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German Pages 240 Year 1989
FRIEDRICH MÜLLER (Hg.)
Untersuchungen zur Rechtslinguistik
Schriften zur Rechtstheorie Heft 133
Untersuchungen zur Rechtslinguistik Interdisziplinäre Studien zu praktischer Semantik und Strukturierender Rechtslehre in Grundfragen der juristischen Methodik
herausgegeben von
Friedrich Müller
Duncker & Humblot * Berlin
CIP-Titelaufhahme der Deutschen Bibliothek Untersuchungen zur Rechtslinguistik: interdisziplinäre Studien zu praktischer Semantik und Strukturierender Rechtslehre in Grundfragen der juristischen Methodik / hrsg. von Friedrich Müller. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Schriften zur Rechtstheorie; H. 133) ISBN 3-428-06608-1 NE: Müller, Friedrich (Hrsg.); GT
Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Satz: Klaus Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-06608-1
Vorwort Dieses Buch ist kein Sammelband aus heterogenen Aufsätzen, sondern das Dokument einer mehrjährigen Diskussion zwischen Sprachwissenschaftlern und Juristen. Das oft beschworene Gegenstandspaar „Recht und Sprache" wird hier erstmals interdisziplinär erforscht. Die Debatte wurde von je einer vordersten Front der Rechts- wie der Sprachtheorie aus geführt; von Positionen her, die zu Beginn schon deshalb weit auseinander lagen, weil die verschiedenen Zweige der Humanwissenschaften herkömmlich voneinander kaum Kenntnis nehmen. Die Beteiligten waren bereit, ihre Ansätze in Frage stellen zu lassen. Das hat die Positionen verändert und zu einem Gesamttext geführt, den alle verantworten. Bei dieser fachübergreifenden Arbeit geht es, anders gesagt, nicht um einen äußerlich vermittelten, durch guten Willen gestifteten Kontakt zwischen Gebieten, die sich selbstgenügsam definieren. Es geht um den Versuch, mit den je eigenen wissenschaftlichen Methoden, die modifizierbar sind, eine den Disziplinen gemeinsame gegenständliche Realität zu erfassen, sie angemessen zu erklären. Nicht methodischer Eklektizismus, sondern die zu erforschende Wirklichkeit selbst ist es, welche die Fächer „übergreift". Diese Sicht ändert den Zugriff auf das Arbeitsfeld zwischen Sprache und Recht ganz grundsätzlich. Sie führt zu einer Reihe von Einsichten, die der bisherigen Diskussion verschlossen bleiben mußten, und stößt auf überraschende, in der Sache liegende Parallelen von Strukturierender Rechtslehre und praktischer Semantik. Thematisch geht es dabei um eine für Linguistik und Rechtslehre gemeinsame Grundlage: um die Rolle von Sprache und von sprachtheoretischen Argumenten in Diskussion und Praxis der juristischen Arbeitsmethoden. Die Autoren dieses Buchs gehen dabei ein beträchtliches Stück eines Wegs miteinander, der noch weiter führen und künftige Synthesen erreichbar machen sollte. Heidelberg, Juni 1988 Friedrich
Müller
Inhaltsverzeichnis I. Einführung 1. Themen einer problembezogenen Zusammenarbeit zwischen Rechtstheorie und Linguistik Ralph Christensen / Bernd Jeand'Heur
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2. Bemerkungen zum Exposé von Christensen / Jeand'Heur Rainer Wimmer
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3. Gemeinsame Probleme der Sprach- und Rechtswissenschaft aus der Sicht der Strukturierenden Rechtslehre Bernd Jeand'Heur
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Π. Einzelstudien 1. Praktisch-semantische Probleme zwischen Linguistik und Rechtstheorie Rainer Wimmer / Ralph Christensen
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2. Der Richter als Mund des sprechenden Textes. Zur Kritik des gesetzespositivistischen Textmodells Ralph Christensen
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3. Was ist die Bedeutung eines Gesetzestextes? Sprachwissenschaftliche Argumente im Methodenstreit der juristischen Auslegungslehre - linguistisch gesehen Dietrich Busse
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4. Der Normtext: Schwer von Begriff oder Über das Suchen und Finden von Begriffsmerkmalen. Einige Bemerkungen zum Referenzverhältnis von Normtext und Sachverhalt Bernd Jeand'Heur
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III. Gespräch über Strukturierende Rechtslehre und praktische Semantik
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Namenverzeichnis
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Sachverzeichnis
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I. Einführung Themen einer problembezogenen Zusammenarbeit zwischen Rechtstheorie und Linguistik Von Ralph Christensen und Bernd Jeand'Heur I. Welches Interesse haben Juristen an der Sprache? 1. Aus der Sicht des Positivismus beruht die Rechtsentscheidung nicht auf willkürlicher Macht ausübung, sondern auf Erkenntnis des vorgegebenen Rechts. Der Dezisionismus kritisiert demgegenüber die vorgebliche Rechtserkenntnis als bloße Verkleidung der Macht. Danach verbirgt sich hinter der „richtigen" Interpretation des Gesetzes ein allein machtgestütztes Ordnen der sozialen Verhältnisse. Dieses Bild legt eine bestimmte Form der Kritik nahe: Um den juristischen Diskurs zu de-legitimieren, muß man die Idee einer „richtigen Interpretation" zerstören und offenlegen, was wirklich passiert. Diese Kritik tendiert dazu, die Komplexität des juristischen Diskurses zu unterschätzen. Es handelt sich nicht einfach um eine als positives Recht verkleidete Macht, sondern um eine komplexe Maschine zur Unterscheidung von rechtlich gebundener und willkürlicher Macht. 2. Trotzdem bleibt im Hinblick auf den Gesetzespositivismus richtig, daß hinter der rhetorischen Fassade bloßer Rechtserkenntnis die wirklichen Entscheidungsprozesse verborgen bleiben. Nicht das Ziel des Positivismus, zwischen rechtlich gebundener Entscheidung und bloßer Machtausübung unterscheiden zu wollen, ist hierbei zu kritisieren, sondern die unzulänglichen Mittel, mit denen er dieses Ziel einlösen will. Für den Gesetzespositivismus war nämlich die Rechtserkenntnis dadurch definiert, daß sie lediglich die sprachliche Bedeutung des Normtextes expliziert, während die machtgeleitete Entscheidung über die objektiv gegebene Bedeutung des Textes hinausgeht zu normgelösten Sachargumenten. Die Sprache erscheint dabei als von Macht nicht berührte Sphäre lichter Verständigung, welche dem Rechtsanwender als präzises Regelwerk objektiv vorgegeben ist. 3. Welche Folgen hat es, wenn man die positivistische Idee einer durch die Sprache vorgegebenen Textbedeutung aufgibt: verliert dann die Unterscheidung von rechtlich gebundener und willkürlicher Machtausübung ihren Gegenstand oder führt dies zu einer genaueren Feineinstellung auf die Probleme?
Ralph Christensen und Bernd Jeand'Heur
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I I · Bisherige Ansätze einer Zusammenarbeit von Rechtstheorie und Linguistik In jüngerer Zeit gab es in der rechtswissenschaftlichen Diskussion mehrere Versuche zu einer Zusammenarbeit: 1. Der Versuch, die generative Transformationsgrammatik mit der Rechtsinformatik zu verbinden. Beabsichtigt wird hier, die Rechtsinformatik mit einer spezifischen Strömung in der Sprachwissenschaft zu verbinden, welche folgendermaßen beschrieben wird: „ I n den Vordergrund rückte das Interesse am Einbezug exakter Vorgehensweisen, formale Logik und analytische Philosophie wurden zu den neuen Grundlagendisziplinen. Diese Entwicklung ist für die Rechtswissenschaft deswegen von großer Bedeutung, weil die neuen Forschungsziele und -intentionen der Linguistik dem Bedürfnis nach einer exakten Behandlung sprachlicher Phänomene im Recht entgegenkommen"1. Beabsichtigt ist, zu Gesetzestexten eine Grammatik auszuarbeiten, welche die Entscheidung darüber zuläßt, ob ein bestimmter Sachverhalt als Paraphrase des entsprechenden Gesetzestextes anzusehen ist oder nicht 2 . 2. Der Versuch, Ansätze der analytischen Sprachphilosophie für die Entwicklung einer Semantik juristischer Texte nutzbar zu machen. Ausgangspunkt ist hier das herkömmliche Verständnis juristischer Auslegung. Koch z.B. will nachweisen, daß man einer Fiktion aufsitzt, wenn man annimmt, daß der Ausleger „nur den Text selbst zum Sprechen" 3 bringen will, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen. Im Wege einer formalsemantischen Analyse will Koch die mangelnde Eindeutigkeit gesetzlicher Ausdrücke herausarbeiten, um so eine Bedeutungsermittlung von einer Bedeutungsfestsetzung zu unterscheiden. Es ergibt sich hierbei, daß es neben eindeutigen gesetzlichen Begriffen auch mehrdeutige, vage und poröse gibt. 3. Auch im Rahmen der juristischen Methodendiskussion versuchen einzelne Autoren, die pragmatische Wende der Sprachwissenschaft für juristische Probleme fruchtbar zu machen. So will Hegenbarth in der juristischen Diskussion eine spezifische Sprachauffassung erkannt haben, die den Text als situationsunabhängig und objektiv begreife. Diesen entpragmatisierten Textbegriff will er dadurch überwinden, daß er gewisse Interpretationsregeln herausarbeitet, welche im sozialen Leben dazu dienen, die bloßen Sprachregeln durch die situative Komponente zu ergänzen. Offen bleibt dabei aber nicht nur die 1
H. Garstka, Zum Beitrag der Linguistik zur rechtswissenschaftlichen Forschung, in: Rechtstheorie 1979, S. 92ff., 93. 2 Vgl. dazu P. Hartmann / H. Rieser, Paraphrasenbeziehungen in juristischen Texten, in: D. Rave / H. Brinckmann / Κ. Grimmer, Paraphrasen juristischer Texte, 1971, S. 87ff. 3 H. J. Koch / H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 166 mit Verweis auf Larenz.
Zusammenarbeit zwischen Rechtstheorie und Linguistik
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Frage, inwieweit diese von der phänomenologisch orientierten Soziologie im Alltagshandeln erarbeiteten Regeln auf das Verständnis von Rechtstexten übertragen werden können. Vor allem verfehlt dieser Versuch, Kommunikation aus invarianten Regeln des Bewußtseins zu konstituieren, den sozialen Charakter der Sprachregeln. Es sind nicht monologische Interpretationsregeln, die dadurch, daß jeder für sich ihnen folgt, Intersubjektivität hervorbringen, sondern es sind intersubjektive Sprachregeln, die umgekehrt das scheinbar monologische Verfahren der Interpretation ermöglichen. Mit stärkerer Orientierung an sprachbezogenen Kategorien versucht Koch, Aspekte der pragmatischen Wende in seine Konzeption aufzunehmen. Er postuliert einen Dualismus von semantischen und pragmatischen Regeln. Danach wäre der „Gehalt, den der Gebrauch von sprachlichen Zeichen in konkreten Äußerungssituationen zum Ausdruck bringt, unter Rückgriff auf zwei voneinander zu unterscheidende Regelsysteme zu bestimmen, nämlich einerseits die semantischen Regeln, die die eingebürgerten Bedeutungen der sprachlichen Zeichen ausdrücken und andererseits die pragmatischen Regeln menschlicher Konversation, die das im jeweiligen Äußerungskontext konversationell Implizierte zu erschließen gestatten" 4 . Dieser dualistische Sprachbegriff hat bei Koch die Funktion, zu einer Art von pragmatischer Grammatik zu gelangen, welche in Ergänzung der semantischen Regeln aus der Sprache eine statische Maschine machen, deren einzige Funktion in der Kodierung und Dekodierung identischer Bedeutungen besteht. Der umfassende Regelapparat erlaubt jede Botschaft zu deduzieren und begrenzt den Spielraum der Interpretationen auf die unscharfen Ränder der Sprachspiele. ΠΙ. Elemente einer impliziten juristischen Sprachtheorie Den unter II. aufgeführten Ansätzen liegt ein bestimmtes Sprachverständnis zugrunde. a) Atomistische Bedeutungskonzeption: Es „müssen zwei Teilaspekte der Sprach Verwendung berücksichtigt werden: zum einen stehen die einzelnen Bestandteile der Sprache in einem bestimmten Beziehungsgeflecht, das unabhängig von ihrer Bedeutung ihr Vorkommen in bestimmten Äußerungen regelt (Grammatik: syntaktischer Aspekt). Daneben müssen die Sprachelemente jeweils eine bestimmte Bedeutung haben, damit Information übertragen werden kann: den Zeichen müssen nichtsprachliche Entitäten zugeordnet werden, die sie repräsentieren (Objekte der realen Welt, Gedanken, Referenzen'). Ihre Kombination mit Hilfe der grammatischen Regeln ermöglicht es, Sachverhalte auszudrücken (Lexikon: semantischer Aspekt)" 5 . 4 5
H. J. Koch / H. Rüßmann, ebd., S. 154. H. Garstka (Anm. 1), S. 94ff.
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Ralph Christensen und Bernd Jeand'Heur
Hierbei ergibt sich die Bedeutung eines Textes aus der Summe der Einzelbedeutungen und der syntaktischen Regeln. b) In der Position von Garstka wird auch der Repräsentationsgedanke deutlich, der in drei Spielarten auftritt: aa) Repräsentation wirklicher Zusammenhänge durch den Text. bb) Der Text repräsentiert die Gedanken seines Schöpfers, des Gesetzgebers. cc) Der Text repräsentiert objektive Rechtsgedanken, welche unter Bezug auf die Rechtsidee erkannt werden können. c) Ein weiteres Element der juristischen Bedeutungskonzeption zeigt sich in der juristischen Begriffslehre. Als Regelfall gilt der eindeutige Begriff, dessen Bedeutung objektiv und fest vorgegeben ist. Von diesem Regelfall gibt es eine stets wachsende Reihe von Ausnahmen (der unbestimmte Begriff, der normative Begriff, der Ermessensbegriff, die Generalklausel). d) Das juristische Sprachverständnis legt nahe, daß sich bei der Auslegung kognitive und voluntative Elemente trennen lassen. I V . Möglichkeiten einer problembezogenen Zusammenarbeit zwischen Rechts- und Sprachwissenschaft Zu untersuchen sind folgende Fragestellungen: 1. Wenn der Gesetzestext nicht den Willen des Gesetzgebers repräsentiert, kann man dann auf die historisch-genetische Auslegung verzichten? 2. Wenn die Bedeutung des Normtextes nicht objektiv vorgegeben ist, gibt die Sprache dann überhaupt keinen Hinweis für den Prozeß der Auslegung? 3. Wenn der Normtext nicht selbst auf die Sachgesichtspunkte verweist, heißt dies, daß man beliebige Sachgesichtspunkte zur Entscheidungsgrundlage machen kann? 4. Wenn die Textbedeutung vom Rechtsarbeiter erst selbst hergestellt wird, führt dies nicht zur Willkür? 5. Ist es unter diesen sprachtheoretischen Voraussetzungen noch sinnvoll, von Wortlautgrenze und Gesetzesbindung zu sprechen?
Bemerkungen zum Exposé von Christensen / Jeand'Heur V o n Rainer
Wimmer
Justiz als eine als Wahrheit verkleidete Macht? Dieses Bild trifft in der Tat die Vorstellungen, die viele Bürger mit dem Handeln der Justiz und ihrer Wirksamkeit verbinden. Wahrgenommen werden vor allem die Auswirkungen der juristischen Entscheidungsprozesse im alltäglichen Leben: Verbote, Gebote, Urteile, die oft schmerzlich in den Alltag eingreifen. Selten und in jedem Fall weniger im Blickfeld des öffentlichen Interesses stehen die Gesetze und sonstigen Grundlagen der Entscheidungen sowie die komplexen und komplizierten Prozesse, die zu den Urteilen führen, mit zu ihrer Legitimationsbasis gehören und die natürlich den wesentlichen und Hauptanteil der juristischen Arbeit ausmachen. Diese verständliche Konzentration des Augenmerks auf die eingreifenden, aber doch vordergründigen Ergebnisse der juristischen Arbeit mögen das Bild von der Justiz als einer als Wahrheit verkleideten Macht zu einem guten Teil erklären. Die Macht, die oft so schneidend in unser Leben eingreift, hat sich ein Kleid angezogen, das die undurchschauten Diskurse im Hintergrund verdeckt: den Mantel der Wahrheit. Christensen / Jeand'Heur haben recht, wenn sie darauf hinweisen, daß die in dem Bild implizierte Kritik die Komplexität des juristischen Diskurses unterschätzt. Wenn die Vermutungen über die in der Öffentlichkeit verbreitete verkürzte Wahrnehmung der juristischen Arbeit zutreffen, muß das auch so sein. Aus der Distanz, die der normale Bürger zu den komplexen und auch für Insider oft unüberschaubar verwickelten Arbeitsgängen des Justizapparates hat, ist es ihm kaum möglich, zu einem angemessenen und gerechten Bild der dritten Gewalt im Staate zu kommen. Die Justiz erscheint ihm einerseits als Machtapparat - oft mit negativen Attributen besetzt - andererseits als unersetzliches, unübertroffenes und auch glanzvolles Instrument der Wahrheitsfindung in schwierigen gesellschaftlichen Konflikten. Christensen / Jeand'Heur weisen zu Recht darauf hin, daß die Hochschätzung der Justiz als Instrument der Wahrheitsfindung und der Glanz und das Prestige, die mit der Justiz in dieser Funktion verbunden sind, zusammenhängen mit der Sprachauffassung und der Sprachbehandlung, die in der Justiz vorherrschen und nach außen hin vermittelt werden. Der Hinweis gilt zunächst dem Gesetzespositivismus, für den die Rechtserkenntnis - nach Christensen / Jeand'Heur dadurch definiert ist, „daß sie lediglich die sprachliche Bedeutung des Normtextes expliziert, während die machtgeleitete Entscheidung über die objektiv
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Rainer Wimrne
gegebene Bedeutung des Textes hinausgeht zu normgelösten Sachargumenten". Dadurch erscheint die Spracharbeit, aus der die Rechtserkenntnis zu einem wesentlichen Teil besteht, als abgehoben von alltäglichen Konflikten und Machtfragen. Gesetzestexte und andere Normtexte erscheinen wie Granitblöcke, die von dem vielfältigen Sprachleben kaum berührt und - wenn überhaupt - dann nur unmerklich tangiert und verändert werden, und die der Gesetzgebung folgende juristische Spracharbeit hängt an der Festigkeit und Unveränderbarkeit der Bedeutung der Normtexte, indem sie auf die Subsumierbarkeit der Interpretationen und Folgetexte unter den ursprünglichen Normtext setzt. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht ist bei der hier zutage tretenden Sprachauffassung besonders bemerkenswert, daß Bedeutungen von sprachlichen Ausdrücken und Texten als durch den Wortlaut (was immer man hierunter genau zu verstehen hat) fixiert angesehen werden. Diese Auffassung - wenn sie so pointiert ins Zentrum einer Sprachtheorie gerückt wird wie durch den Rechtspositivismus - gilt in der Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie seit langem als problematisch und einer natürlichen Sprache nicht angemessen. Der ständige tiefgreifende Wandel ist ein Wesensmerkmal aller natürlichen Sprachen. Ohne diesen Wandel würden die Sprachen ihre Erkenntnisfunktion und ihre Potenz zur Wirklichkeitserarbeitung und -Verarbeitung verlieren. Im Wandel prägen die natürlichen Sprachen ständig neue Varietäten und Varianten aus. Die Bedeutungen gerade derjenigen Ausdrücke, die in der je aktuellen Diskussion sind, weil sie im Erkenntnisfortschritt oder bei gesellschaftlichen Veränderungen eine besondere Rolle spielen, wandeln sich im Gebrauch. Genau und ausgerechnet diese Ausdrücke-imWandel möchte der juristische Arbeiter aber regelnd fixieren, denn es ist ja seine Aufgabe, aktuelle Konflikte zu ordnen und Maßstäbe zu erarbeiten, die den Einzelfall überdauern. Wenn man also das Sprachmaterial in den Blick nimmt, das den Juristen bei seiner Arbeit speziell und besonders interessieren muß, weil es strittig ist, so wird der Gegensatz zwischen der gängigen rechtspositivistischen Sprachauffassung und der Sprachtheorie der Sprachwissenschaft, hier insbesondere der linguistischen Pragmatik, in aller Schärfe deutlich. Begriffsregulierende und -fixierende Bedeutungstheorie steht gegen die Gebrauchstheorie der Bedeutung. Dieser Gegensatz wird in den nachfolgenden Beiträgen dieses Bandes immer wieder eine wichtige Rolle spielen. Zurück noch einmal zu dem Erscheinungsbild, das die Justiz bei vielen rechtsunterworfenen Bürgern von sich selbst vermittelt. Christensen / Jeand'Heur bemerken mit Bezug auf den Gesetzespositivismus, die Sprache erscheine hier „als von Macht nicht berührte Sphäre lichter Verständigung". Dieser Eindruck muß hervorgerufen werden, wenn man eine Theorie der Durchsichtigkeit und zugleich der Festigkeit von Normtexten und Bedeutungen sprachlicher Zeichen überhaupt vertritt. Das vermittelte Bild von Sprache begünstigt die gesetzespositivistische Methodik und wird daher wohl auch bewußt aus dieser Richtung befördert. Es scheint mir aber auch wichtig, dar-
Bemerkungen zum Exposé von Christensen / Jeand'Heur
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auf hinzuweisen, daß dieses idealisierende Bild von Sprache durchaus den Erwartungen und Vorstellungen vieler Sprecher/innen entspricht. Die Sprachauffassung und die Spracharbeit der Juristen genießen weithin ein sehr hohes Ansehen. Es gibt kaum eine andere wissenschaftliche bzw. fachorientierte Sprachvarietät, der in der Öffentlichkeit mit so großem Respekt begegnet wird und die einen dermaßen hohen Prestigewert hat. Juristischer Sprachgebrauch gilt gemeinhin als in vorbildlicher Weise präzise, differenziert und sachangemessen. In der Sprachpflege wird er deshalb oft als Vorbild empfohlen. Die häufig geäußerte Kritik an juristischem Sprachgebrauch, die sich auf zu komplizierten und deshalb unverständlichen Satzbau, auf den favorisierten Nominalstil, auf schwierige Terminologisierungen u. ä. bezieht, bleibt demgegenüber an der Oberfläche und tangiert m.E. nicht die verbreitete Grundeinstellung zur Juristensprache, die zuweilen bis zur Bewunderung reicht. Diese Art von Akzeptanz des juristischen Sprachgebrauchs läßt sich wahrscheinlich nicht allein durch die Bemühungen des Gesetzespositivismus oder durch die Entscheidungsmacht juristischen Handelns erklären, sondern erfordert ein Eingehen auf Erwartungen und Wünsche der Bürger/innen in bezug auf Leistungen der Justiz für Rechtssicherheit und andere Sicherheitsbedürfnisse. Die Justiz soll - natürlich auch aus der Sicht der Bürger/innen - Konflikte dauerhaft lösen und den Bestand vernünftiger Ordnungen garantieren. Und was liegt da näher, als eine solche Garantie an sach- und fallabgehobene und allein schon dadurch einwandfreie Sprachregelungen geknüpft zu sehen, die ihren Niederschlag dann in Normtexten finden? Diese Fragestellung kann ich hier nicht weiter verfolgen. Für unseren Zusammenhang ist wichtig, daran zu denken, daß jede Diskussion, die der begriffs- und bedeutungsfixierenden Sprachtheorie des Gesetzespositivismus eine Gebrauchstheorie der Bedeutung entgegenhält, auch gegen gängige Alltagsauffassungen von Sprache antritt. Im Hintergrund der von Christensen / Jeand'Heur aufgeworfenen Probleme steht die große und traditionsreiche sprachtheoretische bzw. semantische Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Wirklichkeit. Eingegrenzt auf unseren Diskussionszusammenhang, scheint mir hier die Frage interessant, ob sich durch eine bestimmte Sprachtheorie ein in irgendeiner Weise herausgehobener oder privilegierter Zugang zur Wirklichkeit begründen läßt. Kann die Sprachtheorie des Gesetzespositivismus für sich in Anspruch nehmen, eine zuverlässigere oder besser begründete Relation zwischen Sprache und Wirklichkeit herzustellen? Die deskriptive Linguistik muß angesichts zahlreicher konkurrierender sprach- und zeichentheoretischer Auffassungen und angesichts eines fehlenden Konsenses bezüglich der Frage, welche dieser Auffassungen besser als andere sind oder welche gar als die Beste anzusehen ist, zunächst einmal darauf bestehen, daß keine Sprachtheorie einen privilegierten Zugang zur Wirk-
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Rainer Wimmer
lichkeit und speziell auch zu den Sachverhalten in der Wirklichkeit garantiert. Es gibt nach dem bestehenden sprachphilosophischen und sprachtheoretischen Erkenntnisstand offenbar keinen archimedischen Punkt außerhalb der Sprache, von dem aus man das Verhältnis Sprache - Wirklichkeit vorzugsweise bestimmten könnte. Dementsprechend ist es nicht nur berechtigt, sondern im Interesse einer Analyse, die offensichtliche Einseitigkeiten vermeidet, sogar notwendig, unterschiedliche Konstruktionen des Verhältnisses Sprache - Wirklichkeit (und gerade auch alltagssprachlich und gebrauchstheoretisch motivierte) gegen die positivistische Erkenntnisvorstellung ins Spiel zu bringen. Christensen / Jeand'Heur problematisieren zu Recht die positivistische Repräsentationsidee, nach der Normtexte die Sachverhalte gleichsam objektiv repräsentieren. Dieses Konzept verkürzt die komplizierten Zusammenhänge zwischen sprachlichen Ausdrücken und ihrem Gebrauch einerseits sowie Wirklichkeitselementen andererseits, und es schneidet alternative Gegenstands» und Sachverhaltsinterpretationen ab. In den folgenden Beiträgen dieses Bandes wird es immer wieder darum gehen, gerade alternative Bedeutungsinterpretationen und -feststellungen zu zeigen und hervorzuheben. Der knappe Überblick, den Christensen / Jeand'Heur über bisherige Ansätze einer Zusammenarbeit von Rechtstheorie und Linguistik geben, zeigt, daß die in der letzten Zeit von juristischer Seite her erfolgten Rezeptionen neuerer linguistischer Theorien zwar das Erkenntnisspektrum in Richtung Pragmatik erweitert haben, daß aber im Ergebnis das sprachtheoretische Paradigma des Gesetzespositivismus nicht verlassen und letztlich auch nicht grundsätzlich zur Diskussion gestellt wurde. Eine solche grundsätzliche Diskussion anzuregen und zu befördern, ist ein wesentliches Ziel der Untersuchungen dieses Bandes. Christensen / Jeand'Heur werfen zum Schluß ihres Überblicks eine Reihe von Problemen auf, die alle um die Frage kreisen, ob nicht die Aufgabe von wesentlichen und in der Tradition der Jurisprudenz gut verankerten sprachund bedeutungstheoretischen Bastionen Auslegungswillkür und Rechtsunsicherheit nach sich ziehen könnte. Diese Frage möchte ich aufgrund des Diskussionsstands - so wie ich ihn heute wahrnehmen kann - verneinen. Sprache ist nie willkürlich. Es geht m.E. in der Tat zunächst einmal darum, eine „genauere Feineinstellung" auf die Probleme zu erreichen, und eine solche kann für die Rechtsarbeit nur nützlich sein.
Gemeinsame Probleme der Sprach- und Rechtswissenschaft aus der Sicht der Strukturierenden Rechtslehre Von Bernd Jeand'Heur I. Spielregeln des Verfassungsrechts Das Interesse der Strukturierenden Rechtslehre an der Diskussion von in Sprach- und Rechtswissenschaft offenen Fragen ist - wenn man so will - spielerischer Natur. Versteht man Sprechen als menschliche Tätigkeit, die in verschiedenen Situationskontexten unterschiedliche Lebensformen oder, wie Wittgenstein weiterhin feststellt, verschiedene „Sprachspiele" beschreibt, so liegt der Schluß nahe, daß in eben diesen mannigfaltigen Handlungszusammenhängen die einzelnen Sprachspiele durch je spezifische Regeln konstituiert werden 1 . Ohne Wittgensteins Regelbegriff hier näher zu problematisieren, bleibt die Versuchung, diesen Gedanken auf das „Sprachspiel" der juristischen Entscheidungsfindung zu übertragen. Zu erörtern wäre mithin, nach welchen Spielregeln Rechtsarbeit tatsächlich funktioniert. Das nun aber ist genau die Ausgangsfrage, wie sie die Strukturierende Rechtslehre - im Gegensatz etwa zu deduktiv argumentierenden Rechtsontologien - stellt 2 . Eine Antwort auf diese Frage wird zunächst das „Spielfeld" abschreiten müssen, auf dem das in Augenschein zu nehmende Sprachspiel stattfindet. Zu berücksichtigen sind demnach die Rahmenbedingungen, unter denen juristische Entscheidungstätigkeit stattfindet. Rechtsprechung nach den Regeln beispielsweise - des Codex Hammurabi erfolgte unter anderen politischen, sozialen und juristischen Voraussetzungen, als sie der moderne Verfassungsstaat in Form des Rechtsstaats mit sich bringt. Es ist weniger die (politische) Funktion von Justiz, die sich in diesem rechtshistorischen Vergleich verändert hätte. Heute wie damals geht es juristischem Handeln einerseits um das Ausüben, zum anderen um das Rechtfertigen von gesellschaftlicher Gewalt. In diesem Sinne spricht auch das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 2 und in Art. 92 von Rechtsprechung als einer Form von „Staatsgewalt". Der wesentliche Unterschied zu vorkonstitutionellen Staatsordnungen, das Besondere des 1 L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, in: ders., Schriften, Bd. 1, 1969, S. 279ff., Nr. 7, 19,23. 2 Vgl. z.B. F. Müller, Recht - Sprache - Gewalt, 1975, S. 15 oder 18.
2 F. Müller, Linguistik
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Bernd Jeand'Heur
Rechtsstaates besteht jedoch darin, staatliche Gewaltausübung vorhersehbar, kontrollierbar zu gestalten und damit eingrenzbar zu machen. Seine Legitimität gewinnt der bürgerliche Rechtsstaat diesbezüglich in der Zurückdrängung „aktueller" bzw. der Einsetzung „konstitutioneller" Gewalt 3 . In diesem Sinne bindet das Grundgesetz Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an die verfassungsmäßige Ordnung, an Gesetz und Recht, Art. 20 Abs. 3 GG. Für die Judikative enthält Art. 97 Abs. 1 GG einen Spezialverweis, wonach die Richter „nur dem Gesetze unterworfen" sind. Die Gerichte sind in ihrer Entscheidungstätigkeit nicht frei, nur ihrem „gesunden Menschenverstand" oder sonstigen Vorurteilen verantwortlich; sondern ihr Tun muß auf einen Normtext rückführbar, also rechtmäßig sein. Das unter anderem in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG verortete Rechtsstaats- und Demokratieprinzip gibt von da her die allgemeinen Spielregeln verbindlich vor, ohne deren Beachtung eine juristische Entscheidung nicht legal zustandegekommen und auch nicht gerechtfertigt, sprich legitim ist. Das Begriffspaar „Legalität Legitimität" schließt sich unter den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes insofern nicht aus, sondern bedingt sich gegenseitig. Zwar stellt auch eine rechtmäßige Entscheidung Machtausübung dar. Doch macht es einen grundsätzlichen Unterschied, ob ein Urteil „bloße", „aktuelle" Gewalt ausdrückt, die nicht mehr über ein allgemeines Gesetz sprachlich vermittelbar ist, sich entsprechend als Herrschaft eines oder mehrerer Menschen über Menschen demaskiert, oder ob sich das Judikat in entpersonalisierter Weise auf formalisierte, kontrollierbare, eben sprachlich vermittelte Gewalt zurückführen läßt 4 . Immer wenn die Rückführbarkeit der konkreten Entscheidung auf einen allgemeinen, sprachlich formulierten Normtext nicht möglich ist, liegt eine entlegitimierende Machtausübung im Sinne der Anwendung unmittelbarer Gewalt vor. Eine solche Entscheidung, die gegen die normative Lage getroffen ist, kann man als „Dezision" bezeichnen5. In der Dezision schlägt Macht „ohne Rücksicht auf die spezielle Formalisierung von Politik in Gestalt der im Einzelfall einschlägigen Normen gegen diese durch und erzwingt eine punktuell-politische Verbiegung der vorhandenen rechtlichen oder die Unterstellung einer nicht vorhandenen rechtlichen Formalisierung" 6 . Die Verfassung des Bonner Grundgesetzes stellt dagegen zwei Grundforderungen an Rechtsarbeit: Erstens muß der Richter überhaupt entscheiden (Rechtsverweigerungsverbot) und zweitens muß er rechtmäßig entscheiden. Beide Anforderungen verweisen auf ein einheitliches Strukturprinzip dieser Rechtsordnung, das sich allgemein als Sprachform kennzeichnen und textstrukturell näher umschreiben läßt. Mit der Bevorzugung konstitutioneller 3
F. Müller, Juristische Methodik und Politisches System, 1976, S. 80f. 4 F. Müller, ebd., S. 81; ders., (Anm. 2), S. 30f. 5 F. Müller (Anm. 3), S. 44f. 6 F. Müller, ebd., S. 45 sowie 21 ff.
Gemeinsame Probleme der Sprach- und Rechtswissenschaft
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Gewaltausübung hat sich der Rechtsstaat auf ein System allgemeiner, positiver Normtexte als alleinige Rechtsgrundlage seiner Eingriffe festgelegt. Die Textstruktur des Typus von Rechtsordnung, wie sie das Grundgesetz vorschreibt, untergliedert sich in zwei Gruppen: in abstrakt anordnende Normtexte und diese rechtfertigende Texte (amtliche Begründungen von Gesetzen u.ä.), sowie in konkret anordnende Texte (Entscheidungsnormen, welche die Rechtsprechung entwirft) und diese rechtfertigende Texte (Entscheidungsgründe) 7 . Bei den Normtexten ist ferner zwischen einfachgesetzlichen und diese überlagernden Verfassungsvorschriften zu unterscheiden. Recht ist mithin in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes notwendig an Sprache und sprachliche FormulieruÄg, sprachliche Auslegung, wie überhaupt sprachlich vermittelte Entscheidungstätigkeit gebunden. Neben die Notwendigkeit sprachlicher Rechtfertigung von Rechtsarbeit tritt gleichermaßen die Möglichkeit zu deren sprachlicher Kritik. I I . Rechtspositivistische Spielregeln theoretisch geschlossen, praktisch ungreifbar Die grundlegende Rolle von Sprache im Vorgang jeglicher Rechtsarbeit wird herkömmlicherweise in Rechtstheorie und juristischer Methodik durchaus anerkannt. Gleichwohl findet dabei die Problematik sprachlich vermittelter Rechtsausübung nur verkürzten Eingang in die Diskussion. Dies liegt zum einen an der weitgehend nicht reflektierten Textstruktur juristischer Arbeit unter den Vorgaben des Grundgesetzes, an der positivistischen Leugnung des Zusammenhangs von Recht und Politik sowie an der unzulänglichen Reflexion des Verhältnisses von sprachlich vermittelter und „bloßer" Gewalt. Andererseits spiegelt sich darin eine alltagstheoretische Vorstellung über Sprache wider. Dies soll kurz ausgeführt werden. Als Problem und Objekt juristischer Überlegungen tritt Sprache demnach immer erst im Verfahren der rechtsmethodischen Auslegung von Gesetzen auf. Meist geht es dabei um die im Einzelfall strittige Bedeutung eines Ausdrucks im Normtext. Juristen verstehen den Normtext, oder wie sie gleichbedeutend sagen, das Gesetz, gewöhnlich als „rechtliche Vorstellung", welche in Worte gefaßt ist. Danach „bezeichnen (Wörter) also bestimmte Vorstellungsinhalte und ,deuten4 auf sie hin" 8 . Im Kommunikationsvorgang der juristischen Entscheidungsfindung gilt es dann, den vom Gesetzgeber mittels des sprachlichen Codes übermittelten Bedeutungsgehalt durch den Rechtsanwender, z.B. den Richter zu decodieren, ihn herauszufinden 9. Je nachdem wird 7
F. Müller, ebd., S. 96; ders., ,Richterrecht 4 , 1986, S. 92. R. Zippelius, Der Typenvergleich als Instrument der Gesetzesauslegung, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Bd. 2, 1972, S. 482ff., 483. 9 R. Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982, S. 23, 38 u. passim. 8
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Bernd Jeand'Heur
hierbei auf die vom historischen Gesetzgeber subjektiv intendierte Bedeutung als verbindliche Richtlinie der Auslegung verwiesen 10 oder auf den von der herrschenden Meinung favorisierten „objektivierte(n) Wille(n) des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist" 1 1 . Beide Auffassungen gehen - so unterschiedlich sie in ihren Schlußfolgerungen sein mögen - von einem gemeinsamen Sprachverständnis aus. Sprache wird von ihnen als „Träger (Medium)" 1 2 , als „Handwerkszeug" 13 , als eben „das Instrument des Juristen" definiert 14 . Diese instrumentalistische Sprachauffassung geht konform mit dem positivistischen Rechtsnormmodell der herrschenden Meinung in der Rechtstheorie. Danach werden Rechtsnorm und Normtext gleichgesetzt. Die Rechtsnorm erscheint als bloßer Text, der auf soziale, aber in diesem Sinne „außer"-rechtliche Wirklichkeit referiert. Richterliche Tätigkeit erschöpft sich in einem derartigen Modell als Subsumtion unter die Begriffe einer fertig vorgegebenen Rechtsnorm 15 . Theoretisch bleibt hierbei die Einbeziehung von Realdaten aus dem Wirklichkeitsbereich ausgeblendet, praktisch schlagen diese gleichwohl - in unkontrollierbarer Weise, z.B. im Wege „teleologischer" Erwägungen oder als „Natur der Sache" durch. Rechtsprechung wird solchermaßen als kognitiver Vorgang gedacht, als passives „Herauslesen" immer schon durch das Gesetz gelöster Fälle. Verfassungstheoretisch gründet das Normmodell des klassischen Positivismus auf einer kruden Interpretation von Montesquieus Verdikt, der Richter sei „rien que la bouche de la loi". Rechtssoziologisch besteht seine Funktion darin, die Entscheidungsverantwortung des Richters auf jeweils fernere, abstraktere Instanzen zu verschieben und damit legitimationsentlastend zu wirken 16 . Die Prämissen des positivistischen Normverständnisses verweisen, infolge der Gleichsetzung ,Normtext = Rechtsnorm 4, wiederum auf die schon genannte instrumentalistische Sprachtheorie, welche der herrschenden Meinung implizit zugrundeliegt. Eine derartige Sprachauffassung, wonach das einzelne Schriftzeichen Träger von Vorstellungen bzw. Bedeutungen ist, betont die Repräsentationsfunktion des Zeichens. Der sprachliche Ausdruck steht für einen Gegenstand der außersprachlichen Wirklichkeit, er repräsentiert diesen gewissermaßen 17. Das Zeichen bildet einen gewissen Teilaspekt des 10
So z.B. R. Hegenbarth (Anm. 9), S. 40ff., 126, 171. 11 BVerfGE 1, 299, 312; st. Rspr. und h.M. 12 J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtswissenschaft, 1970, S. 10. 13 B. Großfeld, Sprache, Recht, Demokratie, in: NJW 1985,1587ff., 1587. 14 B. Großfeld, Sprache und Recht, in: JZ 1984, Iff., 1. 15 Vgl. dazu R. Christensen, Strukturierende Rechtslehre, in: Ergänzbares Lexikon des Rechts, Abt. Rechtsphilosophie (hrsg. v. N. Achterberg), S. 1. 16 W. Kilian, Juristische Entscheidung und elektronische Datenverarbeitung, 1974, S. 80.
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Wirklichkeitsbereiches gleichsam ab, wobei beide Seiten sich aus abgeschlossenen Entitäten zusammensetzen. Aufgabe des Richters ist es dabei, das sprachliche Zeichen auf den vermeintlich außersprachlichen Sachverhalt zu beziehen 18 . Im Sinne des klassischen Positivismus bereitet eine solche Bedeutungsfindung schon deshalb keine Schwierigkeiten, weil das Sprachzeichen als begrifflich völlig abgesteckt gedacht wird, der Einzelfall mithin immer schon von dieser Begrifflichkeit umfaßt und gelöst ist. Gleichwohl konnte in der juristischen Entscheidungspraxis dieser Euphemismus nicht durchgehalten werden. Rechtsprechung ohne Verweis auf Realdaten des vom Normtext intendierten Wirklichkeitsbereiches ist schlechterdings kaum nachweisbar. Die Nichteinlösbarkeit der Prämissen des klassischen Positivismus in der praktischen Rechtstätigkeit führte denn auch zum theoretischen Überdenken dieses Rechts Verständnisses. Insofern kreist die neuere Diskussion in Rechtstheorie und Methodik stets um die Schwierigkeit, „außer"-sprachliche bzw. „außer"rechtliche Elemente in den Vorgang der Rechtsfindung einzugliedern. Da „die Norm für sich allein (nicht) bereits die Entscheidung eines konkreten Falles (enthalte)", könne „das Gesetz nur konkretisiert werden . . . mit Rücksicht auf die zu regelnden möglichen Lebenssachverhalte" 19. Hierbei geht es darum, den im Normtext enthaltenen abstrakten Rechtsbegriff unter Berücksichtigung der den Sachverhalt konstituierenden sogenannten notwendigen Merkmale zu konkretisieren. Die Bedeutung des sprachlichen Ausdrucks, dessen sprachliche Referenz, glaubt man dadurch gewinnen zu können, daß man die sogenannten Wesensmerkmale des Referenten (also des bezeichneten Gegenstandes) erforscht, um diese zum Begriff des jeweiligen Sprachzeichens zu verdichten. Der Begriff, der sich derart aus den allgemeinen, nicht-individuellen Eigenschaften des Referenten zusammensetzt, bildet seinerseits wieder die Brücke, die Zeichen und Bedeutung im Vorgang der Rechtsfindung verbinden soll 20 . Denn: „Die Wirklichkeit muß angemessen in den Begriffen abgebildet werden, und die verwandten Begriffe müssen zur Umsetzung in die Wirklichkeit als Teil einer Norm geeignet sein" 21 . So argumentiert beispielsweise das Bundesverfassungsgericht in dem berühmten „Mephisto"Beschluß 22 , „der Lebensbereich ,Kunst4 (sei) durch die vom Wesen der Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerkmale zu bestimmen . . . Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist . . .": Es folgen notwendige 17
M. Frank, Was ist Neostrukturalismus?, 1984, S. 138ff. Zur Kritik am sprachwissenschaftlichen Repräsentationsmodell und dessen Voraussetzungen: J. Broekman, Juristischer Diskurs und Rechtstheorie, in: Rechtstheorie 1980, 17ff. 19 A. Kaufmann, Rechtsphilosophie im Wandel, 1972, S. 287. 20 Vgl. zum juristischen Begriffsdenken sowie zur Referenzproblematik: B. Jeand'Heur, Sprachliches Referenzverhalten bei der juristischen Entscheidungstätigkeit (in Vorbereitung). 21 R. Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 151. 22 BVerfGE, 30, 173ff., 188f. 18
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Merkmale, darunter „die freie schöpferische Gestaltung . . ."; „ein Ineinander von be wußten und unbe wußten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind . . ."; „Intuition, Phantasie und Kunstverstand . . usw. Danach wird der Begriff „definiert (und gebildet) durch die Summe seiner Merkmale" 2 3 , die entweder direkt - wie ausgeführt - aus den Realdaten, ζ. B. aus dem Blick auf die „Natur der Sache" oder aus vorgeblich rein sprachlichen Vorstellungen, z.B. der „Rechtsidee" und ähnlichen geistigen Entitäten (welche sich quasi in einer Zwischenwelt von Sprachzeichen und Referent im menschlichen Bewußtsein bilden sollen) gewonnen werden 24 . Normtextauslegung, juristisches Referenzverhalten, so wie es das vorherrschende Begriffsdenken versteht, könnte man demnach als Puzzlespiel bezeichnen: Der Rechtsanwender muß die wesensmäßigen Eigenschaften der im Sachverhalt strittigen Gegenstände, Abstrakta etc. herausfinden; aus dem Baukasten der Sprache gilt es sodann die diese Merkmale bezeichnenden Ausdrücke herauszugreifen und sie zu dem gesuchten Begriff zusammenzusetzen, unter den sich schließlich der Sachverhalt subsumieren läßt. Π Ι . Spielregeln der Rechtsarbeit aus der Sicht der Strukturierenden Rechtslehre Die Kritik der Strukturierenden Rechtslehre am positivistischen Vorstellungsbild der Entscheidungsfindung setzt zunächst an dessen Normmodell an. Die darin enthaltene Verkürzung der Norm auf ihren Normtext wird als ungenügende Beschreibung juristischer Tätigkeit bezeichnet, welche den Anforderungen nachvollziehbarer Rechtsarbeit nicht gerecht zu werden vermag. Die Strukturierende Rechtslehre versteht den Normtext, das was die herkömmliche Ansicht also schon mit der Norm selbst verwechselt, unter zwei Hauptaspekten nur als die „Spitze des Eisbergs": Einerseits dient der Normtext als sprachliches Eingangsdatum des Entscheidungsfindungsvorgangs nur zur Formulierung des Normprogramms, das auf den von ihm intendierten Normbereich als ein die Vorschrift mitkonstituierendes Element verweist. Andererseits geht aus dem Normtext selbst - entgegen der herrschenden Meinung keine Normativität hervor. Diese folgt vielmehr erst aus der Entscheidungstätigkeit des Rechtsarbeiters, der durch die Rechtsordnung rechtsverbindliche Regelungskraft zugesprochen wird 2 5 . Nicht der Normtext regelt den konkreten Fall, sondern der ihn anwendende Rechtsarbeiter als Subjekt des Konkretisierungsvorgangs . Der Normtext hat nur Zeichenwert, er enthält keine verdinglichten juristischen Begriffe, sondern vielmehr Sprachdaten, die auf ihre jeweilige 23 24 25
H. Hätz, Rechtssprache und juristischer Begriff, 1963, S. 59. P. Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979, S. 73. F. Müller, Juristische Methodik, 2. Aufl. 1976, S. 107.
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Gebrauchsweise hin untersucht werden müssen. Aus der methodischen Verarbeitung dieser Sprachdaten - z.B. unter Zuhilfenahme der klassischen Auslegungskanones und anderer Konkretisierungshilfsmittel - kann der Jurist das Normprogramm erarbeiten, mit dessen Hilfe die Teilmenge der empirischen Zusammenhänge ausgewählt werden soll, die den Normbereich bilden als Ausschnitt derjenigen Realdaten, denen normative Bedeutung zukommt 26 . Erst auf dieser Stufe des Konkretisierungsvorganges hat der Rechtsarbeiter aus dem Normtext die allgemeine Rechtsnorm, bestehend aus Normprogramm und Normbereich, gebildet. Erst jetzt kann im Wege einer Subsumtion die individualisierte Entscheidungsnorm aus der Rechtsnorm entworfen und somit der konkrete Fall gelöst werden. Auf den Punkt gebracht: Die Rechtsnorm ist dem Rechtsarbeiter nicht schon vorgegeben, begrifflich abgesteckt, sondern wird überhaupt erst und durch ihn hergestellt. Sie ist kein repräsentatives Abbild von Wirklichkeit, sondern „sprachlich formuliertes und als verbindlich aufgestelltes Modell einer zu realisierenden Ordnung" 27 . Aus dem kognitiv, nur passiv erkennenden Rechtsanwender der herrschenden Auffassung wird mithin der aktiv handelnde Jurist. Entscheidungsfindung wird im Verständnis der Strukturierenden Rechtslehre als juristische Handlungstheorie, eben wie schon eingangs erwähnt als Sprachspiel beschreibbar. A n diesem Bild des Sprachspiels läßt sich die zur positivistischen Rechtstheorie grundverschiedene Arbeitsweise der Strukturierenden Rechtslehre vielleicht am besten verdeutlichen. Die Spielregeln nehmen in beiden Auffassungen einen unterschiedlichen Stellenwert ein. Das Begriffsdenken der herrschenden Auffassung geht von einem geschlossenen Modell der Bedeutungsfindung aus, in dem theoretisch kein Platz ist für die Einführung neuer Spielzüge, neuer Bedeutungsfestsetzungen durch den Rechtsanwender. Alle Spielregeln des Sprachgebrauchs sind fest vorgegeben, jeder Spielzug muß letztendlich in der als eindeutig gedachten Bedeutungsstruktur des jeweiligen Rechtsbegriffs gründen. Je fester, sicherer die Bedeutungsregeln der einzelnen Spielarten positivistischen Rechtsdenkens sich geben, als desto größer offenbaren sich aber die Probleme bei der praktischen Anwendung derselben. Die „Gesetzesauslegung" gebiert ungeahnte Bedeutungsverschiebungen sowie die ständige Infragestellung bisher als gefestigt geltender Gebrauchsregeln. Trotz mannigfacher Bemühungen und selbst unter Zuhilfenahme.sprachwissenschaftlicher Anleihen ist es noch immer nicht gelungen, die Bedeutungstheorie zu entdecken, welche die beträchtlichen Reste an Unsicherheit aus der juristischen Begriffsfestung vertreiben könnte. Die Aussichtslosigkeit eines derartigen Unterfangens akzeptierend, schlägt die Strukturierende Rechtslehre vor, die Grundfragen der Rechtsarbeit nicht länger als solche von Begriffen zu behandeln, statt dessen aber die tatsäch26 27
F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, 1984, S. 230ff. F. Müller, ebd., S. 266.
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liehen Konkretisierungsakte zu untersuchen und diese als Vorgänge aufzufassen 28 , welche zwar, aber auch nur den Spielregeln des Verfassungsrechts und dessen Textstruktur unterliegen. Der Normtext gibt demnach keine feste Regel seines Gebrauchs vor. Ebensowenig lassen sich Sprach- und Realdaten im Sinne des herkömmlichen Repräsentationsmodells in e;in dualistisches Referenzverhältnis zwängen, wonach Sprachzeichen Wirklichkeitssegmente einfach widerspiegeln könnten. Dies schon deshalb nicht, weil Sprachdaten als „primär sprachlich konstituiert" bzw. Realdaten als „sekundär sprachlich konstituiert" aufzufassen sind 29 . Insofern referiert ein Sprachzeichen 30 nicht auf außersprachliche Wirklichkeit; „außer"-sprachliche Realdaten sind nämlich selbst nur als sprachlich vermittelte Zeichen denk- und formulierbar. Im Wege der Untersuchung der Funktionsweise sprachlicher Zeichen kommt die Strukturierende Rechtslehre zur Ablehnung der in der Rechtstheorie gängigen Auffassung, der sprachliche Ausdruck sei Träger „außer"-sprachlicher Vorstellungen oder vorsprachlicher Bedeutungen. ,Bedeutung4 (signifié) ist selbst nur eine, die Sinn-Seite des Sprachzeichens, auf die dessen andere, die AusdrucksSeite (Signifikant) verweist 31 . Signifikat und Signifikant sind als gleichrangige Bestandteile eines jeden Sprachzeichens den Strukturbedingungen unterworfen, die das Zeichen innerhalb der langue eingehen muß. Deshalb gründet alle Bestimmtheit des Sinns in Unterscheidungen, welche das einzelne Zeichen innerhalb des Sprachsystems von allen anderen Zeichen in charakteristischer Weise trennt. Nicht aus sich heraus gewinnt das Zeichen Bedeutung, sondern allein aus seiner nicht abschließbaren, durch den Sprecher immer verschiebbaren Differenz zu den übrigen Zeichen des Systems. Daraus folgt: 1. Bedeutungen sind nicht begrifflich fest und unveränderlich vorgegeben, können mithin also auch nicht in sogenannten notwendigen oder wesensmäßigen Merkmalen zusammengefaßt werden 32 . 2. Jede Bedeutung ist nur im Sprachsystem ausdrückbar, nie rein gegenständlich vorhanden; jedes Signifikat ist infolge seiner differentiellen Bestimmtheit selbst wiederum Signifikant für weitere Signifikate und steht in differentiellem Verhältnis zu anderen Zeichen 33 . Von daher läßt sich sagen: Realdaten werden durch Sprachzeichen erst mitteilbar, werden durch diese in gewissem Sinne überhaupt erst konstituiert; mit Sprache schaffen und verändern wir Wirklichkeit. Was aber allgemein für Sprachzeichen gilt, trifft auch in bezug auf juristische Ausdrücke, auf Normtexte zu. Kehren wir also zur Aus28 F. Müller, ebd., S. 374. 29 F. Müller (Anm. 25), S. 272. 30 Eigentlich müßte es heißen: Der Sprecher referiert mittels des Sprachzeichens; deshalb handelt es sich hier und im folgenden um eine metaphorisch vereinfachende Sprechweise, zur Vermeidung von Längen und Wiederholungen. 31 M. Frank (Anm. 17), S. 89 u. passim. 32 Vgl. dazu auch S. Kripkes grundsätzliche Kritik in: ders., Name und Notwendigkeit, 1981; sowie: B. Jeand'Heur (Anm. 20). 33 J. Derrida , Positionen, 1986, S. 56f.
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gangsfrage zurück: Was geschieht eigentlich im Vorgang der Rechtsprechung, wie funktioniert juristische Entscheidungstätigkeit? Ich möchte den normtheoretischen Ansatz der Strukturierenden Rechtslehre wie folgt näher verdeutlichen: Der Normtext enthält als Ausgangsdatum eine Referenzanweisung, welche den Rechtsarbeiter auffordert, auf den mit Hilfe des Normprogramms ausgesuchten Wirklichkeitsbereich Bezug zu nehmen und diesen im Sinne der im Normtext enthaltenen Konsequenzanweisung zu gestalten. Demnach werden Normtext (in zum Normprogramm ausgearbeiteter Gestalt) sowie sprachlich vermittelter Wirklichkeitsbereich im Referenzakt stets neu konstituiert 34 . Die zweifache Funktionsweise des Normtextes - Bezugnahme und (Neu-)Gestaltung - folgt aus der Ablehnung des Repräsentationsmodells und der damit zusammenhängenden Abbildvorstellung des Referenzverhältnisses von ,Sprache - Wirklichkeit 4 . Wenn nun aber einerseits ein Abbildverhältnis Normtext - Wirklichkeit verneint und andererseits auch keine festen Gebrauchsregeln des Normtextes anerkannt werden, so stellt sich sofort die Frage, wie ein Abgleiten in anarchistischen Sprach-„gebrauch" bei der juristischen Arbeit zu verhindern ist? Wie läßt sich dann noch der Einwand der Unsicherheit bei der Rechtsfindung 35 zurückweisen? Die Ablehnung einer fixen Bedeutungszuschreibung von Sprachzeichen impliziert nun aber nicht die Annahme von Bedeutungsbeliebigkeit. Sprache ist nicht willkürlich. Damit das Sprachzeichen als solches les- oder verstehbar bleibt, muß es - selbst bei völliger Abwesenheit eines Empfängers - wiederholbar ^ein. Der Sprachcode als „Organon der Wiederholbarkeit" 36 bietet nun zwar immer Gelegenheit, die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks im Wege der Wiederholbarkeit des Zeichens festzusetzen, doch erschöpft sich diese Bedeutung keineswegs in der Gegenwart seiner Einschreibung. Wiederholbarkeit (oder: Iteration) meint nicht einen stets beständigen, nicht veränderbaren Nachvollzug des Zeichens, das auf einen fixen Referenten oder Sinn weisen müßte. Die bedeutungskonstituierenden Differenzen der Sprachzeichen untereinander sind diesbezüglich weder vom Himmel gefallen noch in eine geschlossene taxonomische Struktur eingebunden 37 . Différance als aktives Moment der Strukturverschiedenheit weist statt dessen auf eine immer vorhandene Neufestsetzung von Bedeutung: Nachvollzug ist nie Rekonstruierung, stets déconstruction, immer Neukonstituierung. Jedes Zeichen enthält die Kraft eines Bruches mit dem Kontext, kein Sinnzusammenhang vermag es einzuschließen38. Das Prinzip des „ungesättigten Kontextes" 39 sowie die aus 34 Vgl. zum Ganzen: B. Jeand'Heur (Anm. 20), sowie ders. t Der Normtext: Schwer von Begriff oder Über das Suchen und Finden von Begriffsmerkmalen, in diesem Band. 35 Dazu kritisch: Ρ. Schiffauer (Anm. 24), S. 129. 36 J. Derrida, Signatur, Ereignis, Kontext, in: der sRandgänge der Philosophie, 1976, S. 134ff. 37 J. Derrida (Anm. 33), S. 68. 38 Vgl. dazu und zur Wortlautgrenze: R. Christensen, Der Richter als Mund des sprechenden Textes, in diesem Band.
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der Struktur der Iterierbarkeit des Zeichens folgende Fähigkeit der Schrift zur Dissemination verkörpern einen Bruch mit dem herkömmlichen Verständnis von Kommunikation als Kommunikation von Bewußtsein oder von Anwesenheiten bzw. von der Übermittlung eines mit sich identischen Meinens. „Das Ablösen jeder Schrift vom semantischen oder hermeneutischen Horizont. . . als Horizont des Sinns . . , " 4 0 sollte zum Überdenken der Position der juristischen Hermeneutik führen. Die Strukturierende Rechtslehre argumentiert analog, indem sie herausarbeitet, daß weder der historische Gesetzgeber noch der objektivierte Sinn, der angeblich im Gesetze schlummert, demzufolge in der Lage sind, Sinnkontexte „der" Bedeutung zu stiften, gar zu verfestigen. Der Gebrauch von Zeichen trägt deren unkontrollierbare Veränderung in sich. Es gibt keine vorgängige Identität von Bedeutungen, genausowenig wie es ein vorsprachliches Subjekt gibt, das den Zeichen sprachliche Bedeutung im Sinne privatsprachlichen Meinens aufzudrücken vermag. Die Kette der Zeichenverwendungen bedingt eine Pluralität von Verwendungsweisen, zieht unabschließbare Verschiebungsmöglichkeiten von sprachlichem Sinn nach sich 41 . Das Rechtsstaatsgebot, wie überhaupt die verfassungsrechtlichen Spielregeln der Ausübung von Rechtsarbeit, fordern keine Bestimmtheit oder Sicherheit der Rechtsbegriffe bzw. Bedeutungen, gefordert ist allein Sicherheit, d.h. Nachvollziehbarkeit der methodischen Bearbeitungsweise im Entscheidungsvorgang. Die damit eingeforderte Rationalität ist kein philosophischer oder wissenschaftstheoretischer Maßstab im Sinne eines zentralen metaphysischen Signifikats. Selbst auch Signifikant, sprachlicher Ausdruck, verweist sie auf den praktisch verwirklichbaren Einbezug rechtsmethodischer Bearbeitungsweisen sowie die Beachtung der in anderen Wissenschaftsgebieten gewonnenen Ergebnisse. Insofern sollten die geschilderten Erkenntnisse der Sprachwissenschaft Allgemeingut der rechtstheoretischen Diskussion werden. Klarheit über die Textstruktur unserer Verfassungsordnung, Erörterung der Funktionsweisen des Normtextes im Referenzvorgang der Rechtsprechung sind hierbei die ersten Schritte zur Erschütterung von Sprachfiktionen, welche nur vordergründig Sicherheit gewährleisten können. Dabei kommt dem Rechtsarbeiter jeweils die entscheidende Rolle zu. Indem er mittels des Normtextes Referenz- und Konsequenzanweisungen ausführt, legt er in Referenzfixierungsakten 42 Regeln für den referentiellen Gebrauch der in Frage stehenden Ausdrücke fest bzw. bezieht sich auf deren anerkannte Verwendungsweisen indem er sie originär wieder spricht. 39
J. Derrida (Anm. 36), S. 134f. 40 /. Derrida , ebd., S. 135. 41 A. Wellmer, Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, 1985, S. 81. 42 R. Wimmer y Referenzsemantik, 1979, S. 110 ff. und durchgehend; sowie B. Jeand'Heur (Anm. 20).
I I . Einzelstudien Praktisch-semantische Probleme zwischen Linguistik und Rechtstheorie Von Rainer Wimmer und Ralph Christensen I . Berührungspunkte zwischen praktischer Semantik und Rechtstheorie Rechtsarbeit vollziëht sich in allen tatsächlichen und denkbaren Bereichen als Arbeit in, an und mit der Sprache; Rechtshandlungen sind sprachliche Handlungen. Deshalb können alle Teildisziplinen der Sprachwissenschaft angesprochen sein, wenn man nach Berührungspunkten von Linguistik und Jurisprudenz fragt. Im Laufe der neueren Geschichte beider Wissenschaften haben sich je nach den vorherrschenden Problemlagen in der wissenschaftlichen Diskussion, je nach Interessen, Kooperationsmöglichkeiten und natürlich auch Moden selbstverständlich verschiedene und wechselnde Schwerpunkte im Sich-gegenseitig-Wahrnehmen und Gegenseitig-Beeinflussen ausgeprägt. Sprach- und Literaturwissenschaften und Jurisprudenz hatten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein eine gemeinsame Geschichte unter dem Dach dessen, was man später und bis heute Geistes Wissenschaften nennt. Personalunion in der Bearbeitung von Themen und Gegenständen, die heute fein säuberlich in die Grenzen der Einzelwissenschaften verwiesen sind, war keine Ausnahme. Heute tun sich die Sprachwissenschaft und die Rechtswissenschaft allerdings oft schwer allein in der Wahrnehmung gemeinsamer Fragestellungen, geschweige denn in der konkreten Kooperation. Dabei beruhen die gemeinsamen Fragen nicht nur auf mehr oder weniger zufälligen Überschneidungen von Interessen, vielmehr betreffen sie auch konstitutive Gegenstände der beiden Wissenschaften. Es geht beispielsweise um die jeweils angemessene Bestimmung des Sprachbegriffs. Daß der Sprachbegriff für die Wissenschaft vom Recht eine konstitutive Rolle spielt, erhellt aus der Tatsache, daß alle Rechtshandlungen Sprachhandlungen sind. Die Einbettung von Rechtshandlungen in den· Bereich der Gesamtheit von Sprachhandlungen, deren die Sprecher einer Sprachgesellschaft mächtig sind, wird von Juristen und Rechtslehrern immer wieder betont. „Rechtskultur ist Teil der Sprachkultur" 1 , heißt es, und dieser Zusammenhang wird besonders 1
P. Kirchhof\
Die Bestimmtheit und Offenheit der Rechtssprache, 1987, S. 6.
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herausgestellt im Hinblick auf die Notwendigkeit, den Inhalt von Normtexten (Gesetzestexten) den Rechtsunterworfenen zu vermitteln, und zwar in ihrer eigenen Sprache oder zumindest in einer Sprache, die ihnen verständlich ist. Die Notwendigkeit ergibt sich aus dem Erfordernis, positives Recht mit Anforderungen an die Gerechtigkeit, die nach allgemeinem Verständnis der Teilhaber/innen an der Sprachgesellschaft zu stellen sind, zu vermitteln. Für den Sprachwissenschaftler ergeben sich aus diesen allgemeinen Feststellungen zunächst keine Probleme. Bemerkenswert ist für ihn aus heutiger Sicht allerdings, daß von juristischer Seite die Vielfalt und Differenziertheit des Systems der natürlichen Sprache häufig unterschätzt wird 2 . In programmatischen Äußerungen von Juristen zum Verhältnis der Sprache des Rechts zur Allgemeinsprache dominiert normalerweise die Erwartungshaltung, daß der allgemeine Sprachgebrauch den normativen Anforderungen des Rechtshandelns entgegenzukommen habe. Diese Einstellung erscheint nachvollziehbar und verständlich sowohl vor dem Hintergrund der pragmatischen Rahmenbedingungen für das Rechtshandeln (Entscheidungszwang) wie auch aufgrund des hohen institutionellen Rangs, den das Rechtshandeln im Staate einnimmt. Durchsetzbare Normierungen erleichtern dem Normierer das Handeln, und so muß es bei der zunehmenden - wenn auch oft kritisierten - Juridifizierungsbereitschaft in immer mehr Lebensbereichen unserer Gesellschaft im Interesse des Juristen liegen, seinen eigenen Sprachgebrauch immer weitgehend in der Allgemeinsprache durchzusetzen. Wer aufgrund der ihm zugedachten Aufgaben verpflichtet ist, sich möglichst weiten Kreisen der Gesellschaft verständlich zu machen, muß danach streben, seinen eigenen Sprachgebrauch möglichst effektiv zu verbreiten. Denn das ist für ihn der einfachste Weg, Verstehensmöglichkeiten und Verständnis für das zu erwirken, was er zu sagen hat. Eingehen auf die vielfältig differenzierte Sprache des anderen, des Rechtsunterworfenen aus der Sicht des Juristen, erscheint hier meistens als der schwierigere und vor allem als der unökonomische Weg. Aufgrund solcher Erwägungen kann man die angedeutete generelle Einstellung von Juristen zur Allgemeinsprache nicht pauschal kritisieren. Pauschalierungen sind schon deshalb nicht nützlich, weil hinter den Einstellungen mehr oder weniger starke Zwänge zur Wahrnehmung von gesellschaftlich zugeteilten Aufgaben stehen. Das Entscheidungsinteresse der Juristen ist ja nicht immer ein jeweils persönlich gemeintes und beanspruchtes Interesse. Aus linguistischer Sicht geht es vielmehr um funktionalsprachliche und funktionalstilistische Orientierungen. Die Rechtssprache erscheint zu einem guten Teil auch als ein Produkt der sprachlichen Arbeitsteilung in der Gesellschaft; und diese funktionalsprachliche Arbeitsteilung verdient eine differenzierte
2 Vgl. die entsprechenden Artikel im Teil I V von H. P. Althaus / H. Henne / H. E. Wiegand (Hrsg.), Lexikon der Germanistischen Linguistik, 2. Aufl. 1980.
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Betrachtung und Bewertung - wenn Kritik, dann eine differenziert begründete - und nicht pauschale Urteile in die eine oder andere Richtung. Aus einer ambivalenten und - aus den genannten Gründen - eher kritischen Grundeinstellung heraus haben Linguisten in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Rechtssprache und rechtssprachlichen Gebrauch vor allem in ausgewählten Kommunikationsbereichen untersucht, die für den Rechtsarbeiter wichtig sind. Herausragende Themen, die aus linguistischer Sicht gewählt wurden, waren u.a.: forensische Kommunikation (Argumentation vor Gericht, Aushandlung von Tatbestandsmerkmalen, Dialogorganisation usw.), Pragmatik des juristisch-institutionellen Handelns, Aktenanalyse, Konversationsanalysen, natürlich-sprachliche und logische Formen von Urteilskonstruktionen 3 . Die gewählten Themen entsprechen zumeist Orientierungen, die sich aus der Textlinguistik heraus ergeben haben. Text analyse ist natürlich ein althergebrachtes Aufgabengebiet der Linguistik. Text und Textgrammatik sind in der Sprachwissenschaft seit den 60er Jahren jedoch neu entdeckt worden 4 - gewissermaßen im Gegenzug gegen den sprachsystemzentrierten Strukturalismus, der in der mitteleuropäischen Linguistik seit den 50er Jahren aus naheliegenden historischen Gründen einen neuen Aufschwung hatte - und diese textund konversationsanalytische Orientierung hat die linguistische Auseinandersetzung mit der Rechts- und Verwaltungssprache weitgehend bestimmt. Thematisiert und untersucht wurden vor allem dialogische Auseinandersetzungen um rechtsrelevante Gegenstände. Es ging um sprachliche Auseinandersetzungen in Bereichen, die aus der Sicht des Rechtsarbeiters die Grenzen zwischen intern-juridischer Kommunikation und allgemein-sprachlicher Kommunikation markieren, ζ. B. um die Argumentation vor Gericht, in der die Rechtsunterworfenen in aller Regel des Übersetzerbeistands durch einen Rechtsanwalt bedürfen. Diese kommunikativen Grenzbereiche sind auch aus der Sicht des Rechtsarbeiters von außerordentlichem Interesse, insofern es darum geht, rechtsnormrelevanten Vorstellungen möglichst große Verbreitung in der Allgemeinsprache zu verschaffen. Die Bedeutung linguistischer Analysen in diesen Grenzbereichen zwischen juristischer Fach- und Wissenschaftssprache einerseits und Alltagssprache andererseits ist unbestritten. Es kann allerdings auch nicht übersehen werden, daß die textlinguistischen Orientierungen Einschränkungen für die Behandlung rechtssprachlicher Thematiken aus sprachwissenschaftlicher Sicht bedeuten. Eine wesentliche Einschränkung liegt gerade darin, daß systemlinguistische und vor allem systemlinguistisch-semantische Fragen, die in den Kern jeder Rechtslehre hineinreichen, nicht in Betracht gezogen werden. Beispielsweise arbeitet die verbreitete rechtspositi3 Vgl. die kommentierte Bibliographie von U. Reitemeier, Studien zur juristischen Kommunikation, 1985 ( = Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 56). 4 Vgl. die Artikel Textlinguistik und Texttheorie in H. P. Althaus / H. Henne IH. E. Wiegand (Hrsg.) (Anm. 2).
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vistische Subsumtionstheorie mit zahlreichen sprach- und vor allem semantiktheoretischen Annahmen, die in der empirisch-linguistischen Auseinandersetzung mit juristischen Kommunikationsformen bisher nicht dezidiert und ernsthaft und tiefgreifend genug thematisiert worden sind. Zu diesen sprach- und semantiktheoretischen Annahmen gehören Hypothesen und Feststellungen über die Fixiertheit und Fixierungsmöglichkeiten von Wort- und Textbedeutungen, über die Konstanz der Bedeutungen sprachlicher Einheiten, über das Verhältnis Sprache - Wirklichkeit und hier insbesondere über die Bezeichnungsfunktion einzelner alltagssprachlicher und wissenschaftssprachlicher Ausdrücke sowie der Abbildfunktion von Aussagen in bezug auf Sachverhalte und Tatsachen. Die Liste ließe sich leicht fortsetzen mit der Aufzählung weiterer konzeptioneller Komplexe, die sowohl in der linguistischen Semantik wie auch in der Rechtslehre von zentraler Bedeutung sind und trotzdem über die Fächergrenzen hinweg nicht hinreichend diskutiert werden. Die Beiträge in diesem Band thematisieren einzelne dieser zentralen sprach- und semantiktheoretischen Konzepte und eröffnen die Diskussion aus der Sicht der beiden beteiligten Fächer. Die Methode ist meistens die folgende: Der Umgang mit den Konzepten, so wie er sich im Bereich des Rechtsarbeiters zeigt, wird anhand einzelner ausgewählter Beispiele rekonstruiert und nachgezeichnet und dann mit Fragen konfrontiert, die sich aus der aktuellen sprach- und semantiktheoretischen Diskussion ergeben. Allein das Nachzeichnen der Vorgehensweise des Juristen unter einem sprachtheoretisch geschärften Blick läßt die Probleme oftmals schon zutage treten. Sie bedürfen lediglich der Zuspitzung und Pointierung, um jeweils die Punkte zu markieren, an denen sich eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Juristen und Linguisten lohnt und auch dringend erforderlich ist, um eine solide Grundlage für die Spracharbeit in der Praxis zu schaffen. Die Berührungspunkte zwischen praktischer Semantik und Rechtstheorie 5, die in dem vorliegenden Band thematisiert werden, betreffen entsprechend dem eben Gesagten vor allem semantiktheoretische und praktisch-semantische Fragen; sprachtheoretische Probleme und Auffassungen sind in diese Fragen eingeschlossen. Im folgenden sollen - um die linguistische Perspektive noch etwas zu verdeutlichen - einige Grundpositionen der praktischen Semantik in knapper Form markiert werden. I I . Grundpositionen der praktischen Semantik Allgemeiner Untersuchungsgegenstand der praktischen Semantik sind die sprachlichen Regeln, nach denen Sprecher handeln, wenn sie sprachlich kom5 Vgl. dazu R. Wimmer, Berührungspunkte zwischen Rechtswissenschaft und Linguistik, in: Loccumer Protokolle 31/1980, S. 171 - 177.
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munizieren 6 . Dabei wird ein ganz bestimmter Regelbegriff vorausgesetzt, der in Anlehnung an Wittgensteins Spätphilosophie entwickelt wurde und auch in einer Reihe neuerer germanistisch-linguistischer Veröffentlichungen wiederholt erläutert worden ist 7 . Zunächst einmal sind unter Regeln, speziell sprachlichen Regeln, keine Merksätze zu verstehen, wie man sie etwa in Grammatiken als Beschreibungen von Teilen des Sprachsystems oder als Lehrbüchern zur Erlernung der Sprache findet, auch keine Vorschriften oder Befehle. Ferner sind Regeln nach unserem Gebrauch dieses Ausdrucks auch keine Angaben von Algorithmen als Mengen von eindeutig bestimmten Operationen zur Lösung bestimmter Aufgaben, damit auch keine Sätze, Regelformulierungen oder Formeln, wie man sie in formalen Grammatiken findet. Regeln werden vielmehr aufgefaßt als Muster, die unserem sozialen Handeln zugrundeliegen. Ein Beispiel: Wenn eine Person A einer Person Β begegnet und A hebt die rechte Hand zum Kopf, so kann Β diese Bewegung nur als Gruß verstehen, wenn Β erkennt, daß A nach einer Konvention gehandelt hat, die ihnen beiden als Grüßen vertraut ist. A könnte ja auch - solche Interpretationen sind aufgrund des reinen Bewegungsablaufs durchaus plausibel seine Hand abwehrend oder schützend erhoben haben, eine Geste der Überraschung gemacht haben usw. Β versteht den Gruß, weil er mit A eine soziale Regel teilt, die beide in einer zumindest in diesem Punkt gleichen oder wenigstens ähnlichen Sozialisationsgeschichte gleichermaßen erworben haben und die ihnen gestattet, in allen möglichen unterschiedlichen Situationen Bewegungen dieses bestimmten Typs als Grußhandlungen auszuführen oder als solche zu verstehen. Das einfache Beispiel kann immerhin andeuten, in welcher Weise die Regeln in unserem Sinn als soziale Muster bzw. Konventionen für soziales Handeln konstitutiv sind: Die Regeln, die einzelnen Handlungen zugrundeliegen und denen die Handelnden folgen, wenn sie die einzelnen Handlungen ausführen, gestatten es überhaupt erst, physikalisch nachweisbare Abläufe (wie Bewegungen) als soziale Handlungen zu begreifen, weil sie allein das für das intersubjektive Verstehen sinnhafte Gleiche ansonsten sozial völlig unzusammenhängender Ereignisse darstellen. Soziale Handlungen und damit auch sprachliche Handlungen werden verstanden, indem die Handelnden (Sprecher) die einzelnen, aktuellen Handlungen Regeln (Mustern) zuordnen, die sie aufgrund ihrer Sozialisationsgeschichte gemeinsam beherrschen und die dementsprechend Teil ihrer sozialen (sprachlichen) Kompetenz sind. Das Verstehen, dessen Möglichkeit Handlungen wesentlich von Ereignissen unterscheidet, wird damit letztlich durch 6
Vgl. R. Wimmer, Referenzsemantik, Tübingen 1979, S. 26ff. Vgl. H. J. Heringer, Praktische Semantik, Stuttgart 1974; ders., Practical Semantics, 1978. 7
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gemeinsame Lebenserfahrungen der Partner bzw. durch eine aufgrund gleicher oder ähnlicher Lebenserfahrungen entwickelten Lebensform gesichert. Wenn gesagt wurde, die Handelnden könnten sich verstehen, indem sie einzelne, aktuelle Handlungen den von ihnen gemeinsam geteilten Regeln zuordnen, dann ist zuordnen freilich theoriebedingt metaphorisch zu verstehen: Im aktuellen Handeln, beispielsweise mit dem A k t des Jemanden-Grüßens, machen die Handelnden nicht immer noch zusätzlich die Zuordnungshandlungen. Man müßte dann annehmen, daß bei jeglicher Handlung immer noch gleichzeitig eine andere Handlung, nämlich des Zuordnens von einzelnen Handlungen zu Regeln, gemacht würde. Eine solche Annahme erschiene im Hinblick auf den Einzelfall redundant und wäre vor allen Dingen auch zur Erklärung des Verstehens unangemessen, weil das Verstehen einer Handlung selbst keine Handlung ist und damit durch Hinweise auf bestimmte Handlungen zumindest nicht vollständig erklärt werden kann. Die Rede vom Verstehen durch Zuordnung bestimmter Handlungen zu Regeln ist auch deshalb metaphorisch, weil auf Regeln als theoretische Konstrukte Bezug genommen wird, die linguistisch zur Beschreibung und Erklärung des sozial Gleichen an verschiedenen Handlungen angesetzt werden und die von den normalen Sprechern niemals spontan, d.h. unreflektiert, in ihrem sozialen Handeln auch nur berücksichtigt werden können. Denn die Handelnden folgen den ihrem Handeln zugrundeliegenden Regeln normalerweise blind. Ihre Sicherheit im Handeln beruht gerade darauf: Sie stützen sich in jeder aktuellen Handlungssituation unbewußt auf die Handlungsmuster, die sie im Laufe ihrer individuellen Sozialisationsgeschichte ebenso unbewußt erlernt haben. Sie können somit normalerweise gar nicht immer Handlungen vornehmen, mit denen sie ihr spontan situationales Handeln zu den diesem zugrundeliegenden Regeln in Beziehung setzen. Die Annahme von Regeln und von Zuordnungen einzelner Handlungen zu bestimmten Regeln beruht also auf einer linguistischen Konstruktion, die allerdings notwendig ist, um das sinnhaft Gleiche von Handlungen zu erfassen, die von den mit ihnen verbundenen Ereignissen her verschieden sind, und die weiterhin dadurch gerechtfertigt ist, daß kommunikativ Handelnde natürlicherweise immer wieder in die Lage kommen, aufgrund ihrer umgangssprachlichen Kompetenz tatsächlich auch die ihrem Handeln zugrundeliegenden Regeln zu thematisieren, wenn auch meistens auf einfache Weise wie etwa: Wenn jemand von seinem Nachbarn angesprochen wird, er habe ihn gestern nicht einmal begrüßt, als er vorbeiging, wird er - wenn er bei der Begegnung im Sinne unseres Beispiels gehandelt hatte - erwidern können: „ D u weißt doch, daß ich dich grüße, wenn ich die Hand hebe" oder: „Gilt das Handheben nicht mehr als Gruß?" oder ähnlich. Die Bemerkungen zum Regelbegriff lassen erkennen, daß ein sehr enger Zusammenhang zwischen sprachlichem Handeln und anderem sozialen Han-
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dein besteht. Sprachliches Kommunizieren ist eine spezielle Form des sozialen Handelns, indem die geltenden Handlungsmuster weitgehend an die phonematischen und syntaktischen Ausdrucksformen des Sprachsystems geknüpft erscheinen. Die sprachlichen Handlungsmuster sind weitgehend beschreibbar als Verwendungsweisen bestimmter sprachlicher Ausdrücke, d.h. als deren Gebrauchsregeln oder Bedeutungen. Danach sind die Bedeutungen sprachlicher Zeichen nichts anderes als ihre Gebrauchsregeln. Die Bedeutungen sprachlicher Zeichen liegen in ihrem Gebrauch, wie Wittgenstein vor allem in seinen Philosophischen Untersuchungen ausgeführt hat. In unserem Zusammenhang soll eine Eigenschaft, die sprachliche Handlungsmuster mit anderen sozialen Regeln gemeinsam haben, noch besonders hervorgehoben werden, weil sie für unsere Bedeutungsauffassung sehr wichtig ist. Es handelt sich um die Offenheit der Regeln im Hinblick auf ihre Befolgung. Verschiedene Handelnde folgen ein und derselben sozialen Regel unzählige Male in je unterschiedlichen Situationen. Jede einzelne aktuelle Handlung als Befolgung einer bestimmten Regel ist aufgrund ihrer je einmaligen historischen Bedingtheiten von allen anderen Handlungen verschieden. Ihr Zusammenhang mit einer bestimmten Regel, der sie überhaupt erst als Handlung verstehbar macht, ist ein sozialer Zusammenhang der Geltung: In einer Gruppe gilt die Handlung als Befolgung einer bestimmten Regel und wird als solche verstanden. Bezogen auf unser Beispiel von oben: Eine bestimmte Handbewegung gilt als Grüßen. Die Offenheit der Regel besagt nun, daß das, was in einer bestimmten Situation als Befolgung einer bestimmten Regel zu gelten hat, nicht ein für allemal festgelegt ist und auch nicht so festgelegt werden kann. Allein aus methodologischen Gründen erschiene eine solche Festlegung schon unmöglich: Sie würde voraussetzen, daß alle Handlungen, die als Befolgung einer bestimmten Regel zu gelten hätten, zumindest angebbar wären. Das wäre aber nur möglich über die ihnen zugrundeliegende Regel, ohne die sie gar nicht als Handlung, vielmehr nur - wie ausgeführt - als naturgesetzlich ablaufende Ereignisse erscheinen könnten. Es gibt also keine Möglichkeit, Handlungen völlig unabhängig von den zugrundeliegenden Regeln anzugeben und näher zu bestimmen, weil wir über die Regeln überhaupt erst Zugang zu den Handlungen bekommen. Es ist ausgeschlossen, Mengen von Handlungen isoliert von und ohne Bezugnahme auf bestimmte Regeln präzise zu bestimmen und daran anschließend dann erst Festlegungen darüber zu treffen, als Befolgungen welcher Regeln diese Handlungen gelten sollen. Solche Festlegungen liefen ferner jeglicher sinnvollen Auffassung von der historischen Entwicklung und ständigen geschichtlichen Veränderung einer Sprache zuwider. Sie würden nämlich alle Handlungen, die nach einer bestimmten Regel möglich sind, eindeutig vorherbestimmen und den sozialkonventionellen Zusammenhang zwischen einer Regel und ihren Befolgungen 3 F. Müller, Linguistik
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zu einem definitorischen Zusammenhang simplifizieren. Sie würden den Handelnden keinen Spielraum lassen, von einer Regel abzuweichen, Fehler zu machen, eine Regel zu verändern, Handlungen nach der einen oder der anderen Regel zu interpretieren usw. Kurz: Sie liefen auf den Versuch einer totalen Determinierung des kommunikativen Handelns hinaus. Für soziale Regeln ist im Unterschied zu Naturgesetzen aber gerade charakteristisch, daß man von ihnen abweichen kann, daß man sie verändern kann usw. In dieser Offenheit zeigen sich ihre soziale Begründetheit in einer gesellschaftlichen Praxis und ihre Historizität. Die Offenheit von Regeln hat weitreichende Konsequenzen für die linguistische Bedeutungsauffassung. Wenn man in Anlehnung an Wittgenstein die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke in ihrer Verwendungsweise sieht und dementsprechend Bedeutungen in engem Zusammenhang mit Handlungsmustern zu beschreiben sucht, kann man sie nicht als starre Entitäten auffassen, mit denen die Sprecher und Hörer wie mit Bausteinen umgehen, um in der Kommunikation das, was sie sagen bzw. verstehen, aufzubauen oder abzubauen. Bedeutungen sind vielmehr offene Regeln, die sich in der kommunikativen Praxis festigen und auch verändern. Eine Reflexion über den Zusammenhang von Praxis, Sprachgebrauch und Regeln kann vor allem zwei begriffliche Komponenten der Kennzeichnung praktische
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verdeutlichen:
a) Zum einen ist hier eine Semantik konzipiert, deren Bedeutungsbegriff möglichst konsequent handlungstheoretisch fundiert ist. Diese Konzeption richtet sich gegen jegliche ontologisierenden und Bedeutungen verdinglichenden Auffassungen vom sinn- und bedeutungsvollen Sprachgebrauch. Viele gängige Semantiken geben ihre Bedeutungsbeschreibungen dadurch, daß sie natürlichsprachliche Ausdrücke in kunst- oder konstruktsprachliche Ausdrücke übersetzen, anders gesagt: die Ausdrücke der zu beschreibenden Sprache L i in Ausdrücke einer Beschreibungssprache L2 übersetzen (z.B. Rappe hat die Bedeutung ,PFERD 4 -I- »SCHWARZ 4 , wobei ,X' Zeichen für ein sog. Bedeutungsmerkmal oder Sem ist). Derartige Bedeutungsbeschreibungen können nur recht eingeschränkten Zielen und Zwekken dienen; sie sind vor allem dann nicht hilfreich, wenn es um die kommunikative Konfrontation unterschiedlicher Gebrauchsweisen von Ausdrükken geht bzw. um die Austragung unterschiedlicher Meinungen über Bedeutungen und Bedeutungsfixierungen; letztere Situationen stehen aber normalerweise im Zentrum rechtslinguistischer Untersuchungen. b) Zum anderen ist die praktische Semantik praktisch, dadurch daß sie ihre Analysen und Beschreibungen auf die Sprachpraxis selbst zurückwendet. Das heißt - im üblichen Sinne ausgedrückt - die praktische Semantik ist anwendungsorientiert. Dies ist aber nicht in einem ebenfalls üblichen und flachen Sinne von anwendungsorientiert zu verstehen, vielmehr hat die
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Rückorientierung auf die Praxis weitreichende Konsequenzen für die Analyse - und Beschreibungsform, also methodische Konsequenzen: Die semantischen Beschreibungen sind nämlich möglichst konsequent so zu gestalten, daß sie für die tatsächlich in der Praxis an der Kommunikation Beteiligten verstehbar und potentiell verständlich sind. Sowohl in der Linguistik wie auch in der Rechtstheorie und Rechtspraxis spielen Regeln einer besonderen Art eine ausgezeichnete Rolle: das sind die Normen. Deshalb sollen im folgenden noch einige semantische Bemerkungen zum Normbegriff gemacht werden 8 . Normen sind Regeln besonderer Art. Sie sind vor allem in zweifacher Weise ausgezeichnet: (i) Sie sind mit Geboten verwandt. Sie haben Befehlscharakter und haben wie Gebote oder Befehle oder Vorschriften eine Quelle, von denen sie ausgehen: Normen werden bestimmt von Personen oder meistens von Personengruppen, die ihre Institutionalisierung zu sichern versuchen und darauf aus sind, daß sie eingehalten werden. Normen haben auch eine Adressatengruppe, die zwar normalerweise nicht so klar umgrenzt ist wie bei den meisten Befehlen und Vorschriften, die aber innerhalb der Gruppe von Sprachteilhabern, die überhaupt mit den entsprechenden Normen zu tun hat, deutlich von der Gruppe der Normengeber bzw. Normensicherer zu unterscheiden ist. Daran ändert nichts, daß die Sprachnormer sich selbst meistens nicht aus der Adressatengruppe ausnehmen. Zugleich Quelle und Adressat der Norm zu sein, schafft für sie auch kaum Konflikte, da sie sich in der Regel wohl nur für solche Normierungen einsetzen werden, die nicht im Widerspruch zu ihrer eigenen Sprachkompetenz stehen. Normalerweise sind die Adressaten von Normen ähnlich wie die Adressaten von Befehlen und Vorschriften von Sanktionen bedroht, die die Einhaltung der Normen stützen und mit denen die Sprachteilhaber bei Abweichungen von Regeln, die nicht Normen sind, nicht zu rechnen haben, (ii) Normen sind gegenüber anderen Regeln dadurch ausgezeichnet, daß sie leichter zu identifizieren sind. Dieses Merkmal hängt eng mit der Verwandtschaft von Normen mit Geboten oder Befehlen oder Vorschriften zusammen. Um Normen zu propagieren und durchzusetzen, muß man auf sie verweisen können. Das setzt nicht unbedingt voraus, daß es bestimmte weiter verbreitete oder gar in einer Gruppe von Sprachteilhabern allgemein anerkannte Formulierungen der Normen geben muß. Es ist aber notwendig, daß es irgendwelche Formulierungen oder auch Beschreibungen der Normen gibt, die den Sprachnormern dazu dienen können, die Normen in für die Adressaten verständlicher Weise zu identifizieren. Sprachnormer und Adressaten müssen sich mittels sprachlicher Ausdrücke auf Normen beziehen können, damit Normen so eingesetzt werden können, wie es andere Regeln, die wirksam sind, indem man 8 Vgl. R. Wimmer, Die Bedeutung des Regelbegriffs der praktischen Semantik für den kommunikativen Sprachunterricht, in: H. J. Heringer (Hrsg.), Seminar: Der Regelbegriff in der praktischen Semantik, 1974, S. 148ff.
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ihnen blind folgt, nicht in gleicher Weise zulassen: nämlich, um anderen Vorschriften zu machen. Gesetzestexte sind als Formulierungen von Normen zu verstehen, die in ihrer ausformulierten Gestalt genau den Zwecken dienen, die hier angedeutet worden sind. Auch aus der Sicht der Linguistik - und nicht nur aus der Perspektive der Strukturierenden Rechtslehre - ist hier strikt zu unterscheiden zwischen dem Normtext (als der Formulierung einer Norm; die Textlinguistik spricht hier auch von einem Textformular) und der Norm (als einer ausgezeichneten und in Geltung zu bringenden Regel). Für die praktische Semantik ergibt sich aus der Gegenüberstellung von primär befolgten Regeln auf der einen Seite und Normen auf der anderen Seite ein sprachkritisches Programm, das es auch in der Rechtslinguistik zu erproben gilt: Normen als die zu sekundären Vorschriften über die primären Sprechhandlungsmuster gewissermaßen erstarrten Regeln müssen gemessen werden an den alltäglichen Kommunikationsbedürfnissen der Sprachteilhaber und den umgangssprachlichen Mustern, denen die Sprachteilhaber tagtäglich folgen, um diesen Bedürfnissen gerecht zu werden. Dieses relativierende Messen der Normen an der umgangssprachlichen Kommunikation dient dem Ziel, sprachregelnde und reglementierende Einflüsse bewußt zu machen und einen auf die grundlegenden Sprechhandlungsmuster ausgerichteten reflektierten Sprachgebrauch zu fördern. I I I . Vergleich und Berührungspunkte: Praktische Semantik und Strukturierende Rechtslehre Praktische Semantik und Strukturierende Rechtslehre sind Theoriezusammenhänge, die in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen vollständig unabhängig voneinander entstanden sind. Wenn es Berührungspunkte zwischen beiden gibt, so liegen diese nicht auf der Ebene der Begrifflichkeit oder gemeinsamer theoretischer Ausgangspunkte, sondern im Herangehen an praktische Probleme. Die juristische Auseinandersetzung um den Gewaltbegriff vermag diese objektiven Parallelen deutlich zu machen. Einer der Brennpunkte des Streits war das sog. Schubarth-Urteil des OLG Frankfurt 9 , worin der Sprecher einer gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens gerichteten Arbeitsgemeinschaft wegen versuchter Nötigung der Landesregierung zu zwei Jahren Gefängnis mit Bewährung verurteilt wurde. Die Schubarth zur Last gelegte Tat bestand in einem Aufruf zu einer Demonstration, an der er selbst gar nicht teilnahm. Er äußerte dabei folgendes: „Wir wollen morgen eine Inspektion vornehmen, um festzustellen, ob der Frankfurter Flughafen wirklich so klein 9 Sachverhalt und Begründung werden im folgenden nach der gerichtlichen Urteilsausfertigung zitiert: O L G Frankfurt 1. StE. 1/82. Dieses Urteil ist abgedruckt in: A. Schubarth (Hrsg.), Der starke Staat. Dokumente zum Prozeß, 1983, S. 131ff.
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ist, daß er eine dritte Startbahn braucht. Wir möchten Euch durch einen eigenen Augenschein davon überzeugen, wie klein oder wie groß dieser Frankfurter Flughafen jetzt schon ist. Das Ziel unserer morgigen Aktion ist: Es muß vollständig gewaltfrei ablaufen, vollständig gewaltfrei!" 10 Bei der Strafzumessung wertete der Staatsschutzsenat als strafverschärfend den Umstand, daß der Angeklagte „bis zum Schluß an seiner eigenwilligen Definition der Gewalt festgehalten (hat), die er erst dort verwirklicht sieht, wo das Strafgesetzbuch bereits aggressive Gewalttätigkeit annimmt" 11 . In der Verwendung des Begriffs der gewaltfreien Aktion durch den Angeklagten kann das Gericht nur eine Anmaßung wahrnehmen, welche das beanspruchte Monopol zur verbindlichen Auslegung und Anwendung in Frage stellt 12 . Der Versuch des Angeklagten, den Begriff der Gewalt selbst zu definieren, erscheint dem Gericht deshalb als Indiz für dessen „Unbelehrbarkeit" 13 , „Rechtsanmaßung und Selbstüberschätzung" 14. Von der Verurteilung dieses besonders uneinsichtigen Täters verspricht sich das Gericht eine „Signalwirkung", weil „sich niemand bei gleicher Konfliktlage mehr darauf berufen (kann), er halte sein Handeln für gerechtfertigt" 15 . Die geschilderte Argumentation des Gerichts führt zu der Frage, welchen Zugang der Rechtsunterworfene zur juristischen Entscheidung haben kann. Diese Frage zielt nicht auf Verstehensbarrieren, die sich nur aufgrund oberflächlicher sprachlicher Erschwerungen wie Fachwörterverwendung und kompliziertem Satzbau ergeben, sondern es geht ihr um den Zugang zu den sprachlichen Normierungsprozessen, zu den Handlungsspielen, Interessen und Zielen, die mit Rechtstexten verfolgt werden. Die Position des Gerichts zu dieser Frage läßt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Die Richter betrachten die Definition des Gewaltbegriffs durch den Angeklagten als „eigenwillig", weil das geltende Strafgesetzbuch von einem ganz anderen Begriff der Gewalt ausgeht. Indem der „unbelehrbare" Angeklagte diese offensichtliche Definition des Strafgesetzbuches nicht anerkennt, setzt er seinen eigenen Willen an die Stelle des Gesetzes und begeht damit eine Rechtsanmaßung, die zur Strafverschärfung führen muß. Aus linguistischer Sicht wäre zu fragen, welcher Sprachbegriff bei dieser Argumentation des Gerichts vorausgesetzt wird. Die Annahme, daß der Gewaltbegriff des Strafgesetzbuchs so offensichtlich ist, daß ein Bestreiten nur als Rechtsanmaßung qualifiziert werden kann, geht 10 O L G Frankfurt 1. StE. 1/82, S. 31. 11 Ebd., S. 112. 12 Vgl. dazu auch J. Brink, Demonstrationsfreiheit und Nötigungstatbestand, in: Kritische Justiz 1983, S. 422ff. 13 O L G Frankfurt 1. StE 1/82, S. 112. 14 Ebd., S. 113. ι 5 Ebd., S. 116.
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von einer allgemein verständlichen Sprache des Gesetzbuchs aus. Wenn man der deutschen Sprache mächtig ist, kann man den Gewaltbegriff des Strafgesetzbuchs unmittelbar verstehen, so daß ein Bestreiten auf bösem Willen beruhen muß. Für den Linguisten stellt der hier vom Gericht vorausgesetzte Sprachbegriff aber eine Fiktion dar. Schon innerhalb der strukturalistischen Sprachtheorie wurde herausgearbeitet, daß die Annahme eines homogenen Sprachsystems auf Idealisierungen beruht, welche lediglich die Beschreibung der Sprache erleichtern sollten. Der methodologischen Homogenitätsannahme wurde schon hier die tatsächliche Heterogenität der historischen Einzelsprachen gegenübergestellt 16. Mit ihren dialektalen, soziolektalen und stilistischen Unterschieden 17 stellt jede Einzelsprache ein Konglomerat von Systemen oder ein Polysystem dar 18 . Die Grenzen zwischen diesen Systemen sind nicht mit klar definierten Staatsgrenzen zu vergleichen, sondern stellen sich als fließend dar. Erschwerend für die linguistische Analyse kommt hinzu, daß jeder Sprecher nicht nur eine mögliche Variante vollständig beherrscht, sondern verschiedene Varianten in unterschiedlichen Graden. Daß zwei Sprachteilhaber einen identischen Sprachbesitz aufweisen, ist deswegen praktisch unmöglich 19 . Dementsprechend gehen Linguisten in der Varietätenforschung davon aus, daß jeder Sprecher seine eigene Sprache spricht 20 . Die vom Gericht vorausgesetzte Konstruktion, wonach die Einheitlichkeit der Sprache die Einheitlichkeit der Verstehensmöglichkeiten begründet, ist daher nicht haltbar. Wenn man eine solche Konstruktion dennoch contrafaktisch unterstellt, schlägt die Fiktion in reale Herrschaft über einen Kommunikationsvorgang um. Die Verständigung über den noch fehlenden Sinn des Textes wird ersetzt durch das einseitige Diktat, welches Einwände nur als Bedrohung der vom Gericht ausgeübten Staatsgewalt wahrnehmen kann. Diese Ausdehnung der Staatsgewalt zur Sprachgewalt macht aus der abweichenden Verwendung einen Rechtsbruch und aus einer falschen Sprachtheorie ein wirksames Herrschaftsinstrument. Aus juristischer Sicht wäre zu fragen, welcher Rechtsbegriff bei der Argumentation des Gerichts vorausgesetzt wird.
16
Vgl. dazu B. Schlieben-Lange, Soziolinguistik, 1978, S. 26, 28, 70ff. Vgl. zu diesen Begriffen K. Heger, ,Sprache' und »Dialekt4 als linguistisches und soziolinguistisches Problem, in: Folia Linguistica, 3, 1970, S. 46ff.; P. ν. Polenz, Idiolektale und soziolektale Funktionen der Sprache, in: Leuvense Bijdragen, 63, 1974, S. 99ff. 18 Vgl. dazu M. Wandruszka, Interlinguistik: Umrisse einer neuen Sprachwissenschaft, 1971, S. 8. 19 Vgl. dazu H. Glinz, Linguistische Grundbegriffe und Methodenüberblick, 1970, S. 74. 20 Zur Varietätenforschung vgl. B. Schlieben-Lange (Anm. 16), S. 112. 17
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Damit werden die theoretischen Voraussetzungen erfragt, welche es dem Gericht erlauben, eine abweichende Auffassung zum Gewaltbegriff so auszugrenzen, daß sie nur noch als Rechtsanmaßung bezeichnet werden kann. Immerhin kann sich der Angeklagte mit seiner Sicht des Gewaltbegriffs auf eine Position stützen, die in der juristischen Diskussion sehr verbreitet ist. Ein auf körperliche Kraftentfaltung und entsprechende Wirkung begrenzter Gewaltbegriff wurde nicht nur vom Reichsgericht vertreten, sondern auch von weiten Teilen der heutigen strafrechtlichen Literatur 21 . Selbst im Bundesverfassungsgericht bekannten sich in einer auf den Gewaltbegriff bezogenen Entscheidung vier dissentierende Richter zu der Auffassung, die das Gericht hier als Rechtsanmaßung bezeichnet22. Woher nimmt das O L G also die Erkenntnisgewißheit, die abgelehnte Meinung mit Bezeichnungen zu belegen, die anderswo nur herangezogen werden, um Dissidenten abzustempeln? Entscheidend dafür ist die positivistische Rechtstheorie. Diese geht davon aus, daß einem Normtext genau eine Bedeutung als Rechtsnorm zukommt. Die eine Bedeutung des Normtextes kann von der juristischen Auslegung nur getroffen oder verfehlt werden. Es gibt danach nicht verschiedene Verständnisweisen, über deren unterschiedliche Plausibilität zu diskutieren wäre, sondern nur die Alternative von wahr oder falsch. Weil aber die „wahre Bedeutung" schon in Anbetracht der allein in der juristischen Literatur vorhandenen Vielzahl von oft widersprüchlichen Verwendungsbeispielen nicht festgestellt werden kann, fällt die „wahre Bedeutung" mit der gerichtlichen Zuständigkeit zu ihrer Definition zusammen. Wer die vom Gericht getroffene Entscheidung mit abweichenden Bedeutungshypothesen angreift, hat die im Normtext immer schon enthaltene Regel nicht erkannt und ist insoweit mindestens rechtsblind. In der Vorstellung einer im „Behältnis" 23 Normtext schon mehr oder weniger vollständig enthaltenen Regel liegt der Kern des Positivismus. Wenn man sich aber ohne vorgefaßten rechtstheoretischen Standpunkt die Entscheidungssammlung eines beliebigen Gerichts betrachtet, dann fällt auf, daß den einzelnen Entscheidungen Leitsätze vorangestellt sind. Unter diese Leitsätze, nicht etwa unter den Normtext selbst, wird der zu entscheidende Fall subsumiert 24 . Zwar sind die Leitsätze ihrerseits mit dem Normtext verknüpft, aber nicht im Wege einer Subsumtionslogik, sondern über die Standards einer bestimmten Argumentationskultur. Man müßte also bei realistischer Betrachtung sagen, daß der Normtext mit einer Vielzahl von Rechtsnormen verbunden wird und nicht etwa nur eine „enthält". Der Positivismus verstellt aber den Blick auf diese Zusammenhänge durch eine Vorentscheidung,
21
Vgl. dazu die Nachweise bei F. Müller, Juristische Methodik, 3. Aufl. 1989. Vgl. dazu BVerfGE 73, S. 206ff. 23 Vgl. zur Explizierung G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 8. Aufl. 1973, S. 212. 24 Vgl. dazu F. Müller (Anm. 21). 22
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die sowohl rechtsnormtheoretischen als auch sprachtheoretischen Charakter hat. Unterstellt wird eine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen Zeichen und Bedeutung 25 , wonach dem jeweiligen Normtext, bestimmt durch seine Stellung im Rechtssystem, genau eine einzige Bedeutung als Rechtsnorm zukommt. Dabei wird nicht nur auf der rechtstheoretischen Ebene die Vielzahl von fallentscheidenden Leitsätzen übersehen. Vielmehr wird auch auf der sprachtheoretischen Ebene nicht beachtet, daß man mit einer Textinterpretation nicht die reine Bedeutung an die Stelle des Zeichens setzt, sondern nur eine Zeichenkette an die Stelle einer anderen. In der Kritik an der impliziten Sprachtheorie des Gesetzespositivismus trifft sich die Strukturierende Rechtslehre mit der praktischen Semantik, welche von der sprachwissenschaftlichen Seite her ebenfalls eine Verdinglichung sprachlicher Bedeutung kritisiert hat. Gemeinsam ist beiden eine handlungstheoretische Orientierung. Die Bedeutung von Texten wird danach im Zusammenhang ihres Gebrauchs untersucht. Texte erscheinen nicht länger als feste, unveränderliche Entitäten, sondern werden einerseits aus der Produktionssituation und andererseits aus der Verstehenssituation des Adressaten heraus analysiert. Bei beiden Positionen tritt damit an die Stelle der Suche nach Letztbegründungen für vorgeblich objektive oder wahre Bedeutungsanalysen der Aufweis von Diskussionsbedarf. Aber mit der rechtstheoretischen und sprachwissenschaftlichen Kritik an einer verdinglichten Sprachtheorie ist noch nicht die vom Ausgangsfall aufgeworfene Frage beantwortet, wo die Zugangsmöglichkeiten des Rechtsunterworfenen zur Entscheidung liegen. Jedoch ist für die Antwort ein neuer Ausgangspunkt gewonnen. Die Entscheidungsfindung stellt sich nicht mehr in positivistischer Vereinfachung als Anwendung einer im Text vorgegebenen Regel dar, sondern als aktive Konstitution der Textbedeutung. Das Problem besteht für den Rechtsunterworfenen darin, ein bestimmtes Verständnis der Textbedeutung gegen andere Verständnisweisen mittels spezifischer Argumente durchzusetzen. Er führt einen Streit um die Verknüpfung von Normtext und Sachverhaltserzählung mit dem tragenden Leitsatz der Entscheidung. Dieser Streit kann auch als Auseinandersetzung über die Bedeutung des Normtextes für den Fall aufgefaßt werden. Er dreht sich im Kern um sprachliche Gebrauchsweisen, um unterschiedliche grammatische Bedeutungserklärungen. Ein solcher Widerstreit konkurrierender Bedeutungserklärungen läßt sich aus sprachwissenschaftlicher Sicht als „semantischer Kampf" 2 6 beschreiben. 25
Vgl. dazu/. Broekman, Text als Institution, in: Rechtstheorie, 6, 1984, S. 145ff. und S. 147. 26 Vgl. zu diesem Begriff M. Sokolowski, Wenn zwei sich streiten, was versteht der Dritte? Zur praktischen Semantik kompetitiven Handelns als Grammatik politischen Sprechens, in Vorbereitung, Manuskript S. 73; R. Keller, Kollokutionäre Akte, in:
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Das Element des Kampfes liegt darin, daß die in der fraglichen Auseinandersetzung vorgeschlagenen Gebrauchsweisen des betreffenden Ausdrucks sich wechselseitig ausschließen27. Dabei stehen hinter dem Unterschied der grammatischen Bedeutungserklärung grundlegende Differenzen: Der Streit geht um Gegenstände und Tatsachen in der Welt, und er kann letztlich nur dadurch geführt werden, daß man sich über die Gebrauchsweisen sprachlicher Ausdrücke auseinandersetzt. Gerade im Streit um die Bedeutung des Normtextes tritt dieses Moment besonders klar hervor. Das Ziel der an dem semantischen Kampf Beteiligten liegt darin, den jeweils eigenen Interpretationsvorschlag auf Kosten des Gegners so durchzusetzen, daß die betreffende Bedeutungserklärung als einzig legitime Interpretation des Normtextes im Hinblick auf den Fall akzeptiert wird. Vor dem Hintergrund der sprachwissenschaftlichen Kategorie des semantischen Kampfes läßt sich das juristische Handeln damit als Versuch zur Durchsetzung einer bestimmten Textbedeutung verstehen. Ein solches Durchsetzen 28 vollzieht sich allerdings nicht als freie Erfindung ex tabula rasa. Die Durchsetzungshandlung knüpft an eine ,bestehende' Regel an, die ihrerseits mit anderen Regeln der sozialen Lebensform zusammenhängt29. Die genannten Regeln sind jedoch nicht sprecherunabhängig in der Weise vorgegeben, daß die Durchsetzungshandlung nur als Pochen auf ihre schlichte Anwendung zu verstehen wäre. Vielmehr werden diese Regeln in der Sprachpraxis erst festgelegt und ausgehandelt, ohne daß dabei ein kreatives Moment von vornherein ausgeschlossen werden könnte. Der Begriff „Durchsetzen" bezieht sich nun genau auf diese nicht auflösbare Verknüpfung von Regelwiederholung und Regeländerung in der Sprachpraxis. Dabei ergibt sich die Möglichkeit einer an sprachliche Regeln anknüpfenden Durchsetzungshandlung zunächst daraus, daß es sich bei diesen Regeln nicht um kausale Naturzusammenhänge handelt, sondern um gesellschaftliche Konventionen 30 . Das Befolgen solcher Konventionen durch die einzelnen Sprecher ist ein intentionaler Vorgang 31 . Da nun die Gesamtheit sprachlicher Germanistische Linguistik 1/2, 1977, S. I f f . ; R. Koselleck, Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte, in: ders., Vergangene Zukunft, 1979, S. 107ff. 27 Vgl. dazu R. Keller, ebd., S. 27 sowie M. Sokolowski, ebd., S. 76; auch H. Ivo, Der verweigerte Dialog, in: I. Fetscher / H. E. Richter (Hrsg.), Worte machen keine Politik, 1976, S. 20ff. 28 Vgl. zum Begriff ,Durchsetzen 4: M. Sokolowski, ebd., S. 83f., 91 und öfter. 29 Vgl. dazu auch den Kontext des Akzeptierens von Regeländerung: H. J. Heringer (Anm. 7), S. 26. 30 „Die Möglichkeit der Veränderung von Regeln ist gegeben durch ihre Konventionalität" H. J. Heringer, ebd., S. 26. 31 Vgl. zur Bedeutung des Elements der Intention für die Sprachtheorie: R. Keller, Zum Begriff der Regel, in: H J. Heringer (Hrsg.) (Anm. 8), S. lOff., 11 f.; P. F. Strawson, Intention und Konvention in Sprechakten, in: ders., Logik und Linguistik, 1974, S. 56ff.
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Konventionen im Hinblick auf ihre interne Unendlichkeit nicht als geschlossenes System klar und endgültig gegeneinander profilierter Elemente gedacht werden kann 32 , enthält jede intentionale Wiederholung der sprachlichen Konvention strukturell die Möglichkeit einer Verschiebung. Die sprachwissenschaftliche Analyse der semantischen Praxis führt damit zu dem Ergebnis, daß die Grammatik einer Lebensform fluktuierenden Gebräuchen unterworfen ist 33 und darin die potentielle Möglichkeit von Streit um die verbindliche Geltung angelegt ist. Das Fluktuieren der Grammatik einer Lebensform ist somit der Raum, worin sich die Durchsetzungshandlung entfalten kann. Die Durchsetzung einer bestimmten Bedeutungsauffassung wird um so leichter sein, je weniger die fragliche Deutung dem Rezipienten aufgezwungen werden muß und latent vorhandene Deutungsmöglichkeiten aktivieren kann: „Eine bestimmte Deutung ist leichter durchzusetzen, wenn die verwendeten Ausdrücke semantische Anschlußmöglichkeiten eröffnen, welche zu den insinuierten Sinnmöglichkeiten u.U. mehr beitragen, als die verwendeten Ausdrücke selbst. ( . . . ) Sprachbeeinflussung zielt deshalb nicht nur auf die Gebrauchsregeln einzelner Begriffe, sondern auch auf ganze Systeme von Gebrauchsregeln sprachlicher Ausdrücke, auf semantische Netze, auf Assoziationsfelder" 34 . Wenn man dieses Eingebundensein der Durchsetzungshandlung in semantische Felder und ihre Verwiesenheit auf Legitimationstransfer aus vorhandenen Deutungsmustern betrachtet, wird klar, daß die als „Durchsetzen" beschriebene Handlung weit entfernt ist von der Willkür dezisionistischer Bedeutungserfindung. Andererseits macht der im Begriff des Durchsetzens implizierte Streit um die Geltung auch auf eine aktive Handlungskomponente aufmerksam, die in der Vorstellung einer bloßen Anwendung der vorgegebenen Bedeutung nicht zum Ausdruck kommen kann. Der auf den Widerstreit der Deutungsmöglichkeiten bezogene Begriff „Durchsetzen" erscheint daher als geeigneter Anknüpfungspunkt, um das Verhältnis von Textbedeutung und juristischem Handeln zu präzisieren. Allerdings ist der Widerstreit um die Durchsetzung von Wirklichkeits- und Textinterpretation im Rahmen des juristischen Sprachspiels besonderen Anforderungen unterworfen. Diese Anforderungen, die unter den Streitenden eine gewisse „Waffengleichheit" 35 herstellen sollen, sind verfassungsrecht32 Vgl. dazu J. Derrida , Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen, in: ders., Die Schrift und die Differenz, 1976, S. 422ff. 33 Diese Unabgeschlossenheit der Grammatik einer Lebensform hat Wittgenstein herausgearbeitet. Vgl. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 1977, § 68, § 83. 34 D. Busse, Chaoten und Gewalttäter. Ein Beitrag zur Semantik des politischen Sprachgebrauchs, in: A. Burkhardt / F. Hebel / R. Hoberg (Hrsg.), 1988, S. 93ff. 35 Vgl. dazu P. Kirchhof, Der Auftrag des Grundgesetzes an die rechtsprechende Gewalt, in: Richterliche Rechtsfortbildung. Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, 1986, S. 11 ff.
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lieh und einfachgesetzlich festgeschrieben und werden als methodische Standards von der Wissenschaft präzisiert. Unter der Vorgabe des mit dem Normtext gesetzten Textformulars und den an die methodenbezogenen Normen des Verfassungsrechts rückgebundenen Standards methodischer Zurechnung sind die Möglichkeiten zur Durchsetzung einer bestimmten Interpretationsweise schon viel stärker eingeschränkt als etwa in einem auf das politische Sprachspiel bezogenen semantischen Kampf 36 . So wird sich unter den Voraussetzungen eines demokratischen und gewaltenteilenden Rechtsstaats die Interpretation am besten durchsetzen lassen, die das von den textuellen Vorgaben bestimmte Gelände am besten zu nutzen weiß. Wenn der Text auch keine objektiv feststehende Bedeutung hat, so gibt es doch zu der verkörperten Zeichenkette eine Anzahl von „mitgebrachten Verwendungsweisen" 37 , welche als früher durchgesetzte Interpretationen in Gestalt von Entscheidungen oder juristischer Dogmatik das neu zu findende Verständnis beeinflussen. Wer seine Interpretation des Normtextes gegen eine andere durchsetzen will, kann an diesen „mitgebrachten Verwendungsweisen" nicht vorbeigehen. Trotzdem haben diese Verwendungsweisen des Normtextes aber nicht den fraglosen Status einer substantiellen Bedeutung. In der juristischen Praxis sieht man das daran, daß sowohl Entscheidungen anderer Gerichte als auch dogmatische Aussagen nicht mechanisch angewendet werden, sondern in der Regel einer eigenständigen und selbstverantwortlichen Wertung unterzogen werden 38 . Zudem können die von historisch-genetischer Auslegung und Dogmatik erschlossenen mitgebrachten Verwendungsweisen von den Ergebnissen der grammatisch-systematischen Auslegung verdrängt werden. Aber alle diese die Durchsetzung einer bestimmten Interpretationsweise erschwerenden Bedingungen sind nicht durch die Sprache, sondern in der Sprache vorgegeben. Sie sind legitimatorische Standards eines bestimmten Sprachspiels und keine Vorgaben, die schon mit der Sprache selbst gesetzt sind. Im Ergebnis muß man damit das Verhältnis von Textbedeutung und juristischem Handeln sprachwissenschaftlich in den Kategorien einer „kompetitiven Semantik" 39 präzisieren: Das juristische Handeln setzt die Textbedeutung in einem semantischen Kampf durch. Diese Durchsetzung der Textbedeutung wird allerdings durch besondere Bedingungen erschwert, die sich als legitimatorische Standards aus den verfassungsrechtlichen Anforderungen an das juristische Sprachspiel ergeben.
36 Vgl. zum semantischen Kampf im politischen Sprachspiel: M. Behrens / W. Dieckmann / E. Kehl, Politik als Sprachkampf, in: H. J. Heringer (Hrsg.), Holzfeuer im hölzernen Ofen, 1982, S. 216ff. m.w.N. 37 Vgl. dazu M. Sokolowski (Anm. 26), S. 102. 38 Das kommt zum Ausdruck im Begriff der „guten Gewohnheit" bei P. Kirchhof (Anm. 35), S. 11 ff. und S. 19. 39 Vgl. dazu H. / . Heringer (Anm. 7), S. 69.
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Man muß daher die Frage nach der Grenze juristischer Auslegungstätigkeit neu stellen. Denn entgegen dem herkömmlichen juristischen Verständnis der Wortlautgrenze wird die Durchsetzung einer bestimmten Textinterpretation nicht von Grenzen erschwert, welche durch die Sprache selbst vorgegeben sind, sondern höchstens durch die Grenzen, die in der Sprache errichtet sind. Auf der Grundlage einer sprachlichen Reflexion der Bedingungen praktischer Rechtsarbeit können nunmehr die am Ausgangsfall entwickelten Probleme reformuliert werden: Das Gericht stellt dem vom Angeklagten ins Feld geführten spezifischen Gewaltbegriff einen weiten Gewaltbegriff entgegen, für den der Tatbestand der Nötigung schon mit der Herbeiführung einer Zwangslage erfüllt ist. Den engen Gewaltbegriff bezeichnet das Gericht als Rechtsanmaßung, während es seine eigene Verständnisweise zum „Inhalt" des Strafgesetzbuchs erklärt. Dieses Argument ist sowohl aus rechtstheoretischer als auch aus sprachwissenschaftlicher Sicht unhaltbar. Nicht objektiver Inhalt und subjektives Meinen stehen sich gegenüber, sondern zwei konkurrierende Bedeutungshypothesen, deren Plausibilität kritisch diskutiert und verglichen werden muß. Welche Maßstäbe sind für diesen Vergleich heranzuziehen? Wenn man der herkömmlichen Methodenlehre folgt, ist dafür der mögliche Wortsinn des Normtextes entscheidend. Dieses Kriterium wird aber fragwürdig, sobald man es mittels Gebrauchsbeispielen einzulösen versucht. Als Beispiel für eine Verwendung des Gewaltbegriffs im engen und spezifischen Sinn ließe sich eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs anführen, wonach ein ausbildender Geschäftsherr gegenüber seinem Lehrmädchen keine Gewalt ausübt, wenn er sie mit dem Ziel, sie zum Geschlechtsverkehr zu zwingen, im Auto einsperrt 40 . Bei der eine Sitzblockade betreffenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts folgten vier Richter dem weiten Gewaltbegriff, während die vier anderen Richter im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit des Strafrechts den spezifischen Gewaltbegriff zugrundelegten 41. Auch in der Alltagssprache und der wissenschaftlichen Diskussion lassen sich sowohl für eine spezifische als auch für eine unspezifische Verwendung des Gewaltbegriffs viele Beispiele finden. Die Frage, welches dieser Gebrauchsbeispiele man zum „Inhalt" der Norm erklären soll, ist nur durch Dezision zu lösen. Die angeblich objektive Ermittlung des Sprachgebrauchs mündet damit in Willkür. Weil es weder den einheitlichen Sprachgebrauch einer homogenen und in sich abgeschlossenen Allgemeinsprache gibt, noch ein homogener Sprachgebrauch innerhalb des juristischen Sprachspiels nachgewiesen werden kann, läßt sich das Problem einer Legitimation juristischer Entscheidungen auf der Ebene sprachlicher Feststellungen nicht lösen. 40 BGHSt 2,1981, 390 ( = JR 1982), S. 115. « BVerfGE 73, S. 206ff.
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Eine rationale Diskussion ist erst möglich, wenn man sich von der Fiktion eines im Normtext vorgegebenen sprachlichen Gehalts löst. Zu fragen ist nicht, welchen sprachlichen Gehalt der Gewaltbegriff hat, sondern welche Bedeutung dem im Normtext von § 240 StGB enthaltenen Zeichen »Gewalt4 unter Beachtung der methodenbezogenen Normen von Verfassungsrecht und einfachem Recht zugerechnet werden kann. Diese Bedeutung wird nicht gefunden, sondern konstituiert. Eine Grenze für die vom Richter durchzuführende Bedeutungskonstitution ergibt sich erst aus dem vom Gesetzgeber verabschiedeten Normtext als Zeichenkette und den verfassungsrechtlich rückgebundenen Standards einer juristischen Argumentationskultur. Erst auf dieser Grundlage kann entschieden werden, ob die Ausdehnung oder „Vergeistigung" des Gewaltbegriffs noch mit § 240 StGB vereinbar ist. Die Ausdehnung des Gewaltbegriffs auf jede Verursachung einer Zwangslage würde einen Normtext mit folgender Formulierung voraussetzen: „Wer einen anderen rechtswidrig zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird (. . .) bestraft." Die Benennung der Nötigungsmittel ,Gewalt und Drohung4 im Text des geltenden § 240 StGB ist für diese Verständnishypothese sinnlos und überflüssig. Nur eine Interpretation, die sowohl der Gewalt als auch der Drohung einen jeweils selbständigen Anwendungsbereich über die bloße Verursachung einer Zwangslage hinaus zubilligen kann, wäre mit dem tatsächlich geltenden Normtext des § 240 StGB zu vereinbaren. So wie die Vergeistigung des Gewaltbegriffs in der Rechtsprechung entwickelt wurde, verstößt sie schon gegen die interne Systematik des § 240 StGB, weil sie einerseits die Nötigungsmittel überhaupt überflüssig macht und andererseits der Drohung neben der Gewalt keinen sinnvollen Anwendungsbereich mehr übrigläßt. Die Frage nach dem Zugang des Rechtsunterworfenen zum juristischen Sprachspiel läßt sich jetzt beantworten: Die Verknüpfung von Normtext/Sachverhalt und tragendem Leitsatz der Entscheidung ist weder von der Sprache noch von einer im Normtext schon enthaltenen normativen Substanz vorentschieden. Sie wird vielmehr durch den zuständigen Rechtsarbeiter erst hergestellt. Aber dieser ist bei der Verknüpfung nicht vollständig frei oder lediglich einer verinnerlichten Rechtsethik verpflichtet, sondern er ist gebunden an den vom Gesetzgeber geschaffenen Normtext und die Standards einer rechtsstaatlichen Argumentationskultur. Im Rahmen dieser Bindungen kann der Rechtsunterworfene die Bedeutungskonstitution des Normtextes beeinflussen. Mit Hilfe seines grundrechtlich abgesicherten Anspruchs auf Methodengleichheit 42 und der in den jeweiligen Prozeßordnungen garantierten Rechtsmittel kann er die für praktische Rechtsarbeit geltenden Bindungen auch einfordern. 42
Vgl. F. Müller, Juristische Methodik und Politisches System, 1976, S. 65ff.
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Rainer Wimmer und Ralph Christensen
Die Diskussion dieses praktischen Problems zeigt, daß die Berührungspunkte zwischen praktischer Semantik und Strukturierender Rechtslehre dort liegen, wo in der Rechtspraxis die Offenheit des Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke für alle Sprecher einer Sprechergemeinschaft in Abrede gestellt wird. Die von verschiedenen Seiten aus entwickelte Kritik macht hinter den scheinbaren Objektivitäten einer vorgegebenen Rechtsnorm oder eines vorgegebenen Wortsinns den Versuch sichtbar, einen partikularen Sprachgebrauch der kritischen Überprüfung zu entziehen. Solange eine verdinglichte Rechts- oder Sprachtheorie noch dazu verwendet wird, praktische Rechtsarbeit der Legitimationsfrage zu entziehen, wird die Arbeit einer sprachkritisch reflektierten Methodik unentbehrlich bleiben.
Der Richter als Mund des sprechenden Textes Zur Kritik des gesetzespositivistischen Textmodells V o n Ralph
Christensen
Gliederung I . Der Entwurf einer geschlossenen Textstruktur als apriorische Voraussetzung fur die Analyse der Rechtsarbeit 1. Der Text und sein Autor 1.1 Kritik des „entpragmatisierten" Textbegriffs 1.2 Das kommunikationstheoretische Verstehensmodell als Grundlage des Bindungspostulats 1.3 Kann der gesetzgeberische Wille die semantische Identität des Textes garantieren? 2. Der 2.1 2.2 2.3
Text und sein objektiver Sinn Kritik am System der Rechtsbegriffe Das „innere System" des Rechts als Grundlage des Bindungspostulats Kann die Gerechtigkeitsidee einen objektiven Sinn der Gesetze garantieren?
3. Der 3.1 3.2 3.3
Text und seine herzustellende Wahrheit Die Reichweite der Gesetzesbindung Die Bindung der Rechtsarbeit an das Gesetzbuch der praktischen Vernunft Kann die Theorie des praktischen Diskurses ein Kriterium für die Wahrheit von Interpretationsbehauptungen garantieren?
Π . Die Analyse der Rechtsarbeit als empirische Voraussetzung fur den Entwurf einer offenen Textstruktur 1. Die empirische Analyse der Textstruktur praktischer Rechtsarbeit 1.1 Von der Rechtfertigungslehre zur Rechtserzeugungsreflexion 1.2 Vom spekulativen Textmodell des Gesetzespositivismus zur praktischen Theorie der Textstruktur 1.3 Die Unterscheidung von Normtext und Rechtsnorm 2. Wird mit der Kritik am deterministischen Textmodell die Rationalitätsgrundlage der Jurisprudenz zerstört? 2.1 Auflösung des Bindungspostulats in der Machtökonomie des juristischen Diskurses? 2.2 Gibt es einen immanenten Rationalitätsmaßstab praktischer Rechtsarbeit? 2.3 Von der texttheoretischen zur verfassungsrechtlichen Begründung des Bindungspostulats
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Ralph Christensen 3. Was heißt Gesetzesbindung? 3.1 Reformulierung der Problemstellung 3.2 Rechts(norm)theorie als Grundlage der juristischen Methodik 3.3 Die Gesetzesbindung im Rahmen eines dynamischen Ablaufmodells der Konkretisierung
Die Tätigkeit der Juristen ist auf Texte und deren Bedeutung bezogen. Allerdings mit einer spezifischen Fragestellung: Juristen entscheiden Streitfälle, und diese Entscheidungen sollen Texten zugerechnet werden. Genauer: den vom Gesetzgeber in Geltung gesetzten Normtexten 1 . Die Bindung an das Gesetz in Gestalt von Normtexten soll sicherstellen, daß Entscheidungen von Gerichten oder staatlichen Amtsträgern nicht willkürlich oder gemäß einer zufälligen Machtkonstellation getroffen werden, sondern aufgrund eines demokratisch zustandegekommenen Gesetzes ergehen 2. Neben den Entscheidungszwang tritt damit als zweites Kennzeichen juristischer Textarbeit das Bindungspostulat. Im Bild des Richters als Mund des Gesetzes werden beide Anforderungen an juristische Textarbeit zusammengebracht. Der Richter soll einen Streit dadurch beenden, daß er die in der objektiven Bedeutung des Textes vorgegebene Entscheidung des Falles bekanntgibt 3 . Die Rollen sind hier klar verteilt: einmal der Richter als unselbständiges Vollzugsorgan, zum andern der durch seinen Mund sprechende Text als eigentliche Führungsgröße der Entscheidung 4 . Wenn das Entscheiden kein praktisches Handeln ist, sondern nur der Schlußpunkt eines kognitiven Prozesses, dann müssen alle tragenden Determinanten auf Seiten des Textes liegen. Der Text beherrscht den Bereich seiner Deutung und Anwendung dadurch, daß er dem Rechtsanwender die einzig richtige Entscheidung des Falles als kognitiv zu erschließende Struktur vorgibt. Die schlechte Unendlichkeit der Interpretationen wird damit auf ein Gravitationszentrum hin geordnet, sei es der Wille des Gesetzgebers, der von der Gerechtigkeitsidee bestimmte objektive Wille des Gesetzes oder die diskursiv zu erschließende Wahrheit des Textes5. Dieses Gravitationszentrum 1 Vgl. zum Begriff „Normtext": F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, 1984, S. 201 ff. sowie weiter unten im vorliegenden Text. 2 Vgl. zur Gesetzesbindung: F. Müller, ,Richterrecht', 1986, S. 27ff., 60ff., 69ff. 3 Kurze Darstellung dieser bis in die Aufklärung zurückreichenden Konzeption bei P. Bockelmann, Richter und Gesetz, in: Festgabe für Smend, 1952, S. 23ff. Z u Modifikationen dieses Grundmodells im Laufe der historischen Entwicklung: O. Bachof, Grundgesetz und Richtermacht, 1959, S. 25ff.; E. W. Hanack, Der Ausgleich divergierender Entscheidungen, 1962, S. 55 ff. 4 Vgl. zur eigenen Rede des Richters, die zur Rede eines anderen werden soll: J. M. Broekman, Juristischer Diskurs und Rechtstheorie, in: Rechtstheorie 1980, S. 17ff., 22ff., 24. 5 Vgl. zum modifizierten Weiterwirken der Vorstellung vom „sprechenden Text" die Nachweise weiter unter in Teil I.
Der Richter als Mund des sprechenden Textes
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garantiert gegenüber der vielfältigen Auslegung die semantische Identität des Textes und macht das Gesetz zu einem Ort stabiler Sprache. Das Modell einer auf kognitive Strukturen reduzierten Rechtsfindung hat allerdings auf der Ebene des Textes anspruchsvolle Prämissen. Insbesondere die Annahme, daß der Text eine einzige Deutung als die richtige auszeichne oder jedenfalls bei Rückgang auf sein Sinnzentrum eine solche richtige Deutung kognitiv erschlossen werden könne, erscheint aus der Sicht der Texttheorie problematisch 6. Für deren neuere Ansätze ist gerade die Frage nach den Grenzen der Deutbarkeit eines Textes zum zentralen Problem geworden. Der klassische Textstrukturalismus nahm an, daß die Paraphrasen eines Textes genauso von dessen Grammatik determiniert werden wie die Sprachäußerungen von der idealen Sprachkompetenz. Mit diesem Gedanken einer systematischen Beherrschbarkeit der Sinneffekte durch eine der Erkenntnis vorgegebene Textgrammatik brechen die neueren Ansätze der Texttheorie und setzen an seine Stelle die Vorstellung eines Textes ohne vorgegebenes Sinnzentrum, der seine Deutung nicht mehr a priori begrenzen kann 7 . Während die neuere Texttheorie also hinter der scheinbar vorgegebenen Sinneinheit des Textes einen SemantisierungsVorgang 8 sichtbar macht, scheint die gegenläufige Fragestellung der Rechtswissenschaft die Sinneinheit des Gesetzestextes als Legitimationsgröße geradezu vorauszusetzen. Im Hinblick auf diese Gegenläufigkeit ist die Frage zu stellen, ob sich die neueren Erkenntnisse der Texttheorie noch in eine wie auch immer modifizierte Figur des Richters als Mund des Gesetzes einschreiben lassen, oder ob das Problem der Gesetzesbindung richterlicher Entscheidungen nicht neu formuliert werden muß. I. Der Entwurf einer geschlossenen Textstruktur als apriorische Voraussetzung für die Analyse der Rechtsarbeit Die herkömmlichen Versuche, den Inhalt des Bindungspostulats zu bestimmen, bewegen sich im Rahmen eines rekonstruktiven Verständnisses prak6 Vgl. dazu J. M. Broekman, Text als Institution, in: Rechtstheorie, Beiheft 6,1984, S. 145 ff. Allgemein zur Entwicklung der Texttheorie R. Brütting, „écriture" und „texte". Die französische Literaturtheorie „nach dem Strukturalismus", 1976, insbes. S. 21 ff., 45ff. 7 Vgl. zur Auseinandersetzung mit der Texttheorie des klassischen Strukturalismus: J. Derrida , Kraft und Bedeutung, in: ders., Die Schrift und die Differenz, 1976, S. 9ff.; ders., Die Struktur, das Zeichen und das Spiel im Diskurs der Wissenschaften vom Menschen, in: ebd., S. 422ff.; ders., Semiologie und Grammatologie. Gespräch mit Julia Kristéva, in: ders., Positionen, 1986, S. 52ff. Eine ausführliche Darstellung der Kritik Derridas am klassischen Strukturalismus findet sich bei M. Frank, Was ist Neostrukturalismus?, 1983, S. 76ff., 88ff. Vgl. auch R. Brütting (Anm. 6), S. 95ff. 8 J. M. Broekman (Anm. 6), S. 151 ff.
4 F. Müller, Linguistik
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tischer Rechtsarbeit, welches vom klassischen Positivismus geprägt wurde 9 . Danach ist die Rechtsnorm eine im Text vorgegebene Größe, deren Substanz in der Konkretisierung lediglich entfaltet oder ausgelegt wird 1 0 . Das Bindungspostulat bezieht sich darauf, die in der objektiven Bedeutung des Normtextes vorgegebene Gebrauchsweise der Rechtsbegriffe zu respektieren. Eine zentrale Rolle kommt in diesem Modell dem grammatischen Konkretisierungselement zu 1 1 . Weil aber nicht schon dem einzelnen juristischen Ausdruck für sich eine positive Bedeutung anhaftet 12 , läßt sich seine Bedeutung nur differentiell bestimmen als Gesamtheit der Unterschiede zu den Bedeutungen aller anderen Ausdrücke 13 . Das grammatische Konkretisierungselement muß deshalb zur Bestimmung der Gebrauchsweise eines einzelnen Gesetzesbegriffs notwendig auf die anderen Konkretisierungselemente übergreifen 14 . Dies wird deutlich in der Bedeutungsbestimmung gesetzlicher Ausdrücke, wie sie insbesondere in der Kommentarliteratur von der juristischen Dogmatik vorgenommen wird. Eine genaue Betrachtung der juristischen Dogmatik und ihres Meinungsstreits ergibt allerdings, daß es keine natürliche Grenze für diesen Bedeutungs-Differenzierungsprozeß gibt. Jede neue Fallkonstellation kann vielmehr das System der differentiellen Bedeutungsbestimmung verschieben. Denn an jeden einzelnen Term A läßt sich eine Kette von negativ zu bestimmenden Termen (-B, -C, -D usw.) anhängen, die intern 9 Vgl. zur Kritik am positivistischen Verständnis der Rechtsnorm: F. Müller (Anm. 1), S. 24ff. und öfter. 10 Vgl. zu dieser Kritik an der substantialistischen Vorstellung des Konkretisierungsvorgangs: F. Müller (Anm. 2), S. 46ff. Zu einer ähnlichen Verdinglichung des Begriffs Auslegung findet sich eine Kritik bei dems., Recht - Sprache - Gewalt, 1975, S. 34. 11 Plastisch beschreibt Kriele diese auch heute noch latent vorhandene Überschätzung des grammatischen Konkretisierungselements: „Sind Rechtssatz und Normhypothese genau gleich, so ist der Fall entschieden". M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1976, S. 204. Zur Unterscheidung von Konkretisierungsleistung des grammatischen Elements und der Wortlautgrenze juristischer Auslegung vgl. demgegenüber F. Müller (Anm. 2), S. 42f., 80ff., 95f.; ders., Rechtsstaatliche Methodik und politische Rechtstheorie, in: ders., Rechtsstaatliche Form - Demokratische Politik, 1977, S. 271 ff., 273ff. 12 Vgl. zur Kritik an dieser jedenfalls zum Teil in der methodischen Reflexion dogmatischer Praxis vorhandenen sogenannten Gegenstandstheorie der Bedeutung: P. Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979, S. 80ff. Allerdings setzt Schiffauer diese Theorie mit dem Selbstverständnis der Jurisprudenz gleich. Tatsächlich weist allerdings die dogmatische Praxis Ansätze auf, die über diese Beschränkung hinausweisen. Vgl. zu einer differenzierten Einschätzung der juristischen Dogmatik grundlegend: J. Harenburg, Die Rechtsdogmatik zwischen Wissenschaft und Praxis, 1986. 13 Diesen für jedes Zeichensystem gültigen Zusammenhang arbeitete schon Ferdinand de Saussure (Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 1967, S. 140ff.) heraus. Zur Aufnahme dieses Gedankens in der neueren Texttheorie vgl. J. Derrida, Die différance, in: ders., Randgänge der Philosophie, 1976, S. 6ff., 15ff. 14 Vgl. zum notwendigen Zusammenhang der Konkretisierungselemente: F. Müller, Juristische Methodik, 19762, S. 152f., 167f., insbes. zum Zusammenhang von grammatischem und systematischem Konkretisierungselement: ebd., S. 159f., 164.
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ebenso strukturiert sind und deren Menge unabsehbar und offen ist 15 . Daher kann das System einer Sprache oder eines Textes nicht als geschlossen betrachtet werden 16 , sondern durch jede Interpretation kann das vorhandene Zeichenmaterial neu und anders differenziert werden. Dieses Problem der mangelnden Beherrschbarkeit des dogmatischen Differenzierungsprozesses verweist also auf das schon von Schleiermacher gesehene Problem der „Unendlichkeit der Sprache" 17 . Die von Manfred Frank vorgenommene Reformulierung des grammatischen Elements in Kategorien des taxonomischen Strukturalismus 18 kann dieses Problem konkreter als entgrenzte Ökonomie semantischer Oppositionen bestimmen und damit die auch in der juristischen Kritik an der Leistungsfähigkeit des grammatischen Konkretisierungselements19 gewonnene Einsicht bestätigen, daß dieses Element keine natürliche Grenze für den Differenzierungsprozeß der Semantik juristischer Texte aufweisen kann. Weil sich damit die unkontrollierte Transformation der scheinbar objektiv vorgegebenen Bedeutung gesetzlicher Begriffe nicht ausschließen läßt, kann die Rechtsnorm nicht länger als eine statische Maschine 20 betrachtet werden, deren in sich ruhende Bedeutung es mit Hilfe des Justizsyllogismus21 erlaubt, jede Fallentscheidung zu deduzieren. Auf diese Schwierigkeit reagiert die antipositivistische Doktrin mit der Entwicklung einer dualistischen Konzeption praktischer Rechtsarbeit 22 . Danach gibt es einerseits die festen Regeln des Gesetzespositivismus, welche den Bereich der Auslegung bilden 23 , und andererseits einen Bereich der Rechts15 Vgl. dazu M. Frank (Anm. 7), S. 560 und ff.; ders., Das individuelle Allgemeine, 1985, S. 262ff. 16 Vgl. dazu schon vom Standpunkt der strukturalistischen Textlinguistik: E. Coseriu, Textlinguistik, 1981, S. 111 ff., 151 f. Derrida kommentiert in seiner Auseinandersetzung mit Searle eine den Textsinn abschließende Position wie folgt: „Selbst wenn man das eine oder das andere in einer Textäußerung versteht, bleiben noch immer tausend Möglichkeiten offen." J. Derrida, Limited Inc. . . ., in: Glyph 2 (1977), S. 162ff., 201. 17 Vgl. dazu F. D. E. Schleiermacher, Hermeneutik und Kritik, 1977, S. 80f., 94, 196 und öfter. 18 Vgl. dazu M. Frank, Textauslegung, in: D. Harth, P. Gebhardt (Hrsg.), Erkenntnis der Literatur, 1982, S. 123ff. 19 Vgl. dazu F. Müller (Anm. 14), S. 150ff.; ders., (Anm. 2), S. 80ff. 20 Vgl. zur Kritik an einem Uhrwerk- oder Maschinenmodell der Rechtsnorm auch K. H. Ladeur, Vom Gesetzesvollzug zur strategischen Rechtsfortbildung, in: Leviathan 1979, S. 339ff., insbes. 347 und öfter. 21 Vgl. zur realistischen Einschätzung von dessen Leistungsfähigkeit: F. Müller (Anm. 2), S. 54, 57f. und öfter. 22 Vgl. zu diesem Begriff F. Müller (Anm. 1), S. 246ff. 23 Vgl. als klassische Formulierung des Auslegungsbegriffs: K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 19835, S. 298ff. Zum Begriff der Rechtsfortbildung vgl. ebd., S. 351 ff. Auch in der Kritik an diesem Grundverständnis der herrschenden Doktrin reproduziert sich häufig dieser Dualismus: vgl. dazu etwa H. Zimmermann, Rechtsanwendung als Rechtsfortbildung: Untersuchungen zu einem hermeneutischen 4*
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fortbildung 24 , in welchem die Regeln des Gebrauchs gesetzlicher Begriffe erst hergestellt werden müssen25. Dabei geht es der zur Kommunikationstheorie erweiterten subjektiven Auslegungslehre vor allem darum, einen Kernbestand fester Regeln als Grundlage des Bindungspostulats aufzuweisen. Die objektive Auslegungslehre in der von Larenz entwickelten Spielart will demgegenüber hinter dem Gesetzestext einen Bereich objektiver Prinzipien aufweisen, welche auch die Rechtsfortbildung in ein um die Gerechtigkeitsidee erweitertes Subsumtionsmodell einschreiben sollen. Verbunden werden diese beiden Strategien in der Theorie des praktischen Diskurses, welche die Gesetzesbindung auf vorgegebene semantische Regeln bezieht und die darüber hinaus erforderliche Herstellung von Regeln an ein Gesetzbuch der praktischen Vernunft binden will. 1. Der Text und sein Autor Das Prinzip der Autorschaft sollte schon in der subjektiven Auslegungslehre dem Postulat der Gesetzesbindung einen harten Kern vorgegebener Bedeutungen garantieren. Dieser Ansatz wird in der neueren Diskussion wieder aufgenommen unter Bezug auf die Kommunikationstheorie bzw. Pragmalinguistik. 1.1 Kritik
des „entpragmatisierten"
Textbegriffs
Ausgangspunkt dieser am Willen des Gesetzgebers orientierten Position 26 ist zunächst eine richtige Kritik am herkömmlichen Textbegriff in der Rechtswissenschaft. Die vom Gesetzespositivismus unterstellte objektive Bedeutung des Gesetzestextes, wonach das Gesetz schlauer sein könne als sein Autor, widerspreche den Erkenntnissen der Pragmalinguistik 27 . Diese zerstöre die vom Gesetzespositivismus vorausgesetzte wortsemantische Annahme, wonach einem Zeichen außerhalb eines bestimmten Kontexts schon eine feste Bedeutung anhafte. Die Bedeutung eines Sprachzeichens lasse sich vielmehr nur textsemantisch in konkreten Äußerungskontexten untersuchen, wobei insbesondere die Intention des Sprechers berücksichtigt werden müßte 28 . Mit dieser Problem, 1977, wo im Anschluß an die Position von Koch ein Bereich der Bedeutungsfeststellung der sog. Bedeutungsfestsetzung gegenübergestellt wird. 24 Kritische Einschätzung dieses Begriffs bei F. Müller (Anm. 2), S. 41 ff. 25 Vgl. zur Überwindung dieses dualistischen Regelbegriffs: F. Müller, ebd., S. 46ff. und öfter. 26 Vgl. dazu E. Baden, Gesetzgebung und Gesetzesanwendung im Kommunikationsprozeß, 1977; R. Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982. 27 R. Hegenbarth, ebd., S. 165f. und öfter. 28 Vgl. ebd., S. 86ff. und 97ff.
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Kritik wird ein substantialistischer Textbegriff erschüttert, welcher eine objektive Textbedeutung unabhängig von der konkreten Situation annimmt 29 . Allerdings wird die an sprachwissenschaftliche Erkenntnisse anknüpfende Kritik dann wieder zurückgebogen in den Problemhorizont des positivistischen Textverständnisses. Zwar hat die objektive Auslegungslehre einen „entpragmatisierten" Textbegriff, weil sie sich ganz auf den Text konzentriert und absieht vom Textproduzenten, der in einer bestimmten Situation mit bestimmten Absichten den Text hervorgebracht hat. Aber dieser Mangel läßt sich durch ein Kommunikationsmodell beheben, wonach der Gesetzgeber als in eine bestimmte Situation eingebundener Textproduzent das Gesetz an den Rechtsanwender als Rezipienten der Mitteilung richtet 30 . Dieses vollständige Kommunikationsmodell ermöglicht es dann dem Rechtsanwender, den Bedeutungsgehalt des Gesetzes richtig zu rekonstruieren entlang der „Leitfrage (. . .): Welche Konflikte wollte der historische Gesetzgeber aufgrund welcher Tatsachenabsicht und welcher Gerechtigkeitsvorstellungen wie lösen? (. . .) Gefragt ist also eine historisch-soziologische Analyse, die den Text in die politisch-gesellschaftlichen Kräfte der Zeit einbettet, in der er entstanden ist" 3 1 . Der Text hat danach die Bedeutung, die der Textproduzent ihm beilegt. Es kommt darauf an, die Bedeutung des Gesetzestextes so zu ermitteln, daß man historisch-genetisch nach dem Willen des Gesetzgebers fragt. Das ist in der Konsequenz ein Votum für die längst totgeglaubte subjektive Auslegungslehre 32 , die, obzwar mit unzulänglichen Mitteln, das Ziel der Auslegung richtig bestimmt habe 33 . Wenn demnach „Verstehen" nur eine solche „Aktivität" des Textproduzenten ist, die „sich auf ein Ermitteln des vom Sender Kommunizierten beschränkt" 34 , läßt sich zwischen dem Sprechen des Textes und dem Sprechen des Rechtsanwenders eine eindeutige Grenze ziehen. Bezugspunkt für die Abgrenzung von Auslegung, die den Text in seiner kognitiv vorgegebenen Bedeutungsstruktur zur Sprache bringt, und Rechtsfortbildung, worin der Rechtsanwender selber spricht, ist hier der Wille des Gesetzgebers 35. Das Gesetz hat damit einen feststehenden Gehalt, zwar noch nicht auf der Ebene
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Vgl. zur Kritik der objektiven Lehre auch E. Baden (Anm. 26), S. 124ff. R. Hegenbarth (Anm. 26), S. 58ff. (schematische Darstellung S. 56f.). 31 Ebd., S. 172f. 32 Die subjektive Lehre ist gegenüber der objektiven Auslegungslehre unter anderem deswegen zurückgetreten, weil im parlamentarischen System der Zurechnung des Gesetzes zu einem homogenen gesetzgeberischen Willen jede Evidenz fehlt. Weitere in diesem Streit um das Auslegungsziel gegen die subjektive Lehre vorgebrachte Argumente finden sich bei K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, 19777, S. 88ff.; sowie A. Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, 1970, insbes. S. 19ff., 30 ff. 33 Vgl. dazu R. Hegenbarth (Anm. 26), S. 177. 34 E. Baden (Anm. 26), S. 156. Vgl. zum Verstehen als Aktivität ebd., S. 156. 35 Ebd. Vgl. auch R. Hegenbarth (Anm. 26), S. 144 und öfter. 30
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der bloßen Sprachanalyse, aber jedenfalls unter Berücksichtigung des den Text tragenden zentralen Signifikats. 1.2 Das kommunikationstheoretische Verstehensmodell als Grundlage des Bindungspostulats Aber der Versuch, den durch die Berücksichtigung pragmatischer Faktoren ins Wanken geratenen Gesetzestext mittels eines Kommunikationsmodells wieder zu einem Ort stabiler Sprache zu machen, weist in seiner Durchführung Probleme auf, die den scheinbar festen Grund des gesetzgeberischen Willens wieder aufzulösen drohen 36 . Zunächst unterstellt die an die Kommunikationstheorie anknüpfende Position, daß das Verstehen von Gesetzestexten genauso funktioniert wie das Verstehen im Rahmen von Alltagsinteraktionen, bzw. so wie eine bestimmte Spielart der Kommunikationstheorie das Verstehen in Alltagsinteraktionen beschreibt 37 . Eine Äußerung ist danach auf der sprachlichen Ebene noch nicht eindeutig oder vollständig verstehbar. Der Rezipient muß außerdem Kenntnis über die Absicht des Textproduzenten haben, die Äußerung in eine Kommunikationsgeschichte einbetten können und weitere von der phänomenologisch orientierten Soziologie herausgearbeitete Interpretationsmechanismen anwenden, um die richtige Bedeutung des Textes rekonstruieren zu können 38 . Nun ist aber der Gesetzgeber nicht einfach eine Person, wie sie uns im Alltag begegnet. Schon dies macht eine Übertragung von Interpretationsmechanismen aus Alltagsinteraktionen, ihre richtige Ermittlung einmal unterstellt, zu einem fragwürdigen Unternehmen. Vor allem aber sind die Interpretationsmechanismen, welche im sozialen Leben dazu dienen sollen, die Sprachregeln durch eine situative Komponente zu ergänzen, in der phänomenologisch orientierten Soziologie als invariante Strukturen des gegenstandskonstitutiven Bewußtseins angesetzt39. Deswegen verfehlt der Versuch, Kommunikation aus solchen invarianten Regeln des Bewußtseins zu konstituieren, den sozialen Charakter der Sprachregeln 40. Es sind nicht monologische Interpretationsregeln, die dadurch, daß jeder für sich 36 Vgl. zur kritischen Auseinandersetzung mit dem kommunikationstheoretischen Ansatz: F. Müller (Anm. 2), S. 42f. 37 Vgl. dazu F. Schütze u.a., Grundlagentheoretische Voraussetzungen methodisch kontrollierten Fremdverstehens, in: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.), Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Bd. 2,1978, S. 433 ff. 38 Α. V. Cicourel, Generative Semantik und die Struktur der sozialen Interaktion, in: R. Wiggershaus (Hrsg.), Sprachanalyse und Soziologie, S. 212ff., insbes. 227ff.; vgl. zur Rolle des Wissens in einem nicht kommunikationstheoretisch restringierten Modell kommunikativer Interaktion im Rahmen der Linguistik: D. Busse, Historische Semantik, 1987, S. 151ff., 251ff., 273ff. 39 Vgl. G. Bentele / /. Bystrina, Semiotik, 1978, S. 64ff. 40 Vgl. dazu R. Wiggershaus, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Sprachanalyse und Soziologie, S. 7ff., insbes. 21ff., 26f.
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ihnen folgt, Intersubjektivität hervorbringen, sondern es sind intersubjektive Sprachregeln, die umgekehrt das scheinbar monologische Verfahren der Interpretation erst ermöglichen. Diese Verkürzung der pragmatischen Dimension auf eine eklektische Ergänzung von Sprachregeln durch situationsbezogene Interpretationsregeln ist daher nicht geeignet, die Problematik des Verstehens juristischer Texte zu präzisieren 41. Vielmehr führt sie im Ergebnis lediglich dazu, die Beziehung zwischen juristischem Entscheidungsträger und Gesetzgeber in soziologischen Kategorien einer Alltagsinteraktion nachzuerzählen. 1.3 Kann der gesetzgeberische Wille die semantische Identität des Textes garantieren? Der gesetzgeberische Wille ist mit der Rolle überfordert, als eindeutige Grenze zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung die semantische Identität des Gesetzestextes zu garantieren. Inhalt der Gesetzesbindung ist hier nämlich die subjektive Aussageintention des Textautors bzw. Gesetzgebers. Vorausgesetzt ist dabei die Identität des vom Autor gemeinten Wortsinns, demgegenüber die vielfältige Deutbarkeit nur Konsequenz des zeitlichen und persönlichen Abstands der Interpretation ist 42 . Die historische und insbesondere genetische Auslegung sind die Instrumente zur Gewinnung dieses ursprünglichen Wortsinns, welcher gleichzeitig die Grenze der Auslegung und den Inhalt der Gesetzesbindung bezeichnet. Schon das Instrument der genetischen Auslegung 43 macht aber deutlich, daß der Wille des Gesetzgebers diese Funktion nicht erfüllen kann. Juristen ermitteln den „Willen des Gesetzgebers" dadurch, daß sie andere Texte, nämlich Parlamentsprotokolle und amtliche Begründungen, heranziehen und eben auslegen. Das vorgeblich reine Signifikat der gesetzgeberischen Intention verwandelt sich damit in einen seinerseits auslegungsbedürftigen Signifikanten und wird damit in die Kette zurückgestellt, die es doch dominieren soll 44 . Darin zeigt sich ein grundlegendes Problem der Position, welche die Bedeutung eines Textes auf das festlegen will, was der Textproduzent beabsichtigt. Eine Absicht ist immer etwas Bestimmtes, und eine bestimmte Absicht kann
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Friedrich Müller stellt richtig fest, daß mit der kommunikationstheoretischen Terminologie die Probleme allenfalls neu formuliert, nicht aber gelöst sind. F. Müller (Anm. 2), S. 42. 42 Vgl. dazu auch M. Frank (Anm. 7), S. 573ff. 43 Vgl. zum genetischen Konkretisierungselement: F. Müller (Anm. 14), S. 160ff. Zur Abgrenzung von historischer und genetischer Auslegung: ebd., S. 268f. 44 Vgl. dazu F. Müller, ebd., S. 164, der betont, daß die von historischer und genetischer Auslegung ins Spiel gebrachten Texte ihrerseits nach allen methodischen Aspekten zu konkretisieren sind.
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man nur im Rahmen einer bestimmten Sprache haben 45 . Das heißt, daß die Absicht nicht vom Sprachsystem unabhängig ist, sondern sich in dieses einschreibt 46 . Daher kann man nicht von einer vorausdrücklichen Intention auf die Bedeutung des Textes schließen, sondern nur umgekehrt von der Bedeutung eines Textes auf die Intention 47 . Die Bedeutung eines Textes kommt nicht so zustande, daß der Textproduzent irgendwelche bedeutungsverleihenden Akte ausführt, sondern die Intentionalität des Textproduzenten muß anknüpfen an ein bestimmtes System sprachlicher Bedeutungen 48 . Aus diesem Grund kann der gesetzgeberische Wille nicht als archimedischer Punkt außerhalb der Sprache angesehen werden, welcher gegenüber der Vielfalt der Interpretationen den identischen Textsinn wahrt 49 . Auch wenn sich die gesetzgeberische Intention aus den Protokollen einmal zweifelsfrei ermitteln ließe, wäre fraglich, ob diese Intention den Inhalt des Textes überhaupt vollständig determinieren könnte. Schon auf der internen Ebene der Zeichen zeigt sich hier ein nicht zu sättigender Kontext, den die nachträglich ins Zeichensystem eingeschriebene Intention nie vollständig überblicken kann 50 . Die Sprache ist, entgegen den Voraussetzungen des Kommunikationsmodells, mehr als ein bloßes Medium zum Austausch von vorsprachlich mit sich identischem Meinen. Sie ist als Struktur gerade deswegen wiederholbar und lesbar, weil sich die vorgeblich determinierende Individualität des auktorialen Meinens in die Objektivität einer gesellschaftlichen Konvention einschreiben muß 51 . Damit führt die Bestimmung der Gesetzesbindung im Rahmen einer kommunikationstheoretisch fundierten subjektiven Auslegungslehre nicht aus den Aporien heraus, die schon bei der klassischen Konzeption des Gesetzespositivismus auf der Ebene des grammatischen und systematischen Auslegungselements festgestellt wurden. Denn der Gesetzgeber muß, um seine Meinung 45 Vgl. dazu L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Randbemerkungen unter § 38. Auch §§ 337ff., 358. Zusammenfassende Darstellung bei E. v. Savigny, Die Philosophie der normalen Sprache, 1980, S. 36ff. Kurze Darstellung der sprachphilosophischen Kritik am sinnkonstitutiven Subjekt auch bei A. Wellmer, Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, in: ders., Zur Dialektik von Moderne und Postmoderne, 1985, S. 48ff., 77ff. 46 Vgl. dazu/. Derrida, Signatur, Ereignis, Kontext, in: ders., Randgänge der Philosophie, 1976, S. 124ff., 150. 47 Vgl. dazu auch M. Frank, Das individuelle Allgemeine, 1985, S. 251 ff., wo am Beispiel der Position Hirschs gezeigt wird, daß der Rekurs auf den „authorial meaning" keineswegs auf die Individualität des Autors zurückführt. 48 Vgl. zu diesem Problem die grundlegende Auseinandersetzung Derridas mit Husserl: J. Derrida, Die Stimme und das Phänomen, 1979. 49 Vgl. dazu auch M. Frank (Anm. 7), S. 520ff. so Vgl. / . Derrida (Anm. 46), S. 134f., 146 und öfter. 51 J. Derrida, ebd., S. 134f.
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mitzuteilen, sich des universellen Instruments der Sprache bedienen. Auch die Intention des Gesetzgebers ist insoweit keine reine Bedeutung im Sinne einer vorsprachlichen Größe, sondern als bestimmte Absicht nur formulierbar in der Objektivität sprachlicher Formen. In der juristischen Diskussion wird dies erkennbar, wenn etwa schon Windscheid vom „vernünftigen Willen des Gesetzgebers" spricht und sich damit vom subjektiv-psychologisch bestimmten zum objektiv-systemisch bestimmten Willen des Gesetzgebers bewegt 52 . Tatsächlich hat die auktoriale Intention nie einen rein individuellen Status, sondern kann nur einer sprachlichen Konvention folgend formuliert werden, deren Kontext sie nie vollständig überblickt. Damit steht die subjektive Lehre in einer lediglich zeitlich nach rückwärts verschobenen Form 5 3 vor einer Schwierigkeit, die sich schon auf der Ebene des grammatischen und systematischen Konkretisierungselements als unlösbar erwiesen hat, nämlich daß die Gesetzesbindung als Bindung an eine fertig vorgegebene Norm semantische Regeln voraussetzt, die invariant, selbstidentisch und objektiv sind. Dieses Problem läßt sich allerdings im kategorialen Rahmen der subjektiven Lehre nicht mehr formulieren, sondern führt zu der Lehre vom sogenannten objektiven Sinn des Gesetzes. 2. Der Text und sein objektiver Sinn Eine von Savigny ausgehende und bis zu Larenz reichende Tradition 54 folgert aus der begrenzten Leistung des grammatischen Konkretisierungselements die Notwendigkeit, den bloßen Wortlaut der Norm in Richtung auf einen objektiven Sinn zu überschreiten, welcher eine Grenze für den Prozeß der Bedeutungsdifferenzierung darstellen soll. 2.1 Kritik
am System der Rechtsbegriffe
Die vom Gesetzespositivismus in den Vordergrund gestellte grammatische Auslegung ist danach nur der Ausgangspunkt im Prozeß der Erschließung des objektiven Gesetzessinns55. Sie bezieht sich auf die Bedeutung eines Ausdrucks im Allgemein- oder Fachsprachgebrauch. Die Untersuchung des 52 Vgl. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, 18912, S. 54. Vgl. dazu auch K. Larenz (Anm. 23), S. 27ff. Vgl. auch M. Frommel, Die Rezeption der Hermeneutik bei Karl Larenz und Josef Esser, 1981, S. 33f. 53 Dies wäre dann eine objektive Auslegung, die nicht geltungszeitlich, sondern entstehungszeitlich durchzuführen wäre. Vgl. zu dieser Unterscheidung: A. Keller, Die Kritik, Korrektur und Interpretation des Gesetzeswortlauts, 1960, S. 161 ff. 54 Vgl. zur Entfaltung dieser Traditionslinie K. Larenz (Anm. 23), Kap. I , insbes. S. 11 ff., 117ff. Kritisch zu verschiedenen Aspekten dieser historischen Betrachtung: M. Frommel (Anm. 52), insbes. S. 149ff. 55 Vgl. dazu Κ Larenz, ebd., S. 305; das folgende Zitat findet sich auf S. 306.
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Sprachgebrauchs führt zu einer Anzahl von Varianten mit der „Folge, daß sich aus dem Sprachgebrauch allein ein eindeutiger Wortsinn nicht ergibt". Für Larenz erklärt sich diese Unbestimmtheit daraus, daß die Bedeutung eines Wortes diesem nicht wie eine feste Eigenschaft anhaftet 56 , sondern sich erst ergibt „aus ihrer Rolle, ihrer Funktion im Sinnzusammenhang der normativen Sphäre des Rechts, ihrem dadurch festgelegten Gebrauch im ,Sprachspier und ihrem Sinnbezug auf andere, im Verhältnis zu ihnen komplementäre oder gegensätzliche Ausdrücke der gleichen Sinnsphäre" 57 . Damit wird auf den systematischen Zusammenhang des Gesetzes verwiesen. Erst durch die Bildung von semantischen Oppositionen, durch Abgrenzung und Zuordnung wird die Bedeutung von Rechtsbegriffen verständlich, wie überhaupt die Bedeutsamkeit eines Zeichens sich dadurch bildet, daß es gegen die übrigen Zeichen seiner Systemebene profiliert wird 5 8 . Aber dieser Gedanke der differentiellen Wertbestimmung hat Konsequenzen 59 , welche die der Systematik zugewiesene Rolle, Bedeutungsvarianten zu reduzieren, wieder in Frage stellen. Eine feststehende Bedeutung eines bestimmten Zeichens ließe sich nur dann angeben, wenn die Bedeutungsdifferenzierung durch Profilierung gegenüber oppositionellen Werten irgendwann einmal abgeschlossen wäre und das Zeichen damit den Charakter feststehender Positivität gewonnen hätte. Genau diese, vom klassischen Strukturalismus noch geteilte Prämisse hat die neuere Texttheorie aber durch den Hinweis auf die interne Unendlichkeit der differentiellen Wertbestimmung im Sprachsystem widerlegt 60 . Die Sprache ließe sich nur dann als geschlossenes System festgefrorener Differenzen denken, wenn es eine Instanz gäbe, welche die Bedeutungsdifferenzierung von außen zu begrenzen imstande wäre. U m eine solche Instanz als bestimmte aber denken zu können, müßte sie am Spiel der Differenzen teilnehmen und könnte sie gerade nicht begrenzen 61. Wäre sie aber außerstrukturell, dann wäre sie nicht bestimmt und damit nicht denkbar. Daraus ergibt sich die Konsequenz, daß die Verschiebung der Bedeutungen nicht vollständig zu kontrollieren ist. Aus diesem Grunde kann die systematische Auslegung zwar im Rahmen einer historisch gegebenen Interpretationskultur gewisse Plausibilitäten erzeugen, aber sie kann nicht „mit letzter Genauigkeit" 62 die Forderung der deterministischen Textauffassung erfüllen, eine Bedeutung als die „richtige" auszuzeichnen63. 56 Ebd., S. 193. 57 Ebd., S. 194. 58 Vgl. dazu P. Schifko, Bedeutungstheorie. Einführung in die linguistische Semantik, 1975, S. 73ff.; H. Brekle, Semantik, 1972, S. 81 ff. 59 M. Frank (Anm. 7), S. 32ff., insbes. S. 37, zeigt, daß sich die neuere Texttheorie gerade unter Radikalisierung des Saussureschen Ansatzes der differentiellen Wertbestimmung entwickelt hat. 60 Vgl. zu dieser Entwicklung R. Brütting (Anm. 6), insbes. S. 21 ff. und 69ff. Vgl. dazu/. Derrida (Anm. 7), S. 50ff., 55ff. 62 K. Larenz (Anm. 23), S. 310.
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Larenz will aber an der Frage nach der „richtigen" Bedeutung festhalten 64 und versucht deswegen, eine im Unterschied zu anderen Texten spezifisch in Rechtstexten65 vorhandene Systematik aufzuweisen, welche als innerer Zusammenhang und sinnvoll geordnetes Ganzes die Varianz der Einzelbedeutungen zu stabilisieren vermag. Allerdings kann Larenz einen solchen bedeutungsstabilisierenden inneren Zusammenhang des Rechts nicht schon auf der Ebene des „äußeren Systems"66 des Rechts nachweisen, welches von den gesetzlichen Ordnungsbegriffen gebildet wird. Als abstrakt-begriffliches System sollte es erlauben, „jedem Begriff (. . .) seinen Ort innerhalb des gesamten Systems zuzuweisen. (. . .) Dagegen erwartet sich von diesem System heute niemand mehr einen Gewinn für die Lösung offener Rechtsprobleme" 67 . Die abstrakten Ordnungsbegriffe vermögen aus der Sicht von Larenz also kein vollständiges System des Rechts als innerlich zusammenhängende Ordnung zu bilden. Ebensowenig sieht er die Möglichkeit, auf einen gesetzgeberischen Gesamtplan zurückzugehen: „Denn von einem Plan, einer bestimmten Regelungsabsicht, läßt sich nur bei einem Gesetz sprechen, nicht im Hinblick auf die Rechtsordnung im ganzen. Diese ist viel zu verzweigt und zu sehr in ständiger Entwicklung begriffen, als daß sie in allen ihren Teilen einem einheitlichen Gesamtplan eingeordnet werden könnte" 6 8 . A n dieser Zeitoffenheit und Problemheterogenität scheitert auch eine Axiomatisierung der rechtlichen Grundbegriffe 69 , so daß die Möglichkeiten des äußeren begrifflichen Systems als Fixpunkt zur Stabilisierung der Bedeutungsvarianzen damit erschöpft sind. 2.2 Das „innere System" des Rechts als Grundlage des Bindungspostulats Doch in diesen Schwierigkeiten sieht Larenz „keinen Grund, den Systemgedanken selbst preiszugeben" 70 . So taste sich zwar die Rechtsprechung scheinbar nur von Einzelregelung zu Einzelregelung voran, gelange aber bei genaue63 Vgl. zu einer realistischen Einschätzung der Leistungsfähigkeit des systematischen Arguments: F. Müller (Anm. 14), S. 163ff.; ders., Die Einheit der Verfassung, 1979, S. 49ff., 185ff. 64 K. Larenz (Anm. 23), S. 195. 65 Vgl. zum Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz ebd., insbes. S. 187ff., 229ff. Vgl. auch zum Bedeutungszusammenhang des Gesetzes, welcher bei Rechtstexten weiter trage als bei sonstigen Texten: ebd., S. 310. 66 Vgl. ebd., S. 311 und öfter. 67 Ebd., S. 160. 68 Ebd., S. 361. 69 Ebd., S. 160f. Vgl. allgemein zu verschiedenen Begriffen des Systems, welche noch nicht zum Gedanken der „wesensmäßigen Einheit" der Rechtsordnung gelangt sind: C.-W. Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969, insbes. S. 19 ff. ™ K. Larenz, ebd., S. 161.
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rer Betrachtung doch zu einem System sinnvoll miteinander verbundener Rechtsprinzipien. Dies erklärt sich für Larenz daraus, daß die Rechtsordnung als Erzeugnis menschlichen Handelns kein amorphes Chaos bilde, sondern teleologische Bezüge enthalte, welche in ihrer Anwendung durch die Rechtsprechung zur Entfaltung kämen 71 . Das Recht ist danach zwar als positives Gesetz Ergebnis der historischen Entwicklung, aber als menschliches Erzeugnis eben auch vernünftige Ordnung. Insoweit hat die Rechtsanwendung die Aufgabe, „die einzelne Gesetzesnorm aus ihrer empirischen Vereinzelung zu befreien, sie durch Rückführung auf ein höheres Prinzip oder einen allgemeinen Begriff gleichsam zu entstofflichen und das positive 4 so zu vergeistigen" 72 . Den Text verstehen heißt danach, ihn als Text auszulöschen, heißt im wörtlichen Sinn, ihn zum Sprechen zu bringen. Der Rechtsanwender muß das Gesetzbuch durch seine Auslegungstätigkeit lebendig machen und in der Bewegung seines Verstehens die Prinzipien hervorbringen, welche das Recht als sinnvolle Ordnung des menschlichen Zusammenlebens konstituieren. Diese Lektürepraxis, die den „Geist" vom Buchstaben ablöst und den Text auf seinen dahinterliegenden Sinn interpretiert, erhebt aber das Lesen damit nicht zur „freien Operation" im Sinne der Romantik 73 , sondern soll zu objektiven, dem Rechtsdenken vorgegebenen Prinzipien führen. Zwar betont Larenz immer wieder den schöpferischen Charakter der Rechtserkenntnis und die Offenheit des Systems der Rechtsprinzipien 74 . Aber der „schöpferische" Charakter erklärt sich für Larenz lediglich daraus, daß das Recht als „objektivierter Geist" nicht unabhängig vom Verstehensprozeß existiert 75 . Rechtsanwendung hat demnach gerade keine gegenstandskonstitutive Komponente, sondern reduziert sich auf den historischen Vollzug „potentiell" schon festgelegter Strukturen. Die „Neuschöpfung" liegt nur im reinen A k t des Aussprechens als Aktualisierung; inhaltlich ist das Aussprechen festgelegt durch den vorgegebenen Rechtsgedanken, welchen es nur entfaltet. Insoweit bleibt, wie Bloch gegen Hegel bemerkt, jeder scheinbar neue Schritt der Rechtsentwicklung determiniert durch einen „Prozeßwalzer a priori" 7 6 und ist der Abschluß des Systems nur zeitlich aufgeschoben bis zur vollen Entfaltung des Rechtsbewußtseins. Es ist deshalb konsequent, wenn Larenz feststellt, daß die Rechtsprinzipien von der Rechtsprechung nicht η Ebd. 72 Ebd., S. 31 und ff. das zustimmende Referat der objektiven Auslegungslehre. 73 Vgl. dazu Novalis, Schriften, hrsg. ν. Ρ. Kluckhohn, R. Samuel, 1981, Bd. 2, S. 609. 74 Vgl. dazu K. Larenz (Anm. 23), S. 467ff. und öfter sowie ders., Richtiges Recht, S. 183 ff. 75 Κ . Larenz (Anm. 23), S. 387f. Vgl. auch ders. (Anm. 74), S. 174ff. 76 E. Bloch, Subjekt - Objekt. Erläuterungen zu Hegel, Gesamtausgabe Bd. 8, S. 135. Vgl. zu einem Begriff des offenen Systems, der nicht schon das Omega ins Alpha einschachtelt: ebd., S. 473ff.
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erfunden, sondern gefunden werden. In einem „Kreislauf zwischen Problementdeckung, Prinzipienbildung und Systemverfestigung" 77 entfaltet sie nur die Prinzipien, welche im „Geist" des Gesetzestextes schon immer enthalten waren. Die Sinneinheit der Rechtsordnung als perspektivische Zusammenfügung isolierter Texte unter dem Gedanken der Gerechtigkeit erweist sich damit gleichzeitig als Bedingung und Ziel jeder Rechtserkenntnis: Das richtige Verstehen einzelner juristischer Texte bedarf eines Vorgriffs auf den Sinnzusammenhang der Rechtsordnung, und dieser garantiert in einer Bewegung, welche Larenz als hermeneutische Spirale 78 beschreibt, die Stabilität der Einzelbedeutungen. 2.3 Kann die Gerechtigkeitsidee einen objektiven Sinn des Gesetzes garantieren? Auf der Ebene des inneren Systems reproduziert sich die Schwierigkeit, welche schon auf der begrifflichen Ebene des äußeren Systems festgestellt wurde 79 . Larenz will das System der Rechtsprinzipien nicht zu einer schon überschaubaren Anzahl von Axiomen reduziert wissen und steht deswegen vor der Frage, wie die Prinzipien so gegeneinander profiliert werden können, daß entscheidbar ist, welche dieser Prinzipien in einem konkreten Fall anwendbar sind. In seiner Konzeption des inneren Rechtssystems drückt sich dies als Spannung zwischen den konstanten allgemeinen Wertgesichtspunkten und den wandlungsfähigen Wertentscheidungen zur Konkretisierung der Prinzipien aus 80 . Man kann einen Fall nämlich erst dann mit Hilfe von allgemeinen Rechtsprinzipien lösen, wenn man neben der Auswahl der Prinzipien auch die Frage der Gewichtung im Einzelfall begründet. Insoweit genügt allein die Berufung auf allgemeine Rechtsprinzipien nicht, sondern es bedarf einer Instanz, welche sie so gegeneinander abgrenzbar macht, daß Wertungsdivergenzen im konkreten Einzelfall überwunden werden können. Auch Larenz sieht, daß mit der Herausarbeitung der Wertbezogenheit juristischer Erkennt77 Κ Larenz (Anm. 23), S. 161. Larenz nimmt hier die Position von Esser auf. Vgl. zu den Unterschieden in der Einschätzung von Dogmatik und der Leistung der Rechtsprechung zwischen Esser und Larenz: M. Frommel (Anm. 52), insbes. S. 119ff., 125ff. 78 Κ Larenz, ebd., S. 198 Text und Fn. 54. Vgl. zur Hermeneutikauffassung von Larenz, der sowohl Elemente der klassischen Hermeneutik Bettis aufnimmt, als auch Gadamer rezipiert: M. Frommel, ebd., S. 89. Näher zum Begriff Vorverständnis S. 86ff., Applikation S. 101 ff. 79 Vgl. zur grundsätzlichen Kritik holistisch ansetzender juristischer Systemvorstellung: F. Müller (Anm. 63); ders., Einheit der Rechtsordnung, in: N. Achterberg, Ergänzbares Lexikon des Rechts, Abt. Rechtsphilosophie, 1985. 80 Vgl. M. Frommel (Anm. 52), S. 143f. Grundsätzlich zu diesem Problem: G. Ellscheid, Das Naturrechtsproblem in der neueren Rechtsphilosophie, in: A. Kaufmann / W. Hassemer (Hrsg.), Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 1977, S. 23ff., insbes. S. 45ff.
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nis und dem Verweis auf Rechtsprinzipien allein noch kein sicheres Fundament für die Rechtserkenntnis erreicht ist. Deswegen hebt er an der die Jurisprudenz kennzeichnenden Textarbeit eine weitere, über die Wertbezogenheit hinausgehende Komponente hervor: „ I n einer Sprache wird immer über etwas gesprochen; Verständigung durch das Medium der Sprache ist Verständigung über eine Sache, die ,zur Sprache gebracht 4 wird. Die Sache, von der in der normativen Sprache der Jurisprudenz gesprochen wird, ist ,die Sache Recht 4 . (. . .) Das schließt ein der Sinnbezug auf den Rechtsgedanken selbst (. . .)" 8 1 . Hinter der Flüchtigkeit textueller Bedeutungen scheint jetzt ein stabiler Referent auf: die Sache Recht, welche für die Jurisprudenz als verstehende Wissenschaft zugänglich wird, wenn sie die Vielfalt der Rechtsprinzipien auf den zentralen Fluchtpunkt der Gerechtigkeit hin ordnet. Erst dieser Zentralpunkt verwandelt die Rechtsprinzipien in ein der Gerechtigkeit untergeordnetes System82. Dabei gilt auch für die Rechtsidee, daß sie zwar auf Auslegung in der Zeit angewiesen ist, aber als potentiell schon fertig vorgegebene Struktur eine zeitlos ideelle Geltung hat 83 . Larenz kann unter dieser Voraussetzung eines außertextuellen Organisationszentrums der semantischen Oppositionen ohne Widerspruch zu der vorangehenden Ablehnung einer dem Wort fest anhaftenden Bedeutung die Auslegungstätigkeit bestimmen als „Ausbreitung und Darlegung des in dem Text beschlossenen, aber noch gleichsam verhüllten Sinnes. Durch die Auslegung wird dieser Sinn ,zur Sprache gebracht 4, d.h. er wird mit anderen Worten deutlicher und genauer ausgesagt und mitteilbar gemacht. Dabei ist für den Vorgang der Auslegung bezeichnend, daß der Ausleger nur den Text selbst zum Sprechen bringen will, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen4484. Nur in der Fragestellung liegt hier ein subjektiver Anteil: „Der Text ( . . . ) antwortet nur dem, der ihn richtig befragt 4485 . Eigentliche Führungsgröße der Entscheidung bleibt der sprechende Text. In der den Wortlaut der Norm mit seinem authentischen Sinn erfüllenden Auslegung wird die vorgegebene Wahrheit des Textes sich selbst gegenwärtig. Der Mund des Richters ist nur Organ für die sich in seinem Sprechen vollziehende Selbstaffektion der Wahrheit. Beim Prozeß der Auslegung erweitert sich gleichsam „hinter dem Rükken 4 4 8 6 des Handelnden das Gesetz über Sinnzusammenhang und Gerechtigkeitsidee zum Recht, das sich selber spricht. Die den Text vergeistigende Auslegung öffnet damit den isolierten Normtext hin zu der Idee eines der Rechtskultur teleologisch aufgegebenen idealen 81
ω 83 84 85 86
K. Larenz (Anm. 23), S. 194. Vgl. auch K. Larenz (Anm. 74), S. 33ff. Ebd., S. 174ff.; K. Larenz (Anm. 23), S. 467ff. K. Larenz (Anm. 23), S. 299. Ebd. Ebd., S. 300. Vgl. dazu auch S. 203 und ff.
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Gesetzbuches. Als geschlossene Kodifikation, welche die verschiedenen Normen mittels seiner Systematik zur Einheit eines Korpus zusammenzwingt, erschien das Gesetzbuch dem klassischen Positivismus als Garant einer die widerspruchsvollen Strebungen vereinheitlichenden Totalität des gesellschaftlichen Handelns 87 . Der Einbruch der Zeit in die in sich ruhende Kodifikation hat diese Funktion bedroht. Für Larenz bleibt uns aber die Idee des Gesetzbuches teleologisch aufgegeben als Idee einer unendlichen Totalität von Rechtstexten, welche zur Totalität dadurch werden, daß die schon vor ihnen konstituierte Totalität des inneren Rechtssystems jede Einschreibung überwacht und als ideale Größe der Rechtsidee von ihr unabhängig ist 88 . Tatsächlich kann aber die von Larenz als Gerechtigkeit postulierte ideale Größe die Totalität des Textes auch perspektivisch nicht garantieren. Einmal wird das vorgeblich reine Signifikat in der Sprache immer wieder unterhöhlt durch das Spiel der Differenzen. Die strapazierte Rechtsidee hat nämlich fast so viele Namen wie Autoren, die sich mit ihr beschäftigt haben. Schon dieser Wechsel der Namen macht es wenig plausibel, die Rechtsidee als in sich selbst ruhende und der Erkenntnis vorgegebene Bedeutung anzusehen. Aber es zeigt sich darin auch ein allgemeiner, für jede Vertextung geltender Zusammenhang: Weil sich das Zeichen im Text konstituiert als Gewebe von Verweisen auf das Abwesende, Andere seiner selbst, kann auch innerhalb der „normativen Sprache der Jurisprudenz" kein Bestandteil je vollkommen mit sich selbst identisch sein 89 . Das Gesetz der differentiellen Wertbestimmung ist unvereinbar mit der Vorstellung eines in sich ruhenden reinen Signifikats. Jeder einzelne „anwesende" Begriff gewinnt Bestimmtheit nur als Element einer Kette oder eines Systems, und ist in seiner Präsenz ausgehöhlt durch die Spuren anderer Elemente, auf die er bezogen ist. Zum andern kann die Rechtsidee als vorsprachliche Größe mangels Bestimmtheit nicht gedacht werden. Wenn Larenz davon ausgeht, daß die Auslegung den Sinn des Textes „zur Sprache bringt", ihn also erst mitteilbar macht, postuliert er einen vorsprachlichen Sinn, welcher erst nachträglich im Text Ausdruck findet und auf den die Auslegung zurückgreifen kann 90 . Aber entsprechend der Grundeinsicht der sprachphilosophischen Wende ist das sprachliche Zeichen nicht Instrument für die Wiederaneignung oder bloße Mitteilung eines vorsprachlichen Sinns, sondern umgekehrt Bedingung der 87 Vgl. zur positivistischen Herkunft holistischer Einheitsvorstellungen in der Jurisprudenz: F. Müller (Anm. 63), S. 92 und öfter. 88 Vgl. zum Gedanken des Buches und seiner logozentrischen Implikationen: J. Derrida, Grammatologie, 1983, S. 35 und öfter. 89 Vgl. J. Derrida (Anm. 13), S. 15ff. Vgl. dazu auch M. Frank, Das Sagbare und das Unsagbare, 1980, S. 47f. 90 K. Larenz (Anm. 23), S. 299. Zur Kritik dieser „Repräsentationstheorie" des Textes: Derrida (Anm. 46), S. 127ff.
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Möglichkeit für diesen Sinn. Dieser Zusammenhang wird von einem Vorgehen verfehlt, das die Elemente eines Textes auf ein außertextuelles Organisationszentrum bezieht 91 , welches von dem so stabilisierten Text nur nachträglich repräsentiert wird. Die von Larenz angestrebte Objektivität des Textsinns ließe sich nur erreichen, wenn man die juristische Textarbeit von einem archimedischen Punkt außerhalb der Sprache aus kontrollieren könnte. Tatsächlich bleibt der Ausleger aber auch bei der Textinterpretation unlösbar ins Sprachgeschehen verstrickt, so daß jede Auslegung in letzter Instanz hypothetisch bleibt. Die „objektive Auslegungslehre" kann daher ihr sinnstiftendes Zentrum nicht garantieren, und damit auch nicht den objektiven Sinn als Inhalt der Gesetzesbindung. 3. Der Text und seine herzustellende Wahrheit Das Problem der Konstitution eines idealen Textes, worin die Rechtsprechung eingeschrieben werden kann, wird von diesem Ansatz auf der Ebene der Argumentationstheorie neu gestellt. Die bisher dargestellten Auffassungen wollten das Bindungspostulat auf texttheoretischer Ebene dadurch einlösbar machen, daß sie entweder die Textbedeutung auf einen stabilen Kern einschränkten, oder den Textbegriff zu einem idealen Gesetzbuch überhöhten. Diese beiden scheinbar gegensätzlichen Strategien sind in der Theorie des praktischen Diskurses 92 miteinander verbunden. Zunächst wird die Gesetzesbindung auf den Kern einer vorgegebenen textuellen Bedeutung reduziert. Aus der geringen praktischen Bindungswirkung einer solchermaßen reduzierten Gesetzesbindung, welche „nicht in jedem Fall zu genau einem Ergebnis" 93 führt, wird dann die Notwendigkeit gesetzestranszendenter Begründungsmaßstäbe abgeleitet und das vom Normtext abgelöste Bindungspostulat auf ein „Gesetzbuch der praktischen Vernunft" 9 4 bezogen. Es wird damit das Paradigma des sprechenden Textes auf semantischer Ebene zunächst eingeschränkt, aber nur um es auf der Ebene einer idealisierten Pragmatik Wiederaufleben zu lassen, wobei die Bindung an das Gesetz ersetzt wird durch die Bindung an eine philosophisch begründete Argumentationstheorie.
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Vgl. dazu auch M. Frank (Anm. 7), S. 581 ff. Vgl. dazu R. Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, 1978; um einen Bezug der juristischen Methodendiskussion zur neueren philosophischen Diskurstheorie bemüht sich auch Ρ. Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979, S. 109ff. und öfter. 93 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1986, S. 498. 94 Ebd., S. 500; R. Alexy (Anm. 92), S. 35. 92
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3.1 Die Reichweite der Gesetzesbindung Die Einschränkung des Gesetzesbindungspostulats wird damit begründet, daß sich eine Bindung an das Gesetz sinnvoll nur darauf beziehen könne, was der Gesetzgeber gesagt oder gewollt habe 95 . Die Aussagekraft des grammatischen und genetischen Konkretisierungselements bestimmt damit die Reichweite der Gesetzesbindung. Die grammatische Auslegung ist „definitiv, wenn aufgrund einer semantischen Regel feststeht, daß a unter die Norm R fällt bzw., daß dies nicht der Fall ist" 9 6 . Die Feststellung der semantischen Regel soll aus der Sicht von Alexy, der sich insoweit auf den „sprachanalytischen" Ansatz von Koch / Rüßmann beruft 97 , dadurch erfolgen, daß man sich auf die eigene Sprachkompetenz, Wörterbücher oder empirische Erhebungen beruft 98 . Nur soweit sich eine semantische Regel auf diese Weise feststellen läßt, ist die Bedeutung des Gesetzestextes vorgegeben 99. Ansonsten muß diese Bedeutung auf der Ebene intersubjektiver Verständigung erst konstituiert werden. Damit wird in juristischer Textarbeit ein Bereich der Bedeutungsermittlung von der Bedeutungsfestsetzung unterschieden. Die Bedeutungsermittlung garantiert die Bindung an das vom Gesetzgeber Gesagte. Bei der Bedeutungsfestsetzung, soweit sie sich nicht auf das genetische Argument berufen kann 1 0 0 , spricht nicht der Text selbst, sondern der Rechtsanwender mischt sich ein. Die Schwierigkeit dieser Position liegt in der Abgrenzung von Bedeutungsermittlung und Bedeutungsfestsetzung. Dort wo diese Frage ernsthaft diskutiert wird 1 0 1 , ist schnell ersichtlich, daß der Wunsch, über semantische Regeln zu einer festen oder sogar empirischen Basis für das Problem der Gesetzesbindung zu gelangen, nicht einlösbar ist. Selbst wenn man Beobachtungen über den Sprachgebrauch als Basissätze gelten lassen wollte, so ist wegen des konventionellen oder interpretativen Elements, das jede solche Beobachtung impliziert, die Objektivität noch nicht gewährleistet. Für die Abgrenzung von theoriefreier Beobachtung des Sprachgebrauchs und interpretationsbelasteter Festsetzung muß diese Auffassung vielmehr die gesamte gegenläufige Entwicklung der Wissenschaftstheorie von Kuhn über Popper und Stegmüller bis hin zu Carnap zurücknehmen 102 . Dies zeigt, daß es sich hier um eine positivi95 96 97 98 99
Vgl. R. Alexy (Anm. 92), S. 289ff.; ders. (Anm. 93), S. 501ff. R. Alexy (Anm. 92), S. 290. Vgl. R. Alexy (Anm. 93), S. 502. R. Alexy (Anm. 92), S. 290. R. Alexy (Anm. 93), S. 502f. 100 Vgl. dazu R. Alexy (Anm. 92), S. 291ff. 101 Vgl. H. / . Koch/ H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 188 ff.; H. Zimmermann (Anm. 23), S. 36ff., 65ff. 102 Vgl. dazu H. Zimmermann, Rechtsanwendung als Rechtsfortbildung, in: H. J. Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, 1976, S. 70ff., 5 F. Müller, Linguistik
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stische Sprachtheorie handelt, die den Gebrauch der Worte Beobachtung und semantische Regel in abenteuerlicher Weise festlegen muß. Eine semantische Regel ist der Beobachtung nie vorgegeben, sondern impliziert auch dort, wo die Sprachwissenschaft „empirisch" Textkorpora auswertet, immer ein Interpretationselement 103 . Was Alexy nur für den umstrittenen Normbegriff zugeben will, daß „stets Streit entsteht, wenn er aus der Ruhe einer selbstverständlichen Verwendung gerissen wird" 1 0 4 , gilt tatsächlich für jeden in einem Rechtsfall umstrittenen Begriff. Daher kann man ihm auch nicht folgen, wenn er sagt, daß „Maß und Kraft der Bindung durch Gesetz" auf der Ebene vorgegebener semantischer Regeln liege und im Hinblick auf die oft fehlende Trennschärfe dieser Regeln einfach nur selten zum Tragen komme 1 0 5 . Weil die Formulierung einer semantischen Regel im Rahmen einer Rechtsentscheidung immer auch ein normierendes Element enthält 106 , kann die Gesetzesbindung allein auf dieser Ebene nie eingelöst werden. Soll die Gesetzesbindung nicht leerlaufen, bedarf eine solche Sprachnormierung vielmehr der Rechtfertigung in einer an das Rechtsstaatsgebot107 normativ rückgebundenen Argumentationskultur. Dies zeigt, daß die Anforderungen der Gesetzesbindung wesentlich komplexer sind, als Alexy es wahrhaben will. Das Bindungspostulat reduziert sich gerade nicht auf die Erkenntnis vorgegebener semantischer Regeln 108 , sondern entfaltet sich auf der verfassungsrechtlichen Grundlage des Rechtsstaatsprinzips als Forderung, die Argumentation nach einer klaren Rangfolge so zu strukturieren 109 , daß ihr Ergebnis vorhersehbar und bere-
90ff., der auf vier Seiten die wissenschaftstheoretische Diskussion der letzten 50 Jahre „widerlegt". Vgl. dazu auch ders. (Anm. 23), S. 65ff. (etwas länger, aber dadurch nicht besser). 103 Vgl dazu R Keller, Zur Epistomologie der Semantik, in: L. Jäger (Hrsg.), Erkenntnistheoretische Grundfragen der Linguistik, 1979, S. 22ff., insbes. 34ff., 40ff.; H. J. Heringer y Eine Regel beschreiben, in: ders. (Hrsg.), Der Regelbegriff in der praktischen Semantik, 1974, S. 48ff. IM R. Alexy (Anm. 93), S. 40. 105 Ebd., S. 502f. Differenziertere Einschätzung des semantischen Arguments und der Möglichkeit, dieses mit der Gesetzesbindung gleichzusetzen, bei P. Schiffauer (Anm. 92), S. 102ff. Vgl. aber auch die mißverständlichen Formulierungen auf S. 104. 106 Ygi z u m Begriff der Sprachnorm: R. Wimmer, Überlegungen zu den Aufgaben und Methoden einer linguistisch begründeten Sprachkritik, in: H. Heringer (Hrsg.), Holzfeuer im hölzernen Ofen, 1982, S. 290ff., insbes. 296ff.; ders., Sprachliche Normen, in: H. J. Heringer (Hrsg.), Einführung in die praktische Semantik, 1977, S. 40ff.; zum normativen Element bei der Kodifizierung von Gebrauchsweisen in Wörterbüchern vgl. ders., Gebrauchsweisen sprachlicher Ausdrücke, in: ebd., S. 24ff., insbes. 37f. jeweils mit weiteren Nachweisen. Vgl. zur Aufnahme dieser Ansätze in der rechtstheoretischen Diskussion: F. Müller (Anm. 1), S. 374ff., insbes. 377f. 107 y g i z u r Bedeutung des Rechtsstaatspostulats als normative Grundlage für die Strukturierung praktischer Rechtsarbeit: F. Müller, Juristische Methodik und Politisches System, 1976, insbes. S. 49ff., 86ff., 90ff., 95ff. los Vgl. z u r rechtstheoretischen Kritik an dieser Position: F. Müller (Anm. 1), S. 287f.
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chenbar wird und damit die Möglichkeit nicht eines idealen, sondern eines faktischen Konsenses eröffnet. 3.2 Die Bindung der Rechtsarbeit an das Gesetzbuch der praktischen Vernunft Für Alexy hat die Gleichsetzung der Gesetzesbindung mit einer vorgegebenen Semantik des Textes den spezifischen Sinn, die Maßstäbe rechtsstaatlicher Rationalität in ihrer Reichweite so einzuschränken, daß er Raum gewinnt für einen philosophischen Rationalitätsmaßstab. Wenn das richterliche Sprechen mit Hilfe des grammatischen und historischen Auslegungselements nicht vollständig determiniert werden kann und trotzdem an dem Ziel der Rekonstruktion des authentischen Textsinns als Wahrheit festgehalten wird, dann braucht . man ein außertextuelles Organisationszentrum, welches die unabsehbaren Verschiebungen der Semantik kontrollierbar macht. Für Alexy liegt dieses Organisationszentrum im Unterschied zu Larenz nicht in der Rechtsidee, sondern in der Idee eines diskursiv begründeten Konsenses110. Ausgehend von einem vorausgesetzten Richtigkeitsanspruch soll im Diskurs eine vermittelnde Bewegung erzeugt werden, welche die Vieldeutigkeit des Textes unter eine globale Perspektive bringt. Die diskursive Einlösung des vorausgesetzten Richtigkeitsanspruchs führt zwar nicht zu einer strengen Ordnung der semantischen Oppositionen im Sinne einer vollständigen Beseitigung der Ergebnisunsicherheit 111 , aber findet im Konsensus doch einen die Vieldeutigkeit umschließenden Horizontbegriff, der die Sinnkontinuität ahnen läßt und jedem so gewonnenen Ergebnis Wahrheit verbürgt. Die Vieldeutigkeit des Textes soll dadurch reduziert werden, daß man in der diskursiven Bewegung den Bezug zum transzendentalen Sinnzentrum der gewaltfreien Kommunikationsgemeinschaft 112 herstellt, das alle Vieldeutigkeiten auf einen zentralen Fluchtpunkt hin ordnet. Die Theorie des praktischen Diskurses 113 wäre dann 109 Vgl. zu einer Präzisierung des Problems der Gesetzesbindung aus der Sicht der Strukturierenden Rechtslehre: R. Christensen, Das Problem des Richterrechts aus der Sicht der Strukturierenden Rechtslehre, ARSP 1987, S. 75ff. 110 R. Alexy (Anm. 92), S. 176ff.; P. Schiffauer (Anm. 92), S. llOff. Vgl. zur Rolle des Begriffs Konsensus in der Theorie des praktischen Diskurses: U. Neumann, Juristische Argumentationslehre, 1986, S. 43ff., dort auch weitere Nachweise zur Diskussion. m R. Alexy, ebd., S. 256ff., 349f.; ebenso R. Alexy (Anm. 93), S. 499, 521. h 2 R. Alexy (Anm. 92), S. 158ff.; P. Schiffauer (Anm. 92), S. 112ff. 113 Alexy entwickelt seine Position vor allem unter Bezug auf die von Habermas formulierte Theorie des allgemeinen praktischen Diskurses. Vgl. etwa die Formulierung der strukturellen Bedingungen, welche die Kommunikationssituation erfüllen muß: R. Alexy (Anm. 92), S. 240; ders., Eine Theorie des praktischen Diskurses, in: W. Oelmüller (Hrsg.), Normenbegründung, Normendurchsetzung. Materialien zur Normendiskussion, Bd. 2, S. 22ff. Die dabei von Alexy entwickelten Vorschläge wurden inzwischen von Habermas aufgenommen. Vgl. J. Habermas, Diskursethik - Notizen zu einem Begründungsprogramm, in: ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, 1983, S. 53ff., 99. Vgl. allgemein zur Diskussion der Habermasschen Theorie in der rechtswissenschaftlichen Literatur: U. Neumann (Anm. 110), S. 77 m. w.N. 5*
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das grundlegende Webmuster, nach dem juristische Aussagen vertextet werden müssen. Damit entfaltet sich in diesem Ansatz die Grundidee der idealistischen Philosophie, daß die Wahrheit in der Erscheinung zwar zersplittert ist, aber der Textausleger das Zerstreute wieder einsammelt und so die Wahrheit des Textes restituiert. Interpretationsbehauptungen sind aus dieser Perspektive eine besondere Klasse von Sprechakten 114 mit einem philosophischen Richtigkeitsanspruch, welcher im universellen praktischen Diskurs nach bestimmten Regeln eingelöst wird. Es gilt dann: „Eine normative Aussage Ν ist richtig genau dann, wenn sie das Ergebnis der Prozedur Ρ sein kann 1 1 5 ." 3.3 Kann die Theorie des praktischen Diskurses ein Kriterium für die Wahrheit von Interpretationsbehauptungen garantieren? Das Kriterium für die Beurteilung juristischer Argumentation formuliert Alexy folgendermaßen: „Die Explikation des Begriffs der vernünftigen juristischen Argumentation geschah in dieser Untersuchung durch die Angabe einer Reihe von Regeln, nach, und Formen, in denen die Argumentation stattfinden müßte, um dem in ihr erhobenen Anspruch zu genügen. Wenn eine Diskussion diesen Regeln und Formen entspricht, kann das in ihr erzielte Ergebnis als ,richtig 4 bezeichnet werden 44116 . Als Beispiel einer Entscheidung, die diesen Anforderungen nicht genügt, nennt er: „ I m Namen des Volkes, Herr Ν wird, obwohl hierfür keine guten Gründe sprechen, zu zehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt 44117 . Mit der Behauptung, diese Entscheidung sei „nicht nur aus moralischen Gründen fehlerhaft 44118 , geht Alexy offensichtlich davon aus, daß hier ein praktischer Richtigkeitsanspruch erhoben wird und gleichzeitig die Regeln seiner diskursiven Einlösbarkeit verletzt werden. Unter diesem Gesichtspunkt eines „performativen Widerspruchs 44119 kann Alexy den zitierten Urteilstenor mit der vorher als Beispiel für einen mißglückten Sprechakt angeführten Aussage vergleichen: „Die Katze liegt auf der Matte, aber ich glaube es nicht 4 4 1 2 0 . Diese Konstruktion wirft zwei Fragen auf, welche in der Theorie des praktischen Diskurses nicht explizit thematisiert werden. Einmal wäre zu klären, 114 R. Alexy (Anm. 93), S. 50ff.; ders. (Anm. 92), S. 77ff. zur Anknüpfung an die Sprechakttheorie. 115 R. Alexy, Die Idee einer prozeduralen Theorie der juristischen Argumentation, in: Rechtstheorie Beiheft 2, 1981, S. 177ff., 178. 116 R. Alexy (Anm. 92), S. 357.
117 Ebd., S. 266. us Ebd. 119 Vgl. zu dieser Kategorie J. Habermas (Anm. 113), S. 92. Vgl. auch ders., Der philosophische Diskurs der Moderne, 1985, S. 154 und öfter. 120 R. Alexy (Anm. 92), S. 266. Zur vorhergehenden Verwendung als Beispiel vgl. S. 80.
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welche Begründungslasten man mit der Behauptung eines performativen Widerspruchs übernimmt 121 . Zum andern ist zu fragen, worin dieser Widerspruch liegt. Werden wirklich unumgängliche Voraussetzungen des Sprechens verletzt oder nicht vielmehr nur bestimmte Erwartungen in einem konkreten Sprachspiel enttäuscht bzw. sogar verändert? Die erste Frage nach den Begründungslasten bezieht sich auf den bei der Konstruktion eines performativen Widerspruchs vorausgesetzten Regelbegriff. Schlicht feststellbar, ohne weitere Begründungslasten, wäre ein performativer Widerspruch nur dann, wenn man den Begriff einer Regel voraussetzt, welche durch die Anwendung in ihrer vorgegebenen Identität nicht berührt wird. Eine Regel ist aber keine selbständige Entität im Sinne des Platonismus, sondern ein praktischer Zusammenhang im Rahmen einer Lebensform 1 2 2 . Ihre Existenz setzt zwar zunächst einen Raum des Widerspruchs als Möglichkeit, Fehler zu machen. Dieser Widerspruch ist aber dann beseitigt, wenn man die Regel ändert 123 . Und Regeländerung ist, wie die neuere sprachphilosophische Diskussion zeigt 124 , die strukturelle Möglichkeit jeder Wiederholung dieser Regel. Was also zunächst wie ein performativer Widerspruch aussieht, kann bei genauerer Betrachtung eine Innovation sein, der man nicht etwa ewige sprachtheoretische Notwendigkeit entgegenhalten kann, sondern höchstens den Normalitätsanspruch bisheriger Erwartungen. Ein performativer Widerspruch läßt sich damit nicht durch einen Vergleich des konkreten Sprechakts mit einem fest vorgegebenen Set von Regeln schlicht feststellen, sondern beinhaltet eine normative Komponente, die gerade nicht in dem von Alexy nahegelegten Sinn 125 selbstbegründend ist.
121 Für den Hinweis auf die Probleme des performativen Widerspruchs danke ich Herrn Michael Sokolowski, Heidelberg. 122 Vgl. zum Begriff der Regel: L. Wittgenstein, Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, Werkausgabe Bd. 6,1985, S. 35ff., 355f., 392ff. 123 Vgl. dazu L. Wittgenstein, Wittgenstein und der Wiener Kreis, Werkausgabe Bd. 3,1984, S. 194f.; ders., Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik, Werkausgabe Bd. 6, 1985, S. 120, 202, 203, 255. Für den Hinweis auf diese Problematik danke ich Herrn Michael Sokolowski, Heidelberg. 124 Vgl. zu der Kritik an einem Taxonomie-Modell von Pragmatik auch die Debatte zwischen Searle und Derrida: J. R. Searle, Reiterating the differences: A reply to Derrida, in: Glyph 1, 1977, S. 198ff.; J. Derrida (Anm. 16). Vgl. als zusammenfassende Darstellung dieser Debatte auch M. Frank, Die Entropie der Sprache. Überlegungen zur Debatte Searle - Derrida, in: ders. (Anm. 89), S. 141 ff. Interessant ist im vorliegenden Zusammenhang auch, daß Habermas sich genötigt sieht, gegen Derrida die Möglichkeit einer Abgrenzung der Normalsprache zu abgeleiteten Formen zu verteidigen: vgl. J. Habermas (Anm. 119), S. 228ff. Ein erster Versuch, die Argumentation Derridas bei der Auseinandersetzung mit Habermas' Theorie des kommunikativen Handelns aufzunehmen, findet sich bei M. Seel, Die zwei Bedeutungen kommunikativer' Rationalität, in: A. Honneth / H. Joas (Hrsg.), Kommunikatives Handeln, 1986, S. 53ff., 65f. 12 5 R. Alexy (Anm. 92), S. 80.
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Aber selbst wenn man die normativen Implikationen der Feststellung eines performativen Widerspruchs einmal ausklammert, bleibt die Frage zu stellen, worin dieser Widerspruch eigentlich besteht. Das eine Glied des von Alexy unter dem Gesichtspunkt des performativen Widerspruchs gebildeten Vergleichs ist jener altbekannte Satz, dem die Katze ihren bequemen Platz in der Sprachphilosophie verdankt. Und tatsächlich klingt diese Äußerung irgendwie merkwürdig. Denn im Alltag erwartet man, daß der Sprecher eine Behauptung, die er aufstellt, auch glaubt 126 . Anders kann dies aber bereits im Feld der Wissenschaft sein. Hier kann man durchaus versuchsweise eine Hypothese aufstellen, von der man nicht überzeugt ist 1 2 7 . Dies zeigt, daß die Erwartungen, die den Satz merkwürdig klingen lassen können, relativ zu einem bestimmten Sprachspiel sind. Verletzt werden hier höchstens die „normalen" Regeln des Behauptens. Aber selbst die Voraussetzung, daß der Sprecher glaubt, was er sagt, kann in der Kommunikation selbst thematisiert werden, indem man etwa sagt, „ich spreche jetzt als advocatus diaboli". Damit wird die scheinbar unumgängliche Präsupposition des Behauptens in den Semantisierungsvorgang einbezogen und erweist sich als historisch kontingent. Es handelt sich hier um die historisch konkreten Spielregeln des Behauptens, nicht um Bedingungen des Sprechens überhaupt 128 . Deswegen muß der fragliche Sprechakt nicht, wie Alexy nahelegt 129 , unter allen Umständen mißglückt sein, sondern es kommt eben darauf an, welches Sprachspiel gespielt wird. Wenn es also so etwas wie einen performativen Widerspruch gibt, dann im Verhältnis zu. historisch-konkreten Präsuppositionen eines Sprechakts. Dies wird auch bestätigt durch den von Alexy als Beispiel herangezogenen Urteilstenor. Wenn die fehlenden guten Gründe solche sind, die sich auf die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung beziehen, müßte man diese in einem rechtsstaatlichen System als fehlerhaft ansehen. Wenn die fehlenden guten Gründe dagegen allgemeine Erwägungen praktischer Richtigkeit oder sonstige persönliche Überzeugungen des Richters betreffen, dann ist die Entscheidung nicht notwendig fehlerhaft, sondern kann sogar als Erfüllung der mit der Richterrolle verknüpften Erwartungen angesehen werden. Auch hier kann man einen performativen Widerspruch nur feststellen, wenn man das Rechtsstaatspostulat und andere methodenrelevante Normen heranzieht und 126
Vgl. hierzu auch die Analyse des Verhältnisses von „Glauben" und „Wissen" auf der Grundlage des Ansatzes von Grice: S. G. O'Hair, Implikationen und Bedeutungen, in: G. Meggle (Hrsg.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung, 1979, S. 354ff. 127 Vgl. dazu auch U. Neumann (Anm. 110), S. 88. 128 Vgl. dazu auch I. C. Hungerland, Kontext-Implikation, in: G. Meggle (Hrsg.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung, 1979, S. 266ff., insbes. 274ff. Die KontextImplikation ( „ p " sagen heißt implizieren zu glauben, daß p) wird hier zurückgewiesen und durch ein genaues Erklärungsmodell ersetzt. R. Alexy (Anm. 92), S. 266.
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so die konkret-historischen Erwartungen 130 an die Struktur juristischer Entscheidung bestimmt. Wiederum sind es also nicht unumgängliche, sondern kontingente, hier politisch festgesetzte 131 Präsuppositionen, zu denen der Sprechakt im Widerspruch stehen könnte. Alexy geht es mit seinem Vergleich aber um mehr. Der zitierte Urteilstenor soll deswegen falsch sein, weil er den diskursiv einzulösenden Richtigkeitsanspruch als unumgängliche Präsupposition jeder juristischen Interpretationsbehauptung verletzt. Nun gibt es aber gerade im Rahmen von Sprachspielen keine unumgänglichen Präsuppositionen, sondern jede Voraussetzung kann, indem man sie thematisiert, in den Semantisierungsvorgang einbezogen werden. Dies bestätigen ungewollt auch die vorgeblich unhintergehbaren Voraussetzungen der Theorie des praktischen Diskurses. Wären diese wirklich unhintergehbar, dann wäre es überflüssig, sie postulativ einzufordern 132 . Indem man diese Voraussetzungen aber einfordert und thematisiert, werden sie in den Semantisierungsvorgang einbezogen und, wie ihre Kritik in der zeitgenössischen Philosophie zeigt 133 , auch hintergehbar. Wenn die Theorie des praktischen Diskurses trotzdem einen solchen performativen Widerspruch zu ewigen oder unhintergehbaren Voraussetzungen konstruieren will, erhebt sie die Bedingungen des von ihr selbst definierten Wahrheitsspiels zu Bedingungen des Sprechens überhaupt 134 . Daß eine solche Unterstellung nicht ohne gewaltsame Unterdrückung der Innensicht der Betroffenen vorgenommen werden kann 1 3 5 , zeigt sich in der Auseinandersetzung der Theorie des praktischen Diskurses mit ihrer skeptischen Gegenposition. Wenn der Skeptiker die Wahrheit metaphysischer Theorien bestreitet, erhebt er natürlich einen Wahrheitsanspruch. Aber nicht als „Endzeitmechanismus" 136 einer apokalyptischen Wahrheit überhaupt, sondern als zeitliche Wahrheit, welche gemessen an den Maßstäben einer gegebenen Kultur eine relative Plausibilität hat. Es geht dem Skeptiker also um einen anderen Wahrheitsbegriff, um eine Verschiebung der Regeln des metaphysisch gebundenen philosophischen Diskurses. Nur wenn man ihm diesen anderen Wahrheitsbegriff nicht zugestehen will und weiterhin den absoluten Wahr130 y g i . dazu auch U. Neumann (Anm. 110), S. 88f. 131
Vgl. zum Verhältnis von Recht und Politik, insbes. im Hinblick auf die Gesetzesbindung: F. Müller (Anm. 107), S. 15, 77ff. 132 Vgl. dazu auch G. Kimmerle, Verwerfungen. Vergleichende Studien zu Adorno und Habermas, 1986, S. 201 und öfter. 133 Einige dieser Ansätze zusammen mit einer Entgegnung von Habermas wurden gesammelt in A. Honneth / H. Joas (Hrsg.), Kommunikatives Handeln, 1986. 134
Vgl. dazu auch M. Seel (Anm. 124), insbes. S. 60ff. Vgl. dazu auch H. Hesse, Vernunft und Selbstbehauptung, 1984, S. 142. 136 y g i dazu auch M. Wetzel , „Apocalypse now". Der Wahrheitsbegriff der Postmoderne? in: J. Derrida , Apokalypse, 1985, S. 133ff., 137. Gegen einen „Endzeitmechanismus" der Wahrheit arbeitet Derrida dessen Zeitlichkeit heraus. Vgl. J. Derrida , Von einem neuerdings erhobenen apokalyptischen Ton in der Philosophie, in: ebd., S. 9ff. 135
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heitsanspruch der metaphysischen Tradition unterstellt, kann man hier einen performativen Widerspruch behaupten 137 . Genauso gewaltsam muß Alexy unterstellen, daß der Richter mit seiner Interpretationsbehauptung ein Wahrheitsspiel nach den spezifischen Regeln der Theorie des praktischen Diskurses spielen will. Nur unter dieser, der Innensicht praktischer Rechtsarbeit vollständig zuwiderlaufenden Voraussetzung kann er den zitierten Urteilstenor a priori als falsch bezeichnen. Tatsächlich wäre dessen Beurteilung aber nicht an vorgeblich unhintergehbaren, konkret aber unterschobenen Präsuppositionen zu messen, sondern an den historisch bestimmten Voraussetzungen einer bestehenden Rechtskultur: Nur wenn der Richter keine guten Gründe gemessen am Gesetz hat, ist dieses Urteil falsch. Was ist mit den Bemühungen Alexys also erreicht? Sein Ansatz versucht die Rechtsarbeit an ein vorgeblich unhintergehbares Apriori zu binden, welches sich aber als willkürlich festgesetzt erweist. Die Bedingungen aber, welche als Gesetzesbindung für praktische Rechtsarbeit ein historisch relatives Apriori darstellen sollten, werden demgegenüber unter den Vorbehalt universalpragmatisch vernünftiger Gründe gestellt 138 . Die relative Rationalität juristischen Handelns ist damit ersetzt durch eine absolute Rationalität, welche sich als Illusion erweist. I I . Die Analyse der Rechtsarbeit als empirische Voraussetzung für den Entwurf einer offenen Textstruktur Die Strukturierende Rechtslehre stellt sich als nachpositivistisches Gesamtkonzept die Aufgabe, die Theorie juristischer Textarbeit von den apriorischen Voraussetzungen des Gesetzespositivismus abzulösen, um so zu einer realistischen Einschätzung der Textstruktur einer geltenden Rechtsordnung zu gelangen. Das positivistische Modell juristischer Textarbeit als Subsumtion unter die Begriffe einer im Text fertig vorgegebenen Rechtsnorm war zu einer solchen realistischen Einschätzung nie in der Lage 1 3 9 und wurde deswegen in der rechtstheoretischen Diskussion zunehmend problematisiert. Die antipositivistische Kritik bezog sich allerdings eher auf Ergänzungen und Erweiterungen des grundlegenden Paradigmas: So blieb etwa die vom Positivismus vorausgesetzte Bestimmtheit der Rechtsbegriffe als Regelfall anerkannt und wurde lediglich ergänzt durch die Lehre vom unbestimmten Begriff, später durch den normativen Begriff, den Ermessensbegriff und die 1 37 Vgl. dazu G. Kimmerle (Anm. 132), S. 203ff. 138 Vgl. dazu die Formulierung bei Alexy (Anm. 92), S. 305, wonach die Gesetzesbindung eben nur für den Regelfall die Präferenz vor Gesichtspunkten des vernünftigen Zwecks erhalten soll. 139 F. Müller (Anm. 1), S. 24ff.; ders. (Anm. 2), S. 119ff.
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GeneralklauselJ 40. Die geschlossene Einheit der Rechtsordnung 141 wurde von der Voraussetzung zur Aufgabe relativiert und blieb damit doch als Ideal anerkannt. Die Vorstellung der richterlichen Tätigkeit als bloßer Subsumtion wurde durch die Lehre vom Richterrecht nicht überwunden, sondern nur in bezug auf die textuelle Grundlage erweitert durch das gleichrangig neben die Normtexte tretende objektive Sittengesetz, die Rechtsidee oder sozialwissenschaftlich abgestützte Folgeerwägungen 142. Das positivistische Modell der Norm als eines anwendungsbereiten Befehls wird hier nur in seiner Erklärungsreichweite eingeschränkt, nicht aber grundsätzlich in Frage gestellt. Die juristische Entscheidungstätigkeit kreist um den ruhenden Pol der im Text vorgegebenen Rechtsnorm, und die neuere Diskussion begnügt sich damit, in diese kreisförmigen Bahnen des ptolomäischen Weltbilds einige Epizykeln einzuführen. Vorausgesetzt bleibt damit ein Begründungsdenken 143 , das die Entscheidung nur verstehen kann als abgeleitet aus dem Gesetzestext. Es handelt sich bei dieser Entwicklung um eine degenerative Problemverschiebung 144, welche zwar am rechtsnormtheoretischen Modell des Gesetzespositivismus festhält, aber die praktische Reichweite dieses Modells zunehmend mit ad-hoc-Hilfshypothesen einschränkt. Die Strukturierende Rechtslehre will demgegenüber nicht lediglich die Oberflächenphänomene des Gesetzespositivismus korrigieren, sondern sein bisher nicht klar herausgearbeitetes Grundaxiom einer im Rahmen der abgeschlossenen Rechtsordnung fertig vorgegebenen und syllogistisch anwendbaren Rechtsnorm überwinden 145 . Dort wo Kelsen meinte aufhören zu müssen, beginnt für eine in den Augen der Reinen Rechtslehre entschieden „unreine" Theorie erst die Arbeit. Dieser von der Strukturierenden Rechtslehre vollzogene Paradigmawechsel zu einem nachpositivistischen Gesamtkonzept stellt das vom positivistischen Geschlossenheitsdogma ausgegrenzte Problem der Erzeugung von Recht ins Zentrum. Der Prozeß der Rechtserzeugung ist von rechtsstaatlichen Anforderungen her zu strukturieren.
140 K. Engisch (Anm. 32), S. 106ff. Vgl. zu diesem Problem auch R. Christensen, Stichwort Begriff/Begriffsbildung, in: N. Achterberg (Hrsg.) (Anm. 79). 141 F. Müller (Anm. 63). "2 Vgl. dazu F. Müller (Anm. 2), S. 24ff. 1 43 Ebd., S. 32, 35f. 144 I. Lakatos, Falsifikation und die Methodologie wissenschaftlicher Forschungsprogramme, in: ders. / A. Musgrave (Hrsg.), Kritik und Erkenntnisfortschritt, 1974, S. 89ff., 113f. 145 F. Müller (Anm. 1), S. 437f.
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1. Die empirische Analyse der Textstruktur praktischer Rec|itsarbeit 1.1 Von der Rechtfertigungslehre
zur Rechtserzeugungsreflexion
Der klassische Positivismus fragt, wie eine als vorgegeben verstandene Rechtsnorm angewendet werden kann und schlägt als Lösung das Subsumtionsmodell vor. Die Rechtsnorm erscheint dabei als im sprechenden Text vorgegeben und die Arbeit des Juristen lediglich als begriffliche Einordnung. Die richterliche Tätigkeit ist damit ein kognitiver Vorgang im Rahmen einer Rechtsanwendungslehre 146. Natürlich haben auch die Vertreter des Positivismus erkannt, daß dieses Modell weder zur Beschreibung noch zur theoretischen Anleitung der Praxis ausreicht. Trotzdem wurde diese Theorie nicht aufgegeben, sondern sogar gegen Kritik immunisiert: „Da die Reine Rechtslehre nur eine Erkenntnis des gegebenen positiven Rechts, nicht aber eine Vorschrift für seine richtige Erzeugung ist, will sie weder eine Anweisung dafür geben, wie man gute Gesetze macht, noch auch Ratschläge erteilen, wie man aufgrund oder im Rahmen der Gesetze gute Entscheidungen und Verfügungen treffen kann" 1 4 7 . In dieser Äußerung wird eine Trennung von zwei Bereichen deutlich: Einmal der wissenschaftliche Bereich bloßer Anwendung des vorgegebenen Rechts. Zum anderen der irrationale, wissenschaftlich nicht strukturierbare Vorgang der tatsächlichen Erzeugung oder Verwirklichung von Recht. Der im Rahmen des positivistischen Normverständnisses nicht erfaßbare schöpferische Anteil praktischer Rechtsarbeit wird damit kurzerhand aus dem Bereich der Wissenschaft hinausgeworfen. Diese Beschränkung wissenschaftlicher Rationalität auf das Statische und die Zuordnung der dynamischen Prozesse der Rechtsverwirklichung zum Bereich des Irrationalen will die Strukturierende Rechtslehre überwinden. Ihr Ansatzpunkt liegt nicht bei einem abstrakten, unabhängig von der Rechtsverwirklichung erarbeiteten Modell des sprechenden Textes, sondern bei der konkreten Verwirklichung von Recht. Die Rechtsnorm ist damit nicht länger die apriorische Vorgabe 148 einer Rechtsanwendungslehre, sondern gewinnt ihre Struktur unter analytischer Verarbeitung der praktischen Erfahrungen in einer Rechtserzeugungslehre 149. Damit kann juristisches Handeln als normorientiertes Entscheiden bestimmt werden. Für eine als Theorie juristischen Handelns verstandene Rechtslehre stellt sich die Aufgabe, die realen Entscheidungsvorgänge strukturell und funktionell auf den Begriff zu bringen 150 . 1 46 F. Müller (Anm. 14), S. 56ff., 125ff. 147 H. Kelsen, Juristischer Formalismus und Reine Rechtslehre, in: JW 1929, S. 1723 ff., 1726. 148 F. Müller (Anm. 1), S. 194f., 226ff., 233, 248, 331f., 383f. 149 F. Müller (Anm. 107), S. 5 und öfter.
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Die Analyse setzt mit einer induktiven Beschreibung der Rechtspraxis an 1 5 1 . In einem zweiten Erkenntnisschritt wird dann das tatsächliche Vorgehen der Rechtsprechung bei der Lösung konkreter Rechtsfragen gemessen an den verfassungsrechtlich normierten Anforderungen des Rechtsstaatsgebots und anderer methodenrelevanter Normen 1 5 2 . Die Untersuchung entlang dieser Perspektive, von Friedrich Müller exemplarisch durchgeführt an der Einbeziehung von Wirklichkeitselementen in juristische Entscheidungsvorgänge 153, ergibt, daß der Ist-Zustand praktischer juristischer Tätigkeit weithin noch hinter den rechtsstaatlichen Anforderungen zurückbleibt 154 . Insoweit ist das Vorgehen der Praxis also erst noch auf den Begriff zu bringen, d.h. zu verallgemeinerungsfähigen Strukturen fortzuentwickeln 155 . Erst dann ist den rechtsstaatlichen Anforderungen auf Diskutierbarkeit und Überprüfbarkeit juristischer Entscheidungsvorgänge Genüge getan. Die in Gestalt einer dynamischen Rechtsnormtheorie gefaßte Reflexion der Praxis kann dann als arbeitsmethodische Anforderung wieder auf die Praxis zurückwirken. 1.2 Vom spekulativen Textmodell des Gesetzespositivismus zur praktischen Theorie der Textstruktur Die Analyse der Textstruktur praktischer Rechtsarbeit muß nicht voraussetzungslos beginnen, sondern kann an den verfassungsrechtlich vorgegebenen Aufgaben der Rechtsprechung ansetzen. Die Aufgabe der in Art. 20 Abs. 3 und 92 GG als Staatsgewalt bezeichneten Rechtsprechung besteht in der Ausübung und Rechtfertigung von gesellschaftlicher Gewalt. Recht ist dabei einerseits Instrument von Herrschaft, aber, indem es rechtsförmige Herrschaft spezifischen Formalisierungen unterwirft, auch Instrument zur Begrenzung von Herrschaft 156 . Zentral für diese Formalisierung von Herrschaft durch Recht ist die Sprache, welche Herrschaftsvorgänge der Kommunikation öffnet und damit der Möglichkeit sprachlicher Kritik und sprachlicher Rechtfertigung. Die Rechtsordnung bildet unter der Bedingung des geschriebenen Rechts ein Kontinuum von Texten und wird notfalls durch eine in spezifischen Verfahren wieder sprachvermittelte Gewalt sanktioniert.
150 F. Müller (Anm. 1), S. 225f. 151 Vgl. als Beispielsanalyse F. Müller (Anm. 14), S. 26ff. Einzelanalyse mit speziellem Blick auf die Bildung der Rechtsnorm bei dems. (Anm. 1), S. 265f. 152 F. Müller (Anm. 63), S. 87ff., 123ff., 232ff. 153 Vgl. F. Müller (Anm. 1), S. 114ff. 154 F. Müller (Anm. 107), S. 12f., 52f., 71ff., 89, 92. 155 Vgl z u einer Typologie von Normstrukturen etwa F. Müller (Anm. 14), S. 122ff., 223 und öfter. 156
Vgl. dazu F. Müller (Anm. 107), S. 95 und öfter.
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Der von der Strukturierenden Rechtslehre entwickelte Gedanke der Textstruktur 157 arbeitet in der Sprachform einer rechtsstaatlichen Ordnung bestimmte Unterscheidungen heraus, die es erlauben, das Kontinuum von Texten genauer zu strukturieren. Einmal ist dabei anzuknüpfen an die vom bürgerlichen Rechtsstaat angestrebte Berechenbarkeit des Staatshandelns. Diese doppelte Rationalität, welche nicht nur Herrschaft sichert, sondern auch Kontrollmöglichkeiten eröffnet, führt zu der Unterscheidung von anordnenden und rechtfertigenden Texten. Zum andern ist aber auch der Gedanke der Gewaltenteilung zu berücksichtigen. Danach kann der parlamentarische Gesetzgeber grundsätzlich 158 keine Einzelfälle selbst entscheiden, sondern nur Vorgaben für die Einzelentscheidung durch andere Staatsorgane setzen. Dies führt zur Unterscheidung von Normtexten, welche der Gesetzgeber setzt, und den Texten von Rechts- und Entscheidungsnormen, welche sich als Leitsatz bzw. Urteilstenor etwa in gerichtlichen Urteilen finden 159 . Diese Texte hängen nun in bestimmter Weise miteinander zusammen, wobei die Art und Weise, nach der diese Verknüpfung näher bestimmt wird, die Unterschiede der rechtstheoretischen Schulen bezeichnet. Der Gesetzespositivismus geht davon aus, daß die Rechtsnorm/Entscheidungsnorm im Normtext schon enthalten ist und deswegen zwischen beiden eine notwendige Verknüpfung besteht, die der rechtfertigende Text lediglich nachträglich darstellt. Dieses geschlossene Modell reduziert die Rechtsanwendung darauf, im Normtext vorgegebene sprachliche Regeln zu befolgen. Es ist darin kein Platz für eine Anreicherung der textuellen Bedeutung vorgesehen, sondern die Auslegungstätigkeit des juristischen Funktionsträgers muß immer auf die als eindeutig gedachte Bedeutungsstruktur des Normtextes zurückführbar sein. Der Normtext als Ort stabiler Sprache steht in einem Eins-zueins-Verhältnis zu seinem Inhalt, und der Richter muß diesen nur richtig erkennen 160 . Allein der Justizsyllogismus garantiert somit die notwendige Verknüpfung von Normtext und Rechtsnorm/Entscheidungsnorm. Die antipositivistische Doktrin 1 6 1 stellt demgegenüber zu Recht fest, daß der Justizsyllogismus allein die Notwendigkeit dieser Verknüpfung nicht garantieren kann. Aber daraus folgt für sie nicht die Anerkennung einer gegenstandskonstitutiven Komponente praktischer Rechtsarbeit. Vielmehr hält sie an dem Ziel einer notwendigen und von festen Regeln eindeutig determinierten Ver157 Vgl. ebd., S. 95ff., sowie ders. (Anm. 2), S. 92ff. 158 Vgl. zu den Ausnahmen wie Immunitätsfragen u. ä.: F. Müller (Anm. 2), S. 94. 1 59 Vgl. dazu die Beispielsanalyse bei F. Müller (Anm. 1), S. 265f. 160 Vgl. J. M. Broekman (Anm. 6), S. 145ff., 160. 161 Vgl. zu deren Kritik F. Müller (Anm. 2), S. 32ff., 54f. und öfter.
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knüpfung von Normtext und Rechtsnorm/Entscheidungsnorm fest. Erweitert wird hier lediglich das Arsenal von Regeln, welche die Verknüpfung sicherstellen sollen. So erscheint etwa bei Larenz an dieser Stelle die Rechtsidee, welche als Zentralregel die gleichmäßige Anwendung des Gesetzes garantiert. Die Theorie des praktischen Diskurses stellt ebenfalls fest, daß der Normtext allein die konkrete Entscheidung nicht vollständig determinieren kann. Aber auch eine Determination durch die Idee der Gerechtigkeit lehnt sie als nicht einlösbar ab. Damit wird anerkannt, daß die praktische Rechtsarbeit nicht etwa nur Regeln anwendet, sondern auch Regeln hervorbringt. Aber dieses Hervorbringen soll seinerseits im Rahmen einer „anthropologisch tiefsitzenden" kommunikativen Kompetenz begriffen und so in einen regelgenerierenden Mechanismus eingefügt werden. Der schöpferische Anteil der Rechtsarbeit wird damit wieder in ein Begründungsdenken zurückgebogen, so daß sich das Subsumtionsmodell auf einer nochmals erweiterten Grundlage reproduziert. Mit einem zum Gesetzbuch der praktischen Vernunft erweiterten Regelsystem wird versucht, jede konkrete Entscheidung, wenn schon nicht aus dem Gesetz, so doch aus einem das Gesetz umgreifenden Regelwerk der praktischen Vernunft abzuleiten. Diese schrittweise Erweiterung der Determinationsbasis läßt aber als zentrales Glied des Gesetzespositivismus den Regelplatonismus 162 unangetastet, welcher jede Handlung entweder als Anwendung oder als Verstoß gegen eine Regel begreift. Auch die regelgenerierende Maschine der Theorie des praktischen Diskurses soll als zentrales Signifikat der Rechtsfindung nach wie vor sicherstellen, daß eine konkrete Interpretationsbehauptung entweder als Anwendung oder Verstoß gegen Regeln beurteilt werden kann. Selbst in seiner entwickeltsten Form als Theorie des praktischen Diskurses bleibt dieses Denken noch einem Textmodell verhaftet, das aus dem sakralen Bereich in die Jurisprudenz eingewandert ist 1 6 3 . Danach gibt es ursprüngliche, echte oder offenbarte Texte und abgeleitete, sekundäre Kommentare. Die Auslegung muß dann mittels eines Wahrheitskriteriums kontrollieren, ob der abgeleitete Text den Inhalt des primären Textes verfehlt oder trifft. Tatsächlich können die vorgeschlagenen Wahrheitskriterien als Syllogismus, Gerechtigkeitsidee oder praktischer Diskurs aber die versprochene Leistung nicht erbringen. Denn Textarbeit oder konkretes Sprechen fügen sich eben nicht dem einfach gedachten Schema von Regelanwendung und Regelverletzung. Weil die Regelverfehlung kein dem Sprechen äußerlicher, klar abgegrenzter Bereich ist, sondern als strukturelle Möglichkeit der Verschie162 Ebd., S. 32. 163 Ygi z u Parallelen zwischen theologischer und juristischer Denkweise im „Offenbarungsmodell" der Erkenntnis: H. Albert, Erkenntnis und Recht, in: ders., Konstruktion und Kritik, 1975, S. 221 ff., 224.
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bung in jeder Wiederholung einer Regel liegt, hat die Strukturierende Rechtslehre das apriorische Textmodell einer notwendigen Verknüpfung zwischen Normtext und Rechtsnorm/Entscheidungsnorm aufgegeben. Sie untersucht statt dessen die wirkliche Textarbeit in der Jurisprudenz entlang der Frage, was tatsächlich geschieht, wenn eine Rechtsordnung in Geltung ist 1 6 4 . 1.3 Die Unterscheidung von Normtext und Rechtsnorm Die Analyse praktischer Rechtsarbeit ergibt, daß die Subsumtion unter Rechtsbegriffe nur der seltene Ausnahmefall einer sehr viel komplexeren Struktur ist, die sich in jedem wirklich problematischen Fall nicht in der Arbeit mit Begriffen erschöpft, sondern eine Arbeit am Begriff umfaßt. Während im Normalfall gelingender Kommunikation die Sprachregeln blind befolgt werden und nicht selbst Gegenstand der Kommunikation sind, liegt das Problem für praktische Rechtsarbeit anders. Eine wesentliche Schicht des zur Entscheidung vorgelegten Falls bildet der „Streit um Worte" (etwa die Formulierung eines Vertrags oder die Bedeutung eines gesetzlichen Ausdrucks). Die Aufgabe praktischer Rechtsarbeit liegt in der Formulierung einer Regel, die diesen Streit entscheidet. Nun zeigt aber die linguistische Diskussion 165 , daß keine Regelformulierung in die bloße Erkenntnis des vorhandenen Systems der Sprachregeln aufgelöst werden kann. Weil das System der Sprachregeln kein geschlossenes System ist in der Weise, daß es un vorhersehbare Transformationen seiner Regeln ausschließen kann, beinhaltet jede Regelformulierung die strukturelle Möglichkeit einer solchen Transformation. Eine Regelformulierung ist deswegen kein bloßer Erkenntnisakt, sondern ein Gestaltungsakt. Wenn diese Sprachgestaltung, wie im Falle praktischer Rechtsarbeit, mit einem Verbindlichkeitsanspruch gekoppelt ist, handelt es sich dabei um eine Sprachnormierung 166 . Diese kann auch nicht, wie die Theorie der kommunikativen Kompetenz annimmt, nach einem einheitlichen Schema abstrakt koordiniert werden. Eine wie immer formulierte Einheitsvorstellung unterschätzt die auch für die Sprache des Rechts konstitutive Differenz der Bedeutungsverhältnisse und Begründungsmöglichkeiten, welche die Vielfalt der oft neuen Probleme überhaupt erst entscheidbar machen. Die linguistische Diskussion bestätigt insoweit die Erkenntnis der Strukturierenden Rechtslehre, daß praktische Rechtsarbeit einen Text nicht etwa lediglich substantiell entfaltet, sondern aus strukturellen Bedingungen des Sprachsystems heraus seine Bedeutung gestaltet. In rechtstheoretischer Wen164
F. Müller {Anm. 10), S. 15. Vgl. dazu die Nachweise in (103) und (106) in Teil I. 166 Vgl. zum Begriff der Sprachnorm die Nachweise in (106) sowie E. Coseriu, System, Norm und Rede, in: ders., Sprachtheorie und allgemeine Sprachwissenschaft, 1975, S. 11 ff. 165
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dung bedeutet dies, daß dem praktisch arbeitenden Juristen zwar der vom Gesetzgeber geschaffene Normtext vorgegeben ist, nicht aber schon die fertige Rechtsnorm, die er vielmehr erst schafft. Die Strukturierende Rechtslehre kann mit diesem Ansatz die Gleichsetzung von Rechtsnorm und Normtext überwinden, welche den rechtstheoretischen Kern der Lehre vom sprechenden Text darstellt. Der Normtext kann die normative Anweisung nicht substantiell enthalten. Entgegen der positivistischen Annahme einer Subsumtion unter vorgegebene Bedeutungen kann der Text nicht das automatische Subjekt einer formallogischen Ableitung sein, sondern nur die aktive Leistung des wirklichen Subjekts beeinflussen. Mit dieser Unterscheidung von Rechtsnorm und Normtext wird der komplexe Semantisierungsvorgang 167 sichtbar, den der Positivismus hinter der rhetorischen Fassade sprachlich vorgegebener Bedeutungen verstecken wollte und der sich auch nicht in ein jeder Diskussion praktischer Fragen vorausgesetztes Gesetzbuch der praktischen Vernunft einbinden läßt. Die praktische Textarbeit der Jurisprudenz ist auf eine nicht vollständig in Regeldetermination auflösbare Weise schöpferisch. Es wird damit deutlich, daß der Text gerade kein Ort stabiler Sprache ist, welche als punktuelle Größe von der Auslegung nur verfehlt oder getroffen werden kann. Eher gleicht er einem Durchzugsgebiet mit Raum für konkurrierende Interpretationen, welche höchstens topographisch verortet werden können. In diesem Rahmen gibt es keine notwendige Verknüpfung zwischen Normtext und vom Rechtsarbeiter hergestellter Rechtsnorm, sondern nur miteinander vergleichbare Plausibilitäten im Rahmen einer gegebenen Argumentationskultur. 2. Wird mit der Kritik am deterministischen Textmodell die Rationalitätsgrundlage der Jurisprudenz zerstört? Der Ertrag der von der Strukturierenden Rechtslehre im Wege der Rechtsprechungsanalyse durchgeführten Untersuchung des juristischen Sprachspiels ist damit zunächst ein negativer: Es wird die scheinbare Stabilität des sprechenden Textes zerstört und ein gegenstandskonstitutiver Anteil praktischer Rechtsarbeit sichtbar gemacht. Aber wenn praktische Rechtsarbeit einen schöpferischen Anteil aufweist, der nicht vollständig regeldeterminiert ist, stellt sich die Frage, wie ihre Rationalität dann noch garantiert werden kann. Gibt es also überhaupt noch Rationalitätskriterien, welche praktische Rechtsarbeit kritisierbar und überprüfbar machen, oder führt die radikale Kritik am regelplatonistischen Verständnis der Rechtsarbeit dazu, den juristischen Diskurs der faktischen Machtökonomie zu überantworten? 167 Vgl. zu einer entsprechenden Kritik am Positivismus auch J. M. Broekman (Anm. 6), insbes. S. 145f., 150ff.
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2.1 Auflösung des Bindungspostulats in der Machtökonomie des juristischen Diskurses? Die radikale Kritik am deterministischen Textverständnis in Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie wird von einer neueren rechtstheoretischen Position zum Teil aufgenommen und gegen herkömmliche Positionen in der juristischen Methodik ins Feld geführt. Mit der sprachphilosophischen Wende gehe dem Diskurs der Wissenschaft das letzte grundlegende Sprachspiel verloren, welches als Metasprache des Wahrheitsdiskurses die Teildiskurse zu beherrschen erlaubte 168 . Auch der Rechtscode verwandele sich damit von einer Repräsentation der vorausgesetzten Wahrheit zu einem strategischen Spiel 169 . Wenn bisher als Auslegungsziel die Wiederaneignung eines vorfindlichen Sinnganzen angesehen wurde, so komme es jetzt nicht mehr auf Textauslegung, sondern auf Konsensfindung in einem strategischen Zusammenhang an 1 7 0 . Das Recht als Metasprache, welche eine stabile Orientierung und Verinnerlichung ermöglicht, wird damit abgelöst durch das Recht als reflexives Kommunikationsmedium. Dabei zeige sich, daß das Modell des Gesetzesvollzugs, wie es der Positivismus aufgestellt hat, nie realistisch war, sondern der entsprechende Schein nur durch eine latente Diskursformation garantiert wurde 171 . Die Rechtsnorm ist demnach kein vorausgesetztes generelles Ordnungskonzept im Sinne des Maschinen- oder Uhrwerkmodells, sondern wird im Rahmen einer bestimmten Diskursformation abgestützt durch grundlegende Sichtweisen und Ideologeme, welche das Handeln der Juristen erst zu Regelmäßigkeiten verstetigt 172 . Das neue, von Ladeur empfohlene Paradigma versteht das Gesetz also nicht mehr als generell-abstrakte Verhaltensregelung und will die Entscheidung des Rechtsarbeiters nicht mehr aus einem vorfindlichen Willen ableiten. A n die Stelle des Gesetzes soll ein situatives Arrangement von Werten als Scharnierbegriffen 173 treten und die Definition des öffentlichen Interesses, das bisher nur vollzogen wurde, nun der Diskussion öffnen 174 . Die Abwägung wird damit zum zentralen Paradigma einer postmodernen Rechtstheorie 175 , welche das deterministische Textmodell des Positi vismus endgültig hinter sich zurücklassen will. 168 K. H. Ladeur, „Abwägung" - Ein neues Rechtsparadigma?, in: ARSP 1983, S. 463ff., 466 und öfter. 169 Ebd. 170 K. H. Ladeur y Konsensstrategien statt Verfassungsinterpretation?, in: Der Staat 1982, S. 391 ff., insbes. 402ff. 171 K. H. Ladeur, Vom Gesetzesvollzug zur strategischen Rechtsfortbildung, in: Leviathan 1979, S. 339ff., 358, insbes. 360ff. 172 Vgl. zur Entwicklung von der Vollzugsstruktur zum Abwägungsprozeß: K. H. Ladeur, Die Schutznormtheorie - Hindernis auf dem Weg zu einer modernen Dogmatik der planerischen Abwägung?, in: UPR 1984, S. Iff., 5f. ™ K. H. Ladeur (Anm. 168), S. 472. 174 K. H. Ladeur (Anm. 171), S. 367 und öfter. ™ Vgl. dazu K. H. Ladeur (Anm. 168), S. 471ff.
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Fraglich ist allerdings, ob die „Abwägung" mit der ihr hier zugewiesenen Rolle nicht überfordert ist. Es scheint sich, im ersten Anlauf, um eine Vokabel zu handeln, die genug Ausdehnung und Weiches besitzt, um die Rechtsarbeit aus den flachen Gewässern des Positivismus herauszuführen. Man gelangt ins Eigentliche, wo der Mensch noch Zugriff auf die materiellen Werte hat und sich nicht damit begnügt, die formalen Bedingungen der Normalität aufrechtzuerhalten 176 . Bemerkenswert ist nur, daß der Fischzug nach materiellen Werten auf altgewohnte Weise vonstatten geht. Die Denkweise hat sich gar nicht geändert, sondern sie wird nur mit Frischzellen in Form von Versatzstücken aus der neueren Texttheorie zu beleben versucht. Und wenn Ladeur ohne Gespür für die darin liegende Ironie bemerkt: „Güterabwägung funktioniert auch in der gerichtlichen Praxis keineswegs als eine Art Kadi-Justiz, es lassen sich vielmehr, bei aller Variabilität im Einzelfall, durchaus auch juristisch fungierende Regelmäßigkeiten feststellen (was aber noch zu untersuchen wäre)" 1 7 7 , wird daran deutlich, wie wenig mit der Begriffsfassade „Abwägung" für die Strukturierung praktischer Rechtsarbeit gewonnen ist 1 7 8 . Die zentrale Rolle der formlosen Kategorie „Abwägung" steht im Zusammenhang einer Überführung des Gesetzesbegriffs in ein System generalklauselartiger Werte, die lediglich ein System lockerer Anschlußzwänge bilden sollen 1 7 9 . Das Gesetz verliere im Zuge dieser Entwicklung den ideologischen Anschein einer stabilen Metasprache und werde als Medium zur Kommunikation heterogener Wert- und Sprachsysteme erkennbar 180 . Durch den von Ladeur hier verwendeten Begriff „Medium" wird aber ein schiefes Bild erzeugt. Der wesentliche Aspekt wird verwässert: Das Recht ist nicht einfach Medium, es ist Realität. Wir können uns keine Rechtsordnung vorstellen ohne die Möglichkeit, daß sich die ihr unterworfenen juristischen Funktionsträger auf Regeln berufen könnten, um ihr Tun zu rechtfertigen. Diese Regeln bilden zwar kein geschlossenes System einer idealen Kompetenz, aber sie haben doch eine ihnen eigentümliche Widerständigkeit oder Realität, welche bei Ladeur nicht vorkommt. Die Aporie des Ansatzes von Ladeur besteht darin, daß er einerseits das rekonstruktive Verständnis der juristischen Methodik ablehnt, aber als Alternative nur auf die Analyse der tatsächlichen Machtökonomie des Rechtsdiskurses verweist. Das ist schon nach der eigenen Zielangabe von Ladeur zu wenig. Denn er will das Recht als Ermöglichungsbedingung für die Optimie176 K. H. Ladeur, Klassische Grundrechtsfunktion und „postmoderne" Grundrechtstheorie, in: KJ 1986, S. 197ff., 198. 1 77 K. H. Ladeur (Anm. 171), S. 364. 178 Vgl. zur Kritik an dieser Figur: F. Müller (Anm. 14), S. 52ff.; ders. (Anm. 63), S. 197ff., 204f., 209, 213. ™ K. H. Ladeur (Anm. 171), S. 360 und öfter. 180 K. H. Ladeurl Anm. 168), S. 474.
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rung pluraler Ziele 1 8 1 verstehen und muß deswegen dem Recht noch eine minimale Steuerungsfähigkeit für praktische Entscheidungen zugestehen, die er aber andererseits aus seiner Theorie der Rechtsnorm nicht herleiten kann. Auch wenn das Recht nicht mehr Steuerung, sondern Kompatibilisierung heterogener Diskurse sein soll, muß es doch selber in seiner Sprachlichkeit als ein Anschlußzwang begriffen werden. Kennzeichnend ist also auch für Ladeur eine Bindung an die positivistische Rechtsnormtheorie. Danach ist eine konkrete Entscheidung nur denkbar als aus dem Gesetzestext abgeleitet, in welchem sie substantiell schon enthalten war. Ladeur verhält sich lediglich negativ zu diesem Modell, indem er die Unhaltbarkeit der sprachtheoretischen Voraussetzungen konstatiert 182 . Aber mit dem positivistischen Rechtsnormmodell fällt für ihn auch gleichzeitig jede Möglichkeit weg, das Problem der Gesetzesbindung noch einzulösen. A n deren Stelle tritt eine Analyse des juristischen Diskurses, welche allerdings ihren Gegenstand dadurch verkürzt, daß sie gerade das an den Rechtsstaat gebundene machtkritische Moment ausblendet. 2.2 Gibt es einen immanenten Rationalitätsmaßstab praktischer Rechtsarbeit? Wie der Gang der bisherigen Untersuchung gezeigt hat, beruht ein Verständnis der Gesetzesbindung als Bindung an die Geltungssubstanz einer vorgegebenen Rechtsnorm auf Fiktionen, die weder rechtstheoretisch noch sprachtheoretisch einlösbar sind. In der neueren Diskussion wird daraus der Schluß gezogen, das Bindungspostulat praktischer Rechtsarbeit als erledigtes Problem zu behandeln und zu der Analyse der faktischen Machtökonomie des juristischen Diskurses überzugehen. Es fragt sich aber, ob zwischen den Extremen einer Gesetzesbindung als bloßer Fiktion und einer Analyse von Machtstrukturen die Möglichkeit besteht, die Gesetzesbindung als strukturierende Anforderung an praktische Rechtsarbeit zu entwickeln. Der Ansatz einer postmodernen Rechtstheorie unterstellt, daß die einzige Alternative zum Regelpiatonismus im Regelskeptizismus liegt 1 8 3 . Wenn aber die postmoderne Rechtstheorie vom Recht als einem strategischen Spiel spricht, so impliziert dies Regeln. Denn ein Spiel ohne Regeln ist, wie Wittgenstein sagt, ohne Witz. Diese Regeln sind zwar keine unumgänglichen Präsuppositionen im Sinne der Theorie des praktischen Diskurses, aber es sind historisch konkrete Voraussetzungen, welche das Sprachspiel des Rechts in lei Ebd., S. 474. 182 Vgl z u r Kritik an der „instrumenteilen Sprachauffassung" und ihrer Verknüpfung mit dem Subjektgedanken: K. H. Ladeur, ebd., S. 479f. und öfter; ders. (Anm. 170), S. 409f. ι«3 Vgl. zu diesen Begriffen: A. Kemmerling, Regel und Geltung im Lichte der Analyse Wittgensteins, in: Rechtstheorie 1975, S. 104ff.
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einer bestimmten Kultur konstituieren. Als aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Forderungen nach Kontrollierbarkeit und Nachvollziehbarkeit juristischer Begründungen beziehen sich diese Bindungen auf den mit der Formulierung von Sprachregeln verknüpften Prozeß der Sprachnormierung. Die Notwendigkeit der Sprachnormierung, welche sich daraus ergibt, daß die Sprachregeln nicht handhabbare Vorgegebenheiten sind, setzt auch die Möglichkeit einer Sprachkritik als metakommunikative Auseinandersetzung über die Sprachnorm. Wenn Kommunikation also kein durch vorgegebene Regeln automatisierter Vorgang gleich einer Maschine ist, sondern Raum für sinnkonstitutive Akte enthält, dann beinhaltet sie auch die Möglichkeit einer kommunikativen Ethik 1 8 4 , die diese gestalterischen Eingriffe zwar nicht, wie die Theorie der kommunikativen Kompetenz annimmt, einer vollständigen Steuerung unterwirft, aber doch diskutierbar macht. Die linguistische Diskussion kann somit jedenfalls die strukturelle Möglichkeit von Bindungen beim Prozeß der Regelerzeugung dartun, indem sie auf die Sprachreflexion als Ermöglichungsbedingung für die Entwicklung einer kommunikativen Ethik hinweist. Das Rechtsstaatsprinzip mit seinen Anforderungen an die Begründung juristischer Entscheidungen kann insoweit als ein kodifizierter Sonderfall kommunikativer Ethik angesehen werden. Es kodifiziert eine bestimmte Kultur des Streitens, welche als Auseinandersetzung über sprachliche Normierung auch im alltäglichen Handeln vorkommt, im juristischen Bereich aber durch Rechtsprechung und Lehre eine spezifische Ausprägung erfahren hat. Zur Konkretisierung seiner Maßstäblichkeit muß der Ist-Zustand der praktischen Rechtsarbeit an seinen Soll-Maßstäben gemessen werden und dort, wo erforderlich, zu begrifflich verallgemeinerungsfähigen Strukturen fortentwickelt werden. Der Ansatzpunkt der Strukturierenden Rechtslehre ist somit ein sprachspielimmanenter. Sie will im Unterschied zur Theorie des praktischen Diskurses nicht einen philosophischen Rationalitätsmaßstab auf den Gegenstandsbereich des Rechts anwenden. Entgegen solchen Übertragungen von notwendig deduktiver Form versucht die Strukturierende Rechtslehre induktiv bei den praktischen Problemen anzusetzen. Ein theoretischer Vorgriff ergibt sich dabei aus dem im Rechtsstaatsprinzip und anderen methodenrelevanten Normen der Verfassung 185 vorgegebenen Ziel, die praktische Rechtsarbeit 186 sowohl arbeitsfähiger als auch besser kontrollierbar zu machen, kurz: sie zu strukturieren 187 . 184 Vgl. zum Begriff einer kommunikativen Ethik: H. J. Heringer, Sprachkritik - Die Fortsetzung der Politik mit besseren Mitteln, in: ders. (Hrsg.), Holzfeuer im hölzernen Ofen, 1982, S. 3ff., 27ff. Grundsätzlich auch zu Konversationsmaximen: H. P. Grice, Logik und Konversation, in: G. Meggle (Hrsg.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung, 1979, S. 243ff. 185 F. Müller (Anm. 2), S. 76. 186 F. Müller (Anm. 1), S. 246ff. 1 87 Ebd., S. 226f., 232, 431. 6*
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Die damit eingeforderte Rationalität ist kein philosophisch oder wissenschaftstheoretisch vorgegebener Maßstab 188 , sondern an rechtsstaatliche Prinzipien rückgebunden: Sie impliziert die Kontrolle von Entscheidungen, indem deren Gründe offengelegt und so diskutierbar werden. Ein rechtstheoretischer Ansatz, der diesem Anspruch genügt, kann sich nicht auf das Bekenntnis zu einer Schule beschränken. Gefordert ist vielmehr eine Analyse der alltäglichen Rechtsarbeit. Der bloße Vorwurf allerdings, die Praxis verfahre nicht nach der richtigen Methode, bleibt solange abstrakt, als er - in Umkehrung des Glasperlenspiels der herkömmlichen Methodenlehre - sich nicht auf die Strukturen der juristischen Entscheidungen einläßt. Mit einer an den Rationalitätskriterien des Rechtsstaatsgebots orientierten Analyse praktischer Entscheidungsvorgänge läßt sich vermeiden, daß einerseits die tatsächlich von den Gerichten geübte Praxis unbesehen zur Norm erhoben wird, und andererseits eine praxisferne Methodenlehre es in der Hand hat, ihre unausgewiesenen normativen Wertungen hinter sprachlichen Fassaden zu verbergen. 2.3 Von der texttheoretischen zur verfassungsrechtlichen Begründung des Bindungspostulats Was gewinnt man mit diesem verfassungsrechtlich rückgebundenen Ansatz einer empirischen Analyse für die Beantwortung der Frage nach den Bindungen praktischer Rechtsarbeit? Zunächst ist mit der realistischen Einschätzung der Textstruktur die Stelle sichtbar gemacht, an welcher sich die Intentionalität des Rechtsarbeiters in den Text des Rechts einschreiben kann. Diese als Sprachnormierung begriffene Einschreibung kann zwar keiner geschlossenen Regeldetermination unterworfen werden, aber doch einem System historisch-relativer Bindungen aus dem Rechtsstaatsprinzip. Der Rechtsarbeiter ist bei seinem Tun nicht einfach frei oder lediglich einer verinnerlichten Rechtsethik verpflichtet 189 . Er ist vielmehr an ein Ensemble von Direktiven gebunden, dessen formalisierbaren Teil die juristische Methodik untersucht und präzisiert. Damit werden die normativen Grundlagen und die tatsächliche Verfaßtheit dessen herausgearbeitet, was man als Erkenntnisregel 190 von Recht unter rechtsstaatlichen Bedingungen bezeichnen könnte. Auf dieser Grundlage einer am immanenten Rationalitätsmaßstab des juristischen Sprachspiels orientierten Argumentationstheorie kann auch die Frage nach der Gesetzesbindung neu gestellt werden. Diese erscheint nicht länger als sprachlich oder methodisch vorgegebene Wortlautgrenze juristischer Textarbeit. Denn weder die Sprachtheorie noch iss Ebd., S. 18f., 438. 189 F. Müller (Anm. 107), S. 76. 190 Vgl. zum Begriff der Erkenntnisregel: H. L. A. Hart, Der Begriff des Rechts, 1973, S. 142ff.
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die juristische Methodik kann eine solche Grenzziehung als natürliche Vorgegebenheit aufweisen. Vielmehr ist die Gesetzesbindung zu diskutieren im Zusammenhang der vom Rechtsstaatsprinzip und anderen methodenrelevanten Verfassungsnormen geforderten Kontrollierbarkeit und Überprüfbarkeit praktischer Rechtsarbeit. Das Bindungspostulat, das bisher dadurch gesichert werden sollte, daß man die Texttheorie auf die Bedürfnisse juristischen Entscheidens zugeschnitten hat, verwandelt sich damit in das spezifisch juristische Problem einer normativen Anforderung an den Prozeß der Rechtserzeugung. 3. Was heißt Gesetzesbindung? Die Strukturierende Rechtslehre setzt zwar keine der Entscheidung fertig vorgegebene Rechtsnorm voraus. Aber für sie stellt sich die Frage, wie die verfassungsrechtliche Gesetzesbindung des Richters noch verstanden werden kann, wenn die Rechtsnorm keine der Konkretisierung vorgegebene Größe ist. 3.1 Reformulierung
der Problemstellung
Statt also die juristische Methodik über ihre bisherige Schwierigkeit einer mangelnden Rangfolge ihrer Argumente hinauszuführen, scheint das Herangehen der Strukturierenden Rechtslehre nur neue Probleme aufzutürmen. Bisher war nur die Frage, wie die Gesetzesbindung juristischer Praxis methodisch eingelöst werden kann. Jetzt stellt sich zudem noch die grundsätzlichere Frage, was Gesetzesbindung überhaupt heißen kann. Für das auch die antipositivistische Doktrin prägende positivistische Normverständnis ist die Gesetzesbindung eine Bindung an eine vorgegebene Größe. Dies wird deutlich, wenn etwa die Gesetzesbindung richterlichen Handelns als bloßes Textproblem entlang der Unterscheidung von „enger" und „weiter" Formulierung dargestellt wird 1 9 1 . Die rechtsstaatlichen Anforderungen an richterliche Konkretisierung bleiben damit rein textbezogen: Der Richter darf nicht gegen den eindeutigen Wortlaut entscheiden, und je enger ein Normtext formuliert ist, um so geringer ist der Wertungsspielraum des Richters 192 . Wo dem Gesetz dagegen keine eindeutige, und das heißt subsumtionsfähige Aussage zu entnehmen ist, beginnt der richterliche Wertungsspielraum, dessen Grenzen sich unabhängig von der Frage der Gesetzesbindung nach der Leistungsfähigkeit der Rechtsprechung und der Konsensfähigkeit der Entschei191 H. P. Schneider, Die Gesetzmäßigkeit der Rechtsprechung, in: D Ö V 1975, S. 443ff., 450. Ähnliche Unterscheidungen finden sich auf der Ebene der Begriffe ζ. B. bei H. Coing , Grundzüge der Rechtsphilosophie, 1984, S. 331 und öfter. Vgl. zu diesem Problem auch R. Christensen (Anm. 140). 192 Vgl. H. P. Schneider, ebd., S. 452. Zum Wortlaut als Instrument der Distinktion von Richterrecht vgl. auch C. Schmitt, Gesetz und Urteil, 2. Aufl. 1969, S. 104.
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dung bemessen sollen. Die Tragweite der richterlichen Gesetzesbindung wird damit verkürzt. Die Forderung an den Richter, den eindeutigen Normwortlaut strikt zu befolgen, läßt sich nämlich, abgesehen vom Grenzfall gesetzlicher Anordnungen über Fristen und Termine 193 , überhaupt nicht einlösen. Eindeutig wird der Wortlaut erst durch die Konkretisierung und bleibt es auch nur bis zum Auffinden neuer Argumente. Aber auch dann kann der Wortlaut nicht „befolgt" werden, sondern höchstens Interpretationshypothesen zu Fall bringen. Die These vom scheinbar vorgegebenen eindeutigen Wortlaut verkürzt die Normstruktur und deren Trennschärfe auf die Eindeutigkeit des grammatischen Konkretisierungselements 194 . Hier wirkt deutlich die positivistische Vorstellung einer Norm als anwendungsbereitem Set von Regeln nach. Verkannt wird von dieser Position, daß Juristen in jedem problematischen Fall nicht einfach mit Begriffen, sondern an Begriffen arbeiten. Gerade in diesem Bereich sind die rechtsstaatlichen Bindungen richterlicher Tätigkeit einzulösen. Die richterliche Gesetzesbindung auf angeblich vorgegebene Begriffsinhalte zu beziehen 195 , würde damit die Wortlautgrenze nicht nur zur Bedeutungslosigkeit verurteilen, sondern auch die richterlichen Entscheidungsvorgänge hinter der Fiktion einer Begriffsermittlung verstecken. Die Strukturierende Rechtslehre geht deswegen nur von einer Signal- und Begrenzungswirkung des Normtextes aus und richtet das Augenmerk auf die aktive Leistung des handelnden Juristen 196 . Die Betrachtung muß also gedreht werden, und zwar um die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Rechtsstaatsgebots als Angelpunkt. Die Gesetzesbindung kann sich nicht auf die Rechtsnorm als etwas Vorgegebenes beziehen, sondern sie bezieht sich auf die Struktur eines Herstellungsprozesses. Bisher war die Diskussion in einem falschen Bild richterlicher Tätigkeit befangen (und ein Bild vernebelt bekanntlich mehr als tausend Worte): Der Abstand zwischen Normtext und Fallentscheidung sollte durch die Brücke juristischer Auslegung überwunden werden, deren Grundpfeiler fest in der vorgegebenen Rechtsnorm ruhen. Die Strukturierende Rechtslehre macht demgegenüber klar, daß keine schon vorhandene Brücke uns die Anstrengung abnehmen kann, den Abstand zwischen Normtext und konkreter Entscheidung zu überwinden. Gefordert ist vielmehr eine Konstruktion, die den vom Rechtsstaatsprinzip vorausgesetzten Maßstäben genügt. 193
Der Wortlaut hat zwar eine Grenzwirkung und auch eine Anregungswirkung für die Konkretisierung, aber mit einer Bestimmungswirkung ist er außer in seltenen Grenzfällen überfordert. Vgl. dazu F. Müller (Anm. 14), S. 128,148ff., 217ff., 224ff., 250ff., 267f. 194 Zur Kritik an der Gleichsetzung von Wortlautgrenze und grammatischem Element vgl. F. Müller (Anm. 107), S. 78. 195 Vgl. dazu auch / . Priester, Zum Analogieverbot im Straf recht, in: H. J. Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, 1976, S. 155ff. 1 96 F. Müller (Anm. 14), S. 115.
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3.2 Rechts(norm)theorie
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als Grundlage der juristischen Methodik
Um die Maßstäbe dieser Konstruktion zu gewinnen, bedarf es aus der Sicht der Strukturierenden Rechtslehre einer rechts(norm)theoretischen Grundlage, welche den Gesetzespositivismus endgültig verabschiedet. Diese Grundlage wird von der Strukturierenden Rechtslehre in zwei Schritten entwickelt: Als statisches Strukturmodell der Rechtsnorm ist es der induktive Zwischenschritt aus der rechtsstaatlich konsequenten Verallgemeinerung der Praxis. Es stellt das theoretische Gerüst für den zweiten Schritt einer methodischen Wendung zu einem dynamischen Ablaufmodell der Konkretisierung dar. Ausgangspunkt für die Darstellung dieses Strukturmodells ist der vom Gesetzgeber verabschiedete und in Gesetzessammlungen veröffentlichte Normtext. Diesem kommt Geltung zu 1 9 7 in der Weise, daß die Normtexte für den juristischen Funktionsträger als Eingangsdaten und Zurechnungsgrößen der jeweiligen Entscheidung verbindlich sind. Normativität ist dabei die verbindliche Regelung sozialen Lebens und kann damit nicht den Normtexten, sondern erst den vom Rechtsarbeiter als Subjekt des Konkretisierungsvorgangs geschaffenen Rechtsnormen zukommen. »Normativität 4 heißt die dynamische Eigenschaft der als sachgeprägtes Ordnungsmodell aufgefaßten Rechtsnorm, die ihr zuzuordnende Wirklichkeit zu beeinflussen (konkrete Normativität) und dabei durch diesen Ausschnitt von Realität selbst wieder beeinflußt und strukturiert zu werden (sachbestimmte Normativität) 198 . Normativ heißt in diesem Rahmen für die Strukturierende Rechtslehre alles, was dem Entscheidungsprozeß Richtung gibt und damit alle Elemente, die nicht entfallen können, ohne daß der Fall anders entschieden würde. Diese Elemente lassen sich in zwei Gruppen ordnen: Einmal die primär sprachlich vermittelten Daten aus Normtexten und anderen Texten (abkürzend: Sprachdaten). Zum andern die sekundär sprachlich vermittelten Daten über die Zusammenhänge der Wirklichkeit (abkürzend: Realdaten). Normstruktur bezeichnet den Zusammenhang zwischen den hier konzipierten Bestandteilen einer Rechtsnorm 199 . Mit der Wendung des statischen Strukturmodells zu einem dynamischen Ablaufmodell der Konkretisierung kann die Illusion, im Gesetz sei die Entscheidung für alle denkbaren Streitfälle schon vorgegeben, überwunden werden, ohne daß freirechtliche Beliebigkeit an deren Stelle tritt. Statt einer alle wirklichen Entscheidungsprozesse verbergenden Fiktion bloßer Rechtserkenntnis wird damit ein von rechtsstaatlichen Anforderungen her strukturiertes Modell der Erzeugung von Recht vorgeschlagen. 1 97 Vgl. F. Müller (Anm. 2), S. 51, 106f. 198 F. Müller (Anm. 1), S. 256ff. 199 Ebd., S. 250.
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Tatsächlich vorgegeben ist dem praktisch arbeitenden Juristen danach nicht die anwendungsbereite Rechtsnorm, sondern nur der vom Gesetzgeber geschaffene Normtext sowie der zur Entscheidung vorgelegte Sachverhalt. Ausgehend von den Elementen des Sachverhalts wählt der Jurist unter Zuhilfenahme seines trainierten Vorverständnisses 200 Normtexthypothesen 201 aus der Menge der in den amtlichen Sammlungen veröffentlichten Normtexte aus. Die Normtexthypothese verweist aber schon auf einen bestimmten Ausschnitt der sozialen Wirklichkeit, den Sachbereich: die Menge aller empirischen Gegebenheiten, von denen anzunehmen ist, daß sie mit der Norm in Zusammenhang stehen. Aber erst nach einer umfassenden Verarbeitung sämtlicher Sprachdaten des Normtextes kann der Jurist mit Hilfe des Normprogramms die Teilmenge empirischer Zusammenhänge auswählen, der normative Bedeutung zukommt, und somit den Normbereich bilden. Damit erst ist als Zwischenergebnis die Konkretisierung, die aus Normprogramm und Normbereich zusammengesetzte allgemeine Rechtsnorm hergestellt. Erst jetzt steht der Obersatz einer Subsumtion fest und kann der Vorgang einsetzen, den der Gesetzespositivismus allein beschrieben hat, d.h. die Rechtsnorm wird zur Entscheidungsnorm individualisiert. Die Rechtsnorm ist also der Konkretisierung nicht schon vorgegeben, sondern wird vom sogenannten Rechtsanwender überhaupt erst hergestellt. Dieser gegenstandskonstitutive Anteil praktischer Rechtsarbeit wurde im Gesetzespositivismus nicht nur ausgeblendet, sondern hinter der Fiktion eines anwendungsbereiten Gesetzes in einer geschlossenen Ordnung der Rechtsbegriffe geradezu versteckt. Das gesetzespositivistische Denken blieb somit gefangen im „Bann der Wiedererinnerung" (Bloch), der zwischen Anfangspunkt und Endpunkt einer Entwicklung nichts Neues, keinen schöpferischen Sprung zuläßt. Wie der Eichbaum in der Eichel sollten die Prämissen der konkreten Entscheidung schon vollständig eingeschachtelt und enthalten sein in einer auf den Text reduzierten Norm. Die Normativität wurde damit zur statischen Eigenschaft einer fertig vorgegebenen Rechtsnorm und konnte nicht als von rechtsstaatlichen Anforderungen her methodisch zu strukturierender Vorgang aufgefaßt werden. Erst eine am tatsächlichen Geschehen ansetzende Rechtserzeugungslehre kann somit den gegenstandskonstitutiven Anteil praktischer Rechtsarbeit auch theoretisch erfassen. Auf dieser Grundlage läßt sich nun genauer explizieren, was unter dem oft beschworenen schöpferischen oder „rechtsfortbildenden" Anteil praktischer Rechtsarbeit zu verstehen ist: Unveränderlich vorgegeben ist der Konkretisierung als Eingangsgröße nur der Normtext. Die Rechtsnorm muß demgegenüber in einem von rechtsstaatlichen Anforderungen her geprägten Vorgang erst erzeugt werden. Daher ist praktische Rechtsarbeit in jedem Normalfall 200 Vgl. dazu F. Müller (Anm. 14), S. 133ff., 136ff. 201 Vgl. dazu F. Müller (Anm. 1), S. 264f.
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schon schöpferisch oder normerzeugend. Weil eben die Rechtsnorm mehr und Anderes ist als der bloße Normtext, beinhaltet jede Anwendung des Rechts grundsätzlich eine inhaltliche Anreicherung und Fortbildung. Der Begriff Konkretisierung' bezieht sich damit in der Strukturierenden Rechtslehre nicht auf die Illusion einer lex ante casum 202 , es handelt sich nicht um das Verengen einer substantiell vorgegebenen Rechtsnorm auf den Fall hin, sondern um das methodisch überprüfbare Erzeugen einer Norm. Konkreter werden dabei nur die Arbeitselemente. Im Unterschied zur herkömmlichen Lehre ist dieser Ansatz einer verfassungsrechtlich rückgebundenen Rechtserzeugungslehre damit in der Lage, entlang der entwickelten Rechts(norm)theorie zu einer generalisierbaren Rangordnung der Konkretisierungselemente zu gelangen. Im Konfliktsfall hat dabei das normtextnähere Argument den Vorrang vor dem normtextferneren Argument 2 0 3 . 3.3 Die Gesetzesbindung im Rahmen eines dynamischen Ablaufmodells der Konkretisierung Die Anforderungen an praktische Rechtsarbeit werden durch den Ansatz der Strukturierenden Rechtslehre nicht geringer, sondern höher. Denn der Rechtsarbeiter muß bei der Herstellung der Rechtsnorm aus Normprogramm und Normbereich die aus der Normstruktur abzuleitende Rangfolge der Konkretisierungselemente 204 beachten und dem jeweils normtextnäheren Argument den Vorrang einräumen. Nur dann kann er die hergestellte Rechtsnorm dem einschlägigen Normtext rechtsstaatlich kontrolliert zurechnen. Es gibt damit zwar nicht mehr das automatische Förderband der Begriffsexplikation, das den Rechtsarbeiter vom Normtext zur Entscheidung bringt. Aber der Rechtsarbeiter muß diese Divergenz in methodisch kontrollierter Weise überwinden. Mit dieser Antwort auf die Frage, was Gesetzesbindung heißen kann, ist auch der Weg gewiesen für die Beantwortung der Frage, wie methodische Bindungen richterlicher Tätigkeit eingelöst werden können. Entgegen dem Positivismus, der mit seinem apriorischen Modell der Rechtsnorm die nur noch zu entfaltende normative Instanz an den Anfang stellte, muß der Konkretisierungsvorgang zwar ohne Eingangsdaten auskommen, die selbst schon normativ sind 2 0 5 , aber nicht ohne rechtsstaatliche Bindung beim Erzeugen der normativen Instanz. Der Normtext ist dabei nicht 202 Vgl. F. Müller (Anm. 2), S. 46ff. 203 Vgl. dazu im einzelnen F. Müller (Anm. 14), S. 198ff. 204 F. Müller (Anm. 1), S. 227, 239, 359, 362. 205 Vgl. dazu F. Müller, ebd., S. 256ff.
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nur Ausgangspunkt, sondern auch rechtsstaatliche Grenze der Konkretisierung 206 . Je näher ein Argument diesem Eingangsdatum Normtext steht, um so größer ist sein Gewicht in der Argumentation, die zur Herstellung der Rechtsnorm führt. Die Untersuchung der tatsächlichen Prozesse der Rechtsverwirklichung führt die Strukturierende Rechtslehre also von einer Analyse der Rechtsprechung zu einem verallgemeinerungsfähigen Modell der Normstruktur. Von dieser Struktur aus lassen sich die verschiedenen Elemente der Normativität begrifflich unterscheiden 207 , und sie bildet damit die Grundlage, um die verschiedenen Konkretisierungselemente in eine hierarchische Ordnung entsprechend ihrer Nähe zum Normtext zu bringen. Die Wortlautgrenze 208 der Konkretisierung ist dabei keine absolute, sondern eine relative Größe, die vom Rechtsarbeiter fordert, dem jeweils normtextnäheren Argument Vorrang zu geben, oder umgekehrt formuliert, einem normtextferneren Element nur präzisierende, nicht aber derogierende Wirkung zuzugestehen. So schlägt etwa das direkt normtextbezogene systematische Element 209 das nur auf den Text vorangegangener Normen bezogene historische Element 210 bei einem Konfliktsfall 211 aus dem Feld. Ebenso wie dieses seinerseits ein Normbereichsargument oder gar ein normgelöst-dogmatisches Element verdrängen kann. Wenn die Bonner Verfassung in Art. 97 Abs. 1 bestimmt, daß der Richter „nur dem Gesetz unterworfen" sei 212 , so ist dieser rechts(norm)theoretisch gesprochen also Normtexten unterworfen. Die vom Richter gesetzten Rechtsnormen müssen sich rechtsstaatlich rational und methodisch nachvollziehbar den vom Gesetzgeber geschaffenen Normtexten zurechnen lassen. Wenn diese Zurechnung scheitert und der Richter, wie in den spektakulären „Richterrechtsentscheidungen" selber Normtexte setzt, denen er seine Entscheidung dann zurechnet, handelt es sich dabei um eine rechtsstaatswidrige Entscheidung contra legem. Mit dem dynamischen Rechtsnormverständnis der Strukturierenden Rechtslehre kann der schöpferische Anteil praktischer Rechtsarbeit im Rahmen der rechtsstaatlichen Normbindung begriffen werden. Antworten auf ein gesellschaftliches Regelungsbedürfnis können demnach nur im Rahmen der 206
Z u diesem F. Müller (Anm. 14), S. 252, 255; ders. (Anm. 107), S. 15, 27. 207 Vgl. F. Müller (Anm. 1), S. 257ff. 208 Vgl. dazu F. Müller (Anm. 107), S. 78ff. 209 Vgl. dazu F. Müller (Anm. 14), S. 162f. 210 Vgl. ebd., S. 160ff. 211 Vgl. ebd., S. 198ff. Z u den im folgenden angesprochenen Typen von Konfliktlagen vgl. ebd., S. 200ff. 212 Tatsächlich ist Art. 97 Abs. 1 GG die systematisch einschlägige Vorschrift für die Gesetzesbindung des Richters, nicht etwa der zumeist einzig diskutierte Art. 20 Abs. 3 GG. Dies übersieht etwa auch K. Larenz y Richterliche Rechtsfortbildung als methodisches Problem, in: NJW 1965, S. I f f . , 2.
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positivierten Rechtsordnung gegeben werden. Diese Antworten in Form von Entscheidungsnormen sind zwar in jedem gegebenen Fall mehr als die bloße Anwendung des Gesetzes, aber ihr schöpferischer Anteil wird an den methodengerecht festgestellten primär und sekundär vermittelten Sprachdaten überprüft. A n die Stelle der Spekulation über gesetzestranszendente Maßstäbe kann die Ausarbeitung von Methodik und Bereichsdogmatik alltäglicher Rechtsarbeit treten. Die Strukturierende Rechtslehre kann zwar keine vollständige Determination der konkreten Entscheidung garantieren, aber sie bietet doch einlösbare Maßstäbe, um eine unter Beachtung verfassungsrechtlicher Anforderungen dem Normtext nicht zurechenbare Dezision von einer rechtsstaatlich legitimen Entscheidung abzugrenzen. Auf der Grundlage der normtheoretisch erarbeiteten Vorzugsregeln werden konkurrierende Interpretationen untereinander vergleichbar. A n die Stelle der Forderung einer nicht einlösbaren Wahrheit der Interpretationsbehauptung im Modell des sprechenden Textes tritt damit der Vergleichsmaßstab einer rechtsstaatlich relativen Gerechtigkeit.
Was ist die Bedeutung eines Gesetzestextes? Sprachwissenschaftliche Argumente im Methodenstreit der juristischen Auslegungslehre - linguistisch gesehen Von Dietrich Busse Gliederung 1. 2. 2.1 2.2 2.3 3. 3.1 3.2 3.3 4. 4.1 4.2 4.3 5.
Einleitung: Warum Sprachtheorie für Juristen? Erste Instanz: Koch vs. Rest der Welt Intensionale Logik als Semantik Versuch der Widerlegung des „Intentionalismus" durch einen (revidierten) „Konventionalismus". Kochs Kritik an Wittgenstein, Grice und Lewis Juristische Schlußfolgerungen Zweite Instanz: Hegenbarth vs. Wortsemantik Kritik an der Theorie von der Wortlautgrenze Juristische Mißverständnisse: Hegenbarths verabsolutierter Intentionalismus Subjektive vs. objektive Auslegung - Eignet sich die linguistische Pragmatik als Zeugin der Anklage? Dritte Instanz: Auslegung als rationaler Diskurs. Schafft Schiffauer den Vergleich? Wortlautgrenze: Ein Scheinproblem Was ist „Bedeutung"? Auslegung oder Analogie? Das Auslegungsproblem in linguistischer Sicht
1. Einleitung: Warum Sprachtheorie für Juristen? Wo immer mit Texten gearbeitet wird, Texte Anleitungen zum Handeln geben sollen (müssen), tritt irgendwann eine Spannung zutage, welche zwischen dem schriftlich Fixierten und seiner Anwendbarkeit auf vorliegende Probleme, Fälle, Sachlagen besteht. In den meisten Bereichen sind solche Spannungen unproblematisch, weil die möglichen Folgen nicht gravierend sind, oder weil eine Einigung über den Text und seine Bedeutung leicht zu erzielen ist. Wenn jedoch in einem Bereich Textauslegungen so schwerwiegende Folgen haben können, wie mehrjährige Gefängnisstrafen, Geldbußen o.ä., dann muß über kurz oder lang die Methode der Textauslegung in das Zentrum der fachlichen Diskussion geraten. Dies ist in der Rechtswissenschaft (aus guten Gründen) schon seit langem der Fall.
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Nur natürlich scheint es, wenn die Juristen zur Klärung der theoretischen Grundlagen ihrer Gesetzesauslegungsmethoden dort um Hilfe suchen, wo über das, was Texte und ihre Bedeutungen sind, schon immer nachgedacht wurde: in der Hermeneutik, in der Sprachphilosophie und in den Bedeutungslehren der Sprachwissenschaft. Beschränkte sich die Methodendiskussion der juristischen Auslegungslehre (ausgehend von den Paradigmen des 19. Jahrhunderts) lange auf die Weiterentwicklung, Anwendung und Rezeption der (auch aus philosophischen, theologischen, altphilologischen und literaturwissenschaftlichen Quellen gespeisten) Hermeneutik(en), so hat sich das methodologische Interesse in den letzten Jahren verstärkt den sprachtheoretischen Grundlagen selbst, vor allem dem Bedeutungsbegriff, zugewandt. Die juristische Rezeption sprachtheoretischer Argumente ist für die Sprachwissenschaft u. a. deswegen von Interesse, weil es hierbei, außerhalb der oft im rein Theoretischen verbleibenden Grundlagenstreits, um praktische, handlungsleitende Anwendungen von verschiedenen Sprachkonzeptionen geht (oder wenigstens gehen könnte). Es wäre zumindest nicht ausgeschlossen, daß die Ergebnisse eines harten „Praxistests" sprachtheoretischer Modellbildungen auf die sprachwissenschaftliche Diskussion zurückwirken könnten. Probleme mit Bedeutungsbeschreibungen ergeben sich ja auch in linguistischen Praxisfeldern wie der Lexikographie. Es sei freilich schon jetzt verraten, daß sich solche neuen Erkenntnisse für den Linguisten aus den in Augenschein genommenen juristischen Rezeptionen sprachtheoretischer Erklärungsansätze nicht ergeben. Eine - langfristig sicher befruchtende, auf jeden Fall notwendige und wünschenswerte - Diskussion zwischen Sprachwissenschaftlern und Juristen wird sich (so hat es den Anschein) zumindest noch eine zeitlang im Rahmen der linguistischen „Hilfestellung" für die juristische Seite bewegen. Soweit die hier diskutierten Texte von Koch, Hegenbarth und Schiffauer den Diskussionsstand der sprachtheoretisch interessierten Juristen einigermaßen wiedergeben 2, bezieht sich diese Hilfe auf die Korrektur zahlreicher und z.T. tiefgreifender Mißverständnisse und Fehlinterpretationen sprachwissenschaftlicher Theorien. Es hat den Anschein, als hingen manche dieser Mißverständnisse damit zusammen, daß sprachtheoretische Argumente im juristischen Methodenstreit lediglich die Hilfstruppen in einer Bataille markieren, die auf ganz anderem Felde ausgetragen wird. Dieses Schlachtfeld sei kurz 1 H.-J. Koch, Über juristisch dogmatisches Argumentieren im Staatsrecht, in: ders. (Hrsg.): Die juristische Methode im Staatsrecht, 1977, S. 13 - 160 (hier: S. 29 - 60); H.-J. Koch / H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982. R. Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982; P. Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979. 2 Die Texte habe ich ausgewählt, weil sie die neuesten umfassenden Darstellungen sprachwissenschaftlicher Theorien in der juristischen Methodendiskussion sind, und weil sie exemplarisch für gegensätzliche Schulen stehen. Ein vollständiger Überblick über juristische Rezeptionen von Sprachtheorie soll und kann hier nicht gegeben werden.
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beschrieben, damit den juristischen Laien unter den Leserinnen und Lesern die hohe Relevanz der sprachtheoretischen Argumente im juristischen Methodenstreit deutlich wird. Im Gegensatz etwa zum angelsächsischen Recht, bei dem Richter ihre Entscheidungen durch Berufung auf vorherige Präzedenzfälle entscheiden, weil geschriebene Gesetzesnormen nur in viel geringerem Umfang existieren als bei uns, ist das Rechtssystem der B R D streng normtextorientiert. Verfassung und Gesetze legen (so die Rechtsfiktion des Grundgesetzes) das Recht durch schriftlich niedergelegte Normen fest. Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG regeln klar die Verbindlichkeit der Rechtsnormen für das richterliche Entscheidungs-Handeln3. So klar diese Bestimmungen zu sein scheinen, so wenig klar ist es, wie sie in der juristischen Praxis befolgt werden können. Gesetzliche Normen treten in der Form schriftlicher Texte auf, sind also sprachliche Äußerungen, die Bedeutungen haben, welche von den Rezipienten (hier den Richtern) interpretiert werden müssen. Geht man von einem Konzept sprachlicher Kommunikation aus, das dem Verstehen sprachlicher Äußerungen interpretativen Charakter zuschreibt, so unterstellt man damit (zumindest im Sinne neuerer linguistischer Verstehenstheorien) eine aktive, sinnkonstituierende Komponente seitens des verstehenden Subjektes. Diese sprachtheoretisch einleuchtende Feststellung ist allerdings rechtstheoretisch äußerst problematisch; für den Juristen reißt sie den Gegensatz zwischen Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung auf. Rechtstheoretische Auslegungsregeln gesetzlicher Normen pflegen auch heute noch (gestützt durch das Grundgesetz) die Fiktion, daß der Richter nichts anderes sei als „der Mund des Gesetzes"4. Zwar schließt auch das Grundgesetz durch die Formulierung, daß die Rechtsprechung an „Gesetz und Recht" gebunden sei, implizit nicht aus, daß richterliche Entscheidungen, statt allein und vollständig auf Normtexte zurückgeführt zu werden, sich auch auf andere Rechtstexte (Urteilsbegründungen, Kommentare etc.) berufen können, doch kommt in der Rechtsprechungspraxis im Zuge der Entscheidungsbegründung der Auslegung oder Rechtsfortbildung unterschiedlicher Status zu. Eine „Auslegung" hat immer eher den Anschein der Notwendigkeit und Objektivität, während eine „Fortbildung" sich selbst einem starken Begründungsdruck aussetzt. Rechtssoziologisch könnte man diesen Gegensatz so formulieren, daß eine sich als Auslegung gebende Entscheidungsbegründung den Richter von Verantwortung entlastet, während eine klar als Rechtsfortbildung erkenntliche Begründung Verantwortung aufbürdet und vor allem Aufmerksamkeit auf 3
Art. 1 Abs. 3 GG „Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht." - Art. 20 Abs. 3 GG „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden." 4 Vgl. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 4. Aufl. 1979, S. 353.
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sich zieht. Es kann daher nicht verwundern, daß in der juristischen Begründungslehre immer wieder der Versuch gemacht wird, richterliche Interpretationshandlungen (durch welche Argumentation auch immer) unter die Rubrik der „Auslegung" einzuordnen 5. Da auch die schärfsten Anhänger einer ,objektiven 4 , normtextorientierten Gesetzesauslegung nicht leugnen können, daß es Fälle gibt, in denen die Bedeutung eines Normtextes nur schwer zu ermitteln ist (etwa weil vage Ausdrücke verwendet wurden), wurde eine Begründungslehre entwickelt, in der verschiedene Auslegungsmethoden in einer zeitlichen und systematischhierarchischen Reihenfolge „abnehmender Gesetzestreue" angeordnet sind. Diese Methoden („Kanones") sind, in der Reihenfolge ihrer Anwendung: (a) Grammatische Auslegung: In der g. A . soll der „Wortlaut" einer gesetzlichen Vorschrift ermittelt werden. Bedeutungsermittlungen „nach dem Wortlaut" greifen meist entweder auf das als unproblematisch angesehene intuitive Sprachverständnis der Richter oder auf Definitionen bekannter Wörterbücher zurück. (b) Systematische Auslegung: Ist eine „Bedeutungsfeststellung" nur aus der Normformulierung schwierig, soll der gesetzliche Kontext, d.h. der „Bedeutungszusammenhang" des ganzen Gesetzestextes berücksichtigt werden, in dem die Formulierung steht. Hier gehen implizit allerhand Vormeinungen über den juristisch-systematischen Gesetzeszusammenhang ein. (c) Historisch-genetische Auslegung: Diese Auslegungsmethode wird gelegentlich so formuliert: „Lege das Gesetz so aus, daß die Regelungsabsicht des Gesetzgebers erreicht werden kann 6 ." Haben die beiden ersten Methoden noch nicht zu dem eindeutigen Auslegungsergebnis geführt, soll der Richter versuchen, die historisch-konkrete Absicht der Normtext-„Autoren" zu rekonstruieren. Der Versuch der Feststellung des tatsächlich damals verwendeten Sprachgebrauchs kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß dem Richter die geeigneten historisch-semantischen Erhebungsmethoden wohl kaum zur Verfügung stehen. Was sich in der juristischen Praxis meist tatsäch5 Daß solche Argumentationen vom Grundgesetz anscheinend gestützt, wenn nicht gar erzwungen werden, erschwert die freie Diskussion über den Charakter von „Gesetzesauslegung". Richterliche Entscheidungen sind noch durch folgende Gebote determiniert: das Rechtsverweigerungsverbot (Entscheidungszwang), nach dem ein anhängiger Fall auch entschieden werden muß; den Grundsatz der Rechtssicherheit, nach dem die Bürger in der Regel gerichtliche Entscheidungen anhand der bisherigen Rechtslage voraussehen können müssen; das Gebot der Einsehbarkeit der Entscheidung, nach dem Entscheidungen (nach einem bestimmten Schema) so begründet werden müssen, daß sie von den betroffenen nachvollzogen werden können; schließlich das Gleichbehandlungsgebot, nach dem gleiche Fälle gleich entschieden werden müssen und ungleiche Fälle nicht gleich entschieden werden dürfen. 6 Koch in: Koch / Rüßmann, Begründungslehre (Anm. 1), S. 166.
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lieh hinter dieser Methode versteckt, ist der Verweis auf die in Rechtskommentaren, höchstrichterlichen Entscheidungen etc. enthaltene „herrschende Meinung" der Textauslegung. (d) Teleologische Auslegung: Erst wenn all diese Methoden nichts gefruchtet haben, soll der Richter auf die als problematischste Methode angesehene Rekonstruktion des abstrakt zeitlosen „Zwecks des Gesetzes" zurückgreifen. Hiermit sollen Normen, die heutige Zustände nicht mehr treffen, analog auf konkrete Fälle anwendbar gemacht werden. Das vermeintliche Abzielen auf den abstrakt gültigen Regelungszweck kann jedoch nicht verdecken, daß hier tatsächlich massive Vorurteile, Wert- und Norm Vorstellungen rechtspolitischer, allgemeinpolitischer, moralischer oder religiöser Art unreflektiert zur Wirkung kommen. Die nicht von allen Juristen so akzeptierte Hierarchie der Kanones wird ζ. T. noch von einem grundsätzlicheren Methodenstreit zwischen sog. y objektiver' und } subjektiv er' Auslegung überlagert. Darin kommt grob gesprochen der Gegensatz zwischen vermeintlicher „Normtreue" (die allerdings überwiegend als Treue zum juristischen Apparat zur Wirkung kommt, und deshalb gelegentlich auch als „konservativ" eingestuft wird) und einer Orientierung an zeitgemäßen gesellschaftlich-politischen Bedürfnissen und Zuständen zum Ausdruck. Insgesamt gibt es hinsichtlich des methodologischen AuslegungsStreits also drei nicht völlig zur Deckung zu bringende Ebenen: die vier Kanones (oft als streng zu befolgende Reihenfolge betrachtet), die subjektiv-objektiv-Kontroverse und die Abwägung zwischen Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung. Das juristische champ de bataille sei hiermit abgesteckt7. 2. Erste Instanz: Koch vs. Rest der Welt Hans-Joachim Koch 8 zieht aus der Infragestellung des juristischen Begriffs der „Auslegung" einer gesetzlichen Norm, mit dem nicht klar genug zwischen Gtsetzesanwendung und Rechtsfortbildung unterschieden werde (23) den Schluß, daß es angemessener sei, von „semantischen Interpretationen gesetzlicher Ausdrücke" (24) zu reden: „Den gesetzlichen Ausdrücken wird eine sprachliche Bedeutung zugewiesen." (24) Diese Exposition des juristischen Problems mit der sprachlichen Bedeutung, die zugleich die Begründung angibt für das Interesse, das juristische Methodiker für die Sprachwissenschaft bzw. -philosophie haben, ist insofern bemerkenswert, als sie durch den Bezug auf die „Ausdrücke" als eigentliches (juristisch-)semantisches Problem eine implizite Sprachtheorie (Wortsemantik) schon vorgibt, bevor das Problemfeld 7 Für Erläuterungen zu allen juristischen Fragen danke ich Friedrich Müller, Ralph Christensen, Bernd Jeand'Heur und Michael Kromer. 8 Seitenzahlen ohne zusätzliche Angaben beziehen sich im Folgenden auf H.-J. Kochs Ausführungen in Koch / Rüßmann, Juristische Begründungslehre (Anm. 1).
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überhaupt beschritten wird. Dieses Vorgehen auch bei einem der Juristen, die sich ausdrücklich um Anleihen bei der Sprachtheorie bemühen, zeigt den eigentlichen Widerstand, der hinsichtlich sprachtheoretischer Fragestellungen in der Jurisprudenz meist nur schwer zu überwinden ist: der Schritt von den verfestigten und hartnäckig verteidigten „Alltagstheorien" der Juristen (wie der meisten Nicht-Linguisten) über die Sprache hin zu einer linguistisch reflektierten Sprachauffassung. Linguistische Sprach- bzw. Bedeutungstheorien werden, dies zeigen Kochs Arbeiten, auf dem Fundament einer gefestigten (und, wie ich glaube, juristisch fundamentierten) Sprachauffassung rezipiert und verworfen, ohne daß referierte Gegenargumente an das eigene Bewußtseinsfundament wirklich herangelassen werden. Die Auseinandersetzung mit sprachtheoretischen Erklärungsansätzen, so verdienstvoll sie ist, verbleibt eher an der Oberfläche und ist so nicht geeignet, juristische Selbstverständlichkeiten ernsthaft zu erschüttern. Wo sprachtheoretische Ansätze wirklich ernsthaft rezipiert und diskutiert werden, geschieht dies, weil sie der vorher mitgebrachten impliziten Sprachtheorie entsprechen. Dies soll im Folgenden an einzelnen Schwerpunkten von Kochs Argumentation gezeigt werden. 2.1 Intensionale Logik als Semantik Koch argumentiert durchweg von einer aus Carnap abgeleiteten Position der „intensionalen Semantik" her. Diese Position wird folgendermaßen eingeführt: „Es ist zwischen der Bedeutung (der Intension) und den Gegenständen der außersprachlichen Wirklichkeit, auf die die Zeichen qua ihrer Bedeutung anzuwenden sind (der Extension), zu unterscheiden. Die Bedeutungen deskriptiver sprachlicher Zeichen sind Eigenschaften, die die Gegenstände in der Welt haben können." (7) Koch bezieht sich hier auf die Prädikatenlogik, in der die Bedeutungen sprachlicher Zeichen durch Wahrheitsfunktionen ersetzt werden. Ein Zeichen sei dann auf einen Gegenstand anwendbar, wenn der Gegenstand die Eigenschaften enthalte, die das Zeichen ausdrückt. Eines der vielen Probleme einer solchen Sichtweise ist, daß die Angabe von Wahrheitsbedingungen noch keine Bedeutungen beschreibt. Eine intensionale Logik kann zwar beschreiben, „wann es zulässig ist, einer Aussage das Prädikat »wahr4 zuzuschreiben", aber nicht „wann es zulässig ist, einen Ausdruck der Sprache auf einen Gegenstand oder Sachverhalt anzuwenden bzw. zu erklären, warum dies zulässig ist" 9 . Die logische Semantik erfüllt deshalb wichtige Anforderungen an eine Theorie der Bedeutung nicht; es ist deshalb verfehlt, diese Wahrheitstheorie als „Seman9 H. Bickes, Theorie der kognitiven Semantik und Pragmatik, 1984, S. 82. Bickes widerlegt in seiner Arbeit zentrale Annahmen der intensionalen Semantik.
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tik" zu bezeichnen. In den Begründungsversuchen der intensionalen Logik wird übersehen, daß schon die unmittelbare Deixis, das Definieren eines Ausdrucks durch Zeigen auf einen Gegenstand, selbst bedeutungsvoll ist. „Es sieht ganz so aus, als ob eine Wahrheitstheorie nur deswegen als Bedeutungstheorie auftreten kann, weil unexpliziert Wissen vorausgesetzt wird, das nicht gerechtfertigt bzw. erklärt wird." 1 0 Koch wie auch viele logische Semantiker übersehen, daß den natürlichen Sprachen mit einer wahrheitsfunktionalen Logik nicht beizukommen ist. Zwar wird versucht, über komplizierte logische Verknüpfungen von „Eigenschaften" zu „komplexen Eigenschaften" (134) den Bedeutungen natürlichsprachlicher Ausdrücke nahezukommen, doch wird dieses Bemühen der Logiker von Koch unbemerkt selbst konterkariert durch seine Definition dessen, was „Eigenschaften" qua Intensionen sprachlicher Ausdrücke sein sollen: „ M i t Eigenschaften als der Bedeutung sprachlicher Zeichen ist also nichts Geistiges, im menschlichen Bewußtsein Befindliches gemeint, sondern etwas Physikalisches, das die Dinge in der Welt haben, eine Seite oder ein Aspekt oder eine Komponente oder ein Charakterzug der Dinge." (134) Mit dieser Definition führt Koch einen simpelsten realistischen Bedeutungsbegriff ein, der zwischen Zeichen und Ding nicht mehr unterscheiden kann. Wenn die Bedeutung eines Zeichens die (vorsprachliche) Dingeigenschaft ist, dann ist die Sprache nichts anderes als die reine Widerspiegelung der Welt. Trotz Verweis auf das Zeichendreieck konzipiert Koch hier eine dualistische Semantik, in der es außer dem Zeichen und den Dingeigenschaften nichts Drittes gibt; im Grunde genommen auch keine Bedeutungen 11 . Diese Wegdefinition der Bedeutung in der Rezeption der logischen Semantik widerspricht eigentümlich der von Koch an anderer Stelle geäußerten „Gegenstandsauffassung" der Bedeutung. In Auseinandersetzung mit der von ihm abgelehnten „intentionalistischen" Semantik fragt er nämlich nach den „Eigenschaften des Gegenstandes ,Bedeutung'": „Gefragt wird [in der intentionalistischen Semantik, D. B.] nicht ,Was sind die Bedeutungen sprachlicher Zeichen eigentlich für Gegenstände?4." (141) Mit diesem essentialistischen Bedeutungsbegriff, der Bedeutungen eigenständigen Dingcharakter, einen ontologischen Status platonischer Entitäten zuschreiben will, offenbart Koch seinen statischen Sprachbegriff. Ohne jemals 10
Bickes, ebd. S. 60. Koch unterscheidet in H.-J. Koch, Das Postulat der Gesetzesbindung im Lichte sprachphilosophischer Überlegungen, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 61 (1975), S. 27 - 41, durchaus noch zwischen Intensionen und Dingeigenschaften. Dort „beziehen" sich die Intensionen nur auf Dingeigenschaften (S. 33f.), sind aber nicht (wie im hier zitierten Werk) mit ihnen „identisch". Warum Koch diese (seine Position schwächende) Veränderung vornimmt, ist mir unklar. 11
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zu erläutern, was Bedeutungen seines Erachtens sein sollen, gibt er immer nur an, wie sie sein sollen: fest, beständig, dinghaft, eindeutig definierbar, nach wahr/falsch-Kriterien anwendbar usw. Er beschreibt so, wie Bedeutungen aus der Sicht eines Juristen sein sollten, der gerne etwas Verbindliches in der Hand hält. Entsprechend dem von ihm den Bedeutungen zugeschriebenen Dingcharakter behandelt Koch nur die Bedeutungen von „Prädikaten". Nur Prädikate, also einzelne sprachliche Ausdrücke, sind für ihn das Ziel juristischer Bedeutungsfeststellungen. Er reduziert somit Semantik auf Wort- und Begriffssemantik, bevor ein Bedeutungsbegriff überhaupt definiert ist. Trotz aller sprachtheoretischer Diskussionen geht er letztlich immer davon aus, „was wir intuitiv [sie!] die Bedeutung [. . .] nennen" (153). Indem Koch die These übernimmt, daß „die Intension eines Ausdrucks grundsätzlich nur über den ,Umweg' einer Extensionsermittlung bestimmbar" ist (189), womit nichts anderes gesagt ist, als daß die Ermittlung der Bedeutung eines Ausdrucks durch Prüfung seiner Anwendbarkeit auf einen gegebenen Fall erfolgt, macht er implizit klar, daß letztlich immer das intuitive sprachliche Vorverständnis des Richters über die Anwendung eines gesetzlichen Ausdrucks auf einen vorliegenden Fall entscheidet. Dann noch von Bedeutungsermittlung zu reden, erscheint mir unredlich. Dieser Bezug auf implizite Vorverständnisse kommt auch in dem hier zugrundeliegenden latenten erkenntnistheoretischen Konzept zum Ausdruck. Getreu seiner realistischen Semantik geht Koch davon aus, daß die Menschen die Welt durch eine „vorsprachliche Unterscheidungsfähigkeit" wahrnehmen und in Einzeldinge und Dingeigenschaften zerlegen. Bemerkenswerterweise gesteht Koch die „Zergliederung" der Welt in unterschiedliche Prädikate nur den „Eigenschaften" zu (137). Im Rahmen einer realistischen Erkenntnis- und Sprachkonzeption ist dies insoweit konsequent, als darin eine erkenntnisunabhängige, vor der menschlichen Wahrnehmung gegebene „natürliche" Zergliederung der Welt in Dinge immer schon mitgedacht ist. Eine solche Auffassung kann allerdings nicht erklären, wie aus einem - notgedrungen subjektiven - „vorsprachlichen Unterscheidungsvermögen" eine gemeinsame Sprache und sprachliche Verständigung überhaupt entstehen können soll. Es scheint, daß Koch deshalb ein „(gemeinsames sprachliches Unterscheidungsvermögen" (138) schlicht unhinterfragt voraussetzt. Währnehmungsunterschiede sind ihm dann konsequent nur noch Folgen der „unterschiedlich ausgeprägten Differenzierungsvermögen" (138) der Gesellschaftsglieder. Koch verbindet so einen kognitiven Universalismus anscheinend mit einer A r t „Defizit-Theorie", derzufolge abweichende (sich sprachlich artikulierende) Wahrnehmungen Folgen eines nicht ausreichend differenzierten Unterscheidungsvermögens der Menschen sind 12 . 12 Wenn diese Interpretation richtig ist, dann kommt darin das normative Sprachkonzept Kochs zum Ausdruck.
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Das skizzierte latente Erkenntnis-Konzept (das mit der anderenorts von Koch vertretenen konventionalistischen Sprachauffassung eigentümlich kollidiert) ist nur möglich auf der Basis einer - wiederum nicht ausgesprochenen strikten Trennung von Sprache und Wahrnehmung. Nur wenn die Wahrnehmung von Gegenständen der Welt als unsprachliche Wahrnehmung konzipiert ist, macht es Sinn, die Differenzen in der sprachlichen Konstitution von Dingen und Eigenschaften damit zu erklären, „daß eine Sprachgemeinschaft nicht für alle Unterscheidungen, die die Menschen wahrzunehmen fähig sind, sprachliche Ausdrucksmittel zur Verfügung stellt". (137) Koch vertritt hiermit einen „ontologischen Atomismus", demzufolge die „außersprachliche Wirklichkeit" (137) aus einer abgeschlossenen13 Menge von sprachunabhängig wahrnehmbaren „Dingen", „Eigenschaften" und „Unterscheidungen" besteht; da jedem Prädikat eine (oder mehrere) Dingeigenschaft (en) entsprechen, gibt es so viele mögliche Prädikate, wie es Dingeigenschaften gibt. Die realisierte Sprache enthält dann immer nur eine Teilmenge dieser möglichen Prädikate. Mögliche und realisierte Prädikate zusammen, d.h. die Gesamtmenge aller vorhandenen „Dinge", „Eigenschaften", „Zergliederungen" bilden den Platonischen Ideenhimmel, bevölkern als überzeitliche, außersprachliche und menschheitsumfassende Universalien das Frege sehe „Dritte Reich der Gedanken". Das einzige, was an dieser (undiskutierten) Übernahme einer ebenso alten wie lange widerlegten Theorie überrascht, ist, daß sie heute immer noch auf natürliche Sprachen angewandt wird. 2.2 Versuch der Widerlegung des „Intentionalismus" durch einen (revidierten) „Konventionalismus Kochs Kritik an Wittgenstein, Grice und Lewis In der Auseinandersetzung mit aktuellen sprachtheoretischen Positionen im Umfeld der sogenannten linguistischen Pragmatik (die in der juristischen Methodendiskussion einigen Anklang gefunden hat, wie der im Abschnitt 3 dargestellte Ansatz von Hegenbarth zeigt) geht Koch durchgängig von einem angeblichen Gegensatz zwischen „Intentionalismus" und „Konventionalismus" aus (158), der (zumindest in der strikten Form, wie Koch ihn konstruiert) in der innerlinguistischen Diskussion nirgends anzutreffen ist 14 . Mit der 13 Jedes Zulassen einer offenen (unendlichen) Menge von Dingen/Eigenschaften würde dazu führen, daß eine (nur als menschliche denkbare) Konstitution von Gegenständen zugestanden werden müßte. Die Welt (wie wir sie wahrnehmen) könnte dann nicht mehr als vor der Wahrnehmung bestehend konzipiert werden. 14 Koch scheint diese Unterscheidung von A. Kemmerling, Bedeutung und Sprachverhalten, in: Ε. v. Savigny (Hrsg.), Probleme der sprachlichen Bedeutung, 1976, S. 73 - 99, zu beziehen. Dort führt Kemmerling nach seinen Worten eine „Charakteri-
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von ihm verschärften Dichotomie im Kopf kann Koch wichtige Differenzierungen vor allem in den von ihm angegriffenen Konzepten von Grice und Lewis nicht erkennen. Dabei kann vom Leser das gelegentliche Schwanken des Autors zwischen Akzeptieren und Ablehnung der kritisierten Konzepte (vor allem bei Wittgenstein und Grice) nicht mehr nachvollzogen werden. Zunächst verwirft Koch die Wittgensteinsche
Bedeutungskonzeption: 15
„Die These ,Bedeutung = Gebrauch 4 ist gerade in bezug darauf, was man denn mit 'dem Gebrauch eines Zeichens sagen bzw. dem Gebrauch eines Zeichens entnehmen kann, gänzlich nichtssagend." (138) Ohne begriffen zu haben, daß die Bedeutung eines Zeichens, d.h. seine Relevanz für die sprechenden Menschen, gerade in der Art seiner Verwendung besteht, sucht Koch nach einem Dritten außerhalb von Reichen' und ,Gebrauch 4, nämlich dem „was", das „man mit dem Zeichen sagt", oder „dem Zeichengebrauch entnehmen kann". Sollte er mit diesem „was" die „Bedeutung der Prädikate" meinen (den „Gegenstand ,Bedeutung'"), so realisiert er nicht, daß er ein „Drittes" in seinem dualistischen Zeichenkonzept (Zeichen außersprachliche Wirklichkeit; wobei Zeichenbedeutung identisch mit Dingeigenschaft ist) gerade ausgeschlossen hatte. In seinem Beharren auf dem Konzept einer außersprachlich erfahrbaren Welt kann er Wittgenstein nicht wirklich begreifen, der immer wieder gerade diese Sprachauffassung gründlich widerlegt hat. Trotz der vermeintlichen „Widerlegung" der zentralsten Gedanken von Wittgensteins Sprachtheorie scheut Koch sich nicht, diesen in seiner Auseinandersetzung mit dem „Intentionalismus" zu vereinnahmen 16 . Diesen kühnen Schritt begründet er lediglich mit Wittgensteins Kritik am Begriff des ,Meinens4, mit der er wiederum Grice widerlegen will 1 7 . Es wäre verfehlt, Wittgensteins Kritik an bestimmten Verwendungen des Ausdrucks ,Meinen4 schlichtweg mit einer Ablehnung jener Theorien gleichzusetzen, die den Sprecherabsichten eine gewisse Rolle bei der kommunikativen Konstitution sierung" ein, „in der die Gegensätze übertrieben hervorgehoben werden" (S. 75). Mir scheint diese Charakterisierung nicht nur übertrieben, sondern durch die Übertreibungen schlichtweg falsch zu sein. Sie ist in der Linguistik weder rezipiert worden, noch ist sie dort zu irgendeinem Einfluß gelangt. 15 Daß Koch Wittgensteins Philosophie (wie die meisten der übernommenen oder kritisierten Theorien) nur aus zweiter Hand (z.B. durch Kutscheras „Sprachphilosophie" oder E. v. Savigny s „Philosophie der normalen Sprache") kennt, vernachlässige ich hier, da er in seiner Kritik durchweg beansprucht, die kritisierten Autoren selbst zu widerlegen. Möglicherweise ist an manchen Stellen die Kritik an Koch auch auf seine Zuträger zu beziehen. 16 Dabei sucht er - in Unkenntnis des inneren Zusammenhangs von Wittgensteins Denken - diesen Widerspruch seiner eigenen Logik als Inkonsistenz der „Philosophischen Untersuchungen" hinzustellen (z.B. S. 159f.). 17 Dabei bezieht Koch sich ausgerechnet auf den mit tieferer Wittgenstein-Kenntnis gerade nicht gesegneten Searle.
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von Bedeutungen zuschreiben. Wittgenstein diskutiert (und widerlegt) nur jene Auffassungen vom ,Meinen', die dieses wie einen eigenständigen geistigen A k t , eine ,Vorstellung 4 , einen „Vorgang der das Wort begleitet" auffassen 18. Er vertritt nicht die Auffassung, daß Absichten im Sprechen, in der kommunikativen Verständigung keine Rolle spielten, wie z.B. aus folgendem Zitat (das in unserem Zusammenhang einer gewissen Pikanterie nicht entbehrt) deutlich wird: „Vor Gericht könnte die Frage erörtert werden, wie Einer ein Wort gemeint habe. Und es kann dies aus gewissen Tatsachen geschlossen werden. - Es ist eine Frage der Absicht." (PU S. 343) Allerdings geht Wittgenstein von einem Begriff des ,Meinens4 aus, der dieses in den Zusammenhang der Sprache stellt (welche bei Wittgenstein bekanntlich als Handlungszusammenhang von ,Sprachspielen4 konzipiert ist): „Die Absicht ist eingebettet in der Situation, den menschlichen Gepflogenheiten und Institutionen. 44 (PU § 337) Es ist kein Zufall, daß Koch, indem er vorderhand von einem scharfen Gegensatz zwischen „Intentionalismus 44 und „Konventionalismus 44 ausgeht, übersehen mußte, wie bei Wittgenstein die Sprache gerade als der unauflösliche Zusammenhang von absichtsvollem, in Situationen, Institutionen, Gebrauchsweisen, Gepflogenheiten, Sprachspielen eingebettetem Sprechen und der in diesem Sprechen sich ausdrückenden Beherrschung der sprachlichen Regeln (Konventionen) konzipiert ist. Daß eine solche Sichtweise, die Intentionalität und Konventionalität der sprachlichen Kommunikation als zwei Aspekte desselben Phänomens behandelt, gerade auch von Grice angestrebt wurde, kann Koch aufgrund seiner erkenntnis-realistischen und wortsemantischen Sprachauffassung nicht erkennen. So ist schon die erste „Übernahme" eines Griceschen Gedankens falsch widergegeben: „Ein Zeichen hat genau dann ,Bedeutung4, wenn ein Sprecher etwas mit dem Zeichen meint. 44 (139) Nie ist in Grices Definition des ,Meinens4 (das engl. ,meaning4 kann im dt. sowohl,Bedeutung 4 als auch ,Meinen 4 heißen) von einzelnen Zeichen die Rede. Grice behandelt immer nur „utterance-types" (Äußerungstypen), worunter er sich Sätze oder nonverbale Zeichenhervorbringungen vorstellt 19 . (,Äußerung 4 ist Akt-Objekt-ambig, d.h. es 18 L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 1971 (im Folgenden zitiert als PU): „Das Meinen ist kein Vorgang, der dies Wort begleitet." (S. 350) - „Das zeigt dir, wie verschieden die Grammatik des Zeitworts »meinen4 von der des Zeitworts ,denken4 ist. Und nichts Verkehrteres, als Meinen eine geistige Tätigkeit nennen!" (§ 693) „Nur in einer Sprache kann ich etwas mit etwas meinen. Das zeigt klar, daß die Grammatik von ,Meinen' nicht ähnlich der ist des Ausdrucks ,sich etwas vorstellen'." (S. 38) - „Vergleiche die Grammatik von ,meinen' und ,vouloir dire'." (§ 657) 19 H. P. Grice , Utterer's Meaning and Intentions, in: Philosophical Review 78 (1969), S. 147 - 177. (Alle zitierten Aufsätze von Grice sind in deutscher Übersetzung erschienen in: G. Meggle (Hrsg.), Handlung, Kommunikation, Bedeutung, 1979.)
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kann sowohl die Handlung des Äußerns als auch die hervorgebrachte Zeichenfolge meinen.) Grice thematisiert also durchweg keine Einzel-Zeichen, sondern kommunikative Handlungen. Wenn Koch Grice unterstellt, er identifiziere die Bedeutungen eines Zeichens mit einer Sprecher-Absicht 20 , so ist das rundweg falsch. Zwar verfolgt Grice ein Programm, das schließlich auch die „Bedeutungen" einzelner Zeichen auf die mit Sprecher-Absichten verknüpften erfolgreichen kommunikativen Handlungen (Äußerungs-Akte) zurückführen soll 21 , doch operiert eine oberflächliche Kritik wie diejenige Kochs insoweit mit falschen Karten, als der Terminus „Bedeutung" 22 in beiden Fällen verschieden verwendet wird. Weil Grice erkannt hat, daß sprachliche Kommunikation eben nicht (wie Koch voraussetzt) als Austausch von Ketten (oder Strukturen) isolierter, jeweils mit einer (mehr oder weniger) festen Einzel„bedeutung" ausgestatteter sprachlicher Zeichen stattfindet, sondern sich als Äußerung (als „Äußerung einer Äußerung", um die Ambiguität zu erhalten) mit dem Ziel der Konstitution von (sprachlichem) Sinn bei den Kommunikationsbeteiligten vollzieht, versucht er ein theoretisches Konzept zu entwickeln, das die Erklärung abstrakter Zeichenbedeutungen mit der Erklärung kommunikativer Sinnkonstitution (,Handlungsbedeutung') verbindet. Vor allem aber läßt sich ein Gegensatz von „Intentionalismus" und „Konventionalismus" mit Grice nicht begründen. Für Grice besteht kein fundamentaler Gegensatz zwischen Sprecher-Absichten und sprachlichen Konventionen. Vielmehr führt er Konventionen sprachlichen Äußerns darauf zurück, was in einer Sprachgemeinschaft von den Sprach-Benutzern mit der Verwendung einzelner Zeichen in komplexen Äußerungen normalerweise gemeint (intendiert, beabsichtigt) wird. „Zeitlose" Bedeutungen von Sätzen (statt konkreter Äußerungen) oder Zeichen sind für Grice Abstraktionen aus den gesammelten Kommunikations-Absichten der Sprecher einer Sprachgemeinschaft. Ausdrucksbedeutung setzt er gleich mit „some statements or disjunction of statements about what ,people' (vague) intend [. . .] to effect by x 2 3 . " 20
Etwa in der Formulierung: „Sagt Grice doch ausdrücklich, daß ein Zeichen genau dann ,Bedeutung' habe, wenn ein Sprecher etwas mit dem Zeichen meine" (160) 21 Etwa wenn er sagt, daß „the meaning (in general) of a sign needs to be explained in terms of what users of the sign do (or should) mean by it on particular occasions." (. H. P. Grice , Meaning, in: Philosophical Review 66 (1957), S. 311 - 388 (dt. S. 2 - 15) hierS. 381.) Koch dreht dieses Begründungsverhältnis (Rückführung der abstrakten ZeichenBedeutung auf die situativ und kontextuell gebundenen Äußerungsbedeutungen) um, wenn er Grice's Erklärungsansätze „unter den Stichworten der Wort-Bedeutung und deren Beitrag zur Bedeutung einer Äußerung" (140) einordnet, und verfälscht ihn damit ins Gegenteil. 22 Nach Wittgenstein auch einer jener „Gelegenheitsarbeiter in der Sprache", die stets nur für „philosophische Verwirrungen" sorgen.
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Hierin wird deutlich, daß Grice (begrifflich noch nicht fixiert) die Verläßlichkeit und Gemeinsamkeit ( = Intersubjektivität) sprachlich-kommunikativer Verständigung einem Zusammenspiel von situations- und kontextgebundenen Sprecher-Absichten (und dem Verstehen dieser Intentionen durch die Hörer) und (sprach-)gemeinschaftlichen Kommunikationsformen („was man [mit einer bestimmten Äußerung] gewöhnlich zu bewirken beabsichtigt") zuschreibt. In dem (bei Grice unvollendeten) Versuch, durch die Ableitung von „Standard-Bedeutungen" aus situationsgebundenen Sprecherabsichten zu einem Konzept der Konvention zu kommen, wählt Grice die tastende Formulierung „having a certain procedure in one's repertoire" 24 . Mit dem ^erfahren 4 ist der Rückgriff des Sprechers auf eigene erfolgreiche Erfahrungen von absichtsvollem kommunikativen Sprechen gemeint, die ihm die Verstehbarkeit auch der neuen beabsichtigten Äußerung nahelegen, sobald die Analogie zu den gelungenen Präzedenzfällen gewahrt ist. Mit diesem rudimentären Konzept ist Grice aber schon nahe an dem Begriff der Konvention von Lewis, den Koch ebenfalls verwirft. Schwieriger als bei den bisher behandelten Fragen ist es, Kochs Interpretation von Grice dort zu widerlegen, wo er versucht, „die Vereinbarkeit eines solchen Verständnisses von Prädikatsbedeutungen", nämlich „daß Grice Eigenschaften als Bedeutungen von Prädikaten in Betracht zieht", mit der „intentionalistischen Semantik" zu reklamieren 25 . Koch hat insoweit Recht, als Grice betont, daß er seine tastenden Definitionsversuche ausgehend von einer intensionalen Terminologie unternommen hat. Allerdings macht Grice keinerlei Aussage darüber, ob eine intensionale Redeweise mit seinem Konzept des Zusammenhangs von Sprecher-Meinen und Standard-Bedeutung wirklich vereinbar ist 26 . A m Ende (wohlgemerkt, am Ende!) aller seiner Bemühungen um die Definition von »meaning4 äußert Grice seine Hoffnung, daß sein Konzept mit einer intensionalen Terminologie vereinbar sein möge 27 , ohne daß er dies auch nur im entferntesten beweisen könnte. Die weitere, nach-Grice'sche Diskussion hat m.E. gezeigt, daß Konzepte kommunikativen
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Grice, Meaning (Anm. 21), S. 385. H. P. Grice, Utterer's Meaning, Sentence-Meaning and Word-Meaning, in: Foundations of Language 4 (1968), S. 225 - 242 (dt. S. 85 - 111) hier: S. 233. 25 Diese Absicht führt Koch so ein: „Die entsprechenden Äußerungen [bei Grice, D. B.] sind u. E. nicht besonders klar; wir denken, daraus entnehmen zu dürfen, daß Grice Eigenschaften als Bedeutungen von Prädikaten in Betracht zieht." (140; Hervorhebung von mir, D. B.) Einem Richter, der so frei mit seinen Texten umspringt, möchte ich nicht in die Hände fallen! 26 „ I t seems to me that one should at least start by giving oneself a free hand to make use of any intensional notions or devices." Grice, Utterer's Meaning, Sentence-Meaning and Word-meaning (Anm. 24), S. 141. 27 „ A n d it is by no means obvious to me that intensionality can be explained only via the idea of concealed references to language." Grice, ebd., S. 142. 24
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Handelns (für die Grice - ob willentlich oder unwillentlich - den Grundstein gelegt hat) mit der intensionalen Logik unvereinbar sind 28 . Nachdem er die „intentionalistische Semantik" am Beispiel Grice sowohl „widerlegt", als auch mit der intensionalen Prädikatenlogik für vereinbar erklärt hat, begründet Koch dieses merkwürdige Vorgehen damit, daß Grice lediglich eine „Theorie der BedeutungsVerleihung, nicht eine Theorie sozusagen der Eigenschaften des Gegenstands »Bedeutung4" vorgelegt habe (141). In der Unterscheidung von Bedeutungsentstehung und Bedeutung, die hier anklingt, ist das Verständnis von »Bedeutung4 als prädikatsbezogene abstrakte platonische Entitäten („Gegenstände") immer mitgedacht. Die Verbindung von ontologischem Essentialismus (Bedeutung = Gegenstand) und Erkenntnis-Realismus (Bedeutung = außersprachliche physikalische Dingeigenschaft), welche eine logische und philosophische Unmöglichkeit darstellt, gibt den Boden ab, auf dem Koch die Position einer grundsätzlichen Trennung von Semantik und Pragmatik aufbaut 29 . Daß Koch seine Argumente ausgerechnet in der schwächsten Version des Begriffs ,Pragmatik 4 sucht, bei Carnap 30, verwundert insofern nicht, als er dort auch seine intensionale Logik herbezieht. Nach Carnap besteht die „Pragmatik 44 darin, daß in natürlichen Sprachen zur Eruierung der Extensionen sprachlicher Ausdrücke auch die Position des Sprechers berücksichtigt werden müsse - keine Rede von Situation, Kontext, Vorwissen, Kommunikationsregeln, da diese nicht in eine intensionale Logik passen. Nach Carnap wendet sich Koch der Sprechakttheorie zu, der er (z.T. zurecht) die Unterscheidung von „Bedeutungen44 und „Sprechaktrollen 44 (Illokutionen) zuschreibt. Allerdings versucht Koch gar nicht erst, die Stichhaltigkeit einer solchen Unterscheidung zu überprüfen, sondern setzt sie (wie so vieles) schlicht voraus: Man wird „den spezifisch kontextabhängigen Gehalt der Äußerungen, ihre illokutionären Rollen also, vermutlich nicht zu dem rechnen wollen, was wir 28 Vgl. die Argumentation bei Bickes. Grice bestätigt selbst, daß der Versuch, intensionale Terminologie bei der Begründung ostensiver Definition einzuführen, zu einer Zirkularität führt dergestalt, daß Sprachliches immer nur sprachlich definiert (eingeführt, erläutert) werden kann. Die Erkenntnis, daß intensionale Erklärungen immer nur durch Rückführung auf latente (andere) sprachliche Regeln (Vorwissen, Voraussetzungen) erklärt werden können, das Programm der intensionalen Sprachtheorie also undurchführbar ist, interpretiert Grice als „mystery", das ein „as yet unsolved problem" zurückläßt (Grice, ebd., S. 140). 29 Daß es andernorts wohldurchdachte und stringente (aber gleichfalls unzutreffende) Argumentationen für diese Trennung gibt, sei hier nur angemerkt. Koch kann sich (wenn überhaupt) nur aus Unkenntnis der Implikationen seiner eigenen Theorie auf solche Ansätze beziehen (152). 30 Carnaps Fassung dieser Unterscheidung spielt in der sprachtheoretischen Diskussion nirgends eine Rolle.
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intuitiv die Bedeutung, den semantischen Gehalt der Äußerungen nennen." (153) Von der Sprechakttheorie wendet sich Koch dem zu, was er „Theorie der Konversationsimplikaturen" nennt und (wem sonst?) Grice unterschiebt, was aber wiederum mit dessen Modell der Implikatur nicht viel zu tun hat. Im folgenden verwendet Koch die Bezeichnungen „Pragmatik" und „Theorie der konversationeilen Implikatur" durchgehend synonym 31 . Laut Koch soll diese Theorie besagen, „daß häufig eine Differenz zwischen dem besteht, was jemand mit einer Äußerung zu verstehen geben, zum Ausdruck bringen will, und dem, was er streng genommen, d.h. mit Rücksicht auf den semantischen Gehalt seiner Äußerung, sagt." (153) Ermüdend, zu betonen, daß hier „semantischer Gehalt" wiederum nicht definiert, sondern nur vorausgesetzt wird 3 2 . Koch referiert hier eine bei Grice tatsächlich vorfindliche Unterscheidung zwischen „dem,was jemand gesagt hat" und „dem,was jemand implikatiert hat" 3 3 . Ebenso wie Koch bemüht sich Grice, eine wahrheitsfunktionale Sprachkonzeption gegen die von ihm selbst entwickelte rudimentäre Theorie kommunikativen Handelns zu retten. Es gibt gute Gründe anzunehmen, daß dieses Programm undurchführbar ist 34 . Falsch (und von Grice nicht gedeckt) ist es jedenfalls, wenn die im Modell der „Implikatur" eine Rolle spielenden „Konversationsmaximen" von Koch dahingehend ausgelegt werden, als seien diese (ebenso wie er „Bedeutungen" versteht) statische, feste Entitäten, die es nur empirisch zu ermitteln gelte, um den „pragmatischen Gehalt" einer Äußerung zu eruieren 35 . Grice legt ein theoretisches Modell der analytischen Rekonstruktion von Kommunikationsprozessen vor, in dem er begriffliche Unterscheidungen vornimmt, die die verschiedenen Aspekte ein und desselben Vorgangs (sprachliche Kommunikation) durchleuchten sollen. Diese Unterscheidungen in die (ontologisch naturalistisch gedachte) Wirklichkeit zu transportieren (wie Koch es tut), zeugt zum einen von einer Unkenntnis des wissenschafts- und erkenntnistheo31
In Formulierungen wie „Pragmatik als Theorie der konversationeilen Implikaturen" (156) und „Konversationsimplikaturen (pragmatischer Gehalt)" (158). 32 Das durchgängige Ausgehen von einem unreflektiert vorausgesetzten „natürlichen" Bedeutungsverständnis zeigt sich auch in solchen Zitaten wie dem zum »unfähigen Universitätslehrer' (s. o.). 33 H. P. Grice, Logic and Conversation, in: P. Cole //. L. Morgan (eds.), Syntax and Semantics. Vol. 3: Speech Acts, 1975, S. 41 - 58 (dt. S. 243 - 265). 34 Es fehlt hier der Platz, die Gründe dafür (die sämtlich bei Grice schon enthalten sind) aufzuführen. Vgl. das Gr/ce-Kapitel in: D. Busse, Historische Semantik, 1987, S. 122 ff. 35 Koch, ebd., S. 154. Bei der Würdigung juristischer Ansätze, die auf die linguistische Pragmatik zurückgreifen (z.B. Podlech) schlägt Koch alle Beispiele, in denen er keine „Konversationsmaximen" findet, daher umstandslos der „Semantik" zu (z.B. S. 157).
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retischen Status theoretischer Modellbildungen, folgt aber zum anderen konsequent der einmal vorausgesetzten realistischen Ontologie (Bedeutung = Dingeigenschaft). Nachdem Koch den von Grice thematisierten Zusammenhang von Ausdrucks-„Bedeutung", „konventioneller Implikatur" und „konversationeller Implikatur" 3 6 in den Gegensatz von „semantischem Gehalt" und „pragmatischem Gehalt" zerhauen hat, konstruiert er - analog der einmal vorausgesetzten Trennung von Semantik und Pragmatik - ein dualistisches Sprachkonzept, nach dem es sich „anbiete", „den Gehalt, den der Gebrauch von sprachlichen Zeichen in konkreten Äußerungssituationen zum Ausdruck bringt, unter Rückgriff auf zwei voneinander zu unterscheidende Regelsysteme zu bestimmen, nämlich einerseits die semantischen Regeln, die die eingebürgerten Bedeutungen der sprachlichen Zeichen ausdrücken, und andererseits die pragmatischen Regeln menschlicher Konversation, die das im jeweiligen Äußerungskontext konversationell Implizierte zu erschließen gestatten". (154) Abgesehen davon, daß Koch den hier eingeführten Begriff der ,Regel· wie stets Undefiniert voraussetzt, kann er nicht erklären, wie anders als durch Rückgriff auf einen vorgefügten „Begriff" von dem, was „eingebürgerte Bedeutungen der Zeichen" sein sollen, in der Analyse kommunikativer Äußerungen zwischen „Bedeutungen" und „Impliziertem" unterschieden können werden soll. Koch radikalisiert die von ihm eingeführte Dichotomie noch, indem er behauptet, es käme darauf an, „ob der untersuchte Gebrauch, den die Benutzer von den Zeichen machen, bedeutungsdeterminiert oder konversationeil bestimmt ist". (155) Demnach gäbe es zwei völlig verschiedene Arten der sprachlichen Verständigung; eine, bei der die Bedeutungen fest und unabänderlich vorliegen, und eine, bei der die Bedeutungen im Kommunikationsakt erst realisiert werden. Man geht nicht völlig fehl, wenn man vermutet, daß die „konversationell bestimmten" Verständigungsweisen sich nach Kochs Vorstellungen nur im chaotischen Alltagsleben ausbreiten, während juristische Sprachgebräuche glücklicherweise „bedeutungsdeterminiert" und daher eindeutig interpretierbar sind 37 . Jedenfalls wird diese Auslegung Kochschen Gedankenguts nahegelegt, wenn dieser die von ihm aufgestellte dualistische Sprachtheorie als „zweckmäßige [sie!] Verarbeitung der Entwicklung der sprachwissenschaftli36 Grice, Logic and Conversation (William James Lectures). Unveröff. Ms. 1968, I I I . Vorlesung, S. 1 (Teile daraus sind leicht verändert als die oben (Anm. 19,21,24) zitierten Aufsätze erschienen). 37 »[· · ·] gehen wir für Gesetzestexte und Entscheidungsbegründungen davon aus, daß kaum mit Konversationsimplikaturen (pragmatischem Gehalt) zu rechnen ist." (158) Diese Argumentation geht nur bei einem derart eingeschränkten „Pragmatik"Verständnis auf.
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chen Forschungen" (155) darstellt. (Der Zweck heiligt bekanntlich die Mittel! Oder?) Was er für eine (wohl im juristischen Sinne) „zweckmäßige" Sprachtheorie hält, teilt Koch uns nur implizit mit, wenn er den Wunsch ausdrückt, „die Konsequenz [zu] vermeiden, beispielsweise »unfähiger Universitätslehrer' zur Bedeutung von ,fähiger Radfahrer' zu rechnen". (155) Hier gibt uns Koch wieder ein Beispiel für seine deduktive Begründung der Sprachtheorie. Weil er aus seinem intuitiven (und für ihn als Juristen zweckmäßigen) Sprachverständnis heraus Bedeutungen als etwas Festes, Deskriptives und eindeutig (intuitiv) Definierbares voraussetzen will, sucht er sich die passenden Mosaiksteine linguistischer und sprachphilosophischer Theorien zusammen, die seine Argumentation nicht gefährden. Wissenschaftlich redlich wäre ein umgekehrtes Verfahren gewesen. Koch übersieht dabei, daß das, was er (wie viele Juristen) als „intuitive Bedeutung", „herrschender Sprachgebrauch" oder „normales Verständnis" bezeichnet, selbst nicht etwa die Weihen größerer Wahrheit hat, sondern lediglich Sediment vergangener und versunkener Theoriebildungen in der Alltagstheorie einer Gesellschaft ist. Daß das Alltagsbewußtsein die Resultate früherer Paradigmen zeitverschoben zu ihrer wissenschaftlichen Entstehung auch dann noch aufbewahrt, wenn die Wissenschaft selbst schon darüber hinweggegangen ist, berechtigt noch nicht dazu, sich gegen die Übernahme neuer Paradigmen in den Schatz des Alltagsbewußtseins zu sperren. Neben all den genannten Inkonsistenzen, Fehlinterpretationen übernommener oder kritisierter Sprachtheorien und Überlagerungen wissenschaftlicher Argumente durch ein hartnäckig festgehaltenes „intuitives Sprachkonzept" unternimmt es Koch auch noch, die von ihm aufgebaute Gegenposition des „Intentionalismus" durch (von den zitierten Autoren nicht gedeckte) Übertreibung zu karikieren. Wenn Koch zu Grices Definition des SprecherMeinens bemerkt „damit scheint doch der Sprecher beliebige Bedeutungen mit den sprachlichen Zeichen verbinden zu können" (160) dann übersieht er, daß Grice in seinem Konzept sehr wohl auf die Einschränkung der Beliebigkeit des ,Meinens' durch das, was in einer Sprachgemeinschaft mit einer Äußerung gewöhnlich (d.h. in den bekannten Präzedenzfällen) gemeint wurde, bezugnimmt 38 . Die Unterstellung der angeblichen Beliebigkeit des Meinens bei Grice hängt mit dem Mißverständnis der Intentionen als bewußten Akten zusammen. Genauso selbstverständlich, wie ein Sprecher nicht mit beliebigen Zeichen Beliebiges beabsichtigen kann (weil der Zeichengebrauch immer in eine gesellschaftliche Gepflogenheit, eine „procedure" eingeflochten ist), genauso selbstverständlich ist eine »Absicht' kein bewußter 38 „We are presumed to intend the normal consequences of our actions." Grice , Meaning (Anm. 21), S. 387.
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kognitiver Akt. Auch wird vom Publikum nicht ,die Absicht 4 des Sprechers durch einen gedanklichen A k t eruiert, wie Koch unterstellt (160). Allerdings interpretiert ein Hörer eine Äußerung unter impliziter Ansetzung von situativen und kontextuellen Faktoren so, als ob eine entsprechende Sprecherabsicht vorliegen würde. Er unterstellt, aufgrund seiner Kenntnis der sprachlichen Handlungsweisen, die er dem Sprecher qua Mitglied der Sprach- und Kommunikationsgemeinschaft ebenso zurechnet, dem Sprecher die Absicht, die er (der Hörer) selbst mit der getanen Äußerung (in Kontext und Situation) verbunden hätte. Ein Konventionsbegriff, der mit dem von Grice begründeten Konzept sprachlicher Kommunikation vereinbar wäre (wie der von D. K. Lewis), wird von Koch freilich zugunsten der Aufrechterhaltung seiner Trennung von „Intentionalismus" und „Konventionalismus" verworfen. Weiterhin ausgehend von der These, daß ein Konzept sprachlicher Kommunikation in Begriffen des absichtsvollen kommunikativen Handelns lediglich eine „Theorie der Bedeutungsverleihung (bzw. -Entstehung)" sei, während einmal etablierte Sprach-Konventionen mit Sprecherabsichten gar nichts mehr zu tun hätten 39 , greift er auf einen Konventionsbegriff zurück, der seinen normativen Sprachkonzepten entspricht. Die von Koch zitierte (161) Definition implizit geltender Regeln des /tecA&philosophen H. L. A. Hart (wenn Mitglieder einer Gemeinschaft offen von einem regulären Verhalten abweichen, sind sie Sanktionen ausgesetzt, die sie selbst akzeptiert haben) wird dann mißverstanden und zu einer Definition von Normen gemacht, wenn unter „Sanktionen" anderes verstanden wird, als die „Strafe" des Mißverstehens, des Verfehlens eines Kommunikationszieles 40 . Lewis' Begriff der Konvention besagt, daß das Befolgen einer Konvention heißt, einer Regularität des Verhaltens innerhalb einer Handlungsgemeinschaft zu folgen 41 . Reguläres Verhalten ist für Lewis das Ausrichten des Verhaltens an erlebten Präzedenzfällen vergleichbarer Handlungen, die in der Handlungsgeschichte der handelnden Individuen schon erfolgreich waren. Das Handeln nach Präzedenzfällen erfolgreicher analoger Handlungen ist schon deshalb vernünftig, weil der Sprecher mit dem Ziel der kommunikativen Verständigung eine soziale „Koordination" anstrebt 42 . Das 39
Es ist überhaupt nicht einsichtig, wieso (wenn es prinzipiell möglich sein soll, daß kommunikative Verständigung auch durch unmittelbares, situations- und kontextgebundenes Absichts-Verstehen zustande kommen kann) ein solches Handlungswerstehen (im Gegensatz zu einem reinen Ausdrucks-Kennen) nicht auch bei anderen, mit Konventionen verbundenen Kommunikationsakten beteiligt sein soll. 40 „Normen" sind im sprachlichen Handeln besondere Formen von Konventionen bzw. Regeln, die dann gegeben sind, wenn die möglichen Sanktionen der Sprachgemeinschaft gegenüber dem Sprecher über das Mißverstehen hinausgehen (ζ. B. Mißachtung, Geringschätzung). 41 D. K. Lewis, Convention. A philosophical Study, 1969, S. 37ff. (Dt. 1975) Vgl. die Darstellung in Busse, Historische Semantik (Anm. 34), S. 176ff. 42 Lewis, ebd., S. 8f.
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vernünftige kommunikative Handeln wird dabei gesteuert durch das aus den Erfahrungen der erfolgreichen Präzedenzen gewonnene implizite Wissen um die erwartbaren Reaktionen der Kommunikationspartner. Der Lewis'sche Konventionsbegriff wird von Koch mit Savigny darin kritisiert, daß er „kein Kriterium dafür liefere, was in einer Sprachgemeinschaft als richtiger Sprachgebrauch angesehen werde, sondern nur ein Kriterium dafür, was ein vernünftiger Sprachgebrauch wäre". (162) Dem kann man entgegnen, daß ein „richtiger" Sprachgebrauch nur der sein kann, der zum gewünschten Erfolg (zur Konstitution des intendierten Sinns bei den Partnern) führt; ein (potentiell) erfolgreicher Sprachgebrauch ist eben darum vernünftig. Ein Gegensatz zwischen „richtig" und „vernünftig" besteht im kommunikativen Handeln von daher nicht. Wenn Koch gleichwohl den skizzierten Konventionsbegriff kritisiert, dann zeigt das, daß er eigentlich nicht Konventionen meint, sondern Normen. Sprachliche Normen zeichnen sich dadurch aus, daß sprachliche Äußerungen auch dann noch mit Sanktionen belegt werden, wenn sie zur Verständigung geführt haben. Dem hier angesetzten normativen Sprachbegriff sei ein deskriptiver Sprachbegriff entgegengesetzt, nach dem alles, was richtig verstanden wird, auch richtig ist 43 . Der integrative Zusammenhang von Konventionen und Intentionen in der sprachlichen Verständigung (anstatt des von Koch behaupteten Gegensatzes bzw. AusschlußVerhältnisses 44) besteht darin, daß in den Intentionen die Konventionen zur Geltung kommen. Ein Sprecher hat eine bestimmte kommunikative Absicht (will beim Publikum eine bestimmte Sinn-Konstitution bewirken) und bringt daraufhin eine Äußerung in der Weise hervor, daß er sich intuitiv von seinen Erfahrungen leiten läßt, mit welchen Äußerungsformen (Ausdrücken, syntaktische Verknüpfungen) er in welchen Situationen welche Wirkungen erzielt hat. Er muß dabei ein Wissen geglückter Verständigung mit einbringen, von dem er Gründe hat anzunehmen, daß es bei seinen Partnern auch vorliegt. Dieses Wissen geglückter Verständigung macht die Regularität im Verhalten und damit auch die Konvention einer Handlungs- und Kommunikationsgemeinschaft aus. Koch versucht dieses Konzept dadurch zu widerlegen, daß er von einem Begriff des Wissens ausgeht, der dieses als festes, offensichtliches und bewußt Gehabtes definiert. Sprachliches Handeln ist (wie jedes 43 In dem Sinne werden Sprach-Konventionen auch nicht „aufrechterhalten" wie Koch vermutet (162). Sie ergeben sich vielmehr als selbstregulative soziale Mechanismen aus dem fortgesetzten kollektiven Handeln einer Sprachgemeinschaft. Selbst wenn es normative Regulierungen tatsächlich gibt (z.B. Schule, Duden, Wörterbücher, Gerichte), so bewirken sie allein doch nie das Fortbestehen einer sozialen Handlungsweise. 44 Laut Koch (Savigny folgend) „ein Ergänzungsverhältnis derart, daß die Absicht festlegt, soweit die Konvention nicht festlegt, und die Konvention festlegt, soweit die Absicht nicht festlegt." (162).
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routinemäßige Handeln) in diesem Sinne nie voll bewußt 45 . Wenn ich Auto fahre und es kracht im Getriebe, dann weiß ich, daß ich vergessen habe, die Kupplung zu treten. Mein Wissen ist zwar ein potentielles, d. h. eines, welches bei Fehlern und Mißerfolgen der Handlung aktiviert werden kann, aber es ist Wissen. Beim kommunikativen Handeln ist das nicht anders: wenn eine Kommunikationsstörung auftritt, können Teile des Handlungsablaufs bewußt gemacht werden. Der Sprecher sagt dann etwa „aber ich habe doch gemeint . . es folgt eine Absichtserläuterung. Selbstverständlich geht sprachliche Bedeutung nie völlig in solchen nachgeschobenen Erläuterungen auf, aber sie enthalten Hinweise darauf. Sprachliches Wissen ist Handlungswissen, das in den Handlungsvollzügen einer Sprachgemeinschaft lebt; im Handeln zeigt sich das Wissen, in der Verwendung eines Ausdrucks zeigt sich die Bedeutung.
2.3 Juristische Schlußfolgerungen Für das juristische Methodenproblem zieht Koch aus seinen sprachtheoretischen Betrachtungen folgende Schlußfolgerungen (163): - semantische Interpretationen gesetzlicher „wahre" Bedeutungen rückführbar,
Ausdrücke
sind nicht
auf
- der Zusammenhang zwischen sprachlichen Zeichen und ihren Bedeutungen ist konventionell (im Sinne Savignys / Harts), - es gibt nur zwei Alternativen semantischer Interpretationen gesetzlicher Ausdrücke: empirische Feststellung des eingespielten Sprachgebrauchs oder eine Festsetzung der Bedeutung. Wenngleich Koch hier ein „naturalistisches" Sprachkonzept der „wahren" Bedeutung ablehnt, so ist doch deutlich geworden, daß er durch seinen Rückgriff auf die intensionale Logik und die Gleichungen „Bedeutungen = Intensionen" und „Intensionen = physikalische Dingeigenschaften" gerade eine realistische Semantik formuliert. Wenn es nach Koch (im Widerspruch zu den Implikationen seiner eigenen Sprachauffassung) keine „wahren" Bedeutungen geben soll, worin kann sich dann eine Bedeutungs-Feststellung von einer Bedeutungs-Festsetzung unterscheiden? Die abgelehnte „wahre Bedeutung" der naturalistischen Semantik scheint Koch durch eine „richtige Bedeutung" einer Sprachgemeinschaft zu einem Zeitpunkt χ (der Texterstellung) ersetzen zu wollen. Aus den juristischen Postulaten der „Deduktivität" 4 6 und der „Gesetzesbindung" wird traditionell ein Begriff der „Auslegung" abgeleitet, 45 Das ist es, was Wittgenstein mit seiner Kritik an einem Begriff des ,Meinens4 als ,paralleler Denkvorgang 4 kritisiert. 46 „Überbrückung der ,Kluft 4 zwischen der Formulierung des gesetzlichen Tatbestandes und der Sachverhaltsbeschreibung. 44 (164)
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der beinhaltet, „daß der Ausleger nur den Text selbst zum Sprechen bringen will, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen (Larenz)" (164). Die Fiktionalität eines solchen Auslegungsbegriffs ist für Koch der Ausgangspunkt seiner theoretischen Bemühungen gewesen, indem die Uneindeutigkeit der „Gesetzesausdrücke" zum Problem wurde. Gleichwohl wird in der Folge die Position einer juristischen Hermeneutik kritisiert (die sich in ihrer moderneren Fassung auch an philologischen Hermeneutiken wie ζ. B. derjenigen Gadamers orientiert). Die Bindung von Sinnverstehen an Vorverständnis erscheint dem Juristen als zu vages Kriterium, als daß er es zur Grundlage seiner Entscheidungslehre machen wollte. Vagheit wird von Koch deshalb als Pluralität von Anwendbarkeitsbedingungen im Sinne seiner intensionalistischen Merkmalsemantik eher mechanistisch verstanden. Juristische Wortsinn-Auslegung (fern von wirklicher Eindeutigkeit, was Koch ja zugesteht) besteht für ihn in der Feststellung von Begriffsmerkmalen und der Bestimmung ihrer Intensionen. D.h., der Richter soll die „Eigenschaften" des Referenzgegenstandes eines juristischen Begriffs durch Wortgebrauchsanalyse herausfinden, um dann nur noch zu vergleichen, ob der untersuchte Sachverhalt (und darin der umstrittene „Gegenstand") diese „Eigenschaften" enthält. Dieses mechanistische „Auslegungs"-Modell entspricht in seiner Struktur der syllogistischen Schlußlogik, die Koch für das juristische Entscheiden verbindlich machen will. Daß in die „Eigenschaftsbestimmung" des Referenzgegenstandes immer schon Alltagswissen über die „Struktur" von Gegenständen eingeht, wird von Koch geflissentlich übersehen. Die Zirkularität seiner Methode der Bedeutungsbestimmung (daß in die Eigenschaftsbestimmung intuitives Vorwissen um die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke eingeht, welches danach als Entdeckung der Eigenschaften verpuppt wird, um anschließend in der Deduktion auf den vorliegenden „Sachverhalt" wieder verdeckt zur Geltung zu kommen) erkennt er nicht. Ein merkmalsemantisches Vorgehen hat immer den entscheidenden Fehler, daß Definitionen der alle Anwendungsfälle umfassenden Merkmale (Intensionen) entweder zu abstrakt werden, um noch selbst eindeutig anwendbar zu sein (abgesehen davon, daß eine Definition ja selbst eine sprachliche Formulierung ist, die Bedeutung hat, die wiederum in Definitionen gefaßt werden müssen, die wiederum selbst . . . usw. ohne Ende), oder in der Trennung von Begriffsteilbereichen (die dann als „Polysemie" verkauft werden) schon Setzungen vorweggenommen werden, die nicht deutlich als solche gekennzeichnet sind. Wittgenstein hatte für Begriffe die Metapher des Wollfadens gefunden, der aus tausenden einzelnen Fasern besteht, welche sich zu einem festen Zusammenhang verbinden, ohne daß es eine einzige Faser gibt, welche den ganzen Faden durchläuft (PU § 67). Auf die juristische Begriffsdefinition gewendet heißt dies, daß Merkmalsbestimmungen nie einen ganzen Begriff fassen können. Kochs Vorstellung, 8 F. Müller, Linguistik
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„daß in vielen Fällen inkonsistenten Sprachgebrauchs gleichwohl ein mehr oder minder großer Kern übereinstimmenden Sprachgebrauchs existiert. Dieser Kern ist dann ebenfalls verbindlich", (193) muß sich als eine Fiktion erweisen, die nur auf der Grundlage der intuitiven Gewißheit, welche Merkmale die zentralen seien, funktioniert. Dies widerspricht aber seiner richtigen Forderung, „daß Bezugnahmen auf sprachliche Konventionen ausdrücklich kenntlich gemacht werden müssen, um klare Ansatzpunkte für Kritik [. . .] zu erreichen". (191) So ausgesprochen verdienstvoll diese Forderung ist, so zeigt doch Kochs Schlußfolgerung, derzufolge „auch die ausdrückliche Berufung auf einen von der eigenen Sprachkompetenz her vermuteten Sprachgebrauch als zulässig angesehen werden" soll (191), wie die ganzen sprachtheoretischen Begründungsbemühungen für eine „gesicherte" Methode der semantischen Interpretation gesetzlicher Ausdrücke am Schluß wieder dort angekommen sind, wo sie ihren Ausgang genommen haben: der Richter, kraft eigener hochsprachlicher Sprachkompetenz, setzt (unter Rückgriff auf seine von Koch oft apostrophierte „intuitive" Sicherheit, was die Bedeutung eines Ausdrucks ist) fest, was als die „richtige" Bedeutung zu gelten habe. Als Zugeständnis an die sprachtheoretischen und hermeneutischen Zweifel über die allfällige Gültigkeit eines subjektiven Sprachgebrauchs erhebt er seine eigene Kompetenz durch ausdrückliche Erwähnung in den Stand einer Begründungsinstanz. Wird eine vermutete oder gewünschte Bedeutungsfestlegung gar zu gewagt, dann wechselt das Begründungsschema auf den „Willen des Gesetzgebers" oder den „Zweck des Gesetzes" über 47 . Wird eine Auslegung kritisiert, so ist der Richter allemal aus dem Schneider: Ehrlich, wie er war, hat er nur „nach bestem (Sprach-)Wissen und Gewissen" geurteilt, ganz unschuldig, und wer wollte ihm das zum Vorwurf machen? 3. Zweite Instanz: Hegenbarth vs. Wortsemantik Rainer Hegenbarth 48 wendet sich gegen die der Lehre von der Wortlautgrenze zugrundeliegende Worisemantik, und damit zugleich gegen jegliche 47
„Auslegung ist eben nur möglich durch Bindung an das Gesagte oder Gewollte." (176) Im Lichte von Kochs Ehrlichkeits-Forderung kann aus dieser Formulierung nur geschlossen werden, daß er von einer Position der ungebrochenen Selbstgewißheit aus argumentiert, sein intuitives Sprachverständnis direkt mit dem „Gesagten" gleichsetzen zu können. Man könnte eine solche Auffassung als „subjektiven Positivismus" angemessen charakterisieren. 48 Seitenzahlen ohne zusätzliche Angaben beziehen sich im Folgenden auf: R. Hegenbarth, Juristische Hermeneutik und linguistische Pragmatik, 1982.
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Form „objektiver" Gesetzesauslegung, mit welcher er die juristische Hermeneutik schlechthin gleichsetzt. Indem er umstandslos die Gegenposition einer „subjektiven" Auslegung bezieht, verspricht er sich von einer entsprechend aufgefaßten linguistischen Pragmatik Beistand, schüttet aber mit seiner radikal subjektiven Deutung sprechhandlungstheoretischer Ansätze das Kind mit dem Bade aus. Dem - echten - Problem einer Dialektik von Individualität und Intersubjektivität 49 , welches sich bei jeglicher Sprachanalyse stellt, kann er mit seiner freiwilligen Einordnung in das juristisch-methodologische Diskursschema subjektive vs. objektive Auslegung nicht gerecht werden, wenngleich seine verfassungsrechtlichen Motive dafür ehrenwert sind und Beachtung verdienen. Hegenbarth möchte den Unterschied zwischen Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung wieder schärfer ziehen, indem er ihn auf einen Gegensatz Bedeutungsfeststellung vs. Bedeutungsfestsetzung abbildet, zu dessen Begründung er sich der Erkenntnisse der neueren Linguistik bedient. 3.1 Kritik
der Theorie von der Wortlautgrenze
Zurecht merkt Hegenbarth die Doppeldeutigkeit des Begriffes „Wortlaut" (der ja kein linguistischer Terminus ist) an: „Wortlaut als Ausgangspunkt der Auslegung meint den schriftkonstituierten Text der auszulegenden Vorschrift, Wortlaut als Grenze der Auslegung die Bedeutung der Vorschrift." (32) Er will die implizite Semantiktheorie der Wortlautgrenzen-Verfechter aufdecken, derzufolge Texte und ihre Bedeutungen als sprachsituationsunabhängig aufgefaßt werden (38), und ihr eine Auffassung entgegensetzen, welche Rechtstexte „im Kommunikationsdreieck von Sender (Gesetzgeber), Empfänger (Rechtsanwender und Publikum) und Mitteilung (Rechtstext)" (37) situiert. Mit dieser Anlehnung an Kode-Theorien sprachlicher Kommunikation legt sich Hegenbarth von vornherein auf einen eingeschränkten TextBegriff (und damit Bedeutungs- und Interpretations-Begriff) fest: Text kann dann nur intentionales Produkt eines Textproduzenten als Botschaft an einen Empfänger sein. Der kritisierten Konzeption vom idealen Leser (vulgo Richter) stellt er deshalb folgerichtig die Konzeption des empirisch feststellbaren realen Senders und Empfängers gegenüber. Textbedeutung ist dann immer das von einem realen Textproduzenten Gemeinte. Texte interessierten die Juristen nur „als kommunikative Anweisungen zwischen Kommunikationspartnern" (38). Als Hauptgegner sieht Hegenbarth die Hermeneutik als führender Methode der herrschenden Auslegungslehre; konsequent, aber voreilig vermeidet er 49 Ich ziehe diese Dichotomie dem mißverständlichen und mit erkenntnistheoretischen Hypotheken belasteten Begriffspaar subjektiv/objektiv vor. 8*
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daher alle Begriffe, die etwas mit „Verstehen", „Interpretation", „Auslegung" von Texten zu tun haben. A n ihre Stelle setzt er die Rekonstruktion der kommunikativen Absicht des (der) historischen Textproduzenten (die „vom Sprecher zugedachte" Textbedeutung (41)). Hermeneutik als herrschende juristische Auslegungslehre ist für ihn gleichbedeutend mit Wortsemantik; dieser wirft er - zu Recht - vor, daß sie gleichsam „von einer natürlichen Beziehung zwischen Wörtern und ihrer Bedeutung" ausgehe und „die Auslegung mit dem singulären Wort" beginne. (42) Hegenbarths - recht knapp gehaltener - Kritik an der Wortsemantik soll hier nicht widersprochen werden; sie entspricht in der Zielrichtung vergleichbaren Positionen in der Linguistik. Allerdings spricht er die Kernpunkte seiner Kritik nur selten explizit aus; sie müssen vielmehr im Rückschluß aus seinem Gegenentwurf der „Hegenbarthschen Pragmatik" 50 geschlossen werden. Der wortbezogenen juristischen Semantik setzt Hegenbarth die linguistische Pragmatik entgegen: „Die Pragmatik betrachtet sprachliche Äußerungen als soziale Handlungen, die ohne Berücksichtigung der Intentionen der Kommunikationsteilnehmer und die Analyse der sozialen Sprechsituation nicht begriffen werden können." (54) Die Situationslosigkeit traditioneller Textauslegung soll also durch eine Sprachtheorie überwunden werden, welche sämtliche Texte als kommunikative Äußerungen betrachtet, die einen konkreten Sprecher mit konkreten, feststellbaren Kommunikationsabsichten, ein konkretes Zielpublikum und eine identifizierbare, zeitbezogene Textbedeutung haben. (Ich weise an dieser Stelle vorausgreifend nur darauf hin, daß die Unmöglichkeit der Bedeutungsrekonstruktion „ohne Berücksichtigung der Intentionen" noch nicht gleichzusetzen ist mit der Hegenbarthschen Interpretation „nur aufgrund der Sprecherintentionen".) Rückgriff auf einen pragmatischen Bedeutungsbegriff ist für Hegenbarth gleichbedeutend mit einem textbezogenen, die Wortsemantik überwindenden Bedeutungsbegriff. Er setzt damit fälschlicherweise Pragmatik und Textlinguistik gleich, zwei Positionen, die just nur in diesem einzigen Punkt der Ablehnung der Wortsemantik übereinstimmen 51 . In seiner linguistischen Terminologie bleibt Hegenbarth merkwürdig widersprüchlich. So verwendet er einerseits zustimmend das Code-Modell der Spra50 Ich verwende diese Bezeichnung einfach mal, um Hegenbarths Ansatz von den (damit nicht identischen) Positionen der Pragmatik in der Linguistik zu unterscheiden. Differenzen gibt es vor allem dort, wo er Positionen für seine auslegungstheoretischen juristischen Zwecke in einer Weise radikalisiert und verabsolutiert, wie das in der linguistischen Pragmatik nicht geschieht. Dies betrifft vor allem die Rückführung jeglicher Bedeutung auf die Sprecher-Absicht. 51 Inwiefern Hegenbarth mit seinem Rückgriff auf die linguistische Pragmatik die „fruchtlose Semantikdiskussion überwindet" (55), bleibt sein Geheimnis. Kann man, indem man Semantik macht, Semantikdiskussionen überwinden?
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che, welches nur auf dem Hintergrund einer strukturalistischen Sprachtheorie Sinn macht, welche Sprache als mehr oder weniger festes Regelsystem auffaßt, das als Teil der Sprecherkompetenz beliebig aktivierbar ist (beispielsweise wenn er von der „Auswahl unter mehreren Sprechcodes" (70) redet); andererseits lehnt er diese Position ab, weil „Kommunikation weit mehr [erfordert, D. B.] als die beiderseitige Kenntnis von syntaktischem Regelinventar und Lexikon" (64). In seiner umstandslosen Befürwortung eines intentionalistischen und situationistischen Bedeutungskonzepts („wer wissen will, was eine Äußerung bedeutet, muß nach dem Sprecher fragen"; „wer wissen will, was eine Äußerung bedeutet, muß auch danach fragen, aus welcher Situation sie stammt" (76)) wirft Hegenbarth sogar den Begriff der sprachlichen /tege//Konvention über Bord 5 2 , den er irrtümlich mit der strukturalistischen Linguistik gleichsetzt (74). Damit verläßt er aber zugleich den Boden der linguistischen Pragmatik, für die der Konventions-Begriff ein Kern-Begriff ist. Er konstruiert damit den gleichen falschen, in der Linguistik selbst in dieser Form nicht aufzufindenden Gegensatz zwischen Intentionalismus und Konventionalismus wie sein juristischer Gegenspieler Koch. Unter Regel und/oder Konvention kann sich Hegenbarth offensichtlich nichts anderes vorstellen, als den technischen Regelbegriff der generativen Syntax- und Semantiktheorie, welche das Sprachsystem als abstraktes Regelsystem von der aktuellen Verwendungssituation von Sprache isoliert. Indem er diese Trennung von Regel und Verwendungssituation unkritisch übernimmt 5 3 , übernimmt er aber implizit zugleich das von ihm abgelehnte struktur alistische Sprachmodell. Er formuliert einen überflüssigen Gegensatz von Konvention und Situation, den er in die Gleichungen sprachlich = konventionell und situativ = nichtsprachlich überführt. Damit überläßt er den Sprachbegriff seinen (systemlinguistischen, wortsemantischen) Gegnern, anstatt ihn positiv für seine pragmatische Auffassung zu reklamieren. Regeln/Konventionen werden von ihm nur als Teil der Langue aufgefaßt, nicht aber als Bestandteile des kommunikativen Handelns, wie das die neuere linguistische Pragmatik tut. Der Verzicht auf den Konventionsbegriff hat fatale Folgen, zwingt er den Autor doch dazu, die Aspekte des Intentionalen und Situativen in ihrer verständnissichernden Funktion zu überschätzen: 52
Es „muß bezweifelt werden, daß die in der logischen Semantik sowie in verschiedenen Linguistikschulen beheimatete Auffassung, sprachliche Verständigung sei gewährleistet durch die Übereinstimmung der sprachlichen Konventionen einer Sprachgemeinschaft, dem Verstehensprozeß in Kommunikationssituationen auch nur annähernd gerecht wird." Hegenbarth, ebd., S. 73. 53 So z.B. S. 75. Wenn Hegenbarth dort sogar abstreitet, daß das Verfügen über das Regelsystem der Sprache notwendige Bedingung kommunikativer Verständigung ist, übertrifft er damit selbst die radikalsten Vertreter der linguistischen Pragmatik und verläßt damit den Boden des kleinsten gemeinsamen Nenners, der heute unter Linguisten besteht. Eine andere Frage ist es, wie man dieses Verfügen über die Regeln der Sprache definiert.
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„Bedeutung ist keine kontext- und situationsinvariante Eigenschaft sprachlicher Zeichen. Worte erhalten Bedeutung in Texten, die wiederum in Situationen und Geschichten eingebettet sind. Der kommunikative Vorkommensrahmen determiniert, was ein Wort in einer Äußerung bedeutet." (84) Kann ich dem ersten Teil des Zitats noch zustimmen, so ist der anschließende Determinismus eindeutig überzogen, wie auch aus einem weiteren Zitat deutlich wird: „Die Existenz überindividueller Sprachregeln ist kein Garant erfolgreicher Verständigung. Verstehen ist nur gewährleistet, wenn die impliziten Annahmen des Sprechers über die Gleichartigkeit von Wissensbeständen und Situationsdeutung wenigstens teilweise zutreffen. Wird die Übereinstimmung der kognitiven Strukturen von Sprecher und Hörer auch vom Sprachanalytiker unproblematisiert vorausgesetzt, dann erscheinen MißVerständnisse ausschließlich als Folgen mangelnder Sprachnormierung, die durch die Einführung von wohldefinierten Termini beseitigt werden." (85) Faßt man die Berücksichtigung verstehenssichernder Bedingungen in den „impliziten Annahmen des Sprechers" als Teil des Vollzugs gesellschaftlicher Handlungsmuster auf, dann können Situationseinschätzung und Erwartungen hinsichtlich von intersubjektiven Wissensbeständen als Teil sprachlicher Konventionen betrachtet werden. Wie anders soll sprachliche Kommunikation gelingen können, als durch den Bezug auf Gemeinsames, nenne man es „Wissensbestände", „Zeichenverwendungsregeln", „Sprachkonventionen", „gemeinsames Verfügen über Handlungs- oder Deutungsmuster" oder wie auch immer? Sprachliche Verständigung ist nur als regelgeleitete erfolgversprechend. Diese Einsicht hindert nicht daran, situations- und kontextentbundene Bedeutungsauffassungen zu widerlegen. Hegenbarth kritisiert die Wortsemantik auch in ihrem erkenntnistheoretischen Realismus, wenn sie von der Grundannahme ausgeht, „die Wörter der Sprache als Zeichen zu betrachten, die für etwas außersprachliches stehen" (86). Diese Position beinhaltet auch die Auffassung von einer „eindeutigen Beziehung zwischen Zeichenform und Bezeichnetem" (91) (seien es nun Begriffe oder außersprachliche Sachverhalte). Anstatt nun die Beziehung zwischen Zeichenform, Bedeutung und verstehenssichernden Bedingungen einer Revision zu unterziehen, verabschiedet Hegenbarth gleich das ganze Zeichenmodell 54 .
54 Hegenbarth, ebd., S. 91. Darin unterscheidet er sich ausnahmsweise nicht von gewissen Positionen, die auch von Linguisten vertreten werden (einschließlich des Verf. vor einiger Zeit).
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3.2 Juristische Mißverständnisse: Hegenbarths verabsolutierter Intentionalismus Aus dem Situations- und Kontextbezug kommunikativer Äußerungen, welchen die linguistische Pragmatik in den Mittelpunkt semantischer Analyse gestellt hat, leitet Hegenbarth den Verzicht auf den Wort- oder Zeichenbegriff ab und verweist statt dessen auf den Textzusammenhang als eigentlichem Gegenstand der Semantik: „Gegenstand einer Bedeutungstheorie müssen daher Texte in Situationen sein, d.h. Semantik wird zur Textsemantik und erhält eine pragmatische Komponente." (96) Die pragmatische Komponente besteht darin, daß auch Texte als Sprechhandlungen aufgefaßt werden. Ein Text sei allerdings mehr als eine Addition lexikalischer Bedeutungen. Daß das grundsätzliche Problem, wie Bedeutungen in der Sprache kommuniziert werden, damit nur verschoben wurde, sieht der Autor selbst. Er schlägt deshalb vor, ein „Bedeutungspotential" {lexikalische Bedeutung, bezogen auf Wörter) von der „aktuellen Bedeutung", welche immer nur als „textuelle Bedeutung" erscheint, zu unterscheiden (97). „Aktuelle Bedeutung ( textuelle Bedeutung) haben nur in Kontexte eingebundene (vertextete) Wörter. Diese textuelle Bedeutung ist die Aktualisierung der virtuellen Bedeutungen, also die Realisierung des Bedeutungspotentials eines Wortes." (97) Diese Unterscheidung, deren heuristischen Wert ich gar nicht abstreiten will, klärt noch nicht das wissenschaftstheoretische und methodische Erfordernis, den Status linguistischer Bedeutungsbegriffe näher zu bestimmen. Ein Begriff wie „Bedeutungspotential" läuft Gefahr, eine theoretische Eindeutigkeit vorzuspiegeln, die so (zumindest bei Hegenbarth) nicht vorhanden ist. Liest man ihn als „Bedeutung, die noch keine Bedeutung ist" (weil „Bedeutung" im echten Sinne ja nur die aktuelle Bedeutung sein soll), dann hebt er sich selbst auf und wird leer. Der Autor operiert hier also verdeckt mit zwei grundsätzlich verschiedenen Bedeutungsbegriffen, deren Unterschiede von ihm nicht aufgeklärt werden. A n anderer Stelle 55 habe ich darauf hingewiesen, daß ein lexikalischer und ein pragmatisch-situationistischer Bedeutungsbegriff auf verschiedene Erklärungsbedürfnisse reagieren, sich in ihrem Konstruktcharsktei aber nicht voneinander unterscheiden. Daß ein sämtliche (oder die vorwiegenden) Verwendungsmöglichkeiten sprachlicher Zeichen zusammenfassender Bedeutungsbegriff ein idealisierendes Konstrukt ist, wird heutzutage selbst von den meisten lexikalischen Semantikern eingestanden. Auf der anderen Seite ist die „aktu55 D. Busse, Überlegungen zum Bedeutungswandel. In: Sprache und Literatur, Heft 58 (1986), S. 64 u. ö.
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elle Bedeutung", das „von einem Sprecher in einer konkreten Situation mit einem Text Gemeinte" nicht so offensichtlich, wie Hegenbarth offenbar zu meinen scheint. Als aktueller Sinn wird die aktuelle Bedeutung zwar von den beteiligten Kommunikationspartnern intuitiv gewußt; etwas anderes ist es, wenn man diese Bedeutung aus schriftlichen Texten erst rekonstruieren will. In diesem Moment verläßt man nämlich die Position des unmittelbaren Kommunikationsteilhabers und tritt in die Rolle des Analytikers (oder Interpreten), der eine Textbedeutung rekonstruiert. Das Konstrukt, welches die so eruierte Bedeutung darstellt, hat denselben wissenschaftstheoretischen Status wie die lexikalische Bedeutung: beides sind rekonstruktive Abstraktionen, nur auf verschiedenen Analyseebenen und zu unterschiedlichen Zwecken. Will man einen wirklich qualitativ anderen Bedeutungsbegriff formulieren, dann kann das nur der aktuelle, von den Beteiligten unmittelbar realisierte Sinn sein. Dieser Sinn verschwindet so schnell, wie der Sprechakt vorbei ist. Der Interpret, der sich Gedanken über den Sinn eines Textes macht, ist aus dieser intuitiven Unmittelbarkeit schon herausgetreten. Ein situationistischer Bedeutungsbegriff hat zwar eine sprachtheoretische Erklärungskraft, weil er den Konstitutionsort von sprachlichem Sinn näher beschreibt, kann aber kein Vorbild für die Textinterpretation abgeben, es sei denn, Interpretation solle immer mit den Mitteln des historischen Semantikers erfolgen. Die Wünschbarkeit eines solchen Interpretationsbegriffs für die juristische Auslegungstätigkeit scheint mir fraglich. Die mangelnde Klarheit der Zielbestimmtheit verschiedener Bedeutungsbegriffe in Hegenbarths Adaption der linguistischen Pragmatik wird deutlich an Formulierungen wie: „ I n isolierter Stellung führen Wörter Hinweise auf eine Reihe möglicher Verwendungen mit sich. Diese Eigenschaft [. . .] macht ihr Bedeutungspotential aus." (101) Was soll man sich unter „führen Hinweise mit sich" vorstellen können? Nimmt man den Abstrakt-Begriff der lexikalischen Bedeutung, dann enthält die Allheit des Verwendungspotentials eines Zeichens gerade keinen „Hinweis" auf die aktuelle Bedeutung. Vielmehr weiß der Rezipient aus seinen Verwendungserfahrungen des betreffenden Zeichens, in welche Richtung (gewiesen durch Kontext und Situation) er die Bedeutung konkretisieren muß. Die Hinweise lägen dann eben nicht „im Zeichen selbst", sondern im Kontext (das, was Hegenbarth ja gerade fordert). Selbst im Paradigma des Strukturalismus ist „Bedeutung" ja nicht als quasi wesenhafte Eigenschaft der Zeichen an sich aufgefaßt, sondern wird als Funktion des Spiels der Differenzen zwischen den Zeichen erklärt 56 . Die Dialektik zwischen Verwendungsvielfalt von Zeichen und Bedeutungskonkretisierung in der aktuellen Verwen56
F. de Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 1967, S. 145.
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dung ist mit solchen Formulierungen jedenfalls noch nicht erfaßt, geschweige denn erklärt. Trotz des Verweises auf den verdoppelten Bedeutungsbegriff versteht Hegenbarth durchgängig unter der „eigentlichen Bedeutung" das vom Sprecher mit seiner Äußerung Gemeinte. „Wer nach der Bedeutung forscht, die einem Ausdruck im Zusammenhang des Textes zukommt, muß feststellen, was der jeweilige Sprachbenutzer in der Sprechsituation unter dem Ausdruck verstanden wissen wollte." (133) Bedeutung wird damit auf die subjektiven Intentionen eines Sprechers reduziert. Die Dialektik zwischen lexikalischer Bedeutung und Äußerungsintention wird einseitig zugunsten der subjektiven Seite aufgelöst. Damit hinterginge Hegenbarth die Einsicht „Nur in einer Sprache kann ich etwas meinen" (Wittgenstein) y wenn er nicht implizit doch ständig auf den von ihm abgelehnten (bzw. als unzulängliches Kriterium der Auslegung aufgefaßten) Begriff der lexikalischen Bedeutung zurückgreifen würde. Dies zeigt sich z.B., wo er von einer Dichotomie zwischen „manifestem Äußerungsinhalt" und „dem latenten, nur mitgedachten, aber nicht verbalisierten Situationszusammenhang" ausgeht (120). Hier wird latent die Existenz einer sog. „engeren" im Gegensatz zu einer „weiteren" Bedeutung unterstellt (in der Linguistik auch als Gegensatz von „Denotation" und „Konnotation" bekannt). Dies widerspricht aber der an anderer Stelle geübten Kritik an der Wortsemantik. Deutlich wird, daß Hegenbarth sich (gegen seine Absichten) nicht von dem engen Sprachbegriff der traditionellen Linguistik (und juristischen Sprachauffassung) lösen kann, welcher „Sprache" reduziert auf Sprachsystem und lexikalischen Bedeutungsbegriff. Mit dem Akzeptieren der von der nicht-pragmatischen Linguistik aufgezwungenen Unterscheidung zwischen „Sagen" und „Meinen" konterkariert er seinen eigenen radikalen Intentionalismus und leistet ungewollt indirekt der These vom begrenzbaren „Wortlaut" Vorschub. Ich möchte hier nicht die Widersprüchlichkeit der Argumentation Hegenbarths bis in die kleinsten Verästelungen aufspüren, sondern den Blick auf die Ursachen lenken, welche in einem falschen Begriff von Interpretation liegen. Bedeutungsfeststellung heißt laut Hegenbarth Feststellung des von einem konkreten empirisch feststellbaren Textproduzenten im Augenblick der Textproduktion in einer konkreten historischen Situation und einem feststellbaren Kontext aktuell Gemeinten 57 . Dies wird aus folgenden Zitaten deutlich: 57 Einen vergleichbaren Ansatz entwickelt E. Baden, Gesetzgebung und Gesetzesanwendung im Kommunikationsprozeß, 1977, S. 184ff., für den alles, was von dem von einem historischen „Sender" Gemeinten abweicht, also auch das Verstehen auf dem Hintergrund eines veränderten Wissenshorizontes, schon „Rechtsfortbildung" ist. Ein Vergleich seiner Konzeption mit der Hegenbarths und ihre Kritik kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Baden entfaltet ansonsten ein beeindruckendes Spektrum adaptierter Theorien, von kybernetischen Regelungsmodellen über technische Informa-
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„Ein Text kann keine andere Bedeutung haben, als die, die ihm sein Verfasser beigelegt hat. Alles andere sind Sinnunterstellungen des Interpreten." (171) „Die linguistische Pragmatik lehrt, daß ein Text keine andere Bedeutung haben kann als diejenige, die ihm sein Produzent beigelegt hat. Alles andere ist entweder unbemerktes Mißverstehen oder planvolle Zutat des Interpreten." (185) „Ein Text trägt seine Bedeutung nicht in sich, ihre Ermittlung gelingt nicht quasi automatisch kraft der Sprachkompetenz des Lesers. Wer wissen will, was ein Text bedeutet, muß danach fragen, von wem er stammt, in welcher Situation er entstanden ist, von welchem Wirklichkeitsmodell der Sprecher ausgeht, welche Intentionen realisiert werden sollen etc." (165) „Auslegungsergebnisse (Bedeutungsfeststellungen) sind nicht fortschrittlich 4 oder konservativ 4 , sondern empirisch wahr oder falsch. 44 (170) Die Zitate zeigen, daß Hegenbarth ein reduziertes Kommunikationsmodell zugrundelegt, welches einzig von der Position des Autors ausgeht, und die Rolle der Rezipienten ausklammert. Damit überträgt er eine Argumentationsfigur der lexikalischen Semantik, welche von der „wahren Bedeutung des Textes44 bzw. den „Grenzen des Wortlauts 44 ausging, auf das kommunikative Handeln: „wahre Bedeutung44 ist jetzt das vom Sprecher Gemeinte. Der Rezipient wird damit (analog dem von ihm zu Anfang explizierten DekodierungsModell) reduziert auf eine behavioristische Maschine, welche auf den Reiz (die Äußerung) automatisch die richtige Bedeutung (die ihm aufgrund Situation und Kontext geläufige Sprecherbedeutung ausspuckt. Daß jeder Rezipient eine aktive Leistung des Sinnverstehens vollbringt, wird damit verdeckt. Dabei würde gerade Hegenbarths Modell der linguistischen Pragmatik eine solche aktive Hörer-Rolle nahelegen. Er kann diese Schlußfolgerung aber nicht zulassen, da er Textinterpretation zu einem von der Intentionalität der Rezipienten befreiten Vorgang der Bedeutungsfeststellung machen möchte. Wenngleich Hegenbarth, wie noch zu zeigen sein wird, dies tut, weil er die objektive durch die subjektive Auslegung ersetzen möchte, propagiert er hiermit doch einen objektivistischen Bedeutungsbegriff, indem er auf den Begriff des Ver stehens verzichtet. Nimmt man die Theorien sprachlichen Handels ernst, dann kann Bedeutungsverstehen nur als Leistung aktiver Sinnerzeugung aufgefaßt werden. Rezeption ist nicht nur Nachvollzug von Bedingungen der Textproduktion, sondern selbst Produktion von Sinn. Da es keinen direkten
tionsmodelle, extensionale und Merkmalssemantiken, semiotische Zeichenmodelle, Abbildtheorien, pragmatische Referenzsemantik bis zu pragmatischen Kommunikationstheorien, ohne daß ihm die wechselseitige Unvereinbarkeit der meisten dieser Positionen zum Problem wird. Zur Auseinandersetzung mit Baden vgl. D. Busse, Bedeutungsexplikationen in juristischen Texten. Juristische Sprachauffassungen im Lichte sprachwissenschaftlicher Theorien (in Vorbereitung).
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Draht zwischen dem Gehirn des Textproduzenten und den Gehirnen der Rezipienten gibt, kann das auch gar nicht anders sein. Da Hegenbarth über keinen Verstehensbegriff verfügt, fällt ihm auch nicht der Unterschied auf zwischen aktuellem situations- und kontextgebundenem mündlichem Äußerungsverstehen und dem Verstehen von Texten, deren Produktionszeitpunkt zeitlich ζ. T. weit zurückliegt. Sprachliche Kommunikation ist, im Gegensatz zu der zitierten Bemerkung, schon gescheitert, wenn das Verstehen nicht automatisch, d.h. intuitiv geschieht. Muß der Hörer die gemeinte Bedeutung rekonstruieren, dann liegt eine Kommunikationsstörung vor. Diese kann in mündlichen Situationen durch ein Rückfrage-AntwortSpiel behoben werden. Bei schriftlichen Texten kann der Produzent seine Äußerungen nur so explizit wie möglich machen. Verschwindet der von ihm als gemeinsam unterstellte Wissenshorizont durch zeitlichen Abstand aus dem Bewußtsein der Rezipienten, dann kommt es zu der von Hegenbarth befürchteten Gefahr des Mißverstehens bzw. der Sinnunterstellungen durch den Interpreten. Handlungsverstehen wird dann abgelöst von hermeneutischem Verstehen, d.h. aktiv-bewußter Textauslegung. Geht es dem Textinterpreten um eine möglichst weitgehende Annäherung an den ursprünglichen Entstehungskontext des Textes, um eine Rekonstruktion der Wissens- und Deutungshorizonte, welche vom Textproduzenten unterstellt wurden, dann wird Textverstehen zur wissenschaftlichen Rekonstruktion von Bedeutungen. Offensichtlich schwebt Hegenbarth für die juristische Auslegungstätigkeit eine solche, mit den Methoden der historischen Semantik arbeitende Rekonstruktionstätigkeit vor, wenn er erklärt, daß er ein „historisch-soziologisches Normtextverständnis" anstrebt (169). Ob ein solches Verfahren, auch wenn es alle Register der Methodenkritik zieht, zu einer Feststellung der „empirisch wahren" Bedeutung führen kann, erscheint mir mehr als fraglich. Wenn man akzeptiert, daß die Aktivierung eines epistemischen Horizontes immer zu den Voraussetzungen des Gelingens sprachlicher Kommunikation gehört (dafür hat Hegenbarth ja vehement argumentiert), und wenn man dies nicht nur für den Textproduzenten, sondern auch für die Rezipienten gleich welcher Zeitdistanz berücksichtigt, dann muß man auch die Einsicht akzeptieren, daß zu diesem epistemischen Kontext immer auch bestimmte Erkenntnisinteressen, Frageziele, Vorverständnisse gehören. Es war gerade das Verdienst der modernen Hermeneutik, gezeigt zu haben, daß das Vorverständnis der Textinterpreten nicht zu hintergehen ist. Macht man seine historisch-semantische Rekonstruktionstätigkeit auch methodisch so differenziert und reflektiert, wie es irgend geht, so bleiben doch alle Kriterien der sog. empirischen Bedeutungsfeststellung von einem Vorverständnis vorgeformt. Sprachverstehen erfordert (da die direkte Verbindung von Gehirn zu Gehirn fehlt) nicht die Rekonstruktion der subjektiven Intentionen eines konkreten Textproduzenten. Vielmehr antizipiert der Rezipient die Kommunika-
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tionsintentionen des Urhebers nach seinen bisherigen Kenntnissen und Kommunikationserfahrungen und aufgrund der unterstellten Gemeinsamkeit der Situationsdefinitionen 58 . D.h., letztlich geht jeder Rezipient von einem fiktiven Urheber mit unterstellten Intentionen aus, so daß also schon auf der Ebene der mündlichen Kommunikation die Sinn -Unterstellungen des Rezipienten das Bedeutungsverstehen regulieren. Verstehen ist damit Bedeutungskonstitution in echtem Sinne. Daraus folgt, daß im Gegensatz zu Hegenbarths Auffassung (166) auch das „Dabeisein" noch nicht das richtige Verstehen garantiert. Damit wird zugleich deutlich, daß Abschied genommen werden muß von der Vorstellung, bei der Bewertung sprachlicher Kommunikation könne das wahr/falsch-Kriterium angewendet werden. Schon der Begründer der Sprechakttheorie Austin hat gezeigt, daß bei Sprache das wahr/ falsch-Kriterium durch das Kriterium des Mißlingens kommunikativer Handlungen ersetzt werden muß 5 9 . Bei der Interpretation von Texten kann es also gar nicht um die „Feststellung der empirisch wahren Bedeutung" gehen, sondern nur um eine möglichst genaue Annäherung an die mutmaßlichen Intentionen des Autors, an das, was ein Autor in einer bestimmten Zeit unter einem bestimmten epistemischen Kontext mit einer sprachlichen Zeichenfolge überhaupt meinen konnte. Wenn Hegenbarth postuliert, daß ein Text keine andere Bedeutung haben könne als diejenige, welche ihm sein Produzent „beigelegt" habe, dann verdeckt er mit dieser Metapher das komplizierte Verhältnis zwischen Bedeutungsintention und gesellschaftlich konventionalisierten Handlungsmustern der kommunikativen Zeichenverwendung, zwischen Individualität und Intersubjektivität. Er merkt dabei nicht einmal, daß eine solche Metapher gerade dasjenige nahelegt, wogegen er argumentieren möchte: daß der Text die Bedeutung irgendwie „in sich" trage. Damit wird zugleich der m.E. immer noch gültige Grundsatz der mittelalterlichen Zeichenlehre übergangen, welcher die Funktion des Zeichens beschreibt als Funktion des „aliquid stat pro aliquo". Was die linguistische Pragmatik dieser Grundeinsicht hinzugefügt hat ist die Erkenntnis, daß diese Relation in der Perspektive des Textproduzenten anders beschrieben werden muß, als in derjenigen des Rezipienten. Beim Textproduzenten steht die Zeichenfolge für seine Sinn-Intention, welche die kommunikative Äußerungshandlung gesteuert hat. Beim Rezipienten steht sie für die Sinn-Unterstellung, welche aufgrund der Kenntnis von Situation, Kontext, kongruenten Relevanzsystemen, schlicht aufgrund der Unterstellung der Gemeinsamkeit der epistemischen Wissens- und Handlungsgrundlagen erfolgt. Zwischen Sinn-Intention des Produzenten und Sinn-Unterstellung des 58 A. Schütz, Das Problem der sozialen Wirklichkeit, ( = Gesammelte Aufsätze Bd. 1), 1971, S. 13, wies in diesem Zusammenhang auf die zentrale Rolle der „Kongruenz der Relevanzsysteme" zwischen den Kommunikationsbeteiligten hin. 59 /. L. Austin, Zur Theorie der Sprechakte, 1972, S. 33ff.
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Rezipienten gibt es keine andere Verbindung als eben diese wechselseitigen Unterstellungen. Alle anderen Auffassungen von Sprache sind ein Mythos, welcher durch die scheinbare Selbstverständlichkeit von gemeinsamem Wissen und Handlungsmustern erzeugt wird. Diesem Grundproblem, daß es eine „Wahrheit", eine unhinterfragbare Sicherheit im Bedeutungsverstehen nicht geben kann, daß höchstens innerhalb einer sozialen Gemeinschaft ein möglichst viele Mitglieder umfassender Konsens der Interpretation erzielt werden kann, kann auch die linguistische Pragmatik nicht abhelfen; sie hat im Gegenteil die Unhintergehbarkeit dieses Grundproblems gerade in das Blickfeld gerückt. 3.3 Subjektive vs. objektive Auslegung Eignet sich die linguistische Pragmatik als Zeugin der Anklage? Diese Frage hat Hegenbarth für sich klar beantwortet: „Die Forschungsergebnisse der linguistischen Pragmatik bestätigen die Zielsetzung der subjektiven Auslegungstheorie, daß der Sinn zu ermitteln ist, den der Gesetzgeber mit dem Normtext verbunden hat." (176) In dieser Pauschalität ist diese Vereinnahmung falsch. Im Gegensatz zu Hegenbarth bin ich nicht der Ansicht, daß die linguistische Pragmatik 60 sich so ohne weiteres als Hilfstruppe im juristischen Scharmützel zwischen „subjektiver" und „objektiver" Auslegungslehre eignet. Zwar sagt die linguistische Pragmatik, daß zum Sinn eines Textes mehr gehört, als die sog. lexikalische oder Wortbedeutung. Gegen die Lehre von der Wortlautgrenze hat Hegenbarth sie also zu Recht als Zeugin angerufen. Sie sagt aber nicht, daß das empirisch wirkliche Meinen eines Autors bei historischen Texten rekonstruiert werden kann; schon gar nicht mit dem von Hegenbarth vertretenen Wahrheitsanspruch. Sie sagt nur, wendet man sie auf die Methode der historischen Semantik an 61 , daß ein historischer Sinn erschlossen werden kann, der mit einem „wirklichen Sinn" nicht verwechselt werden darf (allenfalls einen bestmöglichen Annäherungswert an ihn hat). Hegenbarth hat sich aus sympathischen verfassungsrechtlichen Erwägungen vorab für die „subjektive" Auslegungslehre entschieden. Die Beiziehung der linguistischen Pragmatik dient daher entgegen dem Anschein, den er erwekken möchte, nicht der Begründung dieser Methode, sondern nur ihrer Verteidigung. Für die „subjektive" Auslegung argumentiert er, so scheint es, in erster Linie aufgrund seiner Ablehnung der „objektiven" Methode (vor allem in ihrem gegenwärtigen Erscheinungsbild). 60 Die „linguistische Pragmatik" ist eine Vereinfachung, die dem differenzierten Diskussionsstand der nachstrukturalistischen Linguistik nicht gerecht wird. Auch die von mir hier vorgebrachten Standpunkte spiegeln nur eine Position unter mehreren wider. 61 Vgl. dazu Busse, Historische Semantik (Anm. 34), passim.
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„Sie [die objektive Methode, D. B.] entkleidet das Gesetz seines politischen Gehalts, indem sie es ablöst von dem demokratischen Prozeß, der es hervorgebracht hat." (198) Ich will hier nicht so zynisch sein und die Frage nach den demokratischen Intentionen der Autoren des BGB von 1900 dagegenstellen. Deutlich scheint aber zu sein, daß für Hegenbarth eine „subjektive", d.h. an den Regelungsintentionen eines idealerweise als unkorrumpiert demokratisch gedachten Gesetzgebers orientierte Gesetzesauslegung ein Bollwerk gegen freihändige Auslegung je nach derzeitigen (politischen, ethischen, normativen) Bedürfnissen darstellen soll. Es stellt sich indes die Frage, ob die Verlegung des Demokratie-Gesichtspunktes in den Normtext die richtige Strategie darstellt. Wäre es da nicht sinnvoller, eine stärkere methodische Selbstkontrolle der Auslegungsinstanzen zu fordern? Hegenbarth sucht diese Selbstkontrolle auf dem Wege einer scharfen Trennung von Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung zu erreichen, die er mit seinen linguistischen Argumenten begründen zu können hofft, indem er den Gegensatz zwischen Bedeutungsfeststellung und Bedeutungsfestsetzung auf sie anwendet (170). „Eine Umkehr zu größerer Methodenredlichkeit ist dringend geboten. Sie führt zu einem mehrstufigen Entscheidungsverfahren, das zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung säuberlich trennt." (172) Den Terminus „Auslegung", und damit die Dignität des Prädikats „Wille des Gesetzgebers" möchte er reservieren für die empirische Feststellung des vom historischen Gesetzgeber zum Zeitpunkt der Verabschiedung mit dem Gesetzestext Gemeinten. Damit möchte er ereichen, daß alle Textinterpretation, die nicht den strengen Kriterien der von ihm propagierten „historischsoziologischen Normtextanalyse" genügt, als Rechtsfortbildung und damit als besonders begründungsbedürftig qualifiziert (und nach außen erkennbar) wird. Jede Abweichung vom „historischen Normzweck" soll als solche erkennbar werden und sich nicht mehr hinter dem schillernden Terminus „Auslegung" verstecken können, jedenfalls dann nicht, wenn sie zum Nachteil des Täters ist (166). Das Konzept von der „Wortlautgrenze" bzw. vom „möglichen Wortsinn" lehnt Hegenbarth gerade darum ab, weil es diesen Unterschied zwischen Auslegung und Fortbildung verwische: „Der ,mögliche Wortsinn 4 trennt weder die Auslegung von der Rechtsfortbildung, noch bedarf es einer besonderen Begründung, wenn die Interpretation vom »möglichen Wortsinn' abweicht. Begründungsbedürftig ist immer (aber auch nur) die Abweichung von der textuellen Bedeutung, die dem Normtextelement vom Textproduzenten beigelegt wurde." (159) „Hier soll nur betont werden, daß mit dieser Lehre [der objektiven Auslegungslehre, D. B.] nicht die Auslegung von der Rechtsfortbildung ab-
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gegrenzt wird, sondern innerhalb der Rechtsfortbildung solche Bedeutungsfestsetzungen noch als ,Auslegung4 bezeichnet werden, die durch den geltungszeitlichen Sprachgebrauch nicht ausgeschlossen sind." (140) Hegenbarth weist zu Recht darauf hin, daß das Verwischen des Unterschieds zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung letztlich die Funktion hat, den Textinterpreten von der Verantwortung für sein Handeln zu entlasten, indem er so weit wie irgend möglich das Ergebnis seines Tuns als Aussprechen des Gesetzesinhalts (bouche de la loi) darstellt. Es stellt sich aber hier die Frage, ob Hegenbarths Bemühen um die „historisch wahre" Normtextbedeutung nicht ein ähnliches Ergebnis hat. Solange man die Möglichkeit eines prinzipiellen qualitativen Unterschieds zwischen „Bedeutungsfeststellung" und „Bedeutungsfestsetzung" hochhält, hält man noch ein Reservat der Verantwortungsentlastung bereit (das nur etwas geschrumpft ist). Auslegung im Sinne Hegenbarths ist die Feststellung des historischen „Sinnes und Zwecks des Gesetzes": „Gefragt ist eine historisch-soziologische Analyse, die den Text in die politisch-gesellschaftlichen Kräfte der Zeit einbettet, in der er entstanden ist." (172) Auslegung ist wichtig, weil der Wille des demokratisch gewählten Gesetzgebers entscheidend ist. Scheitert die Auslegung am Material, so hat das den Nutzen, „daß das Ausmaß der richterlichen Rechtsetzung an den Tag gebracht, und dadurch ihr Inhalt kritisierbar wird". (174) Der Autor gesteht die Realisierungsprobleme einer als historische Semantik gestalteten Textauslegung damit implizit ein. Könnte ein konsequentes Befolgen der Hegenbarthschen Methode angesichts der gewöhnlichen Überlastung juristischer Gesetzesausleger nicht zu dem kontraproduktiven Ergebnis führen, daß die Richter wegen der praktischen Unmöglichkeit einer solchen Textauslegung nunmehr zur fröhlichen „Bedeutungsfestsetzung" übergehen? Der sympathischen Intention des Offenlegens von Begründungsverfahren will ich damit gar nicht widersprechen, da geht der Autor zweifellos in die richtige Richtung (wenn ich das als juristisch ungebildeter Staatsbürger mal so sagen darf). Solange das methodische Ziel verfolgt wird, daß der Richter sich nicht auf die intuitive Erstlektüre beschränkt (oder durch Verweis auf einen angeblichen „allgemeinen" oder „natürlichen Sprachgebrauch" oder gar einen „normalen unverbildeten Sprecher der deutschen Sprache" aus der Affäre zieht), kann eine mit linguistischen Verfahren ausgestattete regulierte Bedeutungsanalyse durchaus zu Erkenntnisfortschritten beitragen. Insofern ist die Beiziehung der Linguistik zur Diskussion der juristischen Methodenlehre nicht überflüssig. In Frage steht, ob die linguistische Pragmatik wirklich das hergibt, was Hegenbarth sich von ihr erhofft. Formuliert man den möglichen Beitrag der linguistischen Pragmatik zur juristischen Methodendiskussion, ausgehend von
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den von ihm formulierten verfassungsrechtlichen demokratischen Zielen, aber ohne den verwinkelten Wegen seiner irrtümlichen oder widersprüchlichen Adaption zu folgen, dann ergibt sich folgendes Bild. Der Gegensatz zwischen „subjektiver" und „objektiver" Auslegung von juristischen Normtexten wird oft dargestellt als Gegensatz zwischen der Orientierung am Regelungswillen des historischen Gesetzgebers und derjenigen an einem vorgeblich „objektiven", sich aus dem Gesamtzusammenhang der Rechtsideen ergebenden „Sinn und Zweck der Norm". Die letztere Darstellung wird von Hegenbarth identifiziert mit der juristischen Hermeneutik, welche sich das Freilegen der „Bedeutung des Gesetzestextes" zum Ziel genommen hat. Dabei wird oft eine angebliche „Grenze des Wortlauts" behauptet, wobei der „Wortlaut" als leichthin festzustellender quasi vorgängiger Textsinn unterstellt wird. Da ein „objektiver Textsinn" eine Fiktion ist, welche zu ungleich unkontrollierteren Auslegungsergebnissen führt als die Fiktion einer am hehren Ideal der „ursprünglichen Intention des Gesetzgebers" orientierte historische Semantik, kann der Gegensatz nicht ein solcher sein zwischen „gesetzgeberischer Regelungsintention" und „objektiver ratio legis", sondern nur ein solcher zwischen ersterem und der heutigen erwünschten oder sinnvollen Funktion des Normtextes. Nimmt man letzteres zur Richtschnur der Auslegungsmethodik, dann verläßt man den vermeintlich sicheren Boden der Legitimierungsautomatik mit Namen „objektiver Textsinn". Diese Position führt Hegenbarth in seinem Schlußabschnitt selbst aus: „Ist damit dargetan, daß die Vorstellung einer deduktiven Begründbarkeit juristischer Entscheidungen durch Rekurs auf autoritative Quellen die Wirklichkeit weitgehend verfehlt, dann kann es [. . .] keine ,einzig richtige Entscheidung' geben.,Richtigkeit' wird durch soziale Akzeptabilität ersetzt, die auf dem Markt der Meinungen besorgt werden muß. [. . .] Eine Eigenständigkeit juristischen Denkens schließlich läßt sich weder durch den Glauben an eine allein richtigkeitsverbürgende juristische Methode, noch durch das Vertrauen in die soziale Kohäsion des Juristenstandes begründen. Der Kreis der Diskutanten erweitert sich, die protektionistischen Schutzmauern fallen, der Markt wird offen." (200) Es bleibt mir unverständlich, warum der Autor diese Einsichten nicht auf seinen eigenen Beitrag zur Methodendiskussion angewandt hat. Verstehen von Sprache findet in so vielfältigen Formen statt, wie es Formen der Kommunikation gibt. Reicht bei Texten die Bandbreite der Erscheinungsformen von der unmittelbaren kommunikativen Handlung bei gleichzeitiger geistiger und körperlicher Anwesenheit von Sprecher wie Hörer einerseits bis zu Schriftzeichen unbekannten Ursprungs und unbekannter Sprache, deren Textcharakter durch Interpretationsleistungen erst erwiesen werden muß andererseits, so geht sie bei der Bedeutungsfeststellung vom unmittelbaren, unhinterfragten intuitiven Äußerungsverstehen bis zu jahrelangen historisch-
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sprachwissenschaftlich-semiotischen Forschungsprozessen. Ob man den Begriff „sprachliche Kommunikation" überhaupt auf dieses gesamte Spektrum anwenden darf, darüber besteht durchaus Uneinigkeit auf Seiten derjenigen, welche sich wissenschaftlich mit Sprache beschäftigen. Würden viele linguistische Pragmatiker (den Autor dieser Zeilen eingeschlossen) den Kommunikationscharakter als Definiens von Sprache verteidigen, so halten eher an literarischen Vorstellungen orientierte Wissenschaftler und Philosophen einen emphatischen Textbegriff hoch, der noch all das einbezieht, was Rezipienten aus einem Text machen können (gleich wie weit sie sich von den „Sprecherintentionen" entfernen) 62 . Die Dichotomie von Bedeutungsfeststellung und Bedeutungsfestsetzung ist zur Abdeckung dieses Spektrums denkbar ungeeignet. Sie enthält ein normatives Element, indem sie unterstellt, daß es einen qualitativen, an prinzipiell verschiedene Herangehensweisen geknüpften Unterschied gebe. Unterstellt wird die Möglichkeit einer Objektivität des Bedeutungsverstehens, welche völlig frei von jeglicher Setzung wäre. Impliziert wird damit, wie oben gezeigt wurde, die Möglichkeit des von den Intentionen der Rezipienten freien Bedeutungsverstehens. Diese Unterstellung basiert, wie wir gesehen haben, auf einer Illusion, die aus einem Mißverstehen der Grundlagen und des Funktionierens von Bedeutungsverstehen in sprachlicher Kommunikation herrührt. Bedeutungsinterpretation (als unterschieden vom unmittelbaren Bedeutungsverstehen) im Sinne einer Theorie kommunikativer Interaktion ist ein Vorgang aktiver Rekonstruktion von Sinn auf Grundlage der Offenlegung der verständnissichernden Voraussetzungen. Sie versucht auf wissenschaftlicher, methodisch reflektierter Ebene den Prozeß des durch Voraussetzung der Wechselseitigkeit epistemischen, situativen und kontextuellen Wissens (in Anwendung erfahrungsgesicherter Verwendungsmuster sprachlicher Zeichen) ermöglichten Verstehens nachzubilden. Als wissenschaftliche Rekonstruktion kann sie sich der in dieser Institution üblichen Verfahren der Wahrheits-Erzielung bedienen. Nach Überwindung objektivistischer Wahrheitskonzeptionen kann darunter nur die relative Übereinstimmung innerhalb einer diskutierenden und an methodischen Prinzipien orientierten Interpretationsgemeinschaft verstanden werden (nenne man sie nun „scientific community", „Juristenstand" oder wie auch immer). Ob andere dies als Propagierung einer idealen Habermasschcn rationalen Diskursgemeinschaft (miß)verstehen (was nicht gemeint ist), ändert nichts daran, daß dies z.Z. die einzige sinnvolle Wahrheitskonzeption ist. Im Hinblick auf die Bedeutungsanalyse unterscheidet sie sich vom unmittelbaren kommunikativen Verstehen dadurch, daß sie auf einen methodisch regulierten Interpretationsprozeß zurückgreift. Die Bedeu62 Exemplarisch wird dieser Gegensatz deutlich an Derridas Auseinandersetzung mit Austin. Siehe J. Derrida , Signatur, Ereignis, Kontext. In: ders.: Randgänge der Philosophie, 1976, S. 124ff.
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tungsfrage stellt sich bei unmittelbarer Kommunikation nur dann, wenn Mißverständnisse aufgetreten sind. Dann können (wie die Gesprächsanalyse gezeigt hat), Aushandlungsprozesse zwischen Sprecher und Hörer folgen, die sich von der juristischen Auslegung nur dadurch unterscheiden, daß sie keinen Entscheidungszwang beinhalten. Da (laut von Wrighfö) ein Sprecher nicht unbedingt der beste Kenner seiner Intentionen sein muß, kann es dabei durchaus zu unlösbaren Mißverständnissen kommen. (Daß dies schon aus prinzipiellen Gründen der Fall ist, zeigt sich daran, daß jeder Interpretationsversuch der eigenen Äußerung eine neue Äußerung ist, die mit denselben Risiken - des Mißverstehens - behaftet ist 64 .) Was unmittelbares Äußerungsverstehen und Textverstehen unterscheidet, ist die Einbettung in eine unausweichliche Interpretationssituation. Zwar muß jeder Text in einen situativen, epistemischen und textuellen Kontext eingebettet sein, um überhaupt (im Unterschied zu der Allgemeinheit der „lexikalischen Bedeutung") einen konkreten Sinn haben zu können, doch können schriftliche Texte im Gegensatz zu mündlicher Kommunikation den situativen Gegebenheiten bis zu einem gewissen Grade entkleidet werden. Vor allem in stabilen, auf Interpretationsleistungen gegründeten Institutionen (wie der Kirche und der Jurisprudenz) können Texte einen Wandel in der Sinninterpretation erfahren, welcher an ihre wechselnde Rolle im sozialen Legitimationsgefüge geknüpft ist. Der Streit um Auslegung oder Rechtsfortbildung (Bedeutungsfeststellung oder Bedeutungsfestsetzung) ist selbst ein Teil dieses Spiels um Legitimation. Während die Kirche sich daran gewöhnt hat, daß Exegese in den Kontext eines jetztzeitigen Glaubensverständnisses eingebettet ist, und spätestens seit der Aufklärung der (bei den Bauernkriegen ja noch wirkungsmächtige) Verweis auf die „wirklichen Texte/Interpretationen" sich verflüchtigt hat, muß die Jurisprudenz aus verfassungsrechtlichen Legitimationsbedürfnissen heraus an der Fiktion der Ausrichtung am wahrheitsfähigen „Wortlaut der Gesetze" festhalten. Der naheliegende und von Hegenbarth vehement geforderte Schritt der Orientierung an den „subjektiven" Intentionen des Gesetzgeber-Autors reicht schon deswegen nicht hin, weil v.a. das bundesrepublikanische Recht sich aus Texten von mindestens vier unterschiedlichen Staatssystemen zusammensetzt. Wer würde abstreiten, daß ein 1949 neu formuliertes BGB und StGB einen anderen „Wortlaut" gehabt hätte als dasjenige von 1900? Will man die wenig plausible Behauptung wagen, der Gesetzgeber von 1949 habe das alte BGB in jedem einzelnen Satz, jeder einzelnen Formulierung neu „intendiert"? Was geschehen ist, ist etwas anderes: ein Text 63
G. H. v. Wright , Erklären und Verstehen, 1974, S. 107f. Wie so etwas ausgehen kann (und bei Alltagsauseinandersetzungen über Bedeutungen auch oft geschieht) zeigt der Ausgang der jüngst stattgefundenen Auseinandersetzung zwischen Henryk M. Broder und Günther Rühle über des letzteren Äußerungen zum „Ende der Schonzeit" für Juden: beide beharrten in einem gerichtlichen „Vergleich" auf ihrem Standpunkt. 64
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ist als Text bestätigt worden. Mit dem Beschluß der Fortgeltung ist zugleich das Eingeständnis der Eigenständigkeit von Texten gegenüber ihren historischen Urhebern gemacht worden. Zugleich ist damit ein indirektes Plädoyer für die geltungszeitliche Interpretation von Gesetzestexten gehalten worden. Daß dies unter der Auslegungslehre vom „objektiven Gesetzessinn" versteckt wurde, zeigt nur, daß das methodische und sprachtheoretische Bewußtsein mit den praktischen Bedürfnissen nicht Schritt gehalten hat. Wenn - für den linguistischen Beobachter einigermaßen erstaunlich - zwei gleichermaßen auf Fiktionen beruhende Auslegungslehren miteinander heftig konkurrieren, dann zeigt sich daran nur, daß eine Gemeinsamkeit zumindest im Bedürfnis nach einer legitimatorischen Fiktion besteht. Warum das so ist, und ob die Juristen nicht besser täten, ihre Arbeit von diesen Fiktionen zu befreien, um statt dessen den Festsetzungscharakter (und damit auch die involvierten Intentionen: Interessen, Ethiken, politische Ideen) ihrer Tätigkeit offenzulegen, wobei sie sich aber gleichzeitig angreifbarer, kritisierbarer machen, dies müssen die Juristen unter sich, aber auch in offenem Diskurs mit der politischen Öffentlichkeit austragen. Der Sprachwissenschaftler kann dazu nicht mehr Stellung nehmen - der Staatsbürger muß es. 4. Dritte Instanz: Auslegung als rationaler Diskurs. Schafft Schiffauer den Vergleich? Mit Koch und Hegenbarth teilt Peter Schiffauer 65 die Skepsis, ob zwischen Gesetzesanwendung und Rechtsfortbildung überhaupt streng unterschieden werden kann. Er handelt dieses Problem an den Begriffen Auslegung und Analogie ab. Deutlicher als jene stellt er den Sinn dieser Unterscheidung überhaupt in Frage, obgleich er aus den zwingenden verfassungsrechtlichen Gründen nicht umhin kommt, einen Unterschied (und sei es als Fiktion) wenigstens noch im Sinne einer methodischen Regel zu machen. Als methodisches Regulativ steht der rationale Diskurs Habermasscher Prägung am Zielpunkt seiner Argumentation. Gegenüber Koch und Hegenbarth haben Schiffauers Überlegungen den Vorteil sprachtheoretischer Stringenz und eines ernsthafteren, weil exakteren Nachvollzugs der adaptierten Theorien. Nirgends hat man bei ihm den Eindruck, er verwende die sprachtheoretischen Konzepte nur als Waffen im juristischen Methodenkampf; er nimmt seinen Gegenstand ernst und kommt deshalb zu echten Einsichten, die im internen Diskurs der Sprachwissenschaften auf hohem Niveau mithalten können.
65 Seitenzahlen ohne zusätzliche Angaben beziehen sich im Folgenden auf: P. Schiffaue,r, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979.
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4.1 Wortlautgrenze:
Ein Scheinproblem
Die herrschende Meinung von der Wortlautgrenze weist Schiffauer schon zu Anfang bündig zurück, nachdem er deutlich gemacht hat, daß allenfalls von einem „möglichen Wortsinn" die Rede sein könne. „Das Kriterium der Grenze des möglichen Wortsinns erweist sich als sinnlos vom Ausgangspunkt einer Sprachphilosophie, die die Bedeutung der Wörter nach ihrem von Regeln geleiteten Gebrauch in der Sprache bestimmt." (17) Von einer Grenze des möglichen Wortsinnes könne man nur in zwei Fällen reden. Wenn eine „vom üblichen Gebrauch abweichende Verwendung eines Wortes zu Widersprüchen führt, bzw. die Aussage inhaltsleer macht", und wenn „eine vom üblichen Gebrauch abweichende Verwendung eines Wortes von der Sprachgemeinschaft als sprachwidrig abgelehnt wird" (51). Seinen Kollegen wirft Schiffauer vor, sich um eine wirkliche „Auslegung" im Sinne des Versuchs der Feststellung möglicher Verwendungsweisen von Ausdrücken in der Sprachgemeinschaft meist nicht einmal zu bemühen. Sie setzten die Wortbedeutung unhinterfragt intuitiv voraus, was dazu führe, daß der „Wortsinn" gleichzeitig Ausgangspunkt „und oft schon Endpunkt" ihrer Argumentation sei (102); d.h. Argumentation und damit „Auslegung" im strengen Sinne findet gar nicht statt. Diesen Verdacht (den ja auch Hegenbarth geäußert hat) hat Schiffauer empirisch bestätigen können: „Auch bei Durchsicht einer Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen findet sich keine, die die als entscheidungserheblichen Ausgangspunkt gewählte Sinnansage begründet." (199) Eine am Bedeutungsbegriff der linguistischen Pragmatik orientierte Auslegung muß aber, so Schiff auer, gerade hier überhaupt erst zu fragen, zu argumentieren anfangen. Wenn diese Argumentation aber nicht stattfindet, so ist das ein Beleg dafür, daß die ständig beschworene W L G eben doch nicht feststellbar ist (69). Wenn im einen Fall zwar die Wortbedeutung ziemlich genau bestimmbar ist (weil eine Übereinstimmung im Wortgebrauch innerhalb der Sprachgemeinschaft besteht), so ist eine solche Eindeutigkeit (mangels Übereinstimmung) in anderen Fällen nicht feststellbar. Schiff auer folgert daraus zu Recht: „Das kann nur bedeuten, daß die Grenze des möglichen Wortsinns nicht „etwas ist", „existiert", sondern nur im Zusammenhang mit einer bestimmten Verwendung eines Wortes begriffen werden kann: Als Bild dafür, daß bestimmte Verwendungsweisen in der Sprachgemeinschaft nicht zugelassen werden." (69) A n Wittgenstein geschult, macht sich Schiff auer Gedanken über den ontologischen Status sprachtheoretischer Konstrukte wie „Wortsinn" und „Grenze
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des Wortsinns" und vermeidet dabei (dies ist sein entscheidender Vorzug) das sowohl bei Koch, aber gerade auch bei Hegenbarth flottierende essentialistische MißVerständnis der „Wortbedeutung". Gibt man als Grenze des möglichen Wortsinns die „Sprachwidrigkeit" einer Auslegung an, dann muß man wissen, was darunter verstanden werden kann. „Sprachwidrig" ist eine Bedeutungsauslegung nicht schon deswegen, weil sie dem subjektiven Empfinden eines Richters widerspricht. Dies streicht auch Schiffauer heraus, indem er den sich in Sprache vollziehenden Bedeutungswandel zum Anlaß nimmt, vor vorschnellen Abweisungen von Begriffsdeutungen zu warnen: „Eine Verwendung [kann] nicht schon deshalb sprachwidrig sein, weil sie bisher noch nicht üblich war. Eine neue Verwendungsweise ist jedenfalls dann nicht sprachwidrig, wenn sie in der Sprachgemeinschaft verstanden wird. Eine Feststellung hierüber ist aber, da weder auf empirische Feststellungen, noch auf ein explizites Regelsystem der Sprache zurückgegriffen werden kann, von vorneherein ein problematisches Urteil." (51) Diese Einschätzung ist insofern bemerkenswert, als sie nicht davon ausgeht, daß eine empirische Bedeutungsforschung dem Richter die Entscheidungsfragen abnehmen könnte. Im Gegensatz zum naiven Bedeutungsrealismus von Hegenbarth, der ja glaubt, das „wirkliche Meinen" eines historischen Gesetzgebers feststellen zu können, vermeidet Schiff auer von vorneherein diesen Irrweg, indem er nicht nur aus Praktikabilitätserwägungen, sondern aus grundsätzlichen Überlegungen die Möglichkeit einer empirisch-objektiven „Bedeutungsfeststellung" ausschließt. Dem kann von sprachwissenschaftlicher Seite aus entgegengehalten werden, daß es (unterhalb der Objektivitätsfixiertheit juristischer Gesetzesinterpreten) schon so etwas wie eine empirische Feststellbarkeit von Bedeutungen gibt; die Frage ist nur, ob diese (wissenschaftlich aufwendigen) Bedeutungsinterpretationen juristische Entscheidungen vorwegnehmen können: dies ist offenkundig nicht der Fall, weil in der Wissenschaft - im Gegensatz zum juristischen Entscheidungszwang - immer mehrere Meinungen möglich sind. Hat die Rede von der Grenze des möglichen Wortsinns das Auslegungsproblem nur (wie ein Schamane die bösen Geister) gebannt, so fängt mit der Abweisung der ontologisierenden Verobjektivierung von „Bedeutung" und „Bedeutungsfeststellung" das Problem erst eigentlich an. 4.2 Was ist „Bedeutung"! Mutiger als seine Kollegen stellt Schiff auer sich diese und dieser Frage: „Wenn nach der Bedeutung eines Wortes gefragt wird, so wird damit bereits der Standpunkt eingenommen, diese Frage sei zu beantworten." (72)
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Im Folgenden vollzieht er die begriffstheoretischen Bedeutungsauffassungen der Jurisprudenz nach, die jedoch keineswegs das zugrundeliegende Problem lösen helfen, wenn man für diese Position wirklich zu argumentieren versucht, statt die Existenz von „Begriffen" (wie z.B. Koch) schlichtweg vorauszusetzen. Fragt man nämlich einmal nach, was Begriffe seien, dann kommt man zu dem Schluß: „Die Bedeutung ist der Begriff. Unglücklicherweise ist damit noch nicht klar, was gemeint ist." (74) Damit scheint man sich im Kreise gedreht zu haben: Bedeutungen werden mit Hilfe der „Begriffe" erklärt, die sich letztlich als „Bedeutungen" entpuppen. Die vorgebliche „Eindeutigkeit" der Begriffe, von der die Begriffsjurisprudenz immer ausgeht, ist eine Fiktion. Denn versucht man, den Begriffen auf die Spur zu kommen, dann kann man sie immer nur „in die Sprache auslegen". Und diese kennt bekanntlich das Problem der Bedeutungsfeststellung. Damit sind, wie Schiffauer zu Recht zeigt, die Begriffe ihrer vermeintlichen Festigkeit entkleidet: „Deshalb sind über die sprachliche Auslegung des Begriffs Meinungen möglich. Prinzipiell unendlich viele. Das bedeutet, daß der inhaltlich bestimmte Begriff nicht das leisten kann, was er als idealiter verspricht, nämlich die Menge seiner Anwendungen für die Praxis festzulegen. Dieser Forderung kann nur genügt werden, wenn der Begriff nicht als vorsprachliche Entität, sondern als sprachliche Bestimmung [. . .] gegeben ist." (75) D . h . , daß die begriffsjuristische Vorstellung von der außersprachlichen Existenz der durch Begriffe bezeichneten „Gegenstände" vom sprachtheoretischen Standpunkt her nicht zu halten ist. „Wirklichkeit" und „Sprache" werden so nicht zu zwei komplementären Bereichen, deren Zusammenhang durch eine einfache Relation zwischen Entitäten diesseits und jenseits der durch die Zeichenhülle gegebenen Grenze gewährleistet ist, sondern zu zwei Aspekten ein und desselben Vorgangs sprachlicher Weltaneignung, der immer auch sprachliche Konstitution von Wirklichkeit ist. Diesen Gesichtspunkt spricht Schiffauer nicht ausführlich genug an; er bleibt zunächst noch beim Stellen von Fragen stehen: „Hier ist die These zu bezweifeln, daß Wortbedeutung zu erklären ist durch das Postulat vorgegebener ,Gegenstände' [. . .], ,Sachen'." (80) Die Antworten holt er sich bei Wittgensteins Sprachtheorie, mit deren exakter Darstellung er die zweite Stufe seines Argumentationsgangs beginnt, nachdem er in der ersten Stufe von der Basis der traditionellen Begriffsauffassung operierte, deren Aporien er aufzeigen konnte, weil er ihre argumentativen Begründungen (im Gegensatz zu den Vertretern dieser Auffassung selbst, die dies - wohlweislich - stets versäumten) bis zum Ende durchgespielt hat.
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In Abgrenzung zum aporetischen Bedeutungsrealismus definiert Schiffauer die Bedeutungsbeziehung neu: „Die Bedeutung des Wortes wird nicht erklärt durch eine Relation zwischen dem Wort und irgendeinem Gegenstand, sondern durch eine Relation zwischen mindestens zwei Sprechern, die sich nach Regeln verständigen." (88) Ohne (wie Hegenbarth) ein aufgesetztes und an Kodemodellen orientiertes Kommunikationsmodell überzustülpen, entwickelt Schiff auer die Grundbegriffe der Kommunikation aus der regelgeleiteten Verständigung mittels sprachlicher Zeichen zwischen zwei Kommunikationspartnern. Dabei unterlaufen ihm leider in der Darstellung von Wittgensteins Bedeutungsbegriff, der die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens als die Regel seiner Verwendung in der Sprache bezeichnete, Ungenauigkeiten 66 . Die von ihm vollzogene Gegenüberstellung von geregelten und ungeregelten Wortverwendungen (87) beruht insofern auf einem Mißverständnis, als eine völlig regelfreie Situation von kommunikativer Zeichen Verwendung schlechterdings nicht denkbar ist. Wenn er die Offenheit von Zeichenverwendungen auf die Unabgeschlossenheit (und Unabschließbarkeit) ihrer Verwendungsregeln zurückführt, dann kann er das nur tun, weil er seinen Regelbegriff implizit an einem juristischen Verständnis expliziter bzw. abschließend regelnder Regeln orientiert. Es hängt von der Definition des Regelbegriffes ab, ob man die Offenheit möglicher Verwendungssituationen in ein auf dem Regelbegriff beruhendes Bedeutungsmodell integrieren kann. Schiff auer geht von der Vorstellung aus, daß bestimmte Regeln „nicht vollständig" seien, was zu unklaren Bedeutungen führe, während in anderen Fällen die Bedeutung klar sei (aber stets auch infrage gestellt werden könne) (89). Aus der prinzipiellen Offenheit der Regeln leitet er seine Ablehnung der Unterscheidung von Auslegung und Analogie ab: „Geht man davon aus, daß die Bedeutung eines Wortes nicht für alle Fälle seiner Verwendung durch Regeln gegeben ist, sondern daß lediglich für einen bestimmten Bereich seine Verwendung innerhalb der Sprachgemeinschaft durch Regeln bestimmt ist, so kann in Zweifelsfällen gerade nicht entschieden werden, ob das Wort nach seiner „wirklichen" Bedeutung Anwendung findet oder in einer „analogen" Bedeutung aufzufassen ist."
(102) Da Schiffauer seinen Regelbegriff kaum expliziert, sind an dieser Stelle einige Bemerkungen dazu nötig, was „die Bedeutung eines Wortes ist die Regel seiner Verwendung in der Sprache" heißen kann. Die Beantwortung dieser Frage setzt voraus, daß geklärt wird, wie regelmäßige Äußerungsakte mittels sprachlicher Zeichen (durchaus im Doppelsinn 66
Vgl. zur Kritik an Schiffauers Rezeption von Wittgensteins Regelbegriff D. Busse, Semantische Regeln und Gesetzesregeln, in: R. Meilinghoff I H.-H. Trute (Hrsg.), Die Leistungsfähigkeit des Rechts, 1988, S. 23 - 38.
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von „regelgemäß" und „wiederholbar") und damit die Voraussetzungen des Gelingens wiederkehrender Zeichenverwendungen erklärt werden können. Kommunikatives Handeln (als welches hier die Akte der Zeichenverwendung aufgefaßt werden sollen) ist (nach Lewis 67) wie jede soziale Interaktion koordinatives Handeln. Das „Koordinationsproblem" ist das Zustandekommen des Verstehens mittels der Verwendung sprachlicher Zeichenketten. Die Wahrscheinlichkeit des Gelingens der kommunikativen Handlung ist um so größer, je verläßlicher die erwarteten Reaktionen des Partners sind. Das heißt, daß ein Handeln um so sicherer zum Erfolg führt, je regelmäßiger es ist. Zeichenverwendungsakte sind deshalb ein Prototyp regelgeleiteten (bzw. konventionellen) Handelns. Einer Regel (oder Konvention) folgen heißt 68 , einer Regularität des Verhaltens in einer sozialen Handlungsgemeinschaft zu folgen, d.h. nach erlebten, erfolgreichen analogen Beispielfällen handeln; regelhaft handelt, wer Präzedenzfällen folgt. (Für Wittgenstein 69 ist deshalb „einer Regel folgen" gleichbedeutend mit „das Gleiche tun".) Das Handeln (Äußern von Zeichen) nach analogen Präzedenzen ist um so erfolgversprechender, je größer die Zahl der erfolgreichen vergleichbaren Zeichenverwendungen ist; es wird vor allem immer dann erfolgen, wenn „eine ganze Klasse" von Präzedenzfällen vorliegt. Die Regel (bzw. Konvention) selbst kann dann als eine mit hinreichender Sicherheit innerhalb einer größeren Gruppe von Interaktionsteilnehmern erwartbare Verhaltensregularität definiert werden. Die Regel wird durch jeden neuen Fall erfolgreicher (d.h. Verstehen herbeiführender) Zeichenverwendung bestätigt, indem dieser Fall (in den Handlungserfahrungen der Individuen) zur Klasse der Präzedenzfälle hinzutritt. Durch diese ständige Erweiterung (der das Verblassen älterer Präzedenzfälle korrespondiert) kann eine Regel nicht nur bestätigt, sondern auch langsam verändert werden. Regelveränderung ist also ein der Regelbefolgung inhärenter Prozeß. Voraussetzung erfolgreicher Zeichenverwendungen als Handeln nach Regularitäten ist das Verfügen über einen Komplex übereinstimmender wechselseitiger Erwartungen zwischen Äußerer und Rezipient; konstitutiv für Regeln ist deshalb das gemeinsame Wissen der Beteiligten. Schiff auer spricht diesen Umstand kommunikativer Verständigung selbst an: „Die Entscheidung des Sprechers muß wegen der vorausgesetzten Funktion der Sprache als kommunikativer Prozeß der Verständigung zwischen Individuen Rücksicht nehmen auf die Bereitschaft des Hörers, die gemeinte Ver67
Nach Lewis (Anm. 41). 68 Lewis, ebd., S. 37ff. 69 Wittgenstein (Anm. 18), §§ 224, 226. Zur Rolle, welche Wittgensteins Regelbegriff für die juristische Methodenlehre spielen kann, vgl. D. Busse, Normtextauslegung als Regelfeststellung, in: Akten des 12. Internationalen Wittgenstein Symposions 1987, 1988, S. 207 - 210, und D. Busse, Zum Regel-Charakter von Normtext-Bedeutungen und Rechtsnormen (erscheint 1989 in: Rechtstheorie).
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wendung des Wortes anzunehmen. Die Wahrscheinlichkeit der Annahme einer Wort Verwendung wird erhöht, wenn die offene Situation einer gesicherten ähnlich ist, d.h. wenn die Situation in einer hinreichenden Anzahl für wesentlich erachteter Bestimmungen mit der gesicherten übereinstimmt." (135) Was Schiffauer hier formuliert, ist das Grundprinzip konventionellen Handelns; paßt also genau in unsere Argumentation. Es verwundert nur, daß er „Regel" und „Konvention" aus einem nicht näher aufgeschlüsselten Mißverständnis des Regelbegriffs strikt unterscheiden möchte (z.B. 114); in den von ihm zugrundegelegten linguistischen Theorien wird ein solcher Unterschied nicht gemacht. Deutlich wird, daß kommunikative Verständigungshandlungen immer auf ein verläßliches Wissen (Verwendungserfahrungen) zurückgreifen müssen. Als Anwendung eines breiten Clusters gemeinsamen gesellschaftlichen Wissens vollzieht sich kommunikatives Handeln immer nach gesellschaftlichen Handlungsmustern, als Befolgen einer gemeinsamen Handlungsweise, einer „Praxis" (oder eines „Sprachspiels"). Wegen der Komplexität und Vielzahl der in einer Zeichenverwendung wirksam werdenden Voraussetzungen kann nicht vom Befolgen einer Regel geredet werden. Die Matrix der sinnrelevanten Voraussetzungen (d.h. der Voraussetzungen des Gelingens von Zeichenverwendungsakten) vereint vielmehr immer eine Vielzahl einzelner „Regeln". Wir haben hier (wie bei „Handlung") einen analytischen Begriff, der dem Erklärungsziel unterwirft, was aus der Matrix der kommunikationsrelevanten Faktoren jeweils als „Regel" ausgegrenzt wird. Die Handelnden selbst werden sich der Regeln nur insoweit bewußt, als sie auf Handlungsmuster (auf Präzedenzen erfolgreicher Zeichenverwendungen) verweisen können, wenn einer ihrer Äußerungsakte gerechtfertigt werden muß (z.B. weil Mißverstehen vorliegt). Regelveränderung kann schon allein deshalb eintreten, weil der Komplex der für das Verstehen einer Äußerung relevanten epistemischen Voraussetzungen kaum je in zwei Anwendungsfällen völlig gleich ist (wohl vor allem bei der Wahrnehmung der Situation, beim Kontext und beim angeschlossenen Wissen). Das Herstellen einer Analogie zu vorherigen Erfahrungen in der Verwendung des (der) betreffenden Zeichen(s) ist deshalb immer schon seinerseits eine interpretierende (und damit auswählende) Leistung der Zeichenverwender. Die Verläßlichkeit der interpretativen Regelanwendungen besteht in dem Vertrauen darauf, daß sich die eigenen Verwendungs-Erfahrungen mit denen der anderen decken. Dieses Vertrauen muß durch erfolgreiche Kommunikation immer wieder bestätigt werden. Jede neue kommunikative Handlung kann sowohl Richtigkeit wie auch Irrtum des eigenen aktuellen Regelvollzugs erweisen. Die Verläßlichkeit ergibt sich aus dem gemeinsamen Lebens- und Handlungs- und Wissens-Zusammenhang einer nicht nur durch Sprache zusammengehaltenen Gemeinschaft. Regelhaftes kommunikatives
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Handeln wird getragen durch die intersubjektive Verläßlichkeit der erlebten und alltäglich vollzogenen Handlungsweisen (inklusive der Zeichenverwendungen); in dieser Intersubjektivität liegt die diachrone Komponente sprachlicher (Zeichen-)Bedeutungen, die Kontinuität in der Serie einander ablösender kommunikativer Sinnkonstitutionen (qua Zeichenverwendungs-Akte). Zugespitzt könnte man sagen: Die Kontinuität sprachlicher Bedeutungen durch die Zeit ist eigentlich eine (theoretische?) Fiktion; es gibt keine Dauer von Bedeutungen, keine „festen", „allgemeingültigen" Verwendungsregeln, sondern nur eine ununterbrochene Serie diskursiver Ereignisse sowohl innerhalb einer Sprachgemeinschaft (d.h. über den einzelnen hinweg), als auch für jedes einzelne Mitglied dieser Diskursgemeinschaft. „Regelbefolgung" ist deshalb kein automatenhaftes Handeln nach starren, situationsexternen „Handlungsanweisungen" oder „Normen", sondern ein kreativer Vorgang, der zwischen dem Erfordernis der Intersubjektivität (der Orientierung an Zeichen Verwendungen, welche den gewünschten Sinn bei den Rezipienten mit einigermaßen sicherer Erwartbarkeit hervorzurufen versprechen) und der individuellen Sinnsetzungs-Intention vermittelt. „Regelloses" Äußern sprachlicher Zeichen im strengen Sinne dürfte es also kaum geben; allerdings kann es Verschiebungen innerhalb der Matrix der sinnrelevanten Voraussetzungen des Gelingens der Äußerungshandlung geben, etwa weg von der Orientierung an einer „wörtlichen" Bedeutung hin zu einer Stärkung der situativen und kontextuellen Faktoren. Metaphern ζ. B. sind ohne eine Orientierung an assoziierten Sinnkontexten nicht verstehbar; die „wörtliche" Bedeutung bleibt dennoch als Teil der Verstehensvoraussetzungen erhalten. Die „Regel" kann also nicht hintergangen werden; in irgendeiner Hinsicht ist an jeder erfolgreichen Äußerungshandlung (Zeichenverwendung) eine „Regel" (eine Orientierung an erfolgreichen Präzedenzfällen) beteiligt. Die Verschiebung weg von der „regelhaften" Zeichenverwendung hin zur „ungeregelten", die Schiffauer anspricht, müßte also eher als eine Veränderung innerhalb der zum Verstehen vorauszusetzenden epistemischen Momente der Zeichenverwendung analysiert werden. Daß uns die eine Verwendungsweise als „regelhaft" und die andere als „ungeregelt" erscheint, hat etwas zu tun mit der Erwartungssicherheit hinsichtlich des kommunikativen Erfolges der Äußerung. Zeichenverwendungen, deren Mißlingen von vorneherein feststeht, erscheinen deshalb als „regel-mißachtend", während solche Verwendungen, deren Erfolg scheinbar selbstverständlich vorausgesetzt werden kann (weil sie unseren kommunikativen Erfahrungen entsprechen) als „regel-folgend" betrachtet werden.
4.3 Auslegung oder Analogie? Was Schiffauer als „gesicherten Anwendungsbereich semantischer Regeln" (181) oder als „im Einklang mit den semantischen Regeln" (156) bezeichnet,
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betrifft also eine Übereinstimmung in den Verwendungsweisen der betreffenden Ausdrücke, die (bisher) nicht durch Mißverständnisse erschüttert ist. Sobald ein MißVerständnis auftaucht, sobald die Frage nach der Bedeutung überhaupt als Problem bewußt und gestellt wird, ist die Übereinstimmung verlassen, fängt das „Auslegungsproblem" an. Diese Einsicht benutzt Schiffauer, die traditionelle Dichotomie Auslegung" vs. Analogie" als Scheinproblem zu entblößen: „Für die traditionelle Methodenlehre nimmt die Abgrenzung von Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung eine zentrale Stellung ein. Auslegung und Analogie markieren diese Grenze. [. . .] Vom pragmatischen Standpunkt aus kann dieses Abgrenzungsproblem in gewisser Weise [. . .] als Scheinproblem aufgefaßt werden." (102) Obsolet wird diese Unterscheidung (wie wir oben gesehen haben), weil die Unterscheidung zwischen „wirklicher" und „analoger" Bedeutung eines Ausdrucks schon eine Scheinfrage ist. Diese Unterscheidung, die letztlich nur eine Differenz in der Erwartbarkeit des kommunikativen Gelingens einer Ausdrucksverwendung bezeichnet (daß die Rezipienten den intendierten Sinn realisieren), kann deshalb kein Auslegungsproblem „entscheiden": „ I n den zweifelhaften Fällen ist die Bedeutung eines Wortes eben unsicher. Die Diskussionen, die in den Zweifelsfällen geführt werden, können daher interpretiert werden als Versuche, Übereinkunft über die Verwendung eines Wortes allererst herzustellen." (103) In seinem Bemühen, diese semantisch-pragmatische Einsicht für die juristische Methodik auszuwerten, gibt Schiffauer allerdings dem Bedeutungsbegriff eine problematische Nuance: „Diese Überlegung hat eine handfeste Konsequenz für die Praxis juristischer Arbeit. Kann in den „normalen" Fällen auf bereits erzielte Übereinkunft unproblematisch in der Weise zurückgegriffen werden, daß man von der Bedeutung des Wortes ausgeht (semantisches Argument), so ist in denjenigen Fällen, in denen die Verwendung eines Wortes einmal zweifelhaft geworden ist, das semantische Argument unzulässig. Denn es macht den Rückgriff auf eine Übereinkunft geltend, die in diesen Fällen überhaupt noch nicht erreicht ist." (103) Diese Argumentation könnte das Mißverständnis nahelegen, daß „Bedeutung" nur das sei, was unstrittig ist. Bei den beschriebenen Aushandlungsprozessen geht es doch gerade darum, festzustellen, welche Interpretation das Prädikat „Bedeutung" verdient. Die „Bedeutungsfeststellung" des unhinterfragt gegebenen „gesicherten Verstehens" wird ersetzt durch die „Bedeutungsfestsetzung" als Ergebnis eines (letztlich semantisch zu nennenden) Aushandlungsvorgangs. Schiffauer vollzieht hier (nur auf etwas höherer Ebene) eine Argumentationsfigur der von ihm kritisierten Apologeten der „Wortlaut-
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grenze": Bedeutung ist (Wortlaut ist), was unhinterfragt gegeben ist (übereinstimmend aufgefaßt wird). Die Linguistik kann mit einem solchen „Schönwetter"-Bedeutungsbegriff nicht auskommen; für sie muß jede gelingende Sinnkonstitution in die Bedeutungstheorie integrierbar sein, auch wenn sie noch nicht den Verfestigungsgrad des von Juristen gewünschten „allgemeinen Sprachgebrauchs" erreicht hat. Es steht deshalb in Frage, ob Schiffauers methodologische Schlußfolgerungen dem Stand der von ihm referierten Bedeutungstheorie gerecht werden. In Abwehr des Mißverständnisses der traditionellen juristischen Hermeneutik, welche den Sinn eines Satzes „als vorgegebene theoretische Entität" ansehe (108), formuliert er in Anlehnung an Habermas und Apel: „Faßt man Sprache als situationsbezogenen Prozeß menschlicher Kommunikation auf, innerhalb dessen Zeichen nur in der Weise Bedeutung ,haben4, als sie in bestimmter Weise gebraucht werden, so verlieren auch Worte wie ,Sinn' oder ,Wert' ihren besonderen Charakter als Zeichen für eine vor aller Kommunikation gegebene geistige Qualität. Sie erscheinen dann als Zeichen, über deren Verwendung Menschen in der jeweiligen Kommunikationssituation sich verständigen müssen, soweit nicht auf eine bereits vorhandene Übereinkunft zurückgegriffen werden kann." (110) Abgesehen davon, daß Alltagssprecher sich wohl kaum über die Bedeutung des Zeichens „Sinn", sondern über den Sinn der von ihnen gebrauchten Zeichen verständigen dürften, stellt sich die Frage, ob dieses Aushandlungsmodell dem Bedeutungsverstehen gerecht wird. Wenn als Ziel der methodologischen Überlegungen angegeben wird „Rechtserkenntnis nach dem Modell eines unbeschränkten Diskurses einer juristischen Kommunikationsgemeinschaft aufzufassen" (116), dann fragt sich, ob diese Habermasschc Idealisierung dem Machtaspekt juristischen Handelns Rechnung trägt. Formuliert man Bedeutungsfeststellung analog dem von mir vorgeschlagenen Modell kommunikativer Verständigung, dann muß sie stets auf die Explikation von als scheinbar selbstverständlich gültig vorausgesetzten Wissenselementen zurückgreifen. „Diskursive Aushandlungen" von Bedeutungen, soll dieser Begriff einen Sinn machen, muß gerade das scheinbar Selbstverständliche offenlegen, wozu nur allzu oft das stillschweigend nicht explizierte Wissen (dasjenige, über das man lieber nicht deutlich redet) gehört. Es ist fraglich, ob der Juristenstand generell eine solche, an der Habermasschen Idealtypik der lediglich durch Rationalität geleiteten Diskussion der Freien und Gleichen orientierte Offenlegungspflicht sich zur Richtschnur machen würde. Steht bei Hegenbarth ein Bedeutungsbegriff im Mittelpunkt, welcher die „Auslegung" zu einem Forschungsprozeß der historischen Semantik macht, so ist die Bedeutungsaushandlung bei Schiffauer nicht weniger anspruchsvoll, soll sie doch erst enden, wenn in der Interpretationsgemeinschaft der Konsens hergestellt ist.
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„Pragmatische Hermeneutik muß [. . .] den Weg aufweisen, den diskursive Sinnkonstitution von der ersten spekulativen Ansage durch die kritische Diskussion in Richtung auf den (in Realität nie vollständig einholbaren) kritischen Konsens durchläuft - mit der Maßgabe, daß jenes ideale Ziel (und vorläufig die Einheit der Widersprüche, die Konvergenz) zum Kriterium der Richtigkeit wird." (199) Faßt man Konsens im echten Sinne auf, dann dürfen hierarchische Gesichtspunkte bei seiner Herstellung keine Rolle spielen. Wann kann denn dann der Konsens als hergestellt erklärt werden, und wer darf diese Feststellung treffen? Wird darüber auch wieder ein Aushandlungs-Diskurs in Gang gesetzt, über dessen Ende wiederum . . . (usw. ad infinitum)? Angegeben werden können nur die Endpunkte des Beurteilungsspielraums, an dessen einem Ende die Gewißheit der Uneinigkeit steht („Gewißheit ist falsch, wenn sich einhelliger Widerspruch in der Sprachgemeinschaft erhebt" (177)), dessen anderes Ende wohl als Übereinstimmung, gegen die sich kein Widerspruch mehr erhebt, charakterisiert werden könnte. Aber was geschieht mit dem Dazwischen? Völlig zu Recht dehnt Schiffauer die Dichotomie von sicher richtiger und sicher falscher Wortauslegung aus und schiebt einen (neutralen) Bereich dazwischen, welcher die unbestimmten, d.h. aushandlungsbedürftigen Wortverwendungen umfaßt (163). Juristische Entscheidung wäre dann die Rückführung des dreiwertigen Schemas auf die zweiwertige Zuordnung bei der Gesetzesentscheidung (166). Aber liegt das eigentliche Auslegungsproblem, um das sich alle sprachtheoretischen Adaptationen drehen, nicht gerade darin, ob die zweiwertige Entscheidungslogik (Ja oder Nein) überhaupt zur Universalie juristischen Handelns gemacht werden kann? Wäre als eine Alternative dieses ideal typischen Diskurses, welcher der beiden Seiten die sog. „unbestimmte" Wortverwendung zugeschlagen werden soll, nicht eine Änderung des juristischen Selbstverständnisses, der Auffassung von „Entscheidung" denkbar, welche die (ja im Alltag ebenfalls oft nicht entscheidungsfähige) Bedeutungsfrage suspendiert zugunsten eines Verfahrens, welches zwar (unter Rückgriff auf andere Prinzipien oder auf die Entscheidungskompetenz des Richters) in der Sache eine Entscheidung fällt, aber offen läßt, welches die Bedeutung der Gesetzesausdrücke ist? Ein solches Verfahren könnte man dann als eine ad-hoc-Auslegung bezeichnen, welche sich nicht mit dem Allgemeingültigkeitsanspruch schmücken darf, welcher derzeit meist mit Auslegungsurteilen verknüpft wird 7 0 . Das Gesetzesbindungspostulat wäre damit nicht unbedingt verletzt: die Gesetze müssen allgemeingültig sein; für einzelne Urteile (einzelne Auslegungen) muß dies nicht unbedingt gelten. Aber hier sind wir wieder an dem Punkt angelangt, wo der Linguist die juristische Diskussion schleunigst verlassen muß; in dieser Frage kann er keine Entscheidungshilfe geben. 70 Ob eine solche Auffassung des Auslegungsverfahrens möglicherweise gegen das „Willkürverbot" verstößt, vermag ich nicht zu überschauen.
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Der Vorzug von Schiffauers Ansatz gegenüber demjenigen von Hegenbarth liegt für mich darin, daß er seine Aufnahme der linguistischen Pragmatik in den Rahmen einer juristischen Hermeneutik einfügt (153, 182, 199). Der intentional geladene Vorgriff auf Sinn, welcher dem hermeneutischen Textverstehen innewohnt, bekommt bei ihm den gebührenden Rang zugewiesen. „Sinn tritt dem Menschen nicht gegenüber als fertiges ,etwas', das er von den Gegenständen der Welt bloß abzunehmen brauchte." - „Für juristische Hermeneutik bleibt festzuhalten, daß der hermeneutische Vorgriff auf den Sinn des Gesetzes durch die Einführung des pragmatischen Paradigmas seine Berechtigung nicht verliert. Sinnvoll bleibt dieser Vorgriff aber nicht deshalb, weil er als richtig im Sinne einer Korrespondenz von Begriff und Sache erwiesen werden könnte, sondern deshalb, weil der spekulative Entwurf möglichen Sinns im Wege sprachlicher Vorgriffe Voraussetzung aller menschlicher Sinnerschließung überhaupt ist. Andererseits bleibt solche Sinnerkenntnis nicht völlig offen, sondern jede Erkenntnis rückgebunden an den kritischen Konsens der Interpretationsgemeinschaft, d.h. der Interpret muß sich der potentiellen Zustimmung jedes Mitglieds der Gemeinschaft sicher sein. Anders ausgedrückt: Er muß in dem betreffenden Sprachspiel mitspielen; Verstehen heißt am Sprachspiel teilnehmen." (152, 153f.) „Rechtswissenschaft als Sprachspiel" (154): benennt das nicht das Eingebundensein juristischer Interpretation in Spielregeln, welche dem Alltagsverstehen fremd sind? Gibt es in der Sprachgemeinschaft jenen „kritischen Konsens" wirklich? Der einzelne Sprecher kann doch die Verwendungsmöglichkeiten eines Zeichens innerhalb der gesamten Sprachgemeinschaft gar nicht übersehen; die „Zustimmung jedes Mitglieds der Gemeinschaft" ist ein zu starkes Kriterium, auch wenn sie nur eine „potentielle" sein soll. Das Kennzeichen der „Sprachspiele" in Wittgensteins Sinne ist es gerade, daß sie keiner Begründung bedürfen, einfach gespielt werden. Ruft Schiffauer also zum fröhlichen Interpretationsspiel auf? Die vollen Konsequenzen seines pragmatisch-hermeneutischen Ansatzes will er dann doch wohl nicht ziehen. Die durch die hermeneutische Komponente verlorene Entscheidungssicherheit holt er durch einen falsch verstandenen Semantik-Begriff wieder herein: „Das Verstehen des Gesetzes erfolgt somit mindestens auf zwei Ebenen: derjenigen der (technischen) Anwendung semantischer Regeln und derjenigen der (hermeneutischen) Verständigung über möglichen Sinn." (156) Dieser Rückgriff auf das Dualitätsmodell (Regelkenntnis vs. Sinn verstehen) überrascht, hat Schiffauer doch an anderer Stelle bewiesen, daß er es besser weiß. Daß Regeln nichts „starres" sind, ist oben schon ausgeführt worden; der Autor repliziert hier seine unbegründete Unterscheidung von Regeln und
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Konventionen. Nähme er das von ihm skizzierte Verständigungsmodell ernst, dann erwiese sich jegliches kommunikative Verstehen als hermeneutischer Prozeß. Die Dialektik von Sinn-Vorgriff und Textverstehen ist eine Konstituente von Sprachverstehen schlechthin, wie Hörmann gezeigt hat 71 . Schiffauer versäumt es auch, offenzulegen, wie er sich die „Anwendung semantischer Regeln" vorstellt. Möglicherweise versteckt sich hier eine neue Variante der Hegenbarthschen historischen Semantik. Denn wie anders als durch Explikation der Voraussetzungen des Gelingens einer Zeichenverwendung (durch Explikation also eines umfassenden epistemischen Horizontes) soll die Verwendungsregel eines Wortes expliziert werden? Sollte dies nicht gemeint sein, dann käme noch die (lexikographische) Technik der Paraphrasierung infrage. Um die Richtigkeit solcher Umschreibungen (die auch durch Beispiel-Geben erfolgen können) beurteilen zu können, um also (um in Schiffauers Modell zu bleiben) die „Regelanwendung" von der „Sinnverständigung" unterscheiden zu können, bedürfte es Kriterien; wo könnten die aufgefunden werden? Ich vermute indes, daß sich hinter diesem Ansatz letztlich wieder die Voraussetzung unhinterfragten intuitiven Verstehens versteckt, also jener traditionelle Verweis auf den „herrschenden Sprachgebrauch", der zur Entlastung richterlicher Verantwortung von jeher wohlfeil war. Schiff auer gibt seinen Überlegungen einen hohen Rang, der die reine Auslegungs-Methodik überschreitet: „Der pragmatische Denkansatz scheint eine Neukonzeption vom ,Begriff des Rechts4 zu erfordern." - „Ein pragmatisches Sprachmodell [erfordert] eine neuartige Konzeption von Rechtsgeltung und Rechtserkenntnis. 44 (119,
122) Es ist nicht immer ersichtlich, ob die Umsetzung der von ihm in die Rechtswissenschaft übertragenen sprachtheoretischen Einsichten in Vorschläge zur methodischen Praxis diesem Rang immer gerecht wird. Dabei ist es (linguistisch gesehen) sicher nicht falsch, die Unterscheidung von Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung zu erschüttern, zumindest aber einer Neuformulierung zu unterwerfen. So allgemein, wie Schiffauer diese Unterscheidung neu bestimmt, kann ihr nicht widersprochen werden. „Als erste, noch vage Bestimmung will ich einführen, daß man von Gesetzesanwendung dann sprechen kann, wenn eine Entscheidung im Einklang mit den semantischen Regeln und innerhalb des Horizonts bisher erreichter Sinn Verständigung getroffen wird. Von Rechtsfortbildung wird man sprechen, wenn der Komplex semantischer Regeln oder der Sinnhorizont erweitert oder verändert werden. 44 (156)
71 H. Hörmann, Meinen und Verstehen. Grundzüge einer psychologischen Semantik, 1976. Vgl. dazu Busse, Historische Semantik (Anm. 34), S. 136ff.
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Die Probleme fangen, wie wir gesehen haben, erst an, wenn man die einzelnen Bestandteile dieser Definition zu erläutern versucht. Mit seiner Feststellung, daß „Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung zwei Stufen desselben Verfahrens" sind (204), meint Schiffauer die richtige Richtung gewiesen zu haben, auch wenn am Ende die vage und idealistische Hoffnung auf das allseitige Herrschen einer umfassenden Rationalität steht 72 . Doch verlängert er damit auch das MißVerständnis, Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung seien überhaupt voneinander unterscheidbar; daß es nur einen einzigen Prozeß „Rechtsbildung" gibt, diesen Schritt zu Ende zu gehen ist er nicht bereit. Er meint am Ende seiner Betrachtungen einen Weg gewiesen zu haben, der die traditionelle Terminologie vollständig verläßt, wenn er den alten Gegensatz durch die neue „Unterscheidung zwischen Rechtserkenntnis und Rechtspolitik" ersetzt (216). Daß damit das rettende Ufer nicht erreicht ist, sieht Schiff auer selbst 73 . Als Gewißheit bleibt dem Juristen am Ende nur eins: „Er muß die Entscheidung wagen." (181) 5. Das Auslegungsproblem in linguistischer Sicht Der juristische Begründungs- und Methodenstreit ist, sofern er innerhalb des positivistischen Paradigmas verbleibt, ein Tanz um (wie Austin es ausgedrückt hätte) mindestens zwei Fetische: den Anwendungs/FortbildungsFetisch und den subjektiv!objektiv-Fetisch. Daß die Fetische auch bei den avanciertesten Methoden-Kritikern (wie z.B. Schiff auer) latent weiterleben, hat sicher nicht nur subjektive Gründe. Die Aufklärung hat eben ihre Grenze an den liebgewordenen (oder staats- und macht-legitimatorisch unverzichtbaren) Fiktionen der Staatsräson. Dennoch ist der Beitrag der hier vorgestellten Autoren viel eher ein Bemühen, den (die) Fetisch(e) auf die eigene Seite zu ziehen, als der Versuch, ihn (sie) abzuschaffen. Allein Schiff auer leistet einen gewissen Beitrag zur Klärung, indem er der Dichotomie Auslegung/Analogie den sprachwissenschaftlichen Boden entzieht. Sprachwissenschaftliche Bedenken gegen manche Begründungsversuche dieser Fetische habe ich wiederholt an Ort und Stelle einfließen lassen, so daß an dieser Stelle nur die Aufgabe bleibt, ein Resumé zu ziehen. Versucht man, die grundlegende Dichotomie, d.h. die Abgrenzung der Gesetzesauslegung von der Gesetzesfortbildung mit sprachwissenschaftlichen 72 „Die , Wahrheit des Rechts4 erweist sich als die Verwirklichung des substanziellen Inhalts des Vernunftprinzips: Der Verpflichtung aller, die (rechtlich) argumentieren, auf die Idee der diskursiven Einlösbarkeit aller normativen Geltungsansprüche nach Maßgabe der Universalisierbarkeit der durch sie vertretenen Interessen.,Recht' konstituiert sich als diskursiver Prozeß." (210) 73 „Ob eine bestimmte Entscheidung als Rechtserkenntnis mit Gewißheit möglich ist oder politischer Gestaltungsfreiheit unterliegt, ist somit nochmals in die verantwortliche, des Konsenses der Rechtsgemeinschaft bedürftige Entscheidung der Juristen gelegt - und in diesem Sinne auch Erkenntnisakt." (249)
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Kriterien zu betrachten, dann könnte ihr ein Gegensatz von Bedeutungs-Fesistellung (der Gesetzes-Ausdrücke und -Texte) und Bedeutungs-Ausweitung entsprechen. Offen bliebe, welcher Seite der Dichotomie die sowohl von Juristen wie von Linguisten oft angeführte Bedeutungs-Festsetzung zuzuschlagen wäre. Geht man von einer Bedeutungsauffassung ab, welche die Bedeutungen sprachlicher Zeichen als platonische Entitäten („Gegenstände" laut Koch), als einen starren (relativ) unwandelbaren Sinn versteht, dann wird der Unterscheidung zwischen Bedeutungsfeststellung und Bedeutungsfestsetzung der Boden entzogen. Nur wenn man meint, daß Bedeutungen etwas vorgängiges, außerhalb der aktuellen Verwendung und des kommunikativen Verstehens der Zeichen Bestehendes sind, kann man das Vorliegen von Bedeutungen feststellen. Geht man jedoch davon aus, daß sprachliche Zeichen ihre Sinnfüllung erst in der konkreten, kontextgebundenen Verwendung erhalten, und daß das Verstehen der Zeichen deshalb eine durch kontextuelles Wissen erst ermöglichte Sinnfüllung seitens der Rezipienten ist, dann bekommt jedes Verstehen so etwas wie Setzungs-Charakter. Zwar ist das Verstehen an das übereinstimmende Verständnis einer Sprach- und Handlungsgemeinschaft geknüpft, doch entzieht sich die Feststellung der Übereinstimmung insofern der Objektivierbarkeit, als jeder Begründungsversuch eines Verstehensvorganges selbst wieder (potentiell) begründungsbedürftig ist. Wir können, so Wittgenstein, die Grenzen der Sprache nicht übersteigen. Zeichenverwendung wie Zeichenverstehen orientieren sich an den durch das kommunikative Handeln innerhalb einer Sprachgemeinschaft konstituierten Kommunikationserfahrungen der Individuen. Äußern und Verstehen nach Erfahrungen heißt zugleich, die Zeichenverwendung an analogen Präzedenzfällen zu orientieren. Jedem Verstehen liegt deshalb die Prüfung einer Äußerung anhand des gesamten sprachlichen und verstehensrelevanten Wissens zugrunde. Da über Sprache weitgehend unbewußt verfügt wird, kommt auch diese Orientierung an Vorbildern und Erfahrungen meist nicht zu Bewußtsein. Formulierungen wie „nach dem normalen Sprachgebrauch" reagieren zwar auf diesen Umstand, verschleiern ihn aber faktisch eher, als daß sie ihn offenlegen. Alle Juristen, die solche oder ähnliche Formulierungen gebrauchen, beziehen sich, ohne es zu merken, auf Analogien. Analogie, d.h. Ausrichtung des Verstehens an erfahrenen vergleichbaren Zeichenvorkommnissen, ist eine Grundtatsache der kommunikativen Verständigung schlechthin. So subjektiv, wie die Verwendungserfahrungen der einzelnen Individuen sind, so subjektiv kann daher auch die „Feststellung der Bedeutung" werden. Sprachliche Kommunikation ist zwar ein intersubjektiver Vorgang, und auch die Verständigungsmöglichkeiten mittels Zeichen sind ohne intersubjektive Übereinstimmung nicht möglich, doch ist das aktuelle Verfügen über Sinn stets nur subjektiv, im einzelnen Individuum möglich. Die „Sprachspiele", d.h. die in alltägliche Handlungszusammenhänge eingebetteten Verständigungsprozesse gelingen, weil die gesamten Handlungsweisen (zu denen mehr 10 F. Müller, Linguistik
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gehört, als „nur" Sprache) funktionieren. Wegen des selbstverständlichen Gegebenseins der epistemischen, situativen und kontextuellen Voraussetzungen sprachlicher Kommunikation werden Mißverständnisse nur relativ selten zum Problem, d.h. zum Gegenstand bewußter Bedeutungs-Aushandlung. Es besteht meist auch gar nicht die Notwendigkeit zu expliziter Klarstellung; d.h. es bleibt den Individuen überlassen, wie sie ihr subjektiv gebildetes Verstehen mit der Situation und dem Handlungskontext (oder bei Schrifttexten: dem durch den Textzusammenhang gestifteten Kontext) in Übereinstimmung bringen. Entscheidungsfragen stellen sich (so gut wie) nicht. In jeder Analogie, jedem Bezug auf Präzedenzfälle, ist das Verschieben von Bedeutungsmomenten möglich. Genauer gefaßt müßte man sogar sagen, daß jeder neue Anwendungsfall eines Zeichens Verschiebungen mit sich bringt, da wohl kaum jemals zwei Verwendungsfälle in allen situativen, kontextuellen und epistemischen Aspekten völlig gleich sein werden. So ist jede Zeichenverwendung in strengem Sinne zugleich eine Bedeutungsausweitung, die, wenn auch für die einzelnen (im Hier und Jetzt befangenen) Subjekte unmerklich, die Regel verschieben kann. Da sprachliche Kommunikation ein kollektiver Prozeß ist, kann auch die Regelverschiebung nur kollektiv erfolgen. Wegen dieser dem regelhaften sprachlichen Handeln inhärenten Möglichkeit zur Verschiebung des Zeichensinns ist „Regel" selbst ein dynamischer Begriff, dessen Begrenzung (etwa in einem Akte der Bedeutungsdefinition) stets Setzungscharakter hat. Wir kommen also zu dem Ergebnis, daß jegliche Form der Bedeutungsinterpretation eine Bedeutungsfestsetzung ist. Der Unterschied zwischen „Feststellung" und „Ausweitung" von Bedeutung ist also ein durchaus subjektives Gefühl gegenüber Akten des Bedeutungsverstehens, die sich (wie schon Schiffauer betont hat) auf einer linearen Skala dynamisch bewegen. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Abgrenzung der Auslegung von der Fortbildung von Gesetzen überhaupt mit sprachwissenschaftlichen (semantischen) Argumenten begründet werden kann. Die Frage ist: Wieviel hat die Anwendung von Gesetzesnormen auf „neue" Sachverhalte denn nun wirklich mit der „Bedeutung" der Texte zu tun? Läßt sich juristische Tätigkeit zu Recht mit hermeneutischen Kriterien messen? Daraus folgt die Frage, ob der Begriff der Analogie in sprachwissenschaftlichem Sinne mit derselben Bedeutung verwendet wird, wie der Begriff der Analogie im (strafrechtlichen) Analogie-Verbot. Juristische Auslegung steht in einem anderen Verhältnis zur Wirklichkeit als „normales", nur der Verständigung dienendes Bedeutungsverstehen. Während kommunikatives Verstehen einen (wenn auch subjektiven, und daher bis zu einem gewissen Grade fiktiven) Ist-Zustand erfaßt, enthält juristische Gesetzesanwendung immer eine normative Komponente. Der Unterschied von juristischer Auslegung und (alltagsweltlichem) Verstehen ist durch das Eingreifen der seinlsollen-DichoXomit bestimmt. Kann man von
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dem Verstehen einer sprachüchen Äußerung allenfalls sagen, daß es auf der (wankenden) subjektiven Überzeugung beruht, (einigermaßen) auf intersubjektive Übereinstimmung zurückführbar zu sein, so stellt sich bei einem Gesetzesparagraphen die Frage so, daß er auf einen konkreten Fall anwendbar sein soll (oder eben nicht). Die Sollensfrage („Soll ich den Paragraphen in diesem Fall anwenden oder nicht?") stellt sich für die Richter ganz konkret, während das Sollen im „normalen" Verstehen (wenn überhaupt) eher eine untergeordnete Rolle spielt. Daß die Dichotomie sein/sollen in die sprachtheoretische Begründung juristischer Auslegungstätigkeit eingreift, ist zunächst einmal einfach eine Vermutung, die ich unbeantwortet im Raum stehen lassen muß. Die Frage, ob diese Vermutung gerechtfertigt ist, und wenn ja, welche Rolle diese Dichotomie bei der Analyse und methodischen Begründung juristischer Tätigkeit spielt, kann ich an dieser Stelle nicht beantworten. Die Unterschiede zwischen den Sprachspielen „alltägliche kommunikative Verständigung" und „richterliche Auslegung von Gesetzestexten" könnten nur durch gründliche interdisziplinäre Erforschung (in juristischer, linguistischer, philosophischer, soziologischer und politologischer Perspektive) genauer bestimmt werden. Eine solche Forschung bleibt zum jetzigen Zeitpunkt Desiderat. Auch der zweite „Fetisch", die subjektiv!objektiv-Oichotomic, ist aus linguistischer Sicht streng genommen eine Scheinfrage. Ob man die (im juristischen Sprachgebrauch als subjektive Auslegung bezeichnete) Sinn-Fiktion der „Autor-Intention" errichtet, oder lieber der Fiktion der („objektiven") „Textbedeutung" folgt, bleibt relativ gleichgültig gegenüber der Tatsache, daß die Interpretation von Texten stets und nur subjektiv ist (wie jede Interpretation). Dies heißt zugleich, daß die in meiner Auseinandersetzung mit Hegenbarths Konzept formulierte Infragestellung der Feststellbarkeit historisch-konkreter Autoren-Absichten keinesfalls eine Auflösung der Dichotomie zugunsten der Seite der „objektiven Textbedeutung" erlaubt. Zwar haben Texte, vor allem wenn sie über lange Zeiträume tradiert werden, ein Eigenleben, welches nur knochentrockene Puristen auf die Sprecherintentionen eingrenzen wollen können, doch stellt gerade dieses Eigenleben die Texte in einen sich ständig wandelnden Interpretationshorizont, unterwirft ihre Rezeption wandelbaren Bedürfnissen. Daraus folgt, daß eine „Wortlautgrenze", auch wenn man sie (weicher) als Grenze eines stillschweigenden oder expliziten Konsenses einer Interpretationsgemeinschaft formuliert, niemals frei von der Intentionalität der Interpreten (und damit frei von subjektiven Sinngebungen) sein kann. „Objektive" Textauslegung ist wohl nicht zuletzt deshalb die „herrschende Meinung" in der juristischen Auslegungslehre, weil sich hinter ihr unausgesprochen der konsensuelle Charakter jeglicher Auslegung in homogenen Interpretationsgemeinschaften verbirgt. Wird die intentionsgeladene Subjektivität solcher Kriterien wie „allgemeiner Sprachgebrauch", „wie ein unverbil10*
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deter Sprecher der deutschen Sprache verstehen würde" oder „wie im Duden definiert wird" hinter der Rede von „dem Wortlaut des Gesetzes" versteckt, so ist es leicht, aus dieser in erster Linie aus sozial-institutionellen Gründen unhinterfragten Übereinstimmung die Fiktion der „objektiven Textbedeutung" zu zaubern. Übersetzt man den Terminus „Objektivität" mit „Intersubjektivität", dann entpuppt sich das gegenwärtige Selbstverständnis juristischer Auslegungstätigkeit als entbehrliche Fassade eines konsensuellen Systems der Wahrheitsfindung. Daß der konsensuelle Charakter juristischer Interpretationsergebnisse verschleiert wird, mag damit zusammenhängen, daß die Jurisprudenz eben nicht jene von Habermas apostrophierte ideale Diskursgemeinschaft ist, sondern (auch heute noch) im wesentlichen hierarchisch strukturiert ist. Wo „Konsens" eben nicht heißt, daß eine Deutungsübereinkunft durch diskursiven Prozeß erzielt wurde, sondern auf dem Wege hierarchischer Durchsetzung von oben nach unten - und dies in einem demokratischen Staatswesen - , da mag es opportun sein, diesen wenig demokratischen Weg hinter der vorgeblichen „Objektivität" von Textbedeutungen zu verstecken. Eine Demokratisierung des juristischen Tuns im einzelnen (und nicht mehr nur die demokratische Legitimation der Institution als Ganzer, wie zur Zeit) würde eine Öffnung des Diskurses erfordern. Ansätze dazu machen ja zur Zeit sogar schon einzelne Amtsrichter, welche die oberinstanzlichen Urteile nicht mehr willenlos und „automatisch" hinnehmen, sondern die das juristische Tun regelnden Grundlagentexte selbständig in Beziehung zueinander und zum zu entscheidenden Fall setzen. Dabei steht am Horizont einer solchen Diskursivität der zu erzielenden Deutungsübereinkunft (an der sich dann auch schon einmal die Öffentlichkeit beteiligen darf) nicht eine irgendwie geartete „Wahrheit" der Interpretation, sondern der wankende Konsens einer den Zeitläuften ausgesetzten, ihrer selbst nie sicher seienden, hinterfragbaren „Auslegung". Die interdisziplinäre Diskussion zwischen Sprachwissenschaftlern und Juristen kann dazu beitragen, die Voraussetzungen dieser Auslegungstätigkeit bewußter zu machen, und damit den befürchteten Alternativen den Schrecken zu nehmen. Die juristische Deutungsgemeinschaft selbst wird im Einzelfall entscheiden, wann und ob eine Auslegung das Gefühl der „Fortbildung" erweckt. „Objektive" Kriterien dafür (dies zeigt die Diskussion der sprachtheoretischen Grundlagen der juristischen Auslegungs-Tätigkeit) gibt es keine, vielmehr wird es der Kritik durch den Auftraggeber, den demokratischen Souverän überantwortet sein, wann eine Entscheidung den die Justiz übergreifenden - demokratischen - Konsens verletzt. Da hat die Jurisprudenz zur Zeit ja eher gute Karten - angesichts der Vertrauensbeweise, welche sie durch die Massierung der Verfassungsklagen zunehmend erhält.
Der Normt ext: Schwer von Begriff oder
Über das Suchen und Finden von Begriffsmerkmalen Einige Bemerkungen zum Referenzverhältnis von Normtext und Sachverhalt Von Bernd Jeand'Heur Gliederung I. Sprache und Welt, Normtext und Sachverhalt: Eine schwierige Problematik - aus juristischer Sicht betrachtet 1. Einführende Bemerkungen zu ,Referieren' 2. Rechtsprechung als merkmalsdifferenzierender Entscheidungsvorgang 3. Juristische Begriffsbildung als Zielpunkt der merkmalsdifferenzierenden Argumentation 4. Die spezifische Bedeutungstheorie des Begriffsdenkens 5. Ideal und Wirklichkeit des juristischen Begriffsdenkens II. Geschlossener Begriff, gesicherte Eigenschaftszuweisungen: Verstehensvoraussetzungen? Eine Kritik an merkmalsrealistischen Vorstellungen
Die Textstruktur unserer Rechtsordnung bindet grundsätzlich jedes rechtliche Handeln staatlicher Organe an Normtexte 1 . Der Jurist arbeitet in diesem Sinne an bzw. mit Normtexten, indem er seine Entscheidung mit deren Hilfe zu entwerfen und zu begründen hat. Gleichzeitig muß sie bei dogmatischmethodischer Überprüfung wiederum auf einen Normtext rückführbar sein. Eine derartige Arbeit mit Normtexten wird gewöhnlich - d.h. eigentlich erst seit der Überwindung der rechtspositivistischen Verbannung von Wirklichkeitselementen aus der Entscheidungstätigkeit - als ein Verhältnis gegenseitiger Bezugnahme von Gesetzestext und Sachverhalt beschrieben 2. Mittels der ihm vom Gesetzgeber zur Anwendung übertragenen Sprachzeichen, welche 1
Zur Textstruktur und den aus ihr folgenden Anforderungen an Rechtsarbeit vgl. B. Jeand'Heur, Gemeinsame Probleme der Sprach- und Rechtswissenschaft aus der Sicht der Strukturierenden Rechtslehre, in diesem Band; sowie R. Christensen, Der Richter als Mund des sprechenden Textes, in diesem Band, jeweils mit Verweis auf F. Müller, der ein Konzept der Textstruktur entwickelt hat, so z.B. in F. Müller, Juristische Methodik und Politisches System, 1976, S. 94ff. 2 Vgl. K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. Aufl. 1983, S. 131 m.w.N. oder A . Kaufmann, Rechtsphilosophie im Wandel, 1972, S. 287.
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als Normtexte formuliert sind, nehmen die Gerichte (oder die Verwaltungsjuristen) Bezug auf den strittigen Sachverhalt. Umgekehrt verweist dieser auf sog. „einschlägige" Gesetzestexte, die zur Entscheidung der anstehenden Fallfragen möglicherweise dienlich sein könnten. Diese gegenseitige Bezugnahme von Sprache auf Welt läßt sich sprachwissenschaftlich allgemein als Referenzverhältnis kennzeichnen3. Vorliegende Abhandlung hat sich zum Ziel gesetzt, die innerhalb der Rechtstheorie heftig diskutierte Problematik der „Anwendung" eines Rechtssatzes auf den Sachverhalt unter Berücksichtigung einiger Aspekte aus der linguistischen Referenzdiskussion neu zu überdenken. Der Gang der Untersuchung gliedert sich grob in zwei Teile: Zunächst sollen gewisse in Rechtsprechung bzw. juristischem Schrifttum verfolgte Strategien der Textanwendung auf Sachverhaltsfragen exemplarisch dargestellt werden, wobei versucht wird, die dabei implizit zugrundeliegenden Sprach- bzw. Referenzvorstellungen aufzudecken. Daran anschließend sollen die zuletzt angesprochenen Sprachauffassungen auf ihre sprachwissenschaftliche Konsistenz befragt werden. Z u Beginn der Ausführungen empfiehlt es sich jedoch, kurz auf die in der Arbeit benutzte Gebrauchsweise von Referenz 4 bzw. ,Referieren 4 einzugehen und auf diesem Wege die Fragestellungen etwas zu präzisieren. I . Sprache und Welt, Normtext und Sachverhalt: Eine schwierige Problematik - aus juristischer Sicht betrachtet 1. Einführende
Bemerkungen zu, Referieren'
Die Frage, was Referieren 4 oder ,auf etwas Bezug nehmen4 meint, ist in der sprachwissenschaftlichen Diskussion keineswegs geklärt 4 . Schon aus diesem Grunde erscheint es willkürlich, irgendeine linguistische bzw. sprachphilosophische Referenztheorie der rechtstheoretischen Auseinandersetzung einfach 3 Zur Einführung in die sprachwissenschaftliche Diskussion seien nur genannt: B. Imhasly / B. Marfurt / P. Portmann, Konzepte der Linguistik, 2. Aufl. 1982, S. 154;/. Lyons, Semantik, Bd. 1,1980, S. 187ff. 4 So schreibt beispielsweise J. Lyons, ebd., S. 187 zur ersten Orientierung: „Der Terminus ,Referenz 4 . . . hat mit dem Verhältnis zu tun, das zwischen einem Ausdruck und demjenigen, wofür der Ausdruck in bestimmten Äußerungssituationen steht, gilt". Diese Formulierung mag als vorläufige Umschreibung der angesprochenen Problematik nützlich sein (vgl. ähnlich z.B. H. Henne / H. Rehbock, Art. 13: Sprachzeichenkonstitution, in: Lexikon der germanistischen Linguistik, hrsgg. von H. P. Althaus / H. Henne / H. E. Wiegand, Bd. 1, 2. Aufl. 1980, S. 156 und 158f. m.w.N.). Obgleich sie recht allgemein gehalten ist, grenzt sie den Untersuchungsgegenstand ,Referenz 4 doch in gewisser Weise ein: Zum einen wird vorausgesetzt, daß ein Ausdruck für etwas steht, d.h., daß ein Sprachzeichen eine Art Repräsentationsfunktion erfülle. Andererseits soll diese Funktion anscheinend nur in bezug auf Äußerungssituationen erfüllt werden; und schließlich soll es sich hierbei jeweils um bestimmte, konkrete Situationen oder Kontexte handeln.
Der Normtext: Über das Suchen und Finden von Begriffsmerkmalen
151
aufzupfropfen. Statt dessen ist es nützlicher, die den Juristen interessierenden Sachprobleme zu benennen und daraufhin sprachwissenschaftliche Denkansätze nach Lösungsmöglichkeiten zu befragen. Die ausufernde Weite des skizzierten Problemfeldes erzwingt hierbei eine Beschränkung auf einige - wie ich denke - grundlegende Fragen linguistischer Natur 5 . Diese sollen anhand eines Referenzverständnisses diskutiert werden, das zumindest in großen Zügen von der schon erwähnten Vielfalt sprachwissenschaftlicher Referenztheorien abgegrenzt werden muß. Unter ,Referieren 4 verstehe ich in Anlehnung an Wimmer die Vornahme eines Sprechaktes, „in dem ein Sprecher mit Hilfe eines sprachlichen Ausdrucks oder mehrerer sprachlicher Ausdrücke auf einen bestimmten Gegenstand Bezug nimmt 446 . Damit verbinde ich mehrere Voraussetzungen: 1. Gegen die Annahme, ein sprachliches Zeichen sichere schon von sich aus im Rahmen seiner möglichen Verwendung einen bestimmten Bezug auf Gegenstände, sei auf die Priorität der sprachlichen Handlung des Sprechers, insbesondere auf diejenigen Regeln, nach denen diese Handlungen vorgenommen werden, verwiesen 7. Es ist der jeweilige Sprechakt, welcher Referenzbezüge herstellt 8 . 2. Da ein solcher Sprechakt lediglich in bestimmten Kontexten vollzogen wird, kann Referieren stets nur situationsabhängig erfolgen 9. 3. Unter Bezugnahme auf einen Gegenstand soll schließlich nicht nur Referieren auf feste Körper verstanden werden. Vielmehr wird hierbei ein weiter Gebrauch von ,Gegenstand4 vorausgesetzt, worunter unter anderem auch Situationen, Sachverhalte und Abstrakta (wie z.B. Freiheit, Eigentum, Demokratie) fallen 10 . 5 Auf Versuche, Ansätze der sprachwissenschaftlichen Logik-Rezeption für die rechtswissenschaftliche Diskussion fruchtbar zu machen (vgl. etwa H. Brinckmann, Anwendungsbedingungen formal-linguistischer Methoden in Recht und Rechtsanwendung, in: Rechtstheorie und Linguistik, hrsgg. von H. Brinckmann / K. Grimmer, 1974, S. 73ff.; A. Podieck, Werte und Wertungen im Recht, in: A ö R 1975, S. 185ff.; H. Garstka, Zum Beitrag der Linguistik zur rechtswissenschaftlichen Forschung, in: Rechtstheorie 1979, S. 92ff. m. w.N.) soll ebenso wie auf diese Problemtradition selbst nur soweit eingegangen werden, als dies für die umrissene Aufgabenstellung notwendig ist. Zur Kritik an der Übertragung von Logikrezeptionen auf natürliche Sprachen und deren Logikresistenz s. D. Busse, Was ist die Bedeutung eines Gesetzestextes?, in diesem Band, und R. Wimmer, Die Bedeutung des Eigennamens, in: Semasia 5, S. Iff., 15). 6 R. Wimmer, Referenzsemantik, 1979, S. 9. 7 R. Wimmer, ebd., S. 12. 8 Wimmer erwähnt, es sei weithin üblich, Referenzakte als Sprechakte im Sinne von Austin zu bezeichnen, ebd., S. 11. 9 R. Wimmer, ebd., S. 12. 10 In diesem Zusammenhang könnte man problematisieren, inwiefern derartige Gegenstände überhaupt sprachunabhängig existieren, identifizierbar sind, oder ob sie vielleicht gar erst durch Sprache konstituiert werden; R. Wimmer, ebd., S. 13.
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Bernd Jeand'He
Die soeben vorgestellte handlungstheoretische Konzeption, welche Referieren als kontextabhängigen Vorgang versteht, unterscheidet sich von gebräuchlichen Auffassungen vor allem hinsichtlich des Zeichenbegriffs. So geht etwa eine strukturalistische Bedeutungstheorie davon aus, ein Zeichen trage die im Sprachsystem - also der langue - aufgehobenen Bedeutungen in Form von Inhaltskomponenten, die in ihrer Kombination den Begriff des Ausdrucks bilden, in sich selbst. Mithin sei es prinzipiell möglich, für jedes sprachliche Zeichen den systematischen Stellenwert innerhalb der als fest und geschlossen gedachten langue zu finden. Obgleich die methodologischen Prämissen des strukturalistischen Denkens den Untersuchungsgegenstand auf das interne Sprachsystem beschränken, so daß hierbei die eigentliche Referenzproblematik (Bezugnahme von Sprache auf Welt) ausgeklammert bleiben muß, der Ausdruck ,Referieren' mithin im strukturalistischen Vokabular nicht vorkommt oder - in Abweichung zu oben eingeführter Definition - bestenfalls eine sprachinterne Relation zwischen Zeichen und sog. Begriffen charakterisiert 11 , kann die strukturalistische Bedeutungstheorie für unsere Zwecke nicht außer Betracht bleiben. Es wird sich nämlich im Laufe der nachfolgenden Rechtsprechungsanalyse, aber auch beim Blick auf das rechtstheoretische Schrifttum zeigen, daß das herkömmliche juristische Sprach Verständnis einige entscheidende Ausgangsannahmen mit dem strukturalistischen Zeichenmodell gemeinsam hat. 2. Rechtsprechung als merkmalsdifferenzierender
Entscheidungsvorgang
Nach herkömmlicher Auffassung geht es „in der Jurisprudenz weithin um das Verstehen von sprachlichen Äußerungen, des ihnen zukommenden normativen Sinnes. U m sprachliche Äußerungen handelt es sich sowohl bei Gesetzen, wie bei Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakten, regelmäßig auch bei Verträgen. Das Verstehen sprachlicher Äußerungen geschieht nun entweder unreflektiert, durch das unmittelbare Innewerden des Sinnes der Äußerung, oder in reflektierter Weise, durch Auslegen" 12 . Aufgabe des Rechtsanwenders sei es demnach, den Gesetzestext „als ,Träger 4 des in ihm niedergelegten Sinnes, um dessen Verständnis es in der Auslegung geht 4413 , zum Sprechen zu bringen. Zweifelsohne zu den rechtstheoretisch und -methodisch umstrittensten Problembereichen gehört hierbei die Frage, welche Rolle beim Vorgang der textlichen Bedeutungsermittlung den außersprachlichen Daten des Sachverhalts zukommt, auf die sich der jeweilige Normtext bezieht 14 . Die Arbeit der Juristen - insbesondere der Gerichte - besteht 11
Th. Lewandowski, Linguistisches Wörterbuch, Bd. 1, 4. Aufl. 1984, S. 182f. 12 K. Larenz (Anm. 2), S. 194. 13 K. Lorenz, ebd., S. 299. 14 Wenn in diesem Abschnitt davon gesprochen wird, ein sprachlicher Ausdruck referiere oder beziehe sich auf Sachverhalte u.ä., dann ist dies hier wörtlich zu neh-
Der Normtext: Über das Suchen und Finden von B e g r i f f s m e r k m a l e n 1 5 3
gerade darin, mit sprachlich strukturierten Gesetzestexten auf den strittigen, zur Entscheidung stehenden Sachverhalt in regelnder, rechtsverbindlicher Weise Einfluß zu nehmen 15 . Rechtsarbeit als Bezugnahme von sprachlichen Normtexten auf außersprachliche Sachverhalte ist in diesem Sinne schon immer das Handlungsparadigma, nach dem Rechtsprechung unter den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes und seiner Textstruktur funktioniert 16 . Insofern lassen sich alle rechtsmethodischen Ansätze oder Theorien stets als Umschreibung der Grundfrage charakterisieren: Wie geschieht Rechtsfindung als Bezugnahme sprachlicher Texte auf Welt? Ohne vorher auf einzelne Theoriemodelle einzugehen, soll zunächst untersucht werden, auf welche Weise die Rechtsprechung versucht, eine Antwort auf diese Grundfrage zu finden. A n zwei Beispielsfällen aus der Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts möchte ich exemplarisch skizzieren, wie Rechtsanwendung herkömmlich als ein Vorgang verstanden wird, in dem Sprachzeichen auf Eigenschaftsmerkmale des Sachverhalts referieren. Bei der Arbeit mit Gesetzestexten besteht die Hauptschwierigkeit regelmäßig darin, die im Normtext enthaltenen abstrakten Sprachzeichen auf eine konkrete Fallfrage, auf den aus konkreten Gegenständen bestehenden Sachverhalt zu beziehen. Der Referenzvorgang kann dann als geglückt angesehen werden, wenn sich das Sprachzeichen erfolgreich auf den außersprachlichen Referenten bezieht. Oder anders formuliert, wenn der außersprachliche Sachverhalt - bzw. die in ihm enthaltenen Gegenstände der Welt - als Unterfall des men. Rechtsprechung und juristische Literatur unterscheiden gewöhnlich nicht zwischen direktem Bezug des Zeichens auf Gegenstände und einem sprechakttheoretischen Referenzverständnis, wie es oben in Kap. 1.1. vorgestellt wurde, wonach nicht das Zeichen selbst, sondern der Sprecher mittels des Zeichens referiert. 15 Dieser Sach- oder Problembezug juristischer Textarbeit kommt in dem oft benutzten Bild zum Ausdruck, das gegen positivistisches Begriffsdenken entworfen wurde und wonach das „Hin- und Herwandern des Blicks" zwischen dem sprachlich gefaßten Tatbestand einer Norm und dem Sachverhalt den Verstehensprozeß erst ermöglichen soll; vgl. dazu Κ . Engisch } Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl. 1963, S. 15. 16 U m böswilligen Mißverständnissen vorzubeugen: Die methodische Trennung von Normtext und außersprachlichem Sachverhalt hat nichts zu tun mit dem rechtspositivistischen Dogma der Unvereinbarkeit von Sein und Sollen, Norm und Wirklichkeit, wobei letzteres als außerrechtliche Kategorie aufgefaßt wird. »Außersprachlicher 4 Sachverhalt ist eben nicht gleichzusetzen mit ,außerrechtlicher' Wirklichkeit, zudem ist der Sachverhalt nur bedingt als ,außersprachlich' charakterisierbar. Hiermit soll nicht zum Ausdruck gebracht werden, Sachverhaltsgegenstände seien real nicht vorhanden. So weit muß man nicht gehen, um gleichwohl dem Umstand Rechnung zu tragen, daß Sachverhaltselemente - wie überhaupt alle Weltzusammenhänge - nur in sprachlichen Kategorien faßbar, erfahrbar bzw. mitteilbar sind. In diesem Sinne ist jeder Sachverhalt nur sprachlich vermittelt vorstellbar. Normtext sowie Sachverhalt sind - beide für sich, als auch in ihrem Referenzverhältnis zueinander - gleichberechtigte Teilbereiche, aus deren Konkretisierungselementen die Rechtsnorm entworfen wird - vgl. dazu die knappe Zusammenfassung der von F. Müller entwickelten Strukturierenden Rechtslehre in diesem Band bei R. Christensen (Anm. 1), oder noch kürzer bei B. Jeand'Heur (Anm. 1), ebd.
154
Bernd Jeand'He
sprachlichen Ausdrucks erkannt und auf diesen zurückgeführt werden kann 17 . A n einem Beispiel demonstriert: Im Jahre 1964 hatte das Bundesverfassungsgericht 18 zu entscheiden, ob ein mehrere tausend Mitglieder umfassender Verband katholischer Haushaltsgehilfinnen und Hausangestellter, die nicht in gewerblichen Betrieben arbeiteten, eine Gewerkschaft im Sinne von § 2 Abs. 1 des Tarifvertragsgesetzes (TVG) ist und somit unter den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ^Koalitionsfreiheit 4 ) fällt. Der genannte Verband machte geltend, er sei durch ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG), in welchem ihm die Gewerkschaftseigenschaft und mithin die Befugnis, Tarifverträge gemäß § 2 T V G abzuschließen, abgesprochen werde, in seinem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzt. Das B A G hatte nämlich judiziert, bei dem beschwerdeführenden Verband handele es sich schon begrifflich um keine Gewerkschaft. Eine solche zeichne sich vor allem durch eine latent vorhandene „Kampfbereitschaft" aus; eine Eigenschaft, welche der beschwerdeführende Verband unstreitig nicht besaß. Fallfrage war insofern, ob das Sprachzeichen ,Gewerkschaft 4 nur auf Verbände referiere 19 , die man im weitesten Sinne als ,kampfbereit 4 bezeichnen könnte. Das BVerfG trat dieser Auffassung entgegen. Der entscheidende Senat führte aus, das Merkmal ,Kampfbereitschaft 4 sei kein wesentliches Kriterium im Sinne des Gewerkschaftsbegriffes. Die Verfassungsrichter machen ihren Rechtsspruch dergestalt von zwei Fragestellungen abhängig: 1. Welche wesentlichen Merkmale konstituieren den Begriff ,Gewerkschaft 4 gemäß Art. 9 Abs. 3 GG bzw. § 2 TVG? und 2. Erfüllt der beschwerdeführende Verband diese Merkmale, so daß er demgemäß als Gewerkschaft 4 im Sinne der genannten Vorschriften zu behandeln ist? Aus einem historischen Rückblick auf die Entwickung der Koalitionsfreiheit und der Tarifautonomie (S. 28) sowie aus einer Normbereichsanalyse des Gewerkschaftswesens unter nachkonstitutionellem Recht (S. 30f.) gelangt das BVerfG zu der Überzeugung, „es (sei) unerläßlich, die Tariffähigkeit an die Erfüllung gewisser Mindesterfordernisse zu knüpfen . . ." (S. 28). Danach könne man nur dann von einer tariffähigen Gewerkschaft sprechen, wenn diese frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sei sowie die Wahrnehmung der spezifischen Mitgliederinteressen als ihre satzungsmäßige Aufgabe vorsehe und hierbei das geltende Tarifrecht als für sich verbindlich anerkenne (S. 28). Ob darüber hinaus die Eigen17 Gewöhnlich wird das Verfahren, sprachliche Normtexte auf außersprachliche Sachverhalte zu beziehen, als syllogistisches Schlußmodell bezeichnet: Der Sachverhalt wird unter die Rechtsnorm »subsumiert'. Darauf soll später eingegangen werden, is BVerfGE 18,18ff. 19 Es sei hier und im folgenden nochmals an Anm. 14 erinnert.
Der Normtext: Über das Suchen und Finden von B e g r i f f s m e r k m a l e n 1 5 5
schaft der Kampffähigkeit als notwendiges Merkmal des Gewerkschaftsbegriffs vorliegen müsse, könne dagegen nicht für alle möglichen Berufsverbände einheitlich entschieden werden, sondern müsse vom Einzelfall und dessen wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten abhängig gemacht werden. A n eine im nicht-gewerblichen Bereich tätige Organisation, welche im übrigen die oben angeführten Essentialien des Gewerkschaftsbegriffs erfülle, dürfe jedenfalls nicht noch das Erfordernis der ,Kampfbereitschaft 4 als begriffskonstituierendes Merkmal gestellt werden. Im Ergebnis referiere der Ausdruck ,Gewerkschaft 4 also nicht ausschließlich auf kampferprobte und -bereite Organisationen. Zu diesem Ergebnis gelangt das BVerfG aufgrund einer aus Normtext- und Sachverhaltselementen gewonnenen Festlegung des Gewerkschaftsbegriffs, der sich aus folgenden Merkmalen zusammensetzen soll: a) frei gebildet, b) gegnerfrei, c) unabhängig, d) überbetrieblich organisiert, e) satzungsmäßige Wahrnehmung von Mitgliederinteressen und f) verbindliche Anerkennung des geltenden Tarifrechts. Die genannten Merkmale sind dem Zeichen ,Gewerkschaft 4 nicht eingeschrieben. Sie erscheinen vielmehr nur als reflexartige Spiegelung von Eigenschaften, die angeblich im Wege einer Analyse des in Frage stehenden Sachverhaltsgegenstands Gewerkschaft auffindbar sind und worauf das Zeichen ,Gewerkschaft 4 insofern Bezug nehme. Sprachexterne SachVerhaltseigenschaften verdichten sich dergestalt zu sprachinternen Inhaltselementen, die ihrerseits den Begriff des Ausdrucks ,Gewerkschaft 4 bilden. Die merkmalsdifferenzierende Argumentationsweise der Rechtsprechung möchte ich an einem weiteren Beispiel verdeutlichen. Das BVerfG hatte in den vergangenen Jahren mehrfach aufgrund des Hochschulrahmengesetzes und einiger Vorschalt- und Universitätsgesetze einzelner Bundesländer (insbesondere im Gefolge der heftigen Auseinandersetzungen um die ,Gruppenuniversität 4) darüber zu befinden, welche Lehrkräfte an der Hochschule als Professoren im Sinne dieser Vorschriften anzusehen sind 20 . Ebenfalls mußte sich das Gericht mit den begrifflichen Unterschieden zwischen Fachhochschullehrern und Lehrern an wissenschaftlichen Hochschulen auseinandersetzen 21. Schließlich hatte es jüngst über die Rechtmäßigkeit der die funktionalen und besoldungsrechtlichen Divergenzen außer Betracht lassenden - einheitlichen Amtsbezeichnung ,Professor 4 zu entscheiden22. Ausgangspunkt und durchgehend argumentatives Kernstück all dieser Judikate bildet der vom BVerfG entwickelte „materielle Hochschullehrer 44-Begriff. Das BVerfG reiht all jene Hochschulangehörigen unter den „materiellen 44 Begriff des Hochschullehrers ein, die als akademische Forscher und Lehrer
20 BVerfGE 35, 79ff.; 43, 242ff.; 47, 327ff.; 61, 210ff. 21 BVerfGE 56, 326ff. 22 BVerfG NJW 84, 912ff.
Bernd Jeand'He
156
aufgrund einer Habilitation oder eines sonstigen Qualifikationsnachweises mit der selbständigen, eigenverantwortlichen Vertretung eines wissenschaftlichen Faches in Forschung und Lehre betraut sind 23 . Die dem Zeichen (bzw. dessen Begriff) vom BVerfG zugeschriebenen semantischen Merkmale lassen sich anschaulich mit Hilfe eines einfachen Schemas darstellen: , Hochschullehrer'
Habilitation oder sonstiger Qualifikationsnachweis
Funktion in der Forschung
Funktion in der Lehre
Verantwortlichkeit
Selbständige Vertretung eines wissenschaftlichen Faches
In der Entscheidung vom 29.6.83 (BVerfG NJW 84, 912ff.) kommt das BVerfG im Rahmen einer merkmalsdifferenzierenden Bedeutungsanalyse der Sprachzeichen ,Hochschullehrer 4 und ,Professor 4, die an einer Untersuchung des Sachverhaltsgegenstandes (also des Hochschulwesens) ausgerichtet ist, zur Auffassung, die einheitliche Amtsbezeichnung ,Professor 4 referiere auf einen uneinheitlichen Gegenstandsbereich; weil es kein einheitliches Amt „des44 Professors gebe, müsse auch der Gebrauch des Ausdrucks ,Professor 4 differenziert betrachtet werden. In diesem Sinne unterscheidet das Gericht zwischen C4-, C3-Professoren an wissenschaftlichen Hochschulen und Professoren an Fachhochschulen, denen es je unterschiedliche Eigenschaften zuweist, welche die Definition des „materiellen Hochschullehrer 44-Begriffs jeweils modifizieren können. Ich möchte mich zum Beleg dessen einer sog. Merkmalsmatrix bedienen 24 . Nach der einer 23
Grundlegend BVerfGE 35, 79, 126f.; darauf Bezug nehmend E 43, 242, 268f.; E 47, 327, 388f.; E 61, 210, 240f.; BVerfG NJW 84, 912 liegt der „materielle Hochschullehrer"-Begriff implizit zugrunde, ohne daß dies - weil dort unproblematisch expliziert wird. 24 Der Gebrauch von Merkmalsmatrizen hat vor allem in der strukturalistisch beeinflußten Sprachwissenschaft eine gewisse Tradition, vgl. z.B. H. E. Wiegand/ W. Wolski, Art. 18: Lexikalische Semantik, in: Lexikon der germanistischen Linguistik (Anm. 4), S. 199ff. Wie schon erwähnt (oben Kap. 1.1), interessiert sich der Strukturalismus aus systematischen Gründen nicht für das Referenzverhältnis ,Sprache - Welt'; er leitet den Stellenwert eines Sprachzeichens innerhalb der langue allein aufgrund sprachinterner Differenzen der einzelnen Ausdrücke untereinander ab. Von daher erscheint der Hinweis angebracht, daß die geschilderte Rechtsprechung zwar mit Merkmalsdifferenzierungen in durchaus strukturalistischer Manier arbeitet, diese aber infolge einer - wie auch immer vorgenommenen - Einbeziehung von außersprachlichen Sachverhaltsdaten in den Entscheidungsvorgang gewinnt.
Der Normtext: Über das Suchen und Finden von Begriffsmerkmalen
157
merkmalscharakteristischen Vorgehensweise zugrundeliegenden strukturalistischen Sprachauffassung besteht ein Sprachzeichen aus seinem Ausdruck und dem Inhalt. Die Relationen zwischen verschiedenen Ausdrücken sind hierbei bedingt durch die Relationen der zugehörigen Inhalte 25 . Demnach wird der Bedeutungsgehalt eines Ausdrucks von dessen Inhaltselementen manche Sprachwissenschaftler benutzen dafür auch den Ausdruck ,Seme' 26 gebildet, die ihn gleichzeitig als „kleinste bedeutungsunterscheidende Substanzelemente"27 von anderen Sprachzeichen abgrenzen. Es ist auf diesem Wege möglich, von jedem Ausdruck, in Abgrenzung zu benachbarten Zeichen, eine Merkmalsmatrix aufzustellen, aus welcher dann anhand der positiven wie negativen Inhaltselemente der jeweilige Begriffsinhalt und dessen Referenzpotential gleichsam abgelesen werden kann. Der eigentliche Gebrauchswert einer Merkmalsmatrix besteht darin, das Verfahren der Bedeutungsdifferenzierung überschaubarer zu gestalten. Kommen wir also nunmehr zum bereits genannten Urteil vom 29.6.83. Die in der Entscheidung aufgeführten Inhaltselemente, welche danach für das Zeichen ,Professor 4 konstitutiv sein sollen, lassen sich in folgender Matrix darstellen (das Zeichen , + ' weist darauf hin, daß ein Inhaltselement des Ausdrucks auf ein gleichartiges Merkmal des außersprachlichen Gegenstandes erfolgreich referiert, das Zeichen verneint dies) 28 . Vergleicht man diese Merkmalsmatrix mit obiger Graphik zum „materiellen Hochschullehrer"-Begriff, so stellt man eine wesentlich genauere, spezifischere Sem-Auflistung fest; man könnte auch sagen, die in der Matrix verwendeten Inhaltselemente seien Spezifizierungen der im ersten Schema benutzten Komponenten. Gleichwohl ist es nicht möglich, die einzelnen Inhaltselemente eines Sprachzeichens abschließend festzulegen. Ob ein Merkmal überhaupt Eingang in die Matrix findet, hängt einmal von der Fragestellung ab, welche der Rechtsanwender aufgrund der strittigen jeweiligen Fallproblematik entwirft. Zum zweiten sind die zu entscheidenden SachVerhaltsprobleme verschiedenartig, was zur Folge hat, daß die von der Rechtsprechung vorgenommene Normbereichsanalyse zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen führt, die wiederum Eingang in den Entscheidungsvorgang finden. So tauchen bei der Entscheidungsfindung immer wieder neue Komponenten auf, welche die bisher gebräuchlichen Seme verdrängen und selbst in Gefahr stehen, anläßlich zukünftiger Abgrenzungsfälle in den Hintergrund treten zu müssen. Deshalb 25 H. E. Wiegand, Einige Grundbegriffe der lexikalischen Semantik, in: Funk-Kolleg Sprache, Bd. 2,1982, S. 23ff., 59ff. 26 B. Pottier, Entwurf einer modernen Semantik, in: Strukturelle Bedeutungslehre, hrsgg. v. H. Geckeier, 1978, S. 45ff., 68f. 27 B. Pottier, ebd. 28 Sie zeigen, nebenbei bemerkt, daß die Komponenten des „materiellen Hochschullehrer"-Begriffs wohl nur auf einen C4-, C3-Professor an der Universität referieren, nicht jedoch auf den an einer Fachhochschule Lehrenden.
Bernd Jeand'HeinC4-Professor an wissensch. Hochschule
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Professor an der Fachhochschule
C3-Professor an wissensch. Hochschule
158
Ausdrucksseite des Sprachzeichens
^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^ ^
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Inhaltselemente Gleichstarke Verpflichtung von Forschung und Lehre Schwerpunkt liegt im Lehrbereich Inhaltliche Beschränkung der Lehre auf die wissenschaftspraktische Berufsvorbereitung Konzentration der Lehre auf das Wesentliche (bedingt durch die kurze Studienzeit)
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Prägung der Lehrtätigkeit durch die enge curriculare Einbindung der Studenten in das Kurssystem Möglichkeit der breiten Darstellung des Selbstverständnisses des Faches Möglichkeit, Lehrveranstaltungen (innerhalb der venia) nach freier Wahl anzubieten Bedeutung der wissenschaftlichen Forschung im Sinne einer „Leitgröße" und entsprechende Ausstattung mit finanziellen und sächlichen Mitteln
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Qualifizierte Anforderungen (Habilitation u. ä.) an die Amtsinhaber Besondere wissenschaftliche Ausweisung, entsprechendes „Ansehen" in der Fachwelt Stehen am Anfang ihrer wissenschaftlichen Laufbahn und können erst in begrenztem Umfang auf wissenschaftliche Leistungen verweisen
erfahren auch der „ m a t e r i e l l e " Begriff des Hochschullehrers bzw. dessen tragende Inhaltselemente eine ständige Verschiebung oder Ausdifferenzierung. Das Ergebnis dieser Differenzierungsprozesse läßt sich stets i n F o r m einer wenn auch i m m e r n u r vorläufigen - M a t r i x verdeutlichen. Betrachtet m a n die bisher genannten Hochschulurteile (s. o . ) des B V e r f G i n ihrer Gesamtheit, dann könnte m a n i n etwa folgende Gesamtmatrix entwerfen, aus der sich die Referenten der jeweiligen Sprachzeichen positiv oder negativ ablesen lassen sollen (das Zeichen , Ο ' bedeutet, daß das Gericht i n den analysierten E n t -
Der Normtext: Über das Suchen und Finden von Begriffsmerkmalen
159
Professor an Fachhochsch. wissensch. Mitarbeiter** PrivatDozent** Uni-Dozent auf Zeit* C4/C3-Prof. an Universität
Prof. an Gesamthochsch. m. integriertem Studiengang
Scheidungen diesbezüglich keine expliziten Aussagen macht bzw. das Zutreffen des Merkmals offenläßt): Ausdrucksseite des Sprachzeichens
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Inhaltselemente
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Einheitliche fachliche Qualifikation
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Einheitlicher Aufgabenbereich
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Einheitliche korporationsrechtliche Stellung
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Weisungsgebundenheit (mehr oder weniger)
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Starke Eingliederung in den Wissenschaftsbetrieb Vornehmliche Ausübung unterstützender
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und ergänzender Funktionen im Wissenschaftsbetrieb Ausübung einer oft engen, speziellen Tätig-
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Persönliche Unabhängigkeit
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Wählbarkeit zum Fachbereichssprecher
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keit Meist Ausübung einer Tätigkeit in der Wissenschaftsverwaltung Regelmäßig lange Dauer der Universitätszugehörigkeit
Vorbereitung der Studenten auf die berufliche Tätigkeit durch anwendungsbezogene Lehre
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Ο
+
* gem. Hess. UnivG v. 12.5.70
Forschung, die allgemein der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse dient Träger einer wissenschaftlichen „Schlüsselfunktion"
** an Universität (siehe Fußnote 29 auf S. 160).
160
Bernd Jeand'He
Aus der beispielhaft geschilderten merkmalscharakteristischen Ausdifferenzierung des „materiellen Hochschullehrer"-Begriffs läßt sich die Arbeitsweise der Rechtsprechung mit Gesetzestexten thesenartig zusammenfassen: Die Sprachzeichen des Normtextes referieren jeweils dann auf den Sachverhalt, wenn die Inhaltselemente des Ausdrucks mit den Realdaten des Sachverhalts übereinstimmen. Die im Rechtssatz enthaltenen Ausdrücke ,Hochschullehrer', ,Professor an einer Universität (bzw. Fachhochschule)', »wissenschaftlicher Mitarbeiter' usw. setzen sich - nach dieser Auffassung - aus einzelnen, in den jeweiligen Judikaten durchaus verschiedenen oder sich ergänzenden Komponenten zusammen, welche das Gericht aufgrund einer Normbereichsanalyse glaubt aus dem Sachverhalt ablesen zu können, auf den der sprachliche Ausdruck Bezug nimmt. Infolge der unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten der Einzelmerkmale ist der Rechtsanwender dann in der Lage, eine genauere Inhaltsbestimmung der Begriffe ,Hochschullehrer' usw. vorzunehmen. Allgemein könnte man sagen, Normtexte referieren - nach dieser Vorstellung - immer nur dann erfolgreich auf Sachverhaltsgegenstände, wenn die Inhaltsmerkmale des Zeichens auf adäquate Eigenschaftsmerkmale des Referenzgegenstands treffen. Prägnanter: Rechtsfindung besteht demnach in der richtigen Zuordnung des Sprachzeichens auf die von ihm intendierten Eigenschaften, soweit diese sich im Sachverhalt auffinden lassen. Die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens läßt sich - folgt man dieser Auffassung - aus den außersprachlichen Merkmalen ablesen, auf die es mittels seiner sprachlichen Inhaltselemente referiert. 3. Juristische Begriffsbildung merkmalsdifferenzierenden
als Zielpunkt der Argumentation
Die referierte Vorgehensweise der Rechtsprechung findet ihre Widerspiegelung in Rechtstheorie und juristischer Methodik. Auch dort wird das Problem sprachlicher Bezugnahme auf Welt hauptsächlich im Rahmen der Erörterung juristischer Bedeutungskonzeptionen diskutiert. Die Frage nach der Bedeutung des Normtextes, nach dem Sinn des Gesetzes, bestimmt insofern gleichfalls den Gegenstandsbereich, auf den die sprachlichen Ausdrücke referieren sollen. Im weiteren sind es dann die Spielregeln dieser Bezugnahme, worüber der Streit der unterschiedlichen rechtstheoretischen und methodischen Ansichten handelt. 29 Nach den letzten Novellierungen des Hochschulrahmengesetzes haben sich im Bereich des wissenschaftlichen Personals einige Veränderungen ergeben, die wiederum zu weiteren Differenzierungen führen könnten. Der Personenkreis, der in der Matrix als »wissenschaftliche Mitarbeiter' einheitlich aufgeführt wird, müßte unter Beachtung dieser Änderungen unterschieden werden in wissenschaftliche' und »künstlerische Assistenten', ,Oberassistenten',,Oberingenieure', wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter' usw. (vgl. 3. Kap. 2. Abschn. des HRG).
Der Normtext: Über das Suchen und Finden von B e g r i f f s m e r k m a l e n 1 6 1
A m verbreitetsten - sowohl in juristischer Literatur als auch in Rechtsprechung - dürfte hierbei die Auffassung sein, juristische Entscheidungsarbeit vollziehe sich als schematische Gesetzesanwendung im Sinne eines syllogistischen Subsumtionsmodells. Ein Rechtssatz gelangt danach stets dann zur Anwendung, „wenn der Tatbestand Τ in einem konkreten Sachverhalt S verwirklicht ist", immer dann „gilt für S die Rechtsfolge R " 3 0 . Das Gesetz, eigentlich der Normtext, bildet den Obersatz, der Sachverhalt - soweit er unter ihn „fällt" - den Untersatz. Das Schema des Subsumtionsschlusses, die allgemeine Spielregel sprachlicher Bezugnahme des Normtextes auf den Sachverhalt „sieht folgendermaßen aus: Τ ist vollständig gekennzeichnet durch die Merkmale M 1 , M 2 , M 3 . S weist die Merkmale M 1 , M 2 , M 3 auf. Also ist S ein Fall von T " 3 1 . Entscheidend ist mithin für einen gelungenen Referenzakt „die Aussage, daß die im Tatbestand des Rechtssatzes genannten Merkmale in dem Lebensvorgang, auf den sich diese Aussage bezieht, sämtlich verwirklicht sind. U m diese Aussage machen zu können, muß der ausgesagte Sachverhalt, d.h. der Lebensvorgang, zuvor auf das Vorliegen der betreffenden Merkmale hin beurteilt werden" 32 . Die im gesetzlichen Tatbestand enthaltenen Sprachzeichen erfüllen nach dieser Auffassung eine Verweisungsfunktion. Sie weisen auf bestimmte Objekte des Sachverhalts bzw. deren Merkmale oder Eigenschaften hin 3 3 . Gleichwohl steht der sprachliche Ausdruck nicht einfach für eine außersprachliche Eigenschaft, die ohne Zwischenschritt aus dem Wort ablesbar wäre. Ein direkter Zugang vom Zeichen auf das Objekt wird als nicht denkbar verworfen. Statt dessen schiebt sich zwischen die Beziehung des Ausdrucks zu seinem Gegenstand die »Bedeutung4. Erst über die Bedeutung des Zeichens sei der Referenzbereich zu ersehen, auf den es sich im Einzelfall beziehe 34 . Wie aber ist nun die Bedeutung der Sprachzeichen im Normtext zu gewinnen? Die Verweisungsfunktion von sprachlichen Zeichen wurde bereits angesprochen. Zeichen referieren - nach dieser Ansicht - gleichwohl nicht auf jedwede, vielleicht nur zufällig vorhandenen Merkmale, wie sie im Einzelfall einem Objekt zu eigen sein mögen. Vielmehr geht es um das Herausfinden und „abstrahierende Erfassen bestimmter invarianter Merkmale" 3 5 , also um solche Eigenschaften, die für den Referenten als charakteristisch angesehen 30
K. Larenz (Anm. 2), S. 260. K. Larenz, ebd., S. 262. 32 K. Larenz, ebd., S. 263. 33 E. Baden, Gesetzgebung und Gesetzesanwendung im Kommunikationsprozeß, 1977, S. 166. 34 E. Baden, ebd., S. 167. 3 5 E. Baden, ebd., S. 167. 31
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werden. Die Bedeutung, der Sinn des sprachlichen Ausdrucks, ist von daher nicht der konkrete Gegenstand als solcher, auf den es sich im Einzelfall bezieht, sondern die Menge derjenigen wesensmäßigen Merkmale, die in ihrer jeweiligen Zusammensetzung den Begriff des Zeichens ausmachen36. Das Subsumtionsmodell setzt nicht nur darauf, daß sich Sachverhalte aufgrund eines oder mehrerer Merkmal(e) unterscheiden lassen, sondern auch darauf, daß der Tatbestand, also der sprachlich abgefaßte Normtext, „durch die Angabe aller der Merkmale definiert werden kann, deren Vorliegen sowohl erforderlich wie hinreichend ist, um unter ihn zu subsumieren. Die Unterordnung eines bestimmten Sachverhalts S unter den Tatbestand Τ im Wege des Subsumtionsschlusses ist daher nur dann möglich, wenn Τ durch die Angaben hinreichend bestimmter Merkmale vollständig definiert werden kann, mit anderen Worten, wenn es sich bei der Kennzeichnung von Τ durch die Merkmale M 1 - M x um die Definition eines Begriffs handelt" 37 . Unter den Prämissen des Subsumtionsschemas vollzieht sich sprachliches Referenzverhalten bei der Entscheidungsfindung als Arbeit mit und an Rechtsbegriffen. Das im Normtext enthaltene sprachliche Zeichen soll demnach seine normative Kraft erst dann entfalten können, wenn es als abstrakter Rechtsbegriff handhabbar wird. Dies geschieht unter Berücksichtigung der den Sachverhalt konstituierenden sog. wesensmäßigen Eigenschaften, auf die der Normtext referiere und die ihrerseits bei der juristischen Begriffsbildung Hilfestellung leisten sollen. Die Bedeutung des sprachlichen Ausdrucks, seine sprachliche Referenz, glaubt man dadurch gewinnen zu können, daß man die wesentlichen Merkmale des Referenten (also des bezeichneten Gegenstandes im Sachverhalt) erforscht, um diese zum Begriff des jeweiligen Sprachzeichens zu verdichten. In diesem Punkt vertritt auch die am syllogistischen Subsumtionsdenken geübte Kritik zumeist keine abweichenden Positionen. So wollen etwa Koch / Rüßmänn 38 in Anlehnung an Carnap „zwischen der Bedeutung (der Intension) und den Gegenständen der außersprachlichen Wirklichkeit, auf die die Zeichen qua ihrer Bedeutung anzuwenden sind (der Extension) . . . unterscheiden. Die Bedeutungen deskriptiver sprachlicher Zeichen sind Eigenschaften, die die Gegenstände in der Welt haben können". Noch deutlicher S. 134: „ M i t Eigenschaften als der Bedeutung sprachlicher Zeichen ist also nichts Geistiges, im menschlichen Bewußtsein Befindliches gemeint, sondern etwas Physikalisches, das die Dinge in der Welt haben, eine Seite oder ein Aspekt oder eine Komponente oder ein Charakterzug der Dinge." Insofern wird der Begriff aus der Summe derjenigen Merkmale gebildet, auf die das ihn tragende Zeichen referiert. Die Aufzählung der zur Begriffsfestle36 Η. E. Breide, Semantik, 2. Aufl. 1974, S. 55. 37 Κ Larenz (Anm. 2), S. 263. 38 H. J. Koch / H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 7. Z u Koch / Rüßmann vgl. D. Busse (Anm. 5).
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gung notwendigen und hinreichenden Bedingungen in Form der Kombination unverzichtbarer (Begriffs-)Merkmale grenzt ab, „was unter den Begriff fällt oder was außerhalb seines Gebietes liegt" 3 9 . Über die Brücke eines derart ausdefinierten Begriffs sollen schließlich Zeichen und Referent zusammenfinden. Aus dem Begriff - so die Annahme - erhält der Rechtsanwender die wesentlichen Inhaltselemente des Zeichens, unter die die dazu passenden Eigenschaftsmerkmale zu subsumieren seien. 4. Die spezifische Bedeutungstheorie des Begriffsdenkens Das juristische Subsumtionsmodell - nach dem bestimmte Begriffsmerkmale mit bestimmten Sachverhaltseigenschaften in Verhältnis zu setzen sind wird von einer spezifischen Referenzvorstellung geprägt, die sich zunächst in Form einer gewissen Bedeutungstheorie äußert. Innerhalb strukturalistisch beeinflußter Kreise der Sprachwissenschaft spricht man davon, ein Sprachzeichen bestehe - ähnlich wie die zwei Seiten einer Münze - aus zwei Komponenten: aus der Ausdrucksseite, welche als lautliches oder schriftliches Signal auf die Inhaltsseite hinweise, die die eigentliche bedeutungsvolle Information enthalte 40 . Diese Zweiteilung des Sprachzeichens geht zurück auf Saussures Unterscheidung zwischen signifiant (Signifikant oder bezeichnende Ausdrucksseite) und signifié (Signifikat oder bezeichnete Inhaltsseite). Für Saussure ist ein Zeichen immer die Verbindung von - wie er es gelegentlich auch nennt - Lautbild und damit bezeichneter Vorstellung. Bemerkenswert ist hierbei, daß Saussure das Zeichen nicht unmittelbar auf einen Gegenstand der außersprachlichen Welt beziehen will, sondern nach ihm das Lautbild nur auf einen (wiederum sprachlichen) Begriff als Vorstellungsinhalt verweise 41. „Das sprachliche Zeichen vereinigt in sich nicht einen Namen und eine Sache, sondern eine Vorstellung und ein Lautbild" 4 2 . Insofern weist Saussure „die Auffassung der Sprache als einer bloßen Nomenklatur von Sachen zurück; das ,Bezeichnete4 in seinem Sinne gehört vielmehr mit zur Sprache und darf nicht mit der ,chose réelle 4 , dem außersprachlichen Objekt, verwechselt werden 4443 . Danach läßt sich die Bedeutung eines Sprachzeichens nicht unmittelbar aus seiner Referenzbeziehung zu außersprachlichen Gegenständen entnehmen. Diese werden vielmehr als ,Bezeichnete4 selbst zum Bestandteil des Sprach39
H. Hätz f Rechtssprache und juristischer Begriff, 1963, S. 59 und ähnlich L. Kuhlen, Die Denkform des Typus und die juristische Methodenlehre, in: H. J. Koch (Hrsg.), Juristische Methodenlehre und analytische Philosophie, 1976, S. 53ff., 66. 40 Vgl. etwa H. Pelz, Linguistik für Anfänger, 4. Aufl. 1981, S. 59ff.; G. Heibig, Geschichte der neueren Sprachwissenschaft, 7. Aufl. 1986, S. 39. 41 M. Frank, Was ist Neostrukturalismus?, 1983, S. 42. 42 F. Saussure, Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, 2. Aufl. 1967, S. 77f. « G. Heibig (Anm. 40), S. 39. 1*
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systems. Dennoch kommt den außersprachlichen Dingen bei der Bestimmung der begrifflichen Inhaltselemente ein gewisser Stellenwert zu. Dies jedenfalls in der von der Rechtsprechung betriebenen Normtextinterpretation. Hierzu wurde oben (s. 2.) erwähnt, juristische Begriffsbildung werde regelmäßig als „Kombination (derjenigen; B. J.) semantische(n) Merkmale" (S. J. Schmidt) verstanden, auf die der sprachliche Ausdruck in der außersprachlichen Welt verweise. Diese Auffassung geht zurück auf einige Bedeutungstheorien, welche die Bedeutung des Zeichens aus den unterschiedlichen Bezeichnungsrelationen, die es eingeht, ableiten wollen. Zur Darstellung der verschiedenen Zeichenbeziehungen wird hierbei oft ein sog. ,semiotisches Dreieck' benutzt 44 :
Die in dem Text verwendeten Buchstaben erfüllen verschiedene Funktionen: A steht für Zeichen, Β für Begriff, C für das Bezeichnete, den Referenten 4 5 . Im einzelnen soll mit dem Schema dargestellt werden, daß erst aus der Verbindung des Zeichens (A) mit seinem Begriff (B) oder - gleichbedeutend - seiner Bedeutung folgt, auf welche Gegenstände (C) das Zeichen referiert. „Aus der Verbindung von Zeichenform und Bedeutung ergibt sich der Begriff des Wortes bzw. des Zeichens; eine Zeichenform kann nur durch Zwischenschaltung ihrer Bedeutung etwas bezeichnen. Eine direkte Beziehung (innerhalb des hier diskutierten theoretischen Rahmens) zwischen Zeichenform und Bezeichnetem gibt es nicht (dieser Sachverhalt soll durch die gestrichelte 44 Das Grundmodell eines solchen Schemas stammt aus der traditionellen Semantik und wurde von C. K. Ogden I J. A. Richards, Die Bedeutung der Bedeutung, deutsch 1974, S. 11 entworfen. Daran anknüpfend wurden ähnliche Modelle, mit zum Teil abweichender Terminologie z.B. von Ulimann, Die Grundzüge der Semantik, deutsch 1972, S. 71 f. vorgestellt. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist es nicht möglich, alle strittigen Fragen bezüglich solcher semantischer Modelle aufzugreifen oder auch nur zu benennen. J. Lyons (Anm. 3), S. 111 stellt einige besonders kontrovers diskutierte Probleme vor: „Soll A als eine physische oder als eine mentale Einheit definiert werden? Welches ist der psychologische oder ontologische Status von B? Ist C etwas, auf das in einer bestimmten Situation referiert wird? Oder stellt es die Gesamtheit der Gegenstände dar, auf die durch die Äußerung des Zeichens . . . referiert werden kann? Oder besteht noch die dritte Möglichkeit, daß es ein typischer Vertreter dieser Klasse ist?". 4 5 /. Lyons (Anm. 3), S. 109; Η. E. Brekle (Anm. 36), S. 58; H. Pelz (Anm. 40), S. 45.
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Basislinie angedeutet werden)" 46 . So leugnet beispielsweise Ullmann ein unmittelbares Interesse an dem bezeichneten Gegenstand (C) bzw. dessen real vorhandenen Eigenschaften. Diese seien nur insoweit für die Bestimmung der Bedeutung des Sprachzeichens relevant, als sie sich aus den konkreten Dingen, Sachverhalten usw. abstrahieren und in Β zusammenfassen ließen 47 . Schon jetzt mögen dem Leser einige Parallelen aufgefallen sein, welche dieses Zeichenmodell mit dem juristischen Begriffsdenken verbindet. In jüngerer Zeit haben verschiedene rechtswissenschaftliche Autoren auf derartige Zusammenhänge ausdrücklich hingewiesen. So verweist beispielsweise Baden explizit auf das Ogden / Richards-Schema und zieht daraus den Schluß, die Bedeutung eines Ausdrucks sei nur über das „abstrahierende Erfassen bestimmter invarianter Merkmale" herausfindbar 48. Wank beruft sich ebenfalls auf Ogden / Richards und stellt fest, „die Bedeutung eines Ausdrucks ist von dem bezeichneten Gegenstand verschieden" 49 . Auch für ihn definiert sich der Begriff als „Bedeutungsinhalt eines Ausdrucks" 50 . 5. Ideal und Wirklichkeit
des juristischen Begriffsdenkens
Die Darstellung des herkömmlichen Subsumtionsmodells steht nicht zufällig im Mittelpunkt der vorhergehenden Abschnitte. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen wird das syllogistische Auslegungsschema an den Universitäten immer noch als die vorherrschende juristische Denkweise, immer noch als die theoretische Anleitung zur Einübung rechtswissenschaftlicher Praxis gelehrt. Andererseits kommt in ihm der eigentümliche Umgang mit Begriffen als Bedeutungsträgern von Sprachzeichen, die auf Wirklichkeit Bezug nehmen, wohl am deutlichsten zum Ausdruck. Chronologisch betrachtet öffnete sich jedoch bereits in der Begriffsjurisprudenz die Kluft zwischen theoretischem Anspruch und praktischer Einlösung (bei der Rechtsanwendung) des Umgangs mit merkmalsbehafteten Begriffen. Die Begriffsjurisprudenz erhob zuerst den Anspruch, durch logisch-analytische Konstruktion von Rechtsbegriffen den jeweiligen Rechtssatz einer Interpretation zugänglich zu machen. Gemäß einem aus dem naturwissenschaftlichen Umkreis entlehnten Ideal wollte der Jurist mit Begriffen wie mit Zahlen rechnen. Durch die exakte Handhabung der Rechtsbegriffe sollte der Rechts46
Η. Ε. Β rekle (Anm. 36), S. 59; diese Ansicht entspricht dem schon in der scholastischen Sprachlogik geäußerten Diktum „vox significat (rem) mediantibus conceptibus": Das Wort bezeichnet das Ding vermittels Begriffen. 47 S. Ullmann (Anm. 44), S. 72. « E. Baden (Anm. 33), S. 167. 49 R. Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 10 und 16. Das semantische Dreieck ist nach Wank „das grundlegende Modell" für das Verfahren der juristischen Begriffsbildung. 50 R. Wank, ebd., S. 35.
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anwender jeden Einzelfall lösen können. „So wie zwei mal zwei notwendig vier ergibt, auch wenn man vorher die Vier nicht gekannt hat, sollte man nach exakter Feststellung der Begriffe und richtiger Rechenoperation auch zu neuen Rechtserkenntnissen vordringen können" 51 . Insofern hat die Denkweise der Begriffsjurisprudenz Ähnlichkeit mit dem etwas später einsetzenden Aufstieg des Strukturalismus Saussurescher Prägung 52 . Sowenig es diesem um die aktuelle Äußerung eines Sprechers zu tun war (allein die langue, die Struktur des Sprachsystems ist Gegenstand strukturalistischer Forschung), sowenig interessierte sich die Begriffsjurisprudenz für gesellschaftliche Wirklichkeit als Anwendungsgebiet der Normen. Der Rechtssatz sollte allein aus sich heraus, aus dem System der Begriffe zu- und untereinander, ausgelegt werden. Für beide - Strukturalismus und Begriffsjurisprudenz - existiert keine, jedenfalls nicht eine wissenschaftlich ausformulierbare, Beziehung von Sprache zu Welt. Derart besteht die Referenzproblematik allenfalls als Verweisungs- oder Bezeichnungszusammenhang von Sprach- respektive Rechtsbegriffen zu ebensolchen. Für den Strukturalismus ist die Sprache ein System von verschiedenartigen Zeichen und Verbindungsregeln, das als ganzes nicht beeinflußbar, weil geschlossen ist 53 . Struktur ist das Ordnungsprinzip, nach dem der Wortvorrat einer Sprache durch Unterscheidung und Verknüpfung gegliedert werden kann 54 . Innerhalb der Struktur befinden sich die Zeichen - wie in einem Kristallgitter - als System von Paaren der Bedeutung (signifié) und des Ausdrucks (signifiant). Hierbei ist jedem signifiant nur ein signifié nach einer festen und dauerhaften Regel zugeordnet, so daß man sagen kann, in diesem Kristallgitter seien die einzelnen Zeichen wie Teilchen an ihren Platz gebannt, was die Abgeschlossenheit und Kontrollierbarkeit des Systems garantieren soll 55 . Der Gedanke der Geschlossenheit des Sprachsystems, das jedem Signifikat einen ganz bestimmten Signifikanten zuordnet, taucht in ähnlicher Weise ebenfalls in der Begriffsjurisprudenz auf, soweit diese von der Möglichkeit eines in sich konsistenten Begriffssystems (oft in Form einer Begriffspyramide gedacht) ausgeht. Der Begriff erfüllt insofern nicht nur eine Bedeutungs-, sondern darüber hinausgehend eine zentrale Ordnungsfunktion 56 . Nun war es aber gerade dieses nicht einlösbare Postulat, an dem der klassische Positivismus praktisch scheitern mußte. Was - strukturalistisch gedacht - auf der 51 H. Hattenhauer, Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des deutschen Rechts, 3. Aufl. 1983, S. 191. 52 Z u einem solchen Vergleich tendiert ebenfalls F. Haft, Recht und Sprachtheorie, in: ARSP 1977, S. 27ff.,29. 53 H. E. Brekle (Anm. 36), S. 52. 54 M. Frank (Anm. 41), S. 34. 55 M. Frank, ebd., S. 35. 56 Darauf weist R. Christensen, Begriff, Begriffsbildung, in: Ergänzbares Lexikon des Rechts, Rechtsphilosophie, hrsgg. von N. Achterberg, S. 2 hin.
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Ebene der ,reinen 4 Sprache, der langue also, vielleicht noch vorstellbar wäre, ein System fester Bedeutungen und geschlossener Referenzregeln, war als theoretische Vorgabe in der praktischen Entscheidungstätigkeit nicht haltbar. Jeder neue zur Entscheidung anstehende Fall erfordert(e) eine neue Überprüfung der bisherigen Begriffsbestimmung des in Frage stehenden Ausdrucks aus dem Normtext. Der Verweis auf präjudizielle Gebrauchsweisen, gängige Definitionen, war und ist nicht selten nur Ausgangspunkt für die Abänderung (Reduktion/Erweiterung) solcher Referenzregeln. Die ständige Ausdifferenzierung des „materiellen Hochschullehrer"-Begriffs, dessen Konsistenz anläßlich jeder neuen Fallfrage einer harten Bewährungsprobe ausgesetzt wird und der hierbei mehr oder weniger in weit verzweigte Inhaltselemente zerfällt, wurde oben schon erläutert. Jüngstes Beispiel für dieses Dilemma ist die Entwicklung der Entscheidungspraxis - beginnend mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts, über den Bundesgerichtshof bis hin zum Bundesverfassungsgericht - zu dem in § 240 StGB enthaltenen und heftig umstrittenen ,Gewalt'Begriff 57 . Das BVerfG hat in dem genannten Urteil festgestellt, der „GewaltBegriff (sei) nicht völlig eindeutig und daher auslegungsfähig" (S. 46). Diese Auslegungsbedürftigkeit gesetzlicher Begriffe stellt nun aber das rechtstheoretische wie entscheidungspraktische Einfallstor in die Feste der Begriffsjurisprudenz dar. Der „sens clair", die eherne Zuordnung von Zeichen und Bedeutung, Begriff und Referent, verflüchtigt sich im Streit der Auslegungspotentialien. Nicht nur, daß „die Auslegung einer Gesetzesnorm . . . nicht immer auf die Dauer bei dem ihr zu ihrer Entstehungszeit beigelegten Sinn stehenbleiben (kann)". Zur Bestimmung der Begriffsbedeutung muß vielmehr die positivistische Schranke von Sein und Sollen dergestalt überschritten werden, daß die Wirklichkeitselemente des Sachverhalts, auf den der Rechtssatz referiert, in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden können. Der Normtext steht nämlich im Kontext der sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse, „ihr (der Normen, B. J.) Inhalt kann und muß sich unter Umständen mit ihnen wandeln" 58 . Demgegenüber war die referenztheoretische Vorstellung der Begriffsjurisprudenz, wie überhaupt des Positivismus, auf eine starre ,eins-zu-eins'-Beziehung der einzelnen Begriffselemente zu ihren jeweiligen Gegenstandsmerkmalen ausgerichtet 59. Die eindeutige Referenzbeziehung des Normtextes folgt danach aus der Kompetenz des Gesetzgebers, der (im Idealfall) die Begriffsmerkmale so auswählt, daß „der aus ihnen gebildete Begriff den von ihm gemeinten Sachverhalt deckt" 6 0 . Der Nutzen einer solchen merkmalsbestim57
BVerfG NJW 87, 43ff., m. w.N. 58 BVerfGE 34, 269, 288f. 59 Nach E. J. Lampe, Juristische Semantik, 1970, S. 22 schöpft der Rechtsbegriff seine Bedeutungskraft aus dem Prinzip der Eindeutigkeit, wonach ein Zeichen für einen Gegenstand steht. 60 K. Larenz (Anm. 2), S. 213.
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menden Begriffsbildung liege gerade darin, daß über die Kontrolle des Vorliegens der Merkmale eine oft eindeutige Entscheidung im Subsumtionsvorgang (ja/nein) getroffen werden könne, was wiederum der Rechtssicherheit diene 61 . Andererseits gibt auch Larenz zu bedenken, daß sich der Normtext zum Großteil aus Wortzeichen der Alltagssprache zusammensetzt, also anders als Logik oder einige Fachsprachen „keine in ihrem Umfang genau festgelegten Begriffe verwendet" (S. 298), besser: verwenden kann, da sich die Alltagssprache eben nicht begrifflich starr ordnen läßt. Selbst fest bestimmte Begriffe, z.B. im Rahmen von Legaldefinitionen oder spezifischen juristischen Termini, setzen sich oft aus Merkmalen zusammen, welche in ihrer sprachlichen Fassung (auch diese sind insofern Signifikanten, als sie auf weitergehende Signifikate referieren) „einer scharfen Begrenzung entbehren" 62 . Der Begriff ist von daher als abstraktes, zentrales Signifikat nicht seinsmächtig genug, feste Regeln seines Gebrauchs, die kontextunabhängig gelten sollen, vorzugeben. Um als Ordnungsfaktor zu funktionieren und in diesem Sinne den jeweiligen Normtext auf eine starre Regel seiner Auslegung festzuschreiben, muß der Begriff eindeutig sein. Das Prinzip der Eindeutigkeit „ist eine conditio sine qua non der Rechtssicherheit" 63 . Erst die inhaltliche Bestimmtheit eines Wortes sichere überhaupt die Möglichkeit des Verstehens 64. Aus dieser Prämisse zog schon Neumann-Duesberg den Schluß, die Rechtssprache sei „ohne Genauigkeit fast wertlos", weshalb die „vieldeutigen Wörter der Umgangssprache . . . zu eindeutigen der Wissenschaft präzisiert werden" müßten 65 . Ähnlich argumentiert Cattepoel, der zwischen bestimmten Rechtsbegriffen und unbestimmten Rechtsbegriffen unterscheidet. Bei ersteren sei der Inhalt genau definiert, bei letzteren demnach nicht 66 . Denn, „immer wenn von einem unbestimmten Rechtsbegriff die Rede ist, hat die Behörde oder das Gericht nicht genügend Merkmale gesammelt . . .", um die potentiell angeblich durchaus vorhandene und aus Gründen der Rechtssicherheit anstrebenswerte Bestimmbarkeit gleichwohl zu sichern 67 . Das juristische Begriffsdenken scheint von daher - das möchte ich als erstes Fazit der bisherigen Erörterung festhalten - insgesamt, d.h. in all seinen Variationen 68 von folgenden Grundthesen auszugehen. Verstehen und Inter« K. Larenz, ebd., S. 208. 62 K. Larenz, ebd., S. 298. 63 H. Hätz (Anm. 39), S. 94. 64 M. Kramm, Rechtsnorm und semantische Eindeutigkeit, 1970, S. 10. 65 H. Neumann-Duesberg, Sprache im Recht, 1949, S. 121. 66 J. Cattepoel, Der unbestimmte Rechtsbegriff als Problem der Rechtssprache, in: Rechtstheorie 1979, S. 231 ff., 231. 67 J. Cattepoel, ebd., S. 236. 68 Aus Platzgründen ist es mir verwehrt, auf die rechtstheoretisch geübte Kritik am strengen Subsumtionsdenken und dessen Begriffslehre einzugehen; vgl. dazu B. Jeand'Heur, Sprachliches Referenzverhalten bei der juristischen Entscheidungstätigkeit, im Erscheinen 1989.
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pretation von Normtexten kann nur im Wege einer merkmalsrealistischen Arbeitsweise funktionieren. D . h . , nur wenn man weiß auf welche Eigenschaften die Inhaltselemente von Sprachzeichen referieren, kann man den Text in zutreffender Weise interpretieren. Hierbei wird vorausgesetzt, daß bestimmte Merkmale wiederum nur auf bestimmte, einzelne Eigenschaften referieren und insofern eine semantische Identität des Referenten garantieren. Mittels einer Ausdifferenzierung der aus dem Referenzverhältnis ,Normtext - Sachverhalt' gewonnenen Merkmale soll es dann möglich sein, feste und sichere Gebrauchsregeln der Begriffe zu erhalten. Daraus ergeben sich zwei Fragen: 1. Ist das Vorliegen merkmalsrealistisch ausdefinierter Begriffe Verstehensvoraussetzung für Normtexte? 2. Inwiefern läßt sich ein Sprachzeichen überhaupt als Kombination (wesentlicher) Merkmale linguistisch rechtfertigen 4 , oder anders formuliert: Ist Referieren nur als Bezugnahme von Sprachzeichen auf Sachverhaltsmerkmale denkbar?
I I . Geschlossener Begriff, gesicherte Eigenschaftszuweisungen: Verstehensvoraussetzungen? Eine Kritik an merkmalsrealistischen Vorstellungen Bevor die zuletzt genannten Fragen einer Antwort nähergebracht werden sollen, möchte ich noch eine Bemerkung zum Stellenwert der mit ihnen angesprochenen Problematik hinzufügen. Wir müssen hierzu an die Ausführungen zu Beginn der Untersuchung erinnern. Dort war Rechtsanwendung jeglicher Art als ein normtextgebundenes Verfahren charakterisiert worden. In der Problemgeschichte juristischer Auslegungsverfahren war es entsprechend auch meist die ,Norm' und weniger der Rechtsanwender - dieser zumal nur als „Mund des Gesetzes" - , der man in der Diskussion Aufmerksamkeit zukommen ließ. Häufig ging es dabei um den Entwurf von Interpretationskonzeptionen, welche darauf abzielten, feste und sichere Regeln der Rechtsanwendung herauszuarbeiten. Demnach bestünde der erstrebenswerte Idealzustand in der Erstellung eines Kernbestands von - als gesichert betrachteten - Referenzregeln, aus dem die Anwendung des Rechtssatzes auf den Sachverhalt erfolgen könnte. Die merkmalsrealistische Begriffsinterpretation verkörpert in diesem Sinne den exponiertesten Versuch, Rechtsan wendung in Kategorien eines geschlossenen Systems zu denken. Dieser Versuch scheint aus zwei Gründen fehlzuschlagen. Zum einen lassen sich merkmalsdifferenzierende Bedeutungsbestimmungen nicht in abschließbarer Weise festsetzen. Die Kritik an der strukturalistischen Sprachtheorie hat deutlich gemacht, daß das Sprachsystem ebenso wie jede Textinterpretation nicht als geschlossen betrachtet werden
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kann, „sondern durch jede Interpretation kann das vorhandene Zeichenmaterial neu und anders differenziert werden" 69 . Andererseits: Wenn feste Referenzregeln schon nicht aus der sprachinternen Struktur des Zeichens bzw. des Sprachsystems (langue) ableitbar sind, besteht dann nicht wenigstens im Wege des Auffindens von außersprachlichen Eigenschaften, auf die das Zeichen angeblich Bezug nimmt, die Aussicht, gesicherte Regeln des Sprachgebrauchs festzustellen - oder festzusetzen? Ich möchte das - im Vorgriff auf die folgenden Erwägungen - verneinen und hiermit zu den gegen Schluß des ersten Kapitels genannten Fragen kommen. Kripke, an dessen Ausführungen ich mich orientieren werde 70 , hat sich mit solchen und ähnlichen Fragestellungen beschäftigt. Insbesondere in Auseinandersetzung mit einigen von Russell und Frege vertretenen Positionen hat er untersucht, welche Beziehungen zwischen Namen und Beschreibungen bestehen 7 !. Eine verbreitete, sozusagen alltägliche Auffassung geht gewöhnlich davon aus, der Name sei eine beschreibende, abkürzende Kennzeichnung all derjenigen Eigenschaften oder Merkmale desjenigen Gegenstandes, auf den er bei richtiger Verwendung (als einziger) zutrifft. Diese Vorstellung liegt auch der juristischen Referenztheorie implizit zugrunde. Wie wir mehrfach sehen konnten, besteht in Rechtsprechung und herrschender Literaturmeinung grundsätzlich Übereinkunft darüber, wann man von einem geglückten Referenzakt sprechen darf. Demnach „trifft" der Normtext dann auf den Sachverhalt zu (oder anders formuliert: Die Sprachzeichen des Normtextes werden dann richtig verwandt), wenn er (bzw. sie) die wesentlichen Eigenschaften der Sachverhaltsgegenstände, als deren sprachlich-verkürzte Umschreibung er (bzw. sie) verstanden werden, im zu entscheidenden Fall vorfindet. Wie erörtert, ist hierbei der Rechtsbegriff das hinzuzudenkende bedeutungstragende Zwi-
69 R. Christensen (Anm. 1). Ich möchte zu diesem Problembereich hier keine weiteren Ausführungen anfügen und allgemein auf die dortige Darstellung verweisen. 70 S. A. Kripke , Name und Notwendigkeit, deutsch 1981. 71 Vgl. dazu auch die Darstellung in E. Tugendhat / U. Wolff, Logisch-semantische Propädeutik, 1983, S. 161 ff. oder R. Wimmer (Anm. 6), S. llOff. Zwar gebraucht Kripke das Zeichen ,Name' nur im Sinne von Eigennamen wie beispielsweise den Namen einer Stadt oder einer Person usw. (5. A. Kripke (Anm. 70)), also im Sinne solcher Ausdrücke, die wir gewöhnlich als Eigennamen bezeichnen, doch bezieht er seine Forschungsergebnisse weitgehend auch auf Speziesausdrücke oder allgemeine Termini (z.B. ,Gold',,Wasser 4 u. ä.), so daß man die von ihm entwickelte Namen-Theorie wohl für einen Großteil sprachlicher Ausdrücke verwenden kann, soweit diese auf Gegenstände referieren können. Da Kripkes Auffassungen einem breiteren juristisch interessierten Publikum bislang und soweit ersichtlich eher unbekannt sein dürften, möchte ich die Gelegenheit nutzen, diese im Rahmen meiner Kommentierung etwas ausführlicher darzustellen.
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schenglied, über welches das Zeichen seinen Referenten zu finden vermag. Diese Auffassung setzt auf den ersten Blick drei Prämissen voraus: 1. Das Zeichen referiert als Name, Speziesausdruck oder genereller Terminus kontext- und sprecherunabhängig von sich aus auf den Sachverhalt. 2. Das Referenzobjekt, der Gegenstand hat einen bestimmten deskriptiven Gehalt, der sich als eine begrenzte Anzahl von Eigenschaften feststellen läßt; man könnte auch sagen: der jeweilige deskriptive Gehalt an spezifischen Eigenschaften trifft immer nur auf einen Referenten zu, auf den das Zeichen einzigartig Bezug nimmt. 3. Das Zeichen bildet diese Eigenschaften in Form von begrifflich fixierten Inhaltselementen ab. Wir wollen uns hauptsächlich mit der zweiten Prämisse beschäftigen 72. Soweit die Annahme, das Sprachzeichen referiere auf eine sicher angebbare Eigenschaftsmenge, im Sinne von Wahr/Falsch-Bedingungen, in der Traditionsgeschichte logischer Bedeutungskonzeptionen verankert ist, besteht eine Schwachstelle dieser Argumentation darin, daß sie die Ungenauigkeiten der Alltagssprache nicht hinreichend in ihre Theorie einarbeiten kann 73 . A n anderer Stelle - in diesem Band - wurde neben der Logikresistenz natürlicher Sprachen ebenfalls erwogen, die Logik könne möglicherweise Wahrheitsbedingungen, nicht aber Verstehensbedingungen für das Funktionieren von Sprache und Sprechen angeben74. Zudem wird gerade aus der oft zitierten „Unschärfe juristischer Begriffe" 75 die spezifische Untauglichkeit der logischen Begriffslehre zur Lösung juristischer Auslegungs- und Rechtsanwendungsfragen gefolgert. Das komplizierte Referenzverhältnis von Normtext und Sachverhalt 72 Die erste Prämisse widerspricht der in der Untersuchung verwendeten Referenzdefinition (Kap. I . I . ) , nach der Referieren als situationsabhängiger Sprechakt verstanden wird. Die dritte Prämisse ist im Zusammenhang mit einigen weiteren sprachphilosophischen Thesen, insbesondere zur Abbild-Theorie, zu lesen. Auf 1. komme ich im Laufe dieses Abschnittes immer wieder zurück; zu 3. vgl. B. Jeand'Heur (Anm. 68). 73 Auf dieses Problem hat im übrigen schon G. Frege , Über Sinn und Bedeutung, in: ders., Funktion, Begriff, Bedeutung, hrsgg. von G. Patzig, 4. Aufl. 1975, S. 44ff., 42 Anm. 2 hingewiesen. Er schildert folgendes Beispiel: „Bei einem eigentlichen Eigennamen wie »Aristoteles 4 können freilich die Meinungen über den Sinn (Frege benutzt eine abweichende Terminologie, was er ,Sinn' nennt, wird herkömmlich als ,Bedeutung' bezeichnet; B. J.) auseinandergehen. Man könnte z.B. als solches annehmen: Der Schüler Piatos und Lehrer Alexander des Großen. Wer dies tut, wird mit dem Satze ,Aristoteles war aus Stagira gebürtig' einen anderen Sinn verbinden als einer, der als Sinn dieses Namens annähme: Der aus Stagira gebürtige Lehrer Alexanders des Großen. Solange nur die Bedeutung (gemeinhin »Bezeichnung4 genannt; B. J.) dieselbe bleibt, lassen sich diese Schwankungen des Sinnes ertragen, wiewohl auch sie in dem Lehrgebäude einer beweisenden Wissenschaft zu vermeiden sind und in einer vollkommenen Sprache nicht vorkommen dürften." 74 D. Busse (Anm. 5). 75 P. Schiffauer, Wortbedeutung und Rechtserkenntnis, 1979, S. 76; s. dazu auch /. Simon, Sprachphilosophische Alternative, in: ARSP 1977, Beiheft 9, S. Iff., 4.
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- so wird gewöhnlich argumentiert - könne nicht in Kategorien von Wahr/ Falsch-Relationen beschrieben werden. Dagegen wurde hervorgehoben, die Vielfalt der SachVerhaltswirklichkeiten erfordere je mehrere, variante Eigenschaf tsbezeichnungen. Der Gegenstand, auf den ein Normtext referiere, sollte mithin als Kombination unterschiedlicher Eigenschaften definierbar sein, die sich gleichwohl um einige wenige, notwendige begriffskonstituierende Merkmale ranken sollten. Der Vorteil dieser Referenzauffassung besteht sicherlich darin, daß sie die Ungenauigkeit, den stetigen Wandel der Alltagssprache plausibler verarbeiten kann als eine auf logische Präzision ausgerichtete Wahr/ Falsch-Analyse, welche vorgibt, den Begriff des Sprachzeichens durch eine einzelne Beschreibung festlegen zu können. In gewissem Sinne ließe sich vielleicht behaupten, diese Sichtweise sei mit der Kritik Strawsons an Russell und Frege vergleichbar. Zumindest hinsichtlich des Zielpunktes besteht Übereinstimmung, da auch Strawson der Meinung ist, ein Name sei nicht eine einzige verkleidete Beschreibung des Gegenstandes, sondern er kürze vielmehr ein bestimmtes Bündel von Beschreibungen 1. entweder ab, oder 2. sein Referenzgegenstand sei mindestens durch ein derartiges Bündel bestimmbar 76 . Die zweite Art, die Theorie des ,Bündelbegriffs' zu betrachten, ist für unser Referenzverständnis (Referieren als Sprechakt, s. o. 1.1.) besonders interessant. In ihr rückt der Sprecher als aktives, referenzbestimmendes Moment, der festlegt, worauf er mittels Merkmalsbeschreibungen Bezug nimmt, in den Vordergrund, während die erste Ansicht noch davon auszugehen scheint, daß das Zeichen selbst, von sich aus nicht nur eine Beschreibung angeben könne, sondern es diese Beschreibung - in einem Synonymverhältnis - gleichsam selbst sei. Zur Klärung der Frage, ob Verstehen nur im Sinne einer merkmalsrealistischen Relation von Zeichen und Welt möglich ist, möchte ich nunmehr einige Thesen nennen, die ein Referenzverständnis voraussetzen muß, das - wie die herkömmliche juristische Vorstellung - davon ausgeht, der Name, das sprachliche Zeichen, sei eine Beschreibung verschiedenartiger Eigenschaften des Referenzobjektes 77: Danach entspricht 1. jedem Namen (jedem Speziesbegriff oder jedem generellen Terminus) ,X' ein Bündel von Eigenschaften, also eine Eigenschaftsfamilie F, für die gilt: Der Sprecher S meint ,FX' 7 8 . 76
P. F. Strawson , Individuals, London 1959, Kap. 6; S. A. Kripke (Anm. 70), S. 41,
73. 77
Vgl. S. A. Kripke , ebd., S. 85. S. A. Kripke , ebd., S. 77 sagt, These 1 könne schon deshalb nicht wahr sein, da es sich hierbei um eine Definition handeln könnte. Im Bereich der Rechtswissenschaft kommen solche direkten Referenzfestlegungen häufig in Form von Legaldefinitionen vor. So bestimmt beispielsweise der Gesetzgeber in § 35 VwVfG, welches Bündel von Eigenschaften irgendeine Handlung, Tätigkeit etc. erfüllen muß, um mit dem Namen ,Verwaltungsakt' bezeichnet werden zu können: „Verwaltungsakt ist jede Verfügung, 78
Der Normtext: Über das Suchen und Finden von B e g r i f f s m e r k m a l e n 1 7 3 2. S meint, wenn er ein Sprachzeichen gebrauche, dann nehme dieses auf eine der Eigenschaften bzw. einige der M e r k m a l e Bezug, die zusammen ein bestimmtes u n d individuelles Referenzobjekt X als einziges herausgreifen, woraus weiterhin folge, Verstehen sei zwingend an den Vorgang einer einzigartigen Merkmalszuschreibung gebunden. 3. W e n n ein einziger Gegenstand X die meisten oder eine ausschlaggebende Menge der Familieneigenschaften F enthält, dann ist er das Referenzobjekt von ,X'. These 3 meint jedoch nicht, daß der Referent v o n , X ' alle Inhaltselemente des Zeichens , X ' erfüllen müsse; ausreichend sei schon eine genügende A n z a h l v o n Eigenschaften, woraus K r i p k e schließt, S könne sich also durchaus über einige Merkmalsreferenten i n bezug auf , X ' irren, wenn er nur dessen wichtige Eigenschaften richtig bestimme. Das impliziert m i t h i n eine gewisse Gewichtung von Eigenschaften, eine Graduierung wesentlicher u n d unwesentlicher M e r k m a l e 7 9 . 4. Existiert k e i n einziger Gegenstand, auf den die Inhaltsmerkmale v o n , X ' als Referenzmerkmale zutreffen, dann referiert , X ' nicht. 5. D i e Aussage „ W e n n X existiert, dann hat X die meisten der F's" drückt eine notwendige W a h r h e i t aus ( i m I d i o l e k t des Sprechers) 8 0 . Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist." Obgleich die Definition eindeutig scheint, beginnen die Schwierigkeiten ihrer Anwendung stets von neuem in der Entscheidungspraxis: Was nämlich ist eine ,Regelung4, welche Eigenschaften muß eine hoheitliche Maßnahme' enthalten, um als solche bezeichnet zu werden? Vgl. dazu nur die einschlägige Kommentierung von § 35 VwVfG in den Kommentaren von Kopp, EyermannFröhler u.a. Insgesamt ist die genannte Vorschrift ein gutes Beispiel dafür, wie ein Signifikant ,Verwaltungsakt' mittels Merkmalsbeschreibung auf sein Signifikat, den ,Begriff des Verwaltungsaktes 4 (so die Überschrift des § 35 VwVfG) verweist, wobei sich dieses Signifikat wiederum nur als Kombination von Signifikanten ,Regelung', ,Einzelfair etc. zusammensetzt, die auf weiterführende Signifikate verweisen usw. Nicht nur Legaldefinitionen wären im Zusammenhang mit These 1 zu nennen. In der richterlichen Rechtsauslegung haben sich stets verfestigte Usualinterpretationen, Gewohnheitsrecht u.ä. herausgebildet; zur Kritik dieser zuweilen contra legem getroffenen Entscheidungspraxis im Falle des Richterrechts s. F. Müller, ,Richterrecht' - Elemente einer Verfassungstheorie I V , 1986. 79 S. A. Kripke, ebd., S. 78, zieht folgenden Vergleich: „Man kann die Eigenschaften als Mitglieder einer Körperschaft betrachten. Einige haben mehr Kapital als andere, und manche haben vielleicht nur nicht-stimmberechtigtes Kapital 44 , soweit sie für die Referenzbestimmung irrelevant sind. 80 S. A. Kripke, ebd., S. 78, erwähnt nicht eine weitere These: „Die Aussage ,Wenn X existiert, dann hat X die meisten der F's 4 , weiß der Sprecher S a priori 4 . 44 Da diese Behauptung für den Gang unserer Untersuchung nicht relevant ist, sei hierzu nur folgendes bemerkt: Selbst wenn sich herausstellen sollte, daß in einem Einzelfall die Thesen 3 und 4 zufällig wahr sind, ist jedenfalls nicht erkennbar, wieso und aufgrund welcher Umstände ein Sprecher dies a priori wissen könnte (S. A. Kripke, ebd., S. 102ff.; zum Gebrauch von ,a priori 4 vgl. ders., ebd., S. 44f.).
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Nur wenn die Thesen 2 - 5 einer Überprüfung standhalten, können wir uns mit Rechtsprechung und genanntem Schrifttum berechtigte Hoffnungen machen, aus einer merkmalsrealistischen Sachverhaltsbeschreibung feste, invariante Referenzregeln für die juristische Normtextinterpretation abzuleiten. Beginnen möchte ich mit These 5, da sie die weitestgehende Begründungslast enthält. Sie behauptet nämlich nicht nur, ein Referenzgegenstand existiere nur dann, wenn er die meisten Eigenschaften besitze, auf die die Inhaltsmerkmale des Namens (Zeichens) Bezug nehmen. Vielmehr geht These 5 weiter, indem sie diese Aussage als notwendige Wahrheit apostrophiert. Es stellt sich demnach zunächst die Frage, wann man von einer notwendigen Wahrheit sprechen kann. Kripke schlägt - in Abgrenzung zum Ausdruck ,a priori', den er als erkenntnistheoretischen Begriff gebrauchen möchte 81 - vor, in bezug auf einen Sachverhalt nur dann von Notwendigkeit zu sprechen, wenn eine Eigenschaftsbeschreibung nicht nur in einer möglichen Welt, sondern in allen möglichen Welten zutreffend ist. Eine mögliche Welt ist in diesem Verständnis kein fernes Land, „auf das wir stoßen oder das wir durch ein Fernrohr betrachten (. . .). Eine mögliche Welt ist gegeben durch die deskriptiven Bedingungen, die wir mit ihr verbinden (. . .)" 8 2 . Man könnte auch formulieren: Eine Aussage drückt dann eine notwendige Wahrheit aus, wenn ihr Referenzpotential (d.h. das Ensemble der mit ihr bezeichneten Eigenschaften) in allen „kontrafaktischen Situationen" oder „in allen möglichen Zuständen der Welt" identisch ist 83 . Nun sei es aber denkbar - fährt Kripke fort - , daß beispielsweise der Name Aristoteles von verschiedenen Sprechern in unterschiedlichen Welten, Situationen oder Kontexten auf verschiedene Eigenschaften referiere, möglicherweise auf „der Lehrer Alexanders" oder auf „der Schüler Piatos". Wenn sich diese Eigenschaften in den jeweiligen Welten ausschließen sollten, inwiefern kann man dann jede einzelne von ihnen noch als notwendige Wahrheit bezeichnen? Andererseits könnte man argumentieren, diese Beschreibungen von »Aristoteles' enthielten zwar jede für sich keine notwendige Wahrheit, bei ihrem kumulativen Vorliegen sei dies aber gleichwohl der Fall. Dies wäre jedoch nur dann schlüssig, wenn Aristoteles die ihm zugeschriebenen Eigen81 S. A. Kripke , ebd., S. 44f. S. A. Kripke, ebd., S. 54 und auf der gleichen Seite: „Mögliche Welten werden festgesetzt (stipulated), und nicht durch starke Fernrohre entdeckt; die Hervorhebungen befinden sich im Original. 83 Vgl. S. A. Kripke, ebd., S. 58 unter Bezugnahme auf Michael Slote; mit dieser Aussage wird noch nicht behauptet, ein Gegenstand müsse selbst notwendige Eigenschaften im Sinne von wesentlichen Merkmalen besitzen. Ferner ist noch nichts darüber ausgesagt, ob dieser Gegenstand nur mit Hilfe solcher charakteristischer Eigenschaften in der wirklichen Welt identifizierbar ist, ob also Sprechen bzw. Verstehen nur im Wege des Referierens auf derartige Merkmale gelingen kann; dazu gleich. 82
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Schäften (Lehrer Alexanders und Schüler Piatos) notwendigerweise, in einem deterministischen Sinne besitzt. Dann wäre es notwendig gewesen, daß Aristoteles, sobald er einmal geboren wurde, dazu bestimmt war, diese Aufgabe zu erfüllen, so daß diese gleichsam zu seinem Wesen zu zählen wären. Das erscheint aber nicht richtig. Wir könnten nämlich mit dem Zeichen ,Aristoteles4 auf den Menschen Aristoteles referieren, ohne zu wissen, daß Aristoteles eine der beiden Aufgaben (Schüler Piatos, Lehrer Alexanders) wahrgenommen hat. Vielleicht irren wir uns auch über diese Zuschreibungen, vielleicht stellt sich demnächst heraus, daß Aristoteles nie diese Funktionen ausgeübt hat. Möglicherweise war alles Legende. Selbst wenn also Aristoteles nie eine der ihm zugesprochenen Leistungen vollbracht hätte, diese also nicht notwendig in obigem Sinne wären, so können wir doch zweifelsohne mit dem Zeichen ,Aristoteles 4 auf Aristoteles Bezug nehmen und uns in der Kommunikation über diesen Referenten verstehen. Wir referieren also auf Eigenschaften, die in unserer gegebenen Kommunikationssituation (Welt) bezüglich , Aristoteles 4 häufig als notwendig wahr angesehen werden, die sich aber - bei einem Perspektivenwechsel in eine andere Welt, und sei es lediglich im Gefolge des Fortschritts der Geschichtswissenschaften - eben als falsch herauskristallisieren könnten. Kripke nennt auf S. 89 noch ein weiteres Beispiel: „Wenn ich den Namen Hitler höre, bekomme ich in der Tat ein täuschendes ,Gefühl im Bauch', daß es irgendwie analytisch ist, daß dieser Mensch böse war. Aber in Wirklichkeit ist es wahrscheinlich nicht analytisch. Hitler hätte sein ganzes Leben ruhig in Linz verbringen können. In diesem Fall würden wir nicht sagen, daß dieser Mann dann nicht Hitler gewesen wäre, denn wir gebrauchen den Namen ,Hitler' gerade als den Namen jenes Mannes, selbst wenn wir andere mögliche Welten beschreiben (. . .). Angenommen wir beschließen tatsächlich die Referenz des Namens ,Hitler' dadurch herauszugreifen, daß sie der Mann ist, der mehr Juden getötet hat als es je irgendjemand in der Geschichte getan hat. Auf diese Weise greifen wir also die Referenz des Namens heraus. Doch würden wir in einer anderen kontrafaktischen Situation, in der jemand anderes diesen schlechten Ruf besäße, nicht sagen, daß in jener Situation jener andere Mann Hitler gewesen wäre. Wenn Hitler nie an die Macht gekommen wäre, hätte Hitler nicht die Eigenschaft gehabt, mit der wir, wie ich annahm, die Referenz seines Namens festlegen."
Die Frage, welche Eigenschaften, die wir einem Referenzobjekt zulegen, als notwendig oder wesentlich anzusehen sind, ist daher komplexer als man gemeinhin vermuten würde. Es mag sein, daß für einen bestimmten Sprecher die Eigenschaft des Aristoteles, Schüler Piatos gewesen zu sein (wenn er es denn war?!), das wichtigste Merkmal ist, auf das der Name »Aristoteles 4 referiert; doch könnte diese Eigenschaft möglicherweise überhaupt nicht zutreffen oder für einen anderen Sprecher nur eine kontingente Beschreibung von , Aristoteles4 darstellen. Dennoch würden sich beide Sprecher verstehen, sie würden gleichermaßen auf denselben Mann Bezug nehmen. Insofern ist Kripke zuzustimmen, wenn er ausführt, daß „wichtige Eigenschaften eines Gegenstandes keine wesentlichen zu sein (brauchen), es sei denn, man verwendet
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den Ausdruck »Wichtigkeit4 synonym mit dem Ausdruck »Wesen4; und ein Gegenstand hätte Eigenschaften haben können, die ganz verschieden von seinen hervorstechendsten wirklichen Eigenschaften oder von denjenigen Eigenschaften sind, mittels derer wir den Gegenstand identifizieren 4484 . Beim Gebrauch von Eigennamen ist es demnach möglich, daß sich die an einer Kommunikation Beteiligten untereinander verstehen (sie wissen, auf wen sie sich beziehen, wen sie meinen), ohne daß auch nur einer von ihnen mit dem Sprachzeichen dieselben Merkmalsbeschreibungen verbindet wie irgendein anderer Beteiligter 85 , selbst wenn sich also jeder der Kommunikationspartner bezüglich der Eigenschaftsbeschreibung des Namensträgers in einer jeweils unterschiedlichen möglichen Welt befindet. Insofern läßt sich sagen, ein Eigenname ist ein Ausdruck, mit dem sich Sprachteilhaber in allen möglichen Welten auf ein und denselben Gegenstand beziehen können 86 . Kripke nennt einen solch grenzüberschreitenden Ausdruck einen ,festen Designator 4 (rigid designator) 87 . Diese Fähigkeit eines festen Designators (eigentlich müßte es heißen: die Möglichkeit eines Sprechers, mit Hilfe eines festen Designators zu referieren) rührt meines Erachtens nun gerade daher, daß er ohne Bezugnahme auf irgendwelche Eigenschaften verwendet werden kann. Das könnte aber bei generellen Termini, Stoff ausdrücken u.ä. nicht der Fall sein. In Normtexten haben wir es weniger mit Eigennamen 88 als vielmehr mit generellen Termini, Art- und Stoffbezeichnungen usw. zu tun. Es fragt sich mithin, ob solche Ausdrücke gleichfalls als feste Designatoren verwendbar sind bzw., inwiefern jedenfalls bei ihnen auf Merkmalsbeschreibungen zurückgegriffen werden muß. Anders als bei einem Eigennamen (beispielsweise »Aristoteles 4) können wir mit einem Gattungsausdruck wie ,Gold4 nur dann übereinstimmende Referenzakte vornehmen, wenn wir - die Sprachteilhaber sowohl dieser als aller möglichen Welten - wissen oder uns darüber einigen, welche Merkmale wir einer Substanz zuschreiben wollen, die wir mit dem Ausdruck ,Gold 4 bezeichnen werden. Wir könnten beispielsweise festlegen: Gold hat die Eigenschaften ,chemisches Element 4 , ,Metall 4 , ,Atomgewicht 197,24, ,gelb 489 . Problematisch scheint mir anläßlich des Gebrauchs solcher Definitionen zunächst zu sein, inwiefern sie als eine Zusammenstellung notwendiger oder lediglich kontingenter Eigenschaften anzusehen sind. Die Erörterung dieser Problematik ist meines Erachtens nicht nur in bezug auf These 5 wichtig - also 84
5. A. Kripke , ebd., S. 91. So auch R. Wimmer (Anm. 6), S. 127. 86 R. Wimmer, ebd., S. 118. 87 S. A. Kripke (Anm. 70), S. 59. 88 Es gibt Ausnahmen, vgl. z.B. Art. 20 Abs. 1 GG: „Die Bundesrepublik Deutschland ist . . .". 89 Diese Beschreibung findet sich bei R. Wimmer (Anm. 6), S. 124. 85
Der Normtext: Über das Suchen und Finden von B e g r i f f s m e r k m a l e n 1 7 7 hinsichtlich der M ö g l i c h k e i t des Vorliegens notwendiger Wahrheiten - , sondern sie ist w o h l v o n zentraler Bedeutung für die Behandlung der Frage nach der Rolle des Sprechers; i n diesem Sinne könnte ihre Beantwortung uns auch bei der Überprüfung der rechtspositivistischen A n n a h m e , Rechtsanwendung sei als A u f f i n d e n v o n begriffsnotwendigen M e r k m a l e n beschreibbar, weiterhelfen. Gemäß dem zuvor eingeführten Gebrauch v o n ,notwendig 4 müßten die einzelnen M e r k m a l e obiger D e f i n i t i o n i n allen möglichen W e l t e n auf den Referenten v o n , G o l d ' zutreffen. Bekanntlich k a n n n u n G o l d anstatt ,gelb' auch die Farbeigenschaften weißlich, rot oder rötlich besitzen. K r i p k e hat noch eine andere Idee. E r stellt sogar die grundsätzliche M ö g l i c h k e i t des Gelbseins v o n G o l d m i t folgender Überlegung i n Frage: „Könnten wir entdecken, daß Gold in Wirklichkeit nicht gelb war? Angenommen es würde eine optische Täuschung vorherrschen aufgrund von besonderen Eigenschaften der Atmosphäre in Südafrika und Rußland und bestimmten anderen Gebieten, in denen es viele Goldminen gibt. Angenommen es würde eine optische Täuschung bestehen, die die Substanz gelb erscheinen ließe; tatsächlich jedoch würden wir, sobald die besonderen Eigenschaften der Atmosphäre beseitigt wären, sehen, daß die Substanz in Wirklichkeit blau ist. Vielleicht hat sogar ein Dämon das Sehvermögen all derer verdorben, die die Goldminen betraten (ihre Seelen waren offensichtlich bereits verdorben), und veranlaßte sie dadurch zu der Meinung, diese Substanz sei gelb, obwohl sie es nicht ist. Würde auf dieser Grundlage eine Meldung in den Zeitungen erscheinen: ,Es hat sich herausgestellt, daß es kein Gold gibt. Gold existiert nicht. Was wir für Gold hielten, ist nicht wirklich Gold. 4 ? Stellen Sie sich nur einmal die weltweite Finanzkrise vor, die unter diesen Bedingungen entstehen würde! Hier haben wir eine Ursache für die Labilität des Geldsystems, von der niemand etwas geahnt hat. Es scheint mir, daß keine solche Meldung erscheinen würde. Im Gegenteil: Was gemeldet werden würde, ist, daß es zwar den Anschein gehabt habe, daß Gold gelb sei, daß es sich herausgestellt habe, daß Gold in Wirklichkeit nicht gelb, sondern blau ist"». B e i dem M e r k m a l ,gelb' handelt es sich m i t h i n u m keine notwendige Eigenschaft v o n G o l d , auf die das Zeichen , G o l d ' i m Sinne einer notwendigen Wahrheit referieren müßte. W i e ist das zu erklären? ,Gold' ist i m Gegensatz zu etwa A r i s t o t e l e s 4 ein Stoffterminus, der eine bestimmte Art v o n D i n g e n bezeichnen soll. H ö r e n w i r , welchen Schluß K r i p k e aus diesem U m s t a n d zieht: „Andere haben diese A r t von Ding entdeckt, und wir haben davon gehört. Wir haben somit als Mitglieder einer Sprechergemeinschaft eine bestimmte Verknüpfung zwischen uns und einer bestimmten A r t von Gegenstand. Wir denken, daß die A r t von Ding bestimmte identifizierende Merkmale hat. Einige dieser Merkmale treffen vielleicht nicht wirklich auf Gold zu. Wir könnten entdecken, daß wir uns hinsichtlich » S. A. Kripke (Anm. 70), S. 136. 12 F. Müller, Linguistik
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dieser Merkmale irren. Es könnte weiterhin sein, daß es eine Substanz gibt, welche alle identifizierenden Merkmale besitzt, die wir gewöhnlich dem Gold zuschrieben und mittels deren wir es zunächst identifizierten, die jedoch nicht dieselbe A r t von Ding ist, die nicht dieselbe Substanz ist. Wir würden von einem solchen Ding sagen, daß es zwar alle die Erscheinungsweisen hat, mit denen wir ursprünglich Gold identifizierten, daß es aber dennoch nicht Gold ist. Ein solches Ding ist z.B., wie wir durchaus wissen, Eisenkies oder Narrengold" 91 .
Der Vorgang einer Artbenennung mittels eines allgemeinen Stoffterminus läßt sich danach - etwas verkürzt - wie folgt darstellen: Ein Gegenstand wird ,entdeckt4 (durchaus reell, aber auch im metaphorischen Sinn, in dem ein Sprecher in einem bestimmten Kontext auf ihn zum ersten Mal Bezug nimmt), indem ein Sprachzeichen für ihn eingeführt wird, mit dem wir, die Sprechergemeinschaft, bestimmte Vorstellungen hinsichtlich des Eigenschaftspotentials verbinden, auf das das Zeichen referiert. Einige dieser Eigenschaften, z.B. das Gelbsein von Gold, können sich als nur kontingente Merkmale herausstellen. Zu fragen wäre jedoch grundsätzlicher, ob es überhaupt notwendige Eigenschaften eines derartigen Referenzobjekts wie Gold gibt? Hier wäre möglicherweise an die Merkmale ,chemisches Element 4 , ,Atomgewicht 197,2' oder ,Metall 4 zu denken. Die zuletzt genannten Eigenschaften beziehen sich nicht auf Oberflächeneigenschaften von Gold, sondern auf gewisse Substanzmerkmale. So hat die fachwissenschaftliche Praxis terminologisch beispielsweise festgelegt, der Ausdruck ,Gold 4 referiere auf ein Metall mit der Ordnungszahl 79. Handelt es sich bei dieser Eigenschaft um eine kontingente oder notwendige Beschreibungsweise? Man könnte sicherlich argumentieren, die Wissenschaftler hätten sich hinsichtlich der Verortung von Gold im System der Ordnungszahlen geirrt, oder gar feststellen, daß dieses ganze System auf unzutreffenden Voraussetzungen fußt. In diesem Sinne könnte man demnach tatsächlich herausfinden, daß Gold nicht die Ordnungszahl 79 hat. Das ist jedoch nicht entscheidend. Wir müssen davon ausgehen, daß die Wissenschaftler in unserer Welt einer Substanz mit der genannten Ordnungszahl den Namen ,Gold 4 zuerkannt haben. In einer anderen möglichen Welt mag es blaue, grüne oder andersfarbige Objekte geben, die - gleich von welcher Oberflächenstruktur - immer dann ,Gold 4 genannt werden sollten, wenn sie jedenfalls das Merkmal ,Ordnungszahl 794 ihr eigen nennen. Die umgekehrte Argumentation ist gleichwohl nicht zulässig: Denn selbst wenn in einer anderen Welt ein Element existieren würde, das die gleiche Oberflächenstruktur von Gold aufweisen könnte, so würden wir - also die Sprechergemeinschaft, innerhalb der die Wissenschaftler ihre Definition getroffen haben - diese Substanz nicht ,Gold 4 nennen, soweit sie nicht mit der Ordnungszahl 79 ausgestattet wäre. Daraus folgt, daß es durchaus notwendige Merkmale bei Gattungsbegriffen geben kann, die keine kontingenten, sondern, man könnte auch sagen, wesentliche Eigenschaftsbeschreibungen ausdrücken 92. So weit ange91
S. A. Kripke , ebd., S. 136f.; die Hervorhebung ist im Original vorhanden.
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langt, drängt sich die nächste Frage dieses Problembereichs nahezu auf: Gründet die Unterscheidung in notwendige und kontingente Eigenschaften in diesen selbst, in deren Struktur oder vielleicht im Referenzgegenstand, der sich aus ihnen zusammensetzt? Davon, so hat es jedenfalls den Anschein, müßten Rechtsprechung und herrschende Auffassung in der juristischen Literatur jedenfalls ausgehen. Ohne hier näher auf die mit diesem Umfeld eng verwandten philosophischen Fragen nach der ontologischen Qualität von Gegenständen (oder deren Zusammensetzung aus essentiellen Eigenschaften etc.) eingehen zu müssen93, können wir das Problem allein schon aus den bisherigen linguistischen Überlegungen lösen. Ich hatte mit Kripke und Wimmer angenommen, daß wir mittels Sprachzeichen auf einen Gegenstand referieren, indem wir auf bestimmte Eigenschaften dieses Referenzobjektes Bezug nehmen, diese also sprachlich festsetzen (selbst dann festsetzen können, wenn wir uns, wie gesehen, über deren Vorliegen irren) 94 und sie entsprechend in die Gebrauchsweise der Sprechergemeinschaft einführen bzw. am Leben erhalten. Es mag nun sein, daß sich im Laufe der. Zeit einzelne dieser Eigenschaften für bestimmte Sprecher oder auch für die Sprechergemeinschaft als besonders wichtig herausstellen, daß man also auf sie in notwendiger Weise (im Sinne des oben eingeführten Gebrauchs von ,notwendig 4 , also in allen möglichen kontrafaktischen Situationen) referiert. Gleichwohl bleibt jedoch zu beachten, daß es sich hierbei um keine Notwendigkeit handelt, welche aus der Struktur des Referenzgegenstandes selbst herrührt, sondern um eine - vielleicht könnte man sogar sagen, mehr oder weniger willkürliche - Weise der Bezugnahme auf Merkmale. Prinzipiell sind alle einem Gegenstand anhaftenden Eigenschaften zunächst gleich kontingent. Es ist zunächst - zumindest kein aus der Natur des jeweiligen Gegenstandes folgender - Gesichtspunkt einleuchtend, zwischen den einzelnen Merkmalen eine Differenzierung oder Graduierung einführen zu müssen. Erst wir - Sprecher und Sprechergemeinschaft - sind es, die solche Unterscheidungen durch unsere Sichtweise, durch unsere Art des Identifizierens eines Referenzobjektes erwägen und einführen. Wir legen demnach einen bestimmten Referenten durch Bezugnahme auf kontingente Eigenschaften fest; erst durch unsere Weise des Referierens können wir einzelnen dieser zufälligen Merkmale einen notwendigen, wesentlichen Status verleihen, indem wir implizit - etwa durch ständigen Gebrauch in 92 S. A. Kripke , ebd., S. 142f., R. Wimmer (Anm. 6), S. 125; Kripke erläutert diese Behauptung noch an weiteren Beispielen, auf die hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden kann, vgl. z.B. S. 139ff., 147ff. Auf S. 140 und S. 144f. verweist er auf H. Putnam, der unabhängig von ihm die gleichen Überlegungen an der beispielhaft untersuchten Aussage „Katzen sind Tiere" u.ä. angestellt habe und zu denselben Ergebnissen bezüglich der Unterscheidung notwendiger und kontingenter Eigenschaften gelangt sei. 93 Vgl. dazu B. Jeand'Heur (Anm. 68). 94 S. A. Kripke spricht an anderer Stelle und in anderem Zusammenhang davon, Eigenschaften würden nicht „herausgefunden", sondern festgesetzt; S. 60. 12*
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kontrafaktischen Situationen - bzw. explizit - beispielsweise durch Definition - eine oder mehrere Eigenschaft(en) in dieser Form aus den übrigen herausheben95. In diesem Sinne läßt sich sagen, daß auch Art- und Stoffbezeichnungen, wie überhaupt allgemeine Termini als feste Designatoren in allen möglichen Welten verwendbar sind. Jedoch ist These 5 - wie gesehen - weder bezüglich Eigennamen noch hinsichtlich allgemeiner Termini richtig. Bei Eigennamen ist die Bezugnahme auf Eigenschaften weder Verstehensvoraussetzung, noch würde eine derartige Referenzbeschreibung eine notwendige Wahrheit ausdrücken. Für allgemeine Termini gilt: Die Bezugnahme erfolgt zwar mittels der Beschreibung einzelner Merkmale, doch sind diese kontingent und von sich aus nicht in der Lage, eine notwendige Wahrheitsfunktion zu erfüllen. Kommen wir nun zu den Thesen 2 - 4 . Rein intuitiv betrachtet mögen sie eine gewisse Schlüssigkeit ergeben, wenn man von der Vorstellung ausgeht, ein sprachlicher Ausdruck repräsentiere in abbildhafter Manier einen bestimmten Gegenstand, wobei es dem Sprecher (der Sprechergemeinschaft) zukomme, diesen Gegenstand als einzigen aus einer Menge anderer Dinge herauszugreifen und ihn mittels bestimmter Beschreibungen zu bezeichnen. Andererseits bestehen gleichwohl Bedenken. Hinsichtlich von Eigennamen haben wir schon gesehen, daß bei ihnen die Bezugnahme auf bestimmte Eigenschaften keineswegs Verstehensvoraussetzung ist. Dies möchte ich im folgenden noch erhärten (wobei die weiteren Ausführungen zu den Thesen 2 - 4 gleichfalls Gültigkeit für allgemeine Termini etc. beanspruchen). These 2 postuliert, daß ein bestimmter individueller Gegenstand nur, aber auch stets mittels einzigartiger Eigenschaftsbeschreibungen als einziger herausgegriffen werden kann. Innerhalb einer Sprechergemeinschaft wäre Verstehen demnach immer davon abhängig, daß zwei Sprecher dem Referenten dieselben einzigen Merkmale zuschreiben. Nun könnte aber ein Sprecher beispielsweise auf Einstein referieren, indem er sagt, ,Einstein4 sei die Bezeichnung für den Mann, der a) die Relativitätstheorie entdeckt, b) seine Freizeit mit Geigenspielen verbracht habe usw. 96 . Er hätte demnach das Referenzobjekt des Zeichens »Einstein4 merkmalscharakteristisch konkretisiert. Ein anderer Sprecher kennt weder die Relativitätstheorie noch den Umstand b). Er kann vielleicht mit dem Zeichen ,Einstein4 nur ein Poster in Verbindung bringen, auf dem ein alter Mann mit zerzausten Haaren die Zunge herausstreckt. Soll man nun darüber streiten, ob das ,Herausstrecken der Zunge4 ein einzigartiges Merkmal von »Einstein4 ist? Wollen wir uns probehalber darauf einlassen. Man könnte also vielleicht überlegen: „Sicherlich, jeder Mensch
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S. A. Kripke , ebd., S. 151. Z u diesem Beispiel, mit zum Teil abweichenden Eigenschaftsangaben für »Einstein', s. R. Wimmer (Anm. 6), S. 128f. sowie S. A. Kripke, ebd., S. 97,100. 96
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kann zwar die Zunge her ausstrecken, aber wer wird dabei schon auf ein großes Poster abgelichtet, das zuweilen im Schaufenster von Buchhandlungen etc. auftaucht? Das ist einzigartig!" Wirklich? Ich erinnere mich, vor kurzem ein solches Plakat gesehen zu haben. Jedoch: diesmal nicht in einem Buch-, sondern in einem Schallplattenladen; diesmal nicht Einstein, sondern - ein gleichfalls schon betagter Rockmusiker namens Frank Zappa. Man könnte sich angesichts dessen Unverschämtheit auf ungeahnte Argumentationsebenen begeben und - was läge andererseits bei einem Musiker näher - den Vorwurf des Plagiats erheben. Denn: eigentlich sei das Merkmal ,Zunge herausstrecken' dem Zeichen ,Einstein' in einzigartiger Weise zugehörig . . . Wir sehen, die Identifizierung eines Referenten aufgrund spezifischer Eigenschaften kann ihre Tücken haben. Aber - so könnte man nun einwenden - , das mit dem ,Zunge rausstrecken' mag nun eher ein schlechtes Beispiel zum Beleg von These 2 sein; wie steht's jedoch mit der Relativitätstheorie? Wer möchte bestreiten, daß es einzig Einstein war, der diese Theorie ins Leben gerufen hat? In der Tat läßt sich dagegen nichts vorbringen, mag sein, daß wir hier also eine einzigartige Eigenschaft »Entdeckung der Relativitätstheorie' des Zeichens ,Einstein' vorliegen haben. Nur, wie schon erwähnt, darüber kann uns Sprecher 2 keine Auskunft geben. Als wissenschaftlich uninteressiertem und kenntnislosem Zeitgenossen steht sie ihm nicht zur Verfügung, um damit zu referieren. Wir sind mithin wieder am Ausgangspunkt unserer Überlegungen angelangt; d.h. wir müssen feststellen, daß Sprecher 2 trotz seiner Unkenntnis irgendwelcher einzigartiger Merkmale von ,Einstein' genausogut auf Einstein zu referieren vermag wie beispielsweise der kenntnisreichere Sprecher 1. Daraus folgt: Eine bestimmte Merkmalszuschreibung mag beim Gebrauch von Zeichen für den einzelnen Sprecher möglicherweise relevant sein. These 2 drückt jedoch insofern keine unhintergehbare Verstehensvoraussetzung aus, als die Eigenschaftsbeschreibungen einzelner Sprecher vollkommen differieren können, ja daß sogar überhaupt keine spezifischen Merkmalsvorstellungen vorhanden sein können, ohne daß darunter die Kommunikation leiden würde: Beide sagen ,Einstein' und beide referieren auf Einstein, wenngleich sie in keinem - geschweige in einem bestimmten, einzigartigen - Merkmal übereinstimmen müßten. Betrachten wir These 3. Sie besagt, daß ein Sprecher bei Angabe einzigartiger Merkmale, die nur ein(e) Gegenstand/Person erfülle, auf diese(n) referiere. Geht man nun davon aus, daß es tatsächlich möglich sei, diese Bedingung - wie These 3 sie aufstellt - im Einzelfall aufrechtzuerhalten (also, daß bestimmte Eigenschaften tatsächlich nur von einem Referenzobjekt verkörpert werden), kann man dann notwendigerweise sagen, für einen Sprecher sei allein dieser Gegenstand der Referent des benutzten Sprachzeichens? Bleiben wir bei dem Einstein-Beispiel. Viele Menschen behaupten, Einstein habe nicht nur die Relativitätstheorie entdeckt, sondern auch die Atombombe
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erf unden. Letzteres ist gleichwohl nicht richtig. Wenn also diese Menschen mit dem Namen »Einstein4 auf die Eigenschaft »Erfinder der Atombombe 4 referieren wollen, auf wen nehmen sie dann eigentlich wirklich Bezug? Auf den tatsächlichen Erfinder der Atombombe? Sicherlich nicht. Sie referieren zweifellos auf Einstein, dem sie lediglich eine nicht zutreffende Eigenschaft zuschreiben; sie irren also über ein Merkmal oder Inhaltselement des Zeichens ,Einstein4. Auch These 3 ist mithin nicht richtig: Die Eigenschaft ,Erfinder der Atombombe 4 wird zwar von einem bestimmten Referenten als einzigem erfüllt; dieser Referent ist jedoch nicht die Person, auf welche der Sprecher referieren wollte 97 . These 4 enthält die Annahme, daß ein Sprachzeichen nicht referiere, wenn es keinen Gegenstand gäbe, der die vom Sprecher unterstellten Eigenschaften erfülle. Schon aus dem bisher Erörterten läßt sich leicht denken, daß diese Behauptung ebenfalls kaum aufrechterhalten werden kann. Zum einen ist es nämlich möglich, daß eine Eigenschaftszuweisung im Referenzvorgang nicht jedesmal auf nur einen Referenten verweisen muß. Auf mehrere Gegenstände könnte möglicherweise die verwendete Merkmalsbeschreibung passen. Andererseits ist es durchaus vorstellbar, daß ich nicht nur hinsichtlich eines Gegenstandes eine unzutreffende Beschreibung abgebe bzw. über eine, einzige seiner Eigenschaft(en) irre, sondern daß möglicherweise überhaupt kein Gegenstand existiert, auf den die von mir gebrauchte Bezeichnung trifft. Obgleich es also denkbar ist, daß ich auf eine Eigenschaft referiere, die niemand, kein Mensch oder Gegenstand sein eigen nennt, kann der Referenzakt dennoch geglückt sein. Wenn in obigem Beispiel niemand die Atombombe erfunden hätte, so hätte ich nichtsdestotrotz auf Einstein Bezug genommen 98 . Ich möchte an dieser Stelle die Diskussion der genannten fünf Thesen abbrechen und zusammenfassend zu den am Ende von Kapitel I aufgeworfenen 97 S. A. Kripke , ebd., S. 87ff. A u f S. 90 führt Kripke ein weiteres Beispiel an: „Es kommt sehr häufig vor, daß wir einen Namen aufgrund einer erheblichen Fehlinformation verwenden (. . .). Was wissen wir über Peano? Was viele Leute . . . über Peano ,wissen' dürften, ist, daß er der Entdecker bestimmter Axiome war, die die Folge der natürlichen Zahlen charakterisieren, der sog. ,Peanoschen Axiome'. Wahrscheinlich können einige die Axiome sogar angeben. Ich habe erfahren, daß Peano diese Axiome nicht als erster entdeckt hat. Peano war natürlich kein unredlicher Mensch. Man sagt mir, daß seine Anmerkungen auf den Einfluß Dedekinds hinweisen. Irgendwie wurde die Anmerkung übersehen. Nach der in Frage stehenden Theorie referiert also der Ausdruck ,Peano', wie wir ihn verwenden, in Wirklichkeit auf Dedekind - jetzt, nachdem Sie es erfahren haben, merken sie, daß Sie in Wirklichkeit die ganze Zeit über Dedekind geredet haben. Aber Sie haben nicht über Dedekind geredet (. . .)." 98 S. A. Kripke, ebd., S. 102, erörtert in diesem Zusammenhang die Geschichte des Propheten Jona und des Wals: Er führt aus, „daß die Bibelforscher meinen, daß Jona wirklich existiert hat. Und sie meinen es nicht deswegen, weil sie denken, daß je jemand von einem großen Fisch verschlungen wurde, und nicht einmal, weil sie denken, daß jemand nach Ninive ging, um zu predigen. Es könnte sein, daß diese Bedingungen auf überhaupt niemanden zutreffen, und doch hat der Name, Jona, wirklich einen Referenten".
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zwei Fragen Stellung nehmen: Es hat sich meines Erachtens herausgestellt, daß die Ausgangsannahmen der herkömmlichen Referenztheorie nicht richtig sind. Um erfolgreich auf einen Gegenstand zu referieren (erfolgreich meint, daß sich die Sprecher innerhalb einer Kommunikationssituation verstehen, daß sie also wissen, wen oder was sie meinen, wenn sie mit Sprache Weltbezüge herstellen), ist es anscheinend weniger wichtig, die Merkmale des intendierten Gegenstandes als die Gebrauchsweisen des Zeichens, das ich benutze, zu kennen. Es mag zutreffen, daß Sprecher den Referenten allgemeiner Termini (im Unterschied zu Eigennamen) mit Eigenschaften beschreiben, die zu dessen Identifizierung nützlich sein mögen. Jedoch scheint das Bild, welches die fünf Thesen vermitteln, falsch zu sein, wonach Sprecher nach bestimmten einzigartigen Eigenschaftsmerkmalen suchen, die einen Gegenstand irgendwie als einzigen herausheben und wonach es möglich sein soll, auf diese Weise über kontrafaktische Situationszusammenhänge hinweg Referenzbezüge herzustellen. Kripke hat nicht versucht, eine vollständig ausgearbeitete Referenztheorie zu entwickeln". Er gibt lediglich zu bedenken, daß - obgleich es in einigen Fällen möglich erscheine, daß sich ein Sprecher „in die Privatheit seines Zimmers zurückzieht und sagt, daß der Referent derjenige Gegenstand sein soll, der als einziger bestimmte identifizierende Eigenschaften hat" 1 0 0 - im allgemeinen Referenz weniger davon abhänge, was ein einzelner Sprecher sich denke, sondern eher damit zu tun habe, wie die Sprechergemeinschaft einen sprachlichen Ausdruck gebrauche. Ein Sprachzeichen kann demnach - so Kripkes „grobe Angabe einer Theorie" (S. 112) - in zweierlei Weise in die Kommunikationsgeschichte eingeführt werden: Einmal indem das Referenzobjekt durch einen einfachen Hinweis benannt wird (z.B.: „Ich taufe dieses Schiff auf den Namen Queen Elizabeth"), zum anderen indem die Referenz des Zeichens durch eine Beschreibung bestimmt wird (vgl. oben das Beispiel von § 35 VwVfG: die Definition eines Verwaltungsaktes; oder in ständiger Rechtsprechung entwickelte Begriffsdefinitionen, beispielsweise zum Sprachzeichen ,Wegnahme' im Diebstahlsparagraph 240 StGB: Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams 101 ; oder zum Begriff des Hochschullehrers, der die in Kapitel 1.2. genannten Merkmale enthalte). Im ersten Fall, der die Referenz von Eigennamen betrifft, hat die Diskussion der genannten Thesen ergeben, daß hier Referieren nicht als Bezugnahme auf 99 Seinen Verzicht erklärt er auf S. 109 mit einem durchaus unüblichen Eingeständnis: „Ich glaube nicht, daß ich das tun werde (eine eigenständige Referenztheorie zu entwerfen, B. J.), denn 1. bin ich im Augenblick irgendwie zu träge dazu und 2. geht es mir weniger darum, eine Menge notwendiger und hinreichender Bedingungen zu geben, die für einen Begriff wie den der Referenz geeignet sein werden, vielmehr möchte ich einfach ein besseres Bild geben als es die allgemein üblichen Auffassungen geben." 100 S. A. Kripke, ebd., S. 110. 101 Vgl. grundlegend RGSt 48, 58; / . Wessels, Strafrecht BT 2, 1984, S. 15 m. w.N.
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Eigenschaften des Namenträgers erklärbar ist. Dagegen sprachen mehrere Gründe: Sogenannte einzige Merkmale können den Referenten oftmals nicht - entgegen der Annahme des Sprechers - als einzigen spezifizieren. Sie treffen häufig auf etwas anderes oder auf nichts zu. Der Sprecher hat nicht selten irrige Ansichten über Eigenschaften des Referenten. Kurz: bei Eigennamen stellt sich Referenz über den Umstand her, daß der Sprecher Mitglied der Sprechergemeinschaft ist, in welcher der Name durch Tradition innerhalb der Kommunikationsgemeinschaft weitergegeben wird. Im zweiten Fall - also bei Stofftermini, allgemeinen Ausdrücken etc. - kann die Referenzbeziehung mittels einer expliziten oder impliziten (z.B. in Form von Definitionen, die sich im Laufe der Zeit ,einschleifen', ohne daß sie je ausdrücklich formuliert wurden) Beschreibung des Gegenstandes erfolgen. Dies geschieht gleichwohl nur unter Verwendung kontingenter Merkmale. Dennoch ist auch hier - wie bei Eigennamen - Referieren in kontrafaktischen Situationen dann möglich, wenn die Sprechergemeinschaft einzelne zufällige Eigenschaften hervorhebt und sie - wiederum explizit oder implizit - wie notwendige Merkmale des Gegenstandes behandelt. Stärker als Kripke möchte ich darauf hinweisen, daß es ausschließlich der/die Sprecher sind, die explizit/ implizit über die Bedeutung von Eigenschaften beim Referieren entscheiden. Von sich aus sind alle Eigenschaften kontingent, sie hätten in einer möglichen anderen Welt alle anders oder überhaupt nicht vorliegen können. Erst der Sprecher/die Sprechergemeinschaft ,bestimmt' bzw. ,bestimmen' durch die jeweilige Referenzweise eine Graduierung ihrer Anwendungsmöglichkeiten 102 . Dies scheint Kripke zwar grundsätzlich ebenso zu sehen, doch neigt er dazu, aus der Menge aller (kontingenten) Eigenschaften einzelne ,analytische' Gegenstandsmerkmale, „die ein Gegenstand mit sich führen kann und die durch seine Bedeutung gegeben sind", hervorheben zu wollen. Ich halte dies - aufgrund der vorangegangenen Überlegungen zu den Thesen 1 - 5 - für unnötig und in gewisser Weise inkonsequent hinsichtlich seines eigenen Denkansatzes. Letzteres deshalb, weil Kripke selbst das Problem der Identität eines Referenzobjektes und der damit zusammenhängenden Frage der Notwendigkeit von Eigenschaften in allen möglichen Welten nicht in metaphysischen Kategorien, sondern im Rahmen erkenntnistheoretischer Fragestellungen erörtert (so z.B. auf S. 60: „Hiergegen wiederhole ich: 1. Allgemein werden Dinge über eine kontrafaktische Situation nicht herausgefunden', sondern sie werden festgesetzt"). Für unnötig halte ich den Rückgriff auf derart bedeutungsschwangere Eigenschaften deswegen, weil dies 1. zur referenzsemantischen Behandlung der Merkmalsproblematik keine weitergehenden Gesichtspunkte beiträgt sowie 2., weil die Unterstellung solcher angeblich essentiell vorhandenen Merkmale einer metaphysisch-ontologischen Betrachtungsweise 102
S. dazu das obige Beispiel der Festsetzung des ,Atomgewichts 197, 2' oder der ,Ordnungszahl 79' als Eigenschaften, die es ermöglichen, Gold in allen kontrafaktischen Situationen zu identifizieren.
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Tür und Tor öffnet und damit wiederum nur neue Behauptungslasten auferlegt werden. Gleichwohl ist festzuhalten, daß die Untersuchungen Kripkes erheblich dazu beigetragen haben, die Beziehungen von Sprachzeichen und Referenzgegenstand besser beschreibbar zu machen und vor allem von den auch in der Jurisprudenz vorhandenen Sprachfiktionen zu befreien. Was bleibt in dieser Hinsicht als Resultat für die rechtstheoretische Diskussion der NormtextSachverhalts-Problematik übrig? Der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit bestand - wenn wir uns erinnern - darin, darzustellen, auf welche Weise praktische Rechtsarbeit und rechtswissenschaftliche Reflexion dieser Praxis glauben, feste Referenzregeln bei der Bezugnahme des Normtextes auf den Sachverhalt finden zu können. Dieses Bemühen um gesicherte Spielregeln, nach denen juristische Sprachzeichen und Normtexte auf Sachverhaltsgegenstände angeblich im Sinne einer semantischen Identität referieren, wurde als merkmalsrealistisches Vorgehen bezeichnet. Wir haben zunächst feststellen müssen, daß es unmöglich ist, aus sprachinternen Differenzierungsprozessen innerhalb des Sprachsystems selbst - ein geschlossenes Set von Referenzregeln abzuleiten. Die den Zeichen bzw. ihren Rechtsbegriffen jeweils zugeschriebenen Inhaltselemente erwiesen sich aus strukturimmanenten Gründen als zu ,labil·, um eine stetige Merkmalsverschiebung bei der Rechtsanwendung ausschließen zu können. Nunmehr zeigt es sich, daß auch auf dem Wege sprachexterner Merkmalsbestimmungen kein gesichertes Wissen über den einzelnen Referenzvorgang zu gewinnen ist. Zwar konnte die gewöhnlich von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung gepflegte Vorstellung, der Normtext referiere auf bestimmte Einzelmerkmale des Sachverhalts - wenn auch unter erheblichen Einschränkungen, zumindest teilweise, nämlich hinsichtlich allgemeiner Termini - aufrechterhalten werden, doch wurde gleichzeitig deutlich, daß die hierbei zu berücksichtigenden Modifikationen zur Verabschiedung einiger Sprachfiktionen führen müssen. Zu nennen wäre als erstes: Es besteht kein ,natürliches 4 Verhältnis zwischen Sprache (Normtext) und Welt (Sachverhalt), wonach etwa das sprachliche Zeichen auf an sich vorhandene, abstufbare Eigenschaften des Referenzgegenstandes Bezug nehmen würde. Dies sei vor allem gegen eine in der analytischen Rechtstheorie vertretene Position betont, die aus dem Zusammenhang von Intension und Extension eines Begriffes eine sprecherunabhängige Referenzbeziehung zwischen Sprachzeichen und Gegenstand begründen möchte. Nach dieser Auffassung hängt die Frage, „auf welche Gegenstände ein Prädikat anzuwenden ist (. . .), davon ab, welche Eigenschaften seine Bedeutung bilden" 1 0 3 . Da diese Ansicht auf ein quasi natürliches, vorgegebenes Referenz103 H. J. Koch / H. Rüßmann, S. 145; es handelt sich hierbei um eine der bereits erörterten und mit Kripke kritisierten merkmalsrealistischen Argumentationsweisen,
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Verhältnis von Sprache und Welt vertraut, ist es nicht die vom Sprecher/von der Sprechergemeinschaft eingeführte/tradierte Gebrauchsweise der sprachlichen Ausdrücke, welche Referenz und Wirklichkeitsmodelle erst konstituiert, übernimmt und weiterentwickelt; vielmehr stellt sich für Koch / Rüßmann die sprachliche Praxis nur als ein Reflex der angeblich schon per se existierenden ,Sprache-Welt'-Relation dar. Zielpunkt der von ihnen vorgeschlagenen merkmalsrealistischen Interpretation eines gesetzlichen Ausdrucks kann es deshalb auch nur sein, die kognitiv erfahrbare (Er)Kenntnis der jeweiligen Referenzbeziehung von Normtext und Sachverhalt zu verbessern und in diesem Sinne die Sprechweise den vorgegebenen außersprachlichen Strukturen optimal anzupassen. Die passive Rolle, die Koch / Rüßmann dem Sprecher in diesem Erkenntnisvorgang zuschreiben wollen, zeigt sich exemplarisch an der von ihnen wiederaufgegriffenen „alte(n) (. . .) Einsicht, daß wir bezüglich empirischer Begriffe stets mit überraschenden Erfahrungen rechnen müssen, die uns sozusagen sprachlos machen, weil wir bei der Bildung unseres Begriffssystems nicht mit ihnen gerechnet haben" 104 . Gegen eine derartige Dominierung des Vorgangs der Rechtsarbeit durch eine als objektiv vorgegeben gedachte Referenzbeziehung von Sprache und Welt drängte sich im Laufe der Untersuchung ein Faktor in den Vordergrund, der gewöhnlich in Rechtswissenschaft und Rechtstheorie ein Schattendasein fristet: der Rechtsanwender, in positivistischer Tradition als Mund des Gesetzes geduldet, wird zum Sprecher, der, indem er referiert, die Gebrauchsweise der Zeichen nach seinen Motiven prägt. Weder Sprache noch Welt (gegenstände) garantieren von sich aus merkmalscharakteristisch vermittelbare Referenzrelationen. Es sei wiederholt daran erinnert: Nicht ein vorgeblich existenter und kognitiv erkennbarer Begriff des Sprachzeichens, sondern vielmehr erst der Sprecher/Jurist referiert auf Merkmale, die er als relevant festsetzt, die er aus ihrem kontingenten Vorliegen in eine, die einzelne Entscheidung überdauernde Form transformiert. Man könnte mithin sagen, jede Einzelfallentscheidung, jeder neue Rechtsfall stellt eine kontrafaktische Situation, eine mögliche Welt dar, in der sich stets von neuem beweisen muß, welches Merkmal notwendig das Referenzverhältnis ,Normtext-Sachverhalt 4 mitbestimmen kann. Sicherlich steht er hierbei in einem Kommunikationszusammenhang als Teil der Sprewobei Koch / Rüßmann, ebd., deren „zentrale Bedeutung" für ihre Theorie der „semantischen Interpretation eines gesetzlichen Ausdrucks" nochmals verdeutlichen: „Würden die semantischen Interpretationen nicht festlegen, auf welche Sachverhalte die gesetzliche Norm qua ihrer Interpretation anzuwenden bzw. nicht anzuwenden ist, so dürften die semantischen Interpretationen auch die ihnen zugewiesene Überbrükkungsfunktion zwischen gesetzlicher Norm und Sachverhaltsbeschreibung nicht erfüllen können." 104 H. J. Koch / H. Rüßmann, ebd., S. 150, die uns gleichwohl den Weg aus dem Dilemma weisen, denn „es spricht nichts dagegen, diesem Phänomen durch explizite Begriffsänderung Rechnung zu tragen".
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chergemeinschaft und mit der Vorgabe einer im Regelfall tradierten Begriffsgeschichte (d.h. der Begriff, das Sprachzeichen hat eine Geschichte seiner Verwendungen, seiner Referenzpotentialien). Doch bedeutet dies keineswegs, es sei möglich, zwischen zwei Teilaspekten juristischen Arbeitens zu unterscheiden: hier der Bereich bloßer Referenzfeststellungen, aufgrund fest vorgegebener semantischer Regeln (oder eines harten Begriffskerns), objektiv feststellbarer Merkmalszuschreibungen notwendiger und kontingenter A r t ; dort das Feld pragmatischer Regeln mit einsetzender Merkmalsabgrenzung im Einzelfall. Wir sollten uns damit abfinden: Die merkmalsdifferenzierende Arbeitsmethode hat bei der Rechtsfindung einen lediglich begrenzten Wert. Sie mag in diesem Sinne dienlich sein, um im Rahmen negativer Abgrenzungsprozesse einzelne Referenzbestimmungen von anderen zu unterscheiden und (nur) in diesem Sinne zur Lösung juristischer Fallfragen beitragen. Zweifellos überfordert - und aus genannten linguistischen Überlegungen heraus nicht haltbar - wird diese Methode jedoch immer dann, wenn Sprachzeichen wie Referenzobjekten in verdinglichender Weise ein Eigenleben zugestanden wird, hinter dessen Fiktion sich der Sprecher - besonders dann, wenn er als ,Recht4 Sprechender auftritt - angeblich verbergen kann. Statt dessen gilt es derart überkommene Vorstellungen aufzugeben. Die Strukturierende Rechtslehre hat mit dem Vorschlag, die Grundfragen praktischer Rechtsarbeit nicht länger als solche von Begriffen zu behandeln, sondern vielmehr die tatsächlichen Konkretisierungsakte des Juristen als wissenschaftlich strukturierbare Vorgänge zu untersuchen, erste Schritte in diese Richtung gewiesen 105 . In den Worten Friedrich Müllers: „Die Bedeutung sprachlicher Zeichen hängt (. . .) nicht nur in Grenzfällen, sondern notwendig und immer von den Sprechern der Sprache, von ihrem Wirklichkeitsverständnis und Vorwissen ab. Mehr noch: Bedeutung und Wert der gebrauchten Zeichen werden in den realen sprachlichen Handlungen nicht nur nicht herausgefunden beziehungsweise nur modifiziert, sondern, konkret und praktisch betrachtet, überhaupt erst geschaffen 106.44 Mithin stellt sich, nunmehr auf linguistisch reflektierter Grundlage, von neuem die Aufgabe, das Sprachspiel ,Rechtsarbeit 4 unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben auf das Vorhandensein referenzsemantischer Regeln zu befragen, nach denen der Jurist mit Hilfe des Normtextes auf den Sachverhalt Bezug nimmt 1 0 7 .
105 Vgl z u d e n sachlichen Parallelen der Strukturierenden Rechtslehre und neueren Herangehensweisen in der Linguistik: F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, 1984, S. 372ff. sowie in diesem Band: B. Jeand'Heur (Anm. 1). Zum normtheoretischen wie methodischen Arbeitsprogramm s. ebenfalls in diesem Band R. Christensen (Anm. 1). F. Müller, ebd., S. 377f. 107 Der Versuch einer Beschreibung solcher Regeln wird in B. Jeand'Heur (Anm. 68) unternommen.
I I I . Gespräch über Strukturierende Rechtslehre und praktische Semantik Müller: Wir könnten uns in einem ersten Schwerpunkt darüber unterhalten, wovon wir, das heißt die Linguisten und die Juristen je für ihre Seite, je für ihre Wissenschaft gemeinsam ausgegangen sind. Was kann zum Beispiel im Titel des Bandes der Begriff „Rechtslinguistik" heißen? Oder was soll er nicht heißen? „Sprache ist niemals willkürlich", schreibt Wimmer in diesem Band. Das Handeln von Juristen, jeder weiß das, ist nicht selten willkürlich. Juristen dürfen aber nicht willkürlich handeln, sagen dagegen bestimmte Rechtsquellen, nämlich Normen des Rechtsstaates. Linguisten und Juristen haben einander wahrscheinlich sehr viel zu sagen, sobald sie nur anfangen, auf tradierte Gewißheiten zu verzichten und sich, mindestens vorläufig, auf Ungewisses einzulassen. Die Beiträge dieses Bandes beanspruchen ja nicht, die Standpunkte, die bekannt sind, nebeneinander zu stellen; sondern sie versuchen, wirklich interdisziplinär anzusetzen. Was heißt also, noch einmal gefragt, in diesem Sinn „Rechtslinguistik", oder was soll es nicht heißen? Eine andere Frage des gegenseitigen Interesses, der gegenseitigen Neugier wäre etwa: Was können „Wortlaut eines Gesetzes" bzw. „Wortlautgrenze einer Gesetzesinterpretation" bedeuten? Sokolowski: Zur Frage, was Rechtslinguistik heißen kann, möchte ich zunächst eine Negativbestimmung machen. Die Linguistik selbst hat ja in ihrer eigenen Vergangenheit gewisse, nicht gerade ermutigende Erfahrungen gemacht mit den sogenannten Bindestrich-Linguistiken, Sozio-Linguistik, Psycho-Linguistik usw., in denen Interdisziplinarität sozusagen zu einem mehr oder weniger einfachen Additivenverhältnis verkürzt wurde. Sprich: Die jeweils für die Linguistik andere Wissenschaft - Soziologie, Psychologie, und hier könnte man weiterführen: Jurisprudenz - hat ihre eigenen Fragestellungen, Methoden, Problemlösungsstrategien usw. parat und wendet sich nunmehr an die Linguistik, um ihre eigenen Vorgaben gewissermaßen sprachtechnisch zu illustrieren, aufzubessern, zu optimieren. Ich glaube, daß das schon ein erstes Verständnis wäre, was ganz sicher nicht in vollem Umfang das Vorhaben trifft, was wir verfolgen und verfolgen sollten. Diesem Additiven Verständnis liegt nämlich ein durchaus verkürztes Verhältnis von Sprache zu ihrer Verwendung zugrunde; nämlich einerseits ein Sprachsystem, das sich neutral gegenüber allem verhält,
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was man so im einzelnen praktisch mit ihm machen kann; auf der anderen Seite eben die Verwendung von Sprache, die dann zu jeweiligen Zwecken gewissermaßen nur noch eine Art Umsetzung, technischer Vollzug ist. Dem ist, glaube ich, von vornherein eine integrative Sichtweise entgegenzustellen; das heißt: Sprache, die sich im Gebrauch, die sich qua Gebrauch vollzieht, was für das Recht heißt, daß Recht eben sprachlich vollzogen wird, als sprachliches Handeln, und daß damit eben auch in vollem Umfange die Problematik von juristischem Tun als einem kommunikativen Handeln zum Tragen kommt. Müller: Darin kommt ja schon eine wichtige Facette dessen zum Vorschein, was die Linguisten an der Wissenschaft und an der Praxis vom Recht interessiert oder interessieren könnte, und diese Frage sollten wir uns vielleicht einmal genereller stellen. Was manche Linguisten, das ist hier schon in unseren Diskussionen zum Ausdruck gekommen, am Recht besonders anzieht, scheint unter anderem die Tatsache zu sein, daß im System des geschriebenen Rechts die Macht, ihre Großstrukturen, ihre Träger, deren Handlungsmöglichkeiten, deren Grenzen, daß also Macht nicht wie in älteren sozialen Modellen in gewohnheitsrechtlichen Ordnungen einfach tatsächlich gelebt wird, sondern daß sie zunächst einmal vertextet ist. Und die Fragen, die sich aus der Vertextung ergeben, gehen von der Fachkompetenz her vor allem die Sprachwissenschaftler an. So sei noch einmal gefragt: Was können zum Beispiel „Wortlaut des Gesetzes" und „Wortlautgrenze" beim juristischen Handeln heißen, ohne daß wir das Problem jetzt erledigen könnten, wohl aber es als Problem noch einmal formulieren. Oder was ergibt die zentrale Stellung der Bedeutung und damit auch des Bedeutungsbegriffs in juristischen Auslegungslehren und im juristischen Auslegungshandeln; etwas, was die Linguisten doch wohl beschäftigen muß. Wimmer: Ich möchte den Begriff der Wortlautgrenze noch einmal aufnehmen. In der Tat ist dies ein Begriff, der uns in den Anfängen unserer Zusammenarbeit sehr interessiert hat. Uns Linguisten ist vor allen Dingen aufgefallen, daß die Probleme, die die Juristen mit der Wortlautgrenze haben, in der Linguistik, jedenfalls soweit wir sie in der Gegenwart jetzt überschauen, eigentlich gar keine Rolle spielen. Denn die Linguisten versuchen deskriptiv ein Sprachsystem oder den Sprachgebrauch von Sprechergruppen zu beschreiben, und in diesem Sprachsystem und bei den Sprechern einer Gruppe selbst spielt die Frage, inwieweit ein Ausdruck oder ein Text genau entsprechend bestimmten Normen, die die Wortlautgrenze darstellen sollen, gebraucht wird, eigentlich gar keine Rolle. Man versteht sich oder man versteht sich nicht. In linguistischen
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Bedeutungstheorien ist die Frage, inwieweit man die Bedeutungen bestimmter Ausdrücke genau festlegen kann oder sollte oder muß, eigentlich nicht zentral. Die Frage ist, warum spielt sie für die Juristen eine so große Rolle, und darauf hat Müller hingewiesen. Es ist offensichtlich ein Problem, das mit der Legitimation des juristischen Handelns zu tun hat, auch mit der Frage der Macht (dieses Wort ist eben schon gefallen). Juristisches Handeln greift nämlich in das alltägliche Handeln auch der Sprechenden ein, und es soll eingreifen, muß eingreifen; und da spielt die Frage, auf welches Wort, auf welchen Text, auf welche Wortlaute man sich genau berufen kann, eine große Rolle. Also die Frage der Wortlautgrenze ist eine, die mit der Legitimationsfrage in der Jurisprudenz, mit der Machtfrage zusammenhängt; und wir aus linguistischer Sicht hatten das Problem, daß wir eigentlich nicht sehen konnten, in welchem Maße hier ein sprachwissenschaftliches Problem tatsächlich vorliegt. Busse: Ich möchte dem noch hinzufügen: Der Begriff der Wortlautgrenze ist sicherlich kein linguistischer Begriff ; und wenn man ihn als Linguist das erste Mal hört, so kann man sich auch zunächst nicht so recht vorstellen, was damit gemeint sein soll. Allerdings ist das Problem, welches mit dem Begriff der Wortlautgrenze angesprochen wird, in der Linguistik wenigstens in einem Bereich, nämlich der Lexikologie und Lexikographie, durchaus vorhanden; nämlich wenn es beim Verfassen von Wörterbuchartikeln darum geht, doch irgend so etwas wie den Kern von Bedeutungen, den Kern von Begriffen (mindestens zum Zwecke der Wörterbuchverfassung) zu charakterisieren. Das heißt, dort tritt natürlich auch ein gewisses Grenzproblem auf, aber dieses Grenzproblem ist nicht (wie in der Jurisprudenz) mit einem Zwang zu Entscheidungen verbunden. Die Entscheidungen, die gefällt werden müssen, betreffen lediglich die Frage, was nehme ich noch als Bestandteil der Bedeutung in das Lexikon auf und was scheint mir so marginal zu sein - marginal in Relation zur Benutzung eines Wortes durch die Sprachgemeinschaft - , daß ich es nicht für wert finde, es in das Lexikon aufzunehmen. Aber das ist eine Frage, die eher etwas Relatives anspricht und eben nicht diese Absolutheit der Ja- oder Nein-Entscheidung hat, wie sie sich die Juristen mit dem Begriff der Wortlautgrenze wünschen. Jeand'Heur: Für uns Juristen ist das Problem der Wortlautgrenze primär aus verfassungsrechtlichen Gründen und aus methodischen Gesichtspunkten interessant. Wir müssen unsere Entscheidungen auf Normtexte, die vom Gesetzgeber gesetzt und verabschiedet wurden, zurückführen. Infolgedessen gibt es zwei Gesichtspunkte, die beim Problem der Wortlautgrenze zu beachten sind. Zunächst den verfassungsrechtlichen bzw. methodischen Aspekt, wonach jede juristische
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Entscheidung auf einen Normtext rückführbar sein muß. Dann aber auch, und das ist meines Erachtens das linguistisch interessante Problem, die Frage, ob wir, wenn wir uns aus verfassungsrechtlichen oder methodischen Gründen auf den sogenannten Wortlaut eines Gesetzestextes berufen, ob wir uns dann auf etwas Drittes im Sinne einer fixen, vorgegebenen Bedeutung, also auf eine objektive Grenze des sogenannten Wortlauts stützen können. Beide Problembereiche, der juristische bzw. sprachwissenschaftliche Kontext, sind voneinander zu unterscheiden. Mit anderen Worten: Juristen neigen oft dazu, wenn sie von Wortlaut sprechen, damit auch eine Legitimationsgrundlage für ihre Entscheidung auffinden zu wollen. Hier hat - so denke ich - die Diskussion anzusetzen. Wir müssen uns darüber einigen, ob es sich lohnt, weiterhin von Wortlaut oder Wortlautgrenze aus der zunächst genannten verfassungsrechtlichen Sicht zu sprechen; und zweitens sollte man darüber nachdenken, ob die Rede vom „Wortlaut" oder „Wortsinn" aus linguistischem Blickwinkel noch weiter aufrechterhalten werden kann, insofern Juristen in diesem Zusammenhang stets dazu tendieren, nach Legitimationsgrundlagen zu suchen, die weg von ihrem eigenen Handeln, ihrem eigenen Sprechen führen. Müller: Auf der Linie, die Jeand'Heur soeben gezogen hat, kann allgemeiner gefragt werden. Ich knüpfe noch einmal an den Punkt von vorhin an: in welchem Zusammenhang die Sprachlichkeit des gesetzten, das heißt in unserem Fall des geschriebenen Rechts steht; was das Gesetzesbindungspostulat in linguistischer Sicht mit der „Bedeutung" zu tun hat und mit der Art und Weise, auf die ich mich der „Bedeutung", der Bedeutungsvorstellung nähere. Das kann ich versuchen als Linguist, der möglicherweise sehr verwundert ist über die Haltung, die unter den Juristen verbreitet ist; nicht über das, was sie tun, sondern über die Art, wie sie ihr Handeln zu erkären, wie sie ihr eigenes so und nicht anders vorsichgehendes Tun zu erfassen, theoretisch zu beschreiben versuchen. Vielleicht kann man die Frage gleich anschließen, weil sie hierher gehört, ob es überhaupt bei einem solchen Befremden, das am Anfang sicherlich in bezug auf die pseudolinguistischen Theorien der Juristen über ihr eigenes Tun besteht, ob es also überhaupt linguistische Lösungsbeiträge zu juristischen Auslegungsproblemen geben kann. Wird „Bedeutung" festgestellt, wird „Bedeutung" festgesetzt, wird sie gefunden, wird sie erzeugt? Wie sehen es die einen, wie die anderen, in diesem Fall die Linguisten? Und können die Linguisten überhaupt eine Art von Verführung oder auch nur von Interesse daran verspüren, sich in die juristischen Auslegungskontroversen einzuschalten? Subjektive gegen objektive Auslegung, RechtsanWendung oder Rechtsfortbildung, Rechtsauslegung oder Analogie, u. ä.? Eines der besonders unangenehmen und langlebigen Probleme ist ja mit der Wortlautgrenze jetzt hier schon in einigen Beiträgen aufgegriffen worden.
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Christensen: Das Problem der Wortlautgrenze macht besonders das legitimatorische Interesse der Juristen an der Sprachwissenschaft offensichtlich. Die Wortlautgrenze wird meistens als Wortsinngrenze präzisiert. Das heißt, man geht davon aus, daß es zwischen der Zeichenkette des Normtextes und der Bedeutung dieser Zeichenkette eine notwendige Verknüpfung gibt, die im Wege der sprachwissenschaftlichen Untersuchung aufgedeckt werden kann. Und diese Wortsinngrenze legitimiert dann als objektive Bedeutung das richterliche Sprechen. Das wäre die eine Verständnisweise der Wortlautgrenze. Eine andere Verständnisweise der Wortlautgrenze hebt auf die Zeichenkette ab. A m Anfang der Konkretisierung hat der Wortlaut nicht Bedeutung, sondern Geltung. Das heißt, der Richter muß seine Entscheidung genau diesen Normtexten, die einschlägig sind, zurechnen und steht dabei unter den Anforderungen einer gewissen Argumentationskultur, was den Spielraum der Verknüpfung zwischen Normtext und Bedeutung einschränkt. Insoweit ist die Wortlautgrenze eine ganz spezifische Sache innerhalb des juristischen Sprachspiels. Die Wortlautgrenze ist hier keine Grenze durch die Sprache, sondern eine Grenze in der Sprache, in der Weise, daß hier die Zeichenkette festgehalten wird und unter der Einschränkung einer bestimmten Interpretationskultur nicht jede Interpretation möglich ist.
Sokolowski: Ich möchte anhand des Problems der Wortlautgrenze nochmal auf die beiden grundsätzlichen Zugangsweisen zu dem, was man Rechtslinguistik nennen könnte, zurückkommen. Bernd Jeand'Heur hat die Frage gestellt, ob es sinnvoll ist, von Wortlautgrenze zu reden, ob man überhaupt von Wortlautgrenze reden sollte; und zweitens die Frage gestellt, ob es vertretbar ist, den Wortlaut zu verdinglichen. Als Gründe dafür wurden einige für den Juristen essentielle Vorgaben an seine Tätigkeit genannt. Ich glaube, genau daran entzündet sich nun, oder daran entscheidet sich die Stellung, die man von linguistischer Seite zu dem ganzen Problem einnimmt. Ich möchte das mit drei markanten Aussprüchen von Ludwig Wittgenstein klarmachen, der einmal sagt, daß Worte Taten sind (vgl. L. Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen, 1978, S. 92); der zum zweiten hinsichtlich der Reflexion auf Sprache sagt, es gäbe keine Grenze, es sei denn, wir ziehen sie zu einem bestimmten Zweck (vgl. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 1977, §§ 68, 69); und der zum dritten sagt, sich eine Sprache vorstellen heiße, eine Lebensform vorzustellen (vgl. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 1977, § 19). In diesem Problemkreis erscheint dem Linguisten eben nicht Sprache als ein System, das sozusagen in Analogie zu bestimmten juristischen Vorstellungen von Gesetz und Rechtssystem für uns anwendungsbereit dasteht, welches wir bloß vollziehen können. Sondern der Linguist geht dann umgekehrt davon aus, daß Spra13 F. Müller, Linguistik
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che sich im Handeln vollzieht, formt und verfertigt wird. Diesem Linguisten erscheint nun das ganze Spiel des Juristen als solches zunächst einmal fraglich, der Frage wert und auch des Befragens würdig; das heißt, das was der Jurist meint tun zu müssen, indem er von einem bestimmten Wortlaut meint ausgehen zu müssen, wird in linguistischer Sicht als selbst wiederum sprachliches Handeln fraglich und kritisierbar. Die Tatsache allein, daß es von linguistischer Seite Theorien gibt und daß sie mit Plausibilität vertreten werden können, die dem entgegenstehen, was dem Juristen eigentlich als Theorie wünschenswert wäre, nämlich es gäbe so ein Ding wie die Bedeutung, diese Tatsache allein vermag zunächst einmal grundsätzlich dem Juristen die reibungslose Legitimationsbasis zu entziehen und zwingt ihn gewissermaßen, bzw. sollte ihn zwingen, sein eigenes Spiel mit dem Wortlaut, gemessen an dieser Gegenposition, erneut zu reflektieren. Wimmer: Ich habe den Eindruck, daß der Begriff Wortlautgrenze, so wie er hier von juristischer Seite ins Spiel gekommen ist, vielleicht etwas zu sehr in die Angriffs- oder Schußlinie gekommen ist. Ich möchte auf einen Punkt hinweisen, der vielleicht dem juristischen Argumentieren etwas entgegenkommen kann. Ich glaube, daß die Auseinandersetzungen um Texte, Wortlautgrenzen bei den Juristen im wesentlichen unter dem Gesichtspunkt zu sehen sind, daß die Juristen natürlich strittige Fragen, Streitfragen im alltäglichen Leben lösen müssen; und insofern ist der Blick der Juristen gerichtet jeweils auf bestimmte problematische Fälle des Wortgebrauchs, während die Linguisten natürlich bestrebt sind, den allgemeinen Wortgebrauch in allen möglichen Varianten zu beschreiben. Dietrich Busse hat darauf hingewiesen, daß Wörterbücher beispielsweise alle möglichen Gebrauchsweisen von Ausdrücken zu beschreiben versuchen. Das Interesse der Juristen ist auf bestimmte Situationen, Konfliktsituationen gerichtet. Und daher ist es verständlich, daß die Frage, was genau gemeint gewesen sei in einer bestimmten strittigen Situation, im Mittelpunkt steht. Und ich glaube, daß auch in dieser Situation der Sprachbetrachtung, wo man es also mit Konfliktfällen, strittigen Fällen zu tun hat, die Juristen durchaus Hilfen von den Linguisten bekommen können, indem die Linguisten etwa durch die Wörterbücher, durch Reflexionen über den Sprachgebrauch Perspektiven eröffnen können, wie man auch in solchen strittigen Fällen mit den Sprachproblemen fertig wird. Natürlich spricht nichts dagegen, daß zu den Sprachhandlungen, die normalerweise gemacht werden, auch die Sprachhandlungen gehören etwa des Festsetzens und des Feststellens von Wortbedeutung, des Festsetzens und auch des Normierens von Wortbedeutung für eben bestimmte Zwecke. Dagegen spricht eigentlich aus linguistischer Sicht nichts. Nur die Frage ist, welche Regeln dabei beachtet werden müssen, wie groß der Interpretationsspielraum ist, den man sich selbst läßt und anderen gewährt. Das sind Fragen, die da mit in den Blick kommen müssen und darauf weist
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Sokolowski hin, wenn er mit den markanten Sätzen von Wittgenstein eben auch die Offenheit aller möglichen Sprachspiele reklamiert; oder wenn man darauf hinweist, daß am sprachlichen Handeln eben nicht nur einige Gruppen beteiligt sind, sondern daß sprachliches Handeln die ganze Sprachgesellschaft angeht. Christensen: Nochmal zu der Frage der Hilfe durch Linguisten. Die Juristen rezipieren natürlich linguistische Theorien, und zwar in spezifischer Weise. Das wird gerade bei der Theorie der Wortlautgrenze als einer sprachlichen Grenze, einer Wortsinngrenze besonders deutlich. Die Juristen schlagen dazu drei Operationalisierungen vor: 1. ins Wörterbuch schauen, 2. den Stellenwert des Zeichens im Sprachsystem klären, 3. empirische Untersuchung. Kennzeichnend ist dabei für die Juristen eine Überschätzung dieser Methoden bzw. eine spezifische Instrumentalisierung. Das Lexikon gilt hier als Sprachgesetzbuch. Die Systemlinguistik deckt im juristischen Verständnis die Gesetze des richtigen bzw. legitimen Sprechens auf, und die empirische Befragung führt zu harten Beobachtungsdaten, die kein Moment von Interpretation beinhalten. Das Ganze hat mit Linguistik natürlich nicht sehr viel zu tun, aber dafür um so mehr mit der scheinbaren Befriedigung juristischer Legitimationszwecke. Busse: Es ist zu Recht angesprochen worden, daß die Rezeption von linguistischen Theorien in der Jurisprudenz selbstverständlich Vorgaben juristischen Interesses folgt, und ich möchte deswegen aus meiner Beobachtung der juristischen Diskussion über Sprachtheorien an dieser Stelle anmerken, daß die Art und Weise, wie linguistische oder sprachphilosophische Theorien in der Jurisprudenz rezipiert werden, durchaus dem entspricht, was Michael Sokolowski zu Anfang unter dem additiven Aspekt der Rechtslinguistik angesprochen hatte, also Linguistik als Hilfswissenschaft. Durchweg, so ist meine Beoachtung, haben linguistische Theorien in der juristischen Methodendiskussion die Funktion, daß sie erstens nach vor der Rezeption von Sprachtheorien bereits feststehenden rechtsmethodischen Überzeugungen ausgewählt werden. Sie werden dann zweitens in der Argumentation, in der internen rechtsmethodischen Auseinandersetzung als Argumente sehr stark gemacht, bleiben aber drittens trotz diesem Starkmachen für mich als Linguisten letztendlich merkwürdig blaß bzw. folgenlos. Das heißt: sprachtheoretische Überlegungen werden zu Alliierten in rechtsinternen Auseinandersetzungen gemacht, aber nicht wirklich auf ihre Konsequenzen hin für die Sprachlichkeit des Rechts und auch für die damit verbundene Auslegungsproblematik hinterfragt. In diesem Zusammenhang möchte ich kurz eingehen auf den Disput, der in der Jurisprudenz zwischen den sogenannten subjektiven und objektiven Auslegungstheo1*
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rien besteht. Das stellt sich für mich als Linguisten eigentlich etwas anders dar, als es vielleicht die Juristen, die daran beteiligt sind, selbst sehen. Für mich sind beide Arten von Auslegungstheorien (sowohl subjektive als auch objektive Theorien) sprachwissenschaftlich gesehen zwei Spielarten des Objektivismus, indem es nämlich einmal um die sogenannte objektive Textbedeutung geht, das heißt um die objektive Feststellbarkeit eines Text- oder Wortsinnes; und indem es zum anderen in den juristisch sogenannten subjektiven Auslegungslehren um eine objektiv feststellbare Autorintention geht, etwa bei Hegenbarth. Die Subjektivität der Interpretation, das heißt die subjektiven Implemente im Auslegen von sprachlichen Texten, im Verstehen von Sprache, die ich als Linguist beim Stich wort Subjektivität zunächst einmal assoziiere, spielt in dieser Diskussion eine erstaunlich geringe Rolle. Vermutlich wegen des Gesetzesbindungspostulats, würde ich meinen. Dabei gibt es durchaus subjektive Implemente in rechtstheoretischen Überlegungen, aber sie werden nach meiner Beobachtung eben als objektivistisch dargestellte Theorien versteckt, beispielsweise in Form der Verstehenshorizonte in einer gewissen Spielart der Hermeneutik oder in dem Hinweis auf praktische Regelungszwecke usw. Die Begründungsbedürftigkeit des Verstehens, von Auslegungsakten, das heißt die Begründungsbedürftigkeit von semantischen Argumenten, wird gerade auch in den rechtsmethodischen Lehren übersehen, die gerade die Semantik oder die Sprachtheorie in die rechtsmethodische Diskussion eingeführt haben.
Müller: Was Busse hier ausführt, ist richtig, aber es ist auch sehr herb. Ich will deutlich machen, daß das für Rechtswissenschaft und Rechtstheorie nicht die einzig mögliche Position sein muß. Die alte geisteswissenschaftliche, die hermeneutische Frage: was soll eigentlich das Ziel des Verstehens sein?, kommt ja von außerhalb der Rechtswissenschaft. Soll das genannte Ziel des Verstehens die Vorstellung des Autors oder soll es eine diesen übersteigende objektive Bedeutung sein? Und woher wäre sie zu nehmen, von wem wäre sie woher zu nehmen? Oder soll es die Vorstellung des Verstehenden sein, in einer bekannten Haltung, die Paul Valéry hermeneutischen Nihilismus genannt hat und von der jemand wie Gadamer natürlich nichts wissen will. Und was ist, um auf die Rechtswissenschaft zu kommen, das juristische, dort sogenannte Auslegungsziel, der Wille des Gesetzgebers oder, Busse hat davon gesprochen, der Wille des Gesetzes? Die das eine bzw. das andere behauptende subjektive bzw. objektive Auslegungslehre bekämpfen einander seit Menschen- und Juristengedenken ohne sichtbaren Fortschritt. Für die Strukturierende Rechtslehre stellt sich diese Frage nicht als Alternative; genauer gesagt, sie stellt sich ihr überhaupt nicht in dieser geisteswissenschaftlich-hermeneutischen Form. Rechtsarbeit ist Entscheiden oder Vorbe-
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reitung bzw. Nachbereitung von Entscheiden; Nachbereitung in Form der Überprüfung, der Kontrolle, der Kritik bereits gefällter Entscheidungen. Das Ziel dieser juristischen Arbeitsvorgänge ist nicht eine Form des Verstehens oder die eine oder andere Form des Nachvollzugs, was ja etwas Vorvollzogenes, etwas Vorgegebenes voraussetzen würde. Das Ziel ist auch nicht ein Auslegen von etwas vorher von einer anderen Instanz, einer gesetzgeberischen Autorität, Hineingelegtem; was, weil es vorher hineingelegt worden wäre, nun darin enthalten sei. Die Frage ist, was geschieht eigentlich, wenn Rechtsarbeiter entscheiden? Was, strukturell auf den Begriff gebracht, tatsächlich geschieht, ist in jedem Einzelfall: das Schaffen einer Rechtsnorm und, diese Rechtsnorm individualisierend, die Entscheidung des vorliegenden Rechtsfalls. Sofern es dabei sinnvoll sein mag, von einem „Ziel" zu sprechen, liegt dieses Ziel darin, eine inhaltlich und methodisch korrekte Rechtsnorm zu erstellen und, diese individualisierend, dann entsprechend den Einzelfall korrekt zu entscheiden. Der „Wille des Gesetzgebers" ist demgegenüber eine Chimäre. Ein zurechenbarer Willensinhalt eines irgendwie definierbaren bewußten Subjekts ist jedenfalls unter den modernen Bedingungen der Legislative nicht vorhanden. Und auch der „Wille des Gesetzes" ist ein Phantom. Er geht von der sprachwissenschaftlich, gelinde gesagt, nicht mehr überzeugenden Vorstellung einer vorgegebenen, dem Normtext innewohnenden, feststellbaren, auffindbaren Bedeutung aus. Dagegen ist aber für die Strukturierende Rechtslehre das, was mit „Wille des Gesetzgebers" sachlich gemeint wird, unter zwei Bedingungen möglicherweise wichtig. Zum einen gehen aus den legislatorischen Vorgängen, die zur Setzung des Normtextes geführt haben, vertextete Vorstellungen, die sogenannten genetischen Konkretisierungselemente, insoweit in die Ausarbeitung des Normprogramms ein, als sie methodisch mit dem Normtext selbst in Beziehung gebracht werden können. Und zweitens bestimmen diese genetischen Konkretisierungselemente die endgültige Fassung des Normprogramms mit, insoweit sie nicht durch Präferenzregeln im Fall etwaiger methodologischer Konflikte zwischen den Konkretisierungselementen ausgeschaltet werden. Wenn ein solcher Konflikt nicht vorliegt, und wenn beispielsweise die anderen Konkretisierungselemente (systematisches, grammatisches, historisches, um nur die klassischen zu nennen) relativ wenig aussagekräftig sind, so kann dieses genetische Element eine große inhaltliche Rolle für die Rechtsentscheidung spielen. Es kann das; in anderen Fall typen kann es das dagegen überhaupt nicht. Das Ganze hat mit einem „subjektiven Auslegungsziel" im Sinn der traditionellen Diskussion nichts zu tun, hat nichts zu tun mit einem Vorzug für die subjektive Theorie. Es ist ja, durch Busse von der Linguistik aus, auch vorhin schon die Frage gestellt worden, was diese Gegenüberstellung von subjektiven und objektiven Auslegungszielen eigentlich soll; davon ganz abgesehen, daß es sich in beiden Fällen um Spielarten eines doch immerhin bezweifelbaren Objektivismus handelt.
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Jeand'Heur: A n den letzten Beitrag anknüpfend, möchte ich nochmals betonen, daß der grundsätzliche Fehler sowohl der subjektiven als auch der objektiven Theorie darin besteht, daß beide davon ausgehen, es gäbe eine richtige Interpretation des Normtextes oder, wie der Rechtspositivismus glaubt, die Bedeutung der Rechtsnorm sei an sich schon vorgegeben und müsse nur noch herausgefunden werden. Diese Idee der richtigen, weil nur noch nachzuvollziehenden Interpretation wird, wie Müller dargestellt hat, von der Strukturierenden Rechtslehre nicht mehr geteilt. Für die Strukturierende Rechtslehre ist eine Entscheidung demnach nicht deshalb richtig, weil sie einer vorgeblich substantiell schon vorhandenen Bedeutung der Rechtsnorm folgt. Relevant ist stattdessen vor allem die Frage nach bzw. die Untersuchung des Weges zu einer Entscheidung. Relevant ist insofern die Frage danach, was der Rechtsarbeiter eigentlich tut, wenn er eine Entscheidung trifft. Das heißt - nunmehr von linguistischer Seite her betrachtet - , daß wir das Handlungsmuster und in diesem Zusammenhang die Sprechakte analysieren müßten, welches bzw. die der Rechtsarbeiter bei seiner Entscheidungstätigkeit gebraucht.
Christensen: Nochmals zur Frage von subjektiver versus objektiver Auslegungslehre. Bei dieser Kontroverse wird die Sprachtheorie sehr deutlich, von der Juristen ausgehen. Die subjektive Lehre begreift die Sprache als reines Kunstprodukt, das vollständig erklärt werden kann durch die Intentionen des Sprechers bzw. Autors. Die objektive Lehre begreift die Sprache als Naturprodukt, das dem Sprecher in derselben Weise vorgegeben ist wie dem Wanderer die Alpen. Darin liegt eine jeweils spezifische Verkürzung sprachlicher Ordnung, die schon in der wechselseitigen Kritik dieser Positionen deutlich wird. Die objektive Lehre wendet gegen die subjektive Lehre zu Recht ein, daß der Autor die Gesamtheit der Sprache als unendlichen Sinnzusammenhang weder überblikken noch beherrschen kann. Umgekehrt wendet die subjektive Lehre ein, daß sich der unendliche Sinnzusammenhang der Sprache nur dann zu einer objektiven Textbedeutung reduzieren läßt, wenn man mit dem objektiven Geist eine hypostasierte Autorenfunktion einführt. Aus der Schwäche der Gegenposition wird damit die jeweils eigene Position zur juristischen Auslegung legitimiert. Der Streit mündet so in eine diskursive Endlosschleife. Die sprachliche Ordnung liegt aber zwischen diesen vereinseitigenden Extremen juristischer Wahrnehmung. Sie ist weder reines Naturprodukt noch reines Kunstprodukt, sondern, wie Keller gezeigt hat, als Phänomen der dritten Art nur einer invisible-hand-Erklärung zugänglich. Eine Kritik an den Verkürzungen der impliziten juristischen Sprachtheorie mündet nicht in Beliebigkeit. Es gibt im juristischen Sprachspiel bestimmte Standards, eine bestimmte Argumentationskultur, die dem Streit um das Recht ein Element von Nichtbeliebigkeit
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verleiht. Schon von der Verfassung her sind der Tätigkeit der Juristen Schranken gezogen. Diese Schranken sind Teil einer Ordnung, die die Juristen gemeinsam produzieren und die trotzdem eine gewisse Objektivität hat. Sokolowski: Mit dem Beitrag von Friedrich Müller, dem Hinweis, daß die zuvor diskutierten theoretischen und entsprechend methodischen Vorstellungen der Juristen nicht die einzigen sind, die vertreten werden, daß somit auch die Vorstellung über Sprache und eine entsprechende Dienstbarmachung von Linguistik nicht alles ist, was in diesem Bereich geschieht, ist ein wichtiger Umschlagpunkt zur Bestimmung des Verhältnisses von Rechtswissenschaft und Linguistik erreicht; nämlich der Umschlagpunkt von einem eher destruktiv orientierten Verhältnis zu einem konstruktiven. Destruktiv heißt, wie vorher schon vor allem auch in den Äußerungen zur Wortlautgrenze deutlich geworden, daß die Linguistik rezipierten linguistischen Theorien der Juristen zum einen, zum zweiten dem Rezeptionsverhalten von Juristen - nämlich, wie Busse ausgeführt hat, sich linguistische Theorien dem eigenen Vorgehen zupaß zu machen - , daß dem allem also Linguistik einen Spiegel vorhalten kann. Gegenüber dieser eher destruktiven Seite läßt sich, glaube ich, mit einer Sprachwissenschaft - und ich betone, daß es sich um eine Sprachwissenschaft handelt, die unter dem Titel praktischer Semantik vertreten wird - , läßt sich nun auch ein Ansatz, der wie die Strukturierende Rechtslehre von dem ausgeht, was getan wird und zu tun ist, konstruktiv fundieren. Hier kann die praktische Semantik unterstützend wirken, indem sie nämlich nun positiv legitimierend zeigt, daß sich dieser Ansatz auch mit dem verträgt, was wir als Bild vom sprechenden Menschen haben können. Für einen Ansatz wie die praktische Semantik steht, wie Wittgenstein sagt, am Ende der Kette der Gründe (vgl. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, 1977, § 326) und am Anfang eines jeden neuerlichen Sprechens eben der Mensch. Einerseits wird dem Menschen damit die ausschlaggebende aktive Rolle für alles, was von Bedeutung und Sinn ist, zugewiesen, ihm insbesondere so, wie er sich im sprachlichen Umgang, in sprachlicher Verständigung manifestiert, die aktive Rolle zugeschrieben. Zugleich aber können wir in diesem Ansatz sagen, und müssen wir sagen, daß der Mensch gleichzeitig, so wie er sich in seiner Fähigkeit, in seinem Vermögen zu sprechen, zu artikulieren vermag, wie er seine Identität findet, eben auch geprägt ist von Sprache. Ich möchte hier keinen philosophischen Exkurs führen. Nur damit auf eines hinweisen: Wir können mit einem Ansatz, der konsequent und genuin praktisch orientiert ist, hier auch aus den Dichotomien herauskommen, wie sie sich beispielsweise in der Gegenstellung von Objektivismus gleich: Vorgabe zum Nachvollzug auf der einen Seite, und Subjektivismus gleich: allein aus der Aktualität willkürlich bestimmt auf der anderen Seite, wir können hier solche Dichotomien überwinden und dadurch, ich komme hiermit auf die Strukturierende Rechtslehre
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zurück, auch ein realistisches Bild dessen gewinnen, was als Recht geschieht. Wir können beispielsweise die Dichotomie vom Willen des Gesetzgebers contra Willen des Gesetzes überwinden, indem wir nun davon ausgehen, daß sich Rechtsarbeit beispielsweise als Wille zum Gesetz vollzieht. Das heißt aus linguistischer Sicht, daß der Rechtsarbeiter ein bestimmtes, an Normen, Normtexten genauer gesagt, orientiertes Handeln kultiviert; daß er dieses Handeln in einer Weise vollzieht, die bestimmten, auch moralischen Anforderungen gerecht wird, als da sind kommunikationsethische Anforderungen der Durchschaubarkeit, der Nachvollziehbarkeit und so weiter.
Müller: Juristen wenden sich an Linguisten. Wir haben jetzt diese Situation in verschiedener Beleuchtung diskutiert. Sie wollen von den Linguisten etwas wissen; wollen sie denn etwas von ihnen wissen? Oder wollen sie sich ihre alltagstheoretischen Vorurteile über eine feststehende Bedeutung, und dann im vorliegenden Einzelfall über diese und keine andere Bedeutung, nur von einer anderen Autorität bestätigen lassen? Das ist sicherlich, und darauf ist hier von Busse hingewiesen worden, eine sehr zweifelhafte A r t des Herangehens der Juristen an linguistischen Sachverstand und linguistische Mitarbeit. Es gibt aber noch eine andere, eine nachvollziehbare, ja unumgängliche Seite dieses Herangehens. Ich möchte diese jetzt natürlich nicht von der Linguistik, sondern von der Rechtswissenschaft her skizzieren. Wir sprechen die ganze Zeit auf eine mehrfach vermittelte Art immer noch über das große Thema „Recht und Macht", nur tun wir es eben nicht global. Auch in einem entwickelten Rechtssystem kommt Macht, und das ist der Grundsachverhalt, nicht nur als verrechtlichte vor. Die Tatsache, daß wir in einem verrechtlichten Machtsystem leben, darf zu diesem Trugschluß nicht verleiten, und auch die Alltagserfahrung weiß hier ein Lied zu singen. Macht kommt auch im entwickeltsten Rechtssystem eben immer auch als a-rechtliche vor, das heißt ohne eine positivrechtliche, normative Stütze; oder auch als widerrechtliche, daß heißt im Gegensatz zu positiven Normen stehend. Machthandeln kann also über das sprachlich vermittelte geltende Recht hinaus oder gegen das sprachlich vermittelte geltende Recht gehen. Rechtlich vermittelte konstitutionelle Gewalt legitimiert, rechtlich nicht gestützte unmittelbare, sozusagen rohe, naturhafte Gewalt entlegitimiert. Aus diesem Grund muß zwischen „im Rahmen" bzw. „außerhalb des geltenden Rechts" von Juristen, gerade von rechtsstaatlich demokratischen Juristen, unbedingt systematisch unterschieden werden, ebenso wie zwischen Recht und Rechtspolitik. Das sind nun keine sprachtheoretischen oder semantiktheoretischen Kategorien. Aber sie sind, wenn ihre Dringlichkeit, ihre Unumgänglichkeit in einem demokratisch rechtsstaatlichen System von den Juristen mit so großem Ernst geltend gemacht werden kann, vielleicht für die Linguistik, möglicherweise auch für
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die Theorie der Bedeutung in dem einen oder in dem anderen Sinn von Interesse. Für die Strukturierende Rechtslehre als die hier ins Spiel gebrachte rechtstheoretische Position stellt sich jedenfalls eine Frage nicht, die im Verlauf unserer bisherigen Debatten von einem unserer linguistischen Gesprächspartner einmal gestellt worden ist: die Frage, ob denn die Unterscheidung von Sprachgründen und Sachgründen als Trennungslinie zwischen Recht und Macht ausreichen könne. Für die Strukturierende Rechtslehre stellt sich diese Frage so nicht. Denn Sprachdaten und Realdaten des Konkretisierungsvorgangs müssen insgesamt eine korrekte Entscheidung ergeben. Was heißt „korrekt" in diesem Sinn? Korrekt heißt einmal im Ergebnis: methodisch rechtfertigungs/äA/g; das heißt, durch einen anderen als den, der entschieden hat. Wenn ein anderer diese Entscheidung nachkontrolliert und dazu kommt, daß beispielsweise die Begründung eindeutig fehlsam oder mißbräuchlich oder in sich widersprüchlich ist, daß aber dasselbe Ergebnis mit einer korrekten Begründung gefunden werden kann, dann ist die Entscheidung rechtfertigungsfähig in diesem Sinn. Damit eine Entscheidung rechtsstaatlich ganz in Ordnung ist, muß freilich nicht nur das Ergebnis gerechtfertigt werden können, sondern muß auch der zu ihm führende Weg, also die Methodik der Ausarbeitung, offengelegt, methodenehrlich, nachvollziehbar und in diesen Zusammenhängen in Ordnung sein. Nun ist eine korrekte Entscheidung nicht rechtlose Macht, sondern legitime und legitimierende konstitutionelle Gewalt im Sinn des vorhin eingeführten Begriffs. Sie wird arbeitstechnisch, ich komme auf das Gesagte zurück, durch ein Zusammenspiel beider Gruppen von Entscheidungselementen erarbeitet, der Sachdaten und der Sprachdaten, und zwar auf der Grundlage des erarbeiteten Modells von Normstruktur. Auch ein zweiter hier früher gemachter Einwand der Linguisten läßt sich auf diese Art entschärfen. Nämlich der Einwand, ein argumentierender Rechtstext lasse sich eben nicht eindeutig in einerseits Sprachaussagen und andererseits Sachaussagen segmentieren. Das ist richtig. Es ist aber im Rahmen dieser rechtstheoretischen Position reflektiert; und zwar beim Unterscheiden von Realdaten und Sprachdaten insoweit, als Sprachdaten als primär sprachlich konstituiert, Realdaten dagegen als sekundär, aber eben auch sprachlich konstituiert beschrieben werden. Soviel zu der nicht nur, glaube ich, legitimen, sondern im Interesse von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unumgänglichen Seite dessen, daß Juristen sich überfordert fühlen und an Linguisten herantreten können. Über die andere, die zweifelhafte Seite ist hier mit gutem Recht schon einiges gesagt worden. In solchen Fällen ziehen praktische Juristen, zum Beispiel Richter, in einem bestimmten streitigen Prozeßverfahren linguistische Sachverständige hinzu. Sie wollen „die Bedeutung" gesetzlicher Begriffe abfragen, ohne sich um die Einwände der Linguisten zu kümmern, daß schon die Frage nach der
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Bedeutung grundsätzlich zweifelhaft sei; sie wollen die „richtige" Bedeutung haben, sie wollen in der Regel ihre Meinung bestätigt sehen, usw. Wenn man das allgemeiner faßt, ist es so, daß häufig, meines Wissens nach der Erfahrung gut achtender Linguisten sogar fast immer, die Linguistik für die Legitimierungsbedürfnisse der praktischen Juristen eingespannt werden soll. Das ist ein Thema, mit dem wir unsere bisherigen Überlegungen zu Recht und Macht auf einer präziseren Stufe jetzt fortschreiben könnten, wenn das gewünscht wird. Wie steht es mit „Bedeutung", „Wortlautgrenze", „Objektivität" und anderen Dingen, die wir bisher diskutiert haben, jetzt auf der Ebene der Legitimation, der Legitimierung; und nicht nur allgemein im Kraftfeld zwischen Recht und Macht, innerhalb dessen Figuren wie „Wortlautgrenze", objektive, subjektive „Auslegungsziele" usw. bereits bestimmte theoretische Teilanworten darstellen? Wie steht es mit diesem übermächtigen Bedürfnis der Juristen und der Mächtigen, die sich der Juristen bekanntlich schon immer zu bedienen gewußt haben, jetzt gegenüber einer insofern unschuldigen, außerhalb des unmittelbaren Machtkontextes stehenden linguistischen Wissenschaft? Busse: Michael Sokolowski hatte ja vorhin den destruktiven Beitrag der Linguistik zur gemeinsamen Diskussion - oder nicht zur gemeinsamen Diskussion, aber zu gewissen sprachtheoretischen Auffassungsweisen, wie sie in der Rechtsmethodik reflektiert werden - , angesprochen. Dieser destruktive Beitrag besteht darin, daß die Linguistik aufzeigen kann oder vielleicht sogar aufzeigen muß, daß eine Bedeutungsfeststellung in dem von Juristen gewünschten Sinne (als objektivierbare, objektive Bedeutungsfeststellung) zum einen weder prinzipiell (d.h. sprachtheoretisch gesehen) überhaupt in dem dort verfochtenen Verständnis von Objektivität möglich noch andererseits empirisch in diesem Sinne von Objektivität überhaupt linguistisch durchführbar ist. Bedeutungsformulierungen, Bedeutungserläuterungen, wie sie Linguisten machen, haben jedenfalls im Selbstverständnis der Linguistik als einer deskriptiven Wissenschaft nicht diesen Status von objektiven unumstößlichen Tatsachen, wie ihn manche Rechtsmethodiker offenbar wünschen. Aber empirische linguistische Daten können in einem Beratungsverhältnis zwischen Linguistik und Rechtsanwendung durchaus Ausgangspunkte für juristische Normtextinterpretation sein und wären in diesem Sinne sicherlich objektiver als die bislang noch oft gepflogene sogenannte Lehnstuhlmethode der Bedeutungsermittlung. Die Linguistik kann (dies gesagt zum Beitrag der empirischen sprachwissenschaftlichen Forschung als Beratungsinstanz für Rechtsauslegung) auf sprachtheoretischer Ebene den Status von sprachgebundenen Aspekten des Rechts klären helfen und damit auch zu einer Selbst Verständigung der juristischen Methodik über das Ausmaß (aber auch, Friedrich Müller hat es angesprochen, über die Grenzen) des sprachlichen Aspekts der Rechtsauslegung Informationen geben oder theoretische Hilfestellung leisten. Allerdings, dies war ebenfalls schon
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angesprochen worden, ist der Zweck der juristischen Normtextauslegung ein praktischer Zweck. Es geht um Entscheidungen, rechtliche Fälle müssen entschieden werden. Diese Entscheidung kann indes die Sprachwissenschaft den Juristen oder den Richtern nicht abnehmen; das heißt, sie kann Informationen geben über die Verwendung von bestimmten Wörtern, über die Bedeutungen von Ausdrücken in der Alltagssprache, sie kann den Juristen aber letztlich nicht die Entscheidung im rechtsmethodischen Sinne, die Entscheidung, die für den Urteilsspruch zu fällen ist, abnehmen. Sie muß allerdings deutlich darauf hinweisen, daß semantische Argumente, ich hatte das vorhin schon einmal angesprochen, selbst begründungsbedürftig sind. Das heißt, daß sogenannte semantische Argumente, wenn sie denn unter dem Stichwort „grammatische Auslegung" in die Begründung von Rechtsentscheidungen eingeführt werden, nicht schlechthin für sich schon eine Begründung ersetzen dürfen, sondern daß diese selbst begründungsbedürftig sind. Es gibt also eine Interpretationslast des Richters auch in diesem „grammatischen" Sinne, im Sinne des grammatischen Kanons. Für diese Begründungsbedürftigkeit auch des semantischen Argumentes können Linguisten (vielleicht auch durch Gutachtertätigkeit vor Gericht) durchaus Informationen geben, aber diese Begründungslast, die Interpretationslast und die Entscheidungslast des Richters können sie sicherlich nicht abnehmen. Sokolowski: Ich möchte nochmal die Frage der Macht und der Legitimierung bzw. der Legitimation in den Vordergrund stellen. Wenn Friedrich Müller angedeutet hat, daß die Linguistik hier mit einer gewissen Unschuld dem Problem gegenüber steht, so trifft das, glaube ich, nicht ganz zu. Die Linguistik, insbesondere eine Linguistik, die sich der Praxis zugewendet hat, eine pragmatische Linguistik, hat hier durchaus ihre Unschuld verloren. Ich erinnere an das große Thema der Sprachkritik, nämlich den politischen Sprachgebrauch, in dem die Linguistik in Form der sogenannten semantischen Kämpfe damit konfrontiert war; nicht nur in bezug darauf, was mit Sprache angerichtet werden kann an Überwältigung, an Bemächtigung von Lebensform auf dem Wege ihrer Grenzziehung in der Sprache, sondern Linguistik war hier durchaus schon einmal konfrontiert damit, wie brauchbar und wie allzu willfährig linguistische, sprachtheoretische Argumente in einem solchen Zusammenhang sein können. Das heißt, die Reflexion über Sprache wurde selbst im Zusammenhang politischen Sprachgebrauchs zu einem Mittel des Kampfes um Macht. A l l das erinnert daran, daß auch die Linguistik gefordert ist, ihre Stellungnahme begründend auszuweisen, mehr noch: sich begründet dem zu stellen, was sie als Sprachpraxis beschreibt und beurteilt.
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Müller: Was Sokolowski da sagt, leuchtet leider ein. Das geht dahin, die Unschuld der Linguistik sei nur eine relative. Aber sie ist eine relative Unschuld, verglichen mit der Haltung von uns Juristen. Unsere Legitimationsbedürfnisse sind so massiv, allgegenwärtig und die anderen überwältigend, auch im unanständigen Sinn zum Beispiel die Linguisten bedrängend, daß ich versuchen möchte, jetzt nicht, wie es eben geschehen ist, von der Seite der Sprachwissenschaft her, sondern von der Rechtstheorie aus den Ansatz zu einem Konzept für die Frage der Legitimität zu skizzieren: nicht im Sinn der Politikwissenschaft oder des Verfassungsrechts, sondern in unserem Zusammenhang der vertexteten Macht, in dem einer Interdisziplinarität zwischen Sprach- und Rechtswissenschaft. Diese Frage der Legitimität ist auch für positivistische Juristen erstrangig wichtig. Diese Feststellung mag seltsam erscheinen. Das liegt daran, daß dabei nicht expliziert ist, was mit „positivistisch" gemeint ist. In diesem Kontext kommt es weder auf den allgemeinen Wissenschaftspositivismus an, da es um Rechtsarbeit geht; noch auf den Positivismus in Methodenlehre und Rechtstheorie, von dem wir hier immer nur gesprochen haben, den sogenannten Gesetzespositivismus. Es kommt auch auf ihn nicht an, da sowohl dessen Anhänger als auch dessen Gegner fraglos legitim zu handeln wünschen. Es geht hier um den Rechtsgeltungspositivismus. Dieser optiert in der Frage des sogenannten Geltungsgrundes (Warum gilt diese und jene rechtliche Norm überhaupt?) gegen das Naturrecht, gegen alle auch pseudonaturrechtlichen Argumente und für die feststellbare, nachprüfbare Tatsache einer verfassungsrechtlich korrekten Setzung. In diesem besonderen Sinn sind heute so gut wie alle Rechtswissenschaftler und Rechtspraktiker fraglos Positivisten. Ich sagte also, daß positivistische Rechtsarbeiter in diesem Sinn sich in ihrem Tun (und ihr Tun besteht in der Erzeugung von Texten, in der Produktion von Entscheidungstexten und Begründungstexten, daneben auch von Wissenschaftstexten) an das vorgegeben Vertextete halten; technisch gesagt, an die Norm texte. Alles Höhere, insbesondere Moral oder Naturrecht, darf dabei a priori nicht in Erscheinung treten. Es tritt dagegen massiv in den Auseinandersetzungen der Rechtspolitik auf, die ja ihrerseits zum Schaffen neuer Normtexte bzw. zum Ändern bestehender Normtexte führen soll. Für beides, also für die sogenannte Rechtsanwendung wie für die legislative Arbeit, anders gesagt für Recht und Rechtspolitik, haben die vertexteten modernen Verfassungen die Funktion des alten Naturrechts bzw. tradierter naturrechtlicher Argumente als des Höheren übernommen; und zwar wiederum durch Setzung, somit nicht gegen die, sondern mit den Grundannahmen des Rechtsgeltungspositivismus, von dem ich gerade ausgegangen bin.
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Nun stellt sich diese allgemeine Textstruktur der Legitimität unter dem Bonner Grundgesetz noch differenzierter dar. Unter dem Grundgesetz haben sogar die nicht-verfassungsrechtlichen Rechtsarbeiter, das heißt Richter und andere juristische Funktionsträger in den alltäglicheren Gebieten des Zivilrechts, des S traf rechts, des Verwaltungsrechts die Möglichkeit, ungestraft im Sinn von: positivistisch korrekt auf ihr Höheres durchzugreifen, auf die Verfassung. Und zwar einmal wegen der unmittelbar bindenden Rechtswirkung der Grundrechte in allen Bereichen, Artikel 1 Abs. 3 des Grundgesetzes; und zweitens wegen der Möglichkeit der Gerichte, ihren Rechtsstreit auszusetzen und eine entsprechende Streitfrage zur Verfassungsmäßigkeit der von ihnen anzuwendenden Norm dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, Artikel 100 Grundgesetz. Zu diesen beiden Figuren haben Literatur und Rechtsprechung noch zwei weitere hinzugefügt, die ergänzende Wirkung haben: verfassungskonforme Gesetzesauslegung und die sogenannte mittelbare Drittwirkung der Grundrechte auch zwischen privaten Rechtssubjekten, ohne daß das Rechtssubjekt Staat mit der öffentlichen Gewalt hinzutritt. Für alles, was über diese Konstruktionen hinausgeht, ist die positivrechtlich geltende Verfassung eine Sperre; das heißt gegenüber allem in der Verfassung nicht deutlich positivierten Höheren auf der inhaltlichen Seite sowie zweitens gegenüber allen Verfahrensweisen eines Durchgriffs „nach oben", auf Moral und Ethik, auf Werte, auf Naturrecht; und zwar gegenüber allen Verfahrensweisen, die nicht als solche von der Verfassung legitimiert sind. Nun wird in der Rechtspraxis unter dem Bonner Grundgesetz trotzdem eine Luke für solche vorgeblich direkten Zugriffe auf Naturrecht, auf Moral, auf die „Erfahrungen aller Zeiten und Völker", auf die sogenannte Rechtsidee oder schlicht auf „die" Gerechtigkeit sorgfältig offengehalten. Gegen diese Luke in Gestalt des „Richterrechts" ist, ganz abgesehen von rechtstheoretischen, methodologischen und verfassungsrechtlichen Gegengründen, einzuwenden, daß dabei der Unsicherheitscharakter, der Willkürcharakter, der Kampf- und Entscheidungscharakter eben dieses „Höheren" völlig übergangen, verleugnet, versteckt wird. „Le combat spirituel est aussi brutal que la bataille d'hommes" schreibt Rimbaud in Les Illuminations. Bei der Verfassung als dem legitim Höheren sind diese Eigenschaften Unsicherheit, Kampf, Möglichkeit der Willkür, Entscheidungscharakter dagegen zugestanden, sind sie offenkundig, kaum versteckbar. Bei aller Komplexität, bei allem Streit um Begriffe und Verfassungspositionen ist hier aber die Arbeit, weil im Bereich des rechtlich Vertexteten, ungleich stabiler und rationaler. Ich schließe diesen Hinweis ab. Er verortet die von Juristen berufsmäßig hervorgebrachten Texte (Entscheidungstexte, Begründungstexte, daneben Wissenschaftstexte) auf verschiedenen Niveaus legitimierender Texttraditionen. Nachdem die Strukturierende Rechtslehre bisher die Textstruktur der Legalität entworfen hat, könnte man bei dem soeben vorgestellten Aspekt
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vom Ansatz zu einer Textstruktur der Legitimität reden. Das Ensemble der von dieser Position entwickelten Strukturierungsfelder heißt demnach vollständig: Normstruktur, Textstruktur, Geltungsstruktur und Legitimierungsstruktur. Eine Frage, die nach den bisherigen Diskussionsbeiträgen jetzt noch offen bleibt, ist folgende: Welche Funktionen haben überhaupt vor diesem Hintergrund Texte als handlungsanweisende, als Handlungsanweisungen im juristischen Tun? Stehen andere Auslegungstheorien, philologische, exegetische Auslegungskonzepte, oder stehen die Bemühungen anderer Textwissenschaften mit den juristischen Spielarten der Textauslegung in irgendeinem bestimmbaren Zusammenhang? Hieran kann man auch die Frage knüpfen, ob die durchgängige Gesetzesbindung des juristischen Handelns (sie ist in einigen Gesprächsbeiträgen hier schon gestreift worden) in diesem Zusammenhang theoretisch formuliert werden kann. Die Frage geht wohl zunächst an die Linguisten zurück. Es ist eine Frage, für die sie wesentlich kompetenter sind als wir Juristen.
Wimmer: Die von Müller zuletzt gestellte Frage der Textauslegung möchte ich vielleicht zunächst zurückstellen und von linguistischer Seite aus sagen, daß das ganze Konstrukt der Gesetzesbindung und auch das Produkt der juristischen Arbeit, das sich in Texten niederschlägt, durchaus als solches erkannt wird und daß auch der Sinn dieser Konstruktion erkannt wird. Von linguistischer Seite stellt sich im Zusammenhang mit der Legitimierungsfrage das Problem: welchen Zugang haben die an der Rechtsarbeit nicht unmittelbar beteiligten rechtsunterworfenen Bürger, die nur der allgemeinen Sprache mächtig sind, aber nicht der Fachsprache der Juristen, welchen Zugang haben diese Bürger zu den Gesetzestexten, zu den anderen Texten, die die Rechtsnorm, die inhaltlich und methodisch korrekt zustande gekommene Rechtsnorm, wie Müller sagt, repräsentieren. Diese Frage wird oft aufgeworfen im Zusammenhang mit der Verständlichkeitsforschung. Es gibt, das ist natürlich, ich habe den Ausdruck „Fachsprache" in die Diskussion gebracht, es gibt Barrieren, die Texte, auch wie sie vor Gericht eventuell vermittelt werden, auch wie sie übersetzt werden von Anwälten für den normalen Bürger, als Verstehensprobleme aufwerfen. Die Texte werfen Verstehensprobleme auf. Die sind zum Teil vordergründiger Art: daß man die Vokabeln nicht versteht, daß man den Satzbau nicht versteht, u. ä. Das ist aber allein nicht gemeint von mir, wenn ich danach frage, welche Möglichkeit diejenigen haben, die an der Rechtsarbeit nicht mittelbar oder unmittelbar beteiligt sind, welche Möglichkeit des Zugangs zum Recht und zu den Aussagen der Juristen die so nicht Beteiligten haben. Welchen Zugang haben sie zu den Normen, zu den Handlungsspielen, zu den Intentionen und Zielen, die sich in den Rechtstexten kodifiziert aus-
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drücken. Die Frage ist von linguistischer Seite her: Ist es nicht nötig, daß die Rechtsarbeit insgesamt sich stärker vermittelt und darstellt, auch in allgemein verständlichen, auch umgangssprachlichen Texten? Ist es nicht nötig, daß auch die Handlungsmuster der Juristen und der Rechtsarbeit auf dem ganzen Weg von der Gesetzgebung über die Textformulierung bis zur Arbeit des Richters, daß diese Pragmatik, die im rechtlichen Handeln und Textherstellen und Interpretieren dominant ist, daß die stärker vermittelt werden? Also meine grundsätzliche Frage ist: Sieht nicht für die Nichtbeteiligten am Rechtsfindungsprozeß das Rechtssystem, die Jurisprudenz insgesamt, aus wie ein fachsprachlich abgegrenzter esoterischer Zirkel? Man kann sogar, um einen anderen linguistischen Ausdruck ins Spiel zu bringen, vielleicht davon reden, daß hier eine Sondersprache ihr Spiel treibt, daß vielleicht sogar eine Standessprache eine Rolle spielt. Den Ausdruck Standessprache hier ins Spiel zu bringen, ist vielleicht nicht so ganz illegitim, wenn man daran denkt, was Müller eben sagte, daß nämlich die Textsorten, die in der Rechtsarbeit eine Rolle spielen, natürlich eine Tradition haben in der Geschichte der Jurisprudenz; und das ist eine Geschichte, die nur zum Teil jeweils vermittelt war und auch heute vermittelbar ist mit der allgemeinen Geschichte, mit der politischen Geschichte und mit der Geschichte, die der Rechtsunterworfene allgemein verstehen kann und zu der er Zugang hat. Jeand'Heur: Eine Zwischenfrage. Wie verstehst D u den Ausdruck „Textsorte" in dem Zusammenhang? Kannst D u das mal explizieren? Wimmer: Der Ausdruck „Textsorte" (oder „Texttyp" als etwas allgemeinerer Ausdruck) ist in der Linguistik etabliert als ein Ausdruck für Texte, die in bestimmten Situationen oder Situationstypen produziert werden, die von daher bestimmte Merkmale haben, die aus der Situation oder aus dem Handlungsspiel sich ergeben. Beispielsweise, wenn man den Ausdruck „Texttyp" als Oberbegriff für „Textsorte" nimmt, dann wären Texttypen etwa Gesetzestexte, und je nachdem, um welche Gesetze es geht, in welche gesellschaftlichen Situationen diese Texte hineingestellt sind, könnte man von Textsorten sprechen. Also Textsorten wären situationsgebundene Texttypen, und man könnte eben viele juristische Texte, nicht nur die Gesetzestexte, versuchen zu klassifizieren in einem solchen Schema, und man würde dann sicher Parallelen finden zu Unterscheidungen, die in der juristischen Textlehre auch selbstverständlich sind und die gemacht werden müssen. Man muß eben die verschiedenen Texte, die im ganzen Handlungsspiel der Juristen eine Rolle spielen, differenzieren. Und die Frage ist eben, inwieweit in diese Textproduktionssituationen nicht eingeweihte Sprecher einer Sprache dann Zugang zu diesen
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Texten haben. Die Verstehensbarrieren ergeben sich nicht nur aufgrund oberflächlicher sprachlicher Komplizierungen, wie bestimmte Fachwörter oder Satzbauprobleme, sondern sie ergeben sich dadurch, daß Texte von ihrem ganzen Inhalt her natürlich immer ihre Entstehungsgeschichte mittransportieren und den Handlungszusammenhang, in dem sie entstanden sind. Und insofern die Adressaten der Texte keinen Zugang mehr zu diesen ganzen Handlungszusammenhängen haben, bleiben ihnen die Texte auch fremd. Man kann einen Text sogar oberflächlich verstehen können, der oberflächlich ganz einfach aussieht. Wenn man aber den Hintergrund, den Entstehungszusammenhang des Textes nicht rekonstruieren kann, hat man zu den Inhalten, zu dem, was der Text produzieren will, dennoch keinen Zugang. Und so entsteht eben eine Barriere, die letztlich zurückgeführt werden kann auf bestimmte Lebensformen. Die Juristen haben in ihrem juristischen Handeln, in der Pragmatik des Rechtsarbeitens, eben auch eine bestimmte Lebensform entwickelt, die sich in den Texten niederschlägt und die als Ganze vielen Rechtsunterworfenen fremd bleibt. Und dadurch entstehen eben Legitimierungsprobleme auf der einen Seite. Die werden ja auch gesehen, von allen Juristen gleichermaßen, und es gibt eben Nichtverstehensprobleme, Probleme des Ausgeschlossenseins, des Sich-Überrumpelt-Fühlens durch Texte auf der anderen Seite. Christensen: Wo liegt die Barriere, die den juristischen Laien ausschließt? Diese Barriere liegt meines Erachtens da, wo man die Entscheidung als bloßen Vollzug einer kognitiv vorgegebenen Struktur ausgibt und damit das gestaltende Moment, den Widerstreit der Interpretationen versteckt. Dazu eine kurze historische Reminiszenz: Der gerichtliche Prozeß wurde ursprünglich als Rechtsgang bezeichnet, weil man darin einen Zweikampf mit Worten sah. Auch heute spricht man noch vom Rechtsstreit, denn es wird um die Auslegung von Texten gestritten, es stehen sich konkurrierende Interpretationen gegenüber. Die Gewalt, die in der Entscheidung dieses Streites, in der richterlichen Durchsetzung einer bestimmten, auf den Fall bezogenen Textbedeutung liegt, wird sogar in der Verfassung reflektiert, deren Art. 92 den Richtern die rechtsprechende „Gewalt" überträgt. In der Rechtstheorie positivistischer Spielart wird dieses aktive Moment, das am Normtext und den Standards juristischer Argumentationskultur zu legitimieren wäre, versteckt. Die Entscheidung des Widerstreits um die Verknüpfung von Normtext und Rechtsnorm wird vom Positivismus als reine Erkenntnis ausgegeben. Nur der Fachmann hat zu dieser Erkenntnis Zugang, und der Laie kann gerade nicht mitreden. Erst wenn man dieses verschwiegene, versteckte Element von Gewalt, das in jeder Interpretation liegt, herausarbeitet, kann die Barriere abgebaut werden. Es wird dann deutlich, daß der juristische Spezialist nicht einfach unangreifbare Erkenntnisse von sich gibt, sondern gebunden an bestimmte, politisch entschiedene Standards eine Interpretation aktiv durchsetzt.
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Busse: Ich möchte auch noch einmal auf Rainer Wimmers Überlegungen zur Verständlichkeit von Recht für die Bürger zurückkommen und die Überlegung zugleich etwas weitertreiben und in Verbindung bringen mit der Frage, die gestellt worden war, welche Funktion Texte für den Rechtsfindungsprozeß haben können. Wenn wir uns überlegen, in welcher Form das Recht dem Bürger gegenübertritt (einmal abgesehen davon, daß er vielleicht selbst vor Gericht steht), ζ. B. wenn jemand sich informieren will über seine Rechtslage, dann wird er zum Gesetzestext, zum Normtext greifen. A l l die anderen Sprachdaten, welche, wie Friedrich Müller ausgeführt hatte, in der Rechtsarbeit (d.h. in der Entscheidungstätigkeit) eine Rolle spielen, beispielsweise Kommentartexte oder Texte vorangegangener Gerichtsentscheidungen, sind dem sogenannten normalen Bürger in der Regel nicht zugänglich. Dies wirft automatisch die Frage auf, welche Funktion eigentlich der Begriff „Text" in diesem Zusammenhang von Normtext und Normkonkretisierung haben kann. Wenn wir uns anschauen, welcher Textbegriff in den Philologien vorhanden ist, dann meint „Text" beispielsweise für die Literaturinterpretation (im Sinne einer literaturwissenschaftlichen Philologie) immer so etwas wie einen mehr oder weniger geschlossenen Text; das heißt: ein Ganzes, ein Werk, einen Roman, ein Theaterstück oder etwas ähnliches, einen geschlossenen Text, den es zu interpretieren gilt. Dort gibt es dann so etwas, und hier führe ich einen Begriff aus der Textlinguistik ein, wie Textkohärenz, dort kann untersucht werden, wie verschiedene Sätze miteinander verknüpft sind und wie der Sinn oder die Interpretation eines bestimmten Satzes aus der Interpretation von anderen mit ihm verknüpften Sätzen erschlossen werden kann. „Text" (im Sinne von für den Juristen zugrundeliegenden Sprachdaten) ist nicht ein in diesem Sinne in sich geschlossener Text, zumindest liegt er nicht auch in dieser geschlossenen Form als abgerundetes Werk vor. Sondern: Text im juristischen Sinn heißt die Verknüpfung von verschiedenen einzelnen Textstücken, die sowohl in der Normformulierung als auch in Kommentartexten als auch in Präjudizien usw. aufgefunden werden. D.h.: „Text" ist dort eine Verknüpfung von verschiedenen zerstreuten, durch den Rechtsarbeiter zusammengestellten Rechtstexten zu einer Grundlage, die dann im Sinne der Strukturierenden Rechtslehre die Rechtsnorm im Sinne eines Anwendungsprozesses überhaupt erst ergeben soll. Damit ist aber der Begriff der Textkohärenz dort ein vollkommen anderer als im Sinne der philologischen Textwissenschaft. Dieser Gesichtspunkt wird ja in der juristischen Methodik immer unter dem Aspekt des systematischen Kanons eingeführt. Doch stellt sich mir dort als Linguisten eben die Frage: kann das überhaupt noch als Text im Sinne der philologischen Textwissenschaften verstanden werden; und: wie stellt sich die Frage nach der Funktion dieser verschiedenen Sprachdaten unter dem Gesichtspunkt der Verständlichkeit des Rechts für den Bürger, der letztlich ja doch immer nur, wenn überhaupt, ins Gesetzbuch schaut, dem all die anderen entscheidungsrelevanten Sprachdaten schlicht nicht zugänglich sind? 14 F. Müller, Linguistik
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Christensen: Die Unterschiede, die D u gerade hervorgehoben hast, würde ich nicht so dramatisch sehen wollen. Es ist im Gegenteil sogar so, daß, zumindest was das Textformular betrifft, die Rechtstexte in besonderer Weise geschützt sind. Es kann nämlich nicht jeder die Texte erweitern, verbessern oder ergänzen, sondern nur der Gesetzgeber in bestimmten Verfahren. Also, die Textformulare bilden schon eine im formalen Sinn geschlossene Einheit. Daß bei der Interpretation Kontexte herangezogen werden müssen, das ist bei den literaturwissenschaftlichen Fragen genauso. Wenn man literarische Texte interpretiert, wird man auch in die Zeitgeschichte gehen und in die persönliche Biographie des Autors. Auch da sind die Kontexte sogar noch weniger formalisiert, noch weniger überblickbar als bei den Juristen. Darin würde ich nicht unbedingt den Unterschied sehen.
Wimmer: Man kann die beiden Positionen von Busse und Christensen vielleicht etwas vermitteln dadurch, daß man den Begriff des Textkanons einführt. Natürlich hat Dietrich Busse etwas überspitzt formuliert, daß Texte in der Germanistik, wie sie dort Gegenstand sind, beispielsweise in der Literaturwissenschaft, immer ganz abgeschlossene Texte, Textformulare sind. Es gibt natürlich auch dichterische Werke, die in der Weise nicht abgeschlossen sind und die vergleichbar sind etwa mit einer Menge von Texten, die erst in ihrem ganzen Zusammenhang rekonstruiert werden müssen. Aber immerhin hat man es mit einem Textkanon zu tun, und ich denke auch, daß in der Jurisprudenz eine Abgeschlossenheit des Textkanons gegenüber anderen Kanones durchaus gegeben ist. Und die Frage „geschlossener Text oder geschlossener Textkanon und offener Textkanon" stellt sich meines Erachtens durchaus, und auch die Frage des Zugangs zu einem solchen Text stellt sich durchaus auch für die Juristen. Die Frage ist, inwieweit der Textkanon, auf den sich Juristen berufen können, gleich um welche Textsorten oder -typen es sich handelt, als Ganzes wirklich eine Akzeptanz in der Gesellschaft der Rechtsunterworfenen findet. Und ich möchte jetzt in dem Zusammenhang nochmal zurückkommen auf das, was Christensen vorher sagte zur Sprachtheorie der Juristen. Es ist einleuchtend, daß man auf eine Sprachtheorie kommt, die davon ausgeht, daß alle Texte in gewisser Weise verständlich sind. Warum? Weil man dieselbe Sprache spricht. Man geht von der Identität einer Sprache aus und setzt voraus, daß jeder Sprecher des Deutschen deutsche Texte dann auch verstehen kann. Und dem haben Linguisten entgegenzusetzen, daß ein solcher Sprachbegriff eine Fiktion ist. Wenn man diesen Sprachbegriff verwenden will, um sozusagen die Barriere des Verstehens zu überwinden, um einen Weg aufzuzeigen, wie man mit ihr fertig werden kann, dann ist diese Sprachtheorie als eine Fiktion anzusehen. Linguisten, speziell in der Varietätenforschung, gehen
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davon aus, daß jeder Sprecher zuerst einmal seine eigene Sprache spricht. Dann ist es schon schwierig, Dialekte oder Gruppensprachen überhaupt abzugrenzen. Und dann die eigentlichen „Sprachen". Die Sprachgrenzen sind nicht vergleichbar mit Staatsgrenzen, sondern sind fließende Grenzen. Und die Frage ist immer, wie weit reicht denn eine solche Konstruktion, wenn ich von der Einheitlichkeit der Sprache und damit von einer Einheitlichkeit der Verstehensmöglichkeit ausgehe, wie weit geht das? Und so ist die Frage, wie weit ist der juristische Textkanon verständlich? Also, mir hat sehr eingeleuchtet, daß dieses Problem einmal auf die Spitze getrieben worden ist. Es gibt ja den Rechtsgrundsatz, daß Gesetze unter dem Bonner Grundgesetz in Deutsch abgefaßt werden und auch in Deutsch interpretiert werden müssen. Und bei einigen Texten, die im Umlauf sind, stellt sich durchaus die Frage, ob das Deutsch ist. Wenn ein bayerischer Amtsrichter bestimmte Formulare oder bestimmte Rechtsvorschriften nicht mehr als deutsche Texte im originären Sinne anerkennen will, so wird diese Problematik auf die Spitze getrieben, und es wird gezeigt, wie diese Sprachtheorie der Juristen eben auf einer Fiktion von einer einheitlichen Sprache beruht. Sokolowski: Ich möchte unmittelbar an das eben von Rainer Wimmer Gesagte anknüpfen, nämlich an die Frage der Zugänglichkeit zu Texten, und versuchen, diesen Punkt noch etwas weiter zu treiben. Es wurde vorher die Frage aufgeworfen nach der Legitimierung des juristischen Handelns und Treibens, und es wurde der Ausblick gegeben auf die Frage, inwiefern Gesetzesbindung auch durch linguistische Überlegung theoretisch untermauert und auch begründet und gerechtfertigt werden kann. Wenn wir davon ausgehen, daß Texte Handeln sind, dann stellt sich als erstes von der praktisch-semantischen Seite her natürlich die Frage der Zugänglichkeit unter dem Aspekt der Verständlichkeit. Gerade wenn wir nicht von einer homogenen Sprache ausgehen können und wenn wir dann an der Frage der Zugänglichkeit und damit auch Verständlichkeit anknüpfen, so ist der erste Punkt, daß von einer praktischen Semantik, die sich auch sprachkritisch gibt, die Forderung gestellt werden kann, daß juristisches Handeln, so wie es sich in Texten niederschlägt, in Texten, die vorgegeben sind, in Texten, die verfaßt sind als Ergebnis des juristischen Handelns, eben verständlich gemacht wird. Als zweites, sofern, wie Rainer Wimmer an einem anderen Ort mal gesagt hat, Sprachkritik Freiheit zum Thema hat (R. Wimmer, Chancen der Sprachkritik, S. 253ff., in: G. Stötzel (Hrsg.), Germanistik - Forschungsstand und Perspektiven, 1985), stellt sich aus praktisch-semantischer Sicht die Frage der Verfügbarkeit über Texte, insonderheit über Texte, in denen sich Recht vollzieht. Verfügbarkeit soll hier nicht heißen, daß nun etwa jeder unbedingt das Recht haben sollte, seine eigenen Gesetze zu verfassen. Sondern Verfügbarkeit heißt, daß, wenn wir davon ausgehen, daß die Texte nicht einfach Bedeutung haben, sondern 14*
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daß ihnen immer wieder erneut in jeder ihrer Verwendungssituationen Bedeutung gegeben werden muß, daß sich dann also hinsichtlich der Legitimierung die Frage stellt, wie für alle am Recht Beteiligten, wie die Chancen aller stehen, hier sozusagen in die Bedeutungserarbeitung für einen Text eingreifen und dabei die eigenen Interessen vertreten zu können. Zum dritten stellt sich dann für mich noch das Problem der Verfaßbarkeit von Texten. Auch hier ist wiederum nicht gemeint, daß jeder, auch der Rechtsunterworfene, in die Lage versetzt werden sollte, nach seinem Gusto irgendwelche Gesetze zu verfassen. Sondern Verfaßbarkeit meint die Frage, welche Chancen gegeben werden, den Interpretationsraum, den Gesetzestexte und andere juristische Texte eröffnen, nicht nur zu begrenzen, sondern auch zu eröffnen, diesen Raum zu füllen und damit sozusagen dem einzelnen Textexemplar, das in diesen Prozeß eingegangen ist, mitgestaltend seine Geschichte zu geben. Jeand'Heur: Ich möchte noch einmal auf die zwei vorausgegangenen Wortmeldungen eingehen. Wenn Wimmer betont, daß jeder Sprecher seine eigene Sprache spricht und Sokolowski davon redet, daß es keine homogene Sprache gibt, wenn also beide die Verfügbarkeit von Sprache hervorheben und damit deren Freiheitselement betonen, so stellt sich doch für uns Juristen - daran anknüpfend - die Frage, wie dann das Problem der Gesetzesbindung, mit dem wir bei der Entscheidungsarbeit konfrontiert sind, lösbar ist. Es handelt sich hierbei um die Ausgangsfrage, die wir einige Wortmeldungen zurück schon einmal gestellt haben und welche die Problematik einer theoretischen Formulierung der durchgängigen Gesetzesbindung beinhaltet. Ich glaube, wir sollten jetzt die Diskussion auf diesen Punkt zuspitzen, weil hier Juristen und Linguisten vor unterschiedlichen Aufgabenstellungen stehen. Sprachwissenschaftler haben, wenn sie über eine fehlende Homogenität von Sprache u.ä. diskutieren, mehr Freiheitsspielraum zur Verfügung, während wir Juristen immer wieder die Problematik der Gesetzesbindung und der damit zusammenhängenden Konsensfähigkeit von Normtextbearbeitungen nicht aus den Augen verlieren dürfen. Sokolowski: Ich will vielleicht nur einen kurzen Richtungshinweis direkt dazu geben. Gerade weil Sprache grundsätzlich frei ist, ist eben vom Juristen beispielsweise, im Hinblick auf die Durchschaubarkeit seines Verfertigens, seines verfertigenden Umgehens mit Sprache im Prozeß der Rechtsfindung usw., zu fordern, kann gerade an den Juristen die Forderung erhoben werden, eine für jeden markante, erkennbare, und schließlich auch, weitaus mehr, eine anerkennenswerte Grenze klar zu machen, an denen er eben sein Verfertigen orientiert. Die Freiheit von Sprache steht natürlich im Zusammenhang damit,
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daß sie nicht gleichbedeutend ist mit Willkürlichkeit. Das heißt, man kann sagen, daß Gesetzesbindung sozusagen produktiv zu begründen ist dadurch, daß der Jurist immer erneut sein Praktisch-tätig-Sein offen vollzieht, nämlich das, was er im einzelnen zu sagen und zu tun hat, an einem Gesetzestext zu orientieren, auszurichten, zu bemessen. Gesetzesbindung heißt nicht mehr, passiv zu vollziehen, was das Gesetz einmal vorgegeben hat, wie es in der herkömmlichen Fiktion vom Willen des Gesetzgebers usw. suggeriert ist; sondern heißt, jeweils produktiv den Gesetzestext immer wieder erneut als Maßstab der Rationalität der Arbeit am Fall im einzelnen einzusetzen. Müller: Nach dieser linguistischen Aussage zu den aufgeworfenen Fragen versuche ich jetzt noch, zum ersten Schwerpunkt unseres Gesprächs von der Rechtswissenschaft her zu antworten. Kodifikationen (das heißt Einzelgesetze, wie das Gesetz über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder das Abzahlungsgesetz oder das BGB oder das Strafgesetzbuch oder die Verfassung) sind durchaus, wenn ich das nicht falsch sehe, im Sinn von Busse, abgeschlossene Werke. Das läßt sich daran überprüfen, daß für uns Juristen die Interpretation eines bestimmten Textteils innerhalb der Kodifikation durch Interpretation anderer ihrer Textteile, das systematische Konkretisierungselement, als ein besonders hervorragendes gilt; als eines, das so gut wie immer ergiebig ist und dessen Präzision wir Juristen uns für die anderen Konkretisierungselemente nur wünschen können. Man kann kritisch sagen, Kohärenz bestehe nicht, Kohärenz werde ideologisch gesehen unterstellt, arbeitspraktisch gesehen hergestellt. Aber das ist ein weites Feld und eine Frage, die sich nicht nur an die Juristen, sondern auch zurück an die Sprachwissenschaftler richten würde. Die weiteren Bemerkungen von Busse waren insoweit sehr berechtigt, als er damit eine der Schwachstellen der herkömmlichen Rechtswissenschaft und Rechtspraxis aufs Korn genommen hat, nämlich die Beliebigkeit der in einer Entscheidung herangezogenen, für eine Begründung zusammengebrauten Texte ganz verschiedener Klassifikation. Es handelt sich um Fragen wie: ob sie aus der Justiz, und das heißt hier aus der /löc/isfrichterlichen Rechtsprechung, oder ob sie aus Kommentaren, und zwar aus den sogenannten führenden Kommentaren stammen oder nicht. Es wird dabei nach Kriterien der Textquellen sortiert, die für das, was demokratische und rechtsstaatliche Juristen zu tun haben, nämlich korrekt zu entscheiden, belanglos sind. Für die Strukturierende Rechtslehre ist diese Inkohärenz und Heterogenität der von Busse zu Recht kritisierten Textmassen kein Problem. Diese Rechtslehre strukturiert die Konkretisierungselemente nach ihrer sachlichen Eigenart; nach dem, was sie sachlich bringen können und wie man mit ihnen arbeitet und nicht danach, wer sie verfaßt hat, ob es ein führender oder ein nichtfüh-
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render Kommentar war, ob es ein höchstrichterlicher Begründungstext ist oder nur ein instanzgerichtlicher, usw. Es geht darum, ob es sich zum Beispiel um ein dogmatisches Konkretisierungselement handelt. Im Rahmen der dogmatischen Konkretisierungsdaten kann das, was ein Gericht, selbst ein hohes und höchstes, zu der Streitfrage gesagt hat, nur insoweit wichtig werden, als es sich dabei eben um ein dogmatisches Argument handelt. Die dogmatischen Faktoren eines Entscheidungsvorgangs sind in keiner Weise danach zu gewichten, wer sie formuliert hat, von wem die stammen, also nicht nach einer Hierarchie der Autoritäten, sondern nur nach ihren Arbeits- und Wirkungsmöglichkeiten als dogmatische Argumente. Dasselbe gilt für die übrigen Elemente. Es geht also nicht um Autoritäten, nicht um die Subjekte, die bestimmte argumentative Texte in die Welt gesetzt haben, sondern um die sachliche Struktur, um die inhaltliche Zuordnung dieser Elemente zueinander. Die Strukturierende Rechtslehre hat sich deshalb darum bemüht, Präferenzregeln für methodologische Konflikte zu entwickeln. Diesen Regeln sind die dogmatischen, grammatischen, genetischen, historischen, die Normbereichselemente und die übrigen unterworfen, gleichgültig, ob sie im einzelnen vom Bundesverfassungsgericht oder einem einfachen Verwaltungsgericht, ob sie vom Bundesgerichtshof oder von einem Amtsgericht stammen, ob von einem führenden Kommentar, von einem angeblich nichtführenden Kommentar, und so fort. Auf diese Weise wird eine neue Art von Kohärenz erzeugt. Es ist eine Kohärenz, die aus Strukturierungen entsteht, und diese Strukturierungen sind in ihren Entstehungsbedingungen und ihrer gegenseitigen Relation offengelegt. Sie stehen der Diskussion offen, können verbessert werden, können kritisiert werden; sie haben nichts mehr zu tun mit unterstellten informellen AutoritätsVerhältnissen, die, das sei am Rande angemerkt, mit der Unabhängigkeit der Richter im Staat des Bonner Grundgesetzes ohnehin nicht vereinbar sind. Höchstrichterliche Rechtsprechung ist, abgesehen von normierten Ausnahmefällen der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts, nicht formell verbindlich für die Judikate anderer Gerichte. Nun ist für die Frage, die mehrmals gestellt worden ist, die Jeand'Heur am Schluß noch einmal formuliert hat, für die Frage, welche Funktionen im Tun der Juristen Texte als Handlungsanweisungen haben, der Versuch gemacht worden, sie theoretisch zu fassen. Die Antwort ist zunächst inhaltlich klar: Texte haben im juristischen Geschäft als Handlungsanweisungen eine universelle Funktion. Als Gegenbeispiel können wir uns überlegen, welche anderen Anweisungen für den entscheidenden Juristen überhaupt noch in Frage kommen können. Hier bleiben nur die nichtlegitimen, weil nicht legalen: der eigene Vorteil des entscheidenden Verwaltungsbeamten oder Richters, der Vorzug oder die Sonderbehandlung für seinen Parteifreund, der Wink durch einen höherstehenden Richter, bei dem man später reüssieren will, u.ä. Texte, das heißt legal und damit als legitim geltende, demokratisch und rechtsstaatlich hervorgebrachte Texte sind also die zulässigen Handlungsanweisungen im juristischen
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Geschäft. Diese Tatsache soll durch den Ansatz der Textstruktur im Rahmen der Strukturierenden Rechtslehre auf einen Nenner gebracht werden, und dasselbe gilt in bezug auf die andere Frage, wie die durchgängige Gesetzesbindung juristischen Handelns theoretisch formuliert werden könnte. Der Gedanke der Textstruktur gliedert, allgemein gesagt, das Kontinuum all der Texte, die zur Sprachform einer rechtsstaatlichen Ordnung gehören, nach Kriterien, die dieser Ordnung immanent sind; sei es nach ideologischen, wie denen der bürgerlichen Rationalität, sei es nach verfassungsrechtlichen, wie denen der Gewaltenteilung. Ich möchte das, was als Textstruktur bisher entwickelt wurde, nicht wiederholen. Ich komme auf das zurück, was wir hier jetzt als offene Frage hervorgehoben haben. Innerhalb dieser Textstruktur der Legalität, die eine durchgehende ist, geht ein Rechtsarbeiter, beispielsweise wieder ein Richter, vom vorgelegten Sachverhalt aus. Anhand von dessen Eigenschaften wählt er aus der Gesamtmenge des sogenannten geltenden Rechts, das heißt aus der Gesamtmenge aller Normtexte, die ihm als einschlägig, als für den Fall passend erscheinenden Normtexthypothesen aus. Diese geben ihm die Sprachdaten. Deren Interpretation liefert ihm als Zwischenergebnis das Normprogramm. Mit dessen Hilfe wählt er aus dem Sach- bzw. Fallbereich, das heißt aus den im Fall aktuellen Realdaten, den Normbereich aus. Der Normbereich wird also konstituiert als Teilmenge der für die Entscheidung als normativ mitwirkenden Tatsachen. Normprogramm und Normbereich bilden zusammen die vom Rechtsarbeiter auf diesem Weg erzeugte, generell formulierte Rechtsnorm. In einem letzten Schritt individualisiert er diese zur Entscheidungsnorm. Daraus geht in unserem Zusammenhang folgendes hervor: Sämtliche Stufen seines Arbeitsprogramms, soweit es sich dabei nicht um illegale und illegitime Überlegungen handelt, sind rechtsstaatlich vertextet, bzw. müssen von ihm im Fortschreiten der Konkretisierungsarbeit vertextet werden. Normtext, Normprogramm, Normbereich (sekundär-sprachliche Elemente), Rechtsnorm und Entscheidungsnorm ergeben, vereinfachend gesprochen, fünf Textstufen. Diese betreffen zum einen die genannten Strukturbegriffe des Normmodells, zum anderen die hauptsächlichen Stationen der Konkretisierung, eines Vorgangs tatsächlichen Handelns. Wenn sich keine Einwände ergeben, können wir den ersten Schwerpunkt unseres Gesprächs damit für den Rahmen dieser Diskussion auf sich beruhen lassen und uns jetzt folgendes fragen: Wie haben sich, samt ihren mitgebrachten Vorstellungen, die an unserem Diskussionsvorgang beteiligten Sprachwissenschaftler und Rechtswissenschaftler bewegt? Ich habe das gerade für die Frage, wie sieht die Strukturierende Rechtslehre die Rolle der Texte, schon etwas vorweggenommen. Die Frage läßt sich im Augenblick an die Linguistik zurück stellen: Wie sieht die praktische Semantik die Rolle der Texte? Viel-
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leicht könnte bei der Antwort expliziert werden, was unter praktischer Semantik verstanden werden will. Wimmer: Vielleicht zu der letzten Frage, die Herr Müller angesprochen hat: Was heißt praktische Semantik? Praktische Semantik ist eine bestimmte Richtung der Bedeutungsbetrachtung innerhalb der Linguistik, und zu explizieren wäre vor allen Dingen das, was unter „praktisch", was unter dem Prädikat „praktisch" zu verstehen ist. Da sind zwei Dinge vorrangig zu nennen. Erstens: Es geht hier um eine Semantik, die handlungstheoretisch fundiert ist. Eine Bedeutungstheorie wird zugrunde gelegt, wird expliziert, die vom Sprechen als sprachlichem Handeln ausgeht. Die zweite Bedeutung von „praktisch" ist, dies ergibt sich aus der ersten oder hängt zumindest damit zusammen, daß hier eine Bedeutungstheorie oder Bedeutungslehre ins Auge gefaßt ist, die auch für die Praxis, das heißt für praktische Zwecke gedacht ist und gemacht ist. Wichtiger für unseren Zusammenhang ist sicher die erste Bedeutung, nämlich, daß praktische Semantik die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke und damit auch Texte, denn Texte sind längere sprachliche Ausdrücke, handlungstheoretisch analysieren will, handlungstheoretisch betrachtet. Man kann diesen Punkt vielleicht deutlich machen dadurch, daß man die Positionen etwas charakterisiert, gegen die sich die praktische Semantik wendet. Traditionelle semantische Theorien gehen oft davon aus, daß die Bedeutungen von sprachlichen Ausdrücken feste Entitäten sind, feste Elemente sind, die an die sprachliche Lautform gebunden sind; sei es daß sie durch willkürliche Festlegung zu irgendeiner Zeit mal mit sprachlichen Lautformen verbunden worden sind, daß also Begriffe feste Gegenstände bilden, die ein für allemal mit bestimmten Lautstrukturen verbunden sind, oder sei es daß sich bestimmte Begriffe gebildet haben im Laufe der Geschichte einer Sprache, die dann ebenso fest mit bestimmten Lautformen und Lautstrukturen verbunden sind. Oft erscheint noch deutlicher, noch extremer eine solche Position in der Weise, daß man die Bedeutung von Ausdrücken mit den Gegenständen der Welt eng verknüpft sieht, das heißt, daß die Bedeutungen von Ausdrücken bestimmte Gegenstände in der Welt repräsentieren, was immer das heißen mag. Man kann eine solche Bedeutungsposition dann auch als realistische Bedeutungsauffassung bezeichnen. Damit verbunden ist eine Vorstellung, die die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke verdinglicht, und dann wird auch entsprechend über Bedeutungen von Ausdrücken geredet, so als wenn man von Gegenständen reden würde. Demgegenüber vertritt die praktische Semantik die Position, die sich auch in der Wittgenstein-Tradition sieht, nämlich, daß die Bedeutung ihren Grund im Gebrauch hat, im praktischen Gebrauch. Bedeutung, könnte man auch sagen, ist der Gebrauch. Das ist natürlich eine überspitzte Formulierung. Man
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könnte an eine andere Formulierung von Wittgenstein anknüpfen und sagen, die Bedeutung ist das, was wir erklären, wenn wir die Bedeutung erklären; das heißt die Bedeutung ergibt sich, wenn wir Begründungen, Erklärungen für unseren Sprachgebrauch in bestimmten Situationen geben. Die praktische Semantik könnte man deswegen auch in den Zusammenhang stellen von, wie man mit einem Schlagwort sagt, Gebrauchstheorien der Bedeutung. Die praktische Semantik versucht deswegen auch Texte wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Texte nicht als feste Entitäten, die unveränderbar in der Welt stehen. Sie versucht, sie zu begreifen aus den Produktionssituationen einerseits und dann auch aus den Verstehenssituationen der Adressaten der Texte andererseits. Und es gilt also auch in praktischen Analysen, die gemacht werden, jeweils die Kontexte, die Situation der Produktion und auch der Rezeption von Texten, in den Mittelpunkt zu rücken. Natürlich bedeutet das nicht, daß man die Texte als willkürlich interpretierbar ansieht; sondern es bedeutet, daß man große Freiheiten im Verstehen der Texte hat, daß man größere Freiheiten hat, als wenn man davon ausgehen würde, die Texte seien wie feste Gegenstände in der Welt vorhanden. Die Freiheiten sind Freiheiten aller Sprachbenutzer, und so geht es der praktischen Semantik darum, bei der Bedeutungsanalyse nicht nur immer das Verständnis eines bestimmten Sprechers und einer bestimmten Sprechergruppe in den Vordergrund zu stellen, deftn die vorhin als realistische Bedeutungstheorien apostrophierten Theorien kommen zu ihren Ergebnissen und Schlüssen und zur Verdinglichung der Bedeutung zu bestimmten Zielen und Zwecken auch deswegen, weil bestimmte Interessen bestimmter einzelner Sprecher oder Sprechergruppen dahinter stehen. Es geht also der praktischen Semantik darum, die Offenheit des Gebrauchs sprachlicher Ausdrücke für alle Sprecher einer Sprachgemeinschaft zu betonen. Der Situationsbegriff spielt eine große Rolle, das habe ich angedeutet, dann der Produktionsbegriff und dann das sprachliche Handeln, das eben auch im Interpretieren und auch im Herstellen von Verstehen zentral ist. Daß eine solche Bedeutungsbeschreibung, die auf der Gebrauchstheorie basiert, natürlich dann auch in die Praxis wieder hineinwirken kann und besser hineinwirken kann als andere Bedeutungstheorien, das versteht sich. Die praktische Semantik scheint besser als andere Bedeutungstheorien geeignet, bestimmte Sprachtheorien, Semantiken, die in bestimmten Bereichen des gesellschaftlichen Handelns, beispielsweise im juristischen Bereich, aber auch in anderen beruflichen Zusammenhängen entwickelt werden, zu analysieren und zu beschreiben.
Müller: Nun habe ich die praktische Semantik so zu verstehen gelernt: diese Offenheit einer Sprache, einschließlich ihrer Bedeutungen für alle Sprecher einer Sprachgemeinschaft, soll ja etwas anderes sein als „grünes Licht" für Willkür.
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Sprache ist, ich habe diesen Satz von Rainer Wimmer am Anfang unseres heutigen Gesprächs in Erinnerung gerufen, Sprache ist als solche nicht willkürlich, ist nie willkürlich. Wie ist denn diese unerhörte Freiheit auf der einen Seite vereinbar mit dieser kategorialen Abwesenheit von Willkür? Die Freiheit des Sprechers in seinem Sprechen auf der einen Seite, die Nichtwillkür der Sprache auf der anderen? Sokolowski: Ich glaube, zu einer Antwort der eben von Friedrich Müller gestellten Frage ist eine Ergänzung der Charakterisierung von praktischer Semantik notwendig. Rainer Wimmer hat soweit ausgeführt, daß in einem ersten Sinn diese Semantik praktisch ist, indem sie von Sprache als einer Praxis, von sprachlicher Praxis, vom sprachlichen Handeln, von Sprache als Tun der Menschen und als Umgang der Menschen miteinander handelt. Rainer Wimmer hat dann ausgeführt, daß, in einem zweiten Sinne von „praktisch", praktische Semantik Semantik für die Praxis ist. Semantik für die Praxis heißt, anhand dessen, was sich als sprachliches Handeln beschreiben läßt, können bestimmte Ratschläge, Empfehlungen, Kriterien usw. wiederum an die Praxis zurückformuliert werden. Diese beiden Aspekte standen unter dem Thema der Freiheit. Das heißt, hinsichtlich „Sprechen als Handeln" ist der Mensch, so jedenfalls läßt sich zusammenfassen, gruhdsätzlich frei, mit der Sprache gewissermaßen nach seinem Belieben, nach seinen Interessen umzuspringen. Zum zweiten: als eine Semantik für Praxis macht sich praktische Semantik als Sprachkritik beispielsweise das Thema der Freiheit so zu eigen, daß sie vorgebliche Zwecke, vorgeblich feste Bahnen und Schienen, in denen sich das Sprechen nur zu bewegen hat (indem sie Vorgaben, Vorschriften, Normen usw. für die sprachliche Praxis als selbst wiederum von Menschen gemacht hinstellt), als entscheidbar hinstellt und damit auch als zur Entscheidung freistehend. Der dritte Aspekt, den ich jetzt anhand der eben gestellten Frage einfügen will, ist, daß praktische Semantik auch aufgefaßt werden kann im Sinne von Semantik als Praxis. Das heißt, wir können zwar einerseits sagen, daß die Sprache freisteht, daß es dem Menschen freisteht, sich seine Sprache zu verfertigen. Wir wissen aber auch, daß dies andererseits für den Menschen ein ebenso kategoriales Risiko darstellt. Das heißt, der Mensch kann, indem er sein Sprechen der Willkür preisgibt, sich selbst in seiner Identität verlieren, indem er sich selbst in seinen Grenzen und Möglichkeiten damit wiederum auch nicht mehr ermessen kann. Er kann im Endeffekt das Sprechen auch als Sprechen verlieren in dem Sinne, daß letztendlich es freisteht, die Freiheit der Sprache so weit zu treiben, bis sie, wie Wittgenstein meint gegen die Philosophie einwenden zu müssen (vgl. L. Wittgenstein, Philosophische Bemerkungen, 1981, S. 97f.), bis sie zum unartikulierten Laut wird und damit aufhört, Sprache und Sprechen zu sein. In dem Sinne ist davor, solange noch gesprochen werden soll, eben eine Grenze gesetzt, und in dem Sinne ist Sprache
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nicht willkürlich. Dabei geht natürlich ein bestimmter Begriff von Sprache seinerseits schon voraus. Nämlich einer, demzufolge Sprache wiederum in Verständigung, darin sich verständlich zu machen, sich zu artikulieren fundiert ist und sich damit eben vom reinen Geräusch, auch vom sozialen Geräusch abhebt. Dies ist die Grenze, an der sich entscheidet, daß Sprache nicht willkürlich ist. Zugleich aber, indem es keine andere Grenze als diese gibt, ist es möglich und steht es im Belieben, sich Sprache zu verfertigen zur Verständigung. Damit kommt natürlich auch die Frage der Kriterien, nach denen das getan werden soll, mit hinein. Das heißt, es ist ein Punkt erreicht, an dem praktische Semantik, sozusagen ihren sprachphilosophischen Wurzeln folgend, sich nicht mehr damit bescheiden kann, wie ich global sagen möchte, Erbe von Erkenntniskritik anzutreten; das heißt, Erkenntnis und Kritik dieser Erkenntnis als Semantik für die Praxis zu betreiben, etwa eben Semantik der Praxis von Recht und Kritik des Erkennens auf Recht. Damit ist der Punkt erreicht, an dem praktische Semantik sich auch der Aufgabe stellen muß, „Erbe von Vernunftkritik" (vgl. K. Lorenz, Elemente der Sprachkritik, 1970, S. 23ff.) zu werden. Ich möchte nochmal betonen, daß das Thema, unter dem dieses Erbe anzutreten ist, eben die Scheidelinie ist zwischen dem Belieben, über Sprache zu verfügen und andererseits der Grenze der Willkür, in der sich Sprache als solche überhaupt verliert und damit der Mensch als Mensch. Christensen: Wir haben das Problem der sprachlichen Ordnung ja vorhin schon einmal bei der Frage subjektive versus objektive Auslegungstheorie diskutiert. Die beiden Theorien sind sich ja darin einig, daß Sprechen heißt, eine dem Sprechen vorgeordnete Sprache anzuwenden. Und entsprechend wird gesagt, daß der Richter ein vorgegebenes Recht in seinem Sprechen nur anwendet. Aber es gibt zu diesen, nennen wir es einmal positivistischen Positionen, auch eine Gegenposition, den Dezisionismus, der sagt, das Recht wird nicht angewendet, sondern die Entscheidung wird frei erfunden. Das ist eine regelskeptizistische Position, und ich denke, so wie wir das auch schon die ganze Zeit diskutiert haben, liegt die Ordnung, die man in der Sprache vorfindet, doch irgendwie zwischen den Vereinseitigungen des Regelskeptizismus und des Regelplatonismus. Zwischen diesen Extremen liegt eine Position, die das richterliche Sprechen weder auf das freie Erfinden noch auf das mechanische Anwenden reduzieren will, sondern die richterliche Herstellung der Rechtsnorm als Durchsetzen einer Bedeutung begreift. Wimmer: Es scheint mir richtig zu sein, zu sagen, daß die Sprache nicht in der Willkür des einzelnen allein liegt. Richtig ist natürlich, auch nach der praktischen Semantik und nach allem, was man über Sprachentstehen und Sprachwandel
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weiß, daß Sprachwandel entsteht durch Handeln einzelner; oft auch intentional dadurch, daß bestimmte einzelne oder auch Gruppen bestimmte Veränderungen wollen. Es ist klar, daß jede Sprache als Produkt, so wie sie uns verfügbar ist, zurückgeht auf die sprachlichen Änderungen einzelner. Insofern sind auch die einzelnen mit ihrem intentionalen Handeln beteiligt. Aber der einzelne, das hat Michael Sokolowski sehr deutlich gesagt, kann die Sprache nicht willkürlich verändern, wenn er nicht Gefahr laufen will, damit nur seine eigene Sprache zu schaffen; damit eine Sprache, die nur er versteht, und dann ist es nicht mehr eine Sprache in unserem Sinne von Sprache. Sprache kann nur als Sprache gelten, wenn sie wenigstens potentiell von anderen auch verstanden wird, wenn der andere etwas erkennt, was er schon weiß, indem er mir zuhört, wenn also ein wechselseitiges Erkennen von Gleichem jeweils mit eine Rolle spielt. Die Sprache als Besitz, wie man auch gesagt hat, mehrerer Menschen oder einer ganzen Sprachgemeinschaft ist oft auch als Organismus verstanden worden, der wie eine Pflanze wächst und unabhängig von den Intentionen und von den Einflüssen einzelner sich weiterentwickelt. Beide Positionen, sowohl die Organismusposition wie auch die Position, daß Sprache ein Produkt einzelner Handlungen sei, sind wohl nicht richtig, und deswegen hat man davon gesprochen, daß Sprache so etwas ist wie ein Phänomen der dritten Art. Das kann man vielleicht am besten an einem Beispiel erläutern. Ein einfaches Beispiel, das in der Literatur auch diskutiert worden ist, ist das des Trampelpfads. Wenn Trampelpfade beispielsweise zwischen zwei Häusern in einem Wohngebiet entstehen, so ist klar, daß die Entstehungsgeschichte sehr wohl zusammenhängt mit den intentionalen Handlungen einzelner Menschen; nämlich, daß jemand die gegenüberliegende Tür auf dem nächsten Weg erreichen will und nicht auf dem Umweg über einen gepflasterten Weg beispielsweise. Er geht über den Rasen. Seine Intention ist aber lediglich, die andere Tür möglichst schnell zu erreichen und ist es nicht, einen Trampelpfad zu produzieren. Aber dadurch, daß viele Menschen eine ähnliche oder dieselbe Intention haben und daß viele Menschen handeln, entsteht als Produkt der Trampelpfad, der nicht das intentionale Produkt eines einzelnen, der von ihm nicht gewollt ist; der sich aber ergibt, vielleicht auch erreichen läßt aus den Handlungen der einzelnen. Und ein Phänomen ähnlicher Art scheint die Sprache zu sein. Einerseits sind die Intentionen der einzelnen Sprecher wichtig, sie spielen eine Rolle. Der einzelne kann die Sprache verändern; aber was aus den Sprachhandlungen des einzelnen folgt, liegt nicht allein in der Macht des einzelnen. Und so ist Sprache dann auch ein Begriff, der Allgemeinbesitz kennzeichnet und über das, was der einzelne für sich als Besitz hat, hinausgeht. Christensen: Diesen nichtwillkürlichen Charakter wollte ich jetzt einfach noch einmal überprüfen am spezifischen Sprachspiel der Juristen. Auch die juristische
Gespräch über Strukturierende Rechtslehre und praktische Semantik
Kommunikation hat einen experimentellen Charakter. Der Versuch, eine bestimmte Deutung des Normtextes durchzusetzen, stößt auf Widerstand. Der Richter erhält Rückmeldungen von den Oberinstanzen und aus der Diskussion in der Literatur. Kurz: Die Durchsetzungshandlung wird nicht im luftleeren Raum vollzogen. Man ist vielmehr auf legitimatorische Standards angewiesen, die einen Teil der nichtwillkürlichen Ordnung des juristischen Sprachspiels bilden. Sokolowski: Dazu vielleicht noch eine ergänzende Bemerkung. Wenn Christensen gerade gesagt hat, es ginge darum, eine Position zwischen Regelplatonismus oder Sprachplatonismus allgemein und Regelskeptizismus bzw. Skeptizismus allgemein, Sprachskeptizismus, Dezisionismus zu finden, dann würde ich das so nicht stehen lassen. Ich würde sagen, es geht weitaus schärfer darum, daß die praktische Semantik versucht, eine Position zu entwickeln, die überhaupt diesseits dieser Alternative steht. Was diese Alternative überhaupt als solche zusammenhält, ist ein Denken von Sprache, von sprachlichen Regeln, wie immer man das auch begrifflich konkretisiert, ist ein Denken von Sprache an sich. Die eine Position bejaht es, die andere verneint es ebenso abstraktiv. Die praktische Semantik dagegen, insonderheit dann, wenn sie selbst sich wiederum als Praxis, nämlich als produktiver Einsatz des jedermann eigenen sprachreflexiven Vermögens entwickelt, wenn sie also auch darin wiederum praktisch fundiert ist - die praktische Semantik geht dann eben nicht mehr von irgendeinem postulierten oder abstraktiv negierten Gegebenen der Sprache aus, das sich in allem sprachlichen Handeln lediglich zu vollziehen hat oder ohne das alles sprachliche Handeln willkürlich frei abläuft. Sondern die praktische Semantik setzt wieder mit der Frage an: Was geschieht eigentlich beim Äußern bestimmter Ausdrücke? Und ich glaube, hier ist dann auch zu einer Konkretisierung hin natürlich die Parallele zur Strukturierenden Rechtslehre ganz auffällig. Müller: Nach den Erklärungen, die zur praktischen Semantik gegeben worden sind, möchte ich jetzt nicht umgekehrt die Strukturierende Rechtslehre vorstellen. Sie ist heute schon zur Sprache gekommen, und zwar jeweils an Beispielen: zur Frage des Auslegungsziels, zur Frage der Textsorten in juristischen Begründungen und zur Klassifizierung der Konkretisierungselemente, zur Textstruktur der Legalität und zu jener der Legitimierungsvorgänge. Ich möchte einen Schritt weitergehen und auf etwas kommen, was für uns im Verlauf unserer langen Diskussionen aufschlußreich, wirklich überraschend gewesen ist. Zwischen praktischer Semantik und Strukturierender Rechtslehre hat sich, ich wiederhole: zu unserer jeweiligen Überraschung, eine ganze Reihe
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von weitgehenden objektiven Parallelen herausgestellt. Ohne mit der Entwicklung in der Sprachwissenschaft in Austausch gestanden zu haben, weist die Strukturierende Rechtslehre zu der inzwischen weithin vollzogenen pragmatischen Wende in der Linguistik eindrucksvolle Analogien auf, die noch stärker, vor allem konkreter zur praktischen Semantik bestehen. Beide generalisieren nicht abstrakte Konzepte, um aus ihnen anschließend abzuleiten. Beide setzen bei den tatsächlichen Arbeitserfahrungen in ihrem jeweiligen Bereich an. Die eine rückt die Theorie der Sprachhandlung in den Mittelpunkt und hebt auf die Sprecher, und zwar alle Sprecher, als die Subjekte des Sprachhandelns ab, auf den Handlungscharakter und Handlungszusammenhang von Sprache. Die andere, auf der Seite der Rechtstheorie, geht von Rechts-,,Anwendung" als einem tatsächlichen Vorgang aus, dessen Subjekt der entscheidende Jurist, der verantwortliche Rechtsarbeiter ist; und sie sieht Rechtskonkretisierung im Kontinuum verfassungsrechtlich überformter, gesellschaftlicher, politischer, ökonomischer Strukturen und Funktionen. Von den subjektiv weder beabsichtigten noch literarisch übernommenen, den insoweit objektiven Parallelen sollten hier noch einige dabattiert werden. Beispielsweise die Stellung sowohl der praktischen Semantik als auch der Strukturierenden Rechtslehre zu ihren jeweiligen linguistischen bzw. juristischen Positivismen. Oder der handlungstheoretische Grundansatz beider, Spracharbeit - Rechtsarbeit; ihre Annäherung an den Regelbegriff (Regelerzeugung, Rechtsnormerzeugung, statt angebliches Auffinden vorgegebener, feststehender Regeln und Rechtsnormen); die Bestimmung des Subjekts des Sprachhandelns, des Verstehens, des Normkonkretisierens als des Sprechers bzw. des Rechtsarbeiters in Abkehr von überkommenen Vorstellungen der Sprache als einem naturhaft vorgegebenen normativen System bzw. der Rechtsnorm als einer vorgegebenen Größe. Die Strukturierende Rechtslehre identifiziert die Norm sowenig mit dem Normtext, wie die praktische Semantik die Regel mit der Regelformulierung oder, allgemeiner, den Text mit dem Textformular. Beide setzen eben bei der tatsächlichen Arbeit an, weswegen Textverstehen, Textinterpretation, Norm-„Anwendung" als Vorgänge im Zusammenhang von Handlungssystemen, Sprachspielen, Situationskontexten erscheinen und auf den Begriff zu bringen sind. Insofern können auch beide, von verschiedenen Voraussetzungen herkommend, nicht auf irgendwelche Spielarten von Bedeutungsobjektivismus setzen, auch nicht in Gestalt logischsemantischer Sprachauffassungen, die, um auf die Rechtspraxis zurückzukommen, eine Präzision der Rechtstexte idealisieren oder hypostasieren. Das sind nicht alle, aber das sind einige und auch wichtige der von uns hier schrittweise festgestellten Parallelen. Die Diskussion über sie sollten wir jetzt zum Abschluß dieses zweiten Schwerpunktes vielleicht noch einmal eröffnen.
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Busse: Sie haben, Herr Müller, von den überraschenden Übereinstimmungen gesprochen, die sich im Verlauf unserer Diskussion zwischen der praktischen Semantik und der Strukturierenden Rechtslehre ergeben haben, und ich möchte das auch noch einmal von linguistischer Seite aus unterstreichen. Für mich vielleicht die wesentlichste, weil möglicherweise theoretisch am tiefsten liegende Übereinstimmung liegt in dem, was Sie als Gesichtspunkt der Praxis angesprochen haben. Rainer Wimmer hatte ausgeführt, daß sich die praktische Semantik in zweifacher Hinsicht auf den Begriff der Praxis bezieht, und ich möchte dies vielleicht noch einmal erläutern an der vorhin diskutierten Differenz zwischen der Beliebigkeit des Umgangs von Sprechern mit der Sprache einerseits und der Nichtwillkürlichkeit der Sprache als ganzer. Diese Nichtwillkürlichkeit der Sprache ergibt sich für mich (und da könnte man an Wittgensteins Begriff des Sprachspiels, aber auch an seinen Begriff der Lebensform anknüpfen) daraus, daß Sprechen, daß das Umgehen des einzelnen mit Sprache immer verflochten ist in eine Praxis, in einen Handlungszusammenhang, in dem er als einzelner, der etwas ausdrücken will, der etwas meint, mit einer sprachlichen Äußerung eben immer nur einer unter vielen zahllosen Beteiligten ist. Wittgenstein hat zu Recht darauf insistiert, daß das Sprechen in einer Sprache vollkommen mißverstanden wird, wenn es als technisches Anwenden eines vorgefundenen Instrumentariums aufgefaßt wird, sondern daß Sprache sich konkretisiert in einer sprachlichen Praxis. Diese sprachliche Praxis ist mehr als nur die Vermittlung von vorgefertigten Inhalten, sondern sie ist eine Praxis, wo Sprache und außersprachliche oder übersprachliche Handlungszusammenhänge zu einer letztlich unauflöslichen Einheit miteinander verflochten sind. Diesen Gesichtspunkt von Praxis (Praxis letztlich als der Punkt, wo die Beliebigkeit des Meinens des einzelnen ihre Schranken findet an der Nichtwillkürlichkeit einer sozialen Handlungsweise) meine ich in der Strukturierenden Rechtslehre in einer überraschend deutlichen Parallele wiedergefunden zu haben, wenn dort der Prozeß der Rechtsanwendung, der Rechtsauslegung oder auch der Rechtsfindung, d. h. der Prozeß der Normkonkretisierung, als ein Prozeß beschrieben wird, der eingebunden ist in eine praktische Tätigkeit, die praktische Tätigkeit des Rechtsarbeiters, die wiederum im Zusammenhang einer gesamten Institution Recht und Rechtswissenschaft steht.
Jeand'Heur: Auch mir scheint die Betontung des Praxisbezugs sowohl in der Strukturierenden Rechtslehre als auch in der praktischen Semantik der entscheidende Punkt, die entscheidende Parallele beider Auffassungen zu sein. Ich möchte jedoch noch einen weiteren Gesichtspunkt hervorheben. Im Unterschied zu bisherigen Herangehensweisen von Juristen, die sich mit Sprachwissenschaft-
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liehen Forschungsergebnissen beschäftigt haben, versucht die Strukturierende Rechtslehre nämlich nicht, linguistische Theorien oder Auffassungen einfach zu übernehmen und sie der rechtswissenschaftlichen Diskussion aufzupfropfen. Statt dessen wird von der Strukturierenden Rechtslehre bzw. von Vertretern der praktischen Semantik der Versuch einer qualitativ neuen Zusammenarbeit unternommen. Es geht also nicht mehr um die Übernahme bestimmter Theorieversatzstücke, sondern um die Untersuchung der praktischen Tätigkeit des Sprechers auf der einen, des Rechtsarbeiters auf der anderen Seite. Christensen: Von der Untersuchung der praktischen Tätigkeit her war für mich auch eine objektive Parallele interessant, nämlich die zunächst ganz unabhängig von sprachtheoretischen Überlegungen erarbeitete Unterscheidung von Normtext als einer reinen Zeichenkette und der Rechtsnorm als einem Ergebnis juristischen Handelns. Die überraschende Parallele war für mich die linguistische Unterscheidung von Textformular und Textbedeutung, welche erst durch einen Semantisierungsvorgang verbunden werden. Damit wird gerade ein zentraler Punkt für die Frage nach der Legitimation sichtbar, weil ja in dieser Spanne das Moment von Gewalt zur Entfaltung kommt, das immer wieder das Problem ist. Wimmer: Der Regelbegriff in der Linguistik ist ja auch oft verkürzt und einfach so aufgefaßt worden, daß man unter Regel die Regelformulierung verstand. Wenn man von einer grammatischen Regel sprach, hat man oft darunter die Regel verstanden, wie sie als Text ausformuliert ist in einem Grammatikbuch. Und die Linguistik ist eben auch durch pragmatische Überlegungen und durch solche Überlegungen, wie sie in der praktischen Semantik theoretisch entwikkelt worden sind, dazu gekommen, die Regel von der Regelformulierung zu unterscheiden und zu sagen: Die Regel ist etwas, was gilt; die Regel hat aber auch eine Offenheit und sie läßt verschiedene Formulierungen, verschiedene Fixierungen in Texten zu. Und nicht das verdinglichte Objektive, was wir als Schriftstück vor uns haben, ist das, was eigentlich sprachlich und handlungsmäßig interessant ist, sondern das, was in der Praxis, in der Gesellschaft gilt. Und darauf den Blick zu konzentrieren, ist etwas, was in der Linguistik auch erst in den Traditionen der praktischen Semantik entwickelt worden ist. Und da findet sich in der Denkweise, in der Denkrichtung eine starke Parallele zur Strukturierenden Rechtslehre, die, wie ich das sehe, anknüpfend an einige Punkte, die wir vorhin schon diskutiert haben, eine viel größere Offenheit zeigt gegenüber der Rechtspraxis, wie sie nicht nur unter den Juristen selbst besteht, im Stande der Juristen entstanden ist, sondern auch gegenüber der Rechtspraxis, wie sie gesehen und behandelt wird auch von den Rechtsunter-
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worfenen. Also, die Offenheit gegenüber einer Praxis, die nicht nur die eigene Praxis ist, findet sich nach meiner Ansicht in der Strukturierenden Rechtslehre ganz ähnlich wie in der praktischen Semantik. Sokolowski: Vielleicht noch eine kurze Ergänzung zu dem Beitrag von Rainer Wimmer eben. Wenn er davon geredet hat, daß für die praktische Semantik, oder besser gesagt, vielleicht, für die praktisch-semantische Betrachtungsweise, Sprache eben nicht an sich gegeben ist, nicht von sich aus vorgegeben ist, sondern sich in einer durchaus analogen Weise auch anhand von Texten verfertigen läßt, dann ist hier schon ein wichtiger Punkt auch für eine Konkretisierung der Zusammenarbeit, für die Interaktion zwischen Strukturierender Rechtslehre und praktischer Semantik gegeben, die weder auf ein bloß additives Verhältnis hinausläuft, noch dabei stehen bleibt, sozusagen Linguistik und Jurisprudenz gegenseitig hinsichtlich ihrer Legitimierung in Frage zu stellen. Eine Perspektive für konkrete Arbeit liegt darin, daß wir jetzt an den Punkten, an denen sich im Konkretisierungsvorgang bei der Rechtsnormerzeugung bestimmte Bedürfnisse oder Notwendigkeiten formulieren lassen, einen Begriff zu konkretisieren, die Grenzen von Begriffsverwendungen festzustellen, und zwar von Begriffsverwendungen, wie sie beispielsweise von streitenden Parteien vor Gericht geltend gemacht werden usw., daß sich hier also Möglichkeiten ergeben, Verfahren und Entscheidungen anhand von Sprachtexten zu erarbeiten, also etwa anhand bestimmter kodifizierender Werke wie Wörterbüchern. Es ließe sich weiter daran denken, Sprachnorm Vorstellung, Sprachtheorievorstellung, wie sie etwa streitende Parteien vor Gericht mitbringen und als Rechtfertigungsgründe ihrer jeweiligen Inanspruchnahme von sprachlichen Ausdrücken vorbringen, zu kritisieren, in einem rationalen Verfahren zu erläutern. Also ich glaube, daß hier gerade von der Vorstellung her, einerseits durchaus Texte als Anhaltspunkte zu haben, andererseits aber sehr wohl darum zu wissen, daß diese Texte nicht gleich ihrem Textsinn und schon gar nicht zugleich ihr normativer Textsinn sind, daß sich gerade aus dieser Konstellation Konkretes dann weiter ausformulieren und ausarbeiten läßt: in der Perspektive einer Verbesserung der semantischen Methodik und der Arbeit am Recht, also sowohl einer theoretisch als auch einer praktisch vernünftigen Verbesserung der entsprechenden Verfahren. Müller: Sokolowski hat damit schon den letzten Schwerpunkt unseres heutigen Gesprächs genannt, nämlich die Frage nach weiteren Perspektiven. Was sollte, sei es durch einzelne von uns, sei es wieder gemeinsam, weiter in Angriff genommen werden? Über das Beispiel hinaus, das er genannt hat, meine ich, wäre es beispielsweise den Versuch wert, eine nunmehr im Kern 15 F. Müller, Linguistik
2 2 6 G e s p r ä c h über Strukturierende Rechtslehre und praktische Semantik gemeinsame A r g u m e n t a t i o n zu erarbeiten, die den sogenannten objektiven Auslegungslehren gleich welcher H e r k u n f t , sei es i n der Sprachwissenschaft, sei es in der Rechtswissenschaft, den B o d e n entziehen könnte. Das ist eine der Möglichkeiten, die sich nach meinem Eindruck aus unserer bisherigen Zusammenarbeit nahelegt.
Busse: D e n objektiven (oder besser: sich als o b j e k t i v verstehenden) Auslegungslehren ist j a sprachtheoretisch bzw. sprachphilosophisch gesehen nicht erst seit W i l h e l m von H u m b o l d t i m letzten Jahrhundert der B o d e n entzogen. Es käme also nunmehr darauf an, als Ergebnis und Weiterführung unserer Diskussionen die Argumentationsstränge, die aus der Geschichte der Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie einerseits und aus rechtsmethodischen Überlegungen andererseits erwachsen sind, zusammenzuführen in eine gemeinsame Argumentation. Ich denke, daß wir eine Basis der gegenseitigen Verständigung und auch des Verstehens erreicht haben, die eine solche gemeinsame A r g u m e n t a t i o n ermöglicht. Sprachtheoretisch gesehen, ist für mich als Linguisten diesen objektiven Auslegungslehren schon lange der B o d e n entzogen. Es bedarf aber, u m diese Einsicht nicht folgenlos bleiben zu lassen, einer in nuce gemeinsamen A r g u m e n t a t i o n , damit nicht zum einen die Juristen immer wieder auf andere Sprachtheorien verwiesen und andererseits die Linguisten mit wirklich existierenden oder nur angeblichen Notwendigkeiten der Rechtsarbeit konfrontiert werden, auf die sie zunächst - mangels Kenntnis der juristischen Alltagspraxis - keine A n t w o r t wissen. Deswegen, damit nicht beide Wissenschaften wie bisher (in einer eher additiven Interdisziplinarität) ständig gegeneinander ausgespielt werden, sollte der Versuch unternommen werden, eine gemeinsame Argumentationsstrategie zu finden. Nachdem die Beiträge in diesem Sammelband sich vorwiegend mit der Rolle von sprachtheoretischen Argumenten und der Rolle von Sprache in der rechtsmethodischen Diskussion auseinandergesetzt haben, wäre es meiner M e i n u n g nach ein dringendes Desiderat, nunmehr in einer gemeinsamen Forschungsstrategie auch die tatsächliche Rechtspraxis, daß heißt die Entscheidungstätigkeit, die Entscheidungsbegründungen von Richtern daraufhin zu untersuchen, welche Sprachauffassungen in ihnen wirksam werden. D a z u gibt es einige Ansätze, die aus unserem Kreise schon gemacht worden sind. Dies wäre sicherlich ein Punkt, wo es unabdingbar ist, zusammenzuarbeiten, weil die gegenseitigen Verständnisprobleme, die sich aus der Fremdheit der Arbeitsbedingungen der jeweils anderen Disziplin ergeben, sich nicht anders austragen lassen, denn in ständiger gemeinsamer Forschung. U n d sie lassen sich vermutlich auch nicht austragen nur über die L e k t ü r e von Texten, sondern sie bedürfen der gemeinsamen A r b e i t an konkreten Forschungsprojekten.
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Sokolowski: Ich möchte vielleicht als Grundlinie einer Perspektive auf das anfangs hier oft kritisierte B i l d , das herkömmliche juristische M e t h o d i k e n und Rechtstheorien verfechten, zurückgreifen. D a war i n der Geschichte i m m e r v o m Richter als „ M u n d des Gesetzes" die Rede. I n ähnlicher Weise haben i m weitesten Sinn objektivistische Sprachtheorien den Sprecher eigentlich i m m e r auch nur auf die Rolle eines Mundes der Sprache reduziert. Nicht der Sprecher hat gesprochen, sondern die Sprache hat gewissermaßen aus i h m gesprochen. D i e U m k e h r u n g dessen hat sich in der Diskussion hier als zukunftsweisender Ansatz ergeben. Das heißt, von juristischer Seite ist daran zu arbeiten, das B i l d des Richters, der spricht, i m einzelnen zu zeichnen, zu konkretisieren; und dazu eben auch das B i l d des Sprechers auszufüllen, der, obzwar er sich i n der Sprache befindet und in der Sprache leben muß, dennoch die Sprache verfertigt und ihr nicht etwa unterworfen ist. Neben den bereits genannten Gesichtspunkten oder Themen für solche Forschung, möchte ich eins nochmal hervorheben, das D i e t r i c h Busse angesprochen hat: Ich glaube, es würde auch fruchtbar sein, die Geschichte der modernen Rechtstheorie i m Zusammenhang mit der Geschichte der modernen Sprachtheorie kritisch zu befragen auf die Wurzeln hin, die zur modernen F o r m des Geschäfts des Rechts geführt haben, die zu wirksamen, auch i m A l l t a g wirksamen Auffassungen von Sprache geführt haben. D a b e i wären vor allem auch die Traditionen hervorzukehren, die es zumindest für die Sprachphilosophie, die Sprachwissenschaft gibt, die sich eigentlich immer schon gegen den Hauptstrom eines positivistischen Denkens gewendet haben. Wimmer: A n k n ü p f e n d an das, was Sokolowski zuletzt gesagt hat, muß man vielleicht daran erinnern, daß die scharfe Trennung dieser Wissenschaften, Sprachwissenschaft und Rechtswissenschaft, j a ein Produkt der letzten 150 oder 200 Jahre der Geistesgeschichte ist. Viele sprachtheoretische D i n g e , die man i n juristischen M e t h o d i k e n und rechtstheoretischen W e r k e n heute findet, gehen auf ältere sprachwissenschaftliche Theorien zurück; und i m 19. Jh. noch war es j a üblich, daß viele Wissenschaftler unter dem D a c h der Geisteswissenschaften Sprachwissenschaft oder Germanistik oder Philologie u n d Rechtswissenschaft gemeinsam betrieben haben. U n d es wäre sicher nützlich, die verschiedenen Parallelen, aber auch Abweichungen, die sich zwischen modernen Sprachtheorien innerhalb der Linguistik einerseits und Sprachtheorien i n der Rechtswissenschaft andererseits zeigen, einmal unter diesem historischen Gesichtspunkt miteinander zu vergleichen. Ich möchte aber auch noch auf einige praktische Beispiele hinweisen, die vielleicht eine weitere Zusammenarbeit fruchtbar werden lassen könnten. Ich könnte mir denken, daß man die theoretischen u n d methodischen Annäherun15*
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gen, die sich aus unserer bisherigen Zusammenarbeit ergeben haben, auch erproben könnte an einzelnen Fällen. Da könnte man Beispiele nehmen, in denen Sprache in eklatanter Weise im Rechtsfindungs- und Rechtserzeugungsprozeß eine Rolle spielt. Ich denke etwa an einen aktuellen Fall: Ein oberstes Gericht hat sich letztens zur Familiennamengebung geäußert. Es gibt eine lange Namengeschichte im Deutschen. Soweit ich sehe, hat die Namenforschung gar keine große Rolle gespielt in der Begründung der Entscheidung, die gefällt worden ist in der Frage: Welchen Familiennamen dürfen heute Ehepartner, Eheleute wählen? Ist jeder Ehepartner gleichberechtigt in der Wahl seines Familiennamens oder nicht? Ein anderes Beispiel wäre, was mir gerade jetzt sehr aktuell erscheint, der Gleichbehandlungsgrundsatz für Männer und Frauen (§ 611 a und b BGB): wo es darum geht, daß Frauen, das ist der aktuelle Punkt, nicht benachteiligt werden sollen, beispielsweise in Dienstverträgen. Ausschreibungen von Stellen sollen so gemacht werden, daß sie nicht nur für Männer oder nur für Frauen gelten. Wie ist das sprachlich zu konkretisieren? Da gibt es schon Vorschläge von Linguisten und vor allen Dingen Linguistinnen, die zum Teil als sehr positivistisch anzusehen sind. Die wären von einer praktischen Semantik her innerhalb der Linguistik zu kritisieren; andererseits wären bestimmte VerwaltungsVorschriften oder Empfehlungen, wie sie von juristischer Seite formuliert sind, auch zu kritisieren. Das wäre ein wichtiger Fall, an dem man arbeiten könnte, sowohl von linguistischer wie von juristischer Seite. Dann gibt es natürlich weitere Fälle, die auch in der Diskussion waren. Zum Beispiel hat in vielen Urteilen im Zusammenhang mit Demonstrationen der Gewaltbegriff eine Rolle gespielt und die Frage: Wie hat sich der Gewaltbegriff verändert, wie haben Juristen versucht, den Gewaltbegriff zu verändern, abweichend - wie ich einmal jetzt behaupten würde - vom allgemeinen Sprachgebrauch? Wenn man einmal nur den Gewaltbegriff nimmt, der die physische Gewalt bezeichnet im allgemeinen Sprachgebrauch (es gibt da natürlich auch einige andere Varianten im allgemeinen Wörterbuch): Da hat sich wohl in einer Reihe von Urteilen gezeigt, daß, wie ein Jurist einmal formuliert hat, eine Art Vergeistigung des Gewaltbegriffs angestrebt worden ist, indem man in der Rechtsprechung nicht das physisch Brachiale in den Mittelpunkt der Bedeutung gestellt hat, sondern etwa auch die Folgen, die passives Handeln oder Sitzblockaden haben. Oder man hat die Folgen sogar zum Schwerpunkt der Bedeutungsbetrachtung gemacht und damit einen Gewaltbegriff ins Spiel gebracht, der wohl deutlich abweicht von dem, was im allgemeinen Sprachgebrauch unter „Gewalt" verstanden wird. Das sind einige Beispiele, die man an Texten verschiedener Art rekonstruieren, bearbeiten und an denen man dann zeigen könnte, wie die theoretischen und methodischen Übereinstimmungen, die wir uns erarbeitet haben, praktisch fruchtbar zu nutzen sind. Müller: Das war ein Schlußwort. Dank an alle, für das Ganze.
Namenverzeichnis Achterberg, Ν . 61, 73, 166 Albert, Η . 77 Alexander der Große 171,174 f. Alexy, R. 64ff., 72 Althaus, Η . P. 28f., 150 Apel, K. O. 140 Aristoteles 171,174 ff. Austin, J. L. 124,129,144 Bachof, O. 48 Baden, E. 52f., 121f., 161,165 Behrens, M. 43 Bentele, G. 54 Bickes, H. 98f., 106 Bloch, E. 60, 88 Bockelmann, P. 48 Brekle, H. 58,162,164ff. Brinckmann, H. 10,151 Brink, J. 37 Brodes, H. M. 130 Broekman, J. M . 21, 40, 48f., 76, 79 Brütting, R. 49, 58 Burkhardt, Α . 42 Busse, D. 42, 54,107,110,119,122,129, 135 f., 143,151,162,171,194, 196f., 199f., 210, 213 Bystrina, I. 54 Canaris, C.-W. 59 Carnap, R. 98,106,162 Cattepoel, J. 168 Cicourel, Α . V. 54 Christensen, R. 13ff., 20, 25, 67, 73, 85, 149,166,170,187, 210, 221 Coing, H. 85 Coseriu, E. 51,78 Dedekind, R. 182 Derrida, J. 24ff., 42, 49ff., 56, 58, 63, 69, 71, 129 Dieckmann, W. 43
Einstein, A . 181 ff. Ellscheid, G. 61 Engisch, K. 53, 73,153 Esser, J. 20,61 Eyermann, E. 173 Fetscher, I. 41 Frank, M . 21, 24, 49, 51, 55f., 58, 63f., 69,163,166 Frege, G. 101,170ff. Fröhler, L. 173 Frommel, M . 57, 61 Gadamer, H. G. 196 Garstka, H. 10ff., 151 Gebhardt, P. 51 Geckeier, H. 157 Glinz, H. 38 Grice, H. P. 70, 83,101 ff. Grimmer, Κ . 10,151 Großfeld, Β . 20 Habermas, J. 67ff., 129,131,140,148 Haft, F. 166 Hanack, E. W. 48 Hart, H . L. A . 84,110,112 Harth, D. 51 Harenburg, J. 50 Hassemer, W. 61 Hattenhauer, H. 166 Hätz, H. 22,163 Hartmann, P. 10 Hebel, F. 42 Hegenbarth, R. 10,19f., 52f., 94,101, 114 ff., 139f., 142 f., 147, 196 Heger, K. 38 Heibig, G. 163 Henne, H. 28f., 150 Heringer, H. J. 31, 35, 41, 43, 66, 83 Hesse, H. 71 Hitler, A . 175
230
Namenverzeichnis
Hoberg, R. 42 Honneth, A . 69,71 Hörmann, H. 143 Hungerland, I. C. 70 Husserl, E. 56 Imhasly, Β . 150 Jäger, L. 66 Jeand'Heur, B. 13ff., 21,24ff., 149,153, 168,171,179,187,192f. Joas, H. 69, 71 Kaufmann, A . 21, 61,149 Kehl, E. 43 Keller, R. 40f., 66, 198 Kelsen, H. 73, 74 Kemmerling, A . 82, 101 f. Kilian, W. 20 Kimmerle, G. 71,72 Kirchhof, P. 27, 42f. Kluckhohn, P. 60 Koch, H. J. 10f., 65, 86, 94, 96ff., 131, 133 ff., 145, 162 f., 185 f. Kopp, F. O. 173 Koselleck, R. 41 Kramm, M. 168 Kriele, M. 50 Kripke, S. Α . 24, 170,172ff., 182ff. Kuhlen, L. 162 Kutschera, F. v. 102 Lakatos, I. 73 Ladeur, Κ . H. 51, 80ff. Lampe, E. J. 167 Larenz, K. 51, 57ff., 90, 95, 113, 149, 152,161 f., 167 f. Lewandowski, Th. 152 Lewis, D. K. lOlf., 109ff., 136 Lorenz, K. 219 Lyons, J. 150, 164 Marfurt, B. 150 Meggle, G. 70, 83, 103 Mennicken, A . 53 Montesquieu, Ch. de 20 Musgrave, A . 73
Novalis 60 Neumann, U. 67, 70f. Neumann-Duesberg, H. 168 Oelmüller, W. 67 Ogden, C. K. 164 O'Hair, S. G. 70 Patzig, G. 171 Peano, G. 182 Pelz, H. 163f. Platon 99,101,106,149, 171,174f. Podlech, A . 151 Polenz, P. v. 38 Portmann, P. 150 Pottier, B. 157 Priester, J. 86 Putnam, H. 179 Radbruch, G. 39 Rave, D. 10 Rehbock, H. 150 Reitemeier, U. 29 Richards, J. A . 164 Richter, H. E. 41 Rieser, H. 10 Rimbaud, A . 205 Rühle, G. 130 Rüßmann, H. 10f., 65, 94, 97,162,185f. Russell, B. 170,172 Samuel, R. 60 Saussure, F. de 50,120,163,166 Savigny,E. v. 56,101 f., l l l f . Searle, J. R. 51, 69, 102 Seel, M. 69, 71 Simon, J. 171 Slote, M. 174 Sokolowski, M. 40f., 43, 69,195, 202, 204, 212, 220, 225, 227 Schiffauer, P. 22, 25, 50, 64, 66f., 94, 131 ff., 146,171 Schifko, P. 58 Schmitt, C. 85 Schleiermacher, F. D. E. 51 Schlieben-Lange, B. 38 Schmidt, S. J. 164 Schneider, H. P. 85 Schubarth, A . 36
Namenverzeichnis Schütz, Α . 124 Schütze, F. 54 Stötzel, G. 211 Strawson, P. F. 41,172 Tugendhat, E. 170 Ullmann, S. 165 Valéry, P. 196 Wandruszka, M. 38 Wank, R. 21,165 Wellmer, Α . 26, 56 Wessels, J. 183
Wetzel, M . 71 Wiegand, Η . E. 28f., 150,156f. Wiggershaus, R. 54 Wimmer, R. 26, 30f., 35,66,151,170, 176,179f., 189, 209, 211f., 218, 223 Windscheid, B. 57 Wittgenstein, L. 17, 31, 33f., 42, 56, 69, 101 ff., 112f., 121,132,134 ff., 142,145, 193, 195,199, 217f. Wolff, U. 170 Wolski, W. 156 Wright, G. Η . v. 130 Zappa, F. 181 Zimmermann, H. 51,65 Zippelius, R. 19
Sachverzeichnis
Absicht 55 s. a. Intention Abwägung 80 f. Äußerung 95,103, 110,118,130,135f. 145,147 Akzeptanz 210 Alltagssprache 168,171 f., 203 Alltagstheorien 98, 109 Analogie 131,135 ff., 144 ff. Anschlußzwang 81 f. antipositivistische Doktrin 76, 85 s.a. Gesetzespositivismus Argument - normtextferneres 89 - normtextnäheres 89 f. - semantisches 203 s.a. Auslegung, Konkretisierungselemente Argumentation s. juristische Argumentation Argumentationskultur 193,198 Argumentationstheorie 64, 84 Ausdruck 97,100,106 Auslegung - genetische 12, 55, 96 - grammatische 50, 51, 57,65,96,112, 114, 203 - historische 12, 90, 96 - juristische 10, 94ff., 113,115f., 126, 130 ff., 135,138 ff., 144,146f. - systematische 58, 90, 96 - teleologische 97,114 - verfassungskonforme 205 s. a. Konkretisierung, Konkretisierungselemente, Subsumtion Auslegungslehren - objektive 20, 96f., 122,125,128, 131,144,192,195f., 219, 226 - subjektive 20, 52f., 57, 97,119, 125f., 128, 144, 147, 192, 195f., 219
Auslegungstätigkeit 62, 76 s.a. Auslegung, Konkretisierung Auslegungstheorie s. Auslegungslehren außertextuelles Organisationszentrum 62, 64,67 Autor 55, 96,115,121 ff., 130,147 s.a. Prinzip der Autorschaft Autorintention 196 Bedeutung 14f., 33f., 39f., 45, 50, 52f., 58, 62f., 65, 95ff., 102,104, 106ff., 112ff., 132ff., 138f., 145, 202, 211f., 216f., 219 s.a. Normtext Bedeutungsbeschreibung 94, 96 Bedeutungsermittlung, Lehnstuhlmethode 202 Bedeutungsfestsetzung 112,115,126, 129 f., 139,149 f. Bedeutungsfeststellung 96,100,112,115, 121 ff., 126,128 ff., 133f., 139f., 145f. Bedeutungskonstitution 95,102,104, 111,120,122, 124,138,140f. Bedeutungstheorie - des Begriffsdenkens 163 ff. - des Gebrauchs s. Gebrauchstheorie der Bedeutung - geschlossenes Modell 23 - juristische 12,160,190 - linguistische 94, 96,102,106,118ff., 140,145,190f. - logische 171 - realistische 99f., 112,133,135,216f., s.a. Merkmalsrealismus - strukturalistische 152 Bedeutungsverhältnisse, Differenz der 78 Bedeutungswandel 133,145 f. Bedeutungszusammenhang 96, 128
averzeichnis Begriff - Auslegungsbedürftigkeit 167 - eindeutiger 10,12 - Kern 191 - mehrdeutiger 10 - normativer 12,168 - Ordnungsfunktion 166,168 - poröser 10 - Prinzip der Eindeutigkeit 167 f. - Summe von Merkmalen 21 f., 113 - unbestimmter 12, 168 - Vorstellungsinhalt 134,163,165 Begriffsgeschichte 187 Begriffsjurisprudenz 134,165 ff. s.a. Gesetzespositivismus Begriffslehre - juristische 12 - positivistische 23 Begriffspyramide 166 Begründungsmaßstäbe, gesetzestranszendente 64 Begründungsdenken 73, 77, 96 Bereichsdogmatik 91 s. a. Normbereich Bundesarbeitsgericht 154 Bundesgerichtshof 167 Bundesverfassungsgericht 154 ff., 167, 205
Déconstruction 25 Demokratieprinzip 18 Determination 91 deterministische Textauffassung 58 Dezision 91 Dezisionismus 9, 219 différentielle Wertbestimmung 58, 63 Differenzen, Spiel der 58, 63 Dingeigenschaften 99ff., 112f. Diskurs, juristischer 9 Dissemination 26 Durchsetzungshandeln 221
Einheit der Rechtsordnung 73 Einschreibung 63 Entscheidungselemente s. Auslegung, Konkretisierungselemente Entscheidungsgründe 19
Entscheidungsnorm 19, 76, 88, 91, 215 s.a. Normtext, Rechtsnorm Entscheidungstätigkeit - contra legem 90 - als kognitiver Vorgang 20 - als Kommunikationsvorgang 19 - positivistische Vorstellung 22 - und syllogistisches Subsumtionsmodell 161 Entscheidungszwang 48 Erkenntniskritik 219 Erkenntnistheorie 100 f. Ethik, kommunikative 83 Extension 98,100,106, 162,185 Fachsprache 168,206 fester Designator 176,180 Freiheit von Sprache 212 Gebrauchstheorie der Bedeutung 50, 102,135, 216f. s.a. Bedeutungstheorie Geltung 87 Geltungsstruktur 206 Generalklausel 12 Generative Transformationsgrammatik
10 Gerechtigkeit 62, 77, 91, 205 Gesetzbuch der praktischen Vernunft 64, 77, 79 Gesetzesauslegung s. Auslegung, Konkretisierung Gesetzesbindung 12, 48f., 52, 55f., 59, 64ff., 72, 80, 82, 84ff., 89,112,141, 192,196, 212f. s.a. Normtext, Rechtsnorm Gesetzespositivismus 9,13ff., 39f., 50, 63, 72f., 79, 87, 89, 166f., 204, 219 Gesetzesvollzug 80 Gesetzgeber 54, 56, 65, 88, 96,115, 125 ff., 130 gesetzgeberischer Wille s. Wille des Gesetzgebers Gewalt - aktuelle 18 - formalisierte 18 - gesellschaftliche 17, 75 - konstitutionelle 18 - sprachlich vermittelte 18, 75
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Sachverzeichnis
- staatliche 18 - unmittelbare 18 Gewaltbegriff der Rechtsprechung 37, 39, 44f., 167, 228 Gewaltenteilung 76 s.a. Rechtsstaat Gewerkschaftsbegriff 154 f. Grammatik - pragmatische 11 - syntaktischer Aspekt 11 grammatische Auslegung s. Auslegung, grammatische Grundgesetz 95 f. Grundrechte - Drittwirkung 205 - unmittelbar bindende Rechtswirkung 205 Handeln - juristisches 74, 211, 224 - soziales 32 f. - sprachliches 32 f. s.a. Muster, Regel Hermeneutik 94,113,115f. 123,128, 140 ff., 146, 196 hermeneutische Spirale 61 Herrschaft 75 herrschende Meinung 97,115, 147 historisches Element s. Auslegung, historische ; Konkretisierungselemente, historische ideales Gesetzbuch 62 ff. idealisierte Pragmatik s. Pragmatik, idealisierte Illokution 106 Implikatur 107f. inneres Rechtssystem 63 Intension 98, 100,105f., 113,162,185 Intention 56, 96, 102ff., 109ff., 115f., 121 ff., 130,147 Intentionalismus 101 ff., 106, 109 f., 117, 119,121 Interdisziplinarität 226 Interpretation 96f., 112f., 116, 120ff., 129,137,146f., 208 juristische Argumentation 68 juristische Begriffsbildung und Merkmalsdifferenzierung 160 ff.
s. a. Begriff, Merkmalsrealismus, Rechtsprechung als merkmalsdifferenzierender Vorgang juristische Methodik 10, 85, 87, 93ff., 112, 115,127, 131,143f., 147, 202 juristische Textarbeit s. Textarbeit, juristische juristisches Sprachspiel 17, 84, 193 s.a. Sprachspiel, Rechtsarbeit als Sprachspiel Justizsyllogismus 76 s. a. Subsumtion Kodifikation 213 Kohärenz 213 f. Kommunikation 95,100,104,110,115f., 118, 122, 129, 135, 145, 221 Kommunikationsmodell 53, 56 Kommunikationstheorie 54 kommunikative Handlung 104ff., llOff., 116f., 119, 122,124, 128 f., 136 f., 149 f. kommunikative Kompetenz 77f., 83 Konfliktsfall 90 Konkretisierung - dynamisches Ablaufmodell 85,87ff., 215, 223 - Eingangsdaten 22, 89 - Subjekt 87 Konkretisierungselemente - genetische 197 - grammatische 86,197 - historische 197 - methodologischer Konflikt 197 - normgelöst-dogmatische 90 - normtextfernere 90 - Rangordnung 89 - systematische 197, 213 s.a. Auslegung Konsensus 67 Konsequenzanweisung 25 f. s.a. Referenzanweisung Konvention 41f., 103, 105, llOf., 117f., 136 f. Konventionalismus 101,103 f., 110,117 Kultur des Streitens 83 s.a. Argumentationskultur Lebensform 41 f., 208, 223 Legaldefinition 168, 172f.
averzeichnis Legalität und Legitimität 18 Legitimation 191, 203f., 224 Legitimierungsbedürfnis der Juristen 202 Legitimierungsstruktur 206 Leitsatz 39f., 45 lex ante casum 89 Lexikographie 191 Lexikologie 191 Lexikon 11,195 Linguistik s. Sprachwissenschaft Logik - formale 10, 98f., 106, 112,168 - und natürliche Sprache 171 - Rezeption in Sprachwissenschaft 151 Macht 9,18,191, 203 Machtausübung 9,18 Machtökonomie 80 f. „Materieller Hochschullehrer"-Begriff 155 ff., 160,167,183 Meinen 102 f., 109,120f., 125 Mephisto-Beschluß 21 Merkmalsmatrix 156 ff. Merkmalsrealismus 161 ff., 168 f., 172 ff. s.a. Bedeutungstheorie, realistische; Rechtsprechung als merkmalsdifferenzierender Vorgang Methodik, juristische s. juristische Methodik Metasprache s. Recht als Metasprache Moral 204f. Muster - soziale 31 ff. - sprachliche 3Iff. s. a. Regel nachpositivistisches Gesamtkonzept 72 f. s.a. Gesetzespositivismus Namenforschung 228 Namen-Theorie 170 Natur der Sache 20, 22 Naturrecht 204f. Nihilismus, hermeneutischer 196 Norm - methodenrelevante 75, 83 - sprachliche 35 f. s. a. Rechtsnorm, Regel Normativität - konkrete 87 f. - sachbestimmte 87
Normbereich 22f., 88f., 215 s. a. Sachbereich Normbereichsanalyse 157,160 Normbereichsargument 90 s.a. Konkretisierungselemente Normierung, sprachliche 83 Normkonkretisierung s. Konkretisierung Normprogramm 22f., 25, 88f., 197, 215 s.a. Normtext, Rechtsnorm, Rechtsnormtheorie Normstruktur 86f., 89f., 201, 206 s. a. Konkretisierung, Normbereich, Rechtsnorm Normtext - abstrakt-anordnender 19 - Bedeutung 9, 12,19, 94ff., 126f., 160 - Bedeutungsstruktur 76 f. - einfachgesetzlicher 19 - Eingangsdatum der Rechtsarbeit 22 - Gebrauchsregeln 25 - Gleichsetzung mit Rechtsnorm 20,
22 - Grenze 90,149 s.a. Wortlautgrenze - Hypothesen 215 - konkret anordnender 19 - Rechtsnorm/Entscheidungsnorm 76ff., 208 - Signal- und Β egrenzungsWirkung 86 ff. - Zeichenwert 22 s.a. Konkretisierungselemente, grammatische; Auslegung, grammatische; Normprogramm objektive Auslegungslehre s. Auslegungslehre, objektive objektiver Sinn s. Sinn, objektiver Objektivität 202 Objektivismus 196 Offenheit - des Gebrauchs 217 - einer Sprache 21 performativer Widerspruch 68 ff. Positivismus s. Gesetzespositivismus Prädikate lOOf., 105 Prädikatenlogik 98, 106
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Sachverzeichnis
Präferenzregeln 214 Präsenz 63 Präsupposition 70ff., 82 Pragmatik 52, 64,106ff., 115ff., 119, 124f., 127, 132,142, 203 pragmatische Regel 187 s.a. Regel pragmatische Wende 10f., 222 praktische Semantik 30ff., 36ff., 40, 46, 199, 211, 215ff. praktische Vernunft 77 praktischer Diskurs 64, 67, 71 f., 77, 83 Praxis 223 Prinzip der Autorschaft 52 s.a. Autor Rationalität - doppelte 76 - immanenter Maßstab 84 Realdaten 20ff., 87, 201 s.a. Konkretisierungselemente, Sprachdaten, Normbereich Realismus, erkenntnistheoretischer 100, 103,106, 118 Recht - Erkenntnisregel 84 - und Macht 200, 202 - als Metasprache 80 f. - positives 9, 95 - und Rechtspolitik 17, 19, 200 - als reflexives Kommunikationsmedium 80 - als strategisches Spiel 82 - Verständlichkeit 208 f. - und Wirklichkeit 153 Rechtsanmaßung 37ff., 44 Rechtsanwendung 74, 97, 126, 131, 139, 143 f. Rechtsarbeit - Grundforderungen 18 - Konzeption der antiposivistischen Doktrin 51 - praktische 77ff., 89f. - Rationalitätsmaßstab 82 - und Referenz 153 - sprachliche Kritik 19 - sprachliche Rechtfertigung 19 - als Sprachspiel 26,187 s.a. Sprachspiel, juristisches
- Subjekt 12, 22f., 26, 87, 198, 222 s.a. Konkretisierung, Auslegung Rechtserzeugungsreflexion 74, 88 f. Rechtsgeltungspositivismus s. Gesetzespositivismus Rechtsidee 62f.,205 Rechtsinformatik 10 Rechtslinguistik - Begriff 189,193 - additiver Aspekt 195 Rechtsnorm 23, 39, 50f., 73f., 76, 79f., 82, 85, 88f., 95, 97,146f., 215, 224 s. a. Normativität, Normbereich, Normprogramm, Normstruktur, Normtext Rechtsnormmodell, positivistisches 20ff., 82, 87 Rechtsnormtheorie 75, 87, 89f. Rechtsontologien 17 Rechtsordnung - Sprachform 18 - Strukturprinzip 18 - Textstruktur 19 s. a. Textstruktur Rechtspolitik 204 s.a. Recht Rechtspositivismus s. Gesetzespositivismus Rechtssprache 28 f. Rechtsprechung - Aufgabe 75, 95 - als merkmalsdifferenzierender Vorgang 152ff. s.a. Merkmalsrealismus Rechtssicherheit 96 Rechtsstaat - und moderner Verfassungsstaat 17 - bürgerlicher 18, 76 - Legitimität 18 - Textstruktur 26 s.a. Textstruktur - Prinzipien 18, 26, 66, 75, 83ff. Rechtstheorie - allgemein 95 - analytische 185 - postmoderne 80 ff. s.a. Rechtsnormtheorie Rechtsverweigerungsverbot 18 Referenz 21 f., 24ff., 150,166,184,186 Referenzakt 151, 161, 170, 176, 182
averzeichnis Referenzanweisung 25 f. s.a. Konsequenzanweisung Referenzfixierungsakt 26 Referenzregeln 167,169f., 185 Referenztheorien 151,183 Referenzverhältnis 150,153,156, 169, 171,186 Referenzverständnis - sprechakttheoretisches 153 - juristisches 170 Referieren - bei der Entscheidungstätigkeit 162 - als kontextabhängiger Vorgang 150 ff., 183 - als Sprechakt 172,179 Regel - Änderung 69 - Anwendung 77 - Befolgung 33 f. - Begriff 69,135ff., 222, 224 - Determination 84 - Offenheit 33 f. - pragmatische 11 - semantische 11, 57, 65f., 135ff., 187 - soziale 3Iff., 41 - sprachliche 31ff., 39, 41,103,108, 110, 117, 135 ff., 143, 146 - Sprachspiele 17 s.a. Sprachspiel, juristisches - Verletzung 77 - Wiederholung 69, 78 s.a. Muster, Lebensform Regelformulierung als Gestaltungsakt 78, 83, 222, 224 Regelpiatonismus 77, 82, 219, 221 Regelskeptizismus 82, 219, 221 Regelungsabsicht 96f., 126, 128 Reine Rechtslehre 74 Repräsentationsgedanke 12f.,24f. Richterrecht 205 Richtigkeitsanspruch 67f., 71 Sachbereich 88 s.a. Normbereich „Sache Recht" 62 Sachverhalt - Eigenschaftsmerkmale 153 - als Paraphrase des Normtextes 10 - im Referenzverhältnis 153
Sein und Sollen 153, 167 Selbstaffektion der Wahrheit 62 Semantik - allgemein 97,100, 106, 108,116, 140,142 - handlungstheoretische 216 - intensionale 98,106,112 - juristischer Texte 51 - kompetitive 43 - logische 98f., 117 - praktische s. praktische Semantik semantische Identität 49, 55 semantische Oppositionen 58, 62 semantische Regel s. Regel, semantische semantischer Kampf 40f., 203 Semantisierungsvorgang 49,70f., 79,224 semiotisches Dreieck 164 signifikant 24, 26,163, 166,168,173 Signifikat 24, 26, 54f., 63, 77,163,166, 168,173 Sinn - objektiver 57, 60, 64 - des Textes 63 s.a. Bedeutung - vorsprachlicher 63 Sinnzentrum 49, 67 Sondersprache 207 s.a. Fachsprache, Alltagssprache Soziologie 11, 54 Spracharbeit 222 Sprachcode 25 Sprachdaten 22ff., 87f., 91, 201 s. a. Realdaten Sprache - Begriff 37f., lOOf., 129, 145, 210, 219 - Einheitlichkeit 211 - homogene 211 - Naturprodukt 198 - Nichtwillkür 218, 223 - normative 63 - Organismus 220 - Phänomen der dritten A r t 198, 200 - reines Kunstprodukt 198 - System 24,117,121,152,166,169f., 189 f. Sprachgebrauch 36, 44, 46, 58, 96,109ff., 132,140,143,145,147,194, 203 Sprachgewalt 38
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Sachverzeichnis
Sprachgrenzen 211 Sprachhandlung 222 Sprachkompetenz 65 Sprachkritik 203, 211, 218 sprachliche Ordnung 219 Sprachnormierung 66, 78, 83f., 111 Sprachphilosophie 10, 94, 97 sprachphilosophische Wende 63, 80 Sprachpraxis 203 sprachreflexives Vermögen 221 Sprachregeln 10f.,54, 78 s.a. Regel Sprachspiel 11,17,103, 142,145,147, 223 s. a. Rechtsarbeit als Sprachspiel; juristisches Sprachspiel Sprachtheorie - allgemein 94ff., 109,116, 143 - juristische 198, 210f. - objektivistische 227 Sprachverständnis - instrumentalistisches 20 - juristisches 12, 20, 152 - strukturalistisches 157 Sprachwandel 220 Sprachwissenschaft 10, 17, 66, 94, 97, 116,127,131, 148,156,189f. Sprachzeichen - allgemein 98f., 102f., 118,120,124, 135 ff., 145 - Ausdrucksseite 158f., 163 - Inhaltselemente 158f., 163 - Verweisungsfunktion 161 Sprechakt - mißglückter 68 - und Referenzbezüge 151 Sprechakttheorie 106 f., 115, 124 sprechender Text s. Text, sprechender Sprecher 222, 227 Sprecherintention s. Intention Standessprache 207 s.a. Fachsprache, Sondersprache, Alltagssprache Strukturalismus 49, 51, 58,117f., 156, 166 Strukturierende Rechtslehre 17,22ff., 36, 40, 46, 72ff., 76, 78f., 83, 85ff., 89ff., 187,196ff., 201, 205,209,213ff., 221ff.
Subjekt - der Konkretisierung 222 s.a. Konkretisierung - des Sprachhandelns 222 subjektive Auslegungslehre s.a. Auslegungslehren, subjektive Subjektivität 196 Subsumtionsmodell 74, 77f., 88, 162, 163,165 System - inneres 60 f. - offenes 60 systematische Auslegung s. Auslegung, systematische Systemlinguistik 195 Text - abgeleiteter 77 - allgemein 93ff., 115,119,128ff., 147 - anordnender 76 - als automatisches Subjekt 79 - als Durchzugsgebiet 79 - Entstehungsgeschichte 208 - geschlossener 209 - als Handeln 211 - als Handlungsanweisung 206, 208, 214 - Kontinuum 75f., 215 - rechtfertigender 76 - sprechender 48, 62, 64, 74, 79, 91 - Struktur 72, 75f., 84, 149,153, 206, 214f. s.a. Textstruktur - Wahrheit 68 Textarbeit, juristische 18, 64, 72, 77 Textbedeutung 41, 94, 115f., 120, 124, 146ff., 224 s.a. Bedeutung, Textsinn Textbegriff 64, 209 Textformular 36, 43, 210, 222, 224 Textinterpretation 64, 93, 115, 122, 126, 130, 146 Textkanon, juristischer 211 Textkohärenz 209 Textlehre, juristische 207 Textlinguistik 29, 116,119 Textmodell - sakrales 77 - apriorisches 78
averzeichnis Textproduzent 53ff., 56 Textquellen 213 Textsinn 196 s.a. Textbedeutung Textsorten 207 Textstruktur - der Legalität 205 - der Legitimität 205 f. s.a. Text, Struktur Textstufen 215 Textverständnis, deterministisches 80 Totalität 63 Universalien 101 Varietät, sprachliche 38 Varietätenforschung 210 Verdinglichung der Bedeutung 217 s. a. Bedeutung, Bedeutungstheorie Verfassungsnormen, methodenrelevante 85 Vernunftkritik 219 Verstehen 53f., 60, 95,105,122f., 129f., 136, 145f., 211, 217 s. a. Recht, Verständlichkeit Verstehensbarriere 208, 210 vertextete Macht 190,204 Verwaltungsakt, Begriff des 173, 183 vorsprachlicher Sinn s. Sinn, vorsprachlicher Vorverständnis 88, 97 Vorzugsregeln 91 Wahrheit 71, 80, 91 s. a. Text, Wahrheit Wahrheitsfunktion 98f., 107 Wahrheitskriterien 77 Wahrnehmung 100 f.
Wertvorstellungen 81, 97 Widerspruch, performativer 68ff. Widerstreit 208 Wille des Gesetzes 196f., 200 s.a. Auslegung, Auslegungslehren Wille des Gesetzgebers 52ff., 57,196f.,
200 s.a. Auslegung, Auslegungslehren Wirklichkeitsbereich 20f., 25 Wirklichkeitsmodell 186 Wissen, gemeinsames 111 ff., 118, 124, 129,136 f., 140,145 Wissenschaftspositivismus 204 Wissenschaftstheorie 65 Wörterbücher 65 Wortlaut 85f., 96, 114ff., 128, 130, 140, 147 f., 189 f. s.a. Wortsinn; Konkretisierungselemente, grammatische; Normtext Wortlautgrenze 12, 44, 84, 90,114f., 121 f., 125 f., 128, 132f., 139,189ff., 199, 202 s. a. Konkretisierungselemente, grammatische; Normtext; Wortsinngrenze Wortsemantik 97, 100,103, 114, 116,
118, 121
s.a. Semantik Wortsinn 196 s. a. Wortlaut, Bedeutung Wortsinngrenze 193,195 s. a. Wortlautgrenze; Konkretisierungselemente, grammatische; Normtext Zeichen s. Sprachzeichen Zeichenmodell, strukturalistisches 152, 165 Zweck des Gesetzes 97, 128 s.a. Auslegung, teleologische