‚durch die Brille‘ unseres zeitgenössischen Verständnisses von (wissenschaftlicher) Bibliothek. So besteht der erste Schritt darin, die rezenten Konzepte von ‚Bibliothek‘ und in Abgrenzung hiervon das moderne Verständnis von ‚Archiv‘ zu beschreiben. Danach werden kursorisch verschiedene Positionen innerhalb der Altorientalistik betrachtet. Diese nehmen sowohl Bezug auf das Konzept Bibliothek als auch auf die sogenannte Bibliothek Assurbanipals. Abschließend wird der Diskurs über den von A. Leo Oppenheim eingeführten Begriff ‚stream of tradition‘, der eng mit der Bibliothek Assurbanipals verknüpft ist, dargestellt.

3.1.1 Das Konzept ‚Bibliothek‘ und seine Verwendung in der Forschungsliteratur 3.1.1.1 Das Konzept ‚Bibliothek‘ in Abgrenzung zum Konzept ‚Archiv‘ Meist wird davon ausgegangen, dass das Begriffsverständnis von ‚Bibliothek‘ eindeutig ist. Die verschiedenen Komponenten, die in der Definition von Bibliothek beinhaltet sind – wie Aufbewahrungsort der Sammlung, aber auch die Sammlung wissenschaftlicher Texte –, finden ihren Widerhall in der Altorientalistik (s. Kap. 3.1.1.2). Die Verwendung des im heutigen Sprachgebrauch üblichen Begriffs Bibliothek impliziert folglich bestimmte Fragen, die an den altorientalischen Befund immer wieder neu zu stellen sind, was die Reflexion über diesen Begriff äußerst fruchtbar macht. Das Konzept Bibliothek ist jedoch keinesfalls ein statisches. Vielmehr ist es einem steten Wandel unterworfen. Hierbei ist in der heutigen Zeit z. B. nur an die Internetkataloge (Opac), die inzwischen Inhalte von Bibliotheken online recherchierbar machen, und an die ‚digital libraries‘ zu denken, die das Verständnis von Bibliothek wandeln. So erlaubt das breite Bedeutungsspektrum des Begriffs Bibliothek auch dessen Anwendung innerhalb der Altorientalistik.894 Das Wort ‚Bibliothek‘ stammt vom griechischen βιβλιοθήκη bibliothḗkē. Neuere Definitionen – wenn überhaupt eine gewagt wird – berücksichtigen den durch die ‚digitale Revolution‘ ausgelösten Wandel. Da es sicherlich dem Verständnis von Bibliothek in älteren assyriologischen Publikationen nahekommt,

 Ich danke Olof Pedersén für seine Gesprächsbereitschaft im November 2012. Auf die Frage, was er unter eine Bibliothek verstehe, verwies er darauf, dass wir immer von unserem jeweiligen zeitgenössischen Verständnis geprägt seien, dass wir in die Vergangenheit zurückprojizieren.

214

3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

erscheint eine Definition von Meyers Großem Konversations-Lexikon von 1903 am ehesten gewinnversprechend:895 Bibliothek (griech.) zunächst der Ort, wo Bücher aufbewahrt werden, dann auch die Sammlung der Bücher selbst (Liberei, Bücherei). Wesentlich ist dabei der Zweck der Aufbewahrung und Benutzung, wodurch sich eine B. von bloßen Bücherlagern unterscheidet. Es gibt und gab Bibliotheken im Privatbesitz (Privatbibliotheken) und solche zum öffentlichen Gebrauch (öffentliche Bibliotheken).896

Im Folgenden werden die zentralen Stichworte des obigen Zitats in der rezenten Bibliothekslandschaft überprüft. Die Bibliothek ist zunächst ein Ort, an dem Bücher aufbewahrt werden. In Berlin lassen sich einige Neubauten größerer Bibliotheken antreffen. Hier ist u. a. die Universitätsbibliothek der HumboldtUniversität zu Berlin zu erwähnen. Das Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum in Berlin-Mitte wurde im Oktober 2009 eröffnet. Wer sich dem Gebäude nähert, sieht auf dem Vorplatz Zeichen der Computertastatur. Somit wird eine Anspielung auf die Wissensproduktion gemacht – die Bibliothek als Computer, der benutzt wird. Etwa zwei Millionen Bücher sind im Freihandbestand verfügbar. In anderen Bibliotheken wie der Staatsbibliothek zu Berlin befindet sich der Großteil der Bücher im Magazin und muss zur Benutzung bestellt werden. Dort sind die Bücher also nicht vollständig permanent verfügbar bzw. auch nicht real vor Ort versammelt. Die Definition aus Meyers Konversations-Lexikon greift hier also zu kurz. Andere Bibliotheken sind wiederum keine Gebäude, sondern einzelne Räume in Häusern: Die Bibliothek des Instituts für Vorderasiatische Altertumskunde und des Instituts für Altorientalistik befand sich bis zum Frühjahr 2015 im Erdgeschoss einer Villa in Berlin-Dahlem. Demnach ist ‚Bibliothek‘ bereits im rezenten Verständnis ein mehr oder weniger ideales Modell.897 Eine systematische Sammlung von Büchern wird als Bibliothek bezeichnet. Im Gegensatz zu dem sehr breit aufgestellten Sammlungsgebiet von Universitätsbibliotheken und Staatsbibliotheken besitzen Teilbibliotheken Bücher zu einem bestimmten Fachgebiet, z. B. der Ägyptologie. Das genaue Sammlungsgebiet und die Größe der Bibliothek sind variabel. Der Anspruch ist, die zu einem Gebiet als relevant betrachteten Bücher zu besitzen. Allerdings können Bibliotheken zer-

 Das Konzept von Bibliothek ist im 20. Jahrhundert relativ stabil, vgl. hierzu Ewert/Umstätter (1999) mit einer Abhandlung gängiger Definitionen wie auch einer Erläuterung des griechischen Begriffs. Ein theoretischer Diskurs über Bibliothek ist erst im Entstehen. Insbesondere Bibliothekare wie Michael Knoche, der ehemalige Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek verhandeln Gegenwart und Zukunft von Bibliotheken und stellen dabei zugleich die Frage, was eine Bibliothek kennzeichnet, vgl. Knoche (2018).  Meyers Großes Konversations-Lexikon Bd. 2 (19036) 822.  Vgl. Mahr (2003), Mahr (2004) und Mahr (2008) für eine Diskussion des Modellbegriffs.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

215

stört, aufgelöst und dann womöglich als Grundbestand einer neugegründeten Fachbibliothek dienen. In das Grimm-Zentrum wurden neben den Beständen der Universitätsbibliothek die Seminarbibliotheken mehrerer Institute, z. B. der Klassischen Philologie, einbezogen. Der im Mai 2015 eröffnete Neubau für die kleinen Fächer der Freien Universität Berlin, die sogenannte Holzlaube, wurde baulich an die Bereichsbibliothek Erziehungswissenschaft, Fachdidaktik und Psychologie angeschlossen. In der dort befindlichen Campusbibliothek wurden die Bestände der Teilbibliotheken der sogenannten Kleinen Fächer des Fachbereiches Geschichtsund Kulturwissenschaften (d. h., die Bibliothek des Faches Geschichte ist hiervon nicht betroffen) und zudem von fünf mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern zusammengeführt. Die Gründe des Zusammenschlusses sind folglich nicht (nur) in einem gemeinsamen Sammlungsgebiet zu suchen. Eine Bibliothek ist einerseits eine Ansammlung von Büchern zu einem bestimmten Fachgebiet, aber andererseits auch das systematische Sammeln zu einem bestimmten Thema. Nicht die Größe einer Sammlung ist ausschlaggebend, um eine Sammlung von Büchern als Bibliothek zu bezeichnen, sondern die Intention des Sammelns. Demnach verdient das Bücherregal einer Privatperson, das Bücher enthält, die diese geschenkt bekommen hat bzw. willkürlich ausgewählt hat – sei es ein Fachbuch, Belletristik oder ein Reiseführer –, wohl nicht die Bezeichnung Bibliothek. Die Bücher innerhalb einer Bibliothek sollten auffindbar sein. Die Aufstellung der Bücher ist je nach Bibliothek unterschiedlich. So werden im offenen Magazin der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin die Bücher nach dem Erwerbsjahr angeordnet. In anderen Bibliotheken sind sie nach Themengebieten, Reihen etc. geordnet. Zunehmend setzt sich deutschlandweit die Regensburger Verbundklassifikation durch. Durch Kataloge sind die Bücher recherchierbar. Wie verhält es sich mit dem eingangs zitierten Zweck der Aufbewahrung und der Benutzung der Bücher? Der Zweck der Aufbewahrung der Bücher in den behandelten Bibliotheken ist der Zugang zum Wissen. Die oben erwähnten Bibliotheken sind öffentlich zugänglich und mit öffentlichen Geldern finanziert.898 Sie

 Über den Begriff der öffentlichen Zugänglichkeit ist zu streiten. Die Zugänglichkeit wird durch Öffnungszeiten bzw. den Besitz oder Nichtbesitz eines Schlüssels/Chipkarte ermöglicht bzw. beschränkt. Teilweise ist das Erstellen eines Benutzerausweises erforderlich, wobei ein Wohnsitz innerhalb Deutschlands und ein gewisses erreichtes Alter Voraussetzung sein können. Ein weiteres Kriterium kann die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Fachrichtung sein. Während der Pandemie im Jahr 2020 waren Bibliotheken zeitweise ganz geschlossen; teilweise wurde der Zugang dann auf die Angehörigen einer Institution beschränkt, z. B. bei Hochschulen auf ihre Mitglieder.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

werden von Studenten, Forschern und interessierten Laien zum Lernen und Forschen frequentiert. Sie sind Orte der Begegnung und wie beim Grimm-Zentrum werden beim Bau einer Bibliothek teilweise auch Kontaktzonen eingeplant. Bibliotheken sind demnach Orte der Wissensproduktion, -reproduktion und des Wissensaustauschs. Neben den bereits genannten öffentlichen Bibliotheken gibt es auch eine Reihe von Privatbibliotheken, die nicht öffentlich zugänglich sind. Jedoch sollten diese definitionsgemäß eine systematische Sammlung und Erfassung der Bücher aufweisen. Die Träger der jeweiligen Bibliothek bestimmen wesentlich das jeweilige Sammlungsgebiet und den Zugang zu den Büchern. Ein kurzer Blick in die europäische Vergangenheit zeigt, dass es neben den öffentlich finanzierten Bibliotheken und den diversen Privatbibliotheken eine Vielzahl anderer Bibliothekstypen gab (und gibt). Im frühen und hohen Mittelalter herrschten die Kloster- und Kirchenbibliotheken vor. Diese wurden im späten Mittelalter allmählich von kommunalen Bibliotheken wie den Ratsbibliotheken, deren Bestand überwiegend durch private Spenden zustande kam, abgelöst. In der Geschichte immer wieder vorkommende Fürstenbibliotheken besitzen häufig einen sehr großen Bestand von Büchern. Der Erhalt und die Anschaffung einer Büchersammlung ist mit materiellen Anstrengungen verbunden und arbeitsintensiv; eine große Bibliothek kann sich nur jemand leisten, der über die entsprechenden Mittel verfügt.899 Eine Bibliothek ist einerseits ein realer Ort in der urbanen Topografie, andererseits eine Sammlung von Büchern zu einem Themengebiet sowie ein Ort der Wissensproduktion und -reproduktion. Die Bücher werden durch die Aufstellung und Kataloge zugänglich und recherchierbar. Die Gründung, der Erhalt und das Sammlungsgebiet einer Bibliothek ist abhängig von denjenigen Personen, die die materiellen Mittel dafür bereitstellen. Wenn man über Bibliotheken redet, meint man dabei auch Konnotationen wie Wissenstradierung, Bildung sowie den Wissenschaftsbetrieb. Mit ‚Bibliothek‘ wird darüber hinaus ein utopisches Konzept, das Ideal einer Universalbibliothek, die alle Zeiten überdauert, verbunden. Die ‚Idee‘ einer Bibliothek wird mit der Gesamtheit aller Bücher, d. h. der Gesamtheit des Wissens, verbunden. In der Renaissance, im 15./16. Jahrhundert n. Chr., entstand das Konzept der umfassenden, alles integrierenden Bibliothek. Dieses Konzept ist zweiseitig. Einerseits geht es von einer alles umspannenden Sammlung von Büchern ohne Hierarchisierung aus. Andererseits bezieht es sich auf Enzyklopädien und vergleichbare Werke, in denen das gesamte Wissen der Welt komprimiert dargestellt werden soll. Zunehmend (mit dem humanistischen Ideal der

 Vgl. Stein (20102) 232–236 mit weiteren Literaturangaben.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

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Aufklärung) wurde für eine universale, öffentlich zugängliche Bibliothek plädiert, die zudem einen gemeinschaftsstiftenden Effekt haben sollte. Staats- und Nationalbibliotheken wurden gegründet.900 Dass die Bibliothek von Alexandria und ihre Zerstörung einen solch bedeutenden Platz im kulturellen Gedächtnis von der Nachantike bis zur Neuzeit einnimmt, ist vor diesem Hintergrund nicht weiter erstaunlich. Als Zweck bzw. Funktion der diversen digitalen Bibliotheken wie Google Books wird angegeben, dass sie der Sicherung des kulturellen Erbes dienen. Hierfür wird gerne auf die Zerstörung der Bibliothek von Alexandria, aber auch anderer verloren gegangener Bibliotheken und den damit einhergehenden Wissensverlust verwiesen.901 Die Utopie der Universalbibliothek ist äußerst lebendig. In Abgrenzung vom Konzept Bibliothek muss selbstverständlich auch das Konzept Archiv erklärt werden.902 Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1902 liefert hierzu folgende Definition: Archiv (griech. Archeion, d. h. sicheres Gebäude, lat. archium, chartarium, tabularium, scrinium), ein Sammelstätte auf amtlichem Weg erwachsener und in amtlichem Interesse aufbewahrter Schriftstücke, die als Zeugnisse der Vergangenheit zugleich Quellen der Geschichtswissenschaft sind.903

In einem Archiv werden Akten und Urkunden zeitlich unbegrenzt aufbewahrt. Der Begriff bezeichnet sowohl den Aufbewahrungsort als auch die Sammlung der Schriftstücke selbst. Ein rezentes Beispiel ist das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Hier werden zahlreiche Dokumente Brandenburg-Preußens, z. B. der Provinzialbehörden, aufbewahrt. Die Anfänge dieses Archivs gehen bis ins 13. Jahrhundert zurück. Für Historiker, die zu Preußen und dessen Geschichte arbeiten, ist dieses Archiv unumgänglich. Die Archivalien stellen für diese Historiker die Primärquellen dar, die Literatur dazu die Sekundärquellen. In einer Bibliothek sind also Bücher, in einem Archiv Akten und Urkunden versammelt.

 Siehe Stein (20102) 236–240 und Nerdinger (2011). Dort wird das Konzept der Universalbibliothek und seine Entstehung ausführlicher erklärt und es finden sich Angaben zur weiterführenden Literatur.  Vgl. Drösser (2008).  Dieses Konzept ist in den verschiedenen europäischen Sprachen keinesfalls gleich; bei deutschen Historikern wird z. B. zwischen Kanzlei- bzw. Registraturgut und Archivgut geschieden, wobei nur letzteres für eine längere Aufbewahrung bestimmt war, vgl. Lange (2012) 133 f. Wie Markus Friedrich anmerkt, werden bei Abhandlungen zur europäischen Archivgeschichte Archive häufig mit dem sich seit dem 19. Jahrhundert entwickelten Archivverständnis betrachtet, was zur Folge hat, dass auch frühere Perioden der europäischen Geschichte als unvollkommen erscheinen, Friedrich (2013) 20.  Meyers Großes Konversations-Lexikon Bd. 1 (19026) 728.

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3.1.1.2 Behandlung altorientalischer Archive und Bibliotheken in der Forschungsliteratur 3.1.1.2.1 Allgemein Mit Hilfe des rezenten Verständnisses von Bibliothek und Archiv werden altorientalische Tafelsammlungen betrachtet. Im Gegensatz zu zeitgenössischen Bibliotheken und Archiven müssen altorientalische Tafelsammlungen stets in oft mühevoller Kleinstarbeit vom heutigen Forscher rekonstruiert werden. Hierfür werden archäologische Daten, das Äußere der Tafeln und aus den Texten selbst stammende Informationen herangezogen. Tontafeln sind Kleinfunde, die sich in Erdablagerungen befinden. Die Archäologie untersucht, welche Ablagerungsprozesse bis zur archäologischen Fundvergesellschaftung erfolgten. Tontafeln sind Objekte, die bis zu ihrem Fund in einer Vielzahl von Handlungsprozessen eingebunden waren. Sie wurden aufbewahrt, gelesen, weiterverhandelt, zerbrochen, weggeworfen usw. Selbst nach ihrem Nutzungsende sind die Tontafeln wie auch andere Kleinfunde in eine Vielzahl von depositionalen Prozessen eingebunden, z. B. Abgrabungen eines Gebäudes zur Gewinnung von Lehmziegeln oder Versalzung beim Anstieg des Grundwasserspiegels. Um einen Fund räumlich-funktional zu interpretieren, sind die Depositions- und Postdepositionsprozesse sowie die Vergesellschaftung mit anderen Objekten (Fundassemblage) zu berücksichtigen. Bei den Assemblagearten wird zwischen Abfall und Inventar geschieden. Die Assemblage, die bei der plötzlichen Zerstörung eines Gebäudes entsteht, ist als Inventar zu bezeichnen. Als Abfall sind Gegenstände anzusehen, deren Nutzungszyklus zur Zeit der Ablagerung abgeschlossen war. So sind nach dieser Definition zahlreiche uns bekannte Tontafelsammlungen Abfall und nicht Archive bzw. Bibliotheken. Abhängig von der Grabungsdokumentation kann der Fundkontext (archäologischer Kontext) wichtige Hinweise auf den früheren Umgang mit Tafeln liefern (systemischer Kontext). Der archäologische Kontext spiegelt stets nur unvollständig den systemischen Kontext wider. Beispielweise gehen bei dem für den Archäologen günstigen Szenario eines Brandes alle Gegenstände aus Holz verloren.904 Bei Objekten aus dem Kunsthandel oder bei schlecht dokumentierten Grabungen fehlt ein wesentlicher Teil der Information, um die Befunde zu interpretieren.

 Bei diesem knappen Abriss zum Fundkontext und der archäologischen Taphonomie stütze ich mich auf Pfälzner (2001) 38–56, der sich im Wesentlichen auf die Arbeiten von U. Sommer und M. B. Schiffer bezieht.

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Verschiedene Aufbewahrungsszenarien von Tontafeln sind uns bekannt. Tafeln konnten in Tongefäßen aufbewahrt werden,905 in gemauerten Nischen aufgestellt sein906 oder sich auf Bänken aus Lehmziegeln bzw. Regalbrettern befinden.907 Zu bedenken ist natürlich, dass wir es immer mit einem Zerstörungskontext zu tun haben. So finden sich Tontafeln, die in einem oberen Stockwerk auf hölzernen Regalen gelagert waren, im Befund zerbrochen auf einer Erdablagerung über dem Fußboden des Erdgeschosses. Auch Körbe und Truhen, die zur Aufbewahrung genutzt wurden, haben sich nicht erhalten.908 Das Verwenden alter Tafeln als Füllmaterial beim Bau von Gebäuden ist nicht ungewöhnlich. Abhängig von der Grabungsdokumentation und dem jeweiligen Fundkontext können Aussagen über die Verwendung von Tontafeln und anderen Schriftzeugnissen gemacht werden. Neben dem Fundkontext kann das Äußere der schriftlichen Objekte teilweise Rückschlüsse über bestimmte, an den Tafeln vollzogene Handlungen und Prozesse, in denen die Tafeln eingebunden waren, liefern. Hier sind u. a. Zerstörungsmarkierungen (s. Kap. 1.2.5), die den Text der Tafel als ungültig erklären oder Spuren eines Brandes in der Antike, die die bereits gebrochene Tafel in verschiedenste Schattierungen färbten, zu nennen. Leider wurden und werden Schriftzeugnisse meist nicht als Kleinfunde bei Ausgrabungen betrachtet, sondern ohne weitere archäologische Dokumentation dem Philologen übergeben. So werden zwar zahlreiche Angaben zur Beschaffenheit von Tonscherben aufgenommen, aber von Tontafeln in der Regel nicht. Seit den 1980ern werden vermehrt Assemblagen von Tontafeln analysiert, jedoch für gewöhnlich von Philologen und nicht von Archäologen. Eine archäologische Taphonomie von Tontafeln wäre wünschenswert.909 Ein im ersten Moment vermutlich banal erscheinender Unterschied zwischen den rezenten Archiven und Bibliotheken und denen des Alten Orients ist,

 Vgl. z. B. das neubabylonische Archiv des Statthalters Bēl-ušallim und verwandter Barbiere in Tongefäßen, Babylon Archiv N11 Pedersén (2005) 203–208.  Solche Nischen wurden in situ mit neubabylonischen Tontafeln wissenschaftlichliterarischen Inhalts in einem Raum in unmittelbarer Nähe zum Hauptheiligtum des Gottes Šamaš in Sippar gefunden. Markus Hilgert schrieb hierzu eine bisher unveröffentlichte Habilitation, s. jedoch Hilgert (2013) 142–149. Im Nabû-Tempel von Dūr Šarrukin/Khorsabad ist ein Raum mit solchen aufgemauerten Nischen, jedoch ungefüllt, gefunden worden, vgl. Loud and Altman (1938) 46 Taf. 19 c und 24 d.  Vgl. für Literaturverweise, weitere Beispiele und Aufbewahrungsmöglichkeiten Veenhof (1986a) 11–14.  Charpin (2010a) 106.  So Janoscha Kreppner in seinem Habilitationsvortrag am 12.07.2013 am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin.

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dass die aus Mesopotamien erhaltenen Texte auf Tontafeln niedergeschrieben worden sind. Eine Unterscheidung von Bibliothek und Archiv kann daher nicht von zwei unterschiedlichen Schriftträgern, nämlich Buch versus einzelnen Blätter Papier (Akte/Urkunde) ausgehen.910 Im 1. Jahrtausend v. Chr. wurden darüber hinaus als Schriftträger für Keilschrift wachsbeschichtete Holztafeln verwendet (vgl. Kap. 2.1.3; Kap. 2.2: daltu und lēʾu sowie Kap. 4.1.2). Zudem wurde im 1. Jahrtausend in der Verwaltung zunehmend die aramäische Schrift gebraucht, die auf dreieckigen ‚dockets‘ (s. Kap. 3.2.2.1.1) und nicht mehr erhaltenen Lederrollen niedergeschrieben wurde (s. Kap. 4). Neben der Schriftträgerwahl stellt es einen weiteren Unterschied dar, dass es sich bei den Texten der non-typografischen mesopotamischen Gesellschaft stets um Handschriften handelt. So spielt im Gegensatz zu den heutigen Bibliotheken bei der Sammlung bzw. Anhäufung von Texten das Abschreiben eine nicht zu unterschätzende Rolle. Es gab keine Verlage und Texte wurden meines Wissens nicht verkauft. Demgemäß bestehen Sammlungen von wissenschaftlich-literarischen Texten oft zu einem großen Teil aus vor Ort geschriebenen Texten. Häufig werden für Tontafeln verschiedenen Inhalts die Begriffe Bibliothekstexte, Schülertafeln und archivalische Texte bzw. Archivtexte verwendet. Diese Begriffe verweisen jedoch nicht auf ein Archiv, eine Bibliothek oder eine Schule911, sondern vielmehr auf ein spezifisches Erscheinungsbild und einen spezifischen Textinhalt der Tafeln. Fritz Rudolf Kraus bemerkt hierzu bezogen auf die altbabylonische Zeit: So gelingt es mir z. B. nicht in Erfahrung zu bringen, was doch zu wissen sehr förderlich wäre, ob zwischen den eigentlichen, äußerlich kenntlichen Schultafeln und etwa gut geschriebenen Tafeln literarischen Inhalts ein prinzipieller Unterschied besteht oder ob letztere nur vollendete Specimina des Lehrstoffs darstellen, sei es sozusagen Meisterstücke von Schülern, die damit den Abschluß ihrer Ausbildung und ad oculos des Lehrers demonstrieren, sei es Kopiervorlagen von Lehrershand.912

Bibliothekstexte sind sorgfältig geformte Tafeln mit einem ansprechenden Duktus und Layout – häufig mehrkolumnig –, deren Inhalt wissenschaftlich-literarischer

 Pedersén (1998) 3.  Zur altorientalischen ‚Schule‘, dem archäologischen Befund und weiterer Literatur vgl. Veenhof (1986a) 4–7, Waetzoldt/Cavigneaux (2009–2011), Charpin (2010a) 25–33. Die Benennung eines Gebäudes bzw. Raumes als Schule erfolgt, wenn dort viele Übungstafeln gefunden worden sind. Umgekehrt werden solche Übungstafeln auch ohne den entsprechenden archäologischen Kontext als Schülertafeln bezeichnet.  Kraus (1973) 25. Für einige Beispiele sorgfältig gestalteter Texte der altbabylonischer Zeit vgl. Wagensonner (2019) 58f. und 60–62. Meist wird der Begriff Bibliothekstext nicht für wissenschaftlich-literarische Texte dieser Periode verwendet.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

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Natur ist. Schülertafeln sind oft weniger sorgfältig gestaltete und geschriebene Tafeln mit Auszügen aus einem oder mehreren, meist wissenschaftlich-literarischen Texten, die als Schultexte zu bezeichnen sind.913 Linsenförmige Schülertafeln werden als charakteristisch für die altbabylonische Zeit angesehen, sind jedoch in geringer Anzahl auch in anderen Perioden belegt.914 Archivalische Texte sind Wirtschafts- und Rechtsurkunden, Briefe und andere administrative Texte, die aufgrund ihres Textinhalts als archivalisch bezeichnet werden. Obwohl teilweise der archäologische Kontext nur unzulänglich bekannt ist bzw. keine Aussagen über die Existenz der Bibliothek bzw. des Archivs liefert, wird dennoch von Archiven und Bibliotheken gesprochen. Eine solche Rekonstruktion erfolgt zum einen aufgrund von Aussagen innerhalb der Texte, zum anderen wird in die Argumentation das Erscheinungsbild der Texte miteinbezogen. Ein prominentes Beispiel hierfür ist eine mittelassyrische Textsammlung mit einem sehr sorgfältig gestalteten Äußeren der einzelnen Tafeln, die sogenannte Bibliothek Tiglat-pilesers I.915 Seit den 1980ern kam es vermehrt zu Assemblageanalysen. Insbesondere Olof Pedersén widmet sich der Rekonstruktion von Textsammlungen.916 In der Einleitung zu seinem Buch „Archives and Libraries in Assur“ schreibt er: Each group of interrelated texts is here classified either as a library or an archive. ‚Library‘ describes a group of literary texts in the widest sense of the word, including for example lexical texts. „Archive“ describes a group of texts of administrative, economic, juridical and similar types, including letters. The occurrence of a few texts of the opposite type has not led to a classification change from library to archive or vice versa, but when there are any considerable number of texts of the opposite categories, the collection is described as a library with archive. The archives (cf. also the libraries) are further divided into official and private archives. What are here called official archives are found in (relation to) offi-

 Vgl. hierzu mit Schwerpunkt auf die neubabylonische Zeit Gesche (2001) 43–57. Sie unterscheidet zwischen Schultext und Schülertafel. Ein Schultext ist für sie losgelöst vom Schriftträger ein Text, der für Unterrichtszwecke verwendet wird. Eine Schülertafel bezeichnet eine Tontafel, auf der ein oder mehrere Auszüge aus Schultexten niedergeschrieben worden sind, siehe ebd. 43.  Bartelmus (2016) 15 f.  Die Existenz einer solchen Bibliothek wurde von Ernst Weidner postuliert, s. Weidner (1952–53). Dass Tiglat-pileser I. diese Texte versammelt hat, wird inzwischen bezweifelt. Es könnte sich vielmehr um die Manuskriptsammlung einer oder mehrerer Familien handeln, wie auch die Kolophone nahelegen, vgl. mit Angaben zu älterer Literatur Pedersén (1985) 31–42, Pedersén (1998) 83 f. und Jakob (2003) 524–528. Dies schließt jedoch keine königlich-politische Agenda aus, so Heeßel (2011a) sowie Veldhuis (2014a) 352. Zunehmend werden auch Aspekte des Erscheinungsbildes einiger dieser Texte diskutiert, s. hierzu Heeßel (2011a) und Veldhuis (2012).  Neben Pedersén ist auch die wegweisende Arbeit von Charpin „Le Clergé d’Ur au siècle d’Hammurabi“ zu nennen, Charpin (1986).

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cial buildings and concern official matters. The private archives stem from private houses and may concern both private matters for the persons living in these houses and official matters from the activities of these persons. For each archive or library some central aspects are determined whenever possible. These aspects are findspots, number and external appearance of texts, datings, central persons and institutions, and texttypes.917

Für Pedersén ist sowohl ein Archiv als auch eine Bibliothek eine Textsammlung. Eine Unterscheidung trifft er aufgrund des Inhalts der Texte. In diesem generellen Sinne wird in der Altorientalistik meist von Bibliothek und Archiv gesprochen.918 Oft kommen in Sammlungen von Texten wissenschaftlich-literarischer Natur administrative Texte und Rechtsurkunden (d. h. Alltagstexte, s. Kap. 1.1.1) vor, seltener auch umgekehrt. Aufgrund der inhaltlichen Zusammensetzung wäre daher nicht von zwei Formen, sondern von drei Formen von Textsammlungen zu sprechen. Den Großteil der Textsammlungen bilden Archive, den Großteil der Textfunde Archivtexte.919 Ferner unterscheidet Pedersén zwischen öffentlich (‚official‘) und privat (‚private‘). Ein Privatarchiv bzw. eine Privatbibliothek besteht aus einer Textgruppe, die in einem Privathaus gefunden wurde. Öffentliche Archive bzw. Bibliotheken sind Tafelsammlungen, die aus öffentlichen bzw. Amtsgebäuden, d. h. Palästen und Tempeln, stammen. Bei den öffentlichen Archiven ist der Textinhalt offiziellen Charakters. Der Begriff öffentlich impliziert in diesem Zusammenhang jedoch nicht, dass die Tafelsammlungen für die Allgemeinheit zugänglich waren oder über Jahrhunderte durchgängig öffentliche Sammlungen existierten. In Privathäusern gefundene Texte können von Personen stammen, die eine Anbindung an einen Tempel bzw. Palast haben. Die dortigen Urkunden können daher auch auf öffentliche Angelegenheiten Bezug nehmen. So ist eine Unterscheidung öffentlich versus privat anhand des Inhalts der Texte nicht eindeutig. In der altorientalistischen Literatur wird oft von drei Arten von Bibliotheken gesprochen: Privatbibliothek, Tempelbibliothek und Palastbibliothek.920 Dies bezieht sich in erster Line auf den jeweiligen Fundkontext. Als ein  Pedersén (1985) 20f.  In ihrer Einleitung zu dem von ihnen herausgegebenen Sammelband „Libraries before Alexandria“ (Ryholt/Barjamovic [2019a]) haben sich bspw. Kim Ryholt und Gojko Barjomovic für eine solche Definition von Bibliothek entschieden, Ryholt/Barjamovic (2019b) 7–9.  Auch Pedersén unterscheidet zwischen den drei Formen der Tafelsammlungen. Der größte Teil der identifizierten und ausgegrabenen Textsammlungen der Periode von 1500–300 v. Chr. sind Archive, gefolgt von den beiden anderen Formen. In den Archiven finden sich meist keine wissenschaftlich-literarischen Texte. In den als Bibliotheken titulierten Sammlungen kommen Archivtexte jedoch regelmäßig vor. Partiell gibt es jedoch Hinweise, dass diese getrennt aufbewahrt worden sind, vgl. Pedersén (1998) 270–282.  Vgl. zum Beispiel Clancier (2009) 17 und Frahm (2011a) 262f.

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zentraler Aspekt für die Beschreibung der einzelnen Archive und Bibliotheken nennt Pedersén das Erscheinungsbild der Tontafeln. 3.1.1.2.2 Archiv In den letzten Jahrzehnten wurden vermehrt Studien zu Archiven und Bibliotheken durchgeführt.921 Als Archiv wird dort eine Anhäufung von schriftlichen Spuren einer Person, Gemeinschaft oder Institution über einen bestimmten Zeitabschnitt hinweg verstanden.922 Dies ist in den Archivwissenschaften unter ‚fonds d’archives‘ bekannt.923 Ein Archiv ist keine systematische Sammlung von Texten.924 Anhäufungen von Texten aus einer bestimmten Zeitperiode sind im archäologischen Befund festzustellen.925 Dominique Charpin unterscheidet zwischen ‚lebendigen‘ und ‚toten‘ Archiven. ‚Lebendige Archive‘ sind Anhäufungen von Texten, die noch in Gebrauch waren, als das Gebäude, in dem sie nun entdeckt werden, zerstört wurde. Häufig gehören Texte, die bei einer Ausgrabung gefunden werden, zu ‚toten Archiven‘. Dabei handelt es sich um aussortierte Texte, die sich bspw. als Verfüllungen in Wänden finden.926 Zahlreiche Archive stammen aus dem Kunsthandel bzw. wurden bei ihrer Ausgrabung unzureichend dokumentiert oder kommen aus den eben erwähnten ‚toten Archiven‘. Bei einer Rekonstruktion von Archiven basierend allein auf (keil-)schriftlichen Informationen und dem Erscheinungsbild der Tafeln wäre die von Pedersén gebrauchte Definition (s. Kap. 3.1.1.2.1) zutreffender. Die Anhäufung über eine bestimmte Zeitperiode ist dann allerdings nicht mehr feststellbar. Unter Umständen ordnen wir Texte, die ursprünglich aussortiert waren, einem Archiv zu. Demnach spiegelt Pederséns Definition den Gebrauch des Begriffs innerhalb der Altorientalistik wider927 und die zweite Definition (Anhäufung von Texten) spielt auf die tatsächliche altorientalische Lagerung von Texten mit größtenteils archivalischem Inhalt an. Der nicht-statische Zustand eines Archivs ist zu betonen: Texte werden aufbewahrt, aussortiert und neue geschrieben. Die Untersuchung von Alltagstexten

 Vgl. u. a. für Archive: Veenhof (1986b), Brosius (2003c), Jursa (2005a), Lange (2012); für Archive und Bibliotheken: Pedersén (1985), (1986), (1998), (2005), Charpin (1986) (für weitere Arbeiten von Charpin s. Charpin [2010a]), Clancier (2009), Ryholt/Barjamovic (2019a).  S. Veenhof (1986a) 7f., Charpin (2010a) 98f. und Lange (2012) 133f.  Veenhof (1986) 7f. Auch dieser Begriff wird gerne in der Altorientalistik verwendet, siehe z. B. Clancier (2009) 16.  Charpin (2010a) 98f.  Vgl. u. a. Charpin (2010a) 98–101 und Veenhof (1986a) 7–9.  Charpin (2010a) 104f., vgl. weiter Lange (2012) 134–136.  So z. B. Clancier (2009) 16.

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(archivalische Texte/Archivtexte) ist Gegenstand der ‚Diplomatik‘ (s. Kap. 1.1.3). Hierbei spielen auch die äußeren Charakteristika eine wichtige Rolle. Der jeweilige archäologische Kontext kann Hinweise auf das archivarische System bieten, wie z. B. Sarah Lange für die Textfunde aus Qaṭna in Syrien herausgearbeitet hat. Sie betrachtet hierfür auch das Erscheinungsbild der Tafeln und zieht Informationen aus den Texten heran. Sie vergleicht anschließend den Befund mit anderen Archiven des 2. Jahrtausends v. Chr.928 Die oben angeführte moderne Definition (für Archiv) der aus amtlichem Interesse gewachsenen und aufbewahrten Texte (s. Kap. 3.1.1.1) trifft auf den Alten Orient größtenteils nicht zu. Zwar wurden in Palästen und Tempeln Tafelsammlungen entdeckt, jedoch stammen viele Tafelsammlungen von Privatpersonen aus Privathäusern.929 Es sind Familienarchive. Diese können eine Periode von 100–200 Jahren, d. h. bis zu sechs Generationen, umspannen. Größtenteils beinhalten sie Eigentumsurkunden. Meist sind die Texte, die aus der jüngsten Generation stammen, am vielfältigsten. Wahrscheinlich waren in den Häusern, in denen sich die Archive befanden, aktuelle Texte noch nicht aus dem Bestand aussortiert worden. Palastarchive decken in der Regel nur eine kurze Zeitspanne ab, und zwar unter vierzig Jahren. Tempelarchive scheinen eine etwas längere Laufdauer zu haben. Die neubabylonischen Archive des Ebabbar, des Tempels von Šamaš in Sippar, umspannen etwa 150 Jahre.930 Ein spezifisches historisches Interesse als Grund für die Aufbewahrung der Texte ist folglich nicht zu erkennen. Demnach existieren Archive nach der obigen modernen Definition in Mesopotamien nicht. Was in der Literatur als Archiv verstanden wird, ist eine Gruppe von Texten archivalischen Inhalts bzw. die Anhäufung von Texten über eine bestimmte Zeitperiode hinweg. Bei näherer Betrachtung spiegeln beide Definitionen nicht ein modernes Konzept von Archiv wider – derartige Archive sind in Mesopotamien nicht vorhanden –, sondern scheinen in Abgrenzung von der rezenten Vorstellung einer Bibliothek entworfen worden zu sein. Bei ersterer Definition grenzt sich ein Archiv aufgrund seines Textinhalts von einer Bibliothek ab, bei letzterer wird das Nicht-Vorhandensein eines intentionellen Sammelns hierfür herangezogen. 3.1.1.2.3 Bibliothek Wenn die Anwendbarkeit des Begriffs Bibliothek für den altorientalischen Befund diskutiert wird, kann es sehr unterschiedlich sein, welche Tafelsammlun-

 Lange (2012).  Veenhof (1986a) 9–11.  Vgl. für weitere Angaben Charpin (2010a) 101f.

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gen als Bibliothek oder als Archiv angesehen werden; dies hängt in der Regel davon ab, ob eine deduktive bzw. induktive Herangehensweise angewandt wird. Beim deduktiven Ausgangspunkt wird – angelehnt an unser Konzept einer Bibliothek – unter Bibliothek eine systematische Sammlung einer großen Anzahl von Texten unterschiedlicher Themengebiete des wissenschaftlich-literarischen Bereichs verstanden. So wird dann überprüft, ob dies auf eine bzw. mehrere spezifische Sammlungen von Tafeln zutrifft. Beim induktiven Ansatz hingegen wird die Erschaffung einer altorientalischen Tafelsammlung betrachtet; aufgrund dieser Untersuchung werden Kriterien definiert, die für den spezifischen Umgang mit wissenschaftlich-literarischen Texten des Alten Orients zutreffen. Bei beiden Herangehensweisen wird stets das Beispiel der bereits Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckten Bibliothek Assurbanipals herangezogen. Wo zunächst Tafelsammlungen mit mehreren tausenden Texten als repräsentativ angesehen wurden, sind bei den seit Mitte der 1980er Jahre erfolgenden holistischen Betrachtungen auch ‚kleine‘ Sammlungen mit mehreren hunderten Tafeln von Interesse. 3.1.1.2.3.1 Deduktiver Ansatz Beim deduktiven Ansatz wird meist das verwendete Konzept von Bibliothek nicht direkt ausformuliert, da der jeweilige Autor es wohl als selbsterklärend ansieht. Entweder wird Rückgriff auf die Utopie der Universalbibliothek genommen, so dass wenn überhaupt einzig die sogenannte Bibliothek Assurbanipals als Bibliothek betrachtet wird oder es wird Rückgriff auf die allgemeine Definition genommen, wobei dann das Augenmerk jeweils auf einen Aspekt, z. B. die systematische Sammlung, gelegt wird. Abhängig von den jeweils herausgearbeiteten Aspekten werden dann bestimmte Textsammlungen als Bibliotheken bzw. Archive bezeichnet. Deduktiver Ansatz mit Rückgriff auf die Utopie Universalbibliothek In dem Artikel „Did the Babylonian Temples have Libraries?“ von 1906 vergleicht Morris Jastrow Jr. Textsammlungen, die in Tempeln in Babylonien gefunden wurden, mit der Bibliothek Assurbanipals. Letztere ist für ihn die einzige aus Mesopotamien bekannte Textsammlung, die den Namen Bibliothek verdient.931 Die Größe der Sammlung mit über 20 000 Tafeln, die Vielzahl der The-

 Dieser Artikel ist eine Reaktion auf Hermann Vollrath Hilprechts Behauptung, in Nippur sei eine Tempelbibliothek entdeckt worden, die in ihren Ausmaßen vergleichbar mit der Assurbanipals sei. An Hilprechts Behauptung kritisiert Jastrow, dass er diese weder philologisch noch archäologisch untermauert, vgl. Jastrow (1906) 154–163. Als ‚Peters-Hilprecht-Kontroverse‘ wird die Debatte zwischen 1903–1910 um die Existenz einer Bibliothek in Nippur bezeichnet. Hierzu

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men, die abgedeckt werden, und die Art und Weise, in der die Texte versammelt wurden, zeigen seiner Meinung nach, dass es sich um eine Bibliothek handelt.932 Die Texte der Assurbanipal-Bibliothek stammen aus verschiedenen Orten bzw. wurden von Vorlagen aus anderen Orten abgeschrieben. Als Vergleich zieht Jastrow Tafelsammlungen aus Tello/Girsu, Abu Habba/ Sippar und Nuffar/Nippur heran. Aus Tello, dem antiken Girsu, sind nach Jastrow ca. 30 000 Tafeln aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. bekannt. Ihrem Inhalt nach sind sie größtenteils geschäftlichen Charakters, d. h. Alltagstexte (administrative Texte und Rechtsurkunden). Sie sind verschiedenen Tempelverwaltungen und ein kleiner Anteil sogar Privatpersonen zuzuordnen.933 In Abu Habba, dem antiken Sippar, sind nach Jastrow ca. 50 000 Tontafeln aus der altbabylonischen und neubabylonischen Zeit ausgegraben worden. Auch sie beinhalten größtenteils Alltagstexte sowohl offizieller als auch privater Natur. Ein Teil der Tafeln ist jedoch einer Schule zuzuweisen. Ihren Inhalt nach sind es Schreibübungen, Zeichenlisten, Syllabare, grammatische Paradigmen, mathematische sowie astronomische Texte. Neben diesen Schultexten wurden auch altbabylonische Texte literarischen Inhalts – wie Hymnen, Beschwörungen und ein Fragment der Sintflut-Geschichte – gefunden. Auch die literarischen Texte gehörten Jastrows Meinung nach zur Ausstattung der Schule. Darüber hinaus sind einige der literarischen Texte wohl Handbücher, die der Durchführung des jeweiligen Kultes dienten. So war der Tempel auch ein Depot für solche Art Texte.934 Ein ähnlicher Befund ist für Nippur festzustellen.935 Die Tafeln wissenschaftlich-literarischen Inhalts, die sich in den babylonischen Tempeln befanden, besaßen eine rein praktische Funktion zur Ausbildung von Schreibern und Priestern und zur Durchführung des jeweiligen Kultes. Des Weiteren sei kein literarisches Interesse bzw. ein Interesse am Sammeln zu vermerken. Selbst wenn der Tafelbestand literarischer Texte in den Tempeln mehrere hundert umfassen würde, rechtfertigt eine solche geringe Anzahl nicht die Bezeichnung Bibliothek.936 Anhand der vorherigen Ausführungen wurde deutlich, dass Jastrow einen deduktiven Ansatz verwendet. Die Tafelsammlung Assurbanipals bezeichnet er als einzige Bibliothek, da sie unserer Utopie einer Universalbibliothek am näch-

äußerte sich zuletzt Hilgert (2013) 137–139, wo sich Hinweise zur weiterführenden Literatur finden lassen.  Jastrow (1906) 147 f.  Jastrow (1906) 150f.  Jastrow (1906) 151–154.  Jastrow (1906) 154–164.  Jastrow (1906) 165 und 168–170.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

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sten kommt. Sie ist ausgedehnt und deckt eine Vielzahl unterschiedlicher Themen ab. Die Texte stammen aus unterschiedlichen Orten. Die Texte wurden nicht aus rein praktischen Erwägungen – für die Ausbildung bzw. Durchführung des Kultes – versammelt, sondern ein literarisches Interesse ist festzustellen. Jastrows Meinung nach sind nur literarische Texte Bestand einer Bibliothek; von solchen trennt er Schultexte (s. o.) ab. Für A. Leo Oppenheim ist die Tafelsammlung des Assurbanipals die erste systematisch gesammelte Bibliothek des Alten Orients. Sie soll repräsentativ sein für den Großteil, wenn nicht gar die ganze „scribal culture.“937 Demnach stützt sich Oppenheim auf die ‚Utopie der Universalbibliothek‘. Zudem führt er das Konzept ‚stream of tradition‘ (s. Kap. 3.1.2) ein. Die sogenannte Bibliothek ist nach Oppenheim eine Referenzbibliothek für Wahrsager und Magier, die verantwortlich für die geistige Sicherheit des Königs und anderer wichtiger Personen waren.938 Markus Hilgerts Artikel von 2013 mit der erneuten Frage nach der Existenz von ‚Tempelbibliotheken‘ ist eine Reaktion auf Jastrows Artikel von 1906. Hilgert erkennt zwar die Problematik bei der Anwendung unseres Konzepts von Bibliothek: Diese terminologische Unsicherheit ist lediglich Symptom des zugrunde liegenden epistemologischen und methodologischen Problems, die kulturelle Form ‚altorientalische Textsammlung‘ wissenschaftlich so zu erfassen, dass das historisch und gesellschaftlich Spezifische dieser kulturellen Form nicht durch heutige Bedeutungszuschreibungen an vermeintlich vergleichbare Phänomene überlagert wird.939

Er berücksichtigt jedoch nicht, dass wir aus einem archäologischen Kontext den systemischen Kontext rekonstruieren müssen und beide Kontexte keinesfalls gleichzusetzen sind. Das archäologische Datenmaterial ist zudem beeinflusst von der Grabungsdokumentation und -methodik. Für Hilgert kommen als Kandidaten für eine Bibliothek im Alten Orient nur in situ gefundene und gut dokumentierte Sammlungen von wissenschaftlich-literarischen Texten in Frage. Aus dem Fundkontext soll sich eindeutig die Systematik der Aufstellung erschließen lassen: Doch wie auch im Falle der bereits erwähnten, vermeintlichen ‚Bibliothek‘ Assurbanipals, die Layard nahezu ein halbes Jahrhundert zuvor in Ninive entdeckt hatte, war auch für die fraglichen Keilschrifttafeln aus Nippur kein archäologischer Fundzusammenhang nachzuweisen bzw. dokumentiert, der eine Klassifizierung – und mithin kulturgeschichtliche Aufwertung – des Tontafeldepots als ‚Bibliothek‘ bzw. ‚Tempelbibliothek‘ wissen-

 Oppenheim (1960) 411f. und Oppenheim (1977) 15.  Oppenheim (1960) 413, auch Oppenheim (1977) 20.  Hilgert (2013) 141.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

schaftlich hätte rechtfertigen können: Hier wie dort war die archäologisch erschlossene, umgebende Architektur zu schlecht erhalten, um die praktische Funktion des ursprünglichen Aufbewahrungsortes der Keilschriftmanuskripte eindeutig zu bestimmen oder gar den Bestand sowie die Aufstellungssystematik der Tontafelsammlung mit Gewissheit zu erschließen.940

Dies trifft nur auf die von ihm in seiner unveröffentlichten Habilitationsschrift bearbeiteten ‚Sippar-Bibliothek‘ zu. Die ‚Sippar-Bibliothek‘ liegt in einem Gebäude, das direkt an Ebabbar, den Tempel des Šamaš, angrenzt. In einem 4,40 m breiten und 2,70 m langen Raum waren in der Rückwand und in den Seitenwänden 56 Nischen eingelassen. Diese waren in 14 vertikalen Reihen angeordnet, wobei vier Nischen übereinander liegen konnten. 43 waren intakt bzw. beinahe intakt. In mindestens neun Reihen fanden sich beschriebene Tontafeln. Diese wurden auf der Längsseite in einer Nische in bis zu drei hintereinander liegenden Tafelreihen aufgestellt. Etwa 500 Tafeln waren hier untergebracht, die Bibliothek war zu 15 % ausgelastet. Wenige Alltagstexte existieren: über 96% der Texte gehören zu den bereits bekannten Traditionstexten. Schülertafeln sind darunter nicht zu finden. Keines der serialisierten Werke liegt vollständig vor. Mitunter existieren Duplikate. Thematisch besteht die ‚Bibliothek‘ aus Omensammlungen (28,2 %), lexikalischen Listen (19,4 %), Emesal-Klageliedern (11,9 %), mythisch-epischen Kompositionen (9,2%) und diversen anderen Textgruppen wie Kommentartexten (5,4 %). Datierte Kolophone machen einen Bestehungszeitraum von 635 bis 550 v. Chr. plausibel. Aus 63 Kolophonen sind 44 Individuen belegt, die verschiedenen, bereits bekannten Familien aus Sippar zuzuordnen sind. Als Berufs- bzw. Amtsbezeichnung (angegeben nach Häufigkeit des Auftretens) sind bezeugt: ṭupšarru (‚Schreiber‘), kalû (‚Klagesänger‘), bārû (‚Opferschauexperte‘) und āšipu (‚Beschwörungspriester‘). Der ṭupšarru wie auch der barû fertigten die Texte während ihrer Fachausbildung an. Die Klagesänger werden hingegen in vier Texten als „voll ausgebildet“ bezeichnet und erscheinen dort als Eigentümer bzw. Schreiber.941 Hilgert fragt sich unter der Prämisse, dass diese ‚Bibliothek‘ nicht ein Torso, sondern vollständig ist, ob es sich um eine Bibliothek oder um ein Depot handelt. Er nimmt hierbei Bezug auf die Utopie einer Universalbibliothek, d. h. in diesem Fall einer real existierenden Bibliothek mit einer systematischen Sammlung des wissenschaftlich-literarischen Textkorpus einer gesamten Epoche, die systematisch erschließbar ist. Dies ist nicht der Fall. Fernerhin gibt es teilweise minderwertige Manuskripte und auch die praktische Benutzung muss aufgrund der Aufstellung der Tafeln in Reihen hintereinander und der Lage des

 Hilgert (2013) 139.  Hilgert (2013) 142–147.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

229

Raumes ein wenig abseits vom Hauptheiligtum in Frage gestellt werden. Die kulturspezifischen Eigenarten von altorientalischen größeren Sammlungen des gelehrten Schrifttums können seiner Meinung nach nur mit Hilfe weiterer vergleichbarer in situ-Funde herausgearbeitet werden.942 Auch wenn es diese gäbe, stellt uns seine Prämisse vor ein methodisches Problem: Was ist, wenn die ‚Sippar-Bibliothek‘ doch ein Torso ist oder hier nur ausrangierte Texte gelagert wurden? Der von ihm postulierte methodologische Ansatz ist folglich nicht einmal auf das einzig in Frage kommende Beispiel anwendbar. Die größte Schwäche ist m. E., dass die Befunde der vielen, inzwischen bekannten Manuskriptsammlungen keine Rolle bei der Analyse der kulturellen Eigenarten spielen sollen. Deduktiver Ansatz mit Rückgriff auf das allgemeine Konzept Bibliothek Fritz Milkau beschreibt in dem vom Bruno Meissner 1935 aus seinem Nachlass herausgegebenen Buch „Die Geschichte der Bibliotheken im Alten Orient“ Bibliotheken des Alten Ägyptens und des Vorderen Orients. Als repräsentativ für den Vorderen Orient sieht er Kujundschik/Ninive, Abu Habba/Sippar, Nuffar/Nippur. Dêr/Sippar-Aruru, Tello/Girsu, Tell al-Uhaymir/Kiš und Boğazköy/Hattuša an. Der Umfang dieser Tafelsammlungen umfasst mehrere tausend bis mehrere zehntausend Tafeln. Milkaus Augenmerk liegt auf der Beschreibung des jeweiligen Fundkontextes der einzelnen Tafelsammlungen mit wissenschaftlich-literarischen Texten und bzw. oder Alltagstexten; der Inhalt der Texte wird nicht weiter berücksichtigt. Er untersucht die ursprüngliche Aufstellung und Lagerung der Tafeln. Für ihn stellen – im Gegensatz zu Jastrow, dessen Definition von Bibliothek er als zu eng ansieht943 – alle von ihm beschriebenen Tafelsammlungen Tempel- bzw. Staatsbibliotheken dar, wie er abschließend bemerkt: Immerhin sind wir, auch abgesehen von Kujundschik und Boghazköi, doch TontafelLagern begegnet, bei denen Umfang und sonstige äußere Kennzeichen den Zufall oder private Herkunft ausschließen und die wir, zumal es nirgends an literarischen Texten fehlt, ruhig als Tempel- oder Staatsbibliotheken ansprechen dürfen.944

Weiter meint er aufgrund des beschriebenen Fundkontextes Ansätze einer systematischen Lagerung zu erkennen. Bei der Bibliothek Assurbanipals spricht er von einer „bewusst angelegten und systematisch fortgeführten Sammlung“.945 Verschiedene Faktoren sprechen seiner Meinung nach dafür: der feine Ton der Tafeln; der spezifische Duktus; der Kolophon; Tafel- und Serienkataloge (die je   

Hilgert (2013) 147–149. Milkau (1935) 37. Milkau (1935) 57. Milkau (1935) 34.

230

3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

doch noch keine Bestandskataloge darstellen); Tonetiketten für Tafelserien; die Hinweise des Sammelns von Tafeln aus verschiedenen Gebieten durch den ersten Bibliophilen der Geschichte, Assurbanipal.946 Vergleichbares sei auch für Hattuša festzustellen: schönes Erscheinungsbild der wissenschaftlich-literarischen Tafeln; Kolophone, die Hinweise auf den Abschreibprozess liefern; vielfältiges Themenspektrum; große Anzahl an Tafeln. So würde diese Tafelsammlung auch unter Verwendung von Jastrows Definition (s. o.) die Bezeichnung Bibliothek verdienen.947 Milkau verwendet einen deduktiven Ansatz. Er geht hierbei jedoch nicht von der Utopie einer Universalbibliothek aus, sondern von der bereits oben beschriebenen allgemeinen Definition von Bibliothek. Sein Schwerpunkt liegt offenbar auf der Bibliothek als physischem Ort, der eine systematisch gelagerte Tafelsammlung (auf deren Inhalt er nicht näher eingeht), die auch Texte literarischen Inhalts aufweist, beherbergt. Dies wird umso deutlicher, als er am Schluss von einer „primären Lagerung“, d. h. der Aufstellung/Lagerung von Tafeln, und einer „antik-sekundären Lagerung“, d. h. Aufbewahrung von nicht mehr gebrauchten Texten, bspw. in Nestern unter dem Straßenpflaster, spricht und bedauert, dass die Fundstellen von Tafeln oft nicht genau aufgenommen worden sind.948 Demgemäß könnte man wohl in Anlehnung an Charpin auch von ‚lebendigen‘ und ‚toten‘ Bibliotheken sprechen. Der Umfang der jeweiligen Sammlung scheint auch bei Milkau eine Rolle zu spielen, obwohl er gleichwohl betont, dass „nicht jeder Tafelfund, auch der umfangreichere nicht, ohne weiteres als Rest einer systematisch zusammengebrachten Sammlung zu deuten ist.“949 Milkaus Beitrag wurde von Josef Schawe überarbeitet und erschien 1955. Einige Fundorte wurden hinzugefügt (Warka/Uruk, Tell el-Muqejjir/Ur, Fara/ Šuruppak, Djemdet Nasr, Tel Hariri/Mari, Kültepe/Kaniš); die Fundorte wurden chronologisch und regional geordnet. Ansonsten übernimmt er vielfach Milkaus Beitrag wortgenau. Zu Beginn kommt Schawe auf die Definition von Archiv und Bibliothek zu sprechen. Er bemängelt die bei den Orientalisten vorhandenen Bedenken beim Gebrauch des Begriffs Bibliothek. Im Allgemeinen gäbe es diese Zögerlichkeit nicht – es würden auch mittelalterliche Klosterbibliotheken aufgrund einer Handvoll sakraler Bücher als Bibliotheken bezeichnet. Allerdings sei im Alten Orient die Grenze zwischen Archiv und Bibliothek keineswegs klar umrissen; dafür spreche auch die einheitlich für beide Textgruppen verwendete Tontafel bzw. in Ägypten das Papyrus als Schriftträger. Er stellt in Frage, ob die „alten  Milkau (1935) 32–35.  Milkau (1935) 54–56.  Milkau (1935) 56 f. Die antik-sekundäre Lagerung vergleicht er jedoch mit der jüdischen Geniza, vgl. ebd.  Milkau (1935) 56.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

231

Orientalen“ bewusst zwischen Archiv und Bibliothek unterschieden haben (ähnlich auch Wendel s. u.). Daher werden beide Phänomene zusammen behandelt. Die womöglich nicht-existente Unterscheidung von Bibliothek und Archiv sowie die „embryonalen Formen der Bibliotheken“ im Alten Orient verglichen mit „modernen Großbibliotheken“ zeigen nach Schawe unsere geistige Überlegenheit.950 1949 erschien das Buch „Die griechisch-römische Buchbeschreibung verglichen mit der des Vorderen Orients“ von Carl Wendel. Carl Wendel vertritt die These, dass der alte Orient Urkunde und Literaturwerk, Archiv und Bibliothek überhaupt nicht grundsätzlich unterschied. Jede Tafelsammlung ging von archivalischen Beständen aus und vergrößerte sich unter Umständen durch das Hinzutreten literarischer Stücke. Die übereinstimmende Behandlung beider Arten von Tafeln beschränkte sich infolgedessen auch nicht auf die Buchbeschreibung, sondern umfasste ebenso die Formen der Ordnung und Aufbewahrung. Dieselben Tonschildchen, die wir in Ninive und Hattuscha angetroffen haben, begegnen uns schon in den Archiven von Ur und Mari als Etiketten der zur Aufbewahrung zusammengehöriger dienenden Behältnisse.951

Wendel scheint eine vorgefasste, ‚abwertende‘ Meinung zur wissenschaftlichliterarischen Qualität der Keilschriftkultur zu vertreten. Er verwendet einen deduktiven Ansatz. Eine Bibliothek ist für ihn eine systematische Sammlung von einzig und allein wissenschaftlich-literarischen Texten, die sich in ihrer Behandlung eindeutig von Alltagstexten unterscheiden. Für ihn besteht im Alten Orient kein Unterschied in der Behandlung der verschiedenen Texte, obwohl er mit seiner Auflistung und Beschreibung der verschiedenen Kolophone genau für das Gegenteil Beweise liefert. Mit der Buchbeschreibung ist bei Wendel der Kolophon gemeint, welcher sich am Ende eines wissenschaftlich-literarischen Textes befinden kann. Der Kolophon beinhaltet Informationen über die Tafel wie bspw. den Abschreibprozess, die Personen, z. B. den Besitzer und den Schreiber der Tafel, und die Serie, wovon die Tafel ein Teil ist. In seinem Buch führt Wendel zunächst die Angaben, die die Kolophone der Texte der Bibliothek Assurbanipals beinhalten, an. Darüber hinaus nennt er Verzeichnisse, die einzelne wissenschaftlich-literarische Tafeln auflisten und Verzeichnisse, die die Serien auflisten, sowie Tonetiketten. Anschließend beschreibt er die aus verschiedenen altorientalischen Orten stammenden Tafelkolophone, Verzeichnisse und Tonetiketten. Kolophone, Verzeichnisse und Tonetiketten waren für Milkau (s. o.) unter anderem Gründe, um für eine systematische Sammlung, eine Bibliothek, zu plädieren.

 Milkau/Schawe (1955) 3f.  Wendel (1949) 12.

232

3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

Der Kolophon von wissenschaftlich-literarischen Texten wird von Wendel mit der Datumsangabe, dem Schreibervermerk und den Zeugenangaben verglichen. Da die Kolophone einiger wissenschaftlich-literarischer altbabylonischer Texte ein Datum aufweisen, geht Wendel davon aus, dass die Kolophone ihren Ursprung in Rechtsurkunden hatten und folglich wissenschaftlich-literarische Texte mit Rechtsurkunden gleichzusetzen seien.952 Jedoch ist das Datum im Kolophon im Gegensatz zu den Rechtsurkunden nicht genau (oft nur Tag und Monat) angegeben und teilweise fehlt das Datum ganz.953 Alltagstexte wurden nicht in Serien zusammengefasst und nicht weiter tradiert. Wissenschaftlichliterarische Texte weisen ein charakteristisches Aussehen auf, das sich von dem der Alltagstexte unterscheidet. Ein weiteres Problem sieht Wendel in der gemeinsamen Aufbewahrung mit Alltagstexten (s. o.). Pedersén stellte dies 1998 für 49 % der 55 von ihm identifizierten Bibliotheken des Zeitraums 1500–300 fest. Jedoch sind in einigen Fällen Hinweise vorhanden, dass es eine getrennte Aufbewahrung beider Textgruppen gab.954 Wendel erkennt keine intentionelle Sammeltätigkeit, sondern nur eine Anhäufung von Texten über einen gewissen Zeitraum hinweg. Einige Tafelsammlungen könnten nach seinen Kriterien als Archive bezeichnet werden. Ob dies jedoch auch auf die Bibliothek Assurbanipals zutrifft, ist zu bezweifeln, da Hinweise auf ein intentionelles Sammeln (s. Kap. 3.2.1.3) existieren. Überdies ist anzuführen, dass jede Sammlung eine Anhäufung von Objekten über eine bestimmte Zeit hinweg ist und unsere modernen Archive auch systematisch durch Kataloge zugänglich gemacht werden, ohne dass wir sie als Bibliotheken oder umgekehrt die Bibliotheken als Archive bezeichnen würden. Olof Pedersén führte 1998 als weiteres Unterscheidungskriterium die Anzahl der Kopien ein: The term ‚archive‘ here, as in some other studies, refers to a collection of texts, each text documenting a message or statement, for example, letters, legal, economic, and administrative documents. In an archive there is usually just one copy of each text, although occasionally a few copies of a text may exist. ‚Library‘ on the other hand denotes a collection of texts normally with multiple copies for use in different places at different times, and includes, e.g., literary, historical, religious, and scientific texts. In other words libraries, may be said to consist of the texts of tradition.955

In einer Bibliothek sollen mehrere Exemplare eines Textes vorkommen. Pedersén fügt den Nachsatz hinzu: „for use in different places at different times“, um dann    

Wendel (1949) 12. So Hunger (1968) 16 Fn. 2. Pedersén (1998) 279f. Pedersén (1998) 3.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

233

die Texte der Tradition zu nennen. Dem Folgend könnte man die zum ‚stream of tradition ‘ zugehörigen Texte derart definieren: Sie besitzen in der Regel mehrere Textvertreter aus unterschiedlichen Orten und Zeiten, wie es z. B. bei literarischen, historischen, religiösen und wissenschaftlichen Texten der Fall sein kann. Nicht die Anzahl der Exemplare pro Bibliothek, sondern der Inhalt der Texte ist im Folgenden für Pedersén von Bedeutung, so dass sich die Frage stellt, ob er nicht nur einfach beide Textgruppen – jene des ‚stream of tradition‘ und jene, die nicht zu diesem gehören – voneinander scheiden wollte. 3.1.1.2.3.2 Induktiver Ansatz Mogens Weitemeyer verfolgt einen induktiven Ansatz bei der Frage, ob es im Alten Orient Bibliotheken gegeben hätte. Zu Beginn seines 1956 veröffentlichten Artikels führt er zwar an, dass ein Archiv Alltagstexte und eine Bibliothek wissenschaftlich-literarische Texte, die zur Nutzung einer bestimmten Gruppe versammelt wurden, beinhalten, um jedoch alsbald hinzuzufügen, dass zu untersuchen ist, ob überhaupt eine Unterscheidung von Bibliothek und Archiv gemacht wurde. Als jeweiliges Hauptbeispiel wählt er aufgrund der dort angetroffenen Fülle von Tafeln Tello/Girsu für die Archive und Kujundschik/Ninive für die Bibliotheken.956 Drei Punkte sprechen seiner Meinung nach für die Existenz einer Bibliothek: 1.) Kolophone, 2.) Serialisierung und 3.) Kataloge. Wie bereits oben bei Besprechung der Aussagen Wendels angedeutet, kann der Kolophon folgende Informationen (bzw. Teile davon) enthalten: den Titel des Textes (d. h. seine Anfangszeile); falls der Text zu einer Serie gehört, die erste Zeile des darauffolgenden Textes, die Fangzeile; Tafelnummer und Titel der Serie; Abschreibvermerke (z. B. dass der Text von einer Vorlage abgeschrieben und kollationiert wurde); Schreiber; Eigentümer; Hinweise zum Umgang mit der Tafel (z. B. dass sie im Palast aufgestellt werden soll). „Thus, the colophon gives us indirect information about the technique and arrangement of the libraries.“957 Die Vorderseite der großen Tafel (die Bibliothekstafel) ist relativ flach, die Rückseite gewölbt. Die Anbringung des Kolophons am Ende der Kolumne auf der Rückseite könnte nach Weitemeyer ein Hinweis auf die Lagerung sein. Fünf, sechs Tafeln konnten mit der Vorderseite nach unten aufeinandergelegt worden sein; so ist der Kolophon leicht zugänglich. Im Falle der Tafelsammlung von Hattuša/Boğazköy nimmt er an, dass diejenigen Tafeln mit einer einheitlichen Größe (s. Kap. 1.2.2) auf der rechten (meist unbeschriebenen) Längsseite stehend aufbe-

 Weitemeyer (1956) 218f.  Weitemeyer (1956) 226, vgl. auch 227–230. Das Standardwerk zu Kolophonen ist Hunger (1968). Er stützt sich u. a. auf Wendel (1949).

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

wahrt wurden. Folglich wäre der Kolophon aufgrund der stark gewölbten Rückseite für den ‚Bibliothekar‘ sichtbar.958 Anzumerken ist, dass Kolophone nicht bei allen wissenschaftlich-literarischen Texten vorkommen und es bisher noch nicht klar ist, warum sie teilweise fehlen. Die Bibliothekstafeln aus Hattuša scheinen stärker gewölbt zu sein als wissenschaftlich-literarische Texte des 1. Jahrtausends v. Chr. Als nächstes Argument führt Weitemeyer die Serialisierung an, die größtenteils Ende des 2. Jahrtausends erfolgte (s. Kap. 3.1.2). Dies bedeutet für Weitemeyer: As regards mathematical and astrological texts, texts of omen, sign lists, etc., the motive for making series must have been a desire to collect all literature on the same subject into one comprehensive work. Some series included 20, 30, 40, even more than 100 tablets. In many cases we may imagine that the tablets were written or copied in the library, or for the explicit purpose of being placed in the library. In fact the formation of series reflects the desire of both the scribe and the user (librarian) to gather in one place all literature on one and the same subject.959

Eine Systematisierung des Wissens erfolgte durch die Serialisierung und in der Bibliothek Assurbanipals lagen wohl auch Serien vollständig vor. Diese Vollständigkeit ist bei kleineren Tafelsammlungen oft nicht der Fall. Als dritten Punkt nennt Weitemeyer die Kataloge. Einerseits gibt es für ihn Bestandskataloge, die Aufschluss über das Arrangement der Tafeln in den Bibliotheken geben sollen, andererseits Kataloge zu bestimmten Themen.960 Unabhängig davon, ob wir Weitemeyers Argumentation zum Arrangement der Tafeln folgen, zeigen seine Ausführungen, dass es einen spezifischen Umgang mit wissenschaftlich-literarischen Texten gab, der auf eine Systematisierung des Wissens verweist. Charpin betrachtet in seinem 1986 erschienen Buch „Le Clergé d’Ur au siècle d’Hammurabi“ Tafelsammlungen sowohl von archäologischer als auch von philologischer Seite; er führt eine Assemblageanalyse durch. Insbesondere untersucht er die Tafelsammlung der Familie des Priesters Ku-Ningal, die aus dem ‚Haus n° 7 Quiet Street‘ in Ur stammt. Sie beinhaltet sowohl Alltagstexte als auch Texte literarischen Inhalts.961 Verschiedene Texte deutet Charpin als Schülertafeln, und zwar Kopien von lexikalischen und grammatischen Texten, von historischen Inschriften sowie mathematische und Katastertexte. Einige Texte sind Kopien traditioneller sumerischer Literatur, die auch aus Nippur bekannt sind. Hierbei könnte es sich jedoch um Texte fortgeschrittener Schüler bzw. Lehrmate   

Weitemeyer (1956) 226f. Weitemeyer (1956) 227. Weitemeyer (1956) 231f. Charpin (1986) 27–91.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

235

rial handeln. Daneben gibt es auch ansonsten unbekannte sumerische literarische Texte sowie einen akkadischen, welche für eine literarische Produktion sprechen sollen.962 Das Vorhandensein von Texten, die auf Unterricht hinweisen, und anderen literarischen Texten, die von einer literarischen Produktion zeugen oder womöglich der Durchführung des Kultes dienen, wurden auch von Jastrow (s. Kap. 3.1.1.2.3.1.) für seine sogenannten Tempelschulen angeführt. Folglich scheint dies eine typische altorientalische Form der Manuskriptsammlung zu sein. Bei der Frage, ob es sich bei der Tafelsammlung aus Ur um eine Bibliothek handeln könne, führt Charpin an, dass eine Bibliothek im strikten Sinne eine „collection d’ouvrages classés“ sei, bezieht sich dann jedoch auf die Definition Weitemeyers. Er bemerkt aber, dass kein Katalog gefunden wurde, Kolophone selten sind und wenn vorhanden, seien in diesen wenig mehr als die Anzahl der Zeilen angegeben.963 Deswegen plädiert er dafür, nicht von Bibliotheken, sondern von „fonds de manuscrits“ zu sprechen: […] le concept le plus adéquat doit être emprunté aux médiévistes, qui parlent en pareil cas de « fonds de manuscrits ». Ainsi, G. Ouy considère que la définition du fonds de manuscrits est « très voisine de celle du fonds d’archives : un fonds de manuscrits est l’ensemble des livre ou documents manuscrits intéressant l’histoire intellectuelle – entendue au sens le plus large – de la collectivité, de la famille ou de l’individu qui les a copiés, fait copier, reçus en hommage ou réunis ». Et d’ajouter : « … la différence la plus importante qui oppose fonds de manuscrits et fonds d’archives (…) est liée au caractère propre du livre manuscrit. D’une manière générale, le document d’archives a d’abord de la valeur et de l’intérêt en fonction de l’ensemble auquel il appartient. Isolée du chartrier, une charte, souvent ne représente plus grand-chose. En revanche, le manuscrit, soit par sa décoration, soit par le texte qu’il transmet, soit pour les deux à la fois, offre d’ordinaire un intérêt et une valeur intrinsèques, indépendamment de l’ensemble auquel il se rattache ».964

Manuskriptsammlungen (‚fonds de manuscrits‘) unterscheiden sich von Archiven (‚fonds d’archives‘) demnach nicht aufgrund der Art der Sammeltätigkeit, sondern einzig aufgrund der Art der dort vorhandenen Texte. Die Alltagstexte, auch archivalische Texte genannt, sind Bestandteil der Archive. Manuskriptsammlungen bestehen aus Manuskripten, d. h. Texten, die sich mit der intellektuellen Geschichte beschäftigen. Folglich werden sie häufig über lange Zeit hinweg tradiert und sind oft wissenschaftlich-literarischen Inhalts. Dass für ihn der Begriff Manuskriptsammlung zutreffender sei als Bibliothek, hebt Charpin nochmals 2010 in seinem Buch „Reading and Writing in Babylonia“

 Charpin (1986) 419–434.  Charpin (1986) 428.  Charpin (1986) 430f.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

hervor.965 Es wird zwischen Palastbibliotheken, Manuskriptsammlungen aus den Häusern von Gelehrten und Tempelbibliotheken geschieden.966 Charpin betont, dass der Begriff Manuskriptsammlung auch auf die Bibliothek Assurbanipals zutreffe, die wie beinahe alle ‚Privatbibliotheken‘ sowohl Alltagstexte als auch wissenschaftlich-literarische Texte besitzt.967 ‚Privatbibliotheken‘ werden in diejenigen der altbabylonischen Zeit, einziges bekanntes Beispiel hierfür ist Meturan/Tell Hadad, der zweiten Hälfte des zweiten Jahrtausend und des 1. Jahrtausends unterteilt. Letztere bestehen überwiegend aus Texten, die ihre Besitzer im Verlauf ihrer Fachausbildung kopiert haben.968 Jene Manuskriptsammlungen, die teilweise als Tempelbibliotheken der altbabylonischen Zeit interpretiert wurden, sind vielmehr Schülertafeln, die aus den Häusern der Priester stammen. Die literarischen Texte waren in jener Zeit noch mündlich, so dass diese Texte keine Abschriften von Manuskripten darstellen, sondern damals zum ersten Mal niedergeschrieben wurden.969 Ausführlicher auf Tafelsammlungen in Tempeln geht Charpin in seinem 2017 erschienen Buch „La vie méconnu des temples méspotamiens“ ein. Hier wird zwischen Schule, Bibliothek und Archiv geschieden, wobei die Verwendung des Begriffs Bibliothek nicht mehr in Frage gestellt wird.970 Bei der Behandlung der Schulen wird sich auf schriftliche Quellen bezogen; der archäologische Befund hierzu ist spärlich. Schulen der Ur III-Zeit und der ersten Hälfte der altbabylonischen Zeit sollen sich in Tempeln der Nisaba, der Göttin der Schreibkunst befunden haben. Im Verlauf des 2. Jahrtausend übernahm Nabû die Rolle von Nisaba und ihres Gatten Ḫaja, dem Gott der Siegelkunst. Im 1. Jahrtausend fand Schulunterricht im Tempel des Nabû oder in dessen unmittelbaren Umgebung statt. Ein Indiz hierfür ist der archäologische Befund im Nabû ša ḫarê-Tempel in Babylon.971 Dort wurden mehr als 1500 Schülertafeln, die z. T. Nabû gewidmet sind, in antiksekundärer Lagerung zwischen zwei Fußböden als Füllung in der Nordost-Ecke des Tempels gefunden.972 Nabû-Tempel wie der Nabû-Tempel in Kalhu/Nimrud, derjenige in Ninive sowie der Nabû ša ḫarê-Tempel in Babylon dienten zudem als

 Charpin (2010a) 201.  Charpin (2010a) 178f. sowie 186–211.  Charpin (2010a) 201.  Charpin (2010a) 201–204. Für die Referenzbibliothek in Meturan/Tell Hadad vgl. Cavigneaux (1999b).  Charpin (2010a) 204f., siehe auch ebd. 25–33.  Charpin (2017) 107–134. Die Funktion mesopotamischer Tempel war auch Thema eines Artikels, Charpin (2011).  Charpin (2017) 110–118. Ähnlich bereits Charpin (2010a) 32f. und 205f.  Pedersén (1999) 316. Vgl. weiter Cavigneaux (1981) und (1999a). Cavigneaux (1999a) 391 spricht gar von mindestens 2000 Tafeln. S. für die Deutung der Kolophone auf Schülertafeln auch Gesche (2001) 153–161.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

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Bibliotheken. Auch andere Tempelbibliotheken wie der Šamaš-Tempel in Sippar (s. Kap. 3.1.1.2.3.1) sind bekannt. Die Tempel der Götter der Schreibkunst konnten darüber hinaus als königliche Archive fungieren.973 Stefan Maul sieht in einem Artikel von 2011 die Tontafelsammlung aus dem ‚Haus des Beschwörungspriesters‘ in Assur, die beinahe ausschließlich ins 7. Jahrhundert datiert, als repräsentativ für altorientalische Keilschriftbibliotheken an.974 Kurz angemerkt sei, um Bezug auf Weitemeyers Definition zu nehmen, dass Kataloge, Kolophone und serialisierte Texte in dieser Tontafelsammlung existieren. Teilweise setzt Maul in seinem Artikel das Wort Bibliothek in Anführungsstriche. Dies ist vermutlich als Abgrenzung zur Bibliothek Assurbanipals zu sehen, die für ihn das erste und einzige Beispiel einer ‚Universalbibliothek‘ im Alten Orient darstellt.975 Die Tontafelsammlung besteht einerseits aus Alltagstexten, andererseits überwiegend aus wissenschaftlich-literarischen Texten. Sie ist aufgrund der Kolophone (die ca. ein Viertel der wissenschaftlich-literarischen Texte besitzen) und den Angaben in den Alltagstexten einer Familie von Beschwörungspriestern (MAŠ.MAŠ) zuzuordnen, die im Dienste des Assur-Tempels stand. Vier Generationen sind belegt; die meisten Texte stammen aus den beiden letzten Generationen, und zwar von Kiṣir-Aššūr und Kiṣir-Nabû. Der Inhalt der Manuskripte deckt etwa 2/3 der bekannten wissenschaftlich-literarischen Texte ab. Der Schriftduktus ist typisch für das 7. Jahrhundert, nur wenige Ausnahmen weisen einen frühneuassyrischen Duktus bzw. einen mittelassyrischen auf. Einige wissenschaftlichliterarische Texte wie die Topografie Assurs sind gar in mehreren Exemplaren vorhanden. Etwa 300 Tontafel(-fragmente) sind medizinischen Rezepturen gewidmet. Im Haus des Beschwörungspriesters fand Unterricht statt; dies belegen nicht signierte Schülertafeln und andere äußerst ungelenk geschriebene, fehlerhafte Texte mit Ritualbeschreibungen und Gebeten ohne Kolophone. Zahlreiche Kolophone weiterer Texte zeigen, dass sich der jeweilige Schreiber zur Zeit der Abfassung in

 Charpin (2017) 118–134. Für Tempelbibliotheken s. bereits Charpin (2010a) 206–209.  Maul (2011) 13. In seinem Forschungsvorhaben widmet sich Maul der Rekonstruktion dieser Tontafelsammlung. Sie wurde 1908 entdeckt. Beim Untergang Assurs 614 v. Chr. wurde wahrscheinlich auch das Privathaus zerstört. Die Tafeln befanden sich zerbrochen in „Nestern“ auf dem Fußboden des Hauses. Teilweise ist die Zuordnung zu Fundstellen von Tafeln aus Assur erschwert, da keine Angaben dazu gemacht wurden bzw. diese in den Wirren des 1. Weltkrieges verloren gingen. Heute befinden sich die Tafeln in den Staatlichen Museen von Istanbul, im Vorderasiatischen Museum zu Berlin und im Irak Museum, Bagdad, vgl. Maul (2011) 13–18. Der Artikel von 2011 hat übrigens den gleichen Inhalt wie ein Artikel Mauls von 2010, Maul (2010b).  Maul (2011) 4.

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einer fortgeschrittenen Phase seiner Ausbildung befand.976 Andere Texte wurden für die Ausübung der alltäglichen Aufgaben geschrieben, teilweise vom „Meister“ selber: Schaut man darauf, welche Manuskripte mit der Bemerkung versehen sind, dass diese ‚eilig für die Vorbereitung (einer Behandlung) kopiert‘ wurden, so zeigt sich, dass es sich dabei neben Therapiebeschreibungen in erster Linie um Kompendien handelt, in denen Rezepte zur Herstellung von Medikamenten zusammengestellt sind. Kein einziges dieser Manuskripte wurde von einem ‚jungen Assistenten‘, einem ‚Assistenten‘, oder einem ‚assistierenden jungen Beschwörer‘ geschrieben. Wohl nicht allein, weil es nicht diesen, sondern ihren Meistern oblag, Heilbehandlungen zu planen oder verantwortlich durchzuführen, sondern auch, weil Schreibfehler in einem Rezept, in dem nicht selten zahlreiche Drogen zur Herstellung eines Medikaments namentlich genannt sind, durchaus fatale Folgen für einen Patienten haben könnte.977

Das Bild, das Maul zeichnet, deckt sich mit dem von Jastrow und Charpin. In gewisser Weise erinnert der Wissenschaftsbetrieb im Haus des Beschwörungspriesters an einen Handwerksbetrieb mit Lehrlingen, Gesellen und Meistern. Dies deckt sich auch mit dem Gebrauch des Begriffs ummânu, was so viel wie ‚Experte‘ bedeutet und je nach Kontext mit ‚Handwerker‘ oder ‚Gelehrter‘ übersetzt wird.978 Aufgrund der Analyse der vorhandenen Kolophone ist es darüber hinaus möglich, Genaueres über die Sammeltätigkeit zu sagen. Die Sammeltätigkeit ist als Abschreibtätigkeit anzusehen. Die Vorlagen der abgeschriebenen Texte stammen aus Babylonien und im Falle Assyriens aus Ninive und Assur. Manchmal wird auch der Name des Schreibers oder Besitzers des Originals genannt, oder es wird erwähnt, dass die Vorlage von einem ummânu stammt. Einige Tafeln scheinen auch von Personen zu sein, die nicht zur Familie des Beschwörungspriesters gehörten.979 Maul vermutet – auch aufgrund der zahlreichen, eilig abgeschriebenen Texte – eine für die Beschwörer zugängliche medizinische Fachbibliothek im Gula-Tempel.980 Dies alles zeigt, dass zumindest im 1. Jahrtausend Gelehrte regen Austausch untereinander führten, Texte womög-

 Vgl. Maul (2011) passim; vgl. auch Pedersén (1986) 41–76.  Maul (2011) 40.  Vgl. CAD U and W 102–115. Als zweite Bedeutung wird ‚Finanzier‘ angegeben.  In den Kolophonen wird Akkad (teilweise mit der Spezifizierung Uruk), Babylon, Borsippa, möglicherweise Nippur im Süden und Assur und Ninive im Norden genannt. Teilweise wird auch der genaue Ort der Vorlage angegeben, und zwar der Palast von Hammurabi (Babylon), der Palast von Asarhaddon (Ninive) und oft der Gula-Tempel in Assur. Manchmal ist auch der Schreiber und Besitzer des Originals vermerkt, vgl. Pedersén (1986) 47 f.  In einem Kolophon, der auf mehreren Tafeln belegt ist, wird als Vorlage eine wachsbeschichtete Holztafel aus dem Gula-Tempel erwähnt, vgl. Hunger (1968) Nr. 199.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

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lich verliehen worden sind bzw. Gelehrte reisten. Die sogenannte Privatbibliothek war ein Ort der Wissensproduktion und -reproduktion.981 Philippe Clancier untersucht die Bibliotheken der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr., d. h. die Tafelsammlungen aus Uruk und Babylon. Die von Clancier betrachteten Sammlungen aus Uruk stammen aus regulären Grabungen und diejenigen aus Babylon aus dem Kunsthandel.982 Bei der Frage, ob es sich um Bibliotheken handelt, stützt er sich auf die Definition Weitemeyers zur Bibliothek. Zwar gäbe es keine Kataloge für die babylonischen Texte, jedoch seien Kolophone und Serien vorhanden. Drei Arten von Bibliotheken seien zu unterscheiden: 1.) Privatbibliotheken, 2.) Tempelbibliotheken und 3.) Palastbibliotheken. Letztere seien für das 1. Jahrtausend bisher nur aus Assyrien bekannt. In Babylonien sei deren Funktion hingegen von den großen Tempelbibliotheken ausgefüllt worden.983 Als Beispiel für Privatbibliotheken führt er zwei Manuskriptsammlungen an, und zwar die des āšipu (‚Beschwörungspriester‘) Anu-ikṣur (Familie ŠanguNinurta) und die des āšipu Iqiša (Familie Ekur-zakir) aus einem Privathaus in Uruk, die (mit einer Unterbrechung chronologisch aufeinander folgend) von der Mitte des 5. Jahrhunderts bis zum Ende des 3. Jahrhunderts datieren und etwa 500 Tafeln und Tafelfragmente umfassen.984 Für Clancier ist die Hauptfunktion dieser beiden Bibliotheken die Ausbildung; kein Interesse am Sammeln sei festzustellen. Über ein Viertel der Texte sind Tafeln von Schülern, die die Ausbildungsschritte bis hin zum āšipu dokumentieren, bzw. Schultexte für den Unterricht. Die übrigen Tafeln sind überwiegend Texte, teilweise Auszüge, die der Ausübung

 Vgl. auch Maul (2011) passim für weitere Argumente hierfür.  Clancier (2009) 107f.  Clancier (2009) 17 und 319.  Clancier (2009) 47–73. Neben den wissenschaftlich-literarischen Texten, die von Clancier (ebd. 81) mit 419 angegeben werden, können womöglich der Manuskriptsammlung des Anuikṣur noch 30–40 Alltagstexte zugerechnet werden, vgl. Pedersén (1998) 212. Sieben Verträge wurden zusammen mit der Manuskriptsammlung des Iqiša gefunden, Jursa (2005a) 147. Soweit zuordenbar gehören ca. 2/3 der wissenschaftlich-literarischen Texte zum Schriftgut āšipūtu ‚Beschwörungskunst‘, 1/3 zur Wahrsagekunst und der Rest soll der Lehre bzw. Ausbildung (d. h. wahrscheinlich Handbücher und Schülerübungen) zuzurechnen sein. Keine Serie liegt vollständig vor. Einige Texte sind nur in Auszügen belegt und die wichtige Serie Sakikkû (SA.GIG) ist nur in Form von Kommentaren vorhanden, Clancier (2009) 81–85. Das Fehlen von wichtigen Werken der Beschwörungskunst wurde übrigens auch von Maul für die Bibliothek aus dem Haus des Beschwörungspriesters bemerkt. Maul (2011) 34 f.

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des ‚Berufs‘ dienten.985 Insgesamt scheint auch hier – wie schon für das ‚Haus des Beschwörungspriesters‘ festgestellt – eine enge Verbindung zum Tempel vorhanden zu sein. Ausbildung und Ausübung des ‚Berufs‘ gehen Hand in Hand. Die Bibliothek des ‚Hauses des Beschwörungspriesters‘ sieht Clancier jedoch als eine zweite Art von Privatbibliothek an, nämlich als ‚Gelehrtenbibliothek‘.986 Clancier geht davon aus, dass Bibliotheken in Tempeln existierten, die als Referenz für die Gelehrten dienten. Er unterscheidet eine ‚Zentralbibliothek‘ und eine ‚Arbeitsbibliothek‘.987 Aus regulären Grabungen sind solche Sammlungen kaum bekannt,988 allerdings verweisen Kolophone darauf, dass die Tafeln in Tempeln aufgestellt sein konnten, und zwar im Bīt Rēš in Uruk, im Eanna in Uruk, im Esagil in Babylon und im Ezida in Borsippa.989 Einerseits können diese Bibliotheken sehr umfassende Sammlungen sein. Im 19. Jahrhundert wurde eine große Anzahl aus Babylon stammender Texte vom British Museum aufgekauft, die womöglich einer solchen Bibliothek, und zwar dem Esagil, dem Tempel des Marduk, zuzurechnen sind.990 Andererseits waren wohl kleinere Fachbibliotheken vorhanden. Aus dem Bīt Rēš in Uruk stammen aus regulären Grabungen 112 Tafeln. Dem Inhalt nach zu schließen, war dies eine Spezialbibliothek für die Berufsgruppe kalû. Schultexte sind kaum vorhanden. Zwar lassen sich alle belegten  Vgl. Clancier (2009) 90–97. Clancier zieht hierfür die Untersuchung Charpins (s. o.) zu altbabylonischen Manuskriptsammlungen aus Ur und einer weiteren altbabylonischen aus Nippur, die von Eleanor Robson analysiert wurde, heran, vgl. Charpin (1986) und Robson (2001). Die dort befindlichen Texte wurden als Schülertafeln interpretiert. Dem anschließend sieht Clancier die Hauptfunktion ‚seiner‘ Bibliotheken auch im Unterricht; kein Interesse am Sammeln sei vorhanden, Clancier (2009) 95–97. Meiner Meinung nach ist dieser Vergleich methodologisch problematisch, da zwischen den beiden Situationen ein Zeitunterschied von etwa 1500 Jahren besteht und, wie oben bei Charpin angedeutet, ein großer Unterschied im Umgang mit wissenschaftlich-literarischen Texten in altbabylonischer Zeit im Vergleich zu derjenigen im 1. Jahrtausend vorherrscht. Ungeachtet seiner Deutung des Befundes gibt Clancier Hinweise darauf, dass das Bild wohl ein wenig differenzierter war: 1.) Elementarübungen sind selten belegt, Clancier (2009) 92 Fn. 363; 2.) Zwei Tafeln aus Nippur wurden kopiert, Clancier (2009) 95; 3.) Schreiber konnten sich in einem fortgeschrittenen Stadium der Ausbildung befinden, Clancier (2009) 92; 4.) Einige Tafeln sollen gebrannt sein und sind von ‚professionellem Niveau‘ Clancier (2009) 94; 5.) Kommentartexte und die mathematischen Texte spiegeln die persönlichen Interessen der Gelehrten bzw. der Besitzer der Texte wider, Clancier (2009) 96.  Clancier (2009) 319.  Clancier (2009) 319–324.  Charpin (2010a) 204–210.  Vgl. die Angaben zu den einzelnen Kolophonen bei Clancier (2009) 263. Zudem kommt in den Kolophonen der Ausdruck ‚Eigentum (makkūr) + ein Tempelname‘ vor, der beispielsweise die Vorlage näher bezeichnet, vgl. Hunger (1968) 167 unter makkūru. Auch dies verweist auf Tafeln in Tempeln.  Clancier (2009) 105–213.

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Personen der Familie der Nachfahren des Sîn-lēqi-uninni zuordnen, aber zu bedenken ist, dass alle bekannten Personen dieser Berufsgruppe dieser Familie angehören.991 Clancier meint darüber hinaus, dass Bibliotheken Orte sind, wo die Texte konserviert wurden, indem man sie ständig abschrieb. Die jeweiligen, sich in der Bibliothek befindlichen Vorlagen wären danach weggeworfen worden. Nicht das Original zähle, sondern die Qualität der Kopie. Wenn man eine Bibliothek findet, fände man den jüngsten Zustand der Texte, alle älteren wären verschwunden.992 Aus dem archäologischen Kontext ist bisher kein solcher Befund bekannt. Selbst wenn dies teilweise zuträfe, ist zu bedenken, dass auch heutzutage in Bibliotheken z. B. Lehrmaterial kontinuierlich aktualisiert und älteres Material ausgesondert wird. 3.1.1.2.3.3 Gemischter Ansatz Ein Kapitel Eva Cancik-Kirschbaums und Jochem Kahls Buch „Erste Philologen“ beschäftigt sich mit ägyptischen und mesopotamischen Sammlungen wissenschaftlich-literarischer Texte. Zunächst wird sich auf Weitemeyers Definition von Bibliothek bezogen. Dann wird der von Charpin eingeführte Begriff ‚fonds de manuscrits‘ erwähnt (vgl. Kap. 3.1.1.2.3.2). Sie verstehen darunter die aus Fundkomplexen bekannte, gemeinsame Aufbewahrung von wissenschaftlich-literarischen Texten und Alltagstexten. Cancik-Kirschbaum und Kahl konzentrieren sich auf Sammlungen überwiegend wissenschaftlich-literarischen Inhalts, deren Texte häufig Teil des ‚stream of tradition‘ (vgl. Kap. 3.1.2) waren. Sie sprechen sich gegen die Anwendbarkeit des modernen Begriffs Bibliothek auf den ägyptischen und mesopotamischen Befund aus. Ein Grund hierfür ist die Funktion der Kollektionen, die sie nicht in der öffentlichen Zugänglichkeit, sondern der Bewahrung von Wissen, welches als identitätsstiftend für eine soziale Gruppe gilt, sehen.993 Ägyptische und mesopotamische Sammlungen werden getrennt voneinander behandelt. Im Unterkapitel zu Mesopotamien wird zwischen Kollektionen in Tempeln, von Gelehrten und von Herrschern geschieden. Der Fokus liegt nicht auf der Beschreibung einzelner ‚Bibliotheken‘, sondern auf dem Wissenstransfer in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends und im 1. Jahrtausend. Dabei wird das Sammeln von Manuskripten aus anderen Orten und früheren Perioden bzw. das Abschreiben solcher Manuskripte angeführt. Auch die Lagerung und Verwaltung von Tafelbeständen wird erwähnt. Als prominentes Beispiel dient die sogenannte

 Clancier (2009) 73–80, 86–90, 99f.  S. Clancier (2009) 107, vgl. weiter ebd. 234–239.  Cancik-Kirschbaum/Kahl (2018) 100–108.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

Bibliothek Assurbanipal.994 Obwohl sie eingangs auf den induktiven Ansatz verweisen, orientieren sich die beiden Autoren größtenteils an der allgemeinen Definition von Bibliothek, was womöglich daran liegt, dass sich ihr Buch an ein Nicht-Fachpublikum richtet. Eleanor Robson verwendet teilweise einen deduktiven Ansatz, wobei sich die Definition von Bibliothek auf die Antike beziehen soll. So bemerkt sie als Negativ-Kriterien: 1.) Keine großen Bibliotheksgebäude existierten; 2.) Manuskriptsammlungen waren nicht öffentlich zugänglich und 3.) es gibt nur äußerst wenige Hinweise auf Bibliothekare, Kataloge oder andere Ordnungsmittel der Aufstellung.995 Zu einem gewissen Teil verwendet Robson aber auch einen induktiven Ansatz. Für sie steht die allgemein gebräuchliche Definition von Bibliothek als einem räumlich abgegrenzten Ort mit Büchern zum Lesen, Studium und als Referenzquelle konträr zu der bei den Altorientalisten üblichen Definition als Fundort mit einer Sammlung von wissenschaftlich-literarischen Texten – also eine archäologische Assemblage von wissenschaftlich-literarischen Texten (s. Kap. 3.1.1.2.1).996 In einem weiteren Artikel, der der Frage nachgeht, ob es im Alten Orient Bücher gab, merkt sie an: „If a book is a collection of pages bound together and sold on the open market, then there were no books in the ancient Middle East. If, on the other hand, a book is a means of recording and transmitting in writing a culture’s intellectual traditions, then there were many, […].“997 Zumindest im 1. Jahrtausend kann man ihrer Meinung nach wissenschaftlich-literarische Texte auf Tontafeln in gewissem Sinn als Bücher bezeichnen, „[…] because (amongst other reasons) their contents were transmitted as much by copying as by memory.“998 Um die beiden Definitionen – die allgemein gebräuchliche und die der Altorientalisten – in Einklang zu bringen, ist die Funktion der verschiedenen Manuskriptsammlungen relevant. Als Ausgangspunkt ihres induktiven Ansatzes dient der Begriff girginakku, der sowohl einen Raum – gewöhnlich in einem Tempel – bezeichnen soll, wo wissenschaftlichliterarische Texte deponiert sind, als auch die gesamte Sammlung dieser Ta-

 Cancik-Kirschbaum/Kahl (2018) 123–139.  Robson (2013) 56.  Robson (2013) 40f.  Robson (2009) 67. Der Sammelband, in dem der Beitrag abgedruckt ist, erschien in gebundener Form erstmalig 2007.  Robson (2013) 41 Fn. 9. Für die Argumentation vgl. Robson (2009). Sie führt hier u. a. die Standardisierung, die bei den Bibliothekstexten in Ninive zu beobachten ist, an, Robson (2009) 74.

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feln.999 Vier Manuskriptsammlungen werden auf ihre jeweilige Funktion hin untersucht: 1.) die sogenannte Bibliothek Assurbanipals; 2.) die neuassyrische Bibliothek des Ezida (Nabû-Tempel in Kalḫu/Nimrud); 3.) die neuassyrische Manuskriptsammlung aus Ḫuzirina/Sultantepe; 4.) die Tafelsammlung aus dem Bīt Rēš, einem Tempel des seleukidischen Uruk. Das Wort girginakku erscheint in einigen Kolophonen der Texte aus der sogenannten Bibliothek Assurbanipals, dem Ezida und aus Ḫuzirina.1000 Assurbanipals Bibliothek ist eine königliche Sammlung mit Texten aus verschiedenen Orten, „whose primary function was to provide large datasets of omens to aid royal decision-making and rituals to ensure continued divine support for the crown.“1001 In Nimrud/Kalḫu wurden die Reste einer Tempelbibliothek entdeckt. Das durch die Texte abgedeckte Spektrum von Themen und die erwähnten Schreiber, die zu zwei Familien von neuassyrischen Hofgelehrten gehören, legen für Robson nahe, dass es sich auch hier um eine königliche Bibliothek des 8. und 7. Jahrhunderts handelt. Dies wird weiter dadurch unterstützt, dass die von dort stammenden Texte des Nabû-zuqup-kēnu der Bibliothek Assurbanipals einverleibt wurden. Die Tafelsammlung aus Ḫuzirina/Sultantepe stellt die Überreste einer Schreibschule dar, die von Qurdi-Nergal geleitet worden ist und die der Ausbildung der Söhne der Provinzbeamten diente. Diese unterschiedliche Funktion spiegelt sich in der Textsammlung wider: Omentexte sind im Vergleich zu den königlichen Sammlungen selten.1002 Als letztes Beispiel dient für Robson die Sammlung von Texten aus dem Bīt Rēš, die sowohl Alltagstexte als auch Texte wissenschaftlich-literarischer Natur umfasst und die einigen priesterlichen Familien zuzuordnen ist; insbesondere ist die Amtsbezeichnung kalû erwähnt. Da Robson der Manuskriptsammlung Tafeln aus illegalen Grabungen zurechnet, erkennt sie eine im Verlauf der Zeit verstärkte Zuwendung zur mathematischen Astronomie.1003 Wie in Ḫuzirina/Sultantepe wurden die Texte von Schülern für ihre Mentoren geschrieben. Eine königliche Patronage war nicht vor-

 Robson (2013) 41. Charpin (2007b) plädiert für eine Übersetzung ‚Bücherschrank‘ und möchte mit dem indigenen Begriff die Nischen der ‚Sippar-Bibliothek‘ (s. Kap. 3.1.1.2.3.1) in Verbindung bringen.  Robson (2013) 41 und passim.  Robson (2013) 45.  Robson (2013) 45–50 und 55.  Der Grund der Zuschreibung sind die in den Kolophonen erwähnten Personen und Datenangaben. Unter ebendiesen Texten befinden sich zahlreiche mathematisch-astronomische Texte, vgl. Robson (2013) 50–54. Clancier möchte diese Texte hingegen einer anderen Bibliothek zuschreiben, da die thematische Ausrichtung der Texte aus den illegalen Grabungen sich nicht mit derjenigen aus regulären Grabungen deckt, vgl. Clancier (2009) 73–80.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

handen und man war wohl abhängig von Spenden der ‚Gläubigen‘, was letztendlich auch die inhaltliche Ausrichtung der Manuskriptsammlung begründet.1004 Der Inhalt von Manuskriptsammlungen ist demnach abhängig von den an ihnen beteiligten Gelehrten, aber auch von ihren ‚Finanziers‘, seien es Könige, Schüler oder Gläubige. Keine einheitliche Funktion der Manuskriptsammlungen lässt sich feststellen.1005 Eleanor Robson und Kathryn Stevens verhandeln Manuskriptsammlungen des 7. bis 2. Jahrhunderts, wobei auf Überlegungen Robsons (s. o.) zurückgegriffen wird. Eine Annäherung mithilfe der indigenen und rezenten Begrifflichkeit sei nicht möglich. Der akkadische Begriff girginakku tritt nur sporadisch auf, meist in neuassyrischer Zeit. Moderne Begriffe wie ‚Bibliothek‘ und ‚library‘ lassen sich nur etymologisch, sondern auch semantisch von antiken griechischen und lateinischen ableiten. Letztere entstammen Schriftkulturen, die fundamental anders sind als diejenigen Mesopotamiens des 1. Jahrtausends v. Chr.1006 In ihrem Artikel setzten Robson und Stevens die Bezeichnung Bibliothek beinahe durchgehend in Anführungsstriche, um hervorzuheben, dass ein Fundort mit wissenschaftlich-literarischen Texten für sie keine Bibliothek repräsentiert. Robson und Stevens orientieren sich an ihrem Verständnis von Bibliothek: „But did works of cuneiform scholarship really function like (modern) library books?“1007 Eine besondere Bedeutung hat für sie die Zugänglichkeit.1008 Sie schlagen folgende Definition vor: „A more useful model might be the modern academic’s relationship with books, which circulate quite freely between university library, office, and home, and which are often more informally lent to students and colleagues. Some may be borrowed from much further afield on interlibrary loan.“1009 Eine solche Art Netzwerk wird von ihnen als „distributed library“ bezeichnet und da ohne Anführungsstriche geschrieben als Bibliothek interpretiert.1010 Der Umgang mit wissenschaftlichen-literarischen Texten wird anhand von mehreren Fallbeispielen dargelegt. Für die königlichen neuassyrischen Nabû-Tempel in Kalḫu/Nimrud, Dūr-Šarrukin/Khorsabad und Ninive/Kujundschik waren Gelehrte tätig, wobei deren Positionen größtenteils erblich waren. In

 Vgl. Robson (2013) 55. Für die Zusammensetzung der Sammlungen aus Nimrud und Sultantepe, s. auch Fincke (2017a) 378–380.  Robson (2013) 56.  Robson/Stevens (2019) 320.  Robson/Stevens (2019) 320.  Robson/Stevens (2019) 321 und passim.  Robson/Stevens (2019) 334.  Robson/Stevens (2019) 339 und 356–358. S. hierzu auch Robson (2019) 270.

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den Tempeln befanden sich Manuskriptsammlungen, deren Zusammensetzung – soweit feststellbar – ähnlich gewesen sind. Nach Robson und Stevens wanderten die Gelehrten und die Manuskripte zwischen den Tempeln und möglicherweise auch zwischen den Palästen und Privathäusern, es gab also keine feste Sammlung an einem bestimmten Ort.1011 Babylonische Schülertafeln waren nicht für die Aufbewahrung bestimmt (s. Kap. 3.1.1.2.3.2 Charpin für die Unterscheidung zwischen Schule und Bibliothek). Eine Ausnahme sind die Votivtafeln, die im Nabû ša ḫarê Tempel in Babylon gefunden wurden. Die Manuskriptsammlung des Anu-ikṣur (Familie Šangu-Ninurta) aus dem achämenidischen Uruk (s. Kap. 3.1.1.2.3.2) beinhaltet sowohl Kommentartexte als auch Kopien wissenschaftlich-literarischer Texte. Ein Teil der Originale soll nicht aus Uruk entstammen. Wie bereits von Clancier und Maul (s. Kap. 3.1.1.2.3.2) bemerkt, wurden Manuskripte für eine Privatsammlung während der Fachausbildung geschrieben, aber auch später wurden noch Texte verfasst. Solcherart ‚Bibliotheken‘ konnten als eine Art Ressource mit anderen Gelehrten geteilt werden.1012 Anhand der Analyse von Kolophonen der Manuskripte der Familie Ekur-zakir (Berufsgruppe āšipu) und Sîn-lēqi-uninni (Berufsgruppe kalû) aus dem seleukidischen Uruk wird aufgezeigt, dass Tafeln ausgeliehen wurden. Jedoch wurde besonderer Wert darauf gelegt das Wissen ihrer jeweiligen beruflichen Spezialisierung zu schützen. Weiter postulieren Robson und Stevens, dass Manuskripte des Tempels möglicherweise nur vor Ort konsultiert werden durften.1013 In ihrem Buch „Assyrian Knowledge Networks“ stellt Robson klar, dass die sogenannte Bibliothek Assurbanipals für sie keine Bibliothek repräsentiert, da ihre Funktionsweise nicht dem allgemeinen Konzept von Bibliothek entspricht.1014 Insbesondere die Zugänglichkeit ist für sie hierbei von entscheidender Bedeutung: Thus, apart from the minority destined for Nabu’s temple – which, like its counterparts in Kalhu and Dur-Šarruken, was presumably the āšipus’ domain – the majority of Ashurbanipal’s tablets constituted ‚his personal collection, gathered in his palace for his own study‘, not to form any official, centralised collection for the use of his scholarly retinue or others.1015

 Robson/Stevens (2019) 333–339.  Robson/Stevens (2019) 340–347. Für die Funktion der Tafeln aus dem Nabû ša ḫarê Tempel vgl. auch Robson (2019) 165–167.  Robson/Stevens (2019) 347–356.  Robson (2019) 22.  Robson (2019) 124. S. auch Robson (2019) 265.

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So begreift Robson ‚Bibliothek‘ als ein soziales Phänomen, an dem eine bestimmte Personengruppe beteiligt ist. Eine solche Argumentation ist zunehmend auch im Diskurs über Kanonisation zu beobachten (s. Kap. 3.1.2.3). 3.1.1.2.4 Fazit Ob zwischen Archiv und Bibliothek im Alten Orient unterschieden werden kann, ist zu allererst abhängig davon, ob wir zwei verschiedene Textgruppen erkennen können. Wissenschaftlich-literarische Texte und Alltagstexte differieren aufgrund ihres Inhalts. Der Umgang mit Schriftzeugnissen beider Gruppen ist nicht gleich. Wissenschaftlich-literarische Texte machen den Großteil der Texte aus, die über Jahrhunderte tradiert wurden. Von diesen Textkompositionen sind mehrere Exemplare aus verschiedenen Zeiten und Orten bekannt. Alltagstexte haben meist keine Duplikate; sie erfahren in der Regel keine Verbreitung über Raum und Zeit. Aufgrund der beiden verschiedenen Textgruppen kann man von Archiv und Bibliothek sprechen. Ich plädiere dafür, Tafelsammlungen wissenschaftlich-literarischen Inhalts weiterhin als Bibliothek oder – falls dieser Begriff vermieden werden soll – als Manuskriptsammlung zu bezeichnen und nicht als Archiv. Denn der zögerliche Gebrauch des Begriffs Bibliothek und das Bezweifeln der Existenz einer solchen Institution stellt vielmehr eine über 100 Jahre alte Fachtradition dar, als dass es den Anwendungskontext des Begriffs außerhalb der Altorientalistik widerspiegelt.1016 Als Argumente für die Existenz von Bibliotheken wurden Kolophone, Verzeichnisse von Texten und die Serialisierung genannt. Sie werden zwar als Hilfsmittel des ‚Bibliothekars‘ bei der Aufstellung der Tafeln betrachtet, zeigen aber primär den spezifischen Umgang mit schriftlichem Wissen. Wenngleich Kolophone ‚bibliografische‘ Angaben beinhalten können,1017 beziehen sich diese nicht auf die Aufstellung innerhalb einer Tafelsammlung. Sie bezeugen vielmehr die Systematik der wissenschaftlich-literarischen Texte und der Abschreibpraxis. Nicht alle wissenschaftlich-literarischen Texte haben einen Kolophon – der Grund hierfür ist unbekannt. Möglicherweise wurden Kolophone zumindest teilweise nachträglich mit Tinte notiert, wie in der sogenannten Bibliothek Assurbanipals bezeugt (vgl. Kap. 3.2.2.2.1). Ein Bibliothekskatalog, der mit einer Art Signatur auf den Aufbewahrungsort des jeweiligen Textes verweist, ist aus dem Alten Orient nicht bekannt. Ungeachtet dessen sind verschiedene Arten von Verzeichnissen von Texten überliefert:

 Dies kritisierte bereits 1914 der Bibliothekar Ernest Cushing Richardson in der Einleitung „What is a library“ zu seinem Buch „Biblical Libraries“: „Those who deny that there were libraries, do not deny the fact but the name for the fact.“, Richardson (1914) 1.  Vgl. für Kolophone und ihren Aufbau Hunger (1968).

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(1) Some of the Mesopotamian catalogues are in fact curricular lists, an enumeration of works to be studied by scribes and scholars-to-be. (2) Other catalogues give a list of texts belonging to one specific genre or to a particular series. (3) From the reign of Assurbanipal we have lists of recent library acquisitions. (4) Some ‚catalogues‘ are inventories. Such inventories compare to library catalogues in some respects, but they are primarily an account rather than a tool for visitors of the library.1018

Die Listen des Typs 1, 2 und 4 umfassen meist Texte zu einem bestimmten Thema bzw. Themengebiet.1019 Teilweise ist es schwierig, zwischen diesen Listen zu unterscheiden.1020 Für die altbabylonische Zeit gibt es nach Paul Delnero eine Reihe von Inventaren für sumerische Texte (Typ 4), die (zumindest teilweise) als Etiketten für Tafelbehältnisse dienten.1021 Das Fehlen von Bibliothekskatalogen wird begründet mit 1.) dem Zufall der Überlieferung, 2.) der Vergänglichkeit des verwendeten Schriftträgers, 3.) der Nicht-Existenz, da sie aufgrund des nicht vorhandenen Publikumsverkehrs unnötig waren. Neben dem archäologischen Kontext, einigen wenigen Etiketten1022 und verschiedenen schriftlichen Hinweisen auf Tafelbehälter geben die Inventare womöglich Auskunft über Aufstellung sowie Lagerung von Tontafeln. Im Generellen ver-

 van der Toorn (2006) 13 f.  Für einen Überblick über die bekannten Kataloge vgl. Krecher (1976–80b), Delnero (2010) und Delnero (2015) 124 f. zu altbabylonischen Katalogen sowie den Sammelband „Assyrian and Babylonian Scholarly Text Catalogues“, Steinert (2018a), insbesondere Steinerts Beitrag, Steinert (2018c).  Bei einem Verzeichnis von Beschwörungen aus dem ‚Haus des Beschwörungspriesters‘ finden sich neben den eigentlichen ‚Textzeilen‘ kleinere Zeichen für eins, zwei, drei oder alternativ nichts (NU). Diese Zeichen geben womöglich an, wie viele Exemplare der entsprechenden Texte in der Bibliothek waren, s. Geller (2000) 226–234. Eine weiteres Beispiel hierfür aus derselben Bibliothek ist LKA 94, s. die Edition bei Biggs (1967) 11–16. Siehe hierzu auch Steinert (2018c) 162 f.  Entweder listen diese Inventare hauptsächlich literarische Texte wie Hymnen und Streitgespräche auf oder aber liturgische. Die Incipits sind – auch mit Hilfe des Layouts – in thematische Gruppen, teilweise mit Summenangaben, aufgeteilt. Seltener gibt es direkte Hinweise für eine Aufbewahrung einer thematischen Gruppe in einem Korb. Die Schriftzeugnisse (Tafeln und Zylinder) unterscheiden sich – soweit Paul Delnero Angaben hierzu gefunden hat – äußerlich von Tafeln mit literarischen Kompositionen. Sie sind wesentlich kleiner und manche sind sogar wie Tonetiketten geformt. Bei einigen ist die Schriftart und der Duktus eine „documentary cursive“ vgl. Delnero (2010), insbesondere 41–49. Siehe auch Steinert (2018c) 160 f.  Tonetiketten für Gruppen von archivalischen Tafeln sind aus Mesopotamien, insbesondere aus den Jahrhunderten um 2000 v. Chr., bekannt. Sie konnten an Bündeln von Tafeln oder Körben angebracht sein oder auch die Form von tönernen Anhängern haben, vgl. Veenhof (1986a) 16–18. Für Tonetiketten für wissenschaftlich-literarische Texte vgl. Steinert (2018c) 160 f. Zwei Etiketten mit Serientiteln stammen aus der sogenannten Bibliothek Assurbanipals, und zwar K.1539 (Enūma Anu Enlil) und K.1400 (Šumma ālu).

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weisen Kataloge auf eine Einteilung von wissenschaftlich-literarischen Texten in bestimmte thematische Gruppen. Traditionstexte wurden zu Serien, die aus über 100 Tafeln bestehen konnten, zusammengefasst. Dies ist Teil der ab Mitte des 2. Jahrtausends erfolgenden Standardisierung (s. Kap. 3.1.2). Da bei einem Großteil der bekannten Manuskriptsammlungen die Serien nicht vollständig vorliegen – Ausnahme ist natürlich die sogenannte Bibliothek Assurbanipals –, ist die Serialisierung ein Indiz für die zunehmende Systematisierung des Wissens und der ständig wachsenden Bedeutung von schriftlich überliefertem Wissen. Von der altbabylonischen Zeit bis ins 1. Jahrtausend v. Chr. gab es einen allmählichen Wandel von einer überwiegend mündlichen Wissensvermittlung und -tradierung zu einer zunehmend schriftlichen, wie auch die Kolophone und Kommentare belegen. Aufgrund des Fundkontextes in Privathäusern, häufig in einer antik-sekundären Lagerung, und des zahlenmäßig überwiegenden Anteils an Schülertafeln geht man davon aus, dass altbabylonische Manuskriptsammlungen Überreste des Unterrichts in Privathäusern sind, also von ‚Schulen‘.1023 Zu dieser Zeit existierte der Begriff é - d u b - b a - a ‚Haus, das Tontafeln zuteilt‘, dessen Verwendung als historische Reminiszenz gewertet wird. Er soll Schulen in Palästen oder womöglich nach Charpin (s. o.) in Tempeln der Nisaba bezeichnen.1024 Für das 1. Jahrtausend wird bei Manuskriptsammlungen – abhängig vom jeweiligen Fundkontext – von Privatbibliotheken, Tempelbibliotheken und Palastbibliotheken gesprochen.1025 Im Akkadischen gibt es den Begriff girginakku, der meist mit ‚Bibliothek‘ übersetzt wird. Die Textbelege verweisen darauf, dass sich diese im Tempel, meist des Nabû, befanden. Charpin möchte das Wort mit ‚Bücherschrank‘ übersetzen.1026 Von einem gewissen Austausch und Mobilität der Gelehrten und somit ihrer Manuskripte ist auszugehen. Ein gut erschlossenes Beispiel für eine Privatbibliothek ist diejenige einer Gelehrtenfamilie aus dem ‚Haus des Beschwörungspriesters‘ aus dem 7. Jahrhundert aus Assur. Die Schriftzeugnisse stammen aus dem Bereich der Ausbildung und Praxis des Berufs MAŠ.MAŠ. Auch Personen, die sich bereits in einer fortgeschrittenen Stufe ihrer Ausbildung befanden, steuerten Tafeln zum Bestand der Bibliothek bei. Die Gelehrten waren eng mit dem Tempel verbunden. Dieses generelle Bild

 Vgl. für einen Überblick Delnero (2019).  Waetzoldt/Cavigneaux (2009–2011) 295. Ebd. für weitere Ausführungen und Literaturhinweise zu Schule und Schulunterricht. Für Charpins Deutung vgl. Charpin (2010a) 32f. und Charpin (2017) 111–115.  Für weitere Beispiele vgl. Koch (2015) 312–331.  Charpin (2007b).

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

249

scheint gleichermaßen auf die neuassyrische Manuskriptsammlung in Ḫuzirina/ Sultantepe und die spätbabylonischen āšipu-Bibliotheken in Uruk/Warka zuzutreffen. In Ḫuzirina/Sultantepe wurden zudem Provinzbeamte ausgebildet. Bei den spätbabylonischen āšipu-Bibliotheken ist der Anteil an Kommentartexten hoch.1027 Manuskriptsammlungen in Tempeln stammen in der Regel von mehreren Gelehrten(-familien), die für diese Sammlungen selbst geschriebene Manuskripte abgaben. Möglicherweise hatten die ‚Gelehrtenfamilien‘ überdies ihre eigenen Privatbibliotheken. Eine neuassyrische Manuskriptsammlung des Ezida (NabûTempel) in Kalḫu ist zwei Gelehrtenfamilien zuzuordnen. Möglicherweise bestand nach Robson und Stevens eine gewisse Mobilität der Gelehrten und der Manuskripte zwischen den Nabû-Tempeln der königlichen Städte Kalḫu, Ninive und Dūr-Šarrukin. Für den neu-/spätbabylonischen Zeitraum wurden mehrere Tempelbibliotheken angeführt. Basierend auf den dort belegten Werken postuliert Clancier, dass die Manuskriptsammlung des Bīt Rēš in Uruk eine Referenzbibliothek speziell für kalû-Priester sei (s. o.). Eine große – allerdings nur rekonstruierte – Bibliothek stammt aus dem Esagil in Babylon. In einigen Kolophonen werden Texte zudem weiteren Tempeln zugewiesen. Man sollte jedoch vorsichtig sein, die sogenannte Referenzbibliothek für Gelehrte als die einzige Funktion einer Tempelbibliothek zu betrachten. Aus dem inneren Heiligtum eines neuassyrischen Tempels in Tell Tayinat stammen elf Keilschrifttexte, überwiegend wissenschaftlich-literarischen Inhalts. Aufgrund ihres Fundkontextes sowie ihrer äußeren Gestaltung stellen diese nach Jacob Lauinger eine Schausammlung dar.1028 Bei dem in situ-Fund in Sippar wurde die Frage gestellt, ob es sich ‚nur‘ um ein Tafeldepot handeln könnte (s. o.). Die sogenannte Bibliothek Assurbanipals ist die einzige Palastbibliothek aus dem 1. Jahrtausend, die ausgegraben wurde.1029 Dennoch wird oft von den neuassyrischen Palastbibliotheken gesprochen. Aus dem Nordwestpalast Assurnaṣirpals II. (883–859) in Kalḫu/Nimrud sind die Überreste eines wachsbeschichteten Elfenbeinpolyptychon bekannt (vgl. Kap. 2.2: lēʾu), auf dem eingraviert steht: (1) (2)

É.GAL MAN

m

MAN-GI.NA MAN kiš-šá-ti

kur

aš-šurki DIŠ UD AN d+EN.LÍL.LÁ ÉŠ.GÀR

 Einige Kommentartexte der Bibliothek des Iqiša (Familie Ekur-zakir) kommen ursprünglich aus anderen Orten; eine sogar aus der sogenannten Bibliothek Assurbanipals, vgl. Frahm (2011a) 290–295 mit weiteren Angaben zu den Kommentartexten. S. auch Frahm (2012).  Lauinger (2011).  Auch aus mittelassyrischen Assur sind Überreste einer Palastbibliothek bekannt, dies legt zumindest der Eigentumsvermerk ša ekallim (,dem Palast zugehörig‘) auf einer Tafel (LKA 116) nahe, vgl. zu dieser Bibliothek Maul (2003).

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

(3) ina gišLE.U₅.UM ZÚ AM.SI ú-šá-áš-ṭir-ma (4) ina qé-reb É.GAL-šú ina ⸢uru⸣BÀD-MAN-GIN ú-kin Palast des Sargon, König der Gesamtheit, König von Assyrien, die Serie Enūma Anu Enlil ließ er auf ein Polyptychon aus Elfenbein schreiben und deponierte (es) im Inneren seines Palastes in Dūr-Šarrukin.1030 Dies zeigt – falls nicht nur dieses eine Polyptychon im Palast des Sargon in DūrŠarrukin aufgestellt wurde bzw. werden sollte –, dass eine Manuskriptsammlung des Sargon (721–705) existierte.1031 Im Nordwestpalast von Kalḫu/Nimrud wurden zudem einige Tafelfragmente wissenschaftlich-literarischer Texte gefunden.1032 Aus dem ‚Haus des Beschwörungspriesters‘ stammt eine Tafel (BAM 322), deren Rückseite laut Kolophon von einer Vorlage aus dem Palast Asarhaddons abgeschrieben wurde. Briefe und Memoranden aus der Zeit Asarhaddons (680–669) zeigen, dass die Gelehrten Tafeln für Rituale schrieben und dem König Tafeln zukommen ließen.1033 Angesichts des allgemeinen Konzepts von Bibliothek interessiert bei der Untersuchung einer Manuskriptsammlung der Aufbewahrungsort, die Sammlung und die Wissensproduktion und -reproduktion, d. h. der Abschreibprozess. Neben der Betrachtung des Fundkontextes und der Grabungsgeschichte erwiesen sich drei Vorgehensweisen als produktiv. Wissenschaftlich-literarische Texte lassen sich in thematische Gruppen einteilen – z. B. Omentexte, medizinische Texte, lexikalische Listen – und deren prozentuale Anteile an der Gesamtsammlung können angegeben werden. Demzufolge ist es möglich, den Schwerpunkt des Betätigungsfeldes des Eigentümers der Sammlung zu eruieren. Weiter interessiert noch, von welchen Traditionstexten vollständige Tafeln der Serie belegt sind und von welchen Exzerpte. Dies zeigt, welche Texte ‚gesammelt‘ und welche für weitere Zwecke exzerpiert wurden. Darüber hinaus könnte das regelmäßige Vorkommen von Duplikaten auf eine Sammeltätigkeit und bzw. oder Schulunterricht verweisen. Wenn überhaupt, wird die äußere Gestaltung der Manuskripte nur am Rand erwähnt. So spricht man bspw. von Schülertafeln und Bibliothekstex Vgl. Wiseman (1955) 7.  Unter den wenigen Schriftfunden wissenschaftlich-literarischen Inhalts aus Dūr-Šarrukin befindet sich eine weitere Tafel, in deren Kolophon Sargon genannt wird, für den Kolophon und weitere Angaben vgl. Veldhuis (2014a) 374 f. Für eine Kopie dieser Tafel vgl. Hrůša (2010) Taf. 15 f.  Wiseman/Black (1996) 1.  Reade (1998–2001) 423b.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

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ten.1034 Schülertafeln innerhalb einer Sammlung zeugen von Unterricht. Ein weiterer, für das 1. Jahrtausend belegter Texttyp mit einem charakteristischen Erscheinungsbild ist der Kommentar.1035 Ob aufgrund des Erscheinungsbildes und des Inhalts noch weitere ‚Manuskripttypen‘ zu definieren sind, ist zu untersuchen. Möglicherweise ist nach dem Erscheinungsbild zwischen ca. DIN A4 großen Bibliothekstexten mit mehreren Kolumnen, länglichen, größeren, hochformatigen Tafeln und kleineren, querformatigen Tafeln zu unterscheiden. Auch die Sorgfalt der Gestaltung wird teilweise herangezogen, um die Funktion der verschiedenen Manuskripte zu ergründen. Weiter gilt es, den Kolophon zu berücksichtigen. Er kann zahlreiche Angaben zur Tontafel besitzen, z. B. über den Abschreibprozess, den daran beteiligten Personen, die intendierte Funktion des Schriftzeugnisses und die indigene Bezeichnung des Schriftobjekts (s. Kap. 2.2). So weiß man aus den Kolophonen, dass die sorgfältig gestalteten Bibliothekstexte von fortgeschrittenen ‚Schülern‘ geschrieben sein konnten. Die aus den Kolophonen bekannten Personen können wiederum mit den in Alltagstexten erwähnten in Verbindung gebracht werden.1036

3.1.2 ‚Stream of tradition‘ 3.1.2.1 Definition des ‚stream of tradition‘ In der Assyriologie wird häufig bei wissenschaftlich-literarischen Texten vom ‚stream of tradition‘ gesprochen. Dieser Begriff wurde 1960 von A. Leo Oppenheim eingeführt: There is, first, the large number of tablets belonging to what I would like to term ‚the stream of tradition‘: they represent what can for convenience be called the corpus of literary works of various types that was maintained, controlled and carefully kept alive by a tradition served by successive generations of learned and well trained scribes. Then second, we have the

 Aus der Grundstufe der Ausbildung sind Schülertafeln belegt. Sie sind teilweise weniger sorgfältig gestaltet und enthalten Exzerpte von Schultexten. Mit Berücksichtigung des Inhalts der Exzerpte und des Erscheinungsbildes der Tafeln gelang es Niek Veldhuis für die altbabylonische Zeit und Petra D. Gesche für die neubabylonische Zeit das jeweilige Curriculum zu rekonstruieren, vgl. Veldhuis (1997) und Gesche (2001), für die kassitenzeitlichen Schülerübungen vgl. Bartelmus (2016).  Dies arbeitete Frahm heraus, s. Frahm (2011a) 33–37 und vgl. Kap. 2.2: mukallimtu und ṣâtu.  Daher mutet es seltsam an, dass bei den Autografien der Kolophon berücksichtigt wird, aber dass bei den Texteditionen mit Kompositumschriften und -übersetzungen die Kolophone häufig nicht weiterbearbeitet werden.

3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

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mass of all descriptions united by the fact that they either recorded the day-to-day activities of individuals, whether shepherds or administrators, merchants or diplomats, or reported on such activities to some authority, whether priest, king or – god.1037

Neben diesen beiden Textgruppen erwähnt er eine dritte Gruppe, die historischen Inschriften, d. h. die Königsinschriften. Der Großteil der Textvertreter war nicht zum Lesen gedacht, sondern ist bspw. in Form von Gründungsinschriften im Boden vergraben oder als Felsinschriften an unzugänglichen Orten installiert worden. Sie stellen eine Kommunikation zwischen den Göttern und dem König dar und sind häufig Votivinschriften.1038 Jan Assmann erklärt den ‚stream of tradition‘ folgendermaßen: Dieser Traditionsstrom ist ein lebendiger Strom: Er verlagert sein Bett und führt bald mehr, bald weniger Wasser. Texte geraten in Vergessenheit, andere kommen hinzu, sie werden erweitert, abgekürzt, umgeschrieben, anthologisiert in wechselnden Zusammenstellungen.1039

Die Texte wurden nach Oppenheim durch die Ausbildung der Schreiber tradiert: However, in Mesopotamia we are confronted, not with ideological pressures, but with a purely operational and highly effective device: it was considered an essential part of the training of each scribe for him to copy faithfully the texts that made up the stream of the tradition. The longer and more elaborate the training of a scribe was, the more extensive became the copying he was supposed to do. This led quite naturally to the accumulation of a large number of private collections of tablets, each containing larger and smaller sections of the text material that made up the stream of tradition.1040

Für Oppenheim war das Bild, welches die sogenannte Bibliothek Assurbanipals liefert, repräsentativ für die anderen Sammlungen von wissenschaftlich-literarischen Texten. Die sogenannte Bibliothek Assurbanipals ist seiner Meinung nach Referenzbibliothek für die Wahrsager und Magier, die verantwortlich für die geistige Sicherheit des Königs und anderer wichtiger Personen waren.1041 Anhand der sogenannten Bibliothek Assurbanipals des 7. Jahrhunderts v. Chr. schätzt Oppenheim den Gesamtumfang der wissenschaftlich-literarischen Tafeln Mesopotamiens auf 1200, wobei er die Tafeln der rekonstruierten Texte und nicht ihre bis zu sechs Textvertreter zählt. Etwas über 300 Tafeln gehören zur Omenliteratur, etwa 200 sind enzyklopädisch, die sogenannten lexikalischen Listen. Durch mehr als 100 Tafeln sind die sumerisch-akkadischen Beschwörungen bezeugt. Weitere 100 Tafeln sind akkadischen Beschwörungszyklen und der epischen Literatur gewidmet.

    

Oppenheim (1960) 410f., vgl. auch Oppenheim (1977) 13. Oppenheim (1960) 415–418, auch Oppenheim (1977) 26f. Assmann (1992) 92. Oppenheim (1960) 411, vgl. auch Oppenheim (1977) 14. Oppenheim (1960) 413, auch Oppenheim (1977) 20.

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253

Die epische Literatur umfasst nur etwa 35–40 Tafeln. Schriftliche Vermerke und Textfragmente von ca. 200 weiteren Tafeln sind vorhanden. Neben diesen insgesamt 900 Tafeln postuliert Oppenheim die Existenz von 300 weiteren.1042 Weiter führt er aus: First one has to point out that nearly all of these 1,200 or more tablets were at some early point in their history frozen into a specific wording and an established arrangement of content. This process of standardization began quite early (third quarter of the second millennium B.C.) for certain key text groups – especially those of encyclopaedic genre. It continued, successively affecting other groups, up to the time when the scribes of Assurbanipal assembled and copied individual tablets or small groups that had been in restricted circulation, and combined them into topical arrangements, giving them definite titles and indicating sequence by numbers. The standardization effectively maintained the original contents against the pressures of changing concepts and attitudes, preserving obsolete text material that otherwise would have certainly disappeared.1043

Ab der Mitte des 2. Jahrtausends erfolgte eine Standardisierung der wissenschaftlich-literarischen Texte. Diese Standardisierung betrifft den Wortlaut sowie Anordnung des Inhalts, wobei die Reihenfolge schließlich durch Nummerierung der Tafeln angegeben wurde.1044 Die Anzahl der Tafeln einer Serie kann sehr groß sein, z. B. ist die höchste für Šumma ālu bekannte Tafelnummer 120.1045 Nach Oppenheim sollen nach dem 7. Jahrhundert die standardisierten Texte in ihrer Form gewahrt und kein neues Material soll mehr inkorporiert worden sein. Allerdings verweist Oppenheim auf drei Aspekte, die für eine Lebendigkeit der Literatur im 1. Jahrtausend sprechen. Die einzige Innovation nach dem 7. Jahrhundert sollen die babylonischen astronomischen Texte darstellen.1046 Parallel zur schriftlichen Literatur sieht Oppenheim eine starke, möglicherweise mündliche Kultur bzw. Literatur, von denen nur in einer Version überlieferte Texte zeugen, die folglich nicht in den ‚stream of tradition‘ eingespeist wurden, aber vielleicht

 Oppenheim (1960) 411f., auch Oppenheim (1977) 15–18. Bis zu sechs Textvertreter sind z. B. für Enūma Eliš belegt, vgl. Lambert (2013).  Oppenheim (1960) 413; vgl. auch Oppenheim (1977) 18.  Vgl. allgemein zur Standardisierung Lenzi (2015) 163–166. Siehe auch Koch (2015) 59–66 für einen Überblick zur Geschichte der Omensammlungen. Übrigens betrifft die Standardisierung auch das Layout, denn die Anzahl der Kolumnen bei einem Manuskript kann festgelegt sein, wie z. B. für das Gilgameš-Epos (George [2003] 293), für Enūma Eliš (Lambert [2013] 3) und für bestimmte Tafeln von Omensammlungen (Koch [2015] 32 und 54) bemerkt wurde.  Freedman (2017) 31. Siehe auch Freedman (1998) 6.  Oppenheim (1960), vgl. auch Oppenheim (1977) 15 f.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

auch auf anderen vergänglicheren Schriftträgern realisiert waren.1047 Wo Oppenheim 1960 kleinere Sammlungen von Tontafeln als Bestätigung für die Repräsentanz der sogenannten Bibliothek Assurbanipals hinsichtlich des Schrifttums wissenschaftlich-literarischen Inhalts ansah,1048 äußerte er später, dass diese Textsammlungen es ermöglichen werden, den ‚Werdegang‘ bestimmter Textgruppen zu rekonstruieren, ideologische Präferenzen herauszuarbeiten und die Funktionsweise des ‚stream of tradition‘ nachzuvollziehen.1049 Oppenheims Konzeption der Standardisierung fand innerhalb der Assyriologie Nachhall. Die Traditionstexte im 1. Jahrtausend werden als versteinert angesehen, der „stream of tradition“ als „frozen“. Bereits vorhandene Texte werden organisiert, keine Neukreation sei im 1. Jahrtausend feststellbar.1050 Einzelne Tafeln einer Komposition (bzw. die gesamte Komposition) wurden kopiert, d. h. abgeschrieben. Die einzelnen Vertreter einer Textkomposition können aus verschiedenen Zeiten und Orten stammen. Neben Manuskript werden die Textvertreter auch als Version, Kopie und Rezension bezeichnet.1051 Wobei sich letztere Begriffe eher auf den Textinhalt und eine jeweils spezifische Kopiertradition und nicht wie Manuskripte direkt auf den Schriftträger beziehen, wie bspw. Andrew George bemerkt: By ‚recension‘ is meant a copying tradition that adopts or generates minor changes in an established text without making major changes of the kind that distinguish different editions of the text. If there are such recensions in the Standard Babylonian Gilgameš epic, they should also be visible in the textual variants that exist between the various manuscripts, and it is to these that I now turn.1052

Jerrold S. Cooper weist auf die Vieldeutigkeit des Begriffs ‚Text‘ hin und möchte diesen so weit wie möglich vermeiden.1053 Er bietet Definitionen für die gängigen Bezeichnungen: composition – a literary work (e.g. ‚Inana’s Descent‘). manuscript – an exemplar of a composition (usually on a clay tablet, for which see n. 28).

 Oppenheim (1960) 414 und auch Oppenheim (1977) 13 und 22.  Oppenheim (1960) 412.  Oppenheim (1977) 16.  Vgl. Charpin (2010a) 213 f. S. auch Koch-Westenholz (1995) 75 und Böck (2015) 25. Vgl. für eine Kontextualisierung des Konzepts Robson (2019) 27–29.  Vgl. darüber hinaus Farber (1993) zu dem problematischen Begriff des Vorläufers, mit dem noch nicht standardisierte, ältere Textzeugnisse standardisierter Kompositionen (insbesondere der lexikalischen Listen) bezeichnet werden.  George (2003) 420.  Cooper (2005) 49f.

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text – the reconstructed wording of a literary composition („the text of ‚Inana’s Descent‘“), or the words on a particular manuscript recension – a manuscript or a group of manuscripts whose text shows significant but minor variants from other manuscripts of a given literary composition. version – a manuscript or group of manuscripts whose text shows significant and major variations from other manuscripts of a given literary composition.1054

Die genaue Übereinstimmung des jeweiligen Textes und eine gleiche Einteilung in verschiedene Tafeln bei längeren Textkompositionen sind bei den verschiedenen Manuskripten oft nicht gegeben. Neben den Varianten, die womöglich den Abschreibprozess zuzurechnen sind, können mehrere ‚Standardversionen‘ bzw. Varianten parallel zueinander existieren. Die Menge des Textes kann sich bei den einzelnen Manuskripten erheblich unterscheiden. Die Tafelnummerierung muss bei den Textvertretern einer,Tafel‘, z. B. bei der Serie Šumma ālu, nicht gleich sein. Neben der ‚Standardserie‘ können zeitgleich Exemplare der Serie vorkommen, die erheblich in ihrem Aufbau von der Standardserie abweichen.1055 Zu den Standardserien gibt es zudem sogenannte Exzerptserien (vgl. Kap. 2.2: nisḫu). Bei den medizinischen Texten des 1. Jahrtausends mit Rezepten hingegen stimmen häufig nur einzelne Zeilen der Rezepte mit anderen medizinischen Texten überein; diese Rezepte erscheinen dann jedoch in völlig anderen medizinischen Kontexten.1056 Die oben erläuterte Standardisierung wird häufig mit Kanonisation gleichgesetzt, so dass die standardisierten Texte des 1. Jahrtausends in der Fachliteratur oft auch als kanonisch bezeichnet werden.1057 Es gibt allerdings keinen Konsens innerhalb der Assyriologie, wie Kanon zu definieren ist. Die Diskussion (s. u.) vermittelt jedoch einen Eindruck davon, was man sich unter dem ‚stream of tradition‘ im 1. Jahrtausend vorzustellen hat. 3.1.2.2 Indigene Terminologie Im 1. Jahrtausend steht der Begriff iškaru für eine wissenschaftlich-literarische Textkomposition, die aus verschiedenen Texteinheiten besteht, deren Reihenfolge festgelegt ist, im Fachjargon der Assyriologie auch als Serie bekannt. Eine

 Cooper (2005) 50.  Vgl. Freedman (1998) 7 f. und Freedman (2017) 2. Auch bei der Serie Enūma Anu Enlil ist die Nummerierung sowie der Aufbau der Tafeln variabel, s. Rochberg (2018) 122 f. In neuassyrischer Zeit waren neben der Standardtextserie auch Manuskripte anderer Texttraditionen vom GilgamešEpos im Umlauf; dies trifft auch auf weitere literarische Texte zu, vgl. George (2003) 31. Allgemein zu Serie vgl. Worthington (2009–2011).  Geller (2010) 97–108.  Vgl. Gesche (2001) 61.

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solche Textkomposition umfasst mehrere Tontafeln. Darüber hinaus kann der Begriff gelegentlich auch in der Bedeutung Textkorpus gebraucht werden.1058 Auf mündlich überliefertes Wissen wird mit dem Ausdrücken ša pī ummâni ‚der/die des Mundes eines Gelehrten‘ und šūt pî ‚die (Pl.) des Mundes’ verwiesen.1059 Das Wort aḫû bedeutet so viel wie ‚auf der Seite befindlich‘, ‚fremd‘. In Bezug auf Texte gibt das AHw die Übersetzung „serienfremd, unkanonisch“1060 an und das CAD bietet „additional, extraordinary“ – dazu jedoch noch „referring to omens not in the standardizised series“1061. Einzelne Textzeilen bzw. Tafeln einer Omenserie (oder gar eine ganze Omenserie) können als aḫû bezeichnet sein. Seltener ist der Begriff aḫû bei anderen Textgruppen der wissenschaftlichliterarischen Überlieferung belegt.1062 Miguel Civil bringt die Begriffe iškaru, aḫû und ša pī ummâni in Verbindung mit ‚Standardserie‘, ‚Nicht-Standardserie‘ und ‚traditionelles durch Lehre vermitteltes Wissen der Meister‘.1063 Gleichwohl bemerkt er: „In the absence of native official catalogues, the criteria by which do define a text as standard or canonical are text stability and fixed sequence of tables within a series.“1064 Die Schwierigkeit, die genaue Bedeutung von aḫû festzustellen, zeigt sich exemplarisch bei Manuskripten von Šumma izbu aus der sogenannten Bibliothek Assurbanipals: „The omens in the aḫû group are exactly the same as those in the main series and, as far as we can tell, were excerpted directly from the main series. However, the omens contained in the aḫû group are not the same

 Steinert (2018b) 10f. und Steinert (2018c) 165f. Vgl. auch die Belege im CAD I and J 249 und AHw 1 396. Im 2. Jahrtausend wird der Ausdruck iškaru gelegentlich für Sammlungen wissenschaftlich-literarischer Texte verwendet, vgl. Worthington (2009–2011) 395 und Steinert (2018c) 161f. und 165 Fn. 43. Das Wort wurde aus dem Sumerischen entlehnt, und zwar von e š 2 - g a r 3 , im 3. Jahrtausend a 2 - ğ e š - g a r 3 - r a geschrieben. Jedoch wurde dieses Wort im 3. und 2. Jahrtausend in der Regel nicht in der Bedeutung ‚Serie‘ verwendet. Für sumerische Begriffe für Serie und weiterer Literatur hierzu vgl. Richardson (2006).  Der Ausdruck ša pī ummâni taucht häufig zusammen mit dem Ausdruck šūt pî in Tafelunterschriften von Kommentartexten auf, vgl. Frahm (2011a) 44 f. und 87 sowie Gabbay (2016) 20 f., 51 f. und 60–63. Nach Gabbay ist šūt pî der allgemein gebräuchlichere Begriff für mündliche Überlieferung und wird bedeutungsgleich zu ša pī ummâni verwendet, Gabbay (2016) 20 f. Der Ausdruck ša pī ummâni kommt ferner gelegentlich bei medizinischen Rezepten vor, Steinert (2015) 126 f. Siehe ferner auch Worthington (2012) 10–12 zur Frage des Diktierens.  AHw 1 22.  CAD A/1 211f.  Steinert (2018c) 165 f.  Civil (1979) 168. Er geht auch auf den Gebrauch des Begriffs ‚kanonisch‘ in älterer assyriologischer Literatur ein.  Civil (1979) 169.

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omens which are contained in the standard excerpt series“1065 Von Šumma ālu gibt es eine nisḫu-Serie (vgl. Kap. 2.2: nisḫu) aus Uruk, die sich als aḫû bezeichnet, ihre Beziehung zur Standardserie ist unklar.1066 Am Beispiel von neuassyrischen Textvertretern von Enūma Anu Enlil (besonders die möglicherweise 29. aḫû-Tafel1067) behandelt Francesca RochbergHalton die Begriffe iškaru und aḫû. Eine Unterscheidung von kanonisch und unkanonisch sei nicht festzustellen: „While the aḫû texts may indeed have been considered extrinsic to the more widely circulating iškaru, they were clearly not excluded from the stream of tradition as a whole.“1068 Weiter äußert sie: By virtue of their place as an integral part of the composite scribal tradition, the aḫû texts may have carried the same ‚authoritative‘ status as those of the iškaru.“1069 Neben der mündlichen Überlieferung der Gelehrten, ša pī ummâni, sollen iškaru und aḫû-Texte Überlieferungsstränge des ‚stream of tradition‘ darstellen, Kommentartexte und andere Scholien bilden möglicherweise einen weiteren Überlieferungsstrang.1070 Wie Rochberg-Halton versteht Stephen J. Lieberman als aḫû Texte, die eine Art Appendix bzw. Exkurs darstellen. Was sich in einem Appendix befindet, sei die Entscheidung des Autors und für den Leser teilweise nicht nachvollziehbar oder gar widersprüchlich.1071 Kanonische Texte sind unveränderbar und besitzen einen bindenden Charakter. Dies sieht Eckart Frahm bei den Textserien (iškaru). Sie weisen einen hohen Grad an Standardisierung auf und Textvarianten seien nicht weiter von Bedeutung, da diese auch beim Bibelkanon anzutreffen seien. Die nichtserialisierten aḫû-Texte besäßen nicht denselben autoritativen Status wie die iškaru-Serien, da sie selten kopiert und kommentiert worden seien.1072 Problematisch ist bei seiner Aussage, dass, wie Civil anmerkte (s. o.), offizielle Kataloge fehlen und folglich oft unklar ist, welcher Text aḫû ist. Der Ausdruck ša pī ummâni ist fast ausschließlich in Tafelunterschriften von Kommentartexten

 Leichty (1970) 22.  Freedman (1998) 8. Für die Verwendung des Ausdrucks aḫû bei weiteren Textkompositionen s. Francesca Rochberg-Halton (1987) 328f., Böck (2000) 21f. sowie Steinert (2018c) 165f. jeweils mit weiteren Angaben. Siehe ferner zu Omensammlungen auch Koch (2015) passim und speziell für Kommentartexte Frahm (2011a) passim.  S. hierzu Rochberg-Halton (1987). Die Tafel selbst stammt aus Ninive/Kujundschik. Ihre Deutung als aḫû beruht auf einem Katalog aus Assur, für eine Edition des Kataloges s. Rochberg (2018).  Rochberg-Halton (1984) 141 f. Siehe auch Rochberg-Halton (1987) 337.  Rochberg-Halton (1984) 143. Siehe auch Rochberg (2016) 225f.  Rochberg-Halton (1984) 130 und 144. Siehe auch Rochberg-Halton (1987) 328.  Lieberman (1990) 308, siehe auch Koch-Westenholz (1995) 88–93.  Frahm (2011a) 318f.

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belegt und wird von Frahm als weiterer (schriftlicher) Überlieferungsstrang neben iškaru und aḫû angesehen.1073 Mit šūt pî wird auf das mündlich überlieferte Wissen Bezug genommen.1074 Sich auf die neuassyrische Korrespondenz der Gelehrten mit dem König stützend, bringt Markham J. Geller den Begriff damqu ‚gut‘ in Verbindung mit ‚kanonisch‘ bzw. ‚standardisiert‘ und aḫû mit ‚unkanonisch‘ bzw. ‚nichtstandardisiert‘, wobei kanonische Texte den unkanonischen vorgezogen wurden. Als aḫû kann ein Manuskript bezeichnet werden, das nicht Bestandteil der Standardtextserie war, aber auch ein Manuskript, das aufgrund von orthografischen Besonderheiten stark von der Standardtextserie abweicht, wie dies bei der 29. aḫû-Tafel von Enūma Anu Enlil der Fall war. Die Ähnlichkeit von spätbabylonischen Texten mit Manuskripten aus Kujundschik legt für Geller nahe, dass standardisierte Texte bevorzugt tradiert wurden.1075 Anzumerken ist, dass bei der Behandlung des Begriffes aḫû in Beziehung zu iškaru und der mündlichen Überlieferung größtenteils auf neuassyrische Belege verwiesen wird, die wiederum überwiegend Textfunden aus Kujundschik/ Ninive zuzuordnen sind. Folglich erläutert die Sekundärliteratur primär den Umgang mit wissenschaftlich-literarischen Texten am neuassyrischen Königshof. So ist dort eine Kategorisierung des Wissens anzutreffen,1076 was jedoch wenig über dessen Wertigkeit aussagt: Aḫû-Texte konnten bei der Durchführung von Ritualen und der Deutung von Omina Anwendung finden, und wurden abgeschrieben bzw. niedergeschrieben. Die mündliche Überlieferung war bei der Interpretation der Standardtextserien von Relevanz, wie insbesondere die zahlreichen Kommentartexte bezeugen. 3.1.2.3 Der Diskurs über Kanonisation innerhalb der Assyriologie W. G. Lambert reflektiert den Begriff Kanon. Er arbeitet heraus, dass bei einigen wenigen Werken nach indigenen Quellen deren standardisierte Version des 1. Jahrtausends mit einzelnen Gelehrten Ende des 2. Jahrtausends in Verbindung gebracht werden kann. Im 1. Jahrtausend gab es Schreiber- und Gelehrtenfamilien. Diese Schreiber- und Gelehrtenfamilien besitzen Ahnen, die sich in die Kassiten-Zeit zurückverfolgen lassen. Bei einigen dieser Ahnen ließ sich

 Frahm (2011a) 45.  Frahm (2011a) 44f. und 87.  Geller (2018a) 48–50.  Ähnlich bereits Rochberg-Halton für die als aḫû und iškaru bezeichneten Textgruppen, Rochberg-Halton (1984) 144.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

259

nachverfolgen, dass sie Editoren bzw. Autoren gewesen sein könnten.1077 Bei dem diagnostischen Handbuch Sakikkû (SA.GIG) ist es Esagil-kīn-apli, der unter Adad-apla-iddina (1067–1046) diese Edition angefertigt hat; ihm wird auch die Kompilation von Beschwörungen zugeschrieben.1078 Eine standardisierte Version des Gilgameš-Epos wird Sîn-lēqi-uninni zugeschrieben.1079 Kabti-ilāniMarduk wird als Autor des Erra-Epos (9. Jahrhundert) betrachtet. Der Text wurde ihm nach eigener Aussage offenbart, so dass er streng genommen nur der Vermittler ist.1080 Es kommt insgesamt sehr selten vor, dass ein Editor bzw. Autor eines wissenschaftlich-literarischen Textes vermerkt ist.1081 In einer Liste, dem ‚Catalogue of Texts and Authors’ aus der sogenannten Bibliothek Assurbanipals, wird der Gott Ea bzw. ein Weiser oder Gelehrter in Verbindung mit bestimmten wissenschaftlich-literarischen Texten gebracht.1082 In einem weiteren Text, wiederum aus Ninive, offenbaren die Götter Šamaš und Adad Enmeduranki, einem vorsintflutlichem König aus Sippar, die Künste der Divination.1083 Lambert betont in Bezug auf die Kanonisation: There is however in the traditions which we have examined no suggestion of a systematic selection of literary works, nor a conscious attempt to produce authoritative editions of works which were passed on. The very word ‚canon‘ is unfortunate in suggesting this kind of activity. The best parallel to the history of Akkadian literature in the Cassite period is not offered by the canonising of Jewish and Christian Scriptures, but by the fate of Classical literature during the Middle Ages. Much Akkadian literature did assume a fixed form, did become a textus receptus, but not all. The Gilgameš Epic never reached a canonical form, and Enuma Anu Enlil circulated in several variant official editions.1084

 Lambert (1957), Lambert (1962) und Lambert (2005).  Für die Neueditionen der Kataloge, KAR 44 und Duplikate vgl. Geller (2018b) und CTN 4 Nr. 71 und ein Duplikat vgl. Schmidtchen (2018). Zur Rolle von Esagil-kīn-apli bei der Standardisierung/Kanonisation und einer Diskussion der entsprechenden Belege vgl. Frahm (2011a) 324–332 mit älterer Literatur, s. auch Geller (2018a).  Vgl. George (2003) 28–33.  Lambert (1962) 73.  Vgl. hierzu Foster (2007) 3f.  Lambert (1957) und Lambert (1962).  Bereits erwähnt bei Lambert (1962) 69 Fn. 7. Für die Edition des Textes s. Lambert (1998).  Lambert (1957) 9. Siehe hierzu Hallo (1991) 4f. und Robson (2011) 571f. mit einer Diskussion dieses Zitats. Wolfram von Soden geht bei dem Verlauf der Kanonisierung von einer Versammlung aller wissenschaftlich-literarischen Texte, einer anschließenden Auslese und abschließenden Überarbeitung aus (neben der Schaffung von neuen Texten). Dadurch wurden verbindliche Standardversionen kreiert (kleinere Überlieferungsvarianten sind hierbei üblich), vgl. von Soden (1953) 23 f. Sein Hauptargument für eine systematische Auswahl in kassitischer Zeit ist ein Kolophon, welcher sich bei einem neuassyrischen Manuskript, einer Hemerologie aus Assur (VAT

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Civil äußert, dass es möglicherweise sowohl eine systematische Auswahl von Texten als auch eine zufällige gab, die standardisiert wurde.1085 Als kanonisch sollen nach ihm Texte bezeichnet werden, die nur schriftlich tradiert und vor dem 11. Jahrhundert stabilisiert wurden, wie die lexikalischen Listen Ea und Aa.1086 Kanonisation im Alten Orient grenzt Rochberg-Halton vom Bibelkanon ab: The conscious effort on the part of these assumed Kassite editors to preserve and transmit texts of the learned tradition may, however, not have been ‚canonization‘ in the sense in which the term is applied to the biblical text with all its connotations. Rather, it may be viewed in terms of standardization of formal aspects of the texts, that is, the number and arrangements of tablets, while a degree of flexibility remained permissible in the content, in terms of exactly what particular tablet was to include and in what order, thus resulting in only a relative stabilization of the wording of the text.1087

9663/KAR 177), findet. Ein weiterer Beleg für diesen Kolophon ist VAT 11609, so dass nun die Übersetzung folgendermaßen lautet: „Günstige Tage nach dem Wortlaut von sieben T[afel]n, Originale aus Sippar, Nippur, Babylon, Larsa, Ur, Uruk und Eridu. Die Gelehrten exzerpierten, wählten aus und überreichten (sie) Nazimaruttaš, dem König der Welt […].“, nach Heeßel (2011b) 172–174. Für Lambert bezieht sich das Exzerpieren und die Auswahl einzig auf die vorliegende Hemerologie, die ein Auszug aus einer Standardhemerologie ist, Lambert (1957) 9. Nils P. Heeßel fügt dem noch hinzu, dass der Kolophon die im 1. Jahrtausend kursierende Vorstellung zur Entstehung dieses Textes darstellt und Auskunft über die Tätigkeiten von Gelehrten gibt, aber kein Beleg für eine Serienbildung in kassitischer Zeit ist, vgl. Heeßel (2011b) 173f. Nach Heeßel sind die mittelbabylonischen und mittelassyrischen Texte zur Divination, Religion und Wissenschaft in ihrer Textgestalt den ‚kanonischen‘ Texten des 1. Jahrtausends äußerst ähnlich, jedoch noch nicht serialisiert. Die Serienbildung dürfte erst im 11. Jahrhundert eingesetzt haben, wie bspw. die Figur des Esagil-kīnapli bezeugt, vgl. Heeßel (2011b) 174f. und 191–195. In dem Kolophon der mittelbabylonischen Tafel VAT 9512, Heeßel (2012) Nr. 8, ist eine Tafelzählung angegeben. Daher stellt sich Heeßel nun die Frage, ob zumindest die Bārûtu-Serie in der mittelbabylonischen Zeit bereits serialisiert war, Heeßel (2017a), s. ferner auch Heeßel (2017b) 370 zu mittelassyrischen Textserien. Die Rolle Assurs bei der Standardisierung erörtert Veldhuis am Beispiel von mittelassyrischen lexikalischen Texten der sogenannten Bibliothek Tiglat-pilesers, vgl. Veldhuis (2012). Es ist das größte Korpus von lexikalischen Texten vom Ende des 2. Jahrtausends. Das Interesse an babylonischer Wissenstradition zeigt sich neben diesem Bestand auch in der Verwendung von babylonischen und archaisierenden babylonischen Zeichenformen. Wie Elyze Zomer für die Textgruppe der Beschwörungen aufzeigt, war der Prozess der Standardisierung keineswegs Ende des 2. Jahrtausends abgeschlossen, Zomer (2018) 175–243.  Civil (1979) 168.  Civil (1979) 169.  Rochberg-Halton (1984) 127 f. Siehe auch ebd. 128f.

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Letztendlich schließt sich Rochberg-Halton Lambert an.1088 Für die Divination sei ein historischer Prozess von Editieren und Redigieren feststellbar, keine Beweise für eine Auswahl und kein Interesse zur Produktion von autoritativen und unveränderbaren Texten seien zu erkennen. Ein Kanon im Sinne des Bibelkanon sei nicht vorhanden.1089 Lieberman verhandelt die Anwendbarkeit der Begriffe ‚offiziell‘ und ‚kanonisch‘ in Bezug auf die sogenannte Bibliothek Assurbanipals. Die sogenannte Bibliothek Assurbanipals stellt seiner Meinung nach eine Tafelsammlung zur persönlichen Referenz des Königs dar. Sowohl eine mündliche Tradition als auch verschiedene Versionen einer Textkomposition seien im 7. Jahrhundert im Gebrauch gewesen. Die Texte der sogenannten Bibliothek Assurbanipals seien daher weder offiziell noch kanonisch.1090 Dennoch ist eine Traditionslinie zu bemerken. Vielfach besitzen wissenschaftlich-literarische Texte Kolophone, die Abschriften von einer Vorlage, bspw. aus einer anderen Stadt, kennzeichnen. Wie in den Kolophonen mitgeteilt wird, sind die Schreiber um ein korrektes Abschreiben bemüht. Dies zeigen auch weitere Indikatoren: Falls die Vorlage an bestimmten Stellen gebrochen war, wird dies in der Abschrift mit dem Ausdruck ḫepi ,gebrochen‘ markiert. Angaben zur Zeilenzählung, Markierung jeder zehnten Zeile und Verbesserungen gegenüber der Vorlage treten auf. Abschriften können auch die Paläografie bzw. Schrift des Originals kopieren.1091 Unterschiedliche Tafeleinteilungen zwischen einzelnen Manuskripten einer ‚Standardserie‘ und Varianten im Wortlaut erscheinen häufig.1092 Was für Oppenheim der ‚stream of tradition‘ war, ist für William W. Hallo das funktionale Äquivalent seiner kanonischen Texte. In Abfolge voneinander unterscheidet er für das Sumerisch-Akkadische einen altsumerischen, einen neusumerischen, einen akkadischen und einen zweisprachigen (sumerischakkadischen) Kanon.1093 Vier Kriterien gibt er als Definition von Kanonisation an: „(1) the emergence of a recognized corpus of classical literature (2) the tendency to produce a standardized text (3) a fixed arrangement of content und (4) an established sequence in which the works were to be read or studied.“1094 Bei dem ersten Kriterium zieht er eine Parallele zur „systematic selection of literary

      

Rochberg-Haltong (1984) 128. Rochberg-Halton (1984) 144. Lieberman (1990). Lieberman (1990) 332f. Lieberman (1990) 333f. Hallo (1991) 7. Hierzu auch Hallo (1976) 196–201. Hallo (1991) 3. Er übernimmt diese Kriterien von Sarna (1971).

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

works“, die Lambert als Kriterium nennt (s. o.).1095 In Abgrenzung zu Lambert hebt er hervor, dass auch nicht-literarische Texte wie Wirtschaftstexte durch das Kopieren zu einem literarischen Status erhoben werden können. Zudem werden in diesem Kontext neue Texte wie lexikalische Listen kreiert. Das zweite Kriterium setzt er mit den von Lambert erwähnten „authoritative editions“ (s. o.) und der bei Civil genannten „text stability“ (s. o.)1096 gleich. Er erwähnt hierbei neben Scholien wie Kommentartexte auch die nicht reinsprachlichen Phänomene, und zwar Trennlinien, Zählzeichen und Glossen, wobei diese auf die Genauigkeit und Existenz der Kopien bzw. Abschriften verweisen. Über die Erfüllung der letzten beiden Kriterien können u. a. folgende Quellen Auskunft geben: Schülertafeln, deren Aufbau das jeweilige Curriculum widerspiegelt, Kolophone sowie Kataloge.1097 Im Gegensatz zum biblischen Kanon war der mesopotamische nicht geschlossen, wie u. a. die astronomischen Tagebücher des 1. Jahrtausends zeigen. Er geht davon aus, dass der Grad an ‚Alphabetisierung‘ im mesopotamischen Raum größer war als im israelischen Gebiet, was zu dem Resultat führte, dass die Prozesse der Kanonisation langsamer vonstattengingen und sich divergierende Traditionen länger halten konnten.1098 Niek Veldhuis widmet zwei Artikel dem Problem des Kanons und der Kanonisation. Am Beispiel der Textedition von TIN.TIR = Babylon – der Text ist ab dem 7. Jahrhundert belegt – stellt er fest, dass Tafelzählungen und Zeilenzählungen Hilfsmittel für moderne Texteditionen sind, sie jedoch nicht mit den einzelnen Manuskripten einer Textkomposition übereinstimmen müssen. Er betrachtet kanonische Texte als soziales Phänomen, da sie von einer Gruppe von Personen rezipiert und reproduziert werden müssen, um als kanonisch zu gelten. Neue Texte können durch die Kenntnis von älteren geschaffen werden. Ihre Stellung innerhalb des Kanons kann sich über die Zeit verändern.1099 Diese Definition erinnert an die zuvor angeführte vom ‚stream of tradition‘ (s. Kap. 3.1.2.1). Standardisierung sei seiner Meinung nach nur ein Aspekt bei der Operationalisierung des Konzepts Kanon. Als weitere Aspekte nennt er für den Alten Orient 2.) Kopien bzw. Rezensionen aus verschiedenen Orten und Jahrhunderten; 3.) Kolophone und weitere Bemerkungen des Schreibers, die auf den Abschreibprozess bzw. das Original Bezug nehmen – sie weisen auf die Bedeutung der richtigen Übertragung hin –; 4.) Texte, die nach dem Vorbild eines kanonischen Textes kreiert wurden – z. B. TIN.TIR nach dem sogenannten Götteradressbuch, aḫû-Texte, Texte     

Lambert (1957) 9. Civil (1979) 168f. Hallo (1991) 8–10. Hallo (1991) 11. Veldhuis (1998).

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wie Aluzinnû, die kanonische Textgattungen parodieren –; 5.) Angabe der Autoren und Zitate von einem Text innerhalb eines anderen Textes.1100 In einem zweiten Artikel vergleicht er altbabylonische Literatur mit derjenigen des 1. Jahrtausends, und zwar aus der sogenannten Bibliothek Assurbanipals. Er kommt zu dem Schluss, dass das Textkorpus des 1. Jahrtausends geschlossen und fixiert ist und das altbabylonische lebendig: The Old Babylonian Sumerian corpus is a living, changing corpus. The first millennium corpus is more or less closed and textually fixed. There is little invention, and little adaption of the received text. The texts are old and authoritative, as is sometimes indicated by the attribution of divine authors or authors from a time past. Their canonicity, their intention and ability to prescribe a direction is not in defining what a newly created literature should be like. It is rather in the never-ending project of hermeneutics.1101

Beide Textgruppen bezeichnet er jeweils als einen „canonical body of literary texts“.1102 Somit schließt er sich Hallo an, der auch verschiedene Kanones für den Alten Orient feststellt. Als kanonisch begreift Veldhuis einen literarischen Kanon, der definiert, „[…] what literature is and how literature is to be produced.“ und keine abgeschlossene Textgruppe.1103 Zu Beginn seines Artikels behauptet er, dass im 1. Jahrtausend Bibliotheken existieren: „Clay tablets were kept in private or official archives or (in the first millennium) in libraries.“1104 In der altbabylonischen Zeit gab es seiner Meinung nach keine Bibliotheken: „The concept of a library does not seem to exist. Knowledge was located in the heads of school masters, not in collections of tablets. First millennium libraries contain repositories of reliable knowledge about writing, about divination. Divination itself is a textual business.“1105 Demnach definiert er Bibliothek nicht nach dem genauen Fundkontext von Tafelsammlungen – d. h. nach öffentlichen Gebäuden versus privaten – oder nach dem hauptsächlichen Textinhalt der Tafelsammlungen – d. h. sorgfältig geschriebene wissenschaftlich-literarische Texte, die sogenannten Bibliothekstexte –, sondern nach den Charakteristika der wissenschaftlich-literarischen Texte des 1. Jahrtausends. Nach Veldhuis’ Artikeln scheint die Gesellschaft des 1. Jahrtausends insgesamt stärker schriftbasiert als in der Zeit davor zu sein. Wissenschaftlich-literarische Texte des 1. Jahrtausends dienten der Referenz. Das dafür überlieferte Wissen wurde schriftlich niedergelegt.

     

Veldhuis (1998) 80f. Veldhuis (2003) 27f. Veldhuis (2003) 27. Veldhuis (2003) 18. Veldhuis (2003) 10. Veldhuis (2003) 28.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

Auch Herman L. J. Vanstiphout plädiert für die Existenz eines altbabylonischen literarischen Kanons. Es handelt sich hierbei um das Curriculum. Mithilfe von zwei Kriterien werden Kompositionen als zum Kanon zugehörig identifiziert: Anzahl der Textvertreter und Gestaltung der Manuskripte. Die Kompositionen sind jeweils durch eine hohe Anzahl von Manuskripten an einem Ort bezeugt. Diese Manuskripte sind meist sorgfältig gestaltet; besondere Aufmerksamkeit wird dem Layout und der Beschriftung geschenkt. Die aufgezählten Kompositionen einiger altbabylonischer Kataloge, die seines Erachtens Auskunft über den Lehrplan geben, decken sich inhaltlich mit denen des Kanons.1106 Zur Funktion des Kanons meint Vanstiphout: „[…] it might be said that the ideo-logical objective of this canon is to reinforce the idea of the wellordered state through lessons in history, divine and humane.“1107 Dieser sumerische Kanon sicherte den Erhalt der zu Beginn des 2. Jahrtausends nicht mehr gesprochenen Sprache. Die Beherrschung dieser Schriftsprache ist ein Merkmal einer elitären, intellektuellen Gruppe. Mitte des 2. Jahrtausends kam es zu einem Bruch; nur vereinzelt sind altbabylonische kanonische Texte in der späteren Überlieferung belegt.1108 Das Thema der Habilitationsschrift von Eckart Frahm sind die Kommentartexte (vgl. Kap. 2.2: mukallimtu und ṣâtu). Sie sind vom 8. Jahrhundert bis einschließlich dem 2. Jahrhundert bezeugt.1109 In einem Kapitel seiner Arbeit behandelt er die Kanonisation.1110 Die Kommentartexte, die exegetische Literatur, betrachtet er als wichtigstes Argument dafür, dass nur Texte des 1. Jahrtausends als kanonische Texte zu betrachten seien.1111 Folglich ist die Abfolge von verschiedenen Kanones (vgl. Hallo) oder das Nicht-Vorhandensein eines Kanons (vgl. Lambert, Rochberg-Halton und Lieberman) für ihn nicht zutreffend.1112 Er schließt sich Veldhuis (s. o.) dahingehend an, dass die Literatur der altbabylonischen Zeit lebendig sei und das Korpus des 1. Jahrtausends geschlossen.1113 Neben den Kommentartexten nennt er als weitere Argumente: 1.) genaues Kopieren der Texte, wie Kolophone und ḫepi-Glossen nahelegen und 2.) Autorenschaft bzw. die Herausgeberschaft (s. o.). Diese verleiht den Texten

       

Vanstiphout (2003) 1–16. Vgl. für die Deutung der Kataloge als Inventare Delnero (2010). Vanstiphout (2003) 16. Vanstiphout (2003) 16f. Frahm (2011a) 3. Frahm (2011a) 317–338. Frahm (2011a) 317. Frahm (2011a) 317f. Frahm (2011a) 321f.

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ihre Autorität.1114 Die Hauptfunktion der Kommentartexte war für ihn, dass der ansonsten unverständliche, nach Oppenheim ‚frozen stream of tradition‘1115 (vgl. Kap. 3.1.2.1) verständlich blieb. Die abnehmende Verständlichkeit soll auch mit der zunehmenden Bedeutung des Aramäischen zusammenhängen.1116 Weiter geht Frahm auf die Kanonisation der Texte im 2. Jahrtausend, insbesondere auf die Rolle von Esagil-kīn-apli, ein.1117 Die Kanonisation war Frahms Meinung nach im 1. Jahrtausend weitestgehend abgeschlossen – auch wenn es noch einige neue Texteditionen gab.1118 Für Frahm sind die meisten Kommentare keine neu geschaffenen Texte, sondern sollen vielmehr Abschriften darstellen.1119 Alte Kommentare wurden regelmäßig redigiert und neue kreiert. So ist ihnen nicht derselbe kanonische Status zuzuschreiben wie den Texten, die sie kommentierten.1120 Auch Uri Gabbay betrachtet die Kommentartexte als ein Indiz für die Existenz von kanonischen Texten, da erstere meist letztere kommentieren und somit auf die Existenz einer interpretativen Tradition verweisen.1121 In einer Unterrichtsstunde wird ein Text analysiert. Im Anschluss fasst der Nachwuchswissenschaftler die mündlichen Anmerkungen unter Heranziehen von schriftlichen Quellen zu einem Kommentartext zusammen.1122 Kopien von älteren Kommentaren sind Gabbays Meinung nach in der Minderheit; Kommentartexte, die durch mehrere Manuskripte belegt sind, stammen größtenteils aus Ninive.1123 Gabbay verwendet den Begriff kanonisch für Texte auf die folgende Kriterien zutreffen: (1) they belong to a relatively closed group of texts that circulated in various localities and in different periods during the first millennium BCE; (2) their manuscripts are standardized and display a minimum number of variants; (3) they have been grouped into corpora, often as segments of an individual composition or (especially in Nineveh) as series of compositions arranged in a standard sequence; and (4) they are attributed to a figure of great authority, often a divinity.1124

 Frahm (2011a) 319f.  Oppenheim (1960) 413; vgl. auch Oppenheim (1977) 18.  Frahm (2011a) 338.  Frahm (2011a) 321–332.  Frahm (2011a) 332f.  Hierfür sprechen seiner Meinung nach insbesondere Angaben in Kolophonen und zahlreiche ḫepi-Glossen, vgl. Frahm (2011a) 446 ‚copying (of commentaries)‘ mit genauen Seitenangaben.  Frahm (2011a) 333.  Gabbay (2016) 4.  Gabbay (2016) 11 und passim.  Gabbay (2016) 58f.  Gabbay (2016) 4.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

So verweist er bei dem vierten Kriterium auf die beiden von Lambert (s. o.) behandelten Texte zur ‚Autorenschaft‘ der Götter (s. o.).1125 Für den Großteil der kommentierten Texte lässt sich seines Erachtens feststellen, dass sie göttlichen Ursprungs sind. Dies macht sie zu einer einheitlich wahrgenommenen Textgruppe, deren Kohärenz durch die Kommentare verstärkt bzw. produziert wird.1126 Auch Ulla Susanne Koch sieht Kohärenz als ein Kriterium, um einen Kanon zu identifizieren. Die divinatorischen Texte des 1. Jahrtausends sind insofern eine kohärente Gruppe, als dass sie sich durch ihren Inhalt, ihre Qualität und ihren Ursprung von anderen Texten unterscheiden. Ihr Ursprung ist weit zurückliegend und göttlich (s. o. Lambert und auch Gabbay), was auch ihren Status und ihre Autorität begründet. Eine Stabilität, wie sie bei einem Kanon zu erwarten wäre, ist bei den divinatorischen Texten nur zu einem gewissen Grad zu bemerken: Trotz der zunehmenden Standardisierung existieren verschiedene Texttraditionen nebeneinander und neues Material wird weiterhin inkorporiert. Dem Inhalt nach sind sie weder literarisch noch curricular (s. o. zum altbabylonischen Curriculum als Kanon). Allerdings sind sie identitätsbildend für eine Gruppe von Gelehrten; für den Nicht-Experten sind die Texte schwer bzw. kaum zugänglich. Letztendlich möchte Koch die Verwendung des Begriffes Kanons für die Gruppe der divinatorischen Texte vermeiden.1127 Francesca Rochberg behandelt nochmals (s. o. Rochberg-Halton) das Konzept Kanon. Ähnlich wie Veldhuis (s. o.) sieht sie kanonische Texte nun als soziales Phänomen. Das griechische Wort Kanon ist mit ‚Regel‘, ,Gesetz‘ zu übersetzen. In Mesopotamien betrauen die Götter den König mit der Aufrechterhaltung der göttlichen Ordnung. Recht und Norm werden durch göttliche Autorität gestützt. Nach dem ‚Catalogue of Texts and Authors‘ werden bestimmte wissenschaftlich-literarische Texte dem Gott Ea zugeschrieben (s. o. Lambert). Zudem stellen sich die Gelehrten in eine (Abstammungs-) Linie mit früheren Gelehrten und vorsintflutlichen Weisen und sind verantwortlich für die Überlieferung von Texten und Wissen (s. o. Lambert). Vanstiphout folgend (s. o.) sind für Rochberg die kanonischen Texte sowohl ein Vehikel für traditionelle Werte und Vorstellungen als auch das Mittel zur Aufrechterhaltung der Beziehungen zwischen Göttern und Menschen. Dies ist zutreffend für altbabylonische curriculare Texte, neuassyrische Omenserien sowie für seleukidische Klagelieder. Kanonische Texte sind bindend für eine Gruppe von schriftkundigen Personen. So zitieren die aus neuassyrischer Zeit stammenden Briefe und Berichte von Gelehrten, die

 Gabbay (2016) 4–7.  Gabbay (2016) 7.  Koch (2015) 52–54.

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insbesondere in Kujundschik gefunden wurden, Omensammlungen, wie Enūma Anu Enlil. Standardisierung ist nicht mit Kanonisierung gleichzusetzen. Da bestimmte Texte als bindend, d. h. kanonisch bzw. autoritativ, angesehen werden, konnte eine gewisse Standardisierung erfolgen, allerdings nie bis zu dem Grad, dass sie zu einem unveränderlichen textus receptus wurden.1128 Gegenstand des von Ulrike Steinert herausgegebenen Sammelbands „Assyrian and Babylonian Scholarly Text Catalogues“1129 sind die ab dem Beginn des 1. Jahrtausends auftretenden von Irving L. Finkel in seinem Beitrag als ‚Systemkataloge‘1130 bezeichneten Listen, die einen systematischen Überblick über den Inhalt von bestimmten Textserien und Korpora geben und als Hilfsmittel für Schriftgelehrte und im fortgeschrittenen Stadium der Ausbildung dienten. Ein solcher Katalog kann durch mehrere Textvertreter aus unterschiedlichen Orten und Zeiten (9.–3. Jahrhundert) bezeugt sein. Da die Textvertreter teilweise nicht mit den zeitgleichen Manuskripten der wissenschaftlich-literarischen Texte in Einklang zu bringen sind, spiegeln sie jeweils einen spezifischen (älteren) Entwicklungsstand der entsprechenden Textgruppen wider.1131 Für Steinert sind die Kataloge ein Indiz für die Existenz eines Kanons. In der Gräzistik werden ‚Bestenlisten‘ von Büchern und Autoren in Verbindung mit Kanon gesetzt. Diese Listen entstanden im Umfeld der alexandrinischen Schulen und kodifizieren eine Auswahl bereits anerkannter Autoren, bilden jedoch im Gegensatz zum Bibelkanon keinen geschlossenen Kanon, wobei – wie Steinert anmerkt – letzterer auch nur der Endpunkt eines Prozesses ist. Bei der weiteren Tradierung der griechischen Literatur kam es zu einer Selektion und Evaluation. Ein Beispiel hierfür ist der Korpus des Hippokrates, diesem wurden im 1. Jahrhundert n. Chr. 30 Werke zugeordnet, in der Renaissance jedoch etwa 20 Werke mehr.1132 Esagil-kīn-apli zeichnet sich in den Systemkatalogen KAR 44 (und Duplikate)1133 und CTN 4 Nr. 71 (und ein Duplikat)1134 für ein groß angelegtes Editionsprojekt, d. h. Standardisierung von Texten, Ende des 11. Jahrhunderts verantwortlich, welches als Vorbild für weitere Editionsprojekte diente.1135 In  Rochberg (2016).  Steinert (2018a).  Finkel (2018a) 39.  Vgl. die einzelnen Beiträge des Sammelbands Steinert (2018a) und seine Einleitung, Steinert (2018b).  Steinert (2018b) 8f. Für Jan Assmann ist die Bibel ein „zu einem gewissen Zeitpunkt stillgelegter tausendjähriger Traditionsstrom.“, Assmann (1992) 92 Fn. 6.  Vgl. die Neuedition Geller (2018b) in dem Sammelband.  Vgl. die Neuedition Schmidtchen (2018) in dem Sammelband. Siehe auch Finkel (1988).  Steinert (2018b) 16. Dies zeigt sich anhand der verwendeten Terminologie für den Editionsvorgang, wie u. a. Schmidtchen (2018) in dem Sammelband herausarbeitete.

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seinem Beitrag des Sammelbandes betrachtet Geller Esagil-kīn-apli als den babylonischen Hippokrates. Seines Erachtens verlieh die Zuschreibung eines Korpus von Texten an einen berühmten Gelehrten, in diesem Fall Esagil-kīn-apli, den Texten Autorität und sicherte deren Weitertradierung – sie bilden einen Kanon.1136 Nach Geller könnte in dem ‚Catalogue of Texts and Authors‘ (s. o. Lambert) Ea eine falsche oder kryphische Schreibung des Namens Esagil-kīnapli sein.1137 So wird die häufig angeführte göttliche ,Autorenschaft‘ im Zusammenhang mit kanonischen Texten (s. o. Lambert, Gabbay, Koch und Rochberg) in Frage gestellt. Steinert stützt sich weiter auf Rochbergs Ausführungen von 2016 (s. o.) sowie Rochbergs Beitrag in dem Sammelband, in dem sich letztere auf einen Artikel von Aaron W. Hughes bezieht, was Steinert aufgreift. Demnach sind klar strukturierte Listen Kataloge, sind diese geschlossen bzw. halbgeschlossen, legt das die Existenz eines Kanons nahe.1138 So schreibt Steinert: „Mesopotamian ‚system catalogues‘ present at least semi-closed lists of delimited text compendia or professional corpora and can thus be connected with the formation and articulation of scholarly and literary canons.“1139 Wie für Koch (s. o.) ist für Steinert auch Kohärenz ein Kriterium: „The corpora described in the ‘system catalogues‘ qualify as canons because they form coherent groups (such as divinatory, rituals, incantations and medical texts), which are linked to different technical disciplines.“1140 Die kanonischen Texte sind für Steinert, sich auf Koch beziehend, identitätsbildend für eine Gruppe von Experten. Das Erscheinen von Kommentartexten setzt für Steinert Frahm folgend (s. o.) die Existenz eines Kanons voraus.1141 Gleichwohl betont sie: At the same time, the text catalogues and extant written sources from different periods show that Mesopotamian literary and scholarly canons were always diverse, flexible and never entirely closed – some texts were transmitted over a long time, although they went through re-workings and revisions; at the same time, other texts fall out of use and new compositions see the light of the day.1142

      

Geller (2018a). Geller (2018a) 44 f. Vgl. Hughes (2003) 151 f., Rochberg (2018) 124 sowie Steinert (2018b) 18. Steinert (2018b) 18. Steinert (2018b) 18 f. Steinert (2018b) 19. Steinert (2018) 19.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

269

3.1.2.4 Auseinandersetzung mit den Thesen Oppenheims durch E. Robson Eleanor Robson betont die innovativen Elemente der wissenschaftlich-literarischen Texte des 1. Jahrtausends v. Chr.1143 Als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen dienen die Aussagen Oppenheims von 1960.1144 Als erstes Argument für die Lebendigkeit der wissenschaftlich-literarischen Texttradition führt sie die Astronomie und ihre verschiedenen Ausrichtungen, die alle während des 1. Jahrtausends entstanden, an. Sie fragt sich, wie festzustellen sei, dass bestimmte Texte nicht mehr gebraucht wurden. Hierfür zieht sie die unterschiedlichen Aufgabenbereiche der Gelehrten des 1. Jahrtausends und die chronologisch unterschiedlichen Verwendungszwecke von Texten heran.1145 Oppenheim sah die sogenannte Bibliothek Assurbanipals als repräsentativ für das 1. Jahrtausend an (s. Kap. 3.1.2.1). Zur damaligen Zeit war es die einzige sicher datierte und aus einem Fundkontext stammende Textsammlung. Inzwischen kann Robson sechs weitere ‚Bibliotheken‘, d. h. Sammlungen nicht-archivalischer Texte, aus gesichertem Fundkontext aus dem 7. bis einschließlich 2. Jahrhundert nennen, und zwar jene aus Ḫuzirina/Sultantepe, Kalḫu/Nimrud, Sippar/Tell Abū Ḥabbah, Babylon und Uruk/Warka. Die Bibliothek Assurbanipals ist insofern einzigartig, als dass nicht nur Texte als Kopien, Kommentare und neue Kompositionen geschrieben wurden, sondern auch zahlreiche Texte aus Babylonien ‚erbeutet‘ und teilweise wiederum abgeschrieben worden sein sollen. Die Intention, der Anspruch und das Sammeln war hier offensichtlich anders als bei den kleineren Bibliotheken. Demnach ist sie nicht wie von Oppenheim angenommen repräsentativ.1146 Weiter geht sie auf die Rolle des Unterrichts ein. Zu Oppenheims Zeit war zum Schulcurriculum wenig bekannt. Inzwischen zeigte sich, dass das Curriculum zeitlich und regional verschieden war und folglich im 1. Jahrtausend verschiedene Schreiberschulen in Erscheinung treten.1147 Anschließend betrachtet sie die achämeniden- und früh-seleukidenzeitliche āšipu-Bibliothek in Uruk. Von etwa 412 Tafeln besitzen 112 einen erhaltenen Kolophon. 48 erwähnen nicht, dass der Text eine Kopie sein soll. 25 von diesen Texten sieht Robson als Neuschöpfungen an. Wenn dies hochgerechnet wird, waren in dieser Bibliothek etwas ein Viertel der Texte Neuschöpfungen. Möglicherweise

 Robson (2011).  Dies trifft auch auf ihr Buch „Ancient Knowledge Networks“ zu, wobei dort nicht die wissenschaftlich-literarischen Texte im Mittelpunkt des Interesses stehen, sondern Gottheiten, Personen und Orte, die an der Produktion und der Weitergabe der Texte beteiligt waren, Robson (2019).  Robson (2011) 557 f. Ähnlich auch Robson (2019) 29 und passim.  Robson (2011) 558–561.  Robson (2011) 562–565. S. auch Robson (2019) 32–34.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

können auch die als Kopie bezeichneten Texte teilweise als Neuschöpfungen betrachtet werden.1148 Neben Vorlagen aus anderen Städten wurden im 1. Jahrtausend zudem sehr alte Texte kopiert und auch ältere Texte konnten sich in neubabylonischen Textsammlungen befinden. In der Manuskriptsammlung des Hauses der āšipu findet sich eine rund zwei Jahrhunderte früher zu datierende Tafel der Bibliothek Assurbanipals. Als Beispiele für Kopien älterer Texte nennt Robson drei Kopien aus der neubabylonischen Tempelbibliothek in Sippar (s. Kap. 3.1.1.2.3.1), die direkte Kopien von Inschriften vom Ende des 3. Jahrtausends bzw. Anfang des 2. Jahrtausends darstellen sollen.1149

 Robson (2011) 565–569.  Robson (2011) 569. Der Prolog des Kodex Hammurabi ist mit neu-/spätbabylonischem Duktus und Zeichenformen wiedergegeben. Der Kolophon bezeichnet den Text als Abschrift eines narû (s. Kap. 2.2), welcher in Susa aufgestellt war. Neben dem Kolophon sieht Adulillah Fadhil auch die Orthografie als Argument, dass die Abschrift von einer Originalstele in altbabylonischer bzw. diese imitierende Monumentalschrift erfolgte, vgl. Fadhil (1998) 725–728. Zwei weitere Tafeln mit einkolumnigem Text sind Replikas von sumerischen Inschriften; sie sind m. E. in altbabylonischer Monumentalschrift verfasst; der jeweilige Kolophon scheint in neu-/spätbabylonischer Schriftart geschrieben. Eine der beiden Tafeln ist eine kurze Weihinschrift an Nanše zu Gunsten Zambiyas, des Königs von Isin (1836–1834), die laut Kolophon von einer Inschrift (šaṭāru vgl. Kap. 2.2) eines Bronzebockes abgeschrieben wurde, vgl. Al-Rawi (2002). Auf einer weiteren, kleineren Tafel befinden sich zwei gut bekannte Beispiele von Bauinschriften: Auf der Vorderseite befindet sich eine Bauinschrift Gudeas (ca. 22. Jahrhundert), die Nanše gewidmet ist, auf der Rückseite eine Bauinschrift Šulgis (2094–2047), wiederum Nanše gewidmet. Der Kolophon nennt als Vorlage ein musarû (vgl. Kap. 2.2), eine Königsinschrift, s. Ismaʾil (1999–2000), vgl. ferner Edzard (1997) RIME 3/1.1.7.26 und Frayne (1997) RIME 3/2.1.2.10. Bei (Monumental-)Inschriften sind einerseits die verschiedenen, in etwa zeitgleichen Textvertreter auf verschiedenen Schriftträgern hervorzuheben. Die Funktion der Textvertreter steht im engen Zusammenhang mit ihrer Aufstellung bzw. Anbringung, vgl. hierzu u. a. Russell (1999). Neben diesen zeitgleichen Textvertretern können andererseits auch spätere Kopien von solchen Inschriften existieren. Sie implizieren, dass die Texte Teil des ‚stream of tradition‘ waren, wie z. B. Maul (2012) für den Kodex Hammurabi, von dem auch Manuskripte aus der sogenannten Bibliothek Assurbanipals bekannt sind, herausarbeitet. Eine Frage, die an dieser Stelle nicht weiterverfolgt werden kann, kristallisiert sich bei beiden genannten Punkten heraus: Wie beeinflusst der Wechsel des Schriftträgers das Erscheinungsbild des Textes? In altbabylonischer Zeit wurden zahlreichen sumerischen Texten akkadische Übersetzungen beigefügt. In der Regel wurden sumerische Königsinschriften, auch wenn sie weitertradiert wurden, nicht übersetzt. Den oben genannten Abschriften ist keine Übersetzung beigefügt. Ein äußerst seltenes Gegenbeispiel ist eine altbabylonische Übersetzung einer Weihinschrift Gudeas, vgl. Wilcke (2011). Für den Hinweis danke ich Markham J. Geller 05.08.2013. Luděk Vacín und Markham J. Geller vermuten zudem, dass dies womöglich damit zusammenhängt, dass solche Inschriften erst jenen Schülern gelehrt wurden, die bereits über gute Sumerisch-Kenntnisse verfügten.

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

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Gelehrte konnten womöglich ihre Ausbildung an unterschiedlichen Orten genießen1150 und unabhängig davon reisen.1151 Neben der Mobilität der Tafeln und der Gelehrten plädiert Robson für eine Mobilität des Wissens, d. h. für eine Veränderbarkeit des Wissens im 1. Jahrtausend. Sie schließt sich Lamberts oben bereits erwähnter Aussage bezüglich der Nicht-Existenz von kanonischen Texten an.1152 3.1.2.5 Fazit Das in der Altorientalistik verwendete Konzept des ‚stream of tradition‘ geht auf Oppenheim zurück. In seiner Konzeption bezieht sich Oppenheim auf die Bibliothek Assurbanipals und deren Textbestand. Die obige Diskussion dieses Konzepts zeigte, dass auch alle anderen Autoren, wenn sie sich zum ‚stream of tradition‘ – sowie zu der damit zusammenhängenden Idee der Kanonisierung bzw. Standardisierung – äußern, direkt oder indirekt Bezug auf diese Bibliothek nehmen. Die Bibliothek Assurbanipals dient folglich als epistemisches Objekt. Wie bereits von Oppenheim gefordert (Kap. 3.1.2.1), wird sich inzwischen vermehrt mit der Funktionsweise des ‚stream of tradition‘ beschäftigt. Es ist es unstrittig, dass im 1. Jahrtausend bestimmte wissenschaftlichliterarische Texte in standardisierter Form vorlagen. Jedoch gehen die Meinungen auseinander, ob diese als kanonisch zu bezeichnen sind oder nicht, was abhängig von der jeweils verwendeten Definition ist. Als Bezugsmodell dient häufig der biblische Kanon, wobei zunehmend auch der Umgang mit Texten in der Argumentation eine Rolle spielt. Angeführt werden u. a.: 1.) die Standardisierung; 2.) die Autorenschaft bzw. Herausgeberschaft, möglicherweise göttlicher Natur; 3.) Kataloge, die einen systematischen Überblick über Textserien und Korpora geben sowie 4.) Kommentartexte. Neben der Standardisierung, die mit der Serialisierung einhergeht, und den Katalogen zeugt auch die indigene Terminologie von einer gewissen Kategorisierung des Wissens. Wissenschaftlich-literarische Texte des 1. Jahrtausends dienten als Reverenz. All dies verweist auf eine größere Bedeutung der Schrift in der Gesellschaft des 1. Jahrtausends im Vergleich zu früheren Perioden, d. h. auf eine größere Autorität der schriftlichen Zeugnisse. Verschiedene Texte wurden über Jahrhunderte tradiert. Dabei handelt es sich allerdings nicht nur um die ‚Standardserien‘, sondern u. a. auch um Kataloge,

Die altbabylonische Monumentalschrift wurde in neubabylonischer Zeit häufig gebraucht. Nebukadnezar ließ zahlreiche Bauinschriften in dieser Schrift anfertigen und es wurden des Öfteren Faksimiles älterer Inschriften angefertigt, vgl. Maul (2012) 83.  Robson (2011) 564f.  Robson (2011) 569f.  Robson (2011) 571f.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

historische Inschriften und bestimmte, als bedeutend betrachtete Alltagstexte (und möglicherweise auch um Kommentartexte). Die einzelnen Manuskripte der Standardserien sind in ihrem Wortlaut und dem Inhalt nach variabel; der Grad der Standardisierung ist je nach Serie verschieden. Bei den medizinischen Texten mit Rezepten ist keine Standardisierung festzustellen. Die Tradierung durch Abschriften ist durch die Kolophone der Tafeln vermerkt. Hinweise, auf den Versuch textgenau zu kopieren, sind ḫepi-Glossen, die auf Bruchstellen der Vorlage verweisen,1153 sowie Zeilenzählungen etc. Ein hohes Alter und dadurch womöglich Autorität suggerieren nicht nur Abschriften, sondern in weit größerem Maß die selten angegebene Autorenschaft. Der ‚stream of tradition‘ ist im 1. Jahrtausend m. E. nicht gefroren, sondern äußerst lebendig. Neben der Tradierung von Texten kam es stets zu einer Neuschöpfung von Texten, vgl. u. a. die Kommentare. Mit der Astronomie entwickelte sich im 1. Jahrtausend ein neuer Wissenschaftszweig. Vom kreativen Umgang mit (schriftlichem) Wissen zeugen intertextuelle Bezüge. Einzelne Ausdrücke, Wörter oder ganze Passagen von Texten können sich – wie schon für die medizinischen Texte bemerkt – überschneiden. Bei Beschwörungsserien wie Muššuʾu, Qutāru und Utukkū lemnūtu kann/können dieselbe(n) Beschwörung(en) erscheinen.1154 Hinsichtlich der akkadischen Synonymenliste Malku = šarru konnte ein Zusammenhang zu literarischen Texten festgestellt werden.1155 Diese Art von Intertextualität bedarf einer weitergehenden Untersuchung und besitzt das Potenzial, einen Eindruck von der altorientalischen Textproduktion zu vermitteln. Kommentartexte erklären Wortzitate oder Ausdrücke einer Serie mit Hilfe von anderen Serien. Hierbei spielt natürlich auch die Vieldeutigkeit der Schriftzeichen eine Rolle. Dieses Verfahren wird häufig als assyrisch-babylonische Hermeneutik bezeichnet. Bestimmte keilschriftliche Texte wurden – wie oben dargelegt – über Jahrhunderte weitergegeben. Die Vermittlung konnte mündlich, schriftlich bzw. als eine Mischform geschehen. Die einzelnen Manuskripte sind Abschriften einer schriftlichen Vorlage, Niederschriften eines Diktats von einer schriftlichen Vorlage, von einem mündlich memorierten Text, Niederschrift von memorierten Texten mit bzw. ohne schriftliche Vorlage etc. Als Schreiber kommen in Frage 1.) Schüler, in den ersten Phasen ihres Unterrichts, deren Texte häufig als Schülertafeln bezeichnet werden; 2.) fortgeschrittene Schüler; 3.) fertig ausgebildete Schreiber bzw. Gelehrte. Manuskripte sind nicht nur als Resultate der (regional und zeitlich diversen) Ausbildung anzusehen, sondern können (zudem) auch  Für die Nicht-Restauration und Restauration von gebrochenen bzw. nicht leserlichen, fehlerhaften Stellen in der Vorlage und deren Markierung siehe Worthington (2012) 20–28.  Geller (2000) 225.  Vgl. hierfür die Edition von Hrůša (2010).

3.1 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemisches Objekt

273

als Referenzwerke, für die Lagerung sowie für die Durchführung bestimmter Rituale usw. gedient haben. Es ist sehr selten, dass zwei Manuskripte exakte Kopien voneinander sind. Varianten in Manuskripten eines Textes sind u. a. durch den Prozess des Niederschreibens zu erklären1156 und bzw. oder der Funktion der jeweiligen Texte. Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Grad der Standardisierung je nach Text und Zeitstufe variabel ist. Die Bedeutung, die im Alten Orient der Standardisierung bzw. wortlautgetreuen Kopien beigemessen wird, entspricht nicht dem heutigen Verständnis. Durch Abschriften kann ein Schreiber einem Text eine neue Form geben oder ihn gar neu editieren, womit sicherlich auch nicht explizit formulierte Fragen der Interpretation und Autorität des Textes verbunden sind. Die Untersuchung des ‚stream of tradition‘ – oder anders ausgedrückt des Umgangs mit schriftlichem Wissen – kann in einer synchronen oder auch diachronen Perspektive erfolgen.1157 Bei der diachronen Perspektive kann bspw. der Wandel eines Textes (oder einer Textgruppe) von seinem ersten bis zeitlich spätesten Schriftzeugnis dargelegt werden. In synchroner Perspektive erfolgt z. B. die Rekonstruktion des Schulcurriculums zu einer bestimmten Zeit. Zwei Ansätze lassen sich ausmachen: der philologische und der kontextuelle Ansatz. Beim philologischen Ansatz sind die Schriftträger und der darauf realisierte Text Ausgangspunkt der Untersuchung, wie bspw. bei Texteditionen. Texteditionen wissenschaftlich-literarischer Texte sind oft als Editionen der Textversion aus Ninive/Kujundschik anzusehen, da diese als sogenannte Standardversion ausgewählt wird. Häufig stammt nämlich die größte Anzahl an Manuskripten eines Textes, die diesen am vollständigsten wiedergeben, aus dieser Tafelsammlung. Mit Hilfe der Textkritik werden Varianten oder Fehler verschiedener Manuskripte eines Textes betrachtet und verschiedene Versionen bzw. Rezensionen eines Textes definiert, die wiederum auf verschiedene Überlieferungsstränge bzw. den Wandel durch die Überlieferung verweisen können.1158 Überwiegend

 Vgl. hierzu bspw. für lexikalischen Listen der späten Bronzezeit aus Ḫattuša/Boğazköy Scheucher (2012) 225–260 und passim und für altbabylonische literarische Kompositionen aus Nippur Delnero (2012a).  An dieser Stelle möchte ich J. Cale Johnson und Lucia Raggetti für ihr Seminar zur Textkritik an der Freien Universität Berlin im WS 2013/14 danken. J. Cale Johnson danke ich für seine Gesprächsbereitschaft und für weitere Literaturhinweise zum ‚stream of tradition‘.  So muss bei der Edition nicht immer die am häufigsten bezeugte Version als Standardversion auserkoren werden, sondern es kann (begründet) ein anderes Manuskript ausgewählt oder ein Text rekonstruiert werden, bspw. im Falle von vielen zeitgleichen Schülertafeln aus einem Ort. Zwei neuere Publikationen beschäftigen sich mit der Adaption der aus der klassischen Philologie stammenden Textkritik für die Keilschriftforschung, und zwar für das Sumerische Delnero (2012b) und für das Akkadische Worthington (2012).

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

einen philologischen Ansatz verfolgen auch Untersuchungen zum Schulcurriculum bzw. zur Wissensvermittlung, wobei hier neben dem ‚Text‘ an und für sich auch die äußeren Charakteristika der Manuskripte eine große Rolle spielen.1159 Bei einem kontextuellen Ansatz interessiert weniger der jeweilige wissenschaftlich-literarische Text, sondern seine soziokulturelle Einordnung. Hierfür werden neben den spezifischen Texten oder Manuskripten auch andere Quellen verwendet. Die in Teil 1 dieses Kapitels vorgestellten Betrachtungen zu Manuskriptsammlungen wie auch die folgende zur Bibliothek Assurbanipals verfolgen einen solchen Ansatz. Niek Veldhuis plädiert für eine „intellectual history“, die sich auch dem kontextuellen Ansatz zuordnen lässt. Wissen – in unserem Fall wissenschaftlich-literarische Texte – wurde von bestimmten Akteuren in ihrem jeweiligen soziokulturellen Umfeld eingesetzt. Das soziokulturelle Umfeld der Akteure und ‚ihrer‘ wissenschaftlich-literarischen Texte wird unter Hinzunahme der Alltagstexte untersucht.1160 Abhängig von der Fragestellung, dem Quellenmaterial und persönlichen Vorlieben erfolgt eine Wahl der Betrachtungsperspektive und des jeweiligen Ansatzes, was natürlich keineswegs heißen soll, dass sich diese nicht abhängig vom Untersuchungsgegenstand streckenweise überschneiden bzw. aufeinander aufbauen können. So könnte auch noch von einem dritten Ansatz gesprochen werden.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort Was als Bibliothek Assurbanipals bezeichnet wird, ist ein Konglomerat verschiedener Textfunde unterschiedlichster Gattungen, meist aus dem 7. Jahrhundert v. Chr., die in Kujundschik größtenteils in der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert ausgegraben wurden. Im ersten Teil dieses Kapitels wurde das allgemeine Konzept einer Bibliothek dargestellt. In Anlehnung daran wird im Folgenden der Fundort, die Tafelsammlung, das Sammeln, mit dem das Kopieren von Texten einhergeht und der allgemeine Zweck bzw. die Funktion behandelt. Hierfür werden sowohl primäre als auch sekundäre Quellen herangezogen. Ziel ist es, einen Abriss zum Forschungsstand dieser Tafelsammlung zu bieten und mit Hilfe dieser Zusammenschau die Funktion(en) der äußerst sorgfältig gestalteten Bibliothekstexte zu erschließen. Auf die Gestaltung der Tontafeln – sowohl der Alltagstexte wie auch der wissenschaftlich-literarischen Texte – wird im darauffolgenden Unterkapitel eingegangen. Es werden charakteristische Textsorten

 Vgl. Veldhuis (1997), Gesche (2001), Scheucher (2012) und Bartelmus (2016).  Veldhuis (2014b).

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

275

der neuassyrischen Alltagstexte dargelegt und die besondere Gestaltung der Bibliothekstexte, die Assurbanipal zuzuschreiben sind, besprochen.

3.2.1 Der Befund ‚Bibliothek Assurbanipal‘ 3.2.1.1 Ort Die Texte, die der sogenannten Bibliothek zugeordnet werden, stammen aus Ninive, und zwar von dem dort befindlichen Hügel Kujundschik. Ninive war eine der assyrischen Hauptstädte. Eine administrative und religiöse Blütezeit erlebte die Stadt in der Zeit von 704 bis 681 unter Sanherib, der Ninive als seine Residenzstadt wählte. Sein Enkel Assurbanipal (668–631/627) erweiterte die Stadt und machte sie zum Mittelpunkt seines Reiches. Am 10. August 612 wurde Ninive als letzte Hauptstadt Assyriens (nach Assur und Nimrud) von den Medern und Babyloniern zerstört. Auf Kujundschik stand der Südwestpalast des Sanherib, der Nordpalast des Assurbanipal sowie der Ištar- und der Nabû-Tempel. Neben Kujundschik gibt es noch einen weiteren Hügel (Nabi Yūnus) und die Unterstadt, die jedoch kaum erforscht ist. Die Mehrheit der Tafeln aus Kujundschik wurden bei Grabungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert n. Chr. entdeckt und befindet sich heute im British Museum. Grabungsleiter waren u. a. Austen H. Layard, Hormuzd Rassam und George Smith. Etwa 20 000 Tafeln und Tafelfragmente stammen aus den Expeditionen der Jahre 1849–1854. Inzwischen sind über 31 000 Tafeln und Tafelfragmente im British Museum in der K(ujundschik)-Sammlung und diversen Untergruppen inventarisiert. Verschiedene Faktoren erschweren es, den archäologischen Kontext zu rekonstruieren. Der Großteil der Funde wurde bei Tunnelgrabungen gemacht. Hierfür wurden Schächte (entlang der steinernen Orthostaten) ausgehoben. Zudem wurde häufig an mehreren Fundstellen gleichzeitig gegraben. Die Tafelfragmente wurden vor Ort in Kisten gepackt und vermischt, manchmal auch mit Tafeln anderer Fundorte. Manche Kisten, die in den 1850er Jahren ans British Museum geliefert wurden, wurden erst um 1870 ausgepackt. Hierbei konnten die einzelnen Kisteninhalte (auch mit Funden anderer Orte) bei der Vergabe der Museumsnummern vermengt werden. Zwar sind wohl nur 1% bis 2% der Tafeln der K(ujundschik)-Sammlung fremden Ursprungs, aber insgesamt lässt sich auch bei den Texten aus Ninive nicht mehr erschließen, aus welchen Gebäuden und Räumen sie stammen.1161

 Vgl. zur Grabungsgeschichte und Forschungsgeschichte des Fundortes und der Tafelsammlung Reade (1998–2001), und Walker (1987b), für weitere Literaturhinweise zur Grabungsgeschichte

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

Einen Vorschlag für die Rekonstruktion von verschiedenen Tafelsammlungen mit einer spezifischen archäologischen Situation anhand von teilweise nicht publizierten Grabungsunterlagen bietet Julian Reade, auf den ich mich im Folgenden stützen werde.1162 Daneben gab es auch weitere Textfunde, die in anderen Räumen bzw. auf dem Gelände gefunden wurden.1163 Südwestpalast Zahlreiche Tafelfunde wurden im Südwestpalast gemacht. Teils recht fragmentarische Tafeln, auf denen sich Texte verschiedener Kategorien befinden, waren miteinander vermengt. Aufgrund der Konzentration von Tafeln in bestimmten Räumen rekonstruiert Reade 1986 drei mögliche Archive bzw. Bibliotheken. Kleinere Gruppen von Tafeln, die in den einzelnen Räumen gefunden wurden, sprechen für weitere Tafelsammlungen. Die Tafeln wissenschaftlich-literarischen Inhalts sind im Gegensatz zu den Alltagstexten aus einem roten Ton gefertigt.1164 Fragmente einer Tafel wissenschaftlich-literarischen Inhalts lagen teilweise in unterschiedlichen Räumen. Dieser Zustand könnte von einer Plünderung des Palastes bei seiner Zerstörung herrühren. Weiter könnte für den fragmentarischen Zustand ein herabstürzender Überbau verantwortlich sein oder die Tafelsammlungen befanden sich ursprünglich in einem uns nicht mehr erhaltenen oberen Stockwerk.1165 Im Mai 1850 wurden die sogenannten chamber of records, die Räume 40 und 41 im Südwestpalast entdeckt. Die Seiten der Eingänge zu den Räumen 41 und 39 waren mit jeweils zwei großen Orthostaten, die einen apkallu, einen als Fisch verkleideten Mann, zeigen, verziert. Raum 40 ist nur über Raum 41 zugänglich. Die Räume 40 und 41 waren mit Orthostaten versehen. Der Großteil der wissenschaftlich-literarischen Texte des Südwestpalastes stammt aus diesen beiden Räumen. Sie waren vollständig mit Tontafelversturz gefüllt, teilweise über 30 cm hoch. Die Tontafeln waren häufig zerbrochen, so dass nach Layard die Tafeln womöglich aus einem oberen Teil des Gebäudes stammen. Auch in den umliegenden Räumen wurden Tafeln entdeckt, jedoch in weit geringerem Ausmaß. Die Tafeln gehören den verschiedensten Kategorien wissenschaftlich-literarischer Texte und Alltagstexte an; auch historische Inschriften

vgl. Fincke (2003–04) 113 Fn. 14. Für die Grabungskampagnen des British Museum in den Jahren 1846–1855, s. Turner (2020). Für eine knappe Zusammenfassung der Grabungsgeschichte bezogen auf die Tafelfunde s. Charpin (2010a) 188–190.  Reade (1986).  Reade (1998–2001) 421–427.  Reade (1986) 218.  Reade (1998–2001) 421f. Für letztere Position spricht sich u. a. Battini (1996) aus.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

277

sollen sich nach Layard darunter befunden haben.1166 Aufgrund der Größe des Befundes ist es nach Reade naheliegend, dass der Hauptanteil der wissenschaftlich-literarischen Texte aus den Räumen 40 und 41 stammt. Viele zu diesem Befund gehörende Tafeln kommen auch aus der Nähe dieser Räume, wie z. B. dem Korridor 49, der keine direkte Verbindung zu den Räumen 40 und 41 besitzt.1167 George Smith, der 1873 und 1874 vor Ort Nachuntersuchungen anstellte, geht daher davon aus, dass sich die Tafelsammlung ursprünglich im oberen Stock befand, was die Befundsituation erklären könnte.1168 Die Existenz eines oberen Stockwerks gilt jedoch nicht als gesichert.1169 Im Raum 54 im Süden des Palastes wurden weitere Texte gefunden; Orthostaten sind hingegen aus diesem Raum nicht bekannt. Die Tafeln der Subkollektion 83-1-18 sind – neben anderen – diesem Fundort zuzuordnen.1170 Simo Parpola betrachtet diese Kollektion mit seinen 900 Tafeln näher; die Tafeln sind womöglich das Ergebnis der Grabungssaison Herbst 1882. 65% der Tafeln und Tafelfragmente sind archivalisch. Im Vergleich dazu sind nur insgesamt 18% der aus Kujundschik stammenden, im British Museum inventarisierten Tafeln und Tafelfragmente Alltagstexte. 93,9% der aus dieser Subkollektion datierbaren Texte sind der Regierungszeit Asarhaddons und Assurbanipals zuzuordnen, dagegen nur 1% der Texte der Regierungszeit Sargons (721–705). Briefe machen ca. 50% der Archivtexte der Gesamtsammlung aus, wobei hiervon wiederum die

 Layard (1853) 343–346. S. auch Walker (1987b) 183 f., Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) 109 sowie Turner (2020) 236–238, 313–320 und 613 f. Im Raum 40 befand sich eine Nische, was darauf hindeutet, dass es sich bei Raum 40 um ein Badezimmer und bei Raum 41 um dessen Vorzimmer handelte, so Turner (1970) 201 und Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) 109. Siehe für eine Diskussion dieses Befundes mit weiteren Angaben George (2020) 10–12. Die Tafeln mit den Museumsnummern K.1–278 wurden in den 1850ern ausgegraben und stammen hauptsächlich von Layards Grabungen im Südwestpalast 1851, insbesondere aus der Gegend der Räume 40 und 41, vgl. Reade (1986) 213 und Reade (1998–2001) 422b, siehe auch George (2003) 386 und George (2020) 12 f. Bei einer kurzen Durchsicht von im CDLI veröffentlichten Fotos dieser Tafeln bestätigt sich das generelle Bild verschiedener Textkategorien. Reade erklärt diese Vermengung folgendermaßen: Nachdem der Nordpalast für Assurbanipal von 647–644 aufgebaut wurde, verlagerten sich die Archive womöglich dorthin. Der Südwestpalast blieb ein Regierungsgebäude. Unter Sīn-šarru-iškun (629/7–612) kam es zu einigen Renovierungen. Im Raum 1 wurden Tafeln dieses Herrschers gefunden. Seine Renovierungsarbeiten könnten Aufräumarbeiten in vernachlässigten Gebieten des Gebäudes und das Versammeln aller Tafeln unabhängig ihres Inhalts in oder oberhalb der Räume 40 und 41 beinhaltet haben; s. Reade (1998–2001) 425b und 427a.  Reade (1986) 219f.  Smith (1875) 144. Siehe hierzu auch Turner (2020) 236f.  Vgl. George (2020) mit weiteren Angaben und einer möglichen Erklärung des Befunds.  Reade (1998–2001) 422b.

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Hälfte normalerweise in die Regierungszeit Sargons datiert. In 83-1-18 haben wir nach Parpola 272 Briefe aus der Regierungszeit Asarhaddons (680–669) und Assurbanipals (668–631/627) und nur drei aus derjenigen Sargons. Unabhängig von der jeweiligen Textkategorie – seien es Reporte, Orakelanfragen oder Briefe – machen Alltagstexte aus der Regierungszeit Sanheribs sowie Asarhaddons und Assurbanipals 20% der korrespondierenden Texte der Gesamtkollektion aus.1171 Aufgrund des geringen Anteil der Texte aus der Zeit Sargons ist der Schluss zu ziehen, dass ursprünglich die Alltagstexte abhängig von ihrer Datierung in verschiedenen Archiven aufbewahrt wurden. Im Jahre 1849 wurden im Raum 61 um die 450 gesiegelte, unbeschriftete Tonetiketten und Tonverschlüsse, heute im British Museum unter 51-9-2 inventarisiert, gefunden. Der Durchgang zu Raum 61 war an beiden Seiten flankiert von „[…] four colossal mythic figures, amongst which were the fish god and the deity with the lion’s head and eagle’s feet.“1172 Im Raum 61 befand sich in der Mitte eine Rampe – möglicherweise ursprünglich eine Treppe – mit umlaufendem Korridor; reliefierte Orthostaten sind nicht bekannt.1173 Die Rampe führte nach Layard zu einem im Befund nicht erhaltenen oberen Stockwerk.1174 Sie war überzogen von einem Gips- oder Kalkstrich mit einer Dicke von ungefähr 3,8 cm (1 ½ inch). Das ansteigende ‚Podest‘ war aus sonnengetrockneten Ziegeln gemauert. An den beiden Seiten waren drei Reihen von Vorsprüngen von jeweils zwei übereinanderliegenden Ziegeln; die Reihen befanden sich im Abstand von vier Ziegellagern. Vereinzelt befanden sich runde Löcher im Ziegelwerk. Layard nimmt an, dass die Löcher wie auch die Vorsprünge dem Anbringen von Regalbrettern dienten, wo dann die Texte gelagert wurden.1175 Suzanne Herbordt geht davon aus, dass die Tonverschlüsse vom oberen Stockwerk herabgestürzt sind.1176 Laura Battini rekonstruiert eine Treppe. Da sie nicht davon ausgeht, dass Pergamentrollen unter der Treppe gelagert worden sind, sollen die Tonverschlüsse aus einem Archiv im oberen Stockwerk stammen.1177 Geoffrey Turner vermutet, dass die Löcher im Mauerwerk dem Anbringen von glasierten Ziegeln dienten.1178 Die ‚Rampe‘ führt

 Parpola (1986) 228f.  Layard (1853) 460.  Für eine Beschreibung des Raumes vgl. Barnett/Bleibtreu/Turner (1998) 127, Battini (1996) 33–36 und Turner (2020) 385–403.  Layard (1853) 650.  Layard (1853) 460–462.  Herbordt (1992) 16f.  Battini (1996) 35f.  Turner (2020) 388–390.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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in ein oberes Stockwerk, von dort sollen die Tonverschlüsse in Raum 61 und die Tontafeln in Raum 41 gefallen sein.1179 Die gesiegelten Tonverschlüsse (vgl. Kap. 4.1.3.2) sollen nach Layard wie moderne Siegel aus Wachs an Dokumente, die aus Leder, Pergament oder Papyrus waren, angebracht gewesen sein. Diese Beschreibstoffe haben sich nicht im Befund erhalten. Auf der Rückseite der nach Abbildung plombenförmigen Tonverschlüsse sieht man Abdrücke einer Schnur. Die Siegelmotive sind assyrisch, aber einige wenige sind nach Layard auch ägyptisch bzw. phönizisch.1180 Es gibt zudem Beispiele mit luwischen Hieroglyphen.1181 Ein großer Teil der Tonverschlüsse ist mit dem sogenannten Königssiegel gestempelt.1182 Das Königssiegel wird sonst bei königlichen Erlässen und Dekreten verwendet.1183 Nach Suzanne Herbordt sind zwei Gruppen von Tonverschlüssen vorhanden. Dabei sind einerseits um einen Knoten geformte Tonetiketten zu nennen, die ursprünglich frei von einem Gegenstand hangen. Andererseits gibt es Tonverschlüsse, die auf ihrer Rückseite Abdrücke von Behältnissen wie Kisten, Säcken und Körben besitzen. Die Behältnisse haben sich nicht erhalten. Daher meint Herbordt, dass nur die Versiegelungen archiviert wurden.1184 Letztendlich bleibt es – insbesondere bei den Tonetiketten – ungeklärt, an welchen Objekten sie ursprünglich angebracht waren. Wenn von Schriftobjekten ausgegangen wird, kämen aufgrund der Siegelpraxis auch Briefe in Frage. Bei dieser Textsorte ist die Tonhülle der Tafel gesiegelt (vgl. Kap. 3.2.2.1); die Tonetiketten hätten dann die Funktion der Hülle übernommen. Nordpalast In Raum C, der mit Orthostaten versehen war, wurden zahlreiche Tontafeln gefunden. Die Größten unter ihnen sollen gesiegelt gewesen sein, was für Rechtsurkunden und Briefe spricht. Zwei Tafeln lassen sich sicher diesem Fundort zuordnen, und zwar K.309.a (SAA 14 Nr. 29) und K.329 (SAA 14 Nr. 39).1185 Es sind Privatrechtsurkunden jeweils eines rab kiṣri, einer Art Kommandanten.1186

 Turner (2020) 392–395.  Layard (1853) 153–156. Siehe hierzu auch Turner (2020) 395–403.  Nach Turner ist ihre Anzahl etwa 11, Turner (2020) 402.  Herbordt (1992) 16. Siehe auch Turner (2020) 402f.  S. Herbordt (1992) 52 und SAA 12 = Kataja/Whiting (1995) XVI.  Herbordt (1992) 16f.  Reade (1986) 221. Für Angaben zu weiteren Alltagstexten, die womöglich anderen Archiven des Nordpalasts zuzuordnen sind, vgl. Reade (1998–2001) 422.  Diesem Archiv sind aufgrund des Inhalts andere Rechtsurkunden des Zeitraums 645 bis 622 zuzuordnen, vgl. Reade (1998–2001) 426a.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

Ob es zudem wissenschaftlich-literarische Texte gab, hängt von der Interpretation der publizierten Aufzeichnungen ab. Manchmal wird auch vorgeschlagen, dass die Tafeln aus einem oberen Stockwerk heruntergefallen sind.1187 Aus der südlichen Ecke des Palastes sind wissenschaftlich-literarische Texte bekannt.1188 Im Gegensatz zu vergleichbaren Tafeln aus dem Südwestpalast soll ihr Ton von einem „shabby disintegrating light brown“ sein, ähnlich dem Material der babylonischen Tafeln. Reade hat keinen Kolophon gefunden, der nur den Namen Assurbanipals und seine Epitheta wiedergibt. Alle ihm bekannten Kolophone sind länger. Aufgrund der Nähe zur südlichen Ecke des Nabû-Tempels könnten die Tafeln zum Teil wohl auch von dort stammen.1189 Nabû-Tempel Der Tempel wurde bei den Ausgrabungen des 19. Jahrhunderts nicht erkannt und seine Überreste sind schlecht erhalten.1190 Hier wurden einige wenige wissenschaftlich-literarische Tafeln und zwei Alltagstexte gefunden. Zu diesem Tafelfund gehören BM 121034 und 121045. Sie sind wissenschaftlich-literarischen Inhalts und sollen aus einem anderen Ton als die sonstigen Bibliothekstexte angefertigt sein.1191 BM 121034 datiert womöglich in die mittelassyrische Zeit. Jedoch unterscheiden sich die Zeichenformen von denen der Manuskripte der sogenannten Bibliothek Tiglat-pilesers I.1192 Zahlreiche Tafeln mit einem ‚Assurbanipal-Kolophon‘ erwähnen, dass Tafeln in der girginakku (Art Bibliothek/Bücherschrank s. Kap. 3.1.1.2.4) im Nabû-Tempel aufgestellt waren.1193 Ištar-Tempel „The temple library and records were largely dispersed by Post-Assyrian activities on the site, but some tablets in the DT and Sm. collections probably derive from it.“1194 In der Nähe wurden mittelassyrische Texte gefunden. Insgesamt soll es über 50 mittelassyrische Texte in der K-Sammlung geben, wobei einige ursprünglich aus der sogenannten Bibliothek Tiglat-pilesers I. stammen. Eine Obligations-

 Pedersén (1998) 163.  Für Angaben zu den Tafeln s. Reade (1998–2001) 422b.  Reade (1986) 221.  Reade (1998–2001) 410b.  Vgl. Reade (1998–2001) 423a mit weiteren Angaben.  Siehe Rochberg (1988) 273–279.  Hunger (1968) Nrn. 327 (Assurbanipal-Kolophon n), 328 (Assurbanipal-Kolophon o), 338 und 339. Für weitere Angaben s. Lieberman (1990) 317 Fn. 62.  Reade (1998–2001) 422b.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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urkunde datiert ins Jahr 632.1195 Auch einige altbabylonische Texte kommen aus dem Ištar-Tempel.1196 Es gab nach Lambert unter den Priestern der Ištar von Ninive eine Tradition des Verfassens von poetischen Texten. Diese Texte wurden weitergereicht, wie bspw. die Abschrift eines Textes Assurnaṣirpals I. mit einem ‚Assurbanipal-Kolophon‘ belegt.1197 3.2.1.2 Tafelsammlung Eine systematische Untersuchung der Tafelsammlung steht noch aus. Das folgende Bild des Inhalts ist daher leider skizzenhaft.1198 Über 30 000 gebrannte und ungebrannte Tafeln, Tafelfragmente und vergleichbare tönerne Objekte wurden in Ninive zu Tage gefördert (Stand Oktober 1997) und befinden sich heute größtenteils im British Museum. Einige von den Texten sind nicht den verschiedenen Bibliotheken oder Archiven zuzuweisen, sondern stammen aus sogenannten Gründungsdepots oder sind Wandverzierungen wie Wandknäufe. Die meisten Tafeln sind zerbrochen, oft in sehr kleine Teile. 5351 direkte und viele indirekte ‚Joins‘, d. h. Zusammensetzungen von Tontafelfragmenten, wurden allein bis 1998 gemacht.1199 Bis Februar 2016 hatte sich die Zahl auf 6063 erhöht.1200 So wird davon ausgegangen, dass der Bestand von Tafeln wesentlich kleiner als 30 000 war. Dem Inhalt nach sind die Texte Alltagstexte, wissenschaftlich-literarische Texte und historische Inschriften.1201 Die Sammlung deckt den größten Teil der aus dem 1. Jahrtausend bekannten Texttypen ab. Eine Beschreibung des (Text-)Inhalts sowohl der Inschriften, der Alltagstexte und der wissenschaftlich-literarischen Texte der Bibliothek Assurbanipals lieferte Bezold 1886 in seinem Werk „Kurzgefasster Überblick über die BabylonischAssyrische Literatur“ mit zahlreichen Beispielen und Literaturhinweisen und in einer allgemein gehaltenen Schrift „Ninive und Babylon“ 1903, mit einer zweiten erweiterten Auflage 1903 und einer dritten, abermals erweiterten dritten Auflage 1909.1202 Als Hilfsmittel für die K-Sammlung sind immer noch der fünfbändige

 Reade (1998–2001) 422b f. Für die Textfunde s. auch Reade (2005) 382.  Reade (1998–2001) 407b Abb. 10 und Dalley (2001).  Lambert (1961) 157.  Für die Forschungsgeschichte der Sammlung im British Museum vgl. Walker (1987b).  Reade (1998–2001) 421a.  Fincke (2017b) 209. In Fincke (2017a) 391 wird noch 5949 angegeben.  Reade (1998–2001) 421a.  Obwohl teilweise nicht explizit von der Bibliothek Assurbanipals die Rede ist, machen die zahlreichen Beispiele deutlich, dass es sich hierbei um die Bibliothek Assurbanipals handelt; auch sieht Bezold die beiden Schriften als Beschreibung des Inhalts an, Bezold (1904) 261.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

Katalog von Bezold von 1889–99, der Supplementband von Leonhard W. King von 1914, derjenige von W. G. Lambert und A. R. Millard von 1968 und derjenige von Lambert 1992 obligatorisch. In den Katalogen von Bezold wird das jeweilige Fragment beschrieben. Hierbei waren für Bezold die Maße, der Erhaltungszustand, das Layout des Textes, Art der verwendeten Schrift und Inhalt relevant. Während mehrerer Forschungsaufenthalte in den Jahren zwischen 1924–1954 kopierte F. W. Geers mehr als 5500 Fragmente wissenschaftlich-literarischer Texte der K-Sammlung. Zwar publizierte Geers kaum etwas davon, allerdings entstand eine Forschungsbibliothek von Kopien literarischer (im weitesten Sinne) assyrischer Texte in Chicago. Viele Studien zu literarischen Texten profitierten von Geers Kopien und seiner Hilfsbereitschaft.1203 Heute sind die ‚Geers-Kopien‘ im Besitz des Seminars für Sprachen und Kulturen des Vorderen Orients an der Universität Heidelberg.1204 Der größte Teil der ‚Geers-Kopien‘ ist inzwischen kopiert, gescannt und beim CDLI herunterladbar. Eine Bibliografie zur K-Sammlung erschien 1964,1205 weitere Literaturverweise finden sich im „Handbuch zur Keilschriftliteratur“ (1967–1975).1206 2002 wurde das ‚Assurbanipal Library Project‘ am British Museum ins Leben gerufen. Die Untersuchung der in babylonischer Schrift verfassten Texte – sowohl der Alltagstexte und der historischen Inschriften als auch der wissenschaftlich-literarischen Texte – war Teil der ersten Phase des Projekts.1207 Bis Dezember 2003 identifizierte Jeanette Fincke 3594 Texte.1208 Eine Datenbank für die babylonischen Texte wird von ihr seit 2003 gepflegt, in der die Texte in thematische Gruppen unterteilt sind und auch Hinweise zu Publikationen gegeben werden. Seit 2006 unterhält sie eine weitere Datenbank, in der sämtliche Joins der Texte aus Ninive vermerkt werden sollen.1209 2017 gibt sie dann die Anzahl der babylonischen Texte mit 35051210 bzw. 34941211 an. Die KSammlung im British Museum wird digitalisiert. Die Fotos und weitere Angaben wie Maße sind auf der Homepage des British Museum und auch im CDLI frei ein-

Bei der dritten Auflage von „Ninive und Babylon“ befindet sich die Beschreibung der Bibliothek Assurbanipals auf den Seiten 70 bis 136.  Walker (1987b) 190.  Vgl. die Webseite Frahm (2013).  Leichty (1964).  Borger (1967–1975).  Vgl. hierzu Fincke (2003–04). Siehe auch Fincke (2004) und Fincke (2014).  Fincke (2003–04) 113.  Vgl. [http://www.fincke-cuneiform.com/nineveh/] aufgerufen am 08.04.2019 um 16.13 Uhr.  Fincke (2017a) 391.  Fincke (2017b) 209.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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sehbar. Die Zugänglichkeit der Fotos erleichtert Studien zur Bibliothek Assurbanipals als Tafelsammlung und zur Tontafel als Artefakt. Durch die Publikation der Alltagstexte innerhalb der Serie „State Archives of Assyria“ (SAA) seit Ende der 1980er Jahre und der Online-Publikation der Texteditionen unter [http://oracc.museum.upenn.edu/saao] mit Querverweise auf die im CDLI eingestellten Bilder sind die Alltagstexte inzwischen gut erfasst und leicht zugänglich. Teilweise sind in den Bänden der Serie auch Tafeln aus anderen Fundorten publiziert. Aus den Grabungen zwischen 1850 und 1905 in Kujundschik sind etwa 6000 Alltagstexte bekannt.1212 Neben der assyrischen Schrift wird bei einem kleineren Teil der Schriftzeugnisse auch die babylonische Schrift verwendet.1213 Der kurzen chronologischen Übersicht von Reade folgend stammt der Großteil der datierbaren Alltagstexte vom Ende des 8. Jahrhundert bis etwa 645.1214 Eine Reihe der Alltagstexte hat ein Erscheinungsbild, welches vom Texttyp abhängt und im letzten Teil dieses Kapitels diskutiert wird. Etwa 3000 Texte sind der königlichen Korrespondenz zuzuordnen. Es handelt sich dabei um Briefe an den König bzw. Kopien von Briefen, die der König versandt hat. Inhalt der Briefe sind die Angelegenheiten des Königs bzw. des Staats (u. a. wissenschaftlicher und religiöser Natur). Eine große Gruppe von Briefen war an Asarhaddon und Assurbanipals gerichtet und stammt aus dem Zeitraum 680–645. Eine zweite Gruppe datiert von etwa 716–704 und ist folglich in die Regierungszeit Sargons II. (721–705) bzw. kurz danach einzuordnen.1215 Etwa 1000 Briefe sind in neubabylonischer Schrift und Sprache verfasst.1216 Es gibt auch Beispiele, wo zwar die neuassyrische Schrift verwendet wird, jedoch um einen Text in Neubabylonisch niederzuschreiben.1217 Diese stellen wohl Ent SAA 1 = Parpola (1987) XI. Parpola geht 1986 von 5500 „non-literary Kuyounjik texts“ aus, Parpola (1986) 224 Fn. 9. Dem folgt auch Reade (1998–2001) 421.  Zu den in babylonischer Schrift verfassten Texte aus Ninive vgl. die Online-Datenbank von Jeanette Fincke [http://www.fincke-cuneiform.com/nineveh/], aufgerufen am 08.04.2019 um 16.16 Uhr.  Vgl. für einen knappen chronologischen Überblick Reade (1998–2001) 424f.  SAA 1 = Parpola (1987) XI und Parpola (1986) 228. Mit den Bänden SAA 1, 5, 10, 13, 15, 16, 17, 18 und 21 sind 2374 Briefe ediert, die sich mit wenigen Ausnahmen (27) im British Museum befinden. Darüber hinaus wurden mit SAA 19 229 Briefe, die in Nimrud/Kalḫu ausgegraben wurden, herausgegeben. Sanae Ito kündigt in der Einleitung von SAA 21 einen weiteren Band mit 183 Briefen der Korrespondenz Assurbanipals an, vgl. Ito (2018) XIII. Nach Radner wurden etwa 2800 Briefe in Kujundschik gefunden, Radner (2015) 61.  Fincke (2003–04) 116 Fn. 32 und ebd. 135–137, 147 f. Vergleiche ferner unter der Textkategorie ‚letter‘ ‚The Babylonian Nineveh Texts‘, [http://www.fincke-cuneiform.com/nineveh/] aufgerufen am 09.04.2019 um 15.56 Uhr. Radner geht hingegen von etwa 800 babylonischen Briefen aus, Radner (2015) 61.  SAA 18 = Reynolds (2003) XVI.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

würfe für neubabylonische Briefe dar.1218 Vielleicht wurde zumindest für die nicht-königliche Korrespondenz auch das Aramäische auf vergänglichen Schriftträgern verwendet (vgl. Kap 4.3).1219 Als nächstes sind 565 Texte, die hauptsächlich astrologische Reporte darstellen, anzuführen.1220 121 Reporte sind datierbar. 115 von ihnen wurden im Zeitraum von 679 bis 665 geschrieben. Folglich ist davonzugehen, dass die Texte größtenteils aus der Regierungszeit Asarhaddons und seines Sohnes Assurbanipals stammen. Sie kommen aus verschiedenen Orten des assyrischen Reiches.1221 Abhängig vom Absender wurde die neuassyrische bzw. neubabylonische Schrift und Sprache verwendet. Zitate von wissenschaftlichen Texten sind dagegen in jungbabylonischer Sprache notiert. Der Anzahl der neubabylonischen Reporte beträgt etwa 319.1222 Aus der Regierungszeit von Asarhaddon und Assurbanipal sind etwa 351 Anfragen an Šamaš (Leberschau) und Leberschauberichte bekannt.1223 Etwa 228 dieser Texte verwenden die babylonische Schrift.1224 In ihrer Datenbank

 Ito (2018) in SAA 21 = Parpola (2018) XXXII–XXXV.  SAA 17 = Dietrich (2003b) XV.  SAA 8 = Hunger (1992). In der Publikation sind 567 Texte vermerkt, aber durch Joins (SAA 8 Nrn. 280+286 und SAA 8 Nrn. 475+510) konnte die Anzahl inzwischen auf 565 reduziert werden, vgl. die Korrekturen von Hermann Hunger [http://oracc.museum.upenn.edu/saao/knpp/let tersqueriesandreports/saa8corrections/index.html] aufgerufen am 10.4.2019 um 16.02 Uhr.  SAA 8 = Hunger (1992) XX f.  Fincke gibt als Anzahl der astrologischen Reporte in neubabylonischer Schriftart 333 an und listet die Museumsnummern, Fincke (2003–04) 132 und 145. Von den dort vermerkten Texten sind die folgenden 17 nicht in SAA 8 = Hunger (1992) publiziert: 1883,0118.7 (SAA 10 Nr. 170); 1883,0118.293; 1883,0118.810; 1905,0409.257 (BM 98751); DT.131; K.772 (SAA 10 Nr. 114); K.1457; K.1971; K.8729; K.8748; K.8872; K.9042; K.12211; K.14564; K.15086; K.16621; Sm.371. Es handelt bei Letzteren um einen neuassyrischen Bibliothekstext (Rm.115+Sm.371). Die Anzahl kann durch Joins weiter reduziert werden, und zwar K.1309 (SAA 8 Nr. 280)+1883, 0118.301 (SAA 8 Nr. 286) sowie K.5723 (SAA 8 Nr. 510)+K.13012 (SAA 8 Nr. 475). Fincke verweist zudem auf weitere neubabylonische Berichte, vgl. Fincke (2003–04) 146 f. Von denen unter ‚terrestrial omens‘ und ‚hemerology‘ erwähnten fünf befindet sich nur von einem, K.915, keine Edition in SAA 8. Bei denen unter ‚various divination‘ gelisteten Tafel(fragemente)n joint K. 15005 mit K.973 (SAA 8 Nr. 410) und Sm.1179 wurde als SAA 8 Nr. 161 ediert.  SAA 4 = Starr (1990) mit Editionen von 354 Texten. Folgende Joins sind mir bekannt, die diese Anzahl reduzieren: 1883,0118.539+SM.1880 (SAA 4 Nrn. 36+123), K.11525+K.11529 (SAA 4 Nrn. 119+256), K.1423+K. 8880 (SAA 4 Nrn. 331+299). Die ersten beiden finden sich bereits bei Fincke (2003–2004) 146. Der dritte Join ist in Finckes Datenbank vermerkt, vgl. ‚The Babylonian Nineveh Texts‘ [http://www.fincke-cuneiform.com/nineveh/] aufgerufen am 15.04.2019 um 16.26 Uhr.  Bei den Editionen der Texte in SAA 4 = Starr (1990) ist jeweils vermerkt, welche Schrift sie verwenden. Fincke geht zunächst von 289 Texten in babylonischer Schrift aus, vgl. Fincke

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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gibt Fincke etwa 23 Texte in babylonischer Schrift an, die eine Tafelunterschrift in assyrischer Schrift besitzen.1225 Die Leberschauberichte stammen ausschließlich aus der Regierungszeit Assurbanipals und besitzen im Vergleich zu den Anfragen an Šamaš ein verändertes Erscheinungsbild und einen veränderten Textaufbau (s. Kap. 3.2.2.1.3). Ivan Starr geht von einer Evolution und nicht von zwei Texttraditionen aus. Die zeitliche Verteilung der astrologischen Reporte und der Anfragen stimmt in etwa mit derjenigen der Briefe von assyrischen und babylonischen Gelehrten überein.1226 Des Weiteren sind noch 453 administrative Texte – überwiegend Listen – vorhanden.1227 Ihre geringe Anzahl wird mit der Verwendung vergänglicher Schreibmaterialien (vgl. Kap. 4.1) erklärt. Dabei kommt für die Keilschrift die wachsbeschichtete Holztafel in Frage (vgl. Kap. 2.1.3, Kap. 2.2: lēʾu, daltu). Falls Aramäisch verwendet wurde, ist zudem an Leder zu denken.

(2003–04) 132 f. und 146. Auf Seite 146 sind die Museumsnummern zusammengestellt. Die dort bei den einzelnen Subkategorien vermerkten Mengenangaben ergeben addiert 288. In einem rezenteren Artikel nennt Fincke die Anzahl 285, Fincke (2017a) 392. Mir sind zwei Joins bekannt, die noch nicht bei Fincke (2003–04) 146 verzeichnet sind, und zwar K.396 (SAA 4 Nr. 324)+K.21929 sowie K.1423+K. 8880 (SAA 4 Nrn. 331+299), vgl. hierzu Finckes Datenbank ‚The Babylonian Nineveh Texts‘ [http://www.fincke-cuneiform.com/nineveh/] aufgerufen am 15.04.2019 um 17.00 Uhr. Bei Fincke (2003–04) 146 werden eine Reihe von (Tafel-)Fragmenten aufgezählt, die nicht in SAA 4 = Starr (1990) ediert wurden. Bei der Unterkategorie „oracle enquiries of unknown date“ sind dies 11 von 84 Texten, und zwar 1881,0204.453; 1883,0118.588+1883,0118.720 +1883,0118.850; 1883,0118.846; K.19018; K.19047; K.19847; K.20214; K.20216; K.21080; Rm.420; Rm.490. In der Unterkategorie „extispicy reports dated to Ashurbanipal“ werden 31 Tafel(fragemente) gelistet, von denen nur eins, K.19060, nicht Bestandteil der Textedition SAA 4 war. Unter „extispicy report of unknown date“ wird auf 41 Texte verwiesen, von denen 18 nicht in SAA 4 berücksichtigt sind, und zwar 1881,0204.477; 1882,0323.27; K.3747; K.4725; K.4802; K.9215; K.10864; K.14146; K.17745; K.18595; K.18624; K.19048; K.20959; K. 21929; K.22303; Rm.213 (Koch [2005] Nr. 44); Sm.847; Sm.1226. Wie bereits oben erwähnt, wurde K.21929 später mit K.396 (SAA 4 Nr. 324) gejoint. Von den 30 unter „oracle enquiries or extispicy reports“ verzeichneten (Tafel-)Fragmenten befinden sich nur von zweien eine Edition in SAA 4, und zwar von K.11508 (SAA 4 Nr. 274) sowie K.11511 (SAA 4 Nr. 268). Unter SAA 4 Nr. 81 werden die Tafelfragmente Sm.1320+1882,0522.486+1883,0118,537 genannt, Fincke listet diese jedoch als zwei verschiedene Texte, einen unter „oracle enquiries dated to Esarhaddon“ (Sm.1320+1883,0118, 537) und einen bei „oracle enquiries of unknown date“ (1882,0522.486).  Fincke gibt diese unter ‚The Babylonian Nineveh Texts‘ bei der Textkategorie ‚Assyrian colophon‘ an, [http://www.fincke-cuneiform.com/nineveh/] aufgerufen am 16.04.2019 um 12.40 Uhr. Dort verweist sie auch auf drei weitere Texte, die nicht in SAA 4 berücksichtigt wurden, jedoch derselben Textgruppe angehören sollen, nämlich K.3747, K.4725 sowie 1880,0719.72 +1880,0719.76.  SAA 10 = Parpola (1993) XXXIX.  SAA 7 = Fales/Postgate (1992) und SAA 11 = Fales/Postgate (1995).

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

Es gibt 829 (Privat-)Rechtsurkunden, die von 747–612 datieren, wobei der Großteil aus dem 7. Jahrhundert stammt. Von einigen Personen ist nur eine einzige Rechtsurkunde überliefert, von anderen mitunter mehrere.1228 Etwa 65% sind Erwerbsurkunden über Immobilien und Personen und 24% Obligationsurkunden (‚loans‘).1229 Die Urkunden sind bspw. für Angehörige des Militärs oder der Palastverwaltung geschrieben worden. Die Rechtsurkunden des 8. Jahrhunderts kommen ursprünglich nicht aus Ninive, sondern größtenteils aus Kalḫu.1230 Ferner wurden auch einige SAA-Bände mit kleineren Gruppen von Texten veröffentlicht, wobei deren Zusammenstellung nicht nach klar definierten Textsorten mit einem spezifischen Erscheinungsbild erfolgte, sondern primär aufgrund ihres Inhalts: SAA 2 Neo-Assyrian Treaties and Loyality Oaths mit 10 Texten aus Ninive1231 SAA 3 Court Poetry and Literary Miscellanea mit etwa 37 Texten aus Ninive1232 SAA 9 Assyrian Prophecies mit 11 Texten1233 SAA 12 Grants, Decrees and Gifts of the Neo-Assyrian Period mit etwa 75 Texten aus Ninive.1234 SAA 20 Assyrian Royal Rituals and Cultic Texts mit 23 Texten aus Ninive1235 Aufgrund der geringen Anzahl erhaltener Vereidigungstexte (SAA 2) geht Parpola davon aus, dass diese in der Regel auf Papyrus und Leder niedergeschrieben wurden und verweist auf die oben diskutierten gesiegelten Tonverschlüsse aus Raum 61 des Südwest-Palastes (Kap. 3.2.1.1).1236 Die erhaltenen Manuskripte sind häufig ‚nur‘ Kopien bzw. Auszüge und Entwürfe der ‚echten‘ Verträge.1237

 Siehe SAA 6 = Kwasman/Parpola (1991) und SAA 14 = Mattila (2002).  Reade (1998–2001) 425b.  S. Kwasman (1988) XXVIII und LI, vgl. weiter SAA 6 = Kwasman/Parpola (1991) XVIII–XX, s. ebd. auch für einen chronologischen Überblick.  SAA 2 = Parpola/Watanabe (1988).  SAA 3 = Livingstone (1989). 37 ist die Anzahl der Tafeln dieser Publikation, die sich im British Museum befinden. Alasdair Livingstone erwähnt, dass 42 der 65 (Tafel-)Fragmente aus Assurbanipals Bibliotheken stammen sollen, Livinstone (1989) XVIII. In SAA 3 sind insgesamt 52 Texte abgedruckt.  SAA 9 = Parpola (1997a).  SAA 12 = Kataja/Whiting (1995). 75 ist die Anzahl der Texte, die sich in der Sammlung des British Museum befinden. Aufgrund der Museumsnummern wird davon ausgegangen, dass sie aus Ninive stammen. Der Schriftträger der Texte ist nicht immer Ton.  SAA 20 = Parpola (2017). 23 Texte befinden sich im British Museum und wurden in Kujundschik gefunden.  SAA 2 = Parpola (1988) LIV Endnote 1.  Radner (2006) 373 f. und Lauinger (2015) 287f.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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Als Hofprosa wird von Alasdair Livingstone eine Gruppe von literarischen Texten bezeichnet, die nicht Kopien von Traditionstexten sind bzw. nach dem Modell der Traditionstexte gebildet wurden, sondern neue Kompositionen darstellen. Sie müssen nicht wie sonst für literarische Texte üblich in Jungbabylonisch verfasst sein, sondern können den neuassyrischen bzw. auch neubabylonischen Dialekt verwenden. Hier fließen Elemente der Umgangssprache oder der Volkstradition ein. Wenn die Texte einem bestimmten neuassyrischen Herrscher zugeschrieben werden können, handelt es sich dabei meist um Assurbanipal.1238 Bei den Prophezeiungen gibt es sowohl Tafeln, auf denen jeweils nur eine Prophezeiung niedergeschrieben wurde, als auch welche, auf denen mehrere versammelt sind. Letztere sollen vom selben Schreiber stammen. Die Prophezeiungen waren ursprünglich mündlicher Natur. Die Texte aus SAA 12 teilen Eigenschaften mit verschiedenen anderen Texten, und zwar Königinschriften, Rechtsurkunden, administrativen Texten sowie rituellen und kultischen Texten. Das verbindende Element der Texte in SAA 12 ist der Transfer von Eigentum als Geschenk zu einer Person oder zum Tempel. Die meisten der veröffentlichten Texte sind im Namen des Königs geschrieben, im weitesten Sinne sind es also Königsinschriften. Auch ist ein Teil der Texte nicht auf Tontafeln niedergeschrieben, sondern auf anderen Schriftträgern1239 oder es sind sogar mehrere Exemplare bzw. Indizien für Kopien vorhanden.1240 Einige Texte weisen die Terminologie und die äußeren Charakteristika von Rechtsurkunden auf.1241 Hierzu bemerkt Herbordt: Die frühesten neuassyrischen Beispiele der königlichen Erlasse datieren in die Zeit Adadnirāris III. Während Erlasse aus dieser Zeit auch der Tafelgröße nach mit den gleichzeitigen Kaufverträgen übereinstimmen, handelt es sich unter den Königen Assurbanipal und Aššur-etel-ilāni um ungewöhnlich große und schwere Tafeln.1242

Die Texte in SAA 20 eint die Verwendung des neuassyrischen Sprachstils, jungbabylonische Texte vergleichbaren Inhalts wurden nicht berücksichtigt. Die erhaltenen Kolophone bezeugen, dass auch diese Texte Abschriften darstellen können.1243

 SAA 3 = Livingstone (1989) XV–XXII.  So ist bspw. Nr. 73 ein Prismenfragment, Nr. 82 Teil einer Alabastertafel und Nr. 85 ein Stelenfragment.  SAA 12 = Kataja/Whiting (1995) XV–XVII.  SAA 12 = Kataja/Whiting (1995) XVI–XVII.  Herbordt (1992) 52.  SAA 20 = Parpola (2017) LXXVI–LXXXIII. Neben den neuassyrischen Texten wurden zwei mittelassyrische Beispiele aus Assur, Nr. 7 und Nr. 29, in den Band aufgenommen, da sie aus einem neuassyrischen Fundkontext stammen, vgl. ebd. LXXXII.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

Reade schätzt die Anzahl der Königsinschriften, die in Ninive gefunden worden sind, auf etwa 1000.1244 Viele Inschriften sind wohl Bauinschriften – wie Prismen, Zylinder, Ziegel, gebrannte Tontafeln – und werden folglich oft nicht den Archiven und Bibliotheken zugeordnet, sondern es wird angenommen, dass sie in den jeweiligen Gebäuden verbaut waren. Dies soll natürlich nicht heißen, dass nicht einige Texte aus dem Bibliotheksbestand stammen könnten. Aus einem Haus etwas nördlich von Kujundschik stammen etwa 300 Fragmente von Zylindern und Prismen. Sie datieren von Sanherib bis Assurbanipal und waren ursprünglich für verschiedene Gebäude verfasst. Möglicherweise handelt es sich um die Überreste eines königlichen Skriptoriums bzw. eine Abfallgrube.1245 Nur 25 Königsinschriften sind in babylonischer Schrift, drei davon in archaisierender Schrift.1246 Die wissenschaftlich-literarischen Texte sind bis heute nicht systematisch erfasst, so dass die folgende Beschreibung sehr skizzenhaft ist. Aufgrund des fragmentarischen Zustands und zahlreichen Joins schätzt Weidner die Anzahl der eigentlichen Tafeln auf 5000.1247 Abzüglich der bisher gemachten Joins, der Alltagstexte und der Königsinschriften geht Frahm von grob geschätzt 16 750 Tafeln und Fragmenten aus.1248 Auffällig ist, dass sich unter diesen keine (bzw. kaum) typische Schülerübungen befinden. Zahlreiche Texte weisen einen der sogenannten Assurbanipal-Kolophone1249 auf, was dazu führte, die Tafelsammlung(en) aus Kujundschik als Bibliothek Assurbanipals zu bezeichnen. In den Kolophonen ist Assurbanipal namentlich erwähnt, die Tafeln werden oft als Besitz seines Palasts bzw. Assurbanipals bezeichnet und teilweise wird angegeben, dass Assurbanipal die Tafeln selbst geschrieben hat. Der ‚Assurbanipal-Kolophon a‘ wurde (teilweise) nach dem Trocknen eingraviert (s. Kap. 3.2.2.2). Bei neuassyrischen Texten mit fehlendem Kolophon oder nachträglich angebrachten ‚Assurbanipal-Kolophon a‘1250 wird teilweise davon ausgegangen, dass sie vor der Regierungszeit Assurbanipals zu datieren sind, aus anderen Sammlungen stammen und womöglich im Südwest-Palast aufbewahrt wurden. Es gibt in der mesopotamischen Überlieferung zahlreiche wissenschaftlich-literarische Texte, die keine Kolophone besitzen – der Grund hierfür ist bisher ungeklärt. Unklar verbleibt auch die

      

Reade (1998–2001) 421a. Reade (1986) 214–216. Fincke (2003–04) 130f. und 144. Weidner (1952–53) 198. Frahm (2011a) 276. Vgl. Hunger (1968) Nrn. 317–345. Hunger (1968) Nr. 317.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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Anzahl der neuassyrischen Tafeln, die aufgrund ihres Erscheinungsbildes und möglicherweise auch wegen des fehlenden Kolophons nicht den für Assurbanipal angefertigten Bibliothekstexten zuzurechnen sind. Die wissenschaftlich-literarischen Texte mit längeren ‚Assurbanipal-Kolophonen‘ sollen nach Andrew R. George zu der ‚Privatsammlung‘ Assurbanipals gehören und daher womöglich überwiegend aus dem Nordpalast stammen.1251 Der Inhalt der wissenschaftlich-literarischen Texte Assyriens und Babyloniens wurde von Bezold 1886 und 1909 skizziert; hierbei stützt er sich maßgeblich auf die Manuskripte aus der Bibliothek Assurbanipals.1252 Er gliedert 1886 die wissenschaftlich-literarischen Texte in „Die Erzeugnisse der poetischen Literatur“ und „Die Erzeugnisse der wissenschaftlichen Literatur“. Erstere unterteilt er in drei Gruppen: 1.) Epen, Legenden, Fabeln; 2.) Busspsalmen und Hymnen, Gebete und Gesänge; 3.) Beschwörungs- und Zauberformeln, Vorzeichen, Talismane. Für die wissenschaftliche Literatur führt er vier Gruppen an: 1.) Epigrafische, grammatikalische und lexikografische Sammlungen; 2.) Geografische Listen; 3.) Aufzeichnungen über Mathematik, Astromomie, Astrologie und Mythologie; 4.) Reste von medizinischen und ‚literarischen‘ Werken. Er führt zahllose Beispiele an.1253 In seinem allgemein gehaltenen Werk „Ninive und Babylon“ von 1909, das erstmals 1903 erschien, behandelt er hingegen die verschiedenen Bereiche der Wissenschaft und Literatur. So beschreibt er hier (neben den Königsinschriften, Briefen und Verträgen) 1.) Omendeutung, Astrologie und Astronomie; 2.) Heilkunde, Dämonen- und Hexenbeschwörungen; 3.) Die Babylonische-assyrische Religion; 4.) Legenden, Epen und Mythen und 5.) Lehrbücher in Keilschrift.1254 Eine neuere Übersicht über die verschiedenen thematischen Gruppen der wissenschaftlich-literarischen Texte – abgesehen von Oppenheims bereits oben angeführten (s. Kap. 3.1.2.1) – ist mir nicht bekannt. Der größte Anteil der Texte ist der Omenliteratur zuzuordnen, gefolgt von den sogenannten lexikalischen Listen, sumerisch-akkadischen Beschwörungen, Beschwörungszyklen und epischer Literatur. Zahlreiche Texte sind in Serien von Tafeln zusammengefasst. Von den einzelnen Serien können bis zu sechs Manuskripte existieren. Nach Veldhuis sollen übrigens etwa 1000 Tafeln und Tafelfragmente zur Gruppe der lexikalischen Listen gehören.1255 2003–04 bot Fincke einen Überblick über die von ihr bis zu diesem Zeitpunkt identifizierten Manuskripte (Bibliothekstexte) in babylonischer Schrift

    

Vgl. George (2003) 383 und 389. S. Bezold (1886) 171–234 sowie Bezold (1909) 70–136. Bezold (1886) 171–234. Bezold (1909) 70–136. Veldhuis (2014a) 375 f.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

nach thematischen Gruppen,1256 was sie 2017 nochmals aufgreift.1257 Von den 1548 Manuskripten sind 722 (46,64%) divinatorischen Inhalts; 559 (36,13%) religiöse; 86 (5,5%) lexikalische; 78 (5,04%) medizinische; 28 (1,81%) historische Texte, wozu sie die bereits oben erwähnten Königsinschriften zählt; 24 (1,55%) literarische Texte; einer (0,06 %) ein mathematischer Text; einer ein Katalog; einer ein Gesetzestext; 15 (0,97%) Fragmente von Kolophonen und 33 (2,13%) nicht weiter identifiziert. Bei den divinatorischen Texten besitzen die astrologischen Omina mit 341 Manuskripten (47,23%) den größten Anteil, gefolgt von der Leberschau mit 105 Texten, den terrestrischen Omina mit 75 Texten und diversen kleineren Gruppen. Die religiösen Texte sind einsprachig, Akkadisch oder Sumerisch, oder zweisprachig, Akkadisch und Sumerisch. Sie geben Gebete, Lieder, Beschwörungen und Rituale wieder.1258 Die aus Ninive bekannten 568 Kommentartexte – sowohl in neuassyrischer (überwiegend) als auch in neubabylonischer Schrift und Sprache – behandeln größtenteils die Divination; auch hier überwiegt die Astrologie und die Leberschau.1259 Nur von wenigen neubabylonischen Bibliothekstexten ist bekannt, dass sie in Babylonien geschrieben und nach Ninive importiert worden sind.1260 Die anderen Tafeln in babylonischer Schrift könnten genauso gut von Gelehrten am assyrischen Hof geschrieben worden sein. 125 der babylonischen Bibliotheks-

 Fincke (2003–04) 130–134, 142–147.  Vgl. Fincke (2017a) 379, 390–393 und Fincke (2017b) 209–2011. Zwar hat sich die Anzahl der Texte durch diverse Joins etwas reduziert, aber das Verhältnis der thematischen Gruppen untereinander ist in etwa gleich geblieben.  Fincke (2017b) 209–2011. Für Angaben zu den einzelnen Texten vgl. Fincke (2003–04) 142–147 und die Datenbank von Fincke [http://www.fincke-cuneiform.com/nineveh/]. Die Datenbank wird ständig aktualisiert.  Frahm (2011a) 276–278.  Drei Texte waren ursprünglich im Ezida in Borsippa aufgestellt und zwar eine Sternenliste, ein Manuskript von Enūma eliš IV und eine KI.dUTU.KAM-Beschwörung, so Frame/George (2005) 281 und Hunger (1968) Nrn. 135, 136 und 140a. Die British Museum Nummer von V R 46, 1 mit dem Kolophon Hunger (1968) Nr. 135 ist mir nicht bekannt. Die in babylonischer Keilschrift beschrifteten Tafeln BM 93016 und BM 3604, mit den Kolophonen Hunger (1968) Nrn. 136 und 140a sind nicht in der Datenbank von Fincke gelistet, [http://www.fincke-cuneiform.com/nine veh/] aufgerufen am 08.05.2019 und 16.27 Uhr. BM 98582 wurde von einem Original in Babylon abgeschrieben und der Ton verweist nach Fincke auf einen babylonischen Ursprungsort, s. Fincke (2003–04) 124 Fn. 111, für den Kolophon Hunger (1968) Nr. 437. Ein Manuskript von Enūma Anu Enlil XX, K.3561 +, datieren Farouk N. H. Al-Rawi und Andrew R. George aufgrund seines Duktus in die frühe neubabylonische Zeit, Al-Rawi/George (2006) 36. Für den Kolophon vgl. Rochberg-Halton (1988) 216. Irving Finkel postuliert, dass K.6073 aus Babylonien stammt und nach Babylonien gebrachte wurde, da es sich um einen seltenen und daher begehrten Text handelt, Finkel (2018b) 83.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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texte besitzen nach Fincke (Reste von) Kolophonen, die allerdings sehr knapp gehalten sind. Bei 13 Kolophonen wird der Name des Schreibers erwähnt. Eine Tafel ist Nabû-zuqup-kēnu (s. u.) zuzuordnen und wurde in Kalḫu niedergeschrieben. Ein Text wurde von einem gewissen Nabû-šāpik-zēri, ein Schreiberlehrling (šamallû), in Ninive niedergelegt. Bei einer weiteren Tafel wird neben dem König Assurbanipal der Oberschreiber Issār-šumu-ēreš im Kolophon erwähnt.1261 Einige Tafeln der Leberschauomina in babylonischer Schrift besitzen sogar einen ‚Assurbanipal-Kolophon‘, und zwar des Typs l.1262 Fincke bemerkt unterschiedliche Handschriften bei den neubabylonischen Bibliothekstexten; für weitere Untersuchungen wäre auswertbares Vergleichsmaterial aus babylonischen Städten nötig. Der Großteil der Manuskripte soll allerdings in einem bestimmten Duktus niedergeschrieben worden sein; dieser Duktus wird auch für die neubabylonischen Tafeln mit ‚Assurbanipal-Kolophon‘ verwendet.1263 So stellt sich die Frage, ob auch für die babylonischen Bibliothekstexte am neuassyrischen Königshof Gestaltungsregeln galten. Beim überwiegenden Teil der neuassyrischen Tafeln scheint der erhaltene Kolophon einer der ‚Assurbanipal-Kolophone‘ zu sein. Nur bei drei neuassyrischen Tafeln aus Ninive sind in den Kolophonen neben Assurbanipal andere Personen als Besitzer bzw. Schreiber erwähnt, bei zweien der Oberschreiber Issār-šumu-ēreš, bei einer ein junger Lehrling, der die Tafel für den Kronprinzen Assurbanipal niederschrieb.1264 Darüber hinaus gibt es Tafeln (in neuassy-

 Fincke (2014) 270–275. Sie geht dort noch von insgesamt 1594 babylonischen Bibliothekstexten aus, wie auch in Fincke (2003–04). In der Datenbank von Fincke [http://www.finckecuneiform.com/nineveh/] werden unter der Textkategorie ‚colophon‘ Tafeln bzw. Tafelfragmente mit Kolophonen verzeichnet. Bei den drei hier erwähnten Kolophonen handelt es sich um Hunger (1968) Nr. 305 (K.75 +), Nr. 346 (K.10129), Nr. 344 (K.3877); Nrn. 305 und Nrn. 344 werden auch bei Fincke (2014) 271 f. besprochen.  Vgl. Fincke (2003–04) 124 Fn. 112. Fincke nennt dort als Beispiele K.2880 (Koch [2005] Nr. 34A [Ms A]), K.2912 (Koch [2005] Nr. 115), K.16799 (Koch [2005] Nr. 34A [Ms B]), Rm.231 und K.9118. Ein weiteres Beispiel ist Rm.227 (Koch [2005] Nr. 55). Für den ‚Assurbanipal-Kolophon‘ l siehe Hunger (1968) Nr. 325.  Fincke (2014) 280–191.  Lieberman erwähnt, dass in fünf Kolophonen neben Assurbanipal eine weitere Person genannt wird, s. Lieberman (1990) 315 f. Bei einem handelt sich wohl doch nicht um einen Kolophon, Hunger (1968) Nr. 343, auf der Tafel K.8880, wie die Edition des Textes als SAA 4 Nr. 299 nahelegt. Der Kolophon Hunger (1968) Nr. 344 befindet sich auf der neubabylonischen Tafel K.3877. Derselbe Kolophon ist auch auf der neuassyrisch beschrifteten Tafel K.2861 zu finden. Wie im Kolophon Hunger (1968) Nr. 344 soll beim neuassyrischen Fragment 1881,0727.69 der Oberschreiber Issār-šumu-ēreš erwähnt werden, so Lieberman (1990) 316. Laut ihrem Kolophon, Hunger (1968) Nr. 345, schrieb ein gewisser Aplāia/Apil-Aia die neuassyrische Tafel K.2016.a für den Kronprinzen Assurbanipal, siehe auch Borgers Anmerkungen Borger (1970) 169 sowie Baker

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

rischer Schrift) mit Kolophonen, die Assurbanipal nicht nennen.1265 Einige neuassyrische Texte stammen aus anderen Orten und wurden nach Ninive gebracht.1266 Bereits oben wurden in Ninive gefundene ältere Texte, und zwar mittelassyrische Tafeln, darunter Texte aus der sogenannten Bibliothek Tiglatpilesers I. aus Assur, und altbabylonische Texte erwähnt. Die bisher größte Gruppe neuassyrischer Texte fremden Ursprungs bilden die über 100 Texte des Astrologen Nabû-zuqup-kēnu, geschrieben im Zeitraum 716–683 in Kalḫu, wie die Kolophone der Texte beweisen. Nabû-zuqup-kēnu war der Spross einer bekannten assyrischen Gelehrtenfamilie; mehrere seiner Söhne und Enkelsöhne hatten hohe Positionen am Hofe von Asarhaddon und Assurbanipal. Möglicherweise sind auch weitere Tafeln aus Ninive mit nicht mehr erhaltenen Kolophonen Nabû-zuqup-kēnu zuzuordnen.1267 Die Texte beschäftigen sich mit der Astrologie bzw. Astronomie und in geringerem Maße mit der Divination. Nur ein Text ist als literarisch zu bezeichnen, und zwar eine Kopie der 12. Tafel des Gilgameš-Epos, die jedoch eine Übersetzung der zweiten Hälfte des sumerischen Epos ‚Gilgameš, Enkidu und die Unterwelt‘ und nicht Teil der standardisierten neuassyrischen Version ist. Nabû-zuqup-kēnu hatte ein Interesse an hermeneutischen und spekulativen Texten, wie u. a. 21 Kommentartexte zeigen.1268 Möglicherweise drei der Tafelsammlung zuordenbarer Texte sind nicht in der neuassyrischen Variante der Keilschrift, sondern in der neubabylonischen verfasst.1269 Manche Texte weisen Besonderheiten auf wie die Verwendung eines horizontalen ‚Personenkeils‘ anstatt des sonst üblichen

(2000). Darüber hinaus wird auch in dem Kolophon Hunger (1968) Nr. 502 Assurbanipal erwähnt, der Schriftträger K.3054 ist jedoch fragmentarisch, so dass ein Schreibername nicht mehr erhalten ist.  In seinem Buch zu Kolophonen ordnet Hunger die Kolophone nach Herkunftsorten. Zwei Kolophone neuassyrisch beschrifteter Tafeln sind unter ‚Ninive, sonst.‘ gelistet, und zwar Hunger (1968) Nr. 347 (K.5981) und Nr. 348 (K.7862). Letzterer erwähnt wiederum einen Lehrling. Der Großteil der bei Hunger (1968) unter ‚Assyrisch, unbekannter Herkunft‘ gelisteten Kolophone Nrn. 498–563 befindet sich auf Tontafeln, die sich aufgrund ihrer Museumsnummer dem Fundort Ninive/Kujundschik zuweisen lassen. Ein Teil dieser Tafeln datiert womöglich vor die Regierungszeit Assurbanipals, wie die Kolophone Hunger (1968) Nr. 501 (K.2856), Hunger (1968) Nr. 512 (K.2169) und Hunger (1968) Nr. 563 (K.2987.b) nahelegen.  Für einige neuassyrische Kommentartexte vgl. Frahm (2011a) 270 und 278f.  Vgl. Frahm (2011a) 265, siehe auch May (2018). Die Kolophone finden sich bei Hunger (1968) Nrn. 293–312. Für eine vorläufige Liste der Tafeln s. Lieberman (1987) 204f., vgl. ebd. 204–217. Für weitere Beispiele und Editionen der Kolophone vgl. May (2018) 124–152.  Frahm (2011a) 265f. S. auch Lieberman (1987) 206–209.  Es sind die Texte K.75+K.237 und DT.104 und 1879,0708.150, die sich heute im British Museum befinden, vgl. Lieberman (1987) 209 Fn. 254. K.75 +, ein Kommentartext, ist nach dem Kolophon sicher Nabû-zuqup-kēnu zuzurechnen, vgl. Frahm (2011a) 267.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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vertikalen oder eine unterschiedliche Orthografie für bestimmte Wörter. Dies legt nach Stephen Lieberman nahe, dass die Texte nicht von einer Person (Nabû-zuqup-kēnu), sondern von mehreren kopiert wurden.1270 Unklar ist, wie die Tafeln nach Ninive gelangten. Vielleicht gehörten sie nicht zur Bibliothek Assurbanipals, sondern befanden sich im Besitz von einem bzw. mehreren der Nachkommen Nabû-zuqup-kēnus.1271 Die Bibliothekstexte Assurbanipals, teilweise mit erhaltenem ‚Assurbanipal-Kolophon‘, weisen ein distinktives, stark standardisiertes Erscheinungsbild auf.1272 Auf den ersten Blick sind diese standardisierten Texte von denen Nabûzuqup-kēnus und den neubabylonischen Tafeln zu unterscheiden (s. Kap. 1.2). Es ist schwierig, verschiedene Schreiberhände zu unterscheiden.1273 Die bereits oben angeführte weitere Serialisierung, Standardisierung und Anzahl der wissenschaftlich-literarischen Texte ist daher Folge einer Schriftreform unter Assurbanipal. Diese umfasst bei den Bibliothekstexten alle äußeren Charakteristika: Beschaffenheit der Schreibunterlage, Format der Tafel, Paläografie und Layout und vermutlich weitere nicht-schriftliche Markierungen. Exemplarisch diskutiere ich das Äußere von Alltagstexten und Bibliothekstexten im letzten Teil dieses Kapitels. Abschließend lässt sich sagen, dass sowohl ein Teil der Alltagstexte wie auch der Bibliothekstexte aus Kalḫu stammen. Dies steht in Verbindung mit der Verlagerung des assyrischen Königshofes nach Ninive.1274 Die chronologische Verteilung der Alltagstexte legt nahe, dass noch nicht alle Archive in Kujundschik gefunden worden sind bzw. ein Teil der Tafeln in der Antike entsorgt bzw. an einem anderen Ort gelagert wurden. Es scheint, dass der Großteil der Bibliothekstexte aus der (Regierungs-)Zeit Assurbanipals stammt. Für eine ‚typografische Revolution‘ unter Assurbanipal sprechen die Leberschauberichte, das veränderten Aussehen der königlichen Erlasse und vor allem seine Bibliothekstexte mit ihrem charakteristischen Aussehen.

 Lieberman (1987) 209f.  Lieberman (1987) 217.  Allerdings verweist Lieberman darauf, dass „At any rate, the usual precise, clear, ductus of tablets in Assurbanipal’s collections was not universal in tablets which were labelled as part of it.“, Lieberman (1990) 330. Er gibt hierzu keine Beispiele an. Aufgrund der stets postulierten einheitlichen äußeren Gestaltung und fehlender umfassenderer Untersuchungen wird im Folgenden auch weiterhin von standardisierten Bibliothekstexten bei den Tafeln mit ‚Assurbanipal-Kolophon‘ gesprochen. Dies soll nicht heißen, dass unter diesen nicht gewisse Unterschiede existierten, s. hierzu Kap. 3.2.1.3.2.  S. jedoch Bezold (1904) 272f.  Vgl. hierzu Fincke (2003–04) 115f.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

3.2.1.3 Sammeln und Kopieren Die wissenschaftlich-literarischen Texte setzen sich wie oben dargelegt aus Tafeln, die in Ninive vor und während der Regierungszeit Assurbanipals angefertigt worden sind, und Tafeln aus anderen Herkunftsorten zusammen. Die meisten Texte sind jedoch Assurbanipal zuzuordnen. Bibliothekstexte konnten sich wiederum Vorlagen aus anderen Orten bzw. Regionen bedienen. Es herrschte eine hohe Mobilität von wissenschaftlich-literarischen Texten und Gelehrten.1275 Die babylonischen und assyrischen Briefe von Gelehrten, die astrologischen Reporte, die ‚Anfragen an Šamaš‘ und die Leberschauberichte nehmen explizit oder implizit auf Traditionstexte Bezug. Die Gelehrten schrieben auch wissenschaftlich-literarische Texte, z. B. zur Durchführung eines Rituals. In neuassyrischer Zeit ist ‚Wissenschaft‘ eine textbasierte Angelegenheit. Fünf verschiedene Keilschriftexperten bzw. Gelehrte sind zu unterscheiden: ṭupšarru ‚Schreiber/Astrologe‘, bārû ‚Opferschau(priest)er‘, āšipu ‚Beschwörungspriester‘, asû ‚Arzt‘, kalû ‚Klagepriester/Kultsänger‘. Am assyrischen Hof sind nach Parpola Gelehrte all dieser Disziplinen vertreten, aber nur wenige ausgewählte Gelehrte, der innere Zirkel, standen in direkten Briefkontakt mit dem König. Aus dieser Korrespondenz stammen die meisten uns bekannten Informationen über das Verhältnis des Königs zu seinen Gelehrten. Der König war neben den Tempeln ein wichtiger Arbeitgeber; die Keilschriftexperten in seinem Dienst waren abhängig von seinen Zuwendungen. Da sie nicht dauerhaft am Königshof lebten, sondern außerhalb in der Stadt Ninive, bleibt unklar, in welchem Umfang sie Zugang zur ‚Palastbibliothek‘ hatten. Sie kamen aus Gelehrtenfamilien und sind teilweise miteinander verwandt; überwiegend sind es Assyrer und keine Babylonier.1276 Neben Vertretern der fünf Wissensgebiete waren am königlichen Hof auch dāgil iṣṣūri ‚Vogelschauer‘, die aus dem Gebiet Syrien-Anatolien stammten, ḫarṭibē ‚ägyptische Ritualexperten‘ und ṭupšarru muṣurāyu ‚ägyptische Schreiber‘ tätig.1277 Neben dem inneren Zirkel gab es auch einen äußeren Zirkel. Er setzt sich aus nicht in Ninive ansässigen Gelehrten anderer Städte Assyriens und Babyloniens zusammen. Sie agierten in ‚Forschungsgruppen‘, ihr Vorsprecher bzw. sie selbst führten die Korrespondenz. Der Briefkontakt zum König ist sporadischer als beim inneren Zirkel. Meist handelt es sich um Reporte zu Eklipsen

 Vgl. zum Wissenstransfer im 1. Jahrtausend Frahm (2012). Siehe auch Robson (2019).  Parpola (1983b) XIV–XIX sowie SAA 10 = Parpola (1993) XIII f. und XXIV–XXVII.  Vgl. hierzu Radner (2009b). Darüber hinaus gibt es auch den/die raggim(t)u ‚Prophet/Prophetin‘, s. Robson (2019) 112.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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und kalendarischen Themen. Auch hier gehören die Adressanten zur Elite der Gelehrten des assyrischen Reiches.1278 Eleanor Robson spricht sich für die Mobilität der Gelehrten aus. Die Opferschaupriester (bārû) pflegen sehr engen Kontakt mit dem König und begleiten ihn regelmäßig auf seinen Reisen. Auch der königliche Leibarzt (asû) ist im regelmäßigen Austausch mit seinem Arbeitgeber. Neben dem Wohlergehen des Königs kümmert er sich auch um das der königlichen Familie. Dies trifft ebenfalls auf den Beschwörungspriester (āšipu) zu, der zudem private Patienten annehmen konnte. Er stand womöglich nicht unmittelbar im Dienst des Königs, sondern im Dienst eines Tempels, vielleicht des Nabû-Tempels in Kalḫu/Nimrud. Die königlichen Klagesänger (kalû) waren gleichzeitig Priester des Mondgottes Sin in Ḫarran. Die Profession ṭupšarru soll keine solche darstellen, aber eine weitere Spezialisierung sein, die sich Tempelpersonal wie der āšipu und kalû angeeignet haben. Diese Gruppe von Personen versandte astrologische Berichte aus einer Reihe assyrischer und babylonischer Städte.1279 3.2.1.3.1 Schreiben von Texten während der Regierungszeit Asarhaddons Asarhaddon konnte schreiben,1280 und er verwendete die Divination systematisch.1281 Bereits während der Regierungszeit von Asarhaddon (680–669) standen assyrische und babylonische Gelehrte im Dienst des Königs; sie kopierten und sammelten u. a. Texte. Es bleibt unklar, ob die Tafeln anschließend in den Tafelsammlungen der Gelehrten verblieben oder in die königlichen Sammlungen wanderten und ob es überhaupt einen Unterschied zwischen beiden gab.1282 Einen Hinweis auf eine Manuskriptsammlung Asarhaddons gibt eine Tafel (BAM 322), die aus dem ‚Haus des Beschwörungspriesters‘ in Assur stammt. Auf deren Rückseite im Kolophon steht, dass der Text von einer Vorlage aus dem Palast Asarhaddons abgeschrieben wurde. Ein von Adad-šumu-uṣur, eines āšipu, der im Dienste von Asarhaddon und Assurbanipal stand, geschriebener Brief (SAA 10 Nr. 194) wird von Parpola in das Jahr 670 datiert. In diesem Text sind drei Tafeln wissenschaftlichen Inhalts erwähnt, die an den König geschickt wurden.1283 Marduk-šākin-šumi, ein āšipu, der für Asarhaddon und Assurbanipal tätig war, verfasste den Brief SAA 10

     

Parpola (1983b) XVII und SAA 10 = Parpola (1993) XIII f. Robson (2019) 100–112. Borger (1956) 6 Aa. A vii 39 al-ṭu-ur. Vgl. Auch SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 235 Rs. Z. 4–9. Fincke (2003–04) 117 f. Frame/George (2005) 279. SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 194 Rs. Z. 1ʹ–7ʹ.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

Nr. 255, der nach Parpola ebenfalls im Jahr 670 geschrieben wurde. Hier wird erwähnt, dass ein gewisser Iddin-aḫḫē spezifische Texte, nach denen der König gefragt hatte, von Ninive bringen wird.1284 Aufgrund eines von Parpola 672–671 datierten Briefs (SAA 10 Nr. 289)1285 sowie eines Briefs aus dem Jahre 671 (SAA 10 Nr. 240)1286 und zweier von ihm ins Jahr 670 datierter Gelehrtenbriefe (SAA 10 Nrn. 245 und 255)1287 weiß man, dass Gelehrte Tafeln für einen bestimmten Anlass, z. B. für die Durchführung eines Rituals, sammelten und kopierten. Einen der Briefe (SAA 10 Nr. 289) schrieb Urdu-Gula, ein āšipu im Dienst von Asarhaddon und Assurbanipal, Sohn des Adad-šumu-uṣurs.1288 Drei der Briefe (SAA 10 Nrn. 240, 245 und 255) stammen von Marduk-šākin-šumi (s. o). Er sammelte und kopierte Tafeln, da der Tag ungünstig für das Durchführen eines Rituals war (SAA 10 Nr. 240).1289 Zudem sammelte Marduk-šākin-šumi Tafeln zu einem bestimmen Thema eines nicht näher benannten Rituals (SAA 10 Nr. 245).1290 Möglicherweise kopierte Marduk-šākin-šumi nicht allein, sondern dies tat vielmehr eine Gruppe von Schreibern, deren Vorsprecher er war bzw. die er anleitete. Dies impliziert ein weiterer seiner Briefe (SAA 10 Nr. 255): Neben Tafeln, die notwendig für die Durchführung eines bestimmen Rituals waren, fertigte eine Gruppe Figurinen.1291 Auch UrduGula spricht von einer Gruppe, die verantwortlich für die Vorarbeit eines Rituals und das Schreiben der Tafeln war (SAA 10 Nr. 289).1292 Tafeln konnten von Schülern in fortgeschrittenen Stadium ihrer Ausbildung niedergeschrieben werden. In zwei Kolophonen, die in die Regierungszeit Asarhaddons datieren werden, wird jeweils ein šamallû, ein Schreiberlehrling, erwähnt.1293 In einem Brief (SAA 10 Nr. 171) gibt der Verfasser an, dass der

 SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 255 Rs. Z. 1–9.  SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 289 Vs. Z. 7–12.  SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 240 Vs. Z. 20–Rs. Z. 2.  SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 245 Rs. 12–18, Nr. 255 Vs. Z. 5–10 und Rs. Z. 1–13.  SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 289.  SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 240 Vs. Z. 20–Rs. Z. 2.  SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 245 Rs. 12–18.  SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 255 Vs. 5–11.  SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 289 Vs. 7–10.  Eine Edition der beiden erwähnten Kolophone findet sich bei Hunger (1968) Nrn. 345 und 348. Die Tafeln sind in der neuassyrischen Variante der Keilschrift niedergeschrieben. In einem Beitrag zur „Propography of the Neo-Assyrian Empire“ datiert Frahm den im Kolophon Hunger (1968) Nr. 348 erwähnten Marduk-šākin-šumi in die Regierungszeit Asarhaddons, Frahm (2001) 721. Auch Kolophone anderer laut Museumsnummern in Ninive/Kujundschik gefundener Tafeln erwähnen den Begriff šamallû, z. B. Hunger (1968) Nrn. 346, 429, 433, 436, 458, 492, 501, 515, 519, 532, 557. Es handelt sich hierbei sowohl um neuassyrisch als auch neubabylonisch be-

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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König ihm Lehrlinge anvertraut hat, welche Enūma Anu Enlil lernten.1294 Ein weiterer Brief (SAA 16 Nr. 65) eines nicht näher identifizierten Hofangehörigen an den König – wahrscheinlich in den Zeitraum 672–669 zu datieren und folglich an Asarhaddon adressiert –1295 zeigt, dass in der (Aus-)Bildung am Hofe des Königs Babylonier tätig waren: (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12)

… mpa-ru!-ṭu lú✶ ! SIMUG.KUG.GI ša É MUNUS É.GAL ki-i LUGAL DUMU LUGAL DUMU KÁ.DINGIRki ina ŠÀ-bi KU₃.BABBAR i-si-qi ina É ra-mi-ni-šú ú-se-ši-ib!-šú IM.GÍD.DA ✶ ina ŠÀ-bi lú a-ši-pu-te a-na DUMU-šú iq-ṭí-bi UZU-MEŠ i-ba-áš-ši ✶ ša lú ba-ru-u-te uk-tal-li-mu-šú li-iq-te ša! 1! UD a-na dEN.LÍL i-ba-áš-ši lu e-ta-mar i-na pa-ni ša LUGAL EN-iá1296

Parrūṭu, ein Goldschmidt aus dem Haushalt der Königin, hat wie der König und der Kronprinz einen Babylonier für Silber erworben. In seinem eigenen Haus ließ er ihn wohnen. Eine Tafel der Beschwörungsliteratur lehrte er seinem Sohn; Eingeweideomen der Opferschau wurden ihm gezeigt. Auszüge aus Enūma Anu Enlil sah er fürwahr. (Und das) vor den Augen des Königs, meines Herrn! Der Schreiber des Briefes denunziert Parrūṭu, einen Goldschmied. Dieser lässt seinen Sohn von einem Babylonier in verschiedene Bereiche der assyrischbabylonischen Wissenschaft einführen. Das Erwerben von Babyloniern für Unterrichtszwecken war – laut dieses Briefes – üblich für den König und seinen Sohn. Der König gab möglicherweise auch das Curriculum für Schüler vor. Hierfür ist ein an den König – nach Parpola wohl an Asarhaddon – adressierter Brief (SAA 10 Nr. 177) von Bedeutung. Die Schreiber des Briefes, Marduk-šumu-uṣur, Nāṣiru und Tabnî, waren bārû am Hofe des Königs unter Asarhaddon und As-

schriftete Manuskripte. Zwei der Kolophone, Hunger (1968) Nrn. 492 und 557, erwähnen, dass die Texte ‚für das Lesen der Lehrlinge‘ niedergeschrieben worden sind.  SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 171 Vs. Z. 8–10. Der Brief ist in der babylonischen Variante der Keilschrift niedergeschrieben.  SAA 16 = Luukko/Van Buylaere (2002) XIX.  SAA 16 = Luukko/Van Buylaere (2002) Nr. 65 Vs. Z. 2–12.

3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

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surbanipal. Werke (hier wahrscheinlich Sammlungen von Schultexten) konnten, wie der Brief zeigt, auf Wunsch des Königs revidiert werden: (15) (16) (Rs.) (1) (2) (3) (4) (5) (6)

⸢iš!⸣-ka-ru! li-ib-[ru-u] LUGAL li-iq-bi

2-ta li-gi-na-a-te ša ṣa-a-ti li-iš-šur-ru 2-ta ša ba-ru-te liš-kun … 1297

Die Serie soll gepr[üft] werden. Lass den König befehlen: Zwei Tafeln mit bilingualen Listen sollen entfernt werden; zwei (Tafeln) der Opferschau sollen eingefügt werden. Der Begriff liginnu bezeichnet u. a. Schultafeln (s. Kap. 2.2). Er wird bspw. auch von Balasî, dem Lehrer Assurbanipals, im Zusammenhang mit dessen Ausbildung erwähnt.1298 Mit ṣâtu werden Kommentartexte, aber auch lexikalische Listen bezeichnet (s. Kap. 2.2). Aufgrund des Wortes liginnu und des Kontextes wird angenommen, dass es sich hierbei um ein Curriculum für Schüler handelt.1299 In einem in das Jahr 670 datierten Brief (SAA 10 Nr. 256) ist das vom König befohlene Abschreiben von Texten Thema, was womöglich als Unterricht für mehrere Schüler verstanden werden könnte, da diese jeweils dieselben Texte kopieren sollten.1300 Den Brief schrieb Marduk-šākin-šumi, ein bereits oben erwähnter āšipu, und Adad-šumu-uṣur, sein Vorgänger. Ausbildung und das Abschreiben von Texten fand womöglich in derselben Umgebung statt, wie der undatierte Text SAA 11 Nr. 1561301 mit womöglich babylonischen ‚Schreibern‘ nahelegt: (Vs.) (1) mEN-PAP-AŠ (2) mṣal-la-a-a

    

SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 177 Vs. Z. 15–Rs. Z. 6. SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 39 Rs. Z. 9. Parpola (1983b) 99 f. Nr. 116. SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 256 Vs. 6– Rs. 7. SAA 11 = Fales/Parpola (1995) Nr. 156.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

(3) an-nu-te 2 (4) ša li-gìn-nu (5) i-qab-bu-ú-ni ____________________________________ (6) mšá-dPA-šu-ú [la] qur-bu (7) dul-lu ina IGI mú-ku-me e-ta-mar ____________________________________ (8) mdMAŠ-ŠU DUMU lúGÚ.EN.NA (9) ÉŠ.GÀR ug-da-mir (10) si-par-ri AN.BAR šá-kin (11) ina É re-du-te (12) ina IGI mba-a-nu-ni pa-aq-qid (13) dul-lu ina ŠU.2-šú la-áš-šú ____________________________________ (14) mku-dúr-ru (15) mku-na-a-a (16) UDUG.ḪUL.A-MEŠ (17) ug-dam-me-ru (18) ṭè-en-šú-nu (19) ina IGI msa-si-i (Rs.) md AMAR.UTU-LUGAL-a-ni (1) m su-la-a-a (2) m ba-la-ṭu (3) (4) mna-ṣi-ru md 30-ŠEŠ-SUM-na (5) m ri-mu-tu (6) m AŠ-PAP-MEŠ (7) (8) mEN-ú-še-zib (9) mdPA-LUGAL-PAP-MEŠ-šú (10) an-nu-te 9 (11) ša TA✶ um-ma-a-ni (12) iz-za-zu-ú-ni dul-lu (13) ša É lúGIG (14) ep-pa-šu-ú-ni ____________________________________ (15) mdUTU-SUM-na (16) mpi-ir-ʾu (17) mEN-DÙ-uš (18) an-nu-te 3 (19) ša a-di ṭup-pi-šú (20) ÉŠ.GÀR ú-gam-ma-ru-ni

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

(Vs.) (1–5) Bēl-aḫu-iddina, Ṣallāia, diese zwei rezitieren Tafeln. ____________________________________ (6–7) Ša-Nabû-šû ist [nicht] anwesend. Er hat die dem Ukumu aufgetragene Arbeit angesehen. ____________________________________ (8–13) Inūrta-gāmil, Sohn des šandabakku hat die Serie zu Ende geschrieben. In Eisenfesseln legte man ihn. Im Nordpalast wurde er dem Banūnu zugewiesen. Arbeit für seine Hände gibt es nicht. ____________________________________ (14–19) Kudurru, Kunāia haben UDUG.ḪUL zu Ende geschrieben. Sie unterstehen dem Befehl Sāsîs (Rs.) (1–14) Marduk-šarrāni, Sulāia, Balāṭu Nāṣiru, Sīn-aḫu-iddina, Rēmūtu, Iddin-aḫḫē, Bēl-ušēzib, Nabû-šar-aḫḫēšu; diese neun dienen mit den Gelehrten und arbeiten an É lúGIG. ____________________________________ (15–20) Šamaš-iddina, Pirʾu, Bēl-ēpuš; diese drei schreiben innerhalb eines Jahres die Serie zu Ende. Wie wir in der Transliteration (und der Übersetzung) sehen, ist der Text mit Hilfe von Trennlinien sowie der Vorder- und Rückseite in sechs Sinnabschnitte unterteilt: 1.) Zwei Personen rezitieren Texte, was zum (Schul-)Unterricht zählt. Das Sumerogramm IM.GÍD.DA steht hier für das bereits oben erwähnte akkadische Wort liginnu. Der Ausdruck liginna qabû bedeutet wörtlich so viel wie ‚eine Schultafel rezitieren‘. 2.) Das Überprüfen von Aufgaben wird erwähnt. 3.) Eine Person, der Sohn eines šandabakku (Gouverneur von Nippur in Babylonien), hat eine Serie beendet und wird in Ketten gelegt. Er wird im bīt rēdûti, dem Nordpalast in Ninive, einer weiteren Person anvertraut. Keine Arbeit ist momentan für ihn vorhanden. 4.) Zwei Personen sind genannt, die ein bestimmtes Werk, Utukkū lemnūtu (UDUG.ḪUL.A-MEŠ), vollendet haben. Sie sind unter der Aufsicht einer weiteren Person. 5.) Neun Personen sind aufgelistet, die mit den Gelehrten an der Serie É lúGIG arbeiten. 6.) Drei Personen schreiben eine Serie zu Ende. In Ninive werden diesem Memorandum zufolge Keilschriftserien geschrieben. An einer Serie bzw. einem Werk schreiben teilweise mehrere Personen. Die Tätigkeiten können von einer weiteren Person beaufsichtigt oder kontrolliert werden. Ob dieses Abschreiben für einen bestimmten Anlass und bzw. oder für die Bibliothek des Königs erfolgte, bleibt unklar. Die weitere Deutung des Textes erweist sich als schwierig. Da keine Patronyme angegeben sind, können die aufgelisteten Personen nicht eindeutig mit in anderen neuassyrischen oder neubabylonischen Texten erwähnten Personen gleichen Namens identifiziert werden. Nach Parpola sollen die Namen der genannten Personen

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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babylonischen Ursprungs sein.1302 Parpola stellt die These auf, dass die erwähnten Personen babylonische Gefangene waren, die in der assyrischen Lebensweise unterrichtet wurden, um später als loyale Untergebene dem König in Babylonien zu dienen.1303 In Sinnabschnitt 2 gibt es einen gewissen Inūrta-gāmil, der offensichtlich zwangsweise Texte abschreibt. Ob dies jedoch auf alle Personen des Textes zutreffen muss, ist zu bezweifeln. Für den neuassyrischen König zu arbeiten, war, wie ein Brief (SAA 10 Nr. 160) des babylonischen Gelehrten Marduk-šāpik-zēri zeigt, durchaus erstrebenswert. Dort preist er zunächst seine Fähigkeiten und folgend diejenigen von 20 Gelehrten an und bittet darum, dass sie dem König dienen dürfen.1304 Wie wir oben gesehen haben, fällt das Schreiben von wissenschaftlichen Texten in den Aufgabenbereich der Gelehrten, was natürlich nicht ausschließen soll, dass sich unter den im Memorandum genannten Schreibern nicht auch fortgeschrittene Schüler befunden haben. Aus der Regierungszeit Asarhaddons und Assurbanipals sind z. B. einige Gelehrte bekannt, die denselben Namen besitzen wie Schreiber unseres Textes: Bēl-ušēzib, Bēl-ēpuš, Kudurru, Nāṣiru, Rēmūtu.1305 Die Gruppe Kudurru, Kunāia und Sāsî erscheint auch in einem Brief (SAA 16 Nr. 17) des Kronprinzen Assurbanipal an seinen Vater.1306 Banūnu, der Inūrta-gāmil beaufsichtigt, könnte möglicherweise mit einem āšipu gleichen Namens, der aus Kolophonen von Texten des Ezida, des Nabû-Tempels in Kalḫu/Nimrud, bekannt ist, in Verbindung gebracht werden.1307 Ein Šamaš-iddina erscheint als Gelehrter aus Babylon in BM 28825 (Vs. Z. 11, s. Kap. 3.2.1.3.2). Ein gewisser Iddin-aḫḫē wurde oben im Zusammenhang mit dem 670 datierten Brief SAA 10 Nr. 255 erwähnt. Jedoch ist eine eindeutige Identifikation der Personen aufgrund der fehlenden Patronyme nicht möglich.

 Parpola (1972) 33.  Parpola (1972) 33. Da Inūrta-gāmil in eisernen Fesseln ist, soll dies offensichtlich auch auf die anderen Personen zutreffen. Parpola möchte in Kudurru den Sohn des chaldäischen Sheikhs Šamaš-ibni sehen, der 675 nach Assyrien deportiert wurde. Ein gewisser Sulāia wird nach einem weiteren Brief (SAA 16 = Luukko/Van Buylaere [2002] Nr. 21 Rs. Z. 14–16) in Ninive gefangen gehalten. Diesen Brief datiert Parpola in das Jahr 670, Parpola (1972) 27. Aufgrund der Gleichsetzung der beiden Sulāias wird angenommen, dass auch das Memorandum in die Regierungszeit Asarhaddons datiert. Jedoch ist zu bedenken, dass selbst dann, wenn beide Personen identisch sind, das Memorandum sehr wohl auch aus der Regierungszeit Assurbanipals stammen könnte, die 669 begann.  SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 160. Ob der Brief in die Regierungszeit Asarhaddons oder Assurbanipals zu datieren ist, ist umstritten, s. Fincke (2003–04) 118 Fn. 56.  S. „The Prosopography of the Neo-Assyrian Empire“ = PNA herausgegeben von Parpola (1998–2017), insbesondere Band 1, 2 und 3. Hier lassen sich weitere Informationen und Verweise auf Textstellen (auch für andere Namen) finden.  SAA 16 = Luukko/Van Buylaere (2002) Nr. 17 Vs. Z. 6–12.  Robson (2013) 46.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

Möglicherweise könnte unser Memorandum neben der Schulausbildung auch das Schreiben der in Ninive gefundenen Tontafeln in babylonischen Zeichenformen und Duktus bezeugen. Das Niederschreiben der Manuskripte in der neubabylonischen Variante der Keilschrift könnte am Ende der Regierungszeit Asarhaddons oder zu Beginn der Regierungszeit Assurbanipals stattgefunden haben. Falls dies zutrifft, wurden zunächst standardisierte Texte mit babylonischen Zeichenformen und babylonischem Duktus in Ninive angefertigt. Nur wenige Tafeln sind bekanntlich babylonischen Ursprungs, die anderen babylonischen Tafeln könnten ebenso gut in Ninive niedergeschrieben worden sein (s. Kap. 3.2.1.2). Ein enger Zusammenhang zwischen dem in den neuassyrischen und neubabylonischen Bibliothekstexten verwendeten Syllabar existiert, wie Wolfram von Soden und Wolfgang Röllig in ihrem Buch „Das akkadische Syllabar“ bemerkten: Sprachlich wie graphisch ist die Abgrenzung der verschiedenen Perioden nach 1000 mit ziemlichen Schwierigkeiten verbunden. Sicher datierbare nB Quellen aus Babylonien selbst sind selten. Dafür dringt aber jetzt babylonisches Schrifttum in breitestem Strom nach Assyrien und wird dort in Assur noch weithin dortigem Schreibgebrauch entsprechend orthographisch etwas umgestaltet, in Ninive aber anscheinend oft gar nicht. Die Texte aus Assurbanipals Bibliothek sind also zum grossen Teil, auch wenn sie nicht gerade in bab. Schrift geschrieben sind, eher Quellen für das nB als für das nA Syllabar. Sichere Unterscheidungsmerkmale zwischen nB und nA Zeichenwahl gibt es nur wenige, vor allem die nur assyrischen Lautwerte qi, ṭí, pír, tàk, u. a. m. Deshalb ist es im Einzelfall oft unmöglich, zwischen Texten babylonischer oder assyrischer Redaktion sicher zu scheiden. Daher rechnen wir hier schematisch Ninivetexte in assyrischer Sprache und alle Königsinschriften aus Assyrien zu den Quellen des nA Syllabars, die Texte in nB Schrift und Sprache aber zu denen des nB Syllabars. Bei Lautwerten, die ausschließlich in literarischen Texten aus Ninive in bab. Sprache, aber assyrischer Schrift belegt sind, wählen wir die Signatur 6/7 und lassen damit die Frage nach deren Herkunft offen.1308

An der Anfertigung der Bibliothekstexte arbeiteten zahlreiche Personen. Im Zuge der Schriftreform Assurbanipals konnten die babylonischen Tafeln mit einem ‚Assurbanipal-Kolophon‘ versehen werden, wie einige wenige Tafeln der Leberschauomina in babylonischer Schrift mit einem ‚Assurbanipal-Kolophon‘, und zwar des Typs l, nahelegen (s. Kap. 3.2.1.2). Unter Assurbanipal wurden dann die charakteristischen neuassyrischen Bibliothekstexte geschaffen. Ob gleichzeitig in Ninive weiterhin babylonische Bibliothekstexte geschrieben wurden, ist zu hinterfragen.

 von Soden/Röllig (1991) XXXIII.

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3.2.1.3.2 Sammeln und Anfertigen von Standardversionen während der Regierungszeit Assurbanipals Unter Assurbanipal wurden Texte aus Tempeln und Privathäusern kopiert und bzw. oder gesammelt und nach Ninive gebracht. Diese Texte dienten als Vorlage für die in Ninive aufgefundenen Bibliothekstexte. Abschreiben des Bestands der Tempelbibliotheken Borsippas und Babylons Bereits früh in seiner Regierungszeit ließ Assurbanipal Texte kopieren, wie zwei spätbabylonische Kopien von Texten, die aus der Regierungszeit Assurbanipals stammen, aufzeigen. Sie wurden 2005 von Grant Frame und Andrew R. George erstmalig veröffentlicht; auf ihren Artikel stütze ich mich im Folgenden. BM 45642 ist ein Brief und stellt die Antwort (vermutlich der Tempelbibliothek des Ezida) auf eine Anfrage Assurbanipals dar. Die Gelehrten aus Borsippa schrieben (Vs. Z. 8 f.): (8) (9)

um-ma BAR.SÌPki-MEŠ sa-an-⸢qu⸣-⸢tú⸣ a-na LUGAL EN-šu-nu ú-ta-ru-[š]ú na-áš-par-tu₄ šá ⸢iš⸣-⸢ṭu⸣-⸢ru⸣ um-ma kul-lat lúDUB.SAR-tú š[á Š]À NÍG.GA dAG EN-iá šu-ṭu-ra-ʾ šu-bil-la-ni

Folgendermaßen: Die gehorsamen Borsipper werden dem König, ihren Herren, den Auftrag, den er geschrieben hat, zurücksenden, und zwar ‚Die Gesamtheit der Schreibkunde, Eigentum des Nabû, schreibt nieder und schickt es mir!‘1309 Assurbanipal möchte demnach Tafeln aus dem Besitz des Nabû (vermutlich der Tempelbibliothek des Ezida). Die Gelehrten wollen – wie sie weiter schreiben – der Anweisung Folge leisten, Tag und Nacht arbeiten, die Texte auf mit Wachs beschichteten Holztafeln aus musukkanu-Holz (‚Dalberiga Sissoo‘ auch unter der Bezeichnung Indischer Palisander der Indisches Palisanderholz bekannt) abschreiben und dem König schicken (Vs. Z. 11 f.). Ferner hatte der König nach einem spezifischen lēʾu (wachsbeschichtete Holztafeln, s. Kap. 2.2) eines sumerischen Textes gefragt, der jedoch nur im Esagil in Babylon vorhanden sein soll (Vs. Z. 12 f.).1310 BM 288251311 ist längst nicht in einem solch guten Erhaltungszustand wie BM 45642. Aufgrund der inhaltlichen Nähe zu BM 45642 identifizierten Frame und

 Frame/George (2005) 267 und 269.  Vgl. die Textedition bei Frame/George (2005) 267–270.  Frame/George (2005) 270–277.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

George den Text als briefliche Antwort auf eine Anfrage Assurbanipals an die Gelehrten von Babylon, jedoch ist der Adressat hier nicht mehr erhalten. Der Text soll zwar nur von einer Person geschrieben sein, aber diese fungierte als Vorsprecher für eine Gruppe von Gelehrten. Neben der Gesamtheit der Schreibkunst werden spezifische Textserien und Textkorpora wie das āšipūtu (‚Beschwörungskunst‘) aus dem Esagil, dem Tempel des Marduk, verlangt (Vs. Z. 8–10). Zwölf hochgebildete Gelehrte wurden für das Abschreiben ausgewählt (Vs. Z. 10–15). Von diesen namentlich genannten Gelehrten kann keiner mit Sicherheit mit in anderen Texten genannten Personen identifiziert werden.1312 Der Kessel der Griffel wurde vor dem Schreiben mit Öl bzw. Fett getränkt (Vs. Z. 17). Es werden auch hier wachsbeschichtete Tafeln aus Dalberiga Sissoo-Holz genannt (Vs. Z. 16). Das Anfertigen der Texte wird großzügig mit Silber vergütet (Rs. Z. 25 f.) und es wird Ruhm und Ehre versprochen (Rs. Z. 31–35). In Zeile 36 wird das fünfte Jahr genannt. Entweder ist das fünfte Regierungsjahr Assurbanipals oder seines Bruders Šamaš-šumu-ukīn von Babylonien gemeint, was für eine Datierung des Briefes Assurbanipals in den Zeitraum 664/663 spricht.1313 Sammeln von Texten aus den Privatsammlungen der Gelehrten Eine spätbabylonische Kopie eines Briefes des neuassyrischen Königs an einen gewissen Šaddûnu ist in zwei Manuskripten (BM 25676 und BM 25678) überliefert. Sie wurde als Kompositumschrift CT 22 Taf. 1 Nr. 1 erstmalig ediert und von Frame und George neu übersetzt und diskutiert.1314 Parpola liefert mit SAA 21 Nr. 13 abermals eine Übersetzung.1315 Der König beauftragt – womöglich unter Zwang – das Sammeln von bestimmten Texten aus dem Ezida und von Privatsammlungen der Gelehrten in Borsippa nach einer ‚Einkaufsliste‘. Nach der Auflistung der gesuchten Texte ist hier zudem angegeben, dass alle Texte, die zusätzlich gebraucht werden bzw. in Assyrien nicht vorhanden sind, eingesammelt werden sollen.1316 Die genannten Texte stammen überwiegend aus dem Wissensgebiet āšipūtu: Der König möchte sich also vor Krankheit und Verletzung schützen. So käme nach Frame und George neben Assurbanipal als Adressant

 Frame/George (2005) 276 Kommentar zu Zeilen 10–13.  Vgl. Frame/George (2005) 277 (Kommentar zu Zeile 36) und 282, s. auch Frahm (2011a) 274. Für die Praktikabilität der Verwendung von in ölgetunkten Griffeln vgl. Cammarosano et al. (2019) 165.  Frame/George (2005) 280–282.  SAA 21 = Parpola (2018) Nr. 13.  CT 22 Taf. 1 Nr. 1 Z. 27–31, siehe Frame/George (2005) 280 f. sowie SAA 21 = Parpola (2018) Nr. 13 Rs. Z. 6–10.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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sein Vater Asarhaddon in Frage, der eine fragile Gesundheit besaß.1317 Jedoch haben wir von diesem Herrscher keine weiteren Indizien für ein systematisches Sammeln von Texten. In Fragmenten von Bestandslisten werden wissenschaftlich-literarische Texte in Abschnitte nach ihrer Herkunft von einem Gelehrten bzw. Schreiber untergliedert.1318 Parpola konnte einen Teil der Fragmente drei Verwaltungstexten zuordnen, die aufgrund der Handschrift von einem Schreiber stammen.1319 Zwei der Verwaltungstexte sind in das Jahr 647 datiert.1320 Der Titel des jeweiligen Textes bzw. des Wissensbereichs wird nach der Angabe einer Zahl niedergeschrieben. Zusätzlich wird auch der jeweilige Schriftträger angegeben. Ein Gelehrter war in Besitz von Texten auf verschiedenen Schriftträgern. Es sind belegt ṭuppu (DUB), egirtu, lēʾu (gišZU), daltu (gišIG) und das einmal erwähnte asarru (vgl. für die Begriffe Kap. 2.2). Der Begriff egirtu steht hier für eine einkolumnige Tontafel, der Begriff ṭuppu für eine mehrkolumnige Tontafel. Von einer Tafelserie konnte der jeweilige Gelehrte sowohl einkolumnige als auch mehrkolumnige Tontafeln besessen haben.1321 Nach der Auflistung der Tontafeln aus dem Besitz des Gelehrten wurde die Summe der Tontafeln sowohl des Typs egirtu als auch des Typs ṭuppu unter Verwendung des Begriffes ṭuppu angegeben.1322 Auch asarru steht wohl für eine Art von Tontafel. Der Begriff lēʾu bezeichnet ein Diptychon bzw. Polyptychon mit 2 bis 12 wachsbeschichteten Holztafeln in unseren Bestandslisten. Eine einzelne wachsbeschichtete Holztafel, die nicht Bestandteil eines Polyptychons ist, wird als daltu bezeichnet. Bei der Gesamtsumme wird die Anzahl der Polyptychen und der einzelnen Holztafeln angegeben.1323 Am Ende des jeweiligen Abschnitts steht der Name des Gelehrten. An 15 Stellen ist der Name des jeweiligen Gelehrten (teilweise) erhalten und an neun Stellen sein ‚Beruf‘. Interessant ist hierbei, dass die aus ihrem Besitz stammenden Schriftstücke nicht dem Bereich der Spezialisierung des jeweiligen Gelehrten zuzuordnen sind. Die Gelehrten sollen zur Zeit der Abgabe der Texte noch am Leben gewesen

 Frame/George (2005) 281 f.  Vgl. Parpola (1983a), Eine Neuedition findet sich in SAA 7 = Fales/Postgate (1992) Nrn. 49–55 zuzüglich eines neuen Fragments Nr. 56. Dieses Fragment joint zu diversen anderen Fragmenten, die von Lambert bearbeitet wurden, vgl. hierzu Lambert (1992b) mit weiteren Angaben, siehe dort auch für ein Fragment einer weiteren Tafel.  Parpola (1983a) 1 f., siehe insbesondere Fußnote 2, wo er auch die Gründe der von ihm postulierten indirekten Joins erklärt. Für die Textedition vgl. ebd. 12–24 und SAA 7 = Fales/ Postgate (1992) Nrn. 49, 50, 51 und 55.  Parpola (1983a) 11.  SAA 7 = Fales/Postgate (1992) Nr. 55.  Vgl. bspw. SAA 7 = Fales/Postgate (1992) Nr. 50 Vs. III Z. 1‘–15‘.  Vgl. bspw. SAA 7 = Fales/Postgate (1992) Nrn. 49 Vs. I Z. 22‘–24‘.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

sein.1324 Unter den genannten Personen befindet sich auch ein gewisser Aššūrmukīn-palē᾽a1325, für den 18 Manuskripte von teilweise sehr seltenen Serien angegeben sind. Aššūr-mukīn-palēʾa ist höchstwahrscheinlich ein Bruder Assurbanipals.1326 Von einer Textserie scheinen die Gelehrten meist nicht das vollständige Werk abgegeben bzw. besessen zu haben. Die einzelnen Schreiber gaben unterschiedlichste Mengen an Schriftträgern ab. Die Zahlenangaben in den Fragmenten der drei Bestandslisten zeigen, dass mindestens 1441 Tontafeln und mindestens 69 Polyptychen nach Ninive geliefert wurden.1327 Parpola sieht einen Zusammenhang zwischen dem Fall Babylons, dem Ende des Bürgerkrieges zwischen Assurbanipal und seinem Bruder Šamaš-šumu-ukīn und den ‚Tafellieferungen‘. Letztere sollen Kriegsbeute aus Babylonien sein. Für den Aspekt der Kriegsbeute spricht die Datierung nur wenige Monate nach dem Fall Babylons.1328 Bei zwei Gelehrten wird zusätzlich ihre Heimatstadt Nippur genannt, ein weiterer ist der Sohn des Schreibers des Königs von Babylon, ein anderes Mal wird bei der Herkunft nur auf Bīt Ibâ verwiesen. Aufgrund dessen folgert Parpola, dass der Großteil der Texte aus Babylonien stammt.1329 Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass auch Texte aus Assyrien geliefert wurden. Selbst wenn wir der Deutung von Parpola folgen, müssen die anderen Fragmente nicht den Zwangserwerb von Tafeln zum Thema haben. Lambert beschreibt u. a. eine weitere Tafel, die aus vier verschiedenen Fragmenten besteht.1330 Im Gegensatz zu den drei von Parpola rekonstruierten administrativen Texten scheint dieser Katalog nur vollständige Werke aufzulisten. Keine Schriftträger sind angegeben. Zwei Personennamen erscheinen in diesen Texten: Aplāia/Apil-Aia und Adad-šumu-uṣur. Leider sind keine Patronyme angegeben, was folglich eine eindeutige Identifikation erschwert. Ersteren setzt Lambert jedoch mit einem ṭupšarru aus Borsippa gleich, letzteren mit Adadšumu-uṣur, einem āšipu des Königs.1331 Beide waren während der Regierungs-

 Parpola (1983a) 8–10.  SAA 7 = Fales/Postgate (1992) Nr. 51 Rs. I Z. 1.  Villard (1997) 139.  Vgl. Parpola (1983) 4 f. mit genauen Angaben zu seinen Berechnungen. Die bei Fincke (2003–04) 124f. vermerkten Zahlenwerte sollen sich auf die Neuedition der Texte in SAA 7 = Fales/ Postgate (1992) Nrn. 49–52 stützen. Nr. 52 zählte Parpola nicht als Fragment der von ihm besprochenen drei administrativen Texte.  Parpola (1983a) 11.  Parpola (1983a) 7.  Lambert (1992b), Lambert (1989) und Lambert (1976).  Lambert (1976) 313.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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zeit von Asarhaddon und Assurbanipal aktiv. Aplāia/Apil-Aia wird auch in dem oben besprochenen Text CT 22 Taf. 1 Nr. 1 (Zeile 5) erwähnt.1332 Holztafeln erhalten sich nicht im archäologischen Befund. Bei den babylonischen Tafeln in Ninive ist – wie bereits oben erläutert – bei den wenigsten von einer direkten Herkunft aus Babylonien auszugehen, einige wenige besitzen sogar einen ‚Assurbanipal-Kolophon‘. Auch bei den assyrischen Texten ist bei den meisten keine Fremdherkunft erkennbar. Die Bestandslisten beweisen im Kontrast zum oben diskutierten materiellen Befund, dass aus Assyrien und Babylonien tausende Texte importiert wurden. Vielleicht wurden die Holztafeln und Tontafeln wieder zurückgegeben, nachdem sie kopiert wurden.1333 Die Holztafeln aus den babylonischen Tempeln und die konfiszierten Holz- und Tontafeln von Gelehrten bzw. Schreibern dienten wahrscheinlich als Vorlagen für Neueditionen, d. h. für Assurbanipals Bibliothekstexte. Kopieren und Anfertigen von Neueditionen Vier ‚Assurbanipal-Kolophone‘ nennen als Vorlagen 1.) wachsbeschichtete Holztafeln (Polyptychen) und Tontafeln aus dem Land Assur sowie dem Land Sumer und Akkad, 2.) Tontafeln des Landes Assur und des Landes Akkad, 3.) ein Polyptychon aus Babylon, 4.) Polyptychen aus dem Land Assur und Akkad.1334 Kolophone anderer assyrischer und babylonischer Bibliothekstexte aus Ninive erwähnen als Vorlagen Texte aus Assyrien, aus Babylon, aus Borsippa und aus anderen babylonischen Städten.1335 In Anbetracht der Sammeltätigkeit Assurbanipals (s. o.) ist die Herkunft nicht sonderlich differenziert angegeben. Die Nennung von Vorlagen aus verschiedenen Orten zeigt dennoch, dass die Texte untereinander abgeglichen worden sind und die sich uns erhaltenen Texte nicht nur reine Kopien, sondern Neueditionen darstellen. Ein babylonischer Brief (SAA 10 Nr. 155) verdeutlicht, dass die Vollständigkeit der vom König benutzten wissenschaftlichen Texte wichtig war und der König zu diesem Zwecke unterschiedliche Manuskripte für einen Text verwenden konnte. Den Brief hat Ašarēdu (der Jüngere), ein ṭupšarru, der sowohl für Asarhaddon als auch für Assurbanipal tätig war, verfasst. Es ist unklar, ob der Brief an Asarhaddon oder an Assurbanipal gerichtet war, jedoch wird meist davon  Vgl. die Übersetzung bei Frame/George (2005) 280 f. und SAA 21 = Parpola (2018) Nr. 13 Vs. Z. 5.  Frame/George (2005) 283.  Vgl. Hunger (1968) Nr. 318 (Assurbanipal-Kolophon b), Nr. 328 (Assurbanipal-Kolophon o, siehe auch die Neuedition bei Gabbay [2014] 276–279), Nr. 331 (vgl. Borger [1970] 168) und Nr. 336.  Vgl. Fincke (2003–04) 127–129 mit weiteren Angaben. Sie stützt sich auf Hunger (1968). Siehe auch Fincke (2014) 273.

3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

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ausgegangen, dass er an Assurbanipal adressiert war.1336 Ašarēdu bietet dem König ältere Text(-versionen) anstelle eines unvollständigen Textes an: (5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13)

tup-pi šá LUGAL ip-pu-šú [ma]-ṭu ù ul šá-lim [a]-du-ú ṭup-pi [l]a-bi-ru šá am-mu-ra-pi LUGAL [e]-pu-šú ma-al-ṭa-ru [šá p]a-ni am-mu-ra-pi LUGAL ki-i áš-pu-ru ul-tu TIN.TIRki at-ta-šá-a1337

Eva Cancik-Kirschbaum fertigte eine Übersetzung ins Deutsche an: Die Textfassung (wörtl. ‚Tafel‘), die der König, mein Herr, verwendet, ist unvollständig und nicht intakt. Nunmehr habe ich eine Textfassung [wörtl. ‚alte Tafel‘ Anm. d. Verf.], die König Hammurabi anfertigte (sowie) eine Inschrift (aus der Zeit) vor König Hammurabi, – wie ich schrieb – aus Babylon beigebracht.1338

Hier zeigt sich einerseits ein Interesse des Königs für ältere Textversionen, andererseits aber auch, dass verschiedene Manuskripte verwendet wurden. Neben verschiedenen Vorlagen spricht für das Anfertigen von Neueditionen auch das Arbeiten in Gruppen beim Erstellen der Abschriften. In Kolophonen (inklusive der ‚Assurbanipal-Kolophone‘) steht, dass die Texte nicht nur geschrieben sondern, dass auch kontrolliert wurde, ob die Abschriften korrekt sind. So kann in den ‚Assurbanipal-Kolophonen‘ šaṭir saniq bari ‚geschrieben, geprüft, kollationiert‘ stehen.1339 Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang die Zeilen 4–7 des ‚Assurbanipal-Kolophons b‘:1340 (4) (5) (6) (7) (4)

    

ki-i pi-i DUB-MEŠ gišLE.U5.UM-MEŠ kur GABA.RI aš-šurki kurEME.GI₇ u URIki ṭup-pu šu-a-tu ina tap-ḫur-ti um-ma-a-ni áš-ṭur as-niq IGI.KAR₂-ma Nach dem Wortlaut von Ton- und Holztafeln

So bspw. Fincke (2003–04) 121 und Cancik-Kirschbaum (2013) 113. SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 155 Vs. Z. 5–13. Cancik-Kirschbaum (2013) 111. Hunger (1968) 3. Hunger (1968) Nr. 318.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

(5) (6) (7)

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Exemplaren des Landes Assur, des Landes Sumer und Akkad, habe ich diese Tafel in der Versammlung der Gelehrten geschrieben, geprüft und kollationiert.

Unabhängig davon, ob Assurbanipal die Texte mit seinen Kolophonen selber schrieb, zeigt dieses Beispiel, dass sich für Editionen mehrere Gelehrte untereinander austauschten und verschiedene Vorlagen aus unterschiedlichen Gebieten verwendet wurden. In einem Brief (SAA 10 Nr. 30), der nach Parpola in die frühen Regierungsjahre von Assurbanipal datiert, werden neu geschriebene lēʾāni (wachsbeschichtete Holztafeln) erwähnt und auch der Einfluss des Königs auf diese explizit genannt.1341 Ebenso wie SAA 10 Nr. 30 wurden ein astrologischer Report (SAA 8 Nr. 19) von Issār-šumu-ēreš, einem ṭupšarru, der unter Asarhaddon und Assurbanipal aktiv war, (mit-)verantwortet. Hermann Hunger gibt hierfür als Datierung das Jahr 668 an.1342 Auf der Rückseite der Tontafel wird ein babylonisches lēʾu des Königs genannt: (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9)

giš

LE.U5.UM am-mì-u ša UD AN d+EN.LÍL ša ni-iš-ṭur-u-ni lu-še-ri-bu-u-ni LUGAL be-li le-mur ù gišle-ʾu ak-ka-du-u ša LUGAL lid-di-nu-na-ši MUL-MEŠ 3-TA.ÀM ina pu-u-ti i-na ŠÀ-bi le-ṣi-ru lú SAG lip-qi-du ša un-qu i-pát-tu-ni ina IGI-šu e-ṣi-ru-ni1343

Hierfür gibt Beate Pongratz-Leisten folgende Übersetzung an: Dieses Polyptychon von Enūma Anu Enlil, das wir geschrieben haben, sollen sie bringen, und der König, mein Herr, möge es anschauen. Ebenso möge man uns die akkadische Tafel [wörtl. ‚das babylonische Polyptychon‘ Anm. d. Verf.] des Königs geben; 3 Sterne jeweils soll man auf die Frontseite und hinein? zeichnen. Ein Eunuch sollte beauftragt werden, der das Siegel öffnet und unter dessen Aufsicht sie zeichnen.1344

   

SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 30 Vs. Z. 8–14. SAA 8 = Hunger (1992) XXII. SAA 8 = Hunger (1992) Nr. 19 Rs. Z. 1–9. Pongratz-Leisten (1999b) 297.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

Grammatisch schwierig ist Z. 6–7. Hermann Hunger bietet hierfür für folgende Übersetzung an: „the stars, three of each, should be drawn therein after (its model).“1345 Wayne Horowitz deutet dies folgendermaßen: „Let them inscribe ‚The Three Stars Each‘ on it in accordance (with its original).“ Denn ‚The Three Stars Each‘ ist die antike Bezeichnung für Astrolab. Er verweist in diesem Zusammenhang auf zwei Texte aus Kujundschik/Ninive, die sich in Form von Kreisdiagrammen präsentieren.1346 Aus dieser Textpassage wird deutlich, dass sich in der Sammlung des Königs Polyptychen wissenschaftlichen Inhalts befanden. Zum Schutz vor unautorisierter Veränderung waren sie versiegelt. Nachträglich konnten z. B. Zeichnungen in die Polyptychen eingefügt werden. Wie wir bereits bei den Tontafeln gesehen haben, ist auch bei der Anfertigung von Polyptychen eine Personengruppe beteiligt. Womöglich soll bei dem Schriftzeugnis Enūma Anu Enlil der König das Ergebnis begutachten; unklar ist, ob dieses für seine Sammlung gedacht war oder nur zur königlichen Lektüre. Die Gruppe von Personen um Issār-šumu-ēreš möchte Einsicht in ein Manuskript des Königs erhalten. Offensichtlich gab es eine gewisse Verwaltung der Textsammlung und der Anfertigung von Manuskripten, d. h., es gab Personen, die ein Manuskript aus der Sammlung des Königs holen konnten und einen Eunuchen, der das Öffnen von Siegeln und Einfügen von Zeichnungen überwachte. Zwei neuassyrische Briefe an den König – SAA 10 Nrn. 101 und 102 – berichten über Abschreibtätigkeiten. Aufgrund des verwendeten Duktus schreibt Parpola sie dem Akkullānu zu; SAA 10 Nr. 101 datiert er um 655.1347 Akkullānu, ansässig in Assur, war ein hochgestellter Priester des Aššur-Tempels in Assur (šangû und ērib-bīti) und war als ṭupšarru ‚Astrologe‘ tätig. Er agierte während der Regierungszeit von Asarhaddon und Assurbanipal.1348 In SAA 10 Nr. 101 wird die Neuedition von Texten behandelt. Die Tontafel ist stellenweise nur fragmentarisch erhalten. Die Tafeln einer Serie und die ‚nicht-kanonischen‘ Tafeln (DUB-MEŠ a-hu-ú-ti, zur Diskussion des Begriffs aḫû vgl. Kap. 3.1.2.2) wurden gebracht und der König kann sich diese ansehen (Vs. Z. 2–6). Später möchte Akkullānu die babylonischen und assyrischen lēʾāni (wachsbeschichtete Holztafeln, das Wort ist an dieser Stelle größtenteils rekonstruiert) holen lassen (Textstelle rekonstruiert) und (Ton-)Tafeln schreiben (Vs. Z. 7–10). Weiter fragt er nach, ob er die Textzeilen (Wort rekonstruiert) der ‚nicht-kanonischen‘ Tafel auf eine andere Tafel als die anderen Zeilen (Wort re SAA 8 = Hunger (1992) Nr. 19 Rs. Z. 7f.  Horowitz (2014) 122f. Bei den Texten handelt es sich um Sm.162 (CT 33 Taf. 11) und K.14943 (CT 33 Taf. 12).  Parpola (1983b) 347 und 367.  Villard (1998b) und Pearce/Radner (1998).

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

311

konstruiert) schreiben soll (Rs. Z. 1–6). Demnach wurden in Assur Neueditionen von Texten angefertigt; hierfür dienten assyrische und babylonische Texte als Vorlagen. Nach Absprache mit Assurbanipal wurden bestimmte Texte bzw. Textzeilen in die Standardversionen involviert oder ausgelassen. Eine ähnliche Prozedur deutet der Brief SAA 10 Nr. 3731349 an, dessen Datierung ungesichert ist: (Rs.) (4) ṭup-pa-a-ni ina ⸢pa⸣-⸢ni⸣ LUGAL EN-iá lul-si-ma (5) (6) mim-ma šá pa-an LUGAL (7) maḫ-ru a-na ŠÀ-bi (8) lu-še-ri-id : mim-ma (9) šá pa-an LUGAL : la maḫ-ru (10) la ŠÀ-bi ú-še-le (11) ṭup-pa-a-ni šá ad-bu-ub (rechter Rd.) (1) a-na UD-me ṣa-a-ti (2) a-na ša-ka-nu ṭa-a-bi Lasst mich vor dem König, meinen Herrn die Tafeln vorlesen. Was vor dem König angenommen wird, lasst mich darin niederlegen. Was vor dem König nicht angenommen wird, entferne ich davon. Die Tafeln, von denen ich spreche, sind es wert für immer festgehalten zu werden.1350 Der fragmentarische Brief SAA 10 Nr. 102 nennt verschiedene wissenschaftlichliterarische Texte, die in drei Exemplaren vorhanden sind. Kiṣir-Aššūr wird als einer von zwei Personen genannt, die gerade Urra (ḪAR-ra = ḫubullu), eine umfangreiche lexikalische Liste, kopieren (Vs. Z. 6’). Kiṣir-Aššūr ist der Beschwörer, der von Kolophonen der zahlreichen Tafeln des ‚Hauses des Beschwörungspriesters‘ (s. Kap 3.1.1) bekannt ist.1351 Offensichtlich koordiniert Akkullānu die Abschreibtätigkeit der Gelehrten in Assur.1352 Als weiteres Argument für Anfertigungsorte außerhalb von Ninive könnten mehrere Manuskripte eines Textes aus Kujundschik/Ninive gelten, die sich in  Den Brief hat ein gewisser Inūrta-aḫu-iddina geschrieben, ein Gelehrter, wobei bisher ungesichert ist, ob dieser während der Regierungszeit Asarhaddons und/oder Assurbanipals aktiv war, vgl. Baker/Fischer (2000).  SAA 10 = Parpola (1993) Nr. 373 Rs. und Rd. Z. 4–13.  Villard (1998a), siehe auch Maul (2011) 32.  Zum wissenschaftlichen Austausch zwischen Ninive und Assur vgl. auch Heeßel (2017b) 374 f.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

ihrem Erscheinungsbild zu einem gewissen Grad unterscheiden. Andrew George ordnete etwa die Hälfte der Kujundschik-Manuskripte des Gilgameš-Epos, die alle in der neuassyrischen Version der Keilschrift geschrieben sind, vier verschiedenen Typen zu. Einzig die Tafeln des Typs A, die teilweise einen längeren ‚Assurbanipal-Kolophon‘ besitzen, weist er dem Skriptorium Assurbanipals zu. Nur Manuskripte des Typs C besitzen teilweise einen ‚Assurbanipal-Kolophon a‘. Möglicherweise stammen Tafeln des Typs B, C, D nach George aus einer vor Assurbanipal zu datierenden Tradition.1353 Hierfür plädiert er insbesondere bei Typ D.1354 Die älteren Tafeln soll Assurbanipal bei seiner Thronbesteigung geerbt haben, sie waren vielleicht im Südwestpalast des Sanherib in Kujundschik/Ninive gelagert.1355 Offen bleibt jedoch, warum wir keine Kolophone besitzen, die dies bezeugen, also die Tafeln Schreibern oder vorherigen Königen zuweisen. Auch Schwemer zieht das Erscheinungsbild heran, und zwar um verschiedene Tafelsets für die Serie Maqlû zu rekonstruieren, wobei unter seinen drei neuassyrischen Sets stets Manuskripte mit längerem ‚Assurbanipal-Kolophon‘ zu finden sind.1356 Er unterscheidet zwei Schrifttypen für die neuassyrische Schrift. Typ A ist „ […] a highly regular, sharply incised Neo-Assyrian script, with inscribed lines exhibiting no or only a very slight upward gradient to the right (Type A).“1357 Vertikale Linien werden mit dem Schreibgriffel angebracht.1358 Vielleicht ist Schrifttyp A gleichzusetzen mit demjenigen, der nach George bei Tafeln des Typs A des Gilgameš-Epos verwendet wird: „[…] a highly regular square script of great sharpness, on a smooth fine clay that retains a high polish.“1359 Auch hier wurde keine Schnur für das Anbringen vertikaler Linien verwendet.1360 Womöglich wurden diese beiden Textgruppen – Gilgameš-Epos Texttyp A und Maqlû-Manuskripte mit Schrifttyp A – von denselben Schreibern angefertigt. Es wäre interessant zu wissen, ob sich Manuskripte anderer Texte der Bibliothek auch nach ihrem Erscheinungsbild und den angebrachten Kolophonen in diese bzw. andere Typen unterteilen lassen. So könnten die Manuskripte an verschiedenen assyrischen Orten für die Bibliothek Assurbanipals niedergeschrieben und dann importiert worden sein (oder gar aus Ninive stammen). Um die Thesen zur Herkunft aus anderen Orten bzw. von älteren Traditio-

       

George (2003) 381–391. George (2003) 421f. George (2003) 389. Schwemer (2017) 43–50. Schwemer (2017) 45. Schwemer (2017) 45 und 47. George (2003) 383. George (2003) 383.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

313

nen zu untermauern bzw. zu widerlegen, müsste das Erscheinungsbild von weiteren zeitgleichen und älteren Texten aus Assyrien untersucht werden. Schlaglichtartig lässt sich die Edition bestimmter Textserien beleuchten. Assurbanipal ließ medizinische Texte standardisieren und serialisieren; ein Kompendium entstand. Außerhalb von Ninive liegen die medizinischen Rezepte nicht in standardisierter Form vor.1361 Die Tontafeln, die dem Kompendium zuzuordnen sind, sind stets zweikolumnig und mit 250–300 Textzeilen beschriftet.1362 Die meisten Manuskripte tragen den ‚Assurbanipal-Kolophon q‘.1363 Laut diesem schrieb, prüfte und kollationierte Assurbanipal auf Tontafeln das medizinische Korpus, das in Rezepte, die vom Kopf bis zu den Zehennägeln angeordnet sind, und ‚nichtkanonisches‘ Material (zu aḫû vgl. Kap. 3.1.2.2) unterteilt wird.1364 Seltener tritt der ‚Assurbanipal-Kolophon b‘ (s. o.) auf, in dem eine Versammlung von Gelehrten erwähnt wird.1365 Bei der 12 Tafeln umfassenden nisḫu-Serie (vgl. Kap. 2.2: nisḫu), der Liste mit medizinischen Pflanzen (Uruanna) aus Ninive, beschreibt der angebrachte ‚Assurbanipal-Kolophon‘1366 den Editionsprozess, der zur Bildung der Serie führte; die Terminologie ähnelt derjenigen des berühmten Gelehrten Esagilkīn-apli (vgl. Kap. 3.1.2.3).1367 Der Kolophon wird dahin gehend verstanden, dass verschiedene Quellen zusammengefügt und überprüft wurden und der Aufbau eine gewisse Reorganisation erfährt.1368 Neben der inhaltlichen Überarbeitung fällt bei der Ninive-Rezension auch auf, dass die Schriftträger stets in etwa dieselben Ausmaße haben (11 cm x 20 cm).1369 Unter Assurbanipal wurde zudem die Beschwörungsserie NAM.BÚR.BI.MEŠ kompiliert, die über 136 Tafeln umfasste. Der ‚Assurbanipal-Kolophon c‘ ist hier belegt. Mit Glossen werden Varianten notiert, was auf die Verwendung verschiedener Vorlagen verweist. Die Serie wurde nicht weitertradiert. Neubabylonisch beschriftete Tafeln mit Namburbi-Ritualen aus Ninive lassen sich der Serie nicht zuordnen.1370 Allerdings besitzen diese teilweise Fangzeilen, so dass die Tafeln möglicherweise eine Vorform der Serienbildung wieder-

 Geller (2018a) 50 und Geller (2010) 97–108.  Johnson (2018) 72 sowie Panayotov (2018) 110.  Für den Kolophon siehe Hunger (1968) Nr. 329. Eine neuere (Teil-)Edition findet sich bei Geller (2018a) 49, Panayotov (2018) 109f. mit Angabe von Textvertretern und auch bei Steinert (2018c) 173.  Steinert (2018c) 172–175. Siehe auch Geller (2018a) 49f. sowie Panayotov (2018).  Panayotov (2018) 110 und Steinert (2018c) 173 Nr. 94.  Für den Kolophon vgl. Hunger (1968) Nr. 321, und für neuere (Teil-)Editionen Böck (2011) 692 f., Böck (2015) 21 sowie Steinert (2018c) 167.  Vgl. Geller (2018a) 45–48, Schmidtchen (2018) 147–150, 151, 153, Steinert (2018c) 167 f.  Steinert (2018c) 167 f.  Böck (2015) 24.  Maul (1994) 216–221. Für den Kolophon vgl. Hunger (1968) Nr. 319.

3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

314

geben.1371 Zwei fragmentarisch erhaltene Exemplare eines Katalogs von NamburbiTafeln sind aus Ninive bekannt. Die Anzahl und Anordnung der dort aufgeführten Tafeln stimmt nicht mit derjenigen der Beschwörungsserie überein. Auch diese Liste könnte eine Vorstufe zu der späteren Beschwörungsserie darstellen.1372 In modernen Texteditionen wissenschaftlich-literarischer Texte werden häufig die Manuskripte der Bibliothek Assurbanipals als Standardversion bezeichnet und als Haupttextvertreter auserkoren. Die meisten der dortigen Manuskripte eines Textes weisen wenige Varianten auf. Manuskripte aus anderen Orten werden, wenn sie in ihrem textlichen Aufbau den Texten aus Kujundschik/Ninive gleichen, zur Rekonstruktion des Textes herangezogen. So auch bei Georges Rekonstruktion des Gilgameš-Epos, wo etwa die Hälfte der Manuskripte, die der Rekonstruktion der Standardversion dienen, spätbabylonische Manuskripte sind.1373 Die Variantenarmut der Manuskripte aus Ninive deutet darauf hin, dass unter Assurbanipal einheitliche Versionen geschaffen wurden. Bezold erkennt für einzelne Textklassen der Bibliothekstexte und Alltagstexte jeweils spezifische Duktus, z. B. sollen die Šuila-Gebete und die ikribu-Gebete denselben Duktus verwenden.1374 Daraus folgert er: Dies deutet darauf hin, daß diese Klassen vollständig je zur selben Zeit und vermutlich von je einem Schreiber kopiert worden sein müssen. Zieht man außerdem die große Gleichförmigkeit in der Wiedergabe der babylonischen und assyrischen Zeichen, d. h. die graphische Stabilität nicht des Duktus, sondern der Zeichenformen als solcher, und ferner die oben erwähnten Regeln mit Bezug auf Form, Größe, Kolumneneinteilung, Liniierung und Zeilenverlauf der Tontafeln in Betracht, so wird es zu immer größerer Wahrscheinlichkeit erhoben, dass die ganze Kujundschik-Sammlung von verhältnismäßig wenigen Schreibern herrührt. Dies würde die allgemein geläufige Annahme, daß die Sammlung in ihrem Hauptbestandteil als Schöpfung Aschurbanipals zu betrachten ist, bestätigen, zugleich aber auch für die Abfassungszeit der einzelnen jetzt vorliegenden Tafeln großenteils den besonders wichtigen t e r m i n u s a n t e q u e m n o n vielleicht in das siebente vorchristliche Jahrhundert herabrücken.1375

Bezold geht zudem davon aus, dass die Manuskripte eines Textes meist von nur einer Vorlage geschaffen wurden. In gleichlautenden Texten bzw. Textabschnitten

    

So Maul (1994) 203. Maul (1994) 196. Diesem Vorschlag folgt auch Ulrike Steinert (2018c) 163. George (2003). Bezold (1904) 272f. Bezold (1904) 273.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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bei Manuskripten der Bibliothek Assurbanipals stehen an denselben Stellen ḫepiGlossen, was zeigt, dass die Vorlage an der entsprechenden Stelle zerstört war.1376 Falls dies zuträfe, würde sich in Anbetracht der Hinweise, dass die Gelehrten beim Verfassen der Neueditionen den König konsultierten, folgendes Szenario anbieten: Die Gelehrten entwerfen mit dem König zusammen eine Neuedition möglicherweise auf einer Tontafel oder auch auf einer Holztafel. Für diese Neuedition könnten verschiedene Vorlagen verwendet worden sein. Die Neuedition dient wiederum als Vorlage; sie wird teilweise mehrfach kopiert.1377 Die jetzt tätigen Schreiber brauchen längst nicht denselben Kenntnisstand zu besitzen wie diejenigen Gelehrten, die die Neuedition erschufen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Assurbanipal aus verschiedenen Teilen seines Reiches, insbesondere aus Babylonien, Texte sammeln ließ. Aus der Kompilation der verschiedensten Quellen wurden die Neueditionen komponiert. Das Involvieren bzw. Auslassen von bestimmten Textstellen oder Texten geschah in Absprache mit dem König.1378 So ist es nicht weiter erstaunlich, dass auch das Erscheinungsbild vereinheitlicht wurde. Was mit den Vorlagen geschah, die weitestgehend im archäologischen Befund fehlen, ist unklar. Für ein Projekt wie die Bibliothek Assurbanipals waren die Dienste zahlreicher Gelehrter  Bezold (1904) 276. Hierfür führt er in der entsprechenden Fußnote als Beispiele K.196, K.2079(+K.7281+K.10642+K.11125+K.14412) und K.3815(+K.4090+K.9546) an. (Für die Joins habe ich mich auf die unten angegebenen Texteditionen gestützt.) Bei Recherche in seinem Katalog zur Kujundschik-Sammlung (Bezold 1889–1899) ergibt sich, dass K.196 das Duplikat K.2307 besitzt, K.2079+ das Duplikat K.2070(+K.2084[+]K.3607+K.11336 +Rm. 2,131 [+] K.6524[+] Rm.2,365) und K.3815+ das Duplikat K.8071 Das erste Beispiel (K.196, K.2307) ist jeweils in der neubabylonischen Variante der Keilschrift geschrieben. Es sind zwei Manuskripte der 5. Tafel der Serie Šumma ālu, siehe für die Textedition Freedman (1998) 87–108. Das zweite Beispiel (K.2079+, K.2070+) ist jeweils in neuassyrischer Schrift, es handelt sich hierbei um den sogenannten Dalbanna-Text, eine mesopotamische Sternenliste, siehe für die Textedition Walker (1995) und Koch (1995). Neben unseren beiden Manuskripten sind inzwischen sechs weitere Manuskripte dieses Textes bekannt, alle aus Kujundschik. Eines der Manuskripte (1881,0204.230) ist allerdings in der neubabylonischen Variante der Keilschrift. Ebenso wie Bezold bemerkt Christopher B. F. Walker eine große Ähnlichkeit der Manuskripte: „Texts A to G all include the comment ḫe-pí (eš-šú) indicating that they were all copied (directly or at one or more removes) from a broken original.“, Walker (1995) 28. Das dritte Beispiel (K.3815+, K.8071) sind zwei Manuskripte in neuassyrischer Schrift der dritten Tafel der Serie Alamdimmû, siehe für die Textedition Böck (2000) 89–97.  Bei der Produktion der Manuskripte des sogenannten Esarhaddon’s Succession Treaty (‚Asarhaddons Nachfolgevertrag‘) ist das Vorgehen vergleichbar: Zunächst wurde die Textkomposition erschaffen. Das Schreiben der Manuskripte erfolgt dann durch das Kopieren einer visuellen Vorlage, wie Lauinger (2015) herausarbeitete.  So auch Oppenheim (1977) 244.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

notwendig. Aus dem ‚Wissenszentrum‘ Assur ist bekannt, dass die dortigen Gelehrten an der Erschaffung der Editionen beteiligt waren. Wie bereits zur Zeit Asarhaddons arbeiteten die Gelehrten in Gruppen mit einem Vorsprecher. Assurbanipal baute demnach für sein Projekt auf bereits bestehende Strukturen auf. Einige Gelehrte waren sowohl unter seinem Vater als auch unter ihm tätig. Womöglich wurden die Neueditionen nicht nur in Assur und Ninive geschrieben, sondern auch in den anderen ‚Wissenszentren‘ des neuassyrischen Reiches. Das Arbeiten von mehreren ‚Schulen‘ an Neueditionen könnte auch erklären, warum von vielen Werken in der Bibliothek Assurbanipals mehrere Manuskripte vorhanden waren. Die Neueditionen befanden sich sowohl auf wachsbeschichteten Holztafeln als auch auf Tontafeln. Die Holztafeln waren versiegelt. Eine gewisse Verwaltung der Manuskriptsammlung existierte. Gelehrte konnten den König nach spezifischen Schriftzeugnissen fragen, so dass neben dem Schreiben der Texte ein (restriktiver) Zugang zu Assurbanipals Sammlung(en) gewährt wurde. 3.2.1.4 Funktion(en) der ‚Bibliothek Assurbanipals‘ Assurbanipal regierte von 668 bis 631/627 das assyrische Reich. Er wurde im Jahre 672 von seinem Vater Asarhaddon als Kronprinz und zukünftiger König von Assyrien bestimmt. Sein älterer Bruder Šamaš-šumu-ukīn war als König von Babylon vorgesehen. Es ist hinreichend bekannt, dass Assurbanipal lesen und schreiben konnte und in den verschiedenen Wissenschaften bewandert war.1379 Eine Ausbildung war wohl nicht nur Assurbanipal vorbehalten, sondern auch seine Schwester Šērūʾa-ēṭirat und seine spätere Ehefrau Libbāli-šarrat erhielten eine solche, wie ein Brief (SAA 16 Nr. 28)1380 bezeugt. Folgerichtig ist anzunehmen, dass weitere Mitglieder der königlichen Familie eine ähnliche Ausbildung genossen.1381 Ein vergleichbar großes Interesse für die (wissenschaftlich-literarische) Keilschriftkultur ist bei den anderen Mitgliedern der Familie Assurbanipals nicht feststellbar. Assurbanipals Großvater Sanherib setzte sich hingegen intensiv mit der „Ingenieurskunst“ auseinander, was bspw. Beschreibungen in seinen Inschriften und seine Bauprojekte zeigen.1382 Neben den Hinweisen zu seiner Ausbildung, in denen z. B. auch mathematische Kenntnisse und Divination erwähnt werden, und seiner Tafelsammlung zeigt sich Assurbanipals Beschäftigung mit der Keil Villard (1997), vgl. auch Fincke (2003–04) 120–122, Livingstone (2007) und Zamazalová (2011).  Für eine Diskussion des Briefes s. Livingstone (2007) 103–105.  Vgl. Livingstone (2007) 105 f. und Zamazalová (2011) 323–325. Für die Frage der Lese- und Schreibfähigkeit in neuassyrischer Zeit vgl. Parpola (1997b). Für weitere gelehrte mesopotamische Könige vgl. Frahm (2011b).  Frahm (2014) 198f. und 217f.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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schriftkultur in der von mir postulierten Schriftreform bzw. ‚typografischen Revolution‘ (s. Kap. 3.2.1.2) und bei den Darstellungen von zwei Schreibern auf Reliefs aus der Zeit Assurbanipals (vgl. Kap. 2.1.3). Auf ihm sicher zugewiesenen Reliefs sind die beiden Schreiber jeweils mit einem Diptychon ausgestattet, beide notieren die Tribute in Keilschrift und nicht einer, wie sonst üblich, in (vermutlich) Aramäisch auf Leder (s. Kap. 2.1.3). Für die Kriegskunst schien Assurbanipals nicht dieselbe Begeisterung aufzuweisen, da er es vermied in den Krieg zu ziehen.1383 Bis auf einige wenige Ausnahmen werden in Kolophonen mit dem Namen Assurbanipals keine anderen Personen als Schreiber, Eigentümer etc. erwähnt. Aufgrund der hohen Anzahl und des oben dargelegten Befunds für das Sammeln, Kopieren und Anfertigen von Neueditionen ist nicht anzunehmen, dass Assurbanipal alle Texte selber schrieb, sondern dies vielmehr unter seiner Aufsicht bzw. in Absprache mit ihm geschah. Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass einige Texte seiner ‚Feder‘ entstammen.1384 Assurbanipals großem Interesse am Wissenserwerb ist sicher das Entstehen seiner Bibliothek während seiner Regierungszeit zuzuschreiben. Dies legen auf jeden Fall Angaben in einigen Kolophonen seiner Bibliothekstexte nahe, wie Lieberman zeigte.1385 Als Grund für eine Aufstellung innerhalb des Palastes Assurbanipals wird angegeben: ana tāmarti šarrūtīja ‚zum Lesen für meine Majestät‘1386; ana tāmarti šitassīja ‚um sie zu lesen und mir vorlesen zu lassen‘1387; ana taḫsisti tāmartīšu ‚zur Erinnerung und für sein Lesen‘1388; ana taḫsisti šitassīšu ‚zur Erinnerung und für sein Vorlesen‘1389 und ana tamrirtīja ‚zur Selbstprüfung‘1390. Die Manuskripte waren für das Selbststudium des Königs gedacht.1391

 So Frahm (2014) 169 Fn. 21. Er gibt keine Quellen hierzu an.  Vgl. Livingstone (2007) 108–114.  Lieberman (1990) 318f.  Hunger (1968) Nr. 318 (Assurbanipal-Kolophon b) Z. 8.  Hunger (1968) Nrn. 319 (Assurbanipal-Kolophone c und d) Z. 8 und 329 (AssurbanipalKolophon q) Z. 7.  Lieberman (1990) 318 Fn. 67 folgend Hunger (1968) Nrn. 323 (Assurbanipal-Kolophon i, k) Z. 4, 336 und 337 Z. 4. Er verweist auf die Angaben bei Borger (1970) 167 f.  Hunger (1968) Nr. 324.  Hunger (1968) Nrn. 330 (Assurbanipal-Kolophon r, s) und 331. Diese Kolophone sind nach Borger identisch. Er gibt die Lesung tamrīrtu, was innerhalb der Kolophone Assurbanipals so viel wie ‚Selbstprüfung‘ bedeuten soll, Borger (1979) 168f.  Auch bei Kolophonen anderer neuassyrischer Manuskripte ist notiert, dass sie für das Lesen durch spezifische Personen bestimmt waren, vgl. bspw. Hunger (1968) Nrn. 210, 297, 299, 305, 308, 310, 379, 382 und 389.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

Die Texte wurden wie weiter oben aufgezeigt in Gruppen von Gelehrten besprochen und niedergeschrieben, natürlich unter Rücksprache mit dem König.1392 Hinweise wie Etiketten1393 und Texte, die zum Lesen hergeholt wurden, zeigen, dass eine gewisse Verwaltung der Tafeln in Ninive existierte und die Texte wohl auch nach ihrer Anfertigung konsultiert wurden. Fluchformeln in den ‚Assurbanipal-Kolophonen‘, die sich (neben dem Löschen von Assurbanipals Namen) gegen das Wegtragen der Tafeln richten1394 oder angeben, dass die betrachteten Tafeln gut behandelt werden sollen1395, verweisen möglicherweise auf eine Art Leihbetrieb. Auf mehrere, möglicherweise unterschiedlich zugängliche Tafelsammlungen könnten die mehrfach vorhandenen Exemplare eines Textes und die verschiedenen Auffindungskontexte hinweisen. Ein reger wissenschaftlicher Diskurs wird jedoch vor allem durch die Existenz der 568 Kommentartexte aus Kujundschik/ Ninive bezeugt, welche über die Hälfte der bisher bekannten Kommentartexte ausmachen. Sie sind sowohl in der babylonischen wie auch assyrischen Variante der Keilschrift verfasst und besitzen teilweise auch einen ‚Assurbanipal-Kolophon‘. Zitate aus Kommentartexten (aber auch aus anderen Texten) finden sich in der Korrespondenz der Gelehrten mit Asarhaddon und Assurbanipal.1396 Inwieweit Manuskripte aus der Bibliothek Assurbanipals zeitgenössische und spätere Rezensionen wissenschaftlicher Texte beeinflussten, ist wohl abhängig von der Art des Textes und bedarf noch weiterer Untersuchungen.1397 Mitunter wurden die Texte auch für eine spezifische Durchführung angefertigt, wie wir oben bereits bei den während der Regierungszeit Asarhaddons angefertigten Manuskripten beobachten konnten. So gibt ein ‚AssurbanipalKolophon‘ ana multēpišūti zamar [nasḫa] ‚Für das Durchführenlassen eilig [exzerpiert]‘1398 an, ein anderes ana mušēpišūtīšu šaṭirma bari ‚Für sein Durch-

 Auch bei der Verfassung von Königsinschriften hielten die Gelehrten/Schreiber Rücksprache mit dem König, wie bspw. in der Korrespondenz Sanheribs deutlich wird, Frahm (2014) 170f.  Zwei Etiketten mit Serientiteln sind aus der sogenannten Bibliothek Assurbanipals bekannt, und zwar K.1539 (Enūma Anu Enlil) und K.1400 (Šumma ālu).  Vgl. Hunger (1968) Nrn. 319 (Assurbanipal-Kolophon c und e), 320 (Assurbanipal-Kolophon f) und 333 Assurbanipal-Kolophon u).  Vgl. Hunger (1968) Nr. 321.  Frahm (2011a) 276–285 und passim.  Das skizzierte Bild zur Bibliothek Assurbanipals ist in Zügen vergleichbar mit dem Museion in Alexandria. Dieses Museion war eine universale Forschungsinstitution mit Bibliothek für alle Disziplinen. Es wurde von Ptolomäus I. (✶367/66–†283/2) im Jahre 284 gegründet, vgl. hierzu Glock (2000) mit weiteren Literaturhinweisen.  Hunger (1968) Nr. 332 (Assurbanipal-Kolophon t) Z. 1.

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führenlassen (sc. eines Rituals) geschrieben und kollationiert‘1399. Obgleich für diese Angaben nur zwei Textvertreter angegeben sind, merkt Hunger an, dass solche Angaben ansonsten vor den eigentlichen Kolophonen Assurbanipals auftauchen.1400 Vergleichbare Zweckangaben sind aus den Kolophonen der Texte aus Assur wohlbekannt.1401 Texte aus dem ‚Haus des Beschwörungspriesters‘ mit solcher Art Anmerkungen wurden von den Meistern selbst geschrieben (s. Kap. 3.1.1.2.3.2). Ein kleiner Anteil der Tafeln war laut den Kolophonen für das girginakku (s. Kap. 3.1.1.2.4) des Nabû-Tempels (s. Kap. 3.2.1.1) bestimmt.1402 Einen Einblick in den Textbestand gibt eine Inventarliste, in der der Großteil des kalûtu-Korpus gelistet wird, darunter auch aḫû-Texte.1403 Die Tafeln im Nabû-Tempel waren, nach dem Inhalt der Kolophone zu schließen, ‚für das Leben‘ von Assurbanipal aufgestellt worden. Die Tafeln sind als eine Art Weihgaben gedacht, um die andauernde Gunst des Gottes Nabû zu erwerben. Derartige Kolophone sind ansonsten von Schülertafeln bekannt (vgl. Kap. 3.1.1.2.3.2).1404 Bei den Weihgaben ist es naheliegend, dass in diesen Texten der Name Assurbanipal prominent erscheinen muss. Bei den anderen Manuskripten ist zu fragen, warum nicht wie bei anderen ‚Bibliotheken‘ üblich (vgl. Kap. 3.1) die Schreiber der einzelnen Texte in den Kolophonen erwähnt werden. Falls die Manuskripte allein als Referenz und zum Selbststudium Assurbanipals dienen sollten, hätte dies ausgereicht. Als Vergleich interessant ist hierfür das ‚Haus des Beschwörungspriesters‘ in Assur. Die Texte sind nicht nur Referenzwerke, sondern der im Laufe der Zeit zusammengestellte Bestand an Manuskripten spiegelt zudem die Expertise ihres jeweiligen Besitzers wider. Durch die Erwähnung des Namens lebte dieser und das verbundene Wissen – der Gelehrtenruhm – auch nach dem Tode des Besitzers weiter.1405 So ist es nicht erstaunlich, dass auch in den Kolophonen Assurbani-

 Hunger (1968) Nr. 341 Z. 3.  Hunger (1968) Nr. 341 Z. 3 Fn. 2 (Seite 107).  Hunger (1968) 12.  Hunger (1968) Nrn. 327 (Assurbanipal-Kolophon n), 328 (Assurbanipal-Kolophon o, siehe auch die Neuedition bei Gabbay [2014] 276–279), 338 und 339. Für weitere Angaben s. auch Lieberman (1990) 317 Fn. 62.  Gabbay (2014) 198 und 233f. Der Text ist in der Fachliteratur als IV R2 53+ bekannt und besitzt den ‚Assurbanipal-Kolophon o‘. Für die Neuedition dieser Bestandsliste und des Kolophons vgl. Gabbay (2015) 15–20 und Gabbay (2014) 276–279. Anders hingegen Daisuke Shibata, er begreift den Text als so etwas wie eine Zwischenbilanz bei der Serialisierung der gelisteten Texte, Shibata (2021) 25–27.  Kolophone von Schülertafeln werden von Gesche (2001) 153–166 diskutiert.  Maul (2011) 42f. Vgl. zur Bedeutung des geschriebenen Namens Radner (2005) 166–173 und passim.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

pals vor der Tilgung des Namens gewarnt wird.1406 Nach Beate Pongratz-Leisten ist die Bibliothek Assurbanipals als ein „Produkt einer ständigen Interaktion zwischen König und geistlicher Elite im Dienste herrscherlicher Selbstdarstellung nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft anzusehen, in dem Sinne, daß alles Wissen kompiliert und verwaltet wurde, daß [sic!] diesen Zwecke nutzen konnte.“1407 Assurbanipal adaptiert gängige mesopotamische Konzepte, um sich selber als Gelehrten zu stilisieren. Die versammelten Manuskripte repräsentieren den Wissensstand Assurbanipals. Die einheitliche Gestaltung der Manuskripte unterstützt weiter die Zuschreibung der Manuskripte zu Assurbanipal. Die Gelehrtheit Assurbanipals wird auch in einigen Inschriften angesprochen. Am ausführlichsten geschieht dies in der sogenannten Inschrift L4 (K.2694 +3050), in der eine Passage die Ausbildung Assurbanipals zum Thema hat.1408 Die Inschrift befindet sich auf einer Tontafel, deren Text dazu vorgesehen war, auf einer Stele eingraviert zu werden. Nach seinem Inhalt zu schließen, wurde der Text vermutlich im ersten Regierungsjahr Assurbanipals, 668, verfasst. In späteren Inschriften wird seine ‚Gelehrtheit‘ wesentlich knapper dargestellt.1409 Nach einer Präambel werden in L4 der Erwerb von verschiedenen Bereichen des Gelehrtenwissens und von Kampfkünsten sowie Assurbanipals erste Regierungserfahrungen thematisiert. Gelehrtenwissen gehört zu Assurbanipals Selbstverständnis als Herrscher.1410 Auf Reliefs aus dem Nordpalast in Ninive ist Assurbanipal bei der Löwenjagd dargestellt. Wenn der König im Rechtsprofil abgebildet ist, sieht man in seinem Gürtel einen Schreibgriffel (vgl. Kap. 2.1). Die königliche Löwenjagd demonstriert die (körperliche) Eignung Assurbani-

 Hunger (1968) Nrn. 318 (Assurbanipal-Kolophon b), 319 (Assurbanipal c, e) 320 (Assurbanipal-Kolophon f), 324 und 333 (Assurbanipal-Kolophon u). Vgl. zum Auslöschen des Namens auch Radner (2005) 252–266.  Pongratz-Leisten (1999b) 315.  Der Keilschrifttext befindet sich bei Lehmann-Haupt (1892) Tafeln XXXIV–XXXIX mit Nachträgen auf Tafel XLVII. Für eine Edition siehe Streck (1916) 252–271. Eine Neuedition bietet Novotny (2014) = SAACT 10 mit Text 18, s. ebd. xvi f., 42–44 (Keilschrifttext), 77–80 (Transliteration), 96–99 (Übersetzung). Der Keilschrifttext wurde übrigens mit Hilfe einer Software anhand der Transliteration erstellt, stellt also keine direkte Kopie dar. Die für uns relevante Passage wurde diskutiert und teils übersetzt von Villard (1997) 136–141, Pongratz-Leisten (1999b) 311 f., Fincke (2003–04) 111, Frame/George (2005) 279f., Livingstone (2007) 100f. und Zamazalová (2011) 314–318.  Villard (1997) 135f. mit weiteren Angaben. Siehe auch Pongratz-Leisten (1999b) 311.  Vgl. zum Wissen als Teil der Selbstrepräsentation bei den assyrischen Königen, insbesondere bei Assurbanipal, Pongratz-Leisten (1999b) 286–320.

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pals für die Herrschaft, er kann sein Volk vor Gefahren beschützen.1411 Der Griffel zeigt seine Gelehrtheit. Die Qualitäten des Königs, Krieger auf der einen Seite, Gelehrter auf der anderen, werden dargestellt.1412 Die genaue Aufstellung der Tafeln aus Kujundschik ist nicht mehr rekonstruierbar. Falls der ausgegrabene Zustand den ursprünglichen Aufstellungsorten entspricht, wurden die Tafeln an unterschiedlichen Orten im Nordpalast und Südwestpalast aufbewahrt. Der Nabû-Tempel kommt aufgrund der Angaben in Kolophonen als Aufbewahrungsort in Frage. Die angewandte archäologische Methode und Dokumentation macht es heute nicht mehr möglich, getrennte Aufbewahrungsorte von Alltagstexten und Bibliothekstexten zu rekonstruieren. Ein Teil der Alltags- und Bibliothekstexte stammt ursprünglich aus Kalḫu. Die Aufbewahrung verschiedenster Arten von Texten in Kujundschik könnte ein – wenn auch indirekter – Hinweis auf unterschiedliche Bereiche der Herrschaft sein: Administration, Gelehrsamkeit etc. Die oben erwähnte Aufstellung der Tafeln in den Kolophonen Assurbanipals verweist auf einen musealen Gedanken, der im 1. Jahrtausend durchaus vorhanden war.1413 Reliefs, die Beischriften besitzen konnten, waren sowohl im Südwestpalast Sanheribs als auch im Nordpalast Assurbanipals angebracht (für Literaturhinweise vgl. Kap. 2.1). Auf diesen wurden unter anderem Ereignisse aus den Feldzügen der jeweiligen Könige dargestellt. Auch in Königsinschriften finden Feldzüge Erwähnung. Eroberungen verweisen auf die Ausdehnung des assyrischen Reiches. Die Manuskripte wissenschaftlich-literarischer Texte, die einen Großteil, wenn nicht gar die Gesamtheit der damals bekannten wissenschaftlich-literarischen Keilschrifttexte ausmachten, wurden demnach den auf den Reliefs dargestellten (und in den Königsinschriften narrativ wiedergegebenen) eroberten Gebieten, der Gesamtheit des neuassyrischen Reiches, gegenübergestellt.1414 Wenngleich Unterschiede zwischen den einzelnen Reliefs

 Vgl. Weissert (1997).  Zamazalová (2011) 325–327. Sylvie Zamazalová zeigt, dass der König auf einigen Reliefs nur ein Diadem ohne den königlichen Hut trägt, so dass er hier nach Sylvie Zamazalovás Meinung noch als Kronprinz dargestellt wird.  Zu unserem modernen Konzept von Museum vgl. Lewis (2019) und Rudolph (2006). Ein Beispiel für eine museal zu deutende Aufstellung sind die Gudea-Statuen des 22. Jahrhunderts, die in Girsu in einem Fundkontext der späten Seleukiden- und Partherzeit entdeckt wurden, s. Kose (2000). Für Literaturhinweise zu weiteren ‚Museen‘ des Alten Orients, d. h. Sammlungen von älteren Objekten, die in jüngeren Fundkontexten geborgen wurden, vgl. ebd. 423f.  Eckart Frahm (1997) 280 argumentiert aufgrund der intertextuellen Bezüge in den Königsinschriften Sanheribs (704–681), Assurbanipals Großvaters, zu wissenschaftlichen, kultischenrituellen Tafeln und Urkunden, dass bereits unter Sanherib das Bestreben der Sargoniden vorhanden war „[…] das gesamte keilschriftlich niedergelegte Wissen ihrer Zeit wie auch früherer

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festzustellen sind, kann man von einem neuassyrischen Stil sprechen. So nimmt sich Assurbanipal diese Einheitlichkeit in der Gestaltung womöglich für seine Bibliothekstexte zum Vorbild. Die Einheitlichkeit betont zudem die Gesamtheit des niedergelegten Wissens. Jede einheitlich gestaltete Tafel verweist indirekt auf die anderen. In den anderen assyrischen Hauptstädten befinden sich auch Reliefs und Königsinschriften. Darüber hinaus wird das assyrische Herrschaftsgebiet mit teils beschrifteten Stelen, Reliefs und Felsreliefs markiert. Neben dem Namen, der Genealogie und der Königstitulatur sind sowohl Statuen als auch Stelen und Felsreliefs mit den res gestae des Königs versehen. Diese Tatenberichte haben größtenteils einen engen Bezug zum Anlass der Errichtung des Objektes und dessen Aufstellungs- bzw. Anbringungsort; die jeweilige Ausdehnung des assyrischen Reiches aus assyrischer Sicht wird stets angegeben.1415 Durch Erschaffung der Tafelsammlung in Ninive markiert jeder wissenschaftlich-literarische Text, der sich in einer Tafelsammlung außerhalb Ninives befindet und von dem ein Parallelexemplar in Ninive bezeugt ist, das vom assyrischen König beherrschte (Wissens-)gebiet.

3.2.2 Gestaltung der Tontafeln Die verschiedenen allgemeinen Kriterien zur Beschreibung des Äußeren wurden in Kapitel 1 dargelegt. Anhand der im British Museum gesichteten Tafeln aus Kujundschik/Ninive werden die stark standardisierten Textsorten neuassyrischer Alltagstexte und einige Gestaltungsregeln der Bibliothekstexte Assurbanipals dargelegt. Assurbanipal besaß ein großes Interesse an der Keilschriftkultur. Hiervon zeugt nicht nur das Versammeln von zahlreichen wissenschaftlich-literarischen Manuskripten in Ninive, sondern auch die Gestaltung von Schriftstücken. Dies schlägt sich in allen drei Textgruppen, Alltagstexten, (Königs-)Inschriften sowie wissenschaftlich-literarischen Texten (vgl. Kap. 1.1.1), nieder. Bei einigen Textsor-

Epochen an ihrem Hof zu sammeln. Diese Absicht kommt bereits im Einleitungspassus der Bauberichte Sanheribs zum Ausdruck, wo Ninive, die neue Kapitale, als Stadt bezeichnet wird, ‚in deren Mitte sämtliche Riten der Götter und Göttinnen anzutreffen sind … , Sitz des Geheimnisses, worin jedes erdenkliche Werk von Kunstfertigkeit, sämtliche Kulte und das Verborgene des Lalgar zusammengetragen sind‘ (z. B. T 10/11, Baub., Z. 1–10). Die sinnfälligste Manifestation des Bemühens, über sämtliche je gewonnenen Erkenntnisse verfügen zu können, stellt die große Bibliothek Assurbanipals dar, die erste echte ‚Universalbibliothek‘ der Menschheitsgeschichte, von der wir Kenntnis haben.“.  Schnitzlein (2008) 60.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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ten der Alltagstexte konnten Veränderungen festgestellt werden (s. Kap. 3.2.1.2, s. u.). Neuassyrische Prismen und Zylinder sind aufgrund ihres Äußeren bestimmten Herrschern zuzuweisen; dementsprechend sind auch für Assurbanipal charakteristische Schriftobjekte vorhanden.1416 Die ihm zuordenbaren Bibliothekstexte weisen eine spezifische Gestaltung auf. Zunächst werden Alltagstexte der neuassyrischen Zeit beschrieben. Hierbei stützte ich mich u. a. auf die Vorarbeiten von Karen Radner.1417 Bei den Bibliothekstexten werden – neben generellen Bemerkungen zum Layout wissenschaftlich-literarischer Texte – anhand gesichteter Beispiele Regeln zu Tafelformat und -form postuliert und es wird weiter auf den Schreibprozess eingegangen. Im Folgenden bezeichne ich eine Tafel als einkolumnig, wenn sie je eine Kolumne auf Vorder- und Rückseite hat und als zweikolumnig, wenn sie je zwei Kolumnen auf Vorder- und Rückseite hat usw. Für die folgenden Unterkapitel werden selbst erstellte Fotografien zur Illustration der Beispiele in den Tafelteil beigelegt. Für die übrigen Beispiele finden sich Fotos der entsprechenden Texte und deren Maße im Online-Katalog des British Museum (http://www.britishmuseum.org/re search.aspx). Dieselben Fotos finden sich teilweise auch im CDLI (http://cdli. ucla.edu).1418 3.2.2.1 Beschreibung von neuassyrischen Alltagstexten Bestimmte Alltagstexte besitzen ein stark standardisiertes Äußeres (z. B. Tafelformat und Textlayout) und eine im Textaufbau ähnliche Struktur und Terminologie. Dies betrifft nicht nur die Rechtsurkunden und Briefe, sondern auch eine Reihe weiterer Alltagstexte, die sich in der Bibliothek Assurbanipals befinden. Für die neuassyrischen ‚Alltagstexte‘ hat Radner überblicksartig das Tafelformat und Textlayout bestimmter Textsorten betrachtet.1419 Insbesondere das Tafelformat, Textlayout und Textformular der neuassyrischen Rechtsurkunden wurde von Radner und J. Nicholas Postgate ausführlich diskutiert.1420 Erwerbsverträge und Obligationsurkunden weisen ein standardisiertes Format und Formular auf.1421 Bei den anderen Rechtsurkunden ist laut Radner kein einheitliches Formular und Tafelformat erkennbar, neben dem Format für Obliga-

 Taylor (2018).  Radner (1995) und Radner (1997) 19–40.  Beide Seiten zuletzt aufgerufen am 21.08.2019.  Radner (1995) und insbesondere für die neuassyrischen Rechtsurkunden Radner (1997) 19–40. Bei letzteren stützt sie sich auf die Vorarbeiten von Postgate (1976), siehe auch Postgate (1997).  Postgate (1976), (1997) und Radner (1997) 19–40.  Für das Formular vgl. Postgate (1976) 12.

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tionsurkunden wird auch das Format für Erwerbsurkunden verwendet.1422 Die neuassyrischen Briefe weisen ein charakteristisches Format auf. Die Standardisierung ist kein Charakteristikum allein der neuassyrischen Periode, sondern trifft bspw. auch auf die babylonischen Urkunden des 6./5. Jahrhunderts zu. Aus der Regierungszeit Asarhaddons (680–669) und Assurbanipals (668–631/ 27) stammen zahlreiche Orakelanfragen und sogenannte wissenschaftliche Berichte, die jeweils ein spezifisches Erscheinungsbild besitzen. Am neuassyrischen Hof wurden Orakelanfragen getätigt, die bei ihrer Ausdeutung Bezug auf die Omensammlungen zur Leberschau nehmen. Bei den Orakelanfragen (die ‚Anfragen an Šamaš‘ und die Leberschauberichte) wird eine spezifische Frage formuliert und dahin gehend eine Schafsleber untersucht. In den größtenteils astrologischen Berichten schilderten verschiedene Gelehrte ihre Beobachtungen zu Himmelsphänomenen. Bei einer Reihe von Alltagstexten ist keine derart starke Standardisierung festzustellen und bzw. oder es sind nur wenige Exemplare bekannt. Daher sind ihnen keine Einzelbeschreibungen gewidmet, sondern sie werden zusammenfassend behandelt. Für Texteditionen verweise ich auf diejenigen, die in der Serie „State Archives of Assyria“ publiziert sind.1423 Hieraus habe ich die Datierungen entnommen. 3.2.2.1.1 Neuassyrische Privatrechtsurkunden Aus über 30 Fundorten sind über 2000 neuassyrische Urkunden bekannt. Die Fundorte spiegeln die Ausmaße des neuassyrischen Reiches im 7. Jahrhundert wider.1424 Die erhaltenen Texte datieren von 835 bis 600.1425 Die Erwerbsurkunden und die Obligationsurkunden (Hüllentafeln und Tonbullen) weisen ein schematisiertes Tafelformat, Textlayout und Textaufbau auf.1426 Es sind spezifische Textsorten. Anhand der Erwerbsurkunden wird beispielhaft dargelegt, wie stark das Layout des Textes sein Formular widerspiegelt. Den Inhalt der Erwerbsurkunden und Obligationsurkunden fasst Radner wie folgt zusammen:

 Radner (1997) 21 f., vgl. auch Postgate (1976) 7. 1995 geht Radner jedoch noch davon aus, dass solche Rechtstexte überwiegend auf querformatigen, gesiegelten Rechtstexten geschrieben wurden, die ein Seitenverhältnis B.:H. von 2:1 besitzen. Ein einheitliches Formular ist nicht vorhanden, Radner (1995) 70.  Online auch auffindbar unter [http://oracc.museum.upenn.edu/saao/corpus] aufgerufen am 21.08.2019 um 14.34 Uhr.  Radner (2021) 162. Zu den 1997 bekannten Fundorten sind inzwischen weitere hinzugekommen, vgl. Radner (1997) 3–18, Radner (2011) 394f. und Radner (2021) 148.  Radner (1997) 20.  Vgl. für eine Einführung in die Rechtsurkunden und ihrer Terminologie Postgate (1976) 1–72.

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Der Kauf ist der wechselseitig verpflichtende Vertrag, der auf den Austausch einer Sache gegen einen vereinbarten Preis gerichtet ist. In der neuassyrischen Zeit wird nur der Kauf von Immobilien (Häuser und Grundstücke) und Personen schriftlich festgehalten. Sonderfälle des Personenkaufes sind die Adoption, der Verkauf einer Frau in die Ehe und die Weihung an einen Tempel. […] Die Obligationsurkunde hält alle Arten von Verpflichtungen fest, ohne den Grund für die Obligation explizit nennen zu müssen. Die Obligation ist ein Rechtsverhältnis, aufgrund dessen ein Schuldner seinem Gläubiger zu einer Leistung verpflichtet ist. Der Gläubiger hat gegen den Schuldner aus der Obligation ein Forderungsrecht.1427

Bei den restlichen rechtlich bindenden Vereinbarungen, darunter Quittungen und Prozessurkunden, sind der Textaufbau und das Tafelformat nicht strikt festgelegt. Es wird neben dem Format für Obligationsurkunden auch dasjenige für Erwerbsurkunden verwendet.1428 3.2.2.1.1.1 Erwerbsverträge Abbildungen eines Erwerbsvertrags (K.329) befinden sich auf Tafel 30, 31, 32, 33 und 34. Meist wird dafür fein geschlämmter Ton verwendet; selten befinden sich im Ton kleinere Kiesel oder Strohhäcksel.1429 Nach C. H. W. Johns wird der verwendete Ton in Tafelform geschnitten (vgl. jedoch Kap. 1.2.1).1430 Anschließend wurden die Ränder in Form gebracht.1431 Die Oberfläche konnte noch verfeinert werden, indem sie mit Tonschlicker überzogen wurde.1432 Die Tafel ist rechteckig und sorgfältig im Hochformat beschrieben. Auch ihr Querschnitt ist in etwa rechteckig. Insgesamt sind auch die Seitenränder recht gerade, so dass Johns die Tafeln als ziegelförmig beschreibt.1433 Das Seitenverhältnis ist ca. Breite:Höhe 1:21434 bis 2:3. Die durchschnittlichen Maße sind 4,5–6,0 cm und 7,5–10 cm bei einem Durchmesser von 2,0–3,0 cm. Grundstücksverkäufe werden häufig auf größeren Tafeln notiert. Für Erwerbsverträge des 8. Jahrhunderts werden Tafeln mit größeren Ausmaßen verwendet.1435 Die Texte sind in neuassyrischer Schrift und Sprache geschrieben, teilweise

        

Radner (1997) 21. Radner (1997) 21f. Radner (1997) 23 und Fügert/Rohde (2018) 102. Johns (1901) 16 § 33. Dem folgt auch Radner (1997) 24. Johns (1901) 16 § 33 und Radner (1997) 24. Radner (1997) 23. Johns (1901) 16 § 33. Dem folgt auch Radner (1997) 24. Fales (2000) 95 und (2003) 203. Radner (1997) 24.

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befinden sich auf ihnen noch aramäische Beischriften. Die Beischriften wurden nach dem Schreiben des Keilschrifttextes angebracht. Sie können eingeritzt oder mit Tinte aufgepinselt sein. Der Ort ihrer Anbringung und die Reihenfolge, in der dies erfolgte, wurde von Jens Rohde am Beispiel der Textfunde aus Tall Šēḫ Ḥamad untersucht (für die aramäischen Beischriften s. Kap. 4.3.1).1436 Beim Ansehen verschiedener Erwerbsverträge aus der Bibliothek Assurbanipals im Online-Museumskatalog des British Museum und im CDLI fällt auf, dass hier viele Tafeln nicht dem Verhältnis in Breite zu Höhe von 2:3 entsprechen, sondern eher ein Verhältnis von 1:2 aufweisen. Dies trifft überwiegend auch bei denen von mir im Original betrachten Tafeln zu, die alle aus dem 7. Jahrhundert stammen. K. 298 (SAA 14 Nr. 36), K.309.a (SAA 14 Nr. 29) und K.329 (SAA 14 Nr. 39) datieren in das dritte Viertel des 7. Jahrhunderts. K.298 behandelt den Kauf eines Weingartens und zweier Personen, die anderen beiden Verträge sind Personenkaufverträge. K.298 (SAA 14 Nr. 36) ist 4,8 cm breit, 9,7 cm hoch und 2,2 cm dick, K.309.a 4,9 cm x 9,5 cm x 2,5 cm und K.329 4,44 cm x 8,25 cm x 1,9 cm. 1881,0204.149 (SAA 6 Nr. 89), ein Personenkauf, datiert ins erste Jahrzehnt des 7. Jahrhunderts und besitzt die Maße (Breite x Höhe x Durchmesser) 5,2 cm x 8,85 cm x 2,9 cm. Die Vorderseite dieser Tafeln ist flach und die Rückseite leicht gewölbt. Bevor die Tafel beschriftet wurde, wurde sie im zweiten Fünftel der Vorderseite gesiegelt. Die Siegelfläche ist häufig durch zwei Linien, die nach Radner mit Hilfe von Fäden oder eines Griffels angebracht wurden, vom restlichen Text abgetrennt.1437 Bei meinen Beispielen würde ich bei den horizontalen Trennlinien dafür plädieren, dass diese mit der Kante des Griffels ‚gezogen‘ wurden, was die Regel zu sein scheint.1438 Die Linien wurden nach der Siegelung angebracht.1439 Trotz der Verwendung desselben Duktus und derselben Schriftart ist die Höhe der einzelnen vertikalen Keile bei den unterschiedlichen Tafeln variabel, so sind bei K.298 die Zeichen ca. 0,35 cm hoch, bei 1881,0204.149 ca. 0,45 cm. Der obere und untere Rand der Tafel kann unbeschrieben sein wie bei 1881,0204.149, sonst läuft der Fließtext von der Vorderseite über den unteren Rand weiter wie bei K.298, K.309.a und K.329. Danach wird (bei der für die Lektüre stets parallel zur Schreibrichtung gedrehten Tontafel) die Rückseite beschriftet und anschließend kann der obere Rand beschrieben sein wie bei K.298, K.309.a und K.329. Die Textzeilen können auf dem rechten Rand zu Ende geschrieben werden. Der

 Fügert/Rohde (2018) 126–129.  Radner (1997) 24.  Suzanne Herbordt spricht von geritzten Linien, erwähnt jedoch keine Schnur, Herbordt (1992) 37. Bei den Erwerbsurkunden von Tall Šēḫ Ḥamad wurden die Linien mit der Kante des Griffels eingedrückt, Fügert (2013) 229, Fügert (2015) 132 und Fügert/Rohde (2018) 107.  Herbordt (1992) 37.

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linke Rand kann beschriftet sein. Von der Rückseite aus gesehen befindet sich dort bei K298 von oben nach unten geschrieben die Datumsangabe und die Nennung zweier Schreiber und eines weiteren Zeugen. Bei K.309.a und K.329 (Tafel 34c) ist an dieser Stelle jeweils eine aramäische Beischrift, die bei einigen Urkunden vorkommt und den Inhalt des Textes zusammenfasst.1440 Das Textlayout spiegelt die Gliederung des Textes, den Textaufbau, wider. Oberhalb der Siegelung werden der bzw. die Verkäufer – der bzw. die Siegelinhaber – genannt. Dieser Platz ist genau kalkuliert, da sich dort nie eine Freifläche befindet. Unterhalb der Siegelung folgen der Geschäftsvermerk, die Vertragssicherungsklausel, die Zeugenliste und das Datum.1441 Häufig wird die Zeugenliste vom Rest des Textes durch eine Linie abgegrenzt – dies ist bei 1881,0204.149, K.298 und K.329 der Fall –, teilweise auch der Geschäftsvermerk von der Vertragssicherungsklausel und, wenn sie vorkommt, die Gewährleistungsklausel.1442 Bei K.309.a ist keine Trennlinie vor der Zeugenliste vorhanden. Jedoch sind die Zeichen IGI, Zeuge, und DIŠ, das Determinativ vor Personennamen, vergrößert und direkt untereinander geschrieben. IGI ist länger gezogen als notwendig und der DIŠ-Keil ist tiefer eingedrückt als die anderen horizontalen Keile. Die Datumsangabe kann von der Zeugenliste durch eine Freifläche abgegrenzt sein, so bei K.329, oder sich wie bei K.309.a auf dem oberen Rand befinden. Bei K.298 erscheint sie hingegen auf dem linken Seitenrand. Der Schreibervermerk befindet sich entweder innerhalb der Zeugenliste wie bei 1881,0204.149 und K.329 oder folgt der Datumsangabe wie bei meinen anderen beiden Beispielen. Die Spezifika von K.329 zeigen, wie genau das Textlayout den jeweiligen Inhalt widerspiegelt (Tafel 30, 31, 32, 33 und 34). Folgend die Umschrift (SAA 14 Nr. 39): na₄ md na₄ m KIŠIB PA-PAP-PAB KIŠIB PAP-u-ni (1) m PAP 2 DUMU-MEŠ DUMU nar-gi-i (2) na₄ m m KIŠIB PAP-ZÁLAG DUMU si-i-li (3) PAP 3 LÚ-MEŠ-e EN LÚ a-na šá-pu-si (4) (5) ina ŠÀ MUNUS SUM-a-ni __________________________________ (drei Stempelsiegelabdrücke) __________________________________ md 15-BÀD-qa-a-li ARAD-šú-nu (6) (7) ša LÚ-MEŠ-e an-nu-te ✶ (8) ú-piš-ma mkak-kul-la-nu lú GAL ki-ṣir

 Vgl. hierzu Fales (2000). Vgl. Kap. 4.3.1.  Vgl. für den Textaufbau und die verwendete Terminologie Postgate (1976) 12–22.  Radner (1997) 24f. Für die Gewährleistungsklausel vgl. auch ebd. 174.

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(9) ina ŠÀ-bi munusAD-li-iḫ-a GÉME-šú (10) šá-pu-u-su TA✶ IGI LÚ-MEŠ-e (11) an-nu-te i-zi-rip (12) it-ti-ši tu-a-ru de-e-nu (13) DU11.DU11 la-áš-šú (14) man-nu ša ina ur-kiš ina ma-te-e-ma (15) i-za-qu-pa-ni GIL-u-ni (u. Rd.) (1) lu-u mdPA-PAP-PAB lu-u mPAP-u-ni (2) lu-u mPAP-ZÁLAG lu-u A-MEŠ-šú-nu (3) lu-u A A-MEŠ-šú-nu lu-u PAP-MEŠ-šú-nu (Rs.) (1) lu-u A-MEŠ PAP-MEŠ-šú-nu lu-u mám-ma-šú-nu (2) ša TA✶ mkak-kul-la-ni TA✶ DUMU-MEŠ-šú ✶ TA DUMU DUMU-MEŠ-šú de-nu DU11.DU11-bu (3) (4) ub-ta-u-ni aš-šur dUTU EN dAG (5) lu-u EN de-ni-šú 10 MA.NA KU₃.BABBAR SUM-an ____________________________________ m lú IGI aš-šur-kil-la-an-ni GAL ki-ṣir (6) ✶ m lú IGI li-qi-pu :: (7) m lú✶ IGI ba-la-si-i :: (8) m ✶ lú✶ IGI zi-zi-i LÚ .2-ú ša : 0! (9) m lú (10) IGI i-di-i DAM.GÀR ✶ (11) IGI mḫi-ri-ṣa-a-a lú Ì.DU8 ša É-kid-mu-ri ✶ (12) IGI mṣal-mu-te lú DAM.GÀR ✶ (13) IGI mdUTU iq-bi lú da-a-a-lu m lú✶ (14) IGI MU-a-a A.BA ✶ (15) IGI mDINGIR-gab-ri lú ša-GÌR.2 (16) IGI md30-MAN-PAB lúqur-ZAG (Freifläche von einer Zeile) (17) itiGU₄ UD.20.KAM ✶ (18) lim-mu md!30-MAN-PAB lú A.BA KUR (li. Rd.) (1) dnt š!r!drqʾl (Vs.) (1) Siegel des Nabû-aḫu-uṣur, Siegel des Aḫūnu, (2) insgesamt zwei Söhne, Söhne des Nargî, (3) Siegel des Aḫu-nūri, Sohn des Silu,

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(4) insgesamt drei Männer, Besitzer des Mannes, der zum Tausch (5) für die Frau gegeben wird. ________________________________________ (drei Stempelsiegelabdrücke) ________________________________________ (6) Issār-dūr-qalli, Diener (7) dieser Männer (8) hat Kakkullānu, Truppenkommandant (als Vertragsgegenstand) behandelt (9) und für Abi-liḫia, seine Dienerin (10) im Tausch von diesen Männern (11–12) rechtmäßig erworben. (12) Widerruf, Prozess (13) (und) Klage sind ausgeschlossen. (14) Wer auch immer in Zukunft, eines Tages (15) sich auflehnt (oder) Schwierigkeiten macht (u. Rd.) (1) – seien es Nabû-aḫu-uṣur, Aḫūnu (2) oder Aḫu-nūri, seien es ihre Söhne (3) ihre Enkelsöhne, ihre Brüder, (Rs.) (1) ihre Neffen oder irgendeiner ihrer Verwandten –, (2) und gegen Kakkullānu, gegen seine Söhne, (3) gegen seine Enkelsöhne einen Prozess (oder) eine Klage (4) anstrebt, Aššūr, Šamaš, Bēl (und) Nabû (5) mögen seine Prozessgegner sein. 10 Minen Silber wird er geben. ____________________________________ (6) Zeuge Aššūr-killanni, Truppenkommandant. (7) Zeuge Lā-qēpu, ditto ditto. (8) Zeuge Balasî, ditto ditto. (9) Zeuge Zīzî, Vertreter von ditto. (10) Zeuge Addî, Händler. (11) Zeuge Hirīṣāiu, Pförtner des Bīt-Kidmuri. (12) Zeuge Ṣalmūti, Händler. (13) Zeuge Šamaš-iqbi, Kundschafter. (14) Zeuge, Šumāia, Schreiber. (15) Zeuge Il-gabrī, ša šēpi-Wächter. (16) Zeuge Sīn-šarru-uṣur, Leibwachenoffizier. (Freifläche von einer Zeile) (17) 20. Ijjar,

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(18) Eponymat des Sīn-šarru-uṣur, Palastschreiber. (li. Rd.) (1) (Aramäische Beischrift) Urkunde des [Is]sār-dūr-qalli Am Ende einiger Zeilen befindet sich eine Freifläche, andere werden bis auf den rechten Rand beschrieben. Der Zeichenabstand wurde nicht vergrößert, um bis zum Ende der Zeile schreiben zu können – ein einheitlicher Zeichenabstand war dem Schreiber bei seiner Textformatierung wichtig. Dieses Layout deckt sich mit den verwendeten Klauseln. Bei Zeile 13 wäre noch genügend Platz gewesen, um das nächste Wort man-nu der darauffolgenden Zeile zu schreiben. Dies wäre jedoch der Beginn eines neuen Satzes bzw. einer neuen Sinneinheit, der Vertragssicherungsklausel, gewesen. Auf der Rückseite stehen nach einer Trennlinie die einzelnen Zeugen untereinander. Die Einträge beginnen stets mit dem Zeichen IGI (Zeuge), gefolgt vom Namen des Zeugen und dessen Beruf bzw. dem Wiederholungszeichen. Nach der Zeugenliste erscheint nach einer etwa eine Textzeile umfassenden Freifläche die Datumsangabe, deren beide Zeilen um ca. ein halbes Zeichen eingerückt sind. Auf dem linken Rand befindet sich die aramäische Beischrift. Im Gegensatz zu K.309.a ist sie hier nur leicht eingeritzt. Möglicherweise wurden ursprünglich eine Feder und Tinte benutzt. 3.2.2.1.1.2 Obligationsurkunden Bei den Obligationsurkunden wird zwischen Hüllentafeln und Tonbullen unterschieden. Die Hüllentafel wurde in neuassyrischer Zeit erst ab dem 8. Jahrhundert verwendet. Davor wurden größere, beinahe quadratische Tafeln, aber auch hochformatige Tafeln benutzt, die auch gesiegelt waren.1443 Sowohl die Hüllentafeln wie auch die Tonbullen, die alle in das 7. Jahrhundert datieren, bedienen sich desselben Textformulars. Hüllentafeln Die Hüllentafeln besitzen eine Innentafel wie auch eine Hülle, die beide im Querformat mit dem Vertragstext beschrieben sind. Auf Tafel 35 und 36 befinden sich die Abbildungen der Vorder- und Rückseite einer Hüllentafel. Auch für diese Tafeln wird meist fein geschlämmter Ton verwendet. Für die Innentafel wird nach Radner „ein Tonklumpen flach gedrückt und in eine annähernd rechteckige Form gebracht.“1444 Genauere Untersuchungen zum Herstel-

 Radner (1997) 26, siehe auch Postgate (1976) 4.  Radner (1997) 25.

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lungsprozess sind nicht bekannt. Der Querschnitt entlang der kürzeren Seite erscheint, falls die Innentafel nicht verdrückt ist, in etwa oval. Ihre Maße sind durchschnittlich B. 3,5–4,5 cm, H. 2,5–3,5 cm und Dm. 1,5–2,0 cm. Die Innentafel kann an allen Seiten beschriftet sein. Nachdem die Tafel beschriftet und lederhart ist, wird eine 0,2 bis 0,3 cm dünne Tonschicht, die Hülle, angebracht.1445 Die Hülle wurde vermutlich gefaltet.1446 Danach wird die Hüllentafel nochmals geformt, insbesondere die Ecken. Dies kann dazu führen, dass die Innentafel verdrückt ist. Die entstandene Tafel ist in etwa rechteckig. Der Querschnitt der Hüllentafel – Innentafel mit Umschlag – ist oval, d. h., Vorder- und Rückseite sind stark gewölbt, wobei sie stärker zum oberen und unteren Rand hin gewölbt erscheint als zum rechten und linken Rand.1447 Johns beschreibt ihre Form als kissenförmig: „They are oblong in shape but nowhere rectangular and are sharp at the corners as a cushion is.“1448 Die Gesamttafel ist ein wenig größer als die Innentafel. Alle vier von mir betrachteten Urkunden haben ein Silberdarlehen zum Inhalt. K.3789 (K.3789.b und K.3789.a; SAA 6 Nrn. 259 und 260) datiert in das Jahr 680. Obwohl das Tafelformat demjenigen der Obligationsurkunden entspricht, folgt die Urkunde nicht genau dem zu erwartenden Formular (s. u.). 1882,0522.176 (1882,0522.176.b und 1882,0522.176.a; SAA 14 Nrn. 94 und 95) stammt aus dem Jahr 646, K.318 (K.318.b und K.318.a; SAA 14 Nrn. 119 und 120) datiert in das Jahr 631 und K.374 (K.374.b und K.374.a; SAA 14 Nrn. 163 und 164) lässt sich zeitlich in das Jahr 322 verorten. Mit Ausnahme von 1882,0522.176 waren bei den genannten Beispielen Innenund Außentafel vollständig erhalten, so dass ich die Maße ermitteln konnte. Bei der Hüllentafel K.318 besitzt die Innentafel die Maße Breite 4,2 cm x Höhe 2,5 cm x Durchmesser 1,9 cm und ihre Hülle B. 5,2 cm x H. 3,5 cm Dm. 2,75 cm; bei K.374 sind die Maße B. 4,5 cm x H. 2,6 cm x Dm. 1,4 cm und B. 4.9 cm x H. 3,1 cm x Dm. 2,1 cm; bei K.3789 hat die Innentafel die Maße B. 4,2 cm x H. 2,7 cm x Dm. 1,8 cm und die Außentafel die Maße B. 4,8 cm x H. 3, 7 cm x Dm. 2,7 cm. Die Außentafel wurde (im Gegensatz zur ungesiegelten Innentafel) vor dem Beschriften ungefähr in der Mitte der Vorderseite gesiegelt. Häufig ist auch die Rückseite gesiegelt,1449 bei den genannten Beispielen jedoch nicht. Es kann auch ein wenig unterhalb (K.318) oder oberhalb (K.3789) der Mitte der Vorderseite gesiegelt werden. Die Position der Siegelung scheint folglich nicht so strikt festgelegt zu sein wie bei den Erwerbsverträgen; bei den wenigen Beispielen aus dem 8. Jahrhundert

    

Radner (1997) 25. Vgl. zum Anbringen des Umschlags Taylor (2011) 19–21. Radner (1997) 26. Johns (1901) 16 § 33. Auch Bezold bezeichnet die Tafeln als kissenförmig, Bezold (1904) 263. Herbordt (1992) 38.

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erfolgt die Siegelung auf der Rückseite.1450 Im Gegensatz zu den Erwerbsurkunden sind keine Trennlinien angebracht.1451 Alle Seitenränder der Außen- und Innentafel können beschriftet sein. Es werden die neuassyrischen Zeichenformen und der neuassyrische Duktus verwendet. Die Zeichengröße ist variabel: bei K.318 ca. 0,3 cm, bei der Außentafel von 1882,0522.176 (1882,0522.176.b und 1882,0522.176.a; SAA 14 Nrn. 94 und 95) ca. 0,38 cm, bei deren Innentafel ca. 0,3 cm. Bei K.3789 ist sie sowohl bei der Außen- wie auch bei der Innentafel in etwa gleich mit 0,3 cm. Teilweise besitzen die Tafeln noch eine aramäische Beischrift wie bei K.318 auf dem linken Rand der Außentafel oder wie bei 1882,0522.176 am Ende des Keilschrifttextes auf der Hülle. Bei 1882,0522.176 ist eine Eigenbezeichnung angegeben: ʾgrt = akkadisch egirtu, eine Bezeichnung eines Tafelformates (vgl. Kap. 2.2: egirtu). Auf der Innentafel steht in etwa derselbe Text wie auf der Hülle. Auf der Außentafel befinden sich jedoch vor der Nennung des Schuldgegenstandes [X ša PN2 ina pān PN1 ‚X (Objekt) des Personennamen 2 (Gläubigers) zur Verfügung für Personenname 1 (Schuldner)‘] der Siegelvermerk und nach Nennung des Schuldgegenstandes die Siegelung(en). Es ist der/die Schuldner, der/die im Siegelvermerk genannt wird/werden. Nach der Siegelung bzw. bei der Innentafel nach der Nennung des Vertragsgegenstandes folgen der weitere Vertragstext, die Datierung und die Zeugenliste.1452 Obwohl gesiegelt, fehlt bei der Außentafel von K.318 und K.3789 der Siegelvermerk. Bei K.3789 wird das Textformular nicht strikt befolgt. Die Nennung des Vertragsgegenstandes erfolgt dort nicht in der üblichen Ausdrucksweise (s. o.) und die Datierung erscheint erst nach der Zeugenliste. Die Abstände zwischen den einzelnen Zeichen können vergrößert werden, um die Zeile bis zum Ende auszufüllen. Bei der Zeugenliste werden die einzelnen Zeugen stets beginnend mit dem Zeichen IGI (Zeuge) untereinander geschrieben. Auch kann – wie bei K.318 – bei der Hülle und der Innentafel das Zeichen IGI mehr Platz einnehmen als erforderlich, der nachfolgende Personenkeil DIŠ ist dabei tiefer eingedrückt und daher auch etwas breiter als die anderen Keile. Tonbullen Die Tonbullen (zu Tonbullen im Generellen vgl. Kap. 4.1.3.2 und allgemein für aramäische Schriftzeugnisse vgl. Kap. 4.3.1) unterscheiden sich von den Hüllentafeln

 Postgate (1976) 36.  Herbordt (1992) 38.  Für den genauen Formulartext und die Terminologie vgl. Postgate (1976) 35–55.

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durch ihr Format. Sie sind in etwa dreieckig und um einen Knoten geformt. Es gibt sie sowohl mit akkadischer Keilschrift als auch mit aramäischer Alphabetschrift wie auch äußerst selten bilingual (vgl. 1881,0204.147 auf Tafel 37, 38, 39 und 40a). Das Formular der akkadischen Tonbullen ist identisch mit dem der akkadischen Hüllentafeln und auch die aramäischen Formulierungen gleichen diesem Formular. Sowohl beim akkadischen wie auch beim aramäischen Formular fehlt jedoch zu Beginn häufig der Siegelmerk.1453 Meist werden Obligationen über Naturalien, häufig Getreide, dokumentiert, teilweise auch über Silber.1454 Nach Alan Millard stammen bis auf einen Text, der in die Zeit Nebukadnezars II. datiert, alle einsprachigen aramäischen Texte dieser Art aus dem 7. Jahrhundert. Zweisprachige Texte sind seltener belegt.1455 Im British Museum habe ich vier Tonbullen betrachtet. Die aramäische Tonbulle K.3785 (Fales [1986] Nr. 9) datiert in das Jahr 674,1456 sie hat eine Obligation über Getreide zum Inhalt. Die aramäische Tonbulle 1881,0204.148 (Fales [1986)] Nr. 13) soll nach Angabe in der entsprechenden Publikation aus paläografischen Gründen um 670 datieren und beinhaltet eine Silberobligation. Die bilinguale Tonbulle 1881,0204.147 (Fales [1986] Nr. 3 und SAA 14 Nr. 98) stammt aus dem Jahre 644 und ist eine Getreideobligation. Die akkadische Tonbulle mit aramäischer Beischrift Sm.957 (Fales [1986] Nr. 15, SAA 14 Nr. 72) ist in das Jahr 665 zu verorten und behandelt wiederum eine Getreideobligation. Bei diesen Beispielen fehlt der Siegelvermerk, der für die Außentafel der Hüllentafel üblich ist (s. o). Die untersuchten Tonbullen bestehen aus Ton mit Einschlüssen von kleineren Steinchen mit bis zu drei Millimetern Durchmesser. Diese sind an der Oberfläche des Textes sichtbar, wie bspw. auf der Keilschriftseite von 1881,0204.147 (Tafel 37). Die etwa 179 aramäischen Tonbullen(-fragmente) aus Dūr-Katlimmu /Tall Šēḫ Ḥamad bestehen aus feinem Ton.1457 Der Ton wurde um einen Knoten zu einer etwa gleichschenkligen, annähernd dreieckigen Tafel geformt. Wie anhand der Tonbullen aus Tall Šēḫ Ḥamad gezeigt wurde, wurden hierfür zwei dreieckig geformte ‚Hälften‘ auf beiden Seiten der Schnur bzw. Schnüre gelegt

 Fales (2000) 121.  Radner (1997) 26f.  Millard geht zwar nicht auf das Tafelformat ein, jedoch entspricht der Textinhalt denjenigen der Tonbullen, Millard (2003) 232.  Millard (1994) 121 sub Šarru-nūrī.  Für diesen Hinweis am 10.11.2011 danke ich Anja Fügert, die die Siegelbilder der Tafeln bearbeitet hat, siehe hierzu Fügert (2013) und Fügert (2015). Für die Edition der Texte s. Röllig (2014). Die Anzahl berücksichtigt nur die aus regulären Grabungen stammenden Funde.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

und ‚zusammengeklebt‘.1458 Nach unten hin zur ‚Spitze‘ verjüngt sich die Tonbulle in Breite und Dicke. Der Querschnitt entlang der kürzeren Seite ist oval, das heißt, die Seiten sind gewölbt. Durchschnittlich misst die kurze Seite 3,5–6,0 cm, die Höhe des ‚Dreiecks‘ bzw. ‚Kegels‘ 4,5–7 cm und der Durchmesser 1,8–3 cm;1459 diesen Maßen entsprechen auch meine Beispiele. Die ‚Spitze‘ ist streng genommen nicht immer eine Spitze, sondern kann auch eine Art Seitenfläche sein wie bei K.3785. Bei diesem Objekt misst die längere Seite des ‚Dreiecks‘ 4,7 cm, die ‚Basis‘ etwa 4,08 cm und die ‚Spitze‘ ist 2,12 cm lang. Der Durchmesser der Tonbulle beträgt an der ‚Basis‘ 2,08 cm und an der ‚Spitze‘ 0,98 cm. Bei 1881,0204.147 (Tafel 37, 38, 39 und 40a) misst die längere Seite des ‚Dreiecks‘ 5,25 cm, die ‚Basis‘ 3,9 cm, die Länge der ‚Spitze‘ beträgt 1,5 cm und der Durchmesser 2,6 cm. Bei 1881,0204.148 sind die längere Seite des ‚Dreiecks‘ 4,8 cm, die ‚Basis‘ 3,75 cm lang mit einem Durchmesser von 2,1 cm und die ‚Spitze‘ besitzt einen Durchmesser von 0,7 cm. Die lange Seite von Sm.957 misst 6,3 cm, die kurze 4,5 cm und der Durchmesser beträgt 2,87 cm.1460 Im Folgenden spreche ich der Einfachhalt halber von Oberseite (der Basis des ‚Dreiecks‘), Vorderseite, Rückseite und Spitze. Die Schnur verlässt als Strang das Loch in der Mitte der Oberseite, an beiden Eckpunkte der Oberseite1461 oder an diesen beiden Eckpunkten und der Spitze1462. Letzteres trifft auch auf die Tonbullen aus Tall Šēḫ Ḥamad zu.1463 Bei der mit Keilschrift versehenen Tonbulle Sm.957 befindet sich ein Loch in der Mitte der Oberseite. Zwei Löcher an den Ecken der Oberseite sieht man bei der zweisprachig und schriftigen Tonbulle 1881,0204.147 und der aramäischen Tonbulle K.3785. Aus einem Loch können jeweils zwei Schnüre herauskommen (s. Tafel 40a und 40b).1464 Bei 1881,0204.147 hat das rechte Loch die Maße 0,4 cm x 0,2 cm, das linke Loch ist (Tafel 40a) wegen einer Ausbuchtung länger, und zwar 0,7 cm. Mehrere Löcher sind bei der aramäischen Tonbulle 1881,0204.148 festzustellen, und zwar an bei-

 Fügert/Rohde (2018) 103–105. Hierbei wurden auch die drei mit Keilschrift versehenen Tonbullen Tall Šēḫ Ḥamad berücksichtigt, siehe für diese Texte Radner (2002) Text Nrn. 114, 138 und 201.  Radner (1997) 27.  Leider habe ich nicht bei allen Objekten dieselbe Anzahl von Messungen vornehmen können. Im Online- Katalog befinden sich zwar auch die Maße der einzelnen Objekte, jedoch in der Regel ‚nur‘ zwei bis drei Maßangaben, und zwar Höhe, Breite und Durchmesser.  Herbordt (1992) 38 und Radner (1997) 27.  Postgate (1976) 5.  Fügert/Rohde (2018) 103. Einem Foto nach zu schließen, besitzen zwei aramäische Tonbullen aus Assur (VA 5831 und VA 5832), Lidzbarski (1921) Nrn. 5 und 6, Taf. 2 auch drei Löcher.  Ob meine Beobachtung von zwei Schnüren, die aus bis zu drei Löchern herauskommen, bei anderen Tonbullen zutrifft, benötigt weitergehende Untersuchungen.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

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den Ecken und der Spitze. Die beiden länglichen Löcher an den Ecken der Oberseite besitzen die Maße 0,4 cm x 0,2 cm, an der Spitze sind zwei Löcher zu erkennen mit jeweils einem Durchmesser von zwei Millimetern. Bei 1881,0204.147 und 1881,0204.148 könnten die Maße der einzelnen Schnüre jeweils einen Durchmesser von ca. 0,2 cm gehabt haben. Bei Sm.957 hat das eine Loch die Maße 0,9 cm x 0,4 cm (Tafel 40b). Hier wurden möglicherweise zwei Kordeln, die aus jeweils zwei Schnüren bestanden, verwendet. Bei K.3785 besitzen die einzelnen Löcher einen Durchmesser von ca. 0,4 cm und 0,5 cm, was einen vergleichbaren Durchmesser der einzelnen Schnüre einer Kordel nahelegt. J. Nicholas Postgate postuliert, dass die neuassyrischen Tonbullen als Sicherung für verschnürte aramäische Schriftrollen verwendet wurden. Radner untermauert diese Theorie.1465 Anhand der beschriebenen Beispiele lässt sich aufgrund der unterschiedlichen Anzahl von Löchern kein Standardmuster der Verschnürung rekonstruieren. Des Weiteren ist zu fragen, ob die Schnüre der Tonbulle bereits beim Beschriften der Tonbulle die Schriftrolle verschnürten. In diesem Falle müsste die Tonbulle in einigem Abstand hängen, um die Beschriftung und Siegelung bestimmter Flächen möglich zu machen. Vor dem Beschriften wurde die Tonbulle vom/von dem/den Schuldner/n gesiegelt. Trennlinien sind nicht vorhanden.1466 Bei den akkadischen Tonbullen befindet sich die Siegelung auf der Vorderseite, auf der Vorder- und Rückseite oder äußerst selten nur auf der Rückseite.1467 Die Siegelung erfolgte auf einer Freifläche etwa in der Mitte der Vorder- bzw. Rückseite. Ober- und unterhalb der Siegelung befindet sich der Keilschrifttext.1468 Die Stelle der Siegelung ähnelt somit derjenigen, die auch bei der Außentafel einer Hüllentafel feststellbar ist.1469 Die Beschriftung er-

 Postgate (1976) 5f. Radner (1997) 27–31. Für eine Abbildung siehe Postgate (1997) 167.  Herbordt (1992) 39.  Fügert/Rohde (2018) 110 f. mit Angaben zu Beispielen, insbesondere aus Ninive. Herbordt gibt an, dass die Siegelung auf der Rückseite ihr nur von der Tonbulle SAA 6 Nr. 70 bekannt sei, Herbordt (1992) 39 Fn. 39 und Taf. 23,2. Dem kann noch eine Tonbulle aus Tall Šēḫ, Ḥamad, Radner (2002) Nr. 138, und eine Tonbulle aus Tušḫan/Ziyaret Tepe, Parpola (2008) Nr. 14 hinzugefügt werden.  Bei zwei Tonbullen aus Nimrud/Kalḫu hingegen wird jedoch auch neben den Siegelungen geschrieben, CTN 3 Nrn. 14 und 16.  Fügert/Rohde (2018) 111. Für die Hüllentafeln wurde oben angemerkt, dass die Siegelung in der Regel im Layout nach der Formulierung des Schuldgegenstandes ist. Einige akkadische Tonbullen aus Nimrud/Kalḫu, bei denen nach dem Vertragsgegenstand ein Maßstandard genannt wird und dann der Gläubiger und der Schuldner notiert werden, zeigen jedoch, dass das Textlayout nicht strikt eingehalten werden muss, platzabhängig kann der Getreidestandard, der Gläubiger und der Schuldner nach der Siegelung notiert werden (s. CTN 3 Nrn. 11, 13 14, 15, 16, 17, 43, 92.). Bei diesen Beispielen fehlt der Siegelvermerk. Die Formulierung des Schuldgegenstandes ist im Layout ‚aufgelöst‘. Dies betrifft nicht nur Tonbullen aus Nimrud/Kalḫu, sondern kommt bspw. auch bei einem Exemplar aus Tall Šēḫ Ḥamad/Dūr-Katlimmu, Radner (2002)

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folgte in der Regel parallel zur Oberseite, seltener parallel zur Längsseite.1470 Die mit Keilschrift beschriebenen Tonbullen wurden zur Lektüre parallel zur Schriftrichtung gedreht wie auch sonst die mit Keilschrift beschriebenen Tontafeln. Sm.957 ist entlang der Längsseite beschrieben und dreht sich auch parallel dieser. Wie bei den Hüllentafeln folgt hier nach der Nennung des Schuldgegenstandes die Siegelung auf der Vorderseite. Ein Siegelvermerk in Keilschrift fehlt, jedoch wurde im Siegelfeld in Aramäisch der Name des Schuldners, des Siegelbesitzers, eingeritzt. Eine weitere aramäische Beischrift befindet sich auf der Oberseite (Tafel 40b). Die Siegelpraxis der aramäisch beschrifteten Tonbullen unterscheidet sich von derjenigen der akkadisch beschrifteten. Wie anhand der aramäischen Tonbullen aus Tall Šēḫ Ḥamad gezeigt wurde, befindet sich die Siegelung auf der Oberseite und bzw. oder im ersten Drittel der Vorderseite unterhalb der Oberseite. Neben Abdrücken von Roll- und Stempelsiegeln sieht man auch Fingernageleindrücke meist zwischen den beiden Löchern. Einige Tonbullen sind sowohl auf der Oberseite als auch der Vorderseite gesiegelt.1471 Siegelungen auf der Oberseite kommen nur bei den aramäischen Tonbullen bzw. bei den bilingualen Tonbullen vor.1472 Bilinguale Tonbullen sind insgesamt sehr selten.1473 Im Gegensatz zur Hüllentafel beginnt bei der aramäischen Tonbulle der Vertragstext unterhalb der Siegelung. So folgt das Textlayout nicht dem der Hüllentafeln. Der Text verläuft in der Regel entlang der kürzeren Seite, die Tonbulle ‚blättert wie ein Buch‘ entlang der Längsseite. 1881,0204.148 ist auf der Oberseite durch zwei Abdrücke von Perlen(?) und drei Fingernageleindrücke gesiegelt. Sie dreht sich entlang der Längsseite. Die zweisprachige Tonbulle 1881,0204.147 (Tafel 37, 38, 39 und 40a), bei der der Text der als Vorderseite gedeuteten Keilschriftseite in

Nr. 114, und zwei Exemplare aus Ninive, SAA 6 Nrn. 75 und 77, vor. Die Phrase ina pūhi ittiši, die mit ‚er hat als Darlehen genommen‘ übersetzt wird, kommt nur bei einigen Obligationsurkunden vor, und zwar nach der Siegelung, vgl. Postgate (1976) 35 und 37. Im Falle einer Tonbulle aus Ninive, SAA 6 Nr. 60, steht die Phrase jedoch vor der Siegelung. Bei anderen Exemplaren folgt das Textlayout jedoch durchaus der ‚Regel‘ wie bei einer weiteren Tonbulle aus Nimrud/Kalḫu (CTN 3 Nr. 18) und zwei Tonbullen aus Assur (Deller/Fales/Jakob-Rost [1995] Nrn. 105 mit Siegelvermerk und 120 ohne Siegelvermerk). Das die Formulierung im Layout ‚aufgelöst‘ wird, kommt durchaus auch bei den Hüllentafeln vor, wie einige Beispiele aus dem Archiv N11 aus Assur zeigen, s. Deller/Fales/Jakob-Rost (1995) Nrn. 67, 68, 69 und 70.  Radner (1997) 27. Für Beispiele zu längsseitig beschrifteten Tonbullen vergleiche ebd. Fußnote 94 und zu drei weiteren solchen Beispielen aus Tall Šēḫ Ḥamad s. Fügert/Rohde (2018) 111.  Fügert (2013) 229f. und Fügert (2015) 132f. Dass dieses Bild zu verallgemeinern ist, zeigen u. a. die aramäischen Tonbullen aus Assur, Lidzbarski (1921) Nrn. 1–6.  Herbordt (1992) 39.  Fales sind nur zwei sicher identifizierbare Beispiele bekannt, beide stammen aus Ninive, eines wird in diesem Unterkapitel beschrieben, Fales (2000) 95f.

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etwa dem der aramäischen Rückseite entspricht, ist auf der Oberseite mit einem Stempelsiegel gesiegelt. Die Tonbulle wird zum Lesen entlang der Längsseite gewendet. Die aramäische Tonbulle K.3785 ist auf der Oberseite mit der Abrollung eines Rollsiegels sowie zwei Fingernageleindrücken versehen. Die Vorderseite ist ‚ganz normal‘ parallel zur Oberseite beschriftet, die Rückseite mit zwei Zeilen entlang der Längsseite.1474 Falls die Tonbulle mit Keilschrift versehen ist, ist die Größe der einzelnen Zeichen nicht festgelegt. Bei 1881,0204.147 ist die Höhe der einzelnen Keilschriftzeichen ca. 0,5 cm, dem scheinen auch die größten Zeichen der aramäischen Schrift zu entsprechen; bei Sm.957 beträgt die Höhe der Keilschriftzeichen ca. 0,45 cm. Aramäisch konnte (in den feuchten Ton) eingeritzt oder mit Tinte aufgepinselt werden. Bei den beschriebenen Beispielen ist keine Beschriftung mit Tinte nachweisbar. Die aramäischen und akkadischen Tonbullen gleichen sich im Textinhalt, im Formular und im Tafelformat, jedoch ist ein Unterschied beim Anbringungsort der Siegel festzustellen, so dass sich das Textlayout beider Arten von Tonbullen unterscheidet. Der Siegelort der akkadischen Tonbullen orientiert sich an dem der Hüllentafeln. 3.2.2.1.2 Briefe Zwei verschiedene Arten von Briefen existieren: Hüllentafeln und ovale Täfelchen. Die meisten Briefe waren wohl ursprünglich Hüllentafeln. Die Hüllen der Hüllentafeln hat sich jedoch nur in den seltensten Fällen erhalten, da diese zerbrochen werden musste, um den Brief zu lesen (Tafel 41 und 42). Der verwendete Ton der Hüllentafeln ist fein geschlämmt. Johns beschreibt das Äußere der hochformatigen Innentafeln: Another very common shape is convex on the two principle faces. Such were clearly made by rolling the clay into a cylinder and then flattening it down by pressure. Such I call cakeshaped. This shape is more common among the letters than among the contracts. The section of such a tablet perpendicular to its principal faces is not a rectangle but an elongated oval. In some cases these cakes had their ends and edges cut flat, more often they bulge slightly.1475

 Ein weiteres Beispiel einer solchen Beschriftung bei aramäischen Tonbullen ist Lidzbarski (1921) Nr. 4.  Johns (1901) 16 § 33. So auch Radner (1995) 71.

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Nach Radner sind die Ränder der Tafeln nach dem Flachdrücken des Zylinders sorgfältig bearbeitet.1476 Weiter zu untersuchen wäre, ob der Ton zunächst ausgerollt, dann gefaltet oder eingerollt wurde und anschließend flach gedrückt und geformt wurde (s. Kap. 1.2.1). Das Verhältnis der Seiten ist etwa B.:H. 1:2. Zur Herstellung wurden standardisierte Mengen Ton verwendet, so sind nicht nur die Form, sondern auch die Maße der Tafel standardisiert. Zwei Standardgrößen existieren: Die Größe der Tafel beträgt in ihrer Breite 2,5–3,5 cm oder 4,5–6 cm, die Höhe 5–7 cm oder 9–12 cm, der Durchmesser ist 1,5–2 cm. Anschließend wurde die Tafel vergleichbar den Hüllentafeln der Obligationsurkunden mit einer dünnen Tonschicht, der Hülle, ‚eingeschlagen‘.1477 Im British Museum habe ich mehrere Briefe betrachtet, und zwar K.189 (SAA 13 Nr. 134), K.604 (SAA 10 Nr. 91), K. 613 (SAA 16 Nr. 115), 636 (SAA 13 Nr. 145) 1881,0727.199 (1881,0727.199 und 1881,0727.199.a; SAA 15 Nrn. 288 und 289) und BM 99020 (SAA 18 Nr. 7). Die Briefe stellen königliche Korrespondenz verschiedenen Inhalts dar und datieren alle in die Herrschaftszeit von Asarhaddon bzw. Assurbanipal. Einzige Ausnahme ist 1881,0727.199, der aus der Regierungszeit Sargons II. stammt. Alle Briefe sind in der neuassyrischen Variante der Keilschrift verfasst außer BM 99020, der – wie für die Korrespondenz von und nach Babylonien üblich – in der neubabylonischen Variante verfasst wurde. K.604 enthält auf der Rückseite Z.10 f. eine Eigenbezeichnung: ina gab-re-e ša e-gír-ti-ia ‚als Rückantwort auf meine einkolumnige Tafel‘ (s. Kap. 2.2: egirtu und gab(a)rû). Der Ausdruck gabrû ša egirte erscheint auch in Z. 5 der Rückseite von 1881,0727.199. BM 99020 enthält im ‚Briefkopf‘ die Eigenbezeichnung šipirtu ‚Brief‘ (s. Kap. 2.2). Die Tafeln (vgl. Tafel 41) und Umschläge sind aus fein geschlämmtem Ton. Eine der Tafeln entspricht dem größeren Standard (s. o.), und zwar K. 189, sie besitzt die Maße H. x B. x Dm. 10,9 cm x 5,4 cm x 2,3 cm. Die restlichen Tafeln gehören der kleineren Standardgröße an mit folgenden Maßen: K.604: 5,9 cm x 2,7 cm x 1,9 cm; K.613: 5,6 cm x 2,9 cm x 1,6 cm; 1881,0727.199: 6 cm x 2,45 cm x 1,5 cm; BM 99020: 7,2 cm x 3,7 cm und 2,2 cm. Kleiner fällt K.636 mit 3,7 cm x 2,2 cm x 1,6 cm aus. Die Form der Tafeln zeigt, so wie oben von Johns beschrieben, abgerundete Ränder, die sich am linken und rechten Seitenrand in der Mitte ein wenig nach außen wölben können. Vorder- und Rückseite sind gewölbt, teilweise ist es schwierig anhand der Wölbung einen Unterschied zwischen Vorderseite und Rückseite zu erkennen. Einzig bei 1881,0727.199 ist ein Fragment eines

 Radner (1995) 71.  Radner (1995) 71 f. und 76 Endnote 20. Aufgrund der einheitlichen Maße der Briefe und der Tatsache, dass teilweise nicht die ganze Tafel beschrieben worden ist, geht Radner davon aus, dass Maße von Briefen standardisiert waren.

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Umschlags erhalten. Die Ecken der Innentafeln von 1881,0727.199 wirken zipflig und es sind Formungsspuren von Fingern zu erkennen (Tafel 42). Die Tafeln sind einkolumnig im Hochformat beschrieben. Die Innentafeln sind entlang der kürzeren Seite beschriftet, sie beginnen mit der Einleitungsformel. Häufig steht – insbesondere bei babylonischen Briefen – in der ersten Zeile die ‚Tafel des PN (Absender)‘ und in der darauffolgenden Zeile wird der Adressat genannt (vgl. BM 99020 hier jedoch statt Tafel Brief ‚šipirtu‘ geschrieben). Wenn der Brief an den König oder eine andere höhergestellte Person gerichtet ist, steht zunächst ‚an meinen König‘ bzw. ‚an PN‘ und in der zweiten Zeile der Name des Senders und anschließend Segenswünsche (vgl. die anderen Beispiele mit Ausnahme von K.189, dessen Oberfläche an dieser Stelle nicht erhalten ist). Danach folgt der Brieftext. Keine Trennlinien sind vorhanden. Die Schriftgröße und -dichte ist variabel. Dies ist wohl abhängig von Textmenge und verwendeter Tafelgröße. Bei K.189 beträgt die Höhe der einzelnen Schriftzeichen etwa 0,2 cm, bei K.604 und K.613 0,3 cm und bei K.636 0,25 cm. Bei 1881,0727.199 hat die Innentafel eine Schriftgröße von 0,3 cm und die Außentafel von 0,5 cm. Bei BM 99020 (mit neubabylonischer Keilschrift) ist die Höhe der einzelnen Zeichen 0,4 cm bis 0,5 cm. Die Keilköpfe sind kleiner als bei der neuassyrischen Keilschrift und die anschließenden ‚Striche‘ länger. Es wird stets versucht, die Zeile bis zum Ende zu beschreiben, ggf. mit größeren Freiflächen innerhalb der Zeile und dem Langziehen einzelner horizontalen Keile, z. B. bei K.604 (Abb. 26, Kap. 2.2: egirtu). Die Zeilen können auf den rechten Seitenrand übergreifen. Bestimmte Ausdrücke und Sinneinheiten werden so jeweils durch unterschiedliche Zeilen gegliedert. Alle Seitenränder können beschrieben sein. Die Rückseite muss nicht vollständig beschrieben sein. Bei K.604 befindet sich dort eine Zeile, bei K.636 zwei Zeilen und bei 1881,0727.199 ist mit sechs Zeilen in etwa die obere Hälfte der Rückseite beschrieben (Tafel 42a). Der untere Teil der Rückseite, der der letzten Zeile folgt, ist dann frei. Die Hülle des Briefes ist entlang der längeren Seite gesiegelt und anschließend mit der Einleitungsformel beschrieben. Bei der Hülle 1881,0727.199.a (SAA 15 Nr. 289) sind die Vorder- und Rückseite der Hülle mit demselben Rollsiegel entlang der längeren Seite (ca. in der Mitte) gesiegelt. Vergleichbar zur Hüllentafel der Obligationsurkunde ist dort keine Trennlinie angebracht. Auf der Vorderseite ist oberhalb der Siegelung (des Senders) der Adressat vermerkt, unterhalb der Siegelung der Empfänger. Neben dem Brief mit einer Hülle existiert ein weiteres Format für Briefe. Der Brief ist oval und querformatig mit einem Verhältnis der beiden Seiten zueinander von ca. 2:1. Er besaß wohl keine Hülle. Falls er gesiegelt ist, ist der Platz auf der

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Tafel hierfür nicht festgelegt. Inhaltlich sind diese Briefe meist der privaten Korrespondenz zuzuordnen.1478 Ein Beispiel hierfür ist K.1274 (SAA 16 Nr. 49). 3.2.2.1.3 Anfragen an Šamaš und Leberschauberichte Anfragen an Šamaš Der Titel ist eine Bezeichnung für eine Gruppe von Texten, die nur in der Regierungszeit Asarhaddons und Assurbanipals auftauchen und speziell für diese angefertigt worden sind. Sie weisen ein charakteristisches Textformular auf. Eine Anfrage, z. B. ob eine bestimmte Stadt erobert werden soll, wurde an Šamaš, den Sonnengott, gestellt. Die Tafel mit der Anfrage sollte dann Šamaš vorgelegt werden. Anschließend wurde eine Schafsleber untersucht, deren spezifisches Aussehen analysiert wurde. Hierfür wurde weitere Literatur, nämlich die Hauptkompendien und -serien zur Leberschau des 1. Jahrtausends wie Bārûtu, zu Rate gezogen. Manchmal sind auch die entsprechenden Omen auf den Tafeln niedergeschrieben.1479 Drei Exemplare dieser Textsorte, die alle aus der Regierungszeit Asarhaddons stammen, habe ich im British Museum untersucht: K.11480 (SAA 4 Nr. 3), K.4668 (SAA 4 Nr. 43) und 1883,0118.697 (SAA 4 Nr. 77). Auffällig sind bei dem verwendeten Ton die Einschlüsse von vielen Steinchen. Bei K.11480 (SAA 4 Nr. 3) beispielsweise besitzen sie einen Durchmesser von bis zu 0,4 cm und sind auch an der Oberfläche sichtbar. Bei 1883,0118.697 (SAA 4 Nr. 77) können die Steinchen sogar etwas größer als 0,5 cm sein. Die beiden vollständig erhaltenen Tafeln 1883,0118.697 und K.4668 liegen schwer in der Hand. Die Tafeln sind querformatig. Bei den drei Tafeln ist der Querschnitt oval, wobei die Rückseite stärker gewölbt ist als die Vorderseite; dies trifft auch auf die restlichen Tafeln zu.1480 Die Wölbung der Tafeloberfläche ist relativ stark. Bei den vollständig erhaltenen Beispielen sind die Ecken abgerundet. Die Tafeln wirken ‚groß‘ und ‚grob‘. Das Verhältnis der einzelnen Tafeln ist ungefähr B.:H. 2:1. Jørgen A. Knudtzon gibt in

 Vgl. Radner (1995) 72 und Fadhil/Radner (1996) 420–421 mit Beispielen. Die dort angegebenen Maße legen nahe, dass auch ein Verhältnis der Seiten zueinander bis 3:2 vorkommen kann. Radner (1995) 72 geht jedoch noch von einem Verhältnis von 2:1 aus. Aus Gūzana/Tall Halaf stammt darüber hinaus eine Gruppe von Briefen, die in das späte 9. Jahrhundert bis frühe 8. Jahrhundert datieren. Die Tafeln sind querformatig und rechteckig und sehen teilweise fast quadratisch, aus, vgl. Dornauer (2014) 3–5; Nrn. TH 1, 3, 5–9, 11–14.  Starr (1990) = SAA 4 XIII f. Informationen zum verwendeten Formular und weitere Literaturhinweise befinden sich ebd.  Knudtzon (1893) 5 gibt an, dass die Tafeln in der Regel gegen die Kanten hin dünner werden.

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seiner Bearbeitung dieser Texte im Jahr 1893 Maße der vollständig erhaltenen Tafeln an, und zwar von 17,8 cm x 10,8 cm (K.4668; SAA 4 Nr. 43) bis 12,5 cm x 6,3 cm (K.11450+1883,0118.549; SAA 4 Nr. 89). Das Fragment K.14377 (SAA 4 Nr. 139) scheint von einer deutlich größeren Tafeln zu stammen. Ihre Höhe beträgt 12,5 cm bis 13,0 cm, die Breite der kürzeren Seite ist nicht vollständig erhalten und misst an der breitesten Stelle 10,5 cm.1481 Die Tafeln sind verhältnismäßig dick, so weist K.4668 einen Durchmesser von etwas über 5 cm auf.1482 Das nicht in der Breite mit 6,8 cm, aber in seiner Höhe mit 9,3 cm vollständig erhaltene Fragment K.11480 kommt auf einen Durchmesser von 5,1 cm, was dem von Knudtzon größten gemessenen Durchmesser entspricht. Die Tafel 1883,0118.697 besitzt eine Breite von ca. 17,3 cm, eine Höhe von 9,7 cm und einen Durchmesser größer als 3,5 cm.1483 Knudtzon gibt als die geringste Dicke 2,5 cm an, der mittlere Durchmesser soll 4 cm betragen.1484 Die Tafeln sind im Vergleich zu den anderen Tafeln außergewöhnlich dick. Neubabylonische und neuassyrische Zeichenformen und Duktus der Schrift wurden verwendet. Es gibt keine festgelegte Größe von Schrift. Insgesamt sind die Schriftzeichen ‚grob‘ und ‚groß‘;1485 keine Einheitlichkeit zwischen dem Schriftbild der einzelnen Tafeln ist zu beobachten. Die Schrift auf ein und derselben Tafel kann mal groß und mal klein sein.1486 Omen konnten nach der Anfrage in kleinerer Schrift, an Stellen wo noch genügend Platz vorhanden war, eingefügt werden.1487 Zur Strukturierung des Textes wurden Freiflächen, Linien und teilweise auch unterschiedliche Schriftgrößen verwendet. Die genannten Beispiele gebrauchen die neubabylonische Variante der Keilschrift. Bei dem Fragment K.11480 sind die größten Zeichen 0,5–0,6 cm hoch, der untere Rand ist anscheinend wegen Platzmangels mit kleineren Zeichen von ca. 0,3–0,45 cm beschrieben. Bei 1883,0118.697 sind die größten Zeichen ca. 0,6–0,7 cm hoch. Teilweise sind bei diesem Text Zeichen auch kleiner geschrieben, um Sinnabschnitte zu markieren; auch wurden hier Freiflächen gelassen, um die Sinnabschnitte voneinander abzutrennen. Letzteres trifft auch auf K.11480 zu, wo vor der abschließen-

 Knudtzon (1893) 5.  Mit der verwendeten Schieblehre konnte ich nicht an der dicksten Stelle messen.  Mit der Schieblehre, mit der ich gemessen habe, konnte ich den Durchmesser an der dicksten Stelle nicht erfassen.  Knudtzon (1893) 5.  Aro (1966) 110 und Starr (1990) = SAA 4, XII.  Knudtzon (1893) 5 f. Nach ihm findet sich auf einigen Tafeln ‚schöne‘ und auf anderen ‚hässliche‘, nachlässige Schrift; manchmal ist sie gut zu lesen und manchmal nicht.  Starr (1990) = SAA 4, XIII.

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den Datierung auf der Rückseite eine Freifläche gelassen wurde. Bei K.4668 sind die Zeichen bis geringfügig über 0,4 cm groß. Das standardisierte Erscheinungsbild der Anfragen an Šamaš zeichnet sich durch 1.) den Ton mit zahlreichen größeren Einschlüssen; 2.) das Tafelformat, insbesondere wegen seines großen Durchmessers; 3.) das unregelmäßig wirkende Schriftbild – insbesondere hervorgerufen durch die Verwendung unterschiedlicher Größen der Schriftzeichen – und 4.) die Größe der Schriftzeichen insgesamt – im Vergleich zu den anderen besprochenen Alltagstexten – aus. Die entsprechenden Tafeln wurden offensichtlich äußerst schnell angefertigt. Leberschauberichte Unter Assurbanipal änderten sich das Tafelformat, der Textaufbau und das Textlayout, eine neue Textsorte, die Leberschauberichte, wurde für denselben Inhalt eingeführt. So folgt nach einer Liste von Omen die Anfrage und abschließend wird in der Regel der Text datiert. Die erhaltenen Tafeln stammen aus dem Zeitraum von 652–650.1488 Die Tafeln sind im Hochformat mit einem Größenverhältnis von ca. 1:2 geschrieben.1489 Das Format soll ähnlich dem der Briefe sein – nur mit etwas größeren Maßen.1490 Zwei Tafeln habe ich im British Museum im Original gesehen. K.1436 +K.1523 (SAA 4 Nr. 306) ist vollständig erhalten und hat die Maße (B. x H. x Dm.) 5 cm x 7,8 cm x 2,2 cm. K.102 (SAA 4 Nr. 317) ist in seiner Höhe nicht vollständig erhalten und misst 5,5 cm x 8,2 cm x 2,2 cm. Der Ton kann Einschlüsse von kleineren Steinchen aufweisen. Die Tafeln sind wesentlich sorgfältiger gestaltet als die Anfragen an Šamaš. Im Gegensatz zu den stark gewölbten Anfragen an Šamaš sind die Vorder- und Rückseite hier nur leicht gewölbt. Es wurden neubabylonische und neuassyrische Zeichenformen und Duktus verwendet, z. B. K.102 neuassyrisch und K.1436+ neubabylonisch. Bei den Leberschauberichten ist die Schrift größer als bei den Briefen.1491 Bei K.1436+ ist sie durchschnittlich 0,35 cm hoch. Bei K.102 beträgt diese 0,25 cm bis 0,3 cm, auf der Rückseite bis zu 0,35 cm. Bei beiden Tafeln wurden bis auf die auf den rechten Rand übergreifenden Zeilen die Ränder nicht beschriftet. Bei K.1436+ ist das untere Viertel der Rückseite freigelassen. Auch der Großteil der Rückseite des Fragments K.102 ist unbeschriftet. Dies legt standardisierte Tafelausmaße für diese Textsorte nahe.

   

Starr (1990) = SAA 4, XIII f. Radner (1995) 74. Aro (1966) 111. Aro (1966) 111.

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Beim Textlayout wurden Einrückungen, horizontale Trennlinien und Freiflächen verwendet. Diverse Schriftauszeichnungen sind zu beobachten wie die Größe der Zeichen und die Sperrung einzelner Zeilen. Beispielweise sind bei K.102 auf der Rückseite – soweit sie erhalten ist – nur in der Mitte die Datierung und die Astrologen in größeren Schriftzeichen niedergeschrieben, davor und danach befindet sich eine Freifläche. 3.2.2.1.4 Astrologische Berichte Die Berichte aus neuassyrischer Zeit sind kurze Mitteilungen adressiert an den König über besondere Ereignisse und enthalten relevante Zitate aus Omenserien, meist Enūma Anu Enlil,1492 daher werden sie in der Regel astrologische Berichte genannt. Das verwendete Tafelformat wurde uʾiltu genannt (vgl. Kap. 2.2 Abb. 39).1493 Gelegentlich wird dasselbe Tafelformat für Berichte verwendet, die Omen aus anderen Serien zitieren wie Šumma izbu (eine Omenserie zu abnormalen Geburten)1494, z. B. K.766 (SAA 8 Nr. 24).1495 121 Texte, ca. ein Fünftel aller astrologischen Berichte, sind datierbar. Bis auf einen Text, der 708 und einen der 648 datiert, stammen alle weiteren aus dem Zeitraum 679–656.1496 Die Reporte stammen aus verschiedenen Teilen des neuassyrischen Reiches. Es wurden relativ kleine Tafeln verwendet, deren Größe vergleichbar zu der von neuassyrischen Briefen ist.1497 Diese sind jedoch im Querformat beschrieben mit einem Seitenverhältnis B.:H. = 2:1. Beide Seiten sind nur leicht gewölbt, die Rückseite etwas stärker als die Vorderseite. Der obere und untere Rand sind nach der Vielzahl der Fotos im Online-Katalog des British Museum und des CDLI zu schließen (und den unten genannten Beispielen) nach außen gewölbt, halbkreis-förmig. Hingegen erscheinen der linke und rechte Seitenrand klar von der Schreibfläche abgegrenzt und die Tafeln sollen nach Radner weniger sorgfältig als die Briefe geformt und etwa zweimal so dick wie die Briefe sein.1498 Die Tafeln, die ich mir angesehen habe, sind jedoch in etwa so dick wie die Briefe: K.15 (SAA 8 Nr. 140) B. 3,7 cm x H. 2,9 cm x Dm. 1,3 cm K.121 (SAA 8 Nr. 175) B. 6,2 cm x H. 2,8 cm x Dm. 1,7 cm

      

Oppenheim (1969) 98, siehe auch Hunger (1992) = SAA 8für die Edition der Texte. Vgl. Kap. 2.2. Leichty (1970) = TCS 4, 8. Für weitere Beispiele vgl. Hunger (1992) = SAA 8, XVIII. Hunger (1992) = SAA 8, XX. Hunger (1992) = SAA 8, XV und Oppenheim (1969) 98. Radner (1995) 72.

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K.729 (SAA 8 Nr. 252) B. 5,8 cm x H. 3,1 cm x Dm. 1,7 cm K.736 (SAA 8 Nr. 65) B. 6,3 cm x H. 3,5 cm x Dm. 1,8 cm K.750 (SAA 8 Nr. 4) B. 8,25 cm x H. 4,12 cm x Dm. 2 cm Die Tafeln sind bequem in einer Handfläche zu halten. Bei einigen Tafeln ist die Rückseite unbeschrieben wie bei K.1407 (SAA 8 Nr. 358). Die Gestaltung des Tafelformats und die unbeschriebenen Rückseiten verweisen auf einen einheitlichen Herstellungsprozess und standardisierte Tafelmaße. Es werden neubabylonische (K.729) oder neuassyrische Zeichenformen (K.15, K.121, K.736, K.750) verwendet. Die Schriftgröße ist variabel. Sie scheint abhängig von der Menge des Inhaltes zu sein.1499 Bei K.15 ist die Höhe der vertikalen Keile ca. 0,4 cm, bei K.121 etwa 0,25 cm, bei K.729 ca. 0,4 cm, bei K.736 um 0,3 cm und bei K.750 ca. 0,3 cm. Es können alle Seiten beschrieben werden. Es wird bis ans Ende der Zeile geschrieben, womöglich mit größeren Lücken zwischen den einzelnen Zeilen und länger gezogenen Querkeilen wie bei K.15. Es werden Trennlinien, Einrückungen und bzw. oder Schriftauszeichnungen wie eine größere Schrift verwendet, um Sinnabschnitte zu markieren. Bei K.121 wird der Name des Verfassers in einer tiefer eingedrückten, größeren Schrift nach einer Trennlinie in einer eingerückten Zeile mit größeren Zeichenabständen notiert. Der Zeilenabstand zwischen den einzelnen Zeilen kann vergrößert sein, z. B. bei K. 736 vor der Nennung des Verfassers des Berichts, der wiederum eingerückt nach einer Trennlinie steht. Bei K.736 befinden sich neben dem Haupttext kleiner geschriebene Glossen (ca. 0,2 cm hoch), die Sumerogramme erklären. Das Layout spiegelt den jeweiligen Textaufbau wider.1500 3.2.2.1.5 Einige Anmerkungen zu weiteren Texten Bei den einkolumnigen Tafeln gab es ein Seitenverhältnis von 1:2 als Standard für die ‚Archivtexte‘,1501 bei den dreikolumnigen, hochformatigen Tafeln ist das Verhältnis 2:3.1502 Die administrativen Texte stellen häufig Auflistungen dar, die mehrere Spalten umfassen können.1503 Wie oben bereits erwähnt, wird aufgrund der geringen Anzahl administrativer Texte angenommen, dass diese in der Regel auf vergänglichen Materialien niedergeschrieben wurden (vgl. Kap. 3.2.1.2). Die

    

Hunger (1992) = SAA 8, XV und Oppenheim (1969) 98. Für den Textaufbau vgl. Hunger (1992) = SAA 8, XVI. Parpola (1997a) = SAA 9, LV. Parpola/Watanabe (1988) = SAA 2, XLIII. Vgl. SAA 7 und SAA 11.

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Tafeln administrativen Inhalts besitzen kein einheitliches Tafelformat. Manche sind sorgfältig geformt und beschrieben, andere wiederum nicht.1504 Das jeweilige Tafelformat und das Layout richten sich nach dem Textinhalt. Dafür wurden in der Regel rechteckige Tafeln benutzt. Selten kommen auch ovale Täfelchen vor, und zwar bspw. bei der querformatigen Tafel K.816 (SAA 11 Nr. 98) und K.817 (SAA 11 Nr. 107) und den hochformatigen Täfelchen K.916 (SAA 7 Nr. 73). Daneben gibt es auch annährend dreieckige Tafeln, die sogenannten textile labels, in deren Mitte sich eine Schnur befand.1505 Auch bei den administrativen Texten werden zur Gestaltung des Layouts horizontale und vertikale Linien verwendet. Einige Siegelungen besitzen Beischriften, die auf die unterschiedliche Verwendung der Siegelmotive verweisen.1506 Bei einigen weiteren Texten ist ein gewisser Grad an Einheitlichkeit festzustellen. Es existieren Loyalitätsschwüre und Verträge an den bzw. mit dem assyrischen König, die im Neuassyrischen adê genannt werden. Die 14 Texte, von denen zehn aus Ninive stammen, ähneln sich in ihrer Textstruktur.1507 Einige Manuskripte mit Prophezeiungen wurden veröffentlicht. Es sind vier mehrkolumnige, hochformatige Tafel(-fragmente) mit Kompilationen von verschiedenen Prophezeiungen vorhanden, die ein Seitenverhältnis von 1:2 oder 2:3 – abhängig davon, ob zwei oder drei Kolumnen vorliegen – aufweisen. Die anderen Tafeln enthalten nur je eine Prophezeiung und sind entweder hoch- oder querformatig. Es sind Reporte, die entweder an Asarhaddon oder seinen Sohn Assurbanipal gerichtet sind.1508 Einer der Texte mit einer Prophezeiung für Assurbanipal wird aufgrund seines Äußeren als Bibliothekskopie gedeutet. Die Prophezeiungen sollen direkt während der mündlichen Performanz niedergeschrieben worden sein. Sie sind in neuassyrischer Sprache verfasst und besitzen ein hohes stilistisches Niveau.1509

 Fales/Postgate (1992) = SAA 7, XIII .  Vgl. SAA 7 Nrn. 93–106. Neueditionen der Texte inklusive Fotografien finden sich bei Gaspa (2018) 366–387 Text 2–15. Ein vollständiges Beispiel ist 1882,0522.40 (SAA 7 Nr. 93, Gaspa [2018] 366f. Text 2).  SAA 11 Nrn. 42–75.  Vgl. Parpola/Watanabe (1988) = SAA 2. Ein weiteres Manuskript wurde in Tell Tayinat gefunden, s. Lauinger (2012).  Parpola (1997a) LIII–LXII mit einer genauen Beschreibung des Äußeren und Fotografien im Anhang.  Parpola (1997a) LXVII.

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3.2.2.2 Gestaltung von Bibliothekstexten 3.2.2.2.1 Allgemein Bevor in den nächsten Unterkapiteln auf bestimmte Gestaltungsregeln der schön geformten Bibliothekstexte im ‚Assurbanipal-Duktus‘ eingegangen wird, sind zunächst einige einleitende, generelle Bemerkungen zu Texten wissenschaftlichliterarischen Inhalts, insbesondere ihre Layouts, angebracht. Oft werden diesen zwar keine spezifischen Tafelmaße zugeordnet, sie lassen sich jedoch aufgrund des Textlayouts, der Schriftart und des Inhalts bestimmten Textsorten zuordnen wie Kommentartexten und lexikalische Listen (s. u.). Es gibt sowohl kleine, etwa Handteller große Tontafeln, als auch Tafeln, die größer sind als DIN-A4-Blätter (und natürlich wesentlich dicker). In den Texten sind häufig auch wachsbeschichtete Holztafeln (Kap. 2.2: lēʾu) erwähnt, die sich im archäologischen Befund nicht erhalten haben. Viele wissenschaftlich-literarische Texte wurden über einen längeren Zeitraum tradiert, so dass mehrere Textvertreter aus unterschiedlichen Orten für eine Text bzw. eine Textpassage vorhanden sein können (vgl. Kap. 3.1.2). Die größeren Tontafeln sind meist zwei- bis mehrkolumnig und hochformatig. Mitte/Ende des zweiten Jahrtausends wurden zahlreiche Tafeln serialisiert (vgl. Kap. 3.1). Der Ausdruck für Serie ist im Akkadischen iškaru (vgl. Kap. 3.1.2.2). Der Titel einer Serie ist das Incipit der ersten Tafel der Serie. Die einzelnen Kolumnen sind auf der Vorderseite von links nach rechts angeordnet, auf der Rückseite von rechts nach links. In Kolumnen sind z. B. Omensammlungen, Beschwörungstexte und die lexikalischen Listen, aber auch narrative Texte wie das Gilgameš-Epos geschrieben. Die Kolumnen auf einer Tafel sind meist gleich breit. Diese großen Tafeln sind womöglich als Nachschlagewerke und bzw. oder als ‚Gesellenstücke‘ anzusehen. Die jeweilige Gestaltung scheint ort- und zeitabhängig zu sein, wie sich anhand der literarischen Texte exemplarisch zeigen lässt. Das Gilgameš-Epos kann sowohl in der babylonischen wie auch in der assyrischen Variante der Keilschrift auf Tafeln mit ein, zwei oder drei Kolumnen niedergeschrieben sein.1510 Die Manuskripte aus Kudjundschik/Ninive verwenden die neuassyrische Variante der Keilschrift und sind in der Regel dreikolumnig.1511 Die Textvertreter von Enūma Eliš sind hingegen in der Regel einkolumnig und können in babylonisch oder assyrisch nieder-

 Vgl. George (2003).  George (2003) 379–417.

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gelegt sein; die aus Kujundschik/Ninive bekannten Beispiele verwenden alle einen neuassyrischen Duktus, und zwar den ‚Assurbanipal-Duktus‘.1512 Die lexikalischen Listen lassen sich teilweise bis zum Ende des 4. Jahrtausends zurückverfolgen. Die einzelnen Kolumnen können in mehrere Spalten, die sich aufeinander beziehen, unterteilt sein. Ab dem Beginn des 2. Jahrtausends erhalten die Listen zu der sumerischen Spalte eine Spalte mit einer akkadischen Übersetzung. Es gibt Wort- und Zeichenlisten. Die Wortlisten sind thematisch angeordnet, z. B. nach Pflanzen oder Realien aus Holz. Neben den sumerisch-akkadischen Wortlisten existieren akkadische Synonymlisten. Bei den Zeichenlisten können abhängig von Liste und Textvertreter bis zu fünf Spalten in einer Kolumne in Erscheinung treten: 0 = vertikaler Keil markiert den Anfang jeder Zeile in bestimmten Listen. I = syllabische Spalte: Aussprache des Logogramms geschrieben mit Hilfe syllabischer Zeichen. 2 = Logogramm(e). 3 = Zeichenname. 4 = akkadische Übersetzung. 5 = Übersetzung (eventuell) in weitere Sprachen.1513 Ein typisches Formular für einzelne Omen der Omenliteratur ist die ‚ProtasisApodosis‘-Anordnung. Die einzelnen Omen einer Omensammlung sind untereinander geschrieben. Da die Anfangszeichen folglich stets gleich bleiben, ist eine Tafel, die mit einer Omensammlung beschrieben ist, sofort als solche identifizierbar. Die ‚Protasis-Apodosis‘-Struktur ist nicht nur bei Omensammlungen, sondern auch beim sogenannten Kodex Hammurabi oder bei medizinischen Texten festzustellen. Wie die Wortlisten sind auch die Omensammlungen thematisch geordnet. Neben diversen einsprachigen akkadischen Texten existieren auch sumerischakkadische Texte, z. B. Beschwörungsserien. Die zweisprachigen Texte sind meist Interlinearbilinguen (vgl. Kap. 1.2.4 und Tafel 26b), d. h., der erste Satz ist sumerisch und die darunterliegende Zeile mit der akkadischen Übersetzung ist eingerückt. Durch die Einrückungen, aber auch dadurch, dass nicht stets dasselbe Zeichen zu Zeilenbeginn wiederholt wird, sind auch solche zweisprachigen Texte leicht zu erkennen.

 Lambert (2013) 3f.  So Cavigneaux (1980–83) 610, hier ins Deutsche übertragen. Vgl. allgemein zu lexikalischen Listen Veldhuis (2014a).

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Eine besondere Gruppe von Texten ist auf schmalen hochformatigen Tafeln um die 8 cm x 20 cm (die beiden Größen sind variabel) niedergeschrieben (s. Kap. 3.2.2.2.2). Hierbei handelt es sich meist um Texte literarischen Inhalts wie Hymnen, aber auch der Mythos ‚Ištars Höllenfahrt‘ ist auf einer solchen Tafel überliefert. Auch sie können Interlinearbilinguen sein. Diese Tafeln sind auf der Vorder- und Rückseite jeweils einkolumnig. Am Ende einer Tafel wissenschaftlich-literarischen Inhalts – unabhängig von ihren spezifischen Ausmaßen – kann sich ein Kolophon (s. Kap. 3.1 und Kap. 3.2.1) befinden. Der Kolophon ist zumeist abgetrennt vom Haupttext, z. B. durch eine Linie und bzw. oder durch die Verwendung von kleinerer bzw. größerer Schrift sowie vergrößerten und verringerten Zeilen- und Zeichenabständen. Auszüge aus den serialisierten Texten befinden sich auf einer Vielzahl kleinerer Tafeln (vgl. Kap. 2.2: nisḫu). Diese vermitteln einen Eindruck über den Umgang mit Texten. Auszugstafeln kopieren einen Abschnitt des serialisierten Textes, bspw. für eine spezifische Anwendung. Dies trifft auch auf die zahlreichen kleinen Schülertafeln zu, auf denen sich (verschiedene) Exzerpte der oben bereits erwähnten lexikalischen Listen befinden.1514 Schülertafeln sind jedoch nicht (bzw. kaum) aus der Bibliothek Assurbanipals bekannt.1515 Neben den Textserien existiert eine Reihe von Tafeln anderen wissenschaftlichen Inhalts. Auf kleineren, Handteller großen, hoch- und querformatigen, spätbabylonischen Texten – womöglich Schültertafeln einer höheren Ausbildungsstufe – können sich bspw. einzelne Rezepte befinden.1516 Weiter können u. a. noch Kataloge und Synodentabellen angeführt werden. Die kleineren Tafeln sind zwar meist nicht in Kolumnen eingeteilt, jedoch ist das Layout des Textes bei den Exzerpten vergleichbar mit dem bei den größeren Texten. Vom 8. Jahrhundert bis zum 2. Jahrhundert sind Kommentartexte aus Mesopotamien bekannt. Die Kommentartexte erklären einzelne Ausdrücke und Passagen aus meist jeweils nur einem serialisierten Text. In der Regel sind die Kommentartexte einkolumnig und auf kleineren Tafeln niedergeschrieben, es gibt jedoch auch größere dreikolumnige Tafeln. Für Kommentare existieren drei verschiedene Layouts. Aus Assyrien des 8. und 7. Jahrhunderts sind ‚Tabular commentaries‘, meist ṣâtu (s. Kap. 2.2) genannt, und ‚Indentation Type commentaries‘, in Ninive normalerweise als mukallimtu (s. Kap. 2.2) bezeichnet, bekannt. Bei den ‚Tabular commentaries‘ stehen in der linken Spalte die jeweils zu erklärenden Ausdrücke, in der

 Gesche (2001).  Veldhuis (2014a) 382–385. Ein Gegenbeispiel ist womöglich K.1520, so Gesche (2001) 23 Fn. 112, s. auch Veldhuis (2014a) 358 Fn. 866. Für ein Foto [https://cdli.ucla.edu/P349825].  Finkel (2000).

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rechten die Erklärungen. Bei den ‚Identation Type commentaries‘ sind die einzelnen Zitate länger. Ähnlich wie bei den oben erwähnten Interlinearbilinguen kommen hier eingerückte Zeilen vor. Die meisten Kommentartexte aus Babylonien sind ‚Cola Type commentaries‘. Hier sind längere Zitate aus dem kommentierten Text angegeben sowie komplexere Erklärungen. Die einzelnen Einträge sind durch Trennungszeichen voneinander geschieden. Der Text ist folglich ein Fließtext.1517 Die durch Inhalt, Textstruktur, Format und Layout zu erkennenden Textsorten wie Schülertafeln etc. müssen keine Entsprechung in der indigenen Terminologie finden. So erscheinen bspw. in Rubriken (vgl. Kap. 1.2.4) von Beschwörungstexten zwar Bezeichnungen, jedoch sind diese weniger als Termini für Textgattungen anzusehen, sondern verweisen häufig auf die Verwendung des Textes.1518 Die Kommentartexte hingegen besitzen in der Tafelunterschrift Eigenbezeichnungen, die womöglich auf die jeweilige Kommentar-Textsorte, wie sie sich im Layout (s. o.) widerspiegelt, verweisen.1519 Häufig werden die einzelnen Tafeln nur mit den sumerischen bzw. akkadischen Wörtern für Tontafel bezeichnet. Die Tafeln (wissenschaftlich-literarischen Inhalts) der Assurbanipal-Bibliothek waren ursprünglich – im Gegensatz zu mittelassyrischen Tafeln – größtenteils nicht gebrannt. Sie sind bei der Zerstörung der Gebäude sekundär gebrannt worden, was an der Verschiedenfarbigkeit der Fragmente größerer Tafeln erkennbar ist. Wie bereits deutlich wurde, besitzen die wissenschaftlich-literarischen Texte ein sehr strukturiertes Textbild, d. h. eine Gliederung der Tafeloberfläche, welches dem Leser das ‚Operieren‘ mit dem Text erleichtert. Neben Tafeln in neuassyrischen (z. B. die Auszugstafel K.57 und der Katalog K.1352) und neubabylonischen Zeichenformen und Duktus (wie die Omentafel K.45) sind aus der Bibliothek Assurbanipals zahlreiche Texte mit einer besonderen Ausprägung des neuassyrischen Duktus, dem sogenannten Assurbanipal-Duktus, bekannt, darunter größere ein-, zwei- und mehrkolumnige Tafeln, kleinere Auszugstafeln sowie Kommentartexte. Diese Manuskripte bilden die Grundlage folgender Ausführungen. Der Duktus, das spezifische Tafelbild, der verwendete feine Ton1520 und die diversen ‚Assurbanipal-Kolophone‘1521 legen für Ninive eine eigenständige Textproduktion bzw. das Kopieren von Texten nahe. Der Ton kann Einschlüsse kleine-

 Frahm (2011a) 33–36.  Lambert (2008).  Frahm (2011a) 41–58.  Reade (1986) 221 zu dessen Farbtönen. Bezold (1904) 264 sagt, dass der Ton der Tafeln der Kujundschik-Sammlung der feinste und der beste sein soll im Vergleich zu dem anderer Tontafeln der Sammlung des British Museum.  Hunger (1968) Nrn. 317–345.

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3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

rer Steinchen bis ca. 1 mm enthalten, aber auch größere sind keine Seltenheit.1522 Die Schrift ist stets zwischen 0,2 cm und 0,3 cm hoch, die Keile wirken wie ‚gedruckt‘. Die Ränder der Tafeln sind m. E. in der Regel nicht beschrieben. Im Gegensatz zu den längeren ‚Assurbanipal-Kolophonen‘ konnte der kurze ‚Assurbanipal-Kolophon‘ Typ a (KUR mdAN.ŠÁR-DÙ-A MAN ŠÚ kurAN.ŠÁRki ‚Palast des Assurbanipals, des Königs des Alls, des Königs des Landes Assur‘)1523 nachträglich angebracht werden. Er verwendet häufig breitere Keile als die übliche Schrift. Dies beschreibt Maximilian Streck im Jahre 1916 wie folgt: Was die eigentlichen Unterschriften anbetrifft, so hat man hier zu unterscheiden zwischen der kurzen Stempellegende (a) und den übrigen Unterschriften (b–w). Während letztere ganz den gleichen Duktus wie der durch sie signierte Haupttext der Tafeln zeigen d. h. eben vom Tafelschreiber selbst geschrieben sind, lehrt der sogen. Stempel durch seine viel kräftigeren und plumperen Züge, durch die er sich auf dem Original scharf von dem sonstigen Schriftcharakter der betreffenden Tafel abhebt ohne weiteres, daß er nicht von der Rohrfeder eines tupšarrus stammen kann, vielmehr mit einem solideren Instrument, offenbar durch den Eindruck eines hölzernen oder metallenen Schriftmodells hervorgebracht worden sein muß, ganz ähnlich wie die stereotypen Aufschriften babylonischer und assyrischer Backsteine vielfach mit besonderen Formstempeln erzeugt wurden.1524

In der Regel wurden nur Lehmziegel gestempelt,1525 dieser Kolophon nach heutigem Kenntnisstand jedoch nicht. Derselbe Text konnte in ein oder zwei Zeilen geschrieben sein. Der Kolophon wurde angebracht, nachdem der Ton zu trocknen begonnen hatte (K.251)1526 bzw. als der Ton schon trocken war (K.162), in drei Fällen wurde sogar Tinte verwendet (K.10100, K.11055+DT.273, K.6677).1527 Er konnte – wie auch bei Steininschriften üblich – eingraviert sein,1528 in anderen Fällen soll er nur grob eingeritzt sein.1529 Es werden archaisierende Zeichenformen verwendet (vgl. Kap. 1.2.3).1530 Die Art der Anbringung des ‚AssurbanipalKolophons a‘ verweist auf zwei Verwaltungsschritte bei der Anfertigung dieser

 So Jon Taylor, vgl. Schnitzlein (im Druck) Fn. 25. Siehe Kap. 1.2.1.  Hunger (1968) Nr. 317.  Streck (1916) LXXII.  Taylor (2011) 24.  Taylor (2011) 16. Für ein Foto von K.251 [https://cdli.ucla.edu/P382246].  Taylor/Cartwright (2011) 306. Für ein Foto von K.162 [https://cdli.ucla.edu/P345482]. Auf K.6677 wird bei Maul (1994) 255 verwiesen, für ein Foto [https://cdli.ucla.edu/P396725].  So zumindest bei den Manuskripten des Gilgameš-Epos mit diesem Kolophon, George (2003) 382.  Reade (1986) 220.  Dies ist nicht der Fall bei den wenigen Beispielen, bei denen der Kolophon nicht nachträglich angebracht wurde, wie zum Beispiel bei K.3692 [https://cdli.ucla.edu/P395174].

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Bibliothekstexte: zunächst die Niederschrift und dann die Kontrolle durch eine andere Person und das Einschreiben des Kolophons.1531 Auch die anderen Kolophone konnten von einer anderen Schreiberhand stammen wie Lieberman bemerkte: „When the colophon was inscribed with a stylus, it was sometimes inscribed in script of the same size and ductus as the rest of the text and sometimes it was written in a different hand, perhaps smaller or impressed more shallowly than the rest of the text.“1532 Vor dem Hintergrund der Größe des Assurbanipal-Bibliothekprojektes erscheinen verschiedene Verwaltungsschritte bei der Anfertigung der Manuskripte durchaus plausibel. 3.2.2.2.2 Format Bei den neuassyrischen Bibliothekstexten sind keine einheitlichen Maße betreffend der Größe – im Gegensatz zu den oben beschriebenen Textsorten der Alltagstexte – festzustellen.1533 Simo Parpola sieht einen Unterschied in der Verwendung von hoch- und querformatigen Tafeln in Ninive: Both tablet types are well known from the Ninevite archives. The horizontal format (uʾiltu) was used for notes, reports, receipts, and memoranda – in short for information primarily meant for immediate use, not for permanent storage. The vertical, multi-column format (ṭuppu) was used for treaties, census lists, balanced accounts and inventories of treasury, as well as for collections of all sorts, including royal decrees and ordinances, recipes etc. – in short, for documents specifically drawn up for archival storage and reference purposes.1534

Zwar sind die längeren mehrkolumnigen Bibliothekstexte in der Regel auf hochformatigen Tafeln niedergeschrieben, jedoch existieren (seltener) mehrkolumnige, querformatige Bibliothekstexte wie K.2252, die 11. Tafel des Gilgameš-Epos. Kleinere einkolumnige Tafeln konnten sowohl im Hochformat als auch im Querformat beschrieben sein. An Parpolas Einteilung kann folglich nicht festgehalten werden. Die Größe der Tafel ist nicht festgelegt, sondern abhängig vom jeweiligen Inhalt. Dennoch lassen sich bestimmte Eigenarten des Formats bei den Bibliothekstexten, die Assurbanipal direkt zugeordnet werden, konstatieren. Die Manuskripte sind in der Regel äußerst sorgfältig geformt. Ihre Vorderseiten sind flach und ihre Rückseiten leicht gewölbt. Der Durchmesser der Tafeln ist ca. 2–3,5 cm, abhängig von der Größe. Bei den zwischen 20 cm und 30 cm hohen hochformatigen Tafeln beträgt er zwischen 2,5 cm und 3,5 cm. Darüber hinaus gibt es auch einige kleinere und folglich ein wenig dünnere Tafeln (s. u.). Eine    

So George (2003) 383. Lieberman (1990) 317. Radner (1995) 63–65. Parpola (1997a) LIII.

352

3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

bekannte Ausnahme ist die fragmentarisch erhaltene Tafel K.2235, ein multābiltuText, mit einem Durchmesser von ca. 4 cm. Insgesamt ist der Tafeldurchmesser jedoch deutlich geringer als bei den vergleichbaren hethitischen Tafeln (s. Kap. 1.2.2). Die längeren Seiten der Tafeln bilden keine gerade Linie, sondern biegen sich zur Mitte der Tafel hin ein, z. B. bei K.116 (Tafel 12) und K.59. Die beiden kürzeren Ränder der Tafel – unabhängig von der Größe der Tafel und ob im Hoch- oder Querformat beschriftet – sind leicht gerundet. Der Übergang von der Tafeloberfläche zum kürzeren Rand hin ist leicht kantig in einer gerundeten Linie von einer Ecke zur anderen geformt. Eine solche Ausformung der Kante ist bei der längeren Seite nicht zu bemerken. Diese Form des Randes ist charakteristisch bei den schön gestalteten Bibliothekstexten (s. Kap. 1.2.2 und Tafel 9, 10, 11 und 12). Dies spricht dafür, dass die Tafel unabhängig davon geformt wurde, ob sie später im Hoch- bzw. im Querformat beschrieben wurde. Die größeren Tafeln sind meist Teil einer Manuskriptserie. Tafeln derselben Manuskriptserie können dieselben Maße aufweisen, wie z. B. K.71.b (BAM 575) und K.61 (BAM 578), die zweite und dritte Tafel der Serie Šumma amēlu suāla maruṣ. Möglicherweise war dies nicht immer der Fall. Aufgrund des Schriftbildes, der Art des Kolophons und der (Nicht-)Existenz von sogenannten Brennlöchern (vgl. Kap. 1.2.5 und Kap. 3.2.2.2.4) rekonstruiert Daniel Schwemer mehrere Sets für die Serie Maqlû, wobei sich die Abmessung der Tafeln eines Sets unterscheiden können.1535 Die Ränder der Bibliothekstexte sind m. E meist nicht beschriftet, obwohl mitunter das Zählzeichen und das Zeichen ‚Wenn‘ bei Omentexten (z. B. bei K.59 das Zeichen BAD) am linken Tafelrand stehen. Zu fragen ist, ob trotz des Fehlens von standardisierten Maßen dennoch ‚Regeln‘ diesbezüglich festzustellen sind. Das ästhetische Empfinden könnte ein bestimmtes Verhältnis der Seiten verlangen. Einige Überlegungen zu solchen Tafelverhältnissen werden hier angestellt; schlüssige Ergebnisse werden jedoch nicht präsentiert, da dies nur dann möglich ist, wenn ein größeres Konvolut von Tafeln der Bibliothek ausgewertet werden würde. Im Folgenden können somit lediglich Vorschläge für eine zukünftige Untersuchung unterbreitet werden. Hier werden nur die sorgfältig angefertigten, im neuassyrischen Duktus geschriebenen Tafeln einbezogen. Ein häufig vorkommendes Verhältnis von Höhe zur Breite bei hochformatigen Tafeln beträgt zwischen 1,54 bis 1,66 (s. Tab. 1). Dieses Verhältnis entspricht folglich annähernd demjenigen des Goldenen Schnittes mit einem Näherungswert von 1,618. Beim Goldenen Schnitt ist (a+b):a = a:b. In unserem Fall entspricht a+b der

 Schwemer (2017) 43–50. Für das Set, für welches vermerkt wurde, dass die Tafelgrößen unterschiedlich sind, vgl. ebd. 45.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

353

Höhe und a der Breite der Tafel. Der Näherungswert des Goldenen Schnittes ist wie erwähnt 1,618, also in etwa 8:5. So könnte man möglicherweise das Tafelformat dieser Manuskripte anachronistisch als ‚Goldene Rechtecke‘ bezeichnen. Hier werden nur Tafeln als Beispiele aufgelistet, deren Maße vollständig erhalten sind und die sich des ‚Assurbanipal-Duktus‘ bedienen. K.47, K.65 und K.156 besitzen ‚nur‘ ein ‚Assurbanipal-Kolophon a‘.1536 DT.1 (Tafel 11), K.61, K.71.b, K.2455 und K.49 besitzen einen längeren ‚Assurbanipal-Kolophon‘. Bei K.67 und K.110 ist das Manuskript an dieser Stelle abgebrochen. Der Textinhalt ist unterschiedlich, DT.1 ist bspw. der sogenannte babylonische Fürstenspiegel und K.47 eine Omentafel (Šumma ālu). Tab. 1: Goldener Schnitt. Kolumnenanzahl der Tafel

Museumsnummer Seitenverhältnis H: B

einkolumnig

Dt.

, cm: , cm ≈ ,

zweikolumnig

K.

 cm: , cm ≈ ,

dito

K.

 cm: , cm ≈ ,

dito

K.

, cm: , cm ≈ ,

dito

K.

, cm: , cm ≈ ,

dito

K..b

 cm: , cm ≈ ,

dito

K.

, cm:, ≈ ,

zweikolumnig mit je zwei Spalten pro Kolumne K.

, cm: , cm ≈ ,

dito

K.

, cm: , cm ≈ ,

dreikolumnig mit je drei Spalten pro Kolumne

K.

, cm: , cm ≈ ,

Auch kleinere sorgfältige Tafeln wie K.35 können ein solches Seitenverhältnis besitzen. K.35, ein Kommentartext mit einem längeren ‚Assurbanipal-Kolophon‘ (vgl. Kap. 2.2: mukallimtu Abb. 31), ist eine hochformatige Tafel mit den Maßen (H. x B. x Dm.) 12,1 cm x 7,3 cm x 2,2 cm. Dies trifft jedoch nicht auf alle hochformatigen Tafeln zu. Die vierkolumnige, hochformatige Tafel K.4149 (vgl. Kap. 1.2.4) besitzt die Maße 18,2 cm x 13 cm x 2,5 cm, ihr Verhältnis von H.: B. ist 1,4. Diese Abweichung könnte jedoch auch durch die Anzahl der Kolumnen (4) begründet

 Hunger (1968) Nr. 317.

354

3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

sein. Wesentlich größer ist jedoch das Verhältnis einer zweikolumnigen, hochformatigen Tafel mit je zwei Subkolumnen: K. 4386 (Antagal), H. 22,86 cm (unvollständig) x B. 11,82 cm. Einige Tafeln besitzen ein Seitenverhältnis von längerer zu kürzerer Seite von etwa 1,8, unabhängig von der Tafelgröße, der Kolumnenanzahl und ob es sich um ein Hochformat bzw. Querformat handelt. K.197 ist in zwei Doppelkolumnen beschrieben, hochformatig und besitzt die Maße 18,4 cm x 10,2 cm x 2,5 cm; das Verhältnis von H.:B. ist ca. 1,8. Die einkolumnige, hochformatige Tafel K.1284 besitzt die Maße 13,7 cm x 7,4 cm x 2,6 cm; ihr Verhältnis ist ca. 1,85. Anzuführen sind weiter zwei kleinere sorgfältig geformte einkolumnige, querformatige Tafeln, K.116 und K.1363, die beide ein Kolophon besitzen, in dem sich Assurbanipal seiner Schreibkunst rühmt.1537 Auf der Auszugstafel K.116 (Tafel 12) mit den Maßen B. x H. x Dm. 8,9 cm x 4,8 cm x 1,3 cm und einem Seitenverhältnis von 1,85 sind 12 Zeilen der Omenserie Šumma ālu niedergeschrieben. K.1363 besitzt die Maße 10,8 cm x 6 cm x 2,2 cm und das Seitenverhältnis 1,8. K.2166, eine einkolumnige, querformatige Auszugsstafel aus den physiognomischen Omina mit einem ‚Assurbanipal-Kolophon a‘, hat die Maße 11,25 cm x 6,2 cm x 2,15 cm und ein Seitenverhältnis von etwa 1,81. Tab. 2: Lange Tafeln. Museumsnummer

H. x B. x Dm.

Text

K.

 cm x , cm x , cm

Maqlû

K.

, cm x , cm x , cm

Niṣirti bārûti

K.

, cm x , cm x , cm

Šurpu

K.

, cm x , cm

Šuila

K.

 cm (unvollständig) x , cm x , cm

Emesal-Vokublar

K.

, cm x , cm

Eršaḫunga

K.

 cm x , cm x ca. , cm

Šuila

Darüber hinaus existieren Manuskripte, die wesentlich länglicher erscheinen (s. Tab. 2). Sie besitzen eine Breite von ungefähr 10 cm und eine Länge von über

 Hunger (1968) Nr. 319.  K.43 stellt die erste Tafel der Serie Maqlû dar. Nach Schwemer gehört diese Tafel zu einem Set, bei dem alle anderen Manuskripte zweikolumnig sind. Dies trifft auch auf ein weiteres von ihm rekonstruiertes Set aus Ninive zu, Schwemer (2017) 44–46.  Ulla Koch (2005) Nr. 65 listet ihn neben anderen Texten unter diesem Label auf.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

355

20 cm. Das Verhältnis von Höhe zu Breite beträgt 2:1 bzw. kann auch größer sein. Sie sind einkolumnig beschrieben. Ein vergleichbares Manuskript ist, den Fotos im BM-Katalog nach zu schließen, K.162 (‚Ištars Höllenfahrt‘) mit einem ‚Assurbanipal-Kolophon a‘. Diesen Kolophon weisen auch K.136 und K.171 auf. K.2861 hat einen Kolophon, der die Tafel Issār-šumu-ēreš, einem Oberschreiber Assurbanipals, zuweist,1540 so dass er nicht zur oben erwähnten Auswahl (s. o.) passt. Auch wirken hier die einzelnen Zeichen unterschiedlich groß und die Zeilen sind teilweise zu Beginn der Vorderseite nicht zu Ende geschrieben; es fehlt der Randausgleich. Jedoch ist bei diesen länglichen einkolumnigen Tafeln interessant, dass sie bis auf K.59 einen engen Zusammenhang zu den (bilingualen) Beschwörungen und Klageliedern bzw. Gebeten aufweisen. Eršaḫunga-Gebete, von denen der Großteil der bekannten Textvertreter aus Ninive stammt, sind in der Regel stets auf einkolumnigen Tafeln geschrieben, auf einer Tafel ist nur ein Gebet.1541 Das Tafelformat ist nicht nur für die Assurbanipal-Bibliothek spezifisch. Es trifft bspw. auch auf die aus dem 2. bis 1. Jahrhundert stammenden Balag-Texte1542 SBH 46 (VAT 245; 21,3 cm x 7,7 cm) und SBH 53 (VAT 153; 25,5 cm x 7,5 cm) zu. Wie Uri Gabbay feststellte, sind Emesal-Gebete des 1. Jahrtausends, zu denen er Eršaḫungas, Balags, Šuilas und Eršemmas zählt, häufig auf einkolumnigen Tafeln niedergeschrieben; zweikolumnige Texte sollen insbesondere in Ninive für die Tempelbibliothek bestimmt gewesen sein (vgl. Kap. 3.2.1.4).1543 Die Emesal-Texte gehören zum Repertoire des kalû.1544 Anne Löhnert bemerkte, dass der am häufigsten verwendete Tafeltyp für Einzelkompositionen von Emesal-Klageliedern in der altbabylonischen Zeit die einkolumnige, hochformatige Tafel mit einer Höhe von bis zu 20 cm und einer Breite von bis zu 7,5 cm war.1545 Wie bei den Beispielen der Biblio-

 Hunger (1968) Nr. 344.  Außer dass die Tafeln in der Regel einkolumnig sind, gibt Stefan Maul keine weiteren Auskünfte über das Tafelformat. Einige Hinweise zum Textlayout werden jedoch gegeben. Im Gegensatz zu den Balag- und Eršemma-Gebeten des 1. Jahrtausends erfolgt keine Trennung von Sinnabschnitten durch horizontale Striche. Im Schriftbild sind die Zeilen in zwei Halbversen, die syntaktischen Einheiten entsprechen, geteilt. Häufig ist jede zehnte sumerische Zeile mit dem Zeichen U ‚10‘ markiert; Maul (1988) 2f.  Cohen (1988).  Gabbay (2014) 5–9, 230f.  Gabbay (2014) 5–9.  Löhnert (2009) 33.

356

3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

thek des Assurbanipal bemerkt man auch hier einen engen Bezug zur Textgruppe der (bilingualen) Klagelieder und Beschwörungen. 3.2.2.2.3 Vorbereitung des Textlayouts Wie bereits oben bemerkt, wurde die Tafelgröße abhängig von der Länge des darauf zu schreibenden Textes ausgewählt. Daher erstaunt es nicht, dass schon vor dem Schreiben Linien gezogen worden sind, um das Textlayout festzulegen (vgl. Kap. 1.2.4). Horizontale Linien wurden in der Regel mit einem Griffel angebracht, längere vertikale Linien mit einer Schnur wie z. B. bei K.4386 (Tafel 43).1546 Bei den großen Referenztexten bzw. Bibliothekstexten wurde in der Regel nicht auf die Seitenränder der Tafel geschrieben, was bei anderen Texten wie der Hymne K.1290 (SAA 3 Nr. 3) durchaus vorkommen konnte. An der linken Seite der Tafel ist auf der Vorderseite und Rückseite jeweils eine vertikale Linie angebracht, auf die jeweils der erste Keil der Zeile gesetzt wurde; vgl. z. B. K.61 (Tafel 25a), K.65, K. 71 b (Tafel 25b), K.2455, K.4386. Die Tafeln konnten in Kolumnen unterteilt sein, die durch zwei bis drei vertikale Linien voneinander getrennt wurden. Auf die jeweils äußerte rechte Linie wurde dann schon der erste Keil der Zeile gesetzt. Der Abstand zwischen der linken und der äußersten rechten Kolumnenlinie beträgt 0,15 cm bis 0,5 cm. Wenn Subkolumnen vorkommen, können diese mit derselben Anzahl von Linien wie die Hauptkolumnen voneinander getrennt werden (z. B. K.156) oder es werden dort im Gegensatz zu den Hauptkolumnen nur zwei Linien verwendet wie bei K.110 und K.4386. Bei K.47 (Tafel 23) wurden erst mit einem Griffel Markierungen angebracht, um dann dort mit einer Schnur die entsprechenden Kolumnenlinien anzubringen. Vor dem Beschriften wurden auch diverse vertikale ‚schwach gezeichnete‘ Linien mit einer Schnur gesetzt, die festlegen, wo einzelne Keilschriftzeichen bzw. Sinneinheiten stehen (Tafel 43). Für kleinere strukturelle Einheiten wurden die vertikalen Linien womöglich mit dem Griffel gesetzt (Tafel 26a). Ähnliche Sinneinheiten und Zeichen wurden nämlich oft untereinander geschrieben. Bei Omen, Interlinearübersetzungen etc. wurden eingerückte Textzeilen verwendet, um zu markieren, dass die eingerückte Zeile zu der vorhergehenden Zeile gehört, z. B. beginnen die einzelnen Omina mit dem Zeichen DIŠ bzw. BAD. Um die eingerückten Zeilen direkt untereinander zu schreiben, wurde häufig eine vertikale Linie angebracht, auf die die ersten Keile der eingerückten Zeile gesetzt wurden, vgl. K.136 (Tafel 44). Häufig befinden sich innerhalb einer Zeile Freiflächen. Dieses Schriftbild war schon vor

 Gelegentlich kann die vertikale Linie auch mit dem Griffel angebracht sein, für Beispiele vgl. Kap. 3.2.1.3.2.

3.2 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ als epistemischer Ort

357

dem Anbringen der ersten Keile festgelegt, wie die diversen vertikalen Linien auf K.4386 (Tafel 26a und 43) zeigen. Auf diese vertikalen Linien wurden dann die Keile angebracht. Einzelne Sinneinheiten, Textabschnitte wurden durch einfache horizontale Linien voneinander getrennt. Vor dem Kolophon können diese verdoppelt sein. Auch sind bei einzelnen Tafeln horizontale Linien, auf die geschrieben wurde, wie bei K.2811 (Tafel 45a) erkennbar. Beim Kolophon von K.61 (Tafel 25a) sind noch schwach eingedrückte horizontale Linien zu erkennen, die zwischen den einzelnen Kolophon-Zeilen angebracht sind. Schwach eingedrückte Linien, insbesondere, wenn auf ihnen geschrieben wurde, sind nach der Anbringung der Schrift auf der fertigen Tafel nicht mehr zu erkennen und stellen wahrscheinlich ein gebräuchliches Vorbereitungsmittel des Textlayouts dar. 3.2.2.2.4 Einfügen von Löchern nach dem Beschriften Einige Bibliothekstexte weisen sorgfältig gesetzte runde Löcher auf; auf der jeweiligen Tafel besitzen alle Löcher in etwa denselben Durchmesser oder es gibt zwei Varianten von Löchern, was davon zeugt, dass ein bzw. zwei Instrumente zum Setzen der Löcher verwendet wurden. Die Löcher wurden nach dem Beschriften in den noch feuchten Ton an unbeschriftete Stellen eingedrückt. Teilweise können sie einen lang gezogenen, horizontalen Keil schneiden. Bei dem neuassyrischen Tafelfragment K.2235 (Tafel 19) ist aufgrund des Erhaltungszustands die Tiefe der Löcher teilweise sichtbar. Die Tafel ist mit ca. 4 cm verhältnismäßig dick. Die Löcher auf der Vorder- und Rückseite sind ca. 2 cm tief eingedrückt, diejenigen vom linken und rechten Seitenrand bis zu 5,6 cm (Tafel 45b). Bei einigen Tafeln sind die Löcher systematisch, wie bereits bei der ‚Tablet Carré‘ (s. Kap. 1.2.5) bemerkt, gesetzt. Sie befinden sich in gleichmäßigen Abständen in den Rändern und zwischen den Kolophonlinien des jeweiligen ‚AssurbanipalKolophons‘ sowie innerhalb des Textes, vgl. die einkolumnigen Tafeln DT.1, K.43, K.59 und die mir nur von Fotos bekannten Tafeln K.44, K.2130 und K.4874. Wenn mehrere Kolumnen vorhanden sind, tauchen zusätzlich zwischen den Trennlinien dieser Kolumnen in regelmäßigen Abständen Löcher auf, z. B. bei K.39, K.110 und K.2235, jedoch anscheinend nicht – falls vorhanden – zwischen Subkolumnentrennlinien, vgl. K.110 und K.39. Meist haben die Löcher im Rand einen größeren Durchmesser als diejenigen auf der Vorder- und Rückseite der Tafel, z. B. K.39, K.43, K.59, K.110 und K.2130. Bei K.110 und K.43 ist z. B. der durchschnittliche Durchmesser der Löcher in der Vorder- und Rückseite ca. 0,2 cm, in den Rändern hingegen 0,3 cm. Die Löcher in der Tafel spiegeln das Tafellayout wider und könnten daher aus ästhetischen Überlegungen gesetzt sein. Vielleicht sind solche Tafeln einem

358

3 Die ‚Bibliothek Assurbanipals‘

spezifischen Skriptorium zuzurechnen.1547 Möglicherweise ist in dem Zusammenhang noch von Bedeutung, dass außer bei K.44 und K.110, bei denen der Kolophon nicht erhalten ist, alle von mir oben angeführten Tafeln einen mehrere Zeilen umfassenden ‚Assurbanipal-Kolophon‘ enthalten (also nicht der ‚Assurbanipal-Kolophon a‘1548). Einige Tafeln besitzen nur wenige Löcher. Bei K.4386 befinden sich diese vereinzelt auf der Vorder- und Rückseite sowie am linken Tafelrand. Bei K.47 sind die Löcher nur innerhalb der Kolumnentrennlinie angebracht. Bei K.270 befinden sich vereinzelte Löcher innerhalb des Textbildes. Die zur selben Manuskriptserie zu rechnenden Tafeln K.71.b (BAM 575) und K.61 (BAM 578) besitzen nur zwei Löcher (K.71.b) bzw. einige wenige Löcher auf der Vorder- und Rückseite (K.61). Vereinzelte Löcher kommen sowohl bei Tafeln mit dem ‚Assurbanipal-Kolophon a‘, z. B. K.47, wie auch bei den anderen ‚Assurbanipal-Kolophonen‘, z. B. ‚Assurbanipal-Kolophon q‘1549 bei K.61 und K.71.b, vor.

 Dieser Vorschlag ist Markham J. Geller zuzurechnen, Gespräch vom 22.11.2011.  Hunger (1968) Nr. 317.  Hunger (1968) Nr. 329.

4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit Im 1. Jahrtausend wurden im Vorderen Orient diverse Schriften zur Fixierung verschiedener Sprachen parallel gebraucht. Bei der Beschreibung einer Schrift ist zwischen deren „materiellen Grundlegung“ und dem „überwiegend wirksame[n] strukturelle[n] Prinzip“ zu unterscheiden.1550 Es wurden verschiedene Schriften mit der materiellen Grundlegung Keilschrift gebraucht. Dabei gibt es unterschiedlich wirksame strukturelle Prinzipien. Das Wort Alphabet benennt bspw. das strukturelle Prinzip einer Schrift. Dieses Prinzip kann sowohl in Keilschrift als auch in Linearschrift umgesetzt werden. Mit einer spezifischen Schrift kann eine bzw. können mehrere Sprachen realisiert werden.1551 Dieses Kapitel hat die Mehrschriftigkeit und inhärente Mehrsprachigkeit innerhalb der Keilschriftkoine zum Thema, wobei der Schwerpunkt auf erhaltene mehrschriftige Artefakte, Zeugnisse von verschiedenen Schriften aus demselben Fundort und schriftliche Hinweise auf den Gebrauch verschiedener Schriften liegt.1552 Es werden die Schriften beschrieben, welche Kontakt zur sumero-akkadischen Keilschrift hatten.1553 Aufgrund des verwendeten Be-

 Cancik-Kirschbaum (2012b) 104 Fn. 8.  Cancik-Kirschbaum (2012b) 104 Fn. 8.  Welche Sprachen zudem gesprochen wurden und inwieweit die niedergeschriebene Sprache zum Zeitpunkt ihrer Verschriftlichung lebendig war, d. h. es Muttersprachler gab, interessiert in diesem Zusammenhang nur marginal. Auch auf den Sprachkontakt, d. h. die gegenseitige Beeinflussung verschiedener Sprachen, wie sie z. B. durch Lehnwörter sichtbar ist, muss im Rahmen der vorliegenden Fragestellung nicht näher eingegangen werden.  Als sumero-akkadische Keilschrift wird im Folgenden diejenige Keilschrift verstanden, die im 2. und 1. Jahrtausend zur Wiedergabe des Akkadischen und Sumerischen verwendet wird. Das Akkadische ist wie das heutige Arabische eine semitische Sprache. Das Sumerische ist eine agglutierende Sprache und gehört keiner bekannten Sprachfamilie an. Im 1. Jahrtausend wird das Sumerische nicht mehr gesprochen, aber noch gelehrt. So gibt es zweisprachige (AkkadischSumerisch) lexikalische Listen und zweisprachige Traditionstexte wie Beschwörungen und Klagelieder. Nach dem MZL2 (Borger [2010]) sind über 900 verschiedene Keilschriftzeichen belegt. Im 2. und 1. Jahrtausend wurden ca. 600 selbstständige Zeichen gebraucht, s. Krebernik/Nissen (1994) 276. Die jeweils gebrauchten Zeichen und ihre Anzahl variieren abhängig von der jeweiligen Zeitstufe und der Art des Textes. Das strukturelle Prinzip der sumero-akkadischen Keilschrift ist syllabo-logografisch. Es gibt Syllabogramme, Logogramme, Zahlzeichen und Determinative, s. Krebernik/Nissen (1994) 277 f. Die Zeichen sind polyvalent, d. h., sie können für mehrere Syllabogramme, Logogramme und Determinative stehen. Verschiedene Zeichen können denselben Lautwert besitzen, sie sind also homophon. Für die Zeichen und deren angesetzte Lesungen vgl. MZL2. In einem akkadischen Text sind die Logogramme Sumerogramme, d. h. sumerische Wörter bzw. Ausdrücke. Die Anzahl der verwendeten Logogramme, Syllabogramme und Determinative variiert je nach der Art des Textes. In einem Beispiel der Annalen des neuassyrischen https://doi.org/10.1515/9781501511912-005

360

4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

schreibstoffes Ton und der Technik des Eindrückens haben sich zahlreiche Keilschriftträger erhalten (s. Kap. 1). Die geringe Überlieferungsdichte von Schriften, die überwiegend nicht in Ton eingedrückt bzw. geritzt wurden, wird mit deren bevorzugten Schreibmaterialien und der Schreibtechnik in Verbindung gebracht. Daher werden im ersten Unterkapitel die Hinweise auf nicht mehr erhaltene Trägermedien besprochen. Im 1. Jahrtausend wurde nicht nur in Mesopotamien geschrieben. Die umliegenden Schrifträume, die Verbindung zur akkadischen Keilschriftkoine hatten, werden im zweiten Unterkapitel erörtert. Im assyrischen Reich wurde neben der akkadischen Keilschrift und Sprache in der Verwaltung die aramäische Linearschrift und Sprache gebraucht, dies ist Thema des dritten Unterkapitels. Im vierten Unterkapitel wird die Verwendung der aramäischen und griechischen Linearschrift in Babylonien behandelt.

4.1 Vergängliche Beschreibstoffe und Techniken Verschiedenste Trägermedien sind aus dem 1. Jahrtausend bekannt. Sie bestehen u. a. aus Ton, Stein, Holz, Papyrus, Leder, Pergament und Metall. Die klimatischen Bedingungen beeinflussen, ob sich Schriftzeugnisse im archäologischen Befund erhalten. Im Folgenden wird auf die leicht vergänglichen Materialien eingegangen. Ton wurde einbezogen, da die Tintenbeschriftung verloren gehen kann. Hinweise auf vergängliche Trägermedien stützen die These, dass neben den erhaltenen Keilschriftartefakten den zahlenmäßig unterrepräsentierten Schriftzeugnissen in anderen Schriften eine äußerst große Bedeutung zukam. Auch für die Keilschrift wurden vergängliche Beschreibstoffe verwendet, so dass auch ein Teil dieser Dokumentation unwiederbringlich verloren ist.

Herrschers Sargon II. (722–705) sind 85,6% der Zeichen Syllabogramme, 6,7% Sumerogramme und 7,6% Determinative, vgl. Civil (1973) 26. Bei anderen Texten in sumero-akkadischer Keilschrift mit der Schriftsprache Akkadisch kann die Anzahl der Logogramme nach Civil (1973) 26 durchaus höher liegen: „Akkadian administrative and legal texts have, not surprisingly, a larger proportion of logograms (30%, for instance, is a typical figure for a Seleucid document). Omina, medical manuals, and similar technical, repetitious texts with probable esoteric tendencies, have a much higher number of logograms: 84% in a typical tablet of šumma ālu. In any case, a high ration of M-graphemes is a secondary development in Akkadian.“ Mit dem „M“ in dem Wort „M-graphemes“ bezeichnet Civil die morpholexikalische Ebene. Die Verwendung zahlreicher Sumerogramme ist insbesondere ein Phänomen des 1. Jahrtausends. Die hohe Anzahl von verwendeten Logogrammen in wissenschaftlichen Texten legt nahe, von einer Fachsprache und Fachschrift zu sprechen, s. Kap. 1.1.3.

4.1 Vergängliche Beschreibstoffe und Techniken

361

4.1.1 Ton Ton ist das Material, woraus wohl die meisten Schriftträger der Keilschrift und der durch sie wiedergegebenen Sprachen bestehen. Die äußere Gestaltung von Tontafeln und die verwendete Schreibtechnik wurden im ersten Kapitel behandelt. Neben Tontafeln wurden weitere Trägermedien wie Tonprismen und -zylinder1554 verwendet. Zudem befinden sich Beischriften auf Ziegeln, Gefäßen, apotropäischen Figuren und anderen Objekten. Neben dem Eindrücken von Keilen in den noch feuchten Ton konnten Keilschriftzeichen in den Ton gestempelt, eingraviert und auf den Ton gemalt werden: Ab der altakkadischen Zeit (Ende des 3. Jahrtausends) wurden Königsinschriften auf Ziegeln gestempelt. Ein Druck der ganzen Inschrift wie auch ein Druck mit beweglichen Lettern treten auf.1555 In einigen Fällen wurde nach dem Trocknen bzw. bei trocknendem Ton Keilschriftzeichen eingraviert, z. B. teilweise bei dem ‚Assurbanipal-Kolophon a‘ der ‚Bibliothek Assurbanipals‘ (vgl. Kap. 3.2.2.2).1556 Einige Tontafeln besitzen neben eingedrückten Keilschriftzeichen auch solche, die mit Tinte aufgemalt wurden.1557 Das ‚Assurbanipal-Kolophon a‘ konnte auch aufgepinselt sein (vgl. Kap. 3.2.2.2). Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden verschiedene Schriftzeugnisse der Linearschrift besprochen. Diese treten überwiegend in Form von Steininschriften und tönernen Schriftzeugnissen auf. Bei den sogenannten Graeco-Babyloniaca (vgl. Kap. 4.4.3) handelt es sich um Tontafeln mit eingeritzten griechischen Buchstaben. Die Zeichen der aramäischen Linearschrift wurden gestempelt, eingedrückt, geritzt und bzw. oder aufgepinselt.1558 Nur sehr leicht eingeritzte aramäische Zeichen weisen teilweise noch Spuren von Tinte auf.1559 Bezeugt als Schriftträger für diese Linearschrift sind Tontafeln, Tonbullen, Ziegel und  Vgl. zur Diskussion dieser Schriftträger Taylor (2018).  S. Marzahn (2004) 84–86 und Sass/Marzahn (2010) 10 f. Für die Verwendung von beweglichen Lettern s. Schroeder (1922) 157–161, Sass/Marzahn (2010) 11, 20 Nr. 2, 160.  So nach Philippe Clancier auch bei einer Tafel aus der Sultantepe/Ḫuzirina, SU51/107 = STT 1 Nr. 56, s. Clancier (2009) 241 Fn. 1030.  Vgl. Taylor (2011) 16 f.  S. allgemein zur Schreibtechnik der aramäischen Beischriften bei neuassyrischen, babylonischen und elamischen Texten Azzoni/Stolper (2015) 3 f. Vgl. für die Anbringungsweise von aramäischen Schriftzeichen auf tönernen Schriftträgern der neuassyrischen Zeit u. a. Röllig in Radner (2002), Röllig (2005) 123, Röllig (2014), Fügert/Rohde (2018) 104 und 126–129 sowie Fales (2007a) 103, (2007b) 150–159. Vgl. für die Anbringung der aramäischen Beischriften auf Tontafeln der neubabylonischen und achämenidischen Zeit Sonnevelt (2016) 9–11. Für die verwendeten Schreibtechniken bei den monolingualen aramäischen Texten aus dem sogenannten Persepolis Fortification Archive, s. Azzoni (2017) 456. Die aramäischen Stempelabdrücke aus dem Babylon des 6. Jahrhunderts finden sich bei Sass/Marzahn (2010).  Fales (2007a) 103, (2007b) 152 sowie Sonnevelt (2016) 10 f.

362

4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

Ostraka. Mit Tinte beschriftete Ostraka sind jedoch nur vereinzelt anzutreffen. Eine größere Anzahl beschriebener Ostraka sind allerdings aus dem zeitgleichen Ägypten1560 und der Levante1561 bekannt. Die in Ägypten hierfür verwendete Tinte ist schwarze Rußtinte mit Bindung aus Gummi arabicum. Daneben wird aus gebranntem Ocker hergestellte rote Tinte gebraucht.1562 Vereinzelt sind auch Hieroglyphen und andere Schriften auf Ton bekannt (s. u.). Der geringe Bestand an Tinteninschriften hängt womöglich mit der Vergänglichkeit der Tinteninschriften sowie mit dem Fundzufall zusammen. Aufgrund der klimatischen Bedingungen und diverser anderer Faktoren der Lagerung wie dem Ansteigen des Wasserspiegels ist die Haltbarkeit der aufgemalten Tintenzeichen nicht mit der in den Ton eingedrückten bzw. eingeritzten Zeichen zu vergleichen. Nach dem Fund der Artefakte mindern bzw. minderten die angewandten Reinigungstechniken den Bestand. Eine der Hauptfundgattungen von Grabungen ist Keramik. Vielfach werden Bauchscherben von Gefäßen auf Grabungen aussortiert. Das Abbürsten und das Waschen der restlichen Scherben trägt dazu bei, dass erhaltene Spuren von Schriftzeichen vernichtet werden.1563 Auch die weitere Aufbewahrung der Fundstücke kann zur Zerstörung der Tinteninschriften führen. So können aufgrund der Luftfeuchtigkeit die wasserlöslichen Tintenbeischriften auf Tontafeln innerhalb einiger Monate verblassen und gänzlich verschwinden.1564 Konservierungstechniken wie das Brennen von Tontafeln sind womöglich ungünstig für den Erhalt der Tinteninschriften.

 Vgl. Porten/Yardeni (1999) und Lozachmeur (2006). S. ferner Porten/Yardeni (1986), (1989) und (1993) für weitere aramäischen Textzeugnisse aus Ägypten.  Vgl. hierzu die über 1900 Ostraka aus Idumea (Süd-Palästina), die in die zweite Hälfte des 4. Jahrhundert bis in die erste Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. datieren; etwa 700 Ostraka wurden bisher publiziert, s. Vainstub/Fabian (2015) 207 f., insbesondere Fn. 4 für Literaturangaben zu den bisher publizierten Texten. Der erste, zweite, dritte und vierte Band einer Gesamtpublikation sind inzwischen erschienen, s. Porten/Yardeni (2014), Porten/Yardeni (2016), Porten/Yardeni (2018) und Porten/Yardeni (2020). Der Großteil der Ostraka stammen aus dem Kunsthandel, eine Ausnahme ist ein Ostrakon aus Ḥorvat Naḥal Yatir, s. Vainstub/ Fabian (2015). Für eine Diskussion des Befunds mit Schwerpunkt auf dem 4. Jahrhundert siehe Lemaire (2017).  Vgl. Quack (2005) 249 mit Literaturhinweisen, s. auch Ast/Jördens/Quack/Sarri (2015) 310 f.  Nach Wolfgang Röllig wurde in den letzten Jahrzehnten bei Grabungen verstärkt darauf geachtet, ob sich unter den Gefäßscherben auch Ostraka befanden, dennoch wurde keine größere Anzahl gefunden, vgl. Röllig (2005) 122. Allerdings ist Karen Radner der Meinung, dass diese meist nicht rechtzeitig vor der Reinigung erkannt werden, Radner (2014) 85 f. und Radner (2021) 173 f.  Radner (2014) 225 Endnote 103. S. auch Radner (2021) 170 f.

4.1 Vergängliche Beschreibstoffe und Techniken

363

4.1.2 Holz Verwaltungstexte, wissenschaftlich-literarische Texte und seltener Briefe und Urkunden wurden – wie schriftliche und bildliche Quellen zeigen – auf wachsbeschichtete (Holz-)Tafeln (Diptychen, Polyptychen) geschrieben (vgl. Kap. 2.1 zu den Darstellungen und Kap. 2.2 bei den Begriffen lēʾu und daltu). Dafür wurden die sumero-akkadische Keilschrift sowie ein Keilschriftgriffel benutzt. Die entsprechenden Schriftartefakte sind äußerst selten erhalten. Der Gebrauch von Holztafeln ist nicht auf die sumero-akkadische Keilschrift beschränkt. So erwähnt ein urartäischer administrativer Text 30 GIŠZU-le-e ‚30 wachsbeschichtete Holztafeln‘.1565 In Anbetracht der wenigen urartäischen Tontafelfunde ist dies eine auffallend hohe Zahl (vgl. Kap. 4.2.2). Auf einer späthethitischen Stele aus Maraş ist eine Beischrift in luwischen Hieroglyphen angebracht. Das dargestellte Diptychon und der Schreibgriffel repräsentieren folglich Schreibutensilien für luwische Hieroglyphen. Bei dem Diptychon handelt es sich vermutlich um wachsbeschichtete Holztafeln (für weitere Angaben vgl. Kap. 2.1.2). Auf dem sogenannten Schreiberorthostat des Königs Barrākib, das eine aramäische Inschrift trägt, hält eine Person eine zusammengeklappte Schreibtafel und eine Schreiberpalette ägyptischer Art. Für das Diptychon kommen sowohl glatte als auch geweißte Holztafeln in Frage (vgl. Kap. 2.1.2). Die aus dem Ägypten des 2. Jahrtausends bekannten Holztafeln sind mit einem Stucküberzug versehen. Hingegen wurde im 1. Jahrtausend die glatte Holzoberfläche beschriftet.1566 Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass wachsbeschichtete Holztafeln in Form einzelner Tafeln oder auch als Diptychon ein verbreitetes Trägermedium für jede Art von Text in der griechisch-römischen Antike gewesen sind. Die Tafeln konnten auch aus den Materialien Metall und Elfenbein hergestellt werden.1567 Daneben sind – insbesondere aus Athen – mit Gips bedeckte Tafeln bekannt.1568

 CT Kb-7 Vs. Z. 9, s. Salvini (2012) 139.  In älterer Zeit, d. h. vor allem im mittleren Reich und der 18. Dynastie, wurden Tafeln mit Stucküberzug und in der Spätzeit glatte Holztafeln verwendet, jedoch war der Gebrauch von Holztafeln nicht sehr häufig vgl. Quack (2005) 248 f.; s. auch Berkes/Giele/Ott (2015) 384. Zwei Beispiele sind die an den Beginn des zweiten Jahrtausends zu datierenden Holztafeln (Nrn. 25367 und 25368), die sich heute im ägyptischen Museum in Kairo befinden. Sie sind mit einem Gipsputz versehen und poliert; der Text ist in der hieratischen Schrift aufgemalt, vgl. Vymazalová (2002). Für weitere Angaben siehe auch Steinkeller (2004) 75 Fn. 16.  S. Hultsch (1903) und Hurschmann (2001). Vgl. auch allgemein zum Gebrauch von wachsbeschichteten (Holz-)Tafeln in non-typografischen Gesellschaften Jördens/Ott/Ast (2015).  Hurschmann (2001) 230. S. ferner für Holz als Beschreibstoff in non-typografischen Gesellschaften Berkes/Giele/Ott (2015). Eine Übersicht der erhaltenen in griechisch, koptisch, de-

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

Abgesehen von den Holztafeln waren weitere Objekte aus Holz beschriftet. In der Khalili-Sammlung befinden sich 18 mit aramäischer Linearschrift versehene Holzstöckchen. Zusätzlich zu der jeweils kurzen Tinteninschrift weisen die Stöckchen zahlreiche Einkerbungen auf. Die Artefakte stammen ursprünglich aus Baktrien und datieren ins 4. Jahrhundert.1569 Als Schreibmedium für altsüdarabische Alltags- und Schultexte wurden von Beginn des 1. Jahrtausends an für ca. 1500 Jahre Holzstäbchen verwendet.1570 Die einzelnen Buchstaben wurden mit einem Schreibgriffel, dessen Spitze aus Metall bestand, insbesondere in frisch geschnittene Palmblattrippen, aber auch frisch geschnittene und geschälte Holzzweige, eingeritzt (bzw. eingedrückt).1571 Aus Mesopotamien sind bisher keine beschrifteten Holzstäbchen bekannt.

4.1.3 Papyrus und Leder bzw. Pergament Erhaltende Dokumente, schriftliche Belege, Darstellungen und Tonbullen verweisen auf die Existenz von Papyrus- und Leder- bzw. ab dem 3. Jahrhundert Pergamentdokumenten. Nach JoAnn Scurlock waren in Mesopotamien drei verschiedene Techniken bekannt, um Leder herzustellen: Sämischgerben (Fettgerben), Weißgerben (Alaungerben) und pflanzliches Gerben.1572 Für die Herstellung von Pergament wird die noch feuchte, gereinigte, enthaarte und gekalkte Tierhaut im gespannten Zustand getrocknet.1573 Da in einigen Fällen nicht geklärt werden kann, ob es sich um Papyrus oder Leder bzw. Pergament handelt, werden die entsprechenden Hinweise im Folgenden zusammen betrachtet. Die Bedeutung von Schriftrollen für die Verwaltung des assyrischen Reichs zeigen die zahlreichen Abbildungen, die im Kapitel 2.1.3 besprochen werden. Da das Rohmaterial für Papyrus nicht in Mesopotamien wächst, ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um Leder handelt.

motisch und lateinisch beschrifteten Schreibtafeln der klassischen Antike – sowohl mit Wachs beschichtet als nicht mit Wachs beschichtet – findet sich bei Worp (2012).  Vgl. für die Edition dieser Texte, Fotografien und weiterer Angaben Naveh/Shaked (2012).  Mehrere tausend Exemplare sind bekannt; darunter befinden sich allerdings zahlreiche Fälschungen. Für Editionen der Texte und weiterer Erläuterungen s. Stein (2010), Maraqten (2014) sowie Drewes/Ryckmans (2016).  Maraqten (2014) 25–30 und Stein (2010) 24–26.  Scurlock (2008). Nach Carol van Driel-Murray (2000) und ihr folgend Andrea Jördens, Sarah Kiyanrad und Joachim Friedrich Quack soll in Ägypten und Mesopotamien das Gerben vor den Römern nicht bekannt gewesen bzw. die Technik nicht angewandt worden sein, vgl. van Driel-Murray (2000) und Jördens/Kiyanrad/Quack (2015) 323.  S. allgemein für die Verarbeitung von Tierhäuten zu Leder und Pergament Reed (1972).

4.1 Vergängliche Beschreibstoffe und Techniken

365

4.1.3.1 Erhaltene Schriftstücke Ein Postsack mit 14–15 auf Leder geschriebenen aramäischen Briefen (und Fragmenten) und acht plombenförmigen Tonbullen – sieben mit einem Rollsiegel und eine mit einem Stempelsiegel gesiegelt – datiert in die Mitte des 5. Jahrhunderts.1574 Er stammt aus dem ägyptischen Kunsthandel.1575 An der Unterseite der Tonbullen lassen sich Reste einer Schnur bzw. Schnurabdrücke erkennen.1576 Die Verschnürung war ursprünglich um die Lederrollen herum angebracht. Aufgrund der Bruchkanten ist davon auszugehen, dass die Lederdokumente erst parallel zur Schriftseite gerollt wurden, dann vertikal in der Mitte gefaltet und schließlich die beiden Enden eingefaltet wurden. Anschließend wurden die Dokumente verschnürt und gesiegelt.1577 Der Inhalt der Briefe und die Verwendung von Rollsiegeln legen nahe, dass sie von Aršam/Arsames von Babylon nach Ägypten geschickt wurden, möglicherweise kommen sie auch aus Susa.1578 Aršam/Arsames war ein persischer Prinz, der in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts Satrap von Ägypten war und in Babylonien Ländereien besaß.1579 Die meisten der Briefe tragen eine Anschrift und daneben in kleineren Buchstaben eine Zusammenfassung des Inhalts. Vergleichbar den aramäischen Beischriften auf keilschriftlichen Tontafeln besitzen zwei Briefe eine demotische.1580 Die aus Ägypten bekannten aramäischen Texte aus der Zeit der Achämeniden sind in der Regel auf Papyri niedergeschrieben.1581 Dies trifft auch auf Schriftzeugnisse aus Israel/Palästina zu: Fragmente von Papyrusdokumenten und Tonbullen aus dem Wadi Daliyeh datieren in das 4. Jahrhundert v. Chr.1582 Neben den oben erwähnten Holzstöckchen befinden sich in der Khalili-Sammlung aramäischsprachige und -schriftige Schriftstücke aus Leder. Es handelt sich hierbei um 30 Briefe und administrative Texte, die – mit Ausnahme eines Briefes, der aus dem Ende des 5. Jahrhunderts stammt – ins 4. Jahrhundert datieren. Aufgrund der

 Die Datierung folgt Quack (2016).  Vgl. die Textpublikationen von Driver (1954) und (1965), s. ferner Whitehead (1974) und Porten/Yardeni (1986) = TADAE 1 93–129, nach dem die Texte meist zitiert werden. Für neuere Literatur zu diesen Briefen vergleiche u. a. Schwiderski (2000) und Lindenberger (2003).  Vgl. Driver (1954) Taf. 23.  Whitehead (1974) 13 f.  Driver (1954) 5 f., (1965) 10–12 und Stolper (1985a) 53.  Er ist nicht nur aus diesen Briefen bekannt, sondern auch aus keilschriftlichen Texten aus dem Murašû-Archiv in Nippur, s. Stolper (1985a) 64–66.  Millard (2003) 234.  Jedoch sind bereits aus dem 2. Jahrtausend Lederdokumente erhalten, vgl. Driver (1954) 1.  Für die Funde aus dem Wadi Daliyeh s. Leith (1997), Dušek (2007) und Gurwin/Goren/ Lipschits (2015). Die ältesten bekannten Dokumente, zwei Papyrusfragmente aus dem Wadi Murabbʾāt, datieren ins 7. Jahrhundert, so Ast/Jördens/Quack/Sarri (2015) 309.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

Angaben innerhalb der Texte konnte als Herkunftsort die achämenidische Satrapie Baktrien bestimmt werden.1583 Eines der Lederdokumente ist mit Siegelung erhalten. Es wurde wie die Arsames-Korrespondenz parallel der längeren Seite und des Schriftverlaufes gerollt (bzw. eingefaltet), flach gedrückt und anschließend entlang der kürzeren Seite gefaltet, verschnürt und versiegelt.1584 Am Rande sei angemerkt, dass aus späterer Zeit Dokumente aus Leder bzw. Pergament und Papyrus bekannt sind, die die weite Verbreitung dieser Schreibmaterialien im Vorderen Orient für verschiedene Alphabetschriften und Inhalte bezeugen. In Dura-Europos, einer seleukidischen Neugründung, die am Westufer des Euphrat im heutigen Syrien liegt, wurden 155 Dokumente aus Papyri, Pergament, Leder und in einem Fall ein Fragment einer wachsbeschichteten Holztafel geborgen. Sie datieren in die seleukidische, parthische und römische Zeit (2. Jahrhundert v. Chr. – 3. Jahrhundert n. Chr.). Die dabei verwendeten Sprachen sind Griechisch, Latein und in wenigen Fällen Aramäisch, Syrisch, Parthisch oder Mittelpersisch. Papyrus tritt hier als Beschreibstoff erst bei den Texten aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. auf.1585 Zwischen 1947 und 1956 wurden in 11 Höhlen in der Nähe der Siedlung Khirbit Qumran im Westjordanland, zwei Kilometer entfernt vom Toten Meer, Fragmente von mehreren hundert Schriftrollen, den sogenannten Schriftrollen vom Toten Meer, ausgegraben. Sie bestehen zum größten Teil aus Pergament bzw. Leder, aber auch Papyrus und in einem Fall Kupferblech werden als Beschreibstoffe verwendet. Die Texte sind hebräisch, aramäisch und selten griechisch beschriftet und datieren vom 3. Jahrhundert v. Chr. bis ins 1. Jahrhundert n. Chr.1586 In Kūh-e Sālān, in der Nähe von Šār-e Owrāmān in Avroman, einem hügeligen Gebiet an der Westgrenze des persischen Kurdistan, wurden drei Lederdokumente gefunden. Die zwei aus dem 1. Jahrhundert stam-

 Vgl. für die Edition dieser Texte, zahlreiche Fotografien und weitere Angaben Naveh/ Shaked (2012).  S. Naveh/Shaked (2012) C2 185–191 (mit mehreren Farbfotografien). Auf die Art der Verschnürung habe ich aufgrund der Fotografien geschlossen.  Vgl. Welles/Fink/Gilliam (1959). Bei den Dokumenten Nr. 17 und Nr. 131 wird jeweils angegeben, dass sie aus Leder sind, Welles/Fink/Gilliam (1959) 93 und 405. Daher vermuten Jördens, Kiyanrad und Quack, dass auch weitere der als Pergamentdokumente bezeichneten Texte aus Leder sind, Jördens/Kiyanrad/Quack (2015) 329 Fn. 31.  Vgl. zur Forschungsgeschichte Collins (2013), für eine Diskussion des Forschungsstandes s. den Sammelband Lim/Collins (2012), jeweils mit weiterführender Literatur. Es ist nicht eindeutig geklärt, ob es sich um Pergament- oder Lederdokumente handelt. Die Tierhaut wurde wohl ausgespannt, getrocknet und dann gegerbt s. Tov (2004) 34, vgl. auch Jördens/ Kiyanrad/Quack (2015) 323 und 329; beides Mal wird der Begriff Leder präferiert. Nach der Untersuchung einiger Fragmente der Schøyen Collection ist jedoch zu schließen, dass diese aus Pergament sind, s. Elgvin (2016).

4.1 Vergängliche Beschreibstoffe und Techniken

367

menden Dokumente sind griechisch beschrieben, wobei eines der beiden Dokumente eine parthische Beischrift besitzt. Das Dritte ist parthisch beschriftet und stammt aus dem 1. Jahrhundert n. Chr.1587 4.1.3.2 Gesiegelte Tonbullen als Hinweis auf Schriftrollen Gesiegelte Tonbullen sind Tonklumpen, die mit Schnüren an Gefäßen etc. befestigt wurden. Teilweise sind sie beschriftet.1588 Bei manchen dieser Objekte aus dem 1. Jahrtausend wird angenommen, dass sie an Schriftrollen angebracht waren. Aus der neuassyrischen Zeit sind über 200 (s. Kap. 4.3.1) gesiegelte und mit aramäischer Linearschrift beschriftete, annährend dreieckige Tonbullen bekannt. Daneben gibt es ca. 75 vergleichbare Tonbullen in akkadischer Keilschrift und Sprache.1589 Bilinguale und biskriptuale Tonbullen sind insgesamt sehr selten.1590 Das charakteristische Aussehen der dreieckigen Tonbullen wurde in Kapitel 3.2.2.1 besprochen. Es handelt sich um Obligationen über Naturalien, seltener über Silber.1591 Sie wurden möglicherweise mit Schnüren an Lederrollen, die einen aramäischen Text enthalten, freihängend angebracht.1592 565 größtenteils unbeschriftete Tonverschlüsse aus Ninive/Kujundschik untersuchte Suzanne Herbordt. 52 Prozent, 292 Stück, der in Ninive gefundenen Tonverschlüsse beschreibt sie folgendermaßen:

 Vgl. für die Texte Minns (1915). Aufgrund der Verarbeitung – stellenweise sind noch Haare an der Tierhaut – ist davon ausgehen, dass es sich hierbei um Leder und nicht um Pergament handelt, Minns (1915) 24.  Diese sind natürlich kein Phänomen des 1. Jahrtausends: Schon seit der Halaf-Zeit wurden eiförmige Tonbullen gebraucht, die bis ins 2. Jahrtausend gut bezeugt sind. Teilweise konnten die Tonbullen Zahlen und Identitätsmarkierungen tragen, wie aus Tell Brak bekannt ist. Aus dem 18. Jahrhundert (Acemhöyük) stammen gesiegelte eiförmige Tonbullen mit Inschriften, vgl. Stein (1997) 110–112.  Radner (1997) 27 Fn. 94. Dem sind noch drei Beispiele aus Tall Šēḫ Ḥamad /Dūr-Katlimmu hinzuzufügen, vgl. Radner (2002) Text Nrn. 114, 138 und 201 und Fügert/Rohde (2018) 104 f.  Fales (2000) 95 f. Er gibt zwei Beispiele an.  Radner (1997) 26 f.  Erstmalig für die neuassyrischen Tonbullen formulierte dies J. Nicholas Postgate (1976) 5 f. Postgates Hauptargument ist, dass die anderen neuassyrischen Obligationsurkunden Hüllentafeln sind, deren Hülle und Innentafel beschriftet sind. Eine vergleichbare Gestaltung sieht er in der Tonbulle mit Schriftrolle. Karen Radner folgte dieser These und erörterte sie, vgl. Radner (1997) 27–31. Mario Fales widerspricht der Verwendung als Doppelurkunden. Das Formular unterscheide sich, da kein Siegelvermerk angebracht ist – was typisch ist für die neuassyrische Obligationsurkunde –, so dass es sich dabei nicht um dieselbe Erscheinungsform handelt, vgl. Fales (2000) 119–122.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

‚Unter Tonbullen sind Tonklumpen zu verstehen, die an Schnüren befestigt waren, welche wiederum jede Art von Gegenständen (Gefäße, Behälter, Urkunden, Warenballen, etc.) umwickelt halten konnten.‘ Das Aussehen der Tonbullen kann variieren zwischen runden, dreieckigen, tropfenförmigen und lentoiden Formen. Sie sind nur auf einer Seite, die wir als Vorderseite bezeichnen, gesiegelt, weshalb diese entweder flach oder konkav ausfallen kann. Die Rückseite ist dagegen leicht konvex gewölbt. Auf Tonbullen findet sich immer nur ein Siegelabdruck. Der durchschnittliche Durchmesser liegt zwischen 2 und 3 cm.1593

Herbordt nimmt an, dass diese Tonbullen nicht Gegenstände wie Säcke, Gefäße, Körbe und Kisten versiegelten, da es für sie andere Tonverschlusstypen gab. Sie stellt die These auf, dass sie für Ballen und Bündel oder als Türplomben gebraucht wurden.1594 Etwa 450 Tonbullen, von denen ein Teil die eben beschriebenen freihängenden Tonetiketten sind, wurden im Raum 61 des Südwest-Palastes in Ninive/Kujundschik gefunden (für den Fundkontext und das Aussehen der Tonbullen vgl. auch Kap. 3.2.1). Austen H. Layard nahm hier ein Archiv mit Dokumenten aus Papyrus, Leder oder Pergament als gesichert an.1595 Nach Herbordt sicherten diese Tonbullen jedoch Behältnisse.1596 Olof Pedersén verweist auf die Möglichkeit, dass die Tonbullen an Schriftträgern wie Lederrollen, Papyri oder wachsbeschichteten Holztafeln angebracht waren, jedoch kann insbesondere bei den freihängenden Tonbullen nicht geklärt werden, an welchen Objekten sie ursprünglich befestigt waren.1597 Bei einem gesiegelten, runden, scheibenförmigen Tonverschluss aus Ninive befinden sich auf der Rückseite mehrere Schnurabdrücke und Abdrücke von Papyrus. Drei vergleichbare Stücke gibt es aus Kalḫu/Nimrud. Das verweist auf eine – wenn auch nur seltene – Verwendung des Beschreibstoffes Papyrus.1598 Häufiger belegt ist dies für Israel/Palästina. Tonbullen aus der Mittleren Bronzezeit und der Späten Bronzezeit sind dort eher selten. Aus der späteren Eisenzeit (EZ IIC) und der persischen Zeit sind die meisten Beispiele bekannt; sie sind in der Regel zwischen 2–3 cm groß.1599 Aus dem Kunsthandel stammt ein Hort von 255 Tonbullen mit Abdrücken von hebräischen Inschriftensiegeln. Sie

 Herbordt (1992) 55.  Herbordt (1992) 55.  Layard (1853) 153–156 und 460–462. Auf Seite 156 wird eine Tonbulle mit einem assyrischen und ägyptischen Siegel erwähnt. Aufgrund dieser Tonbulle nimmt Simo Parpola an, dass es einen auf Papyrus bzw. Leder geschriebenen Vertrag zwischen Assyrien und Ägypten gab, vgl. Parpola/Watanabe (1988) LIV Endnote 1.  Herbordt (1992) 17.  Pedersén (1998) 161–163.  Herbordt (1992) 68.  Für einen Überblick vgl. Keel (1995) 116–118.

4.1 Vergängliche Beschreibstoffe und Techniken

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datieren ins 7./6. Jahrhundert. Auf der Vorderseite ist das Stempelsiegel sichtbar, auf der Rückseite lassen sich Schnurabdrücke und Abdrücke von Papyrusfasern erkennen. Die Inschriften sind meist Personennamen.1600 Der Gebrauch von Papyrusrollen und ihre Siegelung mit Tonbullen wurde von Ägypten übernommen.1601 Diese charakteristischen Tonbullen für Papyrus aus Israel/Palästina werden im zeitgleichen Assyrien, insbesondere dem Kernland, nur äußerst selten verwendet. Folglich stellen die aramäischsprachigen und -schriftigen Urkundengattungen Assyriens eine autochthone Entwicklung dar. Ferner gibt es in Ninive/Kujundschik den Typ eines neuassyrischen Tonverschlusses, der in der Seitenansicht die Form einer Halbkugel besitzt und auf einer Seite Abdrücke von Stoff hat. Unklar ist seine Verwendung.1602 Mittelassyrische gesiegelte Tafeln aus dem Vorderasiatischen Museum Berlin weisen an der Tafeloberfläche Stoffabdrücke auf. Sie waren womöglich ursprünglich mit Textilien umhüllt. Zwei Tafeln (VAT 8747 und VAT 8836) dieser Zeit besitzen Schnurabdrücke, die auf eine Befestigung an einem anderen Gegenstand verweisen.1603 Auch aus Urartu, und zwar aus Ayanıs und Bastam, kennt man gesiegelte und beschriftete Tonbullen. Sie sind tropfenförmig, die Schnur kommt nach den Abbildungen bei Mirjo Salvini an der Spitze heraus.1604 Es gibt mit Keilschrift beschriftete Tonbullen und mit Hieroglyphen versehene Tonbullen. Fundkontext und Textinhalt deuten jedoch darauf hin, dass sie ursprünglich an Gefäßen angebracht waren und nicht an Schriftrollen. Aus zwei Archiven des achämenidischen Persepolis stammen 15 000– 18 0001605 Tonbullen und Tontafeln, die ans Ende des 6. Jahrhunderts und in

 Vgl. Avigad (1997) 31–46 und 167–239 für weitere Literatur und zahlreiche Abbildungen. Für Hinweise auf Tonbullen aus regulären Grabungen s. zudem Gurwin/Goren/Lipschits (2015) 99 f. In Israel/Palästina gab es zwei (Haupt-)Arten, die Schriftrollen zu verschnüren. Bei ersterer wurde ein kleiner Tonklumpen auf die Schriftrolle gelegt und fest gedrückt. Anschließend wurde die Schriftrolle und der Tonklumpen mit einer Schnur umwickelt und ein weiterer Tonklumpen auf die Schnur und den darunter liegenden Tonklumpen gelegt und fest gedrückt. Abschließend wurde mit einem Siegelring gesiegelt. Bei der zweiten Art der Verschnürung wird die Schriftrolle erst verschnürt und dann wird wie bei der ersten Art der Verschnürung vorgegangen, wobei der ‚erste‘ Tonklumpen auf die Schnur der darunterliegenden Schriftrolle angebracht wird, vgl. Gurwin/Goren/Lipschits (2015) 99.  So Avigad (1997) 32.  Herbordt (1992) 67.  Feller (2007) 176–178. Es existieren auch wenige gesiegelte mittelassyrische Plomben, die auf der Rückseite Abdrücke von grobem Stoff und Schüren besitzen, aber wahrscheinlich an Gefäßen bzw. Säcken angebracht waren, s. ebd. 176.  Vgl. Salvini (2001) 279–319 mit Abbildungen, Übersetzungen und weiterer Literatur.  Vgl. Jones (2008) 43. Dies bezieht sich auf die sogenannten Persepolis Fortification Tablets, die mengenmäßig den größten Anteil ausmachen. Vgl. ebd. passim die Diskussion zu

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts datieren (s. Kap. 4.2.3).1606 Zu unterscheiden ist zwischen elamischen, aramäischen und unbeschrifteten Beispielen. Die ‚Persepolis Treasury Tablets‘, die zahlenmäßig den geringeren Anteil ausmachen, sind überwiegend Tonbullen.1607 Von den ‚Persepolis Fortification Tablets‘ sind etwa zwei Drittel Tonbullen.1608 George G. Cameron beschreibt das Erscheinungsbild der Tonbullen aus Persepolis folgendermaßen: Looked at from obverse or reverse, they are cut off square on the left end to accommodate a seal impression, rounded and slightly swollen on the right; if we were to put the flat end of two tablets together, we should have a miniature flattened dumbbell. The distinguishing feature of nearly all tablets from Persepolis however, is not so much their odd shape as the fact that almost without exception they were molded around a string which protruded on either side of the flat end, that is, on the ‚edges‘ of the tablets close to the flat end (see Pl. XLVI A–B).1609

Er postulierte ihre Befestigung an einer Schriftrolle.1610 In der neueren Forschung wird diese Meinung meist nicht weiter diskutiert1611 bzw. als unpraktisch abgelehnt.1612 Die ‚Persepolis Treasury Tablets‘ und die ‚Persepolis Fortification Tablets‘, die elamisch beschriftet sind, gleichen sich sowohl inhaltlich als auch im Erscheinungsbild. Die ‚Persepolis Treasury Tablets‘ behandeln die Zahlungen von Silber und die ‚Persepolis Fortification Tablets‘ haben den Transfer von Natura-

dieser Berechnung. Die sogenannten Persepolis Treasury Tablets umfassen ca. 750 Objekte und Objektfragmente, s. ebd. 27 f., s. auch Henkelman (2013) 534.  Für einen Überblick inklusive zahlreicher Literaturverweise s. Azzoni et al. (2017).  Falls sie beschriftet sind, wird – bis auf die Ausnahme einer in akkadischer Keilschrift und Akkadisch beschrifteten rechteckigen Tafel – die elamische Keilschrift und Elamisch verwendet, s. Schmidt (1957) 4 und Cameron (1948) 17–19, 200–203 Nr. 85 und Tafel XLV. Hierbei handelt es sich um (zungenförmige) Tonbullen, vgl. Cameron (1948) 25 f. und die Fotografien im Tafelteil des Buches. S. auch Henkelman (2013) 534 und Azzoni et. al. (2017).  Azzoni et al. (2017).  Cameron (1948) 25 f. Um die zungenförmigen Tonbullen herzustellen, wurde auf der Vorder- und der Rückseite einer bereits verknoteten Schnur zwei etwa rechteckige Stücke Ton gelegt, zusammengedrückt, so dass an zwei Ecken, die Schnur heraustrat und dann weiter geformt, Hallock (1969) 77.  Cameron (1948) 24–31.  Wouter F. M. Henkelman geht von der Verwendung von Leder als Beschreibstoff für das Aramäische aus, jedoch erwähnt er in seiner Diskussion des ‚Persepolis Fortification Archive‘ nicht, dass die zungenförmigen Tonbullen an Schriftrollen befestigt waren, s. Henkelman (2013) 532 f.  Azzoni et al. (2017); die entsprechende Aussage bezieht sich auf die elamisch beschrifteten Tonbullen der ‚Persepolis Fortification Tablets‘.

4.1 Vergängliche Beschreibstoffe und Techniken

371

lien zum Gegenstand.1613 Cameron unterscheidet bei den elamischen ‚Persepolis Treasury Tablets‘ den Typ des Briefs und des Memorandums,1614 welche in der Regel eine Breite von 7–10 cm besitzen.1615 Richard T. Hallock unterteilte die elamischen ‚Persepolis Fortification Tablets‘ – dies beinhaltet sowohl die rechteckigen Tontafeln wie auch die Tonbullen – in 32 verschiedene Kategorien.1616 Die Kategorien A–S haben einzelne Transaktionen zum Inhalt, lassen sich als Memoranda bezeichnen und sind Tonbullen mit einer Breite von 3–5 cm.1617 Die Form kann variieren, der Text verläuft parallel zur Breitseite von links nach rechts.1618 Die Tonbullen können mit Abdrücken von bis zu sechs unterschiedlichen Siegeln versehen sein. Jedoch ist wie bei den aramäisch und elamisch beschrifteten Beispielen eine Siegelung mit ein bis zwei Siegeln am häufigsten.1619 Die aramäischen monolingualen Texte sind noch unveröffentlicht; es handelt sich um etwa 830 Texte bzw. Textfragmente.1620 Annalisa Azzoni, die aufbauend auf dem unveröffentlichten Manuskript von Raymond A. Bowman die Texte bearbeitet, bietet einen Überblick, der hier kurz zusammengefasst wird.1621 Die aramäischen Tafeln sind allesamt dreieckige bis zungenförmige Tonbullen. Der größte Schriftträger ist 5,1 cm lang, 4,3 cm breit und 2,2 cm dick; der kleinste 1,7 cm x 1,9 cm x 0,6 cm. Die Schrift ist mit Tinte geschrieben oder eingeritzt. Das Schreiben mit Tinte kann Ritzungen hinterlassen und mitunter sind schwache Spuren von Tinte sichtbar. Das Beschriften fand nach der Siegelung statt.1622 Die Siegelabdrücke können von bis zu vier unterschiedlichen Siegeln stammen.1623

 Hallock (1969) 1 und Azzoni et al. (2017). Vgl. für Literaturhinweise zu den publizierten Texten Azzoni et al. (2017). George G. Cameron bearbeitete die sogenannten Persepolis Treasury Tablets. In Cameron (1948) befinden sich diverse Fotos. Für die ‚Persepolis Fortification Tablets‘ vgl. auch das ‚Persepolis Fortification Archive Project‘: http://oi.uchicago.edu/ research/projects/pfa/ und http://ochre.lib.uchicago.edu/PFA_Online/ mit weiteren Links und Literaturangaben; die Seiten habe ich am 29.06.2017 um 16.52 Uhr aufgerufen. Angaben zu weiteren Online-Ressourcen finden sich bei Briant/Henkelman/Stolper (2008) 22–24.  Cameron (1948) 25.  Azzoni et al. (2017).  Vgl. Hallock (1969).  Jones/Stolper (2008) 29 f. Siehe auch Garrison/Henkelman (2020) 179–183 für eine Diskussion von Hallocks Kategorien.  Hallock (1969) 77 f. Vgl. zur Form der verschiedenen Kategorien auch Jones/Stolper (2008) 29–33.  Azzoni et al. (2017). S. auch Root (2008) 97–101.  Azzoni (2017) 455.  Azzoni (2008), hier finden sich auch Zeichnungen einzelner Tafeln.  Azzoni (2008).  Azzoni et al. (2017).

372

4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

Alle Seiten können beschrieben sein. Die Inschrift der meisten Texte verläuft auf der Vorderseite entlang der Längsachse (vergleichbar den oben besprochenen elamischen Texten); viele verlaufen aber auch ähnlich wie die neuassyrischen aramäischen Texte entlang der kurzen Achse.1624 Die Texte können ein Wort und/oder bis zu 12 Zeilen umfassen.1625 Ähnlich wie bei den elamischen Texten haben sie Naturalien wie auch (Reise-)Rationen zum Inhalt. Mehrere Tausend unbeschriebener Tonbullen sind aus dem ‚Persepolis Fortification Archive‘ bekannt. Mark G. Garrison betrachtete eine Auswahl von 110.1626 Die Texte sind etwa zungenförmig, jedoch im Durchschnitt kleiner als die elamischen Tonbullen. Zwei von Garrisons Typen – A und K – sind in etwa pyramidenförmig.1627 Sechs Seiten sind klar sichtbar. Auf diesen konnten Abdrücke von bis zu fünf unterschiedlichen Siegeln angebracht sein;1628 die Siegelpraxis ist jener der elamischen Texte ähnlich. Interessant ist jedoch das Fehlen von Siegeln, die die hohen Ämter in den elamischen Texten repräsentierten. Auch wurden im Vergleich zu den elamischen Texten mehr Stempelsiegel verwendet.1629 Aus verschiedenen Teilen des achämenidischen Reichs sind Tonplomben bekannt. Wie bereits oben (s. Kap. 4.1.3.1) näher beschrieben, wurde in einem Postsack neben 14–15 auf Leder geschriebenen aramäischen Briefe auch plombenförmige Tonbullen gefunden, die ursprünglich an diesen Schriftdokumenten angebracht waren. Auf einer mit einem Rollsiegel gesiegelten Tonplombe sind Reste einer aramäischen Siegellegende zu erkennen.1630 Dem MurašûArchiv (s. Kap. 4.4.2) (Nippur, ca. 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts) werden 20 plombenförmige Tonbullen zugeordnet, wovon bisher fünf publiziert sind. Diese sind flach und ihre Form entspricht in etwa runden bzw. ovalen Scheiben, sie besitzen einen Durchmesser von ca. 1,5–2 cm. Auf der Vorderseite ist der Abdruck eines Stempelsiegels bzw. Siegelringes zu erkennen. Auf der Rückseite befindet sich jeweils der Abdruck einer Schnur. Darüber hinaus gibt es schriftliche Belege für (gesiegelte) Lederdokumente in Textzeugnissen des Murašû-Archivs (s. Kap. 4.1.3.3). Ähnliche Dokumente aus Leder oder Papyrus sind aus Ägypten bekannt. Daher ist davon auszugehen, dass die Tonbullen

      

Azzoni (2008). Azzoni (2017) 456. Garrison (2008). Für eine detailliertere Unterteilung vgl. Garrison (2008) 154–157. Azzoni et al. (2017). Garrison (2008) 180 f. Driver (1954) 2 Fn. 2.

4.1 Vergängliche Beschreibstoffe und Techniken

373

aus Nippur aramäische Dokumente, die gefaltet waren, sicherten.1631 Auch aus anderen Teilen des achämenidischen Reichs sind vergleichbare Tonplomben bezeugt, was für die Existenz eines spezifischen Dokumentformats spricht.1632 Aus der seleukidischen Zeit haben sich gesiegelte Tonobjekte erhalten, die Schriftrollen umschlossen.1633 In Uruk/Warka wurden beinahe 1000 Tonbullen aus fein geschlämmtem Ton ausgegraben1634 und in Seleukia am Tigris/Tell Umar über 25 000.1635 Es ist hierbei zwischen ringförmigen Tonbullen und plombenförmigen Tonbullen zu unterscheiden.1636 Die ringförmigen Tonbullen stellen eine mesopotamische Besonderheit dar. Vereinzelt wurden sie auch in Larsa, Babylon und Nippur gefunden.1637 Die Tonplomben aus Uruk sind flache, ovale Scheiben mit in der Regel nur einem Siegelabdruck.1638 Neben solchen flachen Tonplomben stammen aus Seleukia sattelförmige Tonplomben mit mehr als einem Siegelabdruck.1639 In Uruk wurden die Tonbullen zusammen mit Tontafeln gefunden, die in die Zeit zwischen 320 und 140 datieren.1640 In Seleukia sind demgegenüber so gut wie keine Tontafeln aufgefunden worden.1641 Meist ist die Rückseite der Tonbullen völlig glatt, so dass von Pergament als Schreibmaterial auszugehen ist.1642 Papyrusspuren finden sich nur bei Tonplomben. Insbeson-

 Stolper (1985a) 159 f.  Henkelman (2013) 534 f.  Erstmalig zusammenhängend behandelt wurden sie von M. Rostovtzeff (1932). Auf Rostovtzeffs Studie bauen die später erwähnten neueren Untersuchungen auf.  So Oelsner (2003) 294. Lindström bearbeitete 640 Tonbullen und erwähnt die vor ihrer Arbeit publizierten aus Uruk/Warka, s. Lindström (2003) 2 f. Siehe ferner auch Wallenfels (2016).  Invernizzi (2003) 112. Der Großteil stammt aus einem Archivgebäude, s. für die Siegelbilder Messina/Mollo (2004), Bollati/Messina (2004a), Bollati/Messina (2004b), Messina (2014) und für den Fundkontext Messina (2006) 28 f. Für die Funde aus dem Wohngebiet vgl. McDowell (1935).  Lindström (2003) 7–12, Messina (2009) 178 und Messina (2014) 126 f. Siehe insbesondere Abb. 1 und 2 zur Befestigung dieser Tonbullen bei Lindström (2003) 8 und 10 sowie die Abb. 2 zur Anbringung bei Messina (2014) 127. Eine Beschreibung der Anbringung der ringförmigen Tonbullen findet sich bei Wallenfels (2016) 12 f.: Die Schriftrolle wurde zunächst mit einer Schnur umwickelt, darüber wurde ein Tonstreifen angebracht, wiederum geschnürt und der Tonstreifen wurde gefaltet, so dass eine im Querschnitt C-förmige Struktur entsteht.  Lindström (2003) 9 Fn. 37. Siehe auch Wallenfels (2016) 8 f. Die Orte, in denen die gesiegelten Objekte gefunden wurden, spielten zu seleukidischer Zeit eine wichtige Rolle, allen voran die Neugründung Seleukia, s. Invernizzi (2003) 309.  Lindström (2003) 9.  Messina (2014) 126 f.  Lindström (2003) 1. Vgl. für den Fundkontext ebd. 65–78 und Oelsner (2011).  Invernizzi (2003) 311 f.  Lindström (2003) 13 f.

374

4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

dere Tonplomben mit dem Siegelmotiv eines Ankers besitzen in Seleukia Abdrücke von Papyrus.1643 Auch bei den beiden bekannten Beispielen aus Uruk handelt es sich um Tonplomben mit dem Ankeremblem.1644 Papyrus wurde offenbar für spezifische Texte verwendet. Der Anker ist womöglich das königliche Siegelmotiv.1645 In einer ringförmigen Tonbulle aus Uruk befindet sich der verkohlte Rest einer Schriftrolle aus Pergament. Sie hat einen Durchmesser von 8–13 mm und besteht aus mindestens acht Lagen. Die Haut war wenig dicker als heutiges Papier.1646 Die ringförmigen Tonbullen, die eine Schriftrolle umschlossen, sind mehrfach gesiegelt. Gunvor Lindström vergleicht sie mit der Siegelpraxis auf zeitgleichen Tontafeln und kommt zu dem Schluss, dass diese Tonbullen Privatkaufverträge sicherten. Neben Abdrücken von Individualsiegeln können sie Siegelungen seleukidischer Beamter und Abdrücke von Steuersiegeln besitzen.1647 Auch nach Vito Messina ist die Siegelpraxis der bekannten ringförmigen Tonbullen den Tontafeln ähnlich. Folglich ist daraus zu schließen, dass die Texte des Beschreibstoffes Ton und des nicht erhaltenen Pergaments vergleichbaren Inhaltes waren.1648 Die flachen plombenförmigen Tonbullen mit jeweils nur einer Siegelung, die in Uruk weniger als ein Zehntel der Verschlüsse bilden, sicherten nach Lindström amtliche Dekrete, Verwaltungsurkunden oder Briefe von Privatpersonen.1649 Erhaltene Papyri aus Ägypten, die von 311/10 bis 89 datieren, sind teilweise mit mehreren plombenförmigen Tonbullen umschlossene Papyri und sichern Doppeldokumente.1650 Es wird angenommen, dass dies auch der Verwendungszweck der sattelförmigen Tonplomben aus Seleukia war.1651 Im Vergleich zu den Siegelungen der Tontafeln besitzen die Tonbullen aus Uruk wesentlich mehr Siegelungen griechischen Motivschatzes.1652 Neben Siegelungen von Privatpersonen erscheinen rein griechische Schriftsiegel mit der Bezeichnung einer Steuer inklusive Datierung, Amtssiegel mit Bild und Inschrift

 Invernizzi (2003) 307 f. Für Tonplomben mit diesem Motiv aus anderen Fundorten vgl. Wallenfels (2016) 15 f.  Lindström (2003) 36 u. 62.  Lindström (2003) 36–38, Wallenfels (2015) 62 f. und Wallenfels (2016) 14–17.  Lindström (2003) 13.  Lindström (2003) 11.  Messina (2009) 179.  Lindström (2003) 12.  Vandorpe (1996), insbesondere 232–238 und Taf. 4.  McDowell (1935) 3–9, Invernizzi (2003) 304 f. und Messina (2014) 126 f. Siehe ferner Wallenfels (2016) 12.  Lindström (2003) 3.

4.1 Vergängliche Beschreibstoffe und Techniken

375

und diversen weiteren Amtssiegeln.1653 In Seleukia machen Steuersiegelungen den Großteil der Siegelabdrücke aus.1654 Die Pergamenturkunden (und Papyrusurkunden) hatten einen engen Bezug zur seleukidischen Administration. Die Schriftsprache ist wahrscheinlich Griechisch, aber auch das zu dieser Zeit weit verbreitete Aramäisch ist nicht auszuschließen.1655 4.1.3.3 Schriftliche Hinweise Papyrus wird aus dem Cyperus papyrus, der nicht in mesopotamischen Marschlandschaften wächst, gewonnen. Schon im 3. Jahrtausend war Papyrus ein häufig benutztes Schreibmaterial in Ägypten.1656 Der akkadische Begriff niāru steht für ‚Papyrus‘. Dieses wird in neuassyrischer und neubabylonischer Zeit als Beschreibstoff verwendet.1657 In einem Brief (SAA 1 Nr. 34) an Sargon II. (722–705) ✶ von seinem Sohn Sanherib (704–681) werden „2 ki-ir-ki ni-a-ri lú A.BA KUR ‚2 Rollen Papyrus: Palastschreiber‘1658 als Teil eines Tributes bzw. Geschenks an den Palastschreiber genannt.1659 Nach Ingo Kottsieper zeigt dies den besonderen Wert von Papyrus.1660 In den Anfragen an Šamaš (vgl. Kap. 3.2.2) wird häufig erwähnt, dass ein Orts- bzw. Personenname ina niāri annâ šaṭru-ma ‚auf diesem Papyrus geschrieben steht‘ und dieser Papyrus vor Šamaš gelegt wird.1661 Ein Beispiel hierfür ist SAA 4 Nr. 156 Vs. Z. 2–5: (2) (3) (4) (5)

[a-me-l]u šá MU-šú i-na ni-ia-a-ri an-na-a šá-aṭ-ru-ú-ma [a-na] IGI DINGIR-ti-ka GAL-ti GAR-un mdaš-šur-ŠEŠ-SUM-na LUGAL kuraš-šurki [a-na p]i-qit-tu-ú-ti šá i-na ŠÀ-bi ni-ia-ri-im-ma [an-n]a-a šá-aṭ-rat-tú li-ip-qi-su …

 Lindström (2003) 2 f. und passim. Möglicherweise waren ein Teil der sogenannten Amtssiegel Siegel der urbanen Elite, Wallenfels (2015). Vgl. allgemein zur Siegelpraxis auch Wallenfels (2016) 17–24.  Invernizzi (2003) 312.  S. Lindström (2003) 14.  Vgl. Kottsieper (2003–05) 330. S. zum Beschreibstoff Papyrus auch Quack (2005) 244–247 sowie Ast/Jördens/Quack/Sarri (2015).  Vgl. CAD N/2 niāru 200 f. und AHw 2 niāru 784.  SAA 1 Nr. 34 Rs. Z. 19‘.  Der Palastschreiber spielte eine bedeutende Rolle in der Verwaltung des neuassyrischen Reichs, s. Luukko (2013) und (2007).  Kottsieper (2003–05) 330.  Belege finden sich hierfür in SAA 4. Alle SAA-Bände befinden sich durchsuchbar im Internet unter: http://oracc.museum.upenn.edu/saao/; es kann sowohl nach akkadischen wie auch nach englischen Begriffen gesucht werden. Ich habe nach Papyrus gesucht, Datum der Abfrage: 05.11.2014, 18.20 Uhr.

376

4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

Soll Asarhaddon, der König von Assyrien, [den Man]n, dessen Name auf diesem Papyrus geschrieben und vor deine großen Gottheit gelegt wurde [auf die Po]sition berufen, die auf [dies]em Papyrus geschrieben ist? Für Monika Blasberg ist das ein Indiz dafür, dass die Vorlagen der Tontafeln mit Anfragen an Šamaš aus niāru waren.1662 Der Begriff urbānu ‚Papyrus‘ – mit dem Determinativ für Pflanze Ú geschrieben – kommt in einer Anfrage an Šamaš, SAA 4 Nr. 108 Vs. Z. 8, in einem ähnlichen Kontext wie das eben besprochene niāru vor.1663 Da Papyrus nicht in Mesopotamien wächst, stellt Blasberg die Frage, ob sich die beiden Begriffe nicht auf ein dem Papyrus vergleichbares pflanzliches Material beziehen könnten.1664 Wie in Kapitel 3.2.2 aufgezeigt wurde, sind die Anfragen an Šamaš aus grob gemagertem Ton und wirken flüchtig geschrieben. In diesem Zusammenhang erstaunt es, dass ein seltenes und daher möglicherweise kostbares Material parallel bzw. als Vorlage verwendet wird. Das Determinativ KUŠ für ‚Leder‘ zeige nach Blasberg, dass niāru in babylonischen Belegen nach dem Zusammenbruch des assyrischen Reichs für Pergament steht.1665 Ob dies jedoch wirklich Pergament ist oder doch ‚nur‘ Leder, sei dahingestellt. Die oben besprochenen aramäischen Dokumente aus dem 5. und 4. Jahrhundert waren aus Leder, erst aus dem 3. Jahrhundert sind Pergamenturkunden bekannt; Leder sowie Pergament dienten in der Antike als Beschreibstoffe: Zu einem der Beschreibstoffe der Ant. [d. h. Antike] zählte das gereinigte, enthaarte und gegerbte Leder (Hdt. 5,58,3). P. entstand durch eine verfeinerte Bearbeitung der Tierhaut (von Esel, Kalb, Schaf, Ziege), bei der auf die Gerbung verzichtet wurde; statt dessen legte man die Tierhaut einige Tage in eine Kalklösung, entfernte sodann Fleischreste, Haare und Oberhaut, und legte sie danach in ein Kalkbad zur Reinigung (Kalzinierung). Anschließend spannte man die Haut in einen Rahmen, trocknete sie, glättete sie mit Bimsstein und weißte sie mit Kreide. Diese Art der Tierhautbearbeitung soll nach einer Notiz bei Plinius (nat. 13,70) in Pergamon im 2. Jh. v. Chr. in Konkurrenz zum Papyrus aufgekommen sein, doch ist nicht auszuschließen, daß schon früher P. als Beschreibstoff üblich war, wie Funde aus Dura-Europos am mittleren Euphrat (3./2. Jh.v. Chr.) nahelegen.1666

Einige neu- und spätbabylonische Bezeichnungen für Schriftstücke wurden teilweise mit dem Determinativ für Leder KUŠ geschrieben: giṭṭu, šaṭāru, šipirtu, taḫsistu (vgl. Kap. 2.2). Diese schriftlichen Belege weisen auf Texte des ‚Alltags    

Blasberg (1997) 25. S. CAD U and W urbānu 211. Vgl. Blasberg (1997) 24 f. Vgl. Blasberg (1997) 25, CAD N/2 niāru 200 f. und AHw 2 niāru 784. Hurschmann (2000) 542.

4.1 Vergängliche Beschreibstoffe und Techniken

377

gebrauchs‘ hin wie Briefe, schriftliche Anordnungen und Urkunden, die demnach nicht nur auf Ton, sondern auch auf Leder bzw. Pergament geschrieben wurden. Im Murašû-Archiv in Nippur (s. auch Kap. 4.1.3.2, Kap. 4.4.1 und 4.4.2),1667 dessen Laufzeit von 454 bis 404 reicht, erscheint die Phrase kunukku (na₄KIŠIB) u (kuš)šipirtu, was mit ‚gesiegeltes (Leder- bzw. Pergament-)Dokument‘ zu übersetzen ist.1668 Pergament- bzw. Lederdokumente wurden verschnürt, eine Tonbulle angebracht und diese gesiegelt. Ein Hinweis auf eine solche Praktik ist nach Blasberg der Ausdruck rukus-ma kunuk ‚binde und siegle‘, der häufig in neu- und spätbabylonischen Briefen vorkommen soll.1669 kuštaḫsistu ist erst in seleukidischer Zeit belegt.1670 Im Jungbabylonischen und Spätbabylonischen erscheint erstmals das Wort magallatu. Es ist ein Lehnwort aus dem Aramäischen, wird mit ‚Pergamentrolle‘ übersetzt und kommt auch mit dem Determinativ KUŠ vor.1671 Aus der Achämenidenzeit, insbesondere aus dem Murašû-Archiv in Nippur, ist ein magallatu-karra, ein ‚Pergamentrollenmacher‘, bekannt.1672 Das Wort ist eine aramäisch-altpersische Hybridbildung.1673 Das legt nach Blasberg nahe, „daß es in vorachämenidischer Zeit diesen Beruf noch nicht gab bzw. daß erst im Achämenidenreich der Bedarf an Pergamentherstellern die Ebene des Benennenswerten erreichte.“1674 In einem Rechtstext des Murašû-Archivs sind die ‚Pergamentrollen‘ Teil der Pacht von Land.1675 Der bereits oben im Zusammenhang mit den erhaltenen Lederrollen erwähnte Aršam/Arsames ist in diesem Archiv belegt. Falls die aus der Literatur entnommene Identifikation des Materials Leder bei den erhaltenen Schriftrollen korrekt ist, ist zu fragen, ob es sich im 5. Jahrhundert bei magallatu um Lederrollen handelte. Ab ca. 100 kommt der Begriff magallatu in Kolophonen von wissenschaftlich-literarischen Texten, und zwar von Kommentartexten – zu Šumma ālu und Bārûtu – und von einem Auszugstext – zu Šumma izbu und Šumma ālu – vor. Folglich wurden wissenschaft-

 Grundlegend Stolper (1985a), für eine kurze Beschreibung dieses Archives und weitere Literaturhinweise s. Jursa (2005a) 113 f.  Stolper (1985a) 159.  Blasberg (1997) 24.  Stol (1980–83) 541.  CAD (1978). Hier werden als Ergänzung zum Eintrag im CAD M/1 magallatu 31 weitere Belege angegeben (als Autor wird das CAD angegeben), s. ferner Clancier (2005) 90 f. Fn. 23 und Frahm (2011a) 31 Fn. 108.  von Soden (1966) 15, CAD M/1 31, AHw 2 574. S. auch Stolper (1985a) 74 f.  von Soden (1966) 15. Blasberg benützt hierfür das Wort Hybridbildung, das ich übernommen habe, vgl. Blasberg (1997) 25.  Blasberg (1997) 25.  Donbaz/Stolper (1997) 101 Nr. 27 Zeile 8.

378

4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

lich-literarische Texte auch auf Pergamentrollen geschrieben.1676 Dominique Charpin postuliert, dass magallatu im 1. Jahrtausend als Beschreibstoff für mit Tinte geschriebene Keilschrift verwendet wurde.1677 Zu Bedenken ist jedoch nach Joachim Oelsner, dass möglicherweise auch akkadische Texte mit Hilfe der aramäischen bzw. griechischen Linearschrift notiert wurden.1678 Der Begriff niāru wird im 6. Jahrhundert zusammen mit dem sepīru, einem Alphabetschreiber für das Aramäische (vgl. Kap. 4.4.2), erwähnt. Die Dokumente giṭṭu1679 und šipirtu konnten nach spätbabylonischen Textbelegen (nach dem Ende des neubabylonischen Reichs datierend) von einem sepīru verfasst sein. Folglich wurden Leder bzw. Pergament als Beschreibstoff für das Aramäische in Mesopotamien verwendet. Ein Logogramm lúKUŠ.SAR für Leder- bzw. Pergamentschreiber ist aus seleukidischer Zeit belegt, eine Gleichsetzung mit sepīru ist möglich (vgl. Kap. 4.4.2). Schreiber, die als Schreibmaterial Leder bzw. Pergament benützen, sind darüber hinaus aus dem Achämeniden-zeitlichen Persepolis in elamischen Texen bezeugt. Im Achämeniden-zeitlichen Elamischen existiert der teppir, der stets mit KUŠ ukku ‚auf Pergament bzw. Leder (schreibend)‘ und bzw. oder mit Papilip ‚Babylonier‘ näher bestimmt wird; teppir ist mit dem akkadischen sepīru gleichzusetzen1680 oder er hatte zumindest eine vergleichbare Funktion innerhalb der achämenidischen Verwaltung.1681

 Vgl. Frahm (2011a) 31 Fn. 108. Bei den zwei Kommentartexten zu Šumma ālu, die sich im Besitz desselben Schreibers befanden, wird im Kolophon vermerkt, dass die Fortführung auf einem magallatu zu finden ist. Für die Texteditionen vgl. das „Cuneiform Commentaries Project“ [https://ccp.yale.edu/] sub CCP 3.5.25 und CCP 3.5.31, aufgerufen am 07.04.2022 um 19.00 Uhr, für den Kommentartext zu Bārûtu vgl. ebd. sub CCP 3.4.1.A.i aufgerufen am 07.04.2022 um 19.10 Uhr. Für eine Diskussion des Auszugstextes De Zorzi (2014) 249 f.  Charpin (2010a) 75. So auch Clancier (2005) 90 f. Fn. 22.  Oelsner (1986) 244. Markham J. Geller sieht eine Anwendung für Alltagstexte und wissenschaftlich-literarische Texte, s. Geller (1997) 48 f. Aage Westenholz geht von einer teilweisen Verwendung eines Alphabets zur Notation des Akkadischen bei wissenschaftlich-literarischen Texten aus; insgesamt war dies jedoch seiner Meinung nach nicht weit verbreitet, s. Westenholz (2007) 278–280.  Das Wort kommt auch im Aramäischen vor und zwar in der Form gṭ bzw. gṭʾ und bedeutet jedoch dort so viel wie ‚Scheidungsurkunde‘, Freilassungsurkunde, vgl. ‚The Comprehensive Aramaic Lexicon“ [http://cal1.cn.huc.edu/oneentry.php?lemma=g%2B%20N&cits=all] aufgerufen am 15.12.2014 um 18.00 Uhr.  Vgl. Tavernier (2008) 64.  Vgl. Tavernier (2017) 352–354.

4.2 Umliegende Schrifträume mit Kontakt zur sumero-akkadischen Keilschrift

379

4.1.4 Metall Metalle wie Gold und Silber sind kostbare Materialien. Die daraus hergestellten Objekte hatten ein hohes Prestige, z. B. existieren Gründungsurkunden aus Edelmetallen, aber auch metallene Gefäße konnten eine Beischrift besitzen. Einzig für die luwischen Hieroglyphen ist mit einigen Bleistreifen die Verwendung für Alltagstexte überliefert. Dies wirft die Frage auf, ob nicht zumindest für die luwischen Hieroglyphen Bleistreifen als Trägermedium weit verbreitet waren (vgl. Kap. 4.2.1).1682

4.2 Umliegende Schrifträume mit Kontakt zur sumero-akkadischen Keilschrift Nicht nur in Mesopotamien wurden im 1. Jahrtausend verschiedene Schriften und Sprachen gebraucht, sondern auch in den umliegenden Gebieten, die ihrerseits wiederum Kontakt zur sumero-akkadischen Keilschrift hatten. Der Vordere Orient war im 1. Jahrtausend multilingual und -skriptual, was insbesondere die mehrschriftigen Inschriften verdeutlichen. In Nordsyrien und der heutigen Südtürkei sind nordwestsemitische, hieroglyphen-luwische und akkadische Inschriften belegt. In Urartu, dessen Kerngebiet in der heutigen Osttürkei liegt, wurde die sumero-akkadische Keilschrift für das Urartäische adaptiert. Im Iran wurden in der Zeit der achämenidischen Herrschaft neben der elamischen Keilschrift die sumero-akkadische und die altpersische Keilschrift verwendet sowie die aramäische Linearschrift. In seinem Exil in Taymāʾ traf der babylonische Herrscher Nabonid (555–539) auf die taymanische Schrift. Einige selten bezeugte Schriftzeugnisse verweisen darauf, dass wesentlich mehr Schriften im Umlauf waren.

4.2.1 Nordsyrien und Südtürkei (ca. 1000–700) In Nordsyrien und der Südtürkei treffen verschiedene Schrifttraditionen zu Beginn des 1. Jahrtausends aufeinander (ca. 1000–700). Die Keilschrift wurde nach dem Zusammenbruch des hethitischen Großreichs (im frühen 12. Jahrhundert) in

 Im griechisch-römischen Mittelmeerraum sind Bleibriefe aus der spätarchaischen und klassischen Epoche bekannt. Darüber hinaus wurden in der archaischen bis spätantiken Epoche für Nachrichten an die Unterweltgötter und -dämonen dünne Bleitäfelchen verwendet, vgl. Kiyanrad/Lougovaya/Sarri/Trampedach (2015) 301–305. Vgl. für Techniken des Beschreibens von Metall auch Jändl (2009) 31–41.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

diesem Gebiet aufgegeben. Zahlreiche Monumentalinschriften werden in Luwisch (‚Hieroglyphen-Luwisch‘) und in den dazugehörigen luwischen Hieroglyphen verfasst.1683 Die phönizische Linearschrift wird für das Aramäische adaptiert. Durch allmähliche Eroberungen der Assyrer verbreitet sich die akkadische Keilschrift in Syrien erneut. Das Verschwinden der luwischen Hieroglyphen wird mit diesen Eroberungen und den damit in Zusammenhang stehenden Deportationen in Verbindung gebracht.1684 Luwisch, eine indoeuropäische Sprache, ist in Keilschrift und Hieroglyphen überliefert. Sowohl die Keilschrift als auch die Hieroglyphen geben einen jeweils spezifischen Dialekt des Luwischen wieder. Zur Unterscheidung werden daher die Begriffe ‚Keilschrift-Luwisch‘ und ‚Hieroglyphen-Luwisch‘ benutzt. Keilschrift-Luwisch ist vom 16.–15. Jahrhundert bezeugt.1685 Hieroglyphen-luwische Schriftzeugnisse sind erstmals im 14. Jahrhundert belegt.1686 Das strukturelle Prinzip der luwischen Hieroglyphen ist syllabo-logografisch; es gibt über 500 Zeichen. Wie in der akkadischen Keilschrift gibt es Logogramme, Syllabogramme und Determinative. Es sind etwa 225 Logogramme vorhanden. Einige Zeichen sind polyvalent. Bestimmte Zeichen haben dieselbe syllabische bzw. logografische Lesung, sie sind also homophon.1687 Bei den Syllabogrammen gibt es die Vokalzeichen a, á (für den Wortbeginn), i, ia und u; die restlichen Syllabogramme bestehen aus Konsonant-Vokal-Zeichen und einigen wenigen Konsonant-Vokal-Konsonant-Vokal-Zeichen.1688 Die Leserichtung ist boustrophedon ‚wie der Ochse pflügt‘, d. h., eine Zeile liest sich von links nach rechts, die nächste von rechts nach links usw.1689 Die Schrift und die dadurch realisierte Sprache, das Luwische, ist auf hethitischen Siegeln und einigen Felsinschriften anzutreffen. Längere Inschriften hethitischer Herrscher sind erst aus dem 13. Jahrhundert bezeugt; hethitische Keilschriftinschriften existieren nicht. Nach dem

 In älterer Literatur werden sie auch hethitische Hieroglyphen genannt. Sie dienten jedoch nicht dazu, die hethitische Sprache wiederzugeben. In neuerer Literatur wird oft die Bezeichnung anatolische Hieroglyphen verwendet, da es nicht als gesichert gilt, dass beim ersten Auftreten der Schrift diese nur zur Realisierung des Luwischen verwendet wurde, Payne (2015) 1.  Hawkins (2008). Zum Sprachgebrauch in Syrien vgl. Lipiński (2000a).  Für diese Texte vgl. Starke (1985).  Möglicherweise existierte eine Art rudimentäre Schrift bereits früher, vgl. Hawkins (2008) 32 f. und Waal (2012) 298–303.  Payne (20102) 6–8 oder auch Payne (20143) 5–7. Vgl. für eine Zeichenliste Payne (20102) 161–195 bzw. Payne (20143) 161–196 mit Angaben zu älterer Literatur, s. auch Giusfredi (2012).  Hawkins (2003) 158, vgl. auch Hawkins (2000) 23–34. Für neu angesetzte Lautwerte s. die Angaben bei Giusfredi (2012).  Vgl. für die Schrift Payne (20102) 5 bzw. Payne (20143) 4, Payne (2015), Hawkins (2003) 155–166 und Neumann (1992).

4.2 Umliegende Schrifträume mit Kontakt zur sumero-akkadischen Keilschrift

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Zusammenbruch des hethitischen Großreichs wurde die hethitische Keilschrift nicht weiterverwendet. Annick Payne geht von einer absichtlichen Aufgabe der Keilschrift nach Zusammenbruch des hethitischen Großreichs aus: „The fact, that with the abrupt and complete discontinuance of the internationally understood cuneiform script also the international lingua franca, Akkadian, was abandoned, seems to my mind more suggestive of a deliberate policy than a simple loss of knowledge.“1690 In den entstehenden sogenannten späthethitischen Kleinfürstentümern wurden die luwischen Hieroglyphen (und das Hieroglyphen-Luwische) zur Realisierung zahlreicher (Herrscher-)Inschriften gebraucht. Die Inschriften, die Bau-, Weih- und Gedenkinschriften darstellen, datieren in die Eisenzeit von ca. 1100 bis 700. Die Datierung der einzelnen Schriftzeugnisse ist teilweise ungesichert. Ihr Verbreitungsgebiet ist Südostanatolien und Nordwestsyrien, wobei sich die bronzezeitlichen Funde auf Anatolien konzentrieren.1691 Die wenigen erhaltenen Bleistreifen geben Hinweise auf eine mögliche Verwendung der Schrift im Alltag. Bei Grabungen in Assur wurden sieben Metallstreifen gefunden, die einzeln aufgerollt waren, mit Ausnahme der Streifen f und g, die zusammengerollt waren. Sie wurden, vergesellschaftet mit einer altassyrischen Alabastertafel, unter dem Boden eines Hauses in Assur geborgen. Es sind durchwegs Briefe, überwiegend syllabisch geschrieben, wobei Worttrenner verwendet werden.1692 Aus Kululu (Zentralanatolien) stammen fünf weitere Bleistreifen mit Wirtschaftstexten, die in die Mitte des 8. Jahrhunderts datieren.1693 Aus Kirşehir (Zentralanatolien) ist ein Bleibrief bekannt.1694 Zudem wurde bei Ausgrabungen in Samʾal/ Zincirli (Südosttürkei) ein Bleistreifenfragment, beschriftet mit luwischen Hiero-

 Payne (20072) 126 f.  Vgl. Hawkins (2003). Er bietet einen Überblick über die Schrift und ihre Zeugnisse. Einführungen in das Hieroglyphen-Luwische sind Payne (2004), die erweiterte Neuauflagen Payne (20102) und Payne (20143) sowie Plöchl (2003) mit einer kommentierten Literaturliste. Für eine Verbreitungskarte der Schriftzeugnisse siehe Hawkins (2003) 142 f. und Payne (2004) 4, Payne (20102) 4, Payne (2012) xii und Plöchl (2003) am Ende des Buches. Bei Payne werden nur die Monumentalinschriften verzeichnet. Sie gibt bei der Karte jeweils das Jahrhundert an, in das die Inschriften datieren. Bei Hawkins findet eine Unterteilung in Empire Period, Transitional Period and Post-Empire Period statt. Plöchl notiert, ob es Schriftzeugnisse in luwischen Hieroglyphen oder in luwischer Keilschrift sind. Die Inschriften aus der Eisenzeit finden sich bei Hawkins (2000). Das Manuskript der Bände wurde beim Verlag 1990/91 eingereicht, so dass später gefundenes Material nur teilweise – und wenn, dann knapp – eingefügt werden konnte. Ausgewählte Inschriften der Eisenzeit werden von Payne (2012) präsentiert.  Hawkins (2000) 533–555 Assur letters und Payne (2012) 108–118.  Hawkins (2000) 503–505 Kululu lead strips.  Akdoğan/Hawkins (2010) und Giusfredi (2010) 236–239.

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glyphen, gefunden.1695 Die Texte sind Indizien dafür, dass luwische Hieroglyphen mit der Sprache Hieroglyphen-Luwisch auf vergänglichen Materialien niedergeschrieben wurden und regelmäßig für Alltagstexte Verwendung fanden. Bei Reliefs aus Maraş wurde jeweils eine rechteckige, hochformatige Tafel (?) abgebildet, die womöglich einen Bleistreifen darstellt. Bei einem weiteren Relief aus Maraş ist ein Diptychon abgebildet, das eine wachsbeschichtete Holztafel repräsentiert (vgl. Kap. 2.1.2). Die ältesten Texte, in denen ganze Sätze in der Linearschrift mit dem strukturellen Prinzip des Alphabets niedergeschrieben worden sind, stammen aus dem 10. Jahrhundert aus Byblos im heutigen Jordanien. Von der Levante ausgehend verbreitete sich die Alphabetschrift. Die Schrift der Byblos-Texte gilt als Prototyp für die weiteren Alphabete: das phönizische, hebräische, aramäische, transjordanische und das griechische Alphabet. Mit Ausnahme des griechischen sind diese Alphabete Konsonantenalphabete, die 22 Buchstaben besitzen.1696 Zu Beginn wird sich für das Aramäische – eine nordwestsemitische Sprache – der phönizischen Schrift – ein Konsonantenalphabet – bedient, so dass es schwierig zu entscheiden ist, welche Sprache schriftlich fixiert worden ist. Die phönizische Schrift wurde für das Aramäische adaptiert: Die Linearschrift und das strukturelle Prinzip, das Konsonantenalphabet, wurden übernommen. Die Überlieferung für aramäische Texte setzt erst im 9. Jahrhundert ein. Längere Texte tauchen ab dem 8. Jahrhundert auf. In dem stark luwisch geprägten Kilikien (Südtürkei) wird die phönizische Linearschrift bis ins 6./5. Jahrhundert verwendet.1697 Ein Nebeneinander der Hieroglyphen und der phönizischen Linearschrift zeigt sich durch die mehrschriftigen Inschriften, aber auch dadurch, dass sich Fundorte der Inschriften in Linearschrift teilweise mit dem Verbreitungsgebiet des Hieroglyphen-Luwischen überschneiden. Zwei phönizisch-luwische Bilinguen sind aus Kilikien überliefert. Die Çineköy-Inschrift stammt aus dem gleichnamigen Ort ca. 30 km entfernt vom heutigen Adana. Sie datiert laut Textinhalt

 Herrmann/van den Hout/Beyazlar (2016) 68 Fn. 82. In Hattuša/Boğazköy wurden ins 14./13. Jahrhundert v. Chr. datierende Bleistreifen gefunden. Jedoch ist unklar, was für Zeichen sich auf diesen befinden, Payne (2015) 122.  Millard (2009) 18 f. Einen Überblick über das phönizische Schriftsystem bietet Hacket (2004). Für das Aramäische s. Creason (2004), s. auch Fales (2011) mit Angaben zu neuen altaramäischen Schriftfunden und Gzella (2014) speziell für die aramäische Sprache in Syrien.  Für einen Überblick über die Verwendung des Aramäischen zu Beginn des 1. Jahrtausends mit weiteren Literaturhinweisen s. Röllig (2000) und Gzella (2015) 51–103. Ferner s. für das linearschriftige Inschriftenmaterial KAI = Kanaanäische und aramäische Inschriften Bd. 1–3, Donner/Röllig (2002), (1968) und (1969).

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vor der Karatepe 1-Inschrift, die möglicherweise ans Ende des 8. Jahrhunderts zu stellen ist.1698 Die Çineköy-Inschrift war auf der Basis einer Statue des Sturmgottes angebracht. Vom Karatepe 1-Text sind drei Kopien in phönizischer Linearschrift und Sprache und zwei in luwischen Hieroglyphen und luwischer Sprache erhalten. Die einzelnen Kopien waren am unteren Nordtor, am oberen Südtor und bei der Befestigungsanlage von Karatepe-Arslantaş deponiert.1699 Der Ort liegt in der Provinz Osmaniye, östlich der Provinz Adana. Eine mehrschriftige Stele wurde in einem Privatgarten in İncirli, ca. 30 km südlich von Kahramanmaraş, nördlich der Provinz Adana, aufgefunden.1700 Sie ist zeitlich nach 740, jedoch womöglich vor dem Karatepe 1-Text anzusiedeln.1701 Alle vier Seiten der Stele sind beschriftet. Auf der Vorderseite befindet sich zusätzlich das Relief einer Herrscherfigur.1702 Von den luwischen Hieroglyphen und den neuassyrischen Keilschriftzeichen sind nur noch Spuren erkennbar. Am längsten ist die phönizische Inschrift in phönizischer Linearschrift. Nachträglich wurde eine griechische Inschrift in die Rückseite eingemeißelt.1703 Da keine phönizischen Bevölkerungsgruppen aus Kilikien bekannt sind und die zahlreichen Personennamen luwisch sind, geht Payne von einer luwisch-sprachigen Gesellschaft in Kilikien aus. Diese hat die phönizische Linearschrift aus Prestigegründen adaptiert. Das Phönizische – später das Aramäische – waren die neue lingua franca.1704 Da Schrift nicht gleichzusetzen ist mit Sprache, sollte nicht nur von einer Verkehrssprache, sondern auch von einer Verkehrsschrift gesprochen werden. Ein weiteres Beispiel für die Adaption der Linearschrift ist der antike Ort Samʾal/Zincirli. Der Fundort befindet sich im Südosten der heutigen Türkei in der Provinz Gaziantepe in der Nähe der syrischen Grenze. Zunächst wurden in dieser Gegend luwische Hieroglyphen verwendet; dies impliziert bspw. das aus dem 10. bzw. 9. Jahrhundert stammende Inschriftenfragment aus Pancarlı Höyük, einen Kilometer entfernt von Samʾal/Zincirli.1705 Die in Samʾal/Zincirli geborgenen

 Vgl. Payne (20072) 127. S. auch Simon (2014). Für die Edition der Çineköy-Inschrift siehe Tekoğlu/Lemaire (2000) und Payne (2012) 42–44. Für Karatepe siehe Çambel (1999), Hawkins (2000) 45–68 Karatepe 1 und Payne (2012) 20–42.  Vgl. Payne (20072) 128 f. Für die Textedition siehe Çambel (1999) und Hawkins (2000) 45–68 Karatepe 1 und Payne (2012) 20–42.  Dodd (2012) 215 f. und 231 Abb. 1.  Kaufman (2007) 9 und Dodd (2012) 214. S. auch Simon (2014).  Dodd (2012) 214 f. und 232 f. Abb. 2–4.  Kaufman (2007) 8. Für die Edition der phönizischen Inschrift vgl. ebd.  Payne (20072) 131.  Hermann/van den Hout/Beyazlar (2016) 68.

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linearschriftigen Inschriftenfunde datieren von der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts.1706 Es wurde die phönizisch-aramäische Alphabetschrift verwendet, um drei semitische Sprachen bzw. Dialekte wiederzugeben, und zwar (in chronologischer Abfolge) Phönizisch, Samʾalitisch und Aramäisch.1707 Das Phönizische ist wie das Aramäische eine nordwestsemitische Sprache.1708 Die Schrift verläuft von rechts nach links. Der Schreiberorthostat des Barrākib (s. Kap. 2.1.2), der aus Samʾal/ Zincirli kommt, datiert in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts. Das abgebildete Diptychon und die abgebildete Schreiberpalette zeigen, dass Aramäisch mit Tinte auf Diptychen geschrieben wurde (vgl. Kap. 2.1.2 und Kap. 4.1.2). Zudem sind luwische Einflüsse zu bemerken, einige Könige der Stadt tragen luwische Thronnamen.1709 Die luwischen Hieroglyphen wurden weiterhin verwendet. Von Barrākib ist neben einem Siegel mit aramäischer Inschrift auch ein goldener Siegelring mit luwischen Hieroglyphen bekannt.1710 Der oben erwähnte Bleistreifen mit luwischen Hieroglyphen kommt aus einem Fundkontext des späten 8. bzw. 7. Jahrhunderts.1711 Aufgrund einiger in Zincirli gefundener Keilschriftzeugnisse ist von einer neuassyrischen Präsenz bzw. einem gewissen Kontakt mit der akkadischen Keilschrift in demselben Zeitraum auszugehen.1712 Zudem stammen aus Zincirli bzw. seiner unmittelbaren Umgebung drei Lamaštu-

 Tropper (1993) 5, vgl. ebd. für die Texteditionen. Der Textkorpus erweitert sich kontinuierlich. 2008 wurde eine weitere Inschriftenstele und zwei Inschriftenfragmente gefunden; sie sind im Bulletin of the American Schools of Oriental Research 356 veröffentlicht. Vgl. für die Stele Schloen/Fink (2009), Struble/Herrmann (2009), Pardee (2009) und Lipiński (2016) 11–18 mit Angaben zur älteren Literatur. Für die beiden Inschriftenfunde s. Boyd/Hardy II/Thomas (2009). Für einen Überblick der bekannten Schriftfunde mit Keilschrift, Linearschrift und luwischen Hieroglyphen vgl. Niehr (2016). Hinzuzufügen ist dem noch ein Lamaštu-Amulett mit einigen Linearschriftzeichen, s. DeGrado/Richey (2017).  Tropper (1993) 5. S. zur Paläografie der Inschriften Tropper (1993) 165–168 und Niehr (2016) 326. Die Schriftsprachen Phönizisch und Samʾalitisch wurden teilweise gleichzeitig verwendet, vgl. Niehr (2016) 311–318.  Phönizisch ist in der mediterranen Welt bis ins 1. Jahrhundert n. Chr. verbreitet. Für einen Überblick und weitere Literaturangaben vgl. Hacket (2004).  Tropper (1993) 10 f. S. auch Niehr (2016) passim.  Hawkins (2000) 576 Zincirli signet und Taf. 329.  Hermann/van den Hout/Beyazlar (2016) 68 Fn. 82.  Hierbei handelt es sich um eine Stele Asarhaddons (680–669), vgl. Börker-Klähn (1982) Kat.nr. 219, zwei neuassyrische Erwerbsurkunden, s. Faist (2013–14), einem Rollsiegel, s. von Luschan (1943) Taf. 39 n, sowie einem Bronzehalsband mit babylonischer Inschrift, vgl. von Luschan (1943) 96 f., Abb. 120 und Taf. 44 ak.

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Amulette mit bisher unentzifferten Inschriften – möglicherweise handelt es sich hierbei um Pseudo-Schriften (vgl. Kap. 4.2.5).1713 Ein weiteres Indiz für das Nebeneinander von mehreren Schriften und Sprachen ist die Aussage Jariris (Anfang des 8. Jahrhunderts), des Herrschers von Karkamiš eines bedeutenden späthethitischen Stadtstaates. Karkamiš liegt in der Provinz Gaziantepe direkt an der Grenze zu Syrien. Jariri bezeichnete sich als kundig von (mindestens) vier Schriften1714 und zwölf Sprachen. Die entsprechende Inschrift ist in luwischen Hieroglyphen und Hieroglyphen-Luwisch verfasst.1715 Nach Frank Starke werden folgende Schriften in der Inschrift genannt: die luwischen Hieroglyphen, die phönizische Alphabetschrift, die neuassyrische Keilschrift und die aramäische Alphabetschrift (zur Identifikation der letztgenannten Schrift mit der taymanischen Schrift vgl. Kap. 4.2.4).1716 Die Koexistenz von akkadischer Keilschrift, aramäischer Linearschrift und luwischen Hieroglyphen manifestiert sich in zwei gleichlautenden, dreischriftigen und dreisprachigen Inschriften auf zwei Basaltlöwenfiguren vom Osttor von Hadattu/Arslantaš. Das Dorf Arslantaš befindet sich etwa 30 km östlich des Euphrats im heutigen Syrien, südwestlich der syrischen Stadt Ain al-Arab in der Nähe der türkischen Grenze. Der aramäische Teil der jeweiligen Inschrift entspricht demjenigen des akkadischen, der luwische Text ist womöglich eine eigenständige Inschrift. Am Westtor standen ebenfalls zwei Torlaibungslöwen, deren Seiten mit einer akkadisch-aramäischen Bilingue (Keilschrift – Linearschrift) versehen sind. Bei den vier Löwen waren die Inschriften an den ursprünglich nicht sichtbaren Seiten angebracht. Die Inschriften datieren an den Beginn des 8. Jahrhunderts (um 780). Sie wurden von einem neuassyrischen Provinzgouverneur, Ninurta-bel-uṣur, Gouverneur von Kar-Salmanassar, verfasst. Diese Inschriften sind einzigartig, da assyrische Herrscherinschriften ansonsten nur in der assyrischen Ausprägung der sumero-akkadischen Keilschrift und in Jungbabylonisch (‚Standard Babylonian‘) verfasst worden sind.1717 Hadattu/Arslantaş gehörte dem Kleinfürstentum Bit Adini an, welches ab Mitte des 9. Jahrhunderts unter assyrischer Herrschaft stand. Als Hauptstadt von Bit Adini gilt Til Barsip/Tell Aḫmar,

 DeGrado/Richey (2017).  Die entsprechende Textstelle ist nicht vollständig erhalten. Die Namen von vier Schriften sind feststellbar, so dass Frank Starke nur vier Schriften ansetzt, vgl. Starke (1997) 388.  Hawkins (2000) 130–133 Karkamiš A15b, s. § 19–22. Vgl. die Diskussion dieser Textpassage und den Versuch der Identifizierung der Sprachen und Schriften bei Starke (1997), s. auch Livingstone (1995) 136 f.  Vgl. Starke (1997).  Vgl. Hawkins (2000) 246–248 Arslantaş, Röllig (2000) 182–183, Galter (2004a), Galter (2004b) und Dillo (2016). Zeichnungen und Fotos der Löwen sind in Galter (2004b) zu finden.

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welche die Assyrer in Kar-Salmanassar umbenannten. Aus Kar-Salmanassar sind zahlreiche neuassyrische Wandmalereien des 8. Jahrhunderts und zwei Stelen Assarhaddons des 7. Jahrhunderts bekannt, aber auch früher datierende hieroglyphen-luwische Inschriften aus dem 10. und 9. Jahrhundert.1718 Östlich des Verbreitungsraumes der luwischen Hieroglyphen, aus Tell Feḫeriye im heutigen Syrien, stammt eine Basaltstatue eines assyrischen Gouverneurs mit einer aramäisch-akkadischen Bilingue (Linearschrift – Keilschrift).1719 Die Statue datiert möglicherweise in die Mitte des 9. Jahrhunderts.1720 Der akkadische Teil wurde nicht von einem für Monumentalinschriften ausgebildeten Schreiber verfasst.1721 Unmittelbar in der Nähe von Tell Feḫeriye liegt Tell Halaf/Guzana. Die an den dortigen Orthostaten angebrachten Keilschriftbeischriften wirken ungelenk.1722 Erst aus dem 7. Jahrhundert sind aramäische Rechts- und Verwaltungstexte bekannt. Jedoch ist dies nicht weiter erstaunlich, da auch der Großteil der neuassyrischen Alltagstexte aus diesem Jahrhundert stammt.1723 Markham J. Geller geht von einer großen Bedeutung des Aramäischen im 9. Jahrhundert aus. Im Gegensatz zur mittelassyrischen Zeit und dem 8. und 7. Jahrhundert sind aus dem 9. Jahrhundert aus Assyrien sowie aus den westlich angrenzenden Gebieten – dem heutigen Syrien – so gut wie keine Archive mit Wirtschafts- und Verwaltungstexten bekannt. In den zeitgleichen Keilschriftinschriften neuassyrischer Herrscher wird zwar von zahlreichen Feldzügen berichtet. Der Großteil der neuassyrischen Alltagsdokumentation stammt jedoch aus dem 7. Jahrhundert. Die aramäische Sprache und Schrift hat folglich in Assyrien bereits im 9. Jahrhundert eine größere Rolle als bisher angenommen gespielt. Dies hängt mit der Zuwanderung von Aramäern in dieses Gebiet zusammen. Die späteren aramäischen Alltagsdokumente zeigen an, dass das Aramäische nicht

 Bit Adini wird teilweise als aramäisches Kleinfürstentum angesehen. Die Inschriften der Hauptstadt sind jedoch luwisch, zu dieser Problematik vgl. Bunnens (1995) und zur Mehrsprachigkeit in diesem Gebiet s. Galter (2004b).  Abou-Assaf/Bordreuil/Millard (1982). Der Text wurde mehrfach bearbeitet und kommentiert, für weitere Literaturhinweise vgl. Röllig (2000) 181 Fn. 17, s. auch Fales (2007a) 563 f. und Gzella (2015) 63–67.  Fales (2011) 563 f. gibt an, dass Datierungen ab dem 11. Jahrhundert vorgeschlagen wurden. Er präferiert eine Datierung in die Mitte des 9. Jahrhunderts, so auch Gzella (2015) 63.  Millard (1983) 105.  So auf jeden Fall auf den Orthostaten, die ich in Berlin im Mai 2011 im Pergamonmuseum in der Ausstellung „Die geretteten Götter aus dem Palast vom Tell Halaf“ gesehen habe und auf den Orthostaten, die sich im British Museum in London befinden, die ich im September 2010 betrachtet habe. Für die Inschriften vgl. von Oppenheim (um 1930) und Meissner (1939) 356 f.  Röllig (2000) 183 f.

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eingeführt, sondern weitergebraucht wurde; das Akkadische verbreitete sich erneut mit dem Wiedererstarken der assyrischen Bürokratie.1724

4.2.2 Urartu (9.–7. Jahrhundert) Vom späten 9. Jahrhundert bis ins späte 7. Jahrhundert ist Urartäisch als Schriftsprache bezeugt. Die engste Verwandtschaft zeigt diese Sprache zum Hurritischen, das im 2. Jahrtausend ebenfalls in Keilschrift notiert wurde. Das Urartäische ist eine agglutinierende Ergativsprache. Das Reich Urartu erstreckte sich über Armenien, Aserbaidschan, dem iranischen Teil von Aserbaidschan und Nordostirak. Das Kerngebiet ist das Gebiet um den Van-See, in der heutigen Osttürkei, mit der Hauptstadt Ṭušpa.1725 Die ersten urartäischen Monumentalinschriften wurden in neuassyrischer Sprache und im neuassyrischen Duktus der akkadischen Keilschrift geschrieben.1726 Später wurde die akkadische Keilschrift für das Urartäische adaptiert. Auch einige wenige neuassyrisch-urartäische Bilinguen existieren, wobei sich der urartäische und akkadische Text jeweils auf einem Monument befinden.1727 Die urartäische Keilschrift ist syllabo-logografisch; es sind Zeichen für Silben, Logogramme (Sumerogramme und Akkadogramme) und Determinative vorhanden. Es wird überwiegend syllabisch geschrieben. Das Syllabar ist im Vergleich zur neuassyrischen Keilschrift sehr beschränkt: 57 Konsonant-Vokal-Zeichen, 19 Vokal-Konsonant-Zeichen und sehr wenige Konsonant-Vokal-Konsonant-Zeichen. Ab ca. 810 vermeidet die Monumentalinschrift im Gegensatz zu den wenigen erhaltenen Alltagszeugnissen sich überschneidende vertikale und horizontale Keile; so sind die Inschriften leicht von den neuassyrischen zu unterscheiden.1728

 Geller (2007) 238 f.  Wilhelm (2004) 119. Für einen Überblick zur Verbreitung der Keilschrift in Urartu s. Salvini (2014).  Dies trifft auf die Monumentalinschriften Sarduris I. zu, s. Salvini (2008) 95–122.  Vgl. Salvini (2008) passim, s. auch Mayer (2013). Die Urartäer übernahmen die Form der Stelen mit abgerundetem Ende für Herrscherinschriften. Bei den Assyrern sind diese Stelen mit dem jeweiligen Königsbild und einer Inschrift versehen; bei den Urartäern sind es reine Inschriftenstelen. Daher stellt sich die Frage, ob die Inschrift möglicherweise eine andere Funktion bei den Urartäern erfüllte. Zum Konzept der außerkörperlichen Repräsentanten in Mesopotamien vgl. Radner (2005).  Wilhelm (2004) 120. Konsonant-Vokal-Konsonant-Zeichen tauchen in neuassyrischen Herrscherinschriften wesentlich häufiger auf. Für Fotos von Tontafeln vgl. die Tafeln CLXI ff. bei Arutjunjan (2001), s. auch Salvini (2012) 123–150.

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Die urartäische Sprache wurde hauptsächlich in Keilschrift notiert. Beinahe alle Schriftzeugnisse sind Monumentalinschriften in Fels und Stein wie Stelen und Säulenbasen.1729 Auf Bronzeobjekten (seltener aus Eisen) wie Gefäßen – aber z. B. auch Schilden – konnten sich Namensbeischriften urartäischer Herrscher befinden.1730 Die tönernen Pithoi besitzen Beischriften, die Maße angeben. Der Gebrauch der urartäischen Keilschrift für Briefe und administrative Zwecke wird durch eine geringe Anzahl von Tontafeln und beschrifteten Tonbullen bezeugt.1731 In einem Text werden allerdings 30 wachsbeschichtete Holztafeln erwähnt (vgl. Kap. 4.1.2).1732 Aus Ayanıs ist eine Tontafel bekannt, die Teile des Syllabars Sa, einer mesopotamischen lexikalischen Liste, beinhaltet. Sie ist als Schülertafel zu betrachten. Auch Siegelabdrücke konnten Beischriften besitzen. Es ist zu vermuten, dass Alltagstexte in urartäischer Schrift und Sprache – womöglich auch wissenschaftlich-literarische Texte – regelmäßig auf Holztafeln niedergeschrieben wurden. Einige wenige Beischriften auf Gefäßen mit Hieroglyphen sind in Altıntepe neben einer Keilinschrift auf einem Bronzeblech erhalten. Inhaltlich werden Volumenmaße angegeben. Nach John David Hawkins sind dies luwische Hieroglyphen, mit deren Hilfe das Urartäische wiedergegeben wurde.1733 Darüber hinaus gibt es urartäische Hieroglyphen, die nur von einigen wenigen kurzen Texten bekannt sind und deren Entzifferung bisher nur begrenzt möglich ist.1734 Sie sind auf Tonbullen und Pithoi angebracht. Zahlenangaben in Form von Traubenkernen werden in Ton eingedrückt, diese erscheinen in Zusammenhang mit Zeichen bzw. Symbolen, die Maßeinheiten für Flüssigkeiten wiedergeben. Derartige Inschriften sind auch in Keilschrift notiert, so dass eine Übersetzung möglich ist. In Ayanıs wird für Hieroglyphen ein feiner zirkulärer Stylus, ca. 2 mm im Durchmesser, verwendet und im Gegensatz zum Text der Tonbullen, der von links nach rechts zu lesen ist, sind die Hieroglyphen auf Pithoi von oben nach unten zu lesen. Selten sind digrafische Inschriften (Keilschrift/Hieroglyphen) bei Tonbullen und Pithoi belegt. Aus Toprakkale stammt eine rechteckige hochformatige Tafel, bei der zweieinhalb Zeilen mit Hierogly-

 Für das Korpus der urartäischen Stein- und Felsinschriften s. Salvini (2008) und Salvini (2018).  In Ayanıs wurden Bronzeschilde, -helme, -pfeilspitzen usw. mit einer Weihinschrift Rusas II. an den Hauptgott Ḫaldi gefunden, s. Salvini (2001) 271–278.  Zimansky (1998) 100.  CT Kb-7 Vs. Z. 9, s. Salvini (2012) 139.  Hawkins (2000) 588 f. mit älterer Literatur.  Salvini (1995) 203–206.

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phen versehen sind. Darüber hinaus gibt es Siegelabdrücke, die eine Inschrift mit urartäischen Hieroglyphen besitzen.1735

4.2.3 Iran (1000 – ca. 330) Verschiedene Sprachen und Schriften wurden im antiken Persien verwendet. Die älteste identifizierbare, schriftlich überlieferte Sprache des heutigen Irans ist das Elamische. Sie wurde mit Keilschrift notiert. Aus der Achämenidenzeit1736 sind uns zahlreiche Schriftzeugnisse in der akkadischen, elamischen und altpersischen Variante der Keilschrift bekannt. Zudem wurden das Aramäische als Kanzleisprache und die aramäische Schrift als Kanzleischrift verwendet.1737 Es lässt sich bisher nicht feststellen, dass das Elamische mit einer anderen Sprache verwandt ist. Der Großteil der elamischen Textzeugnisse stammt aus Elam, den Provinzen Khusistan und Fars im heutigen Iran.1738 Vier verschiedene Zeitstufen werden unterschieden: Altelamisch (ca. 2600–1500), Mittelelamisch (ca. 1500–1000), Neuelamisch (ca. 1000–550) und das achämenidische Elamisch (550–330).1739 Vereinzelte elamische Keilschrifttexte erscheinen ab ca. 1800–1700. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts tauchen vermehrt Texte auf. Sie sind größtenteils Herrscher- und Weihinschriften. Elamisch wird die Hauptsprache für Inschriften. Die Sprache wird ab ca. 1100 auch für Rechts- und Verwaltungstexte verwendet. Aus dem Beginn des 1. Jahrtausends sind nur wenige elamische Schriftzeugnisse bekannt. Ab 750 treten wieder vermehrt Schriftträger auf. Es sind Herrscherinschriften, Briefe und Verwaltungstexte.1740 Der Großteil der Quellen stammt aus der Achämenidenzeit von ca. 550 bis 330. Da-

 Für weitere Angaben zu den Hieroglyphen vgl. Salvini (2001) 279–311.  Zum antiken Persien vgl. Wiesehöfer (1994) mit einer kommentierten Literaturliste. Für Literaturhinweise etc. zu den Achämeniden siehe auch die von Pierre Briant initiierte Webseite [http://www.achemenet.com], aufgerufen am 21.08.2014 und 13.30 Uhr.  S. für einen Überblick zum Schriftgebrauch in der elamischen Keilschriftkoine Black (2008) mit weiteren Literaturverweisen. Zur Mehrsprachigkeit und Mehrschriftigkeit des Achämenidenreichs s. ferner Schmitt (1993) und (2006). S. für die reichsaramäischen Inschriften Schwiderski (2004). Für die erhaltenen aramäischen achämenidischen Schriftzeugnisse auf Leder vgl. Kap. 4.1.3.1.  Stolper (2004) 60 f.  Für einen historischen Überblick vgl. Stolper (2004) 60–65.  Einige neuelamische Texte wurden gar im Südwestpalast in Ninive/Kujundschik ausgegraben (s. Kap. 3), vgl. Reade (1992). Einige wenige Textzeugnisse deuten darauf hin, dass auch die sumero-akkadische Schrift als Verkehrsschrift verwendet werden konnte, jedoch wurde hauptsächlich die elamische Keilschrift gebraucht, s. Tavernier (2017) 339.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

nach existieren nach heutigem Kenntnisstand keine elamischen Schriftzeugnisse mehr. Insgesamt gibt es nur eine geringe Anzahl von Rechtsurkunden, Briefen und wissenschaftlich-literarischen Texten in Elamisch.1741 Die sumero-akkadische Keilschrift wurde für das Elamische adaptiert. Die elamische Keilschrift ist auch syllabo-logografisch, jedoch werden deutlich weniger Zeichen verwendet als in der sumero-akkadischen Keilschrift. Insgesamt sind nur etwa 200 Zeichen bezeugt, in den einzelnen Perioden etwa 100–140.1742 Nach der mittelelamischen Zeit hat sich das Zeicheninventar auf ca. 130 Zeichen stabilisiert. Eine beinahe rein syllabische Schreibweise ist möglich. Die elamische Keilschrift besitzt Vokal-Konsonant-Zeichen und Konsonant-Vokal-Zeichen für die Vokale a, i, und u und alle angenommenen Konsonanten. Einige KonsonantVokal-Konsonant-Zeichen sind belegt. Die Syllabogramme haben meist dieselben Standardwerte wie die entsprechenden akkadischen. Eine Reihe von Determinativen und Logogrammen, d. h. Sumerogramme, existieren.1743 Im Altelamischen sind acht von den belegten 107 Zeichen Logogramme, im achämenidischen Elamisch 90 der 131 Zeichen.1744 Jedoch ist dies abhängig von der Art der bezeugten Textgruppen. Der Großteil der Logogramme ist in Verwaltungstexten bezeugt, die zahlreich nur in neuelamischer und Achämeniden-elamischer Zeit vorkommen. Die Logogramme werden für Nomen, insbesondere Realia, gebraucht. Wesentlich seltener und mit abnehmender Tendenz werden sie in Inschriften verwendet.1745 Marie-Joseph Steve stellt eine Veränderung des Aussehens der Zeichen ab der neuelamischen Zeit fest. Ihre Form nähert sich derjenigen der zeitgleichen assyrischen Zeichen an. Er verbindet dies mit einer geschwächten elamischen Zentralmacht.1746 Eine weitere große Veränderung tritt nach Stolper nach etwa 650 ein: The forms of cuneiform characters found in Old Elamite, Middle Elamite, and early NeoElamite texts are similar in composition and general appearance to forms in contemporary Mesopotamian scripts, with very few idiosyncrasies. Forms of many signs in Neo-Elamite text after about 650 BC and in Achaemenid Elamite inscriptions and tablets are sharply and systematically distinct from forms in contemporary Mesopotamian scripts. To a modern

 Vgl. die Angaben in Stolper (2004).  Stolper (2004) 67.  Vgl. Black (2008) 50 f.  Vgl. Steve (1992) 11 mit weiteren Angaben zu den anderen Perioden.  Black (2008) 50.  Steve (1992) 12. Steves Syllabar zum Elamischen beinhaltet auch eine Zeichenliste, in der die Zeichenformen beginnend mit der altelamischen Zeit wiedergegeben sind, s. ebd. 42–142.

4.2 Umliegende Schrifträume mit Kontakt zur sumero-akkadischen Keilschrift

391

eye, the difference is perhaps as great as the difference between standard and Fraktur forms of the Roman alphabet.1747

Unter der Herrschaft der Achämeniden wurden weitere Schriftsprachen eingeführt und parallel verwendet. Die Herrscherinschriften sind größtenteils Trilinguen in Altpersisch, Elamisch, Babylonisch.1748 Sie datieren in die Zeit Darius I. (522–486) bis Artaxerxes III. (359/8–338/7) und stammen aus verschiedenen Fundorten im Iran und aus anderen Gebieten wie dem Van-See und dem Suezkanal (s. u.).1749 Die Reihenfolge der dreisprachigen Inschriften ist meist Altpersisch, Elamisch und Babylonisch. Mit dem Gebrauch der babylonischen Schrift stellten sich die Achämeniden in eine Traditionslinie mit dem mesopotamischen Königtum. Das Altpersische ist eine altiranische Sprache; es ist eine Sprache der Fars/ Persis, der Provinz um Shiraz im Iran, in der auch die achämenidischen Städte Pasargadae und Persepolis liegen. Die schriftlich überlieferte Sprache ist eine Kunstsprache mit archaisierenden und dialektfremden Elementen (wobei es auch ein gesprochenes Altpersisch gab).1750 Die altpersische Keilschrift ist bekannt von Fels-, Stein-, Metallinschriften und äußerst selten von Tontafeln. Sie ist die Prunkschrift der achämenidischen Könige. Möglicherweise wurde das Altpersische teilweise auch mit der aramäischen Linearschrift realisiert.1751 Die Keilschriftzeugnisse datieren von Darius I. (522–486) bis Artaxerxes III. (359/ 8–338/7); der Großteil der Inschriften ist jedoch in die Zeit der Herrschaft Darius I. und Xerxes I. (486–465) einzuordnen.1752 Meist sind sie dreisprachig; manchmal jedoch nur in Altpersisch bzw. Altpersisch und Elamisch. Die altpersische Keilschrift wurde möglicherweise speziell für die dreisprachige Behistun-Inschrift, die sich bei einem Relief Darius I. befindet, entwickelt, um die Muttersprache der altpersischen Könige wiederzugeben.1753 Sie besteht aus 36 phonetischen Zeichen. Drei von ihnen sind Vokalzeichen, nämlich für a, i und u, 22 sind Konsonant-Vokalzeichen mit dem Vokal a, die jedoch auch als reine Konsonantenzeichen verwendet werden können, wenn sie vor einem anderen Konsonanten bzw. am Wortende stehen. Vier weitere Konsonant-Vokalzeichen

 Stolper (2004) 67.  Für eine Auflistung aller achämenidischen Inschriften in Keilschrift siehe Schmitt (2009) 7–32.  Wiesehöfer (1994) 27.  Schmitt (2004) 717, s. ferner für die altpersischen Inschriften Schmitt (2009).  Für ein Beispiel vgl. Schwiderski (2004) 306.  Schmitt (2004) 717, s. ferner für die altpersischen Inschriften Schmitt (2009).  Vgl. für eine Besprechung der Textpassage Rubio (20072) 35–39.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

mit dem Vokal i sind vorhanden und sieben mit dem Vokal u. Darüber hinaus gibt es acht Logogramme. Zudem existieren Worttrenner und Zahlzeichen. Die Keilschrift wird folglich für ein Silbenalphabet gebraucht. Vom Erscheinungsbild unterscheidet sich die altpersische Keilschrift von der zeitgenössischen assyrisch-babylonischen, dadurch dass die waagerechten und senkrechten Keile sich bei der altpersischen Keilschrift nicht überschneiden.1754 Neben dieser Ähnlichkeit zur urartäischen Keilschrift treten nach Rüdiger Schmitt auch Übereinstimmungen bei einigen sprachlichen Formeln der Inschriften z. B. der Königstitulatur auf.1755 In einigen Fällen wurde zu der dreisprachigen keilschriftlichen Inschrift eine ägyptische hinzugefügt, die deutlich länger ist als die einzelnen Versionen der Keilschriftsprachen.1756 Dies ist z. B. der Fall bei den Inschriftenstelen vom Suezkanal in Ägypten von Darius I. und der Statue des Darius I., die in Susa gefunden wurde.1757 Bei den Inschriftenstelen vom Suezkanal befindet sich der keilschriftliche Text neben dem hieroglyphischen, d. h., die Texte stehen auf der Vorder- und Rückseite oder sind auf zwei getrennt nebeneinander stehenden Steinen angebracht. Die der Keilschrift gegenüberstellende Anbringung der Hieroglyphen verweist auch auf den unterschiedlichen Inhalt – der hieroglyphische Text ist wesentlich ausführlicher. So auch bei der Darius-Statue; er ist dort im Stil ägyptischer Monumentalinschriften verfasst.1758 Neben der Anbringung in den Gewandfalten, in denen die keilschriftlichen Versionen angebracht sind, befinden sich Hieroglyphen zudem auf der Basis der Statue.1759 Auch auf Alabastren kann sich neben einer Besitzangabe des Großkönigs in Altpersisch, Elamisch und Babylonisch eine in ägyptischen Hieroglyphen geschriebene befinden, wie es bei Beispielen aus Susa1760 und einem weiteren Beispiel vermutlich aus Persepolis – mit zusätzlich einigen möglicherweise aramäischen Schriftzeichen – der Fall ist.1761 In der Behistun-Inschrift sagt Darius, dass er Abschriften dieser Inschrift ins ganze Reich versenden möchte. 1762 In Elephantine, einer Nil-Insel in Oberägypten, wurden die Papyrus-Fragmente einer aramäischen Version

 Vgl. Schmitt (2004) mit weiteren Angaben.  Schmitt (2014) 202–213.  Schmitt (1993) 93 f.  Vgl. für die Statue Yoyotte (2010).  Schmitt (2006) 238–240.  Vgl. Yoyotte (2010).  Vgl. die Abbildung des Alabastron Wien, Kunsthistorisches Museum ÄOS 9922 bei Schmitt (2006) 236.  Vgl. Seipel (2003) 72 Kat.-Nr. 3.1.59.  S. für die Textpassage und für eine Diskussion Rubio (20072) 36–39.

4.2 Umliegende Schrifträume mit Kontakt zur sumero-akkadischen Keilschrift

393

aufgefunden 1763 und in Babylon stand eine nur fragmentarisch erhaltene Stele mit einer Inschrift in babylonischer Keilschrift und einem Relief.1764 Die altpersische Sprache spielte womöglich in der Verwaltung eine gewisse Rolle; höherstehende Personen benutzten sie und gaben in ihr wahrscheinlich Anweisungen. Allerdings wurde sie in der Regel nicht als Schriftsprache für administrative Texte gebraucht.1765 Denn das Aramäische war Kanzleisprache und Kanzleischrift des gesamten Reichs. Die Schrift und Sprache wurde von der assyrisch-babylonischen Tradition (s. u.) übernommen und weiterentwickelt.1766 Dadurch erklärt sich auch, dass im Griechischen, Hebräischen und Demotischen mit ‚assyrischer Schrift‘ die aramäische bezeichnet wird.1767 Im Elamischen gibt es einen Ausdruck für ‚Schreiber‘, der näher mit ‚auf Leder‘ und ‚Babylonier‘ bestimmt wird (s. Kap. 4.1.3.3). In der Verwaltung des achämenidischen Reichs spielte der sprʾ, der aramäische Schreiber, der durchaus auch eine höhere Position innehaben konnte, eine wichtige Rolle (vgl. die Diskussion zu sepīru in Kap. 4.4.2). Neben dem Aramäischen wurden je nach Region noch weitere Schriften und Sprachen verwendet – z. B. Lydisch, Lykisch und Griechisch –, von denen es auch mehrsprachige Texte gibt.1768 Die aramäischen offiziellen Texte wurden in die jeweils regional verwendeten Schriftsprachen übersetzt.1769 Einen Einblick in die Verwaltung liefern zwei Archive in Persepolis mit mehreren tausend tönernen Schriftzeugnissen. Zum Teil sind sie rechteckig, aber größtenteils sind es Tonbullen (s. Kap. 4.1.3.2). Abhängig von ihrem jeweiligen Fundort werden die Texte als ‚Persepolis Treasury Tablets‘ und ‚Persepolis Fortification Tablets‘ bezeichnet. Im ‚Persepolis Treasury Archive‘ (Laufzeit: 492–458) wurden 198 zungenförmige Tonbullen bzw. größere Fragmente (einzige Aus-

 Schmitt (1993) 86.  Ursula Seidl bespricht die verschiedenen Fragmente, s. Seidl (1999).  Tavernier (2017) 340–342 und passim.  Vgl. Black (2008) 58–60 und Schmitt (1993) 82–93 mit weiteren Angaben. Die damals noch nicht publizierten Texte aus Baktrien sind inzwischen publiziert, vgl. Naveh/Shaked (2012). Für reichsaramäische Schriftzeugnisse vgl. Schwiderski (2004). S. auch Kap. 4.1.3.1 für die erhaltenen Lederdokumente. Für einen Überblick zum Gebrauch des Reichsaramäischen s. Gzella (2015) 157–211. Nach Röllig weist bereits die aramäische Linearschrift der assyrischen Zeit „Züge des späteren Reichsaramäischen“ auf, s. Röllig (2014) 15 und 17–20.  S. Schmitt (1993) 83 f. Im Griechischen konnte vereinzelt damit auch die Keilschrift bezeichnet werden, vgl. ebd. S. auch Greenfield (1991) 183 f.  Vgl. Schmitt (1993) 90 f., 95–97 und Schmitt (2006) 238–243. Für die aramäischen Texte aus Kleinasien s. Lemaire/Lozachmeur (1996).  Vgl. Schmitt (1993) 87 f., Tavernier (2008) 60 f. und 72 f., Schütze (2017) 501–503 sowie Tavernier (2017) 379 f.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

nahme ist eine babylonische rechteckige Tafel) und 548 kleinere Fragmente ausgegraben. Es handelt sich um gesiegelte elamische Texte und gesiegelte unbeschriftete Tonbullen.1770 Die ‚Persepolis Fortification Tablets‘ (Laufzeit: ca. 509–493) – inklusive aramäischer Texte und unbeschriebener Tonbullen – umfassen ca. 20 000–25 000 Tafeln und Fragmente, was auf die Existenz von etwa 15 000–18 000 Tafeln verweist. Mindestens zwei Drittel davon sind elamisch, mindestens ein Fünftel ist unbeschriftet und weniger als ein zwanzigstel sind monolinguale aramäische Texte.1771 Die aramäischen Texte, die nur in Form von Tonbullen bezeugt sind, stellen mit etwa 830 die zweitgrößte Gruppe von Texten dar.1772 Der phrygische Text ist fragmentarisch, der babylonische entspricht zeitgleichen babylonischen Texten. Der griechische wie auch der altpersische Text – der bisher einzige bezeugte Alltagstext im Altpersischen – folgen dem Textformular der elamischen und aramäischen Texte.1773 Darüber hinaus gibt es ein bis zwei demotische Texte.1774 259 aramäische Beischriften sind von den soweit untersuchten ca. 6200 elamischen Schriftzeugnissen bekannt.1775 Wie Henkelman betont, sind die elamischen, aramäischen und unbeschrifteten Zeugnisse Teil eines Archivsystems. Die aramäischen Zeugnisse, die nur einen sehr knappen Text zum Inhalt haben, und die unbeschrifteten Artefakte funktionierten in Verbindung mit anderen Dokumenten – möglicherweise elamischen bzw. aramäischen. Es wird angenommen, dass etwa 10 Prozent der Siegelbilder sowohl auf den aramäischen und den elamischen als auch den unbeschrifteten Tafeln und Tonbullen vorkommen, was ein weiteres Indiz für die Interdependenz dieser Objekttypen ist.1776 Vereinzelt wurden zungenförmige Tonbullen mit elamischer Keilschrift auch in Susa und Kandahār gefunden, so dass auch dort von ähnlichen Archivsystemen ausgegangen werden kann.1777 Gesiegelte zungenförmige Tonbullen in elamischer Keilschrift dokumentieren einzelne Transaktionen. Sie werden lokal, z. B. in einem kleinen Dorf, hergestellt. In bestimmten Abständen werden die Tonbullen einer Verwaltungsprovinz (in dem am besten bekannten Beispiel

 Schmidt (1957) 4. Henkelman (2013) 534 beschreibt den Fund und Publikationsstand folgendermaßen: „From a find of 746 tablets and fragments, 138 sealed, tongue-shaped Elamite tablets and one rectangular Akkadian tablet are published; 199 sealed clay bullae and tongueshaped anepigraphic tablets are provisionally published in the excavation report.“ .  Jones/Stolper (2008) 42 f. Für die Laufzeit vergleiche auch Garrison/Henkelman (2020) 173 f.  Azzoni (2017) 455.  Tavernier (2008) 62 f. Siehe auch Azzoni (2019) 3.  Azzoni (2019).  Azzoni/Stolper (2015) 4 f.  Henkelman (2013) 533.  Henkelman (2013) 531.

4.2 Umliegende Schrifträume mit Kontakt zur sumero-akkadischen Keilschrift

395

Persepolis) eingesammelt. Der Inhalt mehrerer Memoranda wird auf rechteckigen Tafeln der ‚Verwaltungshauptstadt‘ (hier Persepolis) festgehalten, die weiter in diverse Buchhaltungsunterlagen mit spezifischem Format übertragen werden.1778 Ein mehrschriftiges und mehrsprachiges Archivsystem wurde angewandt.1779 Nach Schmitt kam es um 460 zu einer Verwaltungsreform, was zur Folge hatte, dass die elamische Keilschrift und Sprache nicht mehr in der Verwaltung gebraucht wurde, sondern nur noch die aramäische Linearschrift auf Leder.1780

4.2.4 Taymāʾ Der babylonische König Nabonid (555–539) verbrachte 10 Jahre (von 553/2–543/2) im ‚Exil‘ in der Oase Tēmā/Taymāʾ, welche in der Provinz Tabuk im Nordwesten Saudi-Arabiens liegt. Diese Oase war eine wichtige Handelsstation im Netzwerk der Karawanen des antiken Arabiens.1781 Das Fragment einer Stele mit einer akkadischen keilschriftlichen Inschrift, die Nabonid zugeschrieben wird,1782 und einige weitere Textfragmente1783 bezeugen die Verwendung der sumero-akkadischen Keilschrift an diesem Ort. Zudem befindet sich in der Oase Padakku/al-Ḥāʾiṭ in der Provinz Ḥaʾil im Norden Saudi-Arabiens ein Felsrelief Nabonids mit keilschriftlicher Inschrift. Die Rolle der Keilschrift auf der arabischen Halbinsel sollte jedoch nicht überschätzt werden. In den westlichen zwei Dritteln der arabischen Halbinsel, von Südsyrien bis zum Jemen, haben sich zahlreiche Inschriften verschiedener Sprachen und Schriften des Altnordarabischen (auch Frühnordarabisch genannt) und Altsüdarabischen, welche zur semitischen Sprachfamilie gehören, erhalten. Die Schreibe- und Lesefähigkeit war weit verbreitet, und zwar nicht nur in besiedelten Gebieten, sondern auch bei den Nomaden.1784 Aus Taymāʾ und seiner Umgebung ist das Taymanische bekannt, eine von mehreren Schriften und Dialekten des Oasen-Nord-Arabischen, welches zum Altnordarabischen gezählt wird. Die zahlreichen (mehrere hundert) Inschriften in diesem

 Henkelman (2013) 535 f.  Für die achämenidische Verwaltung vgl. auch Henkelman (2017) und Garrison/Henkelman (2020).  So Schmitt (1993) 98 und (2006) 243.  Vgl. für weitere Angaben Schaudig (2011–13) und Hausleiter (2011–13).  Eichmann/Schaudig/Hausleiter (2006).  Schaudig (im Druck).  Vgl. Macdonald (2010).

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

Dialekt stammen womöglich aus dem 6. bis 5. Jahrhundert.1785 Bisher kommt der Großteil der Texte aus der Umgebung von Taymāʾ; vereinzelt sind z. B. Siegellegenden von Siegeln aus Mesopotamien des 6. und 5. Jahrhunderts bekannt. Abgesehen von einigen Grabinschriften sind die erhaltenen Texte Graffiti. Es gibt keine offiziellen Texte der Regierung bzw. offizielle religiöse Texte, obwohl eine Reihe von Texten religiöse Aussagen wie Gebete enthalten.1786 In mehreren Inschriften aus der Umgebung Taymāʾs bezeichnet sich eine Person als Gefährte etc. vom König von Babylonien bzw. von nbnd mlk bbl ‚Nabonid, König von Babylonien‘,1787 so dass als gesichert gilt, dass ein Teil der Gefolgschaft Nabonids der taymanischen Schrift und Sprache mächtig war. Das Taymanische verwendet ein Konsonantenalphabet, wiedergegeben in Linearschrift, das zur arabischen bzw. südsemitischen Alphabettradition (und nicht zur phönizisch-aramäischen Tradition) gehört. 26 bzw. 27 Buchstaben wurden mit Sicherheit identifiziert.1788 Häufig werden Worttrenner in Form von Punkten oder kurzen Linien verwendet.1789 Die Schreibrichtung ist variabel, jedoch in der Regel horizontal von links nach rechts bzw. rechts nach links. Texte mit mehr als einer Zeile können boustrophedon geschrieben sein, was für Michael C. A. Macdonald auf eine primäre Verwendung der Schrift für Inschriften verweist.1790 Nach Macdonald führte Nabonid die aramäische Schrift und Sprache als Prestigeschrift und -sprache ein, welche in den Jahrzehnten nach seinem Aufenthalt das Taymanische ersetzte.1791 Die erhaltenen aramäischen Inschriften aus Taymāʾ und Umgebung sind reichsaramäisch bzw. nabatäisch; sie wurden nicht von Muttersprachlern, sondern Arabern verfasst.1792 Die sogenannte Kultstele von Taymāʾ datiert nach Peter Stein um das Jahr 380. Inhalt der aramäischen Inschrift ist die Übertragung des Nutzungsrechts von Dattelpalmen an einen Priester und seine Nachkommen. Das Formular und der Inhalt besitzen babylonisch-keilschriftliche Vorbilder, insbesondere die Kudurrus (vgl. Kap. 2.2: asumittu und narû).1793 Auf dem Relief der Schmal-

 Macdonald (2004) 490. Für weitere Angaben zu Taymāʾ und den dortigen taymanischen Schriftfunden vgl. Hayajneh (2011) 762–766. Auch andere Schriftzeugnisse in einigen der altnordarabischen Dialekte, der altsüdarabischen Dialekte und des Aramäischen wurden in der Umgebung Taymāʾs aufgefunden, vgl. ebd. 766.  Macdonald (2010) 11. Vgl. für den Aufbau der Inschriften Hayajneh (2011) 764–766.  Müller/Al-Said (2002) und Al-Said (2009). S. auch Livingstone (2005).  Macdonald (2004) 494.  Macdonald (2010) 11.  Macdonald (2010) 11.  Macdonald (2010) 11.  S. Beyer/Livingstone (1987) 285. Vgl. zum Gebrauch des Aramäischen Stein (2013).  Stein (2014).

4.2 Umliegende Schrifträume mit Kontakt zur sumero-akkadischen Keilschrift

397

seite der Stele ist im unteren Register ein Priester vor einem Altar, auf dem ein Stierkopf liegt, abgebildet. Die Figur im oberen Register ähnelt Darstellungen neubabylonischer Könige, insbesondere Nabonids.1794 In einer Inschrift Jariris (s. Kap. 4.2.1) in luwischen Hieroglyphen vom Anfang des 8. Jahrhunderts bezeichnet sich dieser als kundig von mehreren Schriften, eine davon die Taimani-Schrift. Jonas C. Greenfield schlug eine Identifikation mit dem Taymanischen vor.1795 Starke weist dies ab mit dem Hauptargument „daß hier weniger an irgendeine abseitige, exotische als vielmehr an eine für Karkamis besonders naheliegende und unmittelbar wichtige Schrift zu denken ist.“1796 Auch formal ist seiner Meinung nach eine Gleichsetzung mit dem Taymanischen nicht möglich, da „sich Taimani- als Ableitung von einem thematisierten Stamm Taimana-✶ versteht, das n also Bestandteil des fremden Namens ist.“1797 Er identifiziert Taiman mit den Namen Teman✶, der als neuassyrisches Ethnikon für einen Aramäerstamm in Ḫanigalbat belegt ist. Folglich ist die Taimani-Schrift die aramäische Alphabetschrift. Das ist jedoch nur möglich, wenn zu dieser Zeit bereits die aramäische Schrift von der phönizischen geschieden wurde, die nach Greenfield und auch Starke neben den luwischen Hieroglyphen und der neuassyrischen Keilschrift in der Inschrift genannt wird.1798 Dies gilt in der neueren Forschung als gesichert.1799 Alasdair Livingstone hält eine Identifikation mit Teman für unwahrscheinlich: „The suggestion that Taiman is the Teman in Hanigalbat encounters the serious difficulty that this Teman in Hanigalbat was not an important place and did not have its own script.“1800 Er spricht sich daher für eine Identifikation mit der taymanischen Schrift aus.1801

4.2.5 Selten bezeugte und unentzifferte Schriften Neben den Schriftzeugnissen für relativ gut überlieferte Schriftsysteme dokumentieren fernerhin die sehr selten bezeugten Schriften und die mit ihnen realisierten  Vgl. hierzu Moortgat-Correns (1997) mit einer Fotografie und Umzeichnung des Reliefs.  Greenfield (1991) 180 f.  Starke (1997) 390.  Starke (1997) 390.  Greenfield (1991) 179 f.; Starke (1997) 390–392.  Vgl. u. a. Niehr (2016) 305 und auch DeGrado/Richey (2017) 111 f. Es gibt jedoch regionale und zeitliche Unterschiede. Nach Walter E. Aufrecht (2014) sind paläografische Studien, die das Trägermedium und die geografische Herkunft der altaramäischen Schriftzeugnisse berücksichtigen, ein Desiderat der Forschung.  Livingstone (1995) 136.  Livingstone (1995) 136 f.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

Sprachen die Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit des 1. Jahrtausends. Zeugnisse dieser seltenen Schriften und Sprachen sind verstreut publiziert, deswegen wird an dieser Stelle kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben. In Samʾal/Zincirli (vgl. Kap. 4.2.1) bzw. seiner unmittelbaren Umgebung wurden drei beschriftete Lamaštu-Amulette aufgefunden, welche Jessie DeGrado und Matthew Richard näher untersuchten. Eines der Amulette besitzt neben einer aramäischen Inschrift auch einige linearschriftliche Zeichen einer ihrer Meinung nach Pseudo-Schrift.1802 Letzteres trifft auch auf die Inschrift des zweiten Objekts zu.1803 Das dritte Objekte besitzt einige obskure Keilschriftzeichen, vermutlich wiederum eine Art Pseudo-Schrift.1804 Karen Radner gibt einige Beispiele für die neuassyrische Zeit an.1805 So existiert eine keilschriftliche hochformatige Tafel, womöglich ein Brief, der nicht weiter zu entziffern ist. J. Nicholas Postgate, der diesen publizierte, wirft die Frage auf, ob er Urartäisch sein könnte.1806 Aus Kalḫu/Nimrud stammte eine dreckige gesiegelte keilschriftliche Tonbulle, ND 7087 (CTN 3 Nr. 78), deren Sprache nicht näher bestimmt wurde. Radner veröffentlichte vier in Assur gefundene Texte, und zwar drei keilschriftliche Tontafeln, darunter eine Hüllentafel, sowie eine Tonbulle, deren Sprache sie als Medisch ansieht.1807 Dieser Hypothese widerspricht Theodore Kwasman und interpretiert die Texte als Elamisch, verweist jedoch darauf, dass für die weitere Entzifferung ein Elamisch-Spezialist benötigt werde.1808 Francis Joannès listet für Babylonien im Zeitraum vom 7. bis zum 4. Jahrhundert mehrere Beispiele, inklusive Bilder, auf.1809 Auf einer Achämeniden-zeitlichen keilschriftlichen Tafel in akkadischer Sprache ist eine Beischrift angebracht. Möglicherweise ist diese in der altindischen Brahmanen-Schrift wiedergegeben. Die Tafel datiert in das 23. Jahr Artaxerxes (?) – also 441 oder 381. Dem Inhalt nach ist es eine Sklavenverkaufsurkunde. Die Beischrift ist auf der Freifläche zwischen der

 DeGrado/Richey (2017). Zwar soll seit dem Ende des 9. Jahrhundert eine eigenständige aramäische Schrift existieren, allerdings lässt sich bei der entzifferbaren Inschrift nicht feststellen, ob es sich um aramäische oder phönizische Schrift handelt, ebd. 111 f.  DeGrado/Richey (2017) 122 f. Abb. 6 und 7.  S. hierzu Bossert (1958) 402–405 und Taf. LVII, Abb. 1–4, Schramm (1983), Farber (1998) und DeGrado/Richey (2017) 122 Fn. 75 und 77. Linearschriftähnliche Zeichen befinden sich auch auf zwei Anhängern aus Stein sowie einer Scherbe, von Luschan (1943) Taf. 10 d, e und 15 g. Bei den Amulettsteinen gilt der Fundort als unbestimmt, ebd. 147. Die Objekte sind nicht in Niehrs Auflistung der Schriftfunde aus Zincirli vermerkt, vgl. Niehr (2016) 309 f.  Radner (1999) 197.  Postgate (1973b) 35 f.  Radner (1999) 197–205.  Kwasman (2001–02) 222 f.  S. Joannès (2009) 224 und 231 f.

4.2 Umliegende Schrifträume mit Kontakt zur sumero-akkadischen Keilschrift

399

Zeugenliste und der folgenden Nennung des Schreibers und der Datierung angebracht.1810 Schriftzeugnisse vermutlich der altsüdarabischen Schrift stammen aus Ur, Uruk, Nippur und anderen Fundstätten und wurden möglicherweise ab dem 8./7. Jahrhundert für ca. zwei Jahrhunderte geschrieben.1811 Joannès führt drei Tontafelfragmente mit dieser Schrift aus Uruk, Ur und Nippur an.1812 Sechs keilschriftliche Tontafeln aus der hellenistischen Zeit aus Uruk tragen eine Beischrift in einer bisher nicht entzifferten Schrift, möglicherweise einer Alphabetschrift.1813 Julian Reade verweist auf einige Tontafeln mit Zeichen einer womöglich alphabetischen Kursiven. Sie kommen aus Ninive; die Datierung ist nicht gesichert, ein Datierungsvorschlag ist die achämenidische Zeit, ein anderer die griechisch-parthische Zeit.1814 In Tell Fisna, welches in Nordmesopotamien liegt, wurde ein Tontafelfragment in einer in die hellenistische Zeit zu datierende Abfallgrube gefunden. Der Text wurde in einer Art Keilschrift niedergeschrieben. Einzig die Zählzeichen sind entzifferbar. Jeremy Black stellt die These auf, dass es sich um einen astronomischen bzw. astrologischen Text handelt.1815 Einige Beschwörungen des keilschriftlichen Muššuʾu-Handbuches des 1. Jahrtausends weisen Elemente einer unbekannten Sprache auf. Wie bei der sogenannten Traditionsliteratur üblich, konnten Textvertreter dieses Handbuches aus verschiedenen Jahrhunderten und Fundorten stammen, hier etwa vom 9. bis 4. und möglicherweise bis zum Beginn des 3. Jahrhunderts. Teilweise erwähnen bereits Texte des 2. Jahrtausends Beschwörungen dieser Serie. Barbara Böck nennt in ihrer Bearbeitung dieser Serie drei Beschwörungen, VIII e, f und g, die in einer undeutbaren Sprache verfasst worden sind. Bei einigen weiteren in Sumerisch finden sich wiederum Elemente einer unverständlichen Sprache, VIII j und q. Bei VI i erscheint eine Mischsprache aus Akkadisch und unbekannten Elementen und bei VII d eine Vermengung von Akkadisch, Sumerisch und undeutbaren Elementen.1816 Böck verweist auf die Möglichkeit, unverständliche Wortreihungen wie bei IV i kak.kib kak.kib ka.na.kib als ‚Abrakadabra‘ zu interpretieren. Bei dieser Beschwörung merkt sie an, dass es sich auch um die Nachahmung bzw. Ent-

 S. Bobrinskoy (1936) für eine Diskussion der Beischrift.  Ephʿal (1974) 109 f. und Biggs (1965) mit weiteren Angaben zu den entsprechenden Texten.  Joannès (2009) 224 und 232.  McEwan (1982) = OECT 9 35.  Reade (1998) 79 f. Nach Westenholz (2007) 262 Fn. 1 gleichen sie oberflächlich den Graeco-Babyloniaca.  Black (1997).  Vgl. Böck (2007) passim.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

stellung von anderen Sprachen handeln könnte oder um nomina sacra von Göttern.1817 VIII g ordnet sie den „Abrakadabra-Beschwörungen“ zu.1818 Solche „Abrakadabra-Beschwörungen“ kommen häufig im medizinischen Textkorpus vor, jedoch nie in den Standardbeschwörungsserien Šurpu und Utukkū lemnūtu.1819 Es besteht die Möglichkeit, dass bei einigen von ihnen eine nicht entzifferte Sprache oder sehr schlechtes Sumerisch verwendet werden. Beatrice Baragli merkt an, dass ihre Wirkung nicht auf Verständlichkeit beruht. Auch ästhetische Überlegungen des Schriftbildes könnten eine Rolle bei den visuellen Wiederholungen spielen, was aber weitere Untersuchungen bräuchte.1820

4.3 Die Verwendung des Aramäischen im neuassyrischen Reich Neben der akkadischen Keilschrift im neuassyrischen Duktus und dem Akkadischen wurde im neuassyrischen Reich die aramäische Linearschrift und Sprache als Schriftsprache in der Verwaltung verwendet. Dies legen die im Folgenden behandelten aramäischen Schriftzeugnisse und keilschriftlichen Hinweise nahe.1821

4.3.1 Aramäische Schriftzeugnisse Ins 9. und 8. Jahrhundert datieren mit Buchstaben des westsemitischen Alphabets versehene glasierte Ziegel und Elfenbeinarbeiten aus Kalḫu/Nimrud. Es bleibt unklar, ob dabei das phönizische, das hebräische oder das aramäische Alphabet wiedergegeben wird. Bei den glasierten Ziegeln sind auf der flachen Seite Striche und andere Markierungen, z. B. ein menschliches Gesicht und eine Streitaxt, in weißer Farbe aufgemalt; vergleichbare Markierungen sind auch von Ziegeln anderer neuassyrischer Fundorte bekannt. Die Striche stehen wohl für eine bestimmte Anzahl. Bei den Ziegeln aus Kalḫu/Nimrud wurden mit schwarzer Farbe zusätzlich westsemitische Buchstaben angebracht. Auf den Rändern mancher dieser Ziegel – aufgemalt in Keilschrift – befinden sich der Name des neuassyrischen Königs Salmanassar III. (858–824) und seine Titulatur. Mithilfe der

    

Böck (2007) 179. Böck (2007) 56. Vgl. für eine Diskussion der Belege des 1. Jahrtausends Baragli (2019). Baragli (2019) 318 f. Für die Anzahl der aus neuassyrischer Zeit bekannten Texte s. Streck (2010) 43 f.

4.3 Die Verwendung des Aramäischen im neuassyrischen Reich

401

Buchstaben konnten die Ziegel alphabetisch angeordnet werden; sie dienten den Handwerkern dazu, die Ziegel in der richtigen Abfolge anzubringen. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsweise, dass die Handwerker Aramäisch lesen und schreiben konnten. Auch bei Elfenbeinarbeiten aus Kalḫu/Nimrud kommen Buchstaben, in diesem Fall eingraviert, vor. Solche Markierungen befinden sich ferner auf dem Elfenbeinpolyptychon aus Kalḫu/Nimrud. Auf die Elfenbeinarbeiten wurden vereinzelt auch ganze Wörter bzw. kürzere Texte geschrieben. Darüber hinaus kommen relativ selten aramäische Inschriften auf anderen Gegenständen wie Bronzeschalen und Scherben vor. Die Inschriften der Bronzeschalen sind vergleichbar mit den Siegelinschriften. Nur ein kleiner Anteil der neuassyrischen Siegelbilder, ungefähr 70, sind mit einer Inschrift versehen. Bei ca. einem Dutzend sind dies eine aramäische, bei einem Beispiel aus Dūr-Katlimmu/Tall Šēḫ Ḥamad sogar eine arabische. Aus DurŠarrukin/Khorsabad stammt eine Siegelabrollung, die eine aramäische Inschrift eines Beamten Sargons II. (721–705) besitzt.1822 In Kalḫu/Nimrud wurde außerdem eine Serie von 16 bronzenen Gewichtslöwen unterschiedlicher Größe geborgen. Die Gewichte datieren in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts und ins erste Fünftel des 7. Jahrhunderts. Auf einer Seite sind Striche angebracht, die für die Anzahl der Maßeinheit stehen. 13 Löwen sind zusätzlich mit aramäischer Linearschrift, die das Aramäische wiedergibt, und der neuassyrischen Variante der akkadischen Keilschrift, die das Akkadische notiert, versehen. Die schon mit Strichen notierte Anzahl wird in der assyrischen und auch in der aramäischen Inschrift wiederholt. Die Maßeinheit ‚Mine‘ wird dem König zugeordnet, in der assyrischen Inschrift kann zusätzlich der Name des jeweiligen Königs genannt sein. Ausnahmen bilden drei Löwengewichte. Ersteres besitzt nur eine aramäische Inschrift und die erwähnten Striche, das zweite nur eine neuassyrische Inschrift und die Striche und ein drittes ist gar nicht beschriftet.1823 Ein Bronzegewicht in Form einer Ente (IM 115432) wurde in Grab II der neuassyrischen Königinnen in Kalḫu/Nimrud gefunden. Dieses trägt ebenfalls eine solche zweisprachige und zweischriftige Inschrift, Strichmarkierungen und überdies noch die Zeichnung eines Skorpions.1824

 Millard (2008), s. dort für weitere Literaturangaben. Die entsprechenden aramäischen Inschriften finden sich bei Schwiderski (2004) passim. Für die arabische Siegellegende s. jedoch Sass (2015).  Vgl. Mitchell (1990), Fales (1995), Zaccagnini (1999) und Fales (2016).  Al-Rawi (2008) 126–130. Für Literaturhinweise der Assoziation des Skorpions mit der neuassyrischen Königin s. Sass/Marzahn (2010) 182 Fn. 254. In Mesopotamien und teilweise auch in den angrenzenden Gebieten war es üblich, Steingewichte in Form von Enten zu ver-

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

In Assur wurde ein mit Tinte beschriftetes aramäisches Ostrakon geborgen, das auf ca. 650 datiert.1825 Nach Frederick Mario Fales ist der Text der Entwurf eines Privatbriefes, der später auf eine Schriftrolle niedergeschrieben wurde. Der Adressant, der Sender, stammt aus Assur und der Adressat, der Empfänger, ist in Babylonien zu lokalisieren.1826 Der Aufbau, die angewandten rhetorischen Mittel und einige Lehnübersetzungen zeigen nach Fales, dass als Vorbild der Dokumenttyp ‚neuassyrischer Brief‘ diente.1827 Ansonsten haben sich einige wenige weitere Beispiele an Ostraka erhalten; diese sind mit einer wesentlich kürzeren Inschrift versehen worden wie das sogenannte Nimrud-Ostrakon ND 6231, das zwei Listen mit westsemitischen Personennamen in aramäischer Linearschrift aufweist.1828 Monolinguale aramäische Tonbullen und Tontafeln sowie Beischriften auf keilschriftlichen Rechtsurkunden zeugen von der Verwendung des Aramäischen im neuassyrischen Reich, insbesondere im Westteil des Reichs. Diese Textzeugnisse datieren in das 7. Jahrhundert. Sie wurden größtenteils im selben Archivkontext wie keilschriftliche Tontafeln gefunden. Es sind ca. 400 aramäische Texte (Beischriften, rechteckige Tontafeln und Tonbullen) bekannt.1829

wenden. Manchmal sind diese mit einer keilschriftlichen Inschrift versehen, die Angaben zu den Maßen und auch zu den Besitzern der Gewichte machen. Interessant sind in diesem Zusammenhang zwei neuassyrische Entengewichte, BM 91438 (1848,1104.168) und BM 91442 (1848,1104.169), die auch aus Kalḫu/Nimrud stammen. Auf der einen Seite sind ebenfalls Striche wie bei den Löwengewichten angebracht. Auf der anderen Seite befindet sich eine kurze Inschrift mit der Zahlangabe in Keilen, die den Strichen auf der anderen Seite entsprechen, und ein eingeritzter Löwe, der für den neuassyrischen König steht. Zur Assoziation des Löwen mit dem Königtum vgl. Watanabe (2002) 42–56, s. auch Sass/Marzahn (2010) 178–180. Für Literaturhinweise zu den beiden Gewichten und weiteren neuassyrischen Gewichten vgl. AlRawi (2008) 126. Für ein weiteres Entengewicht aus den Königinnengräbern vgl. ebenda 131. Ein Beispiel einer neubabylonischen beschrifteten Gewichtsente ist BM 91440. Für Abbildungen der entsprechenden Gewichte siehe den Online-Katalog des British Museum. In der David Sofer Collection, London befindet sich eine Gewichtsente mit elamischer Inschrift (Persönliche Mitteilung Markham J. Geller 11.01.2012).  Hug (1993) 19–21 mit älterer Literatur, siehe auch Fales (2010).  Fales (2010) 198.  Fales (2010) 199 f.  Für die Erstpublikation vgl. Segal (1957). S. ferner Becking (1988) für die Frage, welchen sprachlichen Ursprung die niedergeschriebenen Namen haben. Für die Ostraka aus DūrKatlimmu/Tall Šēḫ Hamad s. Röllig (2014).  Fales (2000) bietet einen Überblick über die zu diesem Zeitpunkt bekannten Textzeugnisse und ihrer Fundorte. Eine Beschreibung der bekannten gemischt linearschriftlichen und keilschriftlichen Archive findet sich zudem bei Fales/Radner/Pappi/Attardo (2005) 604–615. Nach Lemaire (2008) 77 existieren etwa 230 dreieckige und rechteckige aramäische Tafeln, wovon 2008 etwa 70 publiziert waren. Nach Fales (2010) 191 gibt es ca. 250 Texte – Tonbullen,

4.3 Die Verwendung des Aramäischen im neuassyrischen Reich

403

Auf neuassyrischen Erwerbsurkunden und Obligationsurkunden konnte eine kurze aramäische Beischrift, die Bezug auf den Inhalt der Tafel nimmt, angebracht sein. Diese kann eingeritzt und bzw. oder aufgemalt sein (s. Kap. 4.1.1). Bei den von Fales behandelten Erwerbsurkunden, die überwiegend aus Ninive/Kujundschik stammen, befindet sich die Beischrift auf einem bzw. mehreren Rändern der Tafel, meist auf dem linken, den am wenigsten benützten Rand der Tafel.1830 Die Beischrift stellt hier eine kurze Zusammenfassung des keilschriftlichen Textes dar, häufig beginnt sie mit dnt, einem aramäischen Lehnwort für akkadisch dannutu ,Urkunde‘ (vgl. Kap. 2.2).1831 Die Beischriften auf den Obligationsurkunden (Hüllenurkunden) sind nach Fales vergleichbar; die aramäischen Beischriften befinden sich auf der Hülle, manchmal ist die Tafelbezeichnung ʾgrt (egirtu vgl. Kap. 2.2) als einleitende Bezeichnung erhalten.1832 Nach diesen beiden Tafelbzw. Textbezeichnungen folgt die Zusammenfassung, häufig nur mit einem Stichwort angegeben; juristische Fachbegriffe werden nicht verwendet.1833 Bei 61 von 205 der neuassyrischen Tafeln aus Dūr-Katlimmu/Tall Šēḫ Ḥamad sind aramäische Beischriften angebracht. Sie sind eingeritzt und bzw. oder in dunkler

Tafeln und Beischriften – und eine ebenso große Anzahl von Texten, die noch nicht veröffentlicht sind. Zudem sind die Textzeugnisse verstreut publiziert. So sind nicht alle bei Schwiderski (2004) aufzufinden. Fales (1986) bearbeitete 61 Texte (Beischriften, Tonbullen und eine Tontafel). 24 aramäische Tafeln (rechteckig und Tonbullen) aus Privatsammlungen wurden durch André Lemaire (2001) publiziert; im Appendix befinden sich die Lemaire bekannten, nach Fales (1986) publizierten aramäischen Texte. Lemaire (2001) Nr. 24 datiert in die achämenidische Zeit, vgl. ebd. 116. S. zu Lemaire (2001) auch die Besprechung Lipiński (2002). Zwei weitere dreieckige Tonbullen sind in Geller/Kwasman (2003) publiziert. Neben aramäischen Beischriften auf acht Keilschrifttafeln stammen aus Tell Shiukh Fawqani 19 monolinguale Texte und Textfragmente, s. Fales/Radner/Pappi/Attardo (2005). Für einen Überblick über die publizierten Texte juristischen Inhaltes mit Angabe des Tafelformates vgl. Lemaire (2010) 187–191. Vier weitere dreieckige Tonbullen und ein Tonfragment mit aramäischer Inschrift sind ebd. 191–205 publiziert. 25 monolinguale Tonbullen und Tafeln sowie Beischriften auf Keilschriftartefakten aus Ma‘allanāte sind in Lipiński (2010) besprochen. Röllig hat die aramäischen monolingualen Texte aus Dūr-Katlimmu/Tall Šēḫ Ḥamad publiziert, und zwar handelt es sich dabei um 183 Tontafeln, -bullen bzw. ihre Fragmente aus regulären Grabungen und weitere 10 aus dem Kunsthandel stammende, bereits früher publizierte Texte sowie 27 sonstige beschriftete Objekte, unter denen sich auch phönizische Ritzinschriften befinden, Röllig (2014). Die 61 aramäischen Beischriften auf in Dūr-Katlimmu/Tall Šēḫ Ḥamad aufgefundenen Keilschrifttafeln wurden von Röllig in Radner (2002) veröffentlicht. Für eine monolinguale Tonbulle aus Kahramanmaraş, s. Fales (2019).  Fales (1986) 5.  Fales (1986) 6–8.  Fales (1986) 15.  Röllig (2005) 122 f.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

Farbe aufgemalt.1834 Der fragmentarische Erhaltungszustand der Tafeln bzw. die Vergänglichkeit der Tintenbeischriften legen nahe, dass ursprünglich mehr Beischriften existierten. Auch hier wurde der aramäische Text entweder mit dnt oder ʾgrt eingeleitet, wobei beide Bezeichnungen nach Wolfgang Röllig praktisch synonym verwendet werden. Danach folgt eine kurze Zusammenfassung des keilschriftlichen Textes. Die aramäische Beischrift befindet sich meist auf dem Rand, in der Regel dem linken, gelegentlich auch auf freien Flächen auf Vorderseite und Rückseite.1835 Die Anbringung der Beischriften folgt – wie unlängst von Jens Rohde herausgearbeitet – einem festen Schema.1836 Vergleichbar mit der Anbringung des Keilschrifttextes auf der Tontafel und dessen Textformular ist auch die aramäische Beischrift standardisiert. Der aramäische Text wurde erst nach dem Keilschrifttext angebracht und fasst diesen zusammen. Röllig interpretiert die Beischriften der Texte aus Dūr-Katlimmu/Tall Šēḫ Ḥamad als Ordnungsmittel,1837 und zwar als Ordnungsmittel für Keilschriftunkundige.1838 Über 200 aramäische Obligationsurkunden sind in einer charakteristischen dreieckigen Form, den Tonbullen, bisher bekannt.1839 Die überwiegend monolingualen aramäischen Tonbullen stellen einen verhältnismäßig großen Anteil bei den etwa 2000 erhaltenen neuassyrischen Rechtsurkunden dar.1840 Die aramäischen Tonbullen sind Obligationsurkunden meist über Naturalien und Silber. Sie besitzen eine charakteristische dreieckige Form und sind um eine Schnur geformt (vgl. Kap. 3.2.2.1). Sie sind wie die Hüllentafeln in der Regel gesiegelt, die Siege-

 Vgl. Röllig in Radner (2002).  Röllig in Radner (2002) 22 f.  Fügert/Rohde (2018) 126–129.  Röllig in Radner (2002) 22 f.  Röllig (2005) 122–124.  Nach Lemaire (2008) 77 sind ca. 230 aramäische Tontafeln (rechtseckige Tafeln und Tonbullen) bekannt, wobei er von 135 unpublizierten Texten aus Dūr-Katlimmu/Tall Šēḫ Ḥamad ausgeht. Nur ein kleiner Anteil davon sind rechteckige Tontafeln. Zehn rechteckige Tontafeln sind nach Lemaire (2001) 13 publiziert. Drei weitere Texte aus Tell Shiukh Fawqani waren wohl auch ursprünglich rechteckig Fales/Radner/Pappi/Attardo (2005) Nr. 45, Nr. 46 und Nr. 49. Zwei weitere befinden sich in Lipiński (2010) 123–131 und 133–141. Drei aramäische Tontafel(-fragmente) und eine rechteckige Tonbulle stammen aus Dūr-Katlimmu/Tall Šēḫ Ḥamad Röllig (2014) D 1–D 4. Weitere 179 Tonbullen und -fragmente sind darüber hinaus aus Dūr-Katlimmu/Tall Šēḫ Ḥamad bekannt, Röllig (2014) D 5–D 183. Bei einigen dieser Fragmente kann jedoch nicht mit letzter Sicherheit entschieden werden, ob es sich hierbei um dreieckige Tonbullen handelt, Röllig (2014) 6 Fn. 37.  Radner (2021) 162. Zu den 1997 bekannten Fundorten sind inzwischen weitere hinzugekommen, vgl. Radner (1997) 3–18, Radner (2011) 394 f. und Radner (2021) 148.

4.3 Die Verwendung des Aramäischen im neuassyrischen Reich

405

lung befindet sich im oberen Teil der Vorderseite bzw. auf der Oberseite.1841 Die Schrift ist in der Regel eingeritzt und verläuft – wie üblich – von rechts nach links.1842 Das Formular der aramäischen Urkunden orientiert sich an demjenigen der neuassyrischen Obligationsurkunden auf rechteckigen Tontafeln.1843 Es wird angenommen, dass diese Urkunden an einer aramäisch beschrifteten Schriftrolle angebracht waren (s. Kap. 4.1.3.2 und Kap. 3.2.2.1). Zwei bilinguale und zweischriftige Exemplare kommen aus Ninive/Kujundschik.1844 Bei diesen befindet sich auf der einen Seite der Text in Keilschrift und auf der anderen in aramäischer Alphabetschrift. Die keilschriftliche Tontafel muss bekanntlich parallel zur Schriftläufigkeit über die untere Seite fortlaufend gelesen werden. Im Gegensatz dazu sind die monolingualen und die wenigen bilingualen aramäischen Tonbullen über die Hochseite ‚wie ein Buch zu blättern‘.1845 In diesem Zusammenhang sind auch die Tonbullen, die (fast) ausschließlich mit assyrischer Keilschrift beschriftet sind, anzuführen. Sie können entlang der längeren wie auch der kürzeren Seite beschriftet sein. Zum Lesen werden diese wie die rechteckigen Tontafeln mit Keilschrift parallel zur Schriftrichtung gedreht. Innerhalb des Fließtextes sind die Siegelungen auf einer Freifläche angebracht; teilweise kann sich neben der Siegelung Schrift befinden. Schreibrichtung, Tafeldrehung und Siegelanbringung sind folglich schriftabhängig; Tafelformat und Textformular sind der Textgruppe zuzurechnen (s. Kap. 4.1.3.2 und Kap. 3.2.2.1).1846 Des Weiteren gibt es auch hochformatige und querformatige Tontafeln, die in aramäischer Linearschrift und Aramäisch beschriftet sind.1847 Mindestens 11 rechteckige, hochformatige Tontafeln (s. u.) mit aramäischer Inschrift sind bis dato bezeugt.1848 Der Textinhalt ist umfangreicher als bei den aramäischen Obli So nach Anja Fügert für die zahlreichen Beispiele aus Tall Šēḫ Ḥamad/Dūr-Katlimmu, s. Fügert (2013) 229 und Fügert (2015) 132.  So nach Röllig bei den Texten aus Tall Šēḫ Ḥamad/Dūr-Katlimmu, s. Röllig (2014) 17.  Fales (2010) 191–193, s. auch Lipiński (2000b) 580–593 und für die Texte aus DūrKatlimmu/Tall Šēḫ Ḥamad, Röllig (2014) 7–14. Vgl. für weitere Literaturhinweise zum aramäischen Formular Healey (2014) 391 Fn. 4.  Fales (1986) Nr. 3 (SAA 14 Nr. 98) und Nr. 6 (SAA 14 Nr. 99), s. auch Fales (2000) 95 f.  Fales (2000) 116, siehe auch Kap. 3.2.2.1.  Vgl. für die Siegelpraxis Fügert/Rohde (2018) 105–112.  Noch kurz erwähnt sei, dass nicht alle aramäischen Texte auf Ton in die Gruppen Ostraka, Tonbullen, rechteckige Tafeln und Beischriften auf Keilschrifttafeln fallen. So gibt es (selten) bspw. auch beschriftete Anhänger, s. Fales/Radner/Pappi/Attardo (2005) Nr. 58 und Gefäße mit Beischriften, s. Röllig (2014).  Vgl. Lemaire (2001) mit der (Erst-)Publikation von sechs solchen Texten und der Umschrift von weiteren. Von den als Erstpublikation gekennzeichneten Texten Lemaire (2001) Nrn. 1–6 wurden Nrn. 1 und 2 bereits Theodore Kwasman (2000) mit Tafelkopien von Markham J. Geller veröffentlicht. Kwasman kommt stellenweise zu anderen Lesungen des Textes.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

gationsurkunden in Form von Tonbullen. Inhalt sind Rechtsgeschäfte; es handelt sich insbesondere um Erwerbsurkunden. Sie stammen überwiegend aus dem Kunsthandel. Wie bei den Obligationsurkunden wurden auch hier neuassyrische Formulierungen ins Aramäische übertragen.1849 Kwasman zeigt für zwei der Erwerbsurkunden, wovon sich ein Dokument durch sein Ausstellungsdatum in die Regierungszeit Asarhaddons (680–669) datieren lässt, dass das neuassyrische Formular ins Aramäische transferiert wurde.1850 Die beiden Texte stellen nach Kwasman ein frühes Stadium der Übertragung der neuassyrischen Rechtsformulare ins Aramäische dar.1851 Unabhängig von Kwasman zeigt André Lemaire für sechs Erwerbsverträge (die auch die beiden von Kwasman behandelten beinhalten), dass ihr Formular und das Erscheinungsbild Parallelen zu den neuassyrischen Erwerbsverträgen (vgl. Kap. 3.2.2.1) aufweist; auch die Maße sind vergleichbar.1852 Zwei der Erwerbsverträge müssen zur Lektüre über die Hochseite ‚wie ein Buch geblättert werden‘, die anderen wie eine keilschriftliche Tontafel gedreht werden.1853 Die Siegelung – mit Rollsiegel, Stempelsiegel oder Fingernagel – erfolgt im oberen Drittel der Tafel.1854 Ein weiteres Beispiel ist AO. 25.341 mit den Maßen B. 4,24 cm, H. 6,55 cm und Dm. 1,63 cm. Die Fotos in der entsprechenden Publikation legen nahe, dass der Text zur Lektüre über die Hochseite gewendet werden muss. Das Erscheinungsbild ähnelt dem der neuassyrischen Erwerbsverträge (vgl. Kap. 3.2.2.1). Der Text AO. 25.341 schließt einen Gerichtsprozess ab.1855 Für solche Texte gab es bei den neuassyrischen

 Fales (2010) 191–193, vgl. für weitere Literaturhinweise zu dem Thema Healey (2014) 391 Fn. 4.  Vgl. Kwasman (2000).  Vgl. Kwasman (2000) 283.  Vgl. hierzu die von Lemaire (2001) publizierten Texte Nrn. 1–6 und für die Beschreibung des Formulars insbesondere die Seiten 58–64. Bei Nrn. 1–5 sind Größenmaße angegeben. Nrn. 1 und 2 wurden auch von Kwasman (2000) veröffentlicht und besprochen. Bei Nr. 1 stimmen die Größenangaben bei Kwasman und Lemaire nur in etwa überein, s. Kwasman (2000) 275 und Lemaire (2001) 14 Nr. 1.  Vgl. Lemaire (2001). Er gibt für Nr. 1 und Nr. 2 das ‚Blättern‘ über die Hochseite an, so auch Kwasman (2000) 274. Die fehlenden Angaben und die Fotos lassen darauf schließen, dass die anderen bei Lemaire (2001) Veröffentlichten zur Lektüre über die kürzere Seite gewendet werden.  Bei Lemaire (2001) Nrn. 2 (=Kwasman [2000] 280–83 Tablet 2) und 3 wird oberhalb der Siegelung der Verkäufer genannt. Dies könnte auch bei dem bruchstückhaften Text Nr. 5 der Fall sein. Bei Nr. 4 erfolgt die Siegelung oberhalb des Textes auf der Vorderseite, bei Nr. 6 auf dem oberen Rand. Nr. 1 (=Kwasman [2000] 274–80 Tablet 1) ist nicht gesiegelt, bei Nr. 2 ist eine Rollsiegelung vor der Beschriftung angebracht, bei Nrn. 3 und 4 sind Stempelsiegelabdrücke zu finden, bei Nrn. 5 und 6 Fingernageleindrücke.  Die Erstpublikation mit mehreren Fototafeln ist Bordreuil (1973), weitere Literaturangaben finden sich bei Fales (1986) Nr. 58 und Schwiderski (2004) 24 f.

4.3 Die Verwendung des Aramäischen im neuassyrischen Reich

407

Keilschrifturkunden kein festgelegtes Tafelformat. Eine hochformatige Obligationsurkunde aus Tell Shiukh Fawqani (Syrien) hat die Maße B. 3,5 cm, H. 5,8 cm und Dm. 1,5 cm und ist folglich kleiner als ein neuassyrischer Erwerbsvertrag.1856 Um sie zu lesen, muss man sie ‚wie ein Buch blättern‘. Die Siegelung befindet sich am Ende des Textes auf der Rückseite.1857 Zwei Fragmente zweier hochformatiger Tafeln – ein Erwerbsvertrag und ein Vertrag, die zur Lektüre ‚wie ein Buch geblättert‘ werden müssen1858 – und ein Fragment einer rechteckigen Tafel stammen aus demselben Ort.1859 Ein weiteres Fragment einer hochformatigen, wie eine keilschriftliche Tontafel zu drehende Tafel und eine schwer lesbare ovale querformatige Tafel sind aus Til Barsip/Tell Aḫmar bekannt.1860 Zwei querformatige Tafeln kommen aus Ma‘allanāte in der Nähe von Guzana (Gōzān)/Tell Halaf, erstere ist ein Memorandum und letztere eine Obligationsurkunde.1861 Eine querformatige Tontafel, VAT 8724, administrativen Inhalts stammt aus Assur.1862 In Dūr-Katlimmu/Tall Šēḫ Hamad wurden die Fragmente einer querformatige Tafel, zweier rechteckiger Tafeln sowie einer hochformatigen rechteckigen Tonbulle gefunden.1863 Die querformatige Tafel, über dessen Inhalt aufgrund der brüchigen Oberfläche keine Aussage getroffen werden kann, hat die Maße B. 7,45 cm, H. 3,8 und Dm. 2,15 cm. Sie ist folglich größer als eine neuassyrische Obligationsurkunde (Hüllentafel, s. Kap. 3.2.2.1). Zur Lektüre ist sie wie eine Keilschrifttafel zu drehen.1864 Bei einem Tafelfragment sind die beiden erhaltenen Ecken stark abgerundet, was auf eine ovale Tafel verweist.1865 Die Tonbulle, deren Vorderseite nicht erhalten ist, hat die Maße B. 4 cm, H. 6,85 und Dm. 2,15; bei den drei erhaltenen Ecken befindet sich jeweils ein Schnurloch. Dem Inhalt nach ist sie eine Obligationsurkunde.1866

 Vgl. für den Text Fales (1996), Lemaire (2001) Nr. 4✶ und Fales/Radner/Pappi/Attardo (2005) Nr. 47.  Fales (1996) 89.  Fales/Radner/Pappi/Attardo (2005) Nrn. 45 und 46.  Fales/Radner/Pappi/Attardo (2005) Nr. 49. Bei fünf weiteren Fragmenten (Nrn. 48, 50, 61, 62, 63) bleibt die ursprüngliche Gestalt unklar.  Vgl. Lemaire (2001) Nrn. 6✶ und 7✶ und die Erstpublikation bei Bordreuil/BriquelChatonnet (1996–97).  Lipiński (2010) 123–131 und 133–141.  Freydank (1975) und Fales (1986) Nr. 52.  Röllig (2014) D 1–D 4.  Röllig (2014) D 1. Auf die Drehung wurde aufgrund der Umzeichnung und der beiden Fotos geschlossen, ebd. 25.  Röllig (2014) D 4. Die abgerundeten Ecken sind auf den beigefügten Abbildungen sichtbar ebd. 30.  Röllig (2014) D 2.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

Darüber hinaus stammt aus Dūr-Katlimmu/Tall Šēḫ Ḥamad ein Tonklumpen mit den Maßen B. 10,4 cm, H. 6,6 cm und Dm. 4,3 cm, in dem ein Kinderfuß eingedrückt wurde. Auf der Fläche des Fußabdrucks befindet sich eine aramäische Tinteninschrift, auf den Seitenflächen eine eingeritzte aramäische Inschrift.1867 Aufgrund des Textes – soweit lesbar – und des Fußabdrucks eines Kindes ist zu schließen, dass das Dokument eine Ankindungsurkunde ist; solcherart Urkunden sind aus der keilschriftlichen Überlieferung bekannt.1868

4.3.2 Keilschriftliche Zeugnisse für den parallelen Gebrauch des Aramäischen Neben den aramäischen Textzeugnissen gibt es neuassyrische Belege, die auf den Gebrauch des Aramäischen als Schriftsprache Bezug nehmen. Mit dem Begriff armû wird im Neuassyrischen das Aramäische bezeichnet. Für die neuassyrischen Tafelbezeichnungen egirtu, kanīku und nibzu (vgl. Kap. 2.2) bezeugt jeweils ein Beleg, dass mit diesen Begriffen aramäische Dokumente bezeichnet werden konnten. In einem nicht vollständig erhaltenen Brief (SAA 16 Nr. 99) ist die Rede von einem ‚aramäischen Brief‘, e-gír-tú ar-me-tú (Vs. Z. 10‘). Kabtî, ein lúA.BA ‚Schreiber‘, ein Diener des Aššur-daʾʾin-aplu, gibt diesen ab und der Brief wird dann an den König weitergegeben (Vs. Z. 8‘–10‘).1869 SAA 16 Nr. 99 datiert möglicherweise in die Regierungszeit Šamši-Adads V. (823–811).1870 In einem weiteren Brief (SAA 19 Nr. 23) aus der Zeit Tiglat-pilesers III. (744–727) an den neuassyrischen König wird ka-ni-ku an-ni-tú kurár-mi-tú ‚dieses gesiegelte aramäische Dokument‘ (Vs. Z. 3) aus Tyros, welches dem keilschriftlichen Brief beigelegt war (Vs. Z. 4–7), erwähnt.1871 Die Doppeldokumentation mit Hilfe eines assyrischen und aramäischen nibzu belegt ein Brief (SAA 16 Nr. 63) aus der Zeit Assarhaddons (680–669).1872

 Röllig (2014) Nr. 1✶✶.  Röllig (2014) 231 f. mit weiteren Angaben.  mkab-ti-i lúA.BA ARAD ša maš-šur-da-in-IBILA DUMU mšùl-ma-nu-MAŠ ša e-gír-tú ar-me-tú id-din-an-ni a-na LUGAL EN-ia ad-din-u-ni ‚Kabtî, der Schreiber, Diener des Aššur-daʾʾin-aplu, Sohn Salmanassars III., der mir den aramäischen Brief gab, den ich dem König, meinem Herrn, gab‘, siehe SAA 16 Nr. 99 Vs. Z. 8‘–12‘.  Tadmor (1982) 452 und Luukko/Van Buylaere (2002) = SAA 16 92 Fn. 99.  Der Text wird in älteren Publikationen ‚Nimrud letter XIII‘ genannt, hat die Museumsnummer IM 64118 und die Grabungsnummer ND 2686. Er wurde erstmals von Henry W. F. Saggs in Iraq 17 publiziert, s. Saggs (1955) 130. Der Brief wurde erneut publiziert in Saggs (2001) = CTN 5 154 f. und ein weiteres Mal in SAA 19 Nr. 23.  SAA 16 Nr. 63 Vs. Z. 13 f. ina ŠÀ-bi ni-ib-zi aš-šur-a-a ina ŠÀ-bi ni-ib-zi ár-ma-a-a i-sa-ṭa-ra ‚in ein assyrisches nibzu, in ein aramäisches nibzu schrieben sie‘.

4.3 Die Verwendung des Aramäischen im neuassyrischen Reich

409

In einem Antwortschreiben (SAA 17 Nr. 2) des Königs Sargon II. (721–705) an Sīn-iddina, dem Statthalter von Ur, steht, dass Nachrichten aus Babylonien an den König in Babylonisch verfasst sein müssen und nicht in Aramäisch (Vs. Z. 15–22).1873 Üblicherweise sind alle neuassyrischen Briefe in Neuassyrisch verfasst mit Ausnahme der Briefe nach Babylonien, die stets in Neubabylonisch geschrieben worden sind wie auch dieser Brief. Ein si-ip-ri [kur]ár-m[a-a-a] wird hier erwähnt und im Gegensatz zu dem Verb šaṭāru, das für ‚schreiben‘ steht, wird das Wort sepēru ‚schreiben mit Linearschrift‘ gebraucht.1874 Vereinzelt ist ab dem 8. Jahrhundert ein aramäischer Schreiber, ṭupšarru kur ( )aramaja, belegt.1875 Diese Schreiber werden als Schreiber für das Aramäische mit aramäischer Linearschrift betrachtet. In einer Ausgabeliste für Wein (CTN 1 Nr. 9) aus dem ersten Viertel des 8. Jahrhunderts werden neben den assyrischen Schreibern auch aramäische und sogar ägyptische erwähnt (Rs. Z. 18–20), wobei davon auszugehen ist, dass sie am Königshof beschäftigt waren und einen ähnlichen Status wie ihre Kollegen besaßen.1876 Ein Brief aus Kalḫu/ Nimrud (SAA 19 Nr. 154) aus dem 8. Jahrhundert zeigt, dass es neben assyrischen Schreibern (ummânu) auch aramäische Schreiber gab, die in der Verwaltung des

 Vgl. für eine deutsche Übersetzung der entsprechenden Passage Radner (2011) 389.  Dies ist – soweit bekannt – die einzige Belegstelle für dieses Wort. Ansonsten wird, wie bei dem Beleg für nibzu (SAA 16 Nr. 63 Vs. 13 f.), der Begriff šaṭāru für ‚schreiben‘ verwendet – seien es aramäische, seien es akkadische Texte. Die ungleiche Verteilung der erhaltenen Briefe aus der neuassyrischen Zeit wird zum Teil damit erklärt, dass andere Herrscher sehr wohl Aramäisch in der Staatskorrespondenz zuließen, s. Radner (2014) 83–86.  Für eine Besprechung ihrer Funktion vgl. Pearce (1999) 360–363, s. ferner Tadmor (1982) 452 f. und Garelli (1982) 439 f. S. CAD A/2 armû 293 f. für einige Belege. Für eine Zusammenstellung der Schreiber in neuassyrischen Rechtsurkunden nach Fundorten – teilweise sind auch Briefe und Verwaltungstexte mit aufgenommen –, s. Radner (1997) 93–124. Einige Schreiber sind namentlich genannt, s. auch Tadmor (1982) 453 und Garelli (1982) 439. Auch in einer neuassyrischen Berufsnamenliste, K.4395, aus Ninive/Kujundschik ist nach einem assyrischen Schreiber, lúA.BA kuraš-šur-a-a, ein aramäischer Schreiber, lúA.BA kurár-ma-a-a, angegeben, vgl. MSL 12 239 Kol. V Z. 5 f. In einem Brief aus Tušḫan/Tepe Ziyaret, vgl. Parpola (2008) Nr. 22 Z. 4 f., werden assyrische mit aramäischen Schreibern kontrastiert. Parpola (2008) 91 meint im Kommentar zu der Zeile, dass es sich aufgrund des Briefinhalts um militärische Schreiber gehandelt haben muss und führt hierfür auch den Beleg aus MSL 12 an. In den Ausgabetexten von Wein aus Kalḫu/Nimrud aus dem 8. Jahrhundert sind sie ebenfalls belegt, vgl. CTN 1 Nr. 9 Rs. Z. 20, Nr. 10 Rs. Z. 7, Nr. 21 Rs. Z. 8. Zudem kommen sie in den Orakelanfragen an Šamaš vor: SAA 4 Nr. 58 Rs. Z.10 und SAA 4 Nr. 144 Z. 9 f.  S. Wilson (1972) = CTN 1 62 f., vgl. auch Tadmor (1975) 42. Für die fremdländischen Gelehrten des syro-anatolischen und ägyptischen Raumes am Hof des assyrischen Königs vgl. Radner (2009b). Sie geht davon aus, dass die ägyptischen Schreiber Spezialisten für ägyptische Hieroglyphen waren. Neben der Keilschrift und der aramäischen Linearschrift wurden demnach am Königshof auch ägyptische Hieroglyphen verwendet.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

neuassyrischen Reichs tätig waren und in die verschiedenen Teile des Reichs gesandt wurden (vgl. Vs. Z. 3–6).1877 Im 7. Jahrhundert dienten die aramäischen Schreiber dem Palast und dem Haushalt der königlichen Familie.1878 Aus neuassyrischer Zeit haben sich zahlreiche Darstellungen – größtenteils aus dem 7. Jahrhundert – von zwei Schreibern (vgl. Kap. 2.1.3) erhalten, bei denen der eine ein Diptychon bzw. eine Tontafel und der andere eine (Leder-) Rolle in der Hand halten. Aufgrund der Trägermedien und der Schreibgriffel werden die Schreiber als Keilschriftschreiber und Alphabetschreiber identifiziert. Bei dem am häufigsten belegten Abbildungstypus notieren sie die Kriegsbeute, so dass daraus zu schließen ist, dass aramäische Schreiber im neuassyrischen Militär tätig waren.1879 Neben dem ṭupšarru (kur)aramaja ist erstmals der sepīru ‚Alphabetschreiber‘ in neuassyrischer/neubabylonischer Zeit belegt (vgl. Kap. 4.4.2.).

4.3.3 Deutung des Befundes Parallel mit dem Wiedererstarken des assyrischen Reichs wurden ab dem 8. Jahrhundert vermehrt Alltagstexte geschrieben, wobei der Großteil aus dem 7. Jahrhundert stammt. Dies spricht für die ‚Wiedereinführung‘ der Keilschrift in dem Gebiet nach einer Phase starker Aramäisierung (s. Kap. 4.2.1). Das Aramäische wurde also in der Verwaltung des neuassyrischen Reichs gebraucht. Aufgrund des einheitlichen Formats und Formulars der keilschriftlichen Briefe, Erwerbs- und Obligationsurkunden und der aramäischen Obligationsurkunden ist nach Radner von klaren Vorgaben der neuassyrischen Verwaltung auszugehen. Die Fundorte der neuassyrischen Urkunden entsprechen in etwa der Ausdehnung des neuassyrischen Reichs. Außerhalb des assyrischen Kerngebiets am mittleren Tigris im heutigen Nordirak sind außer keilschriftlichen Erwerbsurkunden Alltagstexte, d. h. Obligationsurkunden, Briefe und Verwaltungstexte, relativ selten. Besonders Schuldurkunden wurden im Weststeil des Reichs häufig in Aramäisch niedergeschrieben.1880 „Eine Möglichkeit wäre, als Hintergrund eine entsprechende

 Der Brief ist auch bekannt als ‚Nimrud Letter LXXXVI‘, für ältere Publikationen vgl. CTN 5. Ein weiteres Beispiel dafür, dass aramäische Schreiber in der Verwaltung tätig waren, ist SAA 4 Nr. 58. Paul-Alain Beaulieu meint, dass – wie in CTN 5 239 f. (= SAA 19 Nr. 154) – stets aramäische (armû) Schreiber und Gelehrte mit assyrischen (aššurû) in den Quellen kontrastiert werden, vgl. Beaulieu (2007) 192 Fn. 6.  So Tadmor (1982) 453.  Vgl. Parpola (2008) Nr. 22 Z. 4 f. und auf Seite 91 den Kommentar zu dieser Zeile.  Radner (2011) 395–398.

4.3 Die Verwendung des Aramäischen im neuassyrischen Reich

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Vorschrift der assyrischen Verwaltung zu vermuten. Eine solche Order würde sich nicht gegen die Verwendung des Aramäischen als Schriftsprache richten, sondern den Gebrauch des Assyrischen anstelle aller anderer Schriftsprachen in jenen Belangen vorsehen, die von öffentlichem Interesse waren.“1881 Zwar weisen auch die keilschriftlichen Erwerbsverträge des Westteils dasselbe Format und Formular sowie die Verwendung desselben Syllabars wie die Texte aus dem Kerngebiet auf, jedoch zeigen die fehlerhafte Verwendung des Stativs, die zahlreichen Beischriften und der hohe Anteil an aramäischen Schuldurkunden, dass die Schreiber als Muttersprache Aramäisch hatten.1882 Für die Tonbullen mit Keilschrift bzw. aramäischer Linearschrift wurde das Textformular der rechteckigen, keilschriftlichen Obligationsurkunden adaptiert, wobei sich das Textlayout mit Siegelanbringung der keilschriftlichen Tonbullen stärker am Vorbild der rechteckigen Tontafeln orientiert. Der aramäische Brief auf einem Ostrakon und die wenigen rechteckigen Tontafeln mit aramäischer Linearschrift in aramäischer Sprache zeugen von der Adaption neuassyrischer keilschriftlicher Vorlagen für das Aramäische. Auch der beschriftete Kinderfußabdruck (s. o.) orientiert sich an der keilschriftlichen Rechtstradition. Schriftträger des Akkadischen und des Aramäischen unterscheiden sich in ihrer Schriftrichtung, meist in der Tafeldrehung und der Anbringung der Siegel. Die aramäische Schrift wurde nach Röllig für die Verwendung mit dem Beschreibstoff Ton angepasst; zudem ist die Orthografie und Terminologie der aramäischen Texte sehr einheitlich. So ist von einer einheitlichen, überregionalen Ausbildung der aramäischen Schreiber auszugehen.1883 Bildliche und schriftliche Zeugnisse belegen die Existenz von professionellen aramäischen Schreibern neben Keilschriftschreibern. Die neben Ton in der Alltagsdokumentation häufig gebrauchten Schriftträger Holz und Leder haben sich allerdings in der Regel nicht erhalten (s. Kap. 4.1). Die Texte aus dem wissenschaftlich-literarischen Bereich wurden weiterhin mit Hilfe der Keilschrift tradiert. Die Vokabulare besitzen keine Spalte für das Aramäische. Einziger Hinweis auf aramäischsprachige mesopotamische Literatur aus dieser Zeit ist ein fragmentarischer Papyrus mit der Achiqar-Geschichte und den Achiqar-Sprüchen; 14 von 20 Kolumnen sind erhalten. Der Papyrus stammt jedoch aus dem späten 5. Jahrhundert aus Elephantine in Ägypten. Achiqar soll der Geschichte nach ein Gelehrter am Hofe der neuassyrischen Könige Sanherib (705–680) und Asarhaddon (680–669) gewesen sein. Vorläufer

 Radner (2011) 397.  Radner (2011) 398 f.  Röllig (2014) 15. Dem folgt auch Radner (2021) 156–159.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

der Geschichte sind nicht überliefert.1884 Teilweise wird von einem syrischen Ursprung der Geschichte und der etwas älteren Sprüche ausgegangen.1885 Bei Monumentalinschriften wird sich der Keilschrift und nicht der aramäischen Linearschrift bedient. Alle Bereiche des Schriftgebrauchs – (Königs-)Inschriften, Alltagstexte sowie wissenschaftlich-literarische Texte – werden weiterhin von der Keilschrift abgedeckt, so dass keine Verdrängung der Keilschrift durch die aramäische Linearschrift stattfand, sondern eine komplementäre Verwendung mit der aramäischen Linearschrift. Mit dem Fall des neuassyrischen Reichs Ende des 7. Jahrhunderts hört in Assyrien die Verwendung der Keilschrift weitgehend auf. Die oben erwähnte Theorie hinsichtlich der bürokratischen Vorgaben für den Schriftgebrauch wird hiermit untermauert. Nach dem Untergang des Reichs wurden die Rechtsurkunden inklusive der aramäischen Obligationsurkunden nicht mehr benötigt. Dies betrifft ebenfalls die Monumentalinschriften der Herrscher wie auch die Tradierung der wissenschaftlich-literarischen Texte, die, wie die Leberomina zeigen, insbesondere dem neuassyrischen König dienten. Unklar bleibt letztendlich, ob die Schriftkultur erlischt oder anderen Beschreibstoffen der Vorrang gegeben wird. Erst Jahrhunderte später bezeugen ca. 600 Inschriften, die von 44 v. Chr. bis 238 n. Chr. datieren, wieder einen regen Schriftgebrauch in Obermesopotamien. Ein Großteil der Inschriften stammt aus Assur und Hatra. Sie sind bis auf einige griechische und lateinische Exemplare in Aramäisch verfasst. Die Sprache der Texte knüpft nicht an das Reichsaramäische der achämenidischen Zeit an, sondern an den vermutlich in Ostmesopotamien gesprochenen altnordostaramäischen Dialekt. Einige Elemente assyrischer Kultur wurden bis in diese Zeit tradiert, insbesondere im religiösen Bereich. So erwähnen die Texte beispielsweise mesopotamische Götternamen wie Nabû und Assur.1886

 Die Achiqar-Geschichte wurde jedoch über Jahrhunderte in verschiedenen Schriftsystemen tradiert. Für die aramäische Version und weitere Literaturangaben vgl. Kottsieper (1991), Porten/Yardeni (1993) und Niehr (2007). Eine Erörterung der in der Erzählung erwähnten Personen und ihre Verbindung zu in keilschriftlichen Texten bezeugten Personennamen findet sich bei Weigl (2010) 1–11.  S. Merlo (2014) 111, 123 sowie Gzella (2014) 73 und Gzella (2015) 151–153 mit Literaturhinweisen. Jedoch betont Gzella „Given the present state of knowledge, this claim is rather difficult to substantiate on purely linguistic grounds.“, s. Gzella (2014) 73.  S. Beyer (1998) und (2013).

4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift

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4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift Nach dem Fall des neuassyrischen Reichs existierte von 626 bis 539 das neubabylonische Reich, dessen Kerngebiet Babylonien war. Im Gegensatz zum neuassyrischen Reich ist wenig über dessen Verwaltung bekannt, da der Großteil der wirtschaftlichen Texte die Privat- bzw. Tempelwirtschaft betrifft. Nach der Eingliederung Babyloniens in das achämenidische Reich im Jahre 539 sind zunächst keine Veränderungen in der Keilschriftkultur bemerkbar, z. B. bei der Tradierung der wissenschaftlich-literarischen Texte. Die schriftliche Überlieferung, die aus der Zeit der achämenidischen Herrschaft bekannt ist, konzentriert sich auf das 6. und frühe 5. Jahrhundert. Viele Archive mit Keilschrifttexten enden jedoch im 2. Regierungsjahr des achämenidischen Herrschers Xerxes I. (486–465). Wie Caroline Waerzeggers herausarbeitete, betrifft der abrupte Einschnitt in der Überlieferung vor allem die nordbabylonischen Tempel und die Familien der nordbabylonischen Aristokratie, die in enger Verbindung zu den Tempeln standen und insbesondere hohe Funktionen in der Tempelverwaltung innehatten. Nach deren Usurpationsversuchen gegen die achämenidische Herrschaft wurden zahlreiche Archive nicht weitergeführt.1887 Bereits im neubabylonischen Reich gab es Ansätze zu Familienunternehmen im kaufmännischen Sektor. Ein Beispiel dafür ist die Egibi-Familie. Ihr Archiv umfasst fünf Generationen im Zeitraum von 602 bis 482.1888 Sie agierten also während der Regierungszeit Nebukadnezars II. (605–562) bis in den Beginn der Regierungszeit Xerxes I. (486–465). Viele dieser Familienunternehmen hatten geschäftliche Beziehungen mit den Achämeniden; ihre Archive laufen häufig genauso, wie die der südbabylonischen Aristokratie nach dem 2. Regierungsjahr von Xerxes, weiter.1889 Aus dem hellenistischen Babylonien (unter Alexander dem Großen, den Seleukiden und den Parthern) sind über 3000 keilschriftliche Textzeugnisse verschiedensten Inhalts bekannt,1890 die den Tempeln bzw. mit diesen assoziierten

 Waerzeggers (2003–04).  Heller (2010) 89. Von den Egibis sind etwa 2000–3000 Texte bekannt,wobei kleinere Fragmente mit eingerechnet sind, vgl. Wunsch (2000b) 95.  Waerzeggers (2003–04).  Vgl. die Website der University of California, Berkeley: Hellenistic Babylonia: Texts Images and Names [http://oracc.museum.upenn.edu/hbtin/index.html], aufgerufen am 02.03.2012 um 15.00 Uhr. Dies ist ein vergleichsweise geringer Bestandteil der Keilschriftzeugnisse Mesopotamiens im 1. Jahrtausends. Insgesamt haben sich mindestens ca. 47500 neu- und spätbabylonische Alltagstexte erhalten, vgl. Streck (2010) 48. Daneben sind noch die (Königs-) Inschriften und wissenschaftlich-literarischen Texte zu nennen, vgl. Streck (2010) passim. Bei der vergleichsweise geringen Anzahl ist allerdings zu bedenken, dass viele babylonische Texte

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

Personen zuzuordnen sind. Neben Keilschriftzeugnissen gibt es vereinzelte aramäische und griechische Schriftzeugnisse aus hellenistischer Zeit.1891 Die überwiegende Zahl der Keilschrifttexte kommt aus Uruk und Babylon und ein großer Teil ist astronomischen Inhalts.1892 Die Priester- und Gelehrtenfamilien pflegten enge Beziehungen zu den seleukidischen Herrschern; die traditionellen Kulte werden weitergeführt.1893 Davon zeugen u. a. auch Kultbauten in Uruk, welches in der seleukidischen Zeit eine Blütezeit erlebte: Es werden das Irigal, die Anu-Zikkurat und das Bīt Reš, wobei letztere beide zu den größten Tempelkomplexen Mesopotamiens zählen, errichtet. Die Eanna-Ziqqurat wurde weiterhin benutzt. Ab dem Jahr 141 v. Chr. war Babylonien unter parthischer Herrschaft. Die Zerstörung des Bīt Reš und des Irigal fand vermutlich im 1. Jahrhundert statt.1894 Dieser Bruch ist auch für die anderen Orte Babyloniens zu konstatieren.1895 Er betrifft nicht nur die Tempelarchitektur, sondern auch die Rechts- und Wirtschaftstexte, so dass womöglich von einem Ende der Tempelwirtschaft zu sprechen ist.1896 Aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. sind nur noch wenige Keilschrifttexte bekannt – sie sind meist astronomischen Inhalts –, so auch der vorletzte datierbare Text aus dem Jahr 74/75 n. Chr. (AOAT 25 398)1897 und der letzte datierbare Text aus dem Jahr 79/80 n. Chr. (W22340a).1898

4.4.1 Aramäische Schriftzeugnisse 2012 veröffentliche Kathleen Abraham ein singuläres zweisprachiges und zweischriftiges Tonartefakt, das in die Regierungszeit Nebukadnezars II. (604–562)

dieses Zeitraums nicht sicher zu datieren sind und daher die Dunkelziffer höher liegen kann, vgl. Oelsner (1986) 222 f. mit Endnote 826.  Vgl. Oelsner (1986) 245–286. Für die schriftlichen Quellen der parthischen Zeit siehe auch die Textsammlung „Quellen zur Geschichte des Partherreiches“, herausgegeben von Ursula Hackl, Bruno Jacobs und Dieter Weber 2010.  Oelsner (1986) 138 f.  Vgl. Clancier (2011) 759–762 und van der Spek (2006). S. auch Baker (2013) 56 f. und Strootman (2013).  Vgl. Kose (1998).  Oelsner (1986) 134–136.  Kose (1998) 415. S. für die letzten datierten Alltagstexte van der Spek (1998) 208 f. Für Babylon geht Tom Boiy von einem allmählichen Untergang ab Mitte des 1. Jahrhunderts aus, vgl. Boiy (2004) 317. Lucinda Dirven geht von einem allmählichen Untergang der babylonischen Tempel ab der Achämeniden-Zeit aus, Dirven (2014) 206–214.  vgl. Sachs (1976).  Für die Datierung von W22340a s. Hunger/de Jong (2014). Für die Keilschrifttexte aus der parthischen Zeit siehe den Überblick von Böck in Hackl/Jacobs/Weber (2010) Bd. 3 1–174.

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4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift

datiert. Das Objekt stammt aus einer Privatsammlung. Es ist rund mit einem Durchmesser von 12 cm und ist etwas mehr als 1 cm dick. Seine Oberseite ist flach. Dort befindet sich der Eindruck eines runden Stempels und einer keilschriftlichen Beischrift. Die Rückseite ist glatt und leicht nach außen gewölbt, der äußere Rand wölbt sich nach innen. Das Objekt stellt nach Abraham einen Gefäßdeckel dar.1899 Im Zentrum der Siegelung befinden sich zwei übereinanderstehende vertikale Keile, daneben ein kürzer vertikaler Strich und daneben ein einzelner Keil. Abraham interpretiert dies als das Keilschriftzeichen NIGIDAEŠ, was für das Maß 3 PI (3 Scheffel) steht (entspricht etwa 108 Liter).1900 Bei diesem Keilschriftzeichen ist jedoch kein vertikaler Strich angebracht. Um die mögliche Maßangabe herum steht eine aramäische Siegellegende: lmrdkndnaḫ br mlk Belonging to (and guaranteed by) Marduk-nādin-aḫi, son of the (ruling) king1901 Die nach der Stempelung eingedrückten Keilschriftzeichen befinden sich auf der Oberseite des Objektes um die Siegelung herum geschrieben:1902 qaq-qar šá mŠEŠ-ZÁLAG lú ENGAR šá mdAMAR.UTU-na-din-ŠEŠ A-šú šá DU-ÙRU ki d ki LUGAL TIN.TIR is-ba-tu MU.3.KAM AG-NÍG.DU-ÙR[U LU]GAL ⸢E⸣

md

AG-NÍG.

Das Grundstück, das Aḫu-nūrī, der Landarbeiter des Marduk-nādin-aḫi, Sohn des Nabû-kudurri-uṣur in Besitz genommen hat. Drittes Jahr des Nabû-kudurri-uṣu[r, Kö]nig von ⸢Babylon⸣ Durch die Siegelung auf dem Gefäßdeckel wird der Inhalt des Gefäßes, das womöglich ein Volumen von 108 Litern besaß, dem Mardūk-nadīn-aḫi zugeschrieben. Laut der nachträglich angebrachten Beischrift ist der Inhalt eine Abgabe von Aḫu-nūrī an den Königssohn.1903 Das zweischriftige Tonobjekt zeigt, dass Ende des 7. Jahrhunderts die aramäische Schrift in der Verwaltung des neubabylonischen Reichs verwendet wurde. Mehr als 300 Ziegel und Ziegelfragmente aus Babylon aus dem 6. Jahrhundert besitzen einen ,Beistempel‘, und zwar eine aramäische Inschrift und bzw. oder eine bildlische Stempelung bzw. zweimal einen keilschriftlichen

 Abraham (2012) 112 f. und 119 f.  Abraham (2012) 119.  Abraham (2012) 113 f. Das Aramäische ist bei Abraham in aramäischen Buchstaben angegeben.  Abraham (2012) 113.  Vgl. die Diskussion bei Abraham (2012) 119–122 und 126.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

Beistempel. Die Stempelungen konnten im Verbund mit einer keilschriftlichen Stempelinschrift eines neubabylonischen Herrschers erscheinen, was zu dem Namen ‚Beistempel‘ führte.1904 Benjamin Sass und Joachim Marzahn publizierten die Ziegel(-fragmente) aus Babylon, die eine Beistempelung besitzen.1905 Ein Katalogeintrag steht jeweils für Abdrücke, die mit demselben Stempel gemacht wurden, insgesamt wurden mindestens 133 Stempel verwendet.1906 64 Stempel sind aramäisch, 23 mit Löwendarstellung und aramäischer Legende, 26 mit Löwendarstellung und teilweise weiteren Symbolen, 18 mit anderen bildlichen Darstellungen und zwei keilschriftliche.1907 Die gestempelte Königsinschrift und eine Stempelung mit Löwendarstellung (mit bzw. ohne aramäischer Legende) erscheinen nie im Verbund: Entweder ist in der Mitte der Oberfläche des Ziegels eine gesiegelte neubabylonische Königsinschrift in Keilschrift angebracht oder die Stempelung mit Löwendarstellung. Der Löwe wird mit dem Königtum assoziiert.1908 Ein Ziegel mit einer Stempelung der Löwendarstellung besitzt keine weiteren Stempelungen.1909 Neben der Stempelung der neubabylonischen Königsinschrift, die auf etwas weniger als einem Drittel der 326–335 Ziegel(-fragmente) erhalten ist,1910 befinden sich in einer Ecke bzw. in der Nähe eines Randes die Stempelungen anderen Inhaltes.1911 Durch die Königsinschriften lassen sich die Ziegel in die Zeit Nebukadnezars II. (604–562), Neriglissars (559–556) und Nabonids (555–539) datieren. Der Großteil der somit datierbaren Ziegel ist Nebukadnezar II. zuzuordnen, auch für die anderen Ziegel(-fragmente) wird eine Datierung in das 6. Jahrhundert favorisiert.1912 Bei den rein aramäischen Stempelungen ist die Inschrift meist vertieft.1913 Die Ausrichtung und Leserichtung der rein aramäischen Stempelungen bzw. Legenden bei den Löwenstempelungen sind nicht eindeutig festgelegt. Bei etwas weniger als der Hälfte der aramäischen Inschriften ist die Ausrichtung der Buchstaben von rechts nach links; beim Großteil der lesbaren Beispiele ist die Leserichtung von rechts nach links. Andere Beispiele besitzen eine Schreibrichtung von

 Sass/Marzahn (2010) 40.  Sass/Marzahn (2010). Auch aus anderen Orten Babyloniens sind derartige Ziegel mit Beistempelungen bekannt, vgl. Walker (1981) 81 f. Auf Ziegeln aus Borsippa befinden sich aramäische Beistempelungen, so Allinger-Csollich (1991) 483.  Sass/Marzahn (2010) 41 und 187.  Sass/Marzahn (2010) 40–148 und 178.  Vgl. Watanabe (2002) 42–56 und Sass/Marzahn (2010) 178–180 und 195.  Sass/Marzahn (2010) 19, 40 f. und 64.  Sass/Marzahn (2010) 19 und 187 f.  Sass/Marzahn (2010) 19 f.  Sass/Marzahn (2010) 149 f.  Sass/Marzahn (2010) 40.

4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift

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rechts nach links und eine Leserichtung von links nach rechts.1914 Sass und Marzahn unterscheiden 49 verschiedene aramäische Inschriftenlegenden. Die Arbeitshypothese der Autoren ist, dass die vorhandenen (ein, zwei bzw. mehr) Buchstaben jeweils Namen wiedergeben; 7 der Legenden sind Akronyme. So ergeben sich 42 Namen, von denen 26 linguistisch sicher einzuordnen sind: 15 sind akkadisch, 1 akkadisch und aramäisch, 1 akkadisch oder aramäisch, 8 aramäisch, 1 westsemitisch (aramäisch oder kanaanäisch).1915 Die Beistempel sollen die Destination der Ziegel wiedergeben bzw. die Personen, die für die Bauprojekte verantwortlich waren.1916 Ähnlich wie bei den neuassyrischen Alltagstexten können auch neu- und spätbabylonische Keilschrifttexte eingeritzte bzw. aufgemalte aramäische Beischriften besitzen. Eine Tontafel aus der Mitte des 6. Jahrhunderts besitzt sogar eine Beischrift in althebräischer Linearschrift.1917 Größtenteils erfolgte die Notation der Beischriften auf den noch feuchten Ton.1918 Die Beischriften sind meist an den Seitenrändern angebracht und stehen im Verhältnis zum Keilschrifttext auf dem Kopf. Sie wurden nach dem Keilschrifttext angebracht. Mit der Beischrift wird der Text einer Person zugeordnet oder eine kurze Zusammenfassung des Inhaltes gegeben. Häufig beginnt die Beischrift mit šṭr ‚Urkunde‘.1919 Blasberg bearbeitete die Keilschrift und die aramäische Beischrift von 144 Urkunden.1920 Ran Zadok listete 2003 immerhin 231 Beischriften auf und untersuchte ihre chronologische und geografische Verteilung sowie ihren Inhalt.1921 Oelsner fügte dieser Auflistung 2006 noch 49 weitere hinzu; Zadoks Liste der Belege setzte er in Konkordanz mit wichtigen Publikationen zu den Beischriften und gab zusätzlich weitere Korrekturen an. Er kam auf 275 aramäische Beischriften.1922 Der Auflistung sind noch die von Laurie E. Pearce und Cornelia Wunsch publizierten sechs aramäischen Beischriften1923 und zwei weitere von Bastian Still und

 Vgl. für eine vollständige Auflistung der Kombinationen von Lese- und Schreibrichtungen Sass/Marzahn (2010) 159 f.  Sass/Marzahn (2010) 163–177.  Sass/Marzahn (2010) 193 f.  Pearce/Wunsch (2014) 112 Nr. 10, s. auch Sonnevelt (2016) 16–18.  Sonnevelt (2016) 9 f.  Blasberg (1997) 30 f. sowie Sonnevelt (2016) 9–12. Blasberg unterscheidet zwischen vier Typen von babylonischen Beischriften und geht auch auf die mögliche Funktion näher ein. Zadok (2003) 574 f. teilt sie in fünf Typen ein, wobei Typ 5 mit lediglich der Personennamennennung eine Kurzform von šṭr PN ist, vgl. Kap. 2.2: šaṭāru.  Blasberg (1997) 160–314.  Zadok (2003) 558–578.  Fünf Texte sind bei Zadok doppelt angegeben, vgl. Oelsner (2006a) 29.  Pearce/Wunsch (2014) 301.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

Rieneke Sonnevelt bearbeitete Texte1924 hinzufügen. Die Anzahl von Beischriften ist im Vergleich zum neuassyrischen Material bei über 20 000 Briefen, Rechts- und Verwaltungstexten nach Zadok ein relativ geringer Anteil.1925 Eine spezielle Urkundenform wie die neuassyrischen, aramäisch beschrifteten Tonbullen existierte nach der derzeitigen Befundlage nicht. Wie Zadok anführt, ist stets zu bedenken, dass aufgemalte Beischriften sich möglicherweise nicht erhalten haben (s. Kap. 4.1.1). Nach Joannès ist zudem in Bezug auf den geringen Bestand an Beischriften zu beachten, dass ein Großteil der neu- und spätbabylonischen Texte administrative Texte aus Tempeln, insbesondere dem Ebbabar-Archiv in Sippar, sind, die in der Regel keine Beischriften trugen.1926 Eine Konzentration von Beischriften ist vornehmlich für das Murašû-Archiv (s. u. und Kap. 4.1.1, Kap. 4.1.3) in Nippur, ein Archiv einer Unternehmerfamilie aus der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts, und das sogenannte Kasr-Archiv1927 in Babylon zu konstatieren.1928 Die erste in Babylonien bezeugte Beischrift BRM 1 Nr. 22 datiert 728,1929 zwei weitere datieren in die Mitte des 7. Jahrhunderts, vermehrt treten die Beischriften demnach erst ab dem 6. Jahrhundert auf.1930 Nach Zadok stammen von seinen 231 Tafeln mit Beischriften 110 (47,62 %) aus der neubabylonischen und frühen achämenidischen Zeit (493–486). 121 Beischriften (52,38 %) von den bei Zadok angegebenen Tafeln, sind in die spätachämenidische Zeit einzuordnen, nach der Regierungszeit Xerxes I. (486–465) und in den Beginn der hellenistischen Periode.1931 Zu beachten ist jedoch, dass der Großteil der bekannten Keilschrifttexte der neu- und spätbabylonischen Zeit in die neubabylonische und frühe achämenidische Zeit datiert, so dass der relative Anteil der Tafeln mit aramäischen Beischriften dort wesentlich geringer ist als in der späteren Zeit. Auch die von

 Still/Sonnevelt (2020). Alle bekannten Beischriften werden von Rieneke Sonnevelt bearbeitet, Sonnevelt (2016) 5.  Zadok (2003) 480. Einer neueren Schätzung nach sind 47500 Alltagstexte bekannt, vgl. Streck (2010) 48.  Joannès (2009) 218. S. auch Sonnevelt (2016) 14.  Vgl. Pedersén (2005) 145. Das sogenannte Kasr-Archiv, das Archiv des Statthalters Bēlšunu, ist nur eine von sieben Fundgruppen aus dem Kasr-Gebiet in Babylon. Die Zeitspanne umfasst die Jahre 459–400 mit einigen früheren Texten aus der Zeit von 596–476, vgl. Pedersén (2005) 145 f. Für weitere Angaben vgl. ebd. 144–184. 26 eingeritzte Beischriften befinden sich auf querformatigen Tontafeln, die in der Regel Darlehensurkunden sind, s. ebd. 148 f.  Joannès (2009) 218, s. auch Zadok (2003) 573 und Sonnevelt (2016) 12–16.  Vgl. für diesen Text Frahm/Oelsner (2008).  Vgl. für die Belege Oelsner (2006a) 34 und 62 f.  Zadok gibt 112 neubabylonische und frühe achämenidische und 120 spätachämenidische und frühhellenistische Beischriften an, s. Zadok (2003) 570. Er listet jedoch insgesamt nur 231 Beischriften auf.

4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift

419

Oelsner zusätzlich angegebenen aramäischen Beischriften ordnen sich überwiegend in die spätere Zeit ein.1932 In der hellenistischen Zeit kommen solche Beischriften äußerst selten vor. Fundorte mit vielen Keilschrifttexten weisen keinen höheren Anteil an Beischriften auf, wie beispielsweise Uruk/Warka mit einem großen Tafelbestand und mit insgesamt nur 12–15 Beischriften zeigt.1933 95 Beischriften unterschiedlicher Art kommen auf Keilschrifttexten aus dem Murašû-Archiv vor.1934 Das Archiv umfasst in etwa 740 Tontafeln, die publiziert sind und in die Zeit von 454 bis 404 datieren.1935 Durch die Texte werden die Tätigkeiten einer gleichnamigen Unternehmerfamilie dokumentiert. Bei den Keilschrifttexten handelt es sich überwiegend um Verträge.1936 Die Texte dieses Archivs beinhalten mit höchstens 5 % den größten Anteil an nicht-babylonischen Namen.1937 Insgesamt tragen nicht mehr als 2 % der in neu- und spätbabylonischen Urkunden erwähnten Personen (ca. 50 000) nichtbabylonische Namen.1938 Bei den meisten Urkunden mit Beischriften kann anhand der Personennamen nicht gezeigt werden, dass die involvierten Parteien einen westsemitischen Ursprung hatten.1939 In den Texten wird der sepīru, der ‚Alphabetschreiber‘ (s. Kap. 4.4.2), erwähnt. Schriftliche Hinweise aus Texten dieses Archivs und einige Tonbullen verweisen auf die Existenz von gesiegelten Dokumenten in Form von Lederrollen (vgl. Kap. 4.1.3). Aus dem ägyptischen Kunsthandel stammt ein bereits oben erwähnter Postsack mit auf Leder geschriebenen aramäischen Briefen des persischen Satrapen Aršam/Arsames (für weitere Angaben s. Kap. 4.1.3). Die Briefe wurden womöglich aus Babylonien verschickt. Derselbe Satrap ist auch im Murašû-Archiv mehrfach erwähnt. Die Unternehmerfamilie benützte neben der Keilschrift die aramäische Linearschrift, und zwar als Beischrift, die den Zugang zu den Keilschriftdokumenten erleichterte, wie auch für eigenständige Dokumente (Lederrollen). Sie hatte enge Kontakte zu den Achämeniden.

 Vgl. Oelsner (2006a) 62–71.  Oelsner (2006a) passim.  Oelsner (2006a) mit weiteren Angaben.  Es sind 868 Tafeln und Fragmente vorhanden, die zu einer Anzahl von ursprünglich etwa 730 Tafeln führen, s. Stolper (1985a) 14. Nach Stolper (2001) 83 sind 740 vollständige Tafeln und Fragmente bisher publiziert. Die Anzahl der ansonsten publizierten Rechts- und Verwaltungstexte des Zeitraums 486–330 (von Xerxes bis Alexander des Großen) umfasst insgesamt nur 500 Texte, vgl. Stolper (2001) 84. Das Murašû-Archiv ist das größte zusammenhängende Archiv der spätachämenidischen Zeit.  Vgl. Jursa (2005a) 113 f. mit weiteren Literaturangaben.  Zadok (2003) 481.  Zadok (2003) 552.  Zadok (2003) 576.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

In einem keilschriftlichen Brief (YOS 3 Nr. 19) aus dem 6. Jahrhundert findet sich der Ausdruck ba-aʾ-DINGIR. Die Phrase wurde als Personennamen gedeutet. Michael Jursa schlägt hingegen vor, ihn als eine aramäische Interjektion anzusehen und als ‚bei den Göttern‘ zu übersetzen. In der Verwendung des Ausdrucks sieht er einen Hinweis auf die große Bedeutung des Aramäischen in Babylonien.1940 Bisher ist kein weiterer Beleg für die Verwendung dieses Ausdrucks aus dem Aramäischen bekannt.1941 Im Vergleich zu den neuassyrischen aramäischen Tonbullen und rechteckigen Tafeln sind monolinguale und -literale aramäische Texte aus Babylonien äußerst selten. Eine ins 34. Jahr von Nebukadnezars II. Regentschaft datierende (570/571) rechteckige Tafel (AO.21.063) kommt aus dem Kunsthandel und ist möglicherweise eine Verkaufsurkunde in aramäischer Linearschrift und aramäischer Sprache. Die Tafel ist fragmentarisch, war aber ursprünglich wahrscheinlich querformatig. Die Siegelung ist nicht erhalten. Das Formular des Textes weist Ähnlichkeiten zu zeitgleichen babylonischen Keilschrifttexten auf.1942 Eine neubzw. spätbabylonische querformatige Tontafel, VAT 16276 (2 x 3,3 cm), ist auf der Vorder- und Rückseite mit insgesamt fünf Zeilen aramäischer Linearschrift versehen. Sie stammt aus Babylon. Es werden Personennamen und womöglich eine Berufsbezeichnung trgmnʾ ‚der Übersetzer‘ in Aramäisch niedergeschrieben. Die Tafel ist nicht gesiegelt und ist zur Lektüre wie eine keilschriftliche Tontafel zu wenden.1943 Eine zungenförmige, querformatig beschriebene Tontafel (3,5 x 3 x 1 cm) aus dem Kunsthandel, deren Aussehen vergleichbar mit den Tonbullen in Persepolis ist (vgl. Kap. 4.1.3.2), datiert in die achämenidische Zeit. Möglicherweise handelt es sich um einen Orakeltext.1944 Weitere Hinweise für einen verbreiteten Gebrauch der aramäischen Schrift liefern ferner ein Ostrakon aus Nippur,1945 eines aus Larsa1946 und Ostraka aus Babylon.1947 Zudem stammen aus einer Militärkolonie in Elephantine (Ägypten) eine Reihe von Papyri in Aramäisch; sie datieren ins 5. Jahrhundert. Die Papyri rechtlichen Inhalts orientieren sich an babylonischen keilschriftlichen Prototypen.1948 Auch die sogenannte Kultstele von Taymāʾ, die um 380 datiert, hat babylonische keilschriftliche  Jursa (2012) 380 f.  Sokoloff (2002) 133.  Starcky (1960), s. auch Lemaire (2001) 64–68 Nr. 6A.  Vgl. Müller-Kessler (1998), s. auch Lemaire (2001) Nr. 9✶.  Lemaire (2001) Nr. 24, s. Lipiński (2002) 259.  S. Montgomery (1908).  S. Dupont-Sommer (1946).  Pedersén (2005) 109.  Muffs (2003). Alejandro F. Botta (2009) bemerkt zudem demotische Parallelen, vgl. hierzu auch die Rezension von Geller (2011).

4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift

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Vorbilder (s. Kap. 4.2.4). Im Achämeniden-zeitlichen Elamischen ist der babylonische Lederschreiber (s. Kap. 4.1.3.3) bekannt. So ist zu schließen, dass die reichsaramäischen Texte babylonische Vorbilder besaßen. Neben den vereinzelten Beispielen von aramäischen Beischriften aus hellenistischer Zeit gibt es aus dem 2. Jahrhundert eine aramäische Namensinschrift des Anu-uballiṭ/Kephalōn, eines Angehörigen einer Priester- und Gelehrtenfamilie, auf Glasurziegeln des Irigal in Uruk/Warka. Dieselbe Person ist auch von einer akkadischen Bauinschrift, die in mehreren Exemplaren auf Backsteinen des Bīt Rēš in Uruk/Warka um 200 datierend belegt ist, bekannt.1949 Aus einem frühparthischen Wohnhaus in Uruk/Warka stammt ein Backsteinbruchstück einer weiteren aramäischen Inschrift. Eine Backsteininschrift aus Tello mit der Namensaufschrift Adad-nadin-aḫē in aramäischen und griechischen Buchstaben hat sich in mehreren Exemplaren erhalten.1950 Die wenigen aramäischen Ostraka und Gefäßinschriften aus hellenistischer Zeit tragen jeweils nur eine sehr kurze Inschrift.1951 Bei den gesiegelten Tontafeln und Tonbullen gibt es nur zwei Siegelungen mit einer Namensbeischrift in aramäischen Buchstaben.1952 Aus dem Kunsthandel stammt eine mit Keilschrift in aramäischer Sprache beschriftete Tontafel (AO 6489 = TCL 6 Nr. 58).1953 Ein anderes Beispiel, in dem Aramäisch in einer nicht-alphabetischen Schrift und zwar in demotischer Schrift realisiert wird, ist der Amherst Papyrus 63. Einige der dort enthaltenen Texte lassen sich bekannten mesopotamischen Textgruppen zuordnen.1954 Es ist wahrscheinlich, dass die Tafel AO 6489 in die seleukidische Zeit datiert, aber anhand der Paläografie ist dies nicht eindeutig feststellbar. Das schriftlich realisierte Aramäisch entspricht nicht dem Reichsaramäischen, sondern einem nur hier realisierten aramäischen Dialekt.1955 Drei Beschwörungen sind wiedergegeben, auf der Vorderseite eine vollständige und ein Auszug aus einer weiteren; beide sind mit einer horizontalen Trennlinie voneinander geschieden. Auf der Rückseite be-

 Oelsner (1986) 164, 248 und Schwiderski (2004) 417. Für eine kurze Diskussion und weitere Literatur zur Rolle der Priester und Gelehrten mit einem griechischen Zweitnamen vgl. Clancier (2011) 759 f.  Oelsner (1986) 99 und 248.  Oelsner (1986) 248 f. Für die aramäischen Schriftzeugnisse aus Uruk/Warka vgl. auch Kose (1998) 78 f.  Oelsner (1986) 249 f.  Im Folgenden beziehe ich mich auf die Edition, Übersetzung und Kommentierung von Geller (1997–2000). Für Literaturhinweise s. ebenda. Eine weitere Bearbeitung des Textes findet sich bei Müller-Kessler (2002) 195–201.  S. für weitere Angaben hierzu Holm (2017).  Geller (1997–2000) 127 f.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

findet sich der Text einer dritten, vollständigen Beschwörung.1956 Am linken Rand ist eine Beischrift angebracht: Spuren von Keilschriftzeichen, die einen Personennamen wiedergeben, sind zu erkennen und auch Reste von aramäischen Schriftzeichen. Die drei aramäischen Beschwörungen weisen Parallelen zu mesopotamischen auf, jedoch ist bisher keine mesopotamische Beschwörung bekannt, die als Vorlage diente. Die Tafel ist hochformatig und dreht über die kürzere untere Seite wie bei einer Tontafel üblich.1957 Nach dem Erscheinungsbild und den gelegentlichen Fehlschreibungen zu schließen, handelt es sich nicht um einen Bibliothekstext.1958 Auch bei der Tontafel BM 25636 wird die Keilschrift verwendet, um Aramäisch wiederzugeben.1959 Dasselbe Schriftsystem, mit dem bei AO 6489 Aramäisch mit Keilschrift wiedergegeben wird, wird auch zur Wiedergabe des aramäischen Alphabets in BM 25636 verwendet.1960 Das Textlayout und das Schriftbild sowie der Inhalt legen nahe, dass es sich um eine hochformatige Schülertafel handelt, die zur Lektüre über die kürzere Seite gewendet werden muss. Der Duktus ist spätbabylonisch. Auf der Vorderseite befinden sich drei Kolumnen, die durch eine mit einem Griffel eingedrückte Trennlinie und eine geritzte Trennlinie voneinander abgetrennt sind. In der ersten Spalte befinden sich Keilschriftzeichen, KonsonantVokalzeichen bzw. Vokalzeichen, die die einzelnen Buchstaben des aramäischen Alphabets wiedergeben. Diese setzt sich auf dem unteren Rand fort. In der zweiten Spalte wird wiederum das Alphabet wiedergegeben, jedoch sind die Zeichen etwas größer, so dass sich das Alphabet auf der nur fragmentarisch erhaltenen Rückseite fortsetzt. 22 ‚Buchstaben‘ sind in der ersten Spalte, in der zweiten 21 (einer davon rekonstruiert). Die dritten Spalte gibt Nomen wieder, auch sie scheint sich auf der Rückseite fortzusetzen. Zwischen dem Alphabet und den Nomen kann keine direkte Beziehung festgestellt werden; möglicherweise sollen diese Schreibungen Sequenzen langer und kurzer Vokale zeigen.1961 Auf dem linken Seitenrand befindet sich eine aramäische Beischrift in aramäischer Linearschrift:

 Geller (1997–2000) 129 f.  Persönliche Mitteilung Markham J. Geller 12.02.2012.  Geller (1997–2000) 130 Fn. 22. Er bezieht sich hierbei auf eine mündliche Mitteilung von Joachim Oelsner.  Finkel (1998) bietet eine Kopie der Vorderseite und Fotos. Eine Kopie der ganzen Tafel, eine Transliteration, Übersetzung und Kommentierung findet sich bei Geller (1997–2000) 144–146.  Geller (1997–2000) 145. Geller bespricht den gesamten Text, Cross/Huehnergard (2003) das Alphabet.  Geller (1997–2000) 144 f. Für die Nomen siehe auch Bloch (2018) 93 f.

4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift

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mpy ‚nach Diktat‘.1962 Der Text der Tafel wurde diktiert; zuerst wurde die erste Spalte, dann die zweite und abschließend die dritte geschrieben.

4.4.2 Schriftliche Hinweise auf die Verwendung der aramäischen Linearschrift Blasberg bespricht die Begriffe für ‚Aramäisch‘ und ‚Akkadisch‘ in neu- und spätbabylonischen Keilschrifttexten, worauf sich im Folgenden gestützt wird.1963 Das Wort armû kommt in Briefen und Urkunden bei Personen nur noch als Gentilizium vor. Das Adjektiv akkadû wird nicht für eine Sprache, sondern für die Herkunft, den Stil bestimmter Fabrikate verwendet. Das Wort aḫlamattu ‚Aramäisch‘ ist in einer Sklavenverkaufssurkunde (Camb. Nr. 143 8. f.)1964 belegt: šá! ri-ti-šú! ak-ka-da-at-tu4 u x-la-ma!-at-ti [ana] šumi šá PN šaṭ-ra-ṭu4. Im AHw 1 elamatti 196 ist das entsprechende Wort unter elamatti ‚Elamisch‘ verbucht. Im CAD A/1 aḫlamatti 192 f. wird das Wort korrigiert zu aḫ!-la-ma-at-ti, der entsprechende Text wurde kollationiert. Die Übersetzung ist demnach: ‚(eine Sklavin) deren Hand in Akkadisch und Aramäisch mit dem Namen des PN beschrieben ist.‘ Mit aramäischen Schriftzeichen markierte man sowohl Sklaven als auch Tiere. Verschiedene aramäische Buchstabennamen werden in bisher sieben Achämeniden-zeitlichen Texten erwähnt.1965 Teilweise werden diese Buchstaben dem sepīru zugeordnet (s. u., s. Kap. 2.2: miḫiṣtu und šaṭāru). Der Begriff sepīru/sēpiru ist aus dem Neu- und Spätbabylonischen bekannt und bezeichnet einen Schreiber, der eine alphabetische Schrift und zwar die aramäische, verwendet. Die früheste Erwähnung von sepīru stammt aus dem vierten Regierungsjahr von Asarhaddon (680–669).1966 Der nächste bekannte Beleg datiert in das Akzessionsjahr Nabopolassars (626–605).1967 Die Verwendung des Sumerogramms lúA.BAL für sepīru ist nur in Texten aus Nippur, insbesondere dem Murašû-Archiv, von ca. 460 bis 400 belegt.1968 Bei einzelnen Personennamen al-

 Diese Beischrift gibt nach Yigal Bloch nicht Aramäisch, sondern eine andere nordwestsemitische Sprache wieder, Bloch (2018) 91–92.  Blasberg (1997) 38 f. Für die Bezeichnungen für Aramäer und aramäische Stämme vgl. Streck (2014).  Strassmaier (1890) = Camb.  Vgl. für weitere Angaben Jursa (2005b) und Joannès (2009) 221 f.  So Bloch (2018) 77 Fn. 128. Es handelt sich bei dem Text um BM 30130, Strassmaier (1893) Nr. 3. Der Kopie nach zu schließen, wurde der Alltagstext in der neubabylonische Variante der sumero-akkadischen Keilschrift niedergeschrieben.  BM 49656, Wiseman (1956) Taf. 21. Nach Jursa (2012) 381 Fn. 9 ist dies der älteste neubabylonische Beleg, nach Bloch (2018) 77 Fn. 128.  AHw 2 sepīru 3 1036. Insbesondere ist es im Murašû-Archiv belegt, vgl. Stolper (1985a) 122.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

terniert dort diese ‚Berufsbezeichnung‘ mit sepīru, so dass die beiden Ausdrücke gleichgesetzt werden.1969 Nach Erich Ebeling ist dieses Wortzeichen als Schreibvariante zum sumerischen i5-bal zu deuten, das akkadisch nāpalû und targumannu entspricht, d. i. ‚Dolmetscher, Übersetzter‘; so übersetzt er sepīru mit ‚Übersetzer(schreiber)‘ und erläutert: „sipîru ist demgemäß ein Mann, der das Aramäische und das Akkadische beherrschte und in der Verwaltung das Amt des vereidigten Dolmetschers unserer Tage versieht. Als solcher schrieb er aramäisch gewiss auf Pergament.“1970 Seine Deutung ist zweifelhaft, fand aber ihren Niederschlag im AHw 2 sepīru 1036, wo das Wort als ‚Übersetzer-Schreiber‘ aufgefasst wurde. Der Interpretation ‚Dolmetscher‘ widerspricht Blasberg; sie nimmt an, dass das Aramäische in neu- und spätbabylonischer Zeit Umgangssprache war und folglich hierfür keine Sprachmittler benötigt wurden, überdies gibt es keine Hinweise für deren Tätigkeiten.1971 Neben seiner Verwaltungstätigkeit hatte der sepīru nach Blasberg dennoch eine Mittlerfunktion: „einmal zwischen ausschließlich Keilschrift Schreibenden und ausschließlich Aramäisch Schreibenden, […]; dann aber auch sicher zwischen der Staats- und Tempelverwaltung und der schriftunkundigen Bevölkerung, wobei er aramäisch geschriebene Erlasse, Verkündigungen oder Anweisungen vorgelesen haben dürfte.“ 1972 Mehrere Belege für targumannu sind zwar aus dem Neuassyrischen bekannt, jedoch nur zwei

CAD S 225 sepīru verweist zudem auf einen Beleg in der neuassyrischen Berufsnamenliste, K.4395 (MSL 12 240 Kol. V Z. 21), aus Ninive/Kujundschik. In der Kolumne V Z. 5 f. desselben Textes (MSL 12 239) ist ein assyrischer Schreiber, lúA.BA kuraš-šur-a-a, und ein lúA.BA kurár-ma-a-a angeführt. Dies deutet darauf hin, dass der lúA.BA kurár-ma-a-a, der aramäische Schreiber, zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort nicht gleichbedeutend mit lúA.BAL ist. In einer neubabylonischen Rechtsurkunde (BM 29391) aus Borsippa aus der Zeit Assurbanipals (668–631/27) erscheint in der Zeugenliste (mit Zeugen aus Ninive) ein lúUMBISAG ar-ma-a-a, ein aramäischer Schreiber, der mit dem neuassyrischen lúA.BA kurar-ma-a-a gleichzusetzen ist, vgl. Zadok (2003) 576 f. So ist lúA.BAL zu dieser Zeit womöglich nicht die babylonische Variante für lúA.BA kurar-ma-a-a. lúA.BA steht allgemein für Schreiber. Simo Parpola interpretiert dieses Logogramm als ‚ABC-Mann‘, vgl. Tadmor (1982) 459. Das Wortzeichen soll einen westlichen Hintergrund besitzen, da es bereits in Texten aus Ugarit, insbesondere in lexikalischen Listen, vorkommt. Dort wird der Begriff mit ṭupšarru (‚Tontafelschreiber‘ bzw. ‚Keilschriftschreiber‘) übersetzt, vgl. Tadmor (1982) 459. In Ugarit/Ras Shamra war auch ein Keilschriftalphabet in Gebrauch, so dass der Begriff ṭupšarru nichts über das strukturelle Prinzip der verwendeten Keilschrift aussagt. Yigal Bloch verweist darauf, dass das Wortzeichen lúA.BAL in der Regel für dālû ‚Wasserschöpfer‘ steht, so auch bei der Berufsnamenliste K.4395, Bloch (2018) 77.  S. San Nicolò (1949) 291 Fn. 5 und Lewy (1954) 195 Fn. 107.  Ebeling (1952) 212. Siehe auch Bloch (2018) 73.  Blasberg (1997) 44.  Blasberg (1997) 45.

4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift

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aus neubabylonischer Zeit. 1973 In der aramäischen Inschrift einer bereits oben erwähnten neu-/spätbabylonischen Tontafel, VAT 16276, erscheint das aramäische Wort trgmnʾ (s. Kap. 4.4.1).1974 Dies ist für Ran Zadok der Beweis, dass die Übersetzung ‚Übersetzer-Schreiber‘ für sepīru nicht haltbar ist.1975 Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass einzelne Schreiber mehrere Sprachen sprechen bzw. mehrere Schriften beherrschen konnten. Der Bezug des sepīru zur westsemitischen Alphabetschrift ist durch keilschriftliche Texte aus der Achämenidenzeit, wo Markierungen von Tieren und Sklaven beschrieben sind, inzwischen eindeutig nachweisbar. In einem Text (BM 61891) aus dem Jahre 497 (25. Regierungsjahr Darius I.) trägt ein weißes Pferd als Markierung an seinem Hals und seiner Rechten jeweils ein šinnu, wohl der Buchstabe ‚Šin‘1976: Vs. (6) ˹šá šin-nu˺ (über Rasur) šá se-pi-ri (Rasur) ina muḫ-ḫi (7) ti (über Rasur)-ik-˹ki˺-šú ù šin-nu (8) šá [s]e-pi-ri (Rs.) (1) muḫ (Text: KA)-ḫi ZAG.LU-šú ... (es trägt) ein šinnu des Alphabetschreibers auf seinem Hals und ein šinnu des Alphabetschreibers auf seiner Rechten.1977 Derartige ‚Buchstaben des Alphabetschreibers, nämlich ilp / šinn / jad‘: mi-hi-il< ti > šá s[e-pi-ri] il-pi DIŠ ši-in DIŠ ia-a-di konnten außerdem auf der Schnauze eines Esels angebracht sein, wie NBC 6166 (x. Jahr Darius I.) Vs. Zeile 2–3 darlegt.1978 In diesem Fall wurde wahrscheinlich mit den Buchstaben ein Name wiedergegeben, hierfür bietet sich Uššāja an.1979 Auch die Tafel BM 64240 (10. Regierungjahr Darius‘) Vs. Z. 3 vermerkt ‚Buchstaben des Alphabetschreibers‘,

 Vgl. CAD T targumannu a 6’ und 7’ 229. Für Blasberg (1997) 44 zeigt dies, dass lúA.BAL nicht mit targumannu gleichzusetzen ist.  Müller-Kessler (1998) 193.  Zadok (2003) 577. Gleichwohl wird insbesondere für die achämenidische Zeit an der Bedeutung Übersetzer festgehalten, was wohl mit der Rolle des sepīru innerhalb der achämenidischen Verwaltung zu tun hat, vgl. Tavernier (2017) 348–355.  Jursa/Weszeli (2000) 79.  Umschrift und Übersetzung folgt Jursa/Weszeli (2000) 80.  Umschrift und Übersetzung folgt Jursa (2005b) 399 f.  Jursa (2005b) 401.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

mi-iḫ-hi-il-tu4 ša lúse-pi-ri, die sich auf dem Nacken einer Sklavin befunden haben.1980 Eine Rechtsurkunde, AO 19536, aus dem Jahr 539, aus der Regierungszeit Nabonids, bestätigt, dass der sepīru lesen konnte und für diese Fähigkeit zu Rate gezogen wurde: lúDI.KU₅-MEŠ … se-pi-ri ú-bil-lu-nim-ma rit-ti šá fdna-na-a-huus-si-in-ni ú-ad-di-ma iq-bi um-ma šá-ṭa-ri la-bi-ri šá u₄-mu ru-qu-tu a-na dna-na-a rit-ta-šú šaṭ-ra-at ‚Die Richter ließen den sepīru holen, er untersuchte die Hand der Nanaja-hussinni und sagte: Ihre Hand ist beschriftet mit einer alten Inschrift aus fernen Tagen (und zwar) für Nanaja‘.1981 Bei den neu- und spätbabylonischen Alltagsdokumenten, giṭṭu und šipirtu, die neben šaṭāru und taḫsistu mit dem Determinativ KUŠ für ‚Leder‘ bezeugt sind, (vgl. Kap. 4.1.3 und Kap. 2.2), wird teilweise angegeben, dass sie von einem sepīru stammen.1982 Akkadisch niāru (s. Kap. 4.1.3), das in diesem Kontext ‚Leder‘ bzw. ‚Pergament‘ bedeutet, ist – soweit bekannt – im Zusammenhang mit sepīru in Texten aus der Regierungszeit Neriglissars (559–556)1983 und Darius‘ I. (522–486)1984 erwähnt. Das vorwiegende Beschreibungsmaterial des sepīru ist demzufolge Leder bzw. Pergament. Darauf deutet ebenfalls der in seleukidischer Zeit verwendete Ausdruck lúKUŠ.SAR ‚Lederschreiber‘, der gleichbedeutend mit sepīru ist.1985 Ein babylonischer Lederschreiber ist auch aus dem Elamischen der Achämenidenzeit bekannt (s. Kap. 4.1.3.3).

 Nach Jursa/Weszeli (2000) 82 f. Für weitere Buchstabennamen in Keilschrift, die auf Menschen bzw. Tieren angebracht waren, vgl. Jursa 2004. Für den Begriff miḫiṣtu vgl. Kap. 2.2.  AO 19536 Vs. Z. 19–24. Die Umschrift folgt Arnaud (1973) 147 f. Eine gebundene Umschrift der Textstelle findet sich in CAD S sepīru 1a 225. In einem weiteren Fall ist eine Inschrift šaṭāru ša sepīru belegt (vgl. Kap. 2.2: šaṭāru), so dass wahrscheinlich auch hier die Alphabetschrift gemeint ist.  CAD S sepīru 1a 225.  Eine Textkopie findet sich bei Evetts (1892) Nr. 55, eine Bearbeitung bei Ebeling (1952) 212 f. Der Text datiert 19. Dûzu, 3. Jahr des Nergal-šarru-uṣur (Neriglissar). Die Zeichen des Wortes sepīru in Zeile 7 sind gebrochen: si-[pir]. Aufgrund der genannten Ledersorten und des Begriffes niāru ist nach Ebeling si-[pir] zu lesen. Wolfgang von Soden schließt sich der Deutung ‚Pergament‘ an, s. AHw 2 niāru 2 784. Das CAD N/2 niāru b 201 deutetet das Wort bei diesem Beleg zwar als Beschreibstoff, allerdings als Papyrus.  In Quellen aus Borsippa aus der Regierungszeit von Darius I. ist kušniāru dem sēpiru ša isqāti zugeordnet, so Jursa (2012) 391. Er verweist hierbei auf BM 26484. Dieser Text wurde bei Zadok/Zadok (2003) publiziert. Für eine ausführlichere Besprechung der Aufgaben des sēpiru ša isqāti vgl. Waerzeggers (2010) 345–348.  Dies wurde bereits von Dougherty (1928) 111 vorgeschlagen. Für eine Diskussion hierzu vgl. Blasberg (1997) 42, s. zusätzlich Clancier (2005) 95, insbesondere Fn. 42, 43 für Belege von lú lú KUŠ.SAR und Personen, die sowohl als sepīru als auch als KUŠ.SAR dokumentiert sind.

4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift

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Ein sepīru war ein professioneller Alphabetschreiber. Er war ein Beamter bzw. Angestellter in der Tempel- und Palastverwaltung und war auch für den neubabylonischen König und seine Familie tätig. Er tritt innerhalb der chaldäischen und achämenidischen Staatsverwaltung, aber auch im Dienste von Privatpersonen auf. Sein Aufgabenbereich liegt in der Buchhaltung und Verwaltung. Im 6. und 5. Jahrhundert empfing er Zahlungen bzw. Abgaben, agierte als Bote, hatte die Aufsicht über Arbeiter inne und ließ Arbeitsdienste durchführen. Für seine ‚Vorgesetzten‘ konnte er zu dieser Zeit deren Grundbesitz verwalten, z. B. Felder und Häuser verpachten, innerhalb der Staatsverwaltung rechtlich bindende Feldvermessung durchführen, vor Gericht auftreten etc. Aus hellenistischer Zeit ist er überwiegend in Texten aus Uruk belegt, auch hier war er innerhalb der Verwaltung tätig.1986

 Für die neubabylonische Zeit und die Achämeniden-Zeit skizzieren Monika Blasberg, Muhammad A. Dandamayev, Michael Jursa und zuletzt ausführlich Yigal Bloch seine verschiedenen Aufgabenbereiche, s. Blasberg (1997) 43–46, Dandamayev (1982) 35 f., Jursa (2012) und Bloch (2018) 101–370. Dandamayev (1983) auf Russisch publizierte Arbeit ist mir aufgrund meiner mangelnden Sprachkenntnisse leider nicht zugänglich; die englische Zusammenfassung (236 f.) entspricht Dandamayev (1982). Jursa behandelt den Schreiber nach Quellen des 6. Jahrhunderts, s. Jursa (2012). Bloch diskutiert zahlreiche Textbelege gegliedert nach den Tätigkeitsbereichen des sepīru (Tempel, Staatsverwaltung und privates Business), s. Bloch (2018). Immer noch nützlich ist Raymond P. Doughertys Zusammenstellung von über 50 aussagekräftigen Belegen von der neubabylonischen bis in die seleukidische Zeit, s. Dougherty (1928). Angaben finden sich auch bei Pearce (1999) 356 f. Für den sepīru im 6. bis zum Beginn des 5. Jahrhunderts in Sippar vgl. MacGinnis (1995) 122–124. Er geht näher auf seine Rolle innerhalb der Staats- und Palastverwaltung ein. Siehe weiter für die Alphabetschreiber der Tempelverwaltung Bongenaar (1997) 46, 52 f., 59 f., 67, 93–96 und 501 f. für eine Auflistung aller weiteren Alphabetschreiber aus Sippar. Ein Stempelsiegel ist für diesen Schreiber vorhanden, vgl. Ehrenberg (1999) 36. Für den sepīru des 6. Jahrhunderts in Uruk siehe Kümmel (1979) 136 f. mit Angaben zu den dortigen Alphabetschreibern. Weitere Belege finden sich bei Jursa (2012) 383–386, s. weiter ebd. 385–390. Auch in Borsippa ist der Alphabetschreiber im 6. Jahrhundert anzutreffen, vgl. Jursa (2012) 390 f. Kathleen Abraham untersuchte Urkunden der vierten Generation der Egibi-Familie (ein Familienunternehmen im kaufmännischen Sektor) aus Babylon, die ans Ende des 6. Jahrhunderts/Beginn des 5. Jahrhunderts zu datieren sind. In diesen Texten erscheint eine Reihe von Vertretern von Institutionen wie der sepīru, den sie mit ‚clerk‘ (deutsch: Angestellter) übersetzt, s. Abraham (2004) 15 und 527 für Angaben zu den Texten, in denen er vorkommt. Vgl. auch Jursa (2012) 391 f. mit den Belegen aus Babylon und Dilbat. Für einen Alphabetschreiber aus dem neubabylonischen Akkad s. Jursa (1996) 204. Stolper geht kurz auf die Funktion des Alphabetschreibers innerhalb des Murašû-Archivs (2. Hälfte des 5. Jahrhunderts) in Nippur ein, s. Stolper (1985a) 122. Alphabetschreiber der hellenistischen Zeit sind überwiegend in Uruk bezeugt, s. McEwan (1981b) 27–32, vgl. hierzu weiter Clancier (2005), insbesondere 94–107, und für die Alphabetschreiber-Familien aus Uruk ebd. 99–102.

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Aus dem 6. bis zum Beginn des 5. Jahrhunderts ist er in Rechts- und Verwaltungstexten der Tempel, insbesondere aus dem Ebabbar in Sippar und dem Eanna in Uruk, bekannt. Er war in der Buchführung, z. B. beim Warenein- und ausgang, und in verschiedenen anderen Bereichen tätig, z. B. verwaltete er die Bauarbeiten an kleineren Kanälen.1987 Er ist häufig in Urkunden und Briefen zusammen mit einem oder mehreren ṭupšarru aufgeführt; demnach sind ihre Verantwortungsbereiche bzw. Tätigkeitsfelder vergleichbar;1988 in Briefen der neubabylonischen und Achämeniden-zeitlichen Tempelverwaltungen von Sippar und Uruk erscheinen sie zusammen als Absender bzw. Adressaten.1989 Jedoch ist die Anzahl der Alphabetschreiber gegenüber den bekannten Tontafelschreibern in den Tempeln gering. So ist davon auszugehen, dass die Tempelverwaltung des 6. Jahrhunderts überwiegend die akkadische Keilschrift gebrauchte.1990 Ein sepīru gehörte im Ebabbar-Tempel in Sippar und ebenso im EannaTempel in Uruk zur festen Gruppe des qīpu, eines vom König eingesetzten Funktionärs, der innerhalb der Tempelverwaltung von Ebabbar und Eanna eine große Rolle spielte und dem ein bis zwei sepīru zugeordnet waren.1991 Einem sepīru konnten weitere Personen unterstellt sein. Er konnte in die Position eines qīpu aufsteigen; so ist Amurru-šar-uṣur, ein Alphabetschreiber, im 1. Regierungsjahr Neriglissars ein qīpu.1992 Nach John MacGinnis ist in BM 55920 (CT

 Kleber (2008) 113 f.  Dandamayev (1983) 237.  Für sepīrū in ‚letter-orders‘ des 6./5 Jahrhunderts des Ebabbar-Tempels in Sippar siehe MacGinnis (1995) passim. Nach Laurie Pearce (1999) 357 stammen die meisten Belege aus Zeugenlisten und ausschließlich aus seleukidischer Zeit. Jedoch verweist Bongenaar darauf, dass sie in den Urkunden des Ebabbar-Tempel in Sippar nie als Zeugen erwähnt sind, vgl. Bongenaar (1997) 64. In den von Eckart Frahm und Michael Jursa publizierten Briefen, einigen ‚letterorders‘ und Rechts- und Verwaltungstexten aus dem Eanna-Tempel aus Uruk erscheint ein sepīru, vgl. Frahm/Jursa (2011) 13. In der seleukidischen Zeit sind bis auf zwei Ausnahmen aus Babylon alle bezeugten sepīrū aus Uruk, s. McEwan (1981b) 30. Meist wird in der Zeugenliste ihr Name und die Berufsbezeichnung angegeben; häufig ist dies der einzige Titel, der in der Liste Erwähnung findet, vgl. Clancier (2005) 93. Clancier verweist darüber hinaus auf Belege außerhalb von Zeugenlisten. Für die seleukidische Zeit plädiert Clancier dafür, dass die Erwähnung der Berufsbezeichnung sepīru darauf schließen lässt, dass eine Vorlage des keilschriftlichen Textes auf einem vergänglichen Material existierte, s. Clancier (2011) 765. Rückschließend ist zu fragen, ob nicht auch in neubabylonischer und achämenidischer Zeit die Erwähnung der Berufsbezeichnung in Zeugenlisten ein Hinweis auf die nicht mehr existierenden Leder- bzw. Pergamentschriftträger desselben Textes sein könnte.  Jursa (2012) 393.  Für die Schreiber in Sippar siehe Bongenaar (1997) 56–98, insbesondere 46 und 59 f. Für Uruk s. Kleber (2008) 113 f.  Vgl. Weisberg (2003) = OIP 122 106 f. Kommentar zu Z. 16 von Text-Nr. 75.

4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift

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55 Taf. 253 Nr. 673) ein sepīru namens Neriglissar für den Ebabbar-Tempel in Sippar nachweisbar. Später ist ein qīpu desselben Namens bekannt. Womöglich ist er mit dem Usurpator Neriglissar, der in Babylonien von 559 bis 556 regierte, identisch.1993 Unter der Herrschaft Kambyses II. (529–522) änderte sich die Verwaltung der Tempel, der sepīru wurde Teil des Schreiberkollegiums in Sippar.1994 Nach MacGinnis könnten die Alphabetschreiber innerhalb der Tempel ihren Ursprung in der neubabylonischen Staatsverwaltung haben.1995 Dieser Auffassung schließt sich Jursa an: Die ersten ständig in Ebabbar arbeitenden Alphabetschreiber sind durch ihre Verbindung mit dem königlichen Beauftragten für Ebabbar nachweislich mit der königlichen Verwaltung verbunden, dies gilt aber auch sicherlich für die späteren Alphabetschreiber im Tempelkollegium, die nachweislich nicht aus lokalen Schreiber- und Priesterfamilien stammen, sondern offensichtlich Außenseiter sind wie alle anderen königlichen Funktionäre, die im Ebabbar Dienst tun. Auch von den sonst im Ebabbar-Archiv bezeugten sēpirus stehen die allermeisten im Dienst des Königs oder königlicher Funktionäre […] .1996

Auch die Alphabetschreiber von Eanna können mit der königlichen Verwaltung in Verbindung gebracht werden.1997 Belege, die größtenteils aus Borsippa und Babylon stammen – z. B. aus dem Egibi-Archiv –, zeugen von der Tätigkeit des sepīru für die königliche Verwaltung bspw. der Palastverwaltung und für mit dem König bzw. der Verwaltung in Verbindung stehender Personen.1998 In Anbetracht der ohnehin schlechten Beleglage steht nach Jursa die Häufigkeit königlicher Alphabetschreiber der geringen Anzahl königlicher Tontafelschreiber gegenüber.1999 Wie die oben erwähnten Alphabetschreiber des Ebabbar, gehörten auch die Alphabetschreiber von Eanna nicht zu den lokalen Schreiber- und Gelehrtenfamilien.2000 Äußerst selten ist eine Filiation angegeben. Aus Borsippa hingegen ist ein Alphabetschreiber bekannt, der einen Familiennamen trägt, andere Alphabetschreiber Borsippas sind westsemitischer Abstammung.2001 Wie dargelegt wurde, waren die in Tempelarchiven und weiteren Texten genannten Alphabetschreiber des 6. Jahrhunderts Repräsentanten der königlichen Verwaltung. Nach Jursa wurde das neubabylonische Reich von Anfang an

        

MacGinnis (2000) 64. S. Bongenaar (1997) 60 mit weiteren Angaben. MacGinnis (1995) 122 f. Jursa (2012) 382. Jursa (2012) 383–390. Jursa (2012) 390–392. Jursa (2012) 381. Kümmel (1979) 136. Vgl. Jursa (2012) 390 f. mit weiteren Angaben.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

zweisprachig und zweischriftig verwaltet, wobei sich in achämenidischer Zeit das Gewicht zunehmend zu Gunsten des Aramäischen verschob.2002 Neben der Tätigkeit innerhalb der Palastverwaltung stand der sepīru während der neubabylonischen und der folgenden achämenidischen Zeit im Dienst einzelner Personen: des Königs – sowohl des chaldäischen wie auch achämenidischen –, der (Kron-)Prinzen und einzelner Funktionäre.2003 Teilweise fungierte er obendrein als Bote (mar šipri). Häufig verweisen die keilschriftlichen Texte auf eine Tätigkeit des sepīru innerhalb der achämenidischen Verwaltung. Er kommt u. a. in Verbindung mit achämenidischen Funktionären vor. So gibt es z. B. einen Alphabetschreiber des Gubaru/Gobryas II., des Statthalters von Babylonien,2004 einen Alphabetschreiber des Statthalters von Ägypten2005 und einige weitere.2006 Aus dem Murašû-Archiv (Nippur, 2. Hälfte 5. Jahrhundert, Archiv eines Familienunternehmens) sind darüber hinaus sepīrū ša ūqu, ‚Schreiber der Armee‘, nachweisbar, diese sind einem ḫaṭru zugeordnet.2007 Das Wort ḫaṭru ist beinahe ausschließlich aus dem Murašû-Archiv überliefert; Stolper charakterisiert ein ḫaṭru folgendermaßen: „[…], the ḫaṭru was not only a antecedent of Hellenistic military colonies. It was also a functional successor to earlier Mesopotamian administrative regimes which managed state-controlled lands by granting benefices to state workers.“2008 Der sepīru war auch für Privatpersonen tätig, wie es überwiegend die Keilschrifttexte aus dem Murašû-Archiv bezeugen.2009 Matthew W. Stolper äußerte sich allgemein zu seinen Tätigkeiten, wie sie durch Privaturkunden ersichtlich werden: In private archival texts, its connotations have less to do with literacy and language than with competence in business matters, for it is a frequent designation for the men who made and received payments or conducted transactions as agents for others. On occasion, it is a title held by men of apparent importance. In effect, it describes functionaries of various ranks, in various organizations, who knew how to manage business affairs and make appropriate records of them.2010

 Jursa (2012) 393.  Vgl. CAD S sepīru 2 225 f. für diverse Beamte etc., denen er zugeordnet gewesen sein konnte; s. auch Jursa (2012) 390–392. und Bloch (2018) passim.  Clay (1904) Nr. 101 Z. 24–25 (5. Jahr Darius II.).  Strassmaier (1890) = Camb. Nr. 344 Z. 2–3 (6. Jahr Kambyses).  Vgl. für weitere Beispiele Tavernier (2008) 61.  Stolper (1985a) 76 Nr. 35.  Stolper (1985a) 99. Für die vollständige Diskussion zu ḫaṭru vgl. Stolper (1985a) 70–103.  Vgl. CAD S sepīru 2b 226. Siehe zudem Bloch (2018) 337–370.  Stolper (1989) 299.

4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift

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Stolper ist in einem Punkt zu widersprechen: Der sepīru war sehr wohl ein Schreiber, wie die oben erwähnten Markierungen bei Tieren und Menschen zeigen. Sein Aufgabenbereich, den Stolper kurz darlegt, ist vergleichbar mit denjenigen eines ṭupšarru innerhalb der Verwaltung.2011 Der Großteil der Belege für den Alphabetschreiber aus der hellenistischen Zeit stammt aus Uruk.2012 Bis ins Jahr 96 der seleukidschen Ära (etwa 216/215) wird entweder sepīru oder sepīr makkūr Anu ‚Alphabetschreiber des Besitzes von Anu‘ geschrieben.2013 Ab dem Jahr 119 der seleukidschen Ära wird für sepīru auch das Wortzeichen lúKUŠ.SAR ‚Lederschreiber‘ (bzw. zu dieser Zeit wohl ‚Pergamentschreiber‘) verwendet, das eine Parallelbildung zum Tontafelschreiber lúDUB.SAR darstellt. Bis zum Ende der schriftlichen Überlieferung wird sowohl die Schreibung lúsepīr makkūr Anu wie auch lúKUŠ.SAR NÍG.GA d60 gebraucht.2014 Die Keilschriftexte aus Uruk stammen von den alteingesessenen Gelehrtenund Priesterfamilien und weisen einen engen Bezug zum Tempel auf. Der letzte datierte Keilschrifttext aus Uruk stammt aus dem Jahr 108.2015 Rechts- und Verwaltungstexte in Keilschrift sind nach dem Jahr 90 aus Babylonien nicht mehr bekannt.2016 Die Alphabetschreiber werden in Rechtstexten erwähnt, und zwar überwiegend als Zeugen bei Verträgen, seltener als Beteiligte und ein- bis zweimal im Rahmen eines Prozesses.2017 Einige wurden von den Tempeln mit Häusern und Pfründen bezahlt.2018 Im Bīt Reš waren mindestens sechs Alphabetschreiber gleichzeitig beschäftigt.2019 Die Alphabetschreiber des hellenistischen Uruk gehören keiner der Gelehrten- bzw. Priesterfamilien an.2020 Mithilfe ihrer Filiation konnte Philippe Clancier allerdings vier Alphabetschreiberfamilien rekonstruieren, so dass davon auszugehen ist, dass zu dieser Zeit die Position erblich war.2021 In Zeile 34 von OECT 9 Nr. 24, den Clancier neu kollationiert hat, wird eine Vorlage aus Pergament bzw. Leder (ga-ba-ru-ú kušGÍD.[DA]) erwähnt. Falls in der Zeugenliste eine einzige Berufsbezeichnung angegeben wird, ist es diejenige

 Für diesen Hinweis danke ich Markham J. Geller, persönliche Mitteilung März 2012.  McEwan (1981b) 27–32. Zwei Belege stammen aus Babylon, s. ebenda 30. Für Belege aus Uruk s. auch Clancier (2005) passim.  McEwan (1981b) 30.  Clancier (2005) 94.  Kessler (1984).  Kose (1998) 415.  Clancier (2005) 93.  Clancier (2005) 94 f.  Clancier (2005) 95.  McEwan (1981b) 28.  Clancier (2005) 99–102.

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des Alphabetschreibers. Daraus folgert Clancier, dass die erhaltenen keilschriftlichen Rechtsurkunden nur Kopien der von den Alphabetschreibern auf Leder bzw. Pergament geschriebenen rechtsgültigen Leder- bzw. Pergamentdokumente seien. Die in den Zeugenlisten erwähnten Alphabetschreiber sind die Verfasser der Vorlagen der Keilschrifttexte.2022 Der Text OECT 9 Nr. 42, ein Kaufvertrag, verweist auf eine Gerichtsentscheidung des Tempels. In Zeile 28 dieses Dokuments ist ein kur-ra-pe-e angeführt. Nach Gilbert J. P. McEwan ist dies die keilschriftliche Schreibung des griechischen Wortes graphē, welches eine offizielle Urkunde oder einen Zivilprozess bezeichnet.2023 Als Schreiber werden in dem Dokument nur Alphabetschreiber gelistet. Daraus schließt Clancier, dass nur diese (außerhalb der Tempel) rechtsgültige Dokumente schreiben konnten, und zwar womöglich (auch) auf Griechisch.2024 Vergleichbar zur neubabylonischen und achämenidischen Zeit waren Alphabetschreiber in den Tempeln beschäftigt und hatten mit den rechtsgültigen Dokumenten einen Bezug zur Staatsverwaltung. In der Staatsverwaltung wurde der Beschreibstoff Pergament bevorzugt. Nach Clancier sind in einer Reihe von Texten aus Babylon – in den mesopotamischen Chroniken, den astronomischen Tagebüchern und den Memoranda (taḫsistu) der Esagil-Versammlung – kušgiṭṭu ‚Pergamenturkunde‘ und kuššipirtu ‚Pergamentnachricht‘ erwähnt. Solche Nachrichten konnten auch vom König gesandt werden. Memoranda konnten auch auf Pergament geschrieben sein.2025 Möglicherweise gibt die Verwendung des aramäischen Begriffs spr weitere Hinweise auf die Funktion des sepīru. Die gängige Meinung ist, dass sepīru ein Lehnwort aus dem Aramäischen ist. Erich Ebling stellte eine etymologische Verbindung zum aramäischen sfīrā ‚Gelehrter‘ her.2026 Dem schließt sich Wolfgang von Soden an, der eine Gleichsetzung mit dem aramäischen sāfrā ‚Schreiber‘ für ausgeschlossen hält.2027 Von diesen abweichend wertet Klaus Beyer den aramäischen Begriff spr für Schreiber als eine lautgesetzlich aus dem Aramäischen nicht ableitbare qātíl-Form, das Wort selber soll akkadisch sein.2028 Nach CAD S 226 könnte sepīru ein aktives Partizip des Verbs sepēru, eines aramäischen Lehnwortes, sein und daher mit sēpiru normalisiert werden. Dies wird von Kathleen Abraham und Michael Sokoloff aufgegriffen: „The suggestion of CAD S 226 to normalize this word as ✶sēpiru, a participial form, paralleling the

      

Clancier (2005) 85–96. McEwan (1984) 240. Clancier (2005) 97 f. und 766 f. Clancier (2011) 763. Ebeling (1952) 212. von Soden (1968) 266. Beyer (1984) 432.

4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift

433

original Aram form ✶sāpir [√‫ םפר‬pe. participle], the common word for ‚scribe writing in Aramaic script, administrative functionary,‘ seems more likely.“2029 In einer dreieckigen neuassyrischen aramäischen Tonbulle aus Assur ist am Ende der Zeugenliste eine Person als sprʾ angeführt.2030 In einem neuassyrischen aramäischen Erwerbsvertrag, einer hochformatigen Tontafel, ist wiederum am Ende der Zeugenliste ein sprʾ angegeben. Die Angabe des Schreibers des jeweiligen Dokuments am Ende der Zeugenliste ist häufig bei zeitgleichen neuassyrischen keilschriftlichen Texten.2031 Auch bei einer neubabylonischen, in das 34. Jahr Nebukadnezars datierenden aramäisch beschrifteten Urkunde, AO.21.063, wird am Ende der Zeugenliste der sprʾ genannt.2032 Das Wort sprʾ ist demnach gleichbedeutend zu sepīru. Wie Alexander Schütze darlegt, zeigen die Belege für sprʾ in aramäischen Texten des Achämeniden-zeitlichen Ägyptens (5. Jahrhundert), dass sprʾ ein Amtstitel für eine Person ist, die innerhalb der Verwaltung – in den königlichen Schatzhäusern, der Verwaltung der Provinzen und in den Kanzleien der Satrapen und Statthalter – tätig war.2033 Schütze merkt nicht an, dass es sich um ein determiniertes Substantiv handelt, sondern übersetzt den Ausdruck undeterminiert mit ‚Schreiber‘.2034 Die determinierte Form verweist aber nach Dirk Schwiderski bereits auf eine Berufsbezeichnung, da entsprechende Berufsbezeichnungen und Titel stets determiniert sind.2035 Wie besonders die Beischriften der Arsames-Korrespondenz nahelegen, schrieb sprʾ nicht immer selber;2036 er war wohl eine Art Sekretär.2037 Daneben schrieben Privatpersonen Urkunden; sie betiteln sich jedoch nicht als sprʾ.2038 Schütze verweist darüber hinaus auf die AchiqarGeschichte für andere Bedeutungen des Begriffs. So wird Achiqar als spr h̝kym

 Abraham/Sokoloff (2011) 50 Nr. 213.  Lidzbarski (1921) Nr. 4 Z. 13.  Lemaire (2001) Nr. 6 Rs. Z. 5‘ und 6‘, s. auch den Kommentar hierzu auf Seite 57.  Starky (1960) und Lemaire (2001) Nr. 6A Z. 12‘.  Schütze (2009).  Schütze (2009) 378.  So Schwiderski (2000) 189.  Vgl. Schwiderski (2000) 187–194 und Schütze (2009) passim.  Schütze (2009) 384. Für Dirk Schwiderski (2000) ist die Bezeichnung nicht nur eine Berufsbezeichnung, sondern auch eine Funktionsbezeichnung, so dass mit sprʾ auch der Schreiber eines Dokuments gemeint sein könnte. Bereits John D. Whitehead sah in ihm einen Beamten, der verantwortlich für das Formulieren und den Stil eines Briefes ist, vgl. Whitehead (1974) 17.  Schütze (2009) 378 und 384.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

wmhyr, ‚ein weiser und fähiger Schreiber‘, charakterisiert.2039 Hierbei ist anzumerken, dass in dem Textvermerk nur spr (undeterminiertes Substantiv) und nicht sprʾ steht, so dass in diesem Fall keine Berufsbezeichnung gemeint sein muss.

 Jan Tavernier untersucht die elamischen Schreibervermerke in Persepolis; für ihre Interpretation zieht er ebenfalls die aramäischen der Arsames-Korrespondenz heran und wie auch Schütze (2009) und Schwiderski (2000) einen demotischen Beleg. Für Tavernier (2008) 61 ist der sepīru ein Beamter, der sowohl die Keilschrift als auch die Alphabetschrift beherrschte und ein multilingualer Schreiber war, der als Übersetzer innerhalb der Verwaltung agierte. Andererseits gibt er nach der Interpretation der Vermerke (s. u.) an, dass eventuell die Unterscheidung der Ausdrücke ṭupšarru und sepīru nur grafischer Natur ist: ersterer beherrscht nur die Keilschrift, letzterer die aramäische Schrift, s. Tavernier (2008) 73. Achämenidische Textdokumente in allen drei Sprachen weisen ähnliche Vermerke auf, was von einer standardisierten multilingualen und multiskriptualen achämenidischen Verwaltung zeugt. Für die aramäischen Textdokumente wird bei den drei zitierten Autoren stets der Vermerk in TADAE 1 6:2 (Porten/Yardeni [1986]) als Beispiel angeführt. Der demotische Vermerk befindet sich in einem demotischen Brief, P. Berlin 13450, der wahrscheinlich eine Übersetzung aus dem Aramäischen ist, vgl. für weitere Angaben Schwiderski (2000) 191 und Tavernier (2008) 71. Genau wie Schütze (2009) 382 f. und Schwiderski (2000) 187–194 gelangt Tavernier (2008) 71 aufgrund der aramäischen Handschrift im aramäischen Vermerk, die sich von derjenigen im restlichen aramäischen Dokument unterscheidet, zu der Deutung, dass sprʾ nicht selber geschrieben hat. Tavernier interpretiert die Vermerke als die Angabe eines Übersetzungsprozesses: So bekommt der Alphabetschreiber den Auftrag mündlich wahrscheinlich auf Altpersisch. Der bʿl ṭʿm war ein achämenidischer Beamter; dieser hat den besagten Auftrag womöglich von einem hohen achämenidischen Funktionär wie Arsames in Altpersisch erhalten, vgl. Tavernier (2008) 70 f. Den Auftrag hat sprʾ ins Aramäische übersetzt und diesen Entwurf einem weiteren Schreiber diktiert – dem nicht erwähnten Schreiber des Dokuments, das die Beischrift besitzt. Ferner übersetzt er (sprʾ) oder eine weitere Person mutmaßlich die aramäische Version ins Demotische bzw. Elamische und lässt eine Version des Dokuments in einer dieser beiden Sprache anfertigen, wie die demotische Angabe in TADAE 1 6:2 zeigt, vgl. Tavernier (2008) 70–73. Tavernier (2008) 70 sieht den bʿl ṭʿm (akkadisch bēl ṭēmi) als höherrangigen Beamten an, siehe hierzu ansonsten Stolper (1989) 299–303. Für Schwiderski (2000) 189–192 gibt bʿl ṭʿm die zeitlich begrenzte Funktion einer Person – auf einen spezifischen Verwaltungsakt bezogen – an. Dem folgt Schütze (2009) 382 f. Die Publikation der Briefe des Akhvamazda aus der Kahlili-Sammlung führte zu einer abermaligen Behandlung der Problematik, für die Edition dieser Texte siehe Naveh/Shaked (2012). Auch bei diesen Texten könnten die unterschiedlichen Handschriften implizieren, dass der sprʾ nicht der Schreiber gewesen sein muss, Folmer (2017) 429 f. Fn. 67. Eine Person konnte sowohl die Funktion des bʿl ṭʿm als auch des sprʾ innehaben. Tavernier schließt, dass diese beiden Ämter kombiniert werden konnten, Tavernier (2017) 376–377. Magaretha Folmer geht davon aus, dass Aufgabenbereiche der Beamten nicht klar voneinander abgegrenzt waren, Folmer (2017) 424–432 und 444. Für Schütze ist dies ein weiteres Indiz dafür, dass bʿl ṭʿm eine zeitlich begrenzte Funktion war, Schütze (2017) 501–504. War sprʾ demnach ein Übersetzer(-schreiber) oder vielmehr ein Beamter, der den Text eines aramäischen Dokuments entwarf und den Schreibprozess überwachte?

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der sepīru die aramäische Schrift lesen und schreiben konnte. Von ihm verfasste Dokumente – unabhängig davon, ob er den Schreibvorgang selber durchführte oder nicht – waren in Babylonien auf Leder bzw. Pergament geschrieben. Er übte Tätigkeiten in der Verwaltung aus und seine Position konnte durchaus höherrangig sein. Es war z. B. möglich, dass er direkt dem König untergeordnet war. Als Verwaltungsschrift wurde außerhalb der Tempel zunehmend das Aramäische verwendet. Wie im Kapitel 1 ausgeführt wurde, unterscheiden sich bereits die Alltagstexte und die wissenschaftlich-literarischen Texte in Keilschrift in ihrer Paläografie und ihrem Sprachstil. Demzufolge ist die Verwendung der aramäischen Schrift in der Verwaltung als eine Reform der Verwaltung und nicht als ein allgemeines Primat der aramäischen Schrift anzusehen. Für ein solches Nebeneinander von Schriften spricht auch, dass die Alphabetschreiber – soweit dies noch festzustellen ist – nicht den eingesessenen Gelehrten- bzw. Priesterfamilien entstammen. Wie die rekonstruierten Schreiberfamilien aus dem seleukidischen Uruk zeigen, erforderte seine Tätigkeit eine Ausbildung. Offen bleibt, ob der sepīru in seleukidischer Zeit möglicherweise auch Griechisch schrieb. Anhand der Beleglage, die in Mesopotamien nur Texte auf nicht vergänglichen Materialien umfasst, lässt sich nicht erschließen, ob der sepīru eine Rolle in der Tradierung keilschriftlicher Texte spielte. Da sepīru jedoch durchgehend als Berufsbezeichnung für einen Alphabetschreiber in der Verwaltung benützt wird, möchte ich mich dagegen aussprechen. Die Existenz eines sepīru sagt nichts darüber aus, ob und zu welchem Zweck der ṭupšarru zusätzlich zur Keilschrift die aramäische bzw. griechische Schrift und Sprache verwendete.

4.4.3 Das Griechische in Babylonien Während des Hellenismus ist aufgrund der griechischen Präsenz und der Herrschaft Alexanders des Großen und der Seleukiden sowie auch noch während der parthischen Zeit von einem gewissen Nebeneinander von griechischer, aramäischer und akkadischer Schrift und Sprache auszugehen. Es wurden griechische Städte gegründet, z. B. Seleukia im Norden Babyloniens am Tigris durch Seleukos I. am Ende des 4. Jahrhunderts. Auch in anderen Städten, z. B. in Babylon, kam es zur Ansiedlung von Griechen, die in eigenen Teilen der jeweiligen Stadt lebten. Zum Teil sind durchaus Polis-Gründungen mit griechischen Beamten und In-

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stitutionen belegt.2040 Oben wurde bereits auf die aramäischen Schriftzeugnisse dieser Zeit verwiesen, unter denen sich auch eine Namensinschrift aus Tello in griechischen und aramäischen Buchstaben befindet (s. Kap. 4.4.1). Aus Babylonien sind einige griechischschriftige Steininschriften, Ostraka, Gefäßinschriften, Krugstempel, Siegellegenden sowie Tontafeln bekannt, die von dem Leben der griechischen Gemeinschaft und deren Einfluss in Babylonien zeugen.2041 Sie stammen größtenteils aus Uruk, Babylon und Seleukia. In Uruk waren es z. B. auch zum Teil kurze Inschriften und Graffiti in den dortigen babylonischen Tempeln.2042 Die in Seleukia gefundenen Tonbullen (s. Kap. 4.1.3.2) stammen größtenteils aus dem sogenannten Archivgebäude. Tontafeln wurden so gut wie keine in Seleukia gefunden. Die Tonbullen aus Uruk kommen – soweit ihr Fundkontext bekannt ist – nicht aus Privathäusern, sondern aus den Heiligtümern Bīt Reš und Irigal und waren teilweise vergesellschaftet mit Tontafeln.2043 Die Tonbullen konnten griechische Siegellegenden tragen. Ein Beispiel dafür sind die Steuersiegel aus Uruk: Es sind rein griechische Schriftsiegel; sie nennen jeweils eine Steuer, die Datierung und den griechischen Namen der Stadt Uruk.2044 Bei den Siegelungen der Tonbullen stehen im Gegensatz zu denen der Tontafeln in der Regel keine Siegelbeischriften. Lindström verglich die Siegelabdrücke der Tonbullen aus Uruk mit denen von Tontafeln und identifiziert durch die Siegelbeischriften 27 siegelnde Personen, darunter zwei mit dem Titel sepīr makkūr Anu (s. Kap. 4.4.2).2045 Aus Seleukia sind zwei Tonbullen mit Siegelungen eines Siegels, das ein Siegelbild und die akkadische Siegellegende makkūr Bēl ‚Besitz des Bel‘ zeigt, bekannt. Das Siegel stammt möglicherweise aus Babylon.2046 McEwan sieht einen Hinweis auf den parallelen Gebrauch des Griechischen als Schriftsprache in der Verwaltung Babylons im folgenden Sachverhalt:

 Zur Ansiedlung von Griechen vgl. Cohen (2013). Für die Polis-Gründungen s. auch Gräff (2017).  S. Oelsner (1986) für einen Überblick über die griechischen Texte der hellenistischen Zeit aus Babylonien. Für die griechischen Schriftzeugnisse aus Uruk/Warka s. auch Kose (1998) 75–78 und die Diskussion bei Baker (2013) 58–61. Vgl. ferner Lindström (2003) 27–63 für die Siegellegenden der Tonbullen aus Uruk/Warka. S. für eine Zusammenstellung der griechischen Inschriften aus dem Vorderen Orient auch Canali de Rossi (2004). Für Schriftquellen aus der Partherzeit s. zudem Hackl/Jacobs/Weber (2010).  Kose (1998) 75 f.  Vgl. Lindström (2003) 65–78, 207–229 und Oelsner (2011). Baker (2013) 58 f. verweist darauf, dass der Fundort nicht der ursprüngliche Aufbewahrungsort gewesen sein muss.  Lindström (2003) 25.  Lindström (2003) 205 f.  Wallenfels (1996) 115 Fn. 20.

4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift

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One interesting aspect of the ration system is that for the archive dating from 50 to 60 SE we have evidnece [sic] of parallel recording of ration disbursement in cuneiform and in Greek. For several of the texts ordering payment of rations end with the notation ‚copy made in Greek‘ (gabarû ina im-man-na-a-tú šaṭir). The provision for a copy in Greek suggests that the crown officials had an interest in the ration distribution of the temples in Babylon.2047

Robartus (Bert) J. van der Spek schließt sich der Meinung McEwans an,2048 ebenso Lindström – mit einem Verweis auf ein Beispiel aus Uruk, VS 15 Nr. 34, welches auf 168 v. Chr. datiert –2049 und Tom Boiy2050. Die Angabe einer Sprache, in der ein Text geschrieben sein soll, ist nach Stolper unüblich.2051 Gegen McEwan spricht sich Zadok aus, da für ‚Griechen‘ und ‚Griechenland‘ im Akkadischen Begriffe mit der Grundform jamanu gebraucht werden.2052 Dem folgt Oelsner, der die Deutung des CAD favorisiert.2053 Im CAD M/1 manâtu 208 wird GABA.RI ina IM man-na-a-tú šaṭir gelesen und IM manâtu mit ‚account tablet‘ übersetzt.2054 Bei der Diskussion des Begriffes sepīru wurde in Erwägung gezogen, dass der Alphabetschreiber in hellenistischer Zeit zumindest teilweise die griechische Linearschrift für Dokumente juristischen Inhalts verwendete (s. Kap. 4.4.2). Die Tempelangehörigen arbeiteten mit den seleukidischen Herrschern und ihren Beamten zusammen. Die offizielle seleukidische Dokumentation könnte sich der griechischen Schrift und Sprache (neben der aramäischen) bedient haben. Die parthischen Herrscher besaßen ein starkes Interesse an der griechischen Kultur und Sprache; sie beherrschten die Verkehrssprache Griechisch, die u. a. dazu diente, mit ihren griechischen Untertanen zu kommunizieren.2055 So kamen auch die Angehörigen der Priester- und Gelehrtenfamilien mit der griechischen Schrift und Sprache in Kontakt. Häufig zitiert im Zusammenhang mit dem Ende der Keilschrift und der Möglichkeit der Wiedergabe der keilschriftlichen Literatur mit Hilfe des griechischen Alphabets sind die sogenannten Graeco-Babyloniaca. Die neueste Bearbeitung

 McEwan (1981b) 151 mit Fn. 349. Er schließt sich einem mündlichen Vorschlag von A. K. Grayson an.  S. van der Spek (1985) 555 f.  Lindström (2003) 14 und 108.  Boiy (2004) 293.  Stolper (1985b) 142 für eine kurze Diskussion von McEwans Vorschlag.  Zadok (1985) 188. Für Belege für jamanu vgl. ebd. 186–188.  S. Oelsner (2006b).  S. ebenda für Hinweise auf die Texte mit diesem Ausdruck.  Wiesehöfer (2000) 707 f. Nach Wiesehöfer (1994) 165–167 war allerdings das Parthische die Hof- und Verwaltungssprache und das Aramäische die Volkssprache.

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aller bekannten Texte findet sich in Gellers Artikel „The Last Wedge“.2056 Aage Westenholz griff das Thema auf. Er untersuchte die Tontafeln erneut und schlug einige weitere Lesungen der griechischen Buchstaben vor.2057 Im Folgenden werden die entsprechenden Tontafeln nach den bei Geller angegebenen und auch von Westenholz verwendeten Nummern zitiert. Falls eine Museumsnummer bekannt ist, gebe ich diese an.2058 16 teilweise nur fragmentarisch erhaltene Tontafeln werden den Graeco-Babyloniaca zugeschrieben. Eine weitere, Nr. 17 (Ash. Mus. 1937.993), verwendet nicht dasselbe strikte Transliterationssystem für das Griechische.2059 Nr. 18 stellt möglicherweise einen aramäischen Text in griechischer Schrift dar.2060 Die beiden letztgenannten Texte werden nicht den Graeco-Babyloniaca zugerechnet. Aufgrund der Paläografie der griechischen Linearschrift datieren die einzelnen Graeco-Babyloniaca entweder ins 1. Jahrhundert v. Chr. oder ins 1. Jahrhundert n. Chr.2061 Neben den Graeco-Babyloniaca sind aus Babylon wissenschaftlich-literarische Texte aus dem 2. Jahrhundert und dem Beginn des 1. Jahrhunderts bekannt sowie Hunderte von Schülertafeln.2062 Die Graeco-Babyloniaca sind häufig auf der Vorderseite mit einem akkadischen und sumerischen Text in Keilschrift versehen, auf der Rückseite ist derselbe Text in griechischen Buchstaben transkribiert. Bei Nr. 2 (BM 35727) ist die Vorderseite, die vermutlich Keilschrift aufwies, zerstört, auch bei Nr. 5 (BM 35458+) und Nr. 9 (BM 33778) ist dies der Fall, bei Nr. 15 wird es angenommen. Bei Nr. 14 (BM 38461) plädiert Westenholz dafür, dass die Vorderseite nie beschrieben war.2063 Die Tafeln müssen – mit Ausnahme von Tafel Nr. 6 (BM 48863) – zur Lektüre nicht wie normale Keilschrifttafeln gewendet, sondern ‚wie ein Buch geblättert‘ werden.2064 Die Keilschrift ist wie üblich eingedrückt, die Linearschrift ist mit einem spitzen Griffel in den feuchten Ton eingeritzt. Die Graeco-Babyloniaca werden als Schülertafeln angesehen, da es sich um Auszugstafeln mit für das Schulcurriculum üblichen Texte handelt. Mit Hinweis auf persönliche Kommunikation mit Oelsner postuliert Geller, dass durch den zunehmenden Gebrauch von Schriftträgern aus Leder bzw. Pergament die Praxis

 Geller (1997).  Westenholz (2007).  Für weitere Angaben, Umzeichnungen und Fotografien vgl. Geller (1997) und Westenholz (2007).  Geller (1997) 84.  S. Krebernik (2002).  Geller (1997) 85 f.  Westenholz (2007) 274.  Westenholz (2007) 273.  Geller (1997) 47 Fn. 16.

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der Transliteration mit Hilfe griechischer Buchstaben in das Schulcurriculum eingeführt wurde. Mit Hilfe der vorhandenen Vokale dieses Alphabets kann sowohl das Akkadische als auch das Sumerische gut wiedergegeben werden.2065 Petra D. Gesche arbeitete in ihrer Dissertation „Schulunterricht in Babylonien im 1. Jahrtausend v. Chr.“ das Schulcurriculum heraus. Gesche unterscheidet eine Schulstufe 1 und 2, danach folgt die Fachausbildung. Die Graeco-Babyloniaca ordnet sie aufgrund der Art der Textauszüge und des Tafelformats zu Beginn ihrer Schulstufe 2 ein.2066 Westenholz sieht sie als „humble exercises by firstgraders“.2067 Um 100 ist seiner Meinung nach das Akkadische eine tote Sprache (und Schrift) gewesen. Die Schüler lernten erst Akkadisch in griechischer Schrift, die sie bereits beherrschten. Dies sieht er durch die auf der Vorderseite unbeschrifteten Tafeln Nrn. 14 (BM 38461) und 15 bestätigt. Die restlichen Tafeln sieht er als Beispiele des üblichen Schulcurriculums an. Die griechischen Umschriften zeigen die korrekte Aussprache an. Sobald die Schüler genügend Sprachkenntnisse erworben hatten, soll keine Transkription mehr nötig gewesen sein.2068 Bei näherer Betrachtung der Graeco-Babyloniaca lässt sich Westenholzs These nicht halten. Bei den fragmentarischen Tafeln 1–4 wird jeweils ein kurzer Auszug aus der zweiten bzw. dritten Tafel von ḪAR-ra = ḫubullu (Ḫḫ, MSL 5) niedergeschrieben.2069 Auszüge aus den Tafeln I–III wurden in der ersten Schulstufe angefertigt, aus den Tafeln I–XXIV in der zweiten. Auf der Vorderseite der Tafeln 1–4 befindet sich der keilschriftliche Text. Die sumerischen Begriffe und deren akkadische Übersetzungen sind jeweils in einer Zeile wiedergegeben, ebenso auf der Rückseite, dort jedoch mit Hilfe der griechischen Alphabetschrift. Bei Nr. 1 (BM 34797) sind auf der Vorderseite 10 Zeilen und anschließend eine horizontale Linie zu sehen, auf der Rückseite folgen nach der Transliteration der Vorderseite zwei zusätzliche Zeilen desselben Textes. Bei dem Fragment Nr. 2 ist

 Geller (1997) 48 f.  Gesche (2001) 184 f.  Westenholz (2007) 274.  Westenholz (2007) 276 f. Wiederum eine Antwort hierzu ist Geller (2008), der seine Thesen von 1997 verteidigt. Der These Westenholzs schließt sich Clancier an, vgl. Clancier (2011) 769.  ḪAR-ra = ḫubullu (auch ur5-ra = ḫubullu oder abgekürzt Ḫḫ) ist eine kanonische Serie des 1. Jahrtausends. Auf 24 Tafeln werden nach Materialien Gegenstände geordnet, in der linken Spalte ist das sumerische Wort und in der rechten das akkadische Äquivalent angegeben. Auf Tafel I und II befindet sich die Terminologie altbabylonischer Wirtschaftstexte und Dokumente. Die sogenannten lexikalischen Listen sind in der Version des 1. Jahrtausends als Partiturumschrift in MSL (Materialien zu einem Sumerischen Lexikon) veröffentlicht. Für Vorläufer von Ḫḫ, insbesondere aus dem altbabylonischen Nippur, vgl. Veldhuis (1997).

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eine mit einem Keilschriftgriffel eingedrückte Linie zu erkennen, danach folgt Text in griechischer Alphabetschrift (Vs. zerstört). Bei Nr. 3 (BM 34799) lassen sich auf der Vorderseite nur Reste von Keilschriftzeichen erkennen. Auf der Rückseite gehört die erste Zeile zu einer sumerisch-akkadischen Beschwörung, danach folgt eine horizontale Linie, die mit dem spitzen Griffel gezogen ist, daraufhin der Auszug aus Ḫḫ und schließlich wieder eine Linie. Bei Nr. 4 (BM 35762) folgt am Ende des alphabetischen Textes eine mit einem spitzen Griffel gezogene Linie. Für die Schulstufe 2 war es üblich, Exzerpte einer Liste und eines literarischen Textes anzufertigen, somit deutet Nr. 3 sicher auf Schulstufe 2.2070 Nr. 5 (BM 35458+) gibt 20 Zeilen aus dem Syllabar Sa wieder. Das Syllabar a S besitzt in der Regel drei Spalten. In der mittleren wird das Zeichen wiedergegeben, in der linken die jeweilige sumerische Lesung und in der rechten Spalte der Zeichenname. Bei Nr. 5 treffen wir nur die linke und rechte Spalte in griechischer Transkription an. Das Textbild ist interessant, da zwischen der ‚Silbe‘ und dem Zeichennamen eine Freifläche vorhanden ist, d. h., es befindet sich zwischen den beiden Spalten eine größere Lücke.2071 Die Nrn. 6 (BM 48863), 7 (BM 34781+) und 8 (BM 77229) geben einen Auszug aus dem Vokabular SbA wieder. SbA ist gewöhnlich in drei Kolumnen unterteilt, in der Mitte befindet sich das Zeichen, links davon steht die sumerische Lesung und rechts vom Zeichen die akkadische Übersetzung – so auch bei der Vorderseite von Nr. 6 und 7. Nur in Schulstufe 2 werden alle drei Spalten des Syllabars Sa und des Vokabulars SaB notiert, in Schulstufe 1 nur die mittlere.2072 Die griechische Transkription gibt auch hier wiederum die beiden äußeren Spalten wieder. Die Texte sind demnach in die Schulstufe 2 des Schrifterwerbs einzuordnen. Nrn. 10 (HSM 1137) und 11 (BM 34916) enthalten jeweils einen Auszug aus einer sumerisch-akkadischen Beschwörungsserie. Bei ersterer handelt es sich um zi-pà, wobei nur der akkadische Teil kopiert wurde. Bei Nr. 11 handelt es sich um eine zweisprachige Uttukū lemnūtu-Beschwörung.2073 Sowohl bei der keilschriftlichen Seite als auch bei der griechischschriftigen ist jede zweite Zeile eingerückt. Bei der griechischschriftigen Seite wird bei zwei Zeilen (Z. 2 und 3) im Gegensatz zur Vorderseite erst der akkadische Text wiedergegeben und darunter – eingerückt – der sumerische. Auch die Reihenfolge der Zeilen ist anders

 Gesche (2001) 174. Es konnten auch mehrere Exzerpte niedergeschrieben sein, aber es war immer sowohl ein Exzerpt einer Liste als auch eines literarischen Textes vorhanden.  Vgl. die Umzeichnung bei Geller (1997) 89 und die Abbildung bei Westenholz (2007) 266.  Gesche (2001) 179 f.  S. auch Geller (1998).

4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift

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als auf der Vorderseite, so dass Geller bei dieser Seite von einer anderen Vorlage ausgeht.2074 Der akkadischsprachige Text Nr. 12 (BM 33769) ist ein Auszug aus der Šamaš-Hymne – auf der Vorderseite in Keilschrift auf der Rückseite in griechischer Schrift. Der Inhalt von Nr. 13 (VAT 412) ist unklar. Aufgrund der verschiedenen Trennlinien vermutet Geller, dass der keilschriftliche Teil nicht dem alphabetischen entspricht.2075 Bei den bereits oben erwähnten Nrn. 14 (BM 38461) und 15 handelt sich um Kolophontafeln. Bei Nr. 14 ist es unklar, ob die Vorderseite je beschriftet war. Bei Nr. 15 ist die Vorderseite nicht veröffentlicht, es hat sich die rechte obere Ecke erhalten. Bei beiden Tafeln wird mit Hilfe von griechischen Buchstaben eine Art Weihetext wiedergegeben, der für Schülerübungen üblich war.2076 Nach Gesche befinden sich derartige Weihetexte (in Keilschrift) häufig auf Tafeln der Schulstufe 1 am Ende der letzten Kolumne bzw. auf der Rückseite; es sind Kolophone.2077 Die entsprechenden Tontafeln wurden einer Gottheit, meist Nabû, dem Gott der Keilschriftkunst, dargebracht.2078 Die Weihetexte können nach Gesche zuweilen von weiter fortgeschrittenen Schülern bzw. erfahrenen Schreibern niedergeschrieben worden sein, was insbesondere dann deutlich wird, wenn es sich bei dem restlichen Text auf der Tafel offensichtlich um einfachere Übungen eines Schreibanfängers handelt.2079 Auch Tafeln von fortgeschrittenen Schülern und ausgebildeten Schreibern besitzen teilweise vergleichbare Kolophone und sind Göttern geweiht.2080 Demnach sind die Kolophone bzw. Weihetexte von Nr. 14 und 15 nicht als Schulübungen der Schulstufe 1 zu werten. Das Bruchstück Nr. 16 (BM 34798) gibt Teile des akkadischen Textes TIN.TIR = Babylon, einer Stadtbeschreibung Babylons, in griechischer Schrift wieder. TIN. 2081 TIR = Babylon wird in die Schulstufe 2 eingeordnet. Bestimmte keilschriftliche Texte wurden mit griechischen Buchstaben niedergeschrieben. Die anfangs erwähnte These von Westenholz lässt sich m. E. nicht halten. Die Graeco-Babyloniaca sind, wie Gesche postulierte, in die Schulstufe 2 einzuordnen. Die griechischschriftigen Textteile imitieren das Layout von keilschriftlichen Texten, die folglich als Vorlage dienten. Diese Vorlage befand

       

Geller (1997) 76 f. Geller (1997) 79. Geller (1997) 79–82. Gesche (2001) 153. Gesche (2001) 156–159. Gesche (2001) 155. Gesche (2001) 158. Gesche (2001) 174.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

sich entweder auf der Vorderseite oder auf einem nicht mehr bekannten Original – sei es eine Tontafel, sei es eine Holztafel. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Akkadisch zuerst mit Hilfe der griechischen Schrift gelehrt und erst danach nur mit Keilschrift notiert wurde. Die gut bekannten dreieckigen aramäischschriftigen Tonbullen (s. Kap. 4.1.3.2) und einige Schülertafeln (s. Kap. 1) müssen ‚wie ein Buch geblättert‘ werden. Eine solche Schreibkonvention deutet im Fall der Graeco-Babyloniaca auf eine etablierte und häufig verwendete Textsorte hin. So müssten jedoch die griechischschriftigen Schülertexte in der Regel auf vergänglichem Material – Pergamentrollen oder Holztafeln (Kap. 4.1.2 und Kap. 4.1.3) – niedergeschrieben worden sein, da sich die Anzahl von 16 Graeco-Babyloniaca im Vergleich zu tausenden keilschriftlichen Tontafeln äußerst gering ausnimmt. Entweder stellen die Graeco-Babyloniaca einen Einzelfall dar oder es war üblich, in der zweiten Schulstufe die griechische Schrift zu erlernen. Die Kenntnis der griechischen Linearschrift war innerhalb der seleukidischen und möglicherweise auch parthischen Administration, in die die Tempel und ihre Angehörigen eingebunden waren, nützlich. Eine weitere Möglichkeit, für die Geller (s. o.) plädiert, ist, dass die griechische Linearschrift erlernt wurde, um mit dieser keilschriftliche Traditionstexte wiederzugeben. Hinweise auf Pergament als Schriftträger für wissenschaftliche Texte liefern Keilschrifttexte ab dem 1. Jahrhundert mit dem Wort magallatu (s. Kap. 4.1.3.3).

4.4.4 Deutung des Befundes Das Fehlen von Texten, die die Verwaltung Babyloniens während der neubabylonischen, achämenidischen und hellenistischen Zeit betreffen, legen nahe, dass für solche Texte die vergänglichen Beschreibstoffe Holz und Leder bzw. Pergament verwendet wurden. Das neubabylonische Reich wurde zweischriftig und -sprachig verwaltet. Auch während der achämenidischen Zeit wurde weiterhin das Akkadische benützt, wobei sich zunehmend das Gewicht auf das Aramäische verlagerte, welches die Verwaltungssprache und -schrift des achämenidischen Reichs war. Das Murašû-Archiv, das Archiv einer Händlerfamilie, bezeugt, dass in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts sowohl akkadische Keilschrift auf Ton als auch aramäische Linearschrift auf Leder benutzt wurde. Insbesondere die Belege des sepīru verweisen auf den verbreiteten Gebrauch der aramäischen Linearschrift. Das Wort sepīru findet erstmalig Ende des 7. Jahrhunderts Erwähnung. Der sepīru war ein professioneller Alphabetschreiber für das Aramäische, der in der Verwaltung tätig war. Er schrieb Alltagstexte wie Urkunden und schriftliche Anweisungen auf Leder bzw. ab ca. dem 3. Jahrhundert auf Pergament.

4.4 Babylonien und der Gebrauch der Linearschrift

443

Welche Rolle die griechische Linearschrift und Sprache in der hellenistischen Zeit in der Verwaltung spielte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Zehntausende Tonbullen aus dem 4.–2. Jahrhundert mit griechischen Siegelmotiven und –legenden von seleukidischen Beamten und Steuern verweisen auf die Existenz von Pergament- und seltener Papyrusrollen. Es ist davon auszugehen, dass sie in der griechischen Sprache und Schrift beschrieben waren. Dies schließt jedoch nicht aus, dass andere, die Verwaltung betreffende Texte weiterhin in der in den davorliegenden Perioden gebräuchlichen Verwaltungsschrift und -sprache, dem Aramäischen, verfasst wurden. Die jeweilige Verwaltungsschrift und -sprache wurde neben der Keilschrift auch in den Tempeln benutzt. In den Tempeln waren sepīrū tätig. Diese wurden im 6. Jahrhundert von der königlichen Verwaltung eingesetzt. Zahlreiche seleukidische Tonbullen wurden in den Tempeln Uruks geborgen. Dies zeigt u. a., dass die Tempel enge Kontakte zu der jeweils herrschenden Elite hatten. Die alteingesessenen Priester- und Gelehrtenfamilien benutzten jedoch für ihre Angelegenheiten (zusätzlich) weiterhin die Keilschrift. Die Traditionstexte (vgl. Kap. 3.2.1) wurden bis einschließlich der hellenistischen Zeit auf Tontafeln und nicht erhaltenen wachsbeschichteten Holztafeln niedergelegt. Kommentartexte zeugen von einer produktiven Auseinandersetzung mit diesen Traditionstexten. Es wurden jedoch nicht nur Texte abgeschrieben und interpretiert, sondern auch neue geschaffen, wofür das Textkorpus der mathematischen Astronomie und andere astronomische Texte, die überwiegend aus der 2. Hälfte des 1. Jahrtausend stammen, Zeugnis ablegt (s. Kap. 3.1.2.5).2082 Ab ca. 100 ist der Gebrauch von Pergamentrollen als Schriftträger für Traditionstexte bezeugt. Pergament war ab dem 3. Jahrhundert im Vorderen Orient ein gebräuchlicher Schriftträger für Texte unterschiedlichster Sprachen und Schriften (s. Kap. 4.1.3.1). Die letzte datierbare Tontafel stammt aus dem Jahr 79/80 n. Chr., der terminus post quem für das Ende der Keilschrift. Undatierte und teilweise unpublizierte Tontafeln, beschriftet in der spätbabylonischen Kursive, sind möglicherweise später zu datieren. Zu dieser Zeit ist auch mit einer bevorzugten Verwendung der vergänglichen Beschreibstoffe zu rechnen. Nach Geller wurde die Keilschrift bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. verwendet.2083 In der hellenistischen Zeit ist eine Auseinandersetzung von Seiten der Keilschriftgelehrten mit den Alphabetschriften zu beobachten. So wurden in TCL 6 Nr. 58 mit der Keilschrift Beschwörungen in aramäischer Sprache wiedergege-

 S. Rochberg (2004). Für den Übergang von achämenidischer zu hellenistischer Zeit vgl. Beaulieu (2006).  Vgl. Geller (1997). Siehe ebd. für weitere Angaben.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

ben. Die Graeco-Babyloniaca zeigen, dass die griechische Schrift Bestandteil des Unterrichts in Babylon zumindest im 1. Jahrhundert v. und n. Chr. war. Ob diese Schrift gelehrt wurde, um die keilschriftlichen Traditionstexte mit griechischen Buchstaben wiederzugeben und bzw. oder Verwaltungstexte in Griechisch verfassen zu können, sei dahingestellt. Bei letzterem müsste jedoch noch die griechische Sprache – falls sie nicht bereits beherrscht wurde – in einer weiteren Unterrichtsstufe gelernt werden. Von einer Übersetzung in andere Sprachen und Schriften von zumindest einem Teil der keilschriftlichen Traditionsliteratur ist auszugehen. Eine solche Umsetzung geschah bereits während der achämenidischen Zeit, wovon ein astrologischer demotischer Text aus Papyri mit Omina aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. zeugt.2084 Weitere babylonische Texte wurden in die aramäische Schrift und Sprache (bzw. in einen ihrer Dialekte) übertragen;2085 Spuren der keilschriftlichen wissenschaftlichen Literatur lassen sich bspw. im babylonischen Talmud identifizieren.2086 Die Keilschriftgelehrten verfassten nicht nur Texte in akkadischer Keilschrift, sondern auch in Linearschrift. Berossos schrieb die Babyloniaka nieder, die nur in Fragmenten späterer, insbesondere griechischer Abschriften überliefert ist.2087 Berossos war assoziiert mit Esagil, dem Haupttempel von Babylon. Sein Name ist möglicherweise die gräzisierte Form von Bel-reʾušunu. Die Babyloniaka entstand im 3. Jahrhundert.2088 Sie verarbeitet Inhalte keilschriftlicher Traditionstexte. Geert De Breucker postuliert, dass Berossos mit der Babyloniaka die Geschichte seines Landes in griechischer Sprache für ein griechisches Publi-

 Parker (1959).  Geller (2000b) 2. Eine Reihe von Texten, die vom 2. Jahrtausend v. Chr. bis zum 2. Jahrtausend n. Chr. datieren, werden aufgrund ihrer Textstruktur dem Genre Streitgespräch zugeordnet, welches im Deutschen aufgrund der Hauptakteure teilweise auch als Fabel bezeichnet wird. Bisher ist keine anderssprachige Vorlage eines Streitgespräches bekannt. Die geografische Nähe der Entstehungsorte der Textvertreter legt allerdings eine Übertragung des Genres von der literarischen Tradition einer Sprache in diejenige einer anderen Sprache nahe, vgl. hierzu Jiménez (2017) 125–153.  Vgl. Geller (2000b).  Vgl. zu Berossos und der Babyloniaka den Sammelband Haubold/Lanfranchi/Rollinger/ Steele (2013). In diesem befindet sich auch eine von Birgit Gufler und Irene Madreiter angefertigte Bibliografie zu Berossos.  Berossos ist mit Bel-reʾušunu, einem šatammu, dem obersten Tempelfunktionär des Esagil, der in Keilschrifttexten der Jahre 258–253 bezeugt ist, zu identifizieren, s. van der Spek (2000) 439 und Bach (2013) 157–159. Dem widerspricht Geert De Breucker (2011) 637. Johannes Bach argumentiert, dass Berossos nicht wie bisher angenommen unter Alexander dem Großen geboren wurde, sondern unter Alexander IV. und dass er seine Arbeit nicht Antiochos I., sondern Antiochos II. präsentierte, vgl. Bach (2013) 159–162.

4.5 Schlussfolgerungen

445

kum niederschrieb.2089 Geller geht hingegen davon aus, dass sie in Aramäisch für ein babylonisches Publikum geschrieben wurde und in der späteren Tradierung ins Griechische übertragen wurde.2090 In einer Königsliste (W20030,7) aus Uruk/Warka aus dem Jahr 165/164 werden Königen jeweils Gelehrte zugeordnet.2091 In Zeile 19 f. wird Achiqar erwähnt: „[Zur Zeit des] Aššuraḫiddina, des Königs, war Abaʾenlildari Ummannu, [den die] Aḫlamäer Aḫuqar nennen.“2092 Dies verweist auf die Lebendigkeit der (schriftlichen) Achiqar-Tradition in Babylonien während der seleukidischen Zeit: Es wurde offenbar angenommen, dass ein neuassyrischer Gelehrter mit einem Verfasser von aramäischen Texten identisch ist. Dass eine solche Gleichsetzung von Keilschriftgelehrten und aramäischsprachigen und -schriftigen Gelehrten zumindest in seleukidischer Zeit möglich war, zeigt das oben erwähnte Beispiel von Berossos. Aus Elephantine (5. Jahrhundert, s. Kap. 4.4.1) stammen ein fragmentarischer Papyrus mit der Achiqar-Geschichte und den Achiqar-Sprüchen (s. Kap. 4.3.3) sowie ein Papyrus mit der aramäischen Version der Behistun-Inschrift (vgl. Kap. 4.2.3). Es sind singuläre Beispiele unter den aramäischen Papyri aus Elephantine, die sonst rechtlicher Natur sind oder Briefe darstellen. Die Rechtstexte orientieren sich an keilschriftlichen Prototypen (s. Kap. 4.4.1). Möglicherweise sind diese literarischen Texte als aramäische Schultexte zu deuten.2093 Bei der Achiqar-Tradition kann von einem Ursprung in neuassyrischer Zeit ausgegangen werden (s. Kap. 4.3.3). Die Tradition war noch in seleukidischer Zeit in Babylonien lebendig (s. o.). Dies spricht für eine Vermittlung im Unterricht.

4.5 Schlussfolgerungen Die erhaltenden Objekte bieten ein arbiträres Bild der Schriftzeugnisse des 1. Jahrtausends. Es haben sich als Beschreibstoffe überwiegend Ton sowie Stein erhalten. Da Keilschrift häufig auf tönernen Schriftträgern angebracht war und für (Königs-)Inschriften bevorzugt verwendet wurde, besteht der Großteil der erhaltenen Schriftzeugnisse aus Keilschriftartefakten. Texte in sumero-akkadischer Keilschrift wurden jedoch auch auf wachsbeschichteten Tontafeln notiert. Der geringe Anteil der urartäischen Tontafeln, die den Alltagstexten oder den wissen-

    

De Breuker (2011). Geller (2012). S. van Dijk (1962). van Dijk (1962) 45. Persönliche Mitteilung Markham J. Geller am 15.12.2014.

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4 Mehrschriftigkeit und Mehrsprachigkeit

schaftlich-literarischen Texten zuzuordnen sind, an der gesamten urartäischen Überlieferung spiegelt nicht die damalige Realität wider. Solche Texte konnten sich auf Holztafeln befinden. Holztafeln sind allerdings nicht nur Trägermedien für Keilschrift, sondern auch für die aramäische Linearschrift, die luwischen Hieroglyphen und möglicherweise weiterer Schriften. Für luwische Hieroglyphen wurden zudem Bleistreifen verwendet. Bestimmte Trägermedien konnten für bestimmte Schriften eingeführt werden, wie die Tonbulle für die aramäische Linearschrift in neuassyrischer Zeit. Ein für viele unterschiedliche Schriften gebrauchtes Trägermedium waren Lederrollen und ab dem 3. Jahrhundert Pergamentrollen. Der Gebrauch von Schriften und Schriftsprachen ist abhängig von der jeweils herrschenden Elite sowie lokalen Traditionen und Vorlieben. Nach dem Zusammenbruch des hethitischen Reiches wurde im Gebiet des heutigen Nordsyriens und der Südtürkei die Verwendung der Keilschrift aufgegeben. Stattdessen wurden die luwischen Hieroglyphen und die Linearschrift benutzt. In Urartu wurde die sumero-akkadische Keilschrift eingeführt und für das Urartäische adaptiert. Nach dem Ende des assyrischen Reiches wurde im assyrischen Kerngebiet (Nordmesopotamien) die Keilschrift nicht mehr benutzt. Mit der Verwendung der babylonischen Keilschrift neben der altpersischen und elamischen für Monumentalinschriften bekundeten die achämenidischen Herrscher ihren Herrschaftsanspruch über Babylonien. Während des Hellenismus wurde von der herrschenden Elite die griechische Linearschrift in der Verwaltung gebraucht. Die wissenschaftlich-literarischen Texte der Keilschriftkultur wurden von Tempelangehörigen niedergeschrieben. Von diesen stammen auch die letzten bekannten Alltagstexte in sumero-akkadischer Keilschrift. Schriften und Schriftsprachen sind nicht mit Bevölkerungsgruppen bzw. ‚Kulturen‘ gleichzusetzen. Dies zeigt sich insbesondere am Beispiel der ‚Aramäer‘. Aus den Gebieten Nordsyriens und Südtürkei sind (Herrscher-)Inschriften in Linearschrift und luwischen Hieroglyphen bekannt. Die Fundorte der Inschriften liegen dicht beieinander, zudem gibt es mehrsprachige Inschriften. Das Wiedererstarken des assyrischen Reiches im 8. Jahrhundert führte zu einer (allmählichen) Aufgabe der luwischen Hieroglyphen. Im neuassyrischen Reich wurde die aramäische Linearschrift neben der sumero-akkadischen Keilschrift als Verwaltungsschrift benutzt. Das Formular der erhaltenen tönernen Urkunden in aramäischer Schrift stellt eine Umsetzung bzw. Übersetzung des akkadischen Formulars dar. Die äußere Gestaltung orientiert sich am Layout und Tafelformat der Keilschriftartefakte. In Babylonien wurde in der Verwaltung zunehmend die aramäische Linearschrift verwendet. Unter den Achämeniden war das Reichsaramäische die Verkehrssprache und -schrift. Die Verwaltung des achämenidischen Reiches war mehrsprachig und mehrschriftig, wovon bspw.

4.5 Schlussfolgerungen

447

die beiden Archive in Persepolis Zeugnis ablegen. Reichsaramäische Rechtstexte folgten babylonisch-assyrischen keilschriftlichen und linearschriftigen Vorbildern. Hinweise auf eine mesopotamische aramäische Literatur ab der neuassyrischen Zeit sind bekannt. Zudem wurden wissenschaftlich-literarische Texte ins Aramäische übertragen. Möglicherweise ist in Mesopotamien die Person des babylonischen Gelehrten mit der des aramäischen Gelehrten identisch. Bestimmte Schriften wurden bevorzugt für spezifische Textgruppen benutzt. In Assyrien, Babylonien und dem Gebiet des modernen Staates Iran wurden verschiedene Keilschriften für Monumentalinschriften verwendet. Die aramäische Verwaltungs- und Verkehrsschrift wurde hingegen nicht für diese Texte gebraucht, sondern meist für Alltagstexte. Die wissenschaftlich-literarischen Texte der Keilschriftkultur (s. Kap. 3) wurden weiterhin in Keilschrift tradiert. In der Regel wird im Alten Orient mit einer bestimmten Schrift nur eine Sprache wiedergegeben. Das Nebeneinander von Schriften führt allerdings auch zu einem intellektuellen Austausch. So gibt es aus dem hellenistischen Babylonien Beispiele, in denen das Aramäische mit der Keilschrift fixiert und das Sumerische und Akkadische bei Schülertafeln mit griechischer Linearschrift notiert wird.

Fazit Mit dieser Arbeit wurde das Feld für Studien zum Schriftzeugnis als Artefakt definiert. Die einzelnen Kapitel sind aufgrund der jeweils behandelten Thematik, der Vorgehensweise und der entwickelten Methodik als paradigmatisch für weitere Studien zur Schreibkultur zu betrachten. Sie bieten sowohl einen Überblick zur Schreibkultur im 1. Jahrtausend als auch zu den in den Fachdebatten diskutieren Fragen. Das vorliegende Buch kreist um die Frage, was geschieht, wenn man einen Text immer auch als Objekt denkt und begreift. Dadurch rückt nicht nur die äußere Gestaltung von Schriftzeugnissen, sondern auch deren Verortung, und zwar im wortwörtlichen Sinne in Ort und Raum, in den Mittelpunkt des Interesses. Die Betrachtung von synchronen und diachronen Ähnlichkeiten und Unterschieden eröffnet auch eine zeitliche Perspektive und führt zur Reflexion über die historische Einbettung der Texte. So spricht sich das Schriftartefakt gegen eine von den Fachdisziplinen bevorzugte arbeitsteilige Forschung aus. Der veränderte Blickwinkel führt zudem vor Augen, dass bestimmte in der Altorientalistik verwendete Fachbegriffe, Thesen und Vorgehensweisen eine gewisse Historizität besitzen und erst vor diesem Hintergrund verständlich sind. Gegenstand des ersten Kapitels „Phänomenologie der Tafeln“ war die bildliche Erscheinung von Tontafeln. Keilschriftartefakte werden konventionell in die Textgruppen Alltagstexte, (König-)Inschriften und wissenschaftlich-literarische Texte eingeordnet. Diese Textgruppen werden in der Regel getrennt voneinander publiziert. Von (Königs-)Inschriften und wissenschaftlich-literarischen Texten existieren häufig mehrere Textvertreter, so dass in Texteditionen oft Kompositumschriften und teilweise auch -umzeichnungen wiedergegeben werden. Die Keilschrift besteht aus keilförmigen Vertiefungen. Alle Darstellungen von Keilschriftobjekten, wie Umzeichnungen und Fotos, bilden reduzierte ‚Modelle‘: Die generelle Schwierigkeit besteht in der Wiedergabe eines dreidimensionalen Objekts in zweidimensionaler Form. Diese ‚Modelle‘ werden mit einem spezifischen (Erkenntnis-)Interesse, meist die Lesbarkeit und Verständlichkeit des Textinhalts hervorhebend, angefertigt. Auch Texteditionen sind als ‚Modelle‘ zu betrachten; bei der Erstellung von Texteditionen wird – neben den Originalen – mit ‚Modellen‘, wie z. B. Abklatschen, gearbeitet. Die Art der zur Verfügung stehenden ‚Modelle‘ hängt auch von technischen Entwicklungen ab, wie z. B. der Digitalfotografie. Eine neue Methodik zur Beschreibung des Erscheinungsbilds wurde aufbauend auf bisherigen Ansätzen, u. a. der Diplomatik, entwickelt. Die Leitkriterien zur Systematisierung der Evidenz sind der Beschreibstoff, das Tafelformat, die Paläografie, das Layout und die ‚nicht-schriftlichen‘ Markierungen. Bei der hier entwickelten Systematik wurden im Sinne einer ‚Typografie‘ die https://doi.org/10.1515/9781501511912-006

Fazit

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Gestaltungsregeln von Tontafeln erforscht. Die Beschreibung der Leitkriterien stützt sich auf Untersuchungen von Originaltafeln des British Museum, London und des Vorderasiatischen Museums, Berlin. Die äußere Gestaltung gibt u. a. Auskunft über Herstellungs- und Beschriftungsprozesse. Bei Tontafeln wissenschaftlich-literarischen Inhalts des 1. Jahrtausends v. Chr. konnten schwach eingedrückte, vertikale und horizontale Linien angebracht werden. Sie bestimmen vor dem Beschriften den Ort der einzelnen Zeichen und der Freiflächen. Sinnabschnitte werden visuell gegliedert. Die charakteristische Gestaltung bestimmter Texte erlaubt es häufig, die Tafeln – ohne sie im eigentlichen Sinne zu lesen – spezifischen Textsorten zuzuordnen sowie sie zeitlich und regional zu verorten. Bei der Paläografie wird zwischen Zeichenformen und Duktus geschieden. Der Duktus ist das Erscheinungsbild eines Textes; hierzu zählt z. B. die Höhe und Breite der Keile. Der Duktus ist geprägt durch die Schreibtechnik, z. B. durch die verwendete Griffelform. Der Begriff Duktus wird sowohl für eine individuelle Handschrift als auch für das charakteristische Schriftbild einer Periode verwendet. Für unterschiedlich grafisch gestaltete Zeichensätze wurde daher der Begriff Schriftart eingeführt. Verschiedene, teilweise archaisierende Schriftarten wurden im 1. Jahrtausend parallel verwendet. Im zweiten Kapitel wurden die schriftlichen und bildlichen Belege für Schriftartefakte und Schreibgriffel erörtert. Im Akkadischen existieren verschiedene Bezeichnungen für Schriftzeugnisse und den Schreibgriffel. Für das 1. Jahrtausend wurden sie in dieser Arbeit erstmalig zusammenhängend behandelt. In vielen Fällen unterscheidet sich die Verwendung eines Begriffes zeitlich und regional. Ein Begriff kann mitunter verschiedene Arten von (Schrift-) Objekten bezeichnen, ein Schriftartefakt kann umgekehrt mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnet werden. Der Begriff narû bezeichnet sowohl den Schriftträger einer (Königs-)Inschrift, z. B. ein Felsrelief, eine Stele oder eine Gründungstafel, als auch eine (Königs-)Inschrift selbst. Für letztere konnte u. a. auch der Ausdruck šiṭir šumi, wörtlich ‚Niederschrift des Namens‘, gebraucht werden. Gängige Annahmen, dass z. B. der Begriff uʾiltu nur querformatige Tafeln bezeichne, wurden widerlegt. Darstellungen und Begriffe verweisen ferner auf im Befund nicht bzw. nur äußerst selten erhaltene Trägermedien wie Polyptychen. Der Begriff lēʾu bezeichnet ein Polyptychon aus wachsbeschichteten (Holz-)Tafeln. Solche Tafeln fanden eine breite Anwendung für wissenschaftlich-literarische und administrative Texte. Dies zeigen auch die neuassyrischen Palastreliefs mit Schreiberdarstellungen aus dem 7. Jahrhundert. Bei der am häufigsten bezeugten Szene werden zwei Schreiber bei der Notation von Kriegsbeute dargestellt. Neben einem Keilschriftschreiber mit Diptychon, seltener einer Tontafel, ist ein Alphabetschreiber mit einer (Leder-)Schriftrolle abgebildet. Selten ist auch eine unter den Arm geklemmte Schriftrolle zu bemerken. Den Darstellun-

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gen nach zu schließen, arbeiteten die Schreiber selbständig und notierten unterschiedliche Dinge. Wie die späthethitischen Darstellungen zeigten, wurden Holztafeln auch als Trägermedium für die Linearschrift und für die luwischen Hieroglyphen verwendet. Luwische Hieroglyphen wurden mit einem Schreibgriffel mit Spitze und breitem Ende auf wachsbeschichtete Holztafeln geschrieben. Die Linearschrift wurde mit Tinte auf unbeschichtete Holztafeln gemalt. Der Alphabetschreiber auf den neuassyrischen Reliefs hält einen nicht näher identifizierbaren spitzen Griffel, der Keilschriftschreiber einen Griffel aus gespaltenem Schilfrohr. Im dritten Kapitel wurde sich mit den Fachdebatten, die Bezug auf die ‚Bibliothek Assurbanipals‘ nehmen, und mit dem Befund dieser Tafelsammlung beschäftigt. Ende des 2. Jahrtausends wurden verschiedene Traditionstexte zu Serien, die aus über 100 Tafeln bestehen konnten, zusammengefasst. Dies ist Teil der seit Mitte des 2. Jahrtausends erfolgten Standardisierung. Die Texte des 1. Jahrtausends waren mehr oder weniger standardisiert. Texte wurden tradiert, andere neugeschaffen. Die Eigenterminologie zeugt von einem Verständnis für verschiedene Überlieferungsstränge. Da bei einem Großteil der bekannten Manuskriptsammlungen die Serien nicht vollständig vorliegen – Ausnahme ist wohl die Bibliothek Assurbanipals –, ist die Serialisierung ein Indiz für die zunehmende Systematisierung des Wissens und der ständig wachsenden Bedeutung des schriftlich überlieferten Wissens. Die Untersuchung des ‚stream of tradition‘ – oder anders ausgedrückt des Umgangs mit schriftlichem Wissen – kann einem philologischen oder kontextuellen Ansatz folgen. Der Schriftträger und sein Textinhalt sind Ausgangspunkt der philologischen Untersuchung, z. B. bei einer Textedition. Bei einem kontextuellen Ansatz interessiert weniger der einzelne Text, sondern seine soziokulturelle Einordnung, z. B. bei der Untersuchung einer Bibliothek. Aufgrund des rezenten Begriffsverständnisses von Bibliothek werden bestimmte altorientalische Manuskriptsammlungen als Bibliothek oder Archiv bezeichnet. Das Konzept Bibliothek beinhaltet den Aufbewahrungsort und die systematische Sammlung von Büchern zu einem bestimmten Gebiet, deren Zugänglichkeit (durch Kataloge) gesichert ist. Nicht die Größe der Sammlung ist entscheidend, sondern die Intention des Sammelns. Die Bibliothek ist ein Ort der Wissensproduktion und -reproduktion. Teilweise wird unter Bibliothek auch die Utopie der Universalbibliothek verstanden. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass das rezente Begriffsverständnis von Bibliothek weder eindeutig noch statisch ist. Es ist ein Ideal, dass in Bezug zum Diskurs über Wissenschaft in einer bestimmten Periode steht. Die Frage nach der Existenz von Bibliotheken in Mesopotamien ist die Frage nach der Existenz von wissenschaftlich-literarischen Texten bzw. Traditionstexten. In Mesopotamien unterscheiden sich wissenschaftlich-literarische Texte und Alltagstexte in

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ihrer äußeren Gestaltung und in ihrer Verwendung. Was in der Fachliteratur als Archiv verstanden wird, ist eine Gruppe von Texten archivalischen Inhalts oder die Anhäufung von Texten über eine bestimmte Zeitperiode hinweg. Beide Definitionen sind in Abgrenzung zum rezenten Begriffsverständnis von Bibliothek entworfen. Im Gegensatz zur neuzeitlichen Praxis der Archivierung ist in Mesopotamien kein spezifisches historisches Interesse als Grund für die Aufbewahrung der Texte zu erkennen. Im 1. Jahrtausend wird aufgrund des Fundortes der Manuskripte von Privatbibliotheken, Tempelbibliotheken und Palastbibliotheken gesprochen. Der einzige Fund einer Palastbibliothek ist die Bibliothek Assurbanipals. Neben wissenschaftlich-literarischen Texten wurden in ‚Bibliotheken‘ z. T. auch Alltagstexte geborgen. Um eine Tafelsammlung zu analysieren, sind verschiedenste Quellen heranzuziehen. Der archäologische (Fund-)Kontext liefert Informationen zum systemischen Kontext. Durch die bildliche Erscheinung der Tontafeln können diese in Bibliothekstexte, Schülertafeln, archivalische Texte usw. unterteilt werden. Die Zuordnung der Texte zu thematischen Gruppen lässt Rückschlüsse auf das Betätigungsfeld des/der ‚Eigners‘/,Eigner‘ zu. Duplikate sind ein Indiz für Unterricht. Weitere Auskünfte, wie z. B. zum Abschreibprozess der Manuskripte und zum/zu den ‚Eigner‘/‚Eignern‘, finden sich in den Kolophonen der Manuskripte und in den Alltagstexten. Mit Hilfe dieser Quellen wurde die Bibliothek Assurbanipals rekonstruiert. Nur etwa ein Fünftel der Texte sind Alltagstexte, der Rest ist wissenschaftlich-literarischen Inhalts. Die Manuskripte repräsentieren einen Großteil der bekannten wissenschaftlich-literarischen Texte. Von einem Text können mehrere Manuskripte existieren, die womöglich an unterschiedlichen Orten aufbewahrt wurden. Alltagstexte wurden vielleicht in unterschiedlichen Archiven gelagert. Eine gewisse Form von Verwaltung und Zugänglichkeit der Tafelsammlung war gegeben. Im Gegensatz zu anderen Bibliotheken Mesopotamiens sind in der Bibliothek Assurbanipals keine (bzw. kaum) Schülertafeln zu finden. Assurbanipal ließ aus verschiedenen Teilen seines Reiches, insbesondere aus Babylonien, wissenschaftlich-literarische Texte sammeln. Aus der Kompilation der verschiedensten Quellen wurden unter Mitarbeit zahlreicher Gelehrter Neueditionen geschaffen. Von wissenschaftlichem Austausch zeugen zudem die erhaltenen Kommentartexte. Die Kolophone weisen die Texte Assurbanipal zu. Assurbanipal schuf so ein Wissenszentrum und stilisierte sich zum obersten Gelehrten, der das (Schrift-)Wissen in seiner Gesamtheit beherrscht. Die Standardisierung und hohe Anzahl der wissenschaftlich-literarischen Texte ist Teil der ‚Schriftreform‘ unter Assurbanipal. Diese umfasst bei den Bibliothekstexten alle äußeren Charakteristika: Beschreibstoff, Tafelformat, Paläografie, Layout und weitere nicht-schriftliche Markierungen. Für eine Schriftreform unter Assurbanipal sprechen auch die Ein-

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führung der Textsorte Leberschauberichte und das veränderten Aussehen der königlichen Erlasse. Der Mehrschriftigkeit und der inhärenten Mehrsprachigkeit widmete sich das vierte Kapitel. Erstmalig wurde die Mehrschriftigkeit zusammenfassend für das 1. Jahrtausend erörtert. Der Gebrauch von mehreren Schriften ist charakteristisch für das 1. Jahrtausend. Die erhaltenen Schriftträger sind größtenteils keilschriftlich und bestehen aus Ton und Stein. Leder-, Holz- und Pergamentschriftträger haben sich in der Regel nicht im Befund erhalten. Es zeigte sich, dass das Trägermedium Holztafel für verschiedene Schriften gebraucht wurde. Daneben wurden für luwische Hieroglyphen Bleistreifen benutzt. Bestimmte Trägermedien konnten für bestimmte Schriften eingeführt werden, wie die Tonbulle für die aramäische Linearschrift in neuassyrischer Zeit. Ein für viele unterschiedliche Schriften gebrauchtes Trägermedium waren Lederrollen und ab dem 3. Jahrhundert Pergamentrollen. Bestimmte Schriften wurden für spezifische Textgruppen bevorzugt benutzt. In Assyrien, Babylonien und dem Gebiet des heutigen Staates Iran wurden z. B. verschiedene Keilschriften für Monumentalinschriften eingesetzt. Die aramäische Verwaltungs- und Verkehrsschrift wurde hingegen nicht für diese Texte gebraucht. Die wissenschaftlich-literarischen Texte der Keilschriftkultur wurden in Keilschrift tradiert. Schriften und Schriftsprachen sind nicht mit Bevölkerungsgruppen bzw. ‚Kulturen‘ gleichzusetzen. Dies zeigte sich insbesondere am Beispiel der ‚Aramäer‘. Die Linearschrift wurde in Nordsyrien und der Südtürkei parallel zu den luwischen Hieroglyphen verwendet. Im neuassyrischen Reich war sie neben der Keilschrift eine Verwaltungsschrift. Die erhaltenen neuassyrischen aramäischen Urkunden ‚imitieren‘ das Formular und die Gestalt neuassyrischer keilschriftlicher Urkunden. Neben der Keilschrift wurde in Babylonien zunehmend die aramäische Linearschrift für Alltagstexte gebraucht. Im achämenidischen Reich war das Reichsaramäische die Verkehrsschrift und -sprache. Achämenidische aramäische Rechtsurkunden aus Elephantine orientieren sich an babylonischen keilschriftlichen Vorbildern. Das achämenidische Reich wurde mehrschriftig und -sprachig verwaltet. Der Gebrauch von Schriften und Schriftsprachen ist abhängig von der jeweils herrschenden Elite sowie lokalen Traditionen und Vorlieben. Schriften konnten eingeführt werden. Dies ist z. B. der Fall bei der sumero-akkadischen Keilschrift für die dreischriftigen und -sprachigen Herrscherinschriften der Achämeniden. Sie konnten adaptiert werden, wie z. B. die sumero-akkadische Keilschrift für die urartäische Sprache. Sie wurden nicht mehr weiter benutzt, wie z. B. die luwischen Hieroglyphen nach dem Erstarken des neuassyrischen Reiches.

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Tafel 1: Autografie ADD Nr. 39.

https://doi.org/10.1515/9781501511912-007

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Tafel 2: ABL Nr. 44, ein Beispiel der Umsetzung der Keilschrift mit Hilfe eines Druckfonts.

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Tafel 3: Detailausschnitt der Rückseite von K.57, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

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456

Tafeln

Tafel 4: Kissenförmige Tafel VAT 2971, Babylon. © Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer.

Tafeln

Tafel 5: Bruchkante des unteren Randes von VAT 7813. © Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer.

457

458

Tafeln

Tafel 6a: Oberer Rand von K.45, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafel 6b: Oberer Rand von BM 45634. © The Trustees of the British Museum.

Tafeln

Tafel 7a: Linker Rand von BM 33064. © The Trustees of the British Museum.

Tafel 7b: Oberer Rand von BM 33064. © The Trustees of the British Museum.

459

460

Tafeln

Tafel 8: Linker Rand von VAT 227. © Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer.

Tafeln

Tafel 9: Detailausschnitt der Rückseite von K.61, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

461

462

Tafeln

Tafel 10: Detailausschnitt der Vorderseite von K.71.b, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafeln

463

Tafel 11: Vorderseite von DT.1, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

464

Tafeln

Tafel 12: Vorderseite von K.116, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafeln

Tafel 13: VAT 2963, Babylon. © Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer.

465

466

Tafeln

Tafel 14a: Keilförmige Eindrücke und das Eindrücken des Griffels (Zeichnung: Joachim Marzahn).

Tafel 14b: Oben: Keileindrücke wie sie auf der Tafeloberfläche sichtbar sind. Unten: Durchschnitt der Keileindrücke durch a–b (Zeichnung: Leopold Messerschmidt).

Tafeln

467

Tafel 15: Vorderseite von K.318.a, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

468

Tafeln

Tafel 16: Vorderseite von K.2895, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafeln

Tafel 17: Rückseite von BM 99020, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

469

470

Tafeln

Tafel 18: Detailausschnitt der Vorderseite von K.65, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafeln

471

Tafel 19: Vorderseite von K.2235, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

472

Tafeln

Tafel 20: Ausschnitt der Rückseite von K.2164, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafeln

Tafel 21: Lese- und Schreibrichtung bei Keilschrifttafeln (Zeichnung: Karen Radner).

473

474

Tafeln

Tafel 22: Detailausschnitt der Vorderseite von VAT 274. © Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer.

Tafeln

Tafel 23: Detailausschnitt der Rückseite von K.47, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

475

476

Tafeln

Tafel 24: Detailausschnitt der Vorderseite von VAT 274. © Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer.

Tafeln

477

Tafel 25a: Detailausschnitt des Kolophons auf der Rückseite von K.61, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafel 25b: Detailausschnitt des Kolophons der Rückseite von K.71.b, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

478

Tafeln

Tafel 26a: Detailausschnitt der Vorderseite von K.4386, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafel 26b: Layout einer Interlinearbilingue.

Tafeln

Tafel 27: Rückseite von K.2164, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

479

480

Tafeln

Tafel 28: Detailausschnitt der Rückseite von VAT 246. © Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer.

Tafeln

Tafel 29: Radierungen auf der Rückseite von VAT 13958, Assur. © Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer.

481

482

Tafeln

Tafel 30: Vorderseite von K.329, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafeln

Tafel 31: Vorderseite von K.329, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

483

484

Tafeln

Tafel 32: Unterer Rand von K.329, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafeln

485

Tafel 33: Rückseite von K.329, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

486

Tafeln

Tafel 34a: Rechter Rand von K.329 von der Rückseite aus gesehen, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafel 34b: Rechter Rand von K.329 von der Vorderseite aus gesehen, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafel 34c: Linker Rand von K.329 von der Rückseite aus gesehen, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafeln

Tafel 35: Vorderseite von K. 318, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

487

488

Tafeln

Tafel 36: Rückseite von K. 318, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafeln

Tafel 37: Vorderseite von 1881,0204.147, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

489

490

Tafeln

Tafel 38: Rückseite von 1881,0204.147, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafeln

Tafel 39: Oberer Rand von 1881,0204.147, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

491

492

Tafeln

Tafel 40a: Linker Rand von 1881,0204.147, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafel 40b: Oberseite von Sm.957, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafeln

Tafel 41: Vorderseiten der Innentafeln der Briefe K.189, K.604, K.613 und K.636, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

493

494

Tafeln

Tafel 42a: Rückseite von 1881,0727.199, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafel 42b: Oberer Rand von 1881,0727.199, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafeln

Tafel 43: Detailausschnitt aus der Vorderseite von K.4386, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

495

496

Tafeln

Tafel 44: Detailausschnitt aus der Vorderseite von K.136, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafeln

Tafel 45a: Detailausschnitt aus der Vorderseite von K.2811, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

Tafel 45b: Detailausschnitt des unteren Bruchrands von K.2235, Kujundschik/Ninive. © The Trustees of the British Museum.

497

Zeittafel (erstellt von Sebastian Fischer)

https://doi.org/10.1515/9781501511912-008

2500

3000

vor 3000

Datierung v. Chr.

Iran /Elam

Eblait isch

Hurritis ch

u. a. HURRITISCHE KLEINSTAATEN (Urkeš, Nawar) (Adal-šen, Tižadal)

(Alt-)Akkadisch

ŠAKKANAKKU-DYNASTIE in Mari 2250-1950

(Sargon, Naram-Suen, Šar-kali-šarri) 2350-2170 Territorialstaat,

ZWEITE DYNASTIE VON LAGAŠ (Gudea) 2200-2100

GUTÄER 2210-2110

Stadtstaaten

IIIB (Umma, Lagaš) (Ur-Nanše, Eanatum, Urukagina, Lugalzagesi) 2500-2350

ältester akkadischer Text

FRÜHDYNASTISCH IIIA (Šuruppak, Abu Salabiḫ, Kiš) 2600-2500

(A lt- )E lamisch

KÖNIGE VON AWAN 23502200

proto-elamische Keilschrift

Anatolien

FRÜHDYNASTISCH I und II (Ur) 2900-2600

MARI (Ištup-Išar, Iplul-il), EBLA (Irkab-Damu, Iš’ar-Damu), NAGAR 2500-2300

Syrien

PROTO-ELAMISCH 31002700

REICH VON AKKADE

nördl. Mesopotamien

DSCHEMDET NASR (Uruk III) 31002900 (A lt -)S ume risch

3300-3100 Erfindung der Schrift

SPÄT-URUK (Uruk IV)

südl. Mesopotamien

500 Zeittafel

1500

2000

DRITTE DYNASTIE VON UR

(Hurriter, Šuttarna, Parattarna, Sauštatar, Artatama I., Tušratta) 1600-1200

(Kurigalzu I., Kadašman-Enlil I., Burnaburiaš I., Adad-šuma-uṣur, Marduk-apla-iddina I.)

1600-1150

M i tte l -B abylon i s ch

MITTANI

1830-1775

OBERMESOPOTAMISCHES REICH (Samsi-Addu, Jasmaḫ-Addu, Išme-Dagan)

(A lt - )As sy risch

ALTASSYRISCHE ZEIT (Ilušuma, Erišum I., Sargon I., NaramSîn) 1950-1750

DYNASTIE DER KASSITEN

Erste Meerland-Dynastie (Gulkišar) 1780-1415

Babylon (Hammurapi, Samsuiluna, Ammiṣaduqa, Samsu-ditana) 1894-1595

Ešnunna (Naram-Sîn, Daduša, Ibal-pi-el) 2025-1760

Larsa (Gungunum, Warad-Sîn, Rim-Sîn) 2025-1763

Isin (Išbi-Erra, Išme-Dagan, Lipit-Eštar) 2019-1794

(A lt -)Baby lonisch

Ende des Sumerischen als gesprochenen Sprache,

ALTBABYLONISCHE ZEIT (Amurriter) 2000-1600

(Neu-)Sumerisch

(Ur-Namma, Šulgi) 2110-2003

(N eu -)Sumerisch

achter Feldzug von Thutmosis III. 1446

MITTANI, ÄGYPTEN

QATNA (Išḫi-Addu, Amut-pi-el) 1800-1650

1840-1760

MARI (Jaggid-Lim, Jaḫdun-Lim, Zimri-Lim)

1810-1650

JAMḪAD / ALEPPO (Jarim-Lim I., Hammurapi I., Abban)

Hethit is ch , Hattis ch, Pala isch , Luwisch

1650-1370

(Hattusili I., Mursili I., Telepinu, Tutḫalija I.)

ALTHETHITISCHES REICH

1940-1835/1800-1735

HANDELSKOLONIEN UND ANATOLISCHE FÜRSTENTÜMER (Kārum Kaneš II/Ib, Anitta)

ALTASSYRISCHE

1500-1100

(fortgesetzt)

MITTELELAMISCHE ZEIT (Igichalkiden-Dynastie, Untaš-Napiriša, ŠutrukNaḫḫunte II., KutirNaḫḫunte III.)

1900-1750

DYNASTIE DER SUKKALMAḪ

ŠIMAŠKI-DYNASTIE 20501950

Zeittafel

501

1000

Datierung v. Chr.

Ugaritisch

M i tte l -A ssy ri s c h

N e u - Bab y lon i s ch, A ra mä i s ch Ne u-A s sy risch , A ra mä i s ch

Hauptstadt nach Kalḫu verlegt 878

(Assurnaṣirpal II., Salmanassar III., Adad-nerari III.) 930612/609

NEUASSYRISCHES REICH

(Sam’al), ARAM-DAMASKUS, ISRAEL/JUDÄA

LUWISCH-ARAMÄISCHE FÜRSTENTÜMER

Luwisch, Aramäisch, Phöniz isch

Luwisch

1100-612

ASSYRISCHE PROVINZEN

(Tarḫuntassa, Tabal, Melid),

Karkemiš) UND ARAMÄISCHE (Bit Baḫiani, Bit Adini) FÜRSTENTÜMER 1100-720

ARAMÄER, SUTÄER, CHALDÄER (Amukanu, Dakkuru, Bit Jakin), VERSCHIEDENE DYNASTIEN (Nabuapla-iddina, Marduk-zakir-šumi, Nabonassar, Mukin-zeri, Marduk-apla-iddina II., Mušezib-Marduk)

LUWISCHE FÜRSTENTÜMER

LUWISCHE („späthethitische“,

Schlacht von Qadeš 1274, heth.ägypt. Friedensvertrag 1259, Zerstörung syrischer Zentren 1200-1180

(Suppiluliuma, Mursili II., Muwatalli II., Ḫattusili III., Tuthalija IV.) 1370-1190 Hethit is ch, Luwisch

HETHITISCHES GROßREICH

Anatolien

(Nebukadnezar I., Adad-aplaiddina) 1157-1026 ARAMÄER, SUTÄER

(Ugarit, Karkemiš, Emar, Amurru, Alalaḫ, Aleppo, Kanaanäische Vasallen), MITTANI/ḪANIGALBAT (Šattiwaza, Šattuara I.), ÄGYPTEN

HETHITISCHES GROßREICH, MITTELASSYRISCHES REICH, ÄGYPTEN

HETHITISCHES GROßREICH

(Aššur-uballiṭ, Adad-nerari I., Salmanassar I., TukultiNinurta I., Tiglatpileser I.) 1400-1000

Syrien

MITTELASSYRISCHES REICH

nördl. Mesopotamien

ZWEITE DYNASTIE VON ISIN

südl. Mesopotamien

Ne u-E lamisch

1000-750

NEUELAMISCH I

M i tte l -E la mis c h

Šutruk-Naḫḫunte II. plündert Babylonien 1158

Iran /Elam

502 Zeittafel

1 n. Chr.

500

ACHÄMENIDEN

ÄGYPTEN

ASSYRISCHE VASALLEN/PROVINZEN

LYDIEN, MEDER

680-550

LYDIEN (Gyges, Alyattes, Kroisus)

PHRYGIEN (Midas) 750-650

Urartäisch

Sargons II. achter Feldzug 714

URARṬU (Sarduri I., Minua, Argišti I. Rusa I., Rusa II.) 840-640

ARSAKIDEN 141 v. Chr. -224 n. Chr. letzter datierter Keilschrifttext RÖMISCHES REICH (Trajan, Septimius Severus)

SELEUKIDEN (Seleukos I., Antiochos III.) 320-63

ALEXANDER III. 331-323 (Griechen) Hellenismus

S p ät -B aby lo n i s ch, A ch äm en id i s ch -E l a m is c h, R eich sa ra mä i s ch , A lt - Pe rs i sc h

(Perser) (Kyros II., Dareios I., Xerxes I.) 550-331 Ende der politischen Unabhängigkeit Mesopotamiens

(Nabopolassar, Nebukadnezar II., Nabonid) 626-539 „Exil“ des Nabonid, Spät-Babylonisch, Aramäisch

NEUBABYLONISCHES REICH

Zerstörung von Ninive 612

Hauptstadt nach Dur-Šarrukin und Ninive verlegt 717 bzw. 705

729-625

Zerstörung Babylons 689

(Tiglatpileser III., Sargon II., Sanherib, Asarhaddon, Assurbanipal)

ASSYRISCHE HERRSCHAFT (Tiglatpileser III., Adad-aplaiddina, Šamaš-šum-ukin)

250 v. Chr.-224 n. Chr.

ARSAKIDEN (Parther) (Arsakes, Mithridates I.)

MEDER (Kyaxares, Astyages) 650-550

Mannäer, Skythen 750650

(Urtak, Te’umman)

NEUELAMISCH II

Zeittafel

503

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1

Abb. 2

Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6

Abb. 7 Abb. 8

Abb. 9

Abb. 10

Abb. 11 Abb. 12

Abb. 13 Abb. 14

Abb. 15

Das Schriftzeichen TUR vom 4. Jahrtausend bis einschließlich dem 1. Jahrtausend wie dargestellt in Labat (1988) 100 (R. Labat, Manuel d’épigraphie 55 akkadienne. Signes, syllabaire, idéogrammes, Paris 19886, 100) Sitzstatuette des Schreibers Dudu, IM 55204 (E. Strommenger, Das Menschenbild in der altmesopotamischen Rundplastik von Mesilim bis Hammurapi, BagM 1 [1960], 1–103, Taf. 6) 86 Abrollung des akkad-zeitlichen Rollsiegels BM 89137 (A. Nunn, Alltag im alten Orient, Mainz am Rhein 2006, Abb. 29) 87 Sitzbild Gudea B, AO 2, Tello/Girsu (© Musée du Louvre) 88 Zeichenutensilien der Sitzstatue Gudea B, AO 2, Tello/Girsu (© Musée du Louvre) 88 Stele, VA 7245 (J. Marzahn/G. Schauerte [Hg.], Babylon Wahrheit. Eine Ausstellung des Vorderasiatischen Museums Staatliche Museen zu Berlin mit Unterstützung der Staatsbibliothek zu Berlin, Pergamonmuseum, Museumsinsel Berlin 26. Juni – 5. Oktober 2008, München 2008, 338 Abb. 7 Kat.nr. 372) 89 Detail einer Bronzestatuette (AO 2489) aus der mittelassyrischen Zeit (Foto: B. Schnitzlein.) 90 Umzeichnung der Statuette AO 2489 (F. A. M. Wiggermann, A Babylonian Scholar in Assur, in: R. J. van der Spek [Hg.], Studies in Ancient Near Eastern World View and Society. Presented to Marten Stol on the Occasion of His 65th Birthday, 10 November 2005, and His Retirement from the Vrije Universiteit Amsterdam, Bethesda, Maryland 2008, 203–234, 216 Abb. 1) 91 Relief aus Maraş mit der Darstellung von zwei Personen, Adana Museum Inv.-Nr. 1756 (H. Genge, Nordsyrisch-südanatolische Reliefs. Eine archäologisch- historische Untersuchung. Datierung und Bestimmung, Kopenhagen 1979, Abb. 49) 95 Relief aus Maraş mit der Darstellung eines Schreibers, Adana Museum Inv.Nr. 1757 (D. Bonatz, Das syro-hethitische Grabdenkmal. Untersuchungen zur Entstehung einer neuen Bildgattung in der Eisenzeit im nordsyrischsüdostanatolischen Raum, Mainz am Rhein 2000, C 9 Taf. 9) 96 Relief aus Maraş mit der Darstellung von zwei Personen und einem Vogel, AO 19222 (© Musée du Louvre) 97 Umzeichnung des Reliefs AO 19222 (J. D. Hawkins, Corpus of Hieroglyphic Luwian Inscriptions Vol. I. Inscriptions of the Iron Age, UISK NF 8.1, Berlin/ New York 2000, Taf. 25) 97 Schreiberorthostat des Königs Barrākib (VA 2817), Zincirli/Samʾal (J. Renger/G. Roux, Irak in der Antike, Mainz 2005, Abb. 77) 99 Ausschnitt des Bands 10 des Tors C, Balawat/Imgur-Enlil (L. W. King, Bronze Reliefs from the Gates of Shalmaneser, King of Assyria B.C. 860–825, London 1915, Taf. 57) 104 Ausschnitt des Bands 10 des Tors C, Balawat/Imgur-Enlil (L. W. King, Bronze Reliefs from the Gates of Shalmaneser, King of Assyria B.C. 860–825, London 1915, Taf. 58) 105

https://doi.org/10.1515/9781501511912-010

564

Abb. 16

Abb. 17

Abb. 18

Abb. 19 Abb. 20

Abb. 21

Abb. 22 Abb. 23

Abb. 24 Abb. 25 Abb. 26 Abb. 27 Abb. 28 Abb. 29 Abb. 30 Abb. 31 Abb. 32 Abb. 33 Abb. 34

Abb. 35

Abbildungsverzeichnis

Ausschnitt des Bands 10 des Tors C, Balawat/Imgur-Enlil (L. W. King, Bronze Reliefs from the Gates of Shalmaneser, King of Assyria B.C. 860–825, London 1915, Taf. 59) 105 Wandmalerei aus Tell Ahmar (A. Parrot, Assur. Die Mesopotamische Kunst vom XIII. vorchristlichen Jahrhundert bis zum Tode Alexanders des Großen, Universum der Kunst 2, München 1961, Taf. 348) 108 Neuassyrisches Relief mit einer Diktierszene, BM 118882, Nimrud/Kalḫu (W. Orthmann, Der Alte Orient, Propyläen Kunstgeschichte 18, Berlin 1975, Abb. 215) 109 Schreibszene, AO 19892, Khorsabad/Dur-Šurrukīn (© Musée du Louvre) 111 Registrierung von Kriegsbeute, BM 124782, Kujundschik/Ninive (R. D. Barnett/E. Bleibtreu/G. Turner, Sculptures from the Southwest Palace of Sennacherib at Nineveh. Plates, London 1998, Kat.nr. 277b Taf. 195) 113 Zwei Schreiber mit Diptychon und Schriftrolle sowie erhobenen Griffeln, BM 124825, Kujundschik/Ninive (U. Seidl, Assurbanipals Griffel, ZA 97 [2007], 119–124, 123 Abb. 5) 114 Zwei Schreiber mit Schriftrolle und Diptychon, BM 124955, Kujundschik/Ninive (U. Seidl, Assurbanipals Griffel, ZA 97 [2007], 119–124, 122 Abb. 4) 116 Zwei Schreiber mit Diptychon, Burrell Collection 28.33 (R. D Barnett/E. Bleibtreu/G. Turner, Sculptures from the Southwest Palace of Sennacherib at Niniveh. Plates, London 1998, Kat.nr. 303 Taf. 222) 121 Der Griffel Assurbanipals, BM 124876, Kujundschik/Ninive (U. Seidl, Assurbanipals Griffel, ZA 97 [2007], 119–124, 121 Abb. 2) 123 Sonnengotttafel des Nabû-apla-iddina (BM 91000), Sippar (© The Trustees of the British Museum) 130 Neuassyrischer Brief mit Eigenbezeichnung (K.604), Kujundschik/Ninive (© The Trustees of the British Museum) 136 The Babylonian Chronical Tablet BM 96273 (A. R. Millard, Another Babylonian Chronicle Tablet, Iraq 26 [1964], 14–35, Taf. 6) 141 lēʾu aus Elfenbein, Nimrud/Kalḫu (D. J. Wiseman, Assyrian Writing-Boards, Iraq 17 (1955), 3–13, Taf. 2) 152 Zwei Tafeln des lēʾu aus Elfenbein (BM 131952 und BM 131953), Nimrud/ Kalḫu (© The Trustees of the British Museum) 155 Rückseite der Tafel BM 98582, Kujundschik/ Ninive; Foto: B. Schnitzlein (© The Trustees of the British Museum) 161 Kommentartext K.35, Kujundschik/Ninive (© The Trustees of the British Museum) 169 ,Nabonid-Zylinder‘ (543–539) aus dem Ebabbar-Tempel in Sippar, BM 91109 (© The Trustees of the British Museum) 171 ‚Rassam-Zylinder‘ (BM 91026), Kujundschik/ Ninive (© The Trustees of the British Museum) 172 Wandknauf Salmanassars III. (Ass 9976, VA 8444), Assur (A. Nunn, Knaufplatten und Knäufe aus Assur, WVDOG 112, Saarwellingen 2006, Kat.nr. 1389 Taf. 32) 183 Rückseite eines Kommentartextes zu Šumma ālu, K.1, Kujundschik/Ninive (Foto: T. Oshima. © The Trustees of the British Museum) 188

Abbildungsverzeichnis

Abb. 36

Abb. 37 Abb. 38

Abb. 39

Abb. 40

Ausschnitt der Rückseite eines nur zum Teil erhaltenen Kommentartextes zu Šumma ālu, K.2895, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) 190 Rückseite der Tafel Rm-II.126, Kujundschik/Ninive; Foto: B. Schnitzlein (© The Trustees of the British Museum) 204 Tafel VAT 8275 (KAR 44), Assur (M. J. Geller, Incipits and Rubrics, in: A. R. George/I.L. Finkel [Hg.], Wisdom, Gods and Literature. Studies in Assyriology in Honour of W. G. Lambert, Winona Lake, Indiana 2000, 225–258, 243 Abb. 8) 206 Astrologischer Report K.725, Kujundschik/Ninive (R. C. Thompson, The Reports of the Magicians and Astrologers of Nineveh and Babylon in the British Museum. The Original Texts, Printed in Cuneiform Characters, Edited with Translations, Notes, Vocabulary, Index and an Introduction. Vol. 1, Luzac’s Semitic Text and Translation Series 6, London 1900, Nr. 205) 206 imittu-Verpflichtungsschein, Rückseite von BM 30355 (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) 207

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Tafelverzeichnis Tafel 1 Tafel 2

Tafel 3 Tafel 4 Tafel 5 Tafel 6a Tafel 6b Tafel 7a Tafel 7b Tafel 8 Tafel 9 Tafel 10 Tafel 11 Tafel 12 Tafel 13 Tafel 14a

Tafel 14b Tafel 15 Tafel 16 Tafel 17

Autografie ADD Nr. 39 (C. H. W. Johns, Assyrian Deeds and Documents Vol. I, London 1898, 21 No. 39) ABL Nr. 44 (R. F. Harper, Assyrian and Babylonian Letters belonging to the K. Collections of the British Museum, London/Chicago 1892, 42 Nr. 44) Detailausschnitt der Rückseite von K.57, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Kissenförmige Taf. VAT 2971, Babylon (© Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer) Bruchkante des unteren Randes von VAT 7813 (© Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer) Oberer Rand von K.45, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Oberer Rand von BM 45634 (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Linker Rand von BM 33064 (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Oberer Rand von BM 33064 (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Linker Rand von VAT 227 (© Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer) Detailausschnitt der Rückseite von K.61, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Detailausschnitt der Vorderseite von K.71.b, Kujundschik/Ninive. (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Vorderseite von DT.1, Kujundschik/Ninive (© The Trustees of the British Museum) Vorderseite von K.116, Kujundschik/Ninive (© The Trustees of the British Museum) VAT 2963, Babylon (© Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer) Keilförmige Eindrücke und das Eindrücken des Griffels (W. Seipel [Hg.], Der Turmbau zu Babel. Ursprung und Vielfalt von Sprache und Schrift. Bd. 3a Schrift, Wien/Mailand, 84 Abb. 2, Zeichnung: Joachim Marzahn, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung von Joachim Marzahn) Zeichnung von Keileindrücken ( L. Messerschmidt, Zur Technik des Tontafel-Schreibens, OLZ 9 (1906), 185–195, 192 Abb. 4) Vorderseite von K.318.a, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Vorderseite von K.2895, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Rückseite von BM 99020, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum)

https://doi.org/10.1515/9781501511912-011

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Tafel 18 Tafel 19 Tafel 20 Tafel 21

Tafel 22 Tafel 23 Tafel 24 Tafel 25a Tafel 25b Tafel 26a Tafel 26b Tafel 27 Tafel 28 Tafel 29 Tafel 30 Tafel 31 Tafel 32 Tafel 33 Tafel 34a Tafel 34b Tafel 34c Tafel 35

Tafelverzeichnis

Detailausschnitt der Vorderseite von K.65, Kujundschik/Ninive. (Foto: B. Schnitzlein.© The Trustees of the British Museum) Vorderseite von K.2235, Kujundschik/Ninive. (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Ausschnitt der Rückseite von K.2164, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Lese- und Schreibrichtung bei Keilschrifttafeln (K. Radner, The Relation Between Format and Content of Neo-Assyrian Texts, in: R. Mattila (Hg.), Nineveh 621 BC. The Glory and Fall of the Assyrian Empire, Helsinki 1995, 63–77, 64 Abb. 1, abgedruckt mit freundlicher Genehmigung von Karen Radner) Detailausschnitt der Vorderseite von VAT 274 (© Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer) Detailausschnitt der Rückseite von K.47 (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Detailausschnitt der Vorderseite von VAT 274 (© Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer) Detailausschnitt des Kolophons auf der Rückseite von K.61, Kujundschik/ Ninive. (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Detailausschnitt des Kolophons der Rückseite von K.71.b, Kujundschik/ Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Detailausschnitt der Vorderseite von K.4386, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Layout einer Interlinearbilingue (Darstellung: B. Schnitzlein) Rückseite von K.2164, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Detailausschnitt der Rückseite von VAT 246 (© Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer) Radierungen auf der Rückseite von VAT 13958, Assur (© Staatliche Museen zu Berlin – Vorderasiatisches Museum, Foto: Olaf M. Teßmer) Vorderseite von K.329, Kujundschik/Ninive (Foto: T. Oshima. © The Trustees of the British Museum) Vorderseite von K.329, Kujundschik/Ninive (Foto: T. Oshima. © The Trustees of the British Museum) Unterer Rand von K.329, Kujundschik/Ninive (Foto: T. Oshima. © The Trustees of the British Museum) Rückseite von K.329, Kujundschik/Ninive (Foto: T. Oshima. © The Trustees of the British Museum) Rechter Rand von K.329 von der Rückseite aus gesehen, Kujundschik/ Ninive (Foto: T. Oshima. © The Trustees of the British Museum) Rechter Rand von K.329 von der Vorderseite aus gesehen, Kujundschik/ Ninive (Foto: T. Oshima. © The Trustees of the British Museum) Linker Rand von K.329 von der Rückseite aus gesehen, Kujundschik/ Ninive (Foto: T. Oshima. © The Trustees of the British Museum) Vorderseite von K. 318, Kujundschik/Ninive (Foto: T. Oshima. © The Trustees of the British Museum)

Tafelverzeichnis

Tafel 36 Tafel 37 Tafel 38 Tafel 39 Tafel 40a Tafel 40b Tafel 41

Tafel 42a Tafel 42b Tafel 43 Tafel 44 Tafel 45a Tafel 45b

Rückseite von K. 318, Kujundschik/Ninive (Foto: T. Oshima. © The Trustees of the British Museum) Vorderseite von 1881,0204.147, Kujundschik/Ninive (Foto: T. Oshima. © The Trustees of the British Museum) Rückseite von 1881,0204.147, Kujundschik/Ninive (Foto: T. Oshima. © The Trustees of the British Museum) Oberer Rand von 1881,0204.147, Kujundschik/Ninive (Foto: T. Oshima. © The Trustees of the British Museum) Linker Rand von 1881,0204.147, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Oberseite von Sm.957, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Vorderseiten der Innentafeln der Briefe K.189, K.604, K.613 und K.636, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Rückseite von 1881,0727.199, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Oberer Rand von 1881,0727.199, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Detailausschnitt aus der Vorderseite von K.4386, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Detailausschnitt aus der Vorderseite von K.136, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Detailausschnitt aus der Vorderseite von K.2811, Kujundschik/Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum) Detailausschnitt des unteren Bruchrands von K.2235, Kujundschik/ Ninive (Foto: B. Schnitzlein. © The Trustees of the British Museum)

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Register 2D+- und 3D-Modelle von Tontafeln 15, 23–25, 27 lú

A.BA

328, 375, 408–409, 424 423–425 Abklatsch 15–16, 18 abnu 173 Abrakadabra 399 Abschreiben 66, 220, 238, 241, 298 agurri 139 aḫlamattu 423 aḫû 256–258, 262, 310, 313, 319 Akkadisch 359 akkadische und sumerische Sprache in griechischer Linearschrift 438 akkadû 423 Akrostichon 166 Alphabet 359, 382 Alphabetisierung 262 Alphabetschreiber. Siehe sepīru/sēpiru Altnordarabisch (Schrift und Sprache) 395 Altpersisch (Schrift und Sprache) 391–392 Altsüdarabisch (Schrift und Sprache) 395, 399 Anhäufung von Texten 223–224, 232 apkallu 276 Aramäisch (Schrift und Sprache) 382, 384 aramäische Sprache in demotischer Schrift 421 aramäische Sprache in griechischer Linearschrift 438 aramäische Sprache in Keilschrift 421–422 archaisierende und pseudo-archaische Zeichen 64, 69–70, 78, 260, 288, 350 armû 137, 147, 175, 408–410, 423 asarru 127, 305 āšipu 228, 239, 245, 249, 269–270, 294–296, 298, 301, 306 Assurbanipal-Duktus 52, 66–67, 349–350, 353 Ästhetik 33, 61, 83, 357 asû 294–295 lú

A.BAL

https://doi.org/10.1515/9781501511912-012

asumittu 127, 129, 139, 173, 191, 195 Aufgabe der Verwendung einer Schrift 379, 381, 412, 443, 446 Ausbildung 226, 228, 235–236, 238–239, 243, 248, 251–252, 265, 269, 272, 296–300, 316, 320, 411, 435, 439, 444–445 Auswahl, systematisch 259–262 Auszugstafel 160, 177, 207, 348, 377 Autografie 14–18, 20–22, 25–28, 36, 54, 56, 73, 251 – Geers-Kopien 282 Autor/Editor 259, 263–264, 266–267, 271 bārû 228, 294–295, 297 Beamter bzw. Angestellter der Verwaltung 427 Beischrift, aramäisch 133, 137, 192, 326–327, 332–333, 361, 394, 402–404, 417, 422 Beischrift, demotisch 365 Beischrift, hebräisch 417 Beischrift, keilschriftlich 422 Beischrift, unentziffert 398 Beistempel 415 Bestandsliste, neuassyrisch 305–307 Beterstatuette Bibliothek – Arbeitsbibliothek 240 – Fachbibliothek 215, 238, 240 – Gelehrtenbibliothek 240 – öffentliche Bibliothek 214, 216–217, 222–223 – Palastbibliothek 222, 236, 249–250 – Privatbibliothek 214, 216, 222–223, 239, 248 – Referenzbibliothek 227, 252 – Tempelbibliothek 222, 227–229, 236–237, 240, 243, 249 – Universalbibliothek 216, 225–229, 237 – Zentralbibliothek 240 Bibliothek Tiglat-pilesers I. 221, 280 Bibliotheksschrift 67

572

Register

Bibliothekstext 66, 81, 83, 220–221, 251 Bleistreifen 379, 381 Boustrophedon 380, 396 Brahmanen-Schrift, altindisch 398 Brennen von tönernen Keilschriftzeugnissen 30, 46–47, 184, 199, 240, 281, 288, 349, 362 Brennlöcher, sogenannte 83, 352, 357–358 Bronzebänder 100, 102 Buchstabe 423, 425 Computer-Keilschrift 15, 21–22 Curriculum 159, 251, 262, 264, 269, 274, 297–298, 438, 441 dāgil iṣṣūri 294 daltu 127–128, 153, 305 damqu 258 dannutu 127, 137, 403 delet (hebräisch) 132 deltos (griechisch) 132 Demotisch (Schrift und Sprache) 365, 394 Depot 226–228, 249 Diktieren 107, 110, 112, 125, 256, 272, 423, 434 Diplomatik 33, 53, 224 Diptychon, Polyptychon. Siehe lēʾu, daltu und Kap. 2.1 und Kap. 4.1.2 dnt (aramäisch) 133, 137, 328, 403 Docket. Siehe Tonbulle Druck mit beweglichen Lettern 361 Druckfont 15, 20–21 dubgallu 127 Duktus 20, 54, 56, 60, 63–64 ēdiltu 132 egirtu 127–128, 133, 135, 139, 193, 205, 305, 332, 338–339, 403, 408 Einführung der Verwendung einer Schrift 386–387, 390–391, 410, 446 eingerückte Zeile 75–76 Einteilung von Keilschriftzeugnissen 11–14, 230, 242, 246, 250, 252–253, 289 Elamisch (Schrift und Sprache) 389–391 Elfenbein 153–154, 249, 400–401

Entwürfe von Texten 75, 284, 286, 320, 402, 434 eṭēru 127, 138 Fachschrift und -sprache 37, 360 Felsinschrift 12, 172, 252, 380 Felsrelief 106, 172–173, 199, 322, 395 Fotografie 15–20, 22, 24–28, 30, 36, 54, 56, 62 Freifläche im Text 76–77, 83 Fundassemblage 218 Fundkontext 14, 218, 223–224, 227, 229–230, 248, 269, 275–281 gab(a)rû 127, 131, 135, 152, 191, 195, 196, 308, 338, 431, 437 Gebrauchsschrift 64, 66–67 Gelehrtenfamilie 228, 237, 239, 241, 243–245, 248–249, 258, 292, 294, 414, 421, 431, 435, 443 Gelehrtengruppe 318 – innerer und äußerer Zirkel 294–295 – Schreiber mit Aufsicht 300 – Schreiber mit Vorsprecher 296, 304, 311, 316 Gewicht 401 Gipsabguss 16–17 girginakku 242–244, 248, 280, 319 giṭṭu 127, 144, 159–160, 162, 205, 207, 376, 378, 426, 432 Glossen 78, 80, 84, 262, 313, 344 Glossenkeil 79–80, 190 Goldener Schnitt 352 Grabdenkmal 94 Griechisch (Schrift und Sprache) 382 ʾgrt (aramäisch) 133, 332, 403 Handschrift/Schreiberhand 20, 61–63, 66 ḫarṭibē 294 ḫaṭru 430 Hebräisch (Schrift und Sprache) 382 ḫepi 78, 261, 264, 272, 315 Herstellung von Tontafeln 43–46 Hethitisch (Schrift und Sprache) 381 Hieroglyphen, ägyptisch 392 Hieroglyphen, urartäisch 388

Register

Hieroglyphen-Luwisch 380–382 Holografie 22–23 Holzstöckchen 364 Holztafelg, ewachst. Siehe lēʾu, daltu sowie Kap. 2.1 und Kap. 4.1.2 Holztafel, nicht gewachst. Siehe Kap. 2.1.2 und Kap. 4.1.2 Hüllentafel 50, 127, 135, 147–149, 330–332, 337–339, 398, 404 IM.GÍD.DA 28, 139, 144, 159, 165, 177, 190, 207, 297, 300 imgiddû 127, 140, 142, 144, 159 Innovation, Neuedition 252–253, 259, 262–263, 266–267, 269, 272, 287, 307–316 Interlinearbilingue 75, 347–348, 356 Interpunktionszeichen 79–81 iškaru 255–258, 346 jamanu 437 Join 23, 27, 29, 281–282, 288 Kalligrafie 62 kalû 228, 240, 243, 245, 249, 294–295 kam/ngu, kanku 127, 147–148, 150 kammu 127, 146 kanīku 127, 148, 408 Kanzleischrift und -sprache 61, 65–67, 389, 393 Katalog 215–216, 229, 231, 234, 246–248, 262, 267, 271, 314 Keilschrift 359 Keilschrift auf der Schreibmaschine 21 Keilschrift-Luwisch 380 Kinderfußabdruck 408, 411 kiṣirtu 127, 148 Köcher für Griffel 120 Kolophon 231–233, 237, 246, 251, 261–262, 264, 288, 307, 350–351 Kolumne 70, 72–74 Kommentartext 80, 127, 135, 142, 160, 167, 177, 187, 203, 207, 228, 245, 248–249, 251, 256–257, 262, 264–266, 268–269, 271–272, 290, 318, 348–349, 377, 443

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Konsonantenalphabet 382 kontextueller Ansatz bei der Behandlung von schriftlichen Hinterlassenschaften 274 Korrekturzeichen 81 Kudurru 91–92, 118, 129, 151, 156, 172, 181, 196, 396 kunukku 127, 145, 147–148, 178, 195–196, 208, 210, 327, 377 Kursivschrift, Kursive 64, 66–67, 443 lú KUŠ.SAR 431 Lagerung von Tontafeln 219, 223, 228–230, 232, 321 lēʾu 125, 127–128, 131, 139, 151, 191, 210, 249, 303, 305, 309–310, 346, 363 liginnu 127, 140, 142, 144, 165, 298–300 Linearschrift 359, 382 Lineatur, Trennlinien 71–74 lišānu 187 magallatu 127, 163, 377–378, 442 maḫāṣu 164 manâtu 437 mar šipri 430 MAŠ.MAŠ 237, 248 mašṭaru/malṭaru 127, 163 material turn 1–2 Medisch (Schrift und Sprache) 398 meḫru 139 miḫirtu/meḫertu 140 miḫiṣtu (miḫištu, miḫiltu) 69, 127, 186, 423 Modell 14–16 Monumentalschrift 64–65, 67, 70 mukallimtu 127, 167, 177, 187, 189, 200, 204, 348 mündlich 236, 248, 253, 256–258, 261, 265, 272, 287, 434 musarû/mušarû 127, 139, 170, 199, 200, 270 Museum 249, 321 Nabatäisch (Schrift und Sprache) 396 nakru 81 nāpalû 424 narû 127, 129, 139, 170, 184, 202, 270 nasāḫu 178

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Register

niāru 375–378, 426 nibzu 127, 175, 408 nisḫu 127, 135, 142, 162, 168, 177, 205, 207, 255, 257, 313 Normschrift 66–67 Orthostat 94, 98, 101, 199, 276, 321–322, 386 Ostrakon 362, 402, 420–421 philologischer Ansatz bei der Behandlung von schriftlichen Hinterlassenschaften 273 Phönizisch (Schrift und Sprache) 382, 384 Phrygisch (Schrift und Sprache) 394 Piktografie 54 Prisma 10, 170, 195, 200, 202, 288, 323, 361 Pseudo-Schrift 385, 398 qabû 160, 300 qan ṭuppi 127, 180 qīpu 428–429 Radierung 84 Randausgleich 71, 355 Referenzwerk 273, 319, 356 Rezension 254–255 Rezitieren von Texten 160, 300 Sammlung, systematisch 214–216, 223, 225, 227–229, 231 Samʾalitisch (Schrift und Sprache) 384 Scan 19, 22, 26, 45 Schilfrohr 57, 118, 122, 180 Schnur – Anbringung von Linien 73–74, 76, 312, 326, 356 – Verschnürung 154, 279, 333–335, 345, 365, 367–368, 370, 373, 375, 377, 404, 407 Schreiberpalette 98, 120, 363, 384 Schreibgriffel 57–59, 69, 85, 99, 118, 122–125, 180 Schreibrichtung 70, 371, 380, 384, 388, 396, 405, 416 Schreibtechnik 56–60, 360–361

Schriftart 62–63, 67, 77, 346 Schriftauszeichnung 77–78 Schriftreform 67, 293, 302, 317, 342, 395, 435 Schriftrolle 108, 112, 117–118, 120, 122, 124–125, 335, 364–365, 367, 375, 377, 402, 405, 443 Schriftsprache 37, 359 Schrifttheorie 2–6 Schriftzeichen 54–55, 58, 127, 359 Schule 220, 226, 236, 243, 248 Schülertafel 41, 43, 47, 160, 220–221, 234, 236–237, 239, 245, 248, 250, 262, 348, 388, 422, 438 Schultext 221, 226, 239–240, 251, 298, 445 sepēru 409, 432 sepīru/sēpiru 127, 143, 166, 193, 196, 378, 393, 410, 419, 423, 435–437, 442–443 Serialisierung 234, 248, 253 Serie 253, 255–258, 346 – Exzerptserie 179, 255, 257 – Kommentarserie 177 – Standardserie 255–256, 258, 261 Siegel – gesiegeltes Schriftstück 127, 144, 195–196, 209, 325–365, 367, 375, 377, 394, 398, 405–406, 408 – Königssiegel 154, 196, 279 – Siegel 82, 87, 127, 131, 147, 278–279, 310, 336, 367–375, 389, 394, 411, 436, 443 – Siegelpraxis 32 – Siegelung 82 sipru 127 sikkatu 127, 173 spr/sprʾ (aramäisch) 186, 393, 432–434 Standardisierung 248, 253–254, 271–273 Statue 12, 85, 88, 91, 94, 112, 173, 199, 322, 383, 386, 392 Steintafel 92, 129 Stele 10, 12, 64–65, 90, 92–94, 123, 129, 199, 320, 322, 363, 383, 386–388, 392–393, 395–396 Stockwerk, oberes 219, 276–278, 280 strukturelles Prinzip von Schrift 359 Sumerisch 359

Register

sumero-akkadische Schrift 359 syllabo-logografische Schrift 359 Systematisierung von Wissen 234, 246, 248, 271

575

Tradieren 213, 216, 235, 248, 252, 258, 268, 271, 346, 411, 413, 435, 447 Trennungszeichen 79–80 trgmnʾ (aramäisch) 425 Typografie 38, 63, 448

ṣâtu 80, 127, 142, 167, 187, 200, 298, 348 ša pī ummâni 168, 189, 256–258 šamallû 291, 296 šipirtu 127, 131, 139, 152, 194, 338–339, 376–378, 426, 432 šaṭāru 127, 164, 186, 270, 376, 417, 423, 426 šiṭirtu 127 šiṭru 127, 170, 184, 198 šṭr (aramäisch) 192, 417 šumu 72, 184, 200 šūt pî 168, 189, 256, 258 Tabelle 33–34, 51, 73, 76, 189 Tafeldrehung 47, 70, 326, 336–337, 405–407, 411, 422, 438, 442 taḫsistu 127, 376–377, 426, 432 targumannu 424 Taymanisch (Schrift und Sprache) 395–397 temmennu 127, 173, 184, 202 teppir (elamisch) 378 Textgattung 72, 349 Textkomposition 254–255 Textkritik 273 Textsorte 9–10, 12, 14, 34, 38, 41, 49, 55, 59, 82, 190, 203, 286, 346, 349, 442 Tonbulle. Siehe Kap. 3.2.2.1.1.2 und Kap. 4.1.3.2 Tonetikett 230–231, 247, 318 Tonfarbe 18, 29–30, 42, 280 Tonnagel. Siehe Wandknauf Tontafel, kissenförmig 44, 50, 65, 143, 195, 208, 331 Tontafel, lang 51, 354 Tontafel, oval 47, 337, 339, 345, 407 Tonüberzug 46 Tonverschluss. Siehe Tonbulle Tonzusammensetzung 39

ṭuppu 127–128, 133, 145, 162, 177, 180, 192, 198, 305, 351 ṭupšarru 228, 294–295, 306–307, 309–310, 424, 428, 431, 435 ṭupšarru (kur)aramaja 409–410 ṭupšarru muṣurāyu 294 Überlieferungsstränge 255–258 uʾiltu 127, 135, 150, 169, 177, 190, 192, 195, 351 Umgangssprache 287 ummânu 168, 189, 238, 256, 409 Umschrift 14–15, 19, 21–22, 25–28, 251 Umzeichnung 22 unqu 127, 149 Urartäisch (Schrift und Sprache) 387–388 urartäische Sprache in luwischen Hieroglyphen 388 Verkehrsschrift und -sprache 61, 383, 437, 446–447 Version 254–255 Verwaltung, mehrschriftig 393–395, 434 Verwaltungsschrift und -sprache 435, 443, 446 Vorbilder für anderssprachige und -schriftige Textsorten 396, 402, 411, 420, 446 Vorlage 66, 77, 139, 238, 241, 270, 272, 295, 307, 311, 313–315, 376, 431, 441 Wandknauf 199 Wandmalerei 104, 107, 386 Wiederholungszeichen 80–81 Wissenszentrum 215–216, 316 Worttrenner 79, 392, 396 Zahlzeichen 359, 392 – Zählzeichen 81, 262, 352, 399

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Register

Zeichenform 53–55, 58, 60, 62–64, 67, 314 Zeichnung 82, 88, 112, 310 Zeile/Satz 72, 200 Zeilen- und Zeichenabstände 77 Ziegel 199, 288, 350, 361, 400, 415–417, 421

Ziegelformat-Tafel 50, 145, 149–150 zūku/zukkû 127 Zylinder 10, 12, 47, 58, 79, 170, 200, 203, 288, 323, 361