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German Pages 442 [443] Year 1977
Strafrecht und Kriminologie Band 2/1
Untersuchungen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten Erster Halbband Geschichte und Rechtsvergleich Von Heinz Mattes
Duncker & Humblot · Berlin
H E I N Z MATTES
Untersuchungen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten Erster Halbband
STRAFRECHT UND KRIMINOLOGIE Untersuchungen und Forschungsberichte aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht Freiburg im Breisgau herausgegeben von den Direktoren Prof. Dr. Dr. h. c. H.-H. Jescheck und Prof. Dr. G. Kaiser
Band 2/1
Untersuchungen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten Erster Halbband
Geschichte und Rechtsvergleichung
Von
Dr. Heinz Mattes Wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg i m Breisgau
Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben und fortgeführt von Dr. Herta Mattes Richter in am Oberlandesgericht Karlsruhe / Freiburg i m Breiegau
DUNCKER
& H U M B L O T /
BERLIN
C I P - K u r z t i t e l a u i n a h m e der Deutschen Bibliothek Mattes, Heinz Untersuchungen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten. — B e r l i n : Duncker u n d Humblot. Halbbd. 1. Geschichte u n d Rechtsvergleichung. — 1. Aufl. — 1977. (Strafrecht u n d Kriminologie; Bd. 2/1) I S B N 3-428-03826-6
Alle Rechte vorbehalten © 1977 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1977 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in GermanyISBN 3 428 03826 6
Unserem Lehrer Professor Dr. Dr. h. c. Hans-Heinrich Jescheck
Zum Geleit A m 19. März 1973 ist Dr. Heinz Mattes mitten aus seiner Arbeit und seinen wissenschaftlichen Plänen abberufen und viel zu früh allen den Menschen entrissen worden, die daran gewöhnt waren, Tag für Tag auf seine Gegenwart, seinen Rat, seine Hilfe und seine Freundschaft zählen zu dürfen. Er war fast zwanzig Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des Freiburger Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht sowie des späteren Max-Planck-Instituts und hat die Entwicklung dieser Einrichtung, den Geist, der sie erfüllt, und den Stil ihrer wissenschaftlichen Arbeiten wesentlich mitgeprägt. Die Lücke, die sein Tod i m Kreise der Mitarbeiter gerissen hat, ist auch heute noch schmerzlich spürbar. Daß sein Hauptwerk dank der Hingabe, Gewissenhaftigkeit und Sachkunde seiner Frau nach dem Tode des Autors in dieser Reihe des Instituts erscheinen kann, erfüllt alle diejenigen mit Freude und Genugtuung, die das Ringen mit den ihn seit dem Institutseintritt beschäftigenden Problemen des Rechts der Ordnungswidrigkeiten m i t erlebt haben. Heinz Mattes, 1923 in Hanau geboren, gehörte zu der vom Schicksal am härtesten betroffenen Kriegsgeneration. Nach schwerer Verwundung und dreijähriger Kriegsgefangenschaft in die zersörte Heimat zurückgekehrt, holte er die Reifeprüfung nach und studierte dann in dem weltoffenen Frankfurt am Main Rechtswissenschaft, wo vor allem auch die Grundlagen seines dauernden Interesses für Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung gelegt wurden. Durch seine M i t w i r k u n g an den rechtsvergleichenden Vorarbeiten zur großen Strafrechtsreform gelangte er an das Freiburger Institut und übernahm hier seit dem Jahre 1954 das Referat Spanien, den Aufbau der lateinamerikanischen Abteilung und mehrfach auch die Führung der Verwaltung, wobei ihm insbesondere die reibungslose Überleitung des Instituts aus der Rechtsform einer Stiftung in eine Einrichtung der Max-Planck-Gesellschaft zu danken war. Die Liebe zu Spanien, zu seiner Sprache, seinen Menschen und seiner K u l t u r sowie das Interesse für alle spanischsprechenden Länder in Südamerika, vor allem für Argentinien, bestimmte seinen wissenschaftlichen Lebensweg und hatte auch für die Ausrichtung des Instituts erhebliche Bedeutung. Während eines Studienaufenthalts in Madrid, Salamanca und Valladolid i m Jahre 1956 schuf Heinz Mattes sich die Anfänge
Vili
Z u m Geleit
seiner engen und vielfachen persönlichen Beziehungen zur spanischen und spanischsprechenden Strafrechtswissenschaft, durch die dann Jahr für Jahr aus diesem Weltteil nicht nur Gelehrte von hohem Rang, sondern vor allem i n zunehmendem Maße auch junge Begabungen an das Freiburger Institut gezogen worden sind. Ihnen m i t Rat und Tat jederzeit und ohne Rücksicht auf eigene Belastung beizustehen, war ein besonderes Anliegen des Verstorbenen. Seine einzigartige Vertrautheit m i t dem spanischen Strafrecht hat i n drei großen Arbeiten Ausdruck gefunden, die i n Spanien seinen Rang als Kenner, Freund und Förderer begründet haben. Zu nennen ist eimal der Landesbericht Spanien in dem Werk von Jescheck/Krümpelmann, Die Untersuchungshaft i m deutschen, ausländischen und internationalen Recht, 1971 (S. 721 - 808), der i n einer Übersetzung durch Manuel Gurdiel Sierra und m i t einem Vorwort von José Maria Rodriguez Devesa als Monographie i n spanischer Sprache erschienen ist (Madrid 1975). Z u erinnern ist weiter an den großen Nachruf auf Jimenez de Asua i n ZStW 84 (1972) S. 149 -197, durch den er Leben, Werk und Persönlichkeit des Meisters der spanischen Strafrechtswissenschaft i m Zusammenhang der neueren strafrechtlichen und politischen Geschichte des Landes in einer auch in Spanien selbst als gültig empfundenen Weise gewürdigt hat. Endlich ist hinzuweisen auf die minutiöse Darstellung Spaniens i m ersten Band von J escheck/ Löf fier, Quellen und Schrifttum des Straf rechts, 1972 (S. 243 bis 268). Er hat an der abschließenden Korrektur dieses Beitrages noch während langer Krankheit bis zu seinem Tode gearbeitet. Das Bemühen des Verstorbenen galt aber auch den Studenten und dem wissenschaftlichen Nachwuchs aus dem eigenen Lande. Heinz Mattes betreute zwei meiner Seminare mit einer Gründlichkeit und Sorgfalt, die für die A r t dieser Lehrveranstaltungen i m Institut bestimmend geworden ist. Das erste behandelte das Wirtschaftsstrafrecht und lag damit nahe bei seinem Hauptthema i m deutschen Recht, das zweite war dem strafrechtlichen Sanktionensystem in Lateinamerika gewidmet, Schloß sich also an den Schwerpunkt seines auslandsrechtlichen und rechtsvergleichenden Interesses an. Vor allem gelang Heinz Mattes dank seiner Sachkunde, seiner Sprachkenntnisse und seiner Lebensart die Zusammenarbeit mit den am Seminar teilnehmenden ausländischen Gelehrten. M i t großer Gewissenhaftigkeit und ungeachtet aller Zeitopfer widmete er sich ferner den i m Institut arbeitenden Doktoranden und war bei der Abhaltung von Arbeitsgemeinschaften der Rechtswissenschaftlichen Fakultät für die Erstsemester durch seine Klarheit, sein Wissen und seine Geduld auch ein beliebter akademischer Lehrer. Durch die Vollendung und Veröffentlichung seines Werkes über die Ordnungswidrigkeiten, das in seinem hier zunächst vorgelegten ersten
Z u m Geleit
IX
Band Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung umfaßt, möchte das Freiburger Institut dem Andenken eines treuen Mitarbeiters und Freundes Ehre erweisen, dem es großen Dank schuldet und dessen Werk durch einen frühen Tod unvollendet geblieben ist. Freiburg i. Br., Weihnachten 1976 Hans-Heinrich Jescheck
Vorbemerkung Die Arbeit geht auf ein i m Rahmen der rechtsvergleichenden Vorarbeiten für die Große Strafrechtsreform i m Jahre 1954 erstattetes Gutachten über Verwaltungsunrecht und die daraus entstandene, zunächst unveröffentlicht gebliebene Dissertation meines Mannes über die Lehre von den Ordnungswidrigkeiten zurück, mit der er i m Jahre 1959 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg i m Breisgau promoviert hatte. Dieses Thema ließ ihn nicht, mehr los. I h m galt fortan sein wissenschaftliches Bemühen. Er unternahm es daher, die bisherigen Bearbeitungen zu einer Monographie auszubauen. Bei seinem Tode lag das Manuskript i m Entwurf vor. Es hätte daher nahegelegen, die Arbeit unverändert zu veröffentlichen. Dies ist bezüglich des geschichtlichen Teils geschehen. Er stammt noch vollständig aus der Feder meines Mannes, ausgenommen unbedeutende Änderungen sowie der Bericht über die jüngsten Reformen. U m die Geschlossenheit der Darstellung nicht zu sprengen, wurde der Wandel in der Auffassung der Lehre von den Ordnungswidrigkeiten, der sich seit dem Jahre 1963 angebahnt hat, in diesem Band unberücksichtigt gelassen. Wenn ich mich dagegen für eine Überarbeitung des rechtsvergleichenden Teils entschieden habe, so war dafür die Überlegung maßgebend, daß gerade die Darstellung der zum deutschen Rechtskreis gehörenden Länder Österreich und Schweiz wegen der inzwischen durchgeführten Reformen bereits weitgehend veraltet war. Dabei habe ich mich streng an die Vorlage gehalten und bei keinem der behandelten Länder die Ausführungen zur geschichtlichen Entwicklung und zu den geistesgeschichtlichen Grundlagen angetastet. Teilweise konnte ich auf hinterlassene Notizen zurückgreifen; immer aber kamen m i r die zahllosen Gespräche zugute, die mein Mann m i t m i r über den Gegenstand der Untersuchung geführt hat. Soweit ich selbst i n die Darstellung eingreifen, einzelne Abschnitte neu bearbeiten oder anfügen mußte, habe ich i m Interesse der Übersichtlichkeit davon abgesehen, dies besonders kenntlich zu machen; es hätte nur zu Verwirrung geführt. Das Manuskript wurde im Sommer 1975 abgeschlossen. Spätere Entwicklungen und nach diesem Zeitpunkt erschienene Literatur und Rechtsprechung wurden so weit wie möglich noch eingearbeitet. Daß dieses Buch nunmehr vorgelegt werden kann, verdanke ich vor allem Herrn Professor Dr. Dr. h. c. Hans-Heinrich Jescheck, der mich
XII
Vorbemerkung
in meinem Entschluß bestärkt, ihn gefördert und mich immer wieder ermuntert hat, die in seinem Institut entstandene Arbeit meines Mannes zu veröffentlichen. Dafür bin ich unserem verehrten Lehrer aufrichtig dankbar. Mein Dank gilt ihm und Herrn Professor Dr. Günther Kaiser aber auch dafür, daß sie die Arbeit in die Reihe der Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i m Breisgau aufgenommen haben. Diesem ersten Band über Geschichte und Rechtsvergleichung soll ein zweiter Band ähnlichen Umfanges folgen, dessen Manuskript ebenfalls weitgehend fertiggestellt war. Er w i r d die K r i t i k zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten sowie die Darstellung des jetzigen Rechtszustandes enthalten und vorwiegend dogmatisch ausgerichtet sein. Dank schulde ich auch den ehemaligen und jetzigen Referenten des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, die m i r bei der Überarbeitung des Länderteils bereitwillig und freundschaftlich geholfen haben. Ihnen bin ich dafür besonders verbunden. Ich habe hier zu nennen Herrn Professor Dr. Reinhard Moos i n Graz, der von seinem Assistenten, Herrn Dr. Karlheinz Probst, unterstützt wurde (Österreich), Herrn Staatsanwalt Dr. Dick F. Marty in Bellinzona (Schweiz), Herrn Wissenschaftlichen Referenten Dr. Gerhardt Grebing in Freiburg (Frankreich) und die Wissenschaftliche Referentin Fräulein Johanna Bosch in Freiburg (Italien). Die Fertigstellung des Manuskripts hat Frau Irmela Jung in vorbildlicher Weise besorgt, die Korrektur Frau Käthe Obermaier-Hiß mit größter Gewissenhaftigkeit betreut. Beiden Damen danke ich herzlich für ihre Mitarbeit. Danken möchte ich ferner der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften und der Gesellschaft für Rechtsvergleichung, die durch großzügige finanzielle Unterstützungen den Druck des Buches ermöglicht haben.
Freiburg i. Br., Weihnachten 1976 Herta Mattes
Inhaltsverzeichnis Einleitung
1
Erster Teil Die geschichtliche Entwicklung des Rechtes und der Lehre von den Ordnungswidrigkeiten in Deutschland I. Bestimmung des geschichtlichen Anknüpfungspunktes an die Naturrechtslehre der Aufklärung II. Rechtserscheinungen Verwaltungsstrafrechts
des Mittelalters
unter
im
5
Anschluß
dem Gesichtspunkt
des
5 39
1. Die Banngewalt der fränkischen Könige
39
2. Rechtsprechung u n d V e r w a l t u n g i m Mittelalter
41
3. Die Strafgerichtsbarkeit des Dorfschulzen
42
4. Das Strafrecht der mittelalterlichen deutschen Stadt
44
III. Die Reichspolizeiordnungen IV. Das historische Polizeistrafrecht (dargestellt der Entwicklung in Brandenburg-Preußen)
50 vorzugsweise
an Hand
1. Die Entstehung des Polizeistraf rechts als Straf recht der Polizei (Verwaltung) i m Werdegang des absoluten Staates a) Die Bedeutung des Polizeibegriffs u n d des Polizeistrafrechts für den A u f b a u der absoluten Staatsgewalt b) Die Ü b e r w i n d u n g des Ständestaates, insbesondere durch das A m t s k a m m e r - u n d Kommissariatswesen 2. Die Entwicklung der polizeilichen Staatsgewalt seit dem aufgeklärten Absolutismus bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts a) Das Ressortreglement von 1749 u n d die K a m m e r j u s t i z - D e p u tationen b) Das Polizeistrafrecht des preußischen Allgemeinen Landrechts c) Die weitere Einschränkung der K a m m e r j u s t i z d) Die Verordnung v o m 26. Dezember 1808 und die daran anschließende Gestaltung der Polizeistrafgewalt 3. Das Polizeistrafrecht i m 19. Jahrhundert a) Kodifikationen des Polizeistrafrechts, das preußische Strafgesetzbuch von 1851 u n d das polizeiliche Straf verfügungsrecht i n Preußen b) Die Durchsetzung justizstaatlicher Grundsätze, insbesondere durch die Reichsstrafprozeßordnung 4. Das Ende des polizeilichen Strafverfügungsrechts
57 57 58 62 69 70 74 80 85 92 92 99 104
Inhaltsverzeichnis
XIV
V. Die Lehre vom Polizeisirafrecht, den Ordnungswidrigkeiten
vom Verwaltungsstraf
recht und von
105
1. Allgemeines
105
2. Die Lehre vom Polizeistraf recht a) Der naturrechtliche Ausgangspunkt b) Feuerbach, einige Vorgänger u n d die Polizeistrafrechtslehre bis zur Jahrhundertmitte c) Die Hegelianer, insbesondere K ö s t l i n d) Die Polizeistrafrechtslehre bis zum Ende des 19. Jahrhunderts e) M a x Ernst Mayer
109 109 110 121 126 129
3. Reinhard F r a n k : Die Uberwindung des Polizeistrafrechtsgedankens 132 4. Goldschmidt u n d die Lehre v o m Verwaltungsstrafrecht E r i k Wolf a) Grundlagen u n d Wegbereiter aa) Grundlagen bb) Wegbereiter b) Goldschmidt c) Goldschmidts W i r k u n g auf Lehre und Gesetzgebung d) E r i k Wolf
bis zu
5. Das Ordnungsstrafrecht a) Die Lehre von den Ordnungswidrigkeiten als dem n i c h t k r i m i nellen Unrecht b) Die Ordnungsstrafgewalt der Wirtschaftsverwaltungsbehörden aa) Der Rechtszustand bb) Die Literaturmeinungen
135 135 135 136 141 149 158 163 163 167 167 171
6. Die Renaissance des Verwaltungsstraf rechts : Eberhard Schmidt .. 174 V I . Die durch das Wirtschaftsstrafgesetz und das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 25. März 1952 gekennzeichnete Entwicklung 178
Zweiter
Teil
Rechtsvergleichende Untersuchung
183
Österreich I. Die geschichtliche strafrechts
183 Entwicklung
des österreichischen
Verwaltungs-
183
1. Die Entstehung des absoluten Staates und die Stellung des Polizeistrafrechts i n i h m 184 a) Die Ausbildung der absoluten Staatsgewalt 134 b) Polizeibegriff u n d Polizeistraf recht i m absoluten Staat 186 2. Die politischen Verbrechen der Josephina
192
3. Der E n t w u r f Haan
195
4. Die schweren Polizeiübertretungen des Strafgesetzbuchs von 1803 und die nicht kodifizierten einfachen Polizeivergehen 197
Inhaltsverzeichnis a) Die schweren Polizeiübertretungen 197 aa) Die gesetzliche Abgrenzung 197 bb) Die Strafrechtsprechung i n schweren Polizeiübertretungen durch Verwaltungsbehörden 201 b) Die einfachen Polizeivergehen 204 5. Die weitere E n t w i c k l u n g des Polizeistrafrechts bis zur Strafprozeßordnung von 1873 209 6. Der Rechtszustand vor u n d nach Erlaß des Verwaltungsstrafgesetzes von 1925 u n d die grundsätzliche Einstellung zur Verwaltungsstrafgewalt 213 II. Die verfassungsrechtliche Grundlage des österreichischen tungsstrafrechts: die nur formale Gewaltentrennung III. Die Stellungnahme IV. Das heutige
der Literatur
Verwaltungsstraf
zum Verwaltungsstraf
recht
Verwal-
recht
218 220
Österreichs
228
1. Sein Umfang — Abgrenzung zum Justizstraf recht
228
2. Der Allgemeine T e i l des österreichischen Verwaltungsstrafrechts 233 3. Das Verwaltungsstrafverfahren
237
Schweiz I. Der Begriff
241 des Polizeidelikts
im Schweizer Recht
241
II. Die Entstehung des Schweizer Strafgesetzbuchs und die Einteilung der strafbaren Handlungen vor Schaffung des Strafgesetzbuchs und heute 243 1. Die Entstehung des Schweizer Strafgesetzbuchs vom 21. Dezember 1937 243 2. Die Einteilung der strafbaren Handlungen nach dem Strafgesetzbuch und i h r Zustandekommen 245 3. Die Stellungnahme der L i t e r a t u r u n d frühere suche der Rechtsprechung
Abgrenzungsver-
4. Die Übertretungen i m geltenden Strafrecht III. Das kantonale
251 256
Übertretungsstrafrecht
259
1. Allgemeine Übersicht
259
2. Das materielle Polizei- oder Übertretungsstraf recht
261
3. Das Verfahren zur A h n d u n g der Übertretungen a) Allgemeine Übersicht b) Insbesondere die gemeindliche Strafgerichtsbarkeit c) Das Polizeistrafverfahren i n Basel-Stadt
266 266 272 277
IV. Abschließende V. Das Ordnungs-
Bemerkung
zum Schweizer
und Disziplinar
1. Die Disziplinarstrafgewalt sonen
Übertretungsstraf
recht
.. 279
straf recht der Behörden gegenüber
280 Privatper-
280
2. Die Ordnungsbuße i m engeren Sinne
282
3. Materielles Recht und Verfahrensrecht
285
X V I n h a l t s v e r z e i c h n i s Frankreich
291
I. Die gesetzliche Einteilung
der strafbaren
Handlungen
291
1. Das System des Code pénal v o m 22. Februar 1810
291
2. Die Entstehung der Dreiteilung der strafbaren Handlungen i m Code pénal 292 3. Das französische von 1958
Übertretungsstrafrecht
nach der
II. Die wissenschaftliche Einteilung in délits intentionnels non intentionnels — Die délits purement matériels
Justizreform und
délits
297 306
1. Die Unterscheidung zwischen Schuld- u n d Formaldelikten, ihre Entstehung, i h r Zweck u n d i h r Verhältnis zur gesetzlichen Deliktseinteilung 306 2. Der Begriff der intention (des Vorsatzes)
310
3. Die Formaldelikte (délits purement matériels)
312
4. Die Abgrenzung der délits purement matériels (contraventionnels) von den délits intentionnels 320 III. Dritthaftung
und Strafbarkeit
von Personenverbänden
331
1. D r i t t h a f t u n g
331
2. Strafbarkeit von Personenverbänden u n d juristischen Personen . . 333 IV. Hinweis voirie
auf die amende fiscale
V. Das Wirtschaftsverwaltungsstrafrecht
und die contraventions
de grande
(die amende administrative)
Italien
336
.. 341 345
I. Das italienische
Übertretungsstraf
recht
345
1. Das Übertretungsstraf recht Italiens und die Verwaltungsstrafrechtstheorie 345 a) Die Deliktseinteilung i m Strafgesetzbuch 345 b) Die Literaturmeinungen über das Verhältnis von Verbrechen u n d Übertretungen 350 2. Die Übertretungen i m geltenden Recht a) Die Übertretungen des Strafgesetzbuchs b) Der Allgemeine T e i l des Übertretungsstrafrechts c) Das Verfahren bei Übertretungen d) Die A b w e n d u n g der Bestrafung durch freiwillige Zahlung
354 354 356 362 363
II. Die pena pecuniaria
365
III. Die depenalizzazione
370
Ergebnis der rechtsvergleichenden Untersuchung
376
Schrifttum
385
Abkürzungsverzeichnis a.a.O. ABGB AcP AE a. E. a. F. ALR
= = == = = = =
Anm. Ann. AO AöR Arch. d. Cr. ARSPh. AS AVG BB
= = = = == = == =
Bd. BG BGBl. BGE BGHSt.
= = = = •-••=
BGVStR Bl. zürch. Rspr. BS
= = =
BStP BT Bull. crim. BV BVG C.
= = — = =-=
Cass. Cass. crim. Cass. pen. C. c. C. C. M.
— = = = --=--
C. d'instr. crim. C. gén. imp.
= ==
Chron. Cire. Cons. d'Ét. Corte Cost.
= = = =
am angegebenen Ort Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch Archiv f ü r die civilistische Praxis A l t e r n a t i v e n t w u r f (siehe Schrifttumsverzeichnis) am Ende alte Fassung Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten v o m 5. Februar 1794, zitiert nach der bei Gottfried Carl Nauck i n B e r l i n 1804 erschienenen Neuen Ausgabe (4 Bände) Anmerkung Annalen (siehe Schrifttumsverzeichnis: v. Kamptz) Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Archiv des Criminalrechts Archiv f ü r Rechts- u n d Sozialphilosophie Amtliche Sammlung Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz Der Betriebs-Berater. Zehntagedienst für W i r t schafts-, Steuer- und Sozialrecht Band Bundesgesetz Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizer Bundesgerichts Entscheidungen des Bundesgerichtshofs i n Strafsachen Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht Blätter f ü r zürcherische Rechtsprechung Bereinigte Sammlung (siehe Schrifttumsverzeichnis: Sammlung) Gesetz über die Bundesstrafrechtspflege Bundestag B u l l e t i n criminel de la Cour de Cassation Bundesverfassung Bundesverfassungsgesetz Code de procédure pénale, 5e partie: Instruction générale ( = Circulaire) Cour de Cassation; Corte d i Cassazione Cour de Cassation, chambre criminelle Cassazione penale. Massimario annotato, Milano Code c i v i l Corpus Constitutionum Marchicarum (siehe Schrifttumsverzeichnis) Code d'instruction criminelle Code général des impôts (Fassung v o m 6. A p r i l 1950 — Décret Nr. 50-478 —, J. Ο. 1950, S. 4471) chronique circulaire Conseil d'État Corte Costituzionale
XVIII Corte suprema C. p. C. p. p. C. R. D. D. D. D. Α., D. C. DAR Décr. D. H. Diss. DJ DJZ DÖV D. P. D. P. R. DRPfl. DRZ DStr DStRZ DVB1. E EGOWiG EGStGB EGStPO EGVG Entsch. Erk. F Fr. GA Gaz. Pal. Ges. Giur. Cost. Giur. it. Giust. pen. GOG GS GS GVB1. HdR h. L. h. M. hrsg. i. d. F. IKV
Abkürzungsverzeichnis = Corte suprema d i Cassazione. Massimario delle decisioni penali, Roma = Code pénal -- Code de procédure pénale = Z i r k u l a r r e s k r i p t (eines Ministeriums) = Recueil Dalloz de doctrine, de jurisprudence et de législation. Hebdomadaire, Paris (seit 1945) — Dalloz, Recueil périodique et critique. Mensuel, Paris (bis 1940) = Digestea — Recueil Dalloz (Recueil critique, Recueil analytique), Paris, 1941 - 1944 = Deutsches Autorecht. Rechtszeitschrift des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs = décret = Dalloz, Recueil hebdomadaire de jurisprudence, Paris (1924 - 1940) = Dissertation = Deutsche Justiz = Deutsche Juristenzeitung = Die öffentliche V e r w a l t u n g = Dalloz, Recueil périodique et critique de j u r i s p r u dence, de législation et de doctrine, Paris (vor 1941) = Decreto del Presidente della Repubblica = Der Deutsche Rechtspfleger ^ Deutsche Rechtszeitschrift = Deutsches Strafrecht — Deutsche Strafrechtszeitung = Deutsches Verwaltungsblatt == E n t w u r f = Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten = Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch = Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung == Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen = Entscheidung = Erkenntnis = franc(s) = Franken = Goltdammer's Archiv für Strafrecht = L a Gazette d u Palais, Paris = Gesetz = Giurisprudenza Costituzionale =-•: Giurisprudenza italiana = Giustizia penale = Gerichtsorganisationsgesetz = Der Gerichtssaal = Gesetzsammlung (preußische) = Gesetz- u n d Verordnungsblatt — Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, herausgegeben von Fritz Stier-Somlo und Alexander Elster, B e r l i n u n d Leipzig, 1926 - 1929 (6 Bände) = herrschende Lehre — herrschende Meinung =-- herausgegeben =-= i n der Fassung = Mitteilungen der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung
Abkürzungsverzeichnis Jahrb. JB1. J. C. J. C. P. JGS
J. O. JR Jur. Diss. JW JZ k. k. KP KV L. LGB1. LK MDR MRK N. Arch. d. Cr. N. C. C. Nds. Rpfl. n. F. NJW NS ÖJZ ÖRiZ OGH OGHSt. Ord. OWiG PGO PolStG PVG R. R. RAO R.D. R. D. P. Rev. dr. pén. et crim. Rev. int. dr. pén. Rev. sc. er. RGSt. Riv. it. dir. proc. pen. Riv. pen. RPO RPOO Rspr.
Jahrbuch bzw. Jahrbücher (siehe Schrifttumsverzeichnis: v. Kamptz) Juristische Blätter Juris-Classeur pénal. Code pénal (Loseblattkommentar) Juris-Classeur périodique. L a Semaine j u r i d i q u e Justizgesetzsammlung. Gesetze u n d Verfassungen i m Justizfache für Böhmen, Mähren, Schlesien, Österreich usw.; Wien; für die Regierungszeit Josephs I I . : 1817; f ü r die Regierungszeit Leopolds I I . : 1817; f ü r die Regierungszeit Franzens: 1816 ff. Journal Officiel Juristische Rundschau Juristische Dissertation Juristische Wochenschrift Juristenzeitung kaiserlich-königlich Kundmachungspatent Kantonsverfassung loi Landesgesetzblatt Leipziger Kommentar Monatsschrift für deutsches Recht Menschenrechtskonvention Neues Archiv des Criminalrechts N o v u m Corpus Constitutionum (siehe Schrifttumsverzeichnis) Niedersächsische Rechtspflege neue Fassung bzw. neue Folge Neue Juristische Wochenschrift Neue Sammlung (siehe Schrifttumsverzeichnis) österreichische Juristenzeitung österreichische Richterzeitung Oberster Gerichtshof Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone i n Strafsachen ordonnance Gesetz über Ordnungswidrigkeiten Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. (Constitutio Criminalis Carolina) Polizeistrafgesetz(buch) Preußisches Polizei Verwaltungsgesetz v o m 1. J u n i 1931 règlement Reskript (eines Ministeriums) Reichsabgabenordnung Reggio Decreto Recueil de droit pénal Revue de droit pénal et de criminologie Revue internationale de droit pénal Revue de science criminelle et de droit pénal comparé Entscheidungen des Reichsgerichts i n Strafsachen Rivista italiana di diritto e procedura penale Rivista penale Reichspolizeiordnung Reichspolizeiordnungen Rechtsprechung
X
Abkürzungsverzeichnis
RV RV(erw)Bl. s. S S. SchwJZ SchwZStr Sc. pos. Sir.
= = = = =-• = = = =
SJZ Slg.
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s. ο. Sp. Ssp. st. Staat StG StGB StGBl. StPO Str. Abh., H. StrRG StPORG s. u. u. a. u. a. m. Urt. VDA
= = = = = = = = = = = = = = = = -=
VDB
=
VE VerfGH Ver w.-Arch. VerwGH vgl. VO Vorbem. VStG VStO VV W G WiGBl. WiStG ZBJV Zentr. J. Bl. Z. f. vergi. RW. Ziff. ZgesStaatsW ZStW z. T.
= = = = = = = = = = = = == = = = = = = =
Regierungsvorlage Reichsverwaltungsblatt siehe Schilling Seite Schweizerische Juristen-Zeitung Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht L a Scuola positiva Sirey (Recueil général des lois et des arrêts, fondé par J. B. Sirey) Süddeutsche Juristenzeitung Sammlung (Gesetzessammlung; Entscheidungssammlung) siehe oben Spalte Sachsenspiegel ständig Der Staat Strafgesetz Strafgesetzbuch Staatsgesetzblatt Strafprozeßordnung Strafrechtliche Abhandlungen, Heft Gesetz zur Reform des Strafrechts Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts siehe unten u n d andere bzw. unter anderem und andere mehr Urteil Vergleichende Darstellung des deutschen u n d ausländischen Strafrechts, Allgemeiner Teil. Berlin, 1908 Vergleichende Darstellung des deutschen u n d ausländischen Strafrechts, Besonderer Teil. Berlin, 1906 Vorentwurf Verfassungsgerichtshof Verwaltungsarchiv Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Vorbemerkung Verwaltungsstrafgesetz Verwaltungsstrafordnung Vollziehungsverordnung Verwaltungsvollstreckungsgesetz Gesetzblatt des vereinigten Wirtschaftsgebietes Wirtschaftsstrafgesetz Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Zentral-Justizblatt f ü r die britische Zone Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Ziffer Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift f ü r die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil
Einleitung Die Lehre von den Ordnungswidrigkeiten besagt, man müsse zwei A r ten des mit staatlichen Sanktionen bedrohten Unrechts unterscheiden, die i n ihrem Wesen grundverschieden seien. Dem eigentlichen Strafrecht, auch K r i m i n a l - oder Justizstrafrecht genannt, das es allein m i t dem kriminellen oder doch ethisch verwerflichen Unrecht zu tun habe, stehe ein Recht bloßer Verwaltungs- oder Ordnungswidrigkeiten gegenüber, deren Unrechtsgehalt sich i n der Zuwiderhandlung gegen reine Verwaltungsinteressen oder Ordnungsvorschriften erschöpfe oder jedenfalls ethisch belanglos sei; es berühre nicht wie das kriminelle Unrecht die Grundlagen der Rechtsordnung (die für das sittliche Zusammenleben wesentlichen Rechtsgüter oder Lebensinteressen), sondern nur das Interesse des Staates an einer einwandfreien Durchführung seiner Verwaltungsaufgaben und damit einen ethisch indifferenten Gehorsamsanspruch des verwaltenden Staates. Die Ordnungswidrigkeit w i r k e nicht über das durch jenen Gehorsamsanspruch begründete Verhältnis des Staatsbürgers zur Verwaltungsbehörde hinaus; sie stelle einen Mangel an Aufmerksamkeit oder eine Lässigkeit gegenüber Verwaltungsanordnungen dar, ohne sich gegen wesentliche Gemeinschafts- oder Individualwerte zu wenden. Das verwaltungswidrige Verhalten sei „an sich" ethisch-kulturell farblos und habe „von Natur aus" keine Beziehung zu der auf sittlichen Grundwerten beruhenden Rechtsordnung. Anders als das Justizstrafrecht, für das der Rechtswert (die Gerechtigkeit) bestimmender Grund sei, richte sich das Recht der Verwaltungswidrigkeiten nach dem Wohlfahrtswert (der allgemeinen Wohlfahrt, deren Erfordernisse von den zeitlichen und örtlichen Verhältnissen abhingen und keine übergesetzliche, naturrechtliche Bedeutung hätten). Der Täter einer Ordnungswidrigkeit handle daher nicht eigentlich unrecht, sondern ungut oder unwohl, er sei nicht antisozial, sondern nur gemeinläßlich. — Diese Verschiedenartigkeit der beiden Rechtsbereiche liege i n der Natur der Sache begründet; sie sei allem positiven Recht vorgegeben und daher der W i l l k ü r des Gesetzgebers entzogen; dieser brauche sie nur anzuerkennen. Der Verschiedenartigkeit von strafbaren Handlungen und Ordnungswidrigkeiten, so w i r d weiter gelehrt, müsse auch eine solche in den Rechtsfolgen entsprechen. Strafe, die eine sittliche Mißbilligung enthalte und der Sühne begangenen Unrechts diene, komme nur bei kriminellen Taten i n Betracht, während den Verwaltungswidrigkeiten als Vernach1 Mattes
2
Einleitung
lässigungen verwaltungsmäßigen Gehorsams ein Ordnungsruf oder eine verwaltungsmäßige Pflichtenmahnung gemäß sei, die als Züchtigung des Ungehorsamen mehr den Charakter des Verwaltungszwanges habe. M i t ihr werde niemand wegen „rechtsindifferenter" Haltung mißbilligt, sondern zur Überwindung seiner sozialen Nachlässigkeit (Staatsindolenz; Gleichgültigkeit nicht gegenüber dem Recht, sondern gegenüber der allgemeinen Wohlfahrt, den „bloßen" Verwaltungsinteressen des Staates) aufgerufen. Damit aber gehöre die Ahndung der Ordnungswidrigkeiten nicht in den Bereich der Rechtspflege. Als Maßnahme, die nur der Verfolgung verwaltungsmäßiger Interessen diene, sei sie vielmehr eine Aufgabe der Verwaltung selbst, i n deren Durchführung keine Rechtserkenntnis liege, sondern die lediglich die Beeinträchtigung bloßer Verwaltungsinteressen beseitigen und dem Staatsbürger eine verwaltungsmäßige Pflichtenmahnung erteilen solle. Sie stelle eine Verwaltungsangelegenheit dar, für die nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht die Gerichte, sondern die Verwaltungsbehörden zuständig sein müßten. Indem man dieser Forderung folge, gebe man der Verwaltung, was ihr gebühre. M i t dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 25. März 1952 (BGBl. I S. 177) ist der Gesetzgeber dieser Forderung gefolgt. Er hat die Lehre von den Ordnungswidrigkeiten — wie schon vorher durch das Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz) vom 26. J u l i 1949 (WiGBl. 1949 S. 193) für den Bereich des Wirtschaftsstrafrechts — gesetzlich allgemein anerkennen und die Voraussetzungen zur Trennung der Verwaltungswidrigkeiten vom strafbaren Unrecht i n den einzelnen Gesetzen, die Tatbestände aufstellen, schaffen wollen. Das Gesetz unterscheidet zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten (§1), ohne allerdings zu sagen, worauf ihre inhaltliche Verschiedenheit beruht. Zur Absonderung der Ordnungswidrigkeiten von den Straftaten und u m ihre Andersartigkeit hervorzuheben, werden jene nicht wie diese mit Strafen, sondern nur m i t Geldbuße bedroht, die infolgedessen nach Meinung des Gesetzgebers keine Strafe ist. Außerdem gibt es Zuwiderhandlungen, die sowohl Straftaten als auch Ordnungswidrigkeiten sein können. Ihre Rechtsnatur richtet sich nach der i m Einzelfall ausgesprochenen Folge (Strafe oder Buße). Zu bestimmen, nach welchen Gesichtspunkten hierbei abzugrenzen ist, überläßt das Gesetz der Vorschrift, die den Tatbestand jener Zuwiderhandlung enthält (§ 2). Als Verwaltungsmaßnahme liegt die Verhängung einer Geldbuße in der Hand der fachlich zuständigen, nach § 73 zu bestimmenden Verwaltungsbehörde. Allerdings schien der Gesetzgeber an der reinen Verwaltungsnatur der Geldbußenverhängung insofern Zweifel gehabt zu haben, als er gegen den Bußgeldbescheid nicht wie gegen (sonstige) Verwaltungsakte den Verwaltungsrechtsweg eröffnete, sondern die Möglichkeit
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gibt, die Entscheidung des ordentlichen Gerichts herbeizuführen. — Als Verwaltungsangelegenheit steht die Festsetzung einer Geldbuße nach § 7 Abs. 1 i m „pflichtgemäßen" — durch die Absätze 2 und 3 allerdings wieder weitgehend beseitigten — „Ermessen" der Verwaltungsbehörde. Die Selbständigkeit und Andersartigkeit des Rechts der Ordnungswidrigkeiten gegenüber dem Strafrecht, die das Gesetz durch eine eigene Regelung des Allgemeinen Teils und des Verfahrens zu unterstreichen sucht, w i r d schließlich noch dadurch eingeschränkt, daß bei tateinheitlichem Zusammentreffen von Ordnungswidrigkeit und Straftat eine Geldbuße neben der Strafe nicht verhängt werden kann (§ 4 Abs. 1). Die nachfolgende Darstellung gibt i n einem ersten Teil des ersten Bandes einen Uberblick über die geschichtliche Entwicklung des Rechtes und der Lehre von den Verwaltungswidrigkeiten i n Deutschland bis zum Erlaß des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten vom 25. März 1952. Dabei habe ich vor allem versucht, die geistigen Grundlagen herauszuarbeiten, die nach meiner Ansicht die Entwicklung einerseits des Rechtes und andererseits der Lehre maßgebend beeinflußt haben, um auf diese Weise eine Stellungnahme zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten zu ermöglichen. Der zweite Teil dieses Bandes enthält zunächst einen Bericht über einzelne fremde Rechtsordnungen, soweit sie für das Thema der vorliegenden Arbeit von Interesse sind. Bei der Auswahl der Länder war mir der Gedanke maßgebend, daß eine enzyklopädische Übersicht über den Stand des ausländischen Rechts zur Frage der Trennung sogenannter Ordnungswidrigkeiten vom Strafrecht, die i m gegebenen Rahmen notwendig oberflächlich bleiben müßte, wertlos ist. Daraus ergab sich von vornherein eine Beschränkung auf Länder, deren Zugehörigkeit zum selben K u l turkreis und deren ähnliche Rechtstradition eine Rechtsvergleichung zum Thema „Ordnungswidrigkeiten" nahelegen mögen. Doch mußte ich, um die Arbeit nicht über einen gewissen Umfang auszudehnen, auch unter den verbleibenden Ländern eine Auswahl treffen. Diese war weitgehend zwangsläufig dadurch bedingt, daß nur für bestimmte fremde Rechte ausreichende Hilfsmittel zur Verfügung standen, sowie aus den durch sprachliche Schwierigkeiten gezogenen Grenzen. Aber auf Vollständigkeit kommt es i n diesem Zusammenhang am allerwenigsten an. Für die hier i n erster Linie zu leistende Strukturanalyse genügt es, einige typische Problemlösungen des ausländischen Strafrechts aufzuzeigen. Wenn es sich bei der Antithese Strafrecht — Ordnungswidrigkeitenrecht u m eine Strukturgesetzlichkeit 1 handelte, müßte sie bei der Untersuchung schon einzelner verwandter Rechtsordnungen zutage treten. Die A r t der Darstellung richtet sich nach den Besonderheiten des jeweiligen frem1 Die, wie Richard Lange meint, für die abendländische Rechtsentwicklung typisch sei (JZ 1957, S. 238).
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den Rechtes und kann deshalb keinem Schema unterliegen. Historische Erörterungen sollen der Erkenntnis der Grundlagen des heutigen Rechtes dienen und sind durch diese Zielsetzung i n Anlage und Umfang bestimmt, andererseits aber durch den Rahmen der Arbeit und den beschränkten Zweck der rechtsvergleichenden Untersuchung notwendig begrenzt. Eine zusammenfassende Übersicht am Schlüsse des zweiten Teils versucht, i n kurzer Darstellung unter Verzicht auf die Wiederholung von Einzelheiten die wesentlichen Ergebnisse der rechtsvergleichenden Untersuchung deutlich zu machen. I n einem zweiten Band soll sodann auf der Grundlage des i n diesem Band Erarbeiteten und nach einer Bestandsaufnahme der i n der Literatur vertretenen Meinungen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten sowie zu den Gesetzen über Ordnungswidrigkeiten vom 25. März 1952 (BGBl. I S. 177) und vom 24. Mai 1968 (BGBl. I S. 481) Stellung genommen werden. Es w i r d sich zeigen, daß diese Lehre nicht haltbar ist — und zwar nicht deshalb, weil sie ihren Gegenstand falsch gesehen oder mit unzureichenden M i t t e l n zu beschreiben gesucht hätte, sondern weil es diesen Gegenstand überhaupt nicht gibt.
Erster
Teil
Die geschichtliche Entwicklung des Rechtes und der Lehre von den Ordnungswidrigkeiten in Deutschland
I. Bestimmung des geschichtlichen Anknüpfungspunktes im Anschluß an die Naturrechtslehre der Aufklärung Die Lehre von den Ordnungs- oder Verwaltungswidrigkeiten geht von einem angenommenen Gegensatz zwischen Recht (Rechtsordnung) und Verwaltung aus, der durch die Gegenüberstellung von Gerechtigkeit und Wohlfahrt (Rechtswert und Wohlfahrtswert) 2 gekennzeichnet ist. Die strafbare Handlung stellt eine Auflehnung gegen die Rechtsordnung dar, die Verwaltungswidrigkeit lediglich eine unterlassene Förderung der Verwaltungstätigkeit zur Erreichung des öffentlichen Wohls und damit nur eine Beeinträchtigung der Wohlfahrt 3 . Das kriminelle Unrecht berührt die Grundlagen oder ethischen Grundwerte der Rechtsordnung, die Verwaltungswidrigkeit nur das Interesse des Staates an einwandfreier Durchführung seiner Verwaltungsaufgaben, die m i t der Rechtsordnung nichts zu tun haben, so daß der Ordnungswidrige auch i n seinem Verhältnis zur Rechtsordnung nicht „sozialethisch" belastet wird 4 . Der materielle Unrechtsgehalt des Justizdelikts ist so durch die Schädigung oder konkrete Gefährdung eines Rechtsguts gekennzeichnet, während das Verwaltungsdelikt sich i n der Vernachlässigung verwaltungsmäßigen Gehorsams erschöpft und i n seiner Bedeutung nicht über den Raum der verwaltungsmäßigen Interessen (die ja keine Rechtsgüter sind) hinausreicht 5 . Der Verwaltungswidrige verhält sich daher nicht dem Rechte gegenüber gleichgültig, sondern nur gegenüber der allgemeinen Wohl2
E. Wolf, Stellung, S. 521 ff., 528 ff. Goldschmidt, Verwaltungsstraf recht, insbesondere S. 540 ff. Er bringt unter dieser Voraussetzung Verfassungsstrafrecht u n d Verwaltungsstrafrecht i n Gegensatz zueinander, wobei Verfassung gleichbedeutend m i t Rechtsordnung ist (a.a.O., S. 531). 4 Eb. Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 51 f. 5 Eb. Schmidt, a.a.O., S. 26 (vgl. auch S. 20: Verletzung materieller Lebensinteressen als kriminelles Unrecht, von Verwaltungsinteressen als Ordnungswidrigkeit) ; S JZ 1948, Sp. 230 Î. 3
1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
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fahrt, den Verwaltungsinteressen des Staates; er ist nicht „rechtsindifferent", sondern „sozial nachlässig" und handelt nicht eigentlich unrecht, sondern nur unwohl 6 . Es zeigt sich hier jene Auffassung der Verwaltung, wie sie i n älteren Definitionen des Verwaltungsrechts wiederkehrt, wonach die Verwaltung nicht nach dem Recht, sondern nach Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit tätig w i r d und die Richtschnur ihres Handelns statt von Rechtsnormen aus ihrem eigenen freien Ermessen bezieht. Ganz entsprechend behauptet die Lehre, die Ordnungswidrigkeiten seien nicht eigentlich gegen die Rechtsordnung, sondern gegen Vorschriften gerichtet, die lediglich aus Zweckmäßigkeitserwägungen (also nicht aus Gründen des Rechts, der Gerechtigkeit) erlassen worden seien 7 . Auch wo die Verwaltung an das Gesetz gebunden und rechtlich „eingekleidet" w i r d — sie betätigt sich dann nach gängigen Definitionen innerhalb der Schranken des Rechts (also grundsätzlich doch i n einem rechtsfreien, allerdings rechtlich eingegrenzten Bereich) oder benutzt das Recht (die ihr vom Gesetz belassenen Möglichkeiten) zu ihren (nicht vom Recht her bestimmten) Zwecken —, bleibt der dargestellte Gegensatz bestehen. Die Verwaltungsbefehle ergehen jetzt zwar i n Rechtssatzform, ohne aber inhaltlich (materiell) Rechtssätze zu sein. A n ihrer Natur ändert sich dadurch nichts 8 ; die Verwaltungswidrigkeit ist nur formell ein Verstoß gegen das Recht (ein förmlicher Gesetzesverstoß), nicht aber materiell: Sie knüpft nicht an ein materielles Unrecht an (das vielleicht vorhanden sein mag), sondern lediglich an das formelle Gebot 9 und gehört auch nur formell zum Strafrecht, materiell aber zum Verwaltungsrecht 1 0 i m vorbezeichneten Sinne von Verwaltung. Die Anerkennung des formellen Rechtscharakters des Verwaltungsrechts hat zwar — u m dieser Tatsache Rechnung zu tragen — die Umbenennung des „Verfassungsstrafrechts" 11 i n „Justizstrafrecht" zur Folge gehabt, und Erik Wolf gab sogar zu, daß auch bei den Verwaltungsdelikten ein Rechtsgut vorhanden sei 12 — aber eben nur als ein rechtsförmlich umkleidetes „Verwaltungsgut", nicht als ein „Justizgut", die nach wie vor „durchaus" verschieden sind 1 3 . Der alte Gegensatz besteht i n Form der Gegenüberstellung von Justiz und Verwaltung weiter, die sich inhaltlich dadurch unterscheiden, daß allein die erste es i n materieller Hinsicht m i t dem Recht (der Gerechtigkeit), die letzte aber mit 6
E. Wolf, Stellung, S. 525 f., 585. R. Lange, JZ 1956, S. 77; Rotberg, S. 25; Arthur Kaufmann, wußtsein, S. 191. 8 So ausdrücklich Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 585. 9 R. Lange, J Z 1956, S. 520, 522; 1957, S. 233, 537 f. 10 E. Wolf, Stellung, S. 560. 11 „Verfassung" bedeutet hier „Rechtsordnung". 12 Stellung, S. 561. 13 E. Wolf, Stellung, S. 566. 7
Unrechtsbe-
I. Bestimmung des Anknüpfungspunktes
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Wohlfahrt, Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit zu tun hat. Die gesetzesgebundene Verwaltung bleibt trotz ihres Auftretens i n Rechtssatzform inhaltlich dieselbe Verwaltung wie vorher 1 4 ; der Gegensatz von Verwaltung und Recht ist damit (trotz der formellen Eingliederung der Verwaltung i n die Rechtsordnung) nicht aufgegeben 15 . Dieser Gegensatz Recht — Verwaltung ist nur von einer bestimmten Auffassung des Rechts aus verständlich und beruht auf dem tiefergehenden von Individuum und Gemeinschaftswesen. Der Begriff der Gerechtigkeit w i r d vom Individuum her gefaßt. Das Spannungsverhältnis von Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit ist „letzten Endes Ausdruck der Spannung zwischen Individualität und sozialer Funktion i m Bilde des Menschen", sagt Richard Lange16. Auch für Goldschmidt bestand die Rechtsordnung i n der Abgrenzung und Sicherung der Individualsphären (des Wollendürfens), während Verwaltung als Wohlfahrtsförderung der Erfüllung der Zwecke des menschlichen Zusammenlebens dienen sollte 17 . M i t dieser Zurückführung des Rechts auf das Individuum (auch der Staat kann als Rechtswesen ein solches Individuum sein) bleiben alle den Menschen als Glied einer sozialen Gemeinschaft (als soziales Wesen) oder die Gemeinschaft selbst (die Allgemeinheit) betreffenden Angelegenheiten außerhalb des Rechts; ihre Besorgung ist keine rechtliche Aufgabe und kann für den einzelnen nicht eigentlich Gegenstand rechtlicher Pflichten sein, sondern bleibt als Wohlfahrt eine Aufgabe der Verwaltung, die den einzelnen als Rechtsträger i m Grunde nichts angeht. Ihre Erfüllung hat keinen Rechtswert (nur einen Wohlfahrtswert) und ist unter dem höheren Gesichtspunkt der (vom Individuum aus verstandenen) Gerechtigkeit gleichgültig. Nur unter diesem Blickwinkel kann man eine grundsätzlich rechtsfreie, höchstens an rechtliche (nämlich durch die Rechte des Individuums errichtete) Schranken gebundene Verwaltung annehmen, die i n einem rechtsfreien Raum nach ihren eigenen, nicht vom Recht und der Gerechtigkeit diktierten Zielen tätig wird, mag dieser Raum auch durch rechtliche Begrenzung und Bindung an Gesetze noch so sehr eingeengt sein. Dementsprechend hat man ein Verwaltungsdelikt vor sich, wenn nach Wille und Erfolg des Täters „die individualistische K u l t u r güterwelt" unversehrt bleibt und der Angriff lediglich „der überindividuellen personalen Güterwelt der Rechtsgemeinschaft" gilt 1 8 . Für das Justizstrafrecht erlangt ein Verhalten nur i m Hinblick auf individuelle Rechtssphären (die Räume „privater Triebentfaltung") Bedeutung; dagegen fordert die Verwaltung ein „tätiges Verwaltungsgenosse sein" 1 9 , 14 15 16 17 18 19
E. Wolf, a.a.O., S. 557. E. Wolf, a.a.O., S. 558. I n Kohlrausch-Lange, Vorbem. A I I I 1 vor § 13. Verwaltungsstrafrecht, S. 531 ff. E. Wolf, Stellung, S. 568. E. Wolf, a.a.O., S. 566 f.
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1. T e i l : Geschichtliche Entwicklung
d. h. die Erfüllung von Pflichten, die dem einzelnen nicht als Individuum, sondern als Glied einer sozialen Gemeinschaft i m sozialen Lebensbereich, d. h. i m Bereiche der allgemeinen „Wohlfahrt" 2 0 , also i m Interesse des Zusammenlebens sozialer Wesen und nicht der Innehaltung rechtlicher Schranken individueller Rechtsträger untereinander, obliegen. Daher ist der Staatsbürger i m Ordnungswidrigkeitenrecht nicht Rechtsgenosse unter Rechtsgenossen, sondern, da die „Regelung" des „geordneten" Zusammenlebens ihn als individuellen Rechtsträger nichts angeht, vielmehr eine Aufgabe der Verwaltung darstellt, Hilfsorgan des verwaltenden Staates 21 . Maihof er, der den Dualismus von Individual- und Sozialperson zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen gemacht hat 2 2 , meint, beim kriminellen Unrecht richte sich der V o r w u r f gegen das Individuum als solches („persönlicher" Vorwurf), bei den Verwaltungswidrigkeiten jedoch gegen den einzelnen als Sozialperson (nach dem Maßstab des „Man") 2 3 . So beruht die Lehre von den Verwaltungswidrigkeiten letzten Endes auf der gegensätzlichen Auffassung des Menschen einerseits als I n d i v i duum und andererseits als Gemeinschaftswesen und der Begründung des Rechts aus der Vorstellung vom Menschen als Individuum. M i t dieser Feststellung ist zugleich der Ansatzpunkt für die folgenden geschichtlichen Untersuchungen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten gefunden. Verwaltungswidrigkeit als Gegensatz zu kriminellem Unrecht w i r d erst möglich, wenn das Individuum Grund und Zweck der Rechtsordnung und (wegen der Abhängigkeit der Auffassung über den Sinn des Strafrechts von der Vorstellung über Wesen und Zweck des Staates) auch zum Zweck des Staates sowie das soziale Dasein (die soziale Wesenheit) des Menschen m i t dem sozialen Lebensraum überhaupt zu einer außerrechtlichen Erscheinung geworden ist. Diese Umstände traten i m Gefolge der Naturrechtslehre der Aufklärung ein. Deshalb hat die geschichtliche Erörterung hier (und nicht früher) zu beginnen. Rechtliche Bildungen aus einer vorhergehenden Zeit können für das Verwaltungsunrecht nicht i n Anspruch genommen werden, weil es an den geistesgeschichtlichen Voraussetzungen fehlt, unter denen ein solches gedacht werden kann. Ob es irgendwo und irgendwann einmal eine ähnliche Lage gegeben hat, i n der der Gedanke eines nur verwaltungswidrigen Unrechts möglich sein mochte, ist i n diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, da es auf jeden Fall an der historischen Kontinuität fehlen und 20 Der „ a n sich" das Wirkungsfeld der V e r w a l t u n g ist, i n dem das I n d i v i d u u m jedenfalls von N a t u r aus keinen rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen hat. (Es verhält sich rechtlich einwandfrei, wenn es nicht i n die Rechtssphären anderer I n d i v i d u e n als Rechtsträger eingreift.) 21 Eb. Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 19 f. 22 Recht u n d Sein; V o m Sinn . . . ; Unrechtsvorwurf. 23 Unrechtsvorwurf, S. 160,164.
I. Bestimmung des Anknüpfungspunktes
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die Erörterung jener Fragen i m Rahmen der vorliegenden Arbeit einen unfruchtbaren Historismus bedeuten würde. Die neuzeitlichen Naturrechtslehren 24 , soweit sie geschichtlich bedeutsam geworden sind, insbesondere die der Aufklärung, liefen auf den Gedanken hinaus, daß das Individuum letzten Endes „früher" sei als die Gesellschaft. Die Lehre vom Gesellschaftsvertrag beruhte auf i h m und gab i h m eine starke Wirkung 2 5 . Das Individuum sollte die Grundlage von Recht und Sittlichkeit, Gesellschaft und Staat bilden 2 6 . M i t der für die Neuzeit kennzeichnenden Hinwendung zum diesseitigen Menschen gingen die Ableitung der Erscheinungen des menschlichen Lebens und damit auch von Recht und Staat aus der Natur des Menschen als ihrer Ursache und die Überzeugung von der entsprechenden Erkenntnisfähigkeit der autonomen menschlichen Vernunft einher. Vorauszusetzen war dabei, daß die Natur (auch die menschliche) vernunftdurchwaltet sei; die Naturgesetze konnte man deshalb als der menschlichen Vernunft erkennbare Vernunftgesetze auffassen. Den Menschen aber verstand man, wie besonders die Lehre vom Naturzustande zeigt, schließlich nur als vernünftiges Individuum (ursprüngliches vernunftbegabtes Individualwesen) und das aus seiner Natur abgeleitete Naturrecht als Vernunftrecht 27, mochte die Vernunft dabei Quelle (z. B. Hobbes) oder Erkenntnismittel (Pufendorf) desselben sein. A m Ende sank die Vernunft zur individuellen Vernünftigkeit ab. Der Individualismus und Rationalismus zeigt sich schon i m methodischen Ansatz. Rechtsordnung und Staat w i l l man i n ihrem Wesen und inneren Aufbau entsprechend der naturwissenschaftlichen Methode durch Zerlegen i n ihre Teile und daraus zu gewinnende Einsicht i n die Gesetzmäßigkeit des Zusammenhanges der Teile und folglich des Aufbaus des Ganzen erkennen. Den Staat muß man, wie Hobbes es ausdrückt, gleichsam als aufgelöst betrachten und untersuchen, wie die menschliche Natur beschaffen und wodurch sie geeignet ist, einen Staat zusammenzufügen, und wie die Menschen sich zusammentun müssen, wenn sie sich vereinigen wollen 2 8 . Ebenso empfiehlt Pufendorf die Anwendung der naturwis24 Sie werden hier selbstverständlich n u r i n ihrer Bedeutung f ü r das v o r liegende Thema behandelt. 25 „ I m m e r bestimmter stellte sich als unvermeidlicher Grundzug der Lehre v o m Gesellschaftsvertrage die theoretische Herleitung der Gemeinschaft aus dem Individuum heraus. M a n mußte, w e n n man sich selbst treu bleiben wollte, schließlich immer bei den Sätzen anlangen, daß der vereinzelte Mensch älter als der Verband, daß jeder Verband das Produkt einer Summe von i n d i v i d u e l len A k t e n u n d daß alles Verbandsrecht u n d somit die Staatsgewalt selbst ein Inbegriff ausgeschiedener u n d zusammengelegter Individualrechte sei." (O. v. Gierke, S. 105) — Vgl. auch Rommen, S. 76 ft; Boehmer, I I 1, S. 24 ff. 26 Vgl. Heimsoeth, S. 194. 27 Vgl. z. B. Grotius, 11 § 10; lus naturale est dicta t u m rectae rationis. 28 De cive, Praefatio ad Lectores.
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
senschaftlichen Methode, u m „die Eigenart (indoles) des vortrefflichsten moralischen Körpers, des Staates", nämlich gleichsam „die innere A n lage (dispositio) desselben, die sich aus der Macht und dem Recht der Herrschenden und der Verpflichtung der Bürger ergibt", zu erforschen. Es sollten „die Teile, aus denen jener große Körper besteht", genau unterschieden werden. Man müsse „alle Gesellschaften gleichsam transzendieren und i m Geiste die Anlage und den Zustand der Menschen sich vorstellen, wie sie außerhalb der Gesellschaft und ohne alle menschlichen Künste und Einrichtungen begriffen werden können". Es lasse sich dann leicht einsehen, „welche Notwendigkeit und welcher Grund vorgelegen haben mögen, die bürgerlichen Gesellschaften einzugehen", welche Rechtsmacht und welche Verpflichtung sich aus ihrer Natur ergeben und welche Annehmlichkeiten und eigentümlichen Verhaltensweisen zwischen den Menschen daraus hervorgehen 29 . Die Einzelteile, i n die Staat und Gesellschaft so zerlegt werden, sind die isolierten Individuen, in deren Wesen, Eigenschaften und Interessen man den Grund des gesellschaftlichen Zusammenschlusses und des Staates sucht. Nicht die soziale Wesensnatur w i r d zur Grundlage des Naturrechts, sondern der Mensch als Individuum, das man aus bestimmten, vom empirischen Menschen abstrahierten Einzelzügen (ζ. B. dem Egoismus bei Hobbes) konstruiert. Gesellschaft und Staat sind keine organischen, sondern künstliche, vom menschlichen Willen durch Vertrag geschaffene Gebilde. Die „Gesellschaft" stellt schließlich nur noch eine bloße Summe von Individuen dar, und der Staat ist die vollkommenste der societates. Unter dem Individuum hat man indes nicht die individuelle Persönlichkeit, sondern „das abstrakte, individualitätslose Individuum, den einen sich immer gleichbleibenden Menschen schlechthin" zu verstehen, der ein qualitätsloses, rein quantitatives abstraktes und isoliertes Vernunftwesen ist, das es i n der Wirklichkeit nicht gibt 3 0 . Ferdinand Tönnies nannte einen solchen abstrakten Menschen 31 „die künstlichste, regelmäßigste, raffinierteste aller Maschinen, . . . konstruiert und erfunden, und . . . anzuschauen wie ein Gespenst i n nüchterner, heller Tageswahrheit". Der Individualismus i m Naturrecht bedeutet also Verständnis der sozialen Erscheinungen aus dem Individuum und auf dieses hin. Er prägt sich darin aus, daß der Mensch, aus dessen Natur man Recht und Staat abzuleiten und nach Wesen und Aufgabe zu bestimmen sucht und der sodann Zweck und Bezugspunkt der Rechtsordnung und des Staates ist, als ursprüngliches Individuum begriffen w i r d und daß Gesellschaft und Staat als aus einzelnen Individuen und durch deren Willen entstanden kon29
Diss, de statu hom. nat., § 1. Dahm, Deutsches Recht, 1. Aufl., S. 136; Boehmer, I I 1, S. 36. — Der Begriff des Individuums ist damit ein Gattungsbegriff (Heimsoeth, S. 194); auf die Besonderheit u n d Einzigartigkeit des Einzelwesens k o m m t es nicht an. 31 S. 211, unter Zustimmung von Boehmer, I I 1, S, 37. 30
I. Bestimmung des Anknüpfungspunktes
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struiert werden. Das Naturrecht gelangte auf diese Weise zwangsläufig dazu, Gesellschaft, Staat und Recht auf das Individuum (als ihr wenn nicht historisches so doch logisches prius) zurückzuführen und schließlich i n i h m allein den Zweck dieser Erscheinungen zu suchen. Bei den deutschen Naturrechtlern trat der Individualismus i n der Regel nicht so stark hervor wie bei vielen westeuropäischen Denkern und setzte sich auch nur allmählich durch. Die Strafrechtslehre beeinflußte er erst am Ende des 18. Jahrhunderts i n einer Weise, die einen Wesensunterschied zwischen K r i m i n a l - und Polizeidelikten rational aufzustellen erlaubte. Hugo Grotius (1583 - 1645) faßte das Naturrecht noch als Naturrecht der Gemeinschaft, die Natur des Menschen, aus der es fließt, als gemeinschaftsbezogen auf. Quelle des Naturrechts ist die menschliche Natur selbst (prol. 16), die durch die Vernunft und den Gemeinschaftstrieb 32 als eigentümlich menschliche Wesenszüge gekenzeichnet w i r d (prol. 6,7,9), wozu als weitere menschliche Besonderheit die Bedürftigkeit 3 3 tritt. Das Naturrecht i m engeren Sinne geht aus dem m i t der Vernunftnatur des Menschen verbundenen Gemeinschaftstrieb (vernünftigen Gemeinschafts trieb) hervor (prol. 7), seine Quelle ist m i t h i n die der menschlichen Einsicht entsprechende Sorge für die Gemeinschaft 34 . Das Naturrecht i m weiteren Sinne (ius naturale laxius) dagegen w i r d charakterisiert durch die Ubereinstimmung m i t der Vernunftnatur des Menschen als solcher schlechthin (nicht nur m i t seiner geselligen Natur) und ergibt sich aus der Urteilsfähigkeit, das Angenehme und das Schädliche zu erkennen und vorauszusehen und das danach angebrachte Verhalten zu bestimmen (prol. 9, 12). Aber diese Vernunft ist „nicht nur individuelle K l u g heit, ,subjektiver Verstand', sondern transpersonaler, ,objektiver Geist' einer von Gott gewollten, naturgemäßen, vernünftigen Gemeinschaft" 35 und nicht ohne die Gemeinschaftsbindung des Menschen zu denken (die Vernunft des m i t dem Gemeinschaftstrieb begabten Menschen, noch nicht des isolierten Individuums). Alles Naturrecht ist somit vernünftig und gemeinschaftsbezogen: ein „Gebot der rechten Vernunft" (11 § 10, 1) in dem Sinne eines „Gebotes der vernünftigen und geselligen Natur als solcher" 36 . Dem Naturrecht entspricht, was „ m i t der vernünftigen und sozialen Natur" übereinstimmt 3 7 , so daß alles ungerecht ist, was ihr 32
Appetitus societatis, i d est communitatis, prol. 6. Infirmitas, prol. 16. 34 Haec vero . . . societatis custodia, humano intellectui conveniens, fons est eius iuris, quod proprie t a l i nomine appellatur (prol. 8). 33 E. Wolf, Rechtsdenker, S. 315 f. 36 D i c t a t u m naturae rationalis ac socialis qua talis est; I I 20 § 5,1. 37 Convenientia . . . cum natura rational! ac sociali; 11 § 12,1. 33
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1. T e i l : Geschichtliche Entwicklung
unvermeidlich widerstreitet 3 8 . Wahre Gerechtigkeit kann danach nur soziale Gerechtigkeit sein: Iniustum est quod naturae societatis ratione utentium répugnât (11 § 3,1). Die Gemeinschaft, i n die Grotius den Menschen einordnet und i n der sich die Gerechtigkeit verwirklicht, ist kein rationales Zweckgebilde zur Förderung des individuellen Nutzens, sondern eine friedliche und nach dem Maß der Einsicht des Menschen geordnete Gemeinschaft mit seinesgleichen (prol. 6) und als solche der Ort, an dem allein sich rechtes menschliches Dasein vollzieht 3 9 . Freilich zeigt sich bei Grotius bereits der Ansatz zu der späteren individualistischen Naturrechtslehre. Zwar ist der Mensch vermöge seiner Ausstattung m i t dem appetitus societatis auf Gemeinschaftsbildung angelegt, aber doch kein ursprüngliches Sozialwesen, denn er steht der gedanklichen Erfassung nach nicht schon anfänglich i n der Gemeinschaft (geht nicht aus ihr hervor), sondern w i r d als Einzelwesen gedacht, das erst (wenn auch naturnotwendig) zur Gemeinschaft gelangt (vgl. prol. 7, 16) 40 : I h n zeichnet nicht eigentlich die Sozialität, sondern die (natürlich-vernünftige) „Soziabilität" 41 aus. Nach der juristischen Konstruktion entstehen Gemeinschaft (bürgerliche Gesellschaft) und Staat durch Vertrag 4 2 , den die einzelnen freiwillig eingehen, und leitet sich die Staatsgewalt aus i h m ab 43 . Der Staat ist demnach eine „Vereinigung freier Menschen" (11 § 14,1). Der Zusammenschluß zu einem Volk oder Staat ergibt die vollkommenste Gemeinschaft ( I I 5 § 23). 38
I 2 § 1, 3: I n i u s t u m autem i d derrium intellegi quod necessariam cum natura rationali ac sociali habet repugnantiam. 39 Daher w i r d der Mensch schon fernab aller Nützlichkeitserwägungen durch seine N a t u r (die Quelle des Naturrechts) zur Gemeinschaft getrieben. Zusätzlich k o m m t der Nutzen hinzu, den die Gemeinschaftsbildung für die Menschen infolge ihrer naturgegebenen Schwachheit u n d Schutzbedürftigkeit hat. Diese infirmitas ist deshalb eine zweite Ursache (Quelle) der Gemeinschaftsbildung u n d damit des Naturrechts (prol. 16). 40 D a m i t benutzt Grotius jedenfalls aus Darstellungsgründen das B i l d v o m I n d i v i d u u m (vgl. das v o m anfänglich einzelnen u n d als solchen schwachen u n d hilfsbedürftigen Menschen i n prol. 16), das erst durch einen denknotwendigen A k t (den Vertrag) zur Gemeinschaft k o m m t u n d infolgedessen „ f r ü h e r " als diese ist. 41 E. Wolf, Naturrechtslehre, S. 133; derselbe, Rechtsdenker, S. 279. 42 Willensübereinstimmung, consensus, der ein Zusammenschluß oder eine Unterwerfung sein k a n n ; siehe I I 5 § 8,1, § 23, prol. 15. 43 Allerdings ist nicht der Vertragsschluß eigentlicher Seinsgrund der Gemeinschaft, sondern der dem Menschen wesenseigene appetitus societatis. Die Rechtsfigur des Vertrages w i r d n u r benutzt, w e i l man keinen anderen n a t ü r lichen Weg zur Verpflichtung (des einzelnen gegenüber der Gesamtheit u n d dem Staat) denken könne, irgendeine Weise der Verpflichtung aber f ü r die Menschen notwendig sei u n d es dem Recht der N a t u r entspreche, Verträge zu halten, prol. 15. Siehe auch prol. 16; 1 1 § 14,1, I I 5 § 8,1, § 17, § 23.
I. Bestimmung des Anknüpfungspunktes
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Werden auch der Staat und die Herrschermacht (Gesetzgebungsgewalt) aus einem Vertrag abgeleitet 44 und ist der Vertrag die Grundlage des positiven staatlichen Rechts 45 , so hat Grotius aus dieser juristischen Konstruktion doch keine individualistischen Konsequenzen gezogen. Den Zweck des Staates sucht er nicht vom Individuum her zu begründen, sondern sieht er i n dem nur i n der rechtlich geordneten Gemeinschaft möglichen Rechtsgenuß und i m gemeinen Nutzen 4 6 , die beide zusammengehören und nicht als Gegensätze gedacht werden 4 7 . Die bürgerliche Gesellschaft ist zur Wahrung des öffentlichen Friedens und der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der Ruhe errichtet; dem Staat erwachsen daher gegen die Bürger die zur Erreichung dieses Zieles erforderlichen Rechte 49 (dem Ganzen das höchste Recht gegen die Teile). Weil alle äußeren menschlichen Handlungen die Gemeinschaft irgendwie berühren, müssen die Gesetze über Gegenstände aller A r t i m Gemeininteresse Bestimmungen treffen, die zu befolgen sind ( I I 5 § 23). Von dieser Grundlage aus ließ sich noch keine Lehre wie die vom Polizeistrafrecht entwickeln. Grotius selbst hat denn auch aus seiner Einteilung i n natürliches und gewillkürtes Recht (I 1 §§ 9 ff.) keine diesbezüglichen Folgerungen für das Strafrecht gezogen. Hier galt vielmehr, daß alle Verfehlungen bestraft werden konnten, die sich unmittelbar oder mittelbar auf die menschliche Gesellschaft oder auf einen anderen Menschen bezogen ( I I 20 § 20, 1), ohne daß das Delikt dabei notwendig an den E i n t r i t t eines konkreten Schadens geknüpft gewesen wäre ( I I 20 § 38). Vor allem aber ist das gewillkürte (positive) innerstaatliche Recht (ius civile, vgl. I 1 §§ 9, 13, 14) nicht schon u m deswillen dem Naturrecht entgegengesetzt: Da es i m Gesellschaf tsvertrag seinen Ursprung hat, beruht seine verpflichtende K r a f t letztlich auf dem Naturrecht als seinem eigentlichen Geltungsgrund (prol. 15,16). Für Thomas Hobbes (1588 - 1679) war der Mensch von Natur aus ungesellig (D. c. 1 § 2, Lev. 13), sein natürliches Wesen (das Individuum i m Naturzustand außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft) durch den Selbsterhaltungs- und Machttrieb gekennzeichnet, der jedem das Recht gibt, alles zu tun, womit er sich erhalten kann (ursprüngliches natürliches 44
Prol. 15; 1 1 § 14,1, I I 5 § 17,13 § 8. Das durch Befehle des Gesetzgebers entsteht, I 1 § 14, 1; sogar die Strafverhängung entbehrt nicht der vertraglichen Grundlage: M i t Begehen der Tat w i l l i g e der Täter i n seine Bestrafung ein, I I 20 § 2, 3. 46 Est autem civitas coetus perfectus liberorum hominum, iuris fruendi et communis utilitatis causa sociatus; 1 1 § 14,1. 47 Vgl. hierzu den eine feste Überzeugung der Naturrechtler aussprechenden Satz Pufendorfs: L e x naturalis ita humanae naturae sit adaptata, u t eius observatio semper cum utilitate et commodo h o m i n u m sit conjuncta ( I I 3 § 18). 48 Die höher sind als das Recht des einzelnen, Unrecht von sich abzuwenden; daher gibt es auch kein Widerstandsrecht; I 4 § 2,1. Vgl. auch I 3 § 8,1. 43
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1. Teil: Geschichtliche E n t w i c k l u n g
Recht auf alles), so daß der Naturzustand ein Kampf aller gegen alle sein muß, in dem einer des andern Feind ist (D. c. 1 §§ 10, 12, Lev. 13, 14). Von Natur aus w i r d der Mensch folglich nicht zur Gesellschaft, sondern zur Herrschaft getrieben; i n die Gesellschaft t r i t t er nicht um dieser, sondern seines Vorteils willen ein (D. c. 1 § 2). Denn der natürliche Kriegszustand führt notwendig zur allseitigen Furcht, die als Hauptursache des Handelns das grundlegende Naturgesetz ergibt, daß keiner das t u n darf, was er als schädlich für sich selbst erkennt (Lev. 14, D. c. 1 § 13). Es ist eine wesentliche Einsicht Hobbes 9, daß aus dem ursprünglichen Einzelsein keine Rechtsordnung zu begründen ist. Vielmehr muß erst die anfängliche Isoliertheit (der Krieg) durch eine Vergesellschaftung (die den Frieden schafft) überwunden werden, zu der die auf Selbsterhaltung bedachten und i n gegenseitiger Furcht lebenden einzelnen durch ihre rechte (natürliche) Vernunft 4 9 gelangen: Sie schließen einen Vereinigungsvertrag, m i t dem alle sich einem Willen unterwerfen, ihr natürliches Recht 50 aufgeben und uneingeschränkt auf den Herrscher übertragen, dessen Macht Frieden und Schutz, d. h. eine existenzerhaltende Ordnung gewährleistet (Lev. 14, 17). Gesellschaft und Staat sind somit keine Wesensentfaltungen des Menschen, sondern (künstliche) Mittel, Frieden und Ordnung i m Zusammenleben zu sichern, die ohne Unterdrückung der natürlichen menschlichen Eigenschaften durch eine unbeschränkte starke Staatsgewalt, die den geordneten Zustand sichert, unmöglich wären. Wie Anlaß zur Bildung des Staates gegenseitige Furcht (D. c. 1 § 2), so ist sein Zweck, dem auch die Rechtsordnung dient, allgemeiner Friede und Schutz aller gegen alle 5 1 ; deswegen ist den Befehlen des Staates Gehorsam zu leisten 52 . Geltendes Recht w i r d nur von der staatlichen Gewalt geschaffen (Lev. 18, 26); außerhalb des Staates gibt es keine Rechtsordnung (nicht Recht und Unrecht, Lev. 13, 18). Demzufolge ist der einzige Maßstab für die Handlungen i n einem Staat dessen positives Gesetz (Lev. 29), und ein Verbrechen kann nur ein Verstoß gegen ein staatliches Gesetz sein (Lev. 27). Die Übertretung der natürlichen Gesetze, die als allgemeine Vernunftregeln über die Sittlichkeit keine eigentlichen Gesetze, sondern nur Belehrungen sind, ist als solche kein Verbrechen (Lev. 15, 26), aber jedes Delikt als Verletzung des Gesellschaftsvertrages auch zugleich die Übertretung eines natürlichen Gesetzes (Lev. 26).
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Deren Gebote die natürlichen Gesetze sind, D. c. 2 § 12, Lev. 13 - 15. A u f Bestimmung über sich selbst, auf alles (ausgenommen auf Selbsterhaltung, die gerade gesichert werden soll; Lev. 14, 21, D. c. 3 § 14), ihre n a t ü r liche Freiheit. 51 A l l e r einzelnen u n d damit der Gesamtheit der I n d i v i d u e n ; das W o h l des Volkes: Lev. 30. 52 Lev. 21, 26. A l l e Bürger müssen wegen ihres eigenen Vorteils nach dem W i l l e n dessen, dem sie die höchste Gewalt übertragen haben, an Erhaltung u n d Schutz des Staates m i t w i r k e n ; Lev. 47. 50
I. Bestimmung des Anknüpfungspunktes
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Samuel Pufendorf (1632 - 1694) knüpfte sowohl an Grotius als auch an Hobbes an, bewahrte aber i m ganzen die deutsche Naturrechtslehre vor nachhaltigem Einfluß der naturalistischen Naturrechtsbegründung von Hobbes 53, gegen dessen Ansicht er betonte, daß das Naturrecht die Geselligkeit (als Notwendigkeit, Fähigkeit und oberstes Gesetz — Aufgabe — des menschlichen Daseins) zur Grundlage habe. Jedoch steht bei ihm das Individuum stärker i m Vordergrund als bei Grotius, wodurch auch die Gesellschaftsvertragslehre größere Bedeutung erhält. Dennoch ist sein Naturrecht nicht ausgesprochen individualistisch, sondern i n erster Linie ein System von gemeinschaftsbezogenen Pflichten, nicht von individuellen Rechten. Den von i h m bekämpften betont individualistischen Anschauungen seiner Zeit setzte er sein Sozialitätsprinzip entgegen. Der zentrale Begriff i n Pufendorf s Naturrechtslehre ist die socialitas (Geselligkeit) als Grundlage, Erkenntnisprinzip und oberster Grundsatz (jedoch nicht selber Norm) des Naturrechts 54 . Die natürlichen Gesetze sind die Gesetze der Geselligkeit, die lehren, wie jeder sich als richtiges Glied menschlicher Gemeinschaft verhalten soll (D. ο. I 3 § 8). Das grundlegende Naturgesetz, unter das alle anderen Naturgesetze zu bringen sind, lautet daher: Jeder solle nach seinen Fähigkeiten eine friedliche, der Eigenart und Bestimmung des menschlichen Geschlechts i m ganzen entsprechende Geselligkeit gegen andere pflegen und erhalten ( I I 3 § 15) 55 . Nach Naturrecht geboten ist somit alles, was dieser Geselligkeit notwendig und i m ganzen förderlich ist, verboten, was sie stört oder zerstört ( I I 3 § 15, D. ο. I 3 § 9). Die Frage nach den „an sich" guten oder schlechten Handlungen kann bei diesem Maßstab nicht gestellt werden 5 6 . Die socialitas bezeichnet zunächst einen anthropologischen Befund als Ausgangspunkt einer Kulturanthropologie, wonach der Mensch auf Gemeinschaftsbildung angelegt ist und notwendig ein geselliges Leben führen muß, um i n der Welt bestehen zu können 5 7 . Sie w i r d damit zum I n begriff der Möglichkeit menschlicher K u l t u r und erweist sich so als A u f gabe rechten Menschseins (des Daseins des Menschen als eines K u l t u r wesens). Des weiteren ist die socialitas ein objektiver Wertbegriff, der das Richtmaß menschlichen (sittlich-sozialen) Verhaltens gibt 5 8 . 53
E. Wolf, Rechtsdenker, S. 317. I I 3 § 5, D. ο. I 3 §§ 7, 8, E. s. S. 40, 74, 279. Dazu Welzel, Grenzen, S. 3 f. 55 Seine Angelegenheiten hat er so zu besorgen, daß die menschliche Gemeinschaft dadurch nicht gestört w i r d , d. h. er darf nichts tun, was die friedliche Gemeinschaft unter Menschen beeinträchtigen k a n n ; El. j u r . I I obs. I V . 56 Vgl. Welzel, Naturrecht, S. 138 f., 140. 57 U t salvum s i t . . . necessarium est, u t sit sociabile: I I 3 § 15; D. ο. 13 § 7. 58 „Der allgemeinste Begriff der objektiv-sittlichen Wertgestalt des menschlichen Lebens": Welzel, Pufendorf, S. 42. 54
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
Kennzeichnend für die menschliche Natur sind die Bedürftigkeit (imbecillitas, naturalis indigentia), der Selbsterhaltungstrieb (amor sui) und die Neigung, andern zu schaden (pravitas animi), wobei die Bedürftigkeit am bedeutsamsten ist. M i t Hilfe dieses Begriffes w i r d der Mensch (modern gesprochen) als „Mangelwesen" beschrieben, das zur Ausgleichung seiner Schwachheit, zur Ausfüllung der Lücken i n seinem A n triebsleben (da es von Natur aus — durch Instinkt — nicht auf bestimmte Verhaltensweisen festgelegt ist, also „Freiheit" besitzt) und zur Errichtung seiner Umwelt (die eine K u l t u r w e l t ist) auf die Gemeinschaft und die — nur i n dieser möglichen — K u l t u r verwiesen ist (ihrer bedarf) 59 . Notwendiges Gegenstück zur animalisch-natürlichen Beschaffenheit (insbesondere der Mangelwesenhaftigkeit) des Menschen ist die socialitas als Inbegriff der Möglichkeit menschlicher K u l t u r und überhaupt eigentlich menschlichen Daseins 60 . Damit soll nicht gesagt sein, daß jene natürlichen Züge des Menschen die Ursachen der socialitas seien 61 , vielmehr muß diese die (denk-)notwendige Ergänzung zu jenen bilden (zu ihnen hinzukommen), damit der Mensch überhaupt das Kulturwesen Mensch sein kann. Der Mensch w i r d also Mensch erst dadurch, daß er ein geselliges Leben f ü h r t 6 2 und K u l t u r hat 6 3 , die er aber nur durch ein Leben i n Gemeinschaft haben kann. Die K u l t u r w e l t gibt dem menschlichen Leben Sinn und Inhalt, ihr Zweck ist die Vervollkommnung des menschlichen Lebens (I 1 §§ 2, 3). Die socialitas bildet also auch Voraussetzung und Wertinbegriff der M i t w i r k u n g und Teilhabe an der Kultur. Das aus der „Natur" des Kulturwesens „Mensch" abgeleitete Naturrecht ist m i t h i n ein Kulturrecht: Es enthält die Regeln, die den Menschen zur Kultivierung seiner selbst verpflichten, und soll ihn so bilden, daß er dieses Leben gesellig (in Gemeinschaft) mit andern vollbringen kann (D. o. Vorrede). Aus der K u l t u r w e l t erhält der Mensch die erforderlichen Richtlinien für den Gebrauch seiner Freiheit, nämlich das Gesetz als eine dem Menschen als Kulturwesen eigentümliche Kulturerscheinung: hominis naturae non congruere, ut vivat exlex ( I I 1, bes. §§1,2, 5) 64 . 59
Siehe I I 1, bes. §§ 1, 2, 4, 5, 8. Ejusmodi animali, u t salvum sit, bonisque fruatur, quae i n ipsius conditionem heic cadunt, necessarium est, u t sit sociabile ( I I 3 § 15). Siehe I I 1 § 8 (imbecillitas ac naturalis incultus), I I 3 § 14, El. j u r . I I obs. 3 § 2. 61 Der Wertbegriff der socialitas aus wertindifferent Gegebenem hergeleitet werde (so Welzel, Pufendorf, S. 45). 62 V i t a non socialis est v i t a bestiarum; E l j u r . I I obs. 3 § 6. Ohne solche V e r einigung m i t seinesgleichen könnte das Menschengeschlecht überhaupt nicht bestehen; I I 2 § 7, D. ο. 13 §§ 7,11. Vgl. I I 3 § 15. 63 H o m i n i cultura sui est necessaria; I I 4 § 1. Vgl. hierzu die Lehre von den entia moralia, m i t der Pufendorf die Eigenart der K u l t u r w e l t gegenüber der N a t u r w e l t herausstellte, insbesondere i n I (über sie Welzel, Pufendorf, S. 19 ff.). 64 W e i l der Mensch i n Gemeinschaft m i t andern leben muß, ohne Gesetz aber keine Gemeinschaft möglich ist ( I I 1 § 8), sind i n der Gemeinschaft u n d nach dem Recht (Gesetz) zu leben gleichbedeutend; ohne sie gibt es k e i n Mensch60
. Bestimmung des Anknüpfungspunktes
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Vermöge der socialitas ist der Mensch also ein zu Gemeinschaft und K u l t u r fähiges Wesen, die socialitas somit die Fähigkeit zur Gemeinschaft. Da eigentlich menschliches Dasein sich nur i n der Gemeinschaft verwirklicht, ist dem Menschen das gesellige Leben aufgegeben 65 . Die socialitas bezeichnet infolgedessen auch die vom Menschen i n der Welt zu erfüllende Aufgabe rechten Menschseins 66 und erweist sich damit zugleich als erstes sittliches Gebot für menschliches Dasein als solches überhaupt, das den Inhalt der natürlichen Gesetze, der Gesetze der Geselligkeit (des Gemeinschaftslebens), bestimmt. Als ein solcher zu v e r w i r k l i chender Wert bleibt die socialitas von physischen Ursachen und von Nützlichkeitserwägungen unabhängig ( I I 3 §§ 16,17,18). Die socialitas (Geselligkeit) ist aber (bei aller Betonung der Notwendigkeit, i n Gemeinschaft zu leben) nicht ein — naturgegebener — Geselligkeitstrieb 6 7 oder die Neigung, einzelne Gemeinschaften einzugehen 68 , und auch nicht mit unmittelbarem Bezug auf konkrete Gemeinschaften, i n denen der Mensch schon von Anfang an steht, gedacht 69 . „Vielmehr erkennen w i r als Geselligkeit eine derartige Einstellung des Menschen gegenüber jedwedem Menschen an, durch die deutlich wird, daß er i h m durch Zuneigung, Friedlichkeit und Liebe und auch durch gegenseitige Verpflichtung verbunden ist 7 0 ." I m allgemeinen besteht sie darin, daß man sich ungerechter Verletzungen enthält und, soweit keine strengeren Verpflichtungen entgegenstehen, Nutzen und Vorteil gegenseitig fördert und teilt 7 1 . Die Geselligkeit bei Pufendorf erweist sich damit letzten Endes nicht als die konkrete Gemeinschaftlichkeit des Sozialwesens Mensch, das nur als von Anfang an i n einer Gemeinschaft stehend (als ursprüngliches sein; I I 1; El. j u r . I I obs. 3 § 6. I n schrankenloser Freiheit (als isoliertes I n d i v i duum ohne Gesetz) k a n n der Mensch nicht bestehen; I I 1 §§ 2, 8. 65 Socialem v i t a m a Deo hominibus pro imperio i n j u n c t a m esse; D. ο. I 3 § 11. Gott hat dem Menschen auch n u r deshalb die V e r n u n f t gegeben, damit er die Gemeinschaft pflege; El. j u r . I I obs. 3 § 6. 66 Socialitas cui a Creatore [homo] destinatus est; I I 4 § 1. 67 Appetitus socialitatis; E. s. S. 74. 68 Proclivitatem ad jungendas societates particulares ; I I 3 § 15. 69 I n t e r eos quoque, q u i non alio quam humanitatis vinculo connectuntur, communis ilia socialitas, et pax comiter colenda; I I 3 § 17. Vgl. I I 3 § 18, E. s. S. 240, 279, 308, wo Pufendorf klarstellt, daß die socialitas nichts m i t einer societas zu t u n habe. Dagegen wurde der appetitus societatis des Grotius i m Hinblick auf die konkrete Gemeinschaft, die Korporation, begriffen, aus der der einzelne herauswächst. 70 I I 3 § 15: Sed per socialitatem innuimus ejusmodi dispositionem hominis erga quemvis hominem, per quam ipsi benevolentia, pace et caritate, mutuaque adeo obligatione conjunctus intelligitur. 71 I I 3 § 17. Vgl. I I 3 § 15, D. ο. I 3 § 7. Denn w e i l die Menschen einander sehr nützlich sein können, sind sie auch verpflichtet, zu i h r e m gegenseitigen W o h l beizutragen: I I 3 § 14. 2 Mattes
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
Gemeinschaftswesen) gedacht werden kann, sondern es ist die abstrakte Hinneigung eines Individuums, das erst Gemeinschaften eingehen soll 7 2 , zum andern als seinesgleichen i m Sinne eines (abstrakten) Sich-verbunden-wissens sowohl als Fähigkeit 7 3 wie als objektiver Wertbegriff und ethisches Postulat. Die socialitas zeigt infolgedessen nicht die Geselligkeit als ontologischen Grundzug des Menschen auf, sondern bezeichnet die Haltung (Verhaltensweise gegenüber den andern, zu der der Mensch fähig und verpflichtet ist), die rechtes menschliches Leben i n friedlicher Gemeinsamkeit mit andern ermöglicht. Sie setzt bestehende Gemeinschaften nicht voraus ( I I 3 § 17), sondern ermöglicht deren Begründung und gibt das gemeinschaftsmäßige Verhalten innerhalb eines zustande gekommenen Verbandes an, ist aber ebenso Richtmaß für das Verhalten außerhalb von Verbänden. I m Begriff der socialitas wandeln sich damit die Gemeinschaftsbeziehungen und konkreten Gemeinschaftspflichten schon zu allgemeinen Pflichten des Individuums 74; i n i h m w i r d der Mensch i m Grunde als Individuum vor jeder Gemeinschaft aufgefaßt, nicht als Gemeinschaftswesen, das schon von Natur aus i n einem Verbände steht. Infolgedessen ist die socialitas auch kein zureichender Grund für die Existenz von Verbänden 7 5 ; der Vertrag muß hinzutreten, der hier nicht nur konstruktive Bedeutung hat, sondern bereits das Menschenbild kennzeichnet. Wie i m Begriff der socialitas ursprüngliche Gemeinschaften, i n denen als notwendigen Erscheinungsformen wesenhafter Sozialität der Mensch von Anfang an steht, nicht (oder doch nicht unmittelbar) mitgedacht sind, so ist auch der Mensch i m Naturzustand (status naturalis) als ursprüngliches Individuum vorzustellen 76 . Der Naturzustand ist zwar rein hypothetisch, und die Natur hat den Menschen auch nicht dazu bestimmt, i n i h m zu leben ( I I 2 § 4); aber dennoch sollen aus der Hypothese die Erkenntnis der natürlichen Beschaffenheit des Menschen und die Grundsätze für die richtige Gestaltung des menschlichen Lebens sowie die Gründe etwa für die Staatenbildung gewonnen werden. Der Naturzustand ist als status naturalis in se der Zustand des als ursprüngliches In72 Necessarium est u t sit sociabile, i d est, u t con j ungi cum sui similibus velit: I I 3 §15. 73 Socialitas daher = Fähigkeit zur Gemeinschaft, Soziabilität (E. Wolf, Naturrechtslehre, S. 137). 74 d. h. die aus der socialitas fließenden Pflichten, obwohl Gemeinschaftspflichten, beginnen, zu solchen des I n d i v i d u u m s gegenüber dem I n d i v i d u u m zu werden, w o m i t die Subjektivierung u n d Individualisierung des Naturrechts sich vorbereitet. 75 Sie genügt allein nicht, daß der Mensch ein soziales Leben f ü h r t ; dazu ist noch erforderlich, daß einzelne societates gebildet werden. 76 Diss, de statu hom. nat. §§ 1, 2. I I 2 §§ 1 ff.; vgl. § 2: . . . fingendus nobis est homo undecunque i n huncce m u n d u m projectus, ac sibi soli plane relictus citra omne subsidium h u m a n u m post nativitatem ipsi accidens . . .
I. Bestimmung des Anknüpfungspunktes
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dividuum aufgefaßten (vereinzelten) Menschen vor aller menschlichen K u l t u r und vor der Errichtung bürgerlicher Gesellschaften (Staaten); die einzelnen sind hier nebeneinander als i n natürlicher Freiheit und Gleichheit lebend gedacht ( I I 2 §§ 1, 3). I m Naturzustand als status naturalis in ordine ad alios homines stehen die Menschen nicht unter einer gemeinsamen Herrschaftsgewalt (II 2 §§ 1, 4, 5). Auch als solcher ist er, soweit er sich auf alle Menschen bezieht, reine Hypothese, da es niemals einen Zustand gegeben hat und gar nicht gegeben haben kann, in dem nicht Menschen zu bürgerlichen Gesellschaften oder ähnlichem vereinigt waren ( I I 2 § 4). Jedoch hat er reale Bedeutung für die Menschen, die i n verschiedenen Gemeinschaften m i t verschiedener oberster Gewalt leben. Er hindert auch nicht das Bestehen menschlicher Gemeinschaften, denn ohne solche wären Erhaltung und Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts i n der Wirklichkeit überhaupt nicht möglich (II 2 §§ 4, 5, 7): aber unter dem Gesichtspunkt dieses Naturzustandes werden die Menschen gerade nicht als i n — konkreter — Gemeinschaft (miteinander) befindlich begriffen, sondern wiederum nur als jeder für sich bestehend, d. h. als (abstrakte) Individuen, deren Gemeinsamkeit nur darin liegt, daß sie Menschen sind 7 7 . Man faßte hier den Menschen nicht als ursprüngliches Sozialwesen auf und sieht von anfänglichen und nach dem Wesen des Menschen notwendigen Gemeinschaften ab 7 8 . Dieser Naturzustand ist freilich kein allgemeiner Kriegszustand, wie Hobbes angenommen hatte, sondern ein Zustand friedlicher Zuneigung zu seinesgleichen, der ohne alles menschliche Zutun besteht und auf natürlicher Verpflichtung, nicht auf Übereinkommen beruht, auch einem sozialen Leben nicht notwendig entgegengesetzt ist ( I I 2 §§ 5, 7, 11). Jedoch ist der natürliche Friede wegen der malitia hominum, ihrer zügellosen Machtgier und ihrem großen Verlangennach fremdem Gut nur schwach und unsicher (112 § 12). Hieraus ergibt sich, daß der Mensch von Gott so geschaffen ist, daß er nicht nur des Rechtes, sondern auch des Staates bedarf. Denn damit die Menschen, wozu das Naturrecht sie verpflichtet, ein geselliges Leben führen, genügt die unmittelbare Geltung des Naturgesetzes nicht; vielmehr müssen nach der Absicht der Natur Herrschaftsverhältnisse errichtet werden, die daher natürlich sind ( I I 2 § 4; El. jur. I I obs. V). Das Elend (miseria) der vereinzelten Menschen i m Naturzustand konnte nur durch die Staatengründung und die dabei notwendige Beschränkung der natürlichen Freiheit überwunden werden (II 2 § 2). Die bürgerlichen Ge77
I I 2 § 1 : nullo nisi communi humanitatis vinculo connecti. W e i l die N a t u r des Menschen, wie sie als anfänglich vorgestellt w i r d , sie nicht voraussetzt, d. h. sie nicht notwendig m i t dem rationalen Begriff v o m anfänglichen Wesen des Menschen verbunden sind. N u r der wirkliche Mensch k o m m t nicht anders als i n Gemeinschaften vor, die daher auch nach Pufendorf s Uberzeugung tatsächlich schon m i t der Existenz des Menschengeschlechts gegeben sind ( I I 2 § 7). 78
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
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sellschaften (Staaten) sind infolgedessen die wichtigsten Einrichtungen, die menschliches Leben erst als solches bedingen; „durch deren Entstehung ist das menschliche Geschlecht i n eine harmonische Ordnung gebracht worden" (II 2 § 1). Der Staat erweist sich so als eine naturgesetzliche Notwendigkeit und ein naturrechtliches Gebot. Dieser Einsicht gemäß hat Pufendorf die Gemeinschaftsordnung i m Staat sittlich begründet und „seine soziale Sittenlehre auf die oberste, umfassendste, objektive Gemeinschaft: den Staat", ausgerichtet 79 . Aber den Staat bringt nicht die erwähnte friedliche Zuneigung oder ein Geselligkeitstrieb hervor ( V I I 1 § 3). Der Mensch ist zwar trotz aller Eigenliebe ein animai sociabile und von Natur aus dazu bestimmt, in Gemeinschaft m i t seinesgleichen zu leben ( V I I 1 §§ 2, 3, I I 2 § 7, I I 3 § 16); zum Staat jedoch, der Aufgabe der natürlichen Freiheit und Unterwerfung unter eine Herrschaftsgewalt bedeutet ( V I I 1 § 4), w i r d er nicht freiwillig von der Natur geführt, sondern durch das Bedürfnis nach Schutz vor den Gefahren, die seiner Sicherheit und seinem Bestand vom Menschen und seinen schädlichen Neigungen drohen 80 , d. h. durch Furcht und zur Vermeidung größerer Übel von der auf ihre Erhaltung bedachten Natur gezwungen. Heil und Bestand des Menschengeschlechtes werden allein von den Staaten getragen, und der bedeutsamste Gewinn der bürgerlichen Gesellschaft ist der, daß die Menschen sich daran gewöhnen, ein bürgerliches Leben zu führen, wie es sich gehört ( V I I 1 § 4). Der Staat ist damit der stärkste Ausdruck der socialitas als zu verwirklichenden Wertes. Aber diese Wertverwirklichung der socialitas i m Staat folgt nicht notwendig aus dem sozialen Wesen des Menschen 81 , sondern aus der Furcht vor andern Menschen und der miseria des Naturzustandes des Individuums. Pufendorf begründet hier die Notwendigkeit der höchsten und stärksten Wirklichkeitsform der socialitas i m Staat m i t den Nachteilen und Schäden des staatenlosen Zustandes und des I n dividualdaseins des Menschen für das Menschengeschlecht. Der Staat ist notwendiges Gegenstück zur animalischen Natur des Menschen und unerläßlich, damit das Menschengeschlecht überhaupt i n Ordnung und K u l tur bestehen kann. Pufendorf bedient sich also eines methodischen Individualismus, u m die Unabdingbarkeit, Gottgewolltheit und naturrechtliche Gebotenheit sozialen Daseins i n staatlich geordneter Gemeinschaft zu beweisen. Indessen ist der methodische Individualismus doch mitbestimmend für das als Ausgangspunkt der Betrachtung gewählte Men79
E. Wolf, Rechtsdenker, S. 400, 327. V I I 1 §§ 1, 4, 7. Denn der beste Schutz u n d die größte Hilfe gegen Menschen sind andere Menschen, die ihre K r ä f t e vereinen u n d die Gefahren gemeinsam abwehren; V I I 2 § 1. Vgl. auch El. j u r . I I obs. 3 § 6. 81 Der Staat ist dem Entstehungsgrund nach keine Erscheinungsform desselben. 80
I. Bestimmung des Anknüpfungspunktes
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schenbild, das m i t der (hypothetischen) Vorstellung vom anfänglichen Individuum schon stark individualistische Züge erhält. Der Staat entsteht als freiwilliger vertraglicher Zusammenschluß 82 , ist aber, wenn einmal entstanden, mehr als nur eine Summe von einzelnen, denn durch die Vereinigung von Willen und Kräften 8 3 w i r d eine objektive, überindividuelle Einheit 8 4 m i t eigenen Funktionen und Aufgaben geschaffen 85 . Zweck des Staates sind gemeinsamer Friede und gemeinsame Sicherheit ( V I I 2 § 13, 4 § 3). Damit er erreicht werden kann, müssen die Menschen ihre natürliche Freiheit aufgeben und sich der Herrschaftsgewalt unterwerfen, deren Inhaber sich zu verpflichten haben, für die gemeinsame Sicherheit und Wohlfahrt zu sorgen, während die übrigen ihnen um jenes Zieles willen Gehorsam leisten müssen ( V I I 1 § 4, 2 § 8). Oberstes Gesetz i m Staate ist das Wohl des Volkes (salus populi suprema lex esto); nach i h m haben ,sich die Herrschenden zu richten, und ebenso ist es maßgebend für das Verhalten aller übrigen, das dementsprechend (durch staatliche Gesetze) zu leiten ist ( V I I 9 § 3) 86 . Der Staat stellt m i t h i n trotz seiner vertraglichen Begründung keine bloße Zweckanstalt zur Förderung der Interessen des Individuums dar; er hat vielmehr einen vom Individuum unabhängigen Eigenwert, weil sich nur i n i h m K u l t u r und menschliches Gemeinschaftsleben v e r w i r k lichen lassen, er allein also die Erreichung des Zieles menschlichen Daseins gewährleisten kann. Aus diesem Grund muß der Staat die Gemeinschaft und das Gemeinschaftsleben schützen und fördern. Auch hier zeigt sich deutlich das soziale Anliegen der Lehre Pufendorfs. Das Strafrecht dient der Erreichung und Sicherung des Staatszwecks. M i t seiner Hilfe hat der Staat darüber zu wachen, daß die Menschen die 82 Durch den Gesellschaftsvertrag (Vereinigung), den Beschluß über die Regierungsform, die W a h l des Herrschaftsorgans u n d den Unterwerfungsvertrag. V I I 2 §§ 7, 8; siehe auch Welzel, Pufendorf, S. 64 ff. 83 Unio v o l u n t a t u m et v i r i u m , V I I 2 § 5. 84 Die Gesamtperson — persona moralis composita: . . . civitatem constituit, quae ad modum unius personae concipitur, V I I 2 § 13. 85 I 1 § 13, V I I 2 §§ 8, 13. Siehe Welzel, Pufendorf, S. 60. — Der Staat ist demnach eine persona moralis composita, cujus voluntas, ex p l u r i u m pactis implicita et unita, pro voluntate o m n i u m habetur, u t singulorum viribus et facultatibus ad pacem et securitatem communem u t i possit. V I I 2 § 13. Gegenüber der starken Betonung seiner Selbständigkeit hat die Herleitung aus W i l l e n u n d K r ä f ten der einzelnen noch nicht so große Bedeutung wie später bei Thomasius, der diese Begriffsbestimmung des Staates (in I I I 6 § 63) übernommen hat. 86 Dabei müssen zum Wohle der Gemeinschaft viele Handlungen vollbracht werden, die dem der einzelnen zuwider zu sein scheinen ( V I I 1 § 4). Dieser Widerspruch ist aber n u r scheinbar, denn letztlich bedingen sich W o h l der Gesamtheit u n d der einzelnen, w e i l die Menschen naturgesetzlich verpflichtet sind, einander zu i h r e m gegenseitigen W o h l beizustehen ( I I 3 § 14), wie j a überhaupt Befolgung des Naturgesetzes u n d Nutzen und V o r t e i l der Menschen miteinander verbunden (Gerechtigkeit u n d Nützlichkeit keine Gegensätze) sind ( I I 3 §18).
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1. T e i l : Geschichtliche E n t w i c k l u n g
allgemeinen Vorschriften des natürlichen Gesetzes87 und die noch besonders zum Wohl des Staates erlassenen Bestimmungen befolgen 88 . Beide Arten von Vorschriften bedingen aber kein verschiedenartiges Strafrecht, das allein auf das Wohl des Staates bezogen ist und Handlungen lediglich unter dem Gesichtspunkt erfassen kann, daß sie ihm widersprechen: Nur dies macht ihren strafrechtlich bedeutsamen Unrechtsgehalt aus. Daher dürfen keine andern als die dem Wohl des Staates nachteiligen Handlungen bestraft werden, jedoch nichts, dessen Bestrafung dem Staat keinen Vorteil bringt ( V I I 9 § 7). Pufendorf s Lehre enthält einen Widerspruch. Einerseits ist der Mensch nur Mensch, wenn er K u l t u r (Recht, Sprache usw.) hat und aus der K u l tur Richtlinien für den Gebrauch seiner Freiheit erhält (Kulturwesen ist); K u l t u r ist aber nur möglich i n einer menschlichen Gemeinschaft 89 , die damit schon ursprünglich, mit dem Menschsein überhaupt und unabhängig vom Willen der einzelnen, die von Anfang an in ihr stehen, gegeben sein muß. I n der Wirklichkeit sind auch immer schon Gemeinschaften vorhanden, weil das Menschengeschlecht ohne sie nicht existieren könnte. A u f der anderen Seite w i r d der Mensch i m Naturzustande als Individuum vor aller K u l t u r betrachtet (vgl. bes. I I 2 § 1), aus dessen Eigentümlichkeit die Grundlage des Rechts und die Entstehung menschlicher Gemeinschaften und insbesondere des Staates abgeleitet werden sollen; der Vertrag w i r d damit die — jedenfalls methodische — Grundlage der Gemeinschaften. Diesen Menschen i m kulturlosen Zustande gibt es aber nicht nur i n Wirklichkeit nicht, er ist auch als Denkmodell nach Pufendorfs eigenen kulturphilosophischen Ansätzen eine Unmöglichkeit, denn der Mensch ist nur als Kulturwesen Mensch. Als solcher soll er sein Leben i n Gemeinschaft m i t andern (der societas) führen. Die Verhaltensregeln hierfür bestimmt die socialitas (vgl. I I 1 § 8), die aber gerade Gemeinschaft und K u l t u r nicht voraussetzt, sondern vom Individuum ausgeht, das sie erst bilden soll. Andererseits ist die socialitas Inbegriff der Möglichkeit menschlicher K u l t u r und Grundlage des Rechts (Naturrecht als Kulturrecht), müßte also den Menschen als ursprüngliches Gemeinschaftswesen zur Bedingung haben. Der Mensch i m kulturlosen Zustand des status naturalis wäre daher eigentlich ohne socialitas (jedenfalls soweit sie mehr als nur eine bloße formale Kategorie sein will) zu denken, als die Fiktion eines wesenlosen abstrakten Individuums, das zwar nicht wirklich vorkommt, aber als Denkvoraussetzung zu wichtigen Folgerungen i n der Rechts- und Staatslehre führt 9 0 . 87
Deren Verletzung dem Staat abträglich ist. V I I 4 § 3 : I g i t u r u t homines et communia legis naturalis praecepta, et quae peculiariter ad bonum civitatis statuuntur, observent, metu poenae opus est, et facultate eandem repraesentandi. 89 Der vereinzelte Mensch, das I n d i v i d u u m i m Naturzustand, k a n n keine K u l t u r haben. 88
I. Bestimmung des Anknüpfungspunktes
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Jener Widerspruch zwischen dem schon stark individualistischen Menschenbild und der sozialen Rechts- und Staatslehre konnte nicht Bestand haben. Bereits Christian Thomasius (1655 - 1728) führte den Pufendorfschen Gedanken der socialitas nicht fort, wodurch die individualistische Auffassung vom Wesen (der „Natur") des Menschen und der Begründung des (Natur-)Rechts stärker hervortreten konnte. Die Entwicklung wurde dadurch begünstigt, daß Pufendorf s socialitas schon gleichsam abstrakt und ohne Bezug auf wirkliche Gemeinschaften gedacht worden war. Der Mensch ist jetzt nicht mehr animal rationale ac sociale 91 , sondern einfach animal rationale: vernünftiges Individuum (I 1 § 35). Zwar bezeichnet ihn Thomasius auch als „sozial", aber nur, weil dies gleichbedeutend mit „rational" sei, denn die Vernunft (ratio) bestehe i m Denken, das sich i n Worten vollziehe, die ihrerseits das Zusammenleben i n derselben Gesellschaft voraussetzen; die (individuelle) Vernunft könne also nur bei Vorhandensein von anderen (Individuen) betätigt werden (I 1 § 38, 4 §§ 52, 54, 55, 63). Die socialitas ist hier ihres materiellen Gehaltes beraubt; sie ist ein von der Vernünftigkeit des Individuums umfaßter, aber nicht diese bestimmender und daher auch nicht mehr der Auffassung vom Menschen als einem wesenhaften Individuum inhaltlich widersprechender Begriff, bezeichnet vielmehr nur den äußeren Rahmen der den Menschen gemeinsamen (jedem der als Vernunftsubjekte einander gleich gedachten Individuen eigenen) Rationalität, m i t deren Hilfe die Individuen i n Kommunikation treten können, ohne daß damit die individualistische Auffassung vom Menschen überwunden worden wäre. Durch den so bestimmten Begriff der ratio erhält auch der des Naturgesetzes (der lex naturalis) als des allen Menschen ins Herz geschriebenen göttlichen Gesetzes92 eine individualistisch-rationalistische Färbung. Thomasius nannte wohl die socialitas eine „gemeinsame Zuneigung" (inclinatio communis), verstand sie aber nur dahin, daß durch sie jeder ein glückliches und ruhiges (friedliches) 93 Leben mit anderen Menschen wünsche (I 4 § 55). Die (individuelle) Glückseligkeit aber ist das höchste Ziel; ihr muß auch (in ihrer Steigerung — Summierung — zur allgemeinen Glückseligkeit) die Rechtsordnung dienen. Das Recht der Natur ist geradezu das Gebot 90 Bei Pufendorf erhielt das Einzeldasein i m Naturzustand noch eine negative Bewertung u n d zeigte die Notwendigkeit des Gemeinschaftslebens nach sozialen Rechtsgrundsätzen u n d des Staates; dies änderte sich, als aus dem vorwiegend methodischen ein weltanschaulicher Individualismus wurde. 91 E. s. S. 75; vgl. auch El. j u r . I I obs. 3 § 6: Neque hominibus rationem dedisset Creator, nisi societati colendae eos destinare voluisset. 92 Das sie verpflichtet, das zu tun, was notwendig der vernünftigen N a t u r des Menschen entspricht, u n d das Gegenteil zu unterlassen; I 2 § 97. Es ist (anders als die lex divina positiva, I 2 § 118) unabänderlich u n d unabdingbar, w e i l auch die Vernünftigkeit des Menschen unveränderlich u n d unabdingbar ist, I 2 § 98. 93 Ohne Frieden seien k e i n Gebrauch der V e r n u n f t u n d daher auch keine Glückseligkeit möglich.
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
der gelassenen ruhigen Vernunft, die nicht von Begierden erregt w i r d (Fund. I 5 § 40). Die socialitas erscheint damit als äußere Bedingung der individuellen Glückseligkeit. I n diesem Sinne ist sie Grundlage des Naturrechts, und das oberste Naturgesetz besagt, daß jeder das tun müsse, was notwendig dem sozialen Leben des Menschen entspreche, und alles unterlassen, was i h m widerstreite (prooem. § 53, I 4 § 64). Die Gemeinschaft, die jetzt die Gesellschaft ist 9 4 , erhält so ihren Sinn und ihre Notwendigkeit aus der (individuellen) Glückseligkeit, weil diese nur durch das Leben i n der Gesellschaft zu erreichen sei: Homo citra societatem non potest esse beatus (14 § 57). A n die Stelle der K u l t u r bei Pufendorf als einer überindividuellen Sinneinheit, in der der Mensch als Mensch je schon immer steht und die letztlich nur i m Staate zu verwirklichen ist, t r i t t bei Thomasius die Glückseligkeit (des Individuums, die als Glückseligkeit aller Individuen zur Gesamtglückseligkeit als dem Zweck des Staates summiert ist). Die societas erscheint auch bei Thomasius als Ort der Rechtsverwirklichung (11 §§ 100, 101), ist aber ein individualistisch-rationales Zweckgebilde 9 5 , „das i m Interesse der Einzelnen von Einzelnen gegründet w i r d " 9 6 , und das natürliche Recht kann nur vom Individuum ausgehen. A n die Stelle der objektiven Gemeinschafts-(Pflichten-)Ordnung t r i t t das subjektive Recht (ius als Anspruch) des einzelnen, das der Person Anspruch auf gerechtes Verhalten der anderen Menschen, m i t denen sie in Gesellschaft lebt, gibt (I 1 §§ 82, 86). Der Begriff des „Rechtes" (ius) ist damit subjektiviert 9 7 . Auch die Person w i r d individualistisch, nicht gemeinschaftsgebunden gedacht: entweder als das einzelne menschliche Individuum (unicum individuum humanum) oder als aus mehreren Individuen zusammengesetzt 98 . Dementsprechend erscheint auch das Naturrecht subjektiviert und individualisiert 9 9 als Inbegriff der angeborenen und unveräußerlichen Rechte (jura connata) des einzelnen. I n diesem Sinne kann man von einem subjektivistisch-individualistischen Naturrecht sprechen. Zum Staat als der „vollkommensten Gesellschaft" 100 führt die Individuen nicht ein innerer Trieb, sondern i n erster Linie die äußere Furcht 94
Societas, die m i t v i t a tranquilla gleichbedeutend sei; I 4 § 56. Die Vereinigung mehrerer Personen zu einem bestimmten Zweck; I 1 § 91. 96 E. Wolf, Rechtsdenker, S. 383. 97 Daneben k o m m t ius noch i n der Bedeutung von lex u n d entsprechend ius naturale von lex naturalis vor. 98 U n d heißt dann Collegium, Societas, Universitas; 1 1 § 87. 99 Das jus naturale (naturae) ist das jus connatura i m Gegensatz zu dem auf positiver Satzung beruhenden jus acquisitum. I 1 §§ 114, 128, 129; Fund. I 5 §11, 6 §17. 100 I I I 1 § 33, 6 §§ 2, 3. Er entsteht durch Gesellschaftsvertrag, Verfassungsbeschluß u n d U n t e r w e r f ungsvertrag, I I I 6 §§ 29 - 31. Die den Gesellschaf tsver05
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vor Übeln, die dem Menschen von Menschen drohen, und i n zweiter Linie die Bedürftigkeit nach den zum Leben notwendigen Gütern ( I I I 6 §§ 11, 12). Diesen Ursachen der Staatsgründung entsprechen die Staatszwecke. Wie das höchste Ziel des einzelnen die (individuelle) Glückseligkeit, so ist der erste Zweck des Staates die „bürgerliche Glückseligkeit" (beatudo civilis), in der die Glückseligkeit der Individuen zur allgemeinen Glückseligkeit (aller, des ganzen Volkes) gesteigert ist, die man nur i m Staat erreichen kann 1 0 1 . Daneben erscheint als dem ersten untergeordneter zweiter Staatszweck das Genügen an allen äußeren Gütern und Dingen 1 0 2 . Der Staat läßt sich deshalb nach Form und Ziel als natürliche Gesellschaft definieren, die die höchste Gewalt um des vollständigen Genügens an allem und der bürgerlichen Glückseligkeit willen innehat 1 0 3 . Er ist auch bei Thomasius trotz der individualistischen Vorstellung vom Menschen und der Begründung des Naturrechts aus dem Individuum i n seinen Zwecken nicht auf den einzelnen, sondern die Gesamtheit (der Individuen) bezogen. Darin liegt kein Widerspruch, denn für die Naturrechtslehre bedingten sich richtig verstandene Gerechtigkeit und Wohlfahrt für die einzelnen und für die Gesamtheit i m Staate wechselseitig; ihre gegenseitige Abhängigkeit hielt sie i n einer gewissen notwendigen Harmonie, so daß die das allgemeine Wohl bezweckenden staatlichen Gesetze i m ganzen zugleich für den einzelnen gerecht sein mußten 1 0 4 . Durch den Unterwerfungsvertrag verpflichten sich die Herrschenden zur Sorge für die allgemeine Sicherheit und Wohlfahrt (cura communis securitatis et salutis) und die übrigen zum Gehorsam gegenüber den zu diesem Zweck erlassenen Anordnungen ( I I I 6 § 31). Der Staat kann die Kräfte und Fähigkeiten aller für den gemeinsamen Frieden und die gemeinsame Sicherheit verwenden ( I I I 6 § 63). Oberstes Gesetz für den Gesetzgeber ist hierbei das Wohl des Volkes ( I I I 6 § 163). Damit sind auch Zweck und materieller Gehalt der staatlichen Gesetze festgelegt und die Verstöße gegen diese einheitlich als Verletzungen der allgemeinen Sicherheit und Wohlfahrt gekennzeichnet, gegen die der trag Schließenden werden bezüglich dieses Aktes als ursprüngliche Einzelwesen (Individuen) angesehen (inter se singuli), die bisher i n natürlicher Freiheit lebten u n d sich erst durch diesen freiwilligen Zusammenschluß gegenseitig zu Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft (Mitbürgern, concives) machen; I I I 6 § 29. 101 Sie besteht i m allgemeinen Frieden u n d der allgemeinen Ruhe (pax et tranquillitas communis), schließt also auch den äußeren Schutz gegen Gewalt ein, I I I 1 § 21, 6 § 4. Durch sie soll zugleich die Privatglückseligkeit gesichert werden. 102 Siehe I I I 1 §§ 17, 21, 33, 41; 6 §§ 4, 7,11,12,14,15. 103 Societas naturalis summum i m p e r i u m continens, omnis sufficientiae et beatudinis civilis gratia: I I I 6 § 6. — Siehe auch Rüping, S. 62. 104 Denn i m Staat ist der öffentliche Nutzen Maßstab für den privaten Nutzen. Wenn auch die Nützlichkeit nicht Quelle des Rechts, so ist doch das Tugendhafte (sittlich Gute, honestum) i m m e r zugleich nützlich. I 2 § 96.
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1. T e i l : Geschichtliche Entwicklung
Staat mit Strafen einschreitet, die Aufgabe des Strafrechts und das Wesen der strafbaren Handlungen sowie der Strafe durch jene Aufgabe des Staates bestimmt: Das Strafrecht dient der Sicherung des öffentlichen Wohls; strafbare Handlungen i m Staate sind ihrem Wesen nach Verstöße gegen das öffentliche Wohl, und die Wohlfahrt des Gemeinwesens bestimmt, gegen welche Taten und i n welchem Maße Strafen zu verhängen sind ( I I I 7 §§ 63, 101, 102, 118). Die allgemeine Besserung der Bürger (nicht des Täters) ist der erste Zweck der Strafe, der weitere Zwecke einschließt (so die Sicherung und auch die Besserung des Täters) 105 . Strafen i m eigentlichen Sinne und damit auch Strafrecht gibt es nur i m Staate; strafbare Handlungen können demnach nur Verstöße gegen staatliche Gesetze sein. Übertretungen natürlicher Gesetze, die nicht zugleich ein staatliches Gesetz verletzen, ziehen nur natürliche oder göttliche Strafen nach sich, die keine eigentlichen Strafen sind, denn dies können nur menschliche (von einem menschlichen Herrscher verhängte) Strafen sein. Das Naturrecht gebietet indessen, daß Strafe verdient, wer sich vergeht (Fund. I 5 §§ 37, 38, I I I 7 § 3). Bei Christian Wolff (1679 - 1754) 106 stellt sich das Naturrecht als das auf das Individuum bezogene M i t t e l zur Vervollkommnung des Menschen, eine auf den einzelnen ausgerichtete „möglichst umfassende Schutzund Nutzordnung" dar 1 0 7 . Oberster Grundsatz des Naturrechts und letzter Zweck sowie Richtmaß aller menschlichen Handlungen ist die (individuelle) Vervollkommnung 108 als das dem Menschen von Natur gesetzte Ziel (§§ 43, 36, 12, 103 ff.). Das Naturrecht zeigt sich dadurch zwar i n Gestalt einer Pflichtenordnung, aber diese ist nur eine Aufgliederung der Pflicht zur Selbstvervollkommnung und dient damit dem (rational aufgefaßten) individuellen Lebensglück. Sittlichkeit und Recht gründen i n der vernünftigen Natur des Menschen (§§ 37 ff.). Die Vernunft ist die individuelle Vernünftigkeit, der Mensch vernünftiges Individuum. Seine Pflichten (die Pflichten des vernünftigen Individuums sind) entspringen auch als solche gegen andere nicht aus einer ursprünglichen Verbundenheit m i t diesen, sondern sind dadurch bedingt, daß das Individuum zu seiner Vervollkommnung der Hilfe anderer Individuen bedarf (§ 44), so daß die Pflicht zur Selbstvervollkommnung (se statumque suum perficere) die weitere nach sich zieht, auch zur Vervollkommnung des andern Individuums möglichst beizutragen, d. h. die „Pflichten des Menschen ge105 Denn der gemeine Nutzen geht dem der einzelnen vor u n d begreift i h n i n sich. I I I 7 §§ 28, 33, 41 - 45, 51. 106 Die nachfolgenden Zitate werden auf seine Institutiones juris naturae et gentium beschränkt, i n denen die hier wesentlichen (schon i n andern Schriften ausgeführten) Grundsätze seiner Lehre zusammengefaßt sind. 107 E. Wolf, Naturrechtslehre, S. 171. 108 Die „Glückseligkeit eines vollkommen vernünftigen Daseins" (E. Wolf, Rechtsdenker, S. 430).
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gen andere m i t den Pflichten gegen sich selbst einerley" isind (§ 133). Aus diesen natürlichen Pflichten entsteht für uns das Recht zu allen Handlungen, die zu ihrer Erfüllung notwendig sind (§§ 43, 46). So entwickelt Chr. Wolff die natürlichen Regeln für das menschliche Zusammenleben, indem er vom Individuum als solchem und der Pflicht und dem Recht zu seiner eigenen Vervollkommnung ausgeht. Damit w i r d auch hier das Naturrecht zu einem System subjektiver individueller Rechte 109 . Die Frage nach Recht und Unrecht einer Handlung beantwortet sich folglich nicht nach einer objektiven, überindividuellen Ordnung, sondern nach der Beziehung der Handlung zu einer individuellen Rechtssphäre: Unrecht ist (nur), was dem (angeborenen oder erworbenen) Recht eines anderen Individuums zuwiderläuft, also die Verletzung von Pflichten des Individuums gegenüber anderen Individuen (§§ 83, 87) 110 . Hier zeigt sich die Beschränkung der Rechtsordnung auf die Individualbeziehungen, die uns auch beim Werden des absoluten Staates entgegentritt und dort zur Folge hatte, daß der Bereich des öffentlichen Lebens nicht mehr eigentlich zur Rechtsordnung gehören, seine Probleme jedenfalls nicht nach rechtlichen Gesichtspunkten gelöst werden sollten 1 1 1 . Chr. Wolff blieb aber bei dieser individualistischen Konzeption nicht stehen. Die (individuelle) Vervollkommnung und Glückseligkeit (§ 118) ist nur durch gemeinsame Anstrengung zu erreichen. Daraus folgt die unabdingbare Notwendigkeit und sittliche Gegründetheit des Staates, der für seine Bürger hinlänglichen Lebensunterhalt, die innere Ruhe des Staates und Sicherheit zu gewährleisten (finem civitatis consistere in vitae sufficientia . . . , tranquillitate . . . et securitate), kurz, für seine Wohlfahrt (salutem civitatis), das ist das gemeine Beste (bonum publicum), zu sorgen hat (§ 972). Die zeitliche Glückseligkeit der Menschen beruht auf einem gut eingerichteten Staat. Der Bürger muß nach dem Gesellschaftsvertrag „das gemeine Beste 1 1 2 nach seinen Kräften und auf die verabredete Weise befördern, und nichts vornehmen, was der Wohlfahrt der Gesellschaft zuwider ist" (§ 837; s. § 975), und nach dem Herrschaf tsvertrag den zur „Beförderung der gemeinen Wohlfahrt" erlassenen Anordnungen des Herrschers unbedingte Folge leisten (§ 980). Oberstes Gesetz i m Staate ist also das öffentliche Wohl, nach dem die Gesetze (das staatliche Recht) 109 Der angeborenen Rechte des Individuums, als welche Wolff das Recht zu dem, was zur E r f ü l l u n g der natürlichen Pflicht erforderlich ist, die natürliche Gleichheit, die Freiheit, das Recht auf Sicherheit, das N o t w e h r - u n d Verteidigungsrecht sowie das Recht zu strafen nennt, aus denen weitere Rechte entsprängen. §§ 74, 95. 110 Selbst Taten gegen die Gesamtheit können n u r dadurch Unrecht sein, daß die Gesellschaft i m Staate als I n d i v i d u u m (eine einzige moralische Person) angesehen w i r d (§§ 1030, 972, 850). Auch der Staat ist nach natürlichem Gesetz ein (freies, i n natürlichem Zustand lebendes) I n d i v i d u u m (§ 977). 111 Dazu näher u. S. 105 ff. 112 Das ist Zufriedenheit, Ruhe u n d Sicherheit.
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
einzurichten sind und über Person und Sachen der Bürger verfügt werden kann (§ 976). Der Inhaber der Herrschaftsgewalt hat das Recht und die Pflicht, nach seinem Ermessen und für die Bürger bindend durch Gesetze alles Notwendige vorzuschreiben, wodurch das gemeine Beste gefördert w i r d 1 1 3 . Dem entspricht als erste Pflicht des einzelnen, zum Besten des Ganzen nach Kräften beizutragen, d. h. das zu tun, was jene Gesetze anordnen. — So hat Chr. Wolff den Staatszweck nicht unmittelbar auf das Individuum, sondern auf die Gesamtheit der Individuen, d. h. die Gesellschaft i m Staate, ausgerichtet. Der Staat sorgt durch Schaffung von Zufriedenheit, Ruhe und Sicherheit i m Staate für Vervollkommnung und Glück der Gesamtheit, wodurch auch Vervollkommnung und Glück des einzelnen ermöglicht werden (wie ja ebenso für Wolff jene nicht ohne diese zu erreichen sind). Soweit es zur Einhaltung der Gesetze erforderlich ist, sollen ihre Übertretungen unter Strafe gestellt und die Strafen auch vollstreckt werden, „da die Verbindlichkeit ihren Nachdruck von der Furcht der Strafen hat" (§§ 1043, 1048). Die strafbaren Handlungen i m Staate sind ihrem materiellen Gehalt und dem Strafgrund nach Verstöße gegen das öffentliche Wohl, besonders die öffentliche Sicherheit, und werden auch als solche bestraft (vgl. §§ 1030, 1049,1070). Zweck der Strafe ist die künftige Sicherung (§ 155). Ausdrücklich rechnet Wolff die „groben Laster oder schändlichen Taten" 1 1 4 , die die spätere Theorie als bloße Polizeidelikte bezeichnete, zu den Taten, die bestraft werden können, wenn sie das öffentliche Wohl beeinträchtigen (§ 1052): Der Unrechtsgehalt ist bei allen Delikten qualitativ gleich. Daher bot die Lehre Chr. Wolffs noch keine Grundlage für eine Unterscheidung i m Sinne der .späteren Polizeistrafrechtstheorie. Hatte i n der bisherigen Entwicklung der Individualismus des Naturrechts i m wesentlichen dazu geführt, den Menschen als ursprüngliches Individuum aufzufassen und aus dieser seiner Natur das Recht abzuleiten, wodurch es subjektiviert und die Rechtsordnung auf den Bereich der individuellen Beziehungen beschränkt 115 , das Individuum also U r sprung und Richtmaß der inhaltlichen Bestimmung (Bezugspunkt) des Rechtes wurde, während Zweck und Aufgabe des Staates das Volk oder die Gesellschaft und deren Wohl blieben, so begann sich der Staatszweck mit dem wachsenden Einfluß der Lehre von den unveräußerlichen ange113 §§ 978, 989, 982; 1073, 1079. § 1042: jus omnia constituendi, quae ad bonum publicum consequendum ipsi facere videntur. — Die natürliche Freiheit ist i m Staat jedoch n u r soweit eingeschränkt, w i e es die allgemeine Wohlfahrt erfordert; §980. (Dieser von Wolff näher ausgeführte Gedanke trat freilich schon früher hervor. Siehe dazu O. v. Gierke , Althusius, S. 112 ff.) 114 Wie Unzucht, Ehebruch, widernatürliche Unzucht, übermäßige V e r schwendung. 115 d. h. von der Stellung des I n d i v i d u u m s als eines Trägers ursprünglicher Rechte aus errichtet zu einem System dieser individuellen Rechte u n d der ihnen entsprechenden Pflichten.
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borenen Rechten ebenfalls auf das Individuum auszurichten. Hierbei hatte John Locke besondere Bedeutung 1 1 6 . I n Deutschland w i r d diese Wendung vor allem bei Kant deutlich, i n dessen Formulierungen die Naturrechtsentwicklung der Aufklärung zu einem Abschluß kam. Wichtig ist hier, daß Kant den Staatszweck auf den Rechtszweck festlegte. Immanuel Kant (1724 - 1804) bestimmte das Recht als „Inbegriff der Bedingungen, unter denen die W i l l k ü r des einen m i t der W i l l k ü r des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann" 1 1 7 . Der Staat „ist die Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen". I n i h m sind die einzelnen verbunden (der Staat also gekennzeichnet) „durch das gemeinsame Interesse aller, i m rechtlichen Zustande zu sein". Dieser herrscht i m bürgerlichen Zustand („einer unter einer distributiven Gerechtigkeit stehenden Gesellschaft", d. h. i m Staate) ; i h m steht als der nicht rechtliche (rechtlose) der natürliche Zustand entgegen, „ i n welchem jeder seinem eigenen Kopfe folgt", weil er das Recht hat, „zu tun, was i h m recht und gut dünkt, und hierin von der Meinung des anderen nicht abzuhängen". Daraus ergibt sich eine allgemeine Unsicherheit, und so hat jeder die Pflicht, den Naturzustand zu verlassen und mit allen andern übereinzukommen, „sich einem öffentlich gesetzlichen äußeren Zwange zu unterwerfen", d. h. i n einen bürgerlichen Zustand zu treten, i n dem jedem das Seine gesetzlich bestimmt und durch hinreichende äußere Macht zugeteilt w i r d 1 1 8 . A u f diese Weise ist als Zweck des Staates (wie überhaupt als höchste Aufgabe der Menschen) der Rechtszweck (Gewährung, Durchsetzung und Sicherung des Rechts) erwiesen. Wohl hielt Kant an dem Satz fest: „Salus reipublicae suprema lex est"; aber als „ H e i l des Staats" faßte er „den Zustand der größten Übereinstimmung der Verfassung mit Rechtsprinzipien" auf 1 1 9 . Er wollte damit die Rechtsordnung zum alleinigen Staatszweck erheben; jedoch war das Recht bereits individualisiert und subjektiviert (auf die subjektive Rechtsstellung des Individuums, seine Berechtigung, verengt) und 118 Locke (1633 - 1704) hat die Lehre von den angeborenen u n d unveräußerlichen Naturrechten v o l l entwickelt. Diese vorstaatlichen Rechte (auf Leben, Freiheit, Eigentum — Locke hat als erster das Eigentum vor die Gesellschaftsbildung verlegt, O. v. Gierke, Althusius, S. 115) werden bei der Staatsbildung zurückbehalten (dem Staat n u r zum Schutz anvertraut, so daß sie für i h n unantastbar sind); die I n d i v i d u e n übertragen auf den Staat n u r Strafgewalt und Rechtspflege, damit er ihre natürlichen Rechte sichere. I h r e m Streben nach Eigentumserwerb sind keine Schranken gesetzt (Liberalismus, Kapitalismus). Zweck des Staates ist der Schutz von Freiheit u n d Eigentum (liberty and property) gegen alle Angriffe (Beschränkung des Staatszweckes auf Sicherheit u n d Rechtsschutz f ü r das Individuum). Vgl. T w o treatises on government, 1690, I I , c.7ff., 11,12 usw. 117 Metaphysik der Sitten, Einleitung i n die Rechtslehre, §§ Β u n d C. 118 Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, §§ 41 - 45. 119 a.a.O., § 49. — Siehe dazu Darmstädter, S. 1.
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
wurde von i h m auch so verstanden. I n diesem Punkte ist Kant über die rational-individualistischen Lehren des Naturrechts nicht hinausgekommen 1 2 0 . Als Zweck des Staates (Rechtszweck) erscheint somit (nur noch) der Schutz der individuellen Rechtssphäre 121 . Diese besteht als solche schon vor dem Staat, der sie nur zu sichern hat: „Denn bürgerliche Verfassung ist allein der rechtliche Zustand, durch welchen jedem das Seine nur gesichert, eigentlich aber nicht ausgemacht und bestimmt w i r d 1 2 2 . " Daraus ergibt sich, daß das — unabhängig vom Staat bestehende, natürliche — Recht die Summe der Rechte ist, die den Individuen schon i m vorstaatlichen Zustand zukommen und ihnen mit dem Eintritt i n den bürgerlichen Zustand gesetzlich gesichert werden, nämlich durch einen „ursprünglichen K o n t r a k t 1 2 3 , nach welchem alle (omnes et singuli) i m Volk ihre äußere Freiheit aufgeben, um sie als Glieder eines gemeinen Wesens, d. i. des Volkes als Staat betrachtet (universi) sofort wieder aufzunehmen", d. h. die angeborene äußere Freiheit der Individuen w i r d zur gesetzlich abhängigen (rechtlich gesicherten) Freiheit 1 2 4 . Diese Grundsätze sind von Fichte und W. υ. Humboldt i n ihren frühen Schriften noch gesteigert worden. Beide haben zwar das Strafrecht nicht wesentlich beeinflußt, aber ihre Äußerungen zeugen von einer Grundansicht über das Wesen des Rechts und die Aufgabe des Staates, die schließlich auch für die Strafrechtslehre Bedeutung erhielt. Obschon nicht mehr zur Aufklärung gehörend, haben sie doch Gedanken der individualistischen Naturrechtslehre fortgeführt 1 2 5 . Johann Gottlieb Fichte (1762 - 1814) hat in seiner „Grundlage des Naturrechts" von 1796 ganz ausgeprägt Recht und Staat allein vom I n d i v i duum her erfassen wollen 1 2 6 . I h r einziger Zweck ist die Verwirklichung 120
Obwohl er sie i n anderer Hinsicht überwand. Dies gilt n u r für den hier behandelten, i n den Gang unserer Überlegungen gehörenden Teilaspekt der Rechtslehre Kants (E. Wolf, Rechtsdenker, S, 545). 121 F ü r Kant i n der Weise, daß jedermanns Freiheit m i t der Freiheit aller andern zusammen bestehen kann. Die übergreifende Idee Kants ist die Ermöglichung sittlicher Freiheit, der die Rechtsordnung dienen soll (Recht als Bereich sittlich gegründeter Freiheit). 122 a.a.O., § 9. 123 A u f den auch Kant den Staat gründet — freilich nicht w i r k l i c h , sondern n u r i n der Idee, „nach der die Rechtmäßigkeit desselben allein gedacht werden k a n n " ; a.a.O., §47. 124 a.a.O., § 47 ; siehe auch A n m . hinter § 49. 125 Dabei ist freilich zu beachten, daß insbesondere bei Humboldt die V o r stellung v o m I n d i v i d u u m nicht mehr aus dem abstrakt-rationalen Gebilde der Aufklärungsphilosophie genährt w i r d , sondern hinter i h r das Persönlichkeitsideal der deutschen Klassik steht. Ferner zeigt sich die selbständige Bedeutung der Nation gegenüber dem Staat an. 126 I n seinen späteren Schriften gab er den individualistischen Ansatzpunkt auf u n d bekannte sich zum Gedanken der Gemeinschaft, die das Wesen des Menschen bestimme.
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des natürlichen Urrechts der Freiheit des Individuums (Sicherung der Rechte desselben); die staatlichen Gesetze sollen nichts anderes als diese Verwirklichung des so verstandenen Naturrechts sein (§ 15). Das Recht erscheint als die „Bedingung der Möglichkeit des Beisammenseins freier Wesen", der Inbegriff dessen, was erforderlich ist, „daß jemand überhaupt frei, oder Person sei" (§ 8). Da dieses Recht i m bloßen Begriff der Person als solcher liegt, heißt es Urrecht (§ 8). Der Staat entsteht durch freiwilligen Vertragsschluß jedes einzelnen mit allen „als Einzelnen und für sich bestehenden Wesen" (§ 17 B), die sich schließlich i m Vereinigungsvertrag zu einem Ganzen vereinigen (§ 17 Β IV). Sein Zweck ist die gegenseitige Sicherheit, d. h. die Sicherheit der Rechte aller Individuen (§ 16). Er soll sich jeder Wohlfahrtspflege enthalten und nur das Recht verwirklichen, dem aber lediglich die Aufgabe zukommt, das Nebeneinanderbestehen der Individuen zu sichern. Wilhelm v. Humboldt (1767 - 1835) formulierte diese Forderung i n seinen „Ideen zu einem Versuche, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen", m i t besonderer Schärfe. Der Staat erscheint hier mit letzter Folgerichtigkeit zu „einem bloßen M i t t e l für die Zwecke des Individuums" herabgesetzt 127 . Ausgehend „von dem einzelnen Menschen und seinen höchsten Endzwecken" (Kap. 1), sieht Humboldt den „eigentlichen Gegenstand der Wirksamkeit des Staates" i n der Sicherheit („Gewißheit der gesetzmäßigen Freiheit") der Individuen (Bürger), d. h. in der von fremden Eingriffen ungestörten Ausübung der ihnen zustehenden Rechte. Die Rechte der Individuen werden als vom Staat unabhängig bestehend (den Individuen als solchen — für sich oder gegen andere — zukommend) gedacht; der Staat hat sie nur zu schützen. Diesem Zwecke gegenüber ist die „Staatsvereinigung . . . bloß ein untergeordnetes M i t tel", womit jede Eigenbedeutung der Gemeinschaft i m Staate oder des Staates selbst geleugnet wird. Der Staat darf sich lediglich „auf Handlungen, welche unmittelbar und geradezu i n fremdes Recht eingreifen, ausbreiten, nur das streitige Recht entscheiden, das verletzte wieder herstellen und die Verletzer bestrafen", aber vor allem „nicht für das Wohl der Bürger sorgen" (Kap. IX). Dementsprechend ist auch die Polizei auf die Verhütung der Schädigung individueller Rechte beschränkt 128 . Nach Fichte hat der Staat auf Grund seiner Schutzpflicht naturrechtlich das Recht und die Pflicht, Polizeigesetze zu erlassen. Aber diese „unterscheiden sich von den eigentlichen Zivilgesetzen dadurch, daß die letzteren die wirkliche Verletzung verbieten, die ersteren aber darauf ausgehen, der Möglichkeit einer 127
O. v. Gierke , Althusius, S. 118. Siehe auch Schaffstein,
Grenzen, S. 121,125,
127. 128 Während Kant i h r noch allgemein die Sorge für die „öffentliche Sicherheit, Gemächlichkeit u n d Anständigkeit" zuwies. Metaphysik, Rechtslehre, Β nach § 49.
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. Teil: Geschichtliche Entwicklung
Verletzung vorzubeugen. Das Zivilgesetz verbietet Handlungen, welche an und für sich die Rechte anderer beeinträchtigen, Diebstahl, Raub, Angriff auf Leib und Leben und dergleichen und solche Verbote findet denn wohl jeder gerecht. Das Polizeigesetz verbietet Handlungen, welche an und für sich keinem Menschen schaden, und völlig gleichgültig scheinen; die aber die Verletzung anderer leichter machen, und die Beschützung derselben durch den Staat, oder die Entdeckung der Schuldigen, erschweren . . . Wer die Polizeigesetze übertritt, . . . ist . . . strafbar" (§ 21). Hier zeigt sich, wie vom Boden der individualistischen Naturrechtslehre aus zwischen den schon naturrechtlich und den erst durch staatliches Gesetz verbotenen Handlungen unterschieden und damit der Ausgangspunkt für die Polizeistrafrechtstheorie gewonnen werden kann. A m Beispiel W. v. Humboldts erw Teist sich indessen, daß auch bei ganz extremer Ausrichtung des Staates auf den Schutz des Individuums die Möglichkeit eines grundlegenden materiellen Unterschiedes zwischen k r i minellem und bloß polizeiwidrigem Unrecht wieder schwindet. Nach W. v. Humboldt verbietet das Naturrecht nur die Handlungen, „bei welchen der eine mit seiner Schuld i n den Kreis des andern eingreift, folglich, wo der Schade entweder aus einem eigentlichen Versehen entsteht, oder, wo derselbe immer oder doch i n einem solchen Grade der Wahrscheinlichkeit m i t der Handlung verbunden ist, daß der Handelnde ihn entweder einsieht oder wenigstens nicht, ohne daß es i h m zugerechnet werden müßte, übersehen kann". Gemeint sind immer nur die das Recht (Eigentum, persönliche Freiheit) eines anderen verletzenden, nicht die bloß irgendwie nachteiligen Handlungen. Daneben darf der Staat auch fremden Rechten „an sich unschädliche Handlungen" wegen der ihnen innewohnenden Schadensgefahr verbieten, nämlich alle sich nicht unmittelbar auf andere (sondern allein auf den Handelnden) beziehenden Handlungen, „deren Folgen die Rechte andrer kränken, die ohne oder gegen die Einwilligung derselben ihre Freiheit oder ihren Besitz schmälern oder von denen dies wahrscheinlich zu besorgen i s t " 1 2 9 ; aber er darf niemandem gebieten, „zum Besten des andern irgend etwas gegen seinen Willen zu tun", d. h. keine „positiven Pflichten" begründen. (Kap. 10) Bestrafen kann der Staat nur Handlungen, die seinem Endzweck, der Sicherheit der Individuen, zuwiderlaufen, also unmittelbar fremde Rechte verletzen oder nach den erwähnten Grundsätzen der Polizei verboten sind 1 3 0 , d. h. Handlungen, denen „die Nicht-Achtung des fremden Rechts" 129 Nicht aber solche, die lediglich leicht zu Verbrechen führen, Verbrechen bloß ermöglichen oder erleichtern. Eine derartige Verbrechensvorbeugung liege „gänzlich außerhalb der Wirksamkeit des Staates". Kap. 13. — Humboldt wollte die Polizei i n dieser Weise beschränken, w a r sich aber darüber klar, daß i m Sprachgebrauch der Zeit auch jene Gesetze, „welche nicht die Sicherheit, sondern das W o h l der Bürger zum Z w e k k haben", Polizeigesetze genannt wurden. Kap. 10. — Siehe zum Ganzen Darmstädter, S. 17,19. 130 Also jede Handlung, „welche die Rechte der Bürger kränkt, u n d insofern er selbst allein aus diesem Gesichtspunkt Gesetze anordnet, jede, wodurch
I. Bestimmung des Anknüpfungspunktes
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innewohnt. Innerhalb dieses Rahmens w i r d kein grundlegender Unterschied zwischen den eigentlichen Verletzungsdelikten und den für fremde Rechte gefährlichen Handlungen gemacht: Der gemeinsame Unrechtsgehalt und alleinige Strafgrund liegt i n der „Nicht-Achtung des fremden Rechts"; das Unrecht ist quantitativ abgestuft. (Kap. 13) M i t der Begründung des Rechts aus der Natur des Menschen als I n dividuums und der Annahme desselben mit seiner unabhängig vom Staat bestehenden Rechtssphäre als unmittelbaren Zweckes sowohl der Rechtsordnung als auch des Staates und damit als Richtmaßes für Recht und Unrecht war die Voraussetzung erreicht, unter der die Naturrechtslehre ihre Unterscheidung der schon von Natur aus und der erst durch staatliches Gesetz rechtswidrigen Handlungen als einen scharfen und unversöhnlich scheinenden Gegensatz i n die Strafrechtslehre hineintragen und ein bloß polizeiwidriges als erst vom Staat geschaffenes Unrecht theoretisch eindeutig vom übrigen strafbaren Unrecht abgespalten und i h m als materiell andersartig entgegengestellt werden konnte. Die damit möglichen Folgerungen für das Strafrecht zog als erster mit nachhaltiger Wirkung konsequent und klar Feuerbach, der hier den Ergebnissen der Naturrechtslehre der Aufklärung folgte, mag er diese Lehre auch sonst bekämpft haben. Das Naturrecht als das vom Staat unabhängige Recht war bestimmt durch die individuellen Rechte, die dem einzelnen ungeachtet jeder Staatsgewalt zukamen und die der Staat nur zu schützen hatte. Als naturrechtswidrige (dem Staatszweck unmittelbar zuwiderlaufende) Handlungen erschienen alle (unbefugten) Eingriffe i n diese ursprüngliche Rechtssphäre eines Individuums. Ihnen standen die Gesetzesverstöße gegenüber, die sich nur gegen die gesetzlichen Einschränkungen der individuellen Rechts- und Freiheitssphäre richteten, die der Staat erlaubterweise aus den durch das Nebeneinanderleben der I n d i v i duen i m Staat bedingten Notwendigkeiten zur Erreichung seines Zwekkes, der Sicherung der individuellen Rechte (hier also der Verhütung von Rechtsverletzungen), vornehmen durfte: Es waren Handlungen, die an sich die eigene Individualsphäre (den unabhängig vom Staat gegebenen Rechtsbereich) nicht überschritten, d. h. als solche nicht die dem andern Individuum schuldige Achtung verletzten und insofern nicht eigentlich eine Verfehlung rechten Menschseins darstellten, sondern erst vom Staat unter Einschränkung des Bereichs des natürlicherweise Erlaubten wegen einer nur möglichen Beeinträchtigung fremder Rechte w i l l k ü r l i c h verboten waren (uneigentliches, vom Staat gemachtes Unrecht). Damit mußte eine tiefgreifende Wesensverschiedenheit des Unrechts beider Arten strafbarer Handlungen i n Erscheinung treten. Auch Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775 - 1833) ging von den vorstaatlichen Rechten des Menschen als Individuum aus, deren gesichereines seiner Gesetze übertreten wird", aber nicht ζ. B. die fleischlichen Verbrechen, auch wenn sie Ärgernis geben, mit Ausnahme der Notzucht. 3 Mattes
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
ter Bestand der „rechtliche Zustand" („der Schutz der wechselseitigen Freyheit A l l e r " ) 1 3 1 als Zweck des Staates sei und die der Staat durch das Strafrecht zu schützen habe. A u f seinen Zweck darf der Staat auch m i t telbar hinwirken und „an sich nicht rechtswidrige Handlungen" verbieten, „die den Unterthanen ursprünglich rechtlich möglich waren" (d. h. sich innerhalb der natürlichen Sphäre rechtlicher Freiheit des Individuums halten und nur die vom Staat — erlaubterweise — eingeschränkte Freiheitssphäre überschreiten). So gibt es einerseits Verbrechen i m engeren Sinne (crimina), die „die ursprünglichen Rechte" (des Bürgers oder des Staates als Individuum) verletzen, und andererseits Vergehen (Polizeiverbrechen, Polizeiübertretungen, delicta), die nicht schon „ursprünglich und durch sich selbst rechtswidrig" sind, sondern „nur das Recht des Staats, für ein bestimmtes gegebenesPolizeygesetz Gehorsam zu fodern", verletzen 1 3 2 . Die Vergehen haben eigentlich nichts mit dem Gerechtigkeitsgedanken zu tun, da sie nicht unmittelbar die Beziehungen von I n dividuum zu Individuum betreffen, vielmehr i n den öffentlichen Bereich gehören, den der Staat (zum Schutze und unter möglichster Wahrung der Individualsphären) rein nach Zweckmäßigkeitserwägungen, die abseits vom Gerechtigkeitsgedanken stehen, zu regeln hat 1 3 3 . Freilich war Feuerbach nicht der erste, der das Polizeidelikt rational zu erfassen suchte. Solche Bemühungen setzten i m Zuge des Rationalismus schon einige Jahrzehnte vor Feuerbach ein, sobald man die Polizei auf die Gefahrenabwehr beschränken oder doch darin ihr wesentliches Merkmal sehen wollte und so ihren Begriff schärfer herausarbeiten konnte. Jedoch fehlte noch die Grundlage für die Annahme jenes durchgreifenden Wesensunterschiedes der Deliktsarten. Dies sei am Beispiel von Carl Gottlieb Svare,z (1746 - 1798) kurz aufgezeigt. Svarez hat Zweck und Aufgabe der Polizei hauptsächlich durch die Gefahrenabwehr (Vorsorge für die Sicherheit des Staates und seiner Bürger) bestimmt — allerdings keineswegs darauf beschränkt 134 . Die 131 „d. h. das Zusammenbestehen der Menschen nach dem Gesetze des Rechts", das n u r die individuellen Rechts- u n d Freiheitssphären zu sichern hat: die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung als der Gesamtheit der i n d i v i duellen Rechte. 132 Siehe Lehrbuch, 1. Aufl., §§ 1, 9, 10, 27; 4. Aufl., §§ 8, 9, 22; K r i t i k , I, S. 34. 133 Siehe Leben u n d Wirken, I I , S. 350 ff. 134 Einerseits w i r d schon die Vorsorge f ü r die Sicherheit weiter gefaßt als die bloße Gefahrenabwehr, andererseits auch die Förderung der Wohlfahrt i n gewissen Grenzen zu den Gegenständen der Polizei gerechnet. Polizeigesetze betreffen „Anstalten . . . , wodurch der innere Wohlstand des Staats und seiner Bürger befördert oder den Hindernissen u n d Störungen dieses Wohlstands v o r gebeugt werden soll"; sie schreiben vor, „ w i e jeder seine an sich erlaubten Handlungen einrichten u n d seine Rechte dergestalt ausüben solle, damit weder der Staat noch seine M i t b ü r g e r dadurch i n Schaden gesetzt oder i n der Beförder u n g ihres Wohlstands gehindert werden". S. 14, 230 f. Vgl. auch bes. S. 36 ff., 134, 485 ff.
I. Bestimmung des Anknüpfungspunktes
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Übertretung eines Polizeigesetzes verletzt „noch nicht die Sicherheit des Staats und seiner Bürger" (wie das Kriminaldelikt), sondern „setzt dieselbe nur erst noch einer bevorstehenden Gefahr aus, die immer noch abgewendet werden kann" (S. 41). Damit soll zwar das Polizeivergehen gegenüber dem Kriminalverbrechen begrifflich erfaßt, jedoch kein Wesensunterschied i m materiellen Unrecht herausgearbeitet werden, was nur i m Hinblick auf den Staatszweck geschehen könnte. Dieser aber besteht i n der Erhaltung und Beförderung der gemeinschaftlichen Ruhe, Sicherheit und Glückseligkeit, dem gemeinschaftlichen Wohl i n der bürgerlichen Gesellschaft 135 . Die Menschen werden durch die Übel und Gefahren des für sie untragbaren Naturzustandes veranlaßt, sich zu bürgerlichen Gesellschaften zusammenzuschließen und sich einer Obergewalt zu unterwerfen, wodurch der Staat entsteht, i n dem allein die Zweckbestimmung des menschlichen Daseins (die Glückseligkeit) zu erreichen ist. Innerhalb gewisser Grenzen hat der Staat seine Gesetze nach dem Grundsatz möglichster Zweckmäßigkeit i n der Verfolgung seines Zieles einzurichten, und die Bürger haben ihnen um dieses Zieles willen unbedingten Gehorsam zu leisten (S. 586 f.). Von hier aus liegt der die Strafbarkeit (die staatliche Strafdrohung und Bestrafung) tragende materielle Unrechtsgehalt bei Kriminalverbrechen und Polizeivergehen gleichermaßen i n der Unvereinbarkeit der Tat mit der Sicherheit und Wohlfahrt der Gesamtheit und der einzelnen als Zweck des Staates, und die Definition der K r i m i n a l verbrechen als Handlungen, „wodurch die öffentliche Ruhe und Ordnung oder die Sicherheit der Untertanen bei dem Ihrigen gestört werden w ü r d e " 1 3 6 , ließe sich entsprechend auf die Polizeivergehen anwenden. So sind beide letztlich nur i m Maße des Unrechtsgehaltes verschieden, was sich i n der regelmäßig geringeren Bestrafung der Polizeivergehen (S. 41 f.) ausdrückt 1 3 7 . 135
S. 64, 232, 464 ff., 586. Vgl. auch A L R Einleitung § 73; § 2 I I 13, §§ 1 - 3 I I 17. S. 230; vgl. S. 20, 23, 375. 137 Svarez ging es auch nicht darum, einen materiellen Unterschied der Deliktsarten aufzufinden, sondern neben der rationalen Erfassung des Polizeidelikts u n d der Schlichtung der Kompetenzstreitigkeiten zwischen Justiz u n d V e r w a l t u n g (ist durch ein Verbrechen zugleich ein zu dessen Verhütung erlassenes Polizeigesetz übertreten worden, so soll n u r wegen des Verbrechens bestraft werden u n d die dafür zuständige Stelle allein die Strafen verhängen; vgl. S. 42) u m die v i e l wichtigere Frage, welche Handlungen der Staat bei Strafe verbieten oder gebieten dürfe: Dies waren einmal die bereits nach Naturrecht verbotenen, w e i l unmittelbar fremde Rechte verletzenden u n d schon darum dem Staatszweck widersprechenden Handlungen, sodann aber auch solche, die dem Staatszweck deshalb zuwiderlaufen, w e i l sie der Sicherheit oder W o h l fahrt der Allgemeinheit, Teilen derselben oder des Staates oder den Rechten einzelner gefährlich sind (bzw. sein können). Beide stellen aber einheitlich Verletzungen von staatlichen Gesetzen dar, die zur Erreichung des Staatszwecks bestimmte Handlungen verbieten oder gebieten: D a r i n liegt i h r materieller Gehalt als strafbarer Handlungen im Staate; insofern sind sie qualitativ gleich, n u r quantitativ verschieden. 136
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
Denn solange für die Auffassung über den Staat und damit das Strafrecht die noch bei Chr. Wolff und Svarez trotz aller Abweichungen von den Früheren bestimmend wirkende Ansicht maßgebend war, daß eigentliches Menschsein nur i m Staat und m i t positiver Hilfe desselben (in staatlich geordneter Gemeinschaft und gegenseitiger Hilfe der i m Staat zusammengeschlossenen Individuen) möglich sei, wodurch der Staat (auch i n dem von i h m gesetzten Recht) eine eigene Weihe erhielt und keine bloße Schutzanstalt für das Individuum bildete, konnte die Unterscheidung der schon an sich naturrechtswidrigen und der erst infolge der Verhältnisse i m Staat durch diesen verbotenen Handlungen i m Rahmen des Straf rechts (das ja staatliche Gewalt stets voraussetzte) lediglich den Wert einer theoretischen Klassifizierung und Systematisierung haben 1 3 8 und mußte einer durchgreifenden sachlichen Bedeutung entbehren 139 . Unter diesem Gesichtspunkt konnte es innerhalb des staatlichen Strafrechts, dessen Sinn und Inhalt immer von den Staatszwecken bestimmt wird, keinen absoluten Vorrang oder grundsätzlichen materiellen Unterschied der Verstöße gegen das natürliche Recht i m Sinne der Rechte des Individuums i m (von den Menschen zu überwindenden) vorstaatlichen Naturzustand gegenüber den Handlungen geben, die zwar nicht schon an sich selbst (für sich allein betrachtet) naturrechtswidrig waren, aber doch den Gesetzen widersprachen, die — vom Staat i m Rahmen der ihm auch nach dem Naturrecht zukommenden Befugnisse und gestellten Aufgaben erlassen — erst ein eigentlich menschliches Leben (im Staat) und die Erreichung seines Zieles ermöglichen und gewährleisten sollten und deren Befolgung somit zugleich einer naturrechtlich gebotenen Pflicht entsprach, nämlich der des Individuums, sich mit seinesgleichen zu staatlich geordneten Gemeinschaften (Gesellschaften) zusammenzuschließen und das zur Erhaltung und Förderung dieser festen Vereinigung (friedlichen Gemeinschaft, bürgerlichen Gesellschaft) und des ungestörten Zusammenlebens i n ihr (zur gegenseitigen Sicherheit und Wohlfahrt aller) Erforderliche zu tun. Alle Pflichten, die ein solcher Staat unter Strafandrohung seinen Bürgern zur Erfüllung seines Zweckes auferlegen darf, mögen sie schon i m (vorstaatlichen) Naturrecht des Individuums begründet sein oder nicht, müssen grundsätzlich i m Hinblick auf den für das Strafrecht maßgebenden Staatszweck gleichartige Bedeutung und können nur verschieden großes Gewicht haben. Diese Auffassung bildete noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts den festen Grund der herrschenden Strafrechtslehre, die Malblank 1783 bei seinen Erörterungen über die Gestaltung eines künftigen Kriminalgesetzbuches zum vorliegenden Problem in 138 Reinen Klassifizierungszweck hat ζ. B. auch die Einteilung bei Regnerus Engelhard, Versuch eines allgemeinen peinlichen Rechtes, 1756, §§ 62 ff., der seine Strafrechtslehre auf dem Boden der Wolf/sehen Philosophie entwickelte (siehe R. Frank, Die Wolff'sche Strafrechtsphilosophie, 1887, S. 13 ff.). 139 Beide Deliktsarten w u r d e n daher gleich behandelt, wie noch Feuerbach m i t Bedauern vermerkte (Lehrbuch, 4. Aufl., § 22, A n m . b).
I. Bestimmung des Anknüpfungspunktes
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klarer Erkenntnis desselben wie folgt beschrieb, nachdem er dem „rohen Stand der Natur" die „bürgerliche Gesellschaft" gegenübergestellt hatte: „Wenn . . . Verbrechen i m Staat begangen werden, so ist ihre Größe allein nach dem schädlichen Einfluß, den sie i n das Wohl des Staats haben, zu beurtheilen, und nach diesem Maasstab ihre Rangordnung zu bestimmen. (Die Moralität versteht sich, m i t eingerechnet) . . . Demnach kommen zuerst die eigentlichen Staats-Verbrechen oder Hochverrath ... Hierauf folgen die Verletzungen des Leb ens, der Gesundheit, der Freyhext, des Vermögens und der Ehre einzelner Bürger . . . Endlich folgen diejenigen Verbrechen, die eigentlich erst i m Staat entsprungen, die nemlich wider die guten Sitten und die übrige Ordnung der bürgerlichen Societät anstossen, und dadurch das gemeine Wohl auf eine entferntere A r t verletzen. Darunter gehören auch Religionsverbrechen, weil sie nur nach ihrem Einflus i n den Staat beurtheilt werden müssen . . . 1 4 0 . " Je mehr indes der Gedanke, daß das Strafrecht die allgemeine Sicherheit, Wohlfahrt und Ordnung zu garantieren habe, hinter jenen andern zurücktrat, der Staat solle i m wesentlichen das Individuum i n seiner bereits vorstaatlich gegebenen (vom Staat nur i n Erscheinungsweise und Grenzen näher bestimmbaren, sonst von jeder staatlichen Maßnahme unabhängigen) Rechtssphäre schützen und seine Freiheitssphäre, i n der es sich entfalten kann, gewährleisten, um so mehr w i r d bei der individualistischen Begründung des Rechts infolge der Bestimmung des materiellen Unrechtgehalts i m Strafrecht aus der Beziehung der Tat zur Individualrechtssphäre 141 der Unterschied von Kriminalstrafrecht und Polizeistrafrecht zu einem materialen Wesensunterschied 142 . Gegen Ende des 18. Jahrhunderts hat ζ. B. v. Globig dem Strafrecht wesentlich die Aufgabe zugewiesen, die natürlichen Rechte des Individuums zu sichern. Die Vorstellung, daß m i t dem Eintritt i n die bürgerliche Gesellschaft der „rohe Stand der Natur" überwunden worden sei, verblaßte; statt dessen erschien für das Wesen des Straf rechts wichtig, daß sich jedes Individuum bei Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft und Abschluß des Unterwerfungsvertrages „die vollkommene Sicherheit seiner Person und seines Vermögens" versprechen ließ, die Gewährleistung dieser vorstaatlichen, vom Staat nur zu garantierenden natürlichen individuellen Rechte m i t h i n der übrigen bürgerlichen Verfassung vorausging und ihr 140
S. 265, 266 f. Als A n g r i f f auf die individuellen Rechte (Güter), nicht mehr als Schädigung oder Gefährdung der Sicherheit oder Wohlfahrt „ i m gemeinen Wesen" (der Gesellschaft, des „gemeinsamen Staatsbandes"). Was keinen solchen A n griff enthält, ist nicht eigentlich unrecht. 142 Die vorstaatliche Stellung des Menschen — die staatsfreie Sphäre des einzelnen — k a n n dabei die besondere Weihe erhalten, daß sich i n i h r das eigentliche Menschsein vollziehe, frei von staatlicher E i n w i r k u n g , n u r m i t der negativen Hilfe des Staates, der möglichsten Sicherung der Individualsphäre vor jeglicher Beeinträchtigung. 141
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1. Teil: Geschichtliche E n t w i c k l u n g
Schutz der Zweck der bürgerlichen Vereinigung ist. Als Verbrechen i m engeren Sinne faßt demnach das peinliche Recht nur „alle diejenigen Beleidigungen zusammen, welche die Sicherheit der Personen und Güter unmittelbar angreiffen"; es mußte i n seinen Grundsätzen selbstverständlich alle „zufälligen Verschiedenheiten des Menschen i m Stande der bürgerlichen Gesellschaft — Sitten, Gebräuche, Regierungsform —", die zufälligen politischen Verhältnisse des Menschen i m Staate als bloße Hilfsmittel, jenen eigentlichen Zweck zu erreichen, außer Betracht lassen, erhielt es doch seine besondere Würde dadurch, daß es aus den „unveränderlichen Verhältnißen des Menschen, die schon i m Stande der Natur heilig waren", hervorging, also die „unveränderlichen natürlichen Rechte des Menschen" zum Gegenstand hatte, die überall gleich und deren Verletzungen folglich bei jedem Volke gleichermaßen Verbrechen waren 1 4 3 . Polizeivergehen jedoch betrafen nur die zufälligen Gegebenheiten i m Staate; sie verstießen gegen „die M i t t e l zur Erhaltung des öffentlichen Wohlstandes, und die damit verknüpften willkührlichen Verhältniße" 1 4 4 . — Die veränderten Grundlagen für das Problem des Polizeistrafrechts hat ν . Globig hiermit aufgezeigt. Trotzdem kam er nicht zur vollen Trennung von Verbrechen und Polizeivergehen, w e i l er ihre Unterschiede hinter dem ihnen gemeinsamen materiellen Unrechtsgehalt, dem Schaden für die ganze Nation, zurücktreten ließ 1 4 5 . Bei Feuerbach w i r d schließlich der Umschwung mit seinen möglichen Folgen für das Straf recht deutlich. Freilich ist hier jener erste Gedanke nicht gänzlich verloren, sondern nur zurückgedrängt. Der Liberalismus des 19. Jahrhunderts erhob den Schutz des Individuums zum Zweck des Staates und seiner Rechtsordnung. I n i h m wirkte der Individualismus der naturrechtlichen Staats- und Rechtslehre m i t dem Gedanken der staatsfreien Sphäre des Individuums über die ganze Zeit des Naturrechts hinaus. Daß sich trotzdem die Lehre vom bloß polizeiwidrigen Unrecht i m 19. Jahrhundert nicht durchsetzen konnte, lag einmal am Verlust des naturrechtlichen Ausgangspunktes, sodann aber und wesentlich an der vom Liberalismus nachdrücklich erhobenen Forderung, daß Strafen nur von einem Richter verhängt werden dürften, ferner an der ausschließlichen Unrechtsbegründung aus der Rechtsgutsbeziehung. Bevor die Theorie des Polizeistrafrechts mit der nachfolgenden des Verwaltungsstrafrechts und schließlich der Ordnungswidrigkeiten von 145 Zugaben, S. 14, 19 ff., 289, 293 f. Die Kriminalgesetze müßten somit zu allen Zeiten u n d bei allen Nationen dieselben sein. Hier liegt deutlich die V o r stellung v o m Menschen als abstraktem, qualitätslosen I n d i v i d u u m zugrunde, die j a i n den Kodifikationen des späten Naturrechts weitgehend überwunden worden war. 144 a.a.O., S. 21. 145 a.a.O., S. 45.
I I . Rechtserscheinungen des Mittelalters
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dem aufgedeckten historischen Ansatzpunkt aus weiterverfolgt wird, erscheint es angebracht, Entstehung und Entwicklung des geschichtlich gewordenen polizeilichen Strafrechts zu untersuchen, u m zu klären, worauf die jeweilige positive Gestaltung i n diesem Rechtsbereich zurückzuführen ist, vor allem, ob sich i n ihr die behauptete materielle Eigenart des sogenannten Polizeidelikts auswirkt. Es w i r d sich zeigen, daß diese Eigenart i n der Strafgesetzgebung nie anerkannt gewesen ist. Erst das Wirtschaftsstrafgesetz von 1949 folgte der Lehre vom Verwaltungsstrafrecht bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht. — I n die nachfolgende Darstellung sind auch einige Rechtserscheinungen des Mittelalters sowie die Reichspolizeiordnungen einbezogen worden, i n denen man den Gedanken vom nur verwaltungswidrigen Unrecht verwirklicht sehen wollte. Es kann aber hier ebenso wie i m Polizeistrafrecht des absoluten Staates ein Verwaltungsstraf recht i m Sinne der Theorie gar nicht gegeben haben.
I I . Rechtserscheinungen des Mittelalters unter dem Gesichtspunkt des Verwaltungsstraf rechts 1. Die Banngewalt der fränkischen Könige
Goldschmidt hatte behauptet, schon i n der Banngewalt der fränkischen Könige sei erstmals i n der deutschen Rechtsgeschichte ein Verwaltungsstrafrecht i n Erscheinung getreten 1 . „Den Bann handhabte der König i n seiner Eigenschaft als höchstes Verwaltungsorgan kraft seiner Amtsgewalt zu Zwecken der Verwaltung." Die Bannbefehle („vom König i m Interesse der Verwaltung erlassene Befehle") seien wie ihre Übertretung Institute der Verwaltung und diese Verstöße keine rechts-, sondern „verwaltungs-(polizei-)widrige" Handlungen gewesen, die nicht ein rechtlich geschütztes, sondern ein „durch die Verwaltung geäußertes Interesse" verletzt hätten. A u f Grund der Banngewalt seien Taten nicht verboten worden, weil sie „ f ü r die Rechtsverfassung bzw. rechtlich organisierte Gemeinschaft wertvolle und deshalb durch Strafandrohung geschützte Interessen verletzten, sondern weil sie die Herbeiführung eines Zustandes hinderten, der die unentbehrliche Voraussetzung jeder Weiterentwicklung bildete und daher als erstes und grundlegendes Fürsorgeobjekt der Verwaltung erscheint: die gute Ordnung des Gemeinwesens". — M i t dieser Begründung ist schließlich alles Strafrecht Verwaltungsstrafrecht. Goldschmidt trug hier Vorstellungen i n geschichtliche Erscheinungen hinein, die deren Epoche völlig fremd waren. I m germanischen Strafrecht hatte jede strafbare Handlung den Charakter einer Störung der rechtlichen Friedensordnung — nur dadurch konnte sie überhaupt strafbar sein. Eine andere Ordnung i m „Gemeinwesen" als die rechtliche aber gab 1
Verwaltungsstraf recht, S. 1 ff.
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
es nicht. Jene aus der Epoche des liberalen Polizeistaates stammende Unterscheidung von Rechtsordnung und „guter Ordnung" als Fürsorgeobjekt der Verwaltung ist für das germanische Recht verfehlt; hier ist jede Ordnung nur als Rechtsordnung denkbar. Goldschmidt hat die Rechtsordnung auf die subjektiven Rechtssphären individueller Rechtsträger mit der Folge eingeschränkt, daß die „Ordnung des Gemeinwesens" bereits eine außerrechtliche Angelegenheit war. Schließlich ist der fränkische König auch kein „Verwaltungsorgan" (wessen?) gewesen. Man pflegt zwar Verordnungsbann, Verwaltungsbann usw. zu unterscheiden; aber hierbei dienen nur moderne Begriffe zur Beschreibung des Umfangs des m i t „Bann" bezeichneten Hoheitsrechts des Königs. Der Bann bildete nicht die Quelle des fränkischen Verwaltungsstrafrechts, wie Goldschmidt 2 i m Anschluß an Rotering 3 meint, sondern ist überhaupt Rechtsquelle, wie der König kraft seiner Banngewalt nicht Befehle „ i m Interesse der Verwaltung" (Verwaltungsanordnungen) erläßt, sondern Recht setzt oder spricht. Der fränkische König war gewissermaßen der Rechtsnachfolger des Volkes geworden, das in vorfränkischer Zeit i n der Volksversammlung die höchsten staatlichen Rechte ausgeübt hatte, die nun i n der Hand des Königs lagen. Sein wichtigstes Recht war das (umfassende) Bannrecht, heute als „letzte Ausstrahlung der magisch-isakralen K r a f t des Königtums" bezeichnet 4 , mit dem er die Regierung führte, Recht setzte, die Gerichtshoheit ausübte usw. Durch diesen Königsbann entstand neues Recht, nämlich Königsrecht, das neben das alte Volksrecht trat, es ergänzte und fortbildete. Der König gestaltete insoweit hier als Wahrer und Schützer des Rechts gleichsam die Rechtsordnung neu, so daß die rechtliche Friedensordnung nunmehr von i h m ausging 5 . Kraft seines Bannrechts konnte er Friedegebote erlassen, Personen und Sachen unter seinen erhöhten Friedensschutz stellen 6 und überhaupt die zur Ausgestaltung der rechtlichen Friedensordnung und zu ihrer Sicherung erforderlichen rechtlichen Gebote und Verbote treffen, kurz, das Recht um- und fortbilden 7 . So ist das durch die königliche Banngewalt geschaffene Strafrecht kein Ver2 3 4 5
82.
a.a.O., S. 1. S.3. Conrad , I, S. 93, i m Anschluß an H. Mitteis. Conrad, a.a.O.; Schröder-v. Künßberg, S. 112 ff.; Planitz-Eckhardt,
S, 23,
β Vgl. die bekannten acht Bannfälle Karls des Großen i n dem Capitulare de dominico (darüber Wilda, S. 478 f.; v. Bar, Geschichte, S. 67; Schröder-v.Künßberg, S. 125 m i t A n m . 60, S. 283; Amira-Eckhardt , I, S. 60; Scheyhing, S. 292 f.). 7 E. Kaufmann, HWRGesch., I, Sp. 310. — Ob der K ö n i g dabei allein handeln konnte, mag hier dahinstehen (in erster L i n i e dürfte es eine Machtfrage gewesen sein: Conrad , I, S. 135). A u f das damit berührte umstrittene Problem der Rechtsfortbildung i m Mittelalter können w i r an dieser Stelle nicht näher eingehen; vgl. Ebel, Geschichte, S. 46 ff.
II.
echtserscheinungen des Mittelalters
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waltungsstrafrecht i m Sinne Goldschmidts. Es bringt vielmehr die Idee der öffentlichen Strafe stärker zur Geltung als das auf dem alten Volksrecht beruhende Strafrecht 8 und stellt damit eine Fortentwicklung i n Richtung auf das moderne staatliche Strafrecht dar. M i t dem Bann w u r de der Königsfriede verletzt; der König aber ist jetzt Träger und Wahrer der Rechtsordnung (kein „Verwaltungsorgan"). Dies verkennt Goldschmidt 9. I n der Geschichte wiederholte es sich mehrfach, daß eine Neuordnung des Rechts m i t einem überkommenen Rechtszustand zusammentraf, wobei das neue Recht von anderen Kräften ausging als das alte und dadurch Konflikte entstanden, die die neue rechtliche Ordnung sich nicht ohne Spannungen und Widerstände durchsetzen ließen. Das neue Recht w u r de dann von anderen Kräften und auf andere Weise gebildet und angewendet als das alte, häufig von solchen, die nach dem alten Recht dazu gar nicht hätten befugt sein können. Hier hat man auch jeweils Verwaltungsstrafrecht i m Sinne Goldschmidts sehen wollen. Es handelt sich um Erscheinungen, wie sie bei der Ablösung oder doch Ergänzung einer alten durch eine neue rechtliche Ordnung entstehen. W i r finden sie ζ. B. i n der mittelalterlichen Stadt und später beim Auftreten des sogenannten Polizeistrafrechts i n den Territorien. 2. Rechtsprechung und Verwaltung i m Mittelalter
Einen Unterschied zwischen K r i m i n a l - und Verwaltungsstrafrecht, wie Goldschmidt und seine Anhänger ihn sehen wollten, hat es hingegen geschichtlich nicht gegeben. Das alte deutsche Recht kannte nur die Unterscheidung zwischen leichten und schweren Verbrechen, die der Einteilung i n niedere und hohe Gerichtsbarkeit entsprach 10 . Was später als sogenanntes Polizeistrafrecht aufkam, hat mit dem Verwaltungsstrafrecht der Theorie nichts zu tun. Es trat weitgehend die Nachfolge der alten niederen Gerichtsbarkeit an, die sich dadurch zur Polizeigerichtsbarkeit wandelte, daß sie vom Inhaber der Polizeigewalt ausgeübt wurde. Sie betraf die minderschweren Delikte und erhielt unter dem Gesichtspunkt der Wahrung von Sicherheit und Ordnung (der Aufgabe des Staates, der er sich auf Grund seines Polizeihoheitsrechts i n umfassender Weise an nahm 1 1 ) eine einheitliche staatliche Regelung. I m Mittelalter kam der Polizei keine führende Rolle oder selbständige Bedeutung zu. Gericht und Polizei dachte man untrennbar miteinander 8
v. Bar, Geschichte, S. 67. a.a.O., S. 1 ff., 8 f. 10 Vgl. über hohe u n d niedere Gerichtsbarkeit i m Mittelalter u n d die E n t wicklung der hohen Gerichtsbarkeit zur Kriminalgerichtsbarkeit (peinlichen Gerichtsbarkeit) Hirsch, Die hohe Gerichtsbarkeit, bes. S. 50 ff., 150 ff., 221 ff. 11 I m Gegensatz zum Ständestaat, i n dem die Hoheitsrechte ständisch zersplittert waren u n d eine umfassende Staatsgewalt fehlte. 9
42
1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
verbunden. Zweck der Polizei war dabei hauptsächlich die Friedensbewahrung 1 2 . Der Inhaber des Gerichts übte als Verwalter des Rechts die öffentliche Gewalt aus (am sinnfälligsten durch den Richterspruch); das Recht, Gericht zu halten, schloß die Befugnis ein, Anordnungen zur A u f rechterhaltung des Friedens und der allgemeinen Ordnung zu erlassen 13 . Die Aufgaben der Bewahrung des (Rechts-)Friedens und der Rechtsgewährung fielen zusammen 14 ; i m Vordergrund aller Ausübung hoheitlicher Gewalt stand die Tätigkeit des Richtens. Dem entsprach der mittelalterliche Begriff der jurisdictio, der Befugnis zu Rechtsprechung und Verwaltung. Die Vorstellung, daß der Träger hoheitlicher Gewalt auch das Recht i m sachlichen Umkreis seiner hoheitlichen Befugnisse zu sprechen habe, hat sich lange erhalten und besitzt insbesondere für die Entwicklung des sogenannten Polizeistrafrechts hervorragende Bedeutung. Selbst als nicht mehr die richtende Tätigkeit als solche, sondern die Polizeihoheit i n erster Linie für die Ausübung öffentlicher Gewalt kennzeichnend war, blieb jener Gedanke lebendig und führte mit dazu, daß die Träger der Polizeigewalt auch die Rechtsprechungsbefugnis (nicht nur i m Strafrecht, sondern auch etwa i m Zivilrecht) innerhalb ihres sachlichen Wirkungsbereiches beanspruchten und erlangten (bzw. behielten, soweit sie früher die niedere Gerichtsbarkeit innegehabt hatten und nun zu Trägern der Polizeihoheit geworden waren). 3. Die Strafgerichtsbarkeit des Dorfschulzen
Ein Beispiel für die Wandlung niederer Gerichtsbarkeit zur Polizeigerichtsbarkeit und die Verlagerung des Schwerpunktes bei der Ausübung hoheitlicher Gewalt von der Rechtsprechung auf die Polizei (als umfassendes Staatshoheitsrecht) bietet schon die Dorfgerichtsbarkeit. Nach dem Sachsenspiegel ging die Strafgerichtsbarkeit des Bauermeisters nur zu Haut und Haar ( I I 13 §§ 1, 2) 15 . I n der Mark Brandenburg nahm der Schulze die Stelle des sächsischen Bauermeisters ein 1 6 . Er übte nach der Kolonisation die Gerichts- und Polizeigewalt i m Dorfe, dem un12 N u r i n den Städten änderte sich bereits die Auffassung der Polizei; darüber weiter unten. 13 E i n durchgreifender materieller Unterschied innerhalb der so zustande gekommenen Strafrechtsnormen oder zwischen ihnen u n d den allgemeinen Strafrechtsnormen bestand nicht; n u r nach dem Maß an Autorität, das der erlassenden Stelle zukam, k a n n ein Unterschied gemacht werden, der jedoch für die vorliegende Untersuchung bedeutungslos ist. 14 „Die Gerichtsbarkeit i m deutschen Sinne des Wortes umfaßte alle diese Verhältnisse" (v. Kamptz, Bruchstücke, S. 241). 15 Sie w a r also eine niedere Gerichtsbarkeit. 16 Märkische Glosse zum Ssp. I I I 64 § 11: „dem burmestere dat is deme schulten u n d v e r n i m d i t h to slichten burdinge". — Das i m Sachsenspiegel niedergelegte sächsische Recht galt i m wesentlichen auch i n der M a r k Brandenburg (Bornhak, Rechtsgeschichte, S. 28).
I I . Rechtserscheinungen des Mittelalters
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tersten Bezirk der landesherrlichen Gerichts-, Polizei- und Finanzverwaltung, aus 17 und war Richter i m Dorfgericht (Burding), i n dem später ständige Dorfschöffen das Urteil zu fällen hatten 1 8 . Die Gerichtsbarkeit umfaßte leichte Straffälle, wie die Feld- und Ortspolizeiübertretungen, Marktdelikte (Unrechtes Maß und Gewicht, falschen Kauf, sofern der Betrüger dabei gefunden wurde), Diebstähle unter drei Schillingen Wert, Schlägereien und Körperverletzungen bis zur Blutrunst bei handhafter Tat, Grenzverrückungen (Abpflügen, Abgraben oder Abzäunen); Ssp. I I 13 §§ 1 - 3,1 68 § 2, I I I 86 § 1. Die Gebots- und Verbotsgewalt des Schulzen war wie die aller Hoheitsträger 19 gesetzlich oder herkömmlich beschränkt. Die gesetzliche Strafe für die Verletzung von Geboten oder Verboten des Schulzen betrug nach dem Sachsenspiegel sechs Pfennige: Dem burmeistere wettet man sechz phenninge... ( I I I 64 § 11). Den Anordnungen des Schulzen mußte wohl zu ihrer Gültigkeit die Gemeinde zustimmen: Waz der burmeister schaffet des dorfes vromen mit wilkore der meren menige der gebure, des en mag daz minre teil nicht widerkomen (Ssp. I I 55). Die Strafe wegen Übertretung der „polizeilichen" Anordnungen des Schulzen sprach das Dorfgericht aus, nicht der Schulze persönlich 20 . Diese dörfliche Strafgerichtsbarkeit bestand i m wesentlichen unverändert bis zum Allgemeinen Landrecht fort. Nur waren gegen Ende des Mittelalters bereits die meisten Dörfer zu Privateigentum von Grundbesitzern (Patrimonialherren), also zu Patrimonialdörfern, die Schulzen zu Patrimonialbeamten geworden. Die Stellung des Schulzen wandelte sich allmählich vom Dorfrichter zum Verwaltungsorgan. Während seine ursprüngliche Tätigkeit die Gerichtsbarkeit war (zu der die polizeilichen Befugnisse ergänzend gehörten), w i r d er, wohl i m 17. Jahrhundert, i n erster Linie Polizeiorgan 21 . Seine wesentliche Aufgabe ist nicht mehr Rechtsverwaltung, sondern Polizeiverwaltung i m Sinne des sich nunmehr ausbildenden Polizeibegriffs, der schließlich i n einen Gegensatz zur Rechtsordnung kam. Dadurch rückt seine Strafgerichtsbarkeit unter einen 17
Bornhak, Verwaltungsrecht, I, S. 6; Bader, I, S. 139; I I , S. 298. Bornhak, a.a.O., S. 11,119 f.; Bader, I I , S. 94. 19 Die auch als solche nie i m rechtsfreien Raum tätig wurden, sondern n u r die ihnen zustehenden Rechte ausüben konnten. E i n Gegensatz von Rechtsordnung u n d Verwaltung, die außerhalb der Rechtsordnung geblieben wäre, bestand nicht. Daher w a r auch ein Verwaltungsstrafrecht nicht möglich. Siehe dazu Bader, I I , S. 309, 358 f. (Bagatellsachen). 20 Bornhak, Verwaltungsrecht, I, S. 87. Entsprechend urteilte das Landgericht Übertretungen polizeilicher Anordnungen des Vogtes ab (Bornhak, a.a.O.). Hier ließ das Landrecht Strafen bis zu drei Schillingen zu: „Derne belenten voite, der des koninges ban nicht en hat, deme wettet man d r i Schillinge zu dem hogesten" (Ssp. I I I 64 § 9). — Die Strafverhängung wegen Übertretung „ p o lizeilicher" Bestimmungen w a r also eindeutig Rechtsprechung. Siehe auch Bader, I I , S. 343 f., 356, 358. 21 Vgl. Bornhak, a.a.O., S. 256, u n d Bader, I I , S. 363. 18
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polizeilichen Blickwinkel und w i r d zur „Polizeistrafgerichtsbarkeit". Auch das preußische ALR, das sich i n den §§ 18 - 86 I I 7 mit der Landgemeindeordnung befaßte, sah den Schulzen, dem zwei Schoppen beizuordnen waren, vorwiegend als Organ der örtlichen (Polizei-)Verwaltung an (insbesondere § 59 I I 7 ALR). Die Tätigkeit als Dorfrichter trat i n ihrer Bedeutung zurück, obwohl sich die Bezeichnung „Schulze oder Dorfrichter" erhalten hatte. Die Strafgerichtsbarkeit zeigt noch ihre Herkunft aus der Zeit des Sachsenspiegels: Aburteilung von „Übertretungen der inneren Dorfs-Polizeiordnung, auf welche nur kleine zur Gemeindekasse fließende, Einen Thaler nicht erreichende Strafen gesetzt werden, ihre Untersuchung und Entscheidung, mit Vorbehalt der Berufung an die Gerichtsobrigkeit" (§ 81 I I 7 ALR). 4. Das Strafrecht der mittelalterlichen deutschen Stadt
I n der mittelalterlichen deutschen Stadt t r i t t erstmals die „Polizei" i n Erscheinung, und es entsteht etwas wie ein „Polizeistrafrecht". Die Städte standen ursprünglich ganz unter der Herrschaft eines Stadtherrn, der alle Hoheitsrechte (Gericht, Verwaltung usw.) i n der Stadt ausübte oder durch seine Beamten (Burggraf, Vogt, Stadtschultheiß) ausüben ließ. Diese Ämter wurden allmählich zu Lehen und damit erblich 22 . Bei den neuen Stadtgründungen etwa i n der Mark Brandenburg belehnte der Markgraf den Gründer m i t dem (erblichen) Schulzenamt, das die niedere Gerichtsbarkeit und die dazugehörige Polizeigewalt umf aßte, während die obere Gerichtsbarkeit vom Burggrafen bzw. vom Vogt als landesherrlichem Beamten ausgeübt wurde 2 3 . Allmählich entstand der Rat der Stadt als stadteigenes Gremium zur Erfüllung städtischer Aufgaben. Zunächst waren wohl die Schöffen des Stadtgerichts zugleich Ratsmannen, doch schieden sich beide Kollegien sehr bald voneinander, als nämlich die Städte zu eigenen kommunalen Körperschaften (Rechts- und Verfassungsorganismen) geworden waren, die Rechtsetzungsgewalt und Selbstverwaltung für sich beanspruchten 24 . Die Ratsmannen hatten die Angelegenheiten der Stadtgemeinde als solcher allein zu erledigen. Der Rat bildete das Vertretungsorgan der Stadt, die dadurch erst den Charakter einer öffentlichen Körperschaft erhielt. Er allein war stadteigenes Organ; seine Mitglieder gingen aus einer Wahl hervor 2 5 , während der Stadtschulze unmittelbar vom Landesherrn oder einem anderen Stadt22
Conrad , I, S. 325 f. D a m i t sank der Einfluß des Stadtherrn. Bornhak, Verwaltungsrecht, I, S. 47 ff. — Der Stadtherr betraute überhaupt i n den Städten, die keinen Hochgerichtsbezirk bildeten, den Stadtschultheißen m i t der Wahrnehmung der stadtherrlichen Rechte u n d damit auch der Niedergerichtsbarkeit i n der Stadt (Conrad , I, S. 325 f.). 24 Vgl. ζ. B. über das Magdeburger Recht Planck, S. 25 ff. 25 Später löste oft ein Selbstergänzungsrecht des Rates die W a h l ab. 23
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herrn abhing, der auch häufig die Schöffen (zum Teil aber nur auf Wahl der Gemeinde) zu ernennen hatte. So wurde der Stadtrat zum Träger der städtischen Autonomiebestrebungen und übte infolgedessen die Befugnisse der Stadt zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten (Setzung eigenen, städtischen Rechts und Verwaltung) unter Ausschaltung des Schulzen (Schultheißen, Stadtrichters) aus 26 . A u f diese Weise fiel die Handhabung der Selbstverwaltungsrechte, die die Städte von ihren Stadtherren (oft unter Kampf) erlangten, an den Stadtrat, während das Stadtgericht allmählich auf die Rechtsprechung beschränkt wurde 2 7 . Schon früh erwarben die Städte Autonomie i n Marktangelegenheiten (Maß und Gewicht, Marktverkehr, Lebensmittelpolizei usw.), dann auch i n Innungs-, Gewerbesachen und dergleichen, i m Besteuerungsrecht, zuweilen selbst das Münzregal u. a. m. 2 8 und entwickelten daraus ihr Selbstverwaltungsrecht 29 , namentlich auch ihre umfassende Zuständigkeit in Polizeisachen 30 . Die autonome Gestaltung ihrer Verhältnisse fand i n Stadtordnungen (Einungen, Küren, Willküren) ihren Niederschlag, die eigene, selbstgesetzte Rechtsordnungen der Städte bildeten, nach denen sie ihr Leben einrichteten (Satzungen). So entstanden „Polizeiordnungen" zuerst i n den mittelalterlichen Städten; sie sollten ein gutes Stadtregiment, die allgemeine Wohlfahrt und überhaupt das Leben i n der Stadt sichern und fanden i n den „Landesordnungen" des 15. Jahrhunderts und schließlich in den Reichspolizeiordnungen Nachfolge, beschränkten sich aber ebensowenig wie diese auf das Gebiet der Polizei i m nachmaligen Sinne, sondern waren M i t t e l zur Bildung eigenen, den Bedürfnissen der Stadt entsprechenden Rechts 31 . Die Polizei als Gestaltung des städtischen 26 Vgl. zu allem auch Conrad , I, S. 322 ff., 333 ff.; Sehröder -υ. Künßb erg, S. 692 ff.; Rosenthai, I, S. 155,167; Ebel, Bursprake, S. 75. 27 So daß hier — i m Gegensatz zu dem sonst i m Mittelalter geltenden Grundsatz — die Polizeigewalt nicht mehr dem Inhaber des Gerichts zustand, sondern einer von diesem getrennten Stelle (Sehröder-v. Künßberg, S. 697; Bornhak, Verwaltungsrecht, I, S. 53). 28 Schröder -υ. Künßberg, S. 693, 574 ff.; Bornhak, a.a.O., S. 53 ff. 29 z.B. nach dem Freiburger (Zähringer) Stadtrecht des 13. Jahrhunderts hatte der Rat der Vierundzwanzig die Marktpolizei über Lebensmittel u n d Geldverkehr (Maß, Gewicht u n d Münze) inne; vgl. A r t . 20 des Stadtrodels aus der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts: „Omnis mensura vini, f r u m e n t i et omne pondus auri et argenti i n potestate X X I I I l o r consulum erit" (Keutgen, S. 122). Er konnte auch Einungen über Wein, Brot u n d Fleisch sowie über andere Gegenstände errichten, soweit er es als nützlich f ü r die Gemeinde ansah: ,,Sù mugen ouch machen reht u n d einunge, und ouch wandeln als sù dunket, daz ez der stette reht kuome" (aus dem Stadtrecht von 1293, siehe Schreiber, U r k u n denbuch, I, S. 133). Vgl. auch Beyerle, Untersuchungen, S. 130 f. 80 Vgl. z.B. Bauding Andernach 1498: „ i t e m w e m man bekenne gebot u n d verbot zu Andernach? dat wiset man unserm hern von Colne zu sinem rechte u n d herlicheit, und der stat von Andernach zu irme rechten u n d friheit antreffen i r policie" (Grimm, Weistümer, I I , S. 625). 31 Die mittelalterlichen Stadtstaaten schufen sich — vergleichbar m i t den griechischen Stadtstaaten — auf diese Weise eigenes, ausschließlich f ü r sie u n d
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Lebens und der städtischen Ordnung (Rechtsetzung und Verwaltung) lag i n Händen des Rates der Stadt 3 2 ; ebenso kam i h m als dem städtischen Organ die Rechtsprechung und damit auch die Strafbefugnis i n allen diesen Angelegenheiten der städtischen Autonomie 3 3 zu. Der Landesherr verlieh die Gerichtsbarkeit mit dem jeweiligen Hoheitsrecht (ζ. B. dem Marktrecht, Innungsrecht usw.) an die Stadt, die sie dann selbständig (unter Ausschluß des Stadtherrn) ausübte, und zwar durch den Rat: „Wie dun j u witlich, dat wie Ratmanne t u wistock hebben gehat dat guide recht i n der stad t u wistock und noch hebben ouer alle werken und gulden, als wie dat bewisen mögen met der stad hantuestinghe und unsen bryuen . . . Hebbe gie die bryue und die bewysinghe van juwen heren, dat gie i n der guide richten mögen, wat gie dan gerichtet hebben i n der guide na utwysinghe der guide bryue, dar seal dat by blyuen 3 4 ." Gerade die Übertragung der Gerichtsbarkeit an die Stadt selbst und die Anwendung des stadteigenen Rechts begründeten die Zuständigkeit des Rates und nicht des Gerichts, das noch kein städtisches Organ war und das Landesrecht bzw. das gemeine Recht anzuwenden hatte. Daß zur Ausübung der städtischen Hoheitsrechte und der Rechtsprechung über Fragen des städtischen Rechts (Aburteilung von Vergehen gegen Bestimmungen der Stadtordnung) nicht das Gericht — dieses hatte nicht nach den Willküren (städtischen Satzungen) zu richten, sondern nur nach dem allgemeinen Recht (Landesrecht) — 3 5 , sondern der Rat berufen war, zeigt auch etwa ein Weistum des Magdeburger Schöffenstuhls von 1427 i n einem Streit zwischen dem Rat von Beeskow und dem Inhaber des Gerichts wegen der Jurisdiktionsgewalt über Markt und Gewerbe, der zugunsten des Rates entschieden wurde: „Wer bynnen euwir stat m i t Unrechter wage, Unrechter maße unde valschim spisekouffe befunden wert, das gebort euch Rathmannen zu richten unde zu straffen nach wigbilde rechte unde euwir herre und sin gerichte habin darobir kein gerichte adder straffunge zeu thune 3 6 ." Auch die Aufgabe des Rates, für die allgemeine Sicherheit und Ruhe i n der Stadt zu sorgen, brachte eine entsprechende Strafgerichtsihre Bürger geltendes Recht, nach dem sie lebten. Der nicht der städtischen Rechtsgenossenschaft Angehörende genoß n u r geringen Schutz, denn das stadteigene Recht galt (jedenfalls ursprünglich) nicht für ihn, u n d er stand außerhalb der städtischen Rechtsordnung, auf die er nicht „eingeschworen" war. Vgl. auch v. Bar, Geschichte, S. 100. 32 M i t seinen Satzungen (kore, willkore), die ursprünglich die Marktpolizei betrafen, griff er i n i m m e r weitere Gebiete städtischen Lebens zu Zwecken des Wohles der Stadt u n d ihrer Bürger ein (siehe Planck, S. 27, f ü r Magdeburg; vgl. auch o. S. 45, A n m . 29 f ü r Freiburg). 33 Vgl. Planck, S. 27 f., 36, 39 f., 41. 34 Weistum des Schöppenstuhls zu Stendal für den Rat zu Wittstock über dessen Kompetenz i n Gewerksstreitigkeiten aus dem Jahre 1373 (Riedel , I 1, S. 410, Nr. 1). 33 Planck, S. 28. 36 Riedel, I 20, S. 396, Nr. 69. Ä h n l i c h Scheyhing, S. 152.
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barkeit mit sich, die nicht nur die Übertretung „bloßer" Polizeivorschriften betraf. So bestimmte ein herzogliches Privileg für Straubing von 1338: „ W i r haben auch unsern gesworn burgern von derselben stat zu Str. den gewalt gegeben, ob i r burger ainer sich gen dem andern vergäß m i t ungezogen worten oder werchen oder ob i r ainer wider den rat und wider die stat da sein wollt, da sie sich schadens von versahen, das sie den noch iren trewen darumb pessern mügen und sulln, wie sie wellent 3 7 ." I n einem herzoglichen Privileg von 1336 (ebenfalls für Straubing) heißt es: „Ob ein burger ze St. ein unzucht tät, die uns und unsern vitztum ze pesserung nicht angehört, die selben unzucht, von swelchen Sachen die geschehen wär, sullen die gesworn von der Stat pessern und dieselben pesserung sullen si, unser Stat ze St. ze pesserung an mauern oder an andern Sachen anlegen, das sein der Stat notdurft ist 3 8 ." Ein Statut von 1453 erteilte dem Rat von Landshut das Recht, säumige Schuldner, die verschwenderisch lebten, nach fruchtloser Verwarnung zu bestrafen, „damit die stat von solher pöser geltern wegen nicht nachred habe" 3 9 . So ergibt sich, daß die Trennung von Gericht und Polizei i n den Städten nur scheinbar eine Ausnahme von dem sonst i m Mittelalter geltenden Grundsatz der Vereinigung beider Zweige der öffentlichen Gewalt war. Die Gegenüberstellung von Stadtgericht und Rat der Stadt bedeutet von Haus aus nicht Trennung von Justiz und Verwaltung, sondern des Organs zur Wahrung des allgemeinen Rechts (Landrechts) von dem zur Wahrung der von der Stadt geschaffenen autonomen rechtlichen Ordnung 4 0 . I n diesem Rahmen aber gehörten wiederum Gericht und Polizei (Justiz und Verwaltung) zusammen 41 . I n der Übertragung eines bestimm37
Rosenthal, Beiträge, S. 312. Rosenthal, Beiträge, S. 256. 39 Rosenthal, Beiträge, S. 193 X I I Nr. 5. — Nach der herzoglichen Verordnung für Straubing von 1497 w a r der Rat z. B. zuständig für die Bestrafung des Verkaufs von unbeschautem M e h l (als Übertretung der Stadtordnung), der Oberrichter als Organ der herzoglichen Gerichtsgewalt hingegen von Unrechtem u n d bezüglichem Maß beim Mehlverkauf, w e i l dies „zu Diebstahl zeucht" (Rosenthal, I, S. 176, A n m . 2). Rosenthal w i l l daraus schließen, die Polizeidelikte hätten vor den Rat als Polizeibehörde, die k r i m i n e l l e n Taten vor das Gericht gehört (I, S. 176). Das angeführte Beispiel zeigt jedoch, daß der G r u n d für die Zuständigkeitsverteilung ein anderer w a r : Delikte nach stadteigenem Recht urteilte der Rat ab, die nach gemeinem Recht oder Landesrecht strafbaren Handlungen (Diebstahl!), die grundsätzlich nicht der Jurisdiktionsgewalt des Rates unterlagen, der Oberrichter. 40 Das von der Stadt auf G r u n d ihrer Autonomie geschaffene Recht darf nicht m i t dem Stadtrecht i m üblichen Sinne verwechselt werden: Dieses konnte die Stadt nicht aus eigener Machtvollkommenheit setzen, auch w e n n sie es später vielfach i m wesentlichen selbst ausarbeitete bzw. ausarbeiten ließ (vgl. z. B. über das Freiburger Stadtrecht von Zasius aus dem Jahre 1520 Knoche, S. 6,14 f., 20 ff., 34, 38). 41 Vgl. z. B. aus einem Weistum für Andernach von 1500 (§ 15) : „Waruber hat der rat zu Andernach zu richten? darauf weiszen w i r fur recht, dasz der rat 38
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ten Hoheitsrechts (ζ. Β. des Marktrechts) an die Stadt lag zugleich die der dazugehörigen Jurisdiktion, so daß der Rat Vorschriften erlassen und Strafen androhen, die Polizei ausüben und Recht sprechen (ζ. B. die nach städtischem Recht verwirkten Strafen verhängen) konnte 4 2 . Der Begriff der Polizei diente, sobald er später verwendet wurde, zur Bezeichnung der (stadteigenen) rechtlichen Ordnung der inneren Angelegenheiten der Stadt, die aus eigenem Recht zu regeln Inhalt der „Freiheit" der Stadt war. Freiheit der Stadt von der Oberherrschaft und Polizei sind häufig zusammengehörende Begriffe, die die städtische Autonomie (d. h. die Selbstverwaltung i n inneren Angelegenheiten der Stadt) umschreiben und der Oberherrschaft des Stadtherrn und den diesem auf Grund seiner Oberherrschaft zukommenden Rechten gegenüberstehen 43 . — Der W i r kungsbereich des Gerichts wurde immer mehr eingeschränkt, und wenn der Stadtrichter schließlich keine oder nur geringe Verwaltungsfunktionen zu verrichten hatte, so beruhte dies darauf, daß die Hoheitsrechte, die Verwaltungsbefugnisse in der Stadt einschlossen, auf den Rat der Stadt übergegangen waren. Bei dieser Zuständigkeitsverteilung blieb es, als die Stadt nach Erlangung einzelner Rechte und auf sie gestützt ihre volle Autonomie i n Anspruch nahm und das Gericht schließlich alle Zweige der Polizei, auch die Sicherheitspolizei, an den Rat verlor 4 4 . Freilich hatte dann die Tätigkeit des Rates, die man später „polizeilich" nannte, bereits das Übergewicht; die Gerichtsbarkeit trat neben ihr an Bedeutung zurück und erschien schließlich als deren Anhängsel. Der „polizeiliche" Aufgabenkreis bestimmte nach außen hin das Gesicht der Behörde mehr als die Rechtsprechung, was wesentlich dazu beitrug, diese als „Polizeistrafgerichtsbarkeit" zu bezeichnen, wobei man sich (wie schon der Name sagt) bewußt blieb, daß es sich u m (vom Inhaber der Polizeigewalt auszuübende) Rechtsprechung und nicht um Verwaltung handelte 45 . allein über die burger zu richten hat, der statt policei belangend, doch unabbrüchlig unserm gn. h. von Cölne an s. gn. hochgericht zu Andernach (und) wasz daran gehört, w i e der rat das i n bruchung u n d übungh ist nach altem herkommen das gewohnlich" (Grimm, Weistümer, V I , S. 651). Vgl. damit i m Zusammenhang auch o. S. 45, A n m . 30. 42 Daran erinnert noch die Formulierung des Entwurfs zum preußischen A L R i n T e i l I A b t e i l u n g 2 T i t e l 3 §§79, 80, wo es heißt, dem Magistrat gebühre „vermöge seines Amtes", außer der Stadtpolizei die „der Stadtkommune verliehene Gerichtsbarkeit" auszuüben (Materialien, V, S. 211 f.). 43 Siehe o. S. 45, A n m . 30, ferner aus dem A n m . 41 zitierten Weistum für A n dernach (§ 1) : „ . . . u n d an solchem baugeding soll man n i t weiter rechtfertigen, dan alleine dem herrn sein herligkeit oberkeit u n d gerechtigkeit u n d der statt freiheit u n d policei wiszen nach fragen eines schultheiszen i n statt u n d von wegen unsers gn. h. von Cölne." 44 Vgl. Bornhak, Verwaltungsrecht, I, S. 54. Vgl. besonders für Lübeck Hohnsbein, S. 12. 45 Dies führte auch dazu, daß die Polizeigerichtsbarkeit nach Erwerb der gesamten Gerichtsbarkeit durch die Stadt, Verschmelzung des Stadtgerichts m i t dem Magistrat u n d Unterteilung des Magistrats i n ein Justiz- u n d ein
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D i e Ü b e r t r e t u n g seiner V e r o r d n u n g e n (Satzungen, W i l l k ü r e n ) k o n n t e der R a t m i t d e n v o n i h m selbst a n g e d r o h t e n G e l d s t r a f e n (Brüchen) b e l e g e n 4 6 , w o g e g e n R e k u r s a n d e n L a n d e s h e r r n oder seinen V o g t s t a t t fand, w a s aber b e i d e m b a l d i g e n V e r f a l l d e r l a n d e s h e r r l i c h e n M a c h t k a u m e r f o l g v e r s p r e c h e n d gewesen sein d ü r f t e 4 7 . I n e r s t a r k t e n S t ä d t e n g i n g dagegen v i e l f a c h der Rechtszug v o m S t a d t g e r i c h t a n d e n R a t , d e r sich d a m i t als B e r u f u n g s g e r i c h t gegenüber d e m S t a d t g e r i c h t b e t ä t i g t e 4 8 . D e r R a t h a t t e sein Gebots- u n d V e r b o t s r e c h t ( V e r o r d n u n g s r e c h t ) , das w i e b e i a n d e r e n H o h e i t s t r ä g e r n ( M a r k g r a f , V o g t , Schulze) n i c h t u n b e s c h r ä n k t w a r , s o n d e r n n u r i n n e r h a l b seiner r e c h t l i c h e n B e f u g n i s b e s t a n d 4 9 , die a u f d e m f ü r i h n v e r b i n d l i c h e n Gesetz oder H e r k o m m e n b e r u h t e . D i e H ö h e der S t r a f e f ü r d i e V e r l e t z u n g e n d e r Gebote u n d V e r b o t e des Rates (der S a t z u n g e n oder W i l l k ü r e n , d. h. des s t a d t e i g e n e n Rechts) w a r , m i n d e s t e n s zunächst, b e g r e n z t (nach d e m B e r l i n e r S t a d t b u c h v o n 1397 a u f 36 P f e n n i g e ) 5 0 . D i e G e l d b u ß e e r h i e l t die S t a d t u n t e r Ausschluß des R i c h t e r s 5 1 . M i t der f o r t s c h r e i t e n d e n U n a b h ä n g i g k e i t der S t ä d t e fiel auch diese Schranke. Das B e r l i n e r S t a d t b u c h v o n 1397 spiegelt d i e E n t w i c k l u n g w i d e r : „ d e r stad b r o k e is t u a l l e n t y d e n ses u n d d r i t t i c h Schillinge p e n n i n g e ; och m ö g e n d i r a d m a n n e k o e r setten u m m e gebot t u Kameraldepartement wie alle Gerichtsbarkeit auf das Justizdepartement übertragen wurde (Bornhak, Verwaltungsrecht, I I , S. 288; n u r i n großen Städten, w i e Berlin, wo ununterbrochen besondere Stadtgerichte bestanden hatten, blieb die Polizeigerichtsbarkeit beim Magistrat; a.a.O.). Vgl. auch noch Reskript v o m 20. Januar 1796 (Jahrbuch 34, S. 301, A n m . 8), wonach i m Magistratskollegium der Justizbürgermeister alle Polizeiübertretungen von einiger Erheblichkeit zu bearbeiten hatte. Die Appellation i n Polizeiübertretungssachen ging, bevor sich die organisatorische Scheidung von Justiz- u n d Verwaltungsbehörden i n der Landesverwaltung anbahnte, an die Obergerichte (Landesgerichtshöfe) als zweite Instanzen (später i n Preußen an die Kriegs- u n d Domänenkammern) ; v. Kamptz, Bruchstücke, S. 295, A n m . 6, u n d das dort angeführte Amtsprotok o l l von Arendsen v o m 25. Januar 1748. 46 U n d zwar auch bei solchen Vergehen, die bereits m i t einer stadtherrlichen Brüche bedroht waren (His, Geschichte, S. 103). Die Befehls-, Gerichts- u n d Strafgewalt über die Bürger stand dem Rat infolge der städtischen Polizeihoheit (das ist dem Recht zu selbständiger Regelung der stadtinternen Angelegenheiten) u n d n u r vermöge derselben zu. Vgl. dazu § 33 des auf S. 47, A n m . 41, genannten Weistums: „Ob einem burgermeister not angienge, u n d die burger anriefe, u n d ob sie ihme dan n i t gehorsamb weren, wasz die verbrechen? darauf weiszen w i r f u r recht: dieweile daz ein ieglicher burger geschworen hatte, dem rade gehorsamb zu sein, u n d wer das n i t dede, hat der rat u f seinen aide zu strafen i n macht der statt policei." — F ü r H a m b u r g siehe Brahmst, S. 140, 143, für Freiburg während der Geltung des Stadtrechts von Zasius (1520 - 1806) Schindler, S. 136 f., m i t Nachweisen. 47 Bornhak, Verwaltungsrecht, I, S. 55, 58. 48 Vgl. dazu etwa Planck, S. 38, 41 ; siehe auch Bornhak, Verwaltungsrecht, I, S.153. 49 Da es eine rechtsfreie V e r w a l t u n g i m Mittelalter nicht gab, die Tätigkeit des Rates infolgedessen auch nur eine Ausübung seiner Rechte darstellte. 50 Ebenso i n Magdeburg (Planck, S. 27, m i t Nachweisen). 51 Planck, S. 27. 4 Mattes
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holdene, aise hoech alse sy dat na der stat beste irkennen 5 2 ." I n manchen Fällen durfte auch eine Strafe zu Haut und Haar verhängt werden 5 3 . Bis u m 1400 hatten so die Städte eine fast unabhängige Stellung (gleichsam als selbständige Republiken) errungen. I n der Mark Brandenburg ζ. B. bemühten sich die Landesherren während des 15. Jahrhunderts, die Städte wieder unter ihre Herrschaft zu bekommen. Sie sicherten sich das Recht, den neugewählten Rat zu bestätigen, verliehen neue Städteordnungen, denen sie bestimmte gemeinsame Züge gaben, und 1515 erging sogar eine gemeinsame Polizeiordnung für alle märkischen Städte. Auch mußten die Ratsmannen jetzt i n erster Linie dem K u r f ü r sten Gehorsam geloben, und der Kurfürst setzte ein eigenes Polizeiverordnungsrecht für die Städte durch, das dem des Rates vorging 5 4 . Hier zeigen sich bereits die Ansätze des — erst später v o l l entfalteten — landesherrlichen Bestrebens, mit Hilfe des Polizeihoheitsrechts als eines Majestätsrechts die umfassende Staatsgewalt des Landesfürsten zu begründen und eine neue Ordnung i m Staate einzuführen. Das städtische Strafrecht des Mittelalters bildet somit kein Beispiel für ein Polizei- oder Verwaltungsstrafrecht 55 . Es hat vielmehr mit der wachsenden städtischen Autonomie wesentlich zur Entwicklung des öffentlichen Strafrechts und der öffentlichen Strafe (zur Auffassung der an den Rat zu zahlenden Wette oder Brüche usw. als öffentlicher Strafe) beigetragen 56 . I I I . Die Reichspolizeiordnungen Seit dem Ausgang des Mittelalters bildeten Reich und Einzelstaaten das Recht i m Wege der „Polizei" bewußt fort, u m auf diese Weise unter den sich wandelnden politischen, sozialen, religiösen und wirtschaftlichen Verhältnissen die ihnen vorschwebende gerechte Ordnung des Zusammenlebens durchzusetzen und sichern zu können. Man bemerkt ein Streben 52
Fidicin, I, S. 49. Siehe Planck, S. 27. 54 Bornhak, Verwaltungsrecht, I, S. 139 ff. 55 Es muß hier, wo es n u r u m die K l ä r u n g der Verhältnisse i n den deutschen Städten des Mittelalters geht, dahingestellt bleiben, ob Goldschmidts Behauptung, die mittelalterlichen italienischen Städte hätten m i t Hilfe ihrer „durch den Frieden von Konstanz (1183) gewährleisteten Selbstverwaltung" ein „hochentwickeltes Verwaltungsstraf recht" ausgebildet (Verwaltungsstrafrecht, S. 15 ff.), richtig ist. Selbst w e n n sie richtig wäre, brauchte hier nicht darauf eingegangen zu werden, denn eine i n den italienischen Statuten gemachte U n t e r scheidung von K r i m i n a l - u n d Verwaltungsstrafrecht könnte auf die deutsche Rechtsentwicklung n u r über die Rezeption w i r k s a m geworden sein. Eine derartige Unterscheidung ist aber nicht Gegenstand der Rezeption gewesen. Daher erscheint es geboten, die italienischen Statuten nicht i n die vorliegende geschichtliche Untersuchung einzubeziehen. 56 Beyerle, Untersuchungen, S. 90 f. 53
I I I . Die Reichspolizeiordnungen
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nach möglichst weitgehender allgemeiner Regelung der innerstaatlichen Verhältnisse, das i m Begriff der Polizei seine rechtliche Verfestigung und Legitimation fand. Es zeigt sich i m Reich vor allem i n den Reichspolizeiordnungen des 16. Jahrhunderts, denen i n den Territorien die Landesordnungen des 15. und 16. Jahrhunderts entsprachen. Sie bezeugen die i n dem damaligen Verständnis der „Polizei" verfolgte reformatorische Absicht der Gesetzgeber, durch Rechtsum- und -neubildungen die ihnen angesichts der Nöte der Zeit obliegenden Aufgaben rechtlich zu bewältigen. So steht der Polizeibegriff weitgehend i m Dienste reformatorischer Zielsetzungen; das m i t seiner Hilfe geschaffene Recht ist neues Recht und vielfach Wandlungen unterworfen, weil es i n besonderem Maße dazu bestimmt ist, unter immer wieder veränderten Lebensverhältnissen eine gerechte und sichere Ordnung zu gewährleisten. Die drei Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577 1 sind die auf dem Gebiete des Strafrechts neben der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. von 1532 bedeutsamsten Leistungen der Reichsgesetzgebung i m 16. Jahrhundert. Goldschmidt 2 und Würtenberger 3 wollten i n ihnen „Kodifikationen des zeitgenössischen Verwaltungsstrafrechts" 4 sehen. Die Reichspolizeiordnungen sollten es ermöglichen, dem innerstaatlichen Leben wieder eine festere staatliche Ordnung zu geben und die zutage getretenen Gebrechen und Schäden i m Volksleben zu beseitigen. Der dadurch gekennzeichnete Polizeibegriff hat noch nichts mit dem späteren (insbesondere durch Pütter 5 und, i h m folgend, § 10 I I 17 des preußischen Allgemeinen Landrechts festgelegten) zu tun 6 . Die mit der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit eingetretenen Umwälzungen auf vielen Gebieten 7 1 Neue Sammlung I I S. 332 ff. (Ordnungen, B l a t t 122 ff.), S. 587 ff. ; I I I S. 379 ff. — Uber Geschichte u n d Strafrecht der Reichspolizeiordnungen vgl. die A r b e i t von Segall. Siehe ferner Würtenberger, Rechtsgüterordnung, S. 72 ff. 2 Verwaltungsstrafrecht, S. 70 ff. 3 Rechtsgüterordnung, S. 72 ff. 4 Würtenberger, a.a.O., S. 72. 5 El. §517: Ea supremae potestatis pars, qua exercetur cura avertendi mala futura . . . , dicitur ius politiae ... Promovendae salutis cura proprie non est politiae... 6 Ebenso u n d gegen Goldschmidt v. Hippel, I, S. 213, A n m . 3, der i m E i n klang m i t der heute herrschenden Ansicht betont, daß das Wort „Polizei" erst i m 17. Jahrhundert nicht mehr die gesamte Staatstätigkeit bezeichnete, sich vielmehr neben der auswärtigen P o l i t i k das Heer- u n d Finanzwesen u n d sodann die Justiz absonderten. Ebenso Drews-Wacke, 7. Aufl., S. 2 f. (besonders auch i m Hinblick auf die „Reichspolizeiordnungen", denen noch der die gesamte Staatsverwaltung umfassende Polizeibegriff zugrunde gelegen habe). Siehe ferner Drews-Wacke-Vogel, 8. Aufl., I, S. 1 f. 7 M a n denke n u r an die Religionswirren, den Frühkapitalismus m i t seinen Auswirkungen nicht n u r auf das Wirtschaftsleben, die sozialen Veränderungen u n d ihre Folgen, die vielfach zweifelhafte öffentliche Sicherheit, die Verderbnis der Sitten usw.
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
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brachten neue Formen gemeinschaftswidrigen und als strafwürdig empfundenen Verhaltens hervor, die aber nicht unter die bisher ausgeprägten und i n die Constitutio Criminalis Carolina eingegangenen Verbrechenstatbestände fielen oder von ihnen doch nicht i n der für richtig gehaltenen Weise erfaßt wurden (ζ. B. mit dem gesteigerten Güteraustausch aufgetauchte und diesen bedrohende Betrügereien und Fälschungen, m i t der zunehmenden Geldwirtschaft i n Zusammenhang stehende Wucherarten, für die das kanonische Zinsverbot kein geeignetes Gegenmittel war, mißbräuchliche Ausnutzung wirtschaftlicher Machtstellungen durch große Gesellschaften und Handelshäuser, die mit den Religionswirren auftretenden Religionsdelikte usw.). Hier sollte die Reichspolizeigesetzgebung zunächst i n einzelnen Reichsabschieden, dann i n den Reichspolizeiordnungen Abhilfe schaffen. So enthielten die Reichspolizeiordnungen das Strafrecht zum Schutze der für das 16. Jahrhundert wichtigsten Lebensbeziehungen, d. h. alle bedeutsamen durch den Anbruch des neuen Zeitalters hervorgerufenen strafrechtlichen Bestimmungen. Man kann in ihnen Werke der Reform des materiellen Straf rechts i m 16. Jahrhundert sehen, wenn auch diese „Reform" weitgehend auf einer noch mittelalterlichen Geisteshaltung beruhte. I m Gegensatz zur Carolina, die i m materiellen Strafrecht die überkommenen und i m wesentlichen längst festgelegten Tatbestände nach „des Reichs gemeinen Rechten" aufgenommen hatte, vereinigten die Polizeiordnungen das gesamte neue (zwischen 1495 und 1577 entstandene) Strafrecht 8 . Beide (Carolina und Reichspolizeiordnungen) ergänzten einander und waren selbst i n einzelnen Vorschriften, wie das Beispiel der Religionsdelikte ergeben wird, aufeinander abgestimmt. Ebenso hatten sie nach des Gesetzgebers eigenen Worten die gleiche Zielsetzung: Sie sollten zu Gottes Lob und Ehre dem allgemeinen Besten dienen, d. h. nach den Vorstellungen der Zeit Gerechtigkeit i m Sozialleben schaffen helfen 9 . Bereits dies macht deutlich, daß die Delikte der Reichspolizeiordnungen auch damals nicht als „bloße" Polizeiwidrigkeiten oder „künstliche" Delikte betrachtet wurden, die nicht um des Wohlfahrtswerts willen zu bestrafen gewesen seien 10 . Vielmehr diente ihre Bekämpfung unmittelbar der Gerechtigkeit i m sozialen Lebensraum. Schwere und als unerträglich angesehene Schäden des öffentlichen Lebens galt es zu beheben, und wie sehr man diese Notwendigkeit emp8
So auch Segall, S. 36, 98. I n der Präambel der RPO 1530 heißt es, die RPO solle „zu förderst Gott dem Allmechtigen zu ehr v n d lob, gemeyner Christenheyt v n d Deutscher nation zu wolfart, f r i d v n d eynigkeyt, auch dem heyligen Römischen Reich zu nutz, auffnemen v n d gedeihen reychen". Ganz entsprechend steht i m Reichstagsabschied von 1532 bezüglich der Halsgerichtsordnung, diese werde „Got dem Allmechtigen zu ehr v n d lob, auch zu förderung gemeynes nutzs" erlassen (Ordnungen, B l a t t 173,191). 10 Gegen eine solche Ansicht schon Mittermaier, Strafgesetzgebung, I, S. 230. 9
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f u n d e n u n d die i n d e n R e i c h s p o l i z e i o r d n u n g e n g e t r o f f e n e n M a ß n a h m e n f ü r e r f o r d e r l i c h g e h a l t e n h a t , u m d e n sozialen F r i e d e n u n d soziale G e r e c h t i g k e i t z u sichern, zeigt d i e w i e d e r h o l t e B e h a n d l u n g j e n e r F r a g e a u f d e n verschiedenen Reichstagen seit E n d e des 15. J a h r h u n d e r t s t r o t z ζ. B . d e r anstehenden b e d e u t s a m e n u n d d r ä n g e n d e n V e r f a s s u n g s f r a g e n u n d a n d e r e n P r o b l e m e n v o n großer p o l i t i s c h e r T r a g w e i t e 1 1 . I n d e n R e i c h s p o l i z e i o r d n u n g e n findet m a n v o r a l l e m D e l i k t e , die u n t e r dem Gesichtspunkt i h r e r Schädlichkeit f ü r den „gemeinen N u t z e n " 1 2 u n t e r S t r a f e gestellt w u r d e n 1 3 . Das bedeutet, daß der Gesetzgeber i n i h n e n ( w i e m a n j e t z t sagen w ü r d e ) A n g r i f f e a u f Rechtsgüter der G e s a m t h e i t gesehen, diese m i t h i n als S c h u t z o b j e k t e der S t r a f b e s t i m m u n g e n b e w u ß t a n e r k a n n t u n d a u s d r ü c k l i c h angesprochen hat. D e u t l i c h ist dies e t w a b e i d e n a u f das W i r t s c h a f t s l e b e n b e z ü g l i c h e n S t r a f b e s t i m m u n g e n z u b e m e r k e n , d i e i n s g e s a m t e i n W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t ganz i m h e u t i g e n 11
Vgl. Segall, S. 36 ff., 90. Der „gemeine Nutzen" wurde auch sonst (in den politischen u n d rechtlichen Erörterungen der damaligen Zeit) v i e l hervorgehoben, vor allem i m Zusammenhang m i t der Frage nach der Gerechtigkeit, m i t der man i h n oft i n einem Zuge nannte (vgl. i m einzelnen dazu Radbruch, Elegantiae j u r i s c r i m i nalis, S. 70 ff.), wie ζ. B. Schwarzenberg (etwa i n seiner Formel von der Liebe der Gerechtigkeit u n d dem gemeinen Nutzen, vgl. A r t . 125 der Bambergensis, A r t . 104 der Carolina; vgl. ferner A r t . 31 §5,150 der Carolina). Gerechtigkeit u n d gemeinen Nutzen k a n n man jedoch nicht i n der Weise einander entgegensetzen, daß „der Gemeinnutz das soziale, die Gerechtigkeit das individualistische P r i n zip" sei (so Radbruch, a.a.O., S. 71, entsprechend S. 88, der aber selbst zugibt, daß dies nicht der ursprüngliche Sinn der Verbindung von Gerechtigkeit u n d Gemeinnutz gewesen sei, vgl. bes. S. 86 f. — Vgl. auch Würtenberger, Rechtsgüterordnung, S. 17). Vielmehr k o m m t i n der steten Verbindung von Gerechtigkeit u n d gemeinem Nutzen der soziale Sinn des Gerechtigkeitsgedankens zum Ausdruck (ebenso E. Wolf, Rechtsdenker, S. 122 f.). Gerechtigkeit konnte nach den Vorstellungen des Zeitalters nicht anders sein, als zugleich Nutzen für die Gesamtheit bewirken, u n d wahrer Nutzen für das Ganze konnte n u r i n steter Ü b u n g der Gerechtigkeit (in ihrem sozialen Bezug) liegen. Es w a r also die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Harmonie beider, die aus jener Verbindung der zwei Begriffe spricht. U n d wenn i m Reichsabschied von 1532 anstelle der Gerechtigkeit Gottes Lob u n d Ehr' außer dem gemeinen Nutzen genannt w i r d (entsprechend i n der Präambel der RPO 1530; vgl. o. i n A n m . 9), so weist dies darauf hin, daß die Gerechtigkeit i n Verbindung gebracht w i r d zur göttlichen Gerechtigkeit, i n der die irdische wurzelt, die m i t den Gegebenheiten der Welt „zum gemeinen Nutzen" fertig zu werden hat; insofern spricht i m gemeinen Nutzen etwas von I n h a l t u n d Aufgabe der menschlichen Gerechtigkeit i n ihrer notwendigen Bezogenheit zum sozialen Dasein (Mitsein) des Menschen i n der W e l t ; m i t individualistischem Denken hat das alles nichts zu tun. — Vgl. auch noch für die Folgezeit des Naturrechts Pufendorf s W o r t über die Harmonie von Gerechtigkeit u n d Nützlichkeit (o. S. 13, A n m . 47, S. 21, A n m . 86). Siehe ferner W. Mer/c, S. 502 ff. 12
13 Vgl. z. B. § 16 des Reichsabschiedes von 1512 (NS I I 144) u n d entsprechend T i t e l 18 § 2 RPOO 1548, 1577 über Monopole u n d Vorkäufe, T i t e l 22 RPO 1548 über Bankbruch, T i t e l 23 RPO 1530 (Titel 15 RPO 1548) über Verschwendung, T i t e l 28, 29 RPO 1530 (Titel 16, 21, 23 RPO 1548; T i t e l 21, 24 RPO 1577) über allerlei Betrugsfälle: I m m e r w i r d hier auf den „gemeinen Nutzen" Bezug genommen, der durch die Taten Schaden oder Nachteil leidet.
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1. T e i l : Geschichtliche Entwicklung
Sinne bildeten, weil nämlich ihr Schutzobjekt (geschütztes Rechtsgut) nach dem bewußten Willen des Gesetzgebers die Gesamtwirtschaft (die vorgestellte Wirtschaftsordnung) sein sollte 14 . Daraus wollten Goldschmidt 15 und Würtenberger 16 herleiten, daß die Reichspolizeiordnungen „Verwaltungsstrafrecht" gesetzt hätten und ihre Schutzobjekte lediglich „Verwaltungsgüter" gewesen seien. Insbesondere schließt Würtenberger von dem überindividuellen Schutzgut auf die verwaltungsstrafrechtliche Natur der Tat: „Nicht weil der Täter irgendwelche Güter des einzelnen Rechtsgenossen verletzt, w i r d er b e s t r a f t . . . Es ist die ,gute Ordnung' des Wirtschaftslebens, die vom Täter gefährdet und verletzt wird. Maßstab dieser Bewertung ist nicht ein auf die Einzelperson reduzierbarer Individualschaden, sondern das Verbrecherische des Tuns w i r d abgeschätzt nach der Herbeiführung eines i m einzelnen unabmeßbaren Verwaltungsschadens. Es ist klar, daß w i r es . . . mit einem Verwaltungsvergehen zu tun haben 1 7 ." Danach müßten alle gegen Rechtsgüter der Gesamtheit gerichteten Delikte Verwaltungsdelikte sein. Es kann aber nicht anerkannt werden, daß Güter, weil sie solche der Gesamtheit sind, um deswillen jeden Gerechtigkeitswertes bare Verwaltungsgüter seien, denn die Gesamtwirtschaft ist damals so wenig wie heute 1 8 „ n u r " ein (für die Rechtsordnung und damit das „eigentliche" Straf recht irrelevantes, unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit innerhalb der Rechtsgemeinschaft unmaßgebliches) „Verwaltungsgut" und deshalb Kristallisationspunkt für ein bloß „Verwaltungsinteressen" dienendes Verwaltungsstrafrecht gewesen, zumal nicht i n einem, wie Würtenberger selbst schreibt 19 , „stark an kollektiven Ideen orientierten Zeitalter" wie dem damaligen, dem der Sinn für (rechtlich geschützte) Gemeinschaftsgüter gewiß nicht gefehlt und das daher den Gerechtigkeitsgedanken durchaus nicht auf individuelle Güter und Werte beschränkt, sondern um die Gestaltung gerade der sozialen Gerechtigkeit schwer gerungen hat. Goldschmidt führt zum Beweis für seine Behauptung, daß „die Delikte gegen die Polizei-Ordnungen Kontrollinteressen der Verwaltungsbehör14 Als Wirtschaftsstraftaten i n diesem Sinne faßten die Reichspolizeiordnungen auch die von ihnen behandelten Betrugsfälle (die Carolina kannte keinen Betrugstatbestand) w i e Verkauf gefälschter Spezereien (Ingwer u. a.), schlecht behandelten Tuches usw. sowie Wucher u n d Bankbruch auf (vgl. vorige A n m . ; vgl. auch Würtenberger, Rechtsgüterordnung, S. 79 ff.; Segall, S. 165 ff., 167 ff., 182 ff.). Geschütztes Rechtsgut ist i n allen diesen Fällen nach der i n der Gesetzesfassung ausgedrückten Vorstellung des Gesetzgebers die Gesamtwirtschaft als Rechtsgut der Gesamtheit (in den RPOO m i t „gemeiner Nutzen" umschrieben). 15 Verwaltungsstrafrecht, S. 70 ff. 18 Rechtsgüterordnung, S. 72 ff., 79 ff. 17 a.a.O., S. 84 f. 18 Auch heute ist sie geschütztes Rechtsgut des Strafrechts (des i n den letzten Jahrzehnten neu erstandenen k r i m i n e l l e n Wirtschaftsstrafrechts). 19 a.a.O., S. 84.
I I I . Die Reichspolizeiordnungen
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den verletzen", die Tatbestände der Gotteslästerung in Art. 106 der Carolina und i n Titel I der RPOO 1530, 1548 und 1577 an: Dort werde die Gotteslästerung bestraft, weil sie die Gottheit, hier hingegen 20 , weil sie „das Kontrollinteresse der ,Oberkeiten, die solches zu wehren schuldig seynd'", verletze 21 . Dazu ist zu bemerken: Einmal gehört der Hinweis, daß die Obrigkeiten sich den Zorn Gottes zuziehen, wenn sie Gotteslästerungen dulden, zu den i n den Gesetzen wider das Gotteslästern 22 stets wiederkehrenden Ermahnungen (auch der Obrigkeiten), daß solche Taten wegen der Folgen, die Gott über die Menschen kommen lassen könne (die Königliche Satzung von 1495 verweist ζ. B. auf Hungersnöte, Erdbeben und damals aufgetretene schwere Krankheiten und Seuchen), unbedingt zu unterbleiben hätten. Trotzdem aber „auff vorderigen gehalten Reichßtägen Gotßlesterung vnd Gotßschwür bei hohen penen vnd straffen verbotten seind, so haben w i r doch deßhalb wenig besserung befunden, sondern merung der selben laster, auch merckliche versaumlicheyt der oberkeyt halb an gebürender straff vermerckt" (RPO 1530 Titel I § 1). Deshalb w i r d nun den „Obrigkeiten" (das Reich konnte ja die Bestimmungen der Reichspolizeiordnung nicht selbst ausführen) eindringlich nahegelegt, ihren Pflichten endlich gewissenhaft nachzukommen 23 . — Zum anderen erklärt sich die Behandlung der Gotteslästerung i n der PGO und in der RPO daraus, daß die PGO nur die Strafbarkeit der Gotteslästerung i m Grundsatz aussprach, wegen der Einzelheiten aber auf die RPO verwies, die dann eine genauere kasuistische Tatbestandsbeschreibung enthielt, verschiedene Fälle unterschied und die Strafdrohung danach abstufte. PGO und RPO gehören also zusammen; die RPO gibt die notwendige Ergänzung der PGO. A r t . 106 der PGO ordnet zunächst für die Gotteslästerung allgemein die Verfolgung von Amts wegen und eine Bestrafung an Leib, Leben oder Gliedern je nach den Umständen des Falles an und bestimmt danach, daß die Obrigkeiten nach Versendung der Akten jeweils den Richtern undUrteilern i m einzelnen „Bescheid" zu geben hätten, „wie solliche lesterunge, den gemeinen vnsern keyserlichen Rechten gemess vnnd sonnderlich nach jnnhalt besonnderer Artickell vnnserer Reichsordnunge, gestrafft werden sollen" 2 4 . Die „Reichsordnung" ist aber die 20 Unter Berufung auf die Wendung i n T i t e l I § 1 RPO 1530: „ . . . dardurch Gott der Almechtig n i t alleyn gegen den übelthetern sondern auch den oberkeyten, die solchs zu weeren schuldig seind, v n d gedulden zu den wercken des zorns v n d erschrecklicher, zeitlicher u n d ewiger, straff bewegt w i r t . " 21 Verwaltungsstrafrecht, S. 73 f. Zustimmend Würtenberger, Rechtsgüterordnung, S. 35, 77. Dagegen Segall, S. 102, u n d i m Ergebnis H. Maier, S. 107. 22 So auch i n der Königlichen Satzung von 1495 (NS I I 28), die nicht n u r der RPO 1530, sondern ebenso der Bambergensis u n d der Carolina als Vorlage gedient hat (Segall, S. 148). 23 Nach Goldschmidts Argumentation müßte selbst der M o r d ein V e r w a l tungsdelikt sein, w e i l er das „Kontrollinteresse" der Polizei, „die solches zu wehren schuldig ist", verletzt. 24 Zitiert nach Kohler u n d Scheel.
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1. T e i l : Geschichtliche E n t w i c k l u n g
Reichspolizeiordnung 25 , die auch sonst vielfach „Reichsordnung" oder „Ordnung" genannt wurde 2 6 . Ganz deutlich geht dies aus dem 1521 auf dem Reichstag zu Worms, auf dem auch die Reichspolizeiordnung erstmals entworfen worden war, angefertigten ersten Entwurf der PGO hervor, nach dessen Art. 112 die Obrigkeiten jenen Bescheid „den gemeinen vnnserer vorfarenn, vnnd vnseren kayserlichen Rechtenn, gemes vnnd sonderlich, nach jnhalt besondern Arttickeln vnser kayserlichen Ordnung vnnd pollicei so vff dem Reichstage jtzo allhie zu wormbs, inn dem einvnndzweintzigistenn Jare, durch vnns auffgerichtt ist" 2 7 , erteilen sollten. Damit dürfte die Behauptung von der „eigenartigen staatlichen Doppelwertung" der Gotteslästerung und der daraus folgenden „fundamentalen Sinnverschiedenheit der staatlichen Rechtsschutzsphären" 28 i n der PGO und der RPO widerlegt sein. Gotteslästerung und Schwören und Fluchen bei Gott stehen wie bei der Carolina an der Spitze. Von den zahlreichen weiteren Strafvorschriften in den Reichspolizeiordnungen seien vor allem die über verschiedene Betrugsfälle, Wucher, Bankrott, Monopol- und Vorkaufsverbote (Verbot des Zwischenhandels), Kartellverbote, Preisdelikte, Untreue, Sittlichkeitsdelikte, Bettelei, Landfriedensbruch usw., die teilweise entsprechende Bestimmungen der PGO ergänzten 29 , hervorgehoben. Immer wieder w i r d auf die große Schädlichkeit dieser Handlungen für den „gemeinen Nutzen" (die Gesamtheit und ihre gerechte soziale Ordnung) und den einzelnen Mann hingewiesen, woran man schon erkennen kann, welch erhebliche Bedeutung jenen Delikten i m Bewußtsein der Zeit zukam. Der Gerechtigkeitsgedanke zeigt sich hier mit der Vorstellung des gemeinen Nutzens untrennbar verbunden. Wucher und Judenwucher waren ein „hochschädlicher umfressender Unrath", durch den „Landen und Leuten mercklicher Schad zugefügt w i r d " und der daher nicht allein „vnzimlich, sonder auch vnchristlich wider Gott vnd recht" bzw. „wider die Göttliche vnd Unsere Kayserl. beschriebene Recht" 3 0 ist. Die Frage 25
Entsprechend hatte die Bambergensis i n A r t . 127 auf die Königliche Satzung über die Gotteslästerer von 1495 als dem maßgeblichen Reichsgesetz hingewiesen. 26 Vgl. Segall, S. 86 f. Auch Radbruch bemerkt jetzt, daß m i t „unserer Reichsordnung" die RPO 1530 gemeint ist (PGO, A n m . zu A r t . 106, S. 141). 27 Zitiert nach der Ausgabe von Zoepjl. 28 würtenberger, Rechtsgüterordnung, S. 35. 29 B e i m Ehebruch behandelt die PGO den einfachen, n u r auf Privatklage zu verfolgenden Ehebruch (Art. 120), die RPO dagegen einen erschwerten Fall, nämlich den öffentlichen, Ärgernis erregenden Ehebruch, der als ein zugleich gegen die öffentliche Sittlichkeit gerichtetes Verbrechen von A m t s wegen verfolgt w i r d (RPOO 1530 T i t e l 33, 1548 T i t e l 25,1577 T i t e l 26. Ebenso schon die Bambergensis i n A r t . 145 Abs. 3; die PGO hat diese Vorschrift nicht übernommen) ; deswegen ist er aber noch kein Verwaltungsdelikt, w i e Würtenberger (a.a.O., S. 86) meint. Vgl. auch Segall, S. 158 ff. Vielmehr zeigt sich an diesem Beispiel gut der Fortschritt i n der E n t w i c k l u n g des öffentlichen Strafrechts, den die Reichspolizeiordnungen m i t sich brachten.
I V . Das historische Polizeistrafrecht
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des gerechten Preises spielt noch eine wichtige Rolle, was außer i n den Wucherbestimmungen besonders bei den Kartellverboten (RPOO 1548 Titel 36, 1577 Titel 37), den Bestimmungen über Monopole und schädliche Vorkäufe (Zwischenhandel), der Lohnordnung, den Preisvorschriften hervortritt 3 1 . Uberall sollte dabei der gerechte Preis sichergestellt werden, der i m Mittelalter so große Bedeutung hatte (vgl. etwa das Zinsverbot) und dessen Geltung eine der Grundlagen der mittelalterlichen Sozial- und Wirtschaftsordnung bildete. Diese Ordnung jedenfalls i m Prinzip zu erhalten, war ja das Anliegen der Reichspolizeigesetzgebung i m 16. Jahrhundert, die als Ziel daher auch nur unmittelbar Durchsetzung materialer Gerechtigkeit verfolgen konnte. Dasselbe Bestreben liegt den Kleider- und Luxusordnungen und den Vorschriften gegen Verschwendung i n den Reichspolizeiordnungen zugrunde, die alle darauf ausgingen, die überkommene Sozialordnung mit der i h r eigenen Gliederung der Gesellschaft und ihren Standesprinzipien zu schützen und die Auflösungserscheinungen zu bekämpfen 32 . Die Reichspolizeiordnungen wurden wie die Carolina maßgebende Grundlage für die Entwicklung des Strafrechts der Folgezeit 33 .
IV. Das historische Polizeistraf recht (dargestellt vorzugsweise an Hand der Entwicklung in Brandenburg-Preußen) 1 1. Die Entstehung des Polizeistraf rechts als S traf recht der Polizei (Verwaltung) im Werdegang des absoluten Staates
Das geschichtliche sogenannte Polizeistrafrecht ist freilich nicht aus den Reichspolizeiordnungen hervorgegangen; seine Entstehung i n den 30 Siehe die Reichsabschiede 1497, § 28 (NS I I 32), 1500, A r t . 32 (NS I I 81), 1567, § 114 (NS I I I 353) sowie die RPOO 1530 T i t e l 26 § 1, 1548 T i t e l 17, 1577 T i t e l 17. 31 Monopole u n d Vorkäufe sind nach den Worten des Reichsabschiedes 1512 §16 (NS I I 144) eine „schädliche Handthierung" u n d fügen „dem H. Reich v n d allen Ständen desselbigen mercklichen Schaden zu, wider gemein beschriebene Kayserliche Recht v n d alle Erbarkeit" (entsprechend i n RPOO 1548 T i t e l 18 § 1,1577 T i t e l 18). Das Verwerfliche w i r d hier wie auch bei den Kartellabreden darin gesehen, daß der Abnehmer den Kaufleuten u n d Handwerkern nicht den Preis, den die Leistung w e r t ist, sondern „den Wert ihres Gefallens" bezahlen muß. — Eine Lohnordnung für Taglöhner, Arbeiter und Boten schrieb RPO 1530 T i t e l 24 deshalb vor, „ d o m i t der jhenig, so j r e bedörffen, n i t jres gefallens übernommen". 32 I n den Reichstagsakten von 1530 heißt es, daß aus „übriger costlichait der oleider u n d schwerer zerungen allen underthanen des heil. Rychs teutscher Nation mergklicher schade, Nachteil u n d verderben mehr dann globlich sey ervolgt" (Bd. 42, B l a t t 132; zitiert nach Segall, S. 90). Siehe ferner H. Maier, S.107. 33 v. Hippel, I, S. 220. — Vgl. auch Eb. Schmidt, Geschichte, S. 144 ff.
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1. T e i l : Geschichtliche Entwicklung
Territorien hängt vielmehr eng m i t dem Aufbau des modernen absoluten Staates zusammen. Es hat mit dem Polizeistrafrecht der späteren Theorien nichts zu tun und wurde daher von diesen als „begriffswidriges Herkommen" (Köstlin) abgelehnt. M i t dem Erstarken des Landesfürstentums und der entsprechend immer geringeren Wirksamkeit der Reichszentralgewalt verlagerte sich auch die Aufgabe der staatlichen Neuordnung und damit der Fortentwicklung des Rechts weitgehend auf die Territorien, die sich ihrer vornehmlich mit Hilfe ihrer Polizeihoheit entledigten — ähnlich wie es das Reich schon i n den Reichspolizeiordnungen versucht hatte, jedoch viel umfassender und von anderen Grundlagen aus. a) Die Bedeutung des Polizeibegriffs und des Polizeistrafrechts für den Aufbau der absoluten Staatsgewalt Der Begriff der Polizei (das ius politiae) diente den Landesfürsten seit Beginn der Neuzeit dazu, eine umfassende und zentrale Staatsgew a l t zu begründen und unbeschränkte Zuständigkeit i n allen staatlichen und bürgerlichen Angelegenheiten zum Zwecke einer den Erfordernissen der Zeit und ihrer Staatsidee genügenden Sozialgestaltung (einer bewußten Gestaltung der sozialen Wirklichkeit) für sich i n Anspruch zu nehmen. A n die Stelle einzelner Rechte, die der Landesherr bisher innehatte und auf Grund welcher er einzelne hoheitliche Befugnisse ausüben konnte (ζ. B. die Gerichtsbarkeit, die Regalrechte), trat nunmehr ein einheitliches Staatshoheits- und Regierungsrecht, das zum ordnenden Eingriff i n alle Lebensbereiche berechtigte und verpflichtete 2 . M i t Hilfe der Polizei war die Aufgabe zu lösen, das Land i n einen „florisanten" Zustand zu bringen und durch eingehende Regelungen der verschiedenen Daseinsbereiche eine soziale Lebens- und Pflichtenordnung zu begründen und zu gewährleisten, die den Vorstellungen der Epoche über ein gerechtes Zusammenleben i m Staate entsprachen. A u f diesem Wege mußten die ständestaatlichen Elemente i m Staatsaufbau zurückgedrängt und die einheitliche Staatsgewalt gegen die patrimoniale Zersplitterung der Staatshoheitsrechte und die sie tragende Auffassung vom patrimonialen (privatrechtlichen) Charakter dieser Rechte 3 durchgesetzt werden. 1
Diese Beschränkung ist deshalb gerechtfertigt, w e i l einerseits die preußische Entwicklung für das seit 1871 geltende deutsche S traf recht maßgebend wurde u n d andererseits die Ausbildung des Polizeistrafrechts i n den anderen Territorien durchweg n u r i n Einzelheiten, nicht aber i m Grundsätzlichen von der i n Preußen abweicht. A u f manche Besonderheiten w i r d hingewiesen werden. Über die E n t w i c k l u n g i n Österreich vgl. u. S. 183 ff. 2 Über die „polizeiliche" Rechtsgestaltung (durch die Polizeiordnungen) u n d ihre E i n w i r k u n g auf das Privatrecht vgl. Schmelzeisen, Polizeiordnungen u n d Privatrecht. 3 Ganz ist sie allerdings i m absoluten Staat nicht überwunden worden. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts findet sich die Ansicht, auf den Gütern seien Gerichtsbarkeit u n d Verwaltungshoheit Ausflüsse des Grundeigentums und
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Insbesondere Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt (aber auch Finanzrechte) lagen weitgehend i n der Hand der Patrimonialherren und der Städte. Schon etwa um 1200 hatte der Landesherr i n Brandenburg damit begonnen, einzelne Hoheitsrechte, zunächst an die Kirche, dann auch an Private (Gutsherren), zu veräußern. Den Anfang machten die landesherrlichen Einkünfte (Abgaben) und die Dienstleistungen der Bauern, wodurch der Gutsherr auch das Obereigentum über die Bauerngüter erwarb; schließlich folgten die Lehnshoheiten über das Schulzenamt und den Vogt mitsamt der Schulzen- bzw. der Vogteigerichtsbarkeit. Zuweilen erwarben Gutsherren die volle Strafgerichtsbarkeit. Auch die Gerichtsbarkeit und die Finanzrechte über die Städte (mitsamt der Lehnsherrlichkeit über den Stadtrichter) wurden veräußert, teils an private Lehnsherren (wodurch die sogenannten Mediatstädte entstanden), teils an die Städte selbst 4 . A u f diese Weise hatten die staatlichen Hoheitsrechte privatrechtlichen Charakter angenommen und waren ständisch zersplittert. Sie hatten sich i n Zubehör des Großgrundbesitzes verwandelt, so daß das Verwaltungsamt untrennbar mit dem Grundbesitz verbunden zu sein schien. Jede Provinz gliederte sich i n eine Anzahl von Patrimonialherrschaften, i n denen die einzige Behörde (Inhaber der Polizei und des Gerichts, der den Gerichtshalter ernennt, Finanzbehörde) der Gutsherr war. Nur die Immediatstädte stellten unter den städtischen Behörden noch „landesunmittelbare" Verwaltungsbezirke dar. Der Landesherr selbst erschien infolge dieser Patrimonialisierung der Hoheitsrechte i n den ihm noch unmittelbar verbliebenen Gebieten als Patrimonialherr, dem die Hoheitsrechte (Gerichtsbarkeit, Dienste und Abgaben) nur wegen seines Grundeigentums (Domäneneigentums) zustanden 5 . Die Domäne (das A m t 6 , die frühere Vogtei) wurde so zur Grundlage des landesherrlichen Verwaltungsbezirks. Etwa u m 1500 traten damit Ämter und Amtsleute an die Stelle der Vogteien und Vögte 7 . Zum weitaus größten Teil befanden sich aber Gerichts-, Polizei- und Finanzverwaltung i m 16. Jahrhundert i n der Hand privater Gutsherren, die vom Landesfürsten fast unabhängig waren. Die wenigen diesem zur unmittelbaren Ausübung seiner Hoheitsrechte verbliebenen Gebiete glichen den Patrimonialherrschaften. Auch hier hatte die Hoheitsgewalt durch Verbindung mit der landesfürstlichen Domäne, dem Amt, einen subjektiv-dinglichen Charakter angenommen, nur daß der Gutsherr der Landesfürst war, der gehörten zur Grundherrschaft. Vgl. die Verteidigung dieser Ansicht durch v. Kamptz, Jahrbuch 34 (1829), S. 236 ff. Der ständische Gesellschaftsaufbau blieb auch i m absoluten Staat erhalten, aber die Macht der Stände wurde gebrochen u n d die ständische Ordnung i n die des absoluten Staates eingefügt. 4 Bornhak, Verwaltungsrecht, I, S. 17 ff., 35 ff., 47 ff., 56. 5 Bornhak, a.a.O., S. 254, 268. 6 „ A m t " bedeutete damals die landesherrliche Domäne. 7 Bornhak, a.a.O., S. 130 f.
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die Gerichts-, Polizei- und Finanzhoheit über die Amtsuntertanen von dem Amtmann (Domänenverwalter) als seinem ständigen Vertreter ausüben ließ 8 . M i t Beginn der Neuzeit besann der Staat sich allmählich wieder auf seine Aufgabe und nahm mit dem ius politiae (Polizeihoheitsrecht) die umfassende, geschlossene Staatsgewalt für sich i n Anspruch, mit der er den ständischen Staatsaufbau (die autonomen ständischen Institutionen) und die Zersplitterung der staatlichen Hoheitsrechte zu beseitigen trachtete und sich bemühte, die ständische Gesellschaftsordnung zu überwinden oder zu ändern und i n die neue staatliche Ordnung einzufügen. Das gesamte Leben i m Staate mußte reformiert werden, wenn dieser Staatsneubau gelingen sollte; daher übte der Fürst ein weitgehendes Eingriffsrecht i n alle Lebensbereiche zum Wohle des Staates und der Allgemeinheit aus. I m Zuge dieser Bildung des modernen absoluten Staates w u r den große Machtbefugnisse bei neu geschaffenen und nur vom Landesherrn abhängigen Behörden konzentriert und überkommene Einrichtungen beseitigt, umgestaltet oder neuen Behörden unterstellt und an deren Weisungen gebunden. Neben das überkommene gemeine Recht trat, ihm vielfach widersprechend, neues, auf Grund des ius eminens geschaffenes landesfürstliches Recht (auch Strafrecht), das helfen sollte, eine neue Ordnung des staatlichen Lebens zu errichten und zu schützen. Ein Vergleich m i t der Bildung des Königsrechts i n fränkischer Zeit liegt nahe. Die neuen Behörden hatten das landesfürstliche Recht anzuwenden und gegen das alte durchzusetzen, das die aus dem Ständestaat stammenden Behörden zu wahren suchten, was ihnen aber wegen der steten Schmälerung ihrer Befugnisse auf die Dauer kaum gelingen konnte. I n diesem Rahmen ist auch das nunmehr entstehende sogenannte Polizeistrafrecht zu sehen. Unter der neuen Staatsauffassung diente es wie alles Strafrecht der staatlichen Umgestaltung und der Förderung und Sicherung der neuerrichteten Staats- und Lebensordnung. Die Gerichtsbarkeit i n Polizeisachen lag der Stelle ob, der auch sonst die Polizeihoheit zustand, wie es bei der durch die Reform bedingten Zusammenfassung der Hoheitsrechte nur natürlich war. Allerdings ist diese Einheit von Gericht und Polizei nicht neu gewesen. A m Ende des Mittelalters und noch i m 16. Jahrhundert befanden sich Gericht und Polizei durchweg in einer Hand 9 . Außerhalb der Städte hatten überall die ordentlichen Gerichte die Übertretungen der „PolizeiVerordnungen" abzuurteilen, in den Städten der Rat, dessen Entscheidungen wie die des Stadtgerichts grundsätzlich vor den landesherrlichen Obergerichten angefochten werden konnten 1 0 . Soweit die Strafgerichtsbarkeit nicht als Nachfolgerin der al8 9
Bornhak, a.a.O., S. 268. Anders n u r i n den Städten; vgl. o. S. 44 ff.
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ten hohen Gerichtsbarkeit (Blutgerichtsbarkeit, Gerichtsbarkeit über Leib und Leben usw.) bereits i n gewisser Weise verselbständigt worden war (Kriminalgerichtsbarkeit, peinliche Gerichtsbarkeit), gebührte sie den Inhabern der (niederen) Gerichts- und Polizeihoheit (den Gerichtsherren oder Gerichtsobrigkeiten). Dieses — bisher stets durch die Gerichtsgewalt gekennzeichnete — Hoheitsrecht wandelte sich unter dem Einfluß der neuen Staatsauffassung und des nicht mehr auf einzelne Befugnisse beschränkten ius politiae zum Polizeihoheitsrecht, das die Obrigkeiten i n ihrem Herrschaftsbereich für den Landesherrn auszuüben hatten, und die ihnen wie früher überlassene (dann allerdings oft eingeschränkte) Strafgerichtsbarkeit demzufolge zur Polizeistrafgerichtsbarkeit. Sie traten jetzt nicht mehr i n erster Linie als Gerichtsobrigkeiten, sondern als Polizeibehörden i n Erscheinung, so daß ihre gerichtliche Tätigkeit als Anhängsel an das Polizeihoheitsrecht oder als Teil desselben erscheinen mochte. Insbesondere bei den neuen Behörden stand der „polizeiliche" Charakter eindeutig i m Vordergrund; zu den ihnen übertragenen Befugnissen gehörte auch (schon auf Grund der anfänglich umfassenden Bedeutung des Polizeibegriffs) die entsprechende, d. h. auf das betreffende Sachgebiet bezügliche Gerichtsbarkeit, die wegen dieser Verknüpfung m i t dem nunmehrigen Polizeihoheitsrecht eine polizeiliche Gerichtsbarkeit genann^ und auf Kosten der Gerichtsbarkeit älterer Stellen oder Institutionen ausgedehnt wurde. Vor allem zeigte sich dies in den überörtlichen (höheren) Instanzen. Hier zogen die neuen landesfürstlichen Behörden m i t ihren wachsenden Verwaltungszuständigkeiten immer mehr Rechtsprechungsbefugnisse an sich, so daß der Wirkungsbereich der bestehenden Gerichte, die dem überlieferten Recht und dem Ständewesen verhaftet waren und daher für die Durchsetzung der neuen staatlichen Ordnung nicht i n Betracht kommen konnten 1 1 , eingeengt wurde. So ging ζ. B. der Rechtsmittelzug i n Polizeiübertretungssachen von der Ortsinstanz (wo Gericht und Polizei durchweg nicht vereinigt waren) nicht mehr an die Obergerichte, sondern an die entsprechenden Verwaltungsbehörden 12 . Überall läßt sich der alte und bis ins 19. Jahrhundert wirksame Grundsatz erkennen, daß, wer i n einem bestimmten Sachgebiet Hoheitsrechte wahrzunehmen hat, auch die Befugnis zur Rechtsprechung i n diesem Bereich besitzen müsse (soweit nicht etwa die Begrenzung seiner Strafbefugnis entgegensteht). Demgemäß wuchs mit ihrer sonstigen Zuständigkeit auch die Rechtsprechungsgewalt der neuen Behörden. Ebenso begann der Staat, die alte (ständisch zersplitterte) niedere Gerichtsbarkeit m i t Hilfe seines umfassenden Polizeihoheitsrechts 10
Bornhak, Verwaltungsrecht, I, S. 204. Vgl. Hintze, S. 152: „ A l l e Justiz ist ihrer N a t u r nach konservativ; sie ist auf den Schutz der wohlerworbenen Rechte gestellt u n d daher ein Hemmschuh für Revolutionäre u n d Reformer." 12 Siehe aber zur Gegenüberstellung von Gerichten u n d Verwaltungsbehörden auch u. S. 68 f. 11
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als staatliches Recht i n Anspruch zu nehmen, einheitlich zu regeln und von eigenen oder doch vom Staat abhängigen oder seinen Anordnungen unterliegenden Stellen ausüben zu lassen. Bemerkt sei schließlich noch, daß lange Zeit keine ausreichende verselbständigte Gerichtsorganisation vorhanden war, auf die die Rechtsprechung über die geringeren Delikte hätte übergehen können. Die Bezeichnung „Polizeigerichtsbarkeit" (mit den weiteren „Polizeistrafrecht" und „Polizeistrafen") blieb auch nach der Einengung des Polizeibegriffs, so daß schließlich das historische Strafrecht zu dem später herausgearbeiteten „reinen" Begriff der Polizei i n Widerspruch stand und damit das Problem des „Polizeistrafrechts" aufkam, dem später das des Verwaltungsstrafrechts und endlich des Ordnungswidrigkeitenrechts nachfolgte. b) Die Überwindung des Ständestaates, insbesondere durch das Amtskammer- und Kommissariatswesen Unter dem Großen Kurfürsten (1640 - 1688) war das System des Ständestaates bereits i n den oberen Instanzen der Verwaltung (Zentral- und Provinzialverwaltung) und der Justiz überwunden 1 3 , nicht aber der ständische Einfluß auf die Stellenbesetzung und vor ajlem nicht der ständische Geist bei den Mitgliedern jener Behörden, insbesondere der Justiz. Die unteren Instanzen blieben weiterhin patrimonial 1 4 . I m 17. Jahrhundert wurden die Provinzial- und Zentralbehörden kollegial gestaltet, so daß der Unterschied zwischen Verwaltungsverfahren und gerichtlichem Verfahren schwand. Man suchte die Verwaltungsfunktionen i n einer Provinz bei der Regierung zu vereinen; schließlich verschmolzen, wie i n der Neumark, Provinzialgericht und Provinzialregierung miteinander 1 5 , oder die Regierungen übernahmen zu ihren Verwal13 Z u erwähnen sind die B i l d u n g des Geheimen Hofrats durch E d i k t v o m 13. Dezember 1604, der, zunächst Beratungsorgan des Kurfürsten, zur obersten Verwaltungs- u n d Kontrollbehörde des Landes w u r d e ; die — schon früher erfolgte — Errichtung des Kammergerichts aus den den Kurfürsten bei seiner Rechtsprechung unterstützenden Räten; auch reine Verwaltungsbehörden entstanden: so der Landeshauptmann, i n der Neumark die neumärkische Regierung als erste Kollegialverwaltungsbehörde (im M i t t e l a l t e r V e r w a l t u n g durch Einzelbeamte); B i l d u n g des neumärkischen Kammergerichts, später Vereinigung m i t der neumärkischen Regierung; 1658 Entstehung des obersten Gerichtshofs f ü r die M a r k e n (zuerst Geheimer Rat zu den Verhören genannt, dann Geheimer Justizrat). A l l e Gerichtsbarkeit sollte v o m Kurfürsten, dem obersten Richter, hergeleitet sein; Friedrich III. (I.) befahl daher den höheren Gerichten, „ i m Namen des Königs" Recht zu sprechen (Kern, Geschichte, S. 43). Der K u r f ü r s t konnte das oberste Landesgericht selbst abhalten und, da i m 16. Jahrhundert der Unterschied zwischen Schöffen u n d Richtern schwand, auch selbst entscheiden. 14 Vgl. auch Döhring, S. 46 ff., 50 ff.; Loening, S. 39 ff.; Oestreich, Staat 6, S. 72.
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tungsaufgaben noch die Befugnisse ordentlicher Rechtspflegeorgane 16. Dadurch fand nun ζ. B. bei Beschwerdesachen und Polizeiübertretungen dasselbe Verfahren (Verwaltungsverfahren i n den Formen des ordentlichen Prozesses) statt 1 7 . Wo aber ein besonderes Provinzialgericht weiter bestand, behielt es die Zuständigkeit i n Polizeiübertretungen noch länger 1 8 . Einen Machtgewinn und einen gewissen Fortschritt bei der Uberwindung des ständischen Staatswesens erzielten die Landesfürsten m i t Hilfe ihrer Domänenverwaltung 1 9 . Bei deren Ausbau kamen sie zunächst am wenigsten mit den Ständen i n Konflikt. I m 17. Jahrhundert bildeten sie i n den Provinzen Amtskammern als Kollegialbehörden zur Verwaltung der Domänen und Regalien und 1689 als kollegiale Zentralbehörde die Geheime Hofkammer (dazu 1697 das Oberdomänendirektorium, beide seit 1713 zum Generaldomänen- und Finanzdirektorium vereinigt), mit deren Errichtung der nach einheitlichen Grundsätzen unter zentraler Leitung arbeitende sogenannte Kammerstaat entstanden war und die Kontrolle der Regierungen über die Amtskammern verschwand. Die Kammern begannen sogleich, ihre Zuständigkeit auf Kosten der überkommenen Behörden (Regierungen) auszudehnen. Neben der Verwaltung der Domänen- und Regalienangelegenheiten und der „ökonomischen Sachen" usw. beanspruchten sie auch die Gerichtsbarkeit, wodurch die der ordentlichen Gerichte geschmälert wurde. Von den A m t leuten (die die Strafgerichtsbarkeit über die Amtsuntertanen i n nicht peinlichen Sachen sowie die Zivilgerichtsbarkeit für die Amtsuntertanen i n den Domänen ausübten) ging die Berufung nicht — wie bei der Patrimonialgerichtsbarkeit des Adels und der Städte — an die Regierungen (Justizkollegien), die ordentlichen Gerichte, sondern an die Amtskammern als die übergeordneten Provinzialbehörden, da dies „Justitien oder Partsachen sind, da W i r oder Unsere Ämter interessieret" (Amtskammerordnung von 1652)20. Nach dem Grundsatz („da W i r oder Unsere Ämter interessieret") wurde die Zuständigkeit der Amtskammern weiter ausgedehnt. Dieser fest i n der Hand des Landesherrn befindlichen Behördenorganisation oblag u. a. die Strafrechtsprechung i n Jagd-, Holz-, Grenzund Zollsachen, seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch die 15 Das aus dem neumärkischen Kammergericht u n d der neumärkischen Regierung hervorgegangene neue K o l l e g i u m hieß n u r noch „neumärkische Regierung" (Bornhak, Verwaltungsrecht, I, S. 281). 16 Wobei sie häufig i n Konkurrenz zu den Hofgerichten traten (vgl. dazu Hintze, S. 119 ff.). 17 Bornhak, a.a.O., S. 380; i n Polizeisachen schloß m a n jedoch die Appellation aus. 18 Bornhak, a.a.O., S. 381. 19 Dazu Bornhak, a.a.O., S. 381 ff., 403; derselbe, Geschichte, S. 102 ff.; Loening, S. 33 ff. 20 Loening, S. 33.
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Verhängung der i n den Edikten zur Vermehrung der landesherrlichen Einnahmen aus den Domänen und Regalien und zur Regulierung des wirtschaftlichen Lebens angedrohten Strafen 21 . Die unausbleiblichen Kompetenzstreitigkeiten zwischen Kammern und ordentlichen Gerichten hinderten kaum die Ausdehnung der Kammergerichtsbarkeit. Friedrieh III. (I.) befahl schließlich i m Edikt vom 27. Oktober 1688 allen Justizkollegien (Regierungen usw.), daß „sie sich i n keinerlei Wege denen ökonomischen Sachen oder was diesen dependiert oder dahin gezogen werden könnte, anmaßen noch darin weiter immisciren oder das geringste dari n verordnen sollen, sondern es soll allwege unsern Kammern die cognitio sowohl i n causis cameralibus, nemlich ratione servitiorum, praestationum, contributionis, finium und anderer onerum et commodum, auch allen andern, so von Domänen-Sachen und Öconomie dependieren können, über die Amtsuntertanen und deren Bedienten, als auch über andere Untertanen, wenn sie actores, oder i n Zoll, Ziese und andern DomänenSachen rei seien, verbleiben" 2 2 . Damit wurden die Domänen- und Regalienverwaltung und was man dazu rechnete der gerichtlichen Kontrolle entzogen. Rechtsprechungs- und Verwaltungskontrollverfahren fielen zusammen, so daß nur ein Verwaltungsverfahren i n den Formen des ordentlichen Prozesses übrigblieb 2 3 . Die eigentliche Neubegründung des Staates vollzog sich jedoch nicht durch das Amtskammersystem, sondern m i t Hilfe des Kommissariatswesens 24 . Jenes stammte aus dem Patrimonialstaat; es war aus der Stellung des Landesfürsten als Patrimonialherrn hervorgegangen; dieses hingegen bedeutete eine Neuschöpfung des sich aus den ständischen Fesseln befreienden Staates und war vom bürokratisch-militärischen Geist des neuen Beamtentums der preußischen absoluten Monarchie getragen 25 . Die Staatsgewalt Brandenburg-Preußens gründete sich seit dem Großen Kurfürsten auf ein stehendes Heer, ein nur vom Fürsten abhängiges Beamtentum und ein geordnetes System landesherrlicher (nicht stän21
Dazu näher Loening, S. 36. Loening, S. 37; siehe auch Acta Bor. I S. 515. 23 Bornhak, Verwaltungsrecht, I, S. 403. — Wie hier, so zeigte sich auch bei andern Behörden das Bestreben, V e r w a l t u n g u n d Rechtsprechung auf einem bestimmten Sachgebiet als Ausfluß desselben Hoheitsrechts i n einer Hand zusammenzufassen: z. B. erhielten die Berliner Baukommission m i t E d i k t v o m 13. J u l i 1691 die Gerichtsbarkeit i n allen Baustreitigkeiten, der Generalpostmeister die i n Postsachen (Reskript v o m 19. März 1703), das Medizinalkollegium eine Gerichtsbarkeit i n Medizinalsachen (Edikt v o m 12. November 1685, Reskripte v o m 30. J u l i 1700 u n d v o m 25. J u n i 1701) (Loening, S. 38). 24 Gebhardt-Oestreich, I I , S. 416. 25 Beide gehörten verschiedenen Entwicklungsabschnitten des modernen Staates an: die K a m m e r n seiner Anfangszeit, i n der noch das Ständetum v o r herrschte, dessen Gedankenwelt ihre Beamten verhaftet blieben; die K o m m i s sariate dem neuen Militärstaate, dessen Beamte die eigentlichen Träger der absoluten Monarchie waren (Bornhak, Geschichte, S. 173). 22
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discher) Finanzen. Die wichtigsten Organe der landesherrlichen Finanzund Polizeiverwaltung entstanden seit der Mitte des 17. Jahrhunderts aus Beamten der Heeresverwaltung, den Kriegskommissaren (ursprünglich Militärintendanten), deren Bedeutung m i t der des stehend gewordenen Heeres wuchs. Ihnen oblag die Verwaltung der neuen (nicht mehr von ständischer Bewilligung abhängigen), für die Unterhaltung des Heeres bestimmten Steuern, dann auch die Beaufsichtigung der provinzialen und örtlichen Steuerverwaltung. 1660 erhielten sie i n dem Generalkriegskommissar eine zentrale Leitung, wodurch die Oberaufsicht der Regierungen, bei denen zunächst die gesamte Verwaltung vereinigt sein sollte, wegfiel. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts verwandelten sich alle Kommissariate i n Kollegien (Kriegskammern); 1713 wurde auch das Generalkriegskommissariat zu einer kollegialen Behörde 26 . Die Kommissariate hatten zunächst für die Unterhaltung des Heeres zu sorgen; dazu wurden sie i n die Steuer-, Finanz- und schließlich W i r t schaftspolitik eingeschaltet und auf diese Weise sogar zu Trägern der preußischen merkantilistischen Wirtschaftspolitik 2 7 . Die Verbindung m i t dem Heer löste sich, sobald dessen Unterhaltung nach seinem festen Einbau i n den Staat keine besondere Behörde mehr erforderte. Zu den Aufgaben der Steuerverwaltung (Pflege und Entwicklung der Steuerquellen des Landes) rechnete man auch die Sorge für die Steuerfähigkeit der Untertanen. Dies gab der Kommissariatsverwaltung die Handhabe, sich nach und nach der inneren Verwaltung zu bemächtigen. Ihre örtlichen Organe, der Kreiskommissar und Landrat auf dem Lande, der Steuerkommissar i n der Stadt, wurden zu Aufsichtsbehörden für die gesamte, von den Patrimonialobrigkeiten und den Städten ausgeübte innere Verwaltung und übernahmen diese i n den Städten zu einem großen Teil selbst. Sie schoben sich damit i n die bisherige Organisation der allgemeinen Verwaltung ein, bei der über den örtlichen Stellen des alten ständischen Staates (Patrimonialherrschaften und Städten) die Provinzialregierungen als Aufsichtsbehörden standen, die zwar bereits Organe des absoluten Staates, aber doch der ständischen Ordnung noch zugetan waren. M i t der Zuständigkeit der örtlichen Kommissariatsorgane dehnte sich auch die der Kommissariate und des Generalkriegskommissariats unter beständiger Schmälerung des Arbeitsgebietes der Regierungen und häufigen Konflikten mit diesen aus, bis die Verwaltungszuständigkeit der Re26 Die kollegialische Gestaltung hing (wie bei den Amtskammern) nicht zuletzt m i t den Jurisdiktionsbefugnissen der neuen Behörden zusammen u n d sollte die Unparteilichkeit der Entscheidungen (die j a häufig auch zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen Privatleuten zum Gegenstand hatten) u n d überhaupt die richtige Sachbehandlung sichern, w i e j a auch die Beratung m i t nachfolgender A b s t i m m u n g der rationalen Auffassung der Zeit am besten entsprach. Anfangs spielte w o h l auch die unsystematische Ressortaufteilung eine Rolle (vgl. Hintze, S. 115 f.; Forsthoff, S. 26 f.). 27 Gebhardt-Oestreich, I I , S. 416 f.
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gierungen schließlich auf Lehns-, Hoheits- und Gnadensachen beschränkt, alles übrige aber, insbesondere die gesamte Polizeiverwaltung, auf die Kommissariate übergegangen w a r 2 8 . Dazu nahmen diese i n allen unter ihre Verwaltung gekommenen Sachgebieten auch die Rechtsprechungsbefugnis als Teil des umfassenden landesherrlichen Hoheitsrechts, das sie i n den ihnen übertragenen Angelegenheiten zu verwalten hatten, für sich i n Anspruch, was zu ständigen Streitigkeiten m i t den Gerichten (Regierungen) führte, die aber auf die Dauer unterlagen. Der absolute Staat war bestrebt, die Einwirkung der Gerichte, die lange Zeit noch nicht von seinem Geiste beseelt waren, auf alle die innere Verwaltung (Polizei) und die Finanzhoheit betreffenden Angelegenheiten auszuschließen, i n denen der Patrimonialstaat mit seiner privatrechtlichen Auffassung der Hoheitsrechte eine ausgedehnte Rechtsprechungstätigkeit der Gerichte gekannt hatte. Hinzu kam die sich anbahnende Beschränkung der Rechtsordnung auf subjektive (private) Rechte, wonach die Tätigkeit des Staates i m öffentlichen Bereich (die Verwaltung) letzten Endes nicht nach Rechtssätzen, also außerhalb der eigentlichen Rechtsordnung vor sich gehen sollte. Polizeisachen wurden für inappellabel erklärt. Infolge der kollegialen Organisation der Behörden bewegte sich das Verfahren i n den Formen des ordentlichen Prozesses, ohne daß dabei noch ein Unterschied zwischen Verwaltungs- und Rechtsprechungsverfahren zu bemerken gewesen wäre 2 9 . Seit 1713 gab es gegen die Entscheidungen des Kommissariats das Beneficium supplicationis innerhalb der gewöhnlichen Berufungsfrist von zehn Tagen an das Generalkriegskommissariat 30 . So hatten die neuen Verwaltungsbehörden (Amtskammern, Kommissariate) eine Strafgerichtsbarkeit i n ihrem sachlichen (Verwaltungs-) Zuständigkeitsbereich und außerdem die Gerichtsbarkeit i n den Streitsachen der Untertanen erhalten, die die Interessen der Militär-, Steuerund Polizeiverwaltung berührten 3 1 . Aber die Kompetenzabgrenzung war ungenügend, was zu Unzufriedenheit und Beschwerden führte, und man brachte vor, die Kammern seien judices i n propria causa und könnten daher nicht über die gehörige Unparteilichkeit verfügen 32 . Dagegen 28 Siehe näher Bornhak, Geschichte, S. 115 f., 123, 161 ff., 168 ff.; derselbe, Verwaltungsrecht, I, S. 257 ff., 267 ff., 330 ff., 378 ff., m i t Nachweisen. 29 Bornhak, Verwaltungsrecht, I, S. 381. 30 Bornhak, Geschichte, S. 124; derselbe, Verwaltungsrecht, I, S. 381. 81 Siehe näher insbesondere Loening, S. 30 ff., u n d Hintze, S. 108 f. 32 Loening, S. 40 ff., 43 ff. — Hauptsächlich stritten Gerichte u n d A m t s k a m mern u m die Zuständigkeit, u n d zwar i m Instanzenzug (ob die Appellation gegen die Entscheidungen des Amtmannes auf den Domänen, dessen erstinstanzliche Rechtsprechung unangefochten war, an die Regierung oder die K a m m e r u n d die Revision an das Oberappellationsgericht oder die Geheime Hofkammer bzw. das Generalfinanzdirektorium gehen sollte). Zwischen Gerichten u n d Kommissariaten gab es nicht so häufigen Streit, w e i l jene weniger
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wurde auf die schlimmen Zustände i m Justizwesen hingewiesen, bei dem die Prozesse verschleppt würden, vor allem aber betont, der Landesherr könne jeder Behörde Jurisdiktion beilegen 33 . Die Versuche des Königs, die Zuständigkeit der Gerichte gegenüber der der Kammern und Kommissariate durch verschiedene Verordnungen (besonders vom 21. Juni 171334 — Justizreglement 1713 — und vom 25. A p r i l 171535) abzugrenzen, hatten nur geringen Erfolg. Die Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Amtskammern und den Kommissariaten beendete Friedrich Wilhelm I. dadurch, daß er 1723 eine neue einheitliche Zentralbehörde für die innere Landesverwaltung (Militär·, Polizei- und Finanzverwaltung) schuf, das Generaldirektorium (General-Ober-Finanz-Kriegs- und Domänendirektorium), i n dem er selber den Vorsitz hatte 3 6 . Schon wenig später wurden auch die Provinzialbehörden (Amtskammern und Kommissariate) zu Kriegs- und Domänenkammern vereinigt 3 7 . Die (nun schon geforderte) Trennung von Verwaltung und Justiz unterblieb dagegen vorerst. Unter Friedrich Wilhelm I. entwickelte sich die Gerichtsbarkeit der Verwaltungsbehörden zu voller Blüte 3 8 . Noch waren die neue Ordnung des absoluten Staates nicht so gesichert und die überkommenen Gerichte nicht so in sie hineingewachsen und reformiert, daß sie die Gerichtsbarkeit (einschließlich der Strafgerichtsbarkeit) i n den diese neue Ordnung unmittelbar berührenden Angelegenheiten hätten übernehmen können 3 9 . i n die von diesen verwalteten Hoheitsrechte des absoluten Staates eingriffen als i n die Domänen- u n d Regalienverwaltung, bei der der Monarch noch mehr als (privatrechtlicher) Grundherr erschien (vgl. Hintze, S. 108 f. Dort auch über die Entstehung des Justizreglements 1713). Die Kommissariate waren (anders als die Kammern) gänzlich neue Behörden, die nie zu den Regierungen gehört hatten, u n d ihre Verwaltungsaufgaben großenteils nicht aus dem Zuständigkeitsbereich der Regierungen herausgenommen (wie durchweg die K a m m e r sachen). 33 Loening, S. 43. — Vgl. auch aus einer Notiz Friedrich Wilhelms I. v o m 30. März 1713 zu Reformvorschlägen Bartholdis u. a. die Bemerkung, daß „die schlimme Justitz gen h i m m e l schreiet u n d wen ichs nicht remedire selber die V e r a n t w o r t u n g ] auf m i r lahde . . . " (Acta Bor. I S . 522). 34 „Allgemeine Ordnung, die Verbesserung des Justitz-Wesens betreffend", C. C. M. I I 1 Nr. 131 (Sp. 517 ff.) ; siehe auch Acta Bor. I S. 515 ff. 35 „Constitution, wie es m i t Expedirung der Justitz-Sachen bey Dero Gener a l - u n d denen Provincial-Commissariaten zu halten", C. C. M. I I 1 Nr. 139 (Sp. 563 f.) ; siehe auch Acta Bor. I I S. 226 ff. 36 Königliches Notifikationspatent v o m 24. Januar 1723 (C. C. M. V I 2 Nr. 153, Sp. 241; mitgeteilt auch bei Bornhak, Verwaltungsrecht, I I , S. 59); I n s t r u k t i o n vom 20. Dezember 1722 (Förster, I I , S. 173 ff.); Geschäftsverteilung durch V e r ordnung v o m 14. Januar 1723 (Rödenbeck, I, S. 23). 37 Notifikationsordre (an das kurmärkische Kommissariat u n d die k u r m ä r kische Amtskammer) v o m 26. Januar 1723 (Rödenbeck, I, S. 82), dazugehörige I n s t r u k t i o n v o m 26. Januar 1723 (a.a.O., S. 31 ff.). 38 Bornhak, Verwaltungsrecht, I I , S. 96. 5·
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1. T e i l : Geschichtliche E n t w i c k l u n g
Wenn hier „Gerichte" und „Verwaltungsbehörden" einander gegenübergestellt werden, so darf man freilich nicht außer acht lassen, daß dies vom Standpunkt einer späteren Entwicklungsstufe aus gesehen und daher für die Verhältnisse in Preußen zu Beginn des 18. Jahrhunderts nur bedingt richtig ist, denn es waren ja, wie mehrfach erwähnt, weder die Regierungen reine Rechtsprechungs- noch die Kammern und Kommissariate reine Verwaltungsbehörden 40 , ihr Gegensatz also auch weniger ein solcher von Justiz und Verwaltung 4 1 , sondern vielmehr von Repräsentanten des überlieferten, aus dem Ständestaat stammenden und des neuen, vom absoluten Fürsten gesetzten Rechts. Erst nachdem die 1713 einsetzenden Bemühungen um eine feste Zuständigkeitsregelung zu einer fortschreitenden Sonderung von Justiz und Verwaltung geführt hatten (vor allem seit dem Ressortreglement von 1749)42, kann man eigentlich von Regierungen und Kammern als von Gerichten und Verwaltungsbehörden (die aber selbst dann noch Rechtsprechungsaufgaben erfüllten) in einem strengeren Sinne sprechen. Die (nachmaligen) Verwaltungsbehörden waren allein berufen, die neue staatliche Ordnung unter Beseitigung des vorigen (ständischen) Rechts durchzusetzen und zu diesem Zweck die dazugehörige Gerichtsbarkeit auszuüben 43 . A n die Stelle jenes früheren Rechts konnte der aufstrebende Staat zunächst nur die unbeschränkte Hoheitsgewalt des absoluten Herrschers setzen, von dem alle rechtliche Ordnung auszugehen hatte und der den Untertanen gegenüber gleichsam an keine greifbaren (rechtlichen) Schranken gebunden war. So wurde wesentlicher Maßstab für das Verwaltungshandeln wie für die Staatstätigkeit überhaupt der nach den Zielen des absoluten Staates (Sicherheit und Wohlfahrt des Staates und der Allgemeinheit) ausgerichtete Grundsatz der Zweckmäßigkeit. Demgegenüber wahrten die Gerichte das überkommene, d. h. das ständische Recht. Deshalb mußte ihre Gerichtsbarkeit jetzt dort aufhören, wo der Sachbereich der neuen Verwaltungsbehörden begann, das von ihnen wahrgenommene öffentliche Interesse eine Rolle spielte. Wo dieses öffentliche Interesse unbe-
39 Siehe dazu auch Bornhak, a.a.O., S. 53. — Schon der schlechte, viele Klagen veranlassende Zustand der Gerichte konnte eine Kontrolle der V e r w a l t u n g durch sie nicht ratsam erscheinen lassen. 40 A u f der Ortsebene gab es ohnehin keine Trennung von Justiz u n d V e r waltung. Ortsobrigkeiten waren die Grundherren, die A m t m ä n n e r auf den Domänen u n d die Magistrate i n den Städten. 41 Siehe (im selben Sinn) Hintze, S. 113 ff., 122. 42 Freilich nicht der Gewaltenteilungslehre zuliebe, sondern aus „praktischer Zweckmäßigkeit bei der Ausübung solcher Funktionen durch die Organe der Staatsgewalt" (Hintze, S. 115). 43 Großenteils kannten auch n u r sie das landesfürstliche Recht, da es meistens auf ihnen erteilten unveröffentlichten Instruktionen beruhte. Die Wahrung fortgeltenden alten Rechts ging insoweit auf sie über, als es für die Durchsetzung der neuen Ordnung erforderlich schien.
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rührt blieb, hatte der Staat auch vorerst keinen Anlaß, i n das bestehende Recht einzugreifen; er ließ es noch i m wesentlichen unverändert. Wie den Gerichten damit überhaupt die Kontrolle der Verwaltungsbehörden entzogen worden war, so entschied die Verwaltung auch ausschließlich über Polizeidelikte (Handlungen, die i n Verwaltungsgesetzen unter Strafe gestellt waren), die bis zum 17. Jahrhundert vor die Gerichte gehört hatten (ausgenommen i n den Städten). Die Patrimonialgerichte (der Grundherren) 4 4 behielten diese Polizeistrafgerichtsbarkeit bei; Gerichts· und Polizeiherr war hier ein und derselbe. Sie kamen jedoch unter strenge Kontrolle der übergeordneten Verwaltungsbehörden. Unter besonders scharfer Aufsicht standen die städtischen Magistrate 45 . Auch waren Teile der Polizeiverwaltung und damit die entsprechende Strafgerichtsbarkeit bereits i n der Ortsinstanz unmittelbar auf landesherrliche Beamte (Steuerkommissar, commissarius loci; Akziseinspektor usw.) übergegangen; ebenso hatten die Kammern vielfach eine erstinstanzliche Zuständigkeit i n Strafsachen. Davon abgesehen, ging der gewöhnliche Instanzenzug von den Patrimonialgerichten, Ä m t e r n und Magistraten zu den Kriegs- und Domänenkammern i n zweiter und dem Generaldirektorium i n dritter Instanz 48 . 2. Die Entwicklung der polizeilichen Strafgewalt seit dem aufgeklärten Absolutismus bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts
I m aufgeklärten Absolutismus gewannen die Bestrebungen, die Rechtsprechung der Verwaltungsbehörden, wenn nicht zu beseitigen, so doch wenigstens einzuschränken und die Justiz so weit wie möglich von der Verwaltung zu trennen, allmählich Boden 47 . Sobald der absolute Staat seine Macht i m Innern gefestigt hatte, konnte er seine Funktionen auch von getrennten Behördenorganisationen ausüben lassen. Die Verwaltung verlor daher i m Verlaufe ihres Kampfes mit der Justiz i m Gebiete des Strafrechts (wie auch in dem des Zivilrechts) ihre Rechtsprechung und durfte schließlich nur noch (vorläufige) Strafverfügungen unter Vorbehalt gerichtlicher Entscheidung erlassen (s. auch u. 3). Man darf aller44 Der absolute Staat hatte die Stände nach ihrer Verdrängung von der Staatsleitung wenigstens i n ihrer Stellung als Ortsobrigkeiten, von denen die unteren Bevölkerungsschichten abhängig waren, belassen (Bornhak, Geschichte, S. 161). E r u n t e r w a r f aber die ständische Ortsverwaltung seiner Macht, wodurch sie zum ausführenden Organ seines Willens wurde u n d sich i n den absoluten Beamtenstaat einfügte (Bornhak, a.a.O., S. 168). 45 Sie ging soweit, daß die Magistrate ihre Selbständigkeit weitgehend v e r loren u n d Organe zur Ausführung der staatlichen Anordnungen w u r d e n (Bornhak, Geschichte, S. 166). 46 Bornhak, Verwaltungsrecht, I I , S. 96; derselbe, Geschichte, S. 161 ff.; eingehend Loening, S. 36 ff. 47 Siehe aber zur Unterscheidung von Gerichten u n d Verwaltungsbehörden o. S. 68 f.
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1. Teil: Geschichtliche E n t w i c k l u n g
dings den Zuständigkeitsstreit zwischen Regierungen und Kammern (Justiz und Verwaltung) nicht als Gegensatz von „Rechtswert" und „Wohlfahrtswert" (E. Wolf) sehen, wenn man sich nicht den Zugang zum Verständnis jener Entwicklung verschließen w i l l . Wie dargelegt, handelte es sich um die Durchsetzung einer neuen rechtlichen Ordnung gegen eine alte und nicht u m eine verschiedenartige Orientierung von Rechtsprechungs- und Verwaltungstätigkeit. Eine solche ergibt sich erst aus der Problemstellung des 19. Jahrhunderts (in dem jedoch die Verwaltung ihre Strafrechtsprechung verlor, so daß auch dann kein auf den „Verwaltungswert" ausgerichtetes Verwaltungsstrafrecht entstehen konnte). Vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich dem Großen stand dagegen das Bestreben i m Vordergrund, die „Rechtsidee i n den Verwaltungs- wie in den Justizbehörden" zu verwirklichen 4 8 — freilich die Rechtsidee jenes Zeitalters. a) Das Ressortreglement
von 1749 und die Kammer Justiz-Deputationen
Unter Friedrich Wilhelm I., der die absolute Staatsgewalt erst vollends ausgebaut hatte, setzte jene Entwicklung, die zur Übertragung der gesamten Rechtsprechung auf die Regierungen (späteren Gerichte) führte, noch nicht ein, vielmehr erreichte hier die Verwaltungsrechtsprechung ihren Höhepunkt und ihre größte Ausdehnung. Friedrich der Große begann jedoch schon bald, Änderungen vorzunehmen. Die Autorität der Kammern als Verwaltungsbehörden wurde nun auch von den Ständen allgemein anerkannt; ihre weit ausgedehnte Gerichtsbarkeit, deren Grenzen nicht einmal sicher gezogen waren, erregte aber Mißfallen, da sie vielfach advocatus et judex i n derselben oder Richter in eigener Sache seien, so daß das Vertrauen i n die staatliche Rechtspflege erschüttert werden mußte. Friedrich der Große äußerte ebenfalls Zweifel an der unparteiischen Rechtsprechung der Kammern 4 9 . Er war daher Reformvorschlägen Coccejis zugänglich, die schließlich zu dem sogenannten Ressortreglement vom 17. Juni 1749 („Reglement, was für Justitz-Sachen denen Krieges- und Domainen-Cammern verbleiben, und welche vor die Justitz-Collegia oder Regierungen gehören") 50 führten, m i t dem er die Gerichtsbarkeit der Kammern erheblich einschränkte 51 . Wie Ottmar 48
Hintze, S. 116. Acta Bor. V I 2 S. 690. „Resolution vor die Churmärkische K a m m e r " v o m 20. Dezember 1743: „ . . . es kommet I h n e n ( = Seiner Königlichen Majestät) aber doch sehr problématique vor, daß, so oft Sie Sachen von klagenden Leuten an die K a m m e r schicken, solche Leute allemal Unrecht haben, welches doch w o h l nicht sein kann, u n d Höchstdieselbe können dahero nicht anders u r t h e i len, als daß es nicht allemal m i t denenjenigen, so die Sachen untersuchen, so ganz richtig sein müßte." 50 C. C. M., Contin. I V S. 163 ff. 51 Die Reformen, die Cocceji während derselben Zeit (zwischen 1746 u n d 1751) i m Gerichtsverfassungs- u n d Prozeßrecht vornahm, fügten die Gerichte erst 49
I V . Das historische Polizeistrafrecht
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Bühler angibt 5 2 , wäre er unter dem Einfluß der Aufklärungsphilosophie wohl sogar bereit gewesen, die Strafgerichtsbarkeit grundsätzlich allein von den Gerichten ausüben zu lassen. Aber eine solche Maßnahme erschien offenbar noch nicht durchsetzbar. Während der Vorarbeiten zum Reglement von 174953 fochten das Generaldirektorium und die Kammern einen heftigen Kampf gegen die Beschränkung ihrer Befugnisse. Äußerst interessant und aufschlußreich ist es, daß damals bereits viele Argumente verwendet wurden, die bis heute benutzt werden, u m die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden i n Strafsachen bzw. Ordnungswidrigkeiten zu verteidigen. Wenn man bedenkt, daß eine Beseitigung der Kammerjustiz zu jener Zeit gar nicht i n Frage stand, es sich vielmehr i m wesentlichen u m ihre Aufhebung i n Zivilsachen handelte, w i r d man den Wert jener Gesichtspunkte ermessen können, die i n erster L i n i e einer selbstherrlich gewordenen Behördenorganisation (Verwaltungshierarchie) dazu dienen sollten, eine Schmälerung ihrer Machtbefugnisse zu verhindern, nicht aber rechts- oder staatspolitischen Notwendigkeiten entsprangen, wie die entgegengesetzten Ansichten gerade der größten unter den für die weitere Entwicklung i n Preußen maßgebenden Männern beweisen 54 . Es wurde vorgebracht, die Kammern verlören ihre Autorität, sie würden i n der ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben behindert, die Prozeßsucht müsse ansteigen, die Gerichte seien m i t den einschlägigen Verwaltungssachen (den darüber bestehenden Vorschriften) nicht hinreichend vertraut, für das P u b l i k u m sei es gleich, ob Kammern oder Gerichte zu entscheiden hätten usw. 5 5 . Cocceji erwiderte treffend, man wolle eigentlich i n den neuen Staat ein („verstaatlichten" sie w i r k l i c h ; Hintze, S. 118, 125) u n d schufen so die Bedingung, unter der die Gerichte Rechtsprechungsaufgaben von den K a m m e r n übernehmen u n d damit die Stellung von Rechtsprechungsorganen i m engeren Sinne erhalten konnten. 52 S. 207. 53 Bereits am 20. M a i 1748 hatte der K ö n i g nach Vorschlägen Coccejis eine neue I n s t r u k t i o n f ü r das Generaldirektorium erlassen, i n der es u. a. hieß, daß alle „ K l a g e n u n d Prozeßsachen . . . , sie mögen bei I m m é d i a t - oder Mediatuntertanen untereinander selbst oder zwischen jenen u n d diesen gegeneinander oder auch m i t dem Fisko selbst entstehen, bei denen dazu bestellten ordentlichen Gerichten u n d Justizkollegiis angebracht u n d decidiret werden", A r t . 37 (Acta Bor. V I I S. 572 - 654). I m Ressortreglement von 1749 machte Friedrich der Große allerdings wieder Einschränkungen, zu denen er sich aus staatspolitischen Notwendigkeiten veranlaßt sah. 54 Gewiß entsprang die Stellungnahme der Verwaltungsbehörden nicht allein dem Ressortegoismus, sondern es sprach auch die Sorge des treuen Staatsdieners u m die Erhaltung der bisher von den K a m m e r n gewährleisteten staatlichen Ordnung mit. Aber dieser Staatsdiener w a r letztlich doch bereits i n der Enge einer allmählich erstarrenden Bürokratie befangen u n d erkannte über den vermeintlichen Belangen seines Ressorts nicht mehr (oder doch n u r u n vollkommen) die i m Gesamtinteresse liegenden Aufgaben, deren Lösung die Zeit gebot. 55
Vgl. auch den Bericht der Kriegs- u n d Domänenkammer zu Magdeburg v o m 4. November 1748 (Acta Bor. V I I I S. 139 ff.). „ E w . Königlichen Majestät werden selbst allerhöchst erleuchtet erkennen, daß dem Publico es einerlei
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1. T e i l : Geschichtliche Entwicklung
die Justiz nur aus Ehrgeiz bei der Kammer behalten, um sich eine nicht gebührende Autorität zuzulegen. „Wolle man die Justiz auf so w i l l k ü r liche A r t verwaltet wissen, so bedürfe es gar keines Justizkollegii 5 6 ." Das Ressortreglement bestimmte i m Grundsatz entgegen den Wünschen der Verwaltungsbehörden: „ . . . w i r d zuförderst hierdurch festgesetzet, daß regulariter alle Proces-Sachen, welche das Interesse privatum, vel jura partium quar. interest betreffen, bey denen jedes Orts b e s t e l l ten ordentlichen Justitz-Collegiis erörtert und decidiret werden müssen." Den Kammern verblieb freilich auf Grund von Ausnahmebestimmungen eine umfangreiche Zuständigkeit i n privatrechtlichen und öffentlichrechtlichen Streitigkeiten sowie i n Strafsachen. Sie hatten u. a. i n allen Militär-, Steuer- und Polizeisachen zu erkennen und die Vergehen gegen die darüber erlassenen Gesetze und Verordnungen zu bestrafen, sofern ihre Strafgewalt ausreichte 57 . Noch immer war der (hier zugleich staatspolitischen Zweckerwägungen Raum gebende) Gedanke mächtig, daß die Rechtsprechungsbefugnis einen wesentlichen Bestandteil jeder Hoheitsgewalt ausmache und daher auch den Verwaltungsbehörden i n ihrem Sachgebiet wenigstens innerhalb gewisser Grenzen verbleiben solle: „ da hingegen zum Ressort derer Krieges- und Domainen-Cammern hauptsächlich nur Königl. Intraden und Domainen, ferner die den Statum Oeconomicum & Politicum angehende, und überhaupt i n das Interesse Publicum einschlagende Sachen gerechnet werden können: m i t hin muß in denen Fällen die Cognition und Decision lediglich den Cammern und respective General Directorio verbleiben, indem selbige eines Theils von dergleichen Sachen am besten informiret seyn, und andern Theils ohne Administrirung der Justitz dabei nicht wohl bestehen, noch ihrem Officio eine Gnügen leisten können" (Ressortreglement). Das Ressortreglement schrieb aber den Kammern, die bisher i m wesentlichen formlos verfahren waren, vor, die allgemeine Prozeßordsei, ob von denen Regierungen oder Kammer-Collegiis die Justiz administriret w i r d , w a n n n u r nach Ew. Königl. M a jest, höchst gerechten Intention ein jeder prompte u n d unparteiische Justiz findet u n d erlanget. . . . daß der Regierung die Landesverfassungen i n Steuer-, Einquartirungs-, Servis-, Marsch- u n d andern M i l i t a i r - u n d Polizeisachen, wenigstens noch zur Zeit, nicht genugsam bekannt sind, auch die allergrößte Confusiones bei denen Archiven u n d K a n zeleien daraus entstehen würden, w a n n die Regierung die i n dergleichen Sachen vorfallende Streitigkeiten u n d Prozesse k ü n f t i g entscheiden sollte, m i t h i n die Revisions-Protocolla, Steuer-Catastra u n d andere i n solchen Sachen bei uns ergangene Acta derselben extradiret werden müßten. . . . u n d es würde niemand ihren ( = der Kammern) Verordnungen weiter nachleben, w a n n die bisherige A u t o r i t ä t i h r entzogen w ü r d e u n d sie denen gemachten Verfügungen weiter keinen Nachdruck geben könnte." Es würde den K a m m e r n sonst „die bishero gehabte A u t o r i t ä t entzogen u n d sie dergestalt w i d e r alles i h r V e r schulden reduciret, daß sie nicht einmal so viel Pouvoir behielte, als dem geringsten Unterrichter zustehet". 56 Acta Bor. V I I I S. 143 ff. 57 Auch solche Delikte wie Holzfrevel i n königlichen Forsten u n d A m t s v e r gehen wurden von ihnen abgeurteilt, §§ 10,11 des Ressortreglements.
I V . Das historische Polizeistrafrecht
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nun g zu beobachten und die Verfahren binnen eines Jahres zu erledigen (§ 12). Uber Rechtsmittel gegen Kammerentscheidungen hatte das Generaldirektorium (in zweiter bzw. dritter Instanz, wenn die Kammer schon zweite Instanz war) zu erkennen (§ 13). Damit stellte das Reglement die Kammern und das Generaldirektorium bei der Ausübung ihrer Gerichtsbarkeit den Gerichten gleich. Es sollte auch bei ihnen und den ihnen u n terstellten Behörden „prompte und wahre Justitz einem jeden administriret" werden (§ 12), damit „Seiner Königl. Majestät heilsamer Endzweck des Landes Wohlfahrt und Dero damit verbundenes Interesse überall zu befördern, erreichet werde" (§ 35). Die Gerichtsbarkeit diente also bei allen Behörden demselben Zweck: der Gerechtigkeit und der damit als untrennbar verbunden gedachten Wohlfahrt des Landes. Friedrich der Große dehnte schließlich seinen Grundsatz, sich nicht in die Justiz einmischen zu wollen, auch auf die Verfahren vor den Kammern aus 58 . Einen wichtigen weiteren Schritt zur Einschränkung der verwaltungsbehördlichen Gerichtsgewalt stellte die Einführung der Kammer-Justizdeputationen dar 5 9 , auf die die gesamte Kammerjustiz überging. Sie waren von den eigentlichen Kammerkollegien getrennte Spruchkörper, m i t diesen aber dadurch verbunden, daß der Kammerpräsident oder -direktor ihren Vorsitz führte und der Justitiar und der Departementsrat der Kammer ihnen angehörten. Weiter bestanden sie aus zwei rechtsgelehrten Assistenzräten (§ 14 des Regulativs). Sie hatten mehr gerichtlichen als verwaltungsbehördlichen Charakter, unterlagen der Aufsicht des Justizministers 6 0 und verfuhren nach der Prozeßordnung (Inquisitionsprozeß). Die ganze Einrichtung w a r ein Kompromiß zwischen Justiz und Verwaltung, durch den die Rechtspflege der Verwaltung von den eigentlichen Verwaltungsbehörden gelöst (eine A r t von Verwaltungsgerichten ge58
Ausdrücklich i n einer Kabinettsorder v o m 31. August 1779 (Loening, S. 78, 79). 59 „Regulativ, wegen Einrichtung des Cammer-Justiz-Wesens", v o m 13. Februar 1782 (abgedruckt i n Fischbachs Beyträgen, I I I 2, S. 580 ff., die § § 1 - 1 1 auch i m N.C.C. V I I , Sp. 838). Über seine Entstehung vgl. Hintze, S. 131 ff., u n d die Darstellung bei Loening. Entscheidenden A n t e i l an dieser Übertragung der Kammerjustiz auf besondere Behörden, die der Aufsicht des Justizministers unterstellt w u r d e n (§16 des Regulativs), hatte Svarez (vgl. näher Hintze, S. 134 ff.). Vgl. insbesondere den von Svarez entworfenen Bericht Carmers an den K ö n i g v o m 2. November 1781 (Hintze, S. 136), i n dem auf die Mißstände h i n gewiesen w i r d , die sich bei den der Aufsicht des Justizministers entzogenen vielfältigen Gerichtsbarkeiten ergaben, u n d die daraufhin ergangene K a b i nettsorder v o m 3. November 1781 (Fischbach, I I I 2, S. 579), i n der Friedrich der Große alle von der ordentlichen Justiz abgesonderten Gerichtsbarkeiten (einschließlich der K a m m e r justiz) unter die Aufsicht des Justizministers stellte u n d m i t der die Reform begann, die nach heftigem (zwischen Wloemer u n d Svarez ausgetragenen) K a m p f von Generaldirektorium u n d Justizministerium zur Schaffung der Kammerjustizdeput ationen führte. 60 Ebenso die Sondergerichte; Loening, S. 98 ff.
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
schaffen) und von der Justiz kontrolliert werden sollte, ohne damit freilich den Einfluß der Verwaltung auf die Rechtspflege zu beseitigen, denn über die das fiskalische, polizeiliche oder sonst öffentliche Interesse unmittelbar berührenden Sachen konnten die Justizdeputationen nur i m Einvernehmen mit der Kammer urteilen (bei Streit zwischen beiden entschied das Generaldirektorium nach vorheriger Stellungnahme des Justizministers; §§ 26, 27 des Regulativs), was Anlaß zu weiterem Mißtrauen gegen die Verwaltungsjustiz gab. Die höheren Instanzen bildeten ständige richterliche Behörden 61 , für die hinsichtlich des Verfahrens Entsprechendes wie für die Kammerjustizdeputationen galt (§§ 35 ff. des Regulativs). A n der Zuständigkeitsverteilung zwischen ordentlichen Gerichten und Gerichten der Kammerjustiz änderte sich durch das Regulat i v von 1782 nichts, wie sie auch von der Allgemeinen Gerichtsordnung von 1793 und dem Allgemeinen Landrecht (1794) unberührt blieb 6 2 . b) Das Polizeistraf recht des preußischen Allgemeinen
Landrechts
Das preußische Allgemeine Landrecht 6 3 hat das i n i h m enthaltene Polizeistrafrecht nicht neu geschaffen, sondern wollte i m wesentlichen den bestehenden Rechtszustand rational-begrifflich den Vorstellungen der Zeit entsprechend erfassen und gesetzlich festlegen. Es ist an das Polizeistrafrecht nicht unter dem Gesichtspunkt seiner materiellen A b grenzung, sondern dem der Polizeigerichtsbarkeit herangegangen, freilich ohne deren Umfang genau zu bestimmen, da es insoweit i n die seitherige grundsätzliche Zuständigkeitsverteilung nicht eingreifen wollte. Das Allgemeine Landrecht teilte die dem Staat auf Grund seiner Pflicht zur Sorge „ f ü r die Sicherheit seiner Einwohner, ihrer Personen und ihres Vermögens" zustehende „allgemeine und oberste Gerichtsbarkeit" i n die Zivil-, K r i m i n a l - und Polizeigerichtsbarkeit als Entfaltungen des alle Staatsfunktionen umfassenden einheitlichen Hoheitsrechts ein 6 4 . Gegenstand der Polizeigerichtsbarkeit war die Ausübung des polizeilichen Hoheitsrechts schlechthin, zu dem das Allgemeine Landrecht auch die polizeiliche Strafgerichtsbarkeit rechnete. Noch gehörte nach der dem Gesetz zugrunde liegenden Vorstellung zu jener Hoheitsgewalt die ent61 Das Ob er-Revisions-Collegium (Reskript v o m 28. J u n i 1782; Fischbach, I I I 2, S. 585) als Appellationsinstanz gegen erstinstanzliche u n d Revisionsinstanz gegen zweitinstanzliche Entscheidungen der Justizdeputationen u n d die Revisionsdeputation (Deklaration v o m 10. August 1783, N.C.C. V I I , Sp. 2159; dazu die bei Fischbach, I I I 2, S. 586, erwähnte I n s t r u k t i o n v o m 12. August 1783) als Revisionsinstanz gegen die Appellationsentscheidungen des Oberrevisionskollegiums. 62 Loening, S. 98. 63 Vgl. über seine Ideen Conrad, Die geistigen Grundlagen; Kleinhey er, Staat u n d Bürger; Hattenhauer, Einleitung. Vgl. o. S. 34 f. über Svarez. 64 §§ 3 ff. I I 17. Deutlich auch Materialien, V, S. 204 f.
IV. Das historische Polizeistrafrecht
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sprechende Jurisdiktionsbefugnis 6 5 . Grundsätzlich galt zwar am Ende des 18. Jahrhunderts die Auffassung, daß die Strafjustiz der K r i m i n a l gerichtsbarkeit zustehe 66 . Von dieser Regel nahm das A L R jedoch einmal die Aburteilung der „strafbaren Beeinträchtigungen nutzbarer Rechte des Staates" durch besondere Gerichte (§ 9 I I 17) und der i n den Polizeigesetzen i m Sinne des § 10 I I 17 67 unter Strafe gestellten Handlungen durch die Behörden der Polizeigerichtsbarkeit (§ 11 I I 17) 68 aus. M i t der letztgenannten Ausnahme war der Umfang der Polizeigerichtsbarkeit nach dem A L R aber nicht erschöpft. Z u i h r gehörte ferner die Bestrafung geringfügiger anderer Delikte (Bagatelldelikte, vgl. §§ 61, 62 I I 17) 69 , wie etwa Beleidigungen (soweit sie nicht nach § 8 I I 17 der Zivilgerichtsbarkeit zugewiesen waren) oder kleinere Diebstähle und Hehlereien 70 . I m einzelnen sollte die Abgrenzung der drei Gerichtsbarkeiten den Provinzialgesetzen und besonderen Polizeiordnungen vorbehalten, insoweit also die seitherige Zuständigkeitsverteilung unangetastet bleiben. Das A L R hat den Polizeibegriff i n § 10 I I 17 auf die Gefahrenabwehr beschränkt 71 . Dies w i r k t e sich auch auf die Bestimmung des Polizeidelikts aus, von dem es, dem Zug der Zeit entsprechend, einen rationalen Begriff zu entwickeln suchte, der dann die eigentliche Polizeiübertretung ergab. Das Polizeidelikt i m engeren Sinne war die Übertretung eines polizeilichen, d. h. der Gefahrenabwehr (Schadensvorbeugung) dienenden Gesetzes72. Demgemäß mußte das Verbrechen i m engeren Sinne durch den Schaden (den das Polizeigesetz verhüten sollte) gekennzeich65 Wie ja die Bezeichnung der Polizei als „Gerichtsbarkeit" überhaupt auf die historische Verknüpfung der „polizeilichen" Befugnisse m i t der Gerichtshoheit hinweist. 66 So auch i m Bericht des Kammergerichts von 1798 oder 1799; siehe Jahrbuch 34, S. 291, Anm. 1. 67 „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publiko, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das A m t der Polizey." 68 Daß es sich hierbei u m Ausnahmen von jener allgemeinen Regel handle und die Polizeiübertretungen unter den Begriff des Verbrechens fallen, ist auch die Meinung des Kammergerichts i n dem vorerwähnten Bericht. 69 v. Rönne und Simon, S. 471; v. Kamptz, Bruchstücke, S. 307 f., 411. Hier zeigt sich die Polizeigerichtsbarkeit deutlich als Nachfolgerin der niederen Gerichtsbarkeit; beide lagen i n der Hand der Ortsobrigkeit. 70 So hat ζ. B. das Polizeireglement für Königsberg vom 1. A p r i l 1810 (Hoffmann, Repertorium, I I I , S. 146), das auch i n anderen Städten i n K r a f t gesetzt wurde, i n § 10 die bis dahin dem Polizeidirektorium zustehende „Untersuchung und Bestrafung kleiner Diebstähle und Diebeshehlereien" auf die ordentliche S traf justiz übertragen. 71 I n der Praxis galt freilich noch der weitere Polizeibegriff. — Vßl auch §§2-41113. 72 Vgl. ζ. B. §512 I I 20: „Die Übertretung eines Polizeigesetzes, welches der Staat zur Verhütung der Beschädigungen seiner Bürger gegeben hat, ist strafbar, auch wenn dadurch noch kein wirklicher Schade entstanden wäre." Ähnlich § 776 I I 20.
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1. Teil: Geschichtliche E n t w i c k l u n g
n e t sein: „ W e r d u r c h eine f r e i e H a n d l u n g J e m a n d e n w i d e r r e c h t l i c h Schaden z u f ü g t , d e r begehet e i n Verbrechen, u n d m a c h t sich d a d u r c h n i c h t n u r d e m B e l e i d i g t e n , s o n d e r n auch d e m Staate, dessen Schutz d e r selbe genießt, v e r a n t w o r t l i c h " (§ 7 I I 20). Goldschmidt™ undWürtenberger 74t f o l g e r t e n , d e n s t r a f r e c h t l i c h e n B e s t i m m u n g e n des A l l g e m e i n e n L a n d r e c h t s habe eine Wesensverschiedenheit v o n K r i m i n a l d e l i k t u n d V e r w a l t u n g s d e l i k t ( i m S i n n e der L e h r e v o m V e r w a l t u n g s s t r a f r e c h t ) z u g r u n d e gelegen. Das U n t e r s c h e i d u n g s m e r k m a l sei der Schaden des bed r o h t e n Hechtsgutes gewesen; das Wesen des K r i m i n a l d e l i k t e s habe i n d e r V e r l e t z u n g , das des V e r w a l t u n g s d e l i k t e s i n der B e d r o h u n g eines Rechtsgutes bestanden. D a r a n i s t r i c h t i g , daß es f ü r die E r f ü l l u n g des T a t bestandes e i n e r P o l i z e i ü b e r t r e t u n g n i c h t d a r a u f a n k a m , o b der Schaden e i n g e t r e t e n w a r , d e n die ü b e r t r e t e n e V o r s c h r i f t gerade v e r h i n d e r n sollte, u n d daß m i t H e r b e i f ü h r u n g dieses Schadens, w e n n sie e i n „vorsätzliches oder schuldbares V e r b r e c h e n " b i l d e t e , d i e P o l i z e i g e r i c h t s b a r k e i t a u f h ö r t e . Das M e r k m a l des Schadens spielte w o h l f ü r die K o m p e t e n z a b g r e n z u n g eine R o l l e 7 5 ; i m ü b r i g e n w a r m a n sich aber d a r ü b e r i m k l a r e n , 73
Verwaltungsstrafrecht, S. 129 ff. Rechtsgüterordnung, S. 192 ff. 75 Wenn ein Verletzungsdelikt m i t der Übertretung einer Polizeivorschrift zusammentraf, die den herbeigeführten Schaden gerade verhindern sollte, ζ. B. Brandstiftung m i t der Übertretung von Feuerverhütungsvorschriften. I n diesen Fällen hatte n u r das Gericht wegen des Verletzungsdelikts zu bestrafen, w i e es sich schon aus §§ 6, 11 I I 17 ergab. Vgl. etwa aus den zahlreichen M i n i sterialreskripten die v o m 29. November 1790 u n d 11. J u n i 1828 (v. Rönne u n d Simon, S. 524, 529), v o m 23. November 1775 (Fischbach, I I I 2, S. 576). Hier w a r der Schaden M e r k m a l des schwereren Tatbestandes, m i t dessen E r f ü l l u n g die subsidiäre Strafdrohung der Polizeivorschrift zurücktrat u n d damit auch die Zuständigkeit der Polizeibehörde entfiel. Daraus läßt sich aber keine allgemeine Wesensverschiedenheit zweier Deliktsarten herleiten. Handelte es sich nicht u m eine Deliktskonkurrenz der genannten A r t , so versagte meistens der Gesichtspunkt des schädlichen Erfolges. I m m e r h i n wurde er i n einzelnen Fällen auch außerhalb der Deliktskonkurrenz zur Bestimmung der Zuständigkeit verwendet, vor allem i n späteren Reskripten, i n denen sich der Einfluß der inzwischen aufgekommenen Polizeistrafrechtstheorie bemerkbar machte, deren Formulierungen (in der Regel jedoch ohne ihren materiellen Gehalt) sie teilweise f ü r ihre Zwecke übernahmen, die aber nicht i n der Begründung eines materiellen Deliktsunterschiedes lagen, sondern i n der Sicherung der Jurisdiktionsgewalt der Verwaltungsbehörden innerhalb ihres sachlichen Wirkungsbereiches u n d der Justiz außerhalb desselben. So hatten jene A b grenzungsbemühungen m i t i h r e r verschiedentlichen Heranziehung des Schadensgesichtspunktes i n erster L i n i e zur Folge, daß die geringfügigen V e r letzungsdelikte, die bisher Polizeidelikte waren, aber m i t dem polizeilichen (verwaltungsmäßigen) Aufgabenbereich nicht unmittelbar zusammenhingen, auf die Justiz übergingen, dafür aber (im Zeitalter der politischen Restauration!) die Strafrechtsprechung der Polizeibehörden i m Rahmen der ihrer V e r w a l t u n g übertragenen Materien u m so stärker gefestigt wurde, w e i l „eine Obrigkeit, welcher ein administrativer Wirkungskreis übertragen ist, für den letzteren auch die Jurisdiction besitzen muß", folglich die „Polizei-Gerichtsbarkeit i n der Polizeigewalt überhaupt wesentlich enthalten" sei (v. Kamptz, Bruchstücke, S. 287; ähnlich v. Rönne und Simon, S. 557). Vgl. auch 74
I V . Das historische Polizeistrafrecht
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daß es keine materielle Unterscheidung von K r i m i n a l - und Polizeidelikt ermöglichte 76 . Es gab sowohl Kriminaldelikte, zu deren Tatbestand kein schädlicher Erfolg gehörte, als auch Übertretungen von Polizeivorschriften, die irgendeinen Schaden oder Erfolg voraussetzten, und die man dennoch zum Polizeistrafrecht rechnete 77 , abgesehen davon, daß vielfach zweifelhaft war, was man unter dem Eintritt eines „Schadens" verstehen sollte (wie auch der Umfang des Polizeistrafrechts nicht nach dem Begriff der sogenannten eigentlichen Polizeiübertretung, sondern nach dem viel weiteren der Polizeigerichtsbarkeit bestimmt wurde). Vor allem aber kann das Wesen der strafbaren Handlung für das Allgemeine Landrecht nicht aus der Beziehung zu einem (individuellen) Rechtsgut abgeleitet werden, denn Aufgabe des Strafrechts war hier noch nicht der Schutz des Individuums und seiner vom Staat unabhängig gedachten individuellen Rechte (Güter), sondern die Ruhe und Sicherheit des gemeinen Wesens (vgl. § 1 I I 17), woraus sich für K r i m i n a l - und Polizeidel i k t grundsätzlich der gleiche materielle Unrechtsgehalt (als Grundlage der Bestrafung) ergab, nur daß bei einem wirklich verursachten Schaden die „Sicherheit der Untertanen" i m Staat unmittelbar angegriffen w u r de als bei Begehung einer Handlung, die einen solchen Schaden lediglich hervorrufen konnte. Diese nach dem materiellen Unrecht rein quantitative Abgrenzung drückt sich auch i n der Unterscheidung von Polizeistrafen (Gefängnis oder Strafarbeit bis zu vierzehn Tagen oder fünf Taler Geldstrafe, § 62 I I 17) und „wirklichen" Kriminalstrafen (alle höheren Strafen, § 68 I I 17) allein nach ihrer Schwere aus. M i t Hilfe des Polizeibegriffs i n § 10 I I 17 konnte also das Landrecht keinen Wesensunterschied von K r i m i n a l - und Polizeidelikten aufstellen, hat es doch i n § 10 I I 17 überhaupt materielle Staatszwecke angesprochen (vgl. § 2 I I 13), denen das Kriminalstrafrecht ebenso dienen sollte wie das Polizeistrafrecht, so daß Strafgrund und materieller Unrechtsgehalt der Taten bei z. B. R. v o m 29. September 1836, 28. J u n i 1838, 24. September 1834 (ν . Rönne u n d Simon, S. 522, 531, 543), 17. August 1796 (Jahrbuch 34, S. 318; weitere Beispiele S. 319). — Die Entscheidungen über die Zuständigkeit waren aber oft nicht einheitlich; siehe nächste A n m . 76 So besonders deutlich die Motive zum E n t w u r f einer Strafprozeßordnung von 1828 (ν . Rönne u n d Simon, S. 470, A n m . 3). Auch die unzähligen Ministerialreskripte zur K l ä r u n g der Zuständigkeit i n einzelnen Fällen bezeugen das Fehlen eines materiellen Unterscheidungsmerkmals. Sie kamen oft zu w i d e r sprechenden Ergebnissen; so ζ. B. bei der Fälschung von Legitimationsurkunden ohne betrügerische Absicht: R. v o m 17. M a i 1814, Ann. X I I S. 749 (Polizei zuständig), R. v o m 2. August 1828, Ann. X I I S. 748 (Justiz); Verf. v o m 26. J u n i 1837 (Polizei), R. v o m 7. J u n i 1838 (Anwendung der §§ 1264, 1265 I I 20 A L R ) {v. Rönne u n d Simon, S. 517). Als Polizeidelikte w u r d e n ferner Vergehen des Gesindes, Vagabundieren, Verletzung der Sonntagsruhe, Schulversäumnisse bestraft (vgl. näher v. Kamptz, Jahrbuch 34, S. 418 f., A n m . 7); aber ζ. B. v. Kamptz hielt a.a.O. alle diese Fälle nicht f ü r Verletzungen von Polizeigesetzen. 77 Vgl. ζ. B. das i n Jahrbuch 34, S. 318, angeführte R. v o m August 1796. Siehe auch vorige A n m .
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1. T e i l : Geschichtliche Entwicklung
b e i d e n p r i n z i p i e l l g l e i c h sein m u ß t e n 7 8 . D a h e r e n t h i e l t auch der 20. T i t e l ( „ V o n den Verbrechen u n d deren Strafen") ungetrennt neben den V e r b r e c h e n i m engeren S i n n e ( V e r l e t z u n g s d e l i k t e n ) v i e l e sogenannte Polizeiübertretungen. D i e P o l i z e i g e r i c h t s b a r k e i t s o l l t e i n erster I n s t a n z v o n „ P o l i z e i g e r i c h t e n " (§ 61 I I 17) ausgeübt w e r d e n . Dies w a r e n , da es eigentliche P o l i z e i gerichte n i c h t gab, die (örtlichen) P o l i z e i b e h ö r d e n ( O r t s o b r i g k e i t e n ) 7 9 . D i e „ P o l i z e i g e r i c h t s b a r k e i t " des A L R ist also g l e i c h b e d e u t e n d m i t „ G e r i c h t s b a r k e i t d e r P o l i z e i b e h ö r d e n " . W o „besondere P o l i z e i g e r i c h t e " 8 0 f e h l t e n , l a g d i e A b u r t e i l u n g d e r „ g e r i n g e r e n P o l i z e i v e r g e h u n g e n oder V e r b r e chen" nach § 61 I I 17 „ d e m m i t der b ü r g e r l i c h e n G e r i c h t s b a r k e i t B e l i e h e n e n " 8 1 ob. A l s solche g e r i n g e r e V e r b r e c h e n bezeichnete § 62 I I 17 die m i t Gefängnis oder S t r a f a r b e i t bis z u v i e r z e h n T a g e n oder m i t G e l d s t r a f e bis z u f ü n f T a l e r n (also m i t P o l i z e i s t r a f e n , § 68 I I 17) b e d r o h t e n D e l i k t e . Ü b e r die A u s l e g u n g des § 61 I I 17 b e s t a n d S t r e i t . A l s herrschende M e i 78 Diese Gleichartigkeit ergibt sich deutlich auch aus dem E n t w u r f zum A L R , wo K r i m i n a l - u n d Polizeigerichtsbarkeit noch ausführlicher (als später i n §§ 6, 11 I I 17) umschrieben w u r d e n (Materialien, V, S. 204 f.): „Die K r i m i n a l - oder peinliche Gerichtsbarkeit ist auf die Untersuchung u n d Bestrafung wirklicher Verbrechen, durch welche die Ruhe u n d Sicherheit des Staates oder seiner Einwohner gestört werden, gerichtet." (§ 5) „ Z u r Polizeigerichtsbarkeit gehört die Verhütung u n d Entdeckung der dem Staat u n d seinen Bürgern nachteiligen Unordnungen. Jede Handlung, wodurch die gemeine Ruhe u n d Sicherheit oder der öffentliche Wohlstand gestört werden könnte, ist ein Gegenstand der Aufmerksamkeit u n d vorläufigen Untersuchung der Polizeigerichte. Sobald ein Vergehen w i d e r die öffentliche Sicherheit i n ein Verbrechen ausartet, w o durch der Staat oder jemand seiner Bürger w i r k l i c h beschädigt worden, so gehört die nähere Untersuchung u n d das Erkenntnis zur Kriminalgerichtsbarkeit." (§ 6) — A l l e strafbaren Handlungen sind also „Vergehen w i d e r die öffentliche Sicherheit", die nach dem Grad der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit (danach, ob sie schon zu einer konkreten Schädigung geführt haben oder nicht) i n Verbrechen i m engeren Sinne („wirkliche" Verbrechen) u n d (sogenannte „eigentliche") Polizeiübertretungen eingeteilt werden. Dieser rationalen Einteilung entsprach jedoch, wie schon bemerkt, das dem A L R zugrunde liegende wirkliche Verhältnis von K r i m i n a l - u n d Polizeigerichtsbarkeit nicht. Hier w a r es also nicht gelungen, die geschichtlich gewordene Rechtsw i r k l i c h k e i t begrifflich zu erfassen. M a n hatte dies auch nicht angenommen u n d deshalb die nähere Abgrenzung der Gerichtsbarkeiten den besonderen Gesetzen überlassen. Jedoch diente jene Begriffsregel i n späteren Ministerialreskripten häufig zur Bestimmung der Zuständigkeit i n zweifelhaften Einzelfällen. Vgl. dazu o. S. 76, A n m . 75. 79 v. Kamptz, Bruchstücke, S. 307 ff.; v. Rönne u n d Simon, S. 512; Loening, S. 190, A n m . 1, 191. Vgl. auch Materialien, V, S. 202 ff.; Foerstemann, S. 212 ff. (dessen sehr subjektiven Interpretationen man n u r m i t Vorsicht begegnen kann). Das A L R wollte den Polizeibehörden nicht die ihnen bisher zustehende Polizeigerichtsbarkeit nehmen. 80 d. h. besondere Polizeibehörden: Polizeidirektionen (soweit vorhanden), besondere Polizeimagistrate i n größeren, eigens bestellte Polizeibürgermeister i n mittleren u n d kleineren Städten. 81 Dies w a r i n der Regel die Ortsobrigkeit: i n den Städten der Magistrat, auf dem Lande der Gutsherr als Inhaber der Patrimonialgerichtsbarkeit, i n den Domänen der A m t m a n n .
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nun g bildete sich (auch i n der Rechtsanwendung) wohl die Ansicht heraus, daß einmal die §§ 61, 62 I I 17 nicht die sogenannten eigentlichen Polizeiübertretungen, sondern nur geringfügige andere Verbrechen oder Vergehen beträfen, deren Aburteilung noch zur Polizeigerichtsbarkeit gehörte (wobei wiederum die Abgrenzungsfrage auftauchte, die aber hier die Praxis offenbar nicht sehr belastete, weil die praktische Bedeutung der §§ 61, 62 — schon wegen ihrer nur subsidiären Geltung — nicht sonderlich groß gewesen sein dürfte). Lediglich diese geringen Delikte kämen i m Falle des § 61 zur Zivilgerichtsbarkeit. Sodann sollte die Strafgrenze des § 62 nicht bei den Übertretungen der Polizeigesetze gelten, die Polizeibehörden hier also höhere Strafen verhängen können 8 2 (teilweise hatte man auch angenommen, daß bei höherer Strafe als der des § 62 die Kriminalgerichte, teils, daß die oberen Polizeibehörden bzw. Kammer justizdeputationen zuständig seien, teils, daß die S traf grenze für besondere, d. h. selbständige, Polizeibehörden nicht gelte) 83 . M i t der Aufhebung der städtischen Gerichtsbarkeit verlor auch § 61 I I 17 seine Bedeutung 8 4 ; die Polizeigerichtsbarkeit übten jetzt nur noch die für die Polizeiverwaltung zuständigen Behörden aus. Sachlich war das den Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts zugrunde liegende Polizeistrafrecht m i t h i n ein durch die geringe Schwere der Delikte (Polizeidelikte) gekennzeichnetes Bagatellstrafrecht und entsprach der von Malblank 85 gegebenen, die Strafrechtsauffassung seiner Zeit widerspiegelnden Deliktseinteilung nach der Größe des (auf den Schaden für das allgemeine Wohl bezogenen) materiellen Unrechts. Seine Erscheinungsweise wurde dadurch bestimmt, daß die Gerichtsbarkeit i n der Hand der Polizeiobrigkeit lag (d. h., das A L R sah es unter dem Gesichtspunkt der Zuständigkeitsverteilung); vom Kriminalstraf recht unterschied es sich i m Unrecht lediglich durch die relative Geringfügigkeit der Taten (Polizeidelikte) 86 . Die Übertretungen polizeilicher Vor82
Vgl. z. B. R. v o m 23. M a i 1830 (ν . Rönne u n d Simon, S. 522). Vgl. v. Kamptz, Bruchstücke, S. 310 ff.; Materialien, V, S. 209 f.; siehe auch Temme, Preußisches Strafrecht, S. 90 f. F ü r die Polizeibehörden hatten allerdings mancherlei Begrenzungen der Strafgewalt bestanden oder waren doch angenommen worden; vgl. etwa die K o n s t i t u t i o n wegen Einrichtung der Untergerichte i n Neu-Ostpreußen v o m 21. September 1797 (N. C. C. X Nr. 75, Sp. 1371), den Bericht der Regierung von Gumbinnen v o m 18. November 1834 (v. Rönne u n d Simon, S. 520), die provisorische I n s t r u k t i o n v o m 20. März 1815 (Jahrbuch 5, S. 132; 34, S. 416, A n m . 1), die Reskripte v o m 11. J u n i 1828, 13. J u l i 1830, 28. Februar 1834, 29. September 1836 (ν . Rönne u n d Simon, S. 529, 589, 522); v. Kamptz, Bruchstücke, S. 293, A n m . 3. — Auch bei andern Polizeidelikten als Übertretungen von Polizeigesetzen kamen höhere Strafen als die des §62 v o r ; vgl. R. v o m 12. Februar 1800 (Jahrbuch 34, S. 319), v. Rönne u n d Simon, S. 471. 84 ν . Kamptz, Bruchstücke, S. 310. 85 Vgl. o. S. 36 f. 86 Wenn man später eine Begrenzung des Strafmaßes für die Polizeibehörden nicht mehr anerkannte, so bedeutete dies nicht, daß n u n auf Polizeiübertre83
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1. T e i l : Geschichtliche E n t w i c k l u n g
Schriften i m Sinne des § 10 I I 17 sollten wegen ihres Zusammenhanges m i t den polizeilichen Aufgaben (nicht wegen eines angenommenen Wesensunterschiedes zu den Kriminaldelikten i m Sinne der Theorie) von den Polizeibehörden verfolgt und bestraft werden und außerdem die darüber hinaus von den Polizeiobrigkeiten herkömmlich abgeurteilten Delikte 8 7 . c) Die weitere Einschränkung
der Kammer justiz
Das Mißtrauen gegen die Kammerjustiz hielt trotz der erwähnten Reformen und obwohl auch die Kammer-Justizdeputationen einen relativ großen Rechtsschutz gewährleisteten, an. Svarez sprach es 1797 noch einmal deutlich aus: „Bei der Kammer justiz ist das dem richterlichen A m t so nötige Vertrauen auf die Unparteilichkeit der Richter besonders von minder unterrichteten Parteien unmöglich zu erwarten. Der Justitiarius camerae, der den Fiscum zum Prozeß autorisiert und instruiert, hat zugleich bei der Entscheidung richterliche Functiones zu übernehmen, m i t h i n sind affectio ad causam und Kollisionen verschiedenartiger Pflichten fast unvermeidlich. Überdem lehrt die Erfahrung, daß, da bei den Kammern die Justizsachen wegen der großen Menge anderer heterogener Geschäfte immer nur als Nebensache behandelt werden können, ein prompter und ganz regelmäßiger Betrieb dieser Sachen nicht zu erwarten ist 8 8 ." Entsprechend äußerten sich v. Carmer 89 und sein Nachfolger i m Großkanzleramt, v. Goldbeck 90. Wenn auch diese Bemertungen hohe Strafen gesetzt worden wären; die Strafgrenze der §§ 62, 63 I I 17 A L R wurde i n der Praxis n u r selten überschritten, was ebenfalls den Bagatellcharakter der Polizeidelikte beweist. 87 Die Gleichstellung der Übertretungen von Polizeivorschriften u n d der anderen von den Polizeibehörden abgeurteilten geringfügigen Delikte sprach später die Königliche Deklaration v o m 10. Februar 1827 (GS S. 26) gegen inzwischen aufgetretene Zweifel noch einmal deutlich aus. 88 Loening, S. 105, nach dem Geheimen Staatsarchiv, Justizsachen 400 V I fol. 5. 89 Schreiben an das Generaldirektorium v o m 25. J u n i 1793: „ . . . man mag die Sache maskieren wie man w i l l , so bleibt es doch i m m e r gewiß, daß die K a m mern, welche sich zur Vermehrung der Staats-Revenüen verpflichtet glauben u n d dabei i m m e r eine affectionem ad causam für den Fiskus haben, auch n u r allzu oft durch finanzmäßige, von einem zur Justiz nicht verpflichteten Departements-Rat getroffenen Verfügungen die Sache schon vulneriert haben, gewissermaßen judices i n propria causa sind. Die Einrichtung m i t den K a m m e r Justiz-Deputationen h i l f t diesen Inconvenienzen weder an sich noch i n den Augen des Publici hinlänglich ab, da der Einfluß der Kammer-Präsidenten, Direktoren u n d Departementsräte noch i m m e r so überwiegend i s t . . . " (Loening, S. 110). 90 Schreiben an Minister v. Hoy en v o m 4. November 1795: „Es liegt i n der N a t u r u n d Eingeschränktheit des menschlichen Geistes, daß derselbe f ü r Gegenstände, m i t denen er sich unablässig u n d m i t einer gewissen Anstrengung beschäftigt, eine Vorliebe gewinnt, die n u r gar zu leicht i n Einseitigkeit übergeht u n d bei dem besten W i l l e n das U r t e i l seines Verstandes irreleitet" (Loening, S. 111). Ä h n l i c h erklärte der spätere Staatsminister v. Klewitz, daß die „ K a m m e r j u s t i z n u r zu oft Richter i n eigener Sache sei, daß es ihrer nicht
I V . Das historische Polizeistrafrecht
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kungen i n erster Linie die Gerichtsbarkeit der Kammern i n zivil- und verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten betrafen, deren Bedeutung die i n Strafsachen überstieg, so galten sie doch gleicherweise für die Strafjustiz. Seit 1749 bemühte sich die preußische Gesetzgebung um die Durchführung des Grundsatzes, daß jede öffentliche Strafe nur von dem Richter verhängt werden dürfe und die Polizeigerichtsbarkeit einen Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit bilde 9 1 , wovon die Kammerjustiz nur eine Ausnahme machte, die die preußische Gesetzgebung einzuschränken trachtete. Der nächste Schritt auf diesem Wege wurde m i t dem Reglement wegen künftiger Einrichtung des Justizwesens i n Akzise- und Zollsachen vom 6. Juni 1795 getan, das den Akzise- und Zolldirektionen nur die Befugnis gab, Vergehen gegen Akzise- und Zollgesetze zu untersuchen und die Strafen durch „Resolute" auszusprechen, wogegen Provokation auf gerichtliches Erkenntnis möglich war (§ 13) 92 . Das am 15. Dezember 1795 erlassene „Reglement über die Vertheilung der Geschäfte zwischen den Südpreußischen Landes-Collegiis" für die durch die zweite Teilung Polens (1793) erworbene Provinz Südpreußen 93 verkündete erstmals förmlich den Grundsatz der Trennung von Rechtspflege und Verwaltung 9 4 , von dem es aber noch zahlreiche Ausnahmen machte. I m ganzen hielt es sich i m Rahmen der Zuständigkeitsverteilung durch das Ressortreglement von 1749. Eine durchgreifende Funktionsteilung vollzog erst das Reglement von 1797 für Neu-Ostpreußen. Insbesondere kamen die Übertretungen der Landespolizeigesetze, wozu auch Forst-, Jagd-, Fischerei- usw. Delikte gehörten, vor die Kameralbehörden (§ 35). Enthielt eine solche Übertretung zugleich eine Verletzung fremder Rechte, so durften die Kameralbehörden nur urteilen, wenn das Delikt auf dem Gebiet eines Amtes, einer Immediatstadt oder Starostey begangen worden war (§ 35). bedürfe, da sie m i t der übrigen Justiz nach gleichen Gesetzen verwaltet werde u n d zu deren Handhabung die eigentlichen Justizkollegien vorhanden seien" (Loening, S. 125). 91 Siehe v. Kamptz, Bruchstücke, S. 315, 387 f., 389. 92 Loening, S. 114, A n m . 1. D a m i t ist die Einrichtung der polizeilichen Strafverfügungen bzw. Strafbescheide i n Preußen entstanden. Sie erscheint von Anfang an als Rest der Verwaltungsrechtsprechung i n Strafsachen, welche die u m ihre Macht besorgte V e r w a l t u n g gegenüber der Forderung, alle Rechtsprechungsaufgaben von den Gerichten erfüllen zu lassen, noch behaupten konnte, u n d somit als Kompromiß zwischen der Forderung nach Trennung der Justiz von der V e r w a l t u n g u n d dem Begehren der letzten, i n ihrem Aufgabenbereich selbst eine Rechtsprechung ausüben zu können. 93 N.C.C. I X , Sp. 2703. 94 § 1 : „Sowie alle Justizsachen i m weitläufigsten Verstände . . . i n der Regel zum Ressort der Südpreußischen Regierungen gehören sollen, so haben W i r dagegen alle übrigen Theile der Staatsverwaltung u n d öffentlichen Angelegenheiten der Aufsicht u n d Bearbeitung Unsrer Südpreußischen Kriegs- u n d Domänenkammern anvertraut." 6 Mattes
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
Aus Teilen des durch die dritte Teilung Polens an Preußen gekommenen Gebietes entstand 1796 die Provinz Neu-Ostpreußen (der Rest wurde mit Südpreußen vereinigt), für die unter wesentlicher M i t w i r k u n g von Svarez das „Reglement wegen Vertheilung der Geschäfte zwischen den Neuostpreussischen Landes-Collegiis" vom 3. März 179795 erging. Dieses Reglement wollte den Grundsatz streng durchführen, „daß alle eigentliche Justitzsachen ohne Unterschied der Personen, des Gegenstandes oder Geschäftes, vor die Regierungen, und alle übrige Landes-Angelegenheiten vor die Cammern gehören" (§ 19). Es beseitigte die Kammerjustiz ebenso wie die Regierungsbefugnisse der Gerichtshöfe, die bisher noch die Hoheitssachen verwaltet sowie die Kirchen- und Schulaufsicht ausgeübt hatten. Die Gerichte sollten jetzt über alle Rechtsstreitigkeiten entscheiden 96 . Zu den „eigentlichen Justitzsachen" gehörte auch die Rechtsprechung i n Polizeiübertretungen. Daher bestimmte § 8 („Uebertragung der Justitzpflege an die Regierungen, auch i n den zum Cammerressort gehörenden Angelegenheiten") grundsätzlich: „Wenn aber wegen der, solchergestalt der Verwaltung und Aufsicht der Cammern anvertrauten Gegenstände und Geschäfte, es sey zwischen dem Fisco und Privatpersonen, oder zwischen Privatpersonen unter sich, ein Rechtsstreit entsteht; oder wenn gegen die, von den Cammern i n Angelegenheiten ihres Ressorts, getroffenen Verfügungen, ein Widerspruch sich findet, welcher zur Erörterung i m Wege Rechtens qualificirt ist, oder wenn jemand wegen Uebertretung der i n den Cammerressort einschlagenden Gesetze und Verfügungen, zur Untersuchung und Strafe gezogen werden soll, so gebühret die Instruction und rechtliche Entscheidung in allen diesen Fällen, lediglich den Regierungen, so wie i m fernem Zuge der Instanzen den denselben vorgesetzten höheren Justizcollegiis." Svarez hatte gefordert, daß alle Justiz- und Prozeßsachen ohne Unterschied und ohne Rücksicht auf qualitatem causae vor die Regierungen kämen, da dies der Natur der Sache am angemessensten sei 97 . Von Seiten der Verwaltung stimmte man grundsätzlich zu, verlangte aber, damit die „Kammern teils das ihnen nötige Ansehen, teils Wirksamkeit genug, wie es durchaus nötig sei, behalten", wie der Minister v. Schroetter sich ausdrückte 98 , u. a., daß die Kammern das Recht erhielten, Übertretungen der Finanz-, Polizei- und anderer von den Kammern auszuführender Gesetze selbst zu untersuchen und die Strafe nach einem summarischen 95
N.C.C. X , Sp. 949 ff. Nach Loening, S. 117, A n m . 2, datiert es v o m 6. Mai. Dagegen jedoch Hintze, S. 149. 96 Auch die verwaltungsrechtlichen. D a m i t w a r eine weitgehende gerichtliche Kontrolle der V e r w a l t u n g erreicht. 97 I n der die Beratungen eröffnenden Sitzung v o m 15. Januar 1797 (Loening, S. 113, 105, A n m . 1, nach den A k t e n des Geheimen Staatsarchivs, Justizsachen 400 V I fol. 5). 98 Loening, S. 115.
I V . Das historische Polizeistrafrecht
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V e r f a h r e n i n e i n e m S t r a f r e s o l u t festzusetzen, w o g e g e n P r o v o k a t i o n a u f gerichtliches G e h ö r zulässig sein sollte. Svarez w i l l i g t e ein, w e i l er o f f e n b a r b e i der n u r v o r l ä u f i g e n Straffestsetzung d u r c h die V e r w a l t u n g m i t der M ö g l i c h k e i t , d i e G e r i c h t e a n z u r u f e n , seinen ( i n § 8 niedergelegten) G r u n d s a t z noch h i n r e i c h e n d g e w a h r t g l a u b t e " . D a m i t w u r d e n , w e n n auch n u r i n e i n e r e n t l e g e n e n P r o v i n z , die K a m m e r j u s t i z i n Strafsachen beseitigt u n d die p o l i z e i l i c h e S t r a f v e r f ü g u n g a l l g e m e i n e i n g e f ü h r t 1 0 0 (§ 12, der eine A u s n a h m e z u r B e s t i m m u n g des § 8 d a r s t e l l t ; d i e B e r u f u n g a u f f ö r m l i c h e s G e h ö r u n d rechtliches E r k e n n t n i s g i n g a n das Oberger i c h t ) 1 0 1 . A l s V o r b i l d h a t t e das V e r f a h r e n nach d e m R e g l e m e n t v o m 6. J u n i 1795 g e d i e n t 1 0 2 . D i e G e r i c h t s b a r k e i t der Post-, A k z i s e - u n d L o t t e r i e b e h ö r d e n b l i e b a l l e r d i n g s u n b e r ü h r t , da eine V e r s t ä n d i g u n g m i t diesen B e h ö r d e n z u v i e l Z e i t e r f o r d e r t h a b e n w ü r d e 1 0 3 . F ü r die O r t s i n s t a n z b e s t i m m t e sodann die C o n s t i t u t i o n w e g e n E i n r i c h t u n g der U n t e r g e r i c h t e i n der P r o v i n z N e u - O s t p r e u s s e n v o m 21. S e p t e m b e r 1797 1 0 4 i n § 7, daß 99
Siehe Loening, S. 113 f. Das Ressortreglement von 1797 diente als V o r b i l d für das ostpreußische Reglement von 1804 sowie für die durch Freiherrn v. Stein 1803 i n den sogenannten Entschädigungsprovinzen eingeführten Ressortreglements, v. Stein empfahl 1808, die Grundsätze dieser Reglements auf den ganzen Staat auszudehnen (Hintze, S. 157). 101 § 12 („Wegen vorläufiger Untersuchung u n d Abmachung der Polizeyu n d anderer Contraventionen u n d Defraudationen") lautete: „Bey v o r k o m menden Contraventionen u n d Uebertretungen gegen Finanz-, Polizey- u n d andere zum Ressort der Cammer gehörige Gesetze; ungleichen bey allen Defraudationen, Landesherrlicher ihrer V e r w a l t u n g untergebener Gefälle u n d nutzbarer Regalien, ist die Cammer berechtiget, den Beschuldigten zur Verantwortung zu ziehen, die erste summarische Untersuchung zu veranlassen, u n d die Sache durch eine Resolution abzumachen. Wogegen jedoch dem Beschuldigten die Berufung auf förmliches Gehör u n d rechtliches Erkenntnis bey der Regierung vorbehalten bleibt; so wie ein gleiches wegen der Accisecontraventionen und Defraudationen i n dem Reglement v o m 6ten Junius 1795 festgesetzt ist." 102 Das Strafverfügungsverfahren ging v o m Reglement 1797 i n die Reglements von 1798 für Ansbach u n d Bayreuth, von 1803 f ü r Westfalen, 1804 für Ostpreußen u n d Litauen u n d 1808 f ü r das ganze L a n d über. 103 Loening, S. 116. — Bei der v o m Reglement durchgeführten Trennung von Justiz u n d V e r w a l t u n g blieb die V e r w a l t u n g der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterworfen: Die Gerichte entschieden auch, „ w e n n gegen die von den K a m mern i n Angelegenheiten ihres Ressorts getroffenen Verfügungen ein W i d e r spruch sich findet, welcher zur Erörterung i m Wege des Rechts qualifiziert ist" (§ 8). Das französische Recht hingegen führte die Gewaltenteilung i n der Weise durch, daß die Gerichte nicht n u r keine Verwaltungsaufgaben zu erfüllen hatten, sondern auch gegenüber Verwaltungsakten keinen Rechtsschutz gewähren durften: „Die Gerichte dürfen sich weder i n die Ausübung der gesetzgebenden Gewalt einmischen oder den Vollzug der Gesetze aussetzen noch i n die Verwaltungstätigkeit eingreifen oder die Leiter der Verwaltungsbehörden wegen ihrer Amtstätigkeit vor sich laden" (Verfassung v o m 3. September 1791, 3. Abschnitt, 5. Kapitel, A r t . 3 [Franz, S. 286 ff.]). Daß trotzdem auch i n F r a n k reich kein Verwaltungsstrafrecht entstand, zeigt, daß es nie als Verwaltungsrecht, sondern immer n u r als Strafrecht u n d daher zur Rechtsprechung gehörig angesehen wurde. 100
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
die Magistrate (und zwar der Polizeibürgermeister unter Zuziehung der übrigen Ratsmitglieder) und die Gutsherren (oder ihre Stellvertreter, stets unter Zuziehung der Dorfgerichte) Polizeivergehen zu verfolgen hätten, wenn es sich um Vergehen gegen Ortspolizeivorschriften oder u m kleine Diebstähle oder andere geringfügige Verbrechen (wie Beleidigung, leichte Körperverletzung, vgl. z. B. §§ 607, 612, 629, 1122 - 1124 I I 20 ALR) handelte, bei denen gesetzlich nur eine polizeimäßige Untersuchung und Bestrafung 1 0 5 vorgeschrieben war. Überstieg die zu verhängende Strafe nicht fünf Taler, acht Tage Gefängnis oder Strafarbeit oder eine körperliche Züchtigung bis zu zehn Schlägen, so konnten die genannten Polizeiobrigkeiten selbst i n einer Resolution auf die Strafe erkennen; andernfalls hatte das Kreisgericht zu entscheiden. Gegen die Straferkenntnis der Polizeibehörden stand die Berufung offen, und zwar bei Übertretungen von Polizeivorschriften an die Kammer, sonst an die Regierung (das Obergericht) 106 . M i t dem Ressortreglement von 1797 hatte Svarez ein schon von Cocce ji verfolgtes Ziel erreicht. Auf dem mit dem Ressortreglement von 1749 i n Preußen begonnenen Wege war eine eindeutige justizstaatliche Entscheidung errungen worden. Das i n Neu-Ostpreußen eingeführte System sollte auf die gesamte Monarchie ausgedehnt werden, wozu schon vor 1806 eine starke Neigung bestand 107 . Die „reinliche Scheidung zwischen Verwaltung und Justiz" i m Reglement von 1797 „erschien allen maßgebenden Staatsmännern und Verwaltungsbeamten Preußens damals als die Vorbedingung weiterer zeitgemäßer Reformen des Behördenwe104 Diese K o n s t i t u t i o n enthielt nähere Regelungen über die Untergerichte, deren Einrichtung als Kreisgerichte zuvor das „Patent wegen Einrichtung des Justitzwesens i n den unter der Benennung von Neuostpreussen begriffenen D i strikten" v o m 23. A p r i l 1797 (N.C.C. X , Sp. 1095 ff.) angeordnet hatte: Es sollten „die untergeordneten Jurisdictionen oder Untergerichte i n gewisse ordentlich regulirte u n d besetzte Creysgerichte zusammen gezogen", d. h. die bisherigen städtischen u n d grundherrlichen Gerichte durch die neuen Kreisgerichte abgelöst werden (vgl. §§ 20 ff. des Reglements). Den Kreisgerichten übertrug die Konstitution entsprechend den Ressortreglements u. a. „die V e r w a l t u n g der C i v i l - u n d Polizeygerichtsbarkeit" (§ 7 Abs. 2), räumte aber ebenfalls den Gutsherren u n d städtischen Magistraten ausnahmsweise eine eingeschränkte „Cognition i n Polizeyvergehungen" ein (§ 7 Abs. 4). § 7 Abs. 3 bekräftigt, daß die „Ausübung der Polizey" u n d die „daraus entspringende bürgerliche Gerichtsbarkeit" nach den Regeln des Ressortreglements zu trennen seien. Als besonders wichtig ist zu vermerken, daß zu der aus der Ausübung der Polizei entspringenden Gerichtsbarkeit grundsätzlich die Bestrafung der Übertretungen von Polizeivorschriften gehört, die das Ressortreglement (§§ 8, 19) zu den „eigentlichen Justizsachen" zählte, d. h. materiell als Rechtsprechungsaufgabe ansah. 105 §§62, 63 I I 17 A L R : Gefängnis oder Straf arbeit bis zu vierzehn Tagen, Geldstrafe bis zu fünf Talern; mäßige Züchtigung, öffentliche, nicht entehrende Ausstellung. 106 N.C.C. X , Nr. 75 (Sp. 1371). 107 Hintze, S. 151. Vgl. auch o. A n m . 100.
IV. Das historische Polizeistrafrecht
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sens" 108 . Insbesondere gilt dies für v. Stein (der den Grundsatz schon an die Spitze seines Reformprogramms i n seiner Nassauer Denkschrift gestellt hatte) und v. Schroetter. Hinter den damit erreichten Zustand wollte man zu jener Zeit nicht mehr zurück 1 0 9 . Die nun zu besprechende Verordnung vom 26. Dezember 1808 verwirklichte die Forderungen zwar weitgehend, leitete jedoch eine Entwicklung ein, die schließlich i n anderer Richtung verlief. d) Die Verordnung vom 26. Dezember 1808 und die daran anschließende Gestaltung der Polizeistraf g ew alt Das Verhältnis von K r i m i n a l - und Polizeistrafgewalt i m dargelegten Sinne war i n Preußen seit der Zeit Friedrichs des Großen durch zwei i n Widerspruch zueinander stehende Grundsätze bestimmt gewesen. Der eine ging dahin, daß alle Rechtsprechung durch die Gerichte ausgeübt, eine Strafe nur vom Richter verhängt werden sollte. A u f dieser Linie lagen das Reglement von 1749 und die Bemühungen Coccejis, Carmers und SvarezDer andere besagte, das polizeiliche Hoheitsrecht sei nur vollständig, wenn es auch die Gerichtsbarkeit (insbesondere Strafgerichtsbarkeit) i n seinem sachlichen Aufgabenbereich einschließe; andernfalls sei die Polizei an der gehörigen Erfüllung ihrer Aufgaben gehindert. Hierin wirkte sich einerseits der alte Gedanke aus, daß zu einer Hoheitsbefugnis wesentlich auch die Jurisdiktion gehöre, zum andern das Streben der Verwaltung, die fürchtet, unter den Einfluß der Justiz zu geraten, nach Erhaltung ihrer Macht. I m Reglement von 1797 und i m großen und ganzen noch i n der Verordnung von 1808 war jener erste Grundsatz verwirklicht, der zweite zurückgedrängt worden. Während der politischen Restauration schwang das Pendel nach der anderen Richtung aus, wenn auch nicht mehr so weit wie früher. Immer ging es dabei jedoch u m die Rechtsprechungsbefugnis und nicht um die Anerkennung eines Wesensunterschiedes i m materiellen Unrecht. Auch wo zuweilen i n der Auseinandersetzung Formulierungen der Polizeistrafrechtstheorie verwendet wurden (selbst zur Auslegung des ALR), geschah es nicht u m des materiellen Wesensunterschiedes willen, sondern nur, u m i m Einzelfall den Grenzverlauf zwischen den beiden angeführten widerstreitenden Grundsätzen festzulegen. Daß die Verhängung der Strafe stets Rechtsprechung sei, ist bei alledem nie ernsthaft i n Zweifel gezogen worden. Die Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanzbehörden vom 26. Dezember 1808 110 entzog i m ganzen 108
Hintze, S. 154 f. Hintze, S. 154 ff. 110 N.C.C. X I I 2 Nr. 63 (Sp. 679); GS 1817 S. 282 (Auszug). Die Verordnung geht auf Friese zurück. 109
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
Lande den Verwaltungsbehörden ihre seitherige Rechtsprechung, übertrug sie den Gerichten und löste die Kammerjustizdeputationen auf (§§ 14, 34) 111 . Ebenso wurden das Oberrevisionskollegium, die Revisionsdeputation und die übrigen besonderen Spruchbehörden höherer Instanz beseitigt 1 1 2 . Somit hatten die Gerichte auch über die Vergehen gegen Verwaltungsgesetze zu entscheiden. Die Kammern hießen von nun an Regierungen. § 14 gab den zuständigen Gerichten „die ungetheilte Verwaltung des richterlichen Amts, in Rücksicht sämmtlicher Angelegenheiten des Kammeralressorts ohne Ausnahme, sie mögen dazu schon gehört haben, oder erst jetzt gelegt werden, es mag dabei auf Entscheidung eines Civil-Anspruchs, oder einer Kontravention ankommen, Fiskus bei der Sache interessirt seyn oder nicht". Über Vergehen gegen Hoheitsrechte und Landespolizeiverordnungen urteilten die Obergerichte, gegen Finanzgesetze bei Strafen bis zu fünfzig Talern oder einer gleichgestellten Gefängnisstrafe die Untergerichte (§ 34). Hinsichtlich der ortspolizeilichen Übertretungen 1 1 3 ließ es § 34 „einstweilen" bei dem bisherigen Rechtszustand. Danach behielten die Ortspolizeibehörden (verselbständigte örtliche Polizeibehörden, soweit vorhanden, sonst: Magistrate; Amtmänner; Gutsherren; Landräte, wo es keine andern Ortspolizeibehörden gab) das Recht, diese Übertretungen wie bisher abzuurteilen. Über die „Berufung auf rechtliches Gehör" gegen ihre Erkenntnisse entschieden aber jetzt die Untergerichte 1 1 4 . Das Polizeireglement für Königsberg 1 1 5 , das durch Reskript vom 28. J u l i 1810 auch i n anderen Städten, i n denen sich Polizeidirektionen befanden, eingeführt wurde 1 1 6 , bestimmte hierzu näher, daß die Polizeidirektion als Ortspolizeibehörde Übertretungen von Gesetzen und Anordnungen, die zu ihrem Ressort gehör111 Auch die besonderen Verwaltungsbehörden — wie Akzise-, Zoll-, Postusw. Behörden — verloren durch § 14 ihre Gerichtsbarkeit (nach Loening, S. 144, gemäß § 54 i n den folgenden zwei Jahren). 112 §34 u n d P u b l i k a n d u m v o m 16. Dezember 1808, N.C.C. X I I 2 Nr. 59 (Sp. 527). 113
Übertretungen ortspolizeilicher Vorschriften u n d andere, die hauptsächlich das Interesse des Ortes berühren (gefährden können), d. h. „ w e n n das Interesse der Ortspolizei vorwaltet oder gefährdet w i r d " (sogenannte Ortspolizeisachen); C. R. v o m 13. November 1817, Ann. I 4 S. 129; C. R. v o m 28. J u n i 1810, Jahrbuch 34, S. 395, A n m . 1, S. 428, A n m . 3; Hoff mann, Polizeiarchiv für Preußen, Bd. 1, S. 143 f. — Z u den ortspolizeilichen Übertretungen rechnete man (entsprechend der Regelung i n Neu-Ostpreußen; vgl. o. S. 83 m i t A n m . 104) auch andere geringfügige Vergehen als Übertretungen von Polizeivorschriften, sofern auf sie n u r polizeimäßige Strafen (§§ 62, 63 I I 17 A L R ) angedroht waren. Dies ergibt sich aus § 10 des v o m K ö n i g erlassenen Polizeireglements v o m 1. A p r i l 1809 (Hoffmann, Repertorium, I I I , S. 146). Ebenso verfuhr die Praxis, die aber hier allmählich eingeschränkt wurde (vgl. z. B. § 10 des genannten Polizeireglements, R. v o m 28. September 1818, Ann. I I S. 761), wogegen sich die Strafbefugnis der Polizeibehörden vergrößerte. 114 C. R. v o m 28. J u n i 1810 (siehe vorige Anm.). Siehe ferner o. A n m . 104. 115 Hoffmann, Repertorium, I I I , S. 146. 116 Hoffmann, a.a.O., S. 69.
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ten , i m Wege einer Resolution bestrafen könne (§ 13 Abs. 1). Gegen diese sollte, wenn die Strafe mäßige Züchtigung, Gefängnis oder Strafarbeit von vierzehn Tagen oder fünf Taler Geldstrafe nicht überstieg, „keine Provocation auf rechtliches Gehör, sondern nur der Weg der Beschwerde bei dem Ober-Landesgerichte" stattfinden (§ 13 Abs. 2), bei höherer Strafe aber § 45 der Verordnung von 1808 entsprechend angewendet werden und nach Antrag auf gerichtliches Erkenntnis (wie auch, falls die Polizeidirektion von jener Befugnis keinen Gebrauch machte) die örtliche Kriminalkommission entscheiden (§§ 13 Abs. 3, 16 Abs. 2). § 45 der Verordnung räumte sodann den Regierungen (früheren Kammern) entsprechend den vorausgegangenen Reglements die Möglichkeit ein, bei Übertretungen von Finanz-, Polizei- 1 1 8 und anderen Gesetzen, die sie auszuführen hatten, sowie Defraudationen der von ihnen verwalteten landesherrlichen Gefälle und nutzbaren Regalien nach summarischem Verfahren eine Strafe durch eine Resolution 1 1 9 zu verhängen. Nach dieser vorläufigen Straffestsetzung der Regierung konnte der Betroffene die Entscheidung des zuständigen Obergerichts beantragen 120 . Die Möglichkeit der Beschreitung des Rechtsweges gegen die Strafresolute der Verwaltungsbehörden (Ortspolizeibehörden und Regierungen) schloß die Beschwerde i m Verwaltungswege (Rekurs an die Regierung und danach an das Polizei- oder Innenministerium) nicht aus. Hatte jedoch das Gericht entschieden, so war die Verwaltungsbeschwerde unzulässig 121 . Dagegen stand der Rechtsweg auch noch nach Erschöpfung des Verwaltungsbeschwerdeweges offen; bei Ortspolizeiübertretungen erkannte jetzt das zuständige örtliche Untergericht (Stadtgericht) 122 , das 117 Durch C. R. vom 11. J u l i 1810 dahin geändert, daß die Polizeidirektion alle Übertretungen, für die die Ortspolizeibehörde zuständig w a r (vgl. o. A n m . 113), bestrafen konnte (Jahrbuch 34, S. 396, Ziff. 1). 118 Der Begriff der „Polizei" hat i n der Verordnung von 1808 (vgl. § 3) den alten weiten Sinn, der neben der Polizei i m engeren Sinne (§ 10 I I 17 A L R ) auch die wirtschaftliche V e r w a l t u n g u n d die Wohlfahrtspflege begreift. Denselben Polizeibegriff hatte (als den entgegen dem A L R praktisch geltenden Polizeibegriff) auch schon das Reglement von 1797 zugrunde gelegt (Hintze, S. 156,158). 119 E i n bedingtes Straferkenntnis, das „die wesentlichen Erfordernisse eines gerichtlichen Erkenntnisses" haben mußte (C. R. v o m 13. November 1817, Ann. I 4 S. 129) u n d U r t e i l s w i r k u n g erst erlangte, wenn der Beschuldigte nicht binnen zehn Tagen „förmliches rechtliches Gehör u n d Erkenntniß" (§ 45) beantragte, andernfalls aber keine W i r k u n g hatte. 120 Die strafrechtlichen Zuständigkeits- u n d Verfahrensbestimmungen der §§ 14, 34 u n d 45 wurden bei der Neuveröffentlichung der Allgemeinen Gerichtsordnung am 4. Februar 1815 i n den §§ 243, 248, 250 des Anhangs niedergelegt. 121 C. R. v o m 25. Januar 1812, Jahrbuch 1, S. 13; C. R. v o m 13. November 1817, Ann. 14 S. 129. 122 R. v o m 25. M a i 1810, C. R. v o m 28. J u n i 1810, Jahrbuch 34, S. 440, A n m . 28, S. 438, A n m . 26; C. R. v o m 25. Januar 1812, Jahrbuch 1, S. 13; C. R. v o m 13. November 1817, R. v o m 6. Januar 1818, 20. September 1818, Ann. I 4 S. 129, 135, I I S. 756.
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auf diese Weise selbst eine Rekursentscheidung des Polizei- oder Innenministeriums aufzuheben vermochte. Damit sah man den Grundsatz verwirklicht, daß „jeder Unterthan berechtigt ist, zu verlangen, daß über eine, i h m aufzulegende Strafe vom Richter erkannt werde". Auch sei durch „eine i n via juris erfolgte richterliche Abänderung eines administrativen Ausspruchs die Verwaltung überall nicht kompromittiert, sie i m Gegenteil durch den, dadurch gegebenen, Beweis der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Rechtspflege und der Achtung der Administration für den richterlichen Spruch nur noch Vertrauens- und achtungswürdiger erscheint, und überdem die Administration selbst wegen ihrer eigenen Handlungen vor dem Richter Recht giebt und Recht n i m m t " 1 2 3 . Entgegen dieser hier dargestellten, seit 1749 stetigen Entwicklung, die darauf hinauslief, daß jede öffentliche Strafe nur von einem Richter verhängt werden dürfe, weil auch die Polizeigerichtsbarkeit i n der ordentlichen Gerichtsbarkeit enthalten sei und einen Teil derselben bilde 1 2 4 , begann sich aber jetzt die Meinung durchzusetzen, „daß es dem Ansehen und der Wirksamkeit der Polizeibehörden sehr zuwiderlaufen würde, wenn ihnen eine so wichtige Befugniß, als das polizeiliche Strafrecht ist, entzogen und von einer andern Behörde ausgeübt werden sollte"; vielmehr seien „die Justizbehörden nur auf die Entscheidung privatrechtlicher Streitigkeiten und auf die Untersuchung und Bestrafung wirklicher Verbrechen verwiesen und von aller M i t w i r k u n g i n Finanz- und polizeilichen Angelegenheiten ausgeschlossen" 125 . Ohne Strafgewalt sei die Polizei unwirksam und illusorisch; die polizeiliche Strafgewalt folge aus dem Grundsatz, „daß eine Obrigkeit, welcher ein administrativer W i r kungskreis übertragen ist, für den letztren auch die Jurisdiction besitzen m u ß " 1 2 6 . Die mächtig gewordene Institution der Verwaltung wollte sich 123 Erläuterungsreskript des Polizeiministeriums v o m 6. Januar 1818, Ann. I 4 S. 135. — Die Strafresolute sollten jedoch überzeugend begründet sein, damit die Verwaltungsbehörden sich selbst genügend K l a r h e i t verschaffen u n d die ihnen wichtig erscheinenden polizeilichen u n d staatswirtschaftlichen Gesichtspunkte den Gerichten nahegebracht werden; C. R. v o m 13. November 1817, R. v o m 6. Januar 1818, A n n . I 4 S. 129, 135; 28. J u n i 1810, Jahrbuch 34, S. 432, A n m . 8. 124 Vgl. v. Kamptz, Bruchstücke, S. 387 f., 389. 125 Derselbe, S. 388. 128 Derselbe, S. 287; ähnlich v. Lancizolle, Grundzüge der Geschichte des deutschen Städtewesens, Berlin, 1829, S. 35. Vgl. auch o. S. 76, A n m . 75. — N u r i n einigen Fällen sogenannter „geringer Verbrechen", wie dem kleinen Diebstahl (R. v o m 28. September 1818, Ann. I I S. 761; 28. Februar 1820, 23. August 1826, 24. August 1827, 20. Januar 1830, v. Rönne u n d Simon, S. 514 - 516) u n d der geringfügigen Sachbeschädigung (R. v o m 11. Januar 1837, v. Rönne u n d Simon, S. 519) w u r d e n n u n die Gerichte für zuständig angesehen, w e i l es sich dabei u m leichte Fälle solcher Delikte handelte, die herkömmlich die Justiz aburteilte. Dies hing m i t den Bestrebungen zusammen, die Gerichte von der Rechtsprechung bei Übertretungen der Verwaltungsgesetze auszuschließen, u n d sollte dieses Ziel erreichen helfen. Aber selbst jene Beschränkung der
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i n ihren einmal erlangten Befugnissen nicht wieder beschneiden lassen, wie es durch die Verordnung von 1808 schon geschehen war. Sie sah die Polizeigewalt bedroht, wenn der Rechtsweg gegen polizeiliche Strafresolute beschritten werden könnte 1 2 7 . Nach einer von Loening 128 wiedergegebenen Bemerkung des Geheimen Rats Pfeiffer, Vortragenden Rates i m Justizministerium, von 1814 zeigte sich das Bestreben, die Justiz dort auszuschließen, wo man etwas Neues (anderes) einführen wollte und von der Justiz Hindernisse fürchtete — womit er zweifellos eine richtige Beobachtung über eine Ursache der geschichtlichen Erscheinung des Polizeistrafrechts gemacht hat. Jenes Bestreben stand hier i n engem Zusammenhang mit der politischen Restauration. Es tauchte auch jetzt die Behauptung auf, die Gerichte seien auf die Untersuchung und Bestrafung wirklicher Verbrechen zu beschränken 129 . Damit wurde zwar die sich ausbreitende Polizeistrafrechtstheorie als Argument zur Rechtfertigung herangezogen, größeren Einfluß auf die Rechtsgestaltung erlangte sie aber nicht. Ausschlaggebend waren vielmehr die vorgenannten Gründe und die damit i n Zusammenhang stehende Überlegung, die der König i n einer Kabinettsorder vom 22. August 1833 an die Minister des Innern und der Justiz allgemein für die Überweisung bestimmter Angelegenheiten in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden, die hierbei nach Recht zu entscheiden hätten, anstatt i n die der Gerichte ausdrückte, nämlich daß die rechtliche Entscheidung wesentlich von der richtigen Beurteilung solcher Umstände abhinge, die den Verwaltungsbehörden besser als den Gerichten bekannt seien 130 . Es sollten also für die Beurteilung Gesichtspunkte maßgeblich sein, deren Berücksichtigung bei den Verwaltungsbehörden eher als bei den Gerichten zu erwarten war. Zunächst ergingen Bestimmungen über die Anfechtung ortspolizeilicher Straf entscheide. Der Innenminister ordnete i n dem „auf Allerhöchsten Spezial-Befehl" erlassenen Zirkular an die Regierungspolizeideputation von Königsberg i n der Neumark am 28. August 1810 an, daß gegen Resolute einer städtischen Polizeibehörde (die Polizeidirektion oder — in kleinen Städten — der Magistrat), die auf keine höhere Strafe als mäßige körperliche Züchtigung, Gefängnis oder Strafarbeit von vierzehn Tagen oder fünf Taler Geldstrafe lauteten, nur Beschwerde (Rekurs) an polizeilichen Rechtsprechung stieß auf Widerstand, u n d man erwog, bei einer Gesetzesrevision die polizeiliche Bestrafung der leichten K r i m i n a l f ä l l e erneut einzuführen (vgl. ζ. B. das zitierte R. v o m 24. August 1827), u m den historischen Umfang der Polizeistrafgerichtsbarkeit, die A b u r t e i l u n g der gesamten Bagat e l l k r i m i n a l i t ä t , wieder herzustellen. 127
Loening, S. 193.
128
S. 154. 129 Siehe v. Kamptz, a.a.O., S. 388 (Mitteilung aus den Verhandlungen über die Gesindeordnung von 1812). 130
Loening, S. 213.
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
die Regierung stattfinden dürfe 131. Dementsprechend vereinbarten Jus t i z m i n i s t e r i u m u n d I n n e n m i n i s t e r i u m die Ä n d e r u n g des § 13 A b s . 2 des P o l i z e i r e g l e m e n t s f ü r K ö n i g s b e r g 1 3 2 d a h i n , daß i n j e n e n F ä l l e n ger i n g e r B e s t r a f u n g die Beschwerde n i c h t b e i m Oberlandesgericht, sond e r n b e i d e r R e g i e r u n g e i n z u l e g e n s e i 1 3 3 . Diese R e g e l u n g w u r d e schließl i c h a u f die S t r a f e n t s c h e i d u n g e n a l l e r O r t s p o l i z e i b e h ö r d e n a u s g e d e h n t 1 3 4 u n d b e i der N e u v e r ö f f e n t l i c h u n g der A l l g e m e i n e n G e r i c h t s o r d n u n g f ü r d i e preußischen S t a a t e n d u r c h K ö n i g l i c h e s P a t e n t v o m 4. F e b r u a r 1815 als a l l g e m e i n e V o r s c h r i f t ü b e r die S t r a f e r k e n n t n i s s e d e r P o l i z e i b e h ö r d e n i n § 247 des A n h a n g s 1 3 5 a u f g e n o m m e n 1 3 6 . I n d e n J a h r e n 1822 u n d 1823 e r w e i t e r t e der I n n e n m i n i s t e r sodann die Z u s t ä n d i g k e i t der O r t s p o l i z e i b e h ö r d e n entgegen § 34 der V e r o r d n u n g v o n 1808 u n d § 248 des A n h a n g s z u r A l l g e m e i n e n G e r i c h t s o r d n u n g i n m e h r e r e n R e s k r i p t e n 1 3 7 a u f die B e s t r a f u n g v o n Ü b e r t r e t u n g e n landesp o l i z e i l i c h e r Gesetze u n d V e r o r d n u n g e n . D i e O r t s p o l i z e i b e h ö r d e n h a t t e n danach j e t z t a l l e P o l i z e i ü b e r t r e t u n g e n ( m i t V o r b e h a l t der Beschwerde an d i e R e g i e r u n g ) a b z u u r t e i l e n ; die R e g i e r u n g e n d u r f t e n gar n i c h t m e h r i n erster I n s t a n z , s o n d e r n n u r noch als R e k u r s b e h ö r d e e n t s c h e i d e n 1 3 8 . D i e 131 Ann. I 4 S. 134. Bei höherer Strafe blieb die „Provokation auf rechtliches Gehör" unbenommen u n d sollte an das Stadtgericht gehen. 132 Vgl. o. S. 86 f. 133 C. R. des Justizministeriums v o m 25. Januar 1812, Jahrbuch 1, S. 13; vgl. auch R. v o m 20. September 1818 (Polizeiministerium), Ann. I I S. 756. 134 C. R. v o m 25. Februar 1812, Jahrbuch 1, S. 37. 135 Dieser lautete: „ I n Fällen, i n welchen wegen Polizeikontraventionen die von den Polizeibehörden festgesetzte Strafe, eine mäßige körperliche Züchtigung, vierzehntägiges Gefängniß oder Strafarbeit von dieser Dauer, oder fünf Thaler Geldbuße nicht übersteigt, findet die Provokation auf rechtliches Gehör nicht Statt, sondern es k a n n n u r über die geschehene Festsetzung bei der der Polizeibehörde vorgesetzten Behörde geklagt werden." 136 Gerichtliche Anfechtungen gab es bei diesem Gesetzeszustand n u r selten, da das Zulässigkeitsstrafmaß meistens nicht erreicht wurde (vgl. R. v o m 13. August 1829, Ann. X I I I S. 568); die gerichtliche Nachprüfung der polizeilichen Straferkenntnisse w a r damit praktisch weitgehend unmöglich gemacht. Sie k a m hauptsächlich bei solchen Delikten vor, „deren Untersuchung u n d Bestrafung den Polizeibehörden noch außer den eigentlichen Polizei-Kontraventionen zusteht", bei diesen letzten aber „fast nie" (ν . Rönne u n d Simon, S. 471). Auch hieraus geht hervor, daß die Polizeibehörden i n den Fällen der §§ 61 - 63 I I 17 A L R mindestens i n späterer Zeit (jedenfalls seit der Kabinettsorder v o m 13. Januar 1828) nicht an das dort angegebene Strafmaß gebunden waren. 137 V o m 1. August, 15. August, 5. September, 8. November, 24. November, 11. Dezember 1822 und 7. J u n i 1823, A n n . V I S. 705, 707, 709, 928, 929, 930; V I I S. 334. 138 Ausdrücklich wiederholt z. B. i n R. v o m 21. Oktober 1829, 26. November 1832, v. Rönne u n d Simon, S. 509, 511. — Noch das R. v o m 6. Oktober 1819 (Ann. I I I S. 939) hatte die Ortspolizeibehörden auf die Bestrafung von Ortspolizeiübertretungen beschränkt u n d die der Landespolizeiübertretungen den Regierungen vorbehalten. Z u r Rechtfertigung der Erweiterung berief man sich u. a. außer auf §§ 10, 11 I I 17 auf § 130 I I 8 A L R (R. v o m 1. August u n d 5. September
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Rechtsmittel ergaben sich aus § 247 des Anhangs zur Allgemeinen Gerichtsordnung. Irgendeine Beschränkung der Ortspolizeibehörden i m Strafmaß wurde bei alledem nicht mehr anerkannt 1 3 9 . Schließlich hielt es der Innenminister sogar für „ein ganz anomales Verhältniß", daß die Gerichte (soweit es nach dem Strafmaß an sich möglich wäre) auch dann noch angerufen werden könnten, wenn die Regierung oder gar das M i nisterium bereits als Beschwerdeinstanz entschieden hatte; die Berufung auf den Rechtsweg sollte deshalb nur gegen die erstinstanzliche Entscheidung zulässig sein, weil die höheren Verwaltungsbehörden „nicht dem Compromiß ausgesetzt werden können, daß ihre Straf-Resolute späterhin von Untergerichten wieder aufgehoben werden" 1 4 0 . Damit Schloß der Beschwerdeweg jetzt den Rechtsweg aus. Einen gewissen Abschluß erreichte diese ganze Entwicklung, nachdem der Justizminister m i t weiteren Einschränkungen der gerichtlichen Befugnisse durch den Innenminister nicht mehr einverstanden war, in der Kabinettsorder vom 13. Januar 1828 141 . Die Ortspolizeibehörden durften landespolizeiliche Übertretungen nur noch bestrafen, wenn sie zugleich gegen Ortspolizeivorschriften verstießen und nicht mit einer Fiskal- oder Kriminalstrafe bedroht waren 1 4 2 . I m Strafmaß lag jedoch keine Begrenzung der Zuständigkeit (auch nicht nach den §§ 61, 62 I I 17 ALR). Lautete das Straferkenntnis höchstens auf mäßige Züchtigung, Gefängnis oder Strafarbeit von vierzehn Tagen oder fünf Taler Geldbuße, so gab es dagegen nur Rekurs an die Regierung, während der Beschuldigte bei höherer Strafe die Wahl zwischen dem Rekurs und dem Antrag auf gerichtliches Verfahren hatte, wobei aber die Wahl des Beschwerdeweges den Rechtsweg ausschloß. Soweit die Ortspolizeibehörden die Übertretungen der Landespolizeigesetze nicht mehr bestrafen konnten, erhielten die Regierungen, die regelmäßig i m Kollegium entschieden 143 , wieder 1822), der bestimmte, daß der Magistrat als Ortspolizeibehörde die nach den Polizeiverordnungen „unstreitig v e r w i r k t e n Geldstrafen" einziehen konnte; sobald aber „über die V e r w i r k u n g einer Polizeistrafe Streit entsteht", sollte der Richter entscheiden (§ 131 I I 8). 139 R. v o m 24. November 1822, Ann. V I S. 929; 21. Februar 1825, v. Rönne u n d Simon, S. 507. 140 C. R. v o m 26. September 1826, Jahrbuch 34, S. 439, A n m . 27. Gegen die Entscheidung der Regierung gab es also „ k e i n eigentliches Rechtsmittel weiter, sondern n u r eine Beschwerde", R. v o m 26. November 1832, v. Rönne u n d Simon, S.511. 141 v. Rönne u n d Simon, S. 588, A n m . 1. I h r I n h a l t ging sodann auf G r u n d der Kabinettsorder v o m 8. März 1830 (a.a.O.) i n das C. R. des Innenministers v o m 23. M a i 1830 (für die Regierungen) u n d des Justizministers v o m 21. M a i 1830 (für die Oberlandesgerichte) ein (a.a.O., S. 510). Siehe auch die Erläuterungen dazu i m R. v o m 28. Februar 1834 (a.a.O., S. 512). 142
Das genannte C. R. v o m 23. M a i 1830 erläuterte dies (wohl zutreffend, da die Ortspolizeibehörden i m Strafmaß nicht beschränkt waren) dahin, daß die Übertretung „nicht m i t einem Verbrechen verbunden ist, welches gesetzlich eine K r i m i n a l - oder fiskalische Untersuchung nach sich zieht".
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1. Teil: Geschichtliche E n t w i c k l u n g
eine erstinstanzliche Zuständigkeit gemäß § 45 der Verordnung von 1808, § 243 des Anhangs zur Allgemeinen Gerichtsordnung. 3. Das Polizeistrafrecht im 19. Jahrhundert
Die bisherige Übersicht hat gezeigt, daß das historisch gewordene Polizeistrafrecht ein Strafrecht der Polizei-(Verwaltungs-)Behörden war und nicht durch materiellrechtliche, einer angeblichen Eigenart seines Unrechts entsprechende Besonderheiten gegenüber dem sogenannten K r i minalstrafrecht gekennzeichnet gewesen ist, wie auch schon die rein quantitative Abgrenzung der K r i m i n a l - von den Polizeistrafen i m preußischen Allgemeinen Landrecht (§ 68 I I 17) beweist. Seine Entstehung und Ausgestaltung war bedingt durch den Aufbau und die Entwicklung des absoluten Staates, dem der Polizeibegriff zur Bildung seines umfassenden und lückenlosen Hoheitsrechtes diente. I n den andern deutschen Staaten verlief die Entwicklung des Polizeistrafrechts ähnlich wie i n Preußen. Wie sehr sie mit der Erstarkung der (monarchischen) Staatsgewalt (dem Absolutismus) zusammenhängt, geht auch daraus hervor, daß etwa in Württemberg, wo sich die ständische Verfassung länger erhielt, den Verwaltungsbehörden noch i m 18. Jahrhundert die Strafgewalt verwehrt wurde 1 4 4 . a) Kodifikationen des Polizeistraf rechts, das preußische Strafgesetzbuch von 1851 und das polizeiliche Straf verfügungsrecht in Preußen Die dem Polizeistrafrecht schon bald erwachsenden Widerstände durch die Gewaltenteilungslehre waren zunächst nicht groß. Der Gedanke der Gewaltenteilung erreichte seine geschichtliche Wirksamkeit i n Deutschland erst i m weiteren Verlaufe des 19. Jahrhunderts. Bis dahin hatte sich aber das Polizeistraf recht i n allen deutschen Ländern längst durchgesetzt. Die Reformbestrebungen i m 19. Jahrhundert gingen sodann i n verschiedene Richtungen. Die Neugestaltungen i n Preußen waren, wie die vorangegangene Darstellung gezeigt hat, schon seit 1749 durch einen justizstaatlichen Zug gekennzeichnet, gegen den sich jedoch nach Erl aß der Verordnung von 1808 vorübergehend 145 eine stärkere Reaktion be143 Vgl. § 31 der Verordnung v o m 26. Dezember 1808; §§ 12, 13, 17 der Geschäftsinstruktion f ü r die Regierungen v o m 26. Dezember 1808, N.C.C. X I I 2 Nr. 64 (Sp. 703 ff.). 144 O. Bühler y S. 206. Näher zur E n t w i c k l u n g der staatlichen Verhältnisse i n Württemberg: Wintterlin, Geschichte der Behördenorganisation. 145 Hinsichtlich der Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte i n V e r w a l tungssachen hatte die Reaktion aber nachhaltige W i r k u n g . Der französische Grundsatz, daß Verwaltungsakte nicht von den Gerichten nachzuprüfen seien, setzte sich durch (vgl. vor allem das Gesetz v o m 11. M a i 1842, das gegen V e r waltungsverfügungen n u r den Beschwerdeweg zuließ), u n d schließlich w u r d e n besondere Verwaltungsgerichte geschaffen, die nicht zum Justizressort gehörten. Vgl. dazu Wagner, S. 57 ff.
IV. Das historische Polizeistrafrecht
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merkbar machte. Vor allem die süddeutschen Länder schritten hingegen zu Kodifikationen des sogenannten Polizeistraf rechts, so Württemberg (Polizeistrafgesetzbuch vom 2. Oktober 1839, abgelöst durch das Polizeistrafgesetz vom 27.12. 1871), Baden (Polizeistrafgesetzbuch vom 31. Oktober 1863), Bayern (Polizeistrafgesetzbuch vom 10. November 1861), ferner etwa Hessen (Polizeistrafgesetz vom 30. Oktober 1855) 146 . Diese K o difikationen kamen teilweise erst nach jahrzehntelangen Vorbereitungen zustande. Zu den Polizeiübertretungen gehörten, entsprechend der Herkunft des sogenannten Polizeistrafrechts, das m i t dem inzwischen verbreiteten Polizeibegriff nichts zu t u n hatte 1 4 7 , u. a. Konkubinat, einfache Unzucht, Erregung öffentlichen Ärgernisses durch unsittliche Handlungen oder Trunkenheit, Tierquälereien, Störungen der Sonntagsfeier oder des Gottesdienstes, geringfügige Beleidigungen, Tätlichkeiten und Raufhändel, unerhebliche Körperverletzungen, Betteln, Landstreicherei und dergleichen, Vernachlässigung der Aufsicht über Geisteskranke, Hetzen von Hunden auf Menschen, geringfügige Diebstähle (wie Mundraub) 1 4 8 , Fundunterschlagungen, Beschädigungen öffentlichen Eigentums, manche Betrugsfälle geringerer A r t , leichte Sachbeschädigungen, Wucher usw., vor allem viele Leben, Gesundheit, die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdende bzw. beeinträchtigende Handlungen usw. Hierbei ist zu beachten, daß durch die genannten Kodifikationen der Kreis des Polizeistrafrechts gegenüber dem früheren Rechtszustand zugunsten des Justizstraf rechts (Kriminalstraf rechts) teilweise erheblich eingeschränkt wurde 1 4 9 . 146 Über den Stand des Polizeistraf rechts etwa u m 1840 vgl. Mittermaier, Strafgesetzgebung, I, S. 221 ff. 147 Wie auch v. Waechter, Sächsisches und Thüringisches Strafrecht, S. 312, unter Hinweis darauf betonte, daß der Begriff des Polizeivergehens nur formal bestimmt werde, nämlich nach der für die Bestrafung zunächst zuständigen Behörde, nicht aber nach der — vom damaligen Polizeibegriff her verstandenen — (polizeilichen) „Natur des Vergehens". 148 Auch nach §§ 1122 - 1124 I I 20 des preußischen A L R sollte der einfache Diebstahl an Eßwaren oder Getränken zu eigenem Gebrauch oder an Sachen von höchstens fünf Talern Wert „ n u r polizeimäßig" untersucht werden (ebenso ζ. B. nach § 1490 die geringfügige Sachbeschädigung aus Mutwillen). — U r sprünglich war damit die polizeiliche Zuständigkeit begründet worden, später verstand man unter „polizeimäßig" in diesen Bestimmungen die Strafhöhe (§§ 62, 63 I I 17 ALR) bzw. die A r t des Verfahrens, das jedoch vom Gericht zu führen sei (z. B. R. vom 28. September 1818, Ann. I I S. 761; 28. Februar 1820,
v. Rönne und Simon, S. 514).
149 Die Grenzziehung zwischen K r i m i n a l - und Polizeistrafrecht w a r nicht überall gleich, so daß manche der aufgezählten Delikte i n verschiedenen Partikularrechten gerichtlich bestraft wurden. — Auch wo das Polizeistrafrecht nicht kodifiziert war, wies es keinen wesentlich anderen Umfang auf. Die Strafbefugnis der Polizeibehörden w a r i n der Regel auf bestimmte Strafhöhen begrenzt, innerhalb deren sie Verstöße gegen die Bestimmungen von Verwaltungsgesetzen und -Verordnungen, aber auch häufig geringe Rechtsverletzungen bestrafen durften. Bei höherer Strafe war die Zuständigkeit der Gerichte begründet.
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
I n Preußen kam es zu keiner Kodifikation des Polizeistraf rechts. I m Vordergrund des Bemühens standen statt dessen die möglichst vollständige Überleitung der Strafrechtspflege auf die Gerichte und, i n engem Zusammenhang damit, die möglichst einheitliche Erfassung und gesetzliche Regelung des gesamten Strafrechts einschließlich der seitherigen Polizeiübertretungen. Dies führte i n materiellrechtlicher Hinsicht schließlich zum preußischen StGB von 1851 m i t seiner nur gradmäßigen Abstufung der strafbaren Handlungen in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, was für die weitere Entwicklung des deutschen Strafrechts ausschlaggebend wurde. Allerdings hatte es auch i n Preußen zunächst Versuche einer Kodifikation des Polizeistrafrechts gegeben. 1826 wurden die Arbeiten zu einer Revision des preußischen Strafrechts aufgenommen 150 . 1830 war nach den Entwürfen von 1827 (Allgemeiner Teil) und 1828, 1829 (Besonderer Teil) der „Entwurf des Strafgesetzbuches für die Preußischen Staaten, Erster Teil: Kriminalstrafgesetze" unter der Leitung des Justizministers Grafen Danckelmann fertiggestellt worden, v. Danckelmann wollte das Polizeistrafrecht als zweiten Teil des Strafgesetzbuchs bearbeitet wissen. 1833 erschien dieser „Zweite Teil: Polizeistrafgesetze" i m Entwurf. I n den Motiven ist ausgeführt, daß es einen allgemeingültigen begrifflichen Unterschied zwischen Verbrechen und Polizeivergehen nicht gebe, vielmehr das Strafbedürfnis über die Zuteilung entscheide 151 . Danach sollten gemäß § 1 des Entwurfs nur solche Handlungen als Polizeivergehen bestraft werden können, die durch Gesetz oder Verordnung zu solchen erklärt worden waren. Der Nachfolger des Grafen Danckelmann in der Leitung der Reformarbeit, v. Kamptz, war jedoch mit der Aussonderung der sogenannten Polizeivergehen nicht einverstanden, und so enthielten die späteren Entwürfe (bis 1843) wieder „Polizeidelikte" neben den andern strafbaren Handlungen. Der revidierte Entwurf von 1845, der unter Leitung v. Savignys (seit 1842 Minister für Gesetzesrevision) zustande gekommen war, verwies sie in einen besonderen dritten Teil, von wo sie über den entsprechend angeordneten Entwurf von 1847 i n den dritten Teil (Von den Übertretungen, §§ 332 - 349) des Strafgesetzbuches für die Preußischen Staaten vom 14. A p r i l 1851 152 gelangten 153 . Das Strafgesetz150 Über die Reformarbeiten vgl. Goltdammer, Materialien, I, S. V I I ff.; I I , S. 706 ff.; Berner, Strafgesetzgebung, S. 218 ff.; Hälschner, Geschichte, S. 261 ff.; Temme, Lehrbuch, S. 52 f.; v. Hippel, I, S. 314 ff., u n d die dort Genannten. 151 Nach v. Hippel I, S. 318. 152 Stenglein, I I I , S. 201 ff. 153 Der dritte Teil des StGB 1851 gliederte sich i n die vier T i t e l : „ V o n der Bestrafung der Übertretungen i m allgemeinen", „Übertretungen i n Beziehung auf die Sicherheit des Staates und die öffentliche Ordnung", „Übertretungen i n Beziehung auf die persönliche Sicherheit, Ehre u n d Freiheit" u n d „ Ü b e r tretungen i n Beziehung auf das Vermögen". Übertretungsstraf en waren polizeiliche Gefängnisstrafe (einfache Freiheitsentziehung von einem Tag bis zu
I V . Das historische Polizeistrafrecht
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buch für den Norddeutschen Bund vom 31. Mai 1870 nahm sie mit einigen Änderungen in den 29. Abschnitt auf, wo sie das (Reichs-)Strafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 bis zuletzt beließ. Die allgemeinen Bestimmungen für die Übertretungen wurden i n den ersten Teil eingearbeitet. Die Motive zum Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund weisen die (auch aus Gründen der Partikulargesetzgebung erhobenen) Einwände gegen die Aufnahme der Übertretungen i n das Gesetz zurück. „Schon die hergebrachte Bezeichnung ,Polizeistrafrecht 4 deutet darauf hin, daß dasselbe ein Teil des Strafrechts ist . . . Vergeblich ist . . . der Versuch gemacht worden, die Grenzlinien zwischen dem kriminell und polizeilich Strafbaren zu finden. Auch in der neuesten Z e i t . . . ist es nicht gelungen, jenen . . . Unterschied mit Sicherheit und Gleichmäßigkeit durchzuführen. Wiederholt ist hierbei von angesehenen Rechtslehrern das Anerkenntnis ausgesprochen worden, daß auch die sogenannten Polizeiübertretungen ein wirklich strafbares Recht darstellen und daher gleich der Verbrechen und Vergehen zu verfolgen und von den Gerichten zu bestrafen seien . . . Indem der Entwurf . . . die ,Übertretungen 4 i n den Kreis der Handlungen aufnahm, deren Bestrafung i m Strafgesetzbuche vorzusehen sei, wollte er dem Gedanken, daß hierbei nicht ein von dem übrigen Strafrechte generiseli sich unterscheidendes Gebiet behandelt werde, noch dadurch einen schärferen und entschiedeneren Ausdruck geben, daß er die allgemeinen Bestimmungen, welche i n Bezug auf die Verbrechen und Vergehen aufzustellen waren, . . . auch auf die Übertretung ausdehnt und demgemäß jenen ,allgemeinen Teil· auf alle strafbaren Handlungen, sonach auf Verbrechen, Vergehen und Übertretungen erstreckt." Das „polizeiliche Gefängnis" wurde durch die „ H a f t " ersetzt, „ u m auch hierdurch darauf hinzuweisen, daß der Entwurf einen generischen Unterschied zwischen der Verletzung von kriminalrechtlichen und der von polizeistrafrechtlichen Vorschriften nicht kennt" 1 5 4 . Die Dreiteilung w i r d gegen den Vorwurf der Äußerlichkeit verteidigt; sie sei vielmehr „ i n ihren Grundgedanken auch dem deutschen Rechte und dem Rechtsbewußtsein des deutschen Volkes wohlbekannt" 1 5 5 , und die einzelnen strafbaren Handlungen habe man „je nach dem Maße ihrer Strafwürdigkeit" in die einzelnen „Abteilungen" eingereiht 1 5 6 .
sechs Wochen), Geldbuße von zehn Groschen bis zu fünfzig Talern (mit Ersatzgefängnisstrafe) und Konfiskation einzelner Gegenstände (§§ 333 - 335). Der Versuch der Übertretung w a r straflos (§ 336) ; bei Realkonkurrenz sollte Strafenhäufung eintreten (§ 338). 154 E n t w u r f , Aktenstück Nr. 5, S. 87. 155 Demgegenüber machte freilich schon bald die K r i t i k geltend, die D r e i teilung sei aus dem französischen Recht „abgeschrieben" worden (John, S. X I ) . Ähnlich auch Binding , E n t w u r f , S. 44; derselbe, Handbuch, S. 46. Darüber, daß dieser V o r w u r f unberechtigt ist, vgl. v. Hippel, I, S. 324 f. 156 E n t w u r f . a.a.O., S. 30 f.
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1. T e i l : Geschichtliche Entwicklung
Entsprechend dieser „Integrierung" des Polizeistrafrechts i n das allgemeine Strafgesetzbuch verlief auch die weitere Rechtsentwicklung i n formeller Hinsicht. Das Gesetz vom 17. J u l i 1846, „betreffend das Verfahren in den bei dem Kammergericht und dem Kriminalgericht zu Berlin zu führenden Untersuchungen" 157 , schuf nach längeren Vorarbeiten für Berlin das auch vom König mehrfach gewünschte Polizeigericht, wodurch die Strafgerichtsbarkeit des Polizeipräsidiums aufhörte (§§ 111 -129). Jetzt hatten vom Kammergericht kommissarisch ernannte „einzelne Polizeirichter" (§ 112) die früher vom Berliner Polizeipräsidium (dem die „Verwaltung dieser Polizei-Gerichtsbarkeit" jetzt nicht mehr zustand) bestraften Polizeivergehen i n erster Instanz abzuurteilen 1 5 8 . Die Strafverfolgung wurde einem besonderen Polizeianwalt übertragen. Der Polizeirichter konnte die Strafe unter den näheren Voraussetzungen des § 122 schon auf Grund der Anklage und ohne weiteres Verfahren i n einem Strafmandat aussprechen; dem Beschuldigten stand dagegen aber die Möglichkeit offen, ein förmliches Verfahren zu veranlassen, wodurch das Strafmandat u n w i r k sam wurde. Die Verordnung über die Einführung des öffentlichen und mündlichen Verfahrens m i t Geschworenen i n Untersuchungssachen vom 3. Januar 1849 159 dehnte die durch das Gesetz von 1846 eingeführten Neuerungen und damit auch das dort geschaffene Verfahren bei „Polizeivergehen" (Aburteilung durch kommissarisch hierzu ernannte Einzelrichter als besondere Polizeirichter usw.) auf das ganze Land (ausgenommen den Geltungsbereich des französischen Rechts) aus (§§ 161 - 177). Die Ortspolizeibehörden, Landräte und Regierungen konnten jetzt keine Straf resolute mehr erlassen. Das Gesetz vom 3. Mai 1852 änderte zwar manches 160 , jedoch nicht i m Grundsätzlichen. So hatten die Gerichte i m ganzen Lande die Strafgerichtsbarkeit allein auszuüben. Aber schon bald nach Erlaß der Verordnung vom 3. Januar 1849 versuchte man, den Polizeibehörden wieder ein Recht zu vorläufiger Straf157
GS S. 267 (Text auch bei Nessel, S. 1 ff.). Das Gesetz brachte ein neues Strafverfahren f ü r die Berliner Gerichte; es wurden die Staatsanwaltschaft, der Anklageprozeß, das mündliche Verfahren, die freie Beweiswürdigung usw. eingeführt. Uber seine Entstehung vgl. Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung u n d Rechtsverfassung, Bd. I I , S. 515, 537, 577 ff., 587 ff. 158 Über den Rekurs entschied eine aus drei Mitgliedern bestehende Deputation des Kriminalsenats des Kammergerichts, die auch über die „leichten V e r brechen" (Delikte, die m i t Geldbuße bis zu fünfzig Talern oder Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen oder körperlicher Züchtigung — allein oder i n V e r bindung miteinander — bedroht waren, § 24) i n zweiter Instanz zu erkennen hatte. 159
GS S. 14. C r i m i n a l - O r d n u n g (Amtliche Ausgabe, Berlin, 1852), S. 1 ff. A r t . 120- 129; GS S. 209; abgedruckt i n der zitierten Amtlichen Ausgabe von 1852. 160
IV. Das historische Polizeistrafrecht
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festsetzung einzuräumen. Dieses Bestreben der Reaktion führte zum Gesetz vom 14. M a i 1852 über die vorläufige Straffestsetzung wegen Ubertretungen 1 6 1 , das die Inhaber der Polizeiverwaltung berechtigte, bei Übertretungen i m Sinne des inzwischen erlassenen Strafgesetzbuches von 1851 die Strafe „vorläufig" durch Verfügung festzusetzen. Die Strafe durfte aber fünf Taler Geldbuße oder dreitägiges Gefängnis nicht übersteigen. Sollte eine höhere Strafe verhängt werden, so hatte der Polizeiverwalter die Verfolgung dem Polizeianwalt zu überlassen (§ 1). Gegen die Strafverfügung gab es keine Beschwerde an die vorgesetzte Behörde, wohl aber Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 5), durch den die Straffestsetzung außer K r a f t trat. Der Polizeirichter führte ein gewöhnliches Ubertretungsverfahren durch, aber ohne Anklageschrift und Eröffnungsbeschluß. Dabei war es i h m verwehrt, Strafmandate auszusprechen (§ 6) 1 6 2 . Bei alledem spielte die materielle Unterscheidung zwischen K r i m i n a l - und Polizeistraf recht keine Rolle; es traten vielmehr nur Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte hervor wie schnellere Erledigung des Strafverfahrens, größere Wirksamkeit der Polizeibehörden, Entlastung der Gerichte usw. M i t der Wiedereinführung des polizeilichen Strafverfügungsrechts durch das Gesetz vom 14. M a i 1852 war freilich der Kampf der Verwaltung gegen die Justiz noch nicht beendet 163 . U m die Beschränkung ihrer Befugnisse zu umgehen, setzten die Polizeibehörden häufig, anstatt Strafverfügungen zu erlassen, Exekutivstrafen (Zwangsstrafen) fest, gegen die der Rechtsweg nicht beschritten werden konnte 1 6 4 . U m diesen Zustand abzustellen, schlug der Justizminister bei den Vorarbeiten für eine Revision der Gesetzgebung über die Zulässigkeit des Rechtsweges i n seinem auf einer Denkschrift Sydows fußenden Votum vom 31. August 1859 vor, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung auch gegen Verfügungen, die ein Zwangsmittel wegen einer m i t Strafe bedrohten Handlung oder Unterlassung festsetzen, entsprechend dem Gesetz vom 14. M a i 1852 zuzulassen (wie auch gegen polizeiliche Verfügungen, die i n Privatrechte eingreifen, sofern der Kläger von der auferlegten Verpflichtung auf Grund Gesetzes oder besonderen Rechtstitels frei ist) 1 6 5 . Die Ausführun161
GS S. 245; abgedruckt auch i n der zitierten Amtlichen Ausgabe von 1852, S. 68 ff. Es wurde „für diejenigen Landes teile, in welchen die Verordnung vom 3. Januar 1849 . . . Gesetzeskraft hat" (Eingangsworte des Gesetzes), erlassen, also nicht für das Rheinland, weil dort, wie Loening meint (S. 202), eine sehr große Abneigung gegen die polizeiliche Strafbefugnis bestanden habe. 162 E > u r c h Verordnung vom 25. Juni 1867 (Art. I I Buchst. J) wurde das Gesetz vom 14. M a i 1852 auch i n den 1866 neu erworbenen Landesteilen eingeführt (zusammen m i t dem StGB 1851 und der StPO vom 25. Juni 1867 für diese Landesteile). 163 z u r Beurteilung des Verhältnisses von Justiz und Verwaltung i m 19. Jahrhundert siehe besonders Hintze, S. 165 f. 164 165
Votum des Justizministers vom 31. August 1859 (Loening, S. 261). Loening, S. 265 ff., nach den A k t e n des Justizministeriums.
7 Mattes
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1. T e i l : Geschichtliche Entwicklung
gen, die der Justizminister dabei i m Anschluß an Sydow machte, sind sehr aufschlußreich und beleuchten treffend den Hintergrund, vor dem sich dann der Streit um das Verwaltungsstrafrecht abspielen wird. Die Justiz sei zuständig bei Verletzung von Befugnissen, die der einzelne (auf Grund bestehender Gesetze oder von Tatsachen, die ein Rechtsverhältnis begründen) unabhängig von seinen Beziehungen als Glied des Staatsverbandes habe; die Verwaltung regle dagegen die Beziehungen des einzelnen als Glied des Staatsverbandes, sie habe immer einzugreifen, wenn das allgemeine Wohl in Frage stehe und sei insoweit völlig unabhängig 1 6 6 . Der Rechtsweg sei nur gegeben, wenn die Verwaltung in die individuelle Rechtssphäre des einzelnen, sein Privatrecht (wozu auch das Fehlen anderer als der gesetzlich zulässigen Beschränkungen an Freiheit, Ehre, Vermögen gerechnet wurde), eingreife, sofern das Gesetz einen solchen Eingriff nicht gestatte oder einen Entschädigungsanspruch gewähre. Hier ist die individualistische Grundlage des Gegensatzes zwischen der Rechtsordnung und der außerhalb derselben stehenden Verwaltung klar herausgearbeitet. I m Hinblick auf das Polizeistrafrecht folgt aus ihr ein unlösbarer Widerspruch: Einerseits dient sie dazu, einen materiellen Unterschied zwischen eigentlichem Strafrecht und Polizei- oder Verwaltungsstrafrecht zu konstruieren, andererseits nötigt sie, auch die Verw i r k u n g einer Polizeistrafe, nämlich die Rechtmäßigkeit des darin liegenden Eingriffs i n die individuelle Rechtssphäre, durch die Gerichte feststellen zu lassen. Vielfach bediente sich die Theorie der ersten Alternative; andere, wie i m erwähnten Falle der Justizminister Simons und überhaupt häufig die preußische Gesetzgebung, vor allem aber der politische Liberalismus, zogen die zweite Folgerung (mindestens Eröffnung des Rechtsweges gegen die polizeiliche Strafverfügung, deren Unrechtmäßigkeit behauptet wird). Der Vorschlag, auch gegen die Festsetzung von Zwangsmitteln bei mit Strafe bedrohten Handlungen die Anrufung der Gerichte zuzulassen, wurde jedoch nicht Gesetz 167 . Aber ein Reskript des Innenministers vom 15. März 1869 verbot die Festsetzung und Vollstreckung von Exekutivstrafen bei Übertretungen anstatt oder neben der Bestrafung 1 6 8 .
160
mehr.
§ 10 I I 17 bildete inzwischen fast keine Begrenzung der Polizeigewalt
187 Erst die i n der Kreisordnung v o m 13. Dezember 1872, GS S. 278, eingeführte Verwaltungsgerichtsbarkeit ermöglichte die Uberprüfung polizeilicher Zwangsstraffestsetzungen durch eine gerichtliche Instanz. Hingegen wurden die Verwaltungsgerichte nie m i t Strafsachen befaßt. 108 Zimmer, S. V.
I V . Das historische Polizeistrafrecht
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b) Die Durchsetzung justizstaatlicher Grundsätze insbesondere durch die Reichsstrafprozeßordnung Die justizstaatlichen Bestrebungen griffen auch auf andere deutsche Länder über und setzten sich nach der Reichsgründung durch die Reichsgesetzgebung i n ganz Deutschland durch. I m Großherzogtum Hessen hatte man bereits durch eine Verordnung vom 6. Juni 1832 die Untersuchung und Bestrafung aller Polizeiübertretungen den Stadt- und Landgerichten übertragen 1 6 9 . Bei Einführung des Polizeistrafgesetzes vom 30. Oktober 1855 170 bestätigte A r t . 8 des Gesetzes, die Einführung des Polizeistrafgesetzes und die Kompetenz der Polizeigerichte zur Untersuchung und Bestrafung der Polizeiübertretungen betreffend 1 7 1 , diesen Rechtszustand 172 . Wie Mittermaier berichtet 1 7 3 , wurden mit der alleinigen gerichtlichen Zuständigkeit nach den darüber geschehenen Bekundungen gute Erfahrungen gemacht und keine Änderungen verlangt. I n Bayern war i n der ganzen ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die „Verwaltung der Justiz- und Polizeigeschäfte" auf der unteren Stufe i n der Hand des Landrichters vereinigt 1 7 4 , der nicht nur richterliche, sondern auch polizeiliche Aufgaben zu erfüllen hatte. I n den größeren Städten gab es selbständige Polizeibehörden 175 , die u. a. eine Polizeistrafgerichtsbarkeit ausübten (aber auch etwa bei geringfügigen zivilrechtlichen Streitigkeiten urteilten); i n den übrigen waren die Bürgermeister als Polizeistellen zuständig. Die Polizeiübertretungen blieben den Polizeibehörden „ i n allen Instanzen" überlassen 176 . Das bayerische Strafgesetzbuch vom 16. Mai 1813 enthielt nur Verbrechen und Vergehen, während die Polizeiübertretungen i n einem Polizeistrafgesetzbuch zusammengefaßt werden sollten, das aber nicht so bald zustande k a m 1 7 7 . Nach Art. 3 des StGB 1813 gehörten die Verbrechen vor die Kriminalgerichte, 169
Mittermaier, Strafgesetzgebung, I, S. 228. Regierungsblatt Nr. 39; abgedruckt i n : Polizeistrafgesetz (Amtliche H a n d ausgabe), S. 1 ff. 171 Regierungsblatt Nr. 40; Polizeistrafgesetz, S. 102 ff. 172 Als Polizeigerichte erster Instanz w u r d e n i n Starkenburg u n d Oberhessen die Stadt- u n d Landgerichte tätig, i n Rheinhessen je nach der angedrohten Strafe die Friedensgerichte oder die Bezirksgerichte. 173 a.a.O., S. 228 f. 174 Vgl. die Verordnung v o m 24. März 1802, die Einrichtung der Landgerichte betreffend (Regierungsblatt S. 236). I n den Städten waren Gericht u n d M a gistrat getrennt. 175 Siehe die I n s t r u k t i o n für die Polizeidirektionen i n den Städten v o m 24. September 1808, Regierungsblatt Sp. 2509. 176 Anmerkungen, Bd. I, S. 81. 177 1822 wurde ein E n t w u r f zu einem Polizeistrafgesetz veröffentlicht. Siehe darüber Feuerbach, Polizeistrafgesetzgebung. 170
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1. Teil: Geschichtliche E n t w i c k l u n g
die Vergehen vor die Zivilgerichte und die Polizeiübertretungen vor die Polizeibehörden 178 . Auch hier erhob sich gegen die Strafgewalt der Polizeibehörden starker Widerstand, und außerdem wurde die Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung auch auf der unteren Stufe gefordert. Dagegen jedoch noch 1847 König Ludwig I.: „Der Trennung der Justiz von der Verwaltung i n den untersten Stellen bin ich nicht gewogen, sie schwächt die K r a f t der Regierung.. . 1 7 9 . " Die Gesetze von 1861 (Strafgesetzbuch, Polizeistrafgesetzbuch, Gesetz, die Einführung des Strafgesetzbuches und des Polizeistrafgesetzbuches betreffend, jeweils vom 10. November 1861; dazu das Gerichtsverfassungsgesetz) brachten eine weitgehende Reform. Die Vereinigung von Rechtspflege und Verwaltung beim Landgericht hörte auf; alle Rechtsprechung, einschließlich der in Polizeistrafsachen, ging auf die Gerichte über. Die Polizeiübertretungen wurden nunmehr wie sonstige Übertretungen 1 8 0 i n erster Instanz von Einzelrichtern, i n zweiter vom Bezirksgericht abgeurteilt (Art. 31 des Einführungsgesetzes). Württemberg hingegen hatte die Rechtspflege und die Verwaltung zwar schon 1818 voneinander getrennt 1 8 1 , dabei aber der Polizei auch einen Teil der Strafrechtsprechung als Polizeigerichtsbarkeit (mit der Höhe nach begrenzter Strafbefugnis) übertragen. Dieses Polizeistrafrecht wurde sodann i m Polizeistrafgesetz vom 2. Oktober 1839 182 kodifiziert. Für die Kodifikation war wohl der Gedanke sehr wichtig, daß durch sie die W i l l k ü r der urteilenden Polizeibehörden möglichst beschränkt 183 , also der Grundsatz n u l l u m crimen, nulla poena sine lege auch i m Polizeistrafrecht als einem Teil des Strafrechts durchgeführt werden sollte. Die Strafrechtsprechung bei Polizeivergehen lag allein i n der Hand der Polizeibehörden. I n Baden führte die Forderung, daß auch polizeiliche Strafen nur auf Grund eines Gesetzes (und nicht mehr infolge bloßer polizeilicher Anordnungen oder überhaupt ohne i m voraus bestimmte Norm) und nur durch die Gerichte verhängt werden dürften, nach bayerischem Vorbild zur Kodifikation des Polizeistraf rechts i m Polizeistrafgesetzbuch vom 31. Oktober 1863 (Reg.Bl. S. 439) und zur Übertragung der Rechtsprechung i n Polizeistrafsachen von den Polizeibehörden auf die Gerichte i m Gesetz über die Gerichtsbarkeit und das Verfahren i n Polizeistrafsachen vom 178
Über den Umfang der Polizeiübertretungen siehe u. S. 112. Signât v o m 2. August 1847 an den Ministerverweser v. Maurer (BenglBerner-Emmerig, S. 22, nach den Verhandlungen der K a m m e r der Reichsräte 1848, Beilagen, Bd. I, S. 202). 180 Sie hießen zusammenfassend jetzt einfach „Übertretungen", A r t . 5 des Einführungsgesetzes (Weis, I I , S. 311 ff.). 181 v. Mohl, Das württembergische Polizeistrafgesetz, S. 2. 182 Siehe darüber v. Mohl, a.a.O., S. 1 ff. 183 v. Mohl, a.a.O., S. 3. 179
IV. Das historische Polizeistrafrecht
101
28. Mai 1864 (Reg.Bl. S. 228). Das Polizeistrafgesetz führte den Grundsatz, daß eine Handlung nur dann als Polizeiübertretung strafbar sei, wenn sie vor ihrer Begehung von einem Gesetz m i t polizeilicher Strafe bedroht war (§ 1 Abs. 1), i n der Weise durch, daß es entweder die Tatbestände selbst aufstellte oder aber sich m i t Blankettatbeständen begnügte, die von bestimmten Behörden auf Grund ausdrücklicher Ermächtigung ausgefüllt werden konnten. Die Strafdrohung mußte jetzt i n jedem Falle i n einem Gesetz i m formellen Sinne enthalten sein. Das Polizeistrafgesetz gab weder eine materielle noch eine formelle Begriffsbestimmung der Polizeiübertretung. Die sogenannten Polizeistrafen (Gefängnis, Geldstrafe, zeitige Aberkennung der Gewerberechte, § 4 PolStGB) kamen auch bei anderen strafbaren Handlungen vor. Polizeiübertretungen waren demnach die i m Polizeistrafgesetz selbst unter Strafe gestellten Taten, ferner solche Vergehen, die nur auf Antrag der Polizeibehörde gerichtlich verfolgt werden durften, wenn nicht mehr als vier Wochen Gefängnis oder hundert Gulden Geldstrafe verhängt wurde (§ 21 PolStGB), sowie die fortgeltenden bisherigen (§§ 34, 35 PolStGB) und die i n Polizeigesetzen neu geschaffenen Polizeiübertretungen. I n der Polizeiübertretung sah man eine Unterart der strafbaren Handlung 1 8 4 ; demzufolge verfügte § 2 PolStGB die grundsätzliche Anwendung der allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches auf Polizeiübertretungen, von denen die §§ 3 ff. vor allem wegen deren verhältnismäßiger Geringfügigkeit 1 8 5 i n mancher Hinsicht abwichen. Die Polizeiübertretungen hatten i n erster Instanz die Amtsgerichte abzuurteilen (§ 1 des Gesetzes über die Gerichtsbarkeit und das Verfahren i n Polizeistrafsachen), gegen deren Erkenntnisse der Rekurs an die Kreisgerichte zulässig war (§ 13). Die Urteile der Kreisgerichte konnten m i t der Nichtigkeitsbeschwerde wegen Gültigkeit oder Ungültigkeit der polizeilichen Strafbestimmung vor dem Oberhofgericht angefochten werden (§13 Abs. 2). Die staatsanwaltschaftlichen Aufgaben erfüllten die Bezirkspolizeibehörden (§ 2), die ihre Anklage bis zum U r t e i l des Amtsgerichts zurücknehmen konnten, wenn nicht der Beschuldigte die gerichtliche Entscheidung verlangte (§10). Das Gericht durfte die gestellten 184
Jolly , Anm. 1 zu § 2 PolStGB. Jolly , Anm. 2 zu § 2 PolStGB. — Jolly betonte auch, daß sich „gemeinsame innere Merkmale, welche allen Polizeiübertretungen als solchen zukommen", nicht aufstellen lassen (Anm. 5 zu § 1 PolStGB). Insbesondere böte ihre Kennzeichnung als bloße Rechtsgefährdungen i m Gegensatz zu wirklichen Rechtsverletzungen (Verbrechen) keine Möglichkeit zu einer sachlich bedeutsamen Unterscheidung, denn das Wesen des Verbrechens und der Grund der Strafe lägen nicht i n der „ i n dem Verbrechen enthaltenen Rechtsverletzung" (d. h. Verletzung individueller Rechte), sondern i n der „Gemeingefährlichkeit der dasselbe bildenden Handlung", wobei die Strafe eine „nothwendige Reaction gegen diese die Rechtsordnung bedrohende Handlung" sei (a.a.O.). — Daß unter diesen Voraussetzungen kein eigenständiges Polizeistrafrecht möglich ist, liegt auf der Hand. 185
102
1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
Strafanträge nicht überschreiten (§ 10 Abs. 3). — Hielt die Bezirkspolizeibehörde nur eine Geldstrafe oder eine Gefängnisstrafe von höchstens acht Tagen für verwirkt, so hatte sie, wenn der Beschuldigte noch nicht vernommen war, das Recht, einen bedingten Strafbefehl zu erlassen, der durch rechtzeitigen Einspruch wegfiel (§§ 5, 6). Bis zum Beginn der Hauptverhandlung konnte sich der Beschuldigte dem Strafantrag i n der Anklage unterwerfen (§ 10 Abs. 2). § 16 räumte dem Bürgermeister als Ortspolizeibehörde die Befugnis ein, bei bestimmten Polizeiübertretungen Geldstrafe bis zu fünf Gulden oder Gefängnis (allerdings nicht gegen gewisse Personen, § 16 Abs. 3) bis zu 48 Stunden zu verhängen. Bei Einspruch hiergegen galt das Straferkenntnis als nicht ergangen, woraufhin die Bezirkspolizeibehörde die weitere Verfolgung übernahm (§16 Abs. 4). Die preußische Regelung ging nach der Reichsgründung von 1871 auf das ganze Reich über 1 8 6 . Das Reich hat das gesamte polizeiliche Strafrecht, wie auch § 2 EGStGB und § 453 (seit 1924 § 413) StPO zeigen, „als Strafrecht i m vollsten Sinne des Wortes, die Polizeidelikte als echte Delikte, die Polizeistrafen als eigentliche Strafen behandelt" 1 8 7 . Die Reichsstrafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 (RGBl. S. 253) enthielt Bestimmungen über das „Verfahren nach vorangegangener polizeilicher Strafverfügung" (§§ 453 -458; seit der durch die Emmingersche Justizreform von 1924 bedingten Neufassung i n der Bekanntmachung vom 22. März 1924, RGBl. I S. 299, 322, §§ 413-418) und über das „Verfahren bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle" (ursprünglich §§ 459 - 469, seit 1924 §§ 419 - 429). Danach konnten die Polizeibehörden durch Landesgesetze ermächtigt werden, bei Übertretungen Strafverfügungen zu erlassen, m i t denen sie auf Geldstrafe bis zu 150,— Mark oder Haft bis zu vierzehn Tagen sowie auf Einziehung erkennen konnten. Die Finanzbehörden waren befugt, bei Zuwiderhandlungen gegen Abgabenvorschriften 188 Geldstrafen zu verhängen und Einziehungen auszusprechen. I n beiden Fällen konnte der Beschuldigte, wenn er nicht eine nach Landesgesetz zugelassene Beschwerde an die höhere Verwaltungsbehörde einlegte, auf gerichtliche Entscheidung antragen 1 8 9 . Die Länder haben von der Ermächtigung des § 453 StPO weitgehend Gebrauch gemacht. Das preußische Gesetz vom 23. A p r i l 1883 über die polizeilichen Strafverfügungen wegen Übertre188 Da Österreich an der Reichsgründung nicht teilnahm, blieben hier auch die Strafbefugnisse der V e r w a l t u n g i m früheren Umfang erhalten. Es wurde von den justizstaatlichen Bestrebungen nicht nachhaltig berührt; auch eine Kodifikation wie i n den süddeutschen Ländern fand nicht statt. 187 Frank, Studien, S. 9. 188 Das waren nach RGSt. 9, S. 236, 238, alle Abgabendelikte, ausgenommen die Straftatbestände des gewöhnlichen Strafrechts (des StGB). 189 Das Strafbescheidsverfahren der Finanzbehörden nach der StPO verlor durch die Reichsabgabenordnung v o m 13. Dezember 1919 (neugefaßt am 22. M a i 1931, RGBl. I S. 161) weitgehend an Bedeutung.
I V . Das historische Polizeistrafrecht
103
tungen (GS S. 65) gab den Polizeibehörden nur die Befugnis, Geldstrafen bis zu 30,— Mark oder Haft bis zu drei Tagen zu verhängen, und ließ als Rechtsbehelf allein den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu. Das preußische Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni 1931 (GS S. 77) regelte das polizeiliche Strafverfügungsverfahren neu (§§ 59 ff.) 1 9 0 . I n Baden konnten die Bezirkspolizeibehörden (Bezirksämter) bei Übertretungen Geldstrafe bis zu 150,— Mark oder Haft bis zu vierzehn Tagen verhängen sowie auf Einziehung erkennen (§ 124 des Gesetzes vom 3. März 1879, die Einführung der Reichsjustizgesetze i m Großherzogtum Baden betreffend 1 9 1 ). I n bestimmten Fällen hatten auch die Bürgermeister als Ortspolizeibehörden die Befugnis, geringe Strafen (zwei Tage Haft oder 10,— Mark Geldstrafe; i n Städten von über 3000 Einwohnern bis zu 30,— Mark Geldstrafe) festzusetzen (§ 130 des Gesetzes). Gegen die Strafverfügung stand dem Beschuldigten sowohl Antrag auf gerichtliche Entscheidung als auch Beschwerde an die höhere Verwaltungsbehörde (Landeskommissär bzw. Bezirksamt) zu, doch schloß die Ergreifung des einen Rechtsmittels das andere aus (§ 128 des Gesetzes). Das Verfahren war i m einzelnen in der Verordnung vom 11. September 1879, das Polizeistrafverfahren betreffend 1 9 2 , geregelt. Württemberg übernahm das Strafverfügungsverfahren der Reichsstrafprozeßordnung durch das Gesetz vom 12. August 1879, betreffend Änderungen des Landespolizeistrafgesetzes vom 27. Dezember 1871 und das Verfahren bei Erlassung polizeilicher Straf Verfügungen 1 9 3 . Nach Art. 9 dieses Gesetzes konnten die Polizeibehörden bei Übertretungen in einer Straf Verfügung gemäß § 453 StPO die angedrohten Strafen aussprechen sowie eine etwa verwirkte Einziehung anordnen. Zuständige Polizeibehörden (Art. 1 0 - 1 4 des Gesetzes) waren vor allem die Oberämter (untere Verwaltungsbehörden) und die Ortsvorsteher. I n der Regel hatten die Oberämter die polizeiliche Strafverfügung (in den Grenzen des § 453 StPO) zu erlassen. Bei bestimmten (in Art. 10 aufgezählten) Übertretungen lag die Strafbefugnis bei den Ortsvorstehern, sofern deren Strafgewalt 1 9 4 ausreichte. Die Verwaltungsbeschwerde ging an die übergeordnete Verwaltungsbehörde (Kreisregierung bzw. Oberamt), A r t . 20. Antrag auf gerichtliche Entscheidung und Verwaltungsbeschwerde schlossen sich gegenseitig aus (Art. 20 Abs. 6). 190 H a f t bis zu vierzehn Tagen, Geldstrafe bis zu 150,— M a r k . Neben die Berufung auf den Rechtsweg trat die Beschwerde an die vorgesetzte Polizeiaufsichtsbehörde. Die Entscheidung über die anstelle des Antrags auf gerichtliche Entscheidung erhobene Verwaltungsbeschwerde w a r endgültig (§ 62 PVG). 191 GVB1. S. 91 ; i m Auszug bei Schlusser, Anhang, S. 5 ff. 192 GVB1. S. 613; Schlusser, a.a.O., S. 12 ff. 193
Regierungsblatt S. 153; Schicker, I, S. 76 ff. Sie w a r nach der Größe der Gemeinde gestaffelt von zwei Tagen H a f t u n d 12,— M a r k Geldstrafe über vier Tage Haft u n d 24,— M a r k Geldstrafe bis zu sechs Tagen Haft u n d 36,— M a r k Geldstrafe (Art. 11 des Gesetzes). 194
104
1. Teil: Geschichtliche Entwicklung 4. Das Ende des polizeilichen Strafverfügungsrechts
Das Straf verfügungsrecht der Polizeibehörden wurde nach 1945 in der englischen und i n der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands durch die Besatzungsmächte beseitigt, weil es mit demokratischen Rechtsgrundsätzen unvereinbar sei, i n der französischen Besatzungszone (und ebenso i n der russischen) hingegen nicht. Die Strafgewalt der Steuerbehörden blieb auch in der englischen und in der amerikanischen Zone auf Grund von Bemühungen der deutschen Verwaltungsstellen erhalten. Das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. September 1950 (BGBl. S. 455; Neufassung der Strafprozeßordnung S. 629) hat dann für das Gebiet der Bundesrepublik die bisher i n der StPO geregelten Befugnisse der Polizeiund Finanzbehörden gänzlich abgeschafft 195 . Es gab danach nur noch ein Verfahren bei gerichtlichen Strafverfügungen wegen Übertretungen, bei dem die Polizeibehörden ihre Ermittlungen unmittelbar an das Amtsgericht (anstatt an die Staatsanwaltschaft) übersandten, woraufhin der Amtsrichter eine Straf Verfügung erließ (§ 413 StPO) 1 9 5 a . Der Bundestag entschloß sich zur Ausmerzung der polizeilichen Strafverfügungsgewalt aus dem deutschen Strafrecht, weil er der Meinung war, diese Rechtseinrichtung sei mit den Grundsätzen des Rechtsstaates und der Gewaltenteilung, auf denen das neue westdeutsche Staatswesen beruhe, unvereinbar. Derselbe Bundestag hat aber i n der Neufassung des Wirtschaftsstrafgesetzes vom 25. März 1952 (BGBl. I S. 189) und weiter i n den Gesetzen über Ordnungswidrigkeiten vom 25. März 1952 (BGBl. I S. 177) und vom 24. Mai 1968 (BGBl. I S. 481) die Verwaltungsbehörden erneut m i t Strafbefugnissen 196 ausgestattet, die, abgesehen von der nicht mehr zulässigen Verhängung von Haft, unverhältnismäßig größer sind als die den Polizeibehörden früher zugestandenen 1 9 7 . Den Grundsätzen des Rechtsstaates und der Gewaltenteilung 195 Die Finanzbehörden haben zunächst ihre Strafbefugnisse nach der Reichsabgabenordnung (§§ 421 ff.) behalten. lesa Die Bestimmungen über das Strafverfügungsverfahren sind m i t dem Wegfall der Übertretungen am 1. Januar 1975 außer K r a f t getreten (Art. 21 Nr. 107 EGStGB v o m 2. März 1974, BGBl. I S. 469). Siehe ferner u. S. 182. 198 Mindestens i n dem Sinne, i n dem auch A r t . 74 Nr. 1 GG von „Strafrecht" spricht; hierzu Dreher, N J W 1952, S. 1282; ferner BVerfGE 27, 18, 32 f. Siehe weiter u. S. 153 f. u n d insbesondere i m zweiten Band. 197 Schon nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten v o m 25. März 1952 durfte bis auf 1000,— D M Buße erkannt werden. Die Nebengesetze gehen zum T e i l jetzt bis zu 1 000 000,— D M . — Der Hinweis auf das frühere W i r t schaftsverwaltungsstrafrecht, insbesondere der Kriegszeit, läßt dieses M i ß v e r hältnis nicht i n einem günstigeren Licht erscheinen, da es sich hierbei u m ein jedenfalls i n normalen Zeiten verhältnismäßig geringes Teilgebiet aus dem Bereich handelt, der f ü r eine Strafgewalt der Verwaltungsbehörden i n Betracht kommen kann.
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
15
glaubte der Gesetzgeber dadurch Genüge getan zu haben, daß er die von der Verwaltung zu verhängenden Folgen nicht „Strafen", sondern „ B u ßen" (Geldbußen) nannte. Damit hat die Verwaltung schließlich einen Sieg davongetragen, von dem sie sich i m „Obrigkeitsstaat" schon seit den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts gewiß nichts mehr träumen ließ 1 9 8 . V. Die Lehre vom Polizeistrafrecht vom Verwaltungsstrafrecht und von den Ordnungswidrigkeiten 1. Allgemeines
Die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Strafrechts der Polizei bzw. der Verwaltung hat gezeigt, daß es materiellrechtlich einen historischen Unterschied zwischen Polizeistrafrecht und Justiz- oder K r i minalstrafrecht (Verwaltungswidrigkeiten und kriminellem Unrecht) nicht gab. Das mit dem absoluten Staat der Neuzeit entstandene Polizeistrafrecht war ein Strafrecht der Polizei-(Verwaltungs-)Behörden und vom übrigen Strafrecht nicht durch materielle, artunterscheidende Merkmale getrennt. Erst i m Anschluß an die Naturrechtslehre der Aufklärung versuchte die Theorie, eine solche Verschiedenheit der beiden Straf rechtsbereiche darzutun. Man ging nun daran, die vorgefundenen Erscheinungen „rational" zu betrachten und begrifflich zu erfassen. So wollte man auch die Begriffe des „Verbrechens" und des „polizeilichen" Unrechts herausarbeiten und das historisch gewordene und vorgefundene Recht an Hand der begrifflich gewonnenen Maßstäbe messen und reformieren. Die „Polizei" hatte gerade ihren Bedeutungswandel vollzogen und war insbesondere durch Pütter und schließlich die Formulierung des § 10 I I 17 des preußischen Allgemeinen Landrechts 1 theoretisch auf die Gefahrenabwehr beschränkt worden. Aus dieser so gewandelten Bedeutung und unter dem Einfluß des Naturrechts der Aufklärung entwickelte die Theorie ihren Polizeibegriff und legte ihn dem vorgefundenen, unter ganz anderen Voraussetzungen und Leitgedanken historischen Polizeistrafrecht unter, dabei für ihren „rationalen" Begriff des Polizeistraf rechts unbedingte Geltung beanspruchend. Die Grundlagen, von denen aus man die Begriffe bildete und sie mit Inhalt versah, waren das Gedankengut des individualistisch verstandenen Naturrechts der Aufklärung 2 . 198 Die Finanzverwaltung, die ihre Strafbefugnisse vorderhand behalten konnte, hat sich anfänglich m i t Erfolg gegen die Einführung von Ordnungswidrigkeiten i n das Finanzstrafrecht gewehrt, da sie eine „Verniedlichung" von Steuerdelikten vermeiden wollte (vgl. Mattern, ZStW 67 [1955], S. 363 ff.; k r i tisch Franzen-Gast, Einleitung, Bern. 81). — Der Verdacht liegt nahe, daß das Ordnungsstrafrecht vielleicht n u r ein M i t t e l zur Umgehung unbequemer K o n sequenzen der Rechtsstaatlichkeit u n d des Gewaltenteilungsgrundsatzes sein soll. 1 2
Vgl. o. S. 75, A n m . 67. Über dieses vgl. o. S. 75, 9 ff.
106
1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
Diese Wendung kam nicht plötzlich, sondern war lange vorbereitet. M i t dem Ausbau der Verwaltung und ihrer i m Staate vorherrschenden Stellung bildete sich allmählich ein Gegensatz zwischen Verwaltungsordnung und Rechtsordnung heraus — freilich weniger i m Selbstverständnis des absoluten Staates, der ja seine Gerechtigkeit i n allen Ordnungsbereichen durchzusetzen bemüht war 3 , als vielmehr theoretischrückblickend vom Endpunkt der Entwicklung aus. Die Verwaltungsordnung blieb schließlich außerhalb der Rechtsordnung. I m Mittelalter hatte es i m Grunde keine Staatsverwaltung i m modernen Sinne gegeben. Alle Betätigung der Staatsgewalt war Ausübung von Rechten (Hoheitsrechten), die dem Staat (bzw. dem Hoheitsträger) gegenüber den Rechtsgenossen zukamen; sie bestand i n der Zuerkennung, Feststellung oder Durchsetzung von Rechten und Pflichten, hielt sich also innerhalb der bestehenden Rechtsordnung. Das Rechtsprechungsartige gab der Staatstätigkeit das Gepräge 4 . Der Staat der Neuzeit nahm dagegen für sich in Anspruch, außerhalb der überkommenen Rechtsordnung zu stehen, die er ja umzubilden gedachte, und ein umfassendes Staatshoheitsrecht (die absolute Staatsgewalt) zu besitzen, das der herkömmlichen Rechtsordnung nicht unterworfen sein und daher auch nicht mehr i n der Ausübung der von dieser gewährten Rechte bestehen konnte. Die Staatsgewalt betätigte sich als Verwaltung nun nicht nach einer vorgegebenen rechtlichen Befugnis, sondern allein i m Hinblick auf das Ziel, u m deswillen sie eingesetzt wurde: die Wahrung und Beförderung des Interesses von Staat und Gesellschaft. Für die Entscheidung i m Einzelfall waren die auf dieses staatliche Ziel gerichtete Zweckmäßigkeit und pflichtgemäßes Ermessen wesentlich, so daß i m Extrem alle Staatstätigkeit zu Verwaltung i n diesem Sinne der nicht nach den Grundsätzen des überkommenen Rechts, sondern der Zweckmäßigkeit gehandhabten Staatsgewalt wurde. Die Zweckmäßigkeit aber war vom Streben nach Verwirklichung der neuen Staatsgrundsätze bestimmt und gab so ihrerseits Anknüpfungspunkte für die Bildung einer neuen Rechtsordnung (der des absoluten Staates). Hand in Hand mit dieser Entwicklung gingen zwei weitere Erscheinungen: die Individualisierung der Rechtsgenossen und die Institutionalisierung der Staatshoheitsträgerschaft. Das Individuum trat i n den Mittelpunkt der Rechtsordnung, und das A m t nahm die Stelle des (persönlichen) Hoheitsträgers ein, die Staatsgewalt und damit der Staat wurden i n zunehmendem Maße institutionalisiert. Die Rechtsordnung ist jetzt auf das Individuum bezogen und nur von i h m (seinen individuellen Rech3
Die Gerechtigkeit i m absoluten Staat sollte sich nicht n u r i n dem, was als Rechtsordnung übrigblieb, niederschlagen, sondern auch u n d vor allem i n der von der V e r w a l t u n g geschaffenen (neuen) Ordnung (die damit f ü r den absoluten Staat auch eine rechtliche war, wenn auch nicht i n dem sich durchsetzenden subjektiv-individualistischen Sinn von Recht). 4 Vgl. aber über die Verhältnisse i n den spätmittelalterlichen Städten o. S. 44 ff., bes. S. 47 f.
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
1
ten) her zu begreifen. A l l e Angelegenheiten der Rechtsgemeinschaft wandeln sich zu solchen des Staates, der aber absolut ist und sich als solcher gleichsam außerhalb der (von i h m gesetzten) Rechtsordnung befindet. So erkennt man einen scharfen Gegensatz zwischen Rechtsordnung i n diesem verengerten Sinne und Verwaltung. Die Rechtsordnung besteht allein aus individuellen Rechten und Pflichten (letztlich nur des privaten Rechts); i n dem danach grundsätzlich rechtsfreien Raum der Verwaltung hat der Staat sich zur Verfolgung seiner Ziele (Erfüllung seiner Aufgaben) nach den Gesichtspunkten der Wohlfahrt des „gemeinen Wesens" (die schließlich nicht mehr als rechtliche Gesichtspunkte i n Erscheinung treten) 5 zu richten. A u f der Grundlage dieser Unterscheidung beruht letzten Endes die Abgrenzung von Rechts-(Justiz-) und Verwaltungs(Polizei-)Sachen. Sie kündigt sich i n der genannten Weise bereits deutlich i n der Magdeburger Prozeßordnung von 1696 an: „Allermaßen zum öftern zweifelhaft gemacht wird, was unter denen Polizeisachen, so insgemein als inappellabel geachtet werden, zu verstehen, so erklären w i r solches dahin, daß alle die Sachen, welche zur Erhaltung des gemeinen Wesens an i h m selbst gereichen, und darbei kein Absehen auf das interesse singulorum zu nehmen stehet, vor Policei-Sachen geachtet, die Sachen aber, i n welchen nicht sowohl die quaestio von dem Wohlstande des allgemeinen Wesens, als de Juribus et interesse singulorum entstehen, pro Causis juridicis zu halten, und i n denselben die Appellation stattfinden solle 6 ." A u f der Grundlage dieser Konzeption der Rechtsordnung vom Individuum und seinen subjektiv-individuellen Rechten und Pflichten her wurden der Polizeibegriff fortentwickelt und Ziele und Grenzen der polizeilichen Tätigkeit abgesteckt, was für die ganze folgende Zeit (bis heute) bestimmend blieb; nur füllte sich der rechtsfreie Raum der Verwaltung langsam wieder m i t Rechten auf, und zwar, entsprechend dem individualistischen Ausgangspunkt, solchen des Individuums gegen den Staat. M i t jener Konzeption entstand auch bereits der Ausgangspunkt für die Lehre vom Polizei- oder Verwaltungsstrafrecht, die überhaupt nur möglich war auf der Grundlage des — i n der Theorie — individualistisch gesehenen Gegensatzes von Rechtsordnung und Verwaltung. Nachdem sich die Theorie seiner bemächtigt hatte (um die Wende 5 F ü r den absoluten Staat jedoch noch Gesichtspunkte seiner neu verstandenen Gerechtigkeit waren — n u r lagen sie außerhalb der überkommenen u n d i m m e r mehr auf die Individualbeziehungen beschränkten Rechtsordnung. 6 Bornhak, Verwaltungsrecht, I, S. 380; derselbe, Geschichte, S. 124. Ä h n l i c h bestimmte später § 1 der Einleitung der preußischen Allgemeinen Gerichtsordnung v o m 6. J u l i 1793: „ A l l e Streitigkeiten über Sachen u n d Rechte, welche einen Gegenstand des Privateigenthums ausmachen, müssen, w e n n kein gütliches Übereinkommen Statt findet, durch richterlichen Ausspruch entschieden werden." — Damit waren aber ursprünglich nicht n u r Streitigkeiten des P r i vatrechts, sondern Rechtsstreitigkeiten jeder A r t gemeint, gleich, ob sie von den ordentlichen Gerichten oder der Kammerjustiz entschieden wurden. Erst später las man aus der Stelle eine Beschränkung der ordentlichen Gerichte auf Privatrechtsstreitigkeiten heraus (Loening, S. 98, A n m . 3 a. E., S. 103).
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. Teil: Geschichtliche Entwicklung
vom 18. zum 19. Jahrhundert), brachte sie auch die Lehre vom Polizeistrafrecht zur Blüte. Vorher wäre diese Lehre nicht möglich gewesen. I n neuerer Zeit verlor sie ihren theoretischen Boden weitgehend durch die allmähliche „Rückeroberung" der Verwaltung durch das (allerdings individualistisch gesehene) Recht: Das I n d i v i d u u m trat mehr und mehr als Träger eigener Rechte gegen den Staat i n Erscheinung, als Inhaber einer — der Idee nach — auch gegenüber dem Staat gesicherten Rechtssphäre, i n die einzugreifen dem Staat nur auf Grund eines besonderen Rechtsmittels gestattet sein sollte, über den dann nicht mehr die staatliche Exekutive selbst, sondern nur ein unparteiisches Rechtsprechungsorgan (Gericht) erkennen konnte, was notwendig die Gewaltenteilung (und damit das Ende der eigenen Polizeistrafgewalt) zur Folge hatte. Das angedeutete Polizeistrafrecht lebte aber nur i n der Theorie, die allein (vor allem i n der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts) aus jenem individualistisch verstandenen Gegensatz der Rechtsordnung zur Verwaltung als „polizeilicher" Aufgabe des Staates Folgerungen für das Strafrecht gezogen hat. Für das geschichtliche Recht hingegen blieben andere Gesichtspunkte maßgebend. „Das" Problem des Verwaltungsstrafrechts zerfällt bei näherer Betrachtung i n mehrere, aus der jeweiligen geistesgeschichtlichen Situation heraus entstandene Probleme m i t eigenen Fragestellungen, die der Einmaligkeit der Epoche, aus der sie herausgewachsen sind, entsprechen. Dieser Sachverhalt w i r d üblicherweise verkannt und einem angenommenen allgemeinen Problem „des" Verwaltungswidrigkeitenrechts als dem vermeintlich Wesentlichen der eigene Gehalt der jeweiligen Fragestellung als etwas historisch Zufälliges geopfert, wodurch wesentliche Erkenntnisse verhindert werden. So ist das Problem des Verwaltungsstrafrechts, wie es uns aus der neueren Literatur bekannt ist, nicht alt. Es gibt es als solches eigentlich erst etwa seit Goldschmidt und i m Grunde auch nur für seine Zeit. Vorher hatte sich auf dem Boden der Naturrechtslehre der Aufklärung die Theorie vom Polizeistrafrecht gebildet. Sie gelangte nur zu einer Zweiteilung der strafbaren Handlungen, ohne die Polizeidelikte als nicht mehr zum Strafrecht gehörend zu betrachten. Die von Goldschmidt begründete Lehre des Verwaltungsstrafrechts ging sodann von einer geänderten Fragestellung aus. Der Naturrechtsgedanke hatte jetzt für das Strafrecht seine geschichtliche Wirksamkeit verloren; die Problemstellung wuchs aus dem Ubergang vom späten liberalen Polizeistaat zum modernen verwaltenden „Volksstaat" 7 heraus. Die Gegensätzlichkeit von Rechtsordnung und Verwaltung trat erst damit i n voller Schärfe auf und bedingte die Forderung, das Verwaltungsstrafrecht überhaupt aus dem Strafrecht 7
Vgl. E. Wolf, Stellung, S. 527.
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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auszuscheiden und dem Verwaltungsrecht zuzuweisen. Dieses Verwaltungsstrafrecht verlor seine Grundlage, als der moderne Volksstaat m i t dem Gedanken der Volksgemeinschaft auf den Plan trat. Der Gegensatz von Recht und Verwaltung konnte so, wie er vorher gedacht wurde, keinen Bestand mehr haben. Als neues, andersartiges Problem erschien das Bestreben u m die Ethisierung (ethische Fundierung) des Strafrechts. Die Theorie versuchte eine Gegenüberstellung von ethisch fundierten und ethisch indifferenten Strafrechtssätzen, deren Gegensätzlichkeit m i t dem Begriffspaar „kriminelles Unrecht" und „Ordnungswidrigkeit" ausgedrückt werden sollte. Hinzu kam, daß der Staat, u m der wirtschaftlichen Schwierigkeiten Herr zu werden, zu einer immer weiter ausgedehnten Wirtschaftslenkung griff, für deren Durchführung er bemüht war, seiner straff aufgebauten Wirtschaftsverwaltung weitgehende Machtbefugnisse auch i n strafrechtlicher Hinsicht zu übertragen. I n dieser Epoche des Ordnungsstrafrechts noch auf die Lehre Goldschmidts zurückgreifen zu wollen, bedeutet i m Grunde einen Anachronismus. Alle diese Lehren (vom Polizeistrafrecht, dem Verwaltungsstrafrecht Goldschmidts und den Ordnungswidrigkeiten) haben den dargestellten individualistischen Ausgangspunkt gemeinsam, der auf Grund der jeweiligen geschichtlichen Besonderheiten zu den einzelnen Erscheinungsformen geführt hat, die i m folgenden näher darzustellen sein werden. Die bleibende und bis heute ungelöste (weil unlösbare) Schwierigkeit aller hier i n Betracht kommenden Lehren ist die Beantwortung der Frage nach der Verwirklichung des behaupteten Qualitätsunterschiedes zwischen den beiden Unrechtsbereichen, d. h. die Angabe der Merkmale, an Hand derer entschieden werden kann, zu welcher Gruppe ein Delikt „wesensgemäß" gehört.
2. Die Lehre vom Polizeistrafrecht
a) Der naturrechtliche
Ausgangspunkt
Aus der Naturrechtslehre der Aufklärung ergab sich, wie dargelegt 8 , die Vorstellung von den natürlichen Verbrechen als Angriffen auf subjektive Rechte individueller Rechtsträger (deren Verletzungen oder konkreten Gefährdungen). Solchen Verletzungen hatte der Staat vorzubeugen: Darin bestand seine „polizeiliche" Aufgabe. Ziel der polizeilichen Tätigkeit des Staates und der Polizeigesetze war folglich die Gefahrenabwehr. Zuwiderhandlungen gegen die zu diesem Zweck erlassenen Bestimmungen bildeten daher nur polizeiliches, erst vom Staat geschaffenes, kein „natürliches" oder „eigentliches" Unrecht. 8
Vgl. o. S. 8 ff.
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
Das Wesen des Verbrechens wurde i n der schuldhaften Schadenszufügung oder Verletzung subjektiver Rechte gesehen. Die Beziehung zu einer Schädigung individueller Rechte muß te bei jeder für strafbar erklärten Handlung vorliegen, sonst gestand man dem Staat kein Recht zu, mit Strafdrohungen und Bestrafungen vorzugehen. So ergab sich die Scheidung von wirklich (nach dem konkreten Tatbestand) schädlichen (gefährlichen) Handlungen (kriminellen Handlungen) und solchen, die nur wegen der ihnen innewohnenden generellen Gefährlichkeit (weil aus ihnen häufig wirkliche Gefährdungen und Schäden entstehen) zur Verhinderung von Verletzungen individueller Rechte strafrechtlich verboten, aber wegen des nur möglichen Schadenseintritts kein wirkliches Unrecht waren (möglicherweise schädliche Handlungen = abstrakte Gefährdungsdelikte = polizeiliches Unrecht). Handlungen ohne schuldhafte Schadenszufügung (Rechtsverletzung) als Tatbestandsmerkmal konnten keine „eigentlichen" Verbrechen sein, sondern mußten auf staatlicher, durch die polizeiliche Aufgabe des Staates bedingter Gesetzgebung beruhen. Dieser theoretischen (begrifflichen) Unterscheidung entsprach freilich der vorgefundene Rechtszustand nicht. Doch hatte das angeblich historisch Zufällige gegenüber dem vermeintlich begrifflich Notwendigen keine Bedeutung; es wurde als „begriffswidriges Herkommen" (Köstlin) abgetan. b) Feuerbach, einige Vorgänger und die Polizeistrafrechtslehre bis zur Jahrhundertmitte Auch für Feuerbach 9 war das Wesen des Verbrechens Verletzung staatlicher oder privater, also individueller Rechte 10 . „Unabhängig von der Ausübung eines Regierungsacts und der Erklärung des Staats, giebt es Rechte (der Unterthanen i m Staate oder des Staates selbst). Diese durch Strafgesetze gesichert, begründen den Begriff eines Verbrechens im engeren Sinne 11." Von diesen eigentlichen Verbrechen sollten die Polizeivergehen wesentlich („ihrer Natur nach", „absolut") verschieden sein und daher auch i n einem anderen Gesetzbuch als jene gesetzlich geregelt werden 12 . „ I n so ferne der Staat berechtigt ist, durch Polizeygesetze, auf sei9
Vgl. o. S. 33 f. „Strafgesetze werden n u r gegeben zum Schutz der Rechte des Staats, seiner Bürger u n d Unterthanen . . . Der anerkannte G r u n d aller strafenden Gew a l t . . . u n d der Staatszweck . . . bestimmen nichts anders, als dies." ( K r i t i k , I I , S. 4 f.) 11 Lehrbuch, § 22. 12 Aufschlußreich auch die Parallele i n Polizeistrafgesetzgebung, S. 350: „ A u f derselben Linie, auf welcher neben dem Criminal-Gesetzbuch ein sog. Polizeistraf-Gesetzbudi gedacht werden kann, steht dem Civil-Gesetzbuche der von den Franzosen sogenannte Code administratif gegenüber." 10
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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nen Zweck mittelbar hinzuwirken, und durch diese an sich nicht rechtswidrige Handlungen zu verbieten, so ferne giebt es besondere Rechte des
Staats auf Unterlassung dieser speciell verbotenen Handlungen, die den
Unterthanen ursprünglich rechtlich möglich waren 1 3 . Ist das Recht des Staats auf Gehorsam gegen ein bestimmtes Polizey g esetz mit Strafen bedroht, so entsteht der Begriff von Vergehen, Polizey-Heb er tre tung u>15."
I n seiner nachgelassenen Schrift über die Polizeistrafgesetzgebung verwendete Feuerbach auch die Gesichtspunkte der zeitlichen und örtlichen Bedingtheit und der moralischen Gleichgültigkeit der Polizeiübertretungen: Die (immer und überall verschiedenen) Polizeistrafgesetzbücher enthielten meistens (!) weder unrechtliche noch unsittliche („moralisch und juridisch indifferente") Handlungen, die an und für sich erlaubt, unschuldig und unschädlich, manchmal sogar sehr löblich seien, und bildeten i n ihren Vorschriften Erfindungen der „pro tempore regierenden Polizei"; die Bestimmungen des eigentlichen, kriminellen Strafrechts dagegen „gelten für jeden Ort und für jede Zeit", ihr wesentlicher Inhalt sei so alt wie die Staaten selbst 16 . „Weder Religion, noch Vernunft und Gewissen sprechen daher auch nur ein einziges Wort von solchen Uebertretungen; sie stehen nirgends geschrieben, als auf dem Papier der Polizeiverordnungen; und haben keinen anderen Halt als i n der äußeren Sanction, welche ihnen die Staatsgewalt beigelegt hat 1 7 ." Wenn Feuerbach damit 13 Es seien Handlungen, die „ursprünglich weder des Staats, noch eines B ü r gers Rechte" verletzt hätten ( K r i t i k , I, S. 34), „ m i t h i n an u n d f ü r sich, nämlich ohne vorgängige polizeiliche Anordnung, nicht juridisch unerlaubt, wie v i e l weniger strafbar sind" (Polizeistrafgesetzgebung, S. 352). Sie w ü r d e n erst unerlaubt „durch ein Verbot des Staats, das u m der vollkommenen Erreichung des Staatszweckes w i l l e n gegeben w a r d " ; solche Handlungen seien „ i h r e r ganzen N a t u r nach von den ursprünglich u n d durch sich selbst rechtswidrigen Handlungen . . . wesentlich verschieden" ( K r i t i k , I, S. 34), Übertretungen von des Gesetzgebers „eigenen Erfindung" (Polizeistrafgesetzgebung, S. 356). 14 Lehrbuch, § 22. Vgl. auch Polizeistrafgesetzgebung, S. 357: „ A l l e Strafen . . . , welche auf reine Polizei-Uebertretungen folgen können, sind weiter nichts als Ungehorsams-Strafen, welche den Uebertreter nicht wegen seiner an u n d für sich unsträflichen Handlung oder Unterlassung, sondern n u r darum treffen, w e i l er den Verfügungen u n d Befehlen der Polizei-Obrigkeit den schuldigen Gehorsam versagt hat." Der Verbrecher dagegen habe die Strafe durch seine „ a n u n d für sich schon unerlaubte" Tat verschuldet. 15 Das österreichische Strafgesetz von 1803 schien i h m seiner Vorstellung von einem Strafgesetzbuch m i t der geforderten Trennung von K r i m i n a l v e r brechen u n d Polizeivergehen zu entsprechen ( K r i t i k , S. 18, A n m . — Über dieses Gesetz u n d seine theoretischen Grundlagen vgl. aber u. S. 197 ff.). 16 S. 354, 356, 360, 364, 367. 17 S. 354 f. Die hier naheliegende Frage nach der Grenze des staatlichen Sanktionsrechts w a r f Feuerbach dabei aber nicht auf. Er w o l l t e jedoch die Anwendung der Polizeistrafe als Ungehorsamsstrafe möglichst beschränkt sehen (als letztes Mittel, w e n n keine andern Maßnahmen möglich seien, und nach vorheriger Abmahnung). A m besten freilich wäre es, wenn es gar keine Polizeistrafbestimmungen gäbe (S. 358 f., 367).
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
zwar den überwiegenden Teil (die Masse) der Polizeiübertretungen beschreiben wollte, so bildete er seinen Begriff des Polizeidelikts doch nicht an der moralischen Indifferenz gewisser Taten. Vielmehr beeinträchtigte er durch die Hereinnahme dieses Gesichtspunktes die Geschlossenheit seiner Lehre. Denn er rechnete zu den Polizeiübertretungen auch die nur unsittlichen Handlungen, die bloß als Übertretungen des Sittengesetzes nicht zugleich äußere Gesetze des Rechts verletzen. Freilich seien sie den Verbrechen nahe verwandt, da sie wie diese gegen Moral und Religion verstießen 18 . I n dem i h m übertragenen Entwurf zum bayerischen Strafgesetzbuch wollte Feuerbach diese Grundsätze verwirklichen und bestimmte daher die (einem künftigen dritten Teil des StGB vorbehaltenen) Polizeiübertretungen als „Handlungen oder Unterlassungen, welche zwar an und für sich selbst Rechte des Staats oder eines Unterthans nicht verlezen, jedoch wegen der Gefahr für rechtliche Ordnung und Sicherheit unter Strafe verboten oder geboten sind" 1 9 . Zu diesen Polizeiübertretungen rechnete Feuerbach u. a. Wucher, Monopolmißbrauch, unerlaubte Verteuerung lebensnotwendiger Güter (Dardanariat), Bankrott, Blutschande, Schändung, Sodomie, Hurerei, Konkubinat, Kuppelei, Ketzerei, Sektenstiftung, Selbstmord, Selbstverstümmelung usw. 2 0 . Das Gesetz wollte jedoch den Umkreis der Polizeiübertretungen weiter ziehen als Feuerbach und fügte daher dessen Begriffsbestimmung i n A r t . 2 Abs. 4 noch die folgende Wendung an: „ . . . desgleichen diejenigen geringeren Rechtsverlezungen, welche durch besondere Geseze den Polizeibehörden zur Untersuchung und Bestrafung überwiesen werden . . ." 2 1 . 18 Einige würden sogar von der öffentlichen Meinung stärker verabscheut als manches eigentliche Verbrechen, was aber ihre Rechtsnatur nicht ändere. Der Gesetzgeber werde sie jedoch (wie ζ. B. widernatürliche Wollust, Päderastie, Bestialität, Blutschande) den Verbrechen gleichstellen u n d n u r einige „gemeine Unsittlichkeiten" w i e Hurerei, einfache Kuppelei, K o n k u b i n a t usw. der Polizei zuweisen dürfen (Polizeistrafgesetzgebung, S. 353 f.). — Offenbar hat Feuerbach hier selbst eingesehen, daß sich seine Theorie — jedenfalls bei den Sittlichkeitsdelikten — nicht folgerichtig durchführen lasse. 19 I n der Formulierung des A r t . 2 Abs. 4 des bayerischen StGB v o m 16. M a i 1813. 20 Lehrbuch, §§ 432 ff.; K r i t i k , I, S. 16 ff., 34 ff. (Andere Religionsverbrechen als Ketzerei u n d Sektenstiftung seien aber wirkliche Verbrechen.) I n das StGB 1813 w u r d e n solche Delikte, sofern sie nicht qualifiziert waren, nicht aufgenommen (ob aber ζ. B. die Sektenstiftung des A r t . 417 über Feuerbachs Begriff eines Polizeidelikts hinausging, erscheint fraglich). 21 Dazu w i r d i n den von v. Gönner verfaßten „ A n m e r k u n g e n zum Strafgesetzbuche für das Königreich Bayern nach den Protokollen des königlichen geheimen Rats" (I, S. 80) gesagt: „ . . . man fand, daß manche geringere Rechtsverletzungen, ζ. B. der einfache Diebstahl von nicht mehr als 5 fl., der Wucher, I n j u r i e n u n d dgl., wegen deren minderen Strafbarkeit theils durch schon bestehende königliche Verordnungen, theils durch gegenwärtiges Gesetzbuch selbst den Polizeibehörden zur Untersuchung u n d Bestrafung überwiesen worden. Es wurde daher durch einen Zusatz der Begriff der Polizei-
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Aber schon bei Feuerbach zeigt sich die Auffassung, die dem Gedanken eines eigenständigen Polizeistrafrechts letztlich entgegengesetzt war und wesentlich zu seiner Uberwindung i m 19. Jahrhundert beitrug, nämlich die, daß der Polizei kein Recht zustehe, selbst Strafen zu verhängen. Es mutet geradezu modern an, wenn er i n seiner nachgelassenen Abhandlung über den bayerischen Entwurf eines Polizeistrafgesetzbuches von 1822 feststellt, die Verfassung garantiere zwar jedem Sicherheit seiner Person und seiner Rechte und stelle sie i n den Schutz der ordentlichen Gerichte, und danach die Frage aufwirft, wie es hiermit wohl zu vereinbaren sei, daß die Staatsbürger etwa an ihrem Vermögen (sowie — damals — an Ehre und Freiheit) ohne richterliches Erkenntnis gestraft werden könnten „Was von der bürgerlichen Freiheit und der Gewähr der Rechte i n einem Staat zu halten sei, wo nicht Gerichte, sondern PolizeiBeamte die Staatsbürger zu Geldstrafen bis auf 500 Fl., zum Verlust ihres Gewerbes, . . . zum Gefängniß (Polizei-Arrest) . . . verurteilen dürfen . . . , hierauf liegt die A n t w o r t schon i n der Frage." Und wenn er weiter schreibt: „Wer möchte ohne Spott die Behauptung aussprechen: Vermögen, Ehre, Freiheit der Staatsbürger seien durch den Schutz unabhängiger Gerichte gesichert, wo ein Unterthan zwar nur durch gerichtliches Erkenntniß zum Straf gefängniß auf einige Tage, — aber ohne richterliches Erkenntniß auf Ein Jahr zum ,Arrest' . . . verdammt werden darf" 2 2 , so liegt die Parallele zum Verhältnis zwischen bisheriger krimineller Geldstrafe und von den Verwaltungsbehörden zu verhängender Geldbuße nicht fern. Feuerbach hat wohl als erster den angenommenen Unterschied zwischen Polizeivergehen und eigentlichen (kriminellen) Verbrechen in der angegebenen Weise klar und nachhaltig formuliert. Zwar bemühten sich schon andere vor i h m u m den Begriff des Polizeidelikts, doch begann sich bei ihnen erst die theoretische Grundlegung durchzusetzen, auf der jene Lehre voll ausgebildet werden konnte. Daher setzten auch die Versuche zur begrifflichen Erfassung des Polizeivergehens als eines von den Kriminalverbrechen wesensverschiedenen Unrechts nicht früher ein, als bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts die anfangs dargestellte individualistisch-subjektivistische Naturrechtslehre i n die Strafrechtswissenschaft eindrang. Übertretungen so erweitert, daß derselbe auch diese Rechtsverletzungen u m faßt, deren Strafbarkeit noch geringer, als die Strafbarkeit der Vergehen ist." D a m i t hat der Gesetzgeber die Begriffserläuterung m i t der historischen W i r k lichkeit i n Ubereinstimmung zu bringen versucht. H i e r i n zeigt sich am besten, w i e wenig jene von der Naturrechtslehre der A u f k l ä r u n g ausgehende Lehre v o m bloß polizeiwidrigen Unrecht das damalige Polizeistrafrecht hervorgebracht oder überhaupt w i r k l i c h beeinflußt hat. Der einfache Diebstahl z.B. w a r nach dem StGB 1813 erst ein Vergehen, wenn der Wert des Entwendeten mehr als 5 Gulden betrug (Verbrechen bei mehr als 25 Gulden), andernfalls eine Polizeiübertretung (vgl. A r t . 215, 379). 22 Polizeistrafgesetzgebung, S. 347 f. 8 Mattes
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Unter den Strafrechtlern der Feuerbach vorausgegangenen Epoche erwähnte Meister den Unterschied zwischen K r i m i n a l - und Polizeiverbrechen als jüngst aufgekommen noch lediglich i n der Anmerkung 2 3 und führte die theoretische Unterscheidung i n Verbrechen, die die Sicherheit des Staates und der Bürger selbst bedrohen, und solchen, die gegen die öffentliche Wohlfahrt gerichtet sind, als eine unter mehreren an, ohne daraus Folgerungen zu ziehen 24 . Noch werden die strafbaren Handlungen als dem Staat oder der Gesellschaft (der öffentlichen Sicherheit und Wohlfahrt) abträgliche Taten angesehen (securitati et saluti publicae contrariae 25 ), so daß für jene Polizeistrafrechtstheorie kein Raum ist. Besonders deutlich stellte Malblank, hierbei die Auffassung seiner Zeit wiedergebend, die Gleichartigkeit des Unrechts aller strafbaren Handlungen heraus und leugnete damit einen Wesensunterschied zwischen Kriminalverbrechen und Polizeivergehen. Der Abstand, der Feuerbach i n diesem Punkte von der i h m vorhergehenden Strafrechtswissenschaft trennt, zeigt sich an seinen Äußerungen sehr klar 2 6 . Die strafbaren Handlungen sind gekennzeichnet durch den „schädlichen Einfluß, den sie i n das Wohl des Staats haben"; nur dieser bildet die Grundlage des staatlichen Strafens (den materiellen Unrechtsgehalt), und allein nach dessen Größe werden die Delikte eingeteilt 2 7 . Die („eigentlich erst i m Staat entsprungenen", weil die guten Sitten und die übrige Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft voraussetzenden, deswegen aber i m Rahmen des staatlichen Strafrechts i n der Unrechtsqualität gegenüber den sonstigen Verbrechen nicht andersartigen 28 ) Polizeivergehen verletzen „nicht eigentlich diese oder jene Privatperson unmittelbar, sondern vielmehr die guten Sitten, öffentliche Bequemlichkeit und Sicherheit, und das Wohl des Ganzen", haben also „auf eine entferntere A r t " einen „nachtheiligen Einfluß" auf die Gesamtheit 29 und sind daher die minder schweren Delikte, die aber noch immer zum „peinlichen Recht" gehören 30 . Ausdrücklich wollte Malblank von den Polizeivergehen wenigstens diejenigen in ein allgemeines Strafgesetzbuch aufgenommen wissen, die gegen Bestimmungen der „allgemeinen Landespolicey" verstoßen 31 . 23 Z u § 29 : „ . . . discrimen, quod recentiores scriptores statuunt inter C r i m i nalverbrechen et Polizey verbrechen." 24 §36. 25 Meister, § 1. 26 Siehe auch o. S. 36 f. 27 S. 266. 28 Vgl. S. 267. 29 S. 60. 30 Siehe S. 37. 31 S. 267. So verfuhr auch Kleinschrod i n seinem E n t w u r f zu einem peinlichen Gesetzbuch für die kurpfälzisch-bayerischen Staaten von 1802, den Feuerbach so heftig kritisierte.
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Auch bei Quistorp t r i t t der Unterschied noch nicht hervor. Seine Ausführungen zeigen aber den Ubergang. Er berichtet über zwei Auffassungen vom Verbrechen: Nach der einen seien sie Handlungen, „durch welche die Wohlfahrt und Sicherheit des Staates und seiner Bürger beleidiget w i r d " ; nach der anderen solche Taten, bei denen man „einen dritten an denjenigen eigentümlichen Rechten, deren Aufrechterhaltung und Sicherung der unmittelbare Zweck der bürgerlichen Gesellschaft oder des Staates ist, . . . eine Beleidigung zufüget", während die „blossen Polizey-Vergehungen . . . nur einer gewissen bürgerlichen Verfassung oder guten Ordnung entgegen" seien. Nach seiner Meinung jedoch fehlte es „an einer allgemeinen positiven Bestimmung des Unterschiedes unter Verbrechen und Polizey-Vergehungen" 32 . I n der Preisschrift von v. Globig und Huster und den ersten drei (von υ. Globig verfaßten) Zugaben hierzu wurde dagegen die angenommene Eigenart der „Polizey-Vergehungen" bereits stärker herausgestellt und i n einem Gegensatz zu der „wirklicher (wahrer) Verbrechen" gesehen 33 . Die guten Sitten und die Ordnung wie überhaupt die „zufälligen Verhältnisse" in der jeweiligen bürgerlichen Gesellschaft als Gegenstände der polizeilichen Fürsorge 34 erschienen als Mittel zur Sicherung des durch den Gesellschaftsvertrag geschaffenen Zustandes, der Sicherheit der Rechte und des Vermögens des Individuums (der Rechtsordnung) 35 und „bloß zur Vermeidung wirklicher Verbrechen" 36 . Wirkliche Verbrechen waren „Verletzungen des bürgerlichen Vertrags" ; sie griffen die bürgerliche Sicherheit unmittelbar an. Polizeivergehen hingegen gaben „zu Verbrechen Anlaß"; sie verletzten nur „ M i t t e l zur Befestigung der bürgerlichen Sicherheit", waren also Handlungen, „welche die bürgerlichen Verhältniße Stohren. Sie erstrecken sich nicht bis auf die unveränderlichen Verhältniße des Menschen, die schon i m Stande der Natur heilig waren, und deren Verletzung bey jedem Volke i n gleichem Grade Verbrechen ist" 3 7 . Ihre Bestrafung diente dazu, den wahren Verbrechen vorzubeugen. Dabei sollte die Polizei „mehr züchtigen als strafen" 3 8 . — 32
§25. S. 20 ff., 239 ff. Zugaben, S. 19 ff., 45 f., 285 ff., vgl. o. S. 37 f. 34 Aufgabe der Polizei sei es, Anstalten zu treffen, „welche die Sittlichkeit, den Nahrungsstand, den A n wachs des Nationalvermögens, u n d jedes übrige Wohlseyn des Bürgers, überhaupt die möglichste moralische u n d physische Gesundheit desselben, befördern; sie ahndet also alle, diesen Anstalten entgegenlaufende Handlungen" (Zugaben, S. 291). 33
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„ Z u r Bevestigung des gesellschaftlichen Vertrages" (S. 21). S. 21. 37 S. 21, 239; Zugaben, S. 293 f., 294. 38 S. 239. — A u f S. 241 ff. w i r d eine Reihe von „Polizeivergehungen" näher behandelt: unehelicher Beischlaf, Hurerei, Verkupplung, Sodomie, Blutschande, „andere Beleidigungen der guten Sitten" wie Ungehorsam gegenüber den Eltern oder Vormündern, Preissteigerung, Wucher, Selbstverstümmelung, Ge36
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Trotzdem konnte es hier zu einer durchgreifenden sachlichen Trennung der Deliktsarten nicht kommen, denn man hielt daran fest, daß Verbrechen und Polizeivergehen einen gemeinsamen Maßstab und damit eine gemeinsame Grundlage des Unrechts hätten, „nämlich die Größe des Schadens, welchen die ganze Nation von einer solchen Beleidigung empfindet" 39. Für Stübel war die Kriminalgerichtsbarkeit noch ein Teil der Polizeihoheit 4 0 . Daher entspringt seine Einteilung der strafbaren Handlungen mehr einem theoretischen Klassifizierungsbedürfnis. Als Verbrechen bezeichnet er nur solche „die Sicherstellung des allgemeinen Zwekks i n der bürgerlichen Gesellschaft" beeinträchtigenden Handlungen, die unmittelbar gegen „die Erhaltung oder die Sicherheit der natürlichen Zwangsrechte, sowohl einzelner Bürger, als des ganzen Staats" gerichtet sind, also eine unmittelbare „Verlezzung solcher Rechte" enthalten. Das Polizei vergehen sei hingehen „die Störung einer auf Mehrung der Vollkommenheit abzwekkenden Einrichtung" (mag die gesetzgebende Gewalt dabei auch „natürliche Nichtzwangsrechte zu Zwangsrechten erhoben" haben) oder eine nur mittelbare Verletzung 4 1 . Grolman schließlich versuchte, bewußt die Folgerungen aus der Gesellschaftsvertragslehre für die Einteilung der strafbaren Handlungen zu ziehen: „Polizey-Verbrechen" seien „Handlungen, welche an sich entweder gar keine oder doch keine strafbare Verletzung der ursprünglichen, oder erworbenen Rechte der Einzelnen, des Publikums, oder des Staats enthalten, welche aber dennoch, sey es mit polizeylicher, oder mit peinlicher Strafe, darum bedroht worden sind, weil man die Unterdrükkung derselben, ihres nachtheiligen Einflusses auf die bürgerliche Verbinsundheitsschädigung m i t Einwilligung, allerlei störende oder gefährdende Handlungen, verschiedene Religionsdelikte u. a. — 39 Zugaben, S. 45. „Sie allein empfindet also die Uebertretungen . . . , u n d nicht das besondere Intereße, die besondere Empfindsamkeit, eines oder mehrerer Bürger, sondern der Einfluß welchen eine solche Uebertretung auf den ganzen Staat äußert, k a n n die wahre Größe derselben bestimmen." — Auch die auf S. 115, A n m . 34, angeführte Aufassung von der Polizei bot keine G r u n d lage f ü r eine sachlich bedeutsame Trennung der Deliktsarten. 40 Criminalverfahren, § 22. Die Polizeihoheit definierte er als „das hoheitliche Recht, diejenigen Anstalten zu treffen, welche zur Erreichung des Staatszwecks führen" (§ 20), die K r i m i n a l h o h e i t als „das Hoheitsrecht, die Sicherheit vor solchen Rechtsverletzungen, welche Verbrechen genannt werden, i m Staate durch Strafanstalten zu erhalten" (§ 22). Der Staatszweck bestand aus der Sicherheit vor Rechtsverletzungen u n d der Wohlfahrt des Staates (§21). 41 System, §§ 184 - 194, §§ 9 - 28. E i n „bürgerliches" Verbrechen ist, i m Gegensatz zum natürlichen, das keines Gesetzes bedürfte, „die unter Androhung einer Strafe i n den Gesezzen verbotene Äußerung des Willens, ein natürliches Zwangsrecht unmittelbar zu verlezzen" (§ 194). Der „uneigentliche Begriff der peinlichen Gesezze" entsteht dadurch, daß außer den bürgerlichen Verbrechen noch „gewisse andere polizeiwidrige Handlungen" auf gleiche A r t unter A n drohung einer Strafe verboten werden (§ 28). Die Strafe soll allein der V o r beugung dienen (§ 194).
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dung und dadurch mittelbar auf die Erhaltung des Rechtszustandes wegen selbst, als eine nothwendige polizeyliche Einrichtung betrachtet hat" 4 2 . Wie sehr die Theorie m i t diesen ihren Versuchen jedoch i n Konflikt mit der Rechts Wirklichkeit geriet, geht ζ. B. aus einer Äußerung Siewerts 43 über „die so schwierige Bestimmung des Begriffs und Umfangs der Polizeigerichtsbarkeit" hervor, die er eine „berüchtigte Streitfrage" nannte. Seit Feuerbach hat es i n der Literatur immer wieder Versuche gegeben, das kriminelle vom polizeiwidrigen Unrecht abzugrenzen. Zu praktisch verwertbaren Ergebnissen führten sie nicht, und sie beeinflußten auch die Gesetzgebung nicht. I m wesentlichen hielten sie sich zunächst auf derselben theoretischen Grundlage wie Feuerbach, wenn auch die Formulierungen vielfach abwichen und allmählich an Schärfe und Tragkraft verloren. Es seien hier genannt, wenn auch mit gewissen Vorbehalten, Ab egg 44, Wächter 45, He ff ter 46, Lötz 47, Cucumus 48, u. a. m. Die Theorie vermochte jedoch schon damals nicht, sich i n der Straf rechtslehre durchzusetzen, und selbst bei denen, die ihre Formulierungen übernahmen, verblaßte die Unterscheidung vielfach zu einer bloßen Gliederung strafbarer Handlungen 4 9 . Deutlich lehnte schließlich Henke den vorbezeichneten Begriff des Polizeivergehens ab 5 0 und teilte die Delikte nur i n größere und geringere ein. Die Kriminaljustiz erstrecke sich auf den gesamten Umkreis des Strafgesetzes; der Polizei dagegen gebühre keine Strafgerichtsbarkeit (ihrem Wesen nach habe siekeinen Anspruch auf das Bestrafungsrecht, sondern sei bloße Gehilfin der Justiz), sie müsse dort eingreifen, wo das Strafgesetz nicht wirken könne, also gegen die rohe und wilde Natur ankämpfen 51 . 42 § 365 (S. 515 f.). I n § 27 (S. 30 f.) hat Grolman den Begriff des Polizeiverbrechens i n etwas anderer Bedeutung verwendet, nämlich als Verletzung von Rechten, die erst i m Staat durch die polizeilichen Anstalten desselben begründet werden (im Gegensatz zu solchen, die „ u n m i t t e l b a r als Rechte des Menschen u n d des Staates nach seinem Begriffe erscheinen"). 43 Materialien, V, S. 202. 44 S. 529. 45 Lehrbuch, §§ 62,107, 231 ff.; Strafrecht, S. 231, 299, 311 ff. 46 Lehrbuch, 1. Aufl., S. 46 f , 483 ff.; Arch. d. Cr. N.F. 1843, S. 113 ff. 47 N. Arch. d. Cr. 4 (1820), S. 523. 48 N. Arch. d. Cr. 7 (1825), S. 120 ff. 49 So bei Heffter, a.a.O., u n d besonders Lehrbuch, 6. Aufl., S. 34: „ . . . eine wesentliche i n der N a t u r des Verbrechens oder der Strafe begründete V e r schiedenheit . . . " bestehe nicht; Lötz, a.a.O. 50 S. 193: „ . . . i n der Tat auch ist es nicht die Gerechtigkeit, sondern bloß ein finsterer Argwohn, . . . welcher Handlungen, die für das Rechtsgebiet an sich gleichgültig sind, zu Verbrechen stempelt . . . E i n solches willkürliches Bedrohen m i t Strafe sollte selbst . . . als eines der schwersten Polizeivergehen v e r pönt werden!" 51
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Schon Lötz hatte der Polizei nachdrücklich jede Strafge wait abgesprochen 52 . Auch die Untersuchung und Bestrafung der „Vergehen gegen die bürgerliche Ordnung und die gute Polizei" sei als Rechtsprechung A u f gabe der Justiz. Der Polizei obliege nur das Verhüten und Zuvorkommen jeder A r t von Gesetzesverletzungen, aber ohne Strafdrohungen; das „Fällen des Straferkenntnisses" sage jedoch dem „Wesen der Polizei", das nur auf die Abwehr von Gefahren (der Gesetzesübertretung) und nicht auf das Richten über die geschehene Gesetzesverletzung bezogen sei, nicht zu 5 3 . — Heffter ging i n seiner Ablehnung der Polizeistrafgerichtsbarkeit nicht ganz so weit. Zwar sah er „nirgends die innere Notwendigkeit eines Strafrechts i n dem Wesen der Polizei" (im Polizeihoheitsrecht liege keine Strafgerichtsbarkeit), räumte jedoch aus praktischen Gründen 5 4 eine „der Polizei überlassene exzeptionelle Gerichtsbarkeit" ein, die aber „nur als ein Zweig der Justizgewalt erscheinen" dürfe 5 5 . Allmählich begann der Naturrechtsgedanke zu verblassen, wodurch die Lehre vom Polizeistraf recht an Bedeutung verlor. Zudem breitete sich die justizstaatliche Strömung aus, die das Eingriffsrecht der Polizei und insbesondere die polizeiliche Strafgewalt entsprechend den Forderungen des Liberalismus beschränken, wenn nicht gar beseitigen wollte. Vor allem erweiterte sich der Bereich des Rechts bzw. des Unrechts (auch i m eigentlichen Sinne). Schon Stübel dehnte i n seiner Abhandlung „Uber gefährliche Handlungen als an sich bestehende Verbrechen" (1826) den Umkreis der „an sich rechtswidrigen" Handlungen in das Gebiet der gefährlichen Taten aus. Derartige gefährliche Taten seien Rechtsverletzungen, da jedermann gegen andere ein Recht auf Unterlassung nicht nur der eigentlich rechtsverletzenden, sondern auch der rechtsgefährlichen Handlungen habe 56 , und müßten als solche „unmittelbare Rechtsverletzungen ohne Ausnahme zu den Verbrechen gezählt werden" 5 7 . Als „Polizeivergehungen" bleiben dann die „mittelbaren Rechtsverletzungen", d. h. die Übertretungen von „Vorkehrungen der Sicherheitspolizei gegen Rechtsverletzungen, welche gefährliche Handlungen auch wider 52 Begriff der Polizei, S. 63 f., 67; N. Arch. d. Cr. 4 (1820), S. 515 ff., 522 ff.; 3 (1819), S. 602 f. 53 Einen ähnlichen Grundsatz stellte Cucumus auf (Polizeistrafgesetze seien Strafgesetze, keine Polizeigesetze, bestimmten die Voraussetzungen eines „ E i n griffs i n die Rechte einer Person"; A b u r t e i l u n g daher durch das ordentliche Gericht); N. Arch. d. Cr. 7 (1825), S. 253 ff. 54 Die i m wesentlichen i n seiner Zeit begründet lagen. 55 Arch. d. Cr. N.F. 1843, S. 126 f. 56 S. 249, 263 ff. „ . . . i n dergleichen Handlungen" bestehe „eine wirkliche Verletzung der äußeren Freiheit" als dem „Recht, seine K r ä f t e zur Verfolgung seiner vernünftigen Zwecke ungehindert anzuwenden . . . Wer einem andern ein Gut nicht entziehen darf, der darf auch nichts t u n oder unterlassen, w o durch derselbe i n Gefahr gesetzt w i r d , solches zu verlieren" (S. 263). 57 a.a.O., S. 266.
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Willen der Handelnden zur Folge haben können", nämlich die Verstöße gegen „Einrichtungen, welche zur Beförderung der Sicherheit der Rechte i m Staate getroffen worden sind" 5 8 . Birnbaum lehnte sodann die Bezeichnungen „Rechtsverletzung" und „Rechtsgefährdung" überhaupt ab, erklärte alle m i t ihnen belegten Taten für rechtswidrig und „eigentliche Verbrechen" und bezog die strafbare Handlung nicht mehr auf „Rechte", sondern auf „Rechtsgüter" 59 . Das Wesen des Verbrechens sei keine „Rechtsverletzung i m gewöhnlichen Sinne" und liege auch nicht i n der „Gemeingefährlichkeit", sondern i n der „dem menschlichen Willen zuzurechnenden Verletzung oder Gefährdung eines durch die Staatsgewalt allen gleichmäßig zu garantierenden Gutes" 6 0 . Damit ist der Begriff des Rechtsgutes einerseits zur Bestimmung des Wesens der strafbaren Handlungen und andererseits als Merkmal zur Einteilung derselben gewonnen worden. Die Erweiterung des Rechtsbereichs gegenüber dem der Polizei (Verwaltung) t r i t t schließlich bei Robert v. Mohl deutlich hervor, v. Mohl unterschied die wiederherstellende (bürgerliche und peinliche) und die vorbeugende Rechtspflege (die letzte auch Präventivjustiz oder Rechtspolizei genannt) auf der einen Seite von der Polizei auf der andern Seite 6 1 . Neben dem Ausgleich (der Beseitigung) geschehener Rechtsbeeinträchtigungen gehöre auch die Abwendung von Störungen der Rechtsordnung zu den Aufgaben und wesentlichen Bestandteilen der Rechtspflege, nicht aber zur Hilfstätigkeit des Staates (Polizei) 62 . Nur die dem Bürger aus der Übermacht äußerer Verhältnisse drohende Gefahr habe die Polizei abzuwenden, Rechtsstörungen, die aus dem „unrechtlichen" Willen anderer Menschen entstehen könnten, dagegen die vorbeugende Rechtspflege 63. Die Polizei müsse vornehmlich gegen Naturerscheinungen einschreiten, aber auch gegen menschliche Handlungen: „Wenn diese 58
a.a.O., S. 249, 266. Jedoch müßten manche Polizeivergehungen vor den Kriminalgerichten als Verbrechen, manche w i r k l i c h e n Verbrechen vor den Polizeigerichten als Polizeivergehungen abgeurteilt werden (S. 267 ff.; maßgebend seien hier die Größe der Strafe, die Schwierigkeit der Fallbeurteilung u n d Sachaufklärung, die gleichzeitige anderweitige Rechtsverletzung usw.). Die gefährlichen Handlungen seien „ i h r e r N a t u r nach" Verbrechen u n d gehörten daher „ i n der Regel" vor die K r i m i n a l j u s t i z (S. 275), verschiedene aber w ü r den auch als Polizeivergehen behandelt. Soweit der K r i m i n a l r i c h t e r zuständig sei, gehöre zur Vollendung eine „ w i r k l i c h e " Gefahr; bei Polizei vergehen brauche die „Rechtsgefahr" jedoch nicht w i r k l i c h einzutreten (a.a.O., S. 276): k o n krete u n d abstrakte Gefährdungsdelikte. 59 Der Rechtsgutsgedanke setzte sich freilich damals nicht durch. Köstlin ζ. B. nannte i h n eine „sonderbare Ausflucht" (Neue Revision, S. 26). 60 S. 179. — Z u r E n t w i c k l u n g des Rechtsgutsgedankens siehe vor allem die eingehende Darstellung von Würtenberger, Das System der Rechtsgüterordnung i n der deutschen Strafgesetzgebung seit 1532. 61 Vgl. dazu seine Polizeiwissenschaft, Bd. I I I , bes. S. 1 ff., 45 ff. 62 a.a.O., S. 14, A n m . 1.
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1. Teil: Geschichtliche E n t w i c k l u n g
nämlich, ohne unrechtlich zu sein, die Interessen der Bürger verletzen, so kann die Rechtspflege sie nicht verhindern, und es frägt sich dann nur, ob einer der Fälle vorliegt, i n welchem Rechte der einen dem Vorteile der andern von der Polizei zum Opfer gebracht werden dürfen? Wenn dagegen ein Schaden, sei es für die ganze bürgerliche Gesellschaft, sei es für einzelne aus der Überschreitung einer Rechtssphäre entsteht, kann und muß die Rechtspflege helfen, und somit, wenn der Schaden erst noch i n der Zukunft droht, die vorbeugende Rechtspflege 64 ." Demgemäß unterschied ν. M ohi zwischen Rechtsverletzungen, Handlungen, die nur Rechte bedrohen (künftigen Rechtsverletzungen), und Störungen oder Benachteiligungen von Interessen des einzelnen oder der Gesamtheit. Die erste Gruppe sollte Gegenstand des Strafgesetzbuchs, die letzte des Polizeistrafgesetzbuchs und die mittlere der Präventiv]'ustiz (Rechtspolizei), die Zuständigkeit der Polizei- oder Verwaltungsbehörden also nur bei der dritten Gruppe (den „eigentlichen" Polizeiübertretungen) gegeben sein 65 . — Die individualistische Grundlage des Rechtsbegriffs läßt sich auch i n dieser Lehre nicht verkennen. Einen eigenen Gedanken brachte Roßhirt i n die Auseinandersetzung, der sich aber noch weniger als die gängigen Theorien durchgesetzt hat. Er wollte der Polizei eine A r t Disziplinargewalt über die Bürger einräumen, vergleichbar der römischen Zensur 66 . Das Polizeistrafrecht sollte danach auf der disciplina publica beruhen, nach der „jede Schändlichkeit der Handlungsweise und des Lebens, von welcher die bürgerliche Ordnung unmittelbar oder mittelbar Gefahr für das Ganze fürchten kann, oder die den bürgerlichen Unwert eines Individuums zu erkennen gibt", gerügt werden müßte 6 7 . Roßhirt zählte zu solchen Handlungen u. a. absichtliche Gefährdungen sowie geringe Verletzungen an Leib, Gut oder Ehre, Religionsdelikte, Unzucht, Wucher, Trunkenheit, Verführung, schlechtes Beispiel, nach der christlichen Lehre sündhafte Handlungen, gesundheitsgefährliche Handlungen, Betrügereien, Verstöße gegen die Verwaltungsordnung usw. 6 8 . Alle diese Versuche zur Erfassung des Polizeistrafrechts stimmten mit der Rechtswirklichkeit nicht überein, und die Gesetzgebung hielt ihre Er63 Habe der Bürger keinen Anspruch auf Beendigung des i h n benachteiligenden Zustandes, sondern könne er dessen Beseitigung n u r seines Vorteils wegen wünschen, so sei die Polizei, nicht die Rechtspflege zur Hilfe berufen. 64 a.a.O., S. 44. 65 Das württembergische Polizeistrafgesetz, S. 13 ff. 66 N. Arch. d. Cr. 12 (1832), S. 290 ff.; Geschichte, I I I 2, S. 160 ff. 67 N. Arch. d. Cr. 12 (1832), S. 298. 68 Geschichte, I I I 2, S. 168 ff. — Die Lehre hat keinen A n k l a n g gefunden. Schon Mittermaier wendete sich gegen den Vergleich der Polizei m i t den r ö m i schen Zensoren u n d wies darauf hin, daß „ein solches auf die disciplina publica gebautes Straf recht die höchste W i l l k ü r der Polizeibehörden begründen w ü r d e " (Strafgesetzgebung, I, S. 232).
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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gebnisse für praktisch undurchführbar, wie schon das Beispiel des bayerischen Strafgesetzbuches von 1813 gezeigt hat. Hepp erklärte bei seiner Erläuterung des württembergischen Strafgesetzbuches von 1839 auf Grund seiner Kenntnisse der Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes, daß man nicht imstande sei, „ein Prinzip aufzufinden, durch welches eine Trennung und scharfe Grenze zwischen den ausschließend i n das Strafgesetzbuch und ausschließend i n das Polizeistrafgesetzbuch gehörigen Vergehen bestimmt wird. Bald w i r d eine und dieselbe Handlung, je nach der Stufe, worauf sie sich befindet, i n die eine oder andere Gesetzgebung verwiesen; bald entscheidet darüber auch die Frage, was zweckmäßiger der richterlichen oder der Verwaltungsbehörde zu überlassen sei" 6 9 . Köstlin sprach sodann m i t ziemlicher Ubertreibung von einem die Juristen „ i n Verzweiflung setzenden" Unterschied zwischen Polizeivergehen und wirklichen Verbrechen 70 . Bei den Vorarbeiten zum preußischen Strafgesetzbuch kam man auf Grund der theoretischen Bemühungen ebenfalls zu dem Schluß, daß es einen allgemeingültigen begrifflichen Unterschied nicht gebe, vielmehr das Strafbedürfnis entscheide 71 . c) Die Hegelianer, insbesondere Köstlin Neuen Auftrieb erhielt die Lehre vom Polizeistrafrecht durch die „Hegelianer", vor allem durch Köstlin. I m Anschluß an Hegel 72 wollte Köstlin dem wirklichen das bloß mögliche Unrecht entgegensetzen, „welches die Polizeigewalt eben deshalb verbietet, weil es, ohne wirkliches Unrecht zu sein, doch dessen erfahrungsgemäß reale Möglichkeit ist" 7 3 . Die Polizeiübertretungen hätten m i t den Verbrechen zwar das Merkmal der Gesetzesübertretung gemein, unterschieden sich von ihnen aber dadurch, daß nicht das „an und für sich Unrechte", sondern „das Gefährliche" ihren Gegenstand bilde. „Solche Handlungen gehören nicht in den Kreis der Rechtspflege, welche es nur m i t dem bereits w i r k l i c h gewordenen Unrechte zu tun hat, sondern i n den Kreis einer andern wesentlichen Funktion des Allgemeinen, welche neben anderen Zwecken auch die 60
Bd. I, S. 23 f. Neue Revision, S. 28, A n m . 1. Er zitierte dieses Wort nach Hepp, Bd. I, S. 23. Dort findet es sich aber nicht. 71 Vgl. o. S. 94 f. 72 Der davon sprach, daß Privathandlungen eine „ Z u f ä l l i g k e i t " werden könnten, „die aus meiner Gewalt t r i t t u n d den andern zum Schaden oder U n recht gereicht. Dies ist zwar nur eine Möglichkeit des Schadens, aber daß die Sache nichts schadet, ist als eine Zufälligkeit gleichfalls nicht mehr; dies ist die Seite des Unrechts, die i n solchen Handlungen liegt, somit der letzte G r u n d der polizeilichen Strafgerechtigkeit" (Philosophie des Rechts, §§ 232, 233). Das Verbrechen dagegen ist nach Hegel „der erste Zwang als Gewalt von dem Freien ausgeübt, welche das Dasein der Freiheit i n seinem konkreten Sinne, das Recht als Recht verletzt, . . . die Sphäre des peinlichen Rechts" (a.a.O., § 95). 73 Neue Revision, S. 28. 70
1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
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Aufgabe hat, die Gesellschaft und den einzelnen gegen mögliches Unrecht zu sichern 74 ." Dies sei die „Sicherungspolizei", deren Notwendigkeit sich daraus ergebe, daß die unverbrüchliche Norm des Rechts i n seiner Absolutheit durch die Rechtspflege nicht vollkommen gesichert werden könne. Daher müsse noch jene „andere allgemeine Tätigkeit" bestehen, u m „dem Unrecht vorzubeugen und . . . auch an sich nicht rechtsverletzende, aber gefährliche Handlungen unter Strafandrohung zu verbieten" 7 5 . Die Rechtspflege habe „das Recht als die an und für sich seiende Norm des Daseins ins Leben überzutragen" 7 6 ; ihre Tätigkeit setze daher „überall ein bereits wirklich gestörtes Rechtsverhältnis voraus . . n i e m a l s aber kann es ihr Geschäft sein, gegen eine bloß mögliche Rechtsstörung aufzutreten, weil eine solche ja noch keineswegs eine Negation desjenigen Zustandes enthält, dessen Aufrechterhaltung allein die Aufgabe der Rechtspflege ausmacht. Solang ein Unrecht bloß als möglich droht, so ist die Alleinherrschaft des Rechts als absolute Norm des sozialen Lebens noch nicht aufgehoben, m i t h i n keineswegs die Tätigkeit aufgerufen, deren Begriff es ist, eben nur diese Alleinherrschaft gegen jede Negation stetig zu verwirklichen. Umgekehrt hat nun die Polizei zu ihrem Grundgedanken das Wohl, und ihre Aufgabe ist, dieses Wohl zu einer allgemeinen, d. h. rechtlichen Angelegenheit zu erheben und als solche zu realisieren" 77 . Die Polizei solle die Spontaneität der freien Person für die Besorgung ihres Wohls wecken, leiten, unterstützen, überwachen und für die Vermittlung des Einzelwohls mit dem Wohle der Gesamtheit sorgen. Diese verschiedenen Formen der polizeilichen Tätigkeit fänden „gerade erst i n der Rechtspolizei ihren folgerichtigen Abschluß". Habe die Polizei nämlich einerseits die Aufgabe, „die Individuen zur selbsttätigen Arbeit für ihr eigenes und für das Gesamtwohl anzuspornen und zu unterstützen", so habe sie auch weiter dafür zu sorgen, „daß nicht aus dieser allseitigen freien Bewegung der individuellen Willen unter sich und i m ganzen Störungen eben dessen, was sie bezweckt, entstehen", und das „von ihr beförderte und verwirklichte Wohl auch nun negativ gegen mögliche Verletzungen zu sichern"; dies bilde „die von der Tätigkeit der Rechtspflege sehr wohl zu unterscheidende Aufgabe der Rechtspolizei" 7 8 ' 7 9 . Daher sei „kein Grund vorhanden, die präventive Tätigkeit gegen unmittelbare Rechtsverletzungen von der sichernden Tätigkeit der Polizei i m allgemeinen unter dem Namen der Präventivjustiz abzusondern". Es könne 74
a.a.O., S. 692. System, S. 17. 76 Neue Revision, S. 693. 77 a.a.O., S. 694. 78 a.a.O., S. 694 f. 70 Aus dem hier anklingenden Gedanken der Wohlfahrtsförderung als einer polizeilichen Aufgabe zieht Köstlin noch keine Schlüsse; er sieht das Wesen des Polizeidelikts als eines bloß möglichen Unrechts ausschließlich i n der Gefährdung von Rechten. Der Wohlfahrtsgedanke erreichte seine geschichtliche Wirksamkeit f ü r das vorliegende Problem erst bei Goldschmidt. 75
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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nicht darauf ankommen, „ob die möglichen Rechtsverletzungen erst i n der W i l l k ü r des Subjekts ihren Ursprung nehmen oder . . . i n den objektiven Verhältnissen.. ." 8 0 . Immerhin war sich auch Köstlin darüber i m klaren, daß der „Unterschied von peinlicher und polizeilicher Strafgerechtigkeit... zu den theoretisch und praktisch noch nicht gehörig aufgeklärten Punkten" gehört. Doch meinte er, man sei „jetzt wohl größtenteils einig, daß die auch i n neuen Polizeistrafgesetzbüchern . . . noch vorkommende Zuweisung eigentlicher Verbrechen (als Bagatellsachen) an die Verwaltungsbehörden nichts tauge und nur einer nicht zu rechtfertigenden Nachgiebigkeit an ein begriffswidriges Herkommen zuzuschreiben sei" 8 1 . Köstlin war i n Verfolg der HegeZschen Philosophie von dem strengen Rechtsindividualismus, nach dem das Recht eigentlich nur die Summe subjektiver Berechtigungen darstellt, bereits abgerückt und bemühte sich um eine objektive Rechtsauffassung. Das Recht besteht jetzt „ i n der Einheit des allgemeinen Willens mit dem des einzelnen", und es w i r d auch erkannt, daß es „das äußere Leben der Gattung und ihr gesellschaftliches Zusammensein zu seiner Sphäre hat" 8 2 . Sein Gegenteil, das Unrecht, „muß darin bestehen, daß der Einzelwille i n der Sphäre des äußeren Daseins mit dem allgemeinen nicht identisch ist" 8 3 . Doch ist das objektive Recht noch immer an das subjektive gebunden; dieses steht vor jenem und w i r d gleichsam zu i h m hin erweitert; man gelangt zu i h m nur durch das (letzen Endes doch primäre) subjektive Recht: „Insofern das Recht als Berechtigung der Individuen . . . i n . . . seinem Dasein aber als das gemeinsame Wohl aller einzelnen gewußt und gewollt wird, so erscheint das Verbrechen nicht mehr bloß als die Verletzung einer vereinzelten Berechtigung, sondern als die Verletzung aller ähnlichen Berechtigungen; das einzelne Recht erscheint als ein allgemeines Gut, das nicht nur dem unmittelbar Verletzten, sondern zugleich allen übrigen geschmälert w i r d " 8 4 . Köstlin hat so zwar neben dem Individualdasein auch das soziale Dasein gesehen, aber die individualistisch-subjektivistische Rechtsbegründung nicht aufgegeben 85 , so daß das soziale Dasein, soweit es nicht unmittelbar i n das Individualdasein eingreift (die Verhaltensweisen i m sozialen Lebensraum keine individuellen Rechte beeinträchtigen), nicht in den Bereich des Rechts einbezogen ist (sondern Aufgabengebiet der Polizei bleibt) 8 6 . 80
a.a.O., S. 695 (gegen v. Mohl; a.a.O., S. 693 ff.; System, S. 18). a.a.O., S. 693. 82 System, S. 1 ; Neue Revision, S. 21. 83 System, S. 1 ; Neue Revision, S. 27. 84 Neue Revision, S. 676. 85 Begreifen des Rechts aus dem I n d i v i d u u m als dem Primären; ohne V e r letzung des „einzelnen", d. h. des individuellen Rechts w i r d auch das objektive Recht nicht verletzt. 81
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
I n der Frage der Strafkompetenz steht allerdings auch Köstlin unter dem Einfluß der i m Laufe des 19. Jahrhunderts vordringenden justizstaatlichen Auffassung. Die Übertragung der „gesamten Reaktion gegen das bloß mögliche Unrecht" auf die Polizei „bleibt . . . auch auf gegenwärtigem Standpunkte als das Begriffsgemäße anerkannt, und es w i r d nur die Modifikation beigefügt, daß es passend scheine, von dem Gesamtgebiet der Rechtspolizei... die Aburteilung der Polizeiübertretungen abzutrennen und als eigene Abteilung, d. h. abgesondert von den gewöhnlichen Z i v i l - und Kriminalgerichten, unter das Justizministerium zu stellen" 8 7 . — Die Gründe, die i h n zu dieser „Modifikation" veranlaßten, waren die Gefahr der Willkürlichkeit bei der Handhabung der Polizeistraf gewalt durch die Polizeibehörden, der Umstand, „daß bei den strafenden Polizeibeamten die persönliche Unabhängigkeit von Einflüssen der höheren Staatsbehörden oder des Staatsoberhauptes selbst keineswegs i n dem Grade vorhanden sei noch sein könne wie bei den Gerichtsbeamten", und schließlich die verschiedenartige Zweckrichtung bei der polizeilichen und der gerichtlichen Tätigkeit: Die Maßnahmen der Polizei seien „ i n der Regel allgemeine und ins große gehende", bei der Tätigkeit der Justiz dagegen gehe es „ u m Vermittlung der Rechte, um Bestimmung konkreter Schuld und Strafe" 8 8 . Heinrich Luden teilte die Verbrechen „nach der Verschiedenheit des Grundes, aus welchem sie Verbrechen sind", i n Rechts- und Gesetzesverbrechen ein. Zwar seien alle Verbrechen gleichermaßen nur deswegen zu Verbrechen erklärt worden, weil sie eine Verletzung des Gesetzes oder objektiven Rechtes enthielten (in dieser Verletzung bestünden) 89 . Aber hierin sah Luden nur „den nächsten Grund des Verbrechens", der noch 86 Aus diesem B l i c k p u n k t ergeben sich für Köstlin folgende „Stufen", i n denen sich das Unrecht v e r w i r k l i c h t u n d deren Bedeutung n u n einleuchtet: 1) Der Einzelwille ist i n seiner „Unbefangenheit" die „Möglichkeit zu beidem, dem Rechte gemäß zu sein oder dasselbe zu verletzen" (das bloß mögliche oder polizeiliche Unrecht) ; 2) der Einzelwille hebt seine Einheit m i t dem allgemeinen w i r k l i c h auf, aber ohne sich dessen v o l l bewußt zu werden (bürgerliches U n recht); 3) der Unterschied zwischen Einzel- u n d A l l g e m e i n w i l l e w i r d zum bewußten Gegensatz (das wirkliche Unrecht oder Verbrechen) (System, S. 1; Neue Revision, S. 27 f.). 87 Neue Revision, S. 701. Entsprechend System, S. 19. 88 Neue Revision, S. 699. 89 Tatbestand, S. 129 ff., 139, 167, u. ö. Daher lehnte Luden auch die U n t e r scheidung von delicta j u r i s naturalis u n d delicta juris civilis ab, w e i l „das Verbrechen nicht erst durch die Strafsatzung zum Verbrechen w i r d , sondern nur, w e i l es schon Verbrechen war, w e i l es eine Verletzung des Gesetzes oder des objektiven Rechtes enthielt, m i t Strafe bedroht worden ist" (a.a.O., S. 139). „ E i n gegebenes V o l k k a n n gar k e i n anderes Recht haben, als sein positives Recht, u n d dieses k a n n philosophisch nicht als ein Werk der Laune oder des Zufalles, das so oder auch anders sein könnte, angesehen werden, sondern n u r als ein Produkt der Notwendigkeit u n d des vernünftigen Gesamtwillens, so daß auch i n dieser Beziehung ein w i r k l i c h e r Unterschied der Gesetze u n d folgeweise der Verbrechen nicht anerkannt werden k a n n " (a.a.O., S. 140).
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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keine Einteilung nach der „Verschiedenheit des Grundes" gestatte; dies sei erst durch Rückgriff auf den „entfernteren Grund" des Verbrechens möglich 90 . Der „eigentliche Grund" der Rechtsverbrechen liege i n der „Richtung der Handlung auf die Verletzung subjektiver Rechte" 91 . Die Gesetzesverbrechen hingegen verletzten das objektive Recht, „ w e i l die Verletzung eines Verbotes durch dieselben begangen w i r d " . Das Verbot kann jedoch nur durch die Begehung der verbotenen Handlung verletzt werden, und deswegen liegt hier „der entferntere und eigentliche Grund" des Verbrechens „eben in dieser Begehung". Zugleich ist darin aber auch der nächste Grund zu suchen, weswegen es sich um ein Verbrechen handelt. „Denn dieser nächste Grund ist kein anderer, als daß das objektive Recht, welches verbietet, eine verbotene Handlung zu begehen, durch dieselben (d. h. die Gesetzesverbrechen) verletzt wird. Dieses nämliche Verbot ist aber schon i n dem Verbote selbst seinem Begriffe nach enthalten, so daß bei den Gesetzesverbrechen i n eins zusammenfällt, was bei den Rechtsverbrechen als nächster und entfernterer Grund unterschieden wurde, aus welchem sie für Verbrechen erklärt worden seien 92 ." Die Einteilung i n Rechts- und Gesetzesverbrechen wollte Luden nicht mit der i n Rechtsverbrechen und Polizeiverbrechen gleichsetzen, da man nicht „alle Gesetze, durch welche Handlungen verboten werden, die an sich keine rechtsverletzende Richtung haben", Polizeigesetze nennen könne 93 . Auch bei Luden ergibt sich die Artverschiedenheit der von i h m sogenannten Gesetzesverbrechen nur infolge einer individualistischen A u f fassung der sogenannten Rechtsverbrechen, obwohl er sich u m einen objektiven Begriff des Rechts bemühte. Aber mehr als durch die Verletzung des objektiven Rechts w i r d das Wesen des Verbrechens auch für ihn noch durch die vorhandene oder fehlende Verletzung subjektiver (individueller) Rechte bestimmt 9 4 . Andere Vertreter der Hegrelschen Richtung i m Strafrecht, wie etwa Ahegg oder auch Berner und Hälschner, sind i n bezug auf das Polizei90
a.a.O., S. 167. a.a.O., S. 173. Die Rechtsverbrechen enthielten deswegen eine Verletzung des objektiven Rechts, „ w e i l sie auf eine Verletzung subjektiver Rechte gerichtet sind" (S. 172). 92 a.a.O., S. 173. Ä h n l i c h auch S. 184,186 f., 189 f., 200 f. 93 a.a.O., S. 176. Der Begriff der Polizei w a r für i h n m i t h i n schon zu eng, als daß er noch ein taugliches Abgrenzungsmerkmal hätte bilden können. Z u den Gesetzesverbrechen, die keine Polizeiverbrechen seien, zählte Luden die u n terlassene Verbrechensanzeige, die Unfruchtbarmachung (D. 48. 8. 4. 2), die nicht gegen den W i l l e n des Opfers zu geschehen brauchte, die Abtreibung, Ehebruch u n d Bigamie, die eigentlichen Amtsverbrechen usw. (a.a.O., S. 178 ff.). — Vgl. i m übrigen auch Handbuch, I, S. 189 ff., 203 ff., 212 ff. 94 Köstlin lehnte die Unterscheidung Ludens als formal ab; sie sei k a u m mehr als eine Wiederholung der Lehre Feuerbachs unter anderem Namen (Neue Revision, S. 29 f.; System, S. 22). 91
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
strafrecht nicht mit ausgeprägten Lehren hervorgetreten. Sie werden an geeigneter Stelle, soweit erforderlich, erwähnt. d) Die Polizeistrafrechtslehre
bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
I m Rahmen des bisherigen Lehrbestandes (Rechtsverletzung — Rechtsgefährdung, wirkliches Unrecht — mögliches Unrecht) hielten sich auch die Äußerungen i n der Literatur, soweit sie einen Wesensunterschied zwischen K r i m i n a l - und Polizeistrafrecht behaupteten, während der folgenden Jahrzehnte. Neue Gesichtspunkte traten nicht auf; vielmehr verloren die alten an K r a f t und sanken zu Merkmalen ab, die lediglich eine bestimmte, mit andern grundsätzlich gleichgestellte Gruppe strafbarer Handlungen bezeichneten. Nach Temme waren die Polizeiübertretungen Handlungen, die, „ohne eigentliche Rechtsverletzungen zu enthalten", „das allgemeine Wohl gefährden, also leicht zu Rechtsverletzungen führen können" 9 5 . Ebenso stellte Hälschner dem „unmittelbaren rechtswidrigen Angriff" die „ i n ihren möglichen Folgen" schädliche Handlung gegenüber, die, ohne „an sich" rechtswidrig zu sein, „nur i n ihrer Beziehung auf das entsprechende Gesetz als Unrecht erscheint" 96 . Berner hielt die Polizeiübertretungen für Gefährdungen oder unterlassene Förderungen von Recht und Wohl 9 7 . υ. Holtzendorff zählte das sogenannte Polizeistrafrecht („besser Polizeibußrecht") nicht zum „Strafrecht i m engeren Sinne". Die polizeilichen Verbote gingen aus den „nach Zeit und Ort wechselnden Interessen der Nützlichkeit" hervor; ihr Zweck sei die Vorbeugung, die verbotene Handlung „mögliche oder wahrscheinliche Ursache einer Schadenszufügung". Das Polizeibußrecht gehöre „überwiegend" zum Verwaltungsrecht 98 . Den „Präventivzweck" der Polizeiübertretungen, die als „Ungehorsamsdelikte" bezeichnet würden, hob auch Adolf Merkel hervor 9 9 . Bei Hugo Meyer schließlich hat die Unterscheidung nur noch „theoretische Bedeutung"; sie sei sehr unbestimmt und daher i m Gesetz mit Recht nicht verwertet worden 1 0 0 . I n zunehmendem Maße freilich versagte man der Polizeistrafrechtstheorie, die i n ihren Grundlagen, vor allem m i t ihrer Behauptung eines 95
Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts, S. 388. System, S. 2. Während das verbrecherische Unrecht immer einen „ A n g r i f f auf ein konkretes rechtliches G u t " voraussetze, fehle ein solcher beim „polizeilichen Unrecht", das „lediglich i n dem Ungehorsam gegen das Gesetz" bestehe, welches zur A b w e h r möglicher Gefahren für Güter oder von „Nachteilen f ü r das gesellschaftliche W o h l " erlassen worden sei (Das gemeine deutsche Strafrecht, S. 34 f.; GS 28, S. 427 ff.; siehe auch GS 21, S. 91 ff.). 97 Lehrbuch, S. 38. 98 Handbuch, I, S. 5 f. 99 Lehrbuch, S. 46. 100 S. 39 f. 98
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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Wesensunterschiedes von Verletzungs- und abstrakten Gefährdungsdelikten, unglaubhaft geworden war, die Gefolgschaft. Es breitete sich die Ansicht aus, daß man den Versuch aufgeben müsse, „den Begriff der sogenannten Polizeiverbrechen oder Polizeiübertretungen, als den einer von den eigentlichen, oder von den Criminalverbrechen principiell zu scheidenden Classe" aufzustellen 101 . Auch bei der Bestrafung der Polizeiübertretungen handle es sich „keineswegs um Maßnahmen willkürlichen Beliebens, sondern um wirklichen Rechtsschutz" 102 . Bereits Mittermaier hatte sich eingehend m i t der Lehre vom Polizeistrafrecht auseinandergesetzt und sie entschieden abgelehnt 1 0 3 . U. a. betonte er, daß es i m Strafrecht auf eine Rechtsverletzung nicht ankomme. I m Wesen der Polizei liege kein Grund, ihr Strafgewalt zu übertragen. Der Verwaltungsbehörde fehle die erforderliche Unparteilichkeit zum Richteramt; der Staat habe ein Interesse daran, daß auch die geringeren Fälle gerecht entschieden werden, weil sonst ein Mißtrauen gegen ihn entstehe. Durch die Beseitigung der polizeilichen Strafbefugnis werde die Regierungsgewalt nicht gelähmt. Er schlug vor, bei den Gerichten ein schnelles und abgekürztes Verfahren vor einem Einzelrichter zur größeren Wirksamkeit der Strafe bei Polizeiübertretungen einzuführen. Auch für Binding war die sogenannte Polizeistrafgesetzgebung „echte Strafgesetzgebung" 104 . Er ging zwar davon aus, daß es einen Unterschied zwischen Verbrechen und Polizeiübertretungen gebe 105 , lehnte aber die Polizeistrafrechtstheorie entschieden ab 1 0 6 . Nach seiner Lehre sind alle Delikte „Unbotmäßigkeiten" (gegenüber der Norm), doch enthielten viele außer dem Angriff auf das „Recht der Botmäßigkeit" noch ein zweites „Angriffsobjekt" (von Binding m i t Rechtsgut gleichgesetzt), so daß es einerseits das „qualifizierte Delikt m i t zwei Angriffsobjekten" (Übertretung der Verletzungs- oder Gefährdungsverbote; Verletzungs- oder Ge101
Bekker, Theorie, I, S. 115 ff.; Geib, I I , S. 181 f.; Schaper, i n v. Holtzendorff, Handbuch, I I , S. 94; ähnlich v. Bar, Geschichte, S. 348: geringere M o r a l w i d r i g k e i t u n d daher geringere Strafwürdigkeit der Polizeidelikte; Georg Meyer , I, S. 61 f. Polizeistrafgesetze gehörten zum Straf recht, nicht zum Verwaltungsrecht; Wahlberg, Individualisierung, S. 123 f.; u. a. 102 Schaper, a.a.O. 103 Strafgesetzgebung, I, S. 230 ff.; Arch. d. Cr. N. F. 1848, S. 181 ff. 104 Handbuch, S. 276. 105 Schon E n t w u r f , S. 48; vor allem Normen, I, 2. Aufl., S. 313 ff., m i t vielen Literaturhinweisen. 106 Normen, I, 2. Aufl., S. 313 ff. V o r allem sei „ i n dem polizeilichen Unrecht . . . das Deliktsmoment ganz unzweifelhaft gleichfalls enthalten". Den Gedanken einer „ a n u n d f ü r sich widerrechtlichen Handlung" wies er scharf zurück. „Das Unrecht existiert nie vor seinem Erzeuger, dem Recht." Jede strafbare Handlung bedürfe, bevor sie strafbar werden könne, der Norm, „die sie aus einer bis dahin nicht verbotenen Handlung i n eine verbotene verwandeln mußte". Daher könne das Polizeidelikt nicht als das an sich erlaubte, erst hinterher aus Nützlichkeitsgründen verbotene Unrecht bezeichnet werden.
1. Teil: Geschichtliche E n t w i c k l u n g
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fährdungsdelikt) und andererseits das „einfache Delikt mit nur einem einzigen" (Übertretung der Verbote schlechthin, einfachen Ungehorsam) gebe 107 . Das letztgenannte stelle dann die Polizeiübertretung dar 1 0 8 . Den Ungehorsam gegen die staatlichen Vorschriften als Merkmal der Polizeiübertretungen hoben auch Adolf Merkel 109, v. Liszt 110, v. Olshausen111, Rotering 112, Rosin 1 1 3 , Otto Mayer 1 1 4 , Guderian 115 u. a. hervor. M i t der Reduzierung der Polizeiübertretungen auf den bloßen Ungehorsam war der Ausgangspunkt der Lehre eigentlich verlorengegangen. Diese hatte ihre Bedeutung i n der Literatur i n den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bereits weitgehend eingebüßt. Die Naturrechtslehre besaß keine systembildende K r a f t mehr, so daß der auf sie zurückzuführenden Unterscheidung die tragfähige Grundlage fehlte, und insbesondere unter der Herrschaft des Reichsstrafgesetzbuches ließ sich der Sinn dieser Unterscheidung nicht leicht einsehen. I m großen und ganzen kann man den Streit um das Polizeistrafrecht mit der Schaffung des Reichsstrafgesetzbuches vom 15. Mai 1871 als erledigt ansehen. Das Strafrecht nahm allmählich den einheitlichen Charakter des Rechtsgüterschutzes an. Die strafbare Handlung besteht danach i n einem Angriff auf ein geschütztes Rechtsgut. So ist der gemeinsame Bezugspunkt allen Strafrechts hergestellt und das Polizeistrafrecht i n das — auch weiterhin individualistisch verstandene — Recht als Teilgebiet des dem Schutz von Rechtsgütern dienenden Strafrechts eingegliedert. Es steht damit wie dieses unter der strengen Herrschaft des nulla-poenaSatzes, so daß es sich auch insoweit nicht nach den Grundsätzen der rechtsfreien Verwaltung, sondern nach rechtlichen Grundsätzen zu richten hat. Hinzu kommt die Lehre von der Gewaltenteilung, die der Polizei 107
Normen, I, S. 326 ff., 397 ff. Eingehend a.a.O., S. 397 ff. — Übrigens hebt Binding bei dieser Gelegenheit hervor: „Unbestreitbar verlangt k e i n v e r n ü n f t i g Gesetz den Gehorsam u m seiner selbst w i l l e n . " 109 Lehrbuch, S. 46; Abhandlungen, S. 97 ff. 110 Lehrbuch, 14. Aufl., S. 125, A n m . 6. F ü r das geltende Recht maß v. Liszt dem Unterschied jedoch keine Bedeutung bei (a.a.O., S. 125). Eine Verschiedenheit von Polizeistrafe u n d sogenannter Strafe i m engeren Sinne erkannte er nicht an (a.a.O., S. 254 f.). 108
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So noch i n der 11. Aufl., A n m . 1 zu § 1; i n der 12. Aufl. w i r d i n A n m . 1 zu § 1 diesbezüglich von einem „geschichtlich überkommenen Gedanken" gesprochen. 112 S. 18. 113 1. Aufl., S. 275. 114 Verwaltungsrecht, S. 258, A n m . 2. Bestraft werde aber nicht der bloße, formale Ungehorsam, sondern die „sachliche Polizeiwidrigkeit". 115 ZStW 21 (1901), S. 828 ff., bes. S. 859 f., 867 ff. Bezeichnend der Satz: „Was ein menschliches Verhalten zum Verbrechen stempelt, ist der Eingriff i n die Sphäre einer andern Person" (S. 860).
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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die Strafrechtsprechungsbefugnis verwehrt. Außerdem erscheint der Bürger als mit starker eigener (individueller) Rechtsstellung gegenüber dem Staat ausgestattet, i n die dieser nur auf Grund gesetzlicher Ermächtigung eingreifen darf. Solche Eingriffe i n die individuelle Rechtssphäre wie der durch die Strafe sollten lediglich durch Richterspruch möglich sein. Die soziale Seite des menschlichen Daseins wurde bei alledem vernachlässigt; so konnte die Reaktion nicht ausbleiben. Zunächst aber entwickelte Max Ernst Mayer noch die letzte Lehre auf der (nur unwesentlich geänderten) bisherigen Grundlage. e) Max Ernst Mayer Den Abschluß der Epoche des Polizeistrafrechts, die mit der von Feuerbach klassisch formulierten, auf den Gedanken des individualistischen Naturrechts beruhenden Lehre begonnen hatte, bildete M. E. Mayer. Er weist zwar i n mancher Hinsicht bereits auf die folgende Epoche hin, i n die sein Wirken auch zeitlich f ä l l t 1 1 6 , aber geistesgeschichtlich ist er dem liberalen Individualismus des 19. Jahrhunderts und der vom Naturrecht ausgehenden Lehre vom Polizeistrafrecht verbunden. Auch er gründet das Recht auf vorstaatliche Gegebenheiten. Dem Staat stellt er die Gesellschaft als Interessengemeinschaft der Individuen, also die Einzelwesen i n ihrer durch gleiche Interessen bedingten Verbundenheit gegenüber. Den Dualismus von Individualperson und Gliedperson nahm erst Goldschmidt zum Ausgangspunkt seiner Lehre und begründete damit den Beginn einer neuen Epoche. M. E. Mayer entwickelte zwar eine selbständige Lehre und distanzierte sich sogar ausdrücklich von der Naturrechtslehre; aber i n der grundsätzlichen Betrachtungsweise ist er ihr verbunden geblieben und noch nicht zu der Problemstellung vorgestoßen, wie sie bei Goldschmidt deutlich wird. I n der liberalen, individualistischen Grundhaltung und i n der Annahme eines nur kraft Gesetzes rechtswidrigen Verhaltens als Verwaltungsübertretung stimmte er m i t seinen Vorgängern überein; jedoch hat er deren begriffliche Betrachtungsweise durch eine werthafte, die ontologischen Kriterien des Unrechts von Natur aus und desjenigen kraft Gesetzes durch die bewertenden der Kulturnormwidrigkeit und der kulturellen Indifferenz ersetzt 117 . M. E. Mayer faßte das Problem von seiner Kulturnormentheorie 1 1 8 her an. Danach ist das Recht wie auch das Unrecht ein K u l t u r - , nicht ein 116 Seine Schrift „Rechtsnormen u n d K u l t u r n o r m e n " erschien 1903, also ein Jahr nach Goldschmidts „Verwaltungsstrafrecht". 117 Siehe dazu Lehrbuch, S. 53 ff., 130, 134, 235, A n m . 13, 256, 298; außerdem Rechtsnormen u n d Kulturnormen, S. 109 ff. 118 Über diese insbesondere Rechtsnormen u n d K u l t u r n o r m e n .
9 Mattes
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1. Teil: Geschichtliche E n t w i c k l u n g
Naturprodukt. Jeder staatlichen Rechtsordnung geht ein vor juris tischer Kulturnormenkomplex voraus, aus dem erst durch staatliche Anerkennimg, die sich in der Strafgesetzgebung vollzieht, Rechtsnormen werden. Der Staat wählt unter den vorgefundenen Kulturnormen diejenigen aus, die er rechtlich anerkennen und schützen w i l l , und „formt" aus ihnen als seinem „Material" die Rechtsnormen 119 . Solche Kulturnormen, wie die Gebote und Verbote zum Schutz von Leib und Leben, Vermögen und Ehre der Mitmenschen, bestehen vor dem Staat wie überhaupt vor jeder organisierten Gesellschaft und damit auch vor jeder Rechtsordnung. Neben diesen aus Kulturnormen entstandenen Rechtsnormen gibt es andere, die keineswegs unberechtigt und zur Aufrechterhaltung eines geordneten Staatswesens sogar erforderlich sind, aber dennoch nicht (vorjuristischen) Kulturnormen entsprechen 120 . Sie sind von Natur aus Rechtsnormen (wie etwa das Gebot der Anzeige eines Wohnungswechsels oder der Einholung einer polizeilichen Erlaubnis), d. h. erst durch die Rechtsordnung geschaffen (nicht von ihr vorgefunden und lediglich anerkannt) : kulturell indifferente Erfindungen des Gesetzgebers. Sie schützen keine Kulturinteressen, sondern reine (erst vom Staat hervorgebrachte, kulturindifferente) Verwaltungsinteressen, d. h. Interessen, die der Staat schützt, weil er ein Gemeinwesen verwaltet (und die für die Kulturnormen belanglos sind), nicht aber, weil er ein Gemeinwesen ist (Kulturinteressen: die sozialen, d. h. von Kulturnormen anerkannten und geschützten Interessen). Das Verwaltungsdelikt ist also dadurch gekennzeichnet, daß i h m die Beziehung zu einer Kulturnorm fehlt: „Somit erkennen w i r i n den Rechtsnormen, deren Verbote oder Gebote kulturell indifferent sind, die Normen des Verwaltungsstrafrechts. Und das Verwaltungsdelikt ist dadurch charakterisiert, daß es bloß einer (durch Strafdrohung sanktionierten) Rechtsnorm, nicht aber einer K u l t u r n o r m w i derspricht. Während das kriminelle Delikt stets ebensowohl m i t einer K u l t u r n o r m als einer Rechtsnorm i n Widerspruch steht, erschöpft sich das Verwaltungsdelikt darin, einer Rechtsnorm zu widersprechen. Das kriminelle Unrecht ist kraft Gesetzes und auf Grund seiner kulturellen Schädlichkeit Unrecht, das polizeiliche Unrecht ist Unrecht nur kraft Gesetzes 121 ." M. E. Mayer w i l l folglich nicht wie Goldschmidt zwischen Verfassung und Verwaltung und damit zwischen Rechtswidrigkeit und Verwaltungs119 Die Anerkennung der K u l t u r n o r m e n als Rechtsnormen ist i n den gesetzlichen Tatbeständen bleibend ausgedrückt. Vgl. auch Lehrbuch, S. 45 ff. 120 „Rechtsnormen, deren Materie überhaupt nicht von der K u l t u r erfaßt w i r d " (Rechtsnormen u n d K u l t u r n o r m e n , S. 27). 121 Rechtsnormen u n d K u l t u r n o r m e n , S. 115 f. — Scharf betont M. E. Mayer, daß es kein Unrecht an sich gebe, Unrecht an sich u n d Unrecht k r a f t Gesetzes daher nicht einander gegenübergestellt werden könnten, denn alles Unrecht sei Unrecht k r a f t Gesetzes, das k r i m i n e l l e aber nicht nur, sondern auch nach dem Stande der K u l t u r (Rechtsnormen u n d Kulturnormen, S. 116, A n m . 7).
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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Widrigkeit unterscheiden, sondern das Verwaltungs- vom Justizstrafrecht innerhalb der beiden zukommenden Rechtswidrigkeit trennen 1 2 2 : Während die Rechtswidrigkeit der kriminellen Delikte materiell i n ihrem Widerspruch zu staatlich anerkannten Kulturnormen bestehe, fehle den Verwaltungsdelikten als Verhaltensweisen, die den Verwaltungsinteressen des Staates widersprechen, die Beziehung zu solchen präexistenten (vor der Rechtsordnung vorhandenen) Kulturnormen, sie seien kulturell indifferent und damit nur Unrecht kraft Gesetzes 123 . Die Beziehung zu einer K u l t u r n o r m könne bei den ursprünglichen Verwaltungsdelikten nur dadurch hergestellt werden, daß die Rechtsgemeinschaft eine primäre Rechtsnorm durch Rezeption zu einer K u l t u r n o r m (das Verwaltungsinteresse zu einem Kulturinteresse) mache (wie das i n Deutschland m i t der Vorschrift des Rechtsfahrens und Linksüberholens geschehen sei): A u f diese Weise wandle sich das Verwaltungsdelikt zum Kriminaldelikt124. So ist an die Stelle des Naturrechts bei M. E. Mayer die K u l t u r n o r m getreten. Diese K u l t u r n o r m ist vorstaatlich, herausgewachsen aus einer Gesellschaft als Interessengemeinschaft von Individuen 1 2 5 und daher bestimmt von der individualistischen Auffassung des Menschen und der Gesellschaft. Die durch das Zusammenleben der Bürger, die Verwaltung des Gemeinwesens bedingten Rechtssätze sind jetzt „kulturindifferente" Rechtsnormen, Zuwiderhandlungen gegen sie bloß Unrecht kraft Gesetzes, nicht auch nach dem Stande der K u l t u r 1 2 6 . Andererseits steht M. E. Mayer aber auch am Beginn einer neuen Epoche, die i m nächsten Abschnitt behandelt werden wird. Er spricht schon nicht mehr von Kriminalstrafrecht oder natürlichem Strafrecht, sondern von Justizstraf recht; an die Stelle des „Polizeistrafrechts" ist das „Verwaltungsstrafrecht" getreten 1 2 7 . Die Staatsverwaltung hat sehr an U m fang gewonnen; daher faßt M. E. Mayer, wie viele andere ebenfalls, die Polizei nur noch als Zweig der Verwaltung, das Polizeistrafrecht als Teil des Verwaltungsstrafrechts auf. Er übernimmt auch von Goldschmidt die Formulierung, das Verwaltungsdelikt sei „unterlassene Unterstützung der für das öffentliche Wohl tätigen V e r w a l t u n g " 1 2 8 . 122
Lehrbuch, S. 53, 56, A n m . 29. a.a.O., S. 56. 124 Lehrbuch, S. 54 ff. 125 Vgl. Lehrbuch, S. 40. 126 Rechtsnormen u n d K u l t u r n o r m e n , S. 116, A n m . 7. 127 a.a.O., S. 109. 128 Lehrbuch, S. 56, A n m . 29. — Vgl. auch Rechtsnormen u n d K u l t u r n o r m e n , S. 115: „ E i n Mann, der alle Pflichten, die i h m von der k u l t u r e l l e n Tradition auferlegt sind, sorgsam erfüllt, k o m m t noch nicht a l l den Pflichten nach, die er gegen die Regierung hat." — Hiernach erzeugen die v o m Verwaltungsstrafrecht sanktionierten Gebote u n d Verbote nicht Pflichten gegenüber der Rechtsgemeinschaft als solcher u n d i n deren Interesse, sondern gegenüber u n d i m 123
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
Die Lehre M. E. Mayers hat keine Nachfolge gefunden; sie ist i n ihren Grundzügen zu sehr der bereits vergangenen Epoche verhaftet gewesen. Die Theorie vom Verwaltungsstrafrecht wurde i n der Folgezeit auf der Grundlage der Lehren Goldschmidts weiter ausgebaut. 3. Reinhard Frank: Die Uberwindung des Polizeistrafrechtsgedankens
Die Reichsstrafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 hatte, dem Zuge der Zeit folgend, einen einheitlichen Strafprozeß für alle strafbaren Handlungen geschaffen. Das Verfahren bei einfachen Übertretungen bewegte sich wesentlich i n denselben Formen wie das bei Kapitalverbrechen 129 . Man fand bald, daß die Feierlichkeit des für die Aburteilung schwerer Verbrechen geschaffenen Strafprozesses für das Übertretungsverfahren nicht passe. Hier trat besonders Reinhard von Frank hervor. Er hat einerseits den Lehren vom Polizeistrafrecht eine deutliche A b sage erteilt und andererseits die Scheidung der schweren Delikte von den leichten und ihre verschiedenartige Behandlung sowohl i n materiellrechtlicher als auch i n verfahrensrechtlicher Hinsicht mit Nachdruck gefordert. Die Abkehr von den Polizeistrafrechtstheorien vollzog sich insbesondere i n seiner Schrift „Studien zum Polizeistraf recht" (Gießener Universitätsprogramm 1897). Er betonte, daß auch die Polizeiübertretungen „eigentliche Delikte" sind und daß sie nicht dem Verwaltungs-, sondern dem Strafrecht angehören 130 . Vor allem wendete er sich gegen die Bezeichnung der Polizeiübertretungen als „einfache Ungehorsamsdelikte". „Der Name ,Ungehorsamsdelikt 4 verleitet zu der falschen Auffassung, als gebiete oder verbiete der Staat lediglich zu dem Zwecke, u m das Pub l i k u m i m Gehorsam zu üben, als sei das Gesetz der Geßler'sche Hut, vor dem das widerspenstige Volk seine Reverenz machen müsse 131 ." Auch die Auffassungen des Polizeidelikts als Unrechts kraft Gesetzes, moralisch indifferenten Unrechts und dergleichen lehnte Frank ab. Schließlich versuchte er sogar, über die „Einseitigkeiten der Theorie des Rechtsgüterschutzes" hinwegzukommen, „die ihre letzte Wurzel i n der sonst längst Interesse der Staatsverwaltung. — I n Goldschmidts Lehre spielen diese Gedanken (Unterstützung der f ü r das öffentliche W o h l tätigen Verwaltung, V e r letzung von i n deren Interesse normierten Pflichten) eine besonders große Rolle. 129 ζ. B. w u r d e n damals Übertretungen, f ü r die Verfolgungszwang wie f ü r alle anderen Delikte bestand, m i t wenigen Ausnahmen v o m Schöffengericht abgeurteilt. Die Einrichtung des Amtsrichters als Einzelrichter, v o r den bisher die Übertretungen kamen, gab es i n Strafsachen nicht. Hingegen w a r das amtsrichterliche Strafbefehlsverfahren bekannt. 130 Studien, S. 20; auch I K V 12, S. 216 f. 131 Studien, S. 18; ähnlich I K V 7, S. 189: Der Gesetzgeber stelle nicht „Strafnormen zum Vergnügen auf u n d u m das P u b l i k u m zum Gehorsam zu zwingen".
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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überwundenen Auffassung hat, daß sich die Aufgabe des Staates auf den Rechtsschutz beschränke" 132 . Damit unternahm es Frank bereits — i n dieser Hinsicht schon weit über die Lehre vom Verwaltungsstrafrecht hinausgreifend —, außer dem individuellen auch das soziale Dasein (und zwar als gleichberechtigt) i n den Bereich des Rechts und folglich auch des Straf rechts einzubeziehen: „Richtig ist, daß der Staat alle Handlungen m i t Strafe bedroht, an deren Unterlassung er ein erhebliches Interesse hat oder zu haben glaubt 1 3 3 ." So war sein Anliegen gerade nicht die Ausgliederung eines vom Justizstrafrecht wesensverschiedenen Verwaltungs- oder Polizeistraf rechts aus dem „eigentlichen Straf recht". Nach seiner Ansicht stehen die Polizeidelikte nicht i n einem begrifflichen Gegensatz zu den kriminellen Delikten; sie bilden vielmehr „innerhalb der strafbaren Handlungen . . . eine besondere Gruppe . . . , ebenso wie die Delikte gegen Leib und Leben, gegen das Vermögen usw.". Das Interesse des Staates „an der Förderung der allgemeinen Wohlfahrt und an der guten Ordnung des Gemeinwesens", dessen Verletzung das Wesen des Polizeidelikts ausmache 134 , stehe gleichgeordnet neben anderen staatlichen Interessen, wie etwa dem der Erhaltung des Leibes und des Lebens der einzelnen, der Eigentumsordnung usw.; daher könne es keinen grundlegenden Unterschied zwischen den Polizeidelikten und den anderen strafbaren Handlungen geben 135 . Man kann also Frank keineswegs als Verfechter der Lehre vom Verwaltungsstrafrecht i n Anspruch nehmen. Dieser gegenüber betrachtete er als „Ziel unserer Bestrebung . . . die Scheidung der schweren Delikte von den leichten" 1 3 6 . Die Trennung sollte materiell-rechtlich hauptsäch132
I K V 12, S. 216. 133 i K V 12, S. 216. Aber „ w e n n die Rechtsgüterschutztheorie erklärt, daß sich das staatliche Interesse stets aus den feindseligen Beziehungen der Handlung gegen ein Rechtsgut ergebe, so ist das entweder falsch oder nichtssagend". Zuletzt definierte Frank das Verbrechen i m materiellen Sinne als „die m i t Strafe bedrohte Verletzung u n m i t t e l b a r staatlicher oder v o m Staat geschützter Interessen" (Kommentar, I V vor § 1) ; die Strafbarkeit einer H a n d l u n g erkläre sich infolgedessen stets dadurch, daß sie letzten Endes staatliche Interessen verletze (a.a.O., A n m . I vor § 360). 134 Vgl. auch die entsprechenden Formulierungen i n I K V 5, S. 191, u n d 12, S. 201. I n den „Studien" rechnete Frank die Polizeiübertretungen begrifflich zu den abstrakten Gefährdungsdelikten; n u r i m Sinne der Gesetzgebung u n t e r schieden sich beide: Bei diesen sei der E i n t r i t t einer Gefahr „unwiderleglich präsumiertes Tatbestandsmerkmal", bei jenen die Möglichkeit der Gefährdung lediglich das „ M o t i v der Pönalisierung" (S. 20). I n I K V 5, S. 191, definierte er die Polizeiübertretung i m Anschluß an Otto Mayer als „Handlung, zu deren T a t bestand weder die Verletzung noch die Gefährdung notwendig gehört, die aber wegen der möglicherweise i n i h r liegenden Gefährdung oder wegen ihres Widerspruches m i t der guten Ordnung des Gemeinwesens unter Strafe gestellt ist". Derartigen Definitionen legte er aber keine ausschlaggebende Bedeutung bei, da er eine qualitative Unterscheidung ablehnte. 135 Kommentar, A n m . I vor § 360. ΐ3β I K V 1 2 ) s. 215. E r vertrat also den Gedanken eines „Bagatellstrafrechts", w i e Goldschmidt sich a.a.O., S. 251 (auf der 10. Landesversammlung der I K V
1. T e i l : Geschichtliche E n t w i c k l u n g
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lieh durch eine Differenzierung der Strafen 1 3 7 geschehen (Geldstrafe bei Übertretungen, Freiheitsstrafe nur i n einigen besonderen Fällen, keine Umwandlung der Übertretungsgeldstrafe i n Haft; Verweis und Hausarrest als besondere Strafe; bedingte Verurteilung sei gerade bei Übertretungen zu empfehlen) 138 . Vor allem befürwortete Frank eine prozessuale Sonderbehandlung der Übertretungen, u m eine „Überspannung der staatlichen Strafgewalt" zu verhindern. Er forderte, ein der geringeren Bedeutung der Übertretungen angemessenes (vom schwerfälligen und feierlichen Verbrechensprozeß verschiedenes) einfaches Verfahren zu schaffen (vor Einzelrichtern), das an den Zivilprozeß angelehnt und möglichst billig gestaltet werden sollte. Er schlug dafür Milderung des Legalitätsprinzips, Beschränkung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit usw. v o r 1 3 9 . Eine Strafrechtsprechung der Verwaltungsbehörden oder der Verwaltungsgerichte lehnte Frank hingegen ab. Es gebe nur einen Strafanspruch, der weder der Verwaltung noch der Justiz, sondern allein dem Staat selbst zustehe, und es bestehe keine logische Notwendigkeit, daß er i m Verwaltungsstrafrecht von den Verwaltungsbehörden geltend gemacht werde 1 4 0 . Polizeiübertretungen sollten daher stets von den ordentlichen Gerichten abgeurteilt werden 1 4 1 . Frank wollte die diesbezüglichen „Errungenschaften der liberalen Ä r a " nicht aufgeben und keineswegs eine „rückläufige Entwicklung" empfehlen 142 . Wie weit er den Einfluß der Verwaltung auf das Polizeistrafrecht zurückdrängen wollte, zeigt am besten seine Forderung, die Gerichte am Erlaß von Polizeiverordnungen zu beteiligen 1 4 3 . Entschieden trat er auch für Rechtseinheit i n Deutschland auf dem Gebiet der Übertretungen ein 1 4 4 . 1904), ausdrückte. Die leichten Delikte sollten solche sein, durch die keine u n moralische Gesinnung betätigt w i r d ; die Polizeiübertretungen bildeten n u r einen T e i l derselben ( I K V 7, S. 199; 12, S. 215 f.; ZStW 18 [1898], S. 739 ff.). 137 A b e r nicht etwa i n der Weise, daß einer „eigentlichen" Strafe als „Sühne f ü r ein rechtswidriges Verhalten" die Polizeistrafe als F o r m des Zwanges oder als M a h n u n g gegenübergestellt werde. Frank lehnte solche Auffassungen ausdrücklich ab (Studien, S. 10 ff.; I K V 7, S. 188 f.). Schon die ausschließliche Bedeutung der Strafe als Sühne sei zweifelhaft; bei der Polizeistrafe fehle der Sühnegedanke nicht völlig. Zwang gebe es n u r zur Ü b e r w i n d u n g eines fortdauernden rechtswidrigen Verhaltens; hinsichtlich des vorbeugenden psychischen Zwanges durch die Strafdrohung gelte i m Polizeistrafrecht nichts wesentlich anderes als i m Kriminalstrafrecht. 138
ZStW 18 (1898), S. 739 ff., 747; I K V 7, S. 196; 12, S. 201. ZStW 18 (1898), S. 733 ff., 747 ff., 750; I K V 7, S. 196, 198; 12, S. 202. — Vgl. zum Ganzen auch W. Rosenberg, ZStW 22 (1902), S. 31 ff. 140 Kommentar, A n m . I v o r § 360. m I K V 7, S. 197; 12, S. 202. 139
142 143 144
ZStW 18 (1898), S. 748. ZStW 18 (1898), S. 746; I K V 7, S. 194. I K V 12, S. 216 f.
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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4. Goldschmidt und die Lehre vom Verwaltungsstrafrecht bis zu Erik Wolf
a) Grundlagen und Wegbereiter aa) Grundlagen U m die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert begann sich der spätliberale Polizeistaat zum modernen Verwaltungsstaat zu wandeln. Die Staatsverwaltung erfaßte weitere Gebiete des menschlichen Zusammenlebens, um die sie sich vorher wenig oder gar nicht gekümmert hatte; die „Polizei" stellte dabei nur einen unter mehreren Zweigen der inneren Staatsverwaltung dar und konnte als gefahrabwehrende Tätigkeit nicht mehr i n dem Maße wie früher für die Wirksamkeit des Staates kennzeichnend sein. Anwachsen der Bevölkerungszahl, dadurch bedingtes stärkeres Zusammenrücken der Menschen und Steigerung der Lebensbedürfnisse trugen dazu bei, das i n der Rechtslehre sehr vernachlässigte soziale Dasein des Menschen neben seinem Individualdasein stärker i n das Bewußtsein treten zu lassen und i n i h m mehr als bislang ein Fürsorgeobjekt staatlicher Betätigung zu sehen. Jedoch wurde der Vorrang des Individuums nicht aufgegeben, vielmehr die gesellschaftliche Existenz i m sozialen Lebensraum zwar als Tatsache hingenommen, ihr aber keine eigene Bedeutung zuerkannt. Aus diesem Spannungsverhältnis, das durch das Zusammentreffen der individualistischen Anschauungen des liberalen Polizeistaates mit den Erfordernissen des werdenden Verwaltungsstaates entstanden war, erwuchs die insbesondere m i t dem Namen James Goldschmidts verbundene Verwaltungsstrafrechtstheorie. Aus der Aufgabe des liberalen Polizeistaates, den einzelnen i n seinen individuellen Rechten oder Rechtsgütern vor Gefahren zu schützen, w u r de die umfassendere, für die Wohlfahrt der Gesamtheit (Allgemeinheit, die mehr als nur die Summe der Individuen ist) zu sorgen. Die allgemeine Wohlfahrt erschien so als die dem Staat übertragene und von i h m zu erfüllende Aufgabe des menschlichen Zusammenlebens und folglich als Ziel der Verwaltungstätigkeit. „Verwaltung" konnte nicht mehr Gefahrenabwehr, sondern mußte „Wohlfahrts"-Verwaltung sein. Als solche blieb sie aber außerhalb des Rechts, und ihre Ziele mußten unter dem Blickpunkt der Gerechtigkeit gleichgültig sein. Das eigentliche Sein des Menschen sollte das des Individuums als eines solchen sein; und nur von i h m aus verstand man daher die Rechtsordnung und den Begriff der Gerechtigkeit. Der soziale Lebensraum (der Bereich des Öffentlichen), i n dem das Dasein für das Individuum nur ein uneigentliches sein konnte, war der Betätigung des Staates und seiner Verwaltung überlassen; hier hatte das Individuum — sofern es nicht i n die Sphäre eines anderen I n dividuums eingriff und damit den öffentlichen Bereich bereits wieder verließ — keine Pflichten (mindestens keine rechtlichen oder primären).
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1. Teil: Geschichtliche E n t w i c k l u n g
Vielmehr sollte allein dem Staat die Aufgabe obliegen, für gute Ordnung i m sozialen Lebensraum und allgemeine Wohlfahrt zu sorgen. Da hierbei aber das Individuum als solches unbeteiligt war, konnte es sich nicht um eine Sache des Rechts handeln, und die Verwaltung hatte sich nicht nach den Grundsätzen des Rechts zu richten, sondern betätigte sich i m rechtsfreien Raum, der nur an den Rechten des Individuums seine Grenze fand, nach eigenen, von der Wohlfahrt (die ja von der Gerechtigkeit streng getrennt wurde) bestimmten und auf Zweckmäßigkeit bedachten Maßstäben. Dies war auch die grundsätzliche Auffassung Goldschmidts. Hatte man von der Polizeistrafrechtstheorie i m Anschluß an die Naturrechtslehre bis zu Max Ernst Mayer einen Dualismus Individuum — Staat zum Ausgangspunkt der Überlegungen gemacht, so sah Goldschmidt den Zwiespalt jetzt i m Einzelmenschen selbst, der einerseits Individuum, andererseits Gemeinschaftswesen (Gliedpersönlichkeit) war. Getreu seiner i m Liberalismus wurzelnden Anschauung rückte er das Individuum als das Wesentliche i n den Vordergrund, während die Anerkennung der Gliedpersönlichkeit i m Grunde nur ein notgedrungenes Zugeständnis an das einmal gegebene Zusammenleben i n organisierten Verbänden und die damit einhergehende Vergesellschaftung der Einzelwesen bedeutete. A m wahren, eigentlichen Wesen des Menschen vermochte dieser Sachverhalt jedoch nichts zu ändern. Es wurde wirklich allein in seinem Sein als Individuum. bb) Wegbereiter Die bei Goldschmidt hervorgetretene Wandlung i n der Auffassung von Recht und Verwaltung und der Stellung des Menschen i n ihnen war i m Verlaufe des 19. Jahrhunderts lange vorbereitet worden. Bei vielen finden sich Ansätze, selbst schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts, die aber hier nicht nachgewiesen zu werden brauchen. I n der Hauptsache können als Wegbereiter Stahl, Lorenz von Stein und Otto Mayer genannt werden, die auch die Lehre von der Verwaltung und vom Verwaltungsrecht so fortbildeten, daß Goldschmidt auf diesen Grundlagen seine Theorie errichten konnte und das Verhältnis von Recht und Verwaltung für lange Zeit i n einer die Verwaltungsstrafrechtslehre ermöglichenden Weise festgelegt war. Schon bei Stahl t r i t t der Gedanke des Gemeinwohls als Fürsorgeobjekts der Verwaltung (Polizei) hervor. Die Polizei ist nicht nur „Verhütung von Rechtsverletzungen", sondern „Versorgung des Gemeinwohls" (bzw. Gemeinlebens) 145 . Er lehnt die Ansicht ab, von der die Polizeistrafrechtstheorie ausgegangen war und die „den ganzen Staat auf das 145 I I 2, S. 587 ff., 591. — Dies richtete sich weniger gegen die Staatspraxis als vielmehr gegen die vorherrschende Lehre.
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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Individuum und seine Einzelzwecke bezieht" 1 4 6 . Damit räumt er neben dem Individualdasein auch dem Sozialdasein und der Gesamtheit als solcher (nicht nur als Summe der Individuen) durchaus Bedeutung ein und weist dem Staat i n bezug auf sie spezifische Aufgaben zu 1 4 7 . A l l e i n diese Aufgaben sind nicht eigentlich rechtlicher Natur und nicht vom Gerechtigkeitsauftrag des Staates bestimmt: „Darum sind auch die Anordnungen, welche die Obrigkeit für das Gemeinleben, ja selbst für jene Einrichtungen des Gemeinzustandes gibt, nur dann ein Bestandteil des Rechts, wenn sie entweder die Gebote Gottes oder die Rechte der Menschen zum Gegenstand haben. Enthalten sie dagegen bloß technische Mittel für solche Gebote Gottes oder für menschlich löbliche Zwecke und menschlichen Nutzen, so fallen sie in das Gebiet der Verwaltung und Polizei." Sie dienen dann nur der „Sicherung der obrigkeitlichen Macht, des Lebens und Eigentums oder der menschlichen Annehmlichkeit und feinen Sitte" und sind „nicht unmittelbar Ausfluß einer göttlichen Ordnung. Man kann solches zwar i n einem weitern bloß formellen Sinn auch noch zum Recht zählen, weil es von der Obrigkeit ausgeht und darum rechtlich bindet, aber nicht i m eigentlichen und materiellen Sinne; es sind das Befehle der rechtlichen Autorität, aber nicht selbst Bestandteile der Rechtsordnung" 148 . Auch Stahl versteht somit das Recht (soweit er es nicht unmittelbar auf die „Gebote Gottes" bezieht) nur aus dem Individuum. Das öffentliche Wohl, der soziale Lebensraum sind zwar ebenfalls Gegenstände staatlicher Aufgaben, aber sie berühren nicht die Rechtsordnung i m eigentlichen (materiellen) Sinne, sondern gehen lediglich die (grundsätzlich rechtsfreie) Verwaltung an. Daher besteht die Wirksamkeit des Rechts darin, „daß es i m menschlichen Gemeinleben einerseits den göttlichen Geboten einen bestimmten Umfang unverbrüchlicher Geltung, andererseits den Menschen eine bestimmte Sphäre der Existenz und der Macht, das ist Rechte, festsetzt und verbürgt" 1 4 9 . Die Gerechtigkeit w i r d so aus dem „Recht des einzelnen Staatsbürgers" bestimmt; ihren Gegensatz bildet das „Gemeinbeste" zusammen mit der „Gemeinordnung" 1 5 0 . 146 I I 2, S. 591. Überhaupt habe der Staat „nicht das I n d i v i d u u m unmittelbar als solches zum Zweck" (a.a.O., S. 592). 147 Vgl. I I 2, S. 152: Der Staat habe zu seiner unmittelbaren Wirksamkeit „die äußere Ordnung u n d Förderung des sozialen Lebens". 148 I I 1, S. 201. 149 I I 1, S. 200. 150 I I 2, S. 609. Demnach hat die Rechtspflege „den einzelnen Staatsbürger bei dem i h m zukommenden Recht unverbrüchlich zu erhalten", die V e r w a l t u n g Gestalt u n d Erfolg f ü r das Ganze anzustreben ( I I 2, S. 608 f.). Daraus entwickelte Stahl die dann klassisch gewordene Unterscheidung von Rechtspflege u n d V e r w a l t u n g : „Gerechtigkeit muß zwar i n allen Gebieten beobachtet w e r den, i m Gebiete der Verfassung u n d V e r w a l t u n g w i e der Justiz; aber i n dem einen ist sie bloß die Schranke, i n dem andern ist sie das positive, das einzige Ziel. Dort w i r d das Gemeinwohl usw. m i t Beobachtung der Gerechtigkeit
. Teil: Geschichtliche Entwicklung
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Von dieser Grundlage aus ergibt sich für Stahl auch eine Unterscheidung zwischen Kriminalverbrechen oder Vergehen und bloßen Polizeiübertretungen. Was nicht gegen die Gebote der Rechtsordnung i m beschriebenen Sinne gerichtet ist, sondern nur gegen die „Gebote des Staates zur Förderung und zum gemeinen Besten", also gegen das Gemeinwohl (die öffentliche Sicherheit, den Wohlstand, die öffentliche Sitte und Ehrbarkeit und dergleichen), kann lediglich eine Polizeiübertretung sein 1 5 1 . Da diese aber nicht unmittelbar die Rechtsordnung verletzt, darf sie nicht bestraft, sondern muß gezüchtigt werden, um künftige Übertretungen zu verhüten, damit der Staat jene Zwecke erreichen kann („reelle nachdrückliche Einschärfung der Verwerflichkeit") 1 5 2 . Die „Züchtigung" ist Sache der Polizei und nicht der Rechtspflege 153 . Lorenz von Stein betonte sodann ein weiteres Moment, nach dem sich die Tätigkeit der Verwaltung von der Rechtspflege unterscheiden soll: „Die wirkliche Verwaltung ist die Tätigkeit des Staates, welche die w i r k lichen Lebensverhältnisse dem Willen desselben u n t e r w i r f t . . . Das leitende Prinzip für dies ganze Rechtsgebiet i s t . . . die Zweckmäßigkeit... Freie Beweglichkeit ist das Lebensprinzip des eigentlichen Verwaltungsrechts" 1 5 4 . I m übrigen versuchte v. Stein, die Eigenart der „Verwaltungsstrafe" sowie die polizeiliche Strafgewalt aus dem Wesen der Verwaltung zu begründen. Auch bei i h m ist der soziale Lebensraum Fürsorgeobjekt der Verwaltung; der einzelne hat hier keine rechtlichen Pflichten. Deshalb übernimmt die Polizei „den Kampf gegen die Gefahren des persönlichen Lebens selbsttätig" und verwirklicht damit „für alle wie für jeden einzelnen die Sicherheit als eine allgemeine und prinzipielle Bedingung aller Entwicklung" 1 5 5 . Das P o l i z e i s t r a f r e c h t d i e n t der D u r c h s e t z u n g der P o l i z e i v o r s c h r i f t e n . S o f e r n diese eine „ w i r k l i c h e B e d i n g u n g der G e s a m t e n t w i c k l u n g "
an-
angestrebt, hier w i r d die Gerechtigkeit selbst u n d n u r sie angestrebt" ( I I 2, S. 609). 151 I I 2, S. 693, 595. „Die Polizeiübertretung t r i f f t nicht die Rechtsordnung i n ihrer Substanz, nicht die geheiligten Grundlagen u n d Grundverbindungen des menschlichen Gemeinlebens (Leben, Eigentum, Bestand des Staates), sondern n u r Zwecke u n d Aufgaben, welche die menschliche Gemeinschaft von diesen Grundlagen aus anstrebt. Handlungen, welche nicht gegen die zehn Gebote, sondern n u r gegen Anordnungen des Staates sind, fallen nicht i n die Kategorie der Verbrechen, sondern der Polizeiübertretung" ( I I 2, S. 693 f.). — Die Bestimmung der Polizeiübertretungen als „gemeingefährliche" Handlungen w i r d abgelehnt ( I I 2, S. 694). 152 I I 2, S. 693, 595. 153 I I 2, S. 693. Sie liegt i m „eigenen Wesen" der Polizei u n d ist nicht der Rechtspflege entnommen. Da die Polizei „das Gemeinleben nach seinen Zielen fördert, so muß sie nicht bloß den, der nicht gehorcht, zwingen, sondern auch den, der widerstrebt, züchtigen" ( I I 2, S. 594; dort auch Vergleich der polizeilichen Strafgewalt m i t der des Hausvaters). 154 Verwaltungslehre, I, 2. Aufl., S. 60 f. 155
Handbuch, I, S. 205.
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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ordnen, „ist eine Nichterfüllung derselben von Seiten des einzelnen ein Vergehen gegenüber der Gesamtheit, die ja doch wieder die erste Bedingung der Einzel Wohlfahrt i s t " 1 5 6 . Die polizeiliche Übertretung, die nur gegen die Gesamtwohlfahrt verstößt, verletzt eben deshalb keine Rechtssphäre (nicht das „Recht der allgemeinen oder einzelnen Persönlichkeit") 1 5 7 . Darum können A r t und Maß der Strafe nicht auf ein verletztes Recht bezogen werden. „Die Strafe hat vielmehr einen Zweck, und ihr Charakter ist daher i m durchgreifenden Gegensatze zu dem eigentlichen Straf recht der, vielmehr eine Verwaltungsmaßregel als eine Strafe zu sein 1 5 8 ." I h r fehlt das sittliche Prinzip der Strafe für eine geschehene Rechtsverletzung; sie soll nur den einzelnen zur Befolgung der Verwaltungsvorschriften veranlassen und w i r d daher „Ordnungsstrafe" genannt, d. h. „eine Strafe, deren Basis nicht die Idee des Rechts, sondern die durch die Verwaltung aufrecht zu haltende öffentliche Ordnung i s t " 1 5 9 . Grundsätzlich gehört die Verhängung der Ordnungsstrafe als einer Verwaltungsmaßregel i n die Zuständigkeit der Verwaltung 1 6 0 . Otto Mayer schließlich prägte als Richtmaß für das Zusammenleben (das Dasein i m sozialen Lebensraum als solchem) einen der Rechtsordnung entsprechenden Begriff, der zugleich den Gegenstand der Verwaltungsfürsorge schärfer umreißen sollte, aber auch, mindestens zunächst, den Gegensatz zur Rechtsordnung (jedenfalls i m materiellen Sinne) is« Verwaltungslehre, I V , S. 36. Ä h n l i c h Handbuch, I, S. 222. Das „ V e r w a l tungsstrafrecht" ergibt sich nicht „aus den Begriffen von Recht u n d Strafe, sondern . . . erst durch die Verbindung beider m i t den großen Gebieten der Polizeiverwaltung" (Handbuch, I, S. 225). ist Verwaltungslehre, I V , S. 36; ferner I, 2. Aufl., S. 323: Hier w i r d auch die Auffassung der Polizeiübertretung als bloßen Ungehorsams abgelehnt: Es handle sich u m eine Gefährdung der „öffentlichen Ordnung u n d Sicherheit" (entsprechend Handbuch, I, S. 223). Vgl. aber auch Handbuch, I, S. 224: „Die Polizeiverfügung ist gegen die Gesetzlichkeit der von i h r bestimmten Handlungen der einzelnen an sich gleichgültig und macht erst aus der an sich v o l l kommen berechtigten eine strafbare . . . M i t dem Polizeirecht entsteht . . . eine ganz andere Kategorie des Strafrechts, dessen I n h a l t nur die Tatsache des Ungehorsams ist." iss Verwaltungslehre, I V , S. 36 f. iss Verwaltungslehre, I V , S. 37. Vgl. auch I, 2. Aufl., S. 323. I h r G r u n d liegt „ i n ihrer Zweckmäßigkeit für die Aufgaben der V e r w a l t u n g " (IV, S. 44). Entsprechend werden „Verbrechen" u n d „Ordnungsrecht" bzw. Ordnungsvergehen einander gegenübergestellt (IV, S. 58). — v. Stein bezeichnete das Polizeistrafrecht auch als „Zwangsstrafrecht". (Verwaltungslehre, I, 2. Aufl., S. 323; deutlicher i n der 1. Aufl., S. 209 f.: Die Polizeistrafe sei ein Zwangsmittel, das Polizeistrafrecht i m Grunde kein Strafrecht, sondern ein Zwangsrecht.) wo Verwaltungslehre, I V , S. 37, 44; Handbuch, I, S. 231. — I n der V e r w a l tungslehre, I V , S. 59, befürwortete v. Stein, „die Rechtspflege des Verwaltungsstrafrechts eigenen Polizeigerichten zu überlassen, bei deren B i l d u n g n u r der Gedanke festzuhalten ist, daß das strafandrohende Organ, die Polizei, nicht allein entscheidet". Das ordentliche Gericht sollte nicht zuständig sein, aber „ein gesetzmäßiges öffentliches Verfahren m i t Appellationsinstanz" stattfinden.
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
schärfer hervortreten ließ: die gute Ordnung des Gemeinwesens als Schutzobjekt der Polizeigewalt 1 6 1 . Dadurch erhielt der einzelne Pflichten, die ihm i m sozialen Lebensraum als Gemeinschaftswesen zukamen, aber keine Rechtspflichten waren, denn solche konnte er nur als Individuum haben. „Es gehört von vornherein nicht zur Freiheit des einzelnen, daß er auch die gute Ordnung des Gemeinwesens, i n das er hineingestellt ist, durch sein Verhalten stören dürfe; jeder hat vielmehr die gesellschaftliche Pflicht, solche Störungen zu unterlassen 162 ." Diese „gute Ordnung" und ihre Bestandteile, die öffentliche Sicherheit, Ruhe, Gesundheit, Sittlichkeit usw., sind keine Rechtsgüter, sondern Polizeigüter 163 und daher „Schutzobjekte der Polizeigewalt" als der „öffentlichen Gewalt, die auf dem Gebiet der Verwaltung wirksam w i r d zur Abwehr von Störungen der guten Ordnung des Gemeinwesens aus dem Einzeldasein" 164 . M i t der Rechtsordnung hat dies alles nichts zu tun; unter rechtlichen Gesichtspunkten sind die gute Ordnung des Gemeinwesens und ihre Störungen gleichgültig 1 6 5 . Abgewehrt werden daher auch keine rechtswidrigen Handlungen der Staatsbürger, sondern „gesellschaftliche Schädlichkeiten" aus dem „Einzeldasein" 1 6 6 . Die Möglichkeit solcher Schädlichkeiten, d. h. von Störungen der guten Ordnung, ist die Polizeiwidrigkeit, die i n einem Verhalten wider die „Untertanenpflicht, die gute Ordnung des Gemeinwesens nicht zu stören", besteht 167 . Die Polizeistrafe ist nur ein M i t t e l zur Erreichung der polizeilichen Zwecke 168 . Ihre Androhung soll einschärfen, daß die Polizeiwidrigkeit, auf die sie gesetzt ist, „nicht sein soll", da man sich vielmehr „polizeigemäß" zu verhalten habe. „Der Polizeistraf rechtssatz berührt sich darin m i t dem Polizeizwang 1 6 9 ." Jedoch ist die Polizeistrafe „rechtssatzmäßige Strafe" 1 7 0 . 161 „Gemeinwesen" ist dabei nicht n u r der Staat oder die Gemeinde, sondern zugleich „das Gemeinleben i m Staate oder . . . das Stück menschlicher Gesellschaft, über welches dieser gesetzt ist" (I, S. 212). 162 I, S. 207. 163 I, S. 214. 164 I, S. 209, 212. 165 „Die i m Gemeinwesen enthaltenen Werte, die als solche zugleich N ü t z lichkeiten vorstellen f ü r den Staat", stehen daher als Polizeigüter i m Gegensatz zu den Rechtsgütern (I, S. 214). 160 „Schädlichkeiten, die, von dem Einzeldasein ausgehend, die i n i h m ( = dem Gemeinwesen) enthaltenen Werte beeinträchtigen können." Sie abzuwehren, ist Aufgabe der Polizei, dabei verfolgtes Ziel die Aufrechterhaltung der guten Ordnung des Gemeinwesens, d. h. der allgemeine Zustand desselben, „bei welchem jene Werte durch gesellschaftliche Schädlichkeiten . . . möglichst wenig beeinträchtigt sind" (I, S. 213). 167 I, S. 213, 259 f. 168 „Das läßt sich alles unter dem Namen ,Verwaltungsstrafrecht' zusammenfassen, n u r muß man sich davon nicht allzuviel versprechen" (I, S. 257, Anm. 1). 160 I, S. 257, 259 f. 170 I, S. 266. Die gerichtliche Zuständigkeit zur Verhängung dieser Strafe w i r d nicht i n Zweifel gezogen. — Die Polizeiwidrigkeit bezeichnet Otto Mayer
V. Die Lehre vom Polizeistrafrecht usw.
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b) Goldschmidt A u f den von den Vorigen erarbeiteten Grundlagen baute Goldschmidt weiter. Deutlich wurde i h m die Stellung des Menschen als Gliedes einer Gemeinschaft bewußt, auf Grund welcher den einzelnen mit den wachsenden Staatsaufgaben erhebliche Verpflichtungen i m Interesse und zum Wohle der Gesamtheit trafen. Solche Obliegenheiten gehörten i n den Bereich der Gefahrenabwehr und Wohlfahrtsförderung. Diese aber vermochte der Liberalismus nicht anders denn als alleinige Aufgaben des Staates zu betrachten. So wurde der einzelne zum Gehilfen der Staatsverwaltung bei der Erfüllung der ihr obliegenden Aufgaben. Wenn der Staatsbürger bei Glatteis streuen mußte, so entledigte er sich damit nicht einer i h m selbst als Angehörigen einer Gemeinschaft dieser gegenüber ursprünglich zukommenden Pflicht, sondern er nahm i m Grunde nur eine Aufgabe der Verwaltung wahr, an deren eigenhändiger Erfüllung diese lediglich mangels hinreichenden Personals gehindert war. Daher konnte und mußte die Verwaltung den einzelnen Staatsbürger i n Anspruch nehmen, der aber nur einer abgeleiteten, sekundären, i h m erst von der Verwaltung auferlegten und daher auch nur i n deren Interesse und ihr gegenüber bestehenden Pflicht (im Gegensatz zu der primären, ursprünglichen der Verwaltung selbst) nachzukommen hatte. Die Rechtsordnung aber ging von den Individuen und ihren individuellen Rechten und Gütern aus. Die Rechte und Pflichten, die den einzelnen als Individuum trafen, bestimmten seine Stellung innerhalb der Rechtsordnung, während jene anderen, die i h m als Gliedpersönlichkeit gegenüber der Gesamtheit (der unpersönlichen Gesellschaft des Liberalismus) zukamen, anderer, zweitrangiger Natur sein mußten und sich nur auf seine Stellung zur (wohlfahrtsfördernden) Verwaltung beziehen konnten. Verletzungen dieser Pflichten fielen i m ersten Fall als Verstöße gegen das Recht (die Rechtsordnung) i n den Bereich des Verfassungsstrafrechts (wobei Verfassung gleichbedeutend mit Rechtsordnung ist), des eigentlichen Straf rechts, i m zweiten jedoch i n den des Verwaltungsstraf rechts, das m i t jenem nichts gemein haben konnte und daher streng von ihm geschieden sein mußte. So war das Verwaltungsstraf recht als „ein von der Verwaltung erzeugtes Recht" nur ein „Pseudo-Recht"; aus der Übertretung der Verwaltungsstrafrechtssätze konnte kein „Unrecht" entstehen, denn das Verwaltungsdelikt erschien „doch nur als staats(verwaltungs-)rechtliches Unrecht wegen seiner mittelbaren Verletzung der staatsrechtlichen Sanktion der Verwaltungsstrafgewalt; als strafbare Handlung bleibt es nach wie vor Verwaltungswidrigkeit". Infolge seiner äußeren (formalen) rechtlichen Umkleidung erschien das Verwaltungsi m Anschluß an Adolf Merkel als Ungehorsam gegen die staatlichen V o r schriften; jedoch handle es sich nicht u m bloßen formalen Ungehorsam, sondern u m die „sachliche Polizeiwidrigkeit" (I, S. 258, Anm. 2).
1. T e i l : Geschichtliche Entwicklung
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strafrecht als ein „Bastard von Recht und Verwaltung", seinem Wesen nach blieb es Verwaltung 1 7 1 . Von diesen Gedankengängen ausgehend, entwickelte Goldschmidt seine Lehre vom Verwaltungsstrafrecht, die er i n zahlreichen Veröffentlichungen darlegte und zu verbreiten suchte 172 . Aus der aufgezeigten Sicht heraus glaubte er, bei seinen historischen und rechtsvergleichenden Untersuchungen i n der Rechts- und Staatsgeschichte stets eine Verschiedenartigkeit von Recht und Verwaltung wahrgenommen zu haben. Deshalb nannte er seine Lehre vom Verwaltungsstrafrecht den „Versuch einer logischen Konstruktion des geschichtlich nachweislich Bestehenden" 173 . Der von i h m i m Grunde für unvermeidlich gehaltene Gegensatz zwischen Individuum und Gliedperson (und damit Gesellschaft) t r i t t für ihn i n einem durch das Zusammenleben i m Staat bedingten Dualismus von Wollendürfen und Wohlfahrt, von Verfassung ( = Rechtsordnung) und Verwaltung ( = Staatsverwaltung) i n Erscheinung: Das Wollendürfen bezeichnet die Sphäre individueller Freiheit des einzelnen Willensträgers (der auch eine Kollektivperson, wie der Staat als Rechtssubjekt, sein kann, niemals aber das Publikum, die Öffentlichkeit als solche), die Wohlfahrt dagegen die Aufgabe des menschlichen Zusammenlebens. Die Rechtsordnung besteht danach i n der Abgrenzung und Sicherung der Individualsphäre: „Die Verfassung der menschlichen Gesellschaft, das ist die Rechtsordnung i m eigentlichen, formellen Sinne, ist die Erklärung des allgemeinen Willens über den zur Zeit anzuerkennenden Umfang der Machtsphären der verschiedenen Willensträger 1 7 4 ." Die „auf Wohlfahrtsförderung gerichtete menschliche Tätigkeit", also die Wahrnehmung der Aufgaben des menschlichen Zusammenlebens, hingegen ist die Verwaltung 1 7 5 . Sie hat es nicht m i t der Machtsphäre der Willensträger, sondern m i t der guten Ordnung des Gemeinwesens (der allgemeinen Wohlfahrt) als Grundlage und Gegenstand ihrer Fürsorgetätigkeit zu tun. Zweck des Rechts ist der „Schutz menschlicher Willenssphären" (der „Rechtsgüter"), Zweck der Verwaltung die „Förderung des öffentlichen und staatlichen Wohls" 1 7 6 . Da die Wohlfahrt als höchste Vervollkommnung nie Zustand werden kann, sondern not171 Goldschmidt, D J Z 7 (1902), S. 213. — Vgl. Festgabe f ü r Koch, S. 416: „ein M i x t u m - K o m p o s i t u m von Verwaltungs Vorschrift u n d Rechtssatz." 172 Siehe seine i m Schrifttumsverzeichnis angegebenen Schriften. 173 Verwaltungsstrafrecht, S. 584. 174
a.a.O., S. 531. a.a.O., S. 532. Das Wollendürfen ist m i t h i n die durch die Koexistenz mehrerer Willensträger bedingte Machtsphäre des einzelnen Willensträgers zu den anderen, die ihre V e r w i r k l i c h u n g i n der Verfassung findet, Wohlfahrt hingegen als Zustand ideeller u n d materieller V e r v o l l k o m m n u n g das Ziel der staatsverwaltenden Tätigkeit, die der Machtsphäre der Willensträger erst ihren I n h a l t gibt. 176 G A 49 (1903), S. 83 f. 175
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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wendig ein Ziel bleiben muß, ist die Verwaltung als Wohlfahrtsförderung schöpferische Tätigkeit und deshalb durch Selbständigkeit i n der Wahl ihrer M i t t e l gekennzeichnet 177 . Infolgedessen gebührt ihr (im Gegensatz zur uneigentlichen Verwaltung, der bloßen Gesetzesvollziehung) auch ein selbständiges Imperium, zu dem das Recht der Verwaltungsstrafdrohungen und die Verwaltungsstrafgewalt gehören. Der Staat ist Willensträger nicht nur der Rechtsverfassung ( = Träger des allgemeinen Willens), sondern auch der wohlfahrtsfordernden Verwaltung ( = Träger eines vom allgemeinen Willen verschiedenen besonderen Willens, Willensträger des Gesamtwohls = der verwaltende Staat) 1 7 8 . Von dieser Grundlage aus versuchte Goldschmidt, einen Unterschied zwischen Rechtswidrigkeit und Verwaltungswidrigkeit herauszuarbeiten, eine Verschiedenartigkeit der Unrechtsfolgen zu konstruieren und für Justiz und Verwaltung je eine getrennte Strafkompetenz zu begründen. Damit sollte ein eigenständiges Verwaltungsstrafrecht gewonnen werden, dessen Eingliederung i n das allgemeine Strafrecht Goldschmidt für einen „Rechtsfanatismus" hielt 1 7 9 . Entsprechend dem Gegensatz von Rechtsordnung ( = Verfassung) und Verwaltung stellte er Verfassungsund Verwaltungsstrafrecht einander gegenüber. Anstelle des Ausdrucks „Verfassungsstrafrecht" verwendete er später die Bezeichnung „Justizstrafrecht" 1 8 0 . 1. Die Rechtswidrigkeit ist materiell eine Verletzung des von der Rechtsordnung sanktionierten Machtzustandes, also eine Beeinträchtigung von Rechtsgütern individueller Willensträger, ein damnum emergens, und somit eine Auflehnung gegen die Rechtsordnung 181 . Die Beeinträchtigung des öffentlichen Wohls als subjektlosen Gutes des Publikums, dem als solchem die Qualität eines Willensträgers fehlt, bedeutet hingegen keine Auflehnung gegen die Rechtsordnung (denn das öffentliche Wohl kann als solches nie ein sanktionierter Zustand werden) 1 8 2 , sondern immer nur Nichtförderung eines Zieles (des öffentlichen Wohls) oder einer Tätigkeit zur Erreichung dieses Zieles (der Verwaltung), also ein lucrum cessans183. Der einzelne Staatsbürger ist verpflichtet, an der 177 Verwaltungsstrafrecht, S. 534. ne Verwaltungsstrafrecht, S. 536 f., 543. 179
G A 49 (1903), S. 82. Festgabe für Koch, S. 416, A n m . 2; I K V 12, S. 226. Eigentlich genüge der Ausdruck „Straf recht", denn das Verwaltungsstraf recht sei Verwaltungsrecht ( I K V 12, S. 226). lei Verwaltungsstrafrecht, S. 540 ff., 236, 238, 239, 544. Die Rechtsgüterbeeinträchtigung erscheint als durchschlagendes K r i t e r i u m des k r i m i n e l l e n Unrechts (a.a.O., S. 539 ff.). 180
182 Daher fehlt es an der Rechtsgüterverletzung, am schädlichen Erfolg. Die durch die Verwaltungsübertretung beeinträchtigte öffentliche Ordnung oder Wohlfahrt ist selbst k e i n Rechtsgut (GA 49 [1903], S. 82). 183 Verwaltungsstrafrecht S. 544 f.
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1. T e i l : Geschichtliche Entwicklung
Förderung der allgemeinen Wohlfahrt, deren Vorsorge grundsätzlich Aufgabe des Staates ist, als Hilfsorgan des verwaltenden Staates (als „Staatssklave" nach einem Ausdruck Labands) mitzuwirken. Er hat der Staatsverwaltung nach ihren Anweisungen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu helfen (gleichsam als ihr Beamter) 1 8 4 . Die „ . . . eigentümliche Unterlassung der Unterstützung der auf Förderung des öffentlichen oder Staatswohls gerichteten bzw. fiktiv als solche Förderung erscheinenden Staatsverwaltung... ist die Verwaltungswidrigkeit, welche der Rechtswidrigkeit entgegenzusetzen ist". Die Normen des Verwaltungsstrafrechts waren für Goldschmidt „positive Staatsschöpfungen", die „nicht die innere ethische Überzeugung der Gemeinschaft, sondern der Wille des Staates gezeugt hat. I n ihnen spricht nicht die Macht gemeinsamer Überzeugung zu den Individuen, sondern die äußere Macht des Verbandes zu dem Gliede" 1 8 5 . Daher richten sich nur die Normen des Justizstrafrechts an die Individualpersönlichkeit, die des Verwaltungsstrafrechts hingegen an die Gliedperson 186 . Die Pflichten der Gliedperson, die das Verwaltungsstrafrecht zur Grundlage hat, werden jedoch nicht hoch eingeschätzt, sondern deutlich abgewertet: Die „niedrigste" aller Pflichten ist die „gliedschaftliche Gehorsamspflicht" 1 8 7 . Formell richtet sich die rechtswidrige Handlung gegen eine Willenserklärung (Erklärung des allgemeinen Willens, das ist eines Rechtssatzes), die verwaltungswidrige gegen eine Willensbetätigung, das Verwaltungshandeln. Die Verwaltungswidrigkeit w i r d sichtbar i n der Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsbefehl (durch den die Verwaltung ihrem Hilfsorgan kundgibt, was sie zur Unterstützung ihrer Tätigkeit für erforderlich hält) 1 8 8 . Infolge der rechtsstaatlichen Regelung der Verwaltungsgewalt erscheint der Verwaltungsbefehl häufig i n der Form eines Ge184 a.a.O., S. 547, 549. Bei dieser M i t a r b e i t an der Wohlfahrtsförderung t r i t t der einzelne jedoch nicht als Willensträger (d. h. Teilhaber an der Rechtsordnung), sondern n u r als Hilfsorgan der V e r w a l t u n g auf (a.a.O., S. 547). Was er bei Versagung dieser M i t a r b e i t (Begehung eines Verwaltungsdelikts) verletzt, ist der Anspruch der Staatsverwaltung auf Unterstützung. iss Begründung des Gegenentwurfs, S. 320; ebenso Festgabe für Koch, S>. 424. 186 Festgabe f ü r Koch, S. 423. Das Disziplinarstrafrecht schließlich betreffe das Organ. 187 Festgabe für Koch, S. 428. „,Gehorchen 4 t u t . . . eben nie das ,Individuum 4 , sondern das Glied." (a.a.O., A n m . 1.) D a m i t dürfte auch die i m m e r wieder v o r gebrachte Behauptung, man wolle keine Geringschätzung der Verwaltungsdelikte (vgl. dazu R. Lange, J Z 1957, S. 233, wo er die Auffassung: „ n u r " eine Ordnungswidrigkeit, ablehnt), durch ein Zeugnis aus berufener Feder w i d e r legt sein. 188 Daher besteht das Verwaltungsdelikt aus reinem Ungehorsam gegen die Befehle der V e r w a l t u n g (Festgabe f ü r Koch, S. 425; ebenso später Umhauer, S. 58 ff., 67, 69; ähnlich Pollack, S. 75) — aber doch n u r formell, während das materielle Element i n der Unterlassung der Förderung eines Zieles liegt.
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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setzes, was aber an seiner Natur eines Verwaltungsbefehls nichts ändert, denn er w i r d vom Staat als Träger der Hoheitsgewalt, nicht vom Gesetzgeber — wenn auch äußerlich von den gesetzgebenden Faktoren — erlassen 189 . Die VerwaltungsWidrigkeit ist demnach formell auch eine Rechtswidrigkeit, nicht aber materiell. Trotz alledem besteht zwischen rechtswidrigen und verwaltungs w i d r i gen Handlungen kein absoluter, sondern ein relativer Unterschied 190 . Es findet ein steter Abschichtungsprozeß i n dem Sinne statt, daß immer wieder Verwaltungsdelikte zu Rechtsdelikten werden. Der Ubergang vollzieht sich vor allem dadurch, daß zur Erhaltung der Rechtsordnung ein subjektloses ideelles Gut (ζ. B. Sittlichkeit, Religion), das bisher nur einen Teil des öffentlichen Wohls ausmachte, zum Rechtsgut (d. h. zum sekundären Rechtsgut, einem M i t t e l zum Schutz der primären Rechtsgüter, nämlich der Rechtsgüter der individuellen Willensträger) erhoben w i r d ; ferner dadurch, daß aus der allgemeinen Vorschrift zur Unterstützung der Verwaltungstätigkeit eine rechtsförmliche Verpflichtung bestimmter individueller Willensträger (Rechtsgenossen) gegenüber dem verwaltenden Staat wird, der dann ebenfalls als Willensträger erscheint, so daß die unterlassene Unterstützung eine Beeinträchtigung seiner Rechtssphäre (Nichterfüllung eines Rechtsanspruchs) ist; schließlich gehört hierher auch die „staatsrechtliche Regelung der Machtsphäre des verwaltenden Staates als solchen", wodurch der Staatsverwaltung als Trägerin von Hoheitsrechten Strafschutz gegen Beeinträchtigung ihrer Rechte gegeben w i r d (Schaffung einer Rechtssphäre der Verwaltung, die strafrechtlich geschützt w i r d ) 1 9 1 . Es hängt nach Goldschmidt von der zeitlichen und örtlichen Auffassung ab, zu welcher der beiden Gruppen ein Delikt gehört. Daher gibt es „ w o h l kaum ein D e l i k t . . . , welches nicht beider Auffassungen fähig i s t " 1 9 2 , es führt „der regelmäßige geschichtliche Werdegang der Rechtsdelikte über die Entwicklungsphase der Verwaltungsdelikte" 1 9 3 , so daß nur wenige Rechtsdelikte vorhanden sind, „die nicht das Stadium der Verwaltungsdelikte durchlaufen hätten". A m besten läßt sich aus dem Tatbestand erkennen, zu welcher Gruppe ein Delikt gehört. „ E i n gegen den verwaltenden Staat als solchen gerichtetes Delikt bleibt Verwaltungsdelikt, solange als allein die Vorschriftswidrigkeit i n Betracht kommt: Denn daraus erhellt, daß es sich u m eine i m Interesse des — imaginären — öffentlichen Wohls erlassene Verwal189 Verwaltungsstrafrecht, S. 558 f., 575. 190 a.a.O., S. 585. ιοί Verwaltungsstrafrecht, S. 544, 558, 576, 585. 192 193
a.a.O., S. 585. a.a.O., S. 7.
10 Mattes
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1. Teil: Geschichtliche E n t w i c k l u n g
tungsvorschrift handelt. Es w i r d Rechtsdelikt, sobald als die Machtsphäre des verwaltenden Staates als — reales — Schutzobjekt i n Frage kommt; denn dies ist das untrügliche Zeichen, daß eine wirkliche Rechtsvorschrift i n Frage steht. Ein Verwaltungsdelikt w i r d danach also zum Rechtsdelikt, sobald als die Verwaltung i m Verhältnis zu den Strafandrohungen aus einem formellen Element ein materielles wird. Nach alledem ist das Verwaltungsstrafrecht der Inbegriff derjenigen Vorschriften, durch welche die m i t der Förderung des öffentlichen oder Staatswohls betraute Staatsverwaltung i m Rahmen staatsrechtlicher Ermächtigung 1 9 4 i n der Form von Rechtssätzen an die Übertretung einer Verwaltungsvorschrift als Tatbestand eine Strafe als Verwaltungsfolge knüpft" 195. 2. Die Verhängung der Verwaltungsstrafe gehört als Reaktion auf die vom Staatsbürger als Hilfsorgan der Staatsverwaltung geforderte, aber unterlassene Unterstützung zur Verwaltungstätigkeit, ist also keine Rechtsprechung, sondern Verwaltungsakt 1 9 6 , die Unrechtsfolge des Verwaltungsdelikts daher eine Erscheinung des Verwaltungsrechts. Sie beeinträchtigt nicht wie die Rechtsstrafe die Rechtssphäre eines Willensträgers (wie die Verwaltungswidrigkeit auch nicht in der Beeinträchtigung der Rechtssphäre eines anderen Willensträgers besteht), sondern stellt lediglich die Maßregelung (Züchtigung) eines Hilfsorgans dar (Ordnungsstrafe, Zuchtmittel) 1 9 7 . Ursprünglich hob Goldschmidt besonders die Erzwingung der unterlassenen Unterstützung hervor und bezeichnete die Verwaltungsstrafe daher als Zwangsmittel der Verwaltung (Erscheinungsform des Verwaltungszwanges) 198 , das seiner A r t nach von den übrigen Maßnahmen der Verwaltung (ζ. B. der Exekutivstrafe) nicht verschieden sei 1 9 9 , nannte dann aber die Unrechtsfolge des Verwaltungsdelikts, u m klarzustellen, daß es sich bei ihr dogmatisch u m eine verwaltungsrechtliche, nicht um eine strafrechtliche Folge (wie auch beim Verwaltungsstrafrecht nicht u m Strafrecht, sondern u m Verwaltungsrecht) handle, die „Deliktsobligation des Verwaltungsrechts" 2 0 0 . I m Justizstrafrecht ist der zu Bestrafende Rechtsobjekt, i m Verwaltungsstraf recht hingegen der zu Maßregelnde Pflichtsubjekt, wobei die Verwaltung „die 194
Dies ist nach Goldschmidt nicht m i t „Delegation" zu verwechseln. a.a.O., S. 577. 196 Verwaltungsstrafrecht, S. 550, 553. 195
197 a.a.O., S. 552; G A 49 (1903), S. 86 („generisch durchaus nicht von dem unmittelbaren Verwaltungszwang verschieden", „nichts als Verwaltungstätigkeit"). 198 So auch noch i n DStRZ 1 (1914), Sp. 224. 199 I n diesem Punkte wich später Hof acker von i h m ab. 200 Siehe besonders I K V 12, S. 217 ff., vor allem S. 229, 232, 237 f. Das V e r w a l tungsdelikt ist begrifflich „Obligationsverletzung, u n d zwar Verletzung der Subordinationsobligation verwaltungsmäßigen Verhaltens" ( I K V 12, S. 242).
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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Stellung eines gewöhnlichen subjektiv Berechtigten" hat, „der sein Recht von der Verwaltungs justiz e r h ä l t " 2 0 1 : „Der Delinquent t r i t t ihr (der Verwaltung) . . . als verpflichtetes Rechtssubjekt, als Straf Pflichtiger gegenüber, analog wie, mutatis mutandis, dem privatrechtlich Berechtigten der privatrechtlich Verpflichtete. I m Strafrecht heißt es : , W e r . . . usw., w i r d bestraft'. I m Verwaltungsrecht heißt es, ähnlich wie i m bürgerlichen Obligationenrecht: ,Wer vorsätzlich oder fahrlässig die und die verwaltungsrechtliche Pflicht verletzt, ist zur Zahlung einer Geldstrafe usw. verpflichtet'. Der so verwaltungsrechtlich Verpflichtete erfüllt seine Strafpflicht selbsttätig wie der zur Zahlung einer Vertragsstrafe oder eines Schadenersatzes Verpflichtete 2 0 2 ." Allerdings kann die Unterstützung der Verwaltung durch Strafen infolge der Bindung der Verwaltung an die Gesetze nur noch i n den Formen des Strafrechts erzwungen (die Deliktsobligation des Verwaltungsrechts nur noch in diesen Formen geltend gemacht) werden. „Damit t r i t t neben das eigentliche Strafrecht . . . ein Pseudo-Strafrecht", das zwar seiner Form nach zum Strafrecht gehört, seiner Natur nach aber ein Institut der Verwaltung bleibt 2 0 3 . Die Verwaltungsstrafe ist damit aber nicht zur Rechtsstrafe geworden, sondern hat ihre bereits gekennzeichnete Natur beibehalten 2 0 4 . 3. Die Verwaltungsstrafe entspringt so einer der Verwaltung selbst ursprünglich eigentümlichen Strafgewalt. Die Rechtsverfassung reagiert überhaupt nicht auf die Verwaltungswidrigkeit; die Justiz hat daher auch gar kein Recht zum Eingreifen (in Verwaltungsstrafsachen tätig zu werden). I m eigentlichen Straf recht steht das Recht zum Straf ausspruch der Justiz zu, das nur i m Prozeß ausgeübt werden kann. Goldschmidt sprach hier von einem subjektiven Straf recht der Justiz (Justizstraf recht). Die Deliktsobligation des Verwaltungsrechts, die nicht wie die Justizstrafe förmlich ausgesprochen und an dem Bestraften vollstreckt wird, sondern die der verwaltungsrechtlich Verpflichtete selbsttätig e r f ü l l t 2 0 5 und über die er sich m i t der Verwaltung einigen kann, braucht hingegen nicht notwendig i m Prozeß geltend gemacht zu werden. Sie begründet eine Verpflichtung gegenüber der Verwaltung, so daß der Verwaltungsstraf rechtssatz ein subjektives Straf recht der Verwaltung schafft, d. h. der Strafanspruch i n Verwaltungsstrafsachen der Verwaltung zusteht 2 0 6 . 201
I K V 12, S. 232. a.a.O., S. 232. Daher auch ist freie Einigung der Parteien über die Geldstrafe möglich (a.a.O., S. 233). 203 Verwaltungsstrafrecht, S. 556. 202
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a.a.O., S. 566, 574. Vgl. auch I K V 12, S. 217, 237 f. 206 Z u m Ganzen vgl. auch I K V 12, S. 217 ff.; DStRZ 1 (1914), Sp. 222 ff. — Da das Verwaltungsdelikt nicht (wie das Justizdelikt) rechtswidrig, sondern n u r verwaltungswidrig sei, stehe der Strafanspruch nicht der Justiz, sondern 205
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1. Teil: Geschichtliche Entwicklung
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Als Folge der Rechtsstaatlichkeit ist jedoch auch die Verwaltungsstrafgewalt i n rechtliche Formen gekleidet worden. U m die Individuen schon präventiv vor unberechtigten Eingriffen der Verwaltung zu bewahren, soll sie nicht von der Verwaltung selbst gehandhabt werden, sondern von den Verwaltungsgerichten, die den allgemeinen wie den besonderen Willen (den Willen der Rechtsgemeinschaft und den des verwaltenden Staates) repräsentieren. Infolge seines Rechtselements ist das Verwaltungsstrafrecht zwar durch die Bindung der Verwaltung an die Gesetze formell zum Strafrecht geworden, materiell aber Verwaltungsrecht geblieben 2 0 7 . M i t der Forderung, die Verwaltungsstrafgewalt den Verwaltungsgerichten zu übertragen, konnte Goldschmidt auch bei seinen Anhängern nicht immer Zustimmung finden. 1932 hat Goldschmidt schließlich seine Lehre noch einmal zur Bekräftigung und Klärung seiner Ansicht i n einem Gutachten mit wenigen Sätzen zusammengefaßt 208 . A m Beispiel des preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes vom 1. Juni 1931 (GS S. 77) sah er seine Meinung bestätigt, das Verwaltungsdelikt sei „als Zuwiderhandlung gegen einen auf Grund gesetzlicher Ermächtigung erlassenen Verwaltungsbefehl" lediglich ein „verwaltungsrechtliches Unrecht", sein Tatbestand „die Verwaltungs-, insbesondere die Polizeiwidrigkeit (§ 33 Abs. 2 PVG), das ist formell die Zuwiderhandlung gegen einen auf Grund gesetzlicher Ermächtigung (§ 14 PVG) erlassenen Verwaltungs-, insbesondere Polizeibefehl, materiell die Gefährdung oder Verletzung eines Verwaltungsinteresses, insbesondere die Gefährdung oder Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung". Die Verwaltungsstrafgewalt bezeichnete Goldschmidt als eine „verwaltungsrechtlich zugelassene Selbsthilfe, die dem reinen Verwaltungs-(Erfüllungs-)Zwang gleichartig" sei. Für das Verwaltungsstrafrecht des Reiches habe allerdings anerkannt werden müssen, daß die Verwaltungswidrigkeit „nicht nur Zuwiderhandlung gegen einen Verwaltungsbefehl, sondern auch unmittelbar gegen einen Rechtssatz und daß ihre Rechtsfolge eine Strafrechtsfolge ist, mag auch das subjektive Straf recht durch Verwaltungsbehörden ausgeübt werden". Als Ziel blieb für ihn jedoch „die völlige Entstraf rechtung des Verwaltungsunrechts" mit dem „gänzlichen Verzicht der Verwaltung auf die S traf bewehr theit ihrer Befehle" und ihrem Rückzug auf „reinen Verwaltungszwang". Damit kennzeichnete Goldschmidt die Verwaltungs-,, Strafe" klarer als i n manchen früheren Schriften als ein M i t t e l des Verwaltungszwanges, dieder V e r w a l t u n g zu: Demgegenüber wies aber bereits Frank (Kommentar, A n m . I vor § 360) darauf hin, daß n u r der Staat als solcher Träger des Strafanspruchs sein kann, nicht ein einzelner Verwaltungszweig. 207 Verwaltungsstrafrecht, S. 583 f. 208
ZStW 52 (1932), S. 523 ff.
V. Die Lehre v o m Polizeistrafrecht usw.
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ser „typischen Rechtsfolge des Verwaltungs-, insbesondere Polizeirechts" 2 0 9 . Trotz Goldschmidts Forderung nach Übertragung der Strafgewalt bei Verwaltungsübertretungen auf die Verwaltung (die Verwaltungsgerichte) hat der unter seiner M i t w i r k u n g entstandene Gesetzentwurf von 1911 die Übertretungen formell i m Bereich des Justizstraf rechts belassen. c) Goldschmidts Wirkung auf Lehre und Gesetzgebung Goldschmidts Wirkung auf die Theorie, der noch die i n der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts langsam zur Ruhe gekommene Auseinandersetzung um das Polizeistrafrecht vor Augen stand, war zunächst groß. Es entspann sich ein heftiger Streit u m das Verwaltungsstrafrecht, und an entschiedenen Befürwortern und Gegnern der Goldschmidtschen Lehre hat es nicht gefehlt. A u f den Juristentagen wurde das Problem behandelt, und schon der 26. Deutsche Juristentag i n Berlin (1902) empfahl fast einstimmig, bei der Revision des Strafgesetzbuches das Polizeistrafrecht auszuscheiden. Besonders v. Liszt 210 und Kahl 211 w i r k t e n auf diese Entschließung hin. Man wollte ein besonderes Gesetz für Polizeidelikte (Polizeistrafgesetzbuch, Reichspolizeiordnung oder Verwaltungsstrafgesetzbuch) schaffen, i n dem die Übertretungen ihrer Eigenart entsprechend geregelt werden sollten. Der 29. Juristentag i n Karlsruhe (1908) beschloß: „Übertretungen von rein polizeilichen Vorschriften sind als bloße Ordnungswidrigkeiten aus dem Gebiet des kriminellen Strafrechts auszuscheiden und sowohl materiell als auch bezüglich des Verfahrens besonderen Grundsätzen zu unterstellen 2 1 2 ." Goldschmidts Lehre folgten, außer v. Liszt und Kahl, Umhauer, WachP 13, Pollack, Köhler* 14, Krakenberger 21δ, Rosin 2 1 6 , van Calker 209
a.a.O., S. 525 f. 210 Verhandlungen, I, S. 272 ff. Er meinte jetzt i m Anschluß an Goldschmidt, die Verwaltungswidrigkeit habe „überhaupt nichts m i t dem Unrecht, m i t der Rechtswidrigkeit zu t u n " (S. 273). 211 Verhandlungen, I I I , S. 212 ff., S. 602 (Thesen). Kahl formulierte die These, die dann „fast einstimmig" (a.a.O., S. 271) angenommen wurde. 212 Verhandlungen, V, S. 517, 870. 213 Reform, I, S. 7. 214 Leitfaden, S. 44,163 ff. 215 Vgl. etwa S. 60: Der Verwaltungsstrafe fehle das „materielle Element der peinlichen Strafe m i t i h r e m sittlichen, i m ethischen Wesen der Persönlichkeit begründeten I n h a l t " . (Trotzdem sei i h r Zweck die „Sühnung begangener Pflichtverletzung".) I h r G r u n d liege i n der Zweckmäßigkeit für die Aufgaben der Verwaltung. Sie erschöpfe sich i n der A h n d u n g von Verstößen gegen V e r waltungsbefehle i n Rechtssatzform, während die Kriminalstrafe wegen einer Verletzung der „ethischen Pflicht des I n d i v i d u u m s als Mitgliedes der menschlichen Gesellschaft" verhängt werde (S. 61). Die Verwaltungsbefehle dagegen habe der einzelne n u r „als Glied des Staates k r a f t seiner Untertanenpflicht" zu befolgen, wie Krakenberger meint (S. 61).
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1. T e i l : Geschichtliche Entwicklung
usw., insbesondere aber Hofacker 218, der zu einem der entschiedensten Verfechter des Verwaltungsstrafrechtsgedankens wurde und ζ. B. mit der konsequenten Forderung, die Strafgewalt i n Verwaltungsstrafsachen den Verwaltungsbehörden selbst zu übertragen (nicht den Verwaltungsgerichten), noch über Goldschmidt hinausging 2 1 9 , ferner später Klee 220, Löwenthal 220*, mit Vorbehalten auch Allfeld-Meyer 221, ganz besonders 222 aber Anders . Außer i h m sind vor allem Umhauer, Krakenberg er und Hofacker hervorzuheben, die sich u m die Ergänzung und Fortbildung der Verwaltungsstrafrechtstheorie bemühten, wobei sich i n Einzelheiten auch manche Abweichungen von Goldschmidt ergaben. Anders faßte schließlich das Ergebnis der seitherigen Untersuchungen nach seinen Gesichtspunkten zusammen und forderte eine „ w i r k l i c h rationelle Trennung der Verwaltungsdelikte von den Kriminaldelikten", die danach vorgenommen werden müsse, „ob das einen Tatbestand strafrechtlich indizierende Moment i n dem bloßen Zuwiderhandeln gegen die zur Förderung der verwaltenden Tätigkeit des Staates erlassenen Vorschriften liegt (Verwaltungsdelikt) oder i n der Beeinträchtigung von Rechtsgütern, die u m ihrer selbst willen strafrechtlichen Schutz genießen (Kriminaldelikt)" 2 2 3 . Für das Verwaltungsstraf recht solle das Opportunitätsprinzip gelten, und wegen seines „engen Zusammenhangs m i t dem übrigen Verwaltungsrecht" sei es geboten, die Strafgewalt den zuständigen Verwaltungsbehörden zu übertragen, gegen deren Entscheide der Rechtsmittelzug vor den Verwaltungsgerichten zu eröffnen wäre 2 2 4 . I n der Gesetzgebung wurde Goldschmidts doch beeinflußte sie die Entwürfe.
Lehre nicht verwirklicht,
21β
2. Aufl., S. 113 f. 1. Aufl., S. 17; 3. Aufl., S. 23. 218 Siehe die i m Literaturverzeichnis angegebenen Schriften. 219 Vgl. Verw.-Arch. 15 (1907), S. 423 ff. (notwendiger Zusammenhang der Verwaltungsstrafgewalt m i t der sonstigen Verwaltungstätigkeit). — Die Verwaltungsstrafe sollte zwar n u r eine i n Verwaltungstätigkeit bestehende Reaktion („an die Übertretung einer Verwaltungsvorschrift geknüpfte Verwaltungsfolge"), aber doch kein Erfüllungszwang sein u n d i n gewisser Weise Sühnecharakter haben (Verw.-Arch. 15 [1907], S. 413). Ä h n l i c h (repressive Natur, Sühnecharakter) auch Krakenberger, a.a.O. Hof acker machte also zwischen V e r waltungs« u n d Zwangsstrafe einen größeren Unterschied als zwischen K r i m i n a l - u n d Verwaltungsstrafe (die Zwangsstrafe diene nicht Straf zwecken ; vgl. Verw.-Arch. 15 [1907], S. 432; 14 [1906], S. 447 ff.). 220 Reform, S. 381 ff.; G A 71 (1927), S. 2,4. 220a Verw.-Arch. 32 (1927), S. 168 ff. 217
221
Lehrbuch, S. 101 f. (aber n u r sehr bedingt). — Einen „berechtigten K e r n " der Lehre Goldschmidts wollte auch Julius Hatschek anerkennen. Trotz K r i t i k an Goldschmidt hielt er am Gedanken des Polizeistraf rechts fest (S. 156 ff.). 222 H d R V I , S. 625 ff. 223 a.a.O., S. 627. 224 a.a.O., S. 629.
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Der Vorentwurf (VE) 1909 hatte es allerdings noch abgelehnt, das sogenannte „polizeiliche Unrecht" auszusondern, weil eine scharfe Trennung überhaupt nicht möglich sei und sich unter den Übertretungen zahlreiche Delikte befänden, die i n der A r t des Unrechts den Verbrechen und Vergehen durchaus gleichstünden 225 . Der 1911 veröffentlichte Gegenentwurf (GE) zum VE eines deutschen StGB, aufgestellt von den Professoren Kahl, v. Liszt , ν. Lilienthal und Goldschmidt, sollte u. a. den Beweis erbringen, daß die Scheidung doch praktisch durchgeführt werden könne. Die Verfasser glaubten auch, daß ihnen dies gelungen sei. Den qualitativen Unterschied zwischen K r i m i nal- und Verwaltungsunrecht wollten sie dadurch hervortreten lassen, daß sie die Verbrechen und Vergehen i m ersten und die Übertretungen i m zweiten Buch zusammenfaßten und für die Übertretungen einen eigenen Allgemeinen Teil schufen. A l l e Übertretungstatbestände des geltenden Rechts und des VE, i n denen man eine Verletzung oder Gefährdung von Rechtsgütern sah, wurden i n das erste Buch verwiesen 2 2 6 . Danach sollten etwa Landstreicherei, Bettelei, Arbeitsscheu und Gewerbsunzucht, ferner ζ. B. die Zuwiderhandlung gegen die Ausweisung aus dem Inland, unbefugtes Tragen von Uniformen und Abzeichen, Übertretung des Wirtshausverbotes (bisher alles Übertretungen) usw. zu Vergehen werden. Der Besondere Teil des zweiten Buches enthielt die Titel M i l i tärverwaltung, Sicherheitspolizei, Ordnungs- und Sittenpolizei, Handelspolizei und Jagdpolizei. Z u den Übertretungen gehörten u. a. unterlassene Hilfeleistung, Übertretung der Vorschriften gegen Tierquälerei, Belästigung des Publikums durch ungebührliches Verhalten, Beunruhigung der Bevölkerung durch vorsätzlich falsche Nachrichten, Mißbrauch von Notsignalen, falschen Notruf usw., auch etwa das Verkaufen von nachgemachten, verfälschten oder verdorbenen Lebensmitteln. Ein Beispiel für die Abgrenzung des kriminellen vom polizeiwidrigen Unrecht bieten die §§ 154 und 357 Ziff. 2 GE: Danach liegt ein Vergehen vor, wenn ein Landwehrmann des ersten Aufgebots ohne die erforderliche Erlaubnis auswandert, wogegen es sich nur um eine Übertretung handelt, wenn ein Landwehrmann des zweiten Aufgebots auswandert, ohne der Militärbehörde von der bevorstehenden Auswanderung Anzeige gemacht zu haben. Die besondere Grenzziehung des GE rechtfertigen seine Verfasser folgendermaßen: „ M i t dem qualitativen Unterschied zwischen polizeilichem und kriminellem Unrecht ist der quantitative schwererer Strafbarkeit des kriminellen, geringerer Strafbarkeit des polizeilichen eng verbunden. Sobald w i r uns i n die Notwendigkeit versetzt sehen, ein Delikt m i t Gefängnis zu bedrohen, hat es für uns ein Polizeidelikt zu sein aufge225 Vorentwurf, Begründung, S. V I I und 3. 226 Vorwort zum GE, S. I V .
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hört, ist es i n dem ,Abschichtungsprozeß' (Goldschmidt), der sich andauernd zwischen Polizei- und Justizdelikten vollzieht, aus einem Polizeiein Justizdelikt geworden 2 2 7 ." Aus dem Allgemeinen Teil für Übertretungen ist wichtig mitzuteilen, daß bei Übertretungen nur Geldstrafe verhängt werden kann, die allgemeinen Vorschriften über Verbrechen und Vergehen grundsätzlich auch auf Übertretungen anwendbar sind, als Schuldform Fahrlässigkeit genügt, eine Anstaltseinweisung nicht, wohl aber die Einziehung stattfinden, i n besonders leichten Fällen von Strafe abgesehen werden darf und die bedingte Strafvollstreckung auch bei Übertretungen zulässig ist. Die Übertretung kann sich zum Vergehen wandeln, wenn sie böswillig, gewerbs- oder gewohnheitsmäßig begangen w i r d oder wenn wegen derselben Übertretung i n den letzten drei Jahren wiederholte Verurteilung stattgefunden hatte. Der Besondere Teil des Übertretungsbuches wurde absichtlich als Torso gelassen, da man die Polizeidelikte der Nebengesetze wegen der Kürze der Zeit nicht einarbeiten konnte. „Aber m i t diesem zweiten Buch ist die Grundlage geschaffen, auf der, wenn erst einmal das Strafgesetzbuch selbst glücklich unter Dach und Fach gebracht worden ist, ein Polizeistrafgesetzbuch für das Deutsche Reich ohne große Schwierigkeiten aufgebaut werden kann 2 2 8 ." A u f der Zuweisung der Strafkompetenz bei Übertretungen an die Verwaltungsgerichte oder Verwaltungsbehörden haben Goldschmidt und seine Mitverfasser gleich den Verfassern späterer Entwürfe nicht bestanden, wie sie auch auf die Übertretungen weiterhin Strafen androhten, was ihnen von manchen entschiedenen Verfechtern des Verwaltungsstrafrechtsgedankens (vor allem Hofacker, später auch von Eb. Schmidt 229) verübelt wurde. Die folgenden Entwürfe behielten die Zusammenfassung der Übertretungen i n einem zweiten Buch m i t eigenem Allgemeinen und Besonderen Teil bei (Entwürfe 1913, 1919, Entwurf Radbruch 1922, Entwürfe 1925, 1927, 1930)220. Zwar sollte „für die Unterscheidung zwischen kriminellem Unrecht und bloßer Ordnungswidrigkeit 2 3 1 , zwischen Vergehen und Übertretung, nur das innere Wesen der Handlung maßgebend sein" 2 3 2 ; 227
Begründung des GE, S. 311. 228 V o r w o r t zum GE, S. I V . 229
Vgl. Niederschriften, I, S. 334. Die Denkschrift zum E 1919 bezeichnete es als „notwendiger denn je", kriminelles u n d polizeiwidriges Unrecht „reiner als bisher" voneinander zu trennen (Entwürfe, 3. Teil, S. 8). 231 Dieser Ausdruck der Denkschrift von 1919 bürgerte sich dann allmählich ein. 232 Entwürfe, 3. Teil, S. 350; ebenso die Begründungen der Entwürfe 1925 (S. 177) u n d 1927 (S. 194). Auch Radbruch ging i n seinem E n t w u r f davon aus, 230
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aber die Übertretungen blieben Straftaten wie die Verbrechen und Vergehen, d. h. die Unrechtsfolgen waren echte Strafen (Geldstrafe und teilweise Haft), die sich von denen für Verbrechen und Vergehen nur der Schwere nach unterschieden. So wurde i n Wahrheit mit der Absonderung der Übertretungen nur ein Bagatellstrafrecht geschaffen 233 , und viele sahen daher i n der Deliktseinteilung der Entwürfe lediglich eine quantitative und keine qualitative Trennung. Die konsequenten Vertreter des Verwaltungsstrafrechts übten an dieser Methode K r i t i k und verlangten die völlige Ausscheidung der Verwaltungsdelikte aus dem Strafrecht. Sie gaben sich auch nicht damit zufrieden, daß die Absonderung der Übertretungen i n den Entwürfen mitunter als Vorstufe zur Schaffung eines Reichspolizeistrafgesetzbuches gedacht war, denn auch hier hätte es sich um Strafrecht gehandelt 2 3 4 . Der Gesetzgeber blieb von diesen Bemühungen jedoch unberührt. Zwar hatte die Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 191 9 2 3 5 i n § 377 a. F. (§ 413 n. F.) einen blankettartigen Sammeltatbestand der Zuwiderhandlungen gegen Steuervorschriften geschaffen und diese „Steuerzuwiderhandlungen" als „Steuerordnungswidrigkeiten" nur mit einer sogenannten Ordnungsstrafe bedroht. Aber die Steuerordnungswidrigkeiten w u r den den Steuerstraftaten nicht als etwas Andersartiges gegenübergestellt, sondern ihnen als die leichteren Steuerzuwiderhandlungen nachgeordnet. Auch die Ordnungsstrafe galt als Kriminalstrafe und wurde als leichte Geldstrafe aufgefaßt. Bei der Neufassung der Reichsabgabenordnung i m Jahre 1939 236 verschwand daher die „Ordnungsstrafe", und die Steuerordnungswidrigkeit 2 3 7 wurde sodann ausdrücklich m i t Geldstrafe, die eine richtige kriminelle Strafe darstellte 2 3 8 , ohne jedoch ins Straf register eingetragen zu werden 2 3 9 , bedroht. Bei der Steuerordnungswidrigkeit handelte es sich wie bei den anderen Steuerdelikten u m Vergehen i m technischen Sinne 2 4 0 . Hier hatte sich der Gesetzgeber also klar gegen das Verwaltungsstrafrecht entschieden. M i t der Umgestaltung des § 413 durch das Gesetz vom 11. Mai 1956 (BGBl. I S. 418) lehnte es der Gesetz„daß das Polizeiunrecht v o m K r i m i n a l u n r e c h t nicht etwa n u r durch geringere Schwere, sondern seiner Wesensart nach verschieden ist" ( E n t w u r f 1922, S. 51). 233 Dieser Eindruck entstand auch f ü r manche grundsätzlichen Anhänger des Verwaltungsstrafrechts, was u. a. auf die umstrittene Zuweisung mancher Delikte zu den Vergehen oder zu den Übertretungen zurückzuführen ist. 234 Siehe insbesondere Eb. Schmidt, Niederschriften, I, S. 334. Vgl. auch Löwenthal, Verw.-Arch. 32 (1927), S. 168 ff. 235 RGBl. S. 1993. 236 Gesetz v o m 4. J u l i 1939 (RGBl. I S. 1181). 237 Nach der Neufassung der Reichsabgabenordnung v o m 22. M a i 1931 (RGBl. I S . 161) §413. 238
Härtung, Kommentar, Anm. I 2 und I X zu § 413.
239
§ 2 Abs. 2 Strafregisterverordnung v o m 17. Februar 1934 (RGBl. I S. 140).
240
Härtung, a.a.O., Anm. I zu § 392.
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geber w i e d e r u m ab, O r d n u n g s w i d r i g k e i t e n i n das S t e u e r s t r a f r e c h t e i n z u f ü h r e n . U m j e d e n Z w e i f e l auszuschließen, b e s e i t i g t e er d e n b i s h e r noch verwendeten Ausdruck „Steuerordnungswidrigkeit" 241'241a. A u c h i n d e r T h e o r i e v e r f i e l d i e L e h r e Goldschmidts einer stets w a c h senden A b l e h n u n g . V o r a l l e m sprachen sich gegen Goldschmidt aus: Frank 242, Beling 243, W. Rosenberg 244, H. A. Fischer 245, Stienen 24β, Kitzinger 241, Wachenfeld 248, Binding 249, August Köhler 250, Sauer 251, Gerland 252, W . Mittermaier 25*, Hellmuth Mayer 254, Richard Schmidt 255, Graf zu Doh241 Bemerkenswert ist auch die Einengung des Tatbestandes des § 413. Vgl. hierzu die Begründung des Gesetzes (Drucksachen des Bundestages, 2. W a h l periode Nr. 1593): „ . . . Es ist erforderlich, die unbestimmten S traf vor Schriften des §413 Abs. 1 Nr. 1 A O zu beseitigen, die jede schuldhafte Verletzung eines Steuergesetzes unter Strafe stellen. M i t rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar ist die bisher i n § 413 Abs. 1 Nr. 1 A O enthaltene Vorschrift, daß strafbar ist, w e r (ohne den Tatbestand eines anderen Steuervergehens zu erfüllen ...), einer i m Besteuerungsverfahren ergangenen Verfügung, die einen Hinweis auf die Strafbarkeit enthält, vorsätzlich oder fahrlässig zuwiderhandelt. Die Streichung des § 413 Abs. 1 Nr. 1 A O bewegt sich auch auf der Linie, nicht Tatbestände unter Strafdrohung zu stellen, w e n n andere M i t t e l ausreichen würden, u m den gebotenen Zweck zu erreichen." — Von derartigen Einsichten sind freilich die Verfasser von Ordnungswidrigkeitentatbeständen i n Verwaltungsgesetzen oft weit entfernt. Häufig erscheinen i n neueren Gesetzen als Tatbestände von Ordnungswidrigkeiten (oder gar „Straftaten") Zuwiderhandlungen gegen Verwaltungsanordnungen, die auf eine gesetzliche Bußgeld- oder Strafdrohung Bezug nehmen. R. Lange b i l l i g t dieses Verfahren sogar ausdrücklich (JZ 1956, S. 520; 1957, S. 238). Über die weitere Entwicklung siehe i m zweiten Band. 241a Inzwischen wurde durch Gesetz vom 16. März 1976 (BGBl. I S. 613) eine gänzlich neue Abgabenordnung (AO 1977) erlassen, die am 1. Januar 1977 i n K r a f t t r i t t , einzelne Bestimmungen schon früher. Sie unterscheidet Steuerstraftaten (§ 369) von Steuerordnungswidrigkeiten (§ 377). 242 I K V 12, S. 200 ff., bes. S. 214. 243 Verbrechen, S. 34 ff., 131 ff.; Grundzüge, S. 23 f. 244 Reform, I I , S. 465 ff.; ZStW 24 (1904), S. I f f . ; vgl. auch ZStW 22 (1902), S. 41 ff., bes. S. 44 ff. 245 S. 112 f. 246 ZStW 35 (1914), S. 637 ff. 247 ZStW 31 (1911), S. 599 f. 248 Lehrbuch, S. 73 ff. 249 Normen, I I , S. 1200 ff., bes. S. 1205, A n m . 35. Binding befürwortete allerdings die Wiedereinführung der ursprünglichen sogenannten Polizeistrafe, die keine Strafe, sondern eine Maßregel zur Aufrechterhaltung der guten Ordnung durch Verhütung weiterer Ordnungswidrigkeiten gewesen sei u n d die unabhängig von der Schuld des Übertreters habe verhängt werden können; doch sei diese alte Polizeimaßregel inzwischen i n eine Rechtsstrafe verwandelt worden u n d daher sei auch das sogenannte Verwaltungsstrafrecht n u r Strafrecht u n d kein Verwaltungsrecht (a.a.O.; siehe auch Normen, I, 2. Aufl., S. 313 ff.). 250 251 252 253
Strafrecht, S. 158 ff. Grundlagen, S. 314 ff. Reichsstrafrecht, 1922, S. 85. ZStW 44 (1924), S. 14.
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na 2 5 6 , Kohlrausch 257, Paul Merkel 258, Hans Peters 259, Fleiner dere aber i n einer eingehenden Untersuchung Trops 261.
15 2G0
, insbeson-
Etwa um 1930 war die Literatur i n den maßgebenden Werken recht eindeutig gegen Goldschmidts Lehre eingestellt. Allein i m Lehrbuch von ν . Liszt-Schmidt 282 leistete man ihr noch Gefolgschaft. Dort wurde nach wie vor die Auffassung vertreten, „die Loslösung des Verwaltungsstrafrechts vom Kriminal-(Justiz-)Strafrecht" sei „eine wichtige legislative Aufgabe". Olshausen-Niethammer hielten zwar daran fest, die Polizeiübertretungen bestünden „schlechthin i m Ungehorsam gegen Verbote oder Gebote", ohne sich aber auf die Verwaltungsstrafrechtstheorie zu stützen 263 . Hingegen lehnten Heinrich Gerland 264, Robert von Hippel 265, Reinhard v. Frank 2™, Werner Rosenberg 267, um nur die wichtigsten zu nennen, Goldschmidts Verwaltungsstrafrechtstheorie entschieden ab. Dieser Stellungnahme Schloß sich, wenn auch nicht ganz eindeutig, Edmund Mezger 268 an. Als überzeugter Gegner des Verwaltungsstrafrechts kann dann noch Johannes Nagler 269 genannt werden. Mannigfache Gründe wurden gegen die Lehre vom Verwaltungsstrafrecht angeführt. Man leugnete die begriffliche Verschiedenheit von sogenanntem K r i m i n a l - und sogenanntem Verwaltungsstrafrecht und stellte auch eine grundsätzliche Wertverschiedenheit i n Abrede. Es komme allein auf die Strafwürdigkeit der Taten an, die nach der relativen Schwere 254
Zuchtgewalt, S. 93 ff., 115 ff. Grundriß, S. 76 f. 256 Rechtswidrigkeit, S. 56 f. Verw.-Arch. 30 (1925), S. 233 ff., 238. Sehr deutliche Ablehnung, auch aus rechtsstaatlichen Bedenken. Aufgabe des verwaltenden Staates sei es, „das auf Befriedigung ihrer materiellen u n d k u l t u r e l len Bedürfnisse gerichtete Zusammenleben der Gemeinschaftsglieder i n geordneten Bahnen zu halten u n d i m Hinblick auf die Gewährleistung größtmöglicher Wohlfahrt zu lenken u n d zu leiten". Der Staat verbiete bei Strafe aber „ n u r solche Handlungen . . . , welche dieses Ziel gefährden u n d vereiteln". So sei „letzten Endes alles Strafrecht Verwaltungsstrafrecht, w e i l alles strafbare Unrecht Verwaltungswidrigkeit". 257 Reform, S. 10 f. 258 Grundriß, S. 20, 206. 259 ZStW 48 (1928), S. 553. 260 S. 216. 261 Begriff u n d Wert eines Verwaltungsstrafrechts, Strafrechtliche A b h a n d lungen, Heft 208 (1926) (Dissertation Göttingen). 262 26. Aufl., S. 148 f. 283 11. Aufl., A n m . 1 zu § 1. 264 2. Aufl., S. 107 (vgl. auch S. 301, A n m . 2). 265 I I , S. 103 ff. 206 Kommentar, 18. Aufl., Anm. I vor § 360. 2β7 L K , 4. Aufl., A n m . 3 vor § 360. 268 Lehrbuch, 2. Aufl., S. 5 ff. 269 L K , 6. Aufl., Vorbem. vor § 13, S. 135. 235
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der strafbaren Handlungen zu bestimmen sei. Wendungen wie „ A u f rechterhaltung der guten Ordnung des Gemeinwesens als Fürsorgeobjekt der Verwaltung", „Unterlassen der Unterstützung der Verwaltung" seien viel zu unklar, als daß sie bestimmte Deliktsgruppen näher bezeichnen könnten 2 7 0 . Solche Gesichtspunkte rechtfertigten es auch nicht, gewisse Delikte aus dem Strafrecht herauszunehmen, da sie nichts über die Strafwürdigkeit aussagten. Ein Unterschied i n der Rechtsnatur der K r i m i n a l strafe und der Verwaltungsstrafe wurde geleugnet; es handle sich beide Male u m eine echte Strafe (eine Rechtsstrafe) 271 , die nur bei Übertretungen minder schwer sei als bei Verbrechen und Vergehen; auch ihre vorherrschende Zweckrichtung könne verschieden sein, ohne daß daraus schon eine Wesensverschiedenheit der Strafen folge. Ferner gebe es weder ein subjektives Straf recht der Verwaltung noch der Justiz, sondern nur ein solches des Staates 272 ; es könne sich allein darum handeln, von wem es der Staat ausüben lasse. Bei einer Bestrafung durch die Verwaltung fehle es aber an den nötigen Garantien des Strafverfahrens; außerdem seien zur Verhängung von Strafen die Strafgerichte geschaffen worden (Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit) 273 . Schließlich sei auch eine Unterscheidung von Rechtswidrigkeit und Verwaltungswidrigkeit verfehlt; jede Handlung, deretwegen Bestrafung erfolgen solle, müsse rechtswidrig sein. Es gebe daher nur eine Rechtswidrigkeit für alle strafbaren Handlungen 2 7 4 . Wenn auf den Ungehorsam gegenüber der Verwaltung abgestellt werde, so sei daran zu erinnern, daß der Ungehorsam formelles Element jeden Unrechts sei 2 7 5 und daß niemals eine bloße Vorschriftswidrigkeit i n Frage stehe, denn der Staat verlange nicht Gehorsam lediglich um des Gehorsams w i l l e n 2 7 6 . Überhaupt sei die Gegenüberstellung von Rechtsordnung und Verwaltung verfehlt, denn auch die Verwaltung gehöre zur Rechtsordnung und sei rechtlich geregelt; daher stellten Verstöße gegen sogenannte Verwaltungsinteressen stets Verstöße gegen die Rechtsordnung dar 2 7 7 . Die Rechtswidrigkeit als Verletzung des objektiven Rechts brauche nicht immer mit einem Verstoß gegen subjektive Rechte einherzugehen 278 . Als (praktisch) wichtigste A r gumente wurden immer wieder die fehlende scharfe Abgrenzung, die Unmöglichkeit, feste Unterscheidungsmerkmale zu finden, und die prak270
So vor allem v. Hippel, I I , S. 112. So vor allem Nagler, L K , 6. Aufl., S. 135; auch v. Hippel, I I , S. 113. 272 Frank, a.a.O.; v. Hippel, I I , S. 114. 273 Siehe auch o. S. 134. 274 So schon Beling, Verbrechen, S. 132. 275 v. Hippel I I , S. 114. 276 Gerland, a.a.O. (Der Staat verbiete Handlungen nicht u m ihrer selbst willen.) 277 Vgl. Trops, S. 45 ff., u n d M. E. Mayer, Rechtsnormen u n d K u l t u r n o r m e n , S. 109 ff. (Die V e r w a l t u n g stehe nicht außerhalb der Rechtsordnung.) 278 Trops, S. 51. 271
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tische Unanwendbarkeit der angegebenen Kriterien infolge ihrer mangelnden Genauigkeit hervorgehoben. Insbesondere Fritz Trops versuchte, die Lehre vom Verwaltungsstrafrecht i n ihren Grundlagen anzugreifen. Er erkannte, daß sie auf der A n nahme eines Gegensatzes von Rechtsordnung und Verwaltung beruhte. Demgegenüber legte er dar, daß auch die Verwaltung rechtliche Zwecke verfolge und gänzlich i n die Rechtsordnung eingegliedert sei 2 7 9 . Außerdem verwarf er den Rechtsgutsbegriff, soweit er mehr bezeichnen sollte als ein „legislatorisches Schutzobjekt" 2 8 0 , denn das Wesen des Verbrechens lasse sich mit i h m nicht erfassen. So könne es auch keinen auf die Unterscheidung von Rechtsgütern und Verwaltungsgütern gegründeten Gegensatz von Justiz-(Kriminal-)Strafrecht und Verwaltungsstrafrecht geben. Vielmehr betonte Trops die Einheitlichkeit des Begriffs der strafbaren Handlung für alles Strafrecht, die er aus der Einheit der Rechtswidrigkeit und der Schuld nachzuweisen sich bemühte. Die Aufgabe des Strafrechts sah er i m Schutz der Rechtsordnung, deren Verletzung „das eigentliche und letzte Objekt aller Delikte" sei 2 8 1 . M i t Rudolf v. Ihering 282 definierte er deshalb das Verbrechen als „die von Seiten der Gesetzgebung konstatierte, nur durch Strafe abzuwehrende Gefährdung der Lebensbedingungen der Gesellschaft" 283 . Danach ist „die Verletzung individueller Interessen für den Verbrechensbegriff nicht ausschlaggebend . . . , sondern immer nur das Interesse der Gesellschaft an der Wahrung ihrer Lebensbedingungen, welche mit der Aufrechterhai tung der Rechtsordnung grundsätzlich gleichbedeutend ist". Als Wesen der Rechtswidrigkeit bleibt nur die Verletzung des objektiven Rechts, der Widerspruch zur Rechtsordnung übrig 2 8 4 . Innerhalb der materiellen Rechtswidrigkeit kann unter dieser Voraussetzung nicht differenziert werden, womit auch die Möglichkeit einer qualitativen Unterscheidung von Justiz- und Verwaltungsstrafrecht nach der A r t des Unrechts entfällt: Es gibt „entsprechend der Einheitlichkeit der Rechtsordnung nur eine einheitliche Rechtswidrigkeit" 2 8 5 . Auch i n bezug auf die Schuld konnte Trops keinen Grund für die Sonderstellung eines sogenannten Verwaltungsstrafrechts finden 286. Ebensowenig ergab sich von seinem Standpunkt eine Wesensverschiedenheit von K r i m i n a l - und Polizeistrafe. Zwangsstrafe (Verwaltungszwang) könne die Polizeistrafe nicht sein, weil sonst für sie dieselben Regeln wie für jene gelten müß279 280 281 282 283 284 285 280
S. 45 ff. Siehe bes. S. 53, A n m . 5. S. 72. Zweck i m Recht, I, S. 382 (S. 491 f. der älteren Ausgabe). S. 72. S. 73. S. 76. S. 77 ff.
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ten 2 8 7 . Sie habe daher den Charakter einer echten Strafe (geringer Schwere), da es ein Mittelding zwischen Strafe und Zwangsstrafe nicht gebe. Soweit der Polizeistrafe ein Zwangsmoment zuerkannt werde, handle es sich u m kein anderes als das jeder Strafe (auch der sogenannten Kriminalstrafe) innewohnende 2 8 8 . Auch die allgemeine Einführung des Opportunitätsprinzips für das Verwaltungsstrafrecht lehnte Trops ab. Das Legalitätsprinzip diene der Hechtsbewährung, verbürge Rechtsgleichheit und Rechtssicherheit und verhindere willkürliche Handhabung der Gesetze. Dies gelte für Übertretungen ebenso wie für Verbrechen; i n jedem Falle sei eine gleichmäßige Behandlung der Verstöße unerläßlich. Es müsse daher die auf das Begehen einer Handlung angedrohte Strafe auch stets verhängt werden, wenn die Handlung begangen worden sei 2 8 9 . Jedoch sollte mit Strafe nur dort eingegriffen werden, wo Zwangsmaßnahmen nicht ausreichten, u m die Einhaltung der Rechtsvorschriften zu sichern 290 . I m übrigen habe der Gesetzgeber die Aufgabe, die Tatbestände möglichst genau zu formulieren und dafür zu sorgen, daß nicht Handlungen unter Strafdrohungen fielen, die nicht strafwürdig seien 291 . d) Erik Wolf Bei diesem Stande der Entwicklung unternahm es E. Wolf, den Gedanken eines selbständigen Verwaltungsstrafrechts m i t seiner Untersuchung über die „Stellung der Verwaltungsdelikte i m Strafrechtssy stem" 292 zu retten. Er ging von den durch Goldschmidt erarbeiteten Grundlagen aus, verzichtete jedoch darauf, das Verwaltungsstraf recht m i t Hilfe begrifflicher oder ontologischer Merkmale erfassen zu wollen, und betrachtete das Problem als eine Frage der Wertbeziehung (Wandel von der ontologischen zur werthaften, normativen Betrachtungsweise). Auch für E. Wolf war das rechtspolitische Ziel aller Bemühungen die völlige Lösung des Polizei- oder Verwaltungsstrafrechts vom K r i m i n a l oder Justizstrafrecht. Zwar bestehe keine formal-logische Begriffsverschiedenheit (das Verwaltungsstrafrecht sei formal auch Strafrecht, aber 287 V o r allem: Aufhebung der Strafe bei E r f ü l l u n g der Verwaltungsanordnung; keine Geltung des Satzes ne bis i n idem; keine Zwangsstrafe, w e n n nichts zu erzwingen ist (S. 92). 288 S. 92. 289 S. 97 f. 290 Daher sollte das Gesetz, soweit möglich, die Strafe nur f ü r den F a l l erfolgloser A b m a h n u n g oder sonstiger Maßnahmen vorsehen (S. 100 f.). 291 S. 102. 292 Festgabe f ü r Reinhard v. F r a n k (1930), Bd. I I , S. 516 ff. Goldschmidt meinte zu dieser Abhandlung, E. Wolf habe i n i h r seine Lehre „ v i e l schöner u n d tiefer . . . begründet u n d entwickelt", als er es je getan habe (ZStW 52 [1932], S. 524).
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materiell Verwaltungsrecht) 2 9 3 und keine empirische Zweckverschiedenheit, wohl aber eine transzendentale Sinnverschiedenheit, das ist eine Wertverschiedenheit, die i n der Verschiedenheit der Wertbeziehung der Rechtstatsachen auf die Norm liege 2 9 4 . E. Wolf gründete die Sonderstellung der Verwaltungsdelikte auf eine Sinnverschiedenheit von K r i m i n a l und Verwaltungsstrafe und auf die verschiedenartige Wertbeziehung von Justiz- und Verwaltungsstraf recht, die sich aus der Bezogenheit der strafrechtlichen Wertung auf den Staat als konstituierenden Grundwert des Strafrechts ergebe 295 . Daraus folge notwendig die Verschiedenheit des Justizstrafrechts vom Verwaltungsstrafrecht 2 9 6 . E. Wolf behauptete nicht, die Verwaltungsstrafe sei keine Strafe, sondern erkannte ihren Strafcharakter ausdrücklich an 2 9 7 . Wenn sie aber auch von der Kriminalstrafe nicht begriffs-(wesens-)verschieden sei, so doch sinn-(wert-)verschieden 298 . „Der Sinngehalt der Verwaltungsstrafe ist der eines Zuchtmittels 2 9 9 ." Sie stelle eine reine Ordnungsstrafe, ein einmaliges, nachdrückliches und eindringliches Zur-Ordnung-Rufen dar, enthalte keine Mißbilligung eines Gesellschaftsfeindes oder rechtsindifferenten Kulturgenossen, sondern solle nur einen sozial-nachlässigen, staatsindolenten Rechtsgenossen aufrufen und zur Aktivierung seiner Rechtspersönlichkeit anhalten und sei daher auch nicht wie die K r i m i n a l strafe m i t einer capitis diminutio verbunden 3 0 0 : „Der Täter (eines Verwaltungsdeliktes) ist weder gemeinschädlich noch gemeingefährlich, sondern gemeinläßlich 301 ." Die Sinnverschiedenheit von Verwaltungsstrafrecht und Justizstrafrecht muß nach E. Wolf an die Entfaltung des Staatswertes (der als solcher für die gesamte Rechtsordnung konstitutiv ist) i n Rechtswert, Machtwert und Wohlfahrtswert anknüpfen. Durch die Bezogenheit auf diese entfalteten Werte des Staates werden das Justizstrafrecht, das Zwangs-(Exekutiv-)Strafrecht und das Verwaltungsstrafrecht konstituiert. Der höchste Justizwert ist die Gerechtigkeit, die daher den kon293
So auch ZStW 54 (1935), S. 554. Stellung, S. 520 f., 560, auch 545, 547 ff. 295 Nicht aber handle es sich u m eine Verschiedenheit der Bewertung, wie sie i n der Gegenüberstellung von Rechtsgutverletzung u n d Rechtsgutgefährdung oder reinem Ungehorsam zum Ausdruck komme (a.a.O., S. 532). 296 a.a.O., S. 519 f., 532. 297 a.a.O., S. 519 f., 551. 298 a.a.O., S. 520. 299 a.a.O., S. 585. 300 a.a.O., S. 548, 585; ZStW 54 (1935), S. 554: „Es geht hier nicht u m das M i ß billigungsurteil der Volksgemeinschaft über eines ihrer Glieder, das ganz oder vorübergehend aus i h r ausgeschieden werden muß, sondern u m einen pflichtnachlässigen Volksgenossen, der zu gesteigertem positiven Verhalten ermahnt werden soll." 301 Stellung, S. 586. 294
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stitutiven Grundwert des Justizstrafrechts bildet. Entsprechend macht die Wohlfahrt als höchster Verwaltungswert den konstitutiven Grundwert des Verwaltungsstrafrechts aus. Beide Wertentfaltungen des Staates sind deutlich voneinander abhebbar und bedingen zwei „restlos gegeneinander abgrenzbare Kulturbezirke" und damit auch zwei völlig (wertmäßig, qualitativ) verschiedene Strafrechtsbereiche 302 . Die logische Einheit des Begriffs der strafbaren Handlung schließt so die Ausfüllung dieses Begriffs mit verschiedenen Wertgehalten nicht aus 3 0 3 ; die verschiedenen Wertgehalte aber fordern die Aufgliederung des logisch einheitlichen Strafrechts i n sinnverschiedene Strafrechtsbereiche, durch deren Vermengung das Straf recht nur Schaden leiden würde. Der Unterschied zeigt sich schon darin, daß der Kriminaltäter das ethische M i n i m u m der Rechtsschranken nicht einhält, der inneren ethischen Überzeugung der Rechtsgemeinschaft zuwiderhandelt und ein unsozialer, antisozialer, gefährlicher Mensch ist 3 0 4 , wogegen der Täter einer Wohlfahrtsgüterverletzung (einer Verwaltungs Widrigkeit) nur „Mangel an sozialem Eifer, an sozialkaritativem Verhalten", zeigt: Er handelt „nicht eigentlich unrecht, sondern ungut, unwohl"; er ist nicht antisozial und gefährlich, sondern nur gemeinläßlich 305 . Das Verwaltungsstrafrecht ist so i m formellen Sinne Strafrecht, i m materiellen aber Verwaltungsrecht. Als Strafrecht unterliegt es den formalen Kategorien des Straf rechts: der Tatbestandsmäßigkeit, der Rechtswidrigkeit und der Schuld. Die materialen Unterschiede wirken sich aber auch i n diesen formalen Kategorien aus; sie sind nicht nur rechtsphilosophisch begründbar, sondern auch dogmatisch darstellbar. I m Tatbestand der Verwaltungsdelikte fehlt ein Tatobjekt (nicht aber ein angegriffenes Rechtsgut), während das Kriminaldelikt immer ein Tatobjekt (Sache oder Mensch) voraussetzt, das den Bezugspunkt einer jeden Kriminalstraf norm bildet. Manche Delikte haben nur ein Tatobjekt auf sehr hoher Abstraktionsstufe, so daß Tatobjekt und Schutzobjekt (angegriffenes Rechtsgut) zusammenfallen. Das tatsächliche Geschehen ist dann ethisch-kulturell farblos und nur juristisch vorgeformt: Es handelt sich u m ein spezifisches Ordnungsdelikt, das an den Lebensraum einer nationalen Rechtsordnung gebunden ist und keine transpositive, naturrechtliche Bedeutung hat: ein Verwaltungsdelikt 3 0 6 . 302 a.a.O., S. 521 f., 528. Vgl. auch ZStW 54 (1935), S. 554: „Das Verwaltungsstrafrecht ist seinem Wesen nach ein anderes als das Kriminalstrafrecht. Es dient nicht der Gerechtigkeit durch sühnende Strafe, sondern der Wohlfahrt durch zweckmäßige Verwarnungen." 303 Stellung, S. 522. 304 a.a.O., S. 525. 305 a.a.O., S. 525 f. 30β a.a.O., S. 560 ff.
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I n der formellen Rechtswidrigkeit unterscheiden sich Verwaltungsdel i k t und Justizdelikt nicht, wohl aber i n der materiellen. Der Unterschied liegt allerdings nicht darin, daß die Justizdelikte Rechtsgutverletzungen seien, die Verwaltungsdelikte nicht, oder darin, daß die letzten einen geringeren Sozialschaden zeigten als die ersten. Ein Schaden entsteht vielmehr bei beiden, jedoch unterliegt der Schaden der Verwaltungsdelikte einem andern Bewertungsprinzip als der der Kriminaldelikte. Die Verwaltungsübertretungen haben nur einen geringen oder keinen Individualschaden, einen unerheblichen Kulturschaden und keinen großen, aber spezifisch gearteten Staats-(Sozial-)Schaden. Dieser ist für das Verwaltungsstrafrecht allein wesentlich. Das Spezifische des Verwaltungsschadens besteht i n seiner Unbezogenheit auf eine individuelle Person oder Sache, i n der Immaterialität des Verletzungs„erfolges" und i n der Nichterfüllung einer für den Einzelfall gestellten staatlichen A u f gabe; er ist nicht als Außenwelts,, erfolg" feststellbar. Während der Justiz die Konservierung und Stabilisierung der Rechtspersonalität genügt, verlangt die Verwaltung die Aktivierung dieses Personseins: Lediglich die Einhaltung rechtlicher Grenzen genügt ihr nicht, sie fordert, ein tätiger Verwaltungsgenosse zu sein, sich „akzentuiert-rechtlich" i m verwalteten Soziallebensraum zu verhalten. Demnach ist der „Schaden" der Verwaltungsdelikte nie bezifferbar und meßbar; ihre materielle Rechtswidrigkeit liegt i n der Erschütterung des objektiven Rechtsbewußtseins durch regelwidriges Verhalten und t r i t t durch Nichtbefolgung konkreter Staatsbefehle i n Gestalt der Erschütterung des Staatsbewußtseins in die Erscheinung. Wesentlich ist also nicht die Immaterialität des Schadens, sondern seine personale, transnaturalistische Materialität. So „läßt sich sagen, daß die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsdelikte i m Unterschied zur Rechtswidrigkeit der Justizdelikte nicht nur formalen Normwiderspruch und materialen Individualschaden umfaßt, sondern einen unmittelbaren Sozialschaden verursacht, dessen Entstehung nicht die Verletzung individueller Belange voraussetzt" (wie dies die Justizdelikte selbst bei Verbrechen gegen den Staat tun). Verwaltungsunrecht liegt immer da vor, wo ein „materieller Personen- oder Sachschaden nicht tatbestandsmäßig und damit essentiale des Unrechts ist"; es kann sich dann niemals um ein Kriminaldelikt handeln, selbst wenn es i m geltenden Recht mit höchsten Strafen bedroht ist 3 0 7 . Die Verwaltungsgüterverletzung bedarf nicht (wie die Rechtsgüterverletzung) des Mediums des Eingriffs in die private Güterwelt; liegt aber ein solcher Fall vor, so handelt es sich um ein bagatellmäßiges Ju307 Daraus folgert E. Wolf, daß die schwersten Formen des Landes- u n d des Hochverrats den Typus der Regierungswidrigkeit darstellen: Die i n d i v i d u a listische K u l t u r g ü t e r w e l t bleibe intakt, der A n g r i f f gelte nur der ü b e r i n d i v i duellen Güterwelt der Rechtsgemeinschaft als politischer Organisation (a.a.O., S. 568).
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stizdelikt 3 0 8 . Danach sind ζ. B. die unterlassene Hilfeleistung oder die Nichtanzeige von Verbrechen echte Verwaltungsdelikte; hingegen ist das Beerdigen oder Beseitigen eines Leichnams ohne Vorwissen der Behörde oder das unbefugte Abgraben oder Abpflügen eine relativ schwere Rechtsgutverletzung 309 . E. Wolf wandte sich gegen eine Verkoppelung des Gedankens des Bagatellstrafrechts m i t dem des Verwaltungsstrafrechts, wie sie i n den Entwürfen vorgenommen wurde, da sich beide widersprächen 310 . Er befürwortete ein Reichsverwaltungsstrafgesetzbuch, die prozessuale Verselbständigung des Verwaltungsstrafverfahrens (mit Opportunitätsprinzip) und die Übertragung der Verwaltungsstrafkompetenz auf die Verwaltungsgerichte 311 . Die Anstiftung zu einem Verwaltungsdelikt soll als kriminelle Ordnungsstörung verselbständigt und i n das Strafgesetzbuch aufgenommen werden 3 1 2 . I n seiner Schrift „ V o m Wesen des Täters" hat E. Wolf seine Lehre noch einmal aufgenommen: Die dem Täter der Verwaltungsdelikte eigene typische Verfallsweise der Rechtsperson sei die „sozial-inaktive Einstellung" (eine „negativ-individualistische Haltung"), i n der sich der „Täterschaftstypus der Gemeinlässigkeit" zeige (ein Gleichgültigbleiben gegenüber dem gesinnungsmäßigen Aufruf zu rechtlicher Personaktivierung). Die beiden Gebiete strafbaren Tuns unterschieden sich mithin „nicht i n der Tatbestandsmäßigkeit, nicht i m Unrecht, nur zum Teil in der Schuld, wohl in der Täterschaftsmäßigkeit" 313 . Aber auch E. Wolfs Schrift vermochte das Verwaltungsstraf recht nicht mehr zu retten 3 1 4 , und so konnte Ν agier 1944 i m Leipziger Komment a r 3 1 5 feststellen, daß die „Bewegung zugunsten einer eigenartigen Verwaltungsstrafe . . . jetzt abgeflaut" sei. Die i n den dreißiger Jahren aufgekommene und insbesondere während des Krieges sehr verbreitete Ordnungsstrafe des Wirtschaftsverwaltungsrechts hatte mit der Lehre vom Verwaltungsstrafrecht nichts zu t u n 3 1 6 . 308
a.a.O., S. 562 ff., 574. a.a.O., S. 586. 310 a.a.O., S. 586. 311 a.a.O., S. 587. Die Verselbständigung des Verwaltungsstrafrechts forderte E. Wolf erneut i n „Krisis", S. 33. Vgl. ferner ZStW 54 (1935), S. 554 f. 312 Stellung, S. 587. 313 S. 30. 314 Nach der Abhandlung von E. Wolf t r a t der Gedanke des Verwaltungsstrafrechts (abgesehen von der Nachkriegszeit) n u r noch i n einzelnen Schriften hervor, ohne jedoch Bedeutung zu erlangen (so bei Hubernagel, DStr 1934, S. 225; Grau, D J 1935, S. 508; Rietzsch, DStr 1935, S. 67; derselbe, J W 1938, S. 1077 f.; u. a. Vgl. auch u. S. 165, A n m . 325, S. 171, A n m . 347, S. 173, Anm. 353). 315 6. Aufl. 1944, Vorbem. vor § 13, S. 135. 309
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5. Das Ordnungsstrafrecht a) Die Lehre von den Ordnungswidrigkeiten als dem nichtkriminellen Unrecht A l s Nagler d i e e r w ä h n t e F e s t s t e l l u n g t r a f , h a t t e sich bereits eine neue B e w e g u n g z u m A n g r i f f auf die E i n h e i t des Strafrechts gerüstet, die als L e h r e v o n d e n b l o ß e n O r d n u n g s w i d r i g k e i t e n b e k a n n t g e w o r d e n ist. Seit d e r A u f k l ä r u n g h a t t e m a n i m m e r w i e d e r , w e n n auch n i c h t u n w i d e r s p r o c h e n , d i e V e r s c h i e d e n h e i t v o n Recht u n d S i t t l i c h k e i t b e h a u p t e t u n d dabei z u w e i l e n d i e T r e n n u n g b e i d e r N o r m b e r e i c h e i n ü b e r t r i e b e n e r Weise b e t o n t . H i e r g e g e n w e n d e t e sich n u n eine i m V e r l a u f e der d r e i ß i g e r J a h r e stets wachsende B e s t r e b u n g , die R e c h t s o r d n u n g u n d insbesondere das S t r a f r e c h t a u f eine ethische G r u n d l a g e z u s t e l l e n u n d sie aus d e n s i t t l i c h e n A n s c h a u u n g e n der Rechtsgemeinschaft z u b e g r ü n d e n , u m so „ d a s Recht auf die v ö l k i s c h e S i t t e n o r d n u n g z u r ü c k z u f ü h r e n u n d — sow e i t m ö g l i c h — rechtliche u n d s i t t l i c h e W e r t u n g i n E i n k l a n g z u b r i n g e n " 3 1 7 . Das V e r b r e c h e n w u r d e d a m i t z u e i n e m V e r s t o ß gegen d i e S i t t e n o r d n u n g 3 1 8 ; m a n w o l l t e i n i h m n i c h t m e h r d i e R e c h t s g u t v e r l e t z u n g , sond e r n die e t h i s c h - m o r a l i s c h v e r w e r f l i c h e T a t 3 1 9 , i n der sich der v e r b r e cherische (gemeinschaftswidrige, böse) W i l l e b e k u n d e ( W i l l e n s s t r a f r e c h t ) , die Pflichtverletzung sehen320. 318
Siehe dazu näher u. S. 167 ff. Schaff stein, ZStW 57 (1938), S. 301. Vgl. auch Sauer, GS 103 (1933), S. 22: ,„Ethisierung' des Rechts ist eines der dringendsten Gebote der Gegenwart; unter seinem Zeichen ist die Revision der Strafrechtsreform zu vollziehen." 318 Eine Handlung, „welche i n unerträglichem Widerspruch zur völkischen Sittenordnung Geltung i n der äußeren W e l t beansprucht" (H. Mayer, Strafrecht des Deutschen Volkes, S. 70; D S t r 1938, S. 78). 319 „Rechtsgrund der Strafe ist das Verbrechen, d. i. die für die staatliche Gemeinschaft unerträgliche, sozial-ethisch besonders verwerfliche Handlung" (Welzel, Allgemeiner Teil, S. 13). 320 Vgl. insbesondere Schaffstein, Das Verbrechen als Pflichtverletzung; derselbe, Das Verbrechen eine Rechtsgutsverletzung?; derselbe, Rechtswidrigkeit u n d Schuld; derselbe, Rechtsgutsverletzungsdogma; Dahm, Verbrechen u n d Tatbestand; derselbe, Methodenstreit; derselbe, Verrat u n d Verbrechen; Gallas, K r i t i k der Lehre v o m Verbrechen als Rechtsgutsverletzung; H. Mayer, Strafrecht des Deutschen Volkes, S. 71 ff.; derselbe, Verbrechensbegriff; siehe auch H. Frank, Leitsätze, I, S. 20 f.; Denkschrift des preußischen Justizministers (Strafrecht, S. 116); Welzel, Allgemeiner Teil, S. 2 f. Gegen die sogenannte Kieler Schule (Dahm, Schaff stein) vor allem Schwinge-Zimmerl, Wesensschau u n d konkretes Ordnungsdenken, u n d Klee, Das Verbrechen als Rechtsguts- u n d als Pflichtverletzung; reserviert auch Mezger, Leitfaden, S. 49 f.; derselbe, Grundriß, S. 58 ff. ; Schönke, 1. Aufl., Vorbem. I 2 vor § 1 (Wesen des Verbrechens sei Rechtsguts- und Pflichtverletzung). I n etwa vermittelnd, aber doch den Pflichtverletzungs- u n d Treubruchsgedanken hervorhebend auch Maurach, Treupflicht u n d Schutzgedanke; derselbe, Handlungspflicht u n d Pflichtverletzung; u. a. m. Weitere L i t e r a t u r zur Frage des Willensstrafrechts besonders bei Mezger, Leitfaden, S. 27 f. Vgl. auch die Nachweise bei H. Mayer, Verbrechensbegriff; Dahm, ZStW 57 (1938), S. 225 ff.; Schaff stein, ZStW 57 (1938), S. 295 ff. Siehe ferner Nagler, GS 103 (1933), S. I ff.; Sauer, GS 103 (1933), S. 1 ff. 317
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Jedoch schienen diese K a t e g o r i e n der P f l i c h t v e r l e t z u n g , d e r T r e u w i d r i g k e i t b z w . des V e r r a t s 3 2 1 , der s i t t l i c h e n V e r w e r f l i c h k e i t u n d des G e l t u n g b e a n s p r u c h e n s eines bösen W i l l e n s i n der äußeren W e l t n i c h t a u f a l l e H a n d l u n g e n a n w e n d b a r z u sein, d i e m i t S t r a f e b e d r o h t w e r d e n sollten. I n m a n c h e n T a t e n g l a u b t e m a n k e i n e n „ u n e r t r ä g l i c h e n W i d e r s p r u c h z u r v ö l k i s c h e n S i t t e n o r d n u n g " finden z u k ö n n e n , ohne daß d a m i t aber schon i h r e S t r a f w ü r d i g k e i t w e g g e f a l l e n w ä r e . Solche H a n d l u n g e n m i t „ a n sich g e r i n g f ü g i g e r I m m o r a l i t ä t " 3 2 2 , d i e n i c h t das L e b e n der Rechtsgemeinschaft u n m i t t e l b a r b e r ü h r t e n 3 2 3 , s o l l t e n als „ b l o ß e Ordnungswidrigkeiten" aus d e m k r i m i n e l l e n S t r a f r e c h t ausgeschieden u n d i n e i n e m eigenen Ordnungsstrafrecht zusammengefaßt werden. „ N i c h t j e d e r A n g r i f f t r i f f t die V o l k s g e m e i n s c h a f t i n gleich schwerer Weise. V e r stöße, die n u r d i e R e g u n g s l o s i g k e i t gewisser f u n k t i o n e l l e r Lebensäußer u n g e n der V o l k s g e m e i n s c h a f t b e e i n t r ä c h t i g e n , b r a u c h e n n i c h t i m m e r m i t Strafsanktionen v e r s e h e n z u sein. D i e A h n d u n g solcher Verstöße ist i n e i n e m eigenen s e l b s t ä n d i g a u f z u b a u e n d e n O r d n u n g s s t r a f r e c h t z u r e g e l n 3 2 4 . " Es w u r d e auch a n g e f ü h r t , d i e O r d n u n g s w i d r i g k e i t e n s t ö r t e n 321
Treubruch u n d Verrat hob besonders Dahrn hervor; vgl. Verrat u n d V e r brechen; Verbrechen u n d Tatbestand, S. 46. 322 H. Mayer, Strafrecht des Deutschen Volkes, S. 72. Er sprach i n diesem Zusammenhang von „kleiner K r i m i n a l i t ä t " u n d „leichtem D e l i k t " . Über das „leichte D e l i k t " vgl. auch seine Dissertation (Zuchtgewalt u n d Strafrechtspflege), S. 114 ff. 323 Mezger, Grundriß, S. 12. 324 # Frank, Leitsätze, I, S. 26; Mezger, Grundriß, S. 12; derselbe, Leitfaden, S. 32; ähnlich Schönke, 1. Aufl., Vorbem. I I I vor §13 (die Ordnungswidrigkeiten verletzten nicht die „Gebote der völkischen Sittenordnung"; sie schlössen „keine sittliche Wertung" i n sich); Welzel, Allgemeiner Teil, S. 13 f.; vgl. ferner H. Mayer (der jedoch den Gedanken eines eigenständigen Ordnungsstrafrechts ablehnte; dazu weiter unten i m Text), Strafrecht des Deutschen Volkes, S. 72: k e i n unerträglicher Widerspruch des leichten Delikts zur v ö l k i schen Sittenordnung; geringfügige Immoralität. „ B e r u h t bei der echten K r i m i nalität die Strafe auf der unmittelbaren sittlichen Notwendigkeit der Vergeltung, auf der Notwendigkeit, die verletzte Sittenordnung i n ihrer Geltung wiederherzusellen, so beruht die Strafe bei der leichten K r i m i n a l i t ä t n u r auf dem Bedürfnis, die lex imperfecta i n eine lex perfecta zu verwandeln. Der Strafzwang t r i t t also nicht ein, w e i l an sich gerade Strafe notwendig wäre, sondern nur, w e i l kein anderes Zwangsmittel zu Gebote steht. Die Gleichartigkeit der Reaktion bedeutet also nicht Gleichartigkeit des gesamten Strafrechts." (Vgl. auch Verbrechensbegriff, S. 100.) Vgl. auch Rietzsch, DStr 1935, S. 66: Das k r i m i n e l l e Unrecht verstoße nicht n u r gegen die Gebote des Rechts, sondern auch gegen die der Ethik. Es werde als eine „Verletzung des Rechtsgefühls der Volksgemeinschaft" empfunden u n d erwecke ein „Bedürfnis nach Integration". Das nichtkriminelle Unrecht betreffe zwar Regeln, die auch „ i m Interesse eines geordneten Zusammenlebens" erlassen worden seien, aber „keine Parallele i n Geboten der E t h i k " hätten (künstlich geschaffene Gebote aus Zweckmäßigkeitsgründen). — A u f den Schutzgedanken stellte die Denkschrift des preußischen Justizministers ab. Danach dient das K r i m i n a l s t r a f recht „ n u r dem unmittelbaren Schutze der Daseinsberechtigungen des Volkes gegen Rechtsverletzungen". Tatbestände „reinen polizeilichen Ungehorsams" sollten daher aus dem Strafgesetzbuch ausscheiden (Strafrecht, S. 112).
V. Die Lehre v o m Polizeistraf recht usw.
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n i c h t „ d i e i n n e r e O r d n u n g der G e m e i n s c h a f t " , s o n d e r n n u r d i e „ ä u ß e r e O r d n u n g des Z u s a m m e n l e b e n s " , b e i der es sich u m „ r e i n e F r a g e n d e r Z w e c k m ä ß i g k e i t " h a n d l e , d i e m i t d e n G e b o t e n der E t h i k nichts z u t u n hätten325. D e r Entwurf 1936 (Gürtner-Entwurf) e n t h i e l t bereits k e i n e U b e r t r e t u n g s t a t b e s t ä n d e m e h r . E r w o l l t e n u r die „ w i r k l i c h e n " V e r b r e c h e n (das „ k r i m i n e l l e S t r a f r e c h t " ) 3 2 6 a u f n e h m e n , w ä h r e n d das O r d n u n g s s t r a f r e c h t e i n e m besonderen O r d n u n g s s t r a f g e s e t z b u c h v o r b e h a l t e n b l e i b e n sollte. Zwischen Kriminalstrafrecht u n d Ordnungsstrafrecht w u r d e zwar ein Wesensunterschied a n g e n o m m e n 3 2 7 , aber a l l g e m e i n zugegeben, daß sie d u r c h k e i n e feste Grenze g e t r e n n t seien u n d die B e u r t e i l u n g i m E i n z e l f a l l e j e nach d e n gegebenen U m s t ä n d e n wechseln k ö n n e 3 2 8 . D e r O r d n u n g s s t r a f e l e g t e m a n k e i n sittliches U n w e r t u r t e i l bei, das m i t d e r k r i m i n e l l e n Strafe einhergehe 329. V o n diesem O r d n u n g s s t r a f recht f ü h r t e j e d o c h noch k e i n W e g z u m S t r a f r e c h t der V e r w a l t u n g . D a h e r w u r d e z w a r eine v o r l ä u f i g e S t r a f festsetzungsbefugnis v o n V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n i n A u s s i c h t g e n o m m e n , 325 Dahm, Verrat u n d Verbrechen, ZgesStaatsW 95 (1935), S. 284 (siehe auch Verbrechen u n d Tatbestand, S. 39); Rietzsch, DStr 1935, S. 67; Schmid, R V e r w B l . 1936, S. 198. Die Verletzung von Ordnungsvorschriften, die der einzelne nicht von selbst kennen könne, sondern auf die er hingewiesen werden müsse, beweise „nicht ohne weiteres" einen verbrecherischen Willen, sondern n u r einen Mangel an Sinn f ü r Ordnung u n d die Gebote des Zusammenlebens i n der Volksgemeinschaft, auf den anders reagiert werden müsse als auf einen verbrecherischen W i l l e n (Rietzsch, a.a.O.). — I n der Formulierung von Rietzsch kehrten manche Gedanken der Verwaltungsstrafrechtstheorie wieder, ohne daß aber die Verbindung m i t den veränderten Grundsätzen so recht k l a r würde. Einen Verstoß gegen die „Gebote des Zusammenlebens i n der Volksgemeinschaft" u n d einen „Mangel an Sinn" für diese Gebote sollte doch w o h l auch das K r i m i n a l d e l i k t darstellen? Solche an der Verwaltungsstrafrechtstheorie orientierten Wendungen mußten notwendig inhaltsleer werden, sobald sie unter den Voraussetzungen des wesentlich geänderten Verbrechensbegriffs vorgebracht wurden. 326 Mezger, Grundriß, S. 13; derselbe, Leitfaden, S. 32. 327 So Mezger, a.a.O.; Rietzsch, D S t r 1935, S. 66; w o h l auch Welzel, Allgemeiner Teil, S. 13 f.; Dahm, Verbrechen u n d Tatbestand, S. 39. Eindeutig gegen einen qualitativen Unterschied jedoch H. Mayer, Straf recht des Deutschen Volkes, S. 87 ff. (nur Scheidung i n leichte u n d schwere Delikte nach der Quantität des Unrechtsgehalts). 328
Welzel, a.a.O., S. 14; Mezger, Leitfaden, S. 32; derselbe, Grundriß, S. 13 (die Grenzziehung sei Sache der Wertung, die sich i m Laufe der Zeit ändern könne); Rietzsch, DStr 1935, S. 74 (restlose Durchführung der Unterscheidung weder möglich noch erforderlich; auch Mischtatbestände denkbar. Auch sogenanntes Bagatellstrafrecht gehöre zum Ordnungsstrafrecht) ; w o h l auch Schönke, 1. Aufl., A n m . I I I vor § 13. 329 Vgl. H. Frank, Leitsätze, S. 26 f.; Schönke, a.a.O.; Rietzsch, DStr 1935., S. 72 f. Welzel hielt die Ordnungsstrafe p r i m ä r für eine „Zweckmaßnahme" (a.a.O., S. 14). H. Mayer leugnete einen wesentlichen Unterschied zwischen K r i m i n a l - u n d Ordnungsstrafe („Gleichheit der Reaktion": S traf recht des Deutschen Volkes, S. 72).
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1. Teil: Geschichtliche E n t w i c k l u n g
wobei die Sache durch Einspruch an den Amtsrichter (Friedensrichter) gelangen sollte 3 3 0 , i m übrigen aber die Meinung vertreten, „daß für die Entscheidung die Gerichte zuständig bleiben müssen" 331 . Die Gesetzgebung hat die Lehre vom Ordnungsstrafrecht nicht beeinflussen können. Auch i n der Literatur ist sie nicht unwidersprochen geblieben, selbst bei denen nicht, die die „Ethisierung des Rechts" begrüßten. Goetzeler lehnte den Gedanken des „ethisch-indifferenten" Ordnungswidrigkeitenrechts entschieden ab. Für ihn war die „ethische Fundierung der Normen ohne Belang für die rechtliche Qualifikation des Unrechts; ihre Bedeutung liegt ausschließlich auf quantitativem Gebiet" 3 3 2 . Es ginge auch nicht an, Verwaltungsbefehle und Verwaltungsdelikte für ethisch gleichgültig zu erklären 3 3 3 . Vor allem wandte er sich gegen die Vorstellung, daß die Gebote des Zusammenlebens ohne eigentliche sittliche Verpflichtung seien. Die individuelle Ungebundenheit dürfe nicht höhergestellt werden als die zum Miteinanderleben in der Rechtsgemeinschaft unentbehrliche Selbstbeschränkung. Jeder einzelne habe die ethische Pflicht zur Entfaltung seiner Staatsgesinnung. — Die Annahme eines qualitativen Unterschiedes wie überhaupt die Lehre von der ethischen Indifferenz gewisser strafbarer Handlungen verwarf sodann insbesondere Hellmuth Mayer 334. Alle staatliche Tätigkeit strebe auf ein einheitliches Ziel, „nämlich die gerechte Ordnung aller Lebensverhältnisse, wie sie dem Sittengesetz des Volkes und seinen Lebensnotwendigkeiten entsprechen". Das Ziel der gerechten sittlichen Ordnung hätten alle Zweige der Staatstätigkeit gemein. Viele geringfügige K r i m i naldelikte seien nicht mehr als eine Ordnungswidrigkeit, und das Maß der in polizeiwidrigen Handlungen „immerhin enthaltenen Immoralität" sei „gar nicht so unbeträchtlich" 3 3 5 . Jede strafbare Handlung, auch das leichte Delikt, sei „moralisch bedenklich" 3 3 6 . Entschieden gegen die Lehre 330
H. Frank, Leitsätze, S. 27; Rietzsch, DStr 1935, S. 69 ff., bes. S. 72. Rietzsch, DStr 1935, S. 74. 332 S. 24. 333 S. 26. 334 Strafrecht des Deutschen Volkes, S. 87 ff. Dort auch Ablehnung der V e r waltungsstrafrechtstheorie. 335 ζ. B. Gefährdung oder Vernichtung der Obsternte der fleißigen Nachbarn durch unterlassenes Raupen, Gefährdung von Leib u n d Leben anderer durch Übertretung der Verkehrsvorschriften (a.a.O., S. 89). 336 a.a.O., S. 89. Auch H. Mayer trat f ü r eine besondere Behandlung des leichten Delikts ein. Anstelle des Namens „Ordnungsstrafrecht" schlug er die Bezeichnung „Polizeistrafrecht" vor, w e i l sie am besten ausdrücke, daß das leichte D e l i k t zwar energisch geahndet, der Täter aber nicht als persönlich belastet betrachtet werde solle (außerdem habe die Polizeistrafgerichtsbarkeit historisch nichts anderes bedeutet als die „Straf justiz über die leichte K r i m i n a lität"). Insoweit traf er sich wieder m i t der angeführten Lehre von den Ordnungswidrigkeiten (vgl. auch o. S. 164, Anm. 324). Über die Vorschläge zur A u s gestaltung des Rechts der kleinen K r i m i n a l i t ä t vgl. a.a.O., S. 89 ff. V o r allem sollte der Amtsrichter zur A b u r t e i l u n g berufen sein (S. 90). 331
V . D i e L e h r e v o m Polizeistrafrecht usw.
von den bloßen Ordnungswidrigkeiten, die aus dem Strafrecht ausgeschieden werden müßten, sprach sich sodann noch Nagler aus 337 . b) Die Ordnungsstrafgewalt
der Wirtschaftsverwaltungsbehörden
aa) Der Rechtszustand Das Ordnungsstrafrecht i m vorbezeichneten Sinne hat die Strafgewalt der Verwaltungsbehörden nicht notwendig zur Folge, wie die Lehre denn auch in der Regel nur eine vorläufige Strafverfügungsbefugnis von Verwaltungsbehörden befürwortete, soweit sie nicht überhaupt ein Strafrecht der Verwaltung ablehnte. Tatsächlich wurden aber die Verwaltungsbehörden — und zwar fast ausschließlich i n Wirtschaftsstrafsachen — i m Laufe der dreißiger Jahre und insbesondere während des Krieges m i t stets wachsenden Strafbefugnissen ausgestattet. Dies konnte nicht auf einer gesetzlichen Anerkennung der Lehre von den bloßen Ordnungswidrigkeiten beruhen, sondern mußte andere Gründe haben, auch wenn die von der Verwaltung auszusprechenden Strafen durchweg „Ordnungsstrafen" hießen. So reichen die Anfänge der Ordnungsstrafe i n der Wirtschaft i n die Zeit vor der dargestellten Lehre von den Ordnungswidrigkeiten zurück 3 3 8 . Sie bildete sich — zunächst vereinzelt, von 1934 an i n immer größerem Umfang — heraus, sobald der Staat sich genötigt sah, leitend und gestaltend in das Wirtschaftsleben einzugreifen, um seine w i r t schaftspolitischen Ziele erreichen und der wachsenden Schwierigkeiten auf wirtschaftlichem Gebiet Herr werden zu können, sowie eine sich fortschreitend weiter ausdehnende Wirtschaftsverwaltung aufzubauen, mit deren Hilfe er die Wirtschaft einheitlich lenken konnte. Die Ordnungsstrafe war schließlich ein Mittel, das — neben anderen — dazu dienen sollte, eine neue Ordnung des gesamten Wirtschaftslebens durchzusetzen. Es zeigt sich insofern eine gewisse Parallele zur Entstehung des historischen Polizeistrafrechts, als auch hier — allerdings nur auf einem beschränkten Lebensgebiet — eine neue Ordnung errichtet werden sollte, 337
L K , 6. Aufl., Vorbem. vor § 13, S. 138 ff. Sie k a m ζ. B. vor i n § 71 des Börsengesetzes i. d. F. vom 27. M a i 1908 (RGBl. S. 215), i n § 17 der Kartellverordnung vom 2. November 1923, RGBl. I S. 1067 (Ordnungsstrafe i n Geld i n unbeschränkter Höhe, v o m Kartellgericht ausgesprochen), ferner etwa i n verschiedenen Notverordnungen (vom 26. J u l i 1930, RGBl. I S. 311; 8. Dezember 1931, RGBl. I S. 699) des Reichspräsidenten (vgl. Rietzsch, J W 1938, S. 776; Meeske, D J 1936, S. 110). Ordnungsstrafen waren außerdem vor allem i n den Sozialversicherungsgesetzen angedroht. Auch die Reichsabgabenordnung sprach i n §413 (früher §377) von „Ordnungsstrafe" (vgl. o. S. 153). Befugnisse der Verwaltungsbehörden zur Verhängung von ( k r i minellen) Strafen kannten ferner ζ. B. das Reichspostgesetz v o m 28. Oktober 1871, RGBl. S. 347 (§§ 34 ff.), die Seemannsordnung v o m 2. J u n i 1902, RGBl. S. 175 (§§ 122 ff.), die Paßstrafverordnung v o m 6. A p r i l 1923, RGBl. I S. 249 (§ 3). 338
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1. T e i l : Geschichtliche E n t w i c k l u n g
für die andere Grundsätze als früher zu gelten hatten, und ihre Einführung und Wahrung meist neu geschaffenen Stellen übertragen w u r de, die jene Grundsätze vertraten und nach Beseitigung des Gewaltenteilungsprinzips umfassende Machtbefugnisse — auch i n rechtsetzender und rechtsprechender Hinsicht — erhielten. Der Staat bemühte sich, ein bisher von seiner Überwachung verhältnismäßig wenig berührtes Lebensgebiet seiner einheitlichen Leitung zu unterwerfen, die seiner Zielsetzung hinderlichen Widerstände zu beseitigen und eine neue, nach gleichen Grundsätzen tätige und straffe Verwaltung aufzubauen. Der gesamte Wirtschaftsapparat erschien als Instrument in der Hand des Staates; die Wirtschaft war nicht mehr i n erster Linie Betätigungsfeld der einzelnen zur Erzielung von Gewinnen, sondern hatte vorwiegend (im Kriege ausschließlich) den Staats- und Gesamtinteressen zu dienen. Ein Mittel, die wirtschaftspolitischen Absichten des Staates zu verwirklichen, die Widerstände aus Wirtschaftskreisen zu beseitigen und überhaupt alle am Wirtschaftsleben Beteiligten i n das Bemühen um die Erreichung wirtschaftspolitiischer Ziele eingliedern zu können, bildete eine der Verwaltung übertragene Strafgewalt. Zwar wäre die Gerichtsorganisation zur Ausübung der staatlichen Strafbefugnisse auch i n diesem Bereich vorhanden gewesen, doch fehlte der Justiz die für die rasche Durchsetzung wirtschaftspolitischer Maßnahmen erforderliche Schnelligkeit und Elastizität i n der Straf an wendung; für das neu entstandene Gebiet der gelenkten Wirtschaft m i t seinen veränderten Grundsätzen erschien sie, insbesondere wohl auch wegen ihrer Unabhängigkeit, zur Strafverfolgung vielfach weniger geeignet als die mit der Materie und den w i r t schaftspolitischen Erfordernissen besser vertrauten und weisungsgebundenen Wirtschaftsverwaltungsstellen. Wenn die Strafbefugnis i n einer für die wirtschaftspolitischen Ziele erfolgreichen Weise gehandhabt werden sollte, so war eine schnelle und den wirtschaftspolitischen Grundsätzen entsprechende Reaktion erforderlich, für die sich weitgehend die wirtschaftsleitenden Stellen selbst in erster Linie anboten. Freilich hatte dies nicht die völlige Ausschaltung der Gerichte zur Folge; bei relativ schweren Taten von mehr als augenblicklicher Bedeutung, die auch meist eine eingehendere Untersuchung erforderten und schon deshalb nicht schnell erledigt werden konnten, sollte weiterhin die Justiz zuständig sein. Vor allem jedoch die vielen kleineren Verstöße, die i n ihrer Masse für die gelenkte Wirtschaft gefährlicher waren als vereinzelte grobe Zuwiderhandlungen, mußten bei der gegebenen Zielsetzung notwendig in die Zuständigkeit der Verwaltung fallen, die die ihr verliehene Strafgewalt zur Durchsetzung der Wirtschaftsordnung anzuwenden hatte. Eine wichtige Rolle bei der Ausgestaltung des sogenannten Ordnungsstrafrechts der Verwaltung i m Wirtschaftsrecht spielte die sich anbahnende korporative Staatsauffassung, i n deren Zug es lag, für die Angehörigen eines Standes ein besonderes Recht und damit auch Strafrecht
V . D i e L e h r e v o m Polizeistrafrecht usw.
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zur Sanktionierung der ihnen als solchen obliegenden Pflichten zu schaffen. Besonders für den Reichsnährstand bildete sidri ein solches Recht heraus (vgl. das grundlegende „Gesetz über den vorläufigen Aufbau des Reichsnährstandes und Maßnahmen zur Markt- und Preisregelung für landwirtschaftliche Erzeugnisse" vom 13. September 1933, RGBl. I S. 626). Den mit der Durchführung des Rechts der Ernährungs Wirtschaft betrauten Stellen wurden weitgehende Hoheitsbefugnisse übertragen, die sie innerhalb gewisser Grenzen zu eigener Rechtsetzung, Verwaltung und Rechtsprechung i m persönlichen und sachlichen Bereich des „Nährstandes" ermächtigten. Die Strafe innerhalb dieses Sonderrechtskreises war die von ihnen zu verhängende sogenannte „Ordnungsstrafe", während die sogenannte kriminelle Strafe auf die schwerwiegenden Verstöße beschränkt wurde, deren Ahndung man den korporativen Stellen nicht überlassen wollte 3 3 9 . Die von der Verwaltung auszusprechende Ordnungsstrafe kam i n zahlreichen Wirtschaftsstrafgesetzen vor 3 4 0 . I h r Anwendungsgebiet nahm vor allem i m Kriege einen ausgedehnten Umfang an. Nach manchen Wirtschaftsgesetzen erstreckte es sich auf alle i n ihnen mit Strafe bedrohten Handlungen, fiel also mit dem der von den Gerichten zu verhängenden (sogenannten kriminellen) Strafe zusammen. Ob i m Einzelfalle gerichtlich bestraft oder auf eine Ordnungsstrafe erkannt werden sollte, hatte meistens die zuständige Verwaltungsbehörde zu entscheiden, der zu diesem Zweck das alleinige Recht eingeräumt war, die Strafverfolgung zu „verlangen". Uberwiegend fehlten gesetzliche Richtlinien für 330 Uber die E n t w i c k l u n g u n d Ausgestaltung des Wirtschaftsstrafrechts, vor allem i m Hinblick auf den Anwendungsbereich der Ordnungsstrafe vgl. insbesondere Rauch, ZStW 58 (1939), S. 75 ff.; Rietzsch, J W 1938, S. 773 ff., S. 1073 ff.; Meeske, D J 1936, S. 109 ff.; derselbe, Die Ordnungsstrafe i n der Wirtschaft; Siegert, Deutsches Wirtschaftsstrafrecht, jeweils m i t weiteren Nachweisen. Uber das Kriegswirtschaftsstrafrecht (Rechtsvorschriften u n d Literatur) vgl. die Angaben bei Grau-Krug-Rietzsch u n d Rietzsch-Per en-Schneider. Siehe auch die Einführung zu Schneider/Peren/Zee-Heraeus. 340 Unter der großen Z a h l der Wirtschaftsgesetze seien hervorgehoben: das (grundlegende) Gesetz über wirtschaftliche Maßnahmen v o m 3. J u l i 1934 (RGBl. I S. 565), die V O über den Warenverkehr v o m 4. September 1934 (RGBl. I S. 816) i. d. F. der V O v o m 11. Dezember 1942, die V O über Preisüberwachung v o m 11. Dezember 1934 (RGBl. I S. 1245), die V O über das Verbot von Preiserhöhungen (Preisstoppverordnung) v o m 26. November 1936 (RGBl. I S. 955; durch die Preisstrafrechtsverordnung 1939 teilweise aufgehoben), die V O über Strafen u n d Strafverfahren bei Zuwiderhandlungen gegen Preisvorschriften (Preisstrafrechtsverordnung) v o m 3. J u n i 1939 (RGBl. I S. 999), geändert durch V O v o m 28. August 1941 (RGBl. I S. 539), Neufassung durch V O v o m 26. Oktober 1944 (RGBl. I S. 264), die Kriegswirtschaftsverordnung v o m 4. September 1939 (RGBl. I S. 1609) i. d. F. der V O v o m 25. März 1942 (RGBl. I S. 147), die V O über Strafen u n d Strafverfahren bei Zuwiderhandlungen gegen V o r schriften auf dem Gebiet der Bewirtschaftung bezugsbeschränkter Erzeugnisse (Verbrauchsregelungsstrafverordnung) v o m 6. A p r i l 1940 (RGBl. I S. 610) i. d. F. v o m 26. November 1941 (RGBl. I S. 734).
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1. T e i l : Geschichtliche E n t w i c k l u n g
diese E n t s c h e i d u n g 3 4 1 . N a c h m a n c h e n Gesetzen s o l l t e e i n gerichtliches S t r a f v e r f a h r e n s t a t t f i n d e n , w e n n „ e i n öffentliches Interesse a n der H e r b e i f ü h r u n g einer gerichtlichen Entscheidung" bestand342. Nach Ziff. I V Buchst, c) der A V des R e i c h s j u s t i z m i n i s t e r s v o m 1. A p r i l 1942 ( 9 1 3 4 / 1 — I I I a 4 571) 3 4 3 zu § 1 a der K r i e g s w i r t s c h a f t s v e r o r d n u n g i. d. F. v o n 1942 i. V . m i t § 4 der V e r b r a u c h s r e g e l u n g s s t r a f v e r o r d n u n g i. d. F. v o n 1941 h a t t e i m Z w e i f e l d i e S t a a t s a n w a l t s c h a f t d a r ü b e r zu befinden, ob e i n ö f f e n t liches Interesse v o r l a g 3 4 4 . B e i der V e r h ä n g u n g der O r d n u n g s s t r a f e v e r f u h r e n die V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n nach d e m O p p o r t u n i t ä t s p r i n z i p . D i e H ö h e der G e l d s t r a f e w a r v i e l f a c h (besonders i n Kriegsgesetzen) u n b e schränkt. I n d e n E i n z e l r e g e l u n g e n (bezüglich des A n w e n d u n g s g e b i e t e s , d e r H ö h e der O r d n u n g s s t r a f e n , sonstiger a l l g e m e i n e r V o r s c h r i f t e n u n d V e r f a h r e n s b e s t i m m u n g e n ) w i c h e n die Gesetze o f t n i c h t u n e r h e b l i c h v o n e i n a n d e r ab. So k o n n t e n nach m a n c h e n Gesetzen d i e G e r i c h t e gegen d e n O r d n u n g s s t r a f b e s c h e i d der V e r w a l t u n g s b e h ö r d e a n g e r u f e n w e r d e n ; m e i stens w a r aber n u r B e s c h w e r d e a n eine h ö h e r e V e r w a l t u n g s b e h ö r d e möglich. D i e n i c h t b e i t r e i b b a r e O r d n u n g s s t r a f e k o n n t e h ä u f i g i n eine Ersatzfreiheitsstrafe u m g e w a n d e l t w e r d e n 3 4 5 . 341 So ζ. B. i n §§ 13 ff. der V O über Preisüberwachung 1934, § 4 der Preisstoppverordnung 1936, § 4 der VO über Preisbildung für ausländische Waren (Auslandswarenpreisverordnung) v o m 15. J u l i 1937 (RGBl. I S. 881), §§ 6, 8 der Preisstrafrechtsverordnung 1939/1944 usw. 342 So § 15 Abs. 1 der V O über den Warenverkehr i. d. F. von 1942; ähnlich § 4 Abs. 1 der Verbrauchsregelungsstrafverordnung i. d. F. von 1941. 343 D J 1942, S. 238. 344 Nach Ziff. V a.a.O. sollte ein öffentliches Interesse an der gerichtlichen Strafverfolgung insbesondere angenommen werden, „ w e n n die Schuld des Täters so schwerwiegend erscheint, daß Freiheitsstrafe oder mindestens eine gerichtliche Geldstrafe m i t der W i r k u n g der Eintragung i n das Strafregister u n d i n das polizeiliche Führungszeugnis zur Kennzeichnung des Täters geboten erscheint, wenn m i t dem Vergehen nach § 1 a der Kriegswirtschaftsverordnung eine Verfehlung tatsächlich oder rechtlich zusammentrifft, die durch die Justizbehörden von Amts wegen zu verfolgen ist, wenn zur A u f k l ä r u n g des Sachverhalts eidliche Vernehmungen stattfinden oder andere den Justizbehörden vorbehaltene Zwangsmittel angewendet werden müssen, wenn zweifelhafte Rechtsfragen zu lösen sind, wenn am Tatort sich gleichartige Straftaten häufen, so daß ihre Erörterung i n öffentlicher Hauptverhandlung und durch Berichte i n der Presse sachgemäß erscheint. — Der Umstand allein, daß eine hohe V e r mögensstrafe geboten erscheint, rechtfertigt die Annahme eines öffentlichen Interesses noch nicht, da die Preisüberwachungsstellen Ordnungsstrafen i n Geld i n unbeschränkter Höhe festsetzen u n d daneben gegebenenfalls auch Betätigungsverbote u n d Geschäftsschließungen anordnen können." Beachtenswert auch § 4 Abs. 2 der V O über den marktmäßigen Absatz von Holz vor und nach dem Einschlag v o m 30. A p r i l 1938, RGBl. I S. 458 (nach § 4 Abs. 1 hing die gerichtliche Strafverfolgung von einem entsprechenden A n t r a g des Reichsforstmeisters ab) : „ I s t die Schuld eines Zuwiderhandelnden u n d die A u s w i r k u n g der Zuwiderhandlung gering, so k a n n der Reichsforstmeister Ordnungsstrafen bis zur Höhe von 1000,— R M verhängen." — Hier k a m es also auf die Schuld u n d die Tatfolgen an. 345 ζ. B. nach § 12 der Verbrauchsregelungsstrafverordnung 1941, § 4 Abs. 3 der Preisstoppverordnung 1936.
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Diese wenigen Andeutungen zeigen bereits, daß mit dem Ordnungsstrafrecht der Wirtschaftsgesetzgebung nicht etwa wesensmäßig voneinander verschiedene Justiz- und Verwaltungsdelikte getrennt oder „bloße", sittlich indifferente Ordnungswidrigkeiten aus dem sogenannten Kriminalstrafrecht ausgeschieden werden sollten. Daher war das Bemühen, das Ordnungsstrafrecht der Wirtschaft in solcher Weise zu erklären, von vornherein zum Scheitern verurteilt (wie ja auch ehedem das geschichtlich gewordene Polizeistrafrecht i n den Erklärungsversuchen der Polizeistrafrechtstheorien nicht aufging). Dennoch wurden derartige Versuche unablässig unternommen. Durch die Verknüpfung der Lehre vom ethisch indifferenten, aber dennoch strafbaren Unrecht mit der von der staatspolitischen Entwicklung bedingten Strafkompetenz der Verwaltung (also zweier heterogener Gedanken) bildete sich die — erst nach dem Kriege voll wirksam gewordene — Lehre von den Ordnungswidrigkeiten heraus, deren Ahndung in den Bereich der Verwaltung gehöre. bb) Die Literaturmeinungen M i t dem Ordnungsstrafrecht in der Wirtschaft beschäftigte sich eine recht umfangreiche L i t e r a t u r 3 4 6 , die aber keine Klärung der Problematik brachte. Die wesentlichen Entwicklungslinien wurden häufig nicht erkannt oder doch nicht i n ihrer Bedeutung für die Ordnungsstrafe genügend gewürdigt, ferner Gesichtspunkte der Verwaltungsstrafrechtstheorie m i t solchen der Lehre von den ethisch indifferenten Ordnungswidrigkeiten vermengt, was einer richtigen Erkenntnis nicht förderlich sein konnte 3 4 7 . Manche behaupteten, die Ordnungsstrafe sei eine aus der 346 Als wichtig seien außer der bereits genannten (vgl. o. S. 169, Anm. 339) noch hervorgehoben: Meeske, DStr 1936, S. 152 ff.; derselbe, D J 1936, S. 1321 ff.; derselbe, HdR. V I I I , S. 486 f.; Siegert, J W 1938, S. 1526 ff.; Hubernagel, Str. Abh., H. 363; Pechstein, Str. Abh., H. 426; Roeder, Str. Abh., H. 387; Schmid, R V e r w B l . 1936, S. 197 ff.; siehe auch u. A n m . 347. 347 So wollte etwa Rauch aus der Lehre v o m Verwaltungsstrafrecht die „grundlegende u n d bedeutsame Einsicht" übernehmen, daß der Unterschied zwischen Ordnungs- u n d Kriminalstrafe „ k e i n n u r quantitativer, sondern ein qualitativer" sei — obwohl er bemerkte, daß diese Lehre wegen ihres „Zusammenhanges m i t der A n t i t h e t i k von Justiz u n d Verwaltung, von Rechtsstaat und Wohlfahrtsstaat . . . als Kennzeichnung f ü r eine Institution, die auf dem Boden der neuen Staats- u n d Volksordnung emporwächst", untauglich war. Welche „grundlegende" Einsicht bleibt dann v o m Verwaltungsstrafrecht noch übrig? So k a m denn auch Rauch zu keinem weiteren als dem dürftigen Ergebnis, daß die Abgrenzung zwischen beiden S traf arten sich „aus der A r t u n d dem Charakter der Tat, d. h. der Tat u n d des Täters", ergebe. „ I n Fällen, i n denen durch Tat u n d Täter die völkische Ordnung u n m i t t e l b a r berührt ist, bedarf es k r i m i n e l l e r Bestrafung." Wichtig für die Abgrenzung sollte neben der Schwere u n d den Umständen der Tat „die Stärke der Ordnungsfeindlichkeit des Täters" sein (alles ZStW 58 [1939], S. 96). — Auch i n einigen Dissertationen wurde auf Gesichtspunkte der Verwaltungsstrafrechtstheorie zurückgegriffen: Kunz, Die Rechtsnatur der Ordnungsstrafe i m Recht der landwirtschaftlichen Marktordnung, Kölner Diss., Würzburg, 1936; Säumenicht, Die verwaltungs-
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Rechtsstrafe ausgesonderte Verwaltungsstrafe 3 4 8 ; andere nahmen eine ethisch neutrale Rechtsstrafe oder von der eigentlichen Rechtsstrafe verschiedene ethisch neutrale Ordnungsstrafe 349 an. Nach weiteren Meinungen sollte die Ordnungsstrafe eine Parallele zur Disziplinarstrafe (Ordnungsstrafe des Dienststrafrechts 350 ) oder eine neuartige Verbandsstrafe rechtliche Wesensart der Ordnungsstrafe i n der Wirtschaft, Diss. Hamburg, 1939; Jebens, Z u r Theorie des Verwaltungsstrafrechts u n d des Verwaltungsstrafverfahrens, Freiburger Diss., Marburg, 1937; Schaper i n einer Jenenser Dissertation, Würzburg, 1939; vgl. ferner Braukmüller, Str. Abh., H. 422. Vgl. i n diesem Zusammenhang ferner Schmid, R V e r w B l . 1936, S. 197 ff. (das nichtk r i m i n e l l e Unrecht richte n u r Verwaltungsschaden an), u n d Roeder, Str. Abh., H. 387, bes. S. 32 f. (Gegensatz von „sittlichen Werten der Gemeinschaft u n d bloßen, auf ein möglichst störungsfreies Zusammenleben der I n d i v i d u e n abzielenden Zwecken"), die jedoch beide auf den Strafgedanken — Vergeltung u n d Sühne — nicht verzichten wollten. Schmid befürwortete, das W o r t „Strafe" zu vermeiden u n d statt dessen von „Bußgeld" u n d „ B u ß h a f t " u n d i m übrigen von „Rügeordnung" zu sprechen. — Auch die Ausführungen bei Rietzsch, J W 1938, S. 1077 f., entbehren i n dieser Hinsicht der nötigen Klarheit. Wenn er meint, die Ordnungsstrafe betreffe n u r ein ethisch nicht betontes Unrecht, eine Zuwiderhandlung lediglich gegen eine Maßnahme der Zweckmäßigkeit, der technischen Ordnung, der eine ethische Bedeutung nicht zukomme, so bleibt die entscheidende Frage unbeantwortet, weshalb denn gewisse Bestimmungen i m verwalteten Lebensraum eine bloß technische Regel u n g ohne ethischen Bezug darstellen sollen. Dieses Problem ist immer i m Verborgenen geblieben. Daß es, w e n n auch unausgesprochen, bei den Erörterungen von Rietzsch, Rauch, Meeske u. a. i m m e r m i t gestellt wurde, zeigt, daß die Gedanken des Verwaltungsstrafrechts i m Grunde — mindestens bei vielen — nicht überwunden waren. Die (oben angeführte) Lehre vom ethisch indifferenten Unrecht vermochte von sich aus weder diese konkrete Frage noch die A n t w o r t darauf hervorzubringen; dazu bedurfte es des Rückgriffs auf die Verwaltungsstrafrechtstheorie. H i e r liegt die Widersprüchlichkeit i n jener Lehre, wenigstens wie sie sich i n vielen Formulierungen darstellte u n d i m Wirtschaftsstrafrecht nutzbar gemacht werden sollte. Gegen die Annahme ethischer Indifferenz der m i t Ordnungsstrafe bedrohten Wirtschaftsdelikte denn auch Siegert, J W 1938, S. 2517 f .\Fritsch, JW 1938, S. 1625. 348 Kunz, S. 11 ff., 21 ff.; Rauch, ZStW 58 (1939), S. 96; vgl. auch Schmid, RVerwBl. 1936, S. 197 ff. 340 Pechstein, bes. S. 132; Rietzsch, J W 1938, S. 1077 f.; Meeske, DStr 1936, S. 157 ff.; derselbe, Ordnungsstrafe, S. 80. A l l e betonten die qualitative V e r schiedenheit von der ein U r t e i l über die sittliche Verwerflichkeit des Täters (Un Werturteil) enthaltenden K r i m i n a l s t r a f e. I n den Straf zwecken sah allerdings Rietzsch weitgehende Übereinstimmung zwischen beiden Straf arten (er bezeichnete die Ordnungsstrafe jedoch als Ungehorsamsstrafe, a.a.O., S. 1075), u n d auch Meeske gab zu, daß die Ordnungsstrafe ebenfalls an begangenes Unrecht anknüpfe u n d Sühnecharakter trage (was jedoch nicht entscheidend ins Gewicht falle; es handle sich u m eine „eigentümliche Maßregel des Wirtschaftsrechts", die dem Zwangsgeld nach §33 des preußischen P V G ähnele; D J 1936, S. 116. Außerdem sei die Ordnungsstrafe der Ubertretungsstrafe bzw. der niederen Kriminalstrafe nahe v e r w a n d t ; D S t r 1936, S. 165; D J 1936, S. 1321; ähnlich Beck, S. 30 ff.). 350 Hamann. „Beide wurzeln auf einem einheitlichen Rechtsboden: Sie sind besondere Strafmittel zur Gewährleistung der E r f ü l l u n g der aus einem Treuhandverhältnis gegenüber dem Berufsstand u n d damit auch gegenüber der Allgemeinheit sich ergebenden besonderen Pflichten" (Ordnungsstrafrecht als Standesrecht, wobei die Ordnungsstrafe echte Strafe, nämlich Sühne für begangenes Unrecht sei) ; S. 788.
V . D i e L e h r e v o m Polizeistrafrecht usw.
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( O r d n u n g s s t r a f e der w i r t s c h a f t l i c h e n S e l b s t v e r w a l t u n g , die zwischen d e r p r i v a t r e c h t l i c h e n V e r t r a g s s t r a f e u n d der ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n K r i m i n a l s t r a f e s t e h e 3 5 1 ) sein. E i n e l e t z t e A n s i c h t g i n g aber schließlich d a h i n , daß sie sich v o n d e r K r i m i n a l s t r a f e n u r g r a d u e l l unterschiede ( B a g a t e l l strafe als F o l g e g e r i n g e r e n U n r e c h t s g e h a l t e s 3 5 2 ) . M a t e r i e l l s o l l t e n sich k r i m i n e l l e T a t e n u n d O r d n u n g s w i d r i g k e i t e n i m W i r t s c h a f t s s t r a f r e c h t nach e i n e r L e h r e d a d u r c h unterscheiden, daß d i e ersten A n g r i f f e a u f die v ö l k i s c h e S i t t e n o r d n u n g e n t h i e l t e n (nicht n u r Gebote des Rechts, s o n d e r n zugleich solche der E t h i k v e r l e t z t e n ) , w ä h r e n d die l e t z t e n n u r gegen die technische O r d n u n g des W i r t s c h a f t s lebens v e r s t i e ß e n u n d d a h e r k e i n e s i t t l i c h e W e r t u n g i n sich t r ü g e n 3 5 3 . D i e d a m i t aufgestellte B e h a u p t u n g e i n e r q u a l i t a t i v e n V e r s c h i e d e n h e i t beider A r t e n strafbarer H a n d l u n g e n konnte jedoch nicht durchgehalten w e r d e n ; m a n gab zu, daß die U b e r g ä n g e fließend seien u n d eine scharfe U n t e r s c h e i d u n g sich n i c h t machen lasse 3 5 4 . A n d e r e sahen, daß das O r d 351 Merkel. Sie sei ihrem Wesen nach „Strafe, also Sühne u n d Erziehungsm i t t e l i m Rahmen einer Gemeinschaftsordnung", habe ihre Rechtsgrundlage jedoch i n einem „konkreten Gemeinschaftsverhältnis", i n dem sie ein „ M i t t e l zur Aufrechterhaltung einer konkreten Lebensordnung durch die konkrete Gemeinschaft als die Trägerin dieser Lebensordnung" sei (Erziehungsmittel zu gemeinschaftsgemäßer Berufshaltung u n d Lebensführung), S. 639 f. 352 Siegert, Wirtschaftsstrafrecht, S. 29 ff.; derselbe, J W 1938, S. 2516 ff.; Fritsch, J W 1938, S. 1623 ff.; Braukmüller, Str. Abh., H. 422, S. 16. 353 Rietzsch, JW 1938, S. 1077 f.; derselbe i n Grau-Krug-Rietzsch, S. 103; Rauch, ZStW 58 (1939), S. 96; Meeske, D J 1936, S. 115; derselbe, HdR. V I I I , S. 487. Besonders deutlich i n dieser Hinsicht Rietzsch: Das m i t Ordnungsstrafe bedrohte Verhalten sei k e i n ethisch betontes Unrecht (bei dem der Täter „die Stimme des jedem Menschen angeborenen Rechtsgewissens überhört" habe), sondern bewege sich auf Gebieten, „die zwar auch i m Interesse eines geordneten Zusammenlebens geregelt werden müssen, die aber keine Parallele i n Geboten der E t h i k haben. Es betrifft Normen, deren die Regierung zur Führung der Volksgemeinschaft bedarf, die sie aber nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten u n d nicht zur Sicherung der Gebote der E t h i k und der inneren Ordnung der Gemeinschaft, sondern zur Regelung äußerer mehr technischer Dinge aufstellt u n d daher häufig je nach den augenblicklichen Verhältnissen verschieden formt . . . Bedroht der Gesetzgeber ein Verhalten n u r m i t Ordnungsstrafe, so gibt er damit zu erkennen, daß er das durch Ordnungsstrafe geschützte Gebot lediglich als eine Maßnahme der Zweckmäßigkeit, der technischen Ordnung betrachtet, der eine ethische Bedeutung nicht z u k o m m t " (JW 1938, S. 1077 f.). Offenbar ist der Gesetzgeber nach Meinung Rietzschs dazu berufen, nicht n u r rechtliche, sondern auch ethische Gebote zu schaffen. Deutlich auch i n Grau-Krug-Rietzsch, S. 103: Das Preisrecht sei nicht ethisch f u n diert, sondern regele „das äußere Zusammenleben der Volksgenossen" u n d könnte daher ein „reines Verwaltungsstrafrecht" sein. „ A l l e i n die Bedeutung der Erhaltung des Preisgefüges f ü r die Allgemeinheit ist so groß, daß der Staat f ü r jedermann die ethische Verpflichtung aufstellen muß, sich u m die Vorschriften des Preisrechts zu k ü m m e r n und sie einzuhalten." — Auch hier zeigt sich wieder die gerügte Vermengung der Lehre vom Verwaltungsstrafrecht m i t der vom ethisch indifferenten Unrecht. 354 Rietzsch, J W 1938, S. 1077. Sachlich ähnlich Rauch, ZStW 58 (1939), S. 96; Meeske, D J 1936, S. 115,1321.
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1. T e i l : Geschichtliche E n t w i c k l u n g
nungsstrafrecht der Wirtschaft sich m i t der Lehre von den bloßen, ethisch indifferenten Ordnungswidrigkeiten nicht erklären läßt 3 5 5 . Insbesondere Siegert wies sodann den Gedanken der ethischen Indifferenz zur Kennzeichnung der Wirtschaftsordnungswidrigkeiten zurück. Er leugnete jeden grundsätzlichen Unterschied zwischen dem kriminellen Wirtschaftsvergehen und der Ordnungsstraftat (nur der „ethische Unwertgehalt" sei verschieden stark) und betonte, daß auch die „wissentliche Auflehnung gegen die Wirtschaftsordnung sittlich verwerflich" sei: „Selbst die Ordnungsstraftat kann einen erheblichen ethischen Vorwurf gegen den Täter i n sich schließen 356 ." Wohl am zutreffendsten hat Ν agier die Ordnungsstrafe des damaligen Wirtschaftsstrafrechts gekennzeichnet 357 . „Sie steht i n engstem Zusammenhang mit der festeren Bindung des einzelnen an die Volksgemeinschaft und hat vor allem den Bereich der gelenkten W i r t schaft (zumal der Preisregelung und -Überwachung, der Ernährung und Forstwirtschaft) erobert. Denn sie kommt dem Bedürfnis der innerlich sich ständig kräftigenden Verwaltung, auf ihrem spezifischen Tätigkeitsbezirk nach ihren besonderen Zielsetzungen und Erheblichkeitsanschauungen ein elastisches und schleunig durchführbares Abgeltungsmittel grundsätzlich (also unter Vorbehalt positivrechtlicher Ausnahmen...) unter Verdrängung des Rechtswegs für — relativ zu verstehende — Bagatellfälle i n die Hand zu bekommen, i n weitestem Umfange entgegen." Es „bildet der schuldhafte Angriff auf die allgemeine (äußere) völkische Friedensordnung den tatbestandsmäßigen Gegenstand; dazu besteht meist ein klares Austauschverhältnis m i t der (sonstigen) echten Rechtsstrafe. . . . Infolgedessen kann der Charakter des Eingriffs als echte Rechtsstrafe nicht zweifelhaft sein".
6. Die Renaissance des Verwaltungsstrafrechts: Eberhard Schmidt
Die Nachkriegsentwicklung war zunächst weithin durch das Bestreben gekennzeichnet, die Strafbefugnisse der Verwaltung zu beseitigen oder doch zu beschränken und die Gewaltenteilung auch i m Wirtschaftsrecht durchzusetzen. M i t fortschreitender Normalisierung verringerten sich daher auch die Befugnisse der Verwaltungsbehörden in Wirtschaftsstraf355 z.B. Nagler, L K , 6. Aufl., Vorbem. I I I 1 vor §13, S. 138 ff.; Pechstein, S. 127 ff. (der auch die Verwaltungsstrafrechtstheorie als Erklärungsmöglichkeit ablehnte). Maßgebend sei nur, ob das (nach der ethischen Verwerflichkeit der Tat oder ihrer Bedeutung für die Allgemeinheit zu bemessende) öffentliche Interesse „gegen den i m konkreten F a l l getätigten A n g r i f f die schärfere A b wehr durch die Kriminalstrafe verlangt oder ob die leichtere Ordnungsstrafe hierzu ausreicht" (Pechstein, S. 131 f.). Siehe auch Braukmüller, Str. Abh., H. 422, S. 15 ff. 356 Wirtschaftsstrafrecht, S. 30 f.; J W 1938, S. 2517 f. Ä h n l i c h Fritsch, J W 1938, S. 1623. 357 L K , 6. Aufl., Vorbem. I I I 1 vor § 13, S. 138 ff.
V . D i e L e h r e v o m Polizeistrafrecht usw.
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Sachen358. Jedoch wollte man die Strafgewalt der Wirtschaftsverwaltungsbehörden nicht gänzlich abschaffen. Den dadurch entstehenden W i derspruch zum Grundsatz der Gewaltenteilung, der nicht preisgegeben werden sollte, hoffte man mit Hilfe der Verwaltungsstrafrechtstheorie umgehen zu können. Entscheidenden Einfluß auf die Neugestaltung des Wirtschaftsstrafrechts übte Eberhard Schmidt aus. Er wollte keineswegs der Verwaltung die Strafgewalt gänzlich nehmen, sondern sie nur aus dem Bereich des sogenannten kriminellen Unrechts entfernen, dafür aber die Verfolgung der bloßen Verwaltungswidrigkeiten in die Hände der Verwaltung legen, um so „der Justiz zu geben, was der Justiz ist, der Verwaltung zu belassen, was der Verwaltung ist" 3 5 9 . Die damit befürwortete Verweisung der sogenannten Ordnungswidrigkeiten in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden bezeichnete er als ein „rechtsstaatliches Bedürfnis", dessen Befriedigung zur Verwirklichung der Gewaltenteilung unumgänglich sei 3 6 0 . Eb. Schmidt fußt ganz auf der Lehre Goldschmidts 361. Wie dieser w i l l er zwischen Justiz- und Verwaltungsdelikten trennen und nimmt er an, daß beide sich nach der Natur der Sache wesensmäßig (qualitativ) unterschieden. Den materiellen Unrechtsgehalt des Justizdelikts erblickt er i n dem einem Rechtsgut 362 zugefügten greif- und meßbaren Schaden (der auch eine konkrete Gefährdung sein könne), während das Verwaltungsdelikt nicht über die durch die Gehorsamspflicht des Staatsbürgers zur Verwaltungsbehörde hergestellte Beziehung hinauswirke, d. h. in seiner sozialen Sinnbedeutung nicht den Bereich der verwaltungsmäßigen Interessen überschreite, und ein greifbarer Schaden nicht entstehe 363 . „Dem Verwaltungsschaden fehlt die Beziehung auf eine individuelle Person oder als solche gedachte Personengesamtheit; er betrifft nur die Bezie358 Uber die Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts nach Kriegsende vgl. ζ. B. die Einleitung zu Haertel- Joël- Schmidt u n d die Einführung bei Peren/ Schneider/Zee-Heraeus; ferner Tiedemann, GA 1969, S. 71 ff. 359 SJZ 1948, Sp. 227. 360 SJZ 1948, Sp. 228; 571, 574. 361 Vgl. SJZ 1948, Sp. 225 ff.; 569 ff.; Einleitung zu Haertel- Joël- Schmidt; Wirtschaftsstrafrecht; Strafrecht u n d Disziplinarrecht; J Z 1951, S. 101 ff.; L e h r kommentar, I, Nr. 59, 126, 391 - 394, 397; Referate u n d Diskussionsbeiträge vor der Großen Strafrechtskommission (Niederschriften, I, S. 333 ff., 67 ff., 84 f., 88); Erinnerungen, S. 415 ff. 362 d. h. „einem rechtlich anerkannten Interesse einer Individualperson oder einer als personifiziert gedachten Personengesamtheit" (SJZ 1948, Sp. 230). 363 SJZ 1948, Sp. 230, 231; Wirtschaftsstrafrecht, S. 26 f. — Das Verwaltungsdelikt erschöpft sich danach i m Ungehorsam gegenüber der V e r w a l t u n g ; der dabei entstehende „Verwaltungsschaden" soll lediglich die verwaltungsmäßigen Interessen betreffen.
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1. T e i l : Geschichtliche E n t w i c k l u n g
hung, i n der der einzelne als gehorsamspflichtiger Staatsbürger zu den Verwaltungsbehörden steht." Das Interesse des Staates an der einwandfreien Gestaltung des Verhältnisses zwischen Verwaltungsbehörden und einzelnem Staatsbürger sei zwar erheblich, aber ein spezifisches Verwaltungsinteresse. Für Eb. Schmidt ist der Staatsbürger hier nicht Rechtsgenosse unter Rechtsgenossen, sondern Hilfsorgan des verwaltenden Staates. Versage er die i h m als Hilfsorgan obliegende und zum reibungslosen Ablauf des Verwaltungsgeschehens (zur ordnungsgemäßen Tätigkeit der Verwaltungsbehörden) erforderliche Mitwirkung, so begehe er ein nur verwaltungswidriges Unrecht: Lässigkeiten, die sich der einzelne gegenüber den Anordnungen der Verwaltungsbehörden zuschulden kommen lasse. Erfülle er i n dieser Weise seine Gehorsamspflicht nicht, so setze der Verwaltungszwang (Erfüllungszwang und „Verwaltungsstrafe") ein 3 6 4 . Die ethische Persönlichkeitsbeziehung, die für strafrechtliche Schuld wesentlich sei, fehle beim Verwaltungsdelikt; die autonome sittliche Persönlichkeit als Bezugsobjekt der Strafe (Sühne) werde nicht berührt, die Täterpersönlichkeit i n ihrem Verhältnis zur Rechtsordnung nicht sozialethisch belastet. Die Schuld erschöpfe sich bei den Ordnungswidrigkeiten „ i n der Fehlerhaftigkeit des Willens, der sich auf den Verwaltungsungehorsam richtet trotz des Wissens u m den entgegenstehenden Verwaltungsbefehl" 3 6 5 . Die Unrechtsfolge der Verwaltungswidrigkeit (Ordnungswidrigkeit), die Ordnungsstrafe, hält Eb. Schmidt daher für ein Mittel des Verwaltungszwanges. Er bestreitet, daß sie m i t der Kriminalstrafe verwandt oder zweckgleich sei: „Sie ist überhaupt keine ,Strafe', weil ihr jede Beziehung zur Sühneidee fehlt 3 6 6 ." Der Kriminalstrafe legt er den ethischen Sinn der Sühne und den kriminalpolitischen Sinn der Unschädlichmachung oder Resozialisierung des Rechtsfeindes bei und glaubt, nur bei Vorliegen dieser beiden Momente von einer Strafe sprechen zu können. Bei der Ordnungsstrafe handle es sich aber um die Ausübung eines Verwaltungszwanges als behördlicher Reaktion auf verwaltungsmäßigen Ungehorsam eines Hilfsorgans, der mit der Sühne- oder auch nur Erziehungsfunktion nichts zu tun habe, denn es gehe ihm jedes sittliche Pathos ab 3 6 7 . „ W i r werden es uns schwer zu verbitten haben, wenn die Verwaltungsbehörden sich, falls w i r uns ihren Intentionen oder Aufgaben gegenüber einmal lässig zeigen oder sonst versagen, an unsere Rechtspersönlichkeit i m resozialisierenden Sinne heranmachen wollten. Diese unsere Rechtspersönlichkeit, die von der sittlichen nicht zu trennen ist, ist 364 365 366 367
Wirtschaftsstrafrecht, S. 19 ff., 26 ff.; H aertel- Joël- Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 51 f. Wirtschaftsstrafrecht, S. 45. a.a.O., S. 45 f.
S. 15 ff.
V . D i e L e h r e v o m Polizeistrafrecht u s w .
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für die Verwaltungsbehörden noch allemal ein noli me tangere 3 6 8 ." Der Sinn der Ordnungsstrafe erschöpfe sich m i t h i n i n dem eines bloßen Zuchtmittels, dessen sich die Verwaltungsbehörde bediene 369 . Die Bezeichnung „Ordnungs-Strafe" lehnt Eb. Schmidt überhaupt ab, u m jeden Anklang an die Vorstellung einer Strafe zu vermeiden. Er findet den Ausdruck „Mahngeld" am treffendsten 370 . Der Gesetzgeber hat sich jedoch für „Geldbuße" entschieden. Damit soll die Verwaltungswidrigkeit (Ordnungswidrigkeit) ganz aus dem Bereich der Justiz, die es nur m i t dem kriminellen Unrecht zu tun haben könne, ausscheiden und allein dem der Verwaltung angehören. „Eine Ordnungswidrigkeit darf nicht Gegenstand eines gerichtlichen Sachurteils sein, weil sie als eine Verwaltungsangelegenheit nur Gegenstand einer Verwaltungsentscheidung (Bußgeldbescheid) sein kann. Als Verwaltungsangelegenheit aber erweist sich die Ordnungswidrigkeit nicht nur deshalb, weil durch sie ausschließlich das Interesse der Verwaltungsbehörden an Leistung verwaltungsmäßigen Gehorsams beeinträchtigt wird, sondern auch deshalb, weil das Bußgeld keinerlei ,Straf Charakter hat, sondern lediglich eine verwaltungsmäßige Pflichtenmahnung von betonter Eindringlichkeit darstellt 3 7 1 ." Die tatbestandliche Abgrenzung von kriminellem Unrecht und bloßer Ordnungswidrigkeit w i l l Eb. Schmidt so vorgenommen wissen, daß „ Z u widerhandlungen, deren soziale Sinnbedeutung über den Raum der verwaltungsmäßigen Interessen nicht hinausgreift" 3 7 2 , lediglich Ordnungswidrigkeiten sind. I m Wirtschaftsstrafrecht sei geschütztes Rechtsgut der Bestand des Staates selbst, sein Interesse an einer eigenen Existenz 3 7 3 (nicht etwa das Lebensinteresse der Rechtsgemeinschaft, der Gesamtheit als solcher), also „ein materielles Lebensinteresse des Staates als einer personifiziert gedachten Gesamtheit und insofern ein ganz echtes Justizinteresse". Der Schutz der Wirtschaftsordnung solle einen echten Justizschaden verhüten 3 7 4 . Ein solcher Justizschaden (Verletzung des staatlichen Interesses an Bestand und Erhaltung der Wirtschaftsordnung), dessen Herbeiführung immer eine kriminelle Deliktsbegehung bedeute, könne einmal in einer fühlbaren Beeinträchtigung der dem Staat gestellten Wirtschaftsaufgaben, zum anderen (bei geringer Auswirkung eines Verstoßes gegen wirtschaftliche Bestimmungen) darin liegen, daß der ein368
SJZ 1948, Sp. 235. Als „Möglichkeit eines scharfen, staatlichen Anrufs eines versagenden Staatsgenossen" (Pflichtenmahnung) ; SJZ 1948, Sp. 235. 370 Wirtschaftsstrafrecht, S. 39. 371 SJZ 1949, Sp. 671. 372 Wirtschaftsstrafrecht, S. 27. 373 Zweck der Bewirtschaftung sei nicht die Wahrung der Interessen des Staatsbürgers, sondern Erhaltung des Staates; SJZ 1948, Sp. 231 f. 374 SJZ 1948, Sp. 232. 369
12 Mattes
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zelne sich der A n e r k e n n u n g d e r O r d n u n g g r u n d s ä t z l i c h versage (es gen ü g e d a n n schon eine o b j e k t i v g e r i n g e Z u w i d e r h a n d l u n g , w e n n sie eine g r u n d s ä t z l i c h e V e r n e i n u n g d e r O r d n u n g a u s d r ü c k e 3 7 5 ) . — F ü r das V e r w a l t u n g s u n r e c h t b l i e b e n die „ L ä s s i g k e i t e n " des B ü r g e r s i n seiner B e z i e h u n g z u d e n V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n ü b r i g . D u r c h diese sei n u r die V e r w a l t u n g i n i h r e m v e r w a l t u n g s m ä ß i g e n Interesse a n d e r M i t a r b e i t des e i n z e l n e n g e t r o f f e n . Dasselbe g e l t e f ü r Z u w i d e r h a n d l u n g e n , d e r e n äußeres H a n d l u n g s b i l d z w a r m i t d e m eines echten W i r t s c h a f t s j u s t i z d e l i k t e s ü b e r e i n s t i m m e , b e i d e n e n aber s o w o h l die f ü h l b a r e B e e i n t r ä c h t i g u n g d e r W i r t s c h a f t s a u f g a b e n als auch die s u b j e k t i v e E i n s t e l l u n g g r u n d s ä t z l i c h e r V e r n e i n u n g der W i r t s c h a f t s o r d n u n g fehle. D i e o b j e k t i v belanglose H a n d l u n g b e d e u t e d a n n n u r eine S t ö r u n g der v e r w a l t e n d e n T ä t i g k e i t des Staates, k ö n n e also k e i n J u s t i z d e l i k t sein.
V I . D i e durch das Wirtschaftsstrafgesetz u n d das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten v o m 25. M ä r z 1952 gekennzeichnete E n t w i c k l u n g D e r Gesetzgeber h a t sich diese A u f f a s s u n g i n § 6 des ersten Wirtschaftsstrafgesetzes ( W i S t G ) 3 7 6 , das u n t e r w e s e n t l i c h e r M i t w i r k u n g Eberhard Schmidts e n t s t a n d e n i s t 3 7 7 , z u eigen gemacht: 375
SJZ 1948, Sp. 231 ff. Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts v o m 26. J u l i 1949 (WiGBl. S. 193). Es w a r n u r als Übergangsgesetz gedacht, m i t zunächst bis zum 31. März 1950 befristeter Geltungsdauer. Durch die Gesetze v o m 29. März 1950 (BGBl. S. 78) u n d v o m 30. März 1951 (BGBl. I S. 223) wurde es jeweils u m ein Jahr verlängert. Zusammen m i t dem Ordnungswidrigkeitengesetz sollte ein neues Wirtschaftsstrafgesetz erlassen werden, das jedoch nicht rechtzeitig zustande kam. Daher beschränkte sich das Gesetz zur Änderung u n d Verlängerung des Wirtschaftsstrafgesetzes v o m 25. März 1952 (BGBl. I S. 188) darauf, die i n das O W i G übergegangenen Bestimmungen zu streichen u n d andere zu ändern. E i n neues, wesentlich kürzeres Wirtschaftsstrafgesetz wurde schließlich am 9. J u l i 1954 (Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts, BGBl. I S. 175) erlassen (geändert durch Gesetze v o m 25. Dezember 1955, B G B l . I S. 869,19. Dezember 1956, B G B l . I S. 924, 24. Dezember 1956, BGBl. I S. 1070, 21. Dezember 1958, B G B l . I S. 949, 22. Dezember 1959, BGBl. I S. 785, 28. A p r i l 1961, BGBl. I S. 481, u n d 21. Dezember 1962, B G B l . I S. 761); die seitherige Begrenzung seiner Geltungsdauer ist durch A r t . 1 Nr. 3 des Gesetzes v o m 21. Dezember 1962 aufgehoben worden. Es w u r d e ferner geändert durch vier Gesetze v o m 24. August 1965, BGBl. I S. 920, 927, 938, 1225, sowie die weiteren Gesetze v o m 10. M a i 1968, B G B l . I S. 352, 24. M a i 1968 (EGOWiG), B G B l . I S. 503, 4. November 1971, BGBl. I S. 1745, 9. November 1973, B G B l . I S. 1585, 2. März 1974 (EGStGB), B G B l . I S. 469, u n d 9. Dezember 1974 (1. StPORG), BGBl. I S. 3393, berichtigt S. 3533, u n d am 3. J u n i 1975 neu bekanntgemacht (BGBl. I S. 1313). Es gilt i n dieser Fassung bereits seit dem 1. Januar 1975. 376
377 Auch die Lehre v o m ethisch indifferenten Ordnungsstrafrecht (vgl. o. S. 164 f.) mag hier mitgespielt haben.
V I . W i S t G 1949,1954/1975 u n d O W i G 1952
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I. Zuwiderhandlungen nach den Bestimmungen dieses Abschnittes sind entweder Wirtschaftsstraftaten oder Ordnungswidrigkeiten. II. Eine Zuwiderhandlung ist Wirtschaftsstraftat, wenn sie das Staatsinteresse an Bestand und Erhaltung der Wirtschaftsordnung i m Ganzen oder i n einzelnen Bereichen verletzt, indem entweder 1. die Zuwiderhandlung ihrem Umfange oder ihrer Auswirkung nach geeignet ist, die Leistungsfähigkeit der staatlich geschützten Wirtschaftsordnung zu beeinträchtigen, oder 2. der Täter m i t der Zuwiderhandlung eine Einstellung bekundet, die die staatlich geschützte Wirtschaftsordnung i m ganzen oder i n einzelnen Bereichen mißachtet, insbesondere dadurch, daß er gewerbsmäßig, aus verwerflichem Eigennutz oder sonst verantwortungslos gehandelt oder Zuwiderhandlungen hartnäckig wiederholt hat. I I I . I n allen anderen Fällen ist die Zuwiderhandlung eine Ordnungswidrigkeit. Das WiStG 1949 378 enthielt eine Reihe von sogenannten Mischtatbeständen, die generell sowohl Kriminalstraftaten als auch Ordnungswidrigkeiten sein konnten und deren Rechtsnatur i m Einzelfall an Hand der Vorschrift des § 6 WiStG bestimmt werden sollte. Diese Methode und insbesondere auch die Formel des § 6 WiStG haben keine ungeteilte Zustimmung gefunden 379 . I m Wirtschaftsstrafgesetz 1952 blieb der § 6 jedoch unverändert. Das Wirtschaftsstrafgesetz 1954 hat die Abgrenzungsregel sodann neu gefaßt 380 . I n die sogenannte Schmidtsche Formel ist 378 Literatur: Kommentare bzw. Textausgaben m i t Erläuterungen von Haertel- Joël- Schmidt, Schneider/P er en!Zee-Heraeus, Rahn-Grimsinski, KosterlitzZoebe, Drost-Erbs, Erbs, Schäfer i n Dalcke-Fuhrmann-Schäfer, 36. A u f l . ; zum W i S t G 1954 von Gerner-Winckhler, Kohlhaas, Ebisch, Schäfer, a.a.O., 37. Aufl. Dissertationen von Sommer, Ostermann, Westhoff, Heuschmann. Vgl. ferner Eb. Schmidt, SJZ 1949, Sp. 665 ff.; derselbe, Wirtschaftsstrafrecht; derselbe, Erinnerungen, S. 415 ff.; Groß, M D R 1949, S. 528 ff.; Drost, DRZ 1949, S. 405 ff.; Nüse, JR 1949, S. 401 ff.; Siegert, B B 1953, S. 393 f.; Lackner, M D R 1954, S. 578 f.; Jescheck, JZ 1959, S. 457 ff. 379
Kritisch insbesondere Nüse, JR 1949, S. 401 f.; ferner Siegert, B B 1953, S. 393; Gallas (Niederschriften, I, S. 87; v o r allem wendet er sich gegen § 6 Abs. 2 Ziff. 2 W i S t G 1949, da hier die Gefahr einer Verwischung von Unrecht u n d Schuld bestehe); E. R. Huber, I I , S. 348; Jescheck, JZ 1959, S. 460; Baumann, Verkehrsgefährdung, S. 169; Ostermann, S. 142 ff.; Kischa, S. 93 (ablehnend); Sommer. Zurückhaltend auch Rotberg, 3. Aufl., S. 32; Lang-Hinrichsen, G A 1957, S. 229. Gegen Mischtatbestände ferner Schäfer vor der Großen Strafrechtskommission (Niederschriften, I, S. 71) sowie grundsätzlich Lange (GA 1953, S. 4). 380 Sie lautet jetzt (§3): I. Eine Zuwiderhandlung i m Sinne der §§ 1, 2, 2a ist eine Straftat, w e n n 1. die Tat i h r e m Umfang oder ihrer A u s w i r k u n g nach geeignet ist, die Ziele der Wirtschaftsordnung, insbesondere einer geltenden M a r k t o r d nung oder Preisregelung, erheblich zu beeinträchtigen, oder 12*
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1. T e i l : Geschichtliche E n t w i c k l u n g
nach ihrem Verfasser die „Quintessenz" der Theorie vom Verwaltungsstrafrecht eingefangen 381 . I h r Grundgedanke soll auch dort maßgebend gewesen sein, wo der Gesetzgeber selbst bestimmt hat, ob ein Tatbestand eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit enthält 3 8 2 . M i t dem am 25. März 1952 erlassenen Gesetz über Ordnungswidrigkeiten wollte der Gesetzgeber die bis dahin nur i m Wirtschaftsstrafrecht durchgeführte Trennung von Ordnungswidrigkeiten und kriminellem Unrecht auf das gesamte Gebiet des Strafrechts übertragen. So ist der bisherige bzw. heutige Rechtszustand durch das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 25. März 1952 (BGBl. I S. 177) 383 und das Wirtschaftsstrafgesetz 1954 (Gesetz zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts vom 9. J u l i 1954, BGBl. I S. 175) gekennzeichnet 384 . Das WiStG 1954/1975 enthält eine Reihe von Tatbeständen sowie allgemeine Regeln 3 8 5 , das OWiG 1952 beinhaltete dagegen nur einen allgemeinen Teil und Verfahrensvorschriften. Die Verfahrensvorschriften des OWiG galten auch für den Bereich des WiStG. Die Tatbestände der Ordnungswidrigkeiten wurden i n den einzelnen Verwaltungsgesetzen aufgestellt 3 8 6 . Das OWiG 1952 ist aus dem Bestreben heraus entstanden, die sogenannten bloßen Ordnungswidrigkeiten aus dem kriminellen Strafrecht auszuscheiden und einer eigenen Regelung zuzuführen. „Die Neuregelung geschah i n der Überzeugung, daß der Gesetzgeber diesen Gegensatz als wesensgemäß vorgegeben anzuerkennen und i h m lediglich Rechnung zu tragen habe 3 8 7 ." 2. der Täter die Zuwiderhandlung hartnäckig wiederholt, gewerbsmäßig, aus verwerflichem Eigennutz oder sonst verantwortungslos handelt u n d durch sein Verhalten zeigt, daß er das öffentliche Interesse an dem Schutz der Wirtschaftsordnung, insbesondere einer geltenden M a r k t ordnung oder Preisregelung, mißachtet. I I . I n allen anderen Fällen ist die Zuwiderhandlung eine Ordnungswidrigkeit. 381 Haertel- Joël- Schmidt, S. 28. 382 Lang-Hinrichsen, G A 1957, S. 227. 383 Es wurde außer K r a f t gesetzt durch A r t . 150 Abs. 1 E G O W i G 1968 v o m 24. M a i 1968 (BGBl. I S. 503). — Literatur: Kommentare von Rotberg, Kohlhaas, Schäfer i n Dalcke-Fuhrmann-Schäfer, Kleinknecht-Müller, Müller-Sax, Patzig; Textausgabe m i t Erläuterungen von Stoecker. Dissertationen von Schlegtendal, Kischa, Kowalski, Mittelbach, Eser u. a. Vgl. ferner Gerner, N J W 1952, S. 521 ff.; Stoecker, M D R 1952, S. 385 ff.; Eb. Schmidt, JZ 1951, S. 101 ff.; Patzig, Verw.-Arch. 50 (1959), S. 339 ff.; derselbe, D Ö V 1962, S. 737 ff.; derselbe, DVB1.1967, S. 309 ff., 352 ff. 384 Es w a r weiterhin gültig auf G r u n d A r t . 1 Nr. 3 des Gesetzes v o m 21. Dezember 1962 (BGBl. I S. 761) u n d wurde durch Gesetz v o m 3. J u n i 1975 (BGBl. I S. 1313) neu bekanntgemacht. — Das W i S t G 1952 galt für Devisendelikte auf G r u n d von § 20 W i S t G 1954 noch weiter. § 47 Abs. 1 Nr. 6 des Außenwirtschaftsgesetzes v o m 28. A p r i l 1961 (BGBl. I S. 481) hat § 20 W i S t G 1954 aufgehoben. 385 Ferner i n §§ 13,14 Verfahrensbesonderheiten. 386 387
Siehe dazu näher i m zweiten Band. R. Lange, G A 1953, S. 3.
V I . W i S t G 1949,1954/1975 u n d O W i G 1952
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Das OWiG 1952 wurde einerseits (und jedenfalls i n der Hauptsache) von der insbesondere durch Eb. Schmidt m i t Nachdruck wieder verbreiteten (im wesentlichen auf Goldschmidt zurückgehenden) Lehre vom Verwaltungsstrafrecht, andererseits von der dargestellten Lehre vom ethisch indifferenten Unrecht getragen. Hinzu kamen die unabhängig von diesen Lehren bestehenden Bestrebungen um eine eigene Strafgewalt (oder doch ein eigenes Ahndungsmittel) der Verwaltungsbehörden. I m Zusammenwirken dieser Komponenten entstand das bis 1968 geltende Recht der Ordnungswidrigkeiten. Klarheit über die Verschiedenartigkeit dieser Gesichtspunkte bestand freilich vielfach nicht 3 8 8 . Daher finden sich, wie eine Ubersicht zu Beginn des zweiten Bandes zeigen wird, i n den Literaturmeinungen oft ganz heterogene Argumente nebeneinander, und es w i r d nicht erkannt, daß die geistesgeschichtlichen Grundlagen der Verwaltungsstrafrechtstheorie überholt sind. Die mit dem OWiG 1952 erfolgte Trennung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten w i r d i n der Literatur ganz überwiegend gebilligt. Zur Begründung der Verschiedenheit von Kriminals traf recht und Ordnungswidrigkeitenrecht greifen viele Schriftsteller allerdings i m Grunde nicht auf Goldschmidt zurück (so aber insbesondere Eb. Schmidt), sondern sehen i n den Ordnungswidrigkeiten das ethisch indifferente Unrecht i m Sinne der oben dargestellten Theorie vom Ordnungsstrafrecht 3 8 9 . Manche wollten dabei schon bisher einen nur quantitativen Unterschied annehmen 390 . Bei der Reform des Strafgesetzbuches spielte auch die Frage einer Aussonderung des sogenannten nichtkriminellen Unrechts aus dem Straf recht eine wichtige Rolle. Die Große Straf rechtskommission ist sich darüber einig gewesen, daß auf dem mit dem OWiG 1952 eingeschlagenen Weg fortgefahren werden solle. Sie hat daher folgende Entschließung einstimmig angenommen: 1. Übertretungen i m Sinne des heutigen Straf rechts soll es i m künftigen Strafgesetzbuch nicht geben. 2. Es bleibt zu überlegen, welche Übertretungstatbestände des geltenden Strafgesetzbuchs als Straftaten i m künftigen Recht erhalten bleiben müssen. Die übrigen auszuscheidenden Tatbestände sind i m Recht der Ordnungswidrigkeiten unterzubringen, das auf der bisherigen Grundlage (OWiG) fortzuentwickeln ist. I m Nebenstrafrecht ist ein entsprechender Abscheidungsprozeß durchzuführen 391 . 388 Bei der Aussprache i n der Großen S traf rechtskommission traten die gegensätzlichen Gesichtspunkte allerdings k l a r zutage (siehe Niederschriften, I, S. 67 - 77, 84 - 89, 333 - 338). 389 So auch die w o h l überwiegende Meinung i n der Großen Strafrechtskommission (siehe Niederschriften, I, S. 67 ff., 84 ff.). 390 Siehe näher darüber i m zweiten Band.
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1. T e i l : Geschichtliche E n t w i c k l u n g
Der Entwurf eines Strafgesetzbuches (E 1962) und der Alternativ-Entwurf (AE) sind dieser grundsätzlichen Entscheidung gefolgt. Das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. Mai 1968 (BGBl. I S. 481) hat diese Entwicklung fortgesetzt. Durch das hierzu ergangene Einführungsgesetz (EGOWiG) vom gleichen Tage (BGBl. I S. 503) wurden insbesondere die Verkehrsübertretungen i n Ordnungswidrigkeiten 3 9 2 umgewandelt (Art. 3). Den Schlußstein setzte der durch das zweite Gesetz zur Reform des Straf rechts (2. StrRG) vom 4. J u l i 1969 (BGBl. I S. 717) geschaffene neue Allgemeine Teil des StGB, der i n wesentlichen Teilen durch das erste Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. StrRG) vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) bereits am 1. September 1969 bzw. am 1. A p r i l 1970 geltendes Recht geworden ist: Bekanntmachung der Neufassung des StGB vom 1. September 1969 (BGBl. I S. 1445). Die übrigen Bestimmungen 3 9 3 sind am 1. Januar 1975 i n K r a f t getreten (Art. 326 Abs. 1 EGStGB vom 2. März 1974 — BGBl. I S. 469). Von da an gibt es keine Übertretungen mehr (§ 12 2. StrRG): Sie werden überwiegend als Ordnungswidrigkeiten geahndet; einige wurden zu Vergehen, andere sind ersatzlos weggefallen.
391
Niederschriften, I, S. 341. Kritisch zum Verhältnis von Übertretungen u n d Ordnungswidrigkeiten Krümpelmann, S. 178 ff. 393 Ausgenommen die Vorschriften über die Unterbringung i n einer sozialtherapeutischen Anstalt, die erst ab 1. Januar 1978 gelten werden. 392
Zweiter
Teil
Rechtsvergleichende Untersuchung ÖSTERREICH Österreich besitzt seit 1925 ein Verwaltungsstrafgesetz 1 , das den Allgemeinen Teil des materiellen Verwaltungsstrafrechts und das Verwaltungsstrafverfahrensrecht enthält, während die einzelnen Tatbestände i n den Verwaltungsgesetzen und i n A r t . V I I I EGVG aufgestellt werden. Die österreichische Bundesregierung hat die Verwaltungsverfahrensgesetze (EGVG, AVG, VStG und VVG) durch Kundmachung vom 23. Mai 1950 über die Wiederverlautbarung von Rechtsvorschriften auf dem Gebiete des Verwaltungsverfahrens (BGBl. Nr. 172) neu verkündet. M i t dem VStG wollte der österreichische Gesetzgeber das Verwaltungsstrafrecht nicht neu schaffen oder einen Streit darüber entscheiden, sondern lediglich einem vorhandenen Rechtsgebiet die dringend erforderliche gesetzliche Ordnung geben, ohne daß er dabei beabsichtigt hätte, theoretisch zum Problem des Verwaltungsstraf rechts Stellung zu nehmen 2 . Der Begriff des Verwaltungsdelikts ist geschichtlich an die Strafbefugnis der Verwaltung gebunden, die sich i n Österreich seit dem Absolutismus erhalten hat. Dies war möglich auf Grund der besonderen Ausbildung des Gewaltenteilungsgrundsatzes. I . D i e geschichtliche Entwicklung des österreichischen Verwaltungsstrafrechts
Das heutige Verwaltungsstrafrecht Österreichs geht auf die Reformen Josephs II. (1765 - 1790, Alleinherrscher seit 1780) zurück, der das Polizeistrafrecht erstmals (wenigstens teilweise) gesetzlich ordnete und damit dessen weitere Entwicklung auf eine bestimmte Gestaltung festlegte, die i m großen und ganzen maßgebend blieb. 1
V S t G v o m 21. J u n i 1925, B G B l . Nr. 275/1925, i n K r a f t getreten am 1. Januar 1926. Es w i r d ergänzt durch das Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen, BGBl. Nr. 273 (EGVG), das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl. Nr. 274 (AVG) u n d das Verwaltungsvollstreckungsgesetz, B G B l . Nr. 276 (VVG), die alle ebenfalls a m 1. Januar 1926 i n K r a f t getreten sind. 2
Zimmerl, GS 98 (1929), S. 304.
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2. T e i l :
echtsvergleichende U n t e r s u c h u n g
1. Die Entstehung des absoluten Staates und die Stellung des Polizeistrafrechts in ihm
a) Die Ausbildung
der absoluten Staatsgewalt
Das Polizeistrafrecht ist auch i n Österreich ein K i n d des absoluten Staates. Seine geschichtliche Erscheinung hängt eng mit dem Umbau der österreichisch-ungarischen Monarchie vom Ständestaat zum absoluten Fürstentum zusammen 25 . Bis zur Regierung Maria Theresias (1740 - 1780) bildete das Lehn- oder Feudalsystem die Grundlage des ständisch verfaßten Staatswesens3. Das Land verwalteten i n den einzelnen Provinzen nicht landesfürstliche, sondern ständische Behörden i m Namen des Landtags 4 . Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung lebte i n einem unmittelbaren Untertanenverhältnis zum Monarchen, während der größere unmittelbar den Grundherren (in Österreich Herrschaftsbesitzer genannt) und lediglich mittelbar dem Landesfürsten untergeben war. Zu den Herrschaften gehörten oft viele Dörfer und einige Städte und Marktflecken, i n denen gewöhnlich der Grundherr nach Landesgesetz und Herkommen die Verwaltung innehatte und Recht sprach (selbst oder durch seine Beamten). Die meisten Städte freilich konnten Justiz, Polizei und Abgaben selbst verwalten; die sogenannte niedere Polizei lag durchweg bei den Gemeinden. Die Gemeindeobrigkeiten mußten aber größtenteils vom Herrschaftsbesitzer bestätigt werden 5 . Neben den herrschaftlichen gab es sogenannte freie (königliche, landesherrliche) Städte und Marktflecken. Das Strafrecht und die Strafrechtsprechung waren sehr zersplittert (vgl. die Einleitung zur Theresiana). Die strafbaren Handlungen zerfielen i n schwere und leichte. Bei den letzten fehlte zum Teil jede gesetzliche Regelung; weitgehend galten Ortsgebrauch und Herkommen. Die Gerichtsbarkeit über die schweren Verbrechen 6 (Kriminalgerichtsbarkeit) mußte besonders verliehen werden 7 und stand nur dem Inhaber des Blutbannes 8 zu. Die niedere Gerichtsbarkeit (Bestrafung der leichteren 2
a Dazu näher F. Walter, S. 34 ff.; Hantsch, I I , S. 154 ff. Beidtel-Huber, I, S. 12. — Z u m Ganzen vgl. auch Hellbling, Geschichte, S. 248 ff., 262 ff.; Hantsch, I I , S. 157; Bachmann, S. 342. 4 Die Landstände i n Österreich u n d Böhmen bestanden aus dem geistlichen Stand, dem Herrenstand, dem niederen A d e l (Ritterstand) u n d den landesfürstlichen Städten u n d M ä r k t e n (Bürgerstand, m i t geringem Einfluß) (BeidtelHuber , I, S. 10, 12 ff.). 5 Siehe näher Beidtel-Huber , I, S. 3 ff. 6 Peinliche oder halsgerichtsmäßige Fälle: Kriminalverbrechen, die öffentlich an Leib oder Leben gestraft w u r d e n ; von daher Kriminalgerichtsbarkeit als das Recht, über B l u t u n d Leben der Missetäter zu richten (vgl. BeidtelHuber , I, S. 4). 7 Unter dem Absolutismus nahm m a n an, daß sie eigentlich dem Fürsten k r a f t seines Majestätsrechts zustehe u n d daher von i h m abgeleitet sei (Jenull, I I I , S. 4). 3
Österreich
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Taten, die keine öffentliche Leibes- oder Lebensstrafe nach sich zogen) gehörte dagegen zu der Jurisdiktionsbefugnis, die der Träger hoheitlicher (obrigkeitlicher) Gewalt regelmäßig innerhalb seines sachlichen und örtlichen Wirkungsbereiches hatte, lag also in der Hand der „Obrigkeit" — später „politische Behörde" genannt 9 —, die i n sich weitgehend die hoheitlichen Funktionen einschließlich der Rechtsprechung vereinigte also der Grundherren und Gemeinden (Grund- und Gemeindeobrigkeiten) 10 . Man teilte die Delikte m i t h i n von der Jurisdiktionsbefugnis (Strafbefugnis) her ein, so daß sich die niedere Gerichtsbarkeit, als aus den Ortsobrigkeiten m i t der Bildung des Polizeibegriffs der polizeilichen (politischen) Behörden wurden, zum polizeilichen (politischen) Strafrecht wandelte. Nur von hier aus ist das Polizeistrafrecht i n seiner geschichtlichen Bedeutung und seinem Wesen in jener Epoche zu begreifen. Die Reformen zum Umbau des Staates nach den Grundsätzen der absoluten Monarchie setzten unter Maria Theresia und ihrem Minister Grafen Haugwitz ein 1 1 und wurden von Joseph II. fortgeführt. Sie begannen mit den sogenannten Dezennalrezessen zwischen der Regierung und den Ständen der böhmisch-österreichischen Provinzen von 1748, wodurch die einzelnen Landtage der Regierung für zehn Jahre i m voraus die zur Vergrößerung und Unterhaltung des Heeres erforderliche Summe bewilligten, und zwar als „ganz frei bewilligte" Postulate, wie es hieß 12 . Aus den in diesem Zusammenhang zur Verwaltung von Heeresangelegenheiten i n den einzelnen Ländern errichteten landesherrlichen Behörden („Repräsentationen und Kammern" genannt) bildeten sich sehr bald die mit umfassenden Zuständigkeiten ausgerüsteten sogenannten „politischen Landesstellen" (Gubernien oder Regierungen), denen die Kreisämter untergeordnet waren, die man aus ständischen i n landesherrliche Behörden umwandelte. Diese landesfürstlichen Behörden erweiterten ihren Amtsbereich nach und nach auf alle Gebiete der inneren Verwaltung (ausgenommen die Justiz i n ihrem damaligen beschränkten Umfang, Militär und Finanzen) 13 , wobei der Polizeibegriff als Bezeichnung eines dem Herrscher zustehenden Hoheits-(Majestäts-)Rechts 14 eine 8 Vielfach ein Herrschaftsbesitzer, aber auch Städte. Sonst gab es kaiserliche u n d ständische Landgerichte (υ. Domin-Petrushevecz, S. 14; Beidtel-Huber, I, S.4). 9 Statt „polizeilich" wurde i n Österreich meist der Ausdruck „politisch" gebraucht; so hießen die „polizeilichen" Delikte i n der Regel „politische" Delikte. 10 v. Domin-Petrushevecz, S. 5,14; Stolz, S. 142 f., 251. 11 Vgl. auch Hellbling, Geschichte, S. 287 ff.; Hantsch, I I , S. 155 ff.; F. Walter, S. 35 ff.; ferner näher Luschin von Ebengreuth, Grundriß, S. 364 ff., u n d eingehend Lehrbuch, S. 525 ff. 12 Beidtel-Huber, I, S. 24 ff., 28. 13 Beidtel-Huber, I, S. 31 ; Hantsch, I I , S. 181. 14 Vgl. Martini, § 103: „ . . . D a es unmöglich ist, Sicherheit i m Staate zu erhalten, wenn an hinreichenden Gütern ein Mangel ist, so ist leicht einzusehen, daß auch das Polizeirecht unter die Majestätsrechte zu zählen sey . . . "
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2. T e i l :
echtsvergleichende U n t e r s u c h u n g
rechtliche Grundlage bot. Kreisämter, politische Landesstellen und die Hofstelle als Zentralbehörde i n Wien hießen von nun an „politische Behörden" 1 5 , weil sie den „durch die Politik empfohlenen Zwecken" zu dienen hatten 1 6 . „Politische Angelegenheiten" waren damals i n Österreich solche, die i n anderen deutschen Ländern Regierungssachen oder Polizeisachen i m weitesten Sinne genannt wurden 1 7 , also die gesamte Staatsverwaltung, soweit sie nicht ausdrücklich besonderen Behörden (Justiz, Finanz) oblag. Daher galt als Regel, daß die politischen Behörden für alles zuständig seien, was nicht anderen Behörden eigens übertragen worden war 1 8 . Die staatlichen Kreisämter beaufsichtigten die örtlichen Behörden (Gemeindeobrigkeiten, gutsherrlichen Ämter), denen gegenüber sie weitgehend Eingriffs- und Weisungsrechte besaßen 19 . b) Polizeibegriff
und Polizeistraf recht im absoluten Staat
Bei der Errichtung der neuen Staats- und Gesellschaftsordnung hatte das Polizeistrafrecht den Zweck, i m Bereich dessen, was nun als Aufgabengebiet der Polizei galt, das Leben i m Staate nach den neuen Grundsätzen gestalten zu helfen. Unter dem Einfluß des Polizeibegriffs wurden die Gemeindeobrigkeiten und gutsherrlichen Ämter m i t ihrer bisherigen niederen Gerichtsbarkeit zu polizeilichen (politischen) Behörden und hatten damit unmittelbar staatliche Aufgaben zu erfüllen. Die Jurisdiktionsgewalt, soweit sie dem Inhaber der Polizeigewalt 2 0 zustand, wandelte sich zur Polizeigerichtsbarkeit. Überhaupt war der Staat bestrebt, mit Hilfe des Polizeibegriffs (Polizeihoheitsrechts) ordnend i n die Strafrechtspflege einzugreifen, auch in das sogenannte Kriminalstrafrecht, das aber in Gestalt der peinlichen Gerichtsbarkeit 21 schon eine besondere 15 Ebenso dann die örtlichen Behörden, wie der Sprachgebrauch der Strafgesetze (Theresiana, Josephina, StG 1803) zeigt. Entsprechend nannte m a n die von den politischen Behörden abzuurteilenden strafbaren Handlungen „ p o l i t i sche" Delikte. 16 Beidtel-Huber , I, S. 31. 17 Pratobevera, S. 5. 18 Vgl. Beidtel-Huber , I, S. 32. Die ständischen Organe verloren dadurch ihre Verwaltungsbefugnisse, behielten aber die ihnen bisher anvertraute Rechtspflege (Gebhardt-Braubach, I I , S. 280), soweit sie bereits gegenüber der V e r w a l t u n g verselbständigt worden war. Nach F. Walter, S. 58, ergab sich die Sonderstellung der Justiz ganz von selbst; „sie w a r nicht Ziel der Reform, sondern deren ungewolltes Ergebnis. Das Ziel w a r einzig u n d allein, i n der politischen u n d i n der Finanzverwaltung freie H a n d zu gewinnen" — durch Übertragung von Hoheitsaufgaben von den ständischen auf die „politischen" Behörden. Nicht so weitgehend, aber i m Ergebnis ähnlich Bachmann, S. 344 f. 19 Siehe näher Beidtel-Huber , I, S. 30 ff. 20 I m engeren Sinne, nicht i n jenem umfassenden des Majestätsrechts, das natürlich n u r beim Souverän liegen konnte. 21 Die aber etwa auf die Verbrechenstatbestände des StG 1852 beschränkt war, während die dort geregelten Vergehen schon dem „politischen" Strafrecht angehörten.
Österreich
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Stellung erhalten hatte und sie nun behielt. Für den weiten Polizeibegriff, der hier zugrunde lag, ist die von Pratobevera noch 1814 ausgesprochene Meinung kennzeichnend, die sogenannten Kriminalsachen gehörten nicht zu den eigentlichen Justizsachen, sondern seien „vorzüglich öffentliche (politische) Angelegenheiten"; die Strafrechtspflege sei daher ein Zweig der öffentlichen Verwaltung 2 2 . Alle „öffentlichen (d. h. das Zusammenleben betreffenden) Dinge" gehörten i m Grunde zu den politischen Angelegenheiten, also auch das gesamte Strafrecht. Der Polizeibegriff, unter dessen Herrschaft sich das polizeiliche (politische) Strafrecht entwickelte, Schloß mithin eine Wesensverschiedenheit von K r i m i n a l - und Polizeistrafrecht i m Sinne späterer Lehren aus. Dies finden w i r vor allem bei Martini 23 und Sonnenfels 24 bestätigt, die seit den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts maßgebend waren und die herrschende und von der Regierung gebilligte Staats- und Polizeirechtslehre verkündeten 2 5 . Martini lehrte als Naturrecht das Vernunftrecht der Aufklärung, dem gegenüber das historisch gewordene Recht keine Bedeutung verdiene. I n seinem „Allgemeinen Recht der Staaten" 2 6 gründet er den Staat auf den Staatsvertrag, mit dem die ursprünglich i m „Naturzustande" lebenden einzelnen und häuslichen Gesellschaften sich auf Grund des natürlichen Triebes nach Glückseligkeit zusammengeschlossen und einer gemeinsamen Oberherrschaft unterworfen hätten 2 7 . So sei der Staat eine freiwillige Gesellschaft, sein eigentlicher Zweck die Sicherheit aller (der Gesellschaft), die zur Beförderung der Glückseligkeit notwendig sei (§§ 7, 8, 13, 46). Die bürgerliche Oberherrschaft beruhe auf einem Vertrag und habe infolgedessen „vermöge ihres Ursprungs den Familienhäuptern und anderen freien Menschen als eigenes Recht zugestanden" (§ 41). Diese seien aber, „ u m nämlich größeren Unbequemlichkeiten und Gefahren auszuweichen", genötigt gewesen, „die natürlichen Rechte der 22 So daß der Regent als höchste politische A u t o r i t ä t auf Kriminalsachen einen den Justizsachen sonst fremden Einfiuß nehmen könne (S. 13 f.). Die Äußerung zeigt, wie das eigentlich Rechtliche u n d damit die Justiz auf den Bereich der individuellen Rechte (Güter) beschränkt, die öffentlichen Angelegenheiten aber letztlich davon ausgenommen werden sollten — eine Auffassung, die vor allem für die theoretischen Konstruktionen des Polizeistrafrechts wichtig geworden ist. 23 Seit 1754 Inhaber der neuerrichteten Lehrkanzel f ü r Naturrecht i n Wien (Beidtel-Huber , I, S. 99). 24 Seit 1763 Inhaber der i m selben Jahr errichteten Lehrkanzel für politische Wissenschaften i n Wien (Beidtel-Huber, a.a.O.). 25 I h r e Werke genossen bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts unbedingte A u t o r i t ä t u n d dienten noch bis 1848 als Lehrbücher (Vorlesungsbücher) CBeidtel-Huber , I, S. 99,101,102, A n m . 1). 26 Ursprünglich lateinisch geschrieben; ins Deutsche übersetzt, als unter Joseph II. die meisten Vorlesungen deutsch gehalten w u r d e n (Beidtel-Huber, I, S. 102, A n m . 1); Zitate nach der 2. Übersetzung 1788. 27 E r n i m m t nur einen Vertrag an, §§ 29 ff.
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Freiheit, Gleichheit, und andere mehr an eine gemeinschaftliche Oberherrschaft zu übertragen, damit auf diese A r t die Willen der einzelnen dem Willen der ganzen Gesellschaft unterworfen wären" (§ 8). Der Staat sei somit „eine Vereinigung mehrerer freier Menschen, die sich ihrer Sicherheit wegen einer gemeinschaftlichen Oberherrschaft unterworfen haben" (§ 9); ihrer ursprünglichen Rechte und Freiheiten hätten sie sich dabei vollständig begeben und sie ganz auf die Oberherrschaft übertragen 28 , so daß es i n der Natur der Oberherrschaft liege, „daß der Beherrscher die Handlungen der Unterthanen nach seinem Gutbefinden zum Endzwecke der Gesellschaft leiten k ö n n e . . . " (§ 70). Dem „Wohl der bürgerlichen Gesellschaft" hätten die einzelnen alle ihre Interessen unterzuordnen, damit die Gesellschaft „von ihren Bürgern nichts zu befürchten habe, sondern daß alle die äußere sowohl als innere Sicherheit nach Möglichkeit befördern" (§ 46). Der Staat sei daher berechtigt und verpflichtet, die Bürger zur Tugend anzuleiten, jedem ein seinem Stande gemäßes Auskommen zu sichern, damit er keine Unruhe stifte, die Laster durch Strafen zu ersticken, die Tugenden durch Belohnungen aufzumuntern und genügend Kräfte gegen alles Feindliche bereitzuhalten (§ 49). Er habe (neben der Gesetzgebung) das Recht der „Oberaufsicht über die Handlungen und Güter sowohl der einzelnen Bürger, als auch der kleineren Gesellschaften" sowie die Befugnis, „das, was zum öffentlichen Besten beschlossen worden ist, zu vollstrecken" (§ 69). — Hier ist, wenn man so will, letztlich alles Strafrecht Polizeistrafrecht 29 . Ebensowenig wie die Staatsauffassung war der damalige Polizeibegriff geeignet, als Grundlage für die materiell-rechtliche Eigenständigkeit eines Polizeistrafrechts zu dienen. Zwar hat der absolute Staat den Polizeibegriff nicht geschaffen, aber erst er nutzte ihn in seiner vollen Tragweite zur Begründung seiner allumfassenden Zuständigkeit aus, u m sein neues Staatsgefüge zu errichten und für die „gemeinsame Wohlfahrt" mit staatlichem Zwang zu sorgen (die Glückseligkeit der Untertanen zu verwirklichen). Martini definierte daher die Polizei als „die Bestimmung derjenigen Mittel, wodurch die Bürger ihr Vermögen erhalten, vermehren und bequem leben k ö n n e n . . . Dieses Rechtes gebrauchet sich der Regent i n der Absicht, seinen Unterthanen einem jeden nach seinem Stande gemäß nicht nur das Nothwendige, sondern auch das Nützliche und Angenehme, nicht nur Ruhe, sondern auch, so viel möglich ist, Uiberfluß und Wohlstand zu verschaffen" (§ 103). Enger auf den Sicherheits28 „ W e i l die Oberherrschaft überhaupt . . . ein vollkommenes Recht ist, die Handlungen eines vernünftigen Staates nach Gutbefinden zu einem gewissen Endzwecke zu leiten, der Staat aber ohne Oberherrschaft nicht gedacht werden kann, so ist klar, daß die bürgerliche Oberherrschaft, oder Gewalt i n dem Rechte, den Staat zu regieren, die ist, die Handlungen aller Unterthanen nach Gutbefinden zur gemeinschaftlichen Sicherheit zu leiten, bestehe" (§ 50). 29 So auch E. Wolf, Stellung, S. 527; Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 77 ff.
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zweck bezogen erscheint der P o l i z e i b e g r i f f b e r e i t s b e i Sonnenfels 30 : „ . . . D i e Wissenschaft, d i e i n n e r e S i c h e r h e i t des Staates zu g r ü n d e n , u n d z u h a n d h a b e n : das ist, die P o l i z e y w i s s e n s c h a f t " ( I 49, ä h n l i c h I 19). D i e P o l i z e i ist d a h e r b e i i h m „ v o r z ü g l i c h V e r t h e i d i g u n g gegen E r e i g n u n g e n , aus welchen, v o n w a s i m m e r f ü r e i n e r Seite, f ü r d i e i n n e r e Sicherheit N a c h t h e i l e zu besorgen w ä r e n " ( I 51). D o c h w o l l t e Sonnenfels m i t diesen Ä u ß e r u n g e n d i e T ä t i g k e i t der P o l i z e i keineswegs auf die G e f a h r e n a b w e h r b e s c h r ä n k e n 3 1 , s o n d e r n seine F o r m u l i e r u n g e n n u r a n d e m e i n e n E n d z w e c k des Staates, d e r S i c h e r h e i t a l l e r , a u s r i c h t e n 3 2 . So b e g r e i f t er u n t e r d e r P o l i z e i auch die gesamte ö f f e n t l i c h e V e r w a l t u n g (ausgenommen die Gegenstände, die er b e i H a n d l u n g u n d F i n a n z u n t e r b r i n g t ) u n d sogar Gesetzgebung u n d R e c h t s p r e c h u n g 3 3 . 30 I n seinen einst berühmten „Grundsätzen der Polizey, Handlung und F i nanz", 1. Auflage 1765, 8. u n d letzte Auflage 1819/1822; Zitate nach der 8. A u f lage. 31 Wie man überhaupt aus Formulierungen jener Zeit wie der von Sonnenfels eine Beschränkung der Polizei auf die negative Aufgabe der Gefahrenabwehr nicht ohne weiteres herauslesen darf. Sie setzte sich i n Österreich später durch als i n anderen deutschen Staaten. Selbst i n Preußen galt der eingeschränkte Polizeibegriff damals nicht (trotz der Formulierung des § 10 I I 17 ALR), u n d Svarez sprach noch nach 1790 von „Anstalten zur Beförderung der Privatglückseligkeit u n d Schulen" als Polizeianstalten (in einem Vortrag; Drews-Wacke, 7. Aufl., S. 7 f.) ; vgl. auch Vorträge, S. 40, 486 ff., 641 ff. 32 Der andere Endzweck ist die Bequemlichkeit des Lebens (die m i t der Sicherheit zusammen die öffentliche Wohlfahrt ausmacht; I 13); f ü r sie soll durch die Regelung des Erwerbswesens — bei der die Polizei aber ebenso beteiligt ist, nämlich, soweit die Sicherheit aller i n Frage steht — gesorgt werden, was Gegenstand der sogenannten „ H a n d l u n g " sei (I 14, 15, 20; I I I f f . ) , die gleichfalls zur staatlichen Zuständigkeit gehöre. Die M i t t e l für diese Staatsaufgaben soll die „Finanz" zur Verfügung stellen (I 20, 31). 33 Er kennt zwar auch bereits einen Begriff der Polizei „ i m engeren V e r stände", dem aber neben der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung u n d Zucht andere Aufgaben wie Gesundheitswesen, Sicherung vor Gefahren u n d Unglücksfällen usw. sowie alles, „was augenblickliche V o r k e h r u n gen erfordert", zugeordnet werden (I § 381, S. 469, 470), so daß er bezüglich des Umfangs der staatlichen Gewalt i m Sonnenfelsschen System keine einschränkende Bedeutung hat. O. Hatschek w i l l jedoch daraus ableiten (insbesondere S. 33 ff.), Sonnenfels habe Sicherheits- u n d Ordnungspolizei voneinander abgrenzen wollen u n d damit die Grundlage f ü r die Trennung des Polizeistrafrechts (das auf der Ordnungspolizei beruhe) v o m gemeinen Strafrecht (das auf der Sicherheitspolizei beruhe) i n Österreich gelegt, ferner selbst dieses Ordnungspolizeistrafrecht i m Sinne Hatscheks als das „spezifische Polizeistrafrecht" angesehen, das nämlich nicht i m StG über schwere Polizeiübertretungen, sondern i n den nicht darin aufgenommenen Strafbestimmungen enthalten gewesen sei, die n u r die sogenannten einfachen Übertretungen oder Vergehen betroffen hätten. Doch widerspricht schon die Bezeichnung von schweren u n d einfachen Übertretungen der Annahme, daß zwischen ihnen ein anderer als n u r gradmäßiger Unterschied bestanden haben soll. Außerdem ist die Sonnenfels von Hatschek unterstellte Meinung i n den „Grundsätzen der Polizei usw." nicht zu finden. Schon das von Hatschek (S. 33) wiedergegebene Zitat über den engeren Polizeibegriff besagt bei diesem etwas ganz anderes als bei Sonnenfels. F ü r Sonnenfels ist die Unterscheidung i m wesentlichen Ordnungsgesichtspunkt. Sie steht i m K a p i t e l über Anstalten (Personen u n d Maßnahmen)
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2. T e i l :
echts vergleichende U n t e r s u c h u n g
E r s t u m 1800 b a h n t e sich — w e n i g s t e n s i n der T h e o r i e — eine E i n s c h r ä n k u n g des P o l i z e i b e g r i f f s auf die G e f a h r e n a b w e h r b z w . die E i n sicht an, daß n i c h t a l l e b i s h e r i g e n Polizeigegenstände G e f a h r e n a b w e h r i m engeren S i n n e w a r e n , w o m i t zugleich d i e r a t i o n a l e E r f a s s u n g der P o l i z e i s t ä r k e r h e r v o r t r a t . Kopetz (1807) rechnete a l l e p o l i t i s c h e n A n s t a l t e n u n d V e r f ü g u n g e n , d u r c h die die höchste G e w a l t k ü n f t i g e g e m e i n schädliche Ü b e l i m I n n e r n des Staates zu v e r h ü t e n u n d a b z u w e n d e n sucht, z u r P o l i z e i 3 4 . D o c h w a r d a m i t die B e s c h r ä n k u n g a u f die G e f a h r e n a b w e h r noch n i c h t v o l l z o g e n , d e n n dieser P o l i z e i b e g r i f f u m f a ß t e n e b e n der ö f f e n t l i c h e n S i c h e r h e i t s p o l i z e i u n d der P r i v a t s i c h e r h e i t s p o l i z e i auch d i e B e v ö l k e r u n g s p o l i z e i sowie die A n s t a l t e n z u r B e f ö r d e r u n g der S i t t l i c h k e i t d u r c h R e l i g i o n , E r z i e h u n g , U n t e r r i c h t u n d E n t f e r n u n g der U r sachen, die U n s i t t l i c h k e i t veranlassen oder v e r b r e i t e n k ö n n e n 3 5 , v. BarthBarthenheim s t e l l t e sodann (1829/30) e i n e m w e i t e r e n P o l i z e i b e g r i f f , der d i e „ w i c h t i g s t e n Z w e i g e der S t a a t s v e r w a l t u n g " umfasse, d e n engeren, a u f die „ H a n d h a b u n g d e r ö f f e n t l i c h e n S i c h e r h e i t u n d O r d n u n g " bezogezur Handhabung der inneren Sicherheit (I §§ 380 ff., S. 468 ff.). Den engeren Polizeibegriff gewinnt er dadurch, daß er aus dem weiteren die Gesetzgebung u n d allgemeine Leitung sowie die Z i v i l - u n d Kriminalgerichtsbarkeit, die besonderen Stellen übertragen sei (und deswegen nicht mehr zur Polizei i m engeren Sinne gehöre), ausscheidet. Was bleibt, ist mehr als n u r „Ordnungspolizei", nämlich auch „Sicherheitspolizei" (z.B. „Anstalten w i d e r die verschiedenen Gefahren u n d Unglücksfälle", I § 381, S. 470; von den besonders geregelten Verwaltungszweigen gehören ζ. B. Leichenpolizei u n d Beerdigungswesen, Viehseuchenpolizei, Aufsicht über Lebensmittel u n d Getränke, M a r k t polizei, Maße u n d Gewichte, die sogenannten Intelligenzämter ausdrücklich unter den Gesichtspunkt der Sicherheit, § 390, S. 478, Bettler, Landstreicher, Feuerpolizei, Sicherheit der Landstraßen, Meldewesen, Untersuchung strafbarer Handlungen usw. zur Polizei i m engeren Sinne, §§ 385 ff., S. 475 ff.), also — i m Einklang m i t dem damals üblichen Polizeibegriff — m i t Ausnahme der erwähnten Gegenstände die gesamte innere Verwaltung, die Sonnenfels unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit sieht, ohne sie dadurch sachlich einzuschränken. Hatschek hat hier wie auch sonst zur Begründung seiner Ansicht w i l l k ü r l i c h interpretiert. Eine Verbindung von Sonnenfelsens Polizeibegriff zu dem außerhalb des StG stehenden Polizeistrafrecht i n der Weise, w i e sie Hatschek unterstellt (daß dadurch jenes Polizeistraf recht zum eigentlichen Polizeistrafrecht i m Sinne von Ordnungspolizeistrafrecht geworden sei), läßt sich weder i n dem genannten Werk noch i n anderen angeführten früheren Schriften zum Polizeistrafrecht u n d schon gar nicht i n den Gesetzen (Josephina, StG 1803) finden. Vielmehr spricht das Kundmachungspatent der Josephina bezüglich der f ü r die A b u r t e i l u n g der politischen Verbrechen zuständigen Stellen ganz i m Sinne des damaligen Polizeibegriffs von „den zur Erhaltung der öffentlichen Zucht, Ordnung u n d Sicherheit bestimmten politischen Behörden". E i n Gegensatz von Ordnungs- u n d Sicherheitspolizei wurde nicht gemacht. Hatschek arbeitet hier m i t unbegründeten Unterstellungen. 34 S. 31. 35 Denn eine allgemein herrschende Sittlichkeit sei die sicherste Grundlage der geselligen Ordnung; ohne sie seien die Gesetze n u r „ohnmächtige Wächter" der öffentlichen u n d privaten Sicherheit (S. 32). Z u den „eigentlichen Polizeigeschäften" gehören daher nach Kopetz auch die Gesundheitspflege, die V e r sorgung m i t Lebensmitteln, deren V e r k a u f usw., der öffentliche Anstand u. a. m. (S. 15 f.).
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nen gegenüber, der alles betreffe, was sich auf „Sicherheit, Ordnung und Bequemlichkeit i n der bürgerlichen Gesellschaft" beziehen könne, w o runter ζ. B. das Gesundheitswesen, das Recht der Wirtschaft, des Gewerbes und Handels, das Religions-, Unterrichts- und Erziehungswesen usw. nicht fielen 36. Polizei ist daher bei i h m der Inbegriff aller „ p o l i t i schen Anstalten u n d Verfügungen, durch welche künftige gemeinschädliche Uebel i n der bürgerlichen Gesellschaft verhüthet u n d abgewendet, und zugleich Ordnung u n d Bequemlichkeit i n derselben befördert w i r d " 3 7 . Auch i n die Gesetzessprache gelangen n u n ähnliche Formulierungen, ζ. B. i n das Kundmachungspatent zum Strafgesetz v o n 1803 oder i n das Hofdekret v o m 30. September 1806 38 . Praktische Folgerungen i m Hinblick auf die Abgrenzung von K r i m i n a l - u n d Polizeistraf recht w u r d e n aber aus all diesen Formulierungen nicht gezogen, insbesondere i n der Gesetzgebung nicht, wie es ja auch der reaktionär-absolutistischen H a l tung Franz' I I . entsprach. Sie dienten n u r der rationalen Erfassung der Deliktsgruppen (und dam i t auch des Polizeistrafrechts), und zwar vornehmlich i m Sinne einer E r k l ä r u n g der gesetzlich geschaffenen Verbrechensgattungen (und w a r u m der Gesetzgeber gewisse Handlungen unter Strafe stellen kann), nicht aber zur Begründung ihrer Artverschiedenheit i m staatlichen Recht oder u m das Polizeistraf recht m i t dem (später so genannten) „rationalen Begriff des Polizeideliktes" i n Einklang zu bringen. W i r finden solche Begriffsbestimmungen i n der Einleitung zum StG 1803 39 , während sie noch i n der Josephina fehlen. M a n versuchte auch (sogar innerhalb des Polizeistrafrechts) eine (allerdings n u r theoretische) Unterscheidung von Handlungen, die wegen ihrer Schädlichkeit oder der Gefahr f ü r i n d i v i duelle Rechte immer und überall, und solchen, die n u r auf G r u n d der besonderen Verhältnisse i n einem bestimmten Staate verboten u n d strafbar seien 40 , aber alle diese Überlegungen mündeten noch nicht i n eine am „rationalen Begriff des Polizeidelikts" ausgerichtete reformatorische K r i t i k 4 1 . Revolutionäre K r a f t erhielten sie erst auf der Grundlage der das I n d i v i d u u m als solches i n den M i t t e l p u n k t der Rechtsordnung u n d des Staatszweckes stellenden, i h m eigene und v o m Staat unabhängige Rechte zubilligenden, m i t liberalen Gedanken verbundenen Naturrechtslehre. Noch w a r für die staatliche Aufgabe nicht das I n d i v i d u u m als solches, sondern die „Gesellschaft", d. h. die Individuen als Gattung, richtungweisend 4 2 . 36
Die aber Gegenstände der Polizei i m weiteren Sinne seien (I, S. 22 f.). I, S. 25. 38 JGS Nr. 787 ; wesentlicher Zweck des StG über schwere Polizeiübertretungen sei, „den Privat-Verletzungen möglichst vorzubeugen". 30 Vgl. u. S. 199. 37
40
Vgl. z. B. Jenull, I, S. 73.
41
Die freilich außerhalb Österreichs schon geübt wurde.
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2. T e i l : Hechtsvergleichende U n t e r s u c h u n g
Den Unterschied von Justiz und Polizei schließlich, die beide nach damaliger Auffassung die innere Sicherheit zum Gegenstand hatten 4 3 , sah man gemeinhin in dem von Bindung an das Gesetz und Ermessensfreiheit 4 4 , also in der A r t der Handhabung der hoheitlichen Gewalt, nicht i m Wesen der Sache selbst. Diese Unterscheidung hat auf die Trennung von Justiz- und Verwaltungsstrafrecht noch bis zum Verwaltungsstrafgesetz von 1925 nachgewirkt 4 5 . So ist das polizeiliche oder, wie es damals hieß, politische Strafrecht nur ein Teilgebiet aus dem Bereich des gesamten Strafrechts, das die dem Endzweck des Staates, der allgemeinen Sicherheit und Wohlfahrt, weniger abträglichen Handlungen erfaßte 46 und Kennzeichnung und Namen allein dadurch erhielt, daß es von den politischen Behörden angewendet wurde. Ebenso wie der Polizeibegriff i m allgemeinen dazu diente, den Staatsaufbau und das staatliche Leben i m Innern neu zu gestalten, gab er dem absoluten Staat den Anlaß, seine unbeschränkte Zuständigkeit auch auf die nicht zur peinlichen Gerichtsbarkeit gehörende Strafrechtspflege (niedere Gerichtsbarkeit, Strafgewalt örtlicher, grundherrlicher Behörden usw.) auszudehnen und sie als Polizeistrafrecht (politisches Strafrecht) zu vereinheitlichen, seinen Zielen entsprechend zu regeln und mit ihrer Hilfe die neue Ordnung durchzusetzen (instrumentaler Charakter des Polizeistraf rechts). Damit aber kann dem historischen Polizeistrafrecht Österreichs so wenig wie dem anderer absoluter Staaten der Gedanke einer Trennung des „bloß polizeiwidrigen" vom „eigentlichen" strafbaren Unrecht, des „ n u r " gesetzten vom naturrechtlich vorgegebenen innegewohnt haben. 2. Die politischen Verbrechen der Josephina
So gibt auch die Josephina 47 keine allgemeine Charakteristik oder Definition der politischen Verbrechen. Sie spricht nur i m Kundmachungspatent davon, es sei „zwischen Criminal- und politischen Verbrechen eine anständige Gränzlinie auszuzeichnen". Dies bedeutet nicht etwa die A n 42 Auch der Vorbeugungsgedanke konnte keine entscheidende Rolle spielen, solange die polizeiliche Aufgabe nicht eindeutig auf die Gefahrenabwehr (Verh ü t u n g von Schädigungen) beschränkt war. 43 Kopetz, S. 3, 31. 44 I m Anschluß an das Wort Montesquieus: „Dans l'exercise de la police, c'est plutôt le magistrat q u i p u n i t que la loi: dans les jugements des crimes, c'est plutôt la loi q u i p u n i t que le magistrat" (Esprit des lois, Buch 26, Kap. 24). ν . Barth-Barthenheim stellte noch dieses Zitat seinem Buch als richtungweisend voran. — Sonnenfels lehnte allerdings diese A r t der Unterscheidung ab; I, S. 49 f. 45 Vgl. u. S. 218 ff. (über verfassungsrechtliche Grundlagen). 46 Vgl. ζ. B. Jenull, I, S. 62, 68. 47 Allgemeines Gesetz über Verbrechen u n d deren Bestrafung v o m 13. Januar 1787, von Joseph II. erlassen, veröffentlicht i n JGS Nr. 611.
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erkennung eines wesensmäßigen Unterschiedes i m Sinne der späteren Polizeistrafrechtstheorie, sondern das Bestreben nach besserer Aufgliederung der strafbaren Handlungen auf die bestehenden Deliktsgruppen m i t ihren verschiedenartigen Straffolgen und ihren Verfahren vor unterschiedlichen Behörden, je nachdem es sich um peinliche (halsgerichtsmäßige, kriminelle) Fälle handelte oder nicht. Nur die ersten wurden von Gerichten abgeurteilt, die letzten nicht; für sie waren die politischen Behörden zur Ausübung des Strafrichteramtes zuständig 48 , weshalb sie „politische Verbrechen" genannt wurden 4 9 . Die Theresiana 50 hatte sich nur mit den Criminalverbrechen 51 befaßt und i n A r t . 104 angeordnet, daß strafwürdige Taten, die unter kein Strafgesetz fielen, „nach Aehnlichkeit deren in dieser Gerichtsordnung einkommenden Grundsätzen" zu bestrafen seien, und dem Richter auch sonst großen Ermessensspielraum (insbesondere bei den Fahrlässigkeitsverbrechen, Art. 3 § 3) gegeben. Jedoch war nicht „jedwede sträffliehe Handlung sogleich für halsgerichtsmäßig anzusehen, sondern nur diejenigen, so der Wohlfahrt, und dem Ruhestand des gemeinen Wesens mittel- oder unmittelbar entgegen stehen" und in der Theresiana genannt oder nach Art. 104 den genannten gleichgestellt waren (Art. 2 § 2). Die Theresiana galt schon bald als veraltet, und man fand, daß sie unterschiedslos Taten von sehr verschiedener Schwere, auch jetzt für verhältnismäßig geringfügig angesehene, zu den Kriminalverbrechen m i t ihren strengen Strafen zähle. Fahrlässigkeitsdelikte sollten überhaupt nicht zu den peinlichen Fällen gehören, ferner Bestrafungen „nach Ähnlichkeit" (Art. 104) ausgeschlossen werden. A u f all dies spielte die Josephina an, als sie forderte, eine „anständige Gränzlinie" zwischen Kriminalverbrechen und politischen Verbrechen „auszuzeichnen". Die schweren Verbrechen sollten auch zur Erweckung größeren Abscheus vor ihrer Begehung deutlich (u. a. nach der Zulässigkeit der aburteilenden Stelle) von den andern getrennt werden. Sehr wichtig war die klarere Zuständigkeitsabgrenzung zur Verhinderung von Kompetenzstreitigkeiten. Für die nicht peinlichen strafbaren Handlungen hatte die Theresiana nicht gegolten. Dieser Bereich des Strafrechts war weitgehend ungeordnet; großenteils galten Ortsgebrauch und Herkommen, und dem Ermessen der politischen Behörden blieb ein großer Spielraum. Auch hiergegen wollte der Reformer Joseph II. angehen. 48 Beidtel-Huber , I, S. 355; vgl. auch noch v. Barth-Barthenheim, z.B. I V , S. 165 \Kopetz, S. 14; Moos, Verbrechensbegriff, S. 176. 49 So auch Hoegel, Geschichte, I, S. 84. 50 Constitutio criminalis Theresiana v o m 31. Dezember 1768 (das erste einheitliche Kriminalgesetzbuch der Habsburgermonarchie i n den böhmischösterreichischen Erblanden). 51 Peinlichen oder halsgerichtlichen Verbrechen, auch als Malefizverbrechen, Laster-, Übel- oder Missetaten bezeichnet, A r t . 2 §§ 1, 3.
13 Mattes
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2. T e i l :
echtsvergleichende U n t e r s u c h u n g
Maßgebend für die Kodifikation der politischen Verbrechen war daher neben der Überlegung, daß bei einer Beschränkung des Gesetzes auf Kriminalfälle ein Teil der Delikte der Theresiana nicht i n das Gesetz aufgenommen und „willkürlicher Behandlung" ausgesetzt worden sowie die allgemein erkennbare Strafdrohung weggefallen wäre, das Bestreben, die strenge Gesetzmäßigkeit der Strafrechtspflege und die Bindung des Richters an das Gesetz nicht nur für die Kriminalverbrechen, sondern mindestens auch für die wichtigeren politischen Delikte einzuführen 52 . So handelte Josephs II. Allgemeines Gesetz über Verbrechen und deren Bestrafung i m ersten Teil „Von Kriminalverbrechen und Kriminalstrafen" und i m zweiten „Von politischen Verbrechen und politischen Strafen"; es schrieb dem Richter erstmals vor, sich streng an das Gesetz zu halten, indem es jede Analogie und Richterwillkür in der Bestrafung verbot, um nach den Worten seiner Präambel „auch der strafenden Gerechtigkeit durch ein allgemeines Gesetz eine bestimmte Richtung zu geben; bei Verwaltung derselben alle W i l l k ü h r zu entfernen..." (d. h. den Willen des Gesetzgebers, des Monarchen, uneingeschränkt zu verwirklichen). Die Kriminalverbrechen (Halsverbrechen, I § 1) sollten die Gerichte (I § 10), die politischen Verbrechen jedoch die politischen Behörden aburteilen ( I I § 6). Die Kriminalverbrechen mußten vorsätzlich begangen sein (I § 2) 53 , während bei politischen Verbrechen die Anschuldigung aus der „ m i t freyem Willen begangenen That" folgen sollte (II § 2). Als politische Verbrechen i m Sinne der Josephina konnten aber nur die i n ihrem zweiten Teil „ausdrücklich genannten Handlungen" betrachtet werden; alle anderen „gehören unter die politischen Verbrechen nicht" ( I I § 1). „Die politische Obrigkeit" war „ i n Ausmessung der Strafe an gegenwärtiges Strafgesetz gebunden..." ( I I § 8). Die politischen Behörden dienten hierbei als Ersatz für die i n diesem Bereich der Strafrechtspflege noch fehlenden Gerichte 54 . Der Besondere Teil (der Vorläu52 Weitergehende Pläne w u r d e n nicht verwirklicht. Joseph II. hatte bereits m i t Entschließung v o m 6. M a i 1783 die K o m p i l a t i o n auch der politischen Strafgesetze angeordnet (zitiert bei Hatschek, S. 16, A n m . 46, nach den A k t e n des österreichischen Justizministeriums). A m 21. J u n i 1794 erging ein A u f t r a g zur Schaffung eines Polizeigesetzbuchs, „ u m gegen schädlichen M u t w i l l e n , Frevel, Nachlässigkeit u n d Ungebührlichkeit eine bestimmte Ordnung herzustellen" (Hatschek, S. 21, nach den A k t e n des Justizministeriums); m i t dieser Aufgabe wurde Sonnenfels betraut (Hatschek, a.a.O.). Auch später (1808) wurde der Plan einer vollständigen Kodifikation des Polizeistrafrechts wieder aufgenommen, aber ebenfalls ohne Erfolg (Hatschek, S. 23 f., 24, A n m . 68). Erst das V S t G 1925 dehnte die gesetzliche Regelung auf das Gebiet der geringeren Polizeidelikte aus — freilich ohne dabei (von der einheitlichen Regelung des Allgemeinen Teils u n d des Verfahrens abgesehen) wesentlich über den seitherigen Z u stand hinauszukommen. 53 A l l e Fahrlässigkeitsdelikte gehörten daher zu den politischen Verbrechen. Ebenso Moos, Verbrechensbegriff, S. 177. 54 Vgl. auch Hatschek, S. 17; Beidtel-Huber , I, S. 355 (Justizverwaltung durch administrative Behörden); v. Barth-Barthenheim, z.B. I V , 97, 104, 118 (politische Obrigkeit als Gerichtsbehörde; Polizeistrafgerichte; Polizeirichter).
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fer der Vergehen und Übertretungen des bis zum 31. Dezember 1974 geltenden österreichischen StG 1852) gliederte die Tatbestände i n Delikte, „die dem Leben oder der Gesundheit der Mitbürger Gefahr oder Schaden bringen" ( I I §§ 19 - 28), durch die „das Vermögen oder die Rechte der Mitbürger gekränket werden" ( I I §§ 29 - 60), und andere, „die zum Verderbnisse der Sitten führen" ( I I §§ 61 - 82). Die Beschränkung der Bezeichnung „politische Verbrechen" auf die i m zweiten Teil der Josephina enthaltenen Tatbestände stimmte nicht mit dem üblichen Sprachgebrauch überein. Daher stellte der letzte Satz i n I I § 1 klar, daß nur ein Teil des sogenannten politischen Straf rechts kodifiziert worden war: „Dennoch werden auch die übrigen gesetzeswidrigen Handlungen von der öffentlichen Aufsicht nicht unbeobachtet, noch bey ihrer Entdeckung straflos bleiben, sondern nach den hierüber bestehenden besonderen Verordnungen behandelt" (vielfach fehlte aber noch jede gesetzliche Regelung). Das Verfahren bei politischen Verbrechen regelte die durch Hofdekret vom 5. März 1787 den Appellationsgerichten „wegen des Zusammenhanges mit dem Criminalwesen" mitgeteilte „Instruction für die politischen Behörden über die Anstrengung einer Inquisition, Aburtheilung und Strafvollziehung wider einen eines politischen Verbrechens Beschuldigten" 5 5 , die zunächst (in § 2) bestimmte, was als „zureichende Inzichten zur Anschuldigung" (§ 1) anzusehen sei, ohne die „eine Inquisition wegen eines politischen Verbrechens nicht angestrenget werden" sollte (§ 3), für das weitere Verfahren aber nur wenige Richtlinien gab 5 6 und „die A r t der Untersuchung und Erforschung... bis hierüber die allgemeine bestimmtere Richtschnur nachfolgt 57 , dem bescheidenen Benehmen der Obrigkeit" überließ (§ 5). Gewisse Urteile bedurften der Bestätigung durch das Kreisamt oder die Landesstelle (§§ 14, 15). — Das Verfahren verlief somit summarisch und i m großen und ganzen ohne Förmlichkeiten. Eine eingehendere Verfahrensregelung ist wohl vorgesehen gewesen 58 . Zuständig zur Aburteilung in erster Instanz war nach dem Hofdekret vom 25. Juni 178759 „nicht das Kreisamt, sondern die Grundobrigkeit oder der Magistrat" (soweit dieser eine eigene Jurisdiktion ausüben durfte). 3. Der Entwurf Haan
Einen weiteren Vorstoß auf eine justizförmige Behandlung der wichtigeren Polizeidelikte machte sodann der versuchsweise als sogenanntes 55
JGS Nr. 640. Insbesondere enthielt sie Vorschriften darüber, w a n n das Verbrechen als bewiesen anzusehen sei, §§ 7 - 13. 57 Sie blieb aus. 58 F ü r die Kriminalverbrechen galt die Kriminalgerichtsordnung vom 17. J u n i 1788 (JGS Nr. 848). 59 Nach dem Zitat bei Hatschek, S. 17, A n m . 51. 56
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2. T e i l :
echtsvergleichende U n t e r s u c h u n g
Westgalizisches Strafgesetz vom 17. Juni 179660 eingeführte Entwurf Haan. Er wies die Aburteilung aller i n i h m unter Strafe gestellter Handlungen der Justiz zu (§ 16) und enthielt daher bezeichnenderweise keine politischen (oder polizeilichen) Verbrechen mehr, sondern lediglich „Civilverbrechen", für die m i t wenigen Ausnahmen dieselben Vorschriften wie für Kriminalverbrechen galten. Das Verfahren regelte der zweite Teil. K r i m i n a l - und Zivilverbrechen unterschied das StG 1796 nur quantitativ; Einteilungsrichtlinie für den Gesetzgeber (wohl auch gegenüber den anderen Gesetzesübertretungen, die nicht „für Verbrechen erklärt sind", § 1) war das Maß, i n dem die Tat den „Ruhe- und Sicherheitsstand i m gemeinen Wesen" verletzte (§ 2). Unter die Zivilverbrechen wurde aber nur ein Teil der früheren politischen Verbrechen aufgenommen, nämlich die schwereren, die in der Regel eine unmittelbare Schädigung enthielten* 1 , denn es sollten nur solche Taten zu (Kriminal- oder Zivil-)Verbrechen erklärt werden, „deren natürliches Unrecht sich nicht verkennen läßt" (§ 15)*2. I n dieser Formulierung klingt bereits die Naturrechtslehre der Aufklärung an; sie diente aber nicht dazu, die Sonderstellung des „bloß" polizeiwidrigen Unrechts i m Sinne der späteren Polizeistrafrechtslehre darzutun, sondern u m zu bekunden, das Westgalizische StG 1796 habe nur so eindeutig schädliche Handlungen unter Strafe gestellt, daß deren Unrecht (weil Schädlichkeit) für jedermann auf Grund seiner natürlichen Vernunft ohne weiteres erkennbar sei, denn „die Verbrechen (des StG 1796) greifen das gemeinschaftliche Band des Staates entweder unmittelbar an, oder sie schaden demselben mittelbar dadurch, daß sie einzelne Menschen an der Person, dem Vermögen, der Freyheit, Ehre oder andern Rechten verletzen, oder die guten Sitten verderben" (§ 41). Nach den Worten des Kundmachungspatents verfolgt das StG den Zweck, „daß die der gemeinen Ruhe und Sicherheit nachtheiligen Verbrechen erforscht und bestrafet" werden. Dies zeigt, daß die subjektiv-individualistische Naturrechtslehre die Gesetzgebung noch nicht nachhaltig beeinflußte. Das Strafrecht ist nicht auf die (natürlichen) individuellen Rechte und deren Schutz bezogen, sondern auf die „gemeinschaftlichen Bande des Staates", die „gemeine Ruhe und Sicherheit". Von hier aus konnte aber kein „eigentliches" Polizeistraf recht i m Sinne der späteren Theorie gedacht werden.
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JGS Nr. 301. Der Zuständigkeitsbereich der Justiz konnte schon wegen Fehlens einer entsprechenden Gerichtsorganisation nicht weiter ausgedehnt werden. Auch der Bruch m i t dem Herkommen wäre zu groß gewesen, so daß an eine Beseitigung der Rechtsprechung der Verwaltungsbehörden nicht zu denken war. 62 Die Strafbarkeit setzte daher vorsätzliche Begehung voraus (§ 6), bei der sich niemand „ m i t der Unwissenheit der Gesetze" entschuldigen k a n n (§ 15). 61
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4. Die schweren Polizeiübertretungen des Strafgesetzbuchs von 1803 und die nicht kodifizierten einfachen Polizeivergehen
a) Die schweren Polizeiübertretungen Das „Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Ρolizey -ΌÜbertretungen" vom 3. September 180363 engte den Bereich der Justiz gegenüber dem StG 1796 (das freilich nur i n Westgalizien gegolten hatte) wieder etwas ein, wie es auch der reaktionären Haltung Franz' II. entsprach. Es enthielt i m ersten Teil die Verbrechen, i m zweiten die schweren Polizeiübertretungen, und zwar nicht nur das materielle Recht, sondern jeweils i m Anschluß an dieses auch das Verfahrensrecht. I n dem sehr ausführlichen Kundmachungspatent und i n der Einleitung werden i n fast lehrhafter Form die Grundsätze der neuen Kodifikation herausgestellt. aa) Die gesetzliche Abgrenzung Den schweren Polizeiübertretungen wollte das neue Gesetz „zur genaueren und sorgfältigeren Handhabung der allgemeinen Wohlfahrt einen vollständigeren Umfang als das bisherige Strafgesetz über die so genannten politischen Verbrechen" (KP) geben; dabei sollte, entgegen dem StG 1796 und wegen der inzwischen notwendig gewordenen Änderungen und Zusätze zur Josephina wie auch zur Verbesserung der i n dieser getroffenen Regelung, darauf geachtet werden, daß „zwischen den Verbrechen und schweren Polizey-Uibertretungen eine genaue Gränzlinie bestehe, und bei dieser wichtigen Entscheidung keine W i l l k ü r Statt finde" (KP). M i t dieser „genauen Grenzlinie" sollte indessen genausowenig wie m i t der „anständigen Grenzlinie" der Josephina ein eigenständiges Polizeistrafrecht i m Sinne der sich anbahnenden Polizeistrafrechtstheorie geschaffen werden; vielmehr waren hier entsprechende Gründe wie dort maßgebend 64 ; man wollte die bestehende Unterscheidung verbessern, um „den Abscheu gegen Verbrechen durch die Vermengung mit minder gefährlichen (!) Schuldfällen . . . nicht zu schwächen . . . " (KP). Vollends macht die nur gradmäßige Abstufung der einzelnen Deliktsgruppen („nach Verhältniß ihrer Wichtigkeit, und ihres nachtheiligen Einflusses", I I § 33) Ziff. I der Einleitung deutlich: „Jede gesetzwidrige Handlung unterwirft einer Verantwortlichkeit. Aber die Gesetzgebung w i r d zur größeren Strenge gegen diejenigen gesetzwidrigen Handlungen aufgefordert, welche der Sicherheit i m gemeinen Wesen zunächst, und i n einem höheren Grade nachtheilig sind. Zum Unterschiede von andern Uibertretungen werden diese gesetzwidrigen Handlungen 63 JGS Nr. 626; Zitate i m folgenden nach der bei Johann Thomas Edlen von Trattnern, p . p . Hofbuchdrucker u n d Buchhändler, Wien, 1803, gedruckten Ausgabe. Z u r Entstehungsgeschichte u n d zum geistigen H i n t e r g r u n d eingehend Moos, Verbrechensbegriff, S. 186 ff. 64 Vgl. o. S. 192 ff. Kritisch Moos, Verbrechensbegriff, S. 252 ff.
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durch die Benennung: Verbrechen und schwere Polizey-Uibertretungen bezeichnet." I n diesem Rahmen sind Verbrechen jene „gesetzwidrigen Handlungen und Unterlassungen, bey welchen die Absicht eigens auf dasjenige gerichtet ist, was die Sicherheit i m gemeinen Wesen verletzt, und welche die Größe der Verletzung, oder die gefährlichere Beschaffenheit der Umstände zur Kriminalbehandlung eignet" (Einleitung, Ziff. II). Grundlage der Strafbarkeit einer Tat überhaupt ist deren Gemeingefährlichkeit (für die Erhaltung des gemeinen Wesens) 65 . Begriff und Einteilung der strafbaren Handlungen werden „von dem Einflüsse derselben auf die gemeinschaftliche Sicherheit hergenommen" 66 . Als Richtlinie dienen der Grad, i n dem die „Sicherheit i m gemeinen Wesen" beeinträchtigt wird, und schließlich (im Verhältnis der Verbrechen zu den schweren Polizeiübertretungen) neben der „Absicht" die „Eignung zur Kriminalbehandlung", d. h. die A n t w o r t auf die Frage, ob die Schwere der strafbaren Handlung ein „peinliches Verfahren" und eine „peinliche Bestrafung" erfordert. Maßgebend ist dabei, wie der Gesetzgeber die Wichtigkeit und den nachteiligen Einfluß einer Tat beurteilt (Einleitung, Ziff. V I ; I I § 33) 67 . Naturrechtliche Gesichtspunkte spielen für die Aussonderung der Verbrechen keine Rolle, denn auch „die schweren Polizey-Uibertretungen sind insgesammt Handlungen oder Unterlassungen, die jeder als unerlaubt von selbst erkennen kann; oder, wo der Uibertreter die besondere Verordnung, welche übertreten worden, nach seinem Stande, seinem Gewerbe, seiner Beschäftigung, oder nach seinen Verhältnissen, zu wissen verpflichtet ist. Die Unwissenheit kann also bey schweren Polizey-Uibertretungen nicht entschuldigen" ( I I § l ) 6 8 . Jedoch versuchte das StG 1803 i m Gegensatz zur Josephina eine rationale Beschreibung der nunmehrigen schweren Polizeiübertretungen, wobei es Begriffe verwendete, die unter naturrechtlichem Einfluß gebildet worden waren. Entsprechend der stärkeren Ausrichtung des Polizeibegriffs an der Gefahrenabwehr 69 gab das Kundmachungspatent als Ziel des der „Handhabung der allgemeinen Wohlfahrt" dienenden StG über schwere Polizeiübertretungen an, „den Verbrechen der Verführung zur Unsittlichkeit" und den „Schuldhandlungen" m i t möglichen deliktischen Folgen vorzubeugen. Die schärfere gedankliche Erfassung der Polizei als 65
Jenull, I, S. 61 f. Jenull, I, S. 62. 67 Unter den „ i h r e r A r t u n d Größe nach sehr mannigfaltigen Handlungen" werden etliche „durch die Benennnung: Verbrechen u n d schwere PolizeyUebertretungen" herausgehoben; andere sind Übertretungen u n d Vergehen, j e „nach Verschiedenheit der Fälle" (Jenull, I, S. 62). 68 Fast wörtlich ebenso § 233 StG 1852. Wann ein Rechtsirrtum vorwerfbar ist, bestimmt auch § 9 StGB 1975 i n ähnlicher Weise. Eingehend u n d kritisch zum Ganzen die dogmengeschichtliche Betrachtung von Schick, ÖJZ 1969, S. 535, 538 f. 69 Vgl. o. S. 191. 66
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die der inneren Sicherheit, der Ordnung und Bequemlichkeit dienende staatliche Tätigkeit ließ sie nur als einen Teil der allgemeinen inneren Verwaltung (der „politischen" Angelegenheiten) erscheinen. Ihre Aufgabe — Erhaltung der bestehenden Ordnung, Schutz vor Gefahren — entsprach derjenigen der Strafrechtspflege (Vorbeugung, Abschreckung und Unschädlichmachung standen i m Vordergrund der Diskussion u m den Strafzweck). Daher empfand man die Bezeichnung „politische Verbrechen" als zu weit. Die Handhabung der Strafgewalt gehörte nicht mehr in den weiten Rahmen der „politischen" Angelegenheiten, sondern i n den engeren der „polizeilichen", auf Erhaltung der inneren Sicherheit gerichteten Aufgabe 7 0 und stand den politischen Behörden daher wegen ihrer polizeilichen Funktionen zu. I m Wege des rationalen Durchdringens des Strafrechts wurde so das „politische" Verbrechen durch das „polizeiliche", gleichzeitig aber auch das „Verbrechen" durch die schwächere „Übertretung" ersetzt, da sich der Vernunft Verbrechen und K r i minalverbrechen als identisch vorstellten. U m aber die schwerwiegenden, kodifizierten Polizeiübertretungen von den nicht kodifizierten (leichteren) zu unterscheiden 71 , nannte man sie die „schweren". Zu ihrer rationalen Erfassung 72 beschrieb die Einleitung zum StG 1803 sie als a) „absichtliche Verletzungen", die „nach Beschaffenheit des Gegenstandes, der Person des Thäters, oder nach Beschaffenheit der unterlaufenden Umstände zu einer Kriminalbehandlung nicht geeignet sind" (Ziff. I I I ) ; b) Vornahme oder Unterlassung von Handlungen, die „durch die Gesetze, um Verbrechen vorzukommen, oder großen Nachtheil abzuwenden, zu thun verboten" oder „zu diesem Ende zu thun geboten" sind, ohne daß dabei eine „auf irgend ein Verbrechen gerichtete Absicht" ob waltete (Ziff. IV), und schließlich c) „wegen des allgemeinen Einflusses der Sittlichkeit auf die Verhinderung der Verbrechen, auch Handlungen, welche die öffentliche Sicherheit stören" (Ziff. V), d. h. als geringe Verletzungsdelikte, Fahrlässigkeitsdelikte 73 , Gefährdungsdelikte und A n griffe auf die öffentliche Sittlichkeit 7 4 . 70
Kudler, I, S. 4, A n m . 2. Was i n der Josephina durch die Bezeichnung als politische „Verbrechen" geschehen war. 72 Nicht etwa zur Aufstellung eines apriorisch-rationalen Reformprinzips (vgl. o. S. 191). Sorgfältige Durchleuchtung nach dogmatischen Gesichtspunkten bei Moos, Verbrechensbegriff, S. 252 ff., 260 ff., 276, 281 ff. 73 A l l e Fahrlässigkeitstaten gehörten zu den schweren Polizeiübertretungen, denn Verbrechen setzten Vorsatz voraus (I § 1). 74 Bemerkt werden mag noch, daß die i n zufälliger (die Zurechnungsfähigkeit bei Verbrechen ausschließender) Trunkenheit begangenen Verbrechen „dennoch nach Beschaffenheit der Umstände als schwere Polizey-Uibertretungen zu bestrafen" waren ( I I § 3); ebenso die Verbrechen Minderjähriger z w i schen 10 u n d 14 Jahren, „die n u r wegen Unmündigkeit des Täters nicht als Verbrechen zugerechnet werden" ( I I § 4). 71
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Der Gesetzgeber von 1803 hatte m i t h i n wie schon der josephinische die strafbaren Handlungen nur nach ihrer Schwere einteilen wollen 7 5 . Aber es ist nicht zu verkennen, daß sowohl die politischen Verbrechen der Josephina als auch die schweren Polizeiübertretungen des StG 1803 nach der Absicht der Gesetzgeber das kodifizierte historische Polizeistrafrecht jener Zeit (freilich nicht das der späteren Schriftsteller) darstellten 7 6 ; sie werden deshalb auch allgemein als solches angesehen 77 . Verfehlt ist es jedoch, wenn spätere Schriftsteller an den beiden vorgenannten Gesetzen K r i t i k üben, weil deren Polizeistrafrecht nicht ihrer Auffassung vom verwaltungswidrigen Unrecht entspricht 78 , denn eine geschichtliche Erscheinung läßt sich nur nach den ihrem Zeitalter eigentümlichen Maßstäben beurteilen. Der Begriff des „bloß" polizeiwidrigen Unrechts (im Sinne des sogenannten rationalen Polizeibegriffs) bildete aber gar kein legislatives Kriterium; deshalb konnte i h m die Gesetzeswirklichkeit nicht entsprechen. Entscheidend waren vielmehr „die Stärke der bösen Triebfeder, welche bei einer bestimmten Handlung vorausgesetzt werden muß, die Wichtigkeit und Gefährlichkeit der mit derselben verbundenen Folgen, die Größe des Schadens und die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Vorsicht gegen dieselbe hauptsächlich bei der diesfälligen Eintheilung (in der Josephina), und so naturgemäß erschien dieselbe, daß, von wenigen . . . Ausnahmen abgesehen, dieselbe Vertheilung noch heute aufrecht besteht" 7 9 . Die i n den §§ 37 - 269 des zweiten Teils enthaltenen besonderen Tatbestände der schweren Polizeiübertretungen teilte das Gesetz i n Übertretungen gegen die öffentliche Sicherheit (und zwar die Sicherheit des gemeinschaftlichen Staatsbandes, den öffentlichen Ruhestand, öffentliche Anstalten und Vorkehrungen zur gemeinschaftlichen Sicherheit, Pflichten eines öffentlichen Amtes), die Sicherheit einzelner Menschen (solche, die „der persönlichen Sicherheit am Leben, an der Gesundheit, oder sonst an dem Körper; die der Sicherheit des Eigentums oder der Erwerbung; der Sicherheit der Ehre und des guten Rufes; oder irgend der Sicherheit der Rechte, Gefahr oder Nachtheil bringen") und die öffentliche Sittlichkeit ein (II §§ 34 - 36). Es sind dies die Vergehen und Übertretungen des bis zum 31. Dezember 1974 geltenden StG 185280. Die politischen Ver75
So auch Hatschek, S. 5 ff.; Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 154. F ü r den damaligen Gesetzgeber unterschieden sich Kriminalstrafrecht u n d Polizeistrafrecht eben n u r nach der Schwere. Dies verkennt Hatschek, a.a.O. 77 z.B. ν . Bar, S. 160; Eb. Schmidt, Geschichte, S. 257, 259; Wahlberg, S. 14, 16; Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 154 ff., 83 ff.; Hoegel, Geschichte, I, S. 87 ff. ; Mittermaier, Strafgesetzgebung, I, S. 223 f. (kritisch wegen des U m fangs der Polizeiübertretungen jedoch I, S. 14; I I , S. 85); Feuerbach, K r i t i k , I, S. 18 (er sah i m StG 1803 sogar „auf das vollkommenste" die Idee verwirklicht, die er von der Trennung von K r i m i n a l - u n d Polizeistrafrecht hatte) ; u. a. 78 ζ. Β. v. Bar, Eb. Schmidt, Goldschmidt, Wahlberg, alle a.a.O. 79 So v. Domin-Petrushevecz, S. 151. 76
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brechen der Josephina nahm das StG 1803 nicht alle bei den schweren Polizeiübertretungen auf. Einige reihte es unter die Verbrechen ein, wie Religionsstörung, verschiedene unsittliche Handlungen, manche Diebstahlsfälle usw., andere wurden zu minderen Polizeiübertretungen, wie das unzüchtige Gewerbe ohne besondere erschwerende Umstände, öffentliches unanständiges Betragen, Anstoß erregendes Entblößen des K ö r pers usw. Umgekehrt findet man gewisse Verbrechen der Josephina als schwere Polizeiübertretungen wieder, so den Selbstmord, die Entwendung fremden Viehs von der Weide, manche Privatveruntreuungen usw. Auch frühere einfache Polizeivergehen gehörten zu den schweren Polizeiübertretungen, wie etliche Zensurüberschreitungen (die Pressedelikte wurden überhaupt vermehrt), Verleitung zur Ansiedlung i m fremden Land, Auflauf usw. Das StG enthielt eine vollständige Kodifikation sowohl der Verbrechen als auch der schweren Polizeiübertretungen, d. h. nur die i n ihm „ausdrücklich für ein Verbrechen, oder für eine schwere Polizey-Uibertretung" erklärte Tat konnte als solche bestraft werden (Einleitung, Ziff. VI). Zur Bestrafung wegen eines Verbrechens erforderte I § 1 (§ 1 StG 1852) den (auf Herbeiführung des Übels gerichteten oder als „andere böse Absicht", aus der das Übel „gemeiniglich erfolget oder . . . leicht erfolgen kann", erscheinenden) „bösen Vorsatz", während schwere Polizeiübertretungen auch ohne solchen (Schädigungs-)Vorsatz strafbar waren 8 1 : „Schon die gegen ein Verbot vollbrachte Handlung, oder gegen ein Gebot geschehene Unterlassung ist an sich eine schwere Polizey-Uibertretung, obgleich weder eine böse Absicht dabey m i t untergelaufen, noch Schaden oder Nachtheil daraus erfolget ist" ( I I § 5; § 238 StG 1852)82. bb) Die Strafrechtsprechung i n schweren Polizeiübertretungen durch Verwaltungsbehörden Das Bemühen, die Gesetzmäßigkeit i m Strafrecht möglichst weit auszudehnen, trat noch dadurch hervor, daß „auch keine politische Strafe ohne ein ordentliches Verfahren verhänget" werden sollte. „Die politischen 80 So stimmten I I §§ 34 - 36 StG 1803 großenteils wörtlich m i t den §§ 275 277 StG 1852 überein, die i m StGB 1975 kein Gegenstück mehr haben. Siehe näher zum jetzigen Rechtszustand u. S. 212 u n d S. 226 ff. 81 Denn häufig gehörte der E i n t r i t t eines schädlichen Erfolges nicht zum T a t bestand. (Zuweilen w a r auch der E i n t r i t t eines Erfolges, zu dessen Verhütung die betreffende Vorschrift dienen sollte, Bedingung der Strafbarkeit.) Doch konnten manche Tatbestände n u r m i t Vorbedacht oder M u t w i l l e n oder dergleichen begangen werden. Verletzungsdelikte (ζ. B. Diebstahl, Betrug) erforderten aber auch als schwere Polizeiübertretungen „bösen Vorsatz" (Kudler, I, S. 49 ff.). 82 Die Vorschriften der §§ 1 (vgl. o. S. 198) u n d 5 des zweiten Teils des StG 1803 (§§ 233 u n d 238 StG 1852) hielt Goldschmidt für „eigentümliche Verwaltungsstrafrechtssätze" (Verwaltungsstrafrecht, S. 335).
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Behörden werden daher i n dem Verfahren über schwere Polizey-Uibertretungen, wie die Rechtsbehörden bey Verbrechen, an eine vollständige, genaue Vorschrift gebunden, wodurch, ohne die nach Umständen möglichste Beförderung aus dem Gesichte zu verlieren, sich der Untersuchte gegen jede W i l l k ü r der Behandlung geschützet finden w i r d " (KP). Das StG 1803 regelte deshalb i m zweiten Abschnitt des zweiten Teils das Verfahren bei schweren Polizeiübertretungen i n Anlehnung an das bei Verbrechen, jedoch m i t den durch die geringere Bedeutung der Taten und die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden bedingten Abweichungen. I m ganzen war es justizförmig gehalten, wenn auch i n einfacherer Form als das gerichtliche Verfahren 8 3 . Schon dies zeigt, daß die Verwaltungsbehörden an Gerichts Stelle tätig wurden und (wie noch heute bei Verwaltungsübertretungen) richterliche Aufgaben zu erfüllen hatten. Auch die gesetzlichen Formulierungen und die Äußerungen i n der Literatur lassen keinen Zweifel daran aufkommen, daß die Bestrafung der politischen Verbrechen und schweren Polizeiübertretungen nicht als Verwaltung, sondern als Rechtsprechung aufgefaßt wurde. So sprach das Kundmachungspatent der Josephina von den Straferkenntnissen der politischen Behörden und der Kriminalgerichte einheitlich als von „Strafurteilen", und ebenso handelten die oben genannte Instruktion vom 5. März 1787 von der „Aburteilung", dem „ U r t e i l " oder „Strafurteil" (Einleitung, §§ 7 und 14) und das Hofdekret vom 25. Juni 1787 von der „Jurisdiktion" bzw. der Rechtsprechung oder Gerichtsbarkeit, die von politischen Behörden ausgeübt wurde 8 4 . Das StG 1803 wies die „Gerichtsbarkeit i n Ansehung der schweren Polizey-Uibertretungen" den politischen Behörden zu ( I I § 276; ferner I I §§ 277, 290 usw., auch KP). I I § 291 gab eine Vorschrift über das „ A m t eines Richters" i n schweren Polizeiübertretungen, I I § 293 über die „Ausübung der ihr (der politischen Obrigkeit) eingeräumten Gerichtsbarkeit", und I I § 290 schrieb die Besetzung der zuständigen politischen Behörden m i t einem „Richter" (nebst einem Aktuar) vor 8 5 . Diese Ausdrucksweise w a r allgemein üblich (sie findet sich z. B. auch i m Hofdekret vom 30. September 1806, JGS Nr. 787). 83
Soweit die Verfahrensvorschriften für schwere Polizeiübertretungen keine Bestimmungen enthielten, sollten die entsprechenden Vorschriften über den Kriminalprozeß angewendet werden (Kudler, I, S. 18). 84 Nach dem Zitat bei Hatschek, S. 17 f., A n m . 51. 85 Die „Fähigkeit zu diesem Richteramte" ( I I § 291) w a r nur eine solche zum „Polizeirichter" bzw. zum „Richter über die schweren Polizeiübertretungen" (Hofkanzleidekret v o m 4. Januar 1804, abgedruckt bei v. Lützenau, I I I , Nr. 1086) u n d wurde durch eine „ P r ü f u n g aus dem Strafgesetze" erworben ( I I § 291), die sich aber auf die „Strafgesetzgebung i n schweren Polizei-Uebertretungen" beschränkte (Hofkanzleidekret v o m 24. Januar 1822, v. Lützenau, I I I , Nr. 1097; V O der Niederösterreichischen Regierung v o m 14. September 1807, iHofkanzleidekret v o m 9. März 1820, v. Lützenau, I I I , Nr. 1093 u n d 1096; u. a. m.) u n d für die m a n häufig keine juristischen Studien verlangte CKudler, I I , S. 40). Diese Vorschriften hatten u. a. den Zweck, die noch immer
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Die Literatur sah die Bestrafung schwerer Polizeiübertretungen ebenfalls als Gerichtsbarkeit und Teil der Strafrechtspflege an und bediente sich ähnlicher Formulierungen wie das Gesetz 86 . Kudler nannte die politischen Behörden i n bezug auf ihre Rechtsprechungstätigkeit i n schweren Polizeiübertretungen „andere Gerichte" 8 7 , ihre Organe „Richter" 8 8 , und ν . Barth-Barthenheim sprach von ihnen als „eigentlichen Strafgerichten" 8 9 , die das „politische Richteramt" ausübten 90 . Kopetz stellte den „eigentlichen Polizeigeschäften" die Zuständigkeit der Polizeibehörden i n Strafsachen und zur Beilegung kleinerer Zivilstreitigkeiten (die m i t hin nicht eigentlich zu den Polizeisachen, sondern zur Rechtsprechung gehörte) entgegen 91 . Die politischen Behörden hatten also die i m Bereich der schweren Polizeiübertretungen fehlenden Gerichte zu ersetzen; sie übten, obschon sie organisatorisch Verwaltungsbehörden blieben, richterliche Funktionen aus. Dies ist für das österreichische Verwaltungsstrafrecht bis heute kennzeichnend geblieben. Bei den Vorarbeiten zum StG 1803 war der Plan aufgekommen, auch die politischen Verbrechen justizmäßig (und nicht mehr politisch) zu behandeln 92 . „Aus dem Umfange aber, zu welchem dieses Buch (II. Theil) erwuchs, zeigte sich die Nothwendigkeit, daß da die Landgerichte sich dadurch zu sehr überhäufet, und selbst i n der Verwaltung der Criminal-Gerichtsbarkeit gehemmt finden würden, die Gerichtsbarkeit über die schweren Polizey-Uebertretungen den politischen Behörden überlassen bleiben müsse 93 ." Daß man die Verwaltungsbehörden mit der Strafrechtsprechung i n schweren Polizeiübertretungen betraute, ist m i t h i n zum guten Teil auf die ungenügende Ausbildung des Gerichtswesens zurückzuführen. Deshalb wurde auch die Gerichtsbarkeit i n schweren Polizeiübertretungen nicht den für das jeweilige Verwaltungsgebiet zuständigen Behörden, sondern grundsätzlich den Behörden der allgemeinen inneren Verwaltung (den „zur Erhaltung der öffentlichen Zucht, Ordnung und bestehende Privatgerichtsbarkeit (Patrimonialgerichtsbarkeit) weiter einzudämmen — es mußten ausgebildete u n d daher besser zu bezahlende „Richter" angestellt werden, was manche zur Aufgabe ihrer Gerichtsbarkeit zwang oder doch dazu, ihre w i l l k ü r l i c h e Handhabung wesentlich zu beschränken. 86 z. B. Kudler, I I , S. 3 ff.; v. Barth-Barthenheim, I V , S. 117 f., 227. 87 I I , S. 4 f. 88 I, S. 21, A n m . 1. 89 I m Gegensatz zu den Behörden, die n u r die Strafgerichtsbarkeit i n geringen Polizeifällen auszuüben hatten (IV, S. 117). 90 I V , S. 165. 91 S. 14 ff. 92 Wahlberg, S. 16 f.; Moos, Verbrechensbegriff, S. 185, A n m . 2, S. 257. 93 Sonnenfels i n der Vorerinnerung für die Länderkommissionen; aus den Materialien i m Archiv des k. k. Justizministeriums zitiert nach Hatschek, S. 30.
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Sicherheit bestimmten politischen Behörden" 9 4 ) übertragen 95 , da ja das Strafrecht überhaupt der Erhaltung der öffentlichen Zucht, Ordnung und Sicherheit diente 96 . Diese grundsätzliche Zuständigkeitsverteilung gilt noch heute i m Verwaltungsstrafrecht Österreichs 97 . I n der Zusammenfassung der Rechtsprechungsaufgaben bei bestimmten Behörden zeigt sich eine gewisse Lösung der Rechtsprechungsfunktion von der Verwaltungsfunktion (Ablösung der Jurisdiktionsgewalt vom Träger der Verwaltungshoheit für das betreffende Sachgebiet). Die damit auch i m österreichischen Strafrecht angebahnte Neugestaltung wurde aber (im Gegensatz zu der i n anderen Ländern) nicht vollends durchgeführt, so daß sich ein Verwaltungsstraf recht bis heute erhalten konnte. b) Die einfachen Polizeivergehen I m StG 1803 war jedoch nicht das gesamte Polizeistraf recht kodifiziert. Nach Ziff. V I I der Einleitung zum StG 1803 blieb „die Behandlung und Bestrafung anderer Uibertretungen . . . den dazu bestimmten Behörden, nach den darüber vorhandenen Vorschriften vorbehalten" (ähnlich schon I I § 1 letzter Satz der Josephina). Es handelte sich dabei um jene „gesetzwidrigen Handlungen", die nicht „der Sicherheit i m gemeinen Wesen zunächst, und i n einem höheren Grade nachtheilig sind" (wie die Verbrechen und schweren Polizeiübertretungen; Ziff. I der Einleitung zum StG 1803), nämlich u m Übertretungen von Polizei-, Zoll-, Finanz- usw. Gesetzen sowie geringfügige Verletzungsdelikte 98 , die nicht i m StG 1803 aufgeführt waren oder nicht den Rang einer schweren Polizeiübertretung erreichten. Sie wurden „Vergehen" 9 9 , „einfache", „mindere", „bloße" oder schlicht („Polizei-" usw.) „Übertretungen", „Polizei- usw. Ver94
Kundmachungspatent zur Josephina. U n d zwar i m allgemeinen gemäß I I § 282 StG 1803 den Ortsobrigkeiten, d. h. den Magistraten oder Grundobrigkeiten. N u r i n Wien u n d den Provinzhauptstädten hatten die dort bestehenden Polizeidirektionen nach dem Hofdekret v o m 30. September 1806 (JGS Nr. 787) die Gerichtsbarkeit i n einer Reihe einzeln aufgeführter schwerer Polizeiübertretungen inne. 86 Den Bergbehörden — Berggerichten — z. B. sprach das Hofdekret v o m 28. M a i 1812 (v. Lützenau, I I I , Nr. 932) ausdrücklich die Befugnis zur „ A u s übung der Gerichtsbarkeit über schwere Polizeiübertretungen" ab. 97 Vgl. § 26 V S t G A r t . V I Abs. 1 (i. d. F. des Ges. v o m 18. März 1959, BGBl. Nr. 92) u n d Abs. 3 EGVG. Allerdings ist jener Grundsatz i n seiner A u s w i r k u n g durch entgegenstehende Vorschriften abgeschwächt, so daß die Strafbefugnis praktisch weitgehend i n der H a n d der jeweils für das betreffende Verwaltungsgebiet zuständigen Behörde liegt (vgl. A r t . I I E G V G i. d. F. des Ges. v o m 18. März 1959 sowie späterer Änderungen). 98 z. B. früher nach § 1339 A B G B körperliche Verletzungen, die keine sichtbaren Folgen zurücklassen (entsprechend I I § 163 StG 1803), „widerrechtliche Kränkungen der Freiheit" u n d „Ehrenbeleidigungen", sofern sie weder V e r brechen noch schwere Polizeiübertretungen darstellten. 99 Kudler, I, S. 19, u n d Jenull, I, S. 73, verwendeten diesen Ausdruck n u r für die geringen Verletzungsdelikte. 95
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gehen" oder auch politische Übertretungen oder Vergehen genannt. Zollund Finanzübertretungen gehörten nicht zum Polizeistrafrecht, da sie nicht i n die Zuständigkeit der m i t der Polizei betrauten Behörden fielen 1 0 0 . Goldschmidt hatte die geringfügigen Delikte ebenfalls zu den politischen Verbrechen i m Sinne der Josephina gezählt. Hatschek hielt ihm entgegen, gemäß I I § 1 der Josephina gehörten die i m zweiten Teil jenes Gesetzes „nicht ausdrücklich genannten H a n d l u n g e n . . . unter die politischen Verbrechen nicht" 1 0 1 . Die Bestimmung hatte aber i n erster Linie den Zweck, zu verhindern, daß die politischen Strafen der Josephina auch auf die einfachen Vergehen angewendet würden. I m übrigen bildeten beide Gruppen zusammen das den politischen Behörden übertragene Strafrecht; aus den politischen Delikten waren nur die schweren als politische Verbrechen herausgehoben (wie später die „schweren" aus der Menge der Polizeiübertretungen). Bei den einfachen Vergehen und Übertretungen unterschied man dieselben Gruppen wie bei den schweren Polizeiübertretungen gemäß Ziff. I I I - V der Einleitung zum StG 1803 102 , nur daß jene minderen Unrechts waren als diese; häufig handelte es sich auch um Übertretungen nur örtlicher oder sich schnell ändernder Vorschriften, die deshalb nicht i n ein allgemeines Gesetzbuch aufgenommen werden sollten 1 0 3 . Das StG 1803 weiß m i t h i n wie die Josephina nichts von einem prinzipiell andersartigen Unrechtsgehalt der minderen Übertretungen; es sieht i n ihnen die „gesetzwidrigen Handlungen", die der allgemeinen Sicherheit weniger Abbruch tun als die Verbrechen und schweren Polizeiübertretungen (Ziff. I der Einleitung zum StG 1803), also nicht wegen größerer Gefährlichkeit durch Aufnahme i n das StG „eigens ausgezeichnet sind" 1 0 4 . Das österreichische Strafrechtssystem teilte die strafbaren Handlungen eben nur „nach dem Grade ihrer Gefährlichkeit" ein 1 0 5 . Dementsprechend ordnete das Hofkanzleidekret vom 30. September 1806 (JGS Nr. 787) an, daß „Vergehen derselben Gattung . . . ob sie gleich noch durch Umstände die Eigenschaft von schweren Polizey-Uebertretungen nicht erhalten haben 1 0 6 , an sich also geringere Uebertretungen sind", höchstens 100 Auch hier wieder die Bestimmung der Deliktsmaterie nach der zur A b urteilung zuständigen Behörde. 101 Insbesondere S. 14. 102 Vgl. o. S. 199. 103 Kudler , I, S. 22. 104 Jenull, I, S. 62; ähnlich Kudler , I, S. 2 f. 105 So ausdrücklich Kudler , I, S. 22, der sich selbst bemühte, zur Beschreibung der einzelnen Deliktsgruppen qualitative K r i t e r i e n aufzufinden, aber sah, daß der G r u n d für die gesetzliche Zuweisung einer strafbaren Handlung i n die eine oder andere Gruppe i n der Strafwürdigkeit u n d Notwendigkeit einer A b sonderung der Taten, die eine besonders strenge Bestrafung erforderten, lag (I, S. 8).
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m i t der auf die entsprechenden schweren Polizeiübertretungen angedrohten geringsten Strafe belegt werden dürften (um damit den Unterschied i n der Schwere der Taten augenfällig zu machen) 107 . Es bildete sich so eine rein quantitative Dreiteilung der strafbaren Handlungen heraus, nämlich i n Verbrechen, schwere Polizeiübertretungen und einfache Vergehen (oder Übertretungen). I n dieser Weise wurde die Einteilung auch i n der Literatur empfunden und deshalb mit der (eindeutig quantitativen) des französischen Strafrechts i n crimes, délits und contraventions (Verbrechen, Vergehen und Übertretungen) oder der nach dem bayerischen StG 1813 (Verbrechen, Vergehen und Polizeiübertretungen) verglichen 1 0 8 . Die Bestrafung der geringfügigen Vergehen oblag nicht (wie die der schweren Polizeiübertretungen) den politischen Behörden (allgemeinen Verwaltungsbehörden) schlechthin, sondern war „den dazu bestimmten Behörden, nach den darüber vorhandenen Vorschriften vorbehalten" (Einleitung Ziff. V I I zum StG 1803). Die nicht landgerichtsmäßigen „Rumor- und Raufhändel" innerhalb und außerhalb des Dorfes sollte die Dorfobrigkeit nach Tit. I I I § 1 Tract, de jurib. incorpor. bestrafen 109 , und lit. b des Hofdekrets vom 1. A p r i l 1784 (JGS Nr. 271) überließ „die politischen Vergehungen . . . den Dorfobrigkeiten, Kreisämtern oder Landesstellen nach Beschaffenheit...". Insgesamt kann man sagen, daß i m Bereich der geringen politischen oder polizeilichen Vergehen die Jurisdiktionsgewalt i m allgemeinen noch nicht verselbständigt worden war, sondern dem Träger der Verwaltungshoheit des betreffenden Sachgebietes verblieb, also vielfach den Polizeibehörden 110 , aber auch den politischen Obrigkeiten als solchen oder anderen Verwaltungsbehörden zustand 111 . — Nach den Patenten vom 1. September 1781 (JGS Nr. 24) und vom 2. Jun i 1788 (JGS Nr. 840) konnten die Grundherrschaften (Grundobrigkeiten, Gerichtsobrigkeiten) gegen ihre Gutsuntertanen, die sich ihnen oder einem ihrer Beamten gegenüber eines Ungehorsams 112 schuldig gemacht hatten, ein Verfahren durchführen und Strafen verhängen, die sie nach ihrem Ermessen festsetzen durften. 106
d. h. nur minderen Unrechts (weniger schwer) waren. Entsprechend Ziff. V des Regierungsdekrets v o m 11. J u n i 1812 (zitiert nach v. Barth-Barthenheim, I V , S. 167). 108 Kudler, I, S. 3, A n m . 2; Jenull, I, S. 72, Anm. a. 109 v. Barth-Barthenheim , I V , S. 101. 110 Inhaber der Polizeigewalt: Polizeidirektionen i n den Städten, i n denen solche vorhanden waren, i m übrigen Gemeindebehörden (Magistrate) oder Grundobrigkeiten. 111 Eigentliche Polizeibehörden (Polizeidirektionen) gab es n u r i n den Provinzhauptstädten; sonst w a r die allgemeine politische Obrigkeit (Ortsobrigkeit, nämlich Gemeindebehörde oder Grundobrigkeit) Polizeibehörde. 112 Gleich, welcher A r t , nicht n u r gegen bestimmte herrschaftliche A n o r d nungen. 107
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A u f das Verfahren der Ortsobrigkeiten zur Bestrafung geringer Vergehen, die sich nicht zu schweren Polizeiübertretungen „eigneten", sollten die Vorschriften des zweiten Teils des StG 1803 entsprechend angewendet werden 1 1 3 . Das Regierungsdekret vom 11. Juni 1812 ordnete allerdings, da das für schwere Polizeiübertretungen bestimmte Verfahren schon bei geringfügigeren Fällen dieser A r t zu umständlich sei, für die Vergehen, die nicht einmal zu den minder schweren Polizeiübertretungen gehörten, ein summarisches Verfahren an, das die Polizeidirektionen i n ihrem Zuständigkeitsbereich durchzuführen hätten 1 1 4 . I m ganzen jedoch fehlte es vielfach an materiell-rechtlichen wie an verfahrensrechtlichen Vorschriften 1 1 5 . Sachlich handelte es sich auch bei der Bestrafung der geringen Vergehen um Rechtsprechung. So sprachen ζ. B. v. Barth-Barthenheim i n bezug auf politische (polizeiliche) Vergehen vom „politischen Richteramte" 1 1 6 , von „Polizeistrafgerichten" 117 und von „Strafurteilen" bzw. „politischen Strafurteilen" 1 1 8 und Lienbacher ganz ähnlich vom „polizeilichen Strafrichteramt" bzw. „ordentlichen Polizeistrafrichteramt" und von der „Polizeistraf rechtspflege" 119 . Nur wurde diese Rechtsprechung nicht justizmäßig, sondern verwaltungsmäßig 1 2 0 ausgeübt 121 ; die Beamten erschienen daher nicht als Richter (wie bei schweren Polizeiübertretungen), sondern als Organe der Polizeiverwaltung 1 2 2 . Kodifikationsabsichten i n diesem Bereich des Strafrechts blieben ohne Erfolg. Noch 1826 wollte die vereinigte Hofkanzlei i m Anschluß an Zeillers Entwurf zu einem neuen StG von 1824 auch geringe Polizeiübertretungen i n das StG aufgenommen und einem ordentlichen Verfahren unterstellt haben 1 2 3 ; aber alle diese Pläne scheiterten. 113 Hofkanzleidekret v o m 30. September 1806 u n d Regierungsdekret v o m 19. November 1828 (zitiert nach v. Barth-Barthenheim , I V , S. 102). 114 v. Barth-Barthenheim , I V , S. 166. Andere (nicht den Gang der U n t e r suchung selbst betreffende) Vorschriften des zweiten Teils des StG 1803 (ζ. B. über Vorlage gewisser Straf erkenntnisse an die Landesstelle) waren aber anzuwenden (a.a.O., S. 167). 115 E i n Analogieverbot (wie bei Verbrechen u n d schweren Polizeiübertretungen) wäre daher sinnlos gewesen. 116 I V , S. 165,167. 117 I V , S. 104. 118 I V , S. 104 f., 164. 119 S. 3, 7 f., 282, 287 usw. 120 Entsprechend dem von v. Barth-Barthenheim seinem Werk vorangestellten Wort Montesquieus; vgl. o. S. 192, A n m . 44. (Auch heute noch versteht man die Gewaltenteilung i n Österreich formal.) 121 Der Sache nach Rechtsprechung, aber i n den Formen der V e r w a l t u n g ; dagegen spielte sich bei schweren Polizeiübertretungen auch das Verfahren i n strafprozessualen Formen ab, n u r die Organe dieser Rechtspflege hatten nicht die Stellung der Richter i m engeren Sinne. 122 Kudler , I, S. 21, A n m . 1.
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2. T e i l : Hechts vergleichende U n t e r s u c h u n g
I m ganzen zeigt die E n t w i c k l u n g v o n d e n josephinischen R e f o r m e n b i s z u m S t G 1803 u n d d e n i h m zunächst f o l g e n d e n B e s t r e b u n g e n das B e m ü hen, auch i m P o l i z e i s t r a f r e c h t d i e e r k e n n e n d e n B e h ö r d e n a n das Gesetz z u b i n d e n oder sie doch u n t e r die A u f s i c h t d e r ü b e r g e o r d n e t e n s t a a t l i chen B e h ö r d e z u s t e l l e n 1 2 4 , u n d d a z u eine a l l m ä h l i c h e A b l ö s u n g der J u r i s d i k t i o n s g e w a l t v o m a l l g e m e i n e n H o h e i t s t r ä g e r f ü r das b e t r e f f e n d e Sachgebiet, der d a n n n u r noch d i e V e r w a l t u n g s h o h e i t b e h i e l t . I m g r u n d sätzlichen f r e i l i c h k a m die Gesetzgebung — w e g e n der r e a k t i o n ä r e n H a l t u n g Franz 9 II. — n i c h t ü b e r d i e R e f o r m e n Josephs II. h i n a u s , u n d so b l i e b der Rechtszustand auch i n d e n f o l g e n d e n J a h r z e h n t e n bis z u r M i t t e des 19. J a h r h u n d e r t s u n v e r ä n d e r t 1 2 5 . D i e F r a g e einer A u f g l i e d e r u n g der s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n nach einer a n g e n o m m e n e n Wesensverschiedenheit i m m a t e r i e l l e n U n r e c h t i m S i n n e d e r L e h r e v o m P o l i z e i s t r a f r e c h t h a t f ü r d e n Gesetzgeber b e i a l l e d e m k e i n e B e d e u t u n g gehabt. Sie t r a t auch i n d e r L i t e r a t u r , w i e bereits e r w ä h n t , zunächst n i c h t i n der Weise h e r v o r , daß d i e gesetzliche E i n t e i l u n g einer K r i t i k nach r a t i o n a l g e f u n d e n e n K r i t e r i e n u n t e r w o r f e n w e r d e n sollte; v i e l m e h r v e r w e n d e t e m a n solche G e s i c h t s p u n k t e n e b e n a n d e r e n n u r z u r E r l ä u t e r u n g des Gesetzes 1 2 6 . G r u n d s ä t z l i c h e K r i t i k setzte i n der 123 Wahlberg, S. 17. — Martini hatte bereits 1794 als Präsident der Hofkommission vorgeschlagen, die Polizeiverbrechen nicht mehr „politisch", sondern gerichtlich aburteilen zu lassen (Wahlberg, S. 16 f.). 124 D a m i t der W i l l e der absoluten zentralen Staatsgewalt uneingeschränkt durchgeführt werde. 125 d. h. auf dem Stande einer unvollendeten Reform; dieser Tatsache hat das heutige österreichische Verwaltungsstrafrecht w o h l seine Existenz zu verdanken. 126 So ζ. B. Jenull, I, S. 60 ff., u n d Kudler, I, S. 1 ff., 6 ff., bei denen die Gesichtspunkte des unmittelbaren oder mittelbaren Angriffs auf Rechte, der Verstöße gegen Maßregeln zum Schutz von Rechten, der Rechtsverletzungen m i t u n d ohne böse Absicht, größeren oder geringeren Grades, m i t oder ohne gefährliche Umstände usw. zur Erläuterung des Gesetzes herangezogen w e r den. I m Anschluß an das Gesetz u n d auf Grund der nunmehrigen Auffassung von der polizeilichen Aufgabe als Gefahrenabwehr u n d Schadensvorbeugung (Verhütung von Rechtsverletzungen) gelangte man dabei auch zu einer U n t e r scheidung von eigentlichen u n d uneigentlichen Polizeiübertretungen, wobei die ersten zwar keine Rechtsverletzungen seien, aber wegen der Gefahr, m i t der sie die öffentliche Ordnung oder die Sicherheit der Rechte mittelbar bedrohten, i n das Strafgesetz aufgenommen werden sollten (Kudler, I, S. 6, 8 ff.). Grundlage für die Einteilung der strafbaren Handlungen wie auch überhaupt die B i l d u n g ihres Begriffes w a r ihre E i n w i r k u n g auf die gemeinschaftliche Sicherheit (ihre Gemeingefährlichkeit), Jenull, I, S. 62; Kudler, I, S. 2 f. Die der „Sicherheit i m gemeinen Wesen" unmittelbar u n d i n höherem Maße nachteiligen, also besonders gefährlichen Taten seien die schweren vorsätzlichen Verletzungsdelikte, die damit die oberste Gruppe (die Verbrechen) bilden; es folgen die geringeren oder n u r fahrlässig begangenen Verletzungsdelikte u n d die als schon i m m e r (nicht erst durch die besonderen Verhältnisse) f ü r gefährlich gehaltenen Taten (Gefährdungsdelikte) als nächste Gruppe u n d schließlich unbedeutende Verletzungsdelikte u n d andere, gefährdende Taten, deren Gefährlichkeit n u r durch die besonderen Verhältnisse i m Gemeinwesen be-
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Literatur erst ein, als das Individuum als solches (anstelle der Gesellschaft, d. h. der Gesamtheit der Individuen als Gattung) zum Bezugspunkt der Rechtsordnung wurde und Wesen und Zweck des Strafrechts wie überhaupt des Staates bestimmte. Die polizeiliche Aufgabe des Staates bestand nunmehr in der Gefahrenabwehr und das Wesen des Verbrechens i n der Schädigung individueller Rechte oder Güter. Von hier aus entwickelte man den Begriff des Polizeidelikts, dem das Merkmal der Schädigung fehlte, als der an sich nicht verbrecherischen Tat, deren Bestrafung aber wegen ihrer besonderen Gefährlichkeit für erforderlich gehalten wurde 1 2 7 . I n Österreich trat die Lehre vom bloß polizeiwidrigen Unrecht später und weniger ausgeprägt hervor als i n Deutschland. Als einziger Exponent einer Spätform dieser Lehre wäre Otto Hatschek 128 zu nennen. I n die Gesetzgebung fand sie keinen Eingang. 5. Die weitere Entwicklung des Polizeistrafrechts bis zur Strafprozeßordnung von 1873
Nach der Verkündung des StG 1803 stand die Strafgesetzgebung ziemlich still. Wesentliche Änderungen unterblieben; einige Reformbemühungen hatten keinen Erfolg. I m ganzen ließ man es bei dem Zustand der unterbrochenen josephinischen Reformen. Der Gedanke der Staatseinheit unter Maria Theresia und Joseph II. und die Zentralisationsbestrebungen Josephs waren durch die leopoldinische Restauration, die auf den Provinzialpartikularismus zurücklenkte, großenteils aufgegeben worden, und erst während der späteren Regierungszeit Franz 91. trat die Idee der Staatseinheit wieder stärker hervor 1 2 9 . So kam auch die von Joseph II. i n Angriff genommene Rechtserneuerung i m grundsätzlichen nicht wesentlich weiter. Erst um die Jahrhundertmitte bahnten sich wieder Reformen an 1 3 0 . Doch auch jetzt war der Polizeistrafrechtsgedanke nicht maßgebend. Vielmehr setzte sich auf Grund der liberalen Bestrebungen, dingt oder doch eine entferntere u n d unbedeutendere als bei der zweiten Gruppe sei, als die am wenigsten gefährlichen Taten. — Hier w u r d e n also Qualitative K r i t e r i e n zur Erläuterung der gesetzlichen Deliktseinteilung m i t herangezogen, der Einteilungsmaßstab aber n u r v o m „gemeinen Wesen" hergeleitet, das noch alleiniger Bezugspunkt der Strafrechtsordnung sein sollte (nicht das I n d i v i d u u m u n d seine individuellen Rechte). Daher konnten die strafbaren Handlungen auch nicht q u a l i t a t i v unterschieden werden. 127 Vgl. auch Wahlberg, S. 16. 128 Vgl. u. S. 222 f. 129 v. Domin-Petrushevecz, S. 360. 130 Z w a r hatte bereits 1817 v. Zeiller den A u f t r a g erhalten, sich über eine mögliche Strafrechtsreform zu äußern, u n d am 9. November 1823 einen E n t w u r f über den materiell-rechtlichen Teil, am 8. Februar 1825 einen solchen über das Verfahren i n K r i m i n a l f ä l l e n u n d dazwischen (am 16. November 1824) den E n t w u r f eines Gesetzes über Polizeiübertretungen vorgelegt, aber die Beratungen zogen sich bis 1848 h i n u n d blieben ohne Ergebnis (Hoegel, Geschichte, I, S. 95). 14 Mattes
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2. T e i l :
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d i e bis d a h i n sehr a n B e d e u t u n g g e w o n n e n h a t t e n , die F o r d e r u n g nach B e s e i t i g u n g der S t r a f g e w a l t der P o l i z e i - u n d V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n durch131. N a c h d e n E r e i g n i s s e n des Jahres 1848 ( u n d n a c h d e m die österreichische Reichsverfassung v o m 4. M ä r z 1849 u. a. die T r e n n u n g d e r Rechtspflege v o n der V e r w a l t u n g u n d die U n a b h ä n g i g k e i t der R i c h t e r als G r u n d s ä t z e v e r k ü n d e t hatte) ü b e r t r u g d i e S t r a f p r o z e ß o r d n u n g v o m 17. J a n u a r 18 5 0 1 3 2 m i t Rücksicht a u f damals erhobene F o r d e r u n g e n die A b u r t e i l u n g der b i s h e r i g e n schweren u n d der n i c h t der G e m e i n d e p o l i z e i zugewiesen e n einfachen P o l i z e i ü b e r t r e t u n g e n d e n G e r i c h t e n 1 3 3 . A b e r schon b a l d fiel sie d e r p o l i t i s c h e n R e a k t i o n z u m O p f e r u n d w u r d e d u r c h die S t P O v o m 29. J u l i 1853 1 3 4 ersetzt. D i e P o l i z e i g e w a l t sollte w i e d e r i h r e n a l t e n U m f a n g e r h a l t e n , w o m i t die V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n e r n e u t größere S t r a f befugnisse b e k a m e n . B e r e i t s A r t . V des K u n d m a c h u n g s p a t e n t s z u m S t G 1852 h a t t e e r k l ä r t , d i e Gesetzesübertretungen, auf die sich w e d e r das S t G noch die Pressegesetze bezögen, seien v o n d e n d a z u b e s t i m m t e n B e h ö r d e n nach d e n bestehenden V o r s c h r i f t e n z u bestrafen. D e u t l i c h e r d r ü c k t e sich § 9 der S t P O 1853 a u s 1 3 5 : D i e B e z i r k s g e r i c h t e d u r f t e n n u r noch d i e i m S t G 1852 g e n a n n t e n oder eigens f ü r g e r i c h t l i c h s t r a f b a r e r 131 Vgl. den Grundsatz der Frankfurter Nationalversammlung, daß der Polizei keine Strafgerichtsbarkeit zustehe, der die Zielsetzung des politischen L i beralismus widerspiegelt. 132 RGBl. Nr. 25 (abgedruckt auch bei Haeberlin, S. 89 ff.). I h r Verfasser w a r Joseph von Wurth (Vargha, S. 15). U. a. führte sie die Staatsanwaltschaft, den Anklageprozeß sowie die Grundsätze der Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Verfahrens u n d der freien Beweiswürdigung ein (Vargha, a.a.O.; LohsingSerini, S. 18). 133 U n d zwar eine Reihe besonders bezeichneter schwerer Polizeiübertretungen als „Vergehen" den Bezirks-Kollegialgerichten, die übrigen schweren u n d die einfachen Polizeiübertretungen (soweit nicht die Gemeindepolizei sie zu bestrafen hatte) den Bezirksgerichten (Art. I X Buchst. Β u n d A r t . X des Kundmachungspatents sowie § 9 StPO). Damit wurden die schweren Polizeiübertretungen erstmals i n Vergehen u n d Übertretungen aufgegliedert, aber n u r zu prozessualen Zwecken; das StG 1852 hat die Einteilung m i t einigen Änderungen übernommen. § 122 des Kaiserlichen Patents v o m 17. März 1849, w o m i t ein provisorisches Gemeindegesetz erlassen wurde (RGBl. Nr. 170), gab dem Gemeindevorstand das Recht, Übertretungen der i m Aufgabenbereich des Bürgermeisters (Reinlichkeits-, Gesundheits-, A r m e n - , Straßen-, Feuer-, M a r k t - , Sittlichkeits-, Gesinde- u n d Baupolizei, Aufsicht über Gemarkungen, Fürsorge f ü r die Sicherheit der Person u n d des Eigentums, Hintanhaltung der Straßenbettelei, Erhaltung der inneren Ruhe und öffentlichen Sicherheit, §§ 119 - 121) ergangenen Anordnungen m i t „Geldbußen bis zum Betrage von 10 Gulden Conventionsmünze zu ahnden" (bei Zahlungsunfähigkeit U m w a n d l u n g i n entsprechende A r b e i t für die Gemeinde bis zur Dauer einer Woche; § 124). Die Geldbußen kamen i n die Gemeindekasse (§ 123). 134 RGBl. Nr. 151 (abgedruckt auch bei Sundelin, S. 1 ff.); sie führte u. a. den Inquisitionsprozeß wieder ein. 135 Nachdem die Allerhöchste Entschließung v o m 31. Dezember 1851 (RGBl. Nr. 4/1852) die Vereinigung der Rechtspflege u n d V e r w a l t u n g i n den Bezirksämtern angeordnet hatte (in Ziff. 19).
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klärten Übertretungen aburteilen. Außerdem konnte durch Verordnung für bestimmte Übertretungen des StG die erstinstanzliche „Strafgerichtsbarkeit" der Sicherheitsbehörden begründet werden; diese galten insoweit als „stellvertretende Behörden der Strafgerichte", und der Rechtszug sollte an das Oberlandesgericht und den obersten Gerichtshof gehen (§ 9 Abs. 2 und 3 StPO 1853). Gestützt auf diese Ermächtigung, bestimmte die Kaiserliche Verordnung vom 11. M a i 1854 (RGBl. Nr. 120), daß „ i m Polizeirayon" etlicher Landeshauptstädte die dortigen k. k. Polizeibehörden eine ganze Reihe einzeln aufgeführter Übertretungen zu ahnden hätten, einige jedoch nur, wenn durch sie niemand geschädigt worden sei (§§ 1, 2). Nach der Verordnung der Ministerien des Innern und der Justiz und der obersten Polizeibehörde vom 3. A p r i l 1855 (RGBl. Nr. 61)i36 gehörten alle „Gesetzesübertretungen, welche nicht durch das allgemeine Strafgesetz vom 27. Mai 1852 als strafbare Handlungen erklärt sind, und rücksichtlich welcher das Verfahren n i c h t . . . ausdrücklich anderen Behörden zugewiesen ist", zur „politischen Geschäftsführung"; sie seien daher von den Bezirksämtern bzw. den landesfürstlichen Polizeibehörden zu bestrafen (§§ 1, 2), die „ i n möglichst summarischer Weise" zu verfahren hätten (§ 3). Den Höhepunkt erreichte die reaktionäre Entwicklung schließlich i n der Kaiserlichen Verordnung vom 20. Juni 1858 (RGBl. Nr. 88) 137 , die den Gerichten die Aburteilung aller Übertretungen entzog, die „ m i t dem Wirkungskreise der öffentlichen Aufsichtsbehörden i m nächsten Zusammenhange stehen" 1 3 8 , und sie den politischen Bezirksbehörden bzw. den Kommunalmagistraten oder den landesfürstlichen Polizeibehörden übertrug. Das Gesetz vom 22. Oktober 1862 (RGBl. Nr. 72) leitete wieder eine gegenläufige Bewegung ein; es hob die Verordnungen vom 11. M a i 1854 und vom 20. Juni 1858 auf und ließ nur den k. k. Polizeibehörden bestimmter Landeshauptstädte die Gerichtsbarkeit über eine Anzahl von Übertretungen, falls durch diese niemand geschädigt worden war und sie nicht m i t gerichtlich strafbaren Taten zusammentrafen 139 . Die geltende StPO vom 23. Mai 1873 (RGBl. Nr. 119) Schloß diese Entwicklung ab: Die Bezirksgerichte urteilten die Übertretungen des StG 1852 sowie alle anderen nach ausdrücklicher Vorschrift gerichtlich strafbaren Übertretungen ab (§ 9 StPO; A r t . V I I I EGStPO), und die Verwaltungsbehörden verfolgten dementsprechend die nicht i m StG enthaltenen Übertretungen, bei denen eine andere ausdrückliche Zuständigkeitsbestimmung fehlte. Das Strafgesetz vom 27. M a i 1852 (RGBl. Nr. 117), das nur „eine neue, durch die späteren Gesetze ergänzte Ausgabe des Strafgesetzbuches über 136 137
Abgedruckt auch bei Löffler, Sundelin, S. 99 ff.
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S. 452 ff.
Sie w u r d e n i n einer langen Liste aufgezählt, die den größten Teil der Übertretungen des StG 1852 enthielt. 130
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Hoegel, Geschichte, I, S. 103.
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2. T e i l :
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Verbrechen und schwere Polizeiübertretungen vom 3. September 1803" darstellte (KP zum StG 1852), änderte an der schon anderweit festgelegten Kompetenzverteilung und damit dem Umfang des Polizeistrafrechts nichts. Es teilte die schweren Polizeiübertretungen nach dem Vorbild der StPO 1850 i n Vergehen und Übertretungen ein, änderte aber i m übrigen den materiellen Teil des StG 1803 nicht wesentlich 140 . Der verfahrensrechtliche war schon durch die StPO 1850 beseitigt worden. Allerdings hatte sich die Zuständigkeitsgrenze i m einzelnen mehrfach verschoben, indem bereits früher (so durch die StG-Novelie vom 2. August 1932, BGBl. Nr. 241) eine Reihe von Übertretungen aus dem StG ausgeschieden worden war und nun von den Verwaltungsbehörden abgeurteilt wurde und überhaupt die Gesetzgebung schon seit Ende des 19. Jahrhunderts dazu übergegangen war, viele abstrakte Gefährdungsdelikte, Zuwiderhandlungen gegen behördliche Anordnungen oder gegen Anzeigepflichten, Nichteinholen von Bewilligungen, Verstöße gegen Vorschriften über den Gemeingebrauch oder die Benutzung öffentlicher Anstalten und dergleichen von Verwaltungsbehörden bestrafen zu lassen 141 . Trotzdem kann man sagen, daß die Entwicklung m i t Einführung der StPO 1873 i m großen und ganzen für lange Zeit zum Stillstand gekommen war. Auch das Verwaltungsstrafgesetz von 1925 änderte an diesem Zustand grundsätzlich nichts, sondern bestätigte ihn (§ 26 VStG; A r t . V I Abs. 3 EGVG). Das am 1. Januar 1975 als StGB 1975 i n Kraft getretene Strafgesetzbuch vom 23. Januar 1974 (BGBl. Nr. 60) kennt nur noch Verbrechen und Vergehen (§ 17 StGB). Die bisher i m StG 1852 geregelten Justizübertretungen wurden entweder i n Vergehen umgewandelt oder sind gänzlich entfallen. I n diesem Zusammenhang betont die Regierungsvorlage 1971 142 , daß die bisherige Unterscheidung in Vergehen und Übertretungen „nicht darauf abgestellt ist, die strafbaren Handlungen nach ihrem materiellen Unwert zu gliedern". Unberührt davon sind die Verwaltungsübertretungen nach dem Verwaltungsstrafrecht geblieben 143 . So ist das heutige Verwaltungsstrafrecht Österreichs weder organisch gewachsen noch das Ergebnis bewußter gesetzgeberischer Gestaltung nach vorgefaßten Zielen, sondern Überrest der nur teilweise liquidierten unvollendeten Reformen des absoluten Polizeistaates, also der gesetzgeberischen Bemühungen einer versunkenen Epoche 144 . 140
Siehe dazu näher Moos, Verbrechensbegriff, S. 312 f., 324 f. Lißbauer, S. 742. 142 S. 87. 143 Siehe zum Stand der Meinungen u n d näher u. S. 226 ff. 144 Dies schließt nicht aus, daß der Rechtszustand, wie er sich nunmehr herausgebildet hat, jedenfalls bis zuletzt w e i t h i n als befriedigend empfunden wurde. Kritisch Moos, Verbrechensbegriff, S. 271. 141
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6. Der Rechtszustand vor und nach Erlaß des Verwaltungsstrafgesetzes von 1925 und die grundsätzliche Einstellung zur Verwaltungsstrafgewalt Seit U b e r w i n d u n g der sogenannten j u s t i z s t a a t l i c h e n B e s t r e b u n g e n , d i e die S t r a f g e w a l t der V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n b e i n a h e b e s e i t i g t h ä t t e n , gab es bis z u r E i n f ü h r u n g des V S t G n u r v e r h ä l t n i s m ä ß i g w e n i g e g r u n d legende V o r s c h r i f t e n f ü r das V e r w a l t u n g s s t r a f r e c h t . N a c h d e m m a n die schweren P o l i z e i ü b e r t r e t u n g e n des S t G 1803 aus d e m V e r w a l t u n g s s t r a f recht h e r a u s g e n o m m e n h a t t e , f e h l t e n a l l g e m e i n e B e s t i m m u n g e n , u n d die T a t b e s t ä n d e w a r e n i n Einzelgesetzen, V e r o r d n u n g e n u s w . v e r s t r e u t , sof e r n n i c h t ü b e r h a u p t nach G e n e r a l e r m ä c h t i g u n g e n o h n e B i n d u n g an b e stimmte Tatbestände bestraft wurde. Reformversuche blieben erfolglos145. 145 1863 legte Anton Hye von Glunek den E n t w u r f eines Gesetzes über V e r brechen u n d Vergehen vor u n d i m Anschluß daran 1868 Lienbacher den E n t w u r f eines Strafgesetzes über Polizeiübertretungen. I m Gegensatz zu diesem an das geltende österreichische Recht anknüpfenden Reformversuch nahm der nächste m i t dem 1874 i m Abgeordnetenhaus eingebrachten E n t w u r f das deutsche Reichsstrafgesetzbuch von 1871 zum V o r b i l d u n d enthielt daher auch (in einem eigenen dritten Teil) die meisten sogenannten Polizeiübertretungen als gerichtlich strafbare Übertretungen. Doch k a m er ebenso wie die folgenden (1881, 1889, 1891) nicht über einige Beratungen hinaus (Hoegel, Geschichte, I, S. 99, 100; Rittler, S. 20 ff.). Seit 1895 gab man das V o r b i l d des deutschen StGB wieder auf (Graf Gleispach, S. 5). I m Laufe der Reformbemühungen trat auch die Tendenz hervor, abstrakte Gefährdungsdelikte großenteils i m V e r w a l tungsverfahrens verfolgen zu lassen, sofern nicht eine gerichtliche Bestrafung aus andern Gründen (hohem Grad der Gefährdung, Wichtigkeit des Rechtsguts, größerer A u t o r i t ä t der gerichtlichen Entscheidung usw.) angemessen zu sein schien: „Grundsätzlich wären aus der gerichtlichen Zuständigkeit alle Tatbestände auszuscheiden, die sich i n der Verletzung eines Verbotes oder Gebotes erschöpfen, das n u r zum Hintanhalten abstrakter Gefährdungen aufgestellt ist — es sei denn, daß besondere Umstände ausnahmsweise doch der Tat eine größere Bedeutung verleihen. Sodann, wenn der Grad der möglichen Gefährdung i n der Regel ein hoher, das möglicherweise gefährdete Rechtsgut ein sehr wichtiges, das Gebiet der Normen, deren Übertretung geahndet w e r den soll, von großen sozialen Gegensätzen beherrscht ist" (Regierungsvorlagen 1912, Erläuternde Bemerkungen, S. X I I I ; entsprechend Graf Gleispach, S. 14). Jedoch enthielten die Entwürfe 1909 u n d 1912 noch besondere Abschnitte m i t gerichtlich strafbaren „Ordnungsübertretungen", w e i l die organisatorischen u n d verfahrensmäßigen Voraussetzungen (kleinere Verwaltungsbezirke u n d nach modernen Grundsätzen geregeltes Verfahren) für die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden noch nicht gegeben gewesen seien (Graf Gleispach, S. 13 f.; Regierungsvorlagen 1912, Erläuternde Bemerkungen, S. X I I I u n d S. 359). Die Entwürfe 1902 u n d 1906 schlugen zum StG noch ein „Gesetz, betreffend die Festsetzung polizeilicher Strafbestimmungen über Gegenstände, die bisher i m Strafgesetze v o m 27. M a i 1852 geregelt waren", vor. Z u r Begründung wurde auf den (ungerechtfertigten) M a k e l gerichtlicher Bestrafung bei geringen Übertretungsfällen, die Überlastung der Gerichte, die größere Sachkunde der Verwaltungsbehörden u n d die bereits gegebene Zuständigkeit derselben bei „Gebots- oder Verbotsübertretungen ähnlicher A r t " („es fehlte eben an einem grundsätzlichen, auf die Schwere der Tat zurückzuführenden U n t e r schied") hingewiesen (Referentenentwürfe, Bd. 1, Begründung, S. 3 f.; Bd. 2, Begründung, S. 4). Z u erwähnen wäre auch noch der E n t w u r f eines Polizeistrafgesetzes (1909) von Hoegel (der schon an den E n t w ü r f e n 1902 u n d 1906
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Immerhin hatten die justizstaatlichen Bestrebungen zu einer gewissen Einschränkung der polizeilichen Strafbefugnis geführt. So begrenzte die Verordnung der Ministerien des Innern und der Justiz und der obersten Polizeibehörde vom 14. August 1853 (RGBl. Nr. 163) die „Disziplinarstrafgewalt" gegenüber polizeiwidrigem Verhalten an öffentlichen Versammlungsorten, das die Ordnung und den Anstand verletzte, das Vergnügen des Publikums störte oder sonst ein Ärgernis erregte, auf die Verhängung einer „gefänglichen Anhaltung" bis zu acht Tagen 1 4 6 . Wie diese Verordnung hatte auch schon die frühere vom 11. Mai 1851 (RGBl. Nr. 127) die „Vollstreckung der Verfügungen und Erkenntnisse" der politischen Obrigkeiten (politischen Behörden und Gemeindevorsteher) regeln wollen, um die staatliche Zwangsgewalt zu beschränken. Beide ersetzte die Kaiserliche Verordnung vom 20. A p r i l 1854, „wodurch eine Vorschrift für die Vollstreckung der Verfügungen und Erkenntnisse der landesfürstlichen politischen und polizeilichen Behörden erlassen w i r d " (RGBl. Nr. 96, sogenanntes Prügelpatent). Trotz aller Bemühungen der nachfolgenden Zeit, sie zu beseitigen (weil sie der Polizei sehr große Machtbefugnisse einräumte), blieb sie bis zum Inkrafttreten des VStG eine wesentliche Grundlage des österreichischen Verwaltungsstrafrechts. I h r § 11 (der die oben genannte Vorschrift der Verordnung von 1853 ablöste) bestimmte, daß „jedes polizeiwidrige Verhalten an öffentlichen Versammlungsorten . . . , wodurch die Ordnung und der Anstand verletzt, das Vergnügen des Publikums gestört oder sonst ein Ärgernis gegeben wird, ferner jede demonstrative Handlung, wodurch Abneigung gegen die Regierung oder Geringschätzung ihrer Anordnungen ausgedrückt werden soll, . . . unvorgreiflich der etwa eintretenden strafgerichtlichen Behandlung, mit einer Ordnungsbuße von einem bis einschließlich einhundert Gulden Konventionsmünze oder von sechsstündiger bis vierzehntägiger Anhaltung" geahndet werden soll, „je nachdem die eine oder die andere Buße nach Umständen angemessener oder wirksamer erscheint" (Abs. 1). Dienstboten, Handwerksgesellen, Lehrjungen sowie Tag- und Wochenlöhner (die durch eine Arreststrafe Erwerbsausfall, u. U. mit Schaden der Angehörigen, hätten) konnten statt der Arreststrafe oder zur Verschärfung derselben auch eine „körperliche Züchtigung" erhalten (Abs. 2) 1 4 7 . Die Höchststrafe war durch § 11 Abs. 3 jeweils auf das Mindestmaß der entsprechenden Übertretungs- oder Vergehensstrafe nach dem StG beschränkt. § 7 der Verordnung wies die politischen und polizeilichen Behörden an, Zuwiderhandlungen gegen ein in ihrem Wirkungsbereich erlassenes Verbot, sofern dafür keine besondere beteiligt war) ; i h m liegen dieselben Erwägungen zugrunde wie dem PolStG i n E 1902 u n d 1906 (siehe Gesamtreform, S. 103 ff., 408 ff.). 146 Hatschek, S. 50. 147 § 1 des Ges. v o m 15. November 1867, RGBl. Nr. 131, beseitigte jedoch die Strafe der körperlichen Züchtigung.
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Strafe festgesetzt war, mit der i n § 11 angedrohten Strafe zu belegen 148 . Ebenso sollte bestraft werden, wer den in § 12 näher bezeichneten politischen oder polizeilichen Organen bei ihren Amtshandlungen i n der dort angegebenen Weise nicht die gebührende Achtung erwies. Das Verfahren sollte möglichst einfach sein (§13). Neben dieser Verordnung und der erwähnten vom 3. A p r i l 1855 können noch die Verordnungen der Ministerien des Innern und der Justiz und der obersten Polizeibehörde vom 30. September 1857 (RGBl. Nr. 198) sowie vom 5. März 1858 (RGBl. Nr. 34) als besonders wichtig erwähnt werden; sie traten alle erst m i t der Einführung des VStG außer Kraft. Die Verordnung vom 30. September 1857 schrieb vor, daß „alle Handlungen oder Unterlassungen, welche durch die bestehenden Gesetze oder von den Behörden innerhalb ihres Wirkungskreises erlassenen Verordnungen zwar i m allgemeinen als strafbar, oder doch aus polizeilichen oder anderen öffentlichen Rücksichten als gesetzwidrig erklärt", aber nicht m i t bestimmten Strafen bedroht waren, m i t Geldstrafe von einem bis zu hundert Gulden oder Arrest von sechs Stunden bis zu vierzehn Tagen zu ahnden seien, wobei das Höchstmaß nicht die entsprechende niedrigste Vergehens- oder Ubertretungsstrafe nach dem StG übersteigen durfte. — Die Verordnung vom 5. März 1858 enthielt einige dürftige Vorschriften „über das Verfahren i n den zur politischen Amtshandlung gehörigen Übertretungsfällen", das i m ganzen formlos w a r 1 4 9 . Die Ministerialverordnung vom 31. Januar 1860 (RGBl. Nr. 31) schließlich betraf den Rekurs und das Strafmilderungs- und Nachsichtsrecht in Strafverfahren vor den politischen Behörden. Das Staatsgrundgesetz über die richterliche Gewalt vom 21. Dezember 1867 (RGBl. Nr. 144) versprach zwar i n Art. I V : „Die Gerichtsbarkeit 1 5 0 bezüglich der Übertretung der Polizei- und Gefällstrafgesetze w i r d durch Gesetze geregelt"; aber die Erfüllung dieses Versprechens sollte noch lange auf sich warten lassen 151 . Die Gemeindeordnungen übertrugen den Gemeinden die A n 148 Hatschek meinte (S. 103), § 7 handele von reinem Verwaltungszwang (der Exekutivstrafe), § 11 von der Polizeistrafe. Dagegen richtig Kukula, S. 49 ff.: § 7 drohe keine eigene Strafe an, sondern erkläre die Strafdrohung des § 11 auch auf Zuwiderhandlungen gegen behördliche Verbote ohne eigene Strafdrohung f ü r anwendbar. 149 § 1 : mündliches Verfahren i n der A r t , „daß n u r die wesentlichen Punkte der Verhandlung i n ein nach dem beigeschlossenen Formular zu führendes Strafregister eingetragen werden". § 6: möglichste Beschleunigung, möglichst n u r eine Verhandlung. 150 Auch hier zeigt sich, daß man i n der A b u r t e i l u n g der Polizeiübertretungen nicht Verwaltung, sondern Rechtsprechung sah. 151 Nach A r t . V des genannten Gesetzes sollte i n oberster Instanz der V e r waltungsgerichtshof entscheiden. Doch § 48 des Ges. v o m 22. Oktober 1875, RGBl. Nr. 36, das den Verwaltungsgerichtshof einsetzte, lautete: „Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes i n Polizeistrafsachen w i r d i m Zusammenhang m i t der Polizeistrafgesetzgebung geregelt." Dabei blieb es dann.
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wendung der ortspolizeilichen Strafbestimmungen. Die Gemeinden durften ortspolizeiliche Vorschriften mit Strafdrohungen erlassen und danach Strafen verhängen 1 5 2 . Außer den genannten wenigen Vorschriften und einer Reihe weiterer von geringerer Bedeutung herrschten, insbesondere hinsichtlich allgemeiner materiell-rechtlicher Vorschriften, Gewohnheitsrecht und usus fori, der sich an das StG 1852 anlehnte 1 5 3 . Die einzelnen Tatbestände dagegen waren, wie noch heute, i n einer Unzahl von Verwaltungsvorschriften verstreut. Für ihre Abgrenzung gegenüber dem Justizstrafrecht gab es keine materiellen Kriterien. Der Umfang des Polizei- oder Verwaltungsstrafrechts wurde seit je durch die Zuständigkeit der politischen oder polizeilichen Behörden bestimmt 1 5 4 . Dieses formale K r i t e r i u m ist bis heute Merkmal für die Unterscheidung von Justiz- und Verwaltungsstrafrecht geblieben. Bei der Einteilung der Delikte hatte der Gesetzgeber stets freie Hand 1 5 5 , und er verfuhr jedenfalls nicht nach Maßgabe des Postulats von der wesensmäßigen Verschiedenheit des verwaltungswidrigen Unrechts vom kriminellen Unrecht. Die Grenzziehung i m einzelnen war stets eine reine Ermessensfrage, die der Gesetzgeber nach den jeweiligen Bedürfnissen entschied, ohne sich an feste Kriterien gebunden zu glauben, so daß seine Einstellung schwanken konnte. Die dargelegte Haltung nahm der österreichische Gesetzgeber auch bei Erlaß des VStG ein. Er wollte das Verwaltungsstrafrecht nicht nach der Lehre von den sogenannten „echten Polizeidelikten" (Ungehorsamsdelikten und Gefährlichkeitsdelikten) beschränken, sondern meinte: „Den Verwaltungsbehörden werden immer auch einzelne Verletzungsund Gefährdungsdelikte überlassen bleiben müssen, deren geringe Bedeutung oder enger Zusammenhang m i t der Verwaltungstätigkeit es nicht angezeigt erscheinen ließe, ihre Aburteilung den Gerichten zu übertragen 1 5 6 ." Andererseits gehörten zu den gerichtlich strafbaren Übertretungen auch echte Polizeidelikte i m Sinne von „bloßen Ord152 Löffler, S. 455. Lienbacher, S. 7, 9 ff., kritisierte diesen Zustand, da die Polizeigewalt ein Staatshoheitsrecht sei u n d die Gemeindeautonomie sich nicht auf das Recht zu Strafdrohungen u n d zur Strafgerichtsbarkeit erstrecken dürfe. 153 Zimmerl, GS 98 (1929), S. 303. 154 Ebenso Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 156; ähnlich Janka, S. 46; Lißbauer, S. 739; Löffler, S. 452; diese Auffassung w i r d bestätigt durch die Legaldefinition der Verwaltungsübertretung i n A r t . V I Abs. 1 u n d 3 EGVG. Die gegenteilige Meinung Hatscheks, der glaubte, zwischen dem kodifizierten u n d dem nicht kodifizierten Polizeistrafrecht eine materielle, nicht n u r gradmäßige Unterscheidung machen zu können, steht m i t der geschichtlichen E n t wicklung u n d der positiven Abgrenzung i n Widerspruch. 155 Auch heute noch: Hellbling, I I , S. 6; Antonioiii, S. 246; w o h l auch Kneucker, JB1. 1964, S. 239 f.; VerfGH, Erk. v o m 13. März 1961, Slg. 3917. Vgl. aber jetzt Hellbling, JB1. 1959, S. 254; ferner u. S. 219, A n m . 4. 156 Aus dem Bericht des Verfassungsausschusses; zitiert nach Lißbauer, S. 741.
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nungswidrigkeiten", deren Tatbestand sich i m Ungehorsam gegen ein Gebot oder Verbot erschöpfe und den E i n t r i t t eines Schadens oder einer Gefahr nicht voraussetze. Das Strafrecht der Verwaltungsbehörden sei daher zu einem guten Teil „Bagatellstrafrecht" und werde es bleiben, möge der Gesetzgeber auch die Grenze zwischen Justiz- und Verwaltungsstrafrecht verbessern 157 . Der Widerstand gegen die Polizeistrafgewalt ermüdete m i t dem A b klingen der justizstaatlichen Bewegungen des Liberalismus, und es trat eine gewisse Gewöhnung an den „überkommenen" Rechtszustand ein, so daß i n neuerer Zeit die völlige Beseitigung des Verwaltungsstrafrechts nicht mehr ernsthaft i n Erwägung gezogen wurde. Bei den Beratungen der Verwaltungsreformgesetze von 1925 forderte niemand, das Polizeistrafrecht i n das Justizstrafrecht einzugliedern 1 5 8 . Das Bemühen ging jetzt dahin, die Abgrenzung des Verwaltungsstraf rechts vom Justizstrafrecht entsprechend den oben erwähnten Gesichtspunkten zu verbessern und die seit der StPO 1873 eingeschränkte Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden wieder auszudehnen. I m Zuge dieser Entwicklung wurde die Strafgesetznovelle 1932 (BGBl. Nr. 241) erlassen, die eine Reihe von Tatbeständen aus dem Strafgesetz ausschied. Das VStG selbst ließ die Zuständigkeitsverteilung unberührt; diese sollte bei der Strafrechtsreform 159 neu geordnet werden. A n eine Kodifikation des Besonderen Teils des Verwaltungsstrafrechts dachte man jedoch nicht. Das VStG galt nach 1938 weiter, wurde nach dem Kriege (vor allem durch Erhöhung der Geldstrafensätze, die durch die allgemeine Geldentwertung bedingt war) geändert und 1950 neu verkündet. I n seinem ersten Teil enthält es die allgemeinen Bestimmungen des materiellen Verwaltungsstrafrechts, i m zweiten eine einheitliche Verfahrensregelung. Seine Vorschriften sollten der Geringfügigkeit der Verwaltungsübertretungen angepaßt sein, die bisher aushilfsweise angewendeten Rechtssätze des veralteten StG 1852 ersetzen und das Verfahren entsprechend der vom Aufbau der Gerichte abweichenden Organisation der Verwaltungsbehörden gestalten 160 . Die Verwaltungsübertretung des österreichischen Rechts w i r d somit auf Grund der historischen Entwicklung allein von dem formalen K r i t e r i u m der verfahrensrechtlichen Zuständigkeit gekennzeichnet. Auch bei den i m Jahre 1954 aufgenommenen Arbeiten zur Strafrechtsreform hat man die Aufteilung der Strafbefugnisse auf Gerichte und 157 158
Hellbling, II, S. 5, nach dem Bericht des Verfassungsausschusses. Lißbauer, S. 740.
159 M a n hielt sie damals für unmittelbar bevorstehend. Sie wurde nunmehr m i t dem Erlaß des StGB 1975 abgeschlossen. A n der Zuständigkeitsregelung hat sich jedoch insoweit nichts geändert (siehe ferner u. S. 226 ff.).
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Zimmerl, GS 98 (1929), S. 304.
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Verwaltungsbehörden nicht grundsätzlich i n Zweifel gezogen 161 . Lediglich die bisherige Dreiteilung der gerichtlich strafbaren Handlungen wurde aufgegeben und durch die Unterscheidung von Verbrechen und Vergehen ersetzt 162 . I n neuerer Zeit meldeten sich zwar Stimmen gegen die Strafbefugnis abhängiger Verwaltungsbehörden mit ihrem reinen Inquisitionsverfahren oder doch gegen einen erheblichen Umfang dieser Befugnis zu Wort. Zu nennen sind hier etwa Kindler 163, ferner Hellbling 164 und Malaniuk 165. Diese K r i t i k vermochte aber das Verwaltungsstrafrecht weder i n seinem Bestand noch i n seinem Umfang ernstlich zu bedrohen. Daran hat auch die Einfügung der Europäischen Menschenrechtskonvention i n das österreichische Verfassungsrecht trotz einiger daraus herzuleitender Zweifel nichts geändert 166 . Vielmehr hat man i n den Erläuterungen zu den amtlichen Entwürfen für ein neues Strafgesetzbuch von 1964 und 1966 sowie zu den Regierungsvorlagen von 1968 und 1971 die Existenz eines Verwaltungsstrafrechts u. a. zur Begründung für die Abschaffung der gerichtlich strafbaren Übertretungen und die Einführung der Zweiteilung i n Verbrechen und Vergehen herangezogen 167 . I I . D i e verfassungsrechtliche Grundlage des österreichischen Verwaltungsstraf rechts: die n u r formale Gewaltentrennung
Daß Verwaltungsbehörden mit Aufgaben der Strafrechtspflege betraut werden konnten, beruht auf der eigenartigen Ausprägung des Gewaltenteilungsgrundsatzes i n Österreich. Justiz und Verwaltung gelten als Organe der Vollziehung 1 . Den Grundsatz ihrer Trennung haben Lehre und Praxis i n Österreich seit der Lösung der Gerichte von den Verwaltungsbehörden immer nur in formeller Hinsicht verstanden: Ein und dieselbe Behörde kann nach ihrer Organisation nicht zugleich Gerichts- und Verwaltungsbehörde sein. Gericht ist die mit Richtern, d. h. den mit den verfassungsmäßigen Ga161 Vgl. die Protokolle der österreichischen Strafrechtskommission, 1955, S. 1092, 1142; 1958, S. 205 ff., 780. Das Verwaltungsstrafrecht wurde nicht zum Problem erhoben. 162 § 17 StGB 1975. 163 JB1. 1951, S. 428 ff. 164 Trennung, S. 613; zweifelnd auch I I , S. 6 (vgl. u. S. 219, Anm. 4). 165 JB1. 1949, S. 274; 1959, S. 252. Früher auch Adamovich-Spanner, 5. Aufl., S. 212; i n der von Adamovich jr. besorgten 6. Auflage findet sich kein Hinweis mehr. ice Darüber eingehend u. S. 219, A n m . 4. 167 E 1964, S. 108; E 1966, S. 36; R V 1968, S. 88; RV 1971, S. 88. Siehe zum Ganzen auch u. S. 226 ff. 1 Die Vollziehung, das ist Ausführung der Gesetze, besteht i n Rechtsprechung u n d Verwaltung.
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r a n t i e n der U n a b h ä n g i g k e i t , U n a b s e t z b a r k e i t u n d U n v e r s e t z b a r k e i t b e i A u s ü b u n g ihres R i c h t e r a m t e s versehenen B e a m t e n besetzte B e h ö r d e , V e r w a l t u n g s b e h ö r d e eine solche m i t B e a m t e n ohne diese G a r a n t i e n . Ger i c h t s b a r k e i t w a r u n d ist d e m n a c h n i c h t der i n der Rechtsprechung b e stehende T e i l d e r V o l l z i e h u n g , s o n d e r n die v o l l z i e h e n d e T ä t i g k e i t ( S t a a t s f u n k t i o n ) , die v o n R i c h t e r n ( i m g e n a n n t e n Sinne) ausgeübt w i r d 2 . M e h r besagt auch A r t . 94 des Bundesverfassungsgesetzes v o m 1. O k t o b e r 1920 i n d e r Fassung v o m 7. D e z e m b e r 1929 ( B G B l . N r . 1/1930), w o n a c h d i e J u s t i z i n a l l e n I n s t a n z e n v o n der V e r w a l t u n g g e t r e n n t ist, n i c h t 3 . D a h e r ist der österreichische Gesetzgeber g r u n d s ä t z l i c h n i e g e h i n d e r t gewesen, d e n G e r i c h t e n V e r w a l t u n g s a u f g a b e n u n d d e n V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n Rechtsprechungsbefugnisse i n b e l i e b i g e m A u s m a ß z u z u w e i s e n 4 . E r b r a u c h t e auch n i e z u d e r B e h a u p t u n g Z u f l u c h t z u n e h m e n , die V e r 2 Adamovich, Verfassungsrecht, S. 226 ff.; Lißbauer, S. 738; Hellbling, T r e n nung, S. 612; derselbe , I, S. 23; R. Walter, Verfassung, S. 31, 96ff., 104ff.; Kneucker, JB1.1964, S. 239 f.;Melichar, S. 28. 3 Adamovich, a.a.O., S. 229. Dieser Verfassungsgrundsatz bezieht sich n u r auf die Organisation der Behörden (Wentzel, Anm. zu A r t . 94 BVG). 4 Hellbling, I I , S. 6. F ü r den einfachen Gesetzgeber errichtet allerdings das Bundesverfassungsgesetz gewisse Grenzen. Gegenüber der Ansicht von der „formal" schrankenlosen Ausdehnungsmöglichkeit des Verwaltungsstrafrechts selbst durch die einfache Gesetzgebung w i l l Hellbling (JB1.1959, S. 254, 256) aus A r t . 11 Abs. 5 B V G sowie aus A r t . 91 Abs. 2 u n d 3 B V G (über bestimmte Del i k t e müssen Geschworenengerichte, über andere bei Überschreitung bestimmter Strafhöhe Schöffengerichte urteilen) ableiten, daß durch einfaches Gesetz n u r Verwaltungsübertretungen geschaffen werden könnten, die auch bloß minder strafwürdige Fälle als gerichtlich strafbare Übertretungen erfassen dürften, wobei er selbst zugeben muß, daß das positive Verwaltungsrecht nicht den von i h m aufgestellten Forderungen entspricht (a.a.O., S. 257 f.) ; er hält es deshalb insoweit für verfassungswidrig. Anders freilich die h. M. (Adamovich, Handbuch, S. 106 f. ; Antonioiii, S. 246; R. Walter, S. 532). Besonders zutage getreten ist diese Problematik, nachdem durch Bundesgesetz v o m 24. September 1958 (BGBl. Nr. 210) die Menschenrechtskonvention als innerstaatliches Gesetz verkündet wurde. Nach deren A r t . 6 hat jedermann Anspruch darauf, daß seine Sache von einem Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche u n d Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit einer gegen i h n erhobenen strafrechtlichen Anklage zu befinden hat, entschieden w i r d . Der Verfassungscharakter w a r aus dem Gesetzestext nicht ersichtlich. I m Jahre 1961 griff der VerfGH i n die darüber ausgebrochene Diskussion ein u n d lehnte den Verfassungscharakter der Menschenrechtskonvention aus formalen G r ü n den ab (Erk. v o m 13. März 1961, Slg. 3917). Die Entscheidung wurde heftig kritisiert (insbesondere von Ermacora, JB1. 1962, S. 118 ff., u n d Handbuch, S. 5 f. Pelinka-Welan, S. 229, erheben den V o r w u r f , der VerfGH habe „weniger das österreichische Recht europäisiert als das supranationale Recht austrifiziert"; zweifelnd, i m Ergebnis aber w o h l zustimmend Adamovich, Verfassungsrecht, S. 230). Das Parlament stellte nunmehr den Verfassungsrang der Konvention formell fest (Verfassungsges. v o m 6. A p r i l 1964, BGBl. Nr. 59). Die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit blieb gleichwohl offen. Sie wurde verneint v o m VerfGH u n d i h m folgend v o m VerwGH sowie v o m OGH (Nachweise bei Moos, Untersuchungshaft, S. 491 ff.). F ü r unser Thema folgt daraus: Nach dem österreichischen Vorbehalt zur Menschenrechtskonvention sind A r t . 5 (Freiheitsentziehung ausschließlich durch ein Gericht) u n d w o h l auch A r t . 6 (Verhandlung n u r vor einem Gericht) m i t der Maßgabe anwendbar, „daß die
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hängung von Strafen bei Verwaltungsübertretungen sei nicht Rechtsprechung, sondern eine Verwaltungstätigkeit 5 , und es bestand keine Notwendigkeit, materiale Unterscheidungsmerkmale aufzusuchen. Damit läßt sich vielleicht zu einem Teil die geringe Beschäftigung der österreichischen Strafrechtswissenschaft mit dem Problem des Verwaltungsstrafrechts erklären. Für die Zuständigkeitsverteilung durch den Gesetzgeber waren unter diesen Voraussetzungen naturgemäß Opportunitätsgesichtspunkte von ausschlaggebender Bedeutung, was auch immer zugegeben worden ist 6 . I I I . Die Stellungnahme der L i t e r a t u r z u m Verwaltungsstrafrecht
Die Literatur hat sich i n Österreich nie eingehend mit dem Problem des Verwaltungsstrafrechts beschäftigt und mit Ausnahme von Otto Hatschek keine Theorie über ein eigenständiges bloß verwaltungs- oder ordnungswidriges Unrecht entwickelt. I n der Literatur zum StG 1803 herrschte zunächst, wie bereits dargelegt, das Bestreben nach Erläuterung des geltenden Rechts vor, wobei zu dessen rationaler Erfassung auch Gesichtspunkte wie unmittelbare und mittelbare Rechtsverletzung, Verletzung und Gefährdung oder Vorbeugung und Sicherheitsmaßregeln zum Schutz der Rechte herangezogen wurden, ohne daß dies schon zu einer reformatorischen K r i t i k gegenüber den anerkanntermaßen nach Beeinträchtigung der „Sicherheit i m gemeinen Wesen" (der Strafwürdigkeit) vorgenommenen Verbrechenseinteilung des damals geltenden Rechts geführt hätte. Als die Lehre das Wesen der strafbaren Handlung nicht mehr i n der Verletzung der „Sicherheit i m gemeinen Wesen", sondern i n der Schädigung individueller Rechte oder Güter sah, sank die Übertretung sogenannter vorbeugender staatlicher Bestimmungen, die nur aus Zweckmäßigkeitsgründen (nämlich zur Erfüllung der „polizeilichen" Aufgabe i n den Verwaltungsverfahrensgesetzen, BGBl. Nr. 172/1950, vorgesehenen Maßnahmen des Freiheitsentzuges unter der i n der österreichischen Bundesverfassung vorgesehenen nachprüfbaren Kontrolle durch den VerwGH oder den VerfGH unberührt bleiben" (Rosenzweig, S. 48 f.). Dementsprechend hat der VerfGH ausgesprochen, daß das Verfassungsrecht des Bundes nicht das Verhängen von Freiheitsstrafen durch Verwaltungsbehörden verbiete (Erk. v o m 13. März 1961, Slg. 3917). D a m i t ist die österreichische Besonderheit des österreichischen Verwaltungsstrafrechts nicht n u r w e i t e r h i n befestigt worden; sie wurde vielmehr verfassungsgerichtlich bestätigt — w e n n auch unter großenteils scharf er K r i t i k der Wissenschaft (vgl. die schon Zitierten u n d außerdem zum Ganzen Kneucker, JB1. 1964, S. 239 f.; Kunst, ÖJZ 1964, S. 197 ff.; vor allem Moos, Untersuchungshaft, S. 489 ff., u n d R. Walter, S. 532 ff., jeweils m i t weiteren Nachweisen). 5 I n der Tat scheint dies außer Hatschek (S. 85 f.) niemand behauptet zu haben. 6 Vgl. o. S. 213, Anm. 145, u n d S. 216.
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des Staates, der Gefahrenabwehr) für strafbar erklärt worden seien, zu einem Unrecht anderer und minderer A r t ab (kein „eigentliches" Unrecht). Diese Lehre kam aber in Österreich nie recht zum Durchbruch, da sie von der gleichzeitig sich ausbreitenden feindlichen Einstellung des Liberalismus zur Strafgewalt der Verwaltung überschattet wurde. Zur Blütezeit des Liberalismus standen die justizstaatlichen Bestrebungen i m Vordergrund, und nach deren Abklingen hatte die Unterscheidung von Verletzungs- und abstrakten Gefährdungsdelikten auch da, wo man mit ihr noch den Unterschied von Justiz- und Polizeistrafrecht erklären wollte, ihre eine Wesensverschiedenheit begründende Kraft verloren. Von „wirklichen" Polizeiübertretungen sprach ζ. B. Beidtel; unter diesem Gesichtspunkt übte er auch K r i t i k an der österreichischen Gesetzgebung (Josephina, StG 1803), die einen „den reinen Grundsätzen oft nachteiligen Charakter" trage 1 . Aber schon Janka leugnete jede selbständige Bedeutung der Unterscheidung 2 ; die polizeilich geahndeten Delikte seien durchweg solche „untersten Ranges". Für Lienbacher war das Polizeistrafrecht „der Inbegriff aller in Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften enthaltenen polizeilichen Gebote und Verbote, deren Übertretungen von landesfürstlichen oder autonomen Behörden, denen die Polizeigewalt i m allgemeinen oder doch i n bezug auf die Gegenstände der übertretenen Gebote oder Verbote zukommt, oder auf Grund besonderer Gesetze von den ordentlichen Gerichten zu untersuchen und zu bestrafen sind" 3 . Er wandte sich nicht gegen den Begriff des Polizeistrafrechts überhaupt, forderte aber nachdrücklich eine Beseitigung der Polizeistrafbefugnisse 4 . Da es sich um Strafrecht handle, müßten die allgemeinen Bestimmungen des StG und die Vorschriften der StPO auch bei Polizeiübertretungen gelten, sofern nicht Ausnahmen vorgeschrieben seien5. Schon früher hatte Hye nur eine Einteilung der strafbaren Handlungen nach dem Grade ihrer Strafwürdigkeit als brauchbar anerkannt 6 ; i m österreichischen Recht sah er sie verwirklicht. Er hielt es für praktisch untauglich (obwohl er es theoretisch selbst tat), zwischen unmittelbaren (entweder vorsätzlichen oder fahrlässigen) und mittelbaren (noch nicht 1
Beidtel-Huber , I, S. 355; I I , S. 100,103 f., 205. S. 46. — Die Bezeichnung „Polizeidelikte" betreffe n u r das Äußere, n ä m lich die Zuständigkeit der politischen Behörden. 3 S. 14. 4 S. 282. Anzustreben sei eine allmähliche Übertragung der Polizeistrafrechtspflege auf die Gerichte. Wie er berichtet, wurde schon damals „unbedingt von allen Seiten anerkannt — sowohl i n der Literatur, als auch von P r a k t i kern —, daß mindestens ein großer T e i l der Polizeiübertretungen der K o m p e tenz der Bezirksgerichte zu überweisen sei". 5 S. 12, 277. 6 S. 50 ff. 2
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wirklichen) Rechtsverletzungen zu unterscheiden. Dieser Gesichtspunkt besaß für ihn keine systembildende Kraft mehr. Vor allem leugnete er jeden grundsätzlichen Unterschied zwischen den von politischen Behörden abzuurteilenden einfachen Polizeiübertretungen (den geringer strafbaren Handlungen des A r t . V des Kundmachungspatents zum StG 1852) und den gerichtlich strafbaren Delikten 7 . Hoegel sprach von „Tatbeständen rein polizeilicher, vorbeugender Natur", über die nicht die Gerichte, sondern die Verwaltungsbehörden erkennen sollten, da es sich nicht u m die „eigentliche straf richterliche Tätigkeit", sondern um „Polizeigeschäfte" handle 8 . Auch der „Makel" der gerichtlichen Strafe, der i n solchen Fällen unangebracht sei, ließ ihn die polizeiliche Zuständigkeit bei Zuwiderhandlungen gegen „Gebote und Verbote vorbeugender Natur" befürworten. Weitere Argumente waren die Überlastung und die geringe Sachkunde der Richter. Das positive Recht habe allerdings den „grundsätzlichen, auf die Beschaffenheit der Tat zurückzuführenden Unterschied" nicht verwirklicht. — Graf Gleispach9 hingegen hielt die bloß abstrakte Gefährdung für nicht allein ausschlaggebend ; auch bei einer solchen könne Bestrafung durch ein Gericht erforderlich sein 10 . Otto Hatschek bemühte sich i m Anschluß an Goldschmidt eingehend um den Nachweis eines „generischen" Unterschiedes von Polizeiübertretungen und Justizdelikten. Aus § 11 der Verordnung von 185411 (des „Prügelpatentes"), den er für den „Typus des allgemeinen Polizeistrafgesetzes" hielt, wollte er das Wesen des Polizeidelikts als Polizeipflichtwidrigkeit, Nichterfüllen der allgemeinen Pflicht, sich polizeigemäß zu verhalten, ableiten 12 . Die Polizeiwidrigkeit erschöpfe sich i m Außerachtlassen der allgemeinen polizeilichen Pflicht, sich polizeigemäß zu verhalten, d. h. nicht störend in die gute Ordnung des Gemeinwesens einzugreifen 13 . Damit machte auch Hatschek einen Unterschied zwischen dieser „guten Ordnung des Gemeinwesens" und der Rechtsordnung, indem er jene von dieser ausschloß (bloße Ordnung i m Gegensatz zu Recht). So steht die Polizei ebenfalls außerhalb der Rechtsordnung; sie ist i n ihrer Tätigkeit nicht an das Recht gebunden, sondern handelt (vielleicht innerhalb gewisser rechtlicher Grenzen) i m rechtsfreien Raum. Infolgedessen waren nach Hatschek die politischen Behörden befugt, jede Polizei7
S. 51, 107, 108, 111: Diese geringen Übertretungen fielen „ i n ihrer begrifflichen Wesenheit" ganz m i t den schweren Polizeiübertretungen zusammen (die ihrerseits n u r gradmäßig von den Verbrechen unterschieden seien), S. 51. 8 Geschichte, I, S. 104; Gesamtreform, S. 408. 9 S. 14. 10 Vgl. näher o. S. 213, A n m . 145. 11 Vgl. o. S. 214. 12 Bes. S. 72 ff., 51 ff., 66 ff., 69 usw. 13 S. 57.
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Widrigkeit zu ahnden, auch ohne vorher den Tatbestand formuliert zu haben; es genügte zur Bestrafung schon die vorbezeichnete „Polizeiwidrigkeit" an sich 14 . Deshalb könnten gerichtliche Strafe und Polizeistrafe als Ordnungsbuße nebeneinander bestehen 15 . Die Polizeistrafe hielt Hatschek für ein Mittelding zwischen Kriminalstrafe und Zwangsstrafe, aber m i t stärkerem Einschlag der letzten. Sie sei einerseits A h n dung einer Verletzung der Pflicht zu polizeigemäßem Verhalten, andererseits solle sie dem Pflichtvergessenen die allgemeine polizeiliche Pflicht nachdrücklich i n Erinnerung bringen und ihre Erfüllung von ihm erzwingen. M i t der Verhängung einer Polizeistrafe, die zugleich dem Schutz des Interesses der Verwaltung an polizeigemäßem Verhalten der Untertanen diene, erfülle die Polizei i n einem konkreten Falle ihre wesentliche Aufgabe, für den Fortbestand der öffentlichen Ordnung zu sorgen 16 . Hatschek schränkte wie alle Befürworter des Verwaltungsstrafrechts die Rechtsordnung (und damit auch das Strafrecht) auf den Schutz des Individuums und seiner individuellen Rechte und Güter ein, während der Bereich, in dem der einzelne Sozialperson ist, von ihr ausgeschlossen und als rechtsfreier Raum der öffentlichen Verwaltung überlassen blieb, i n dem diese „lediglich mit Rücksicht auf die jeweiligen in dem allgemeinen Wohle 1 7 gipfelnden Verwaltungsinteressen" vorgehe und die Rechtssphäre des einzelnen ihrem Zugriff ganz offenstehe, weil ja „das Ermessen der Verwaltungsorgane nicht an rechtliche Schranken gebunden" sei 18 . Infolgedessen diene auch die polizeiliche Strafverhängung „nicht der Aufrechterhaltung der Rechtsordnung, sondern nur der Wahrung der Verwaltungsinteressen" 19 . Sie sei somit keine Rechtsprechung (kein strafrichterlicher Akt), sondern das Wesen der polizeilichen Strafe lasse sie „als administratives Machtmittel zur Verwirklichung der öffentlichen Interessen und insofern als einen wahren materiellen Verwaltungsakt" erscheinen 20 . Kukula versuchte, das Verwaltungsstrafrecht als bloßes Zwangsrecht zu erklären. Er wollte zeigen, „daß es ein Polizeistraf recht oder Verwaltungsstrafrecht nicht gibt, sondern daß dieser Begriff durch den allein richtigen des Verwaltungszwanges ersetzt werden muß" 2 1 . Die sogenannte Polizeistrafe habe als „Verwaltungszwang" mit einer Strafe nichts zu tun, sondern sei bloße Präventionsmaßnahme („psychologischer Zwang in präventiver Richtung") und bezwecke die „vorbeugende, erzieherische 14 15 16 17 18 19 20 21
S. 57. S. 74 ff. S. 79 f. Das allgemeine W o h l ist nach jener Lehre kein Problem der Gerechtigkeit. S. 85. S. 87. S. 84, 85 f. S. V ; entsprechend S. 101.
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Wirkung auf den Kontravenienten". Deshalb sei auch das Polizeistrafrecht kein Straf recht, sondern „die Lehre von dem den verwaltungswidrigen Tatbeständen aller A r t gegenüber i n Anwendung zu bringenden Verwaltungszwang", und die Verwaltungs Widrigkeit kein deliktisches (schuldhaftes und strafwürdiges) Verhalten 2 2 . Der Verwaltungszwang werde ausschließlich nach Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit auf Grund freien Ermessens der Behörden angewendet und stehe als typische Funktion der Verwaltungsbehörden außerhalb jeder rechtsprechenden Tätigkeit 2 3 . K u l t u r e l l indifferente Tatbestände dürften nicht ins Strafgesetz aufgenommen werden, wohl aber könnten auch kulturell relevante Handlungen Gegenstand von Polizeirechtssätzen sein und folglich einen Verwaltungszwang nach sich ziehen 24 . Soweit ersichtlich, ist i n Österreich niemand der von Hatschek mit großer Konsequenz entwickelten Verwaltungsstrafrechtstheorie gefolgt (von der Aufnahme einzelner Gedanken abgesehen). Für Finger ζ. B. war das polizeiwidrige Unrecht dadurch gekennzeichnet, daß i h m eine Verletzung oder konkrete Gefährdung fehlte 2 5 ; es sei einfache Normwidrigkeit und könne so eine eigene Gruppe innerhalb der strafbaren Handlungen bilden 2 6 . Jedoch ließen sich genaue Unterscheidungsmerkmale nicht auffinden 27 . Stooß nahm i n seinem Lehrbuch zu der Frage des Polizeistrafrechts nicht ausdrücklich Stellung, sondern betonte nur (im Einklang m i t der herrschenden Meinung), daß zwischen Verbrechen, Vergehen und Übertretungen kein „durchgreifender innerer Unterschied" bestehe 28 . Nach Löf fier ist der „materiellrechtliche Begriff" des Polizeidelikts der des abstrakten Gefährdungsdelikts, mit dem sich aber das österreichische Polizeistrafrecht nicht decke 29 . Wegen des „Makels gerichtlicher Bestrafung" wollen Lammasch und Rittler 30 die gerichtliche Zuständigkeit nicht auf alle strafbaren Handlungen ausgedehnt wissen 31 . Nach Zimmerl handelt es sich bei den Polizeidelikten regelmäßig um Unrecht geringeren Grades, das sich hinsichtlich der Sozialschädlichkeit 22
S. 52 f. S. 102 f., 74 f. 24 S. 31. 25 S. 163 u n d A n m . 115 daselbst. 26 S. 163,183. 27 S. 163, A n m . 115. 28 Lehrbuch, S. 76. 29 Dieses sei das Strafrecht, das die Verwaltungsbehörden anwendeten (S. 452). 30 S. 37. 31 Ebenso Rittler, S. 79. — Dagegen jedoch W. Mittermaier, ZStW 52 (1932), S. 278 f., w e i l von den an der Aufrechterhaltung ihrer Maßnahmen interessierten Verwaltungsbehörden keine objektive Beurteilung w i e von den Gerichten zu erwarten sei. 23
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von den meisten gerichtlich strafbaren Handlungen unterscheidet. Er erkannte an, daß die Rechtsordnung die Aufgabe habe, das Zusammenleben der Menschen i n einer sozialen Gemeinschaft zu schützen und zu regeln. Das antisoziale Verhalten werde daher für rechtswidrig erklärt. Grund der formellen Rechtswidrigkeit und der Strafbarkeit sei die soziale Schädlichkeit (auch bei dem minderen Unrecht der Polizeidelikte). Allerdings gebe es eine Gruppe von Handlungen, deren antisozialer Gehalt erst die Folge der formellen Rechtswidrigkeit (des Verbots, ζ. B. des Linksfahrens) sei; aber auch hier hat die Strafe Grund und Rechtfertigung offenbar nur i n der Antisozialität der Tat 3 2 . Lißbauer Schloß sich i m wesentlichen der Ansicht des Verfassungsausschusses des Nationalrates i n seinem Bericht zum Verwaltungsstrafgesetz an. Außerdem meinte er, die Gesetzgebung neige dazu, der verwaltungsbehördlichen „Strafgerichtsbarkeit" die Fälle zu übertragen, i n denen die Strafe „bloß die durch eine Verwaltungsvorschrift näher bestimmte Pflicht" einzuschärfen habe, „die gute Ordnung des Gemeinwesens nicht zu stören" 3 3 . I n der neueren Literatur zum österreichischen Strafrecht w i r d durchweg kein Wesensunterschied zwischen K r i m i n a l - und Verwaltungsstrafrecht angenommen, eine begriffliche Abgrenzung i m materiellen Unrecht vielmehr für unmöglich gehalten. Malaniuk meint zwar, die Abgrenzung der Verbrechen und Vergehen von den Verwaltungsübertretungen sei „bereits durch den Charakter der strafbaren Handlung eindeutig gegeben", ohne freilich zu sagen, worin die Eindeutigkeit besteht; doch sei die Grenze zwischen Justiz- und Verwaltungsübertretungen fließend 34. So kommt es auch bei ihm nur auf die i n der Strafdrohung erscheinende Geringfügigkeit der Tat, nicht auf ein „allgemeingültiges Begriffsmerkmal" an 3 5 . Überhaupt sieht man häufig i n den Verwaltungsübertretungen einfach geringfügige Delikte oder Verstöße (so Horrotü 3 6 , Kimme! 3 7 , Hellbling 38). Manche begrüßen die Tendenz, solche Delikte (wegen unangebrachter nachteiliger Folgen gerichtlicher Bestrafung) immer mehr von den Verwaltungsbehörden statt von den Gerichten aburteilen zu lassen 39 . Nowakowski betont schließlich, es könne sich bei der Abgrenzung nur um „rechtspolitische Erwägungen" handeln; eine begriffliche Unterscheidung sei nicht möglich 40 . Hellbling erkennt der heute von der Verwal32
GS 98 (1929), S. 305 f. S. 741 f. 34 S.2. 35 S. 2, A n m . 6. 30 S. 7, 71. 37 Lehrbuch, S. 7. 38 JB1.1959, S. 254, 256. 39 So Malaniuk, S. 2; Kimmel, Lehrbuch, S. 7. Vgl. auch Pichler- Dr exler, JB1. 1960, S. 420 f.; a. Α. H. Lackner, ÖJZ 1971, S. 259 ff., u n d Barfuß, JB1.1965, S. 130. 40 S. 24. 33
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tung zu verhängenden Strafe dieselben „Eigenschaften" zu wie der gerichtlichen Strafe, leugnet also insoweit jeden Wesensunterschied zwischen Justiz- und Verwaltungsstrafrecht 41 . Gleichwohl bestehe ein Unterschied i m Unrechtsgehalt: Verwaltungsübertretungen seien nur (bzw. dürften nur sein) minder strafwürdige, also verhältnismäßig leicht zu bewertende Taten 4 2 . „Bloße Ordnungsdelikte" sollten „als typisches Polizeiunrecht" auf die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden hinweisen 43 . I m übrigen warnt er vor einer weiten Ausdehnung der Verwaltungsstrafgewalt 44 . Für Antonioiii 45 liegt wie für Adamovich 46 der Unterschied zwischen Justiz- und Verwaltungsstrafrecht nur i n der verschiedenen Zuständigkeit. Sachliche Merkmale (selbst wie die Gegenüberstellung von schwereren und leichteren, moralisch mißbilligten und gleichgültigen Handlungen) ermöglichten keine Abgrenzung. Das österreichische Verwaltungsstraf recht sei jedoch zweckmäßig; es habe sich bewährt, daß man bei der Strafrechtsprechung verwaltungspolitische Gesichtspunkte berücksichtigen und auch ohne Ehrenminderung strafen könne 4 7 . Bei der Aussprache in der Strafrechtskommission stieß die Ansicht Estls, die Verwaltungsübertretungen seien ihrem Wesen nach keine m i l deren Delikte als die gerichtlich strafbaren Übertretungen, sondern oft schwerer als diese, auf Widerspruch 48 . Rittler räumte ein, die Abgrenzung sei vielfach willkürlich, meinte aber, einen „wesentlichen Unterschied" darin finden zu können, daß i m allgemeinen „das Kriminalstrafrecht moralisch verwerfliche, sittlich anstößige Handlungen erfaßt, während beim Verwaltungsstraf recht dieses Pathos fehlt"; deshalb sei der V o r w u r f einer Verwaltungsübertretung weniger verletzend, denn es bleibe „regelmäßig die sittliche Ehre unangetastet". I m Einzelfalle könne es aber auch anders sein 49 . — Ähnlich äußerte sich Roeder 50. Soll nämlich „das kriminelle, von den Gerichten zu bestrafende Unrecht nicht bagatellisiert werden, so müssen Verstöße nicht krimineller Natur, die sich 41 I I , S. 15 f. Vgl. JB1. 1959, S. 252: Verwaltungsstrafrecht sei „durch der Unabhängigkeit entbehrende Verwaltungsbehörden zu vollziehendes Strafrecht". 42 JB1.1959, S. 254, 256. 43 I I , S. 6. 44 I I , S. 6; JB1. 1959, S. 252 ff. (Ihre Ausdehnung über den Bereich der Übertretungen sei verfassungswidrig.) 45 S. 246. Ebenso Kneucker, JB1.1964, S. 239 (mit weiteren Angaben). 46 Handbuch, I, S. 106 f. 47 Antonioiii, S. 246. 48 Protokolle, 1958, S. 205 ff. Dagegen Gürtler, Hausner, Malaniuk (in der Regel sei der Unrechtsgehalt einer gerichtlich strafbaren Übertretung größer; der V o r w u r f wiege hier schwerer). 49 S. 208 f. 50 S. 96.
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mehr oder weniger als Ordnungswidrigkeiten darstellen, aus dem Justizstrafrecht ausscheiden und als bloße Übertretungen den Verwaltungsbehörden zur Ahndung überlassen werden". Die Normen des Justizstrafrechts seien „ethisches Allgemeingut des Volkes". Die Normen des Verwaltungsstrafrechts habe „meist nicht die innere Überzeugung der Volksgemeinschaft, sondern der Wille des Gesetzgebers geschaffen". Dem widersprach Nowakowski 51. Das Verwaltungsstrafrecht sei fraglos anerkannt. Auch Robert Walter 52 hegt keinerlei Zweifel an der grundsätzlichen Zulässigkeit eines Verwaltungsstrafrechts, und Broda 53 t r i t t hauptsächlich für gewisse Verbesserungen des Verfahrens ein. Nach Barfuß 54 kann die Aufrechterhaltung einer angemessenen Sozialordnung der Strafe, insbesondere auch der Verwaltungsstrafe, niemals entraten. Auch die i n Österreich jüngst abgeschlossene Strafrechtsreform hat die Existenz eines Verwaltungsstrafrechts nicht i n Frage gestellt, es vielmehr geradezu vorausgesetzt, wie man den Erläuterungen zu den Regierungsvorlagen eines Strafgesetzbuches von 1968 55 und 1971 5 6 entnehmen kann. Dem stehen auch die Erläuterungen zum Strafrechtsanpassungsgesetz 1974, BGBl. Nr. 422, nicht entgegen 57 . Ob die amtliche Äußerung gleichzeitig einen Unterschied des Unrechts andeuten wollte, w i r d die künftige Entwicklung zeigen, ebenso ob die Auffassung von F or egger-Serini 58, der Ausdruck Übertretung solle „den bisher als Verwaltungsübertretung bezeichneten Ordnungswidrigkeiten vorbehalten bleiben", auf einen Wandel i n der bisher als herrschend i n Österreich angesehenen Lehre hinweist. Für Schild 59 sind die Verwaltungsübertretungen „strafwürdiges Unrecht", wenn er sie auch Ordnungswidrigkei51
Problematik, S. 9 ff., 12, 17: Das Verwaltungsstrafrecht unterstreiche den „ U n w e r t gerichtlich strafbarer Handlungen". 52 Reform, S. 36 ff. 53 S. 46 f.; siehe auch u. S. 236, A n m . 53, u n d S. 238, A n m . 62. 54 S. 56; ferner JB1.1965, S. 129 ff. 55 a.a.O., S. 57. Es sei n u r zu prüfen, „ob u n d i n welchem Ausmaß sich ein Ausbau der Rechtsschutzeinrichtungen des Verwaltungsstrafverfahrensrechtes als notwendig erweist". Siehe ferner S. 88: „Bagatellsachen können gerade i n Österreich i m Verwaltungsstrafverfahren erledigt werden. Was w i r k l i c h strafbar ist, soll nicht bagatellisiert werden." 56 a.a.O., S. 88. Es bestehe „ k e i n sachliches Bedürfnis nach einer materiellwertenden Unterscheidung zwischen Vergehen u n d Übertretungen". 57 Nr. 850 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, X I I I . GP, S. 2. „Es sollten n u r diejenigen Deliktstypen als gerichtlich strafbar beibehalten werden, die i m Sinne der Grundsätze der Strafrechtsreform auch heute noch als kriminelles Unrecht aufgefaßt werden. A l l e übrigen Tatbestände sollten — soweit sie nicht überhaupt entbehrlich erschienen — den Verwaltungsbehörden zur A h n d u n g überlassen werden." Dieser Grundsatz wurde auch durch die Finanzstrafgesetznovelle 1975, BGBl. Nr. 335, m i t der das Finanzstrafgesetz 1958, Nr. 129 (mit späteren Änderungen) jüngst geändert wurde, v e r w i r k l i c h t . 58 A n m . 1 zu § 17 StGB. 59 S. 1 u n d A n m . 3. 15*
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t e n n e n n e n w i l l , die aber m i t d e m B e g r i f f nach der deutschen T e r m i n o l o g i e n i c h t gleichzusetzen seien 6 0 . A n d e r e r s e i t s w i r d t e i l w e i s e als K o r r e l a t i v z u r S t r a f rech t s r e f o r m , m i t der ζ. B . das V e r k e h r s s t r a f recht e n t k r i m i n a l i s i e r t , die A h n d u n g der Verstöße aber a u f die V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n ü b e r t r a g e n w u r d e , eine Reform des Verwaltungsstraf rechts nach rechtsstaatlichen G r u n d s ä t z e n g e f o r d e r t . I n diesem Z u s a m m e n h a n g s i n d e t w a Broda 61 u n d Klecatsky 62 z u nennen, d e r das S y s t e m des V e r w a l tungsstrafrechts f ü r e i n „ R e l i k t des P o l i z e i s t a a t s " h ä l t . Pallin 63 bezeichn e t z w a r eine d e m deutschen O r d n u n g s w i d r i g k e i t e n r e c h t ä h n l i c h e R e g e l u n g als bestechend, w e g e n des Grundsatzes d e r T r e n n u n g der J u s t i z v o n der V e r w a l t u n g aber m i t B e d e n k e n b e h a f t e t 6 4 ; sie stehe d a h e r „ e r s t a m A n f a n g der D i s k u s s i o n " . D a b e i ist es b i s h e r g e b l i e b e n 6 4 3 .
I V . Das heutige Verwaltungsstrafrecht Österreichs 1. Sein Umfang — Abgrenzung zum Justizstrafrecht Soweit auf Justizübertretungen oder solche des StG Bezug genommen w o r den ist, liegt dem der Rechtszustand bis zum 31. Dezember 1974 zugrunde. Nach den A r t . I I , I I I des Strafrechtsanpassungsgesetzes v o m 11. J u l i 1974, BGBl. Nr. 422, sind ab 1. Januar 1975 für die Deliktseinteilung u n d die gerichtlichen Strafarten allein die Bestimmungen des StGB 1975 maßgebend — also Wegfall der gerichtlich strafbaren Übertretungen; einheitliche Freiheitsstrafe u n d Geldstrafe nach Tagessätzen (§§ 17 - 19). Siehe auch o. S. 212. — Entsprechend w u r d e durch A r t . I Ziff. 5 des Strafprozeßanpassungsgesetzes v o m 11. J u l i 1974, BGBl. Nr. 423, § 9 Abs. 1 Ziff. 1 StPO geändert: M i t dem Wegfall der nach dem StG 1852 gerichtlich strafbaren u n d anderer zugewiesener Übertretungen ist das Bezirksgericht ab 1. Januar 1975, soweit hier von Interesse, zur A b u r t e i l u n g aller Vergehen, für die keine höhere Freiheitsstrafe als sechs Monate angedroht ist, zuständig. A n der Zuständigkeit des Bezirksgerichts hat sich daher insoweit nichts geändert (Nr. 934 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates, X I I I . GP, S. 21; Steininger, S. 213). Nach A r t . V I Abs. 3 E G V G sind V e r w a l t u n g s ü b e r t r e t u n g e n i m Sinne des V e r w a l t u n g s s t r a f g e s e t z e s a l l e Ü b e r t r e t u n g e n , die v o n d e n B e h ö r d e r 60
So auch Jescheck, ÖJZ 1971, S. 4. ÖRiZ 1970, S. 68: Niemand soll v o m Regen i n die Traufe kommen. 62 ÖRiZ 1973, S. 8 (Vortragsnotiz). 63 ZStW 84 (1972), S. 206. 64 Z u r verfassungsrechtlichen Problematik vgl. Adamovich, Gewaltentrennung, I I , S. 58; Melichar, Gewaltentrennung, I, S. 39 f. (Einteilung nach der Deliktsschwere). C4a Eine Gesamtreform w i r d offenbar nicht angestrebt, wie man einer j ü n g sten M i t t e i l u n g (Verkehrs jurist Nr. 27/28 v o m 15. A p r i l 1976) entnehmen kann, sondern n u r eine Anpassung einzelner Teilgebiete an rechtsstaatliche und moderne Grundsätze diskutiert. Z u nennen sind etwa die Einführung des Tagessatzsystems, die Abschaffung der kurzen Freiheitsstrafe sowie des Kumulationsprinzips. 61
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zu ahnden sind, für die das VStG gemäß Art. I I 1 EGVG gilt, nämlich den Behörden der allgemeinen staatlichen inneren Verwaltung, den Bundespolizeibehörden, den Behörden der Städte mit eigenem Statut und einer Reihe weiterer, einzeln aufgeführter Behörden. Aus § 9 Abs. 1 Ziff. 1 StPO (a. F.) ergab sich indessen ein weiterer Begriff der Verwaltungsübertretungen: Er umfaßte alle außerhalb des StG 1852 vorgesehenen Übertretungen, die nicht ausdrücklich den Gerichten zur Aburteilung zugewiesen waren. Zu den Verwaltungsübertretungen i m Sinne des VStG gehören daher nicht die von Finanzbehörden zu bestrafenden Taten 2 sowie alle andern, die von Verwaltungsbehörden abgeurteilt werden, die Art. I I EGVG nicht nennt. Der nachfolgenden Darstellung liegt der Begriff der Verwaltungsübertretung i m Sinne des VStG zugrunde. Die Tatbestände des Verwaltungsstrafrechts finden sich durchweg in Verwaltungsvorschriften. Als solche gelten nach A r t . V I Abs. 2 EGVG alle Gesetze und Verordnungen, die ein Verwaltungsgebiet betreffen und von den in Art. I I EGVG genannten Behörden auszuführen sind. Art. V I I I EGVG enthält einige „vorläufige" 3 polizeistrafgesetzliche Bestimmungen 4 , nach denen folgende Handlungen Verwaltungsübertretungen sind: öffentliche Ruhestörung 5 ; ungestümes Nichtbefolgen der A n ordnung eines obrigkeitlichen Organs oder ungestümes Benehmen gegenüber einem solchen Organ trotz vorausgegangener Abmahnung 6 ; Begehen einer Verwaltungsübertretung i n einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand, i n den sich der Täter selbst schuldhaft versetzt hat, und die unbefugte gewerbsmäßige Tätigkeit der Winkeladvokaten („Winkelschreiberei"). Auch die Zuwiderhandlungen gegen ortspolizeiliche Vorschriften gehören zu den Verwaltungsübertretungen i m Sinne des VStG (Art. V I I EGVG). Auf die durch die StG-Novelle 19327 i n Verwaltungsübertretungen umgewandelten früheren Übertretungen des StG 1852 wurde bereits hingewiesen 8 . Die i n den weitergel1
i. d. F. des Ges. v o m 18. März 1959, B G B l . Nr. 92, u n d späterer Änderungen. Siehe hierzu das Finanzstrafges. v o m 26. J u n i 1958, BGBl. Nr. 129. 3 Hellbling, I, S. 68. 4 Sie sollen bis zum Erlaß eines Polizeistrafgesetzes gelten, das es aber bis heute nicht gibt. Nach Adamovich (Handbuch, I, S. 262, A n m . 1) handelt es sich u m „reine", nämlich nicht zu einem besonderen Verwaltungsgebiet gehörende Verwaltungsübertretungen. 5 Auch Unfug genannt (Hellbling, I, S. 69); sie k a n n Ordnungsstörung durch ärgerniserregendes Verhalten, Anstandsverletzung oder ungebührliche L ä r m erregung sein. 6 Amtsehrenbeleidigung als gerichtlich strafbare Übertretung (sogenannte „Amtskappeldelikte") (§§ 312, 314 StG 1852), aufgehoben durch das Strafrechtsänderungsges. 1971, B G B l . Nr. 273. 7 Bundesges. v o m 2. August 1932, w o m i t die A h n d u n g bisher gerichtlich strafbarer Übertretungen den Verwaltungsbehörden übertragen w i r d ; BGBl. Nr. 241. 8 Vgl. o. S. 217. 2
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2. Teil:
echtsvergleichende Untersuchung
tenden deutschen Gesetzen ursprünglich mit einer Haft oder Geldstrafe bis zu 150,— R M nicht übersteigenden Strafe bedrohten Taten werden als Verwaltungsübertretungen behandelt, sofern nicht für schwere Fälle oder bei Vorliegen erschwerender Umstände eine höhere Strafe angedroht ist 9 . Ein solches Gesetz ist ζ. B. das Personenstandsgesetz vom 3. November 1937 (RGBl. I S. 1146) u. a. m. 1 0 . — Die Straßenverkehrsordnung vom 6. J u l i 1960 (BGBl. Nr. 159) enthält nur Verwaltungsübertretungen als Verkehrsdelikte. Zur Charakterisierung des österreichischen Verwaltungsstrafrechts seien i m folgenden aus der großen Zahl der i n den Nebengesetzen verstreuten Verwaltungsübertretungen einige Beispiele angeführt, die i n ihrer A r t keine Sonderfälle darstellen, sondern für die vom Gesetzgeber vorgenommene Aufteilung der strafbaren Handlungen in Justiz- und Verwaltungsdelikte kennzeichnend zu sein scheinen. I m ganzen w i r d die Einteilung nur nach der aus einer Zuwiderhandlung möglicherweise entstehenden Gefahr oder Schädigung oder nach der Bedeutung vorgenommen, die die Gegenstände, auf die sich die verbotenen Handlungen beziehen, für die Rechtsgemeinschaft besitzen. Vielfach sind die Verwaltungsübertretungen als Auffangtatbestände der Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften eines Verwaltungsgesetzes ausgestaltet, während einzelne herausgehobene Fälle den Rang von Justizdelikten haben 11 . Häufig lassen sich die Verwaltungsdelikte als „Fahrlässigkeitstaten ohne Erfolgseintritt" bezeichnen 12 ; doch kommen solche Taten auch als Justizübertretungen vor. Zuwiderhandlungen wie Verstöße gegen Melde- und Anzeigepflichten, Ausüben bestimmter Tätigkeiten ohne behördliche Genehmigung usw. sind zwar i n vielen Fällen, aber längst nicht immer Verwaltungsübertretungen. Es kommt ganz auf die Bedeutung des betreffenden Gegenstandes an. So ist ζ. B. das vorsätzliche Unterlassen der Anmeldung von Devisen i m Werte von insgesamt über 50 000 S ein Vergehen 13 , das Unterlassen gebotener Anzei9 § 2 des Ges. v o m 29. August 1945 (StGBl. Nr. 148) über die vorläufige A n wendung reichsrechtlicher Strafbestimmungen (Straf an Wendungsgesetzes), der bei der Wiederverlautbarung als A r t . V I Abs. 4 i n das E G V G eingeführt wurde. Vorher schon hatte A r t . I I I Ziff. 1 der I I . StG-Novelle 1947 (BGBl. Nr. 243) — nachdem die RM-Beträge durch das Schillinggesetz (StGBl. 1945 Nr. 231) i n Schillingbeträge umgewandelt worden waren — die Obergrenze der Geldstrafe auf das Doppelte (300 S) erhöht. Sie beträgt jetzt 1500 S (Art. V I Abs. 4 E G V G i. d. F. des A r t . I V Ziff. 1 der StG-Novelle 1963, B G B l . Nr. 175). 10 Eine Reihe von Gesetzen hat Änderungen erhalten. Zahlreiche andere Reichsgesetze sind inzwischen durch neue Gesetze abgelöst worden. 11
Der Auffangtatbestand k a n n aber auch ein Justizdelikt sein, z.B. nach § 12 des Desinfektionsges. 1879 i. d. F. des Ges. v o m 6. August 1909, RGBl. Nr. 184 (Übertretung). 12 Vgl. z. B. § 99 der Straßenverkehrsordnung v o m 6. J u l i 1960, BGBl. Nr. 159. 13 § 24 Abs. 1 lit. c des Devisenges, v o m 25. J u l i 1946, BGBl. Nr. 162.
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gen, das nach § 38 Abs. 1 des Rinderpestgesetzes 188014 eine Verwaltungsübertretung darstellt, nach den §§ 38 Abs. 2, 39 lit. b desselben Gesetzes, wenn es sich u m eine Anzeige handelt, deren Unterbleiben den Verfall von Tieren zur Folge haben kann, eine gerichtlich strafbare Übertretung, ebenso wie ζ. B. das Unterlassen der Anzeige, eine periodische Druckschrift herausgeben zu wollen 1 5 . Dasselbe B i l d ergibt sich bei Zuwiderhandlungen gegen behördliche Anordnungen: Zuwiderhandlungen nach dem Tierseuchengesetz vom 6. August 190916 stellen i n der Regel Verwaltungsübertretungen dar, jedoch als Verstöße gegen Anordnungen, die das Einschleppen von Tierseuchen verhindern sollen, Vergehen gemäß § 65 des genannten Gesetzes. Nach dem Außenhandelsgesetz vom 28. Juni 1968 (BGBl. Nr. 314) 17 sind bestimmte Zuwiderhandlungen Vergehen, wenn es sich u m Waren i m Werte von mehr als 50 000 S handelt (sonst Verwaltungsübertretungen, § 17 des Gesetzes)18. Verstöße gegen Anordnungen oder Verfügungen auf Grund des Lastverteilungsgesetzes 1952 (BGBl. Nr. 207) 19 sind i n der Regel Verwaltungsübertretungen, jedoch Vergehen, wenn durch sie die Stromversorgung eines Bezirkes oder eines wichtigen Unternehmens usw. schuldhaft ernstlich gefährdet oder gar fühlbar geschädigt w i r d (§ 12 des Gesetzes). Die Vornahme von Handlungen ohne die dazu erforderliche behördliche Erlaubnis oder ohne behördliche Konzession ist Verwaltungsübertretung ζ. B. nach § 26 des Fernmeldegesetzes vom 13. J u l i 1949 (BGBl. Nr. 170)20, nach § 16 des Kraftliniengesetzes vom 2. A p r i l 1952 (BGBl. Nr. 84) 21 und nach § 10 des Lebensmittelgesetzes 1951 (BGBl. Nr. 239) 22 , aber Justizübertretung ζ. B. nach § 9 Abs. 1 Ziff. 2 des Suchtgiftgesetzes 1951 (BGBl. Nr. 234) 23 , nach § 1 des Auswanderungsgesetzes vom 9. Juni 1897 (RGBl. S. 463) 24 und Vergehen nach § 9 Abs. 2 des Suchtgiftgesetzes 1951 i. d. F. der Suchtgiftnovelle 1971 (BGBl. Nr. 271) 25 > 26 sowie nach 14 15 16
i. d. F. des Ges. v o m 6. August 1909, RGBl. Nr. 180. §§ 19, 33 des Presseges. v o m 7. A p r i l 1922, B G B l . Nr. 218. RGBl. Nr. 177, zuletzt geändert durch Ges. v o m 23. J u n i 1954, BGBl. Nr.
128. 17 Ebenso § 8 des früheren Außenhandelsges. v o m 3. Dezember 1956, BGBl. Nr. 226. 18 So auch § 13 des außer K r a f t getretenen Außenhandelsverkehrsges. v o m 4. A p r i l 1951, BGBl. Nr. 105. 19 Mehrfach verlängert, zuletzt durch Ges. v o m 17. Dezember 1974, BGBl. Nr. 807, bis 30. J u n i 1976. 20 Herstellen, Besitzen usw. von F u n k - u n d Fernseheinrichtungen. 21 Personenbeförderungsbetrieb. 22 Herstellen, Verkaufen usw. von Lebensmitteln. 23 Herstellen, Besitzen, Verkaufen usw. von Suchtgiften. 24 Betreiben von Auswanderungsgeschäften.
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2. Teil:
echtsvergleichende Untersuchung
den §§ 102 Abs. 1, 103 Abs. 1 des Kartellgesetzes vom 22. November 1972 (BGBl. Nr. 460) 27 . Wie sehr bei alledem auf die Größe der möglichen Gefahr abgestellt wird, zeigt auch folgender Vergleich: Der unberechtigte Verkauf von Heilmitteln ist Verwaltungsübertretung, der von Suchtgiften Justizübertretung, Vergehen oder Verbrechen 28 . Die einfache Zuwiderhandlung gegen sicherheitspolizeiliche Vorschriften ist Verwaltungsübertretung, wenn dadurch aber eine Gefahr für Menschen oder fremdes Eigentum entsteht, Vergehen 29 . Die Verletzung der Geheimhaltungspflicht ist Vergehen ζ. B. nach § 20 des Außenhandelsgesetzes 1968. Die Wirtschaftsgesetze nehmen häufig graduelle Abstufungen innerhalb desselben Deliktstatbestandes vor: Preistreiberei ist bei unzulässigem Entgelt bis zu 5000 S Verwaltungsübertretung, bis zu 50 000 S Justizübertretung, darüber hinaus Vergehen 30 ; Zuwiderhandlungen gegen bestimmte Anordnungen nach dem Außenhandelsgesetz 1968 stellen, wenn sie Waren i m Wert bis zu 100 000 S betreffen, Verwaltungsübertretungen, sonst Vergehen dar (§ 17 Abs. 1 und 2) 31 . Dasselbe gilt für die vorsätzlich unterlassene Anmeldung von Devisen: Beträgt ihr Wert mehr als 50 000 S, so liegt ein Vergehen vor, andernfalls eine Verwaltungsübertretung 3 2 . Mitunter sind Vorsatztaten Justizdelikte, Fahrlässigkeitstaten Verwaltungsübertretungen, so ζ. B. nach den §§ 24 Abs. 1, 23 Abs. 1 des Devisengesetzes. Deliktsändernden Charakter können auch ζ. B. eine Absicht (§§ 10, 11 des Lebensmittelgesetzes 1951), der Rückfall (§ 2 Abs. 3 des Preistreibereigesetzes), die Gewerbsmäßigkeit (§ 9 Abs. 2 des Suchtgiftgesetzes i. d. F. der Suchtgiftnovelle 1971) usw. haben. 25 Gewerbsmäßigkeit oder vorsätzliche Handlungsweise einer über 21 Jahre alten Person, durch die der Verbrauch eines Suchtgiftes durch eine unter 21 Jahre alte Person ermöglicht w i r d . 26 Vorsätzliche Zuwiderhandlung m i t der Folge, daß daraus „ i n größerer Ausdehnung" eine Gefahr f ü r Leben oder Gesundheit von Menschen entstehen kann, w i r d als Verbrechen m i t schwerem K e r k e r bis zu fünf Jahren, bei erschwerenden Umständen (insbesondere als Bandenmitglied) m i t schwerem K e r k e r bis zu zehn Jahren bestraft (§ 6 des Suchtgiftges. 1951). 27 Zahlreiche dort näher beschriebene vorsätzliche Verhaltensweisen. 28 § 6 des Gesundheitsschutzges. v o m 3. J u l i 1952, BGBl. Nr. 163; § 9 Abs. 1 Ziff. 1 des Suchtgiftges. 1951, BGBl. Nr. 234; § 9 Abs. 2 des Suchtgiftges. 1951 i. d. F. der Suchtgiftnovelle 1971; § 6 des Suchtgiftges. 1951. 29 §§ 42, 43, 44 des früheren Schieß- u n d Sprengmitteiges, v o m 1. J u n i 1935, BGBl. Nr. 196. 30
§ 2 des Preistreibereiges. 1959, B G B l . Nr. 49, mehrfach verlängert, zuletzt durch Ges. v o m 17. Dezember 1974, BGBl. Nr. 805, bis 30. J u n i 1976. 31 i. d. F. der Außenhandelsgesetznovelle 1974, B G B l . Nr. 401; entsprechend §§ 58 Abs. 2, 59 des Marktordnungsges. 1967, B G B l . 1968 Nr. 36, i. d. F. der Marktordnungsgesetznovelle 1974, BGBl. Nr. 808, bezüglich der unbefugten E i n f u h r bestimmter Waren. Ähnliche Regelungen enthielten § 8 Abs. 1 u n d 2 des früheren Außenhandelsges. 1956 u n d § 13 Abs. 2 u n d 3 des ebenfalls außer K r a f t getretenen Außenhandelsverkehrsges. 1951. 32 Vgl. o. S. 231.
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Die Bestimmung des Deliktscharakters obliegt mitunter den Strafverfolgungsbehörden: Die Preistreiberei m i t mehr als 5000 S unzulässigen Entgelts ist Justizübertretung; bei Geringfügigkeit hat aber die Staatsanwaltschaft oder das Gericht die Verfolgung der Verwaltungsbehörde zu überlassen, wenn die Ahndung durch diese als ausreichend erachtet w i r d (§ 3 des Preistreibereigesetzes); § 12 des früheren Bedarfsdeckungsstrafgesetzes 1947 (BGBl. Nr. 146) ließ bei Schleichhandel sogar die Wahl zwischen Vergehen und Verwaltungsübertretung zu. Nach der Person des Täters unterscheidet § 113 des Kartellgesetzes: Die Durchführung einer i n einer Bindung an gleiche Verkaufspreise bestehenden Kartell Vereinbarung, deren Eintragung versagt oder gelöscht wurde, ist für den Letztverkäufer Verwaltungsübertretung (§ 113), für die anderen Beteiligten (Erzeuger, Zwischenhändler) bei Vorsatz Vergehen, sonst Übertretung (§ 102). Verletzungsdelikte geringer Schwere als Verwaltungsübertretungen sind ζ. B. der Widerstand gegen Aufsichtsorgane (§ 9 des Lebensmittelgesetzes; § 19 lit. c des Fleischbeschauübergangsgesetzes vom 24. Juni 1971, BGBl. Nr. 331), die Tierquälerei 3 3 , die Beschädigung einer Bundesstraße (§ 31 des Bundesstraßengesetzes vom 16. J u l i 1971, BGBl. Nr. 286), ferner die Delikte nach den (landesrechtlichen) Feldschutzgesetzen und nach dem Forstgesetz vom 3. Dezember 1852 (RGBl. Nr. 250), früher auch die Ehrenkränkung des § 1339 A B G B (zu der auch die nicht nach dem StG 1852 strafbaren Körperverletzungen gehörten) 34 . 2. Der Allgemeine Teil des österreichischen Verwaltungsstrafrechts^s
Der Allgemeine Teil des VStG Schloß sich i n mancher Beziehung an den Entwurf eines allgemeinen deutschen StGB von 1925 an 3 6 . Er ist nicht sehr ausführlich gehalten; vermutlich sollte das Fehlende nach dem jeweils geltenden StG ergänzt werden 3 7 . Der Grundsatz nullum crimen nulla poena sine lege gilt nach § 1 VStG heute auch i m Verwaltungsstrafrecht. Die Verwaltungsbehörden haben ihre frühere Befugnis verloren, bei Erlaubniserteilungen die Einhaltung von Auflagen und Anweisungen durch Strafdrohungen zu sichern 38 . Die 33 Frühere Verordnung v o m 15. Februar 1855, RGBl. Nr. 31, u n d Landesgesetze. 34 Aufgehoben m i t W i r k u n g vom 1. Januar 1975 durch Ges. v o m 11. J u l i 1974, BGBl. Nr. 496. 35 L i t e r a t u r zum V S t G : Hellbling, Kommentar, Bd. I I , S. I f f . ; Mannlicher, Verwaltungsstraf recht; Langer. Kommentierte Textausgaben von Schmelz und Ringhof er. 36
Zimmerl, Zimmerl, strafrecht vgl. 38 Zimmerl, 37
GS 98 (1929), S. 304. a.a.O. — Über das internationale u n d interlokale VerwaltungsPichler- Dr exler, ÖJZ 1956, S. 633; 1958, S. 561. a.a.O., S. 307.
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2. T e i l :
echtsvergleichende Untersuchung
Gemeinden können jedoch ortspolizeiliche Straf Vorschriften erlassen. § 6 VStG lehnt eine besondere Verwaltungswidrigkeit ausdrücklich ab, indem er die vom Gesetz gebotene oder erlaubte Tat, möge sie auch den Tatbestand einer Verwaltungsübertretung erfüllen, für nicht strafbar erklärt 3 9 . Es gelten alle Rechtfertigungsgründe, vor allem auch Notwehr 4 0 . Verwaltungsübertretungen sind nur bei Verschulden strafbar, wobei i n der Regel Fahrlässigkeit genügt (§ 5 Abs. 1 Satz 1). Wenn aber der Eint r i t t eines Schadens oder einer Gefahr nicht zum Tatbestand gehört (und keine besondere Vorschrift über das erforderliche Verschulden besteht), kehrt sich die Beweislast um. Es genügt dann zur Strafverfolgung das bloße Zuwiderhandeln gegen ein Gebot oder Verbot; der Täter hat zu beweisen, „daß i h m die Einhaltung der Verwaltungsvorschrift ohne sein Verschulden unmöglich gewesen ist" (§ 5 Abs. 1 Satz 2). Vorsatz und Fahrlässigkeit werden nicht definiert. Es gelten aber wohl die Begriffe des allgemeinen Strafrechts 41 . Unkenntnis des Strafgesetzes (der nicht befolgten Vorschrift) entschuldigt nur dann, wenn sie unverschuldet ist und „der Täter das Unerlaubte seines Verhaltens ohne Kenntnis der Verwaltungsvorschrift nicht einsehen konnte" (§ 5 Abs. 2). Versuch ist nur bei ausdrücklicher Bestimmung strafbar. Er erfordert eine „zur wirklichen Ausübung führende Handlung" (§ 8 Abs. 1). Das VStG wollte m i t dieser Formulierung die objektive Versuchstheorie anerkennen 42 . I h r folgt auch die herrschende Meinung zum StG 4 3 . Mangel an Tatbestand und absolut untauglicher Versuch sind daher straflos 44 . — Anstiftung und Beihilfe werden wie Täterschaft bestraft, und zwar auch dann, „wenn der unmittelbare Täter nicht strafbar ist" (§ 7). Als Verwaltungsstrafen sieht das VStG Arrest 4 5 , Hausarrest (als selbständige Strafe oder außerordentliche Strafmilderung), Geldstrafe und 39
Rechtfertigungsgrund (Kimmel, S. 2; Hellbling, I I , S. 56 ff.). Der Verfassungsausschuß erläuterte, daß diese Vorschrift zwar selbstverständlich — w e gen der Einheit der Rechtsordnung —, infolge früherer Praxis aber nicht überflüssig sei (Hellbling, I I , S. 57). 40 Hellbling, I I , S. 59 ff.; K i m m e l , S. 52. 41 Hellbling, I I , S. 43. 42 Hellbling, I I , S. 101; Rimmel, S. 53. 43 Malaniuk , I, S. 224; Rittler, S. 252 ff.; Horrow, S. 209 ff.; die subjektive Theorie v e r t r i t t Nowakowski, S. 89; der OGH folgt i m wesentlichen der objektiven Theorie (Nachweise bei den Zitierten). 44 Nach der Rechtsprechung des VerwGH muß die Handlung an sich geeignet sein, den strafbaren Tatbestand zu vollenden (Nachweise bei Hellbling, II, S. 102). — Eine Handlung m i t einem M i t t e l oder an einem Objekt, „das nicht n u r nach seiner konkreten Beschaffenheit oder Verwendung, sondern an sich — begrifflich — ungeeignet ist, den zum Tatbestand gehörigen Erfolg herbeizuführen", ist k e i n Versuch (Mannlicher, A n m . 2 zu § 8 V S t G ; Kimmel, S. 53; Malaniuk , I, S. 224, A n m . 15, nach dem Bericht des Verfassungsausschusses). 45 E r w i r d ähnlich wie die gerichtliche Arreststrafe vollstreckt u n d besteht i m wesentlichen aus einfachem Freiheitsentzug m i t Besdiäftigungsmöglichkeit
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V e r w a r n u n g 4 6 v o r , f e r n e r als N e b e n s t r a f e oder selbständige M a ß n a h m e d e n V e r f a l l v o n Gegenständen (§§ 10 ff.). D o c h k ö n n e n die V e r w a l t u n g s gesetze auch andere S t r a f e n a n d r o h e n , w i e die E n t z i e h u n g v o n Berecht i g u n g e n , d i e V e r ö f f e n t l i c h u n g des S t r a f e r k e n n t n i s s e s u. a. 4 7 . Das V S t G g i b t k e i n e Höchstgrenzen f ü r d i e A r r e s t - u n d G e l d s t r a f e a n 4 8 . N a c h § 23 des Devisengesetzes ζ. B . b e t r ä g t die des A r r e s t e s e i n J a h r . Ebenso e r reichen die G e l d s t r a f e n f ü r V e r w a l t u n g s ü b e r t r e t u n g e n oft eine b e t r ä c h t l i c h e H ö h e (ζ. B . i n § 17 des Außenhandelsgesetzes 1968 150 000 S; i n § 23 des Devisengesetzes 200 000 S; i n § 146 des L u f t f a h r t g e s e t z e s v o m 2, D e z e m b e r 1957, B G B l . N r . 253, 300 000 S; § 8 des R o h s t o f f l e n k u n g s g e setzes 1951, B G B l . N r . 106, g e h t sogar bis z u 500 000 S) 4 9 . D i e G e l d s t r a f e w i r d b e i U n e i n b r i n g l i c h k e i t i n eine E r s a t z f r e i h e i t s s t r a f e u m g e w a n d e l t (§ 16 V S t G ) . B e i g e r i n g f ü g i g e m V e r s c h u l d e n u n d u n b e d e u t e n d e n T a t f o l g e n k a n n die B e h ö r d e v o n der V e r h ä n g u n g einer S t r a f e absehen u n d e r f o r d e r l i c h e n f a l l s m i t Bescheid eine E r m a h n u n g e r t e i l e n (§ 21 A b s . 1 VStG)50. (vgl. § 12 Abs. 2 i. d. F. des Ges. v o m 30. Oktober 1959, BGBl. Nr. 231); Absonderung von k r i m i n e l l e n Häftlingen n u r nach Tunlichkeit (§ 12 i. d. F. der Ges. v o m 30. Oktober 1959, B G B l . Nr. 231, u n d v o m 4. November 1964, BGBl. Nr. 275). Siehe ferner u. A n m . 48. 46 Durch das Bundesges. v o m 8. J u l i 1971, B G B l . Nr. 275 — StG-Novelle — wurde u. a. die bis dahin i m Falle des Absehens von Strafe nach § 21 V S t G zwingend vorgesehene V e r w a r n u n g beseitigt. Die Behörde k a n n nach der Gesetzesänderung von Strafe absehen, ohne zu verwarnen, k a n n den Beschuldigten aber durch Bescheid ermahnen. Die Ermahnung w i r d i m Gegensatz zur Verwarnung nicht als Verwaltungsstrafe angesehen (vgl. Stenographisches Protokoll des Nationalrates, 50. Sitzung v o m 7. J u l i 1971, S. 3790). Wegen des Wegfalls der Verwarnung mußte § 47 VStG, der die behördliche Strafverfügung regelt, neu gefaßt werden: Die V e r w a r n u n g wurde i n § 47 V S t G ersatzlos gestrichen. Dasselbe hätte w o h l i n § 10 Abs. 2 V S t G geschehen müssen, wo die Verwarnung unter den Strafmitteln aufgezählt w i r d . Der österreichische Gesetzgeber hat dies aber, soweit die Durchsicht der Bundesgesetzblätter ergeben hat, bis jetzt nicht getan. Die Textausgabe der Staatsdruckerei nach dem Stand v o m 10. September 1974 gibt daher den formell richtigen Gesetzestext wieder, ebenso die 7. Auflage der Ausgabe von Ringhofer. Dieser bemerkt aber (§ 10 V S t G A n m . 19), daß die Bezugnahme infolge der Gesetzesänderung von 1971 gegenstandslos geworden sei. 47 Hellbling, I I , S. 131; Kimmel, S. 54; Mannlicher, A n m . 3 zu § 10. 48 Mindestdauer: sechs Stunden, § 11 Abs. 2. — Das StG 1852 kennt einfachen und strengen Arrest (§§ 244, 245) als Strafe f ü r Vergehen u n d Übertretungen (§ 240 StG). Dauer: von 24 Stunden bis zu sechs Monaten (§ 247 StG), jedoch m i t Ausnahmen. Der Arrest des V S t G steht dem gewöhnlichen Arrest des StG 1852 gleich, doch ist er an dessen Höchstmaß nicht gebunden (Hellbling, I I , S. 136 f.: Der Gesetzgeber solle sich aber Mäßigung auferlegen; JB1. 1959, S. 256: Der Arrest des V S t G solle sechs Monate nicht übersteigen). Gegen die Arreststrafe wendet sich wegen der unbestimmten Dauer Adamovich, Gewaltenteilung, I I , S. 58; er t r i t t für lebensstandardbeschränkende Geldstrafen ein. — Das StGB 1975 (§ 18) kennt n u r noch eine einheitliche Freiheitsstrafe. 49 Gegen alle diese hohen Strafen Hellbling, JB1.1959, S. 257. 50 i. d. F. der StG-Novelle 1971, BGBl. Nr. 275. Die Ermahnung soll keine Strafe sein (Stenographisches Protokoll des Nationalrates, 50. Sitzung v o m 7. J u l i 1971, S. 3790).
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2. T e i l :
echtsvergleichende Untersuchung
Rechte und Ehren aberkennende oder einschränkende Rechtsfolgen sind grundsätzlich nicht zulässig (§ 55 Abs. 1 VStG). Die Strafen werden nicht i n das gerichtliche Strafregister eingetragen. Es gibt auch kein zentrales Verwaltungsstrafregister, wohl aber sogenannte „Spezialevidenzen" 5 1 . Die bedingte Verurteilung (der bedingte Strafnachlaß) ist i n das Verwaltungsstrafrecht nicht eingeführt worden. Die Praxis bedient sich statt seiner zweier Ersatzformen: der Gewährung des Vollstreckungsaufschubs, die nach § 53 Abs. 2 VStG möglich ist, oder des Nachlassens der Strafe i n der Berufungsinstanz (nach § 51 Abs. 4 VStG möglich), jeweils unter der Bedingung des Wohlverhaltens bis zum Ablauf der Verjährungsfrist 5 2 . Beim Zusammentreffen mehrerer Verwaltungsübertretungen (Idealoder Realkonkurrenz) wie auch bei tateinheitlichem Zusammentreffen von Verwaltungsübertretungen und gerichtlich strafbaren Handlungen gilt das Kumulationsprinzip (§ 22 Abs. 1 und 2 VStG) 5 3 . Vielfach enthalten die Verwaltungsstrafgesetze aber eine Subsidiaritätsklausel. Eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für fremde Tat kommt i n den Verwaltungsgesetzen wohl nicht vor, dagegen ziemlich häufig die solidarische (gesamthänderische) Mithaftung von Vorgesetzten und Aufsichtsführenden für die von Untergebenen verwirkten Strafen. Sie ist nicht Strafe, sondern kriminelle Bürgschaft und kann daher auch gegen juristische Personen und Unzurechnungsfähige, die zum Kreis der M i t haftenden gehören, ausgesprochen werden, findet sich aber außer bei Verwaltungsübertretungen auch bei Justizdelikten. Die juristische Person ist wie i m Kriminalstraf recht deliktsunfähig. A n ihrer Stelle sind infolge der „Tatbestandsergänzung" 54 des § 9 VStG die ausführenden Organe verantwortlich 5 5 . Den Gesellschaften des § 9 VStG stehen die nicht rechtsfähigen Personalgesellschaften gleich. Andererseits soll § 9 VStG i m Wege der erweiternden Auslegung auch auf andere, i n i h m nicht genannte juristische Personen angewendet werden 5 6 . Die j u r i stische Person haftet „zur ungeteilten Hand" mit dem bestraften Organ für die Zahlung der Geldstrafe (§ 9 VStG). Ob der juristischen Person i m Strafverfahren eine Parteistellung zukommt, ist bestritten 5 7 . 51
Hellbling, I I , S. 390, 392; Mannlicher, A n m . 4 zu § 55. Zimmerl, GS 98 (1929), S. 328. 53 Dagegen kritisch Broda, S. 46; derselbe, ÖRiZ 1970, S. 68. Einschränkungen des Kumulationsprinzips enthalten die §§ 100 Abs. 2, 99 Abs. 1 lit. a - c der 52
stvo. 54
Bruns, JZ 1954, S. 12 ff. N u r selten können auch die Vertreter ohne Organstellung nach besonderer Vorschrift strafbar sein. 5β Hellbling, I I , S. 117. 55
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3. Das Verwaltungsstrafverfahren Das Verfahren bei Verwaltungsübertretungen ist ein reines Verwaltungsverfahren. Neben den Vorschriften des zweiten Teils des VStG (§§ 23 ff.) gelten mit gewissen Ausnahmen und soweit sich aus dem VStG nichts anderes ergibt auch die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (§ 24 VStG). Erstinstanzlich sind grundsätzlich die Bezirksverwaltungsbehörden zur Untersuchung und Bestrafung der Verwaltungsübertretungen zuständig, i m Rahmen ihres Wirkungsbereiches auch die Bundespolizeibehörden. Die Verwaltungsgesetze können jedoch andere Behörden ebenfalls m i t der Durchführung von Strafverfahren betrauen. I n der grundsätzlichen Zuständigkeit der allgemeinen Verwaltungsbehörde zeigt sich i n sinnfälliger Weise, daß die Ausübung der Verwaltungsstrafgewalt nicht eine unter anderen Verwaltungstätigkeiten der ein bestimmtes Sachgebiet verwaltenden Behörde sein soll, sondern daß man sie richtig als Rechtsprechungsaufgabe erkannt hat. Es sollte neben der Gerichtsorganisation eine andere Organisation für Verwaltungsstrafsachen bestehen, was notwendig zur grundsätzlichen Konzentration der Strafbefugnisse bei bestimmten Behörden führte 5 8 . Wenn auch die verwaltende und die strafende Behörde weitgehend identisch sind, so kann dies doch nicht als Prinzip des österreichischen Verwaltungstrafrechts gelten, da eine solche Zielsetzung von Anfang an nicht ausschlaggebend war. Dem Auseinanderfallen von verwaltender und strafender Behörde ist durch § 51 Abs. 2 VStG Rechnung getragen, wonach Verwaltungsbehörden und deren Organen nach besonderen Verwaltungsvorschriften das Recht der Berufung gegen das Verwaltungsstraferkenntnis zustehen kann 5 9 . Das Verfahren ist ein Inquisitionsverfahren, das i n der Regel von Amts wegen durchgeführt w i r d (Offizialmaxime). Grundsätzlich gilt das Legalitätsprinzip 6 0 . Die Verwaltungsbehörde hat die materielle Wahrheit 57 Verneinend Kimmel, S. 54; Zimmerl, GS 98 (1929), S. 320; bejahend Hellbling, I I , S. 123 f. 58 Vgl. aber auch o. S. 204, A n m . 97. 59 Beispiele für die Verschiedenheit von verwaltender u n d strafender Behörde bieten etwa das Arbeitsinspektionsges. v o m 5. Februar 1974, BGBl. Nr. 143 (die Bezirksverwaltungsbehörde bestraft, die Arbeitsinspektion verwaltet und hat ein Berufungsrecht, §9); das Bundesstraßenges. v o m 16. J u l i 1971, BGBl. Nr.286 (Bundesstraßenverwaltung—Bezirksbehörde); das Arbeitslosenversicherungsges. 1958, BGBl. Nr. 199 (Arbeitsamt — Bezirksverwaltungsbehörde); das Landarbeitsges. v o m 2. J u n i 1948, B G B l . Nr. 140 (Land- u n d Forstwirtschaftsinspektion — Bezirksverwaltungsbehörde; die erste hat ein B e r u fungsrecht, § 87). Ähnliche Regelungen enthalten das Epidemieges. 1950, B G B l . Nr. 186, u n d das Lastverteilungsges. 1952, BGBl. Nr. 207, u. a. 60 Ausnahmen: der schon zitierte § 21 VStG. Ferner kann die Behörde die Erhebungen bei unbekanntem Aufenthalt des Beschuldigten unter gewissen
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2. T e i l :
echtsvergleichende Untersuchung
z u erforschen. D i e U n m i t t e l b a r k e i t der B e w e i s a u f n a h m e l i e g t i m E r m e s sen der B e h ö r d e . Das Recht auf rechtliches G e h ö r w i r d d e m B e s c h u l d i g t e n jedoch a u s d r ü c k l i c h g a r a n t i e r t 6 1 . A l s V e r f a h r e n s a r t e n k o m m e n das o r d e n t l i c h e u n d das a b g e k ü r z t e V e r f a h r e n v o r . I m ersten w i r d der T a t b e s t a n d d u r c h m ü n d l i c h e oder s c h r i f t liche E i n v e r n a h m e des B e s c h u l d i g t e n u n d d u r c h andere B e w e i s a u f n a h m e n festgestellt. M ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g findet i m F a l l e der L a d u n g des B e s c h u l d i g t e n z u r V e r n e h m u n g , seiner V o r f ü h r u n g oder, w e n n er seine R e c h t f e r t i g u n g i n m ü n d l i c h e r V e r h a n d l u n g a n b r i n g e n w i l l , s t a t t ; sonst h a t das Gesetz M ü n d l i c h k e i t n i c h t vorgeschrieben (§§ 40 A b s . 2, 43 Abs. 1 V S t G ) . Das V e r f a h r e n i s t n i c h t ö f f e n t l i c h 6 2 . D i e E n t s c h e i d u n g w i r d „ S p r u c h " g e n a n n t ; er k a n n n u r a u f S t r a f e oder E i n s t e l l u n g l a u t e n , also n u r e i n S t r a f e r k e n n t n i s oder eine E i n s t e l l u n g , k e i n F r e i s p r u c h sein (§ 44 a V S t G ) . A b g e k ü r z t e V e r f a h r e n s i n d die S t r a f v e r f ü g u n g verfügung 64.
63
u n d die O r g a n s t r a f -
Voraussetzungen abbrechen (§ 34 Satz 2 VStG). Schließlich k a n n die Berufungsbehörde bei überwiegend berücksichtigenswerten Gründen die Strafe m i l d e r n oder nachlassen (§51 Abs. 4 VStG). — Über das Legalitätsprinzip i m Verwaltungsstrafverfahren vgl. Pichler -Dr exler, JB1.1958, S. 33 ff., 59 ff. 61 Er muß vorgeladen oder aufgefordert werden, zur mündlichen Verhandl u n g zu erscheinen oder seine Einwendungen schriftlich vorzubringen (§ 40 VStG). ·*; 62 Hellbling, I I , S. 293. Broda spricht i n diesem Zusammenhang von einer Justiz „hinter verschlossenen Türen" u n d „ i n einer A r t Halbdunkel" (S. 47). 63 Sie ist ohne weiteres Verfahren möglich bei Anzeige durch ein Gericht, eine Verwaltungsbehörde oder ein amtliches Organ auf G r u n d von deren eigener dienstlicher Wahrnehmung oder eines vor ihnen abgelegten Geständnisses (§ 47 V S t G i. d. F. der StG-Novelle 1971, B G B l . Nr. 275). Gegen die behördliche Strafverfügung (bis zu drei Tagen Freiheitsstrafe oder 1000 S Geldstrafe) ist Einspruch zulässig, der die Straf Verfügung beseitigt; bei Anfechtung des Strafmaßes gilt er als Berufung u n d bringt den Beschuldigten u m eine Instanz (§ 49 Abs. 2 VStG); ansonsten w i r d er als Rechtfertigung i m Sinne des § 40 VStG angesehen, w o r i n eine Beschneidung des Rechts auf rechtliches Gehör liegen kann. E i n Verbot der reformatio i n peius besteht nicht. 64 Früher auch Organmandat genannt (Schmelz, A n m . 5 zu § 50). Die Behörde k a n n besonders geschulte Organe ermächtigen, wegen bestimmter von ihnen dienstlich wahrgenommener oder vor ihnen eingestandener V e r w a l tungsübertretungen Geldstrafe bis zu 50 S i n einem einheitlichen, i m vorhinein festzusetzenden Betrag „einzuheben" oder einen zur postalischen Einzahlung des Strafbetrages geeigneten Beleg dem Täter zu übergeben oder i m Falle von dessen Abwesenheit am Tatort zu hinterlassen (§ 50 Abs. 1 und 2 V S t G i. d. F. der StG-Novelle 1971). E i n Rechtsmittel ist gegen die Organstraf Verfügung nicht zulässig; i m Falle der Weigerung oder Unterlassung der Zahlung des Strafbetrages oder der Entgegennahme des Beleges ist die Organstrafverfügung gegenstandslos; es w i r d Anzeige an die Behörde erstattet (§ 50 Abs. 6 VStG). — D a m i t wurde die Praxis der sogenannten „Lenkerbenachrichtigung" legalisiert, durch die dem Täter, insbesondere dem Parksünder, schon vor der Gesetzesänderung stillschweigend ermöglicht wurde, den Strafbetrag noch bis zu einem bestimmten späteren Z e i t p u n k t einzuzahlen. Der frühere Ge-
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Besondere Verfahren kennt das Gesetz gegen Jugendliche (§§ 58 - 63 VStG) und bei den Privatklageangelegenheiten (§ 56 VStG) 6 5 . Auch eine Entschädigung des Verletzten ist i m Verwaltungsstrafverfahren möglich (Adhäsionsprozeß, Anschluß des Privatbeteiligten, § 57 VStG), sofern die einzelne Verwaltungsvorschrift die erkennende Behörde zur Entscheidung über die aus einer Verwaltungsübertretung abgeleiteten privatrechtlichen Ansprüche berechtigt oder verpflichtet 66 . Gegen die Entscheidung erster Instanz läßt das VStG die Berufung an die übergeordnete Behörde zu, die endgültig entscheidet (§ 51 VStG). Es gilt das Verbot der reformatio i n peius. Berufungsberechtigt sind der Beschuldigte, der gesetzliche Vertreter eines Jugendlichen, der Privatkläger (dieser aber nur gegen die Einstellung) und nach besonderer Vorschrift Verwaltungsbehörden und ihre Organe. Die Berufungsbehörde kann die Strafe u. U. erlassen oder mildern (§ 51 Abs. 4 VStG). M i t der Berufung ist der Instanzenzug erschöpft 67 . Zur Beseitigung der Rechtskraft dienen außerordentliche Rechtsbehelfe (Wiederaufnahme, §§ 52 VStG; 69, 70 AVG, und Wiedereinsetzung i n den vorigen Stand, § 71 AVG) sowie die Nichtigerklärung rechtskräftiger Entscheidungen von Amts wegen 68 . Schließlich gibt es nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges (wie gegen sonstige Verwaltungsentscheidungen) die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof 69 . setzeswortlaut setzte nämlich voraus, daß der Täter auf frischer Tat betroffen wurde u n d sofort zahlte (§ 50 V S t G i. d. F. des Ges. v o m 26. Oktober 1960, BGBl. Nr. 218). Die Möglichkeit der Übergabe oder Hinterlassung eines Beleges wurde auch i m Hinblick auf den Einsatz elektronischer Datenverarbeitungsanlagen geschaffen (vgl. zum Ganzen Stenographisches Protokoll des Nationalrates, 50. Sitzung v o m 7. J u l i 1971, S. 3790). 65 Der Privatankläger ist Partei i m Sinne des A V G . 66 Der Anspruchsberechtigte ist Partei i m Sinne des A V G . Die i m Straferkenntnis enthaltene Entscheidung über die zivilrechtlichen Ansprüche k a n n allein der Beschuldigte u n d zwar n u r zusammen m i t dem Straferkenntnis anfechten; doch kann der Geschädigte seine Ansprüche, soweit sie i h m i m V e r waltungsstrafverfahren nicht zuerkannt worden sind, i m ordentlichen Rechtsweg geltend machen (§ 57 VStG). 67 A r t . 11 Abs. 5 B V G i. d. F. der BV-Novelle 1929 (BGBl. Nr. 1/1930) ordnete zwar die Einrichtung von Verwaltungsstrafsenaten bei den Ä m t e r n der L a n desregierungen u n d den anderen zuständigen obersten Landesbehörden als oberste Instanzen i n Verwaltungsstrafsachen an; nach A r t . I I § 7 des Verfassungsübergangsgesetzes 1929 (BGBl. Nr. 393) sollten sie jedoch erst nach Erlaß des das Nähere regelnden Gesetzes errichtet werden; dieses Gesetz ist aber bis jetzt nicht ergangen. 68 §§ 68 Abs. 4 A V G , 24 V S t G : Nichtigerklärung wegen schwerer Mängel der Entscheidung oder des Verfahrens (wie Unzuständigkeit der Behörde, strafgesetzwidriger Erfolg oder nichtigmachender Fehler der Entscheidung). 69 Näher dazu A r t . 130,144 B V G ; siehe ferner das Verwaltungsgerichtshofges. 1965, BGBl. Nr. 2, u n d das Verfassungsgerichtshofges. 1953, B G B l . Nr. 85.
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2. Teil:
echtsvergleichende Untersuchung
Bei Subsidiarität des Verwaltungsstrafgesetzes bindet die zunächst ergangene Verwaltungsentscheidung das Gericht nicht, wohl aber w i r k t die Rechtskraft eines strafgerichtlichen Urteils auch gegenüber der Verwaltung. Ein vor der gerichtlichen Entscheidung ausgesprochenes Verwaltungsstraferkenntnis ist außer K r a f t zu setzen (§ 30 Abs. 3 VStG). Die bereits vollstreckte Verwaltungsstrafe w i r d bei der gerichtlichen Entscheidung m i t berücksichtigt (§ 30 Abs. 4 VStG). Eine Unterwerfung oder Abwendung der Bestrafung durch freiwillige Zahlung kommt weder i m VStG noch in den Nebengesetzen vor 7 0 .
70 Lediglich nach § 12 Abs. 3 des Lastverteilungsges. 1952 schließt die fristgerechte Bezahlung einer Mehrgebühr die Bestrafung aus. Es handelt sich aber hierbei u m eine Einzelerscheinung.
SCHWEIZ I. Der Begriff des Polizeidelikts im Schweizer Recht I n der Schweiz besteht heute noch kantonales Strafrecht neben dem Bundesstrafrecht. Das Gebiet der kantonalen Strafgesetzgebung umschreibt Art. 335 des schweizerischen Strafgesetzbuchs wie folgt: Art. 335. Gesetze der Kantone. Polizei- und Verwaltungsstrafrecht, Steuerstraf recht. 1. Den Kantonen bleibt die Gesetzgebung über das Ubertretungsstrafrecht insoweit vorbehalten, als es nicht Gegenstand der Bundesgesetzgebung ist. Sie sind befugt, die Übertretung kantonaler Verwaltungs- und Prozeßvorschriften mit Strafe zu bedrohen. 2. Die Kantone sind befugt, Strafbestimmungen zum Schutze des kantonalen Steuerrechts aufzustellen. Bei seiner Lektüre könnte es zunächst scheinen, als habe der Schweizer Gesetzgeber das Problem des nur verwaltungswidrigen Unrechts, wie es i n Deutschland bekannt ist, gesehen und aufgreifen wollen. Aber Art. 335 StGB soll nur die Strafgesetzgebungsbefugnis zwischen Bund und Kantonen abgrenzen 1 . Seine Auslegung steht daher i m Zeichen dieser Abgrenzungsfrage und bezieht sich nicht auf das uns hier beschäftigende Problem. Es kann aus i h m nicht geschlossen werden, der Schweizer Strafgesetzgeber habe ein eigenständiges Polizei- oder Verwaltungsstrafrecht anerkennen wollen. Als Verwaltungsstrafrecht i m Sinne des Art. 335 StGB gelten die der Durchsetzung verwaltungsrechtlicher Bestimmungen dienenden Strafrechtssätze 2 , während das Polizeistrafrecht die Durchsetzung der Polizeivorschriften sichern soll 3 . Gemeint sind also die strafrechtlichen Bestimmungen i n Verwaltungs- und Polizeigesetzen schlechthin. Über die Befugnisse der Kantone zum Erlaß solcher Bestimmungen gibt A r t . 335 Ziff. 1 StGB eine Vorschrift — mehr w i l l er nicht besagen. 1
Nach der Titelüberschrift das Verhältnis des StGB „zu den Gesetzen der Kantone" regeln. 2 Hafter, Lehrbuch, 2. Aufl., S. 36. (Sie ergänzten den Verwaltungszwang auf den den Kantonen vorbehaltenen Gebieten.) 3 Schreiber, S. 12. 16 Mattes
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2. Teil: Hechtsvergleichende Untersuchung
Indessen ist der Begriff des Polizeidelikts i m Schweizer Strafrecht keineswegs unbekannt. Sogenanntes Polizeistrafrecht gab es i n kantonalen Rechten und hatte dort zu einer Reihe von Polizeistrafgesetzbüchern geführt 4 . Sein Umfang war verschieden. § 327 des Gesetzes betreffend den Straf prozeß vom 4. Mai 1919 i n Zürich definierte die Polizeiübertretung als „jedes schuldhafte (vorsätzliche oder fahrlässige) Verhalten, durch welches ein Polizeigesetz oder eine Polizeiverordnung übertreten wurde; ferner das schuldhafte Zuwiderhandeln gegen andere, von zuständigen Behörden unter Androhung von Strafe erlassene Befehle, Verbote und Anordnungen, wenn sie, wie ζ. B. die Wegverbote, nicht gegen eine bestimmte Person gerichtet sind", und ganz ähnlich erläuterte Art. 2 des Strafgesetzes für Wallis vom 26. Mai 1858 die Übertretung als „Verletzung von Polizeigesetzen und -Verordnungen". I m wesentlichen auf denselben Bereich (allerdings ohne gesetzliche Definition) waren die Polizeiübertretungen i n Basel, Zug und Neuenburg (StGB vom 12. Februar 1891)5 beschränkt. Stooß sah i n ihnen das „eigentliche" polizeiliche Unrecht 6 (Zuwiderhandlungen gegen PolizeivorSchriften). Zeller bestimmte i n seiner Erläuterung des StGB für Zürich die Polizeiübertretungen als „Normwidrigkeiten, die teils zu geringfügig sind, teils Rechte anderer nicht verletzen, so daß es sich strafpolitisch nicht rechtfertigt, der aus Rücksichten der öffentlichen Ordnung anzufügenden Sanktion den Charakter einer Kriminalstrafe zu verleihen" 7 . Uberwiegend wurde der Kreis der Polizeidelikte (meist als Polizeivergehen bezeichnet) jedoch weiter gezogen als i n den vorerwähnten gesetzlichen Definitionen. Das Polizeistrafgesetz von Obwalden vom 20. A p r i l 1870 ζ. B. teilte die Polizeivergehen ein i n a) „strafwürdige Handlungen oder Unterlassungen, welche unmittelbare Rechtsverletzungen an sich, nur durch den geringem Grad ihrer Schädlichkeit oder durch die minder gefährliche Beschaffenheit des täterischen Willens von Verbrechen sich unterscheiden, und b) i n Handlungen oder Unterlassungen, die strafwürdig sind, weil sie ausdrücklichen Verordnungen zuwiderlaufen, die der Staat i n seiner sittlich-religiösen Richtung oder überhaupt als Polizeigewalt zu Schutz und Schirm seiner Angehörigen erläßt, um durch Strafverbot das, was wider Ordnung, Sicherheit und Würde ist, zu verhüten." Das Zuchtpolizeigesetz für Aargau vom 19. Hornung 1868 hatte folgenden § 1: „Ehrverletzungen, körperliche Angriffe auf Personen, Ver4 Siehe die Übersichten bei Stooß, Strafgesetzbücher, S. 18 ff.; derselbe, Grundzüge, I, S. 165 ff.; ferner die Angaben bei Heinrich Pfenninger, Strafrecht der Schweiz. 5 Stooß, Grundzüge, I, S. 166. 6 Stooß, a.a.O., S. 167. 7 A n m . 4 zu § 2.
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letzungen des öffentlichen und Privateigentums, Beschädigungen durch Mißbrauch des Vertrauens, Vergehen gegen die öffentliche Ruhe, Ordnung, Sicherheit und Sittlichkeit, werden zuchtpolizeilich bestraft, sofern sie nicht ihrer Natur oder den sie begleitenden Umständen nach der k r i minellen Bestrafung unterliegen 8 ." Sonst diente meist die Strafdrohung zur Bezeichnung der Polizeivergehen (ζ. B. nach § 2 des Schaffhauser Strafgesetzes vom 3. A p r i l 1859 die Androhung „zuchtpolizeilicher Strafe" i m Gegensatz zur peinlichen Strafe, der Todesstrafe und dem Zuchthaus; ähnlich § 1 Kriminalstrafgesetz Luzern vom 22. Mai 1906). — I m Bundesrecht hießen „Polizeidelikte" die Verstöße gegen Polizeigesetze, d. h. gegen Verwaltungsgesetze als strafrechtliche Nebengesetze. Infolge der beschränkten Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes hatte sich hier aber kein ausgeprägtes Polizeistrafrecht herausgebildet. Dieser vorwiegend auf Größenordnungsunterschiede Bedacht nehmende Begriff des Polizeidelikts in den kantonalen Rechten hat auch die Bildung des Übertretungsbegriffs i m heutigen eidgenössischen Strafrecht nicht unwesentlich beeinflußt. I m geltenden Schweizer Strafgesetzbuch findet sich der Begriff des polizeilichen Unrechts nicht (abgesehen von der Nennung des „Polizeistrafrechts" i n der Überschrift zu Art. 335 StGB). — Manche Kantone besitzen indessen auch heute noch Polizeistrafgesetzbücher (Basel-Stadt, Zug, Nidwaiden), andere verwenden die Bezeichnung des Polizeistrafrechts für die i n den Polizei-(Verwaltungs-)Gesetzen enthaltenen Übertretungstatbestände. Allgemein werden „Polizeiübertretung" und „Übertretung" als gleichbedeutend gebraucht. Die Tendenz geht dahin, die Polizeiübertretung durch die Übertretung zu ersetzen 9. II. Die Entstehung des Schweizer Strafgesetzbuchs und die Einteilung der strafbaren Handlungen vor Schaffung des Strafgesetzbuchs und heute 1. Die Entstehung des Schweizer Strafgesetzbuchs vom 21. Dezember 1937
Der heutige Rechtszustand i m materiellen Strafrecht der Schweiz ist das Ergebnis langer Vereinheitlichungsbestrebungen 1 . Das erste schweizerische Strafgesetzbuch war das peinliche Gesetzbuch der (1798 ge8 §§ 1 u n d 2 des Ergänzungsgesetzes v o m 7. J u l i 1886 erklärten noch eine ganze Reihe weiterer Delikte zu Zuchtpolizeivergehen. 9 So hat Zürich den 6. Abschnitt seiner StPO von „Verfahren bei Polizeiübertretungen" i n „Verfahren bei Übertretungen" umbenannt (durch das EGStGB v o m 6. J u l i 1941). 1 Über die Geschichte des Schweizer Strafrechts vgl. Heinrich Pfenninger, Strafrecht der Schweiz; sodann Τ emme, S. 15 ff.; Stooß, Grundzüge, I, S. 1 ff.; Hans Felix Pfenninger, S. 160 ff.; Schultz, S. 57 ff.
1
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2. Teil:
echtsvergleichende Untersuchung
gründeten) Helvetischen Republik vom 4. Mai 17992, das sich eng an das Vorbild des französischen Strafgesetzbuchs vom 25. September 1791 anlehnte und wie dieses nur die Verbrechen i m engeren Sinne enthielt. M i t Aufhebung des Einheitsstaates durch die Meditationsakte vom 19. Februar 1803 (30 pluviôse an XI) erhielten die Kantone ihre Gesetzgebungsgewalt zurück; teils ließen sie das peinliche helvetische Gesetzbuch als kantonales Recht in Kraft, teils kehrten sie zu ihrem früheren Recht zurück oder nahmen alte oder neue Gesetze zum Vorbild ihrer eigenen Gesetzgebung. Die Beschränkung des helvetischen Strafgesetzbuchs und mancher nachfolgender Strafgesetze auf Verbrechen führte zur Entstehung von Polizeistrafgesetzbüchern. Die Bundesverfassung vom 12. September 1848 wandelte den bisherigen (auf dem Bundesvertrag vom 7. August 1815 beruhenden) Staatenbund i n einen Bundesstaat um, wobei sie die Gesetzgebungsgewalt i m Strafrecht den Kantonen zusprach und nur gewisse Vorbehalte zugunsten des Bundes machte, auf Grund welcher i n verhältnismäßig geringem Umfange Bundesstraf- und Bundesstrafprozeßrecht entstehen konnte 3 . Bemühungen um eine Vereinheitlichung des Straf rechts, besonders von seiten des schweizerischen Juristenvereins und des schweizerischen Gefängnisvereins sowie von Carl Stooß, führten schließlich (die durch „Totalrevision" geschaffene geltende Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 hatte die Strafgesetzgebungskompetenz unverändert gelassen) i m Wege der „Partialrevision" vom 13. November 1898 zu Art. 6 4 b i s der Bundesverfassung 4 , der die Grundlage für ein gemeinsames eidgenössisches Strafgesetzbuch schuf 5 . Die Vorarbeiten zu diesem Gesetzbuch hatten schon früh begonnen. Bereits 1893/94 legte Stooß einen „Vorentwurf zu einem schweizerischen 2
Siehe dazu Heinrich Pfenninger, S. 142 ff.; Stooß, Grundzüge, I, S. 2 ff.; Hans Felix Pfenninger, S. 184 ff. 3 Vor allem ist hier — neben dem Militärstrafgesetz vom 27. August 1851 — das Bundesgesetz über das Bundesstrafrecht v o m 4. Februar 1853 zu nennen, das Strafvorschriften zum Schutz der Staatssicherheit u n d gegen Verbrechen von u n d gegen Bundesbeamte enthielt. Sein Allgemeiner T e i l galt bis 1941 auch f ü r das übrige Bundesstrafrecht, das sich vor allem aus den Strafbestimmungen i n Verwaltungsgesetzen des Bundes zusammensetzte (siehe Heinrich Pfenninger, S. 344 ff., 346 ff.; Hans Felix Pfenninger, S. 188 ff.). 4 „ I . Der B u n d ist zur Gesetzgebung i m Gebiete des Straf rechts befugt. I I . Die Organisation der Gerichte, das gerichtliche Verfahren u n d die Rechtsprechung verbleiben, wie bis anhin, den Kantonen. I I I . Der B u n d ist befugt, den Kantonen zur Errichtung von Straf-, Arbeitsu n d Besserungsanstalten u n d für Verbesserungen i m Strafvollzuge Beiträge zu gewähren. Er ist auch befugt, sich an Einrichtungen zum Schutz v e r w a h r loster K i n d e r zu beteiligen. IV. M i t dem Zeitpunkt, i n welchem das Strafgesetz i n K r a f t t r i t t , fallen die Absätze 2 u n d 3 des A r t . 55 der Bundesverfassung dahin." 5 Schon 1887 hatte der Nationalrat Forrer eine entsprechende Motion eingebracht (Hafter, Lehrbuch, 1. Aufl., S. 30 f.).
Schweiz
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Strafgesetzbuch" m i t B e g r ü n d u n g v o r . A b e r erst nach einer Reihe w e i t e r e r E n t w ü r f e endeten l a n g e p a r l a m e n t a r i s c h e B e r a t u n g e n ( v o n 1928 bis 1937) a u f d e r G r u n d l a g e des b u n d e s r ä t l i c h e n E n t w u r f s v o n 1918 m i t d e m schweizerischen Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 6 , das a m 1. J a n u a r 1942 i n K r a f t t r a t . Das schweizerische Strafgesetzbuch s t e l l t s o m i t d i e E r f ü l l u n g l a n g e r B e s t r e b u n g e n u m die V e r e i n h e i t l i c h u n g des Strafrechts i n der Schweiz dar. D e s h a l b ist es i n erster L i n i e u n t e r d e m B l i c k p u n k t d e r S c h a f f u n g eines b u n d e s e i n h e i t l i c h e n Strafrechts z u sehen. Das f ü r d i e v o r l i e g e n d e U n t e r s u c h u n g hervorstechendste M e r k m a l des n e u e n Schweizer S t r a f rechts ist das S t r e b e n nach d e m e i n h e i t l i c h e n D e l i k t s b e g r i f f , der m ö g lichst a l l e s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n erfaßt u n d sie m ö g l i c h s t e i n h e i t l i c h e n ( v o n m o d e r n e n s t r a f r e c h t l i c h e n G e d a n k e n geprägten) a l l g e m e i n e n R e geln unterwirft. 2. Die Einteilung der strafbaren Handlungen nach dem Strafgesetzbuch und ihr Zustandekommen Das Strafgesetzbuch t e i l t die s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n i n V e r b r e c h e n , V e r g e h e n u n d Ü b e r t r e t u n g e n nach M a ß g a b e d e r a n g e d r o h t e n S t r a f e e i n ( A r t . 9 , 1 0 1 S t G B ) 7 . Das erste B u c h e n t h ä l t i m e r s t e n T e i l d i e a l l g e m e i n e n 6 AS 1938 S. 757. Die erste Teilrevision durch B G v o m 5. Oktober 1950, AS 1951 S. 1, betraf neben kleineren Änderungen die Reform des Staatsschutzrechts. Die zweite Teilrevision wurde durch B G v o m 18. März 1971, AS 1971 S. 777, abgeschlossen. Wenn sich auch die Einheitsfreiheitsstrafe nicht durchsetzen konnte — der Vorschlag w u r d e knapp verworfen —, so brachte die Gesetzesänderung doch wesentliche kriminalpolitische Neuerungen i m Strafu n d Maßnahmensystem, ζ. B. den bedingten Vollzug von Gefängnisstrafen bis zu 18 Monaten (Art. 41), die A n w e n d u n g der Bestimmungen über die Haft bei Gefängnisstrafen von nicht mehr als 3 Monaten Dauer (Art. 3 7 b i s ) , die bedingte Entlassung bei einer Verbüßung von zwei D r i t t e l n der Strafe (Art. 38) — auch bei sichernden Maßnahmen (Art. 42) u. a. Die Zielsetzung ging aber gleichwohl dahin, „es sollte an der Grundkonzeption des schweizerischen Strafgesetzbuches i m Prinzipe nichts geändert werden" (so Bundesrat Feldmann, Protokoll der 1. Session der Expertenkommission v o m 1. J u l i 1954, S. 41 ff.). Dies kritisiert Schultz, Z B J V 1970, S. 29, der sich auf einen i n ähnlichem Zusammenhang gemachten Vergleich von Philippe Graven , SchwZStr 85 (1969), S. 226, „depuis Stooss nous nous sommes contentés de repeindre la tour Eiffel, tandis qu'ailleurs s'édifiait Brasilia" stützt u n d meint, der Vorentwurf von Carl Stooss sei „so k ü h n gewesen w i e sein Zeitgenosse der Eiffelt u r m " (a.a.O.). — Über die Reformen u n d deren Ziele vgl. ferner Germann, SchwZStr 74 (1959), S. 338 ff.; derselbe, SchwJZ 1970, S. 281 ff.; derselbe, SchwZStr 87 (1971), S. 337 ff.; H. F. Pfenninger, SchwJZ 1961, S. 145 ff.; Schultz, S. 60 ff.; derselbe, ZStW 81 (1969), S. 787 ff.; derselbe, ZStW 83 (1971), S. 1045 ff.; derselbe, SchwZStr 88 (1972), S. 1 ff., S. 225 ff. (über die Notwendigkeit einer dritten Teilrevision); Clerc, Rev. sc. er. 1972, S. 301 ff.; Ph. Graven, ZStW 80 (1968), S. 199 ff.; derselbe, SchwZStr 88 (1972), S. 243 ff.; Bolle, SchwZStr 90 (1974), S. 359 ff. 7 Art. 9. Verbrechen und Vergehen. Verbrechen sind die m i t Zuchthaus bedrohten Handlungen. Vergehen sind die m i t Gefängnis als Höchststrafe bedrohten Handlungen.
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2. T e i l :
echtsvergleichende Untersuchung
B e s t i m m u n g e n ü b e r V e r b r e c h e n u n d V e r g e h e n , i m z w e i t e n T e i l die ü b e r Ü b e r t r e t u n g e n . D i e E i n t e i l u n g d e r s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n g i l t auch f ü r d i e n i c h t i m S t G B e n t h a l t e n e n Tatbestände, die g r u n d s ä t z l i c h ebenfalls d e n a l l g e m e i n e n R e g e l n des S t G B u n t e r l i e g e n ( A r t . 333 S t G B ) 8 . I m z w e i t e n B u c h s i n d i m 19. T i t e l ( A r t . 323 - 332) einige „ Ü b e r t r e t u n g e n b u n d e s r e c h t l i c h e r B e s t i m m u n g e n " z u s a m m e n g e f a ß t ; ansonsten w u r d e n die Ü b e r t r e t u n g e n z u d e n entsprechenden V e r b r e c h e n s - u n d V e r g e h e n s t a t b e s t ä n d e n gestellt. — D i e D r e i t e i l u n g der s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n ist n i c h t s e l b s t v e r s t ä n d l i c h gewesen. D i e k a n t o n a l e Strafgesetzgebung v o r I n k r a f t t r e t e n des eidgenössischen S t G B b o t e i n unterschiedliches B i l d . U r i u n d U n t e r w a i d e n n i d d e m W a l d ( N i d w a i d e n ) besaßen k e i n kodifiziertes Strafrecht. Sonst k a m sow o h l die D r e i - als auch die Z w e i t e i l u n g v o r ; t e i l w e i s e w u r d e ü b e r h a u p t a u f eine D e l i k t s e i n t e i l u n g v e r z i c h t e t 9 . D i e Z w e i t e i l u n g k o n n t e sich d a d u r c h ergeben, daß n e b e n e i n K r i m i n i n a l s t r a f g e s e t z b u c h e i n P o l i z e i strafgesetzbuch t r a t ( w i e i n B a s e l - S t a d t , P o l S t G v o m 23. S e p t e m b e r 1872; S a n k t G a l l e n , Strafgesetz gegen Ü b e r t r e t u n g a l l g e m e i n e r P o l i z e i v e r o r d n u n g e n u n d gegen g e r i n g e r e V e r g e h e n v o m 10. D e z e m b e r 1808 1 0 ; A p p e n A r t . 101. Die Übertretung. Übertretungen sind die m i t Haft oder Busse oder m i t Busse allein bedrohten Handlungen. 8 Art. 333. Bundesgesetze. Anwendung des allgemeinen Teils auf andere Bundesgesetze. Die allgemeinen Bestimmungen dieses Gesetzes finden auf Taten, die i n andern Bundesgesetzen m i t Strafe bedroht sind, insoweit A n wendung, als diese Bundesgesetze nicht selbst Bestimmungen aufstellen. Ist i n einem andern Bundesgesetze die Tat m i t Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten bedroht, so finden die allgemeinen Bestimmungen über die V e r brechen u n d die Vergehen Anwendung, andernfalls die allgemeinen Bestimmungen über die Übertretungen, wobei, statt auf Gefängnis, auf Haft zu erkennen ist. Die i n andern Bundesgesetzen unter Strafe gestellten Übertretungen sind strafbar, auch wenn sie fahrlässig begangen werden, sofern nicht nach dem Sinne der Vorschrift n u r die vorsätzliche Begehung m i t Strafe bedroht ist. Die Begnadigung richtet sich stets nach den Vorschriften dieses Gesetzes. 9 Dreiteilung: Neuenburg (1856), Freiburg (1868), Tessin (1873), Genf (1874), Bern (1866), Appenzell ARh. (1878, 1899), St. Gallen (1886), Glarus (1899). — Zweiteilung i n Verbrechen u n d Vergehen bzw. Kriminalverbrechen u n d Polizeivergehen: Graubünden (1851), Aargau (1857), Schaffhausen (1859), Luzern (1860, 1906), Obwalden (1864), Glarus (1867), Solothurn (1885); Vergehen bzw. Polizeivergehen sind dabei alle geringeren Delikte (in etwa die Vergehen u n d Übertretungen bei der Dreiteilung), so z. B. i n Obwalden (1864) ausdrücklich geringere Rechtsverletzungen u n d Zuwiderhandlungen gegen Polizeiverordnungen. — Zweiteilung i n Verbrechen u n d Polizeiübertretungen: Basel (1872), Zürich (1871), Zug (1876), Wallis (1859), Neuenburg (1891); Polizeiübertretungen sind dabei i n der Regel Zuwiderhandlungen gegen Polizeigesetze u n d »Verordnungen. — Ohne gesetzliche Deliktseinteilung: Thurgau (1841), Waadt (1843, 1931), Freiburg (1924), der B u n d (1853). I m Bundesstrafrecht w u r d e n Verbrechen, Vergehen, Übertretungen als gleichbedeutend verwendet (Stooß, Strafgesetzbücher, S. 18, A n m . 1). — Vgl. die Zusammenstellung bei Stooß, Strafgesetzbücher, S. 18 ff., u n d die Übersicht bei Stooß, Grundzüge, I, S. 165 ff. 10 St. Gallen hatte allerdings die Dreiteilung i n Verbrechen, Vergehen u n d Übertretungen.
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zeli IRh., Polizeiverordnung vom 19. September 1919; Luzern, PolStG vom 29. November 1915; Obwalden, PolStG vom 20. A p r i l 1870; Graubünden, Polizeigesetz vom 17. Mai 1897; Aargau, Zuchtpolizeigesetz vom 19. Hornung 1868), oder dadurch, daß die Polizeiübertretungen den Nebengesetzen vorbehalten blieben (z. B. Zürich, Schwyz). I m Wallis und i n Neuenburg waren die Polizeiübertretungen i n das Strafgesetzbuch aufgenommen worden. Es fehlte, wie sich schon oben S. 241 f. zeigte, ein einheitlicher Begriff der Polizeiübertretung 11 . Die Gesetzgeber teilten die strafbaren Handlungen nach ihrer relativen Schwere ein, wobei dieselben Delikte i n den einzelnen Kantonen oft unterschiedlich beurteilt wurden. Formell unterschieden sich die Polizeiübertretungen von den Verbrechen durch ihre Normierung i m Polizeistrafgesetzbuch oder, wo es kein solches gab, entweder durch ihre Bedrohung m i t „Polizeistrafen" oder ihre gesetzliche Bestimmung als Zuwiderhandlungen gegen Polizeivorschriften 12 . Diese Verschiedenheit und auch eine gewisse „volkspsychologische Bedeutung" 1 3 brachten es m i t sich, daß man der Einteilungsfrage bei der Vorbereitung des StGB recht große Beachtung schenkte 14 . Stooß, der einen „ i n der Natur der Sache begründeten Unterschied zwischen K r i m i nal« und Polizeiunrecht" 1 5 annahm und unter Polizeiunrecht „vorwiegend das Gebiet der Ungehorsamsdelikte" 16 verstehen wollte 1 7 , hatte seinem Vorentwurf von 1893 (Allgemeiner Teil) und 1894 (Gesamter Vorentw u r f mit gewissen Änderungen des Allgemeinen Teils) die Zweiteilung i n Verbrechen und Übertretungen zugrunde gelegt 18 , wobei die Über11 12
Oukhtomsky, S. 49; Baer, S. 14.
So § 327 StPO Zürich v o m 4. M a i 1919 (vgl. o. S. 242), der durch § 30 des zürcherischen EGStGB aufgehoben wurde, w e i l jetzt der Übertretungsbegriff des StGB gilt. Ä h n l i c h w i e § 327 StPO Zürich auch Schwyz, § 1 der Verordnung über die Verhängung von Geldbußen bei Übertretungen allgemeiner administrativer oder polizeilicher Gesetze u n d Verordnungen v o m 13. März 1857. Da i n beiden Kantonen keine Polizeistrafgesetze bestanden, traten i n der Begriffsbestimmung des Polizeistrafrechts die als Polizeigesetze angesehenen Nebengesetze an die Stelle des PolStG. Ä h n l i c h Wallis (vgl. o. S. 242). — Eine materielle Beschreibung der Polizeivergehen versuchte das PolStG Obwalden v o m 20. A p r i l 1870 (vgl. o. S. 242). 13 Hafter, Lehrbuch, 1. Aufl., S. 89. 14 Über die Behandlung der Einteilungsfrage u n d die Auseinandersetzungen darüber während der Vorbereitung des StGB siehe auch Jean Graven, SchwZStr 73 (1958), S. 4 ff. 15 Grundzüge, I, S. 170. 16 Das sich „gegenüber dem andern Unrecht als ein eigenartiges" darstelle (a.a.O.). 17 Wie es auch richtig i n den Gesetzen von Basel, Zürich, Zug u n d Neuenburg 1891 aufgefaßt worden sei (a.a.O.). 18 Erstes Buch: Von den Verbrechen; Zweites Buch: Von den Übertretungen. Die allgemeinen Regeln für Verbrechen sollten subsidiär auch f ü r Übertretungen gelten (Art. 182 VE). Die Trennung zwischen Verbrechen u n d Vergehen habe sich nicht bewährt, w e i l sie auf keinem brauchbaren Abgrenzungsmerkm a l beruhe (Motive 1893, S. 8).
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tretungen das Polizeiunrecht umfassen sollten. Der „grundsätzliche Unterschied der beiden Klassen" ergebe sich daraus, daß das Polizei- (Übertretungs-)Unrecht „sich wesentlich als einen Ungehorsam gegen staatliche Anordnungen" darstelle 19 . Aber Stooß hat diesen „grundsätzlichen Unterschied" offenbar selbst nicht ernst genommen 20 und daher i n seinem Entwurf auch nicht durchzuführen versucht. Seine Übertretungen unterscheiden sich von den Verbrechen, wie er selbst sagt, „nicht durchgängig der A r t nach" 2 1 . Er charakterisiert sie wie folgt: „Die i m Entwürfe behandelten Übertretungen sind sogar vorwiegend wie die Verbrechen Rechtsverletzungen oder Gefährdungen und nicht reine Übertretungen eines polizeilichen Gebotes; es sind aber ohne Ausnahme leichtere Fälle strafwürdigen Unrechts, bei denen sich eine mildere Bestrafung rechtfertigt 2 2 ." Die in dieser Äußerung wiedergegebene Auffassung vom Übertretungsstrafrecht („leichtere Fälle strafwürdigen Unrechts, bei denen sich eine mildere Bestrafung rechtfertigt") blieb für die weiteren Vorbereitungsarbeiten maßgebend und enthält daher bereits eine zutreffende Beschreibung des gegenwärtigen schweizerischen Übertretungsstrafrechts 23 . Sie erscheint entsprechend auch in den Erläuterungen Zürchers zum Vorentwurf von 190824, in denen dieser betont, daß es eine begriffliche Unterscheidung zwischen Verbrechen und Übertretungen nicht gebe (Ungehorsamsdelikte fänden sich auch unter den Verbrechen, gewisse Erfolgsdelikte seien von je als Übertretungen bestraft worden; auch nach moralischen Gesichtspunkten könne man keine Trennung vornehmen), sondern nur eine „quantitative, graduelle". Doch sei der Abstand von schweren Verbrechen zu geringfügigen Delikten so groß, daß es „zweckwidrig" wäre, „vor allem den Übertreter unter den gesetzlichen und gesellschaftlichen Folgen leiden zu lassen, die sich nun einmal an eine Vorbestrafung wegen Verbrechens knüpfen" 2 5 . Zusammenfassend äußerte 19
Motive 1893, S. 8. Er sei „nicht m i t logischer Schärfe" zu bestimmen, u n d die Zuweisung eines Delikts stünde nicht außer allem Zweifel (Motive 1893, S. 8). 21 Motive 1894, S. 236. 22 a.a.O. 23 Deutlich auch Stooß i n seinem Bericht über den V E (S. 60): „Die Bezeichnung Ü b e r t r e t u n g ' soll nicht auf eine eigene A r t des strafbaren Unrechts h i n weisen; diese Handlungen könnten auch als geringere Vergehen oder als strafbare Handlungen bezeichnet werden, bei denen die allgemeinen Grundsätze nicht uneingeschränkt A n w e n d u n g finden. Gerade das besagt jedoch der Ausdruck Übertretung i n seiner allgemeinen, volkstümlichen Bedeutung. Die Bezeichnung hat den Vorzug, daß diese Fälle von dem Gesetz selbst als minder schwere gekennzeichnet werden, deren Begehung den Täter nicht i n dem Masse belastet, wie die Begehung eines Verbrechens." 24 Wo (S. 17, 18) übrigens der auch für die Fassung des Übertretungsbegriffs — u n d die Schaffung eines eidgenössischen Übertretungsstrafrechts überhaupt — sehr wichtige Gedanke hervortritt, daß die „einheitliche Behandlung auch der Übertretungen, soweit sie nicht bloß lokaler N a t u r sind", unbedingt erforderlich sei. (Näher dazu S. 430 ff.) 25 Erläuterungen, S. 429, 430. 20
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sich sodann der Bundesrat 1918 i n seiner Botschaft an die Bundesversammlung dahin, daß der Gesetzgeber für jeden einzelnen Tatbestand zu prüfen habe, ob er unter die Vergehen 26 oder unter die Übertretungen einzureihen sei; ein durchgreifender Unterschied nach den Folgen des Verhaltens bestehe zwischen beiden Delkitsgruppen nicht. „Was die A l l gemeinheit oder den einzelnen i n seinen rechtlich zu schützenden Interessen schädigt oder gefährdet, sollte als Vergehen, was lediglich einen Ungehorsam gegen Vorschriften enthält, die zum Schutze der öffentlichen Ordnung, zur Vorbeugung gegen Schaden und Gefahren, erlassen worden sind, sollte als Übertretung angesehen werden. Allein abgesehen davon, daß sich nicht leicht scheiden läßt zwischen unmittelbarer und mittelbarer Erregung einer Gefahr, hat das geltende Recht und das frühere Recht von jeher gewisse Schädigungstatbestände, wie Mundraub, Wald- und Feldfrevel, den Übertretungen zugezählt, während der blosse Ungehorsam unter gegebenen Voraussetzungen als Vergehen behandelt werden muss, wie ζ. B. i n A r t . 248 27 . Eher w i r d für den Gesetzgeber die Erwägung wegleitend sein, ob für die wirksame Bekämpfung des ungebührlichen Verhaltens die beschränkten Strafmittel des Übertretungsstrafrechts, Busse und kurzzeitige, des Makels der schweren Freiheitsstrafen entbehrende Freiheitsentziehung ausreichend sein dürften und ob das i n Übertretungsfällen vorgesehene abgekürzte, den Täter weniger beschwerende Verfahren am Platze sei. Insbesondere waren alle diese Betrachtungen anzustellen, wo es sich fragte, ob besonders leichte Fälle von Vergehenstatbeständen wie i n A r t . 124,125, 217 28 als Vergehen zu behandeln, oder ob sie in selbständigen Übertretungstatbeständen zu fassen seien, wie i n Art. 300, 301 29 ." Die i n den Vorentwürfen und i m Entwurf von 1918 enthaltene Zweiteilung 3 0 wurde jedoch i n den parlamentarischen Beratungen zugunsten der Dreiteilung i n Verbrechen, Vergehen und Übertretungen aufgegeben. Dabei hat man lediglich die bisherigen Vergehen i n Verbrechen und Vergehen aufgeteilt, weil ihre Unterscheidung i n Wissenschaft und Praxis in der Schweiz eingebürgert sei und dem Volksempfinden sowie dem Sprach28 Die zweite Expertenkommission hatte i n ihrer Sitzung v o m 9. A p r i l 1912 die Überschrift des ersten Buches des V E i n „ V o n den Vergehen" abgeändert und diesen Beschluß i n ihrer Sitzung v o m 16. September 1912 bestätigt (Protok o l l der 2. Expertenkommission, Bd. 1, S. 13; Bd. 2, S. 78). 27 Ungehorsam gegen Befehle u n d Verordnungen. 28 Sachentziehung, Hehlerei, Urkundenfälschung. 29 Geringfügige Veruntreuung, Unterschlagung u n d Sachbeschädigung. (Botschaft des Bundesrates, S. 66.) 30 Die nicht unangezweifelt geblieben w a r ; f ü r sie aber stets die Mehrheit i n den Kommissionen auf der Grundlage der von Stooß festgelegten Auffassung; ausdrücklich befürwortet ζ. B. von Gretener, GS 87 (1920), S. 33. Auch Hafter befürwortete sie (Protokoll der 2. Expertenkommission, Bd. 1, S. 12), gab aber i n SchwZStr 26 (1913), S. 260, zu bedenken, daß sich die Dreiteilung w o h l v o m Sprachgebrauch des Volkes her rechtfertigen lasse.
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gebrauch entspreche 31 , sowie die jetzigen Art. 9 und 101 eingefügt. Eine sachliche Änderung war damit nicht verbunden; es sollte bei der Zweiteilung i n ihrem ursprünglich gewollten Sinne bleiben 32 , wie schon die nunmehr i n das erste Buch des StGB (allgemeine Bestimmungen) verlegte Gegenüberstellung von Verbrechen und Vergehen einerseits (erster Teil) und Übertretungen andererseits (zweiter Teil) zeigt. So ist das Schweizer Bundesrecht nicht durch die Ausgliederung eines Polizei- oder Verwaltungsunrechts, sondern durch die Herausarbeitung eines einheitlichen Delikts- 33 und in seinem Rahmen des die strafbaren Handlungen ohne i m engeren Sinne kriminelle Rechtsfolgen erfassenden Übertretungsbegriffs gekennzeichnet 34. Die Grenzziehung erfolgt nur nach Maßgabe der relativen Schwere der Delikte. Die danach (gemäß ihren objektiven und subjektiven Voraussetzungen) den V o r w u r f krimineller Verwerflichkeit nicht verdienenden strafbaren Handlungen werden nur mit Übertretungsstrafen bedroht, die nur die „kleinen Sünder" treffen sollen, nicht „ K r i m i n e l l e " 3 5 . Das Bemühen von Gesetzgebung und Wissenschaft 36 geht dahin, den allgemeingültigen Begriff der strafbaren Handlung herauszuarbeiten 37 und für diese allgemeine Regeln aufzustellen 38 , u m auf solche Weise noch (in Nebengesetzen) vorhandene Reste überholter Rechtsanschauungen zu überwinden. Dies Bestreben kehrt, allerdings abgeschwächt, i m Prozeßrecht 39 wieder i n der i n einigen Kantonen zu beobachtenden Tendenz, eine gewisse Gleichartigkeit des Strafverfahrens herzustellen. — Zu den Übertretungen i m Sinne des Art. 101 StGB gehören allerdings die i n manchen Verwaltungsgesetzen vorzufindenden Zuwiderhandlungen, die nur mit einer sogenannten „Ordnungsbuße" bedroht sind, nicht 4 0 . Jedoch 31
612 f. 32
Verhandlungsberichte, Bd. 2 (Ständerat), S. 54; Bd. 1 (Nationalrat), S. 70 f.,
Thormann, Festgabe für Hafter, S. 14. Das beweist auch A r t . 102 StGB. („Die Bestimmungen des Ersten Teils gelten m i t den nachfolgenden Änderungen auch f ü r Übertretungen.") Diese Änderungen sind nicht bedeutend u n d durch den Bagatellcharakter der Übertretungen bedingt. Vgl. auch den oben zitierten A r t . 333 StGB. 34 „Das schweizerische Strafgesetzbuch folgt hier der i n der Wissenschaft sich kundgebenden Tendenz, einen einheitlichen Begriff der strafbaren Handlung herauszuarbeiten" (Thormann, a.a.O., S. 15). 35 Hafter, Lehrbuch, 2. Aufl., S. 281. Vgl. neuestens Schultz, S. 31. 30 Jedenfalls i n ihrem überwiegenden Teil. 37 Der Gesetzgeber müsse dabei die relative Schwere der Delikte durch D i f ferenzierung der Strafdrohungen bestimmen (Thormann, a.a.O., S. 15). 38 So auch ausdrücklich Hafter, Lehrbuch, 2. Aufl., S. 99, über die E n t w i c k lungstendenz i m schweizerischen Strafrecht. 39 Weitgehend kantonal. 40 F ü r sie sollen aber gemäß A r t . 333 Abs. 1 StGB die allgemeinen Bestimmungen des StGB gelten, f ü r kantonales Ordnungsstrafrecht mindestens subsidiär (Hafter, Lehrbuch, 2. Aufl., S. 298, A n m . 1 a. E.); dagegen jedoch z.B. Germann, Kommentar, Vorbem., S. 25. Siehe über die Ordnungswidrigkeiten u. S. 280 ff., insbesondere S. 286 f. 33
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w e r d e n O r d n u n g s - u n d D i s z i p l i n a r s t r a f e n ( w i e auch Steuerstrafen) als echte S t r a f e n angesehen 4 1 . D i e i n V e r w a l t u n g s - u n d Polizeigesetzen e n t h a l t e n e n Ü b e r t r e t u n g e n s i n d dagegen Ü b e r t r e t u n g e n i m v o l l e n S i n n e des A r t . 101 S t G B , w e n n sie auch — entgegen d e n Ü b e r t r e t u n g e n des S t G B — i n d e r Regel schon b e i F a h r l ä s s i g k e i t s t r a f b a r s i n d ( A r t . 333 A b s . 3 , 1 0 2 , 1 8 S t G B ) . D i e B u ß e des Schweizer Rechts d a r f a l l e r d i n g s n i c h t m i t der G e l d b u ß e des deutschen Gesetzes ü b e r O r d n u n g s w i d r i g k e i t e n gleichgesetzt w e r d e n . B u ß e i s t d e r i n der Schweiz ü b l i c h e A u s d r u c k f ü r die G e l d s t r a f e 4 2 u n d w u r d e bereits i n f r ü h e r e n k a n t o n a l e n Rechten i n diesem S i n n e v e r w e n d e t . 3. Die Stellungnahme der Literatur und frühere Abgrenzungsversuche der Rechtsprechung I n d e r Schweizer s t r a f r e c h t l i c h e n L i t e r a t u r w i r d , s o w e i t ersichtlich, ganz ü b e r w i e g e n d a n g e n o m m e n , daß die Ü b e r t r e t u n g e n n u r m i n d e r schwere, n i c h t i n d e r A r t v o n d e n V e r b r e c h e n u n d V e r g e h e n verschiedene D e l i k t e seien. Besonders Hafter h a t i m m e r w i e d e r m i t E n t s c h i e d e n h e i t b e t o n t , daß k e i n b e g r i f f l i c h e r , a r t - oder wesensmäßiger U n t e r s c h i e d z w i schen d e m K r i m i n a l - u n d d e m Ü b e r t r e t u n g s s t r a f r e c h t bestehe, daß es v e r f e h l t sei, das Ü b e r t r e t u n g s - oder das P o l i z e i s t r a f r e c h t als ethisch i n d i f f e r e n t e i n e m sogenannten K r i m i n a l s t r a f r e c h t g e g e n ü b e r z u s t e l l e n 4 3 , u n d daß die E i n t e i l u n g d e r s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n n u r nach i h r e r r e l a 41 Schwander, S. 22; Hafter, Lehrbuch, 1. Aufl., S. 238 („Bussen i m Polizeiu n d i m Disziplinarstrafrecht sind nicht grundsätzlich von der Busse des K r i m i nalstrafrechts zu unterscheiden"), S. 282; 2. Aufl., S. 242 f., 293; Schreiber, S. 16; aber w o h l bestritten; nach Schwander, a.a.O., folgen sie nicht allen Regeln des Kriminalstrafrechts. Dagegen w o h l Pfister, SchwZStr 83 (1967), S. 298, 300 f. : M a n müsse zwar Ordnungs-, Disziplinar-, Steuer-, Beuge- u n d p r i v a t rechtliche Strafen auseinanderhalten, „aber der Unterschied zu den legalen Kriminalstrafen ist nicht sehr k r ä f t i g . . . Die gebührenpflichtige V e r w a r nung = Gassenbusse stellt eine recht durchsichtige Tarnung dar". I n W i r k lichkeit sei sie doch eine echte Strafe. Ä h n l i c h die offiziellen Stellungnahmen zum B G über Ordnungsbußen i m Straßenverkehr v o m 24. J u n i 1970, AS 1972 S. 734: „Die Ordnungsbussen dienen der Durchsetzung der zum Verwaltungsrecht zu zählenden Verkehrs Vorschriften; aber sie sind keine verwaltungsrechtliche Rechtsfolge, sondern . . . eine echte Strafe" (Botschaft des Bundesrates v o m 14. M a i 1969, BB1. 1969 I 2 S. 1093); ferner Nationalrat Schürmann (Amtliches stenographisches B u l l e t i n 1969 S. 760): „Diese Ordnungsbusse ist durchaus eine Busse i m Sinne des Strafensystems unseres Strafgesetzbuches." — Aeppli, S. 10 f., macht trotz seiner These, daß ein Teil der Übertretungen nichtkriminelles Unrecht sei (vgl. u. S. 252, A n m . 45), für die Rechtsfolge keinen Unterschied: I n beiden Fällen handele es sich u m k r i m i n e l l e Strafen, w e n n auch i m letztgenannten Falle u m eine Strafe minderen Ranges. Siehe auch u. S. 286 f. 42 Hafter, Lehrbuch, 2. Aufl., S. 292, A n m . 1; Brenn, S. 2. 43 So besonders i n der K r i t i k am sogenannten Bassanesi-Fall i n SchwZStr 45 (1931), S. 151 ff.; ferner Lehrbuch, 2. Aufl., S. 99. Die Ablehnung des Gedankens von der ethischen oder moralischen Indifferenz der Übertretungen entspricht w o h l der herrschenden Meinung.
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tiven Schwere vorgenommen werde 4 4 . Damit hat er allgemein Zustimmung gefunden 45 . Demgegenüber bemüht sich Germann, vom Standpunkt seiner subjektivistischen Verbrechensauffassung einen qualitativen Unterschied zwischen Verbrechen und Vergehen einerseits und Ubertretungen andererseits nachzuweisen 46 . Für ihn w i r d das Verbrechen wesentlich durch subjektive Momente bestimmt; es sei an vorsätzliche Begehung gebunden und erfordere darüber hinaus als i h m wesentlich rechtsfeindliche Motive und eine ebensolche Gesinnung des Täters 47 . Der 44 Lehrbuch, 2. Aufl., S. 96, 97 ff., 257, 281; 1. Aufl., S. 90, sowie i n zahlreichen Aufsätzen. Die A b t r e n n u n g von Übertretungen sei notwendig, u m die geringfügige K r i m i n a l i t ä t einem besonderen, einfacheren Prozeßgang zuzuweisen u n d damit zugleich dem Täter „das odium der k r i m i n e l l e n Bestrafung zu ersparen" (1. Aufl., S. 90). Die A u f t e i l u n g liege aber allein „ i m vernünftigen Ermessen des Gesetzgebers" (1. Aufl., S. 90; 2. Aufl., S. 98). Dies zeige insbesondere das Zustandekommen des eidgenössischen StGB, w o m i t schon der Beweis f ü r eine graduelle Unterscheidung erbracht sei (2. Aufl., S. 98). Die E i n teilung der Delikte schließe sich an die Lehre von der Rechtswidrigkeit an. Das Strafrecht sei Rechtsgutsschutz; die Schwere des Unrechts hänge von der Bewertung des geschützten Rechtsguts durch die Strafrechtsordnung ab, w o raus eine graduelle Abstufung des Unrechts folge (2. Aufl., S. 96 f.). 45 Thormann, Festgabe f ü r Hafter, S. 15; Logoz: „ . . . quant à leur nature intrinsèque — les crimes, les délits et les contraventions . . . sont tout des actes contraires au droit, coupables et que la loi déclare punissable . . . Entre elles, i l y a seulement une différence quantitative , c'est-à-dire une différence de gravité" (Art. 9, A n m . 1; entsprechend A r t . 101, A n m . 1); Jucker , S. 21. Schon früher entsprechend u.a. Zürcher, SchwZStr 8 (1895), S. 153 ff.; Zeller, Festgabe f ü r Zürcher, S. 116 ff.; Lerch, S. 98. Dabei ist es bis jetzt auch unter dem Gesichtspunkt der Lehre von den Ordnungswidrigkeiten geblieben. F ü r Schultz ist der „angeblich qualitative Unterschied zwischen Kriminalstrafrecht u n d Ordnungswidrigkeit n u r ein gradueller Unterschied", „ . . . die Ordnungsw i d r i g k e i t eine Spielart der Übertretung" (S. 31); ähnlich schon früher: „ . . . wäre die Ordnungswidrigkeit nicht irgendwie sozialethisch begründet, wäre sie reiner Zwang u n d ein nicht gerechtfertigter Eingriff des Staates" (ZBJV 1958, S. 250, A n m . 1). Siehe ferner Pfister: „ F ü r das schweizerische Strafrecht dürfte die Ordnungswidrigkeit entbehrlich sein! Solange eine Legaldefinition fehlt, könnte der Ausdruck n u r V e r w i r r u n g stiften." (SchwZStr 83 [1967], S. 298) A r t . 3 des B G über das Verwaltungsstrafrecht v o m 22. März 1974, AS 1974 S. 1857, enthält eine Begriffsbestimmung der Ordnungswidrigkeit, auf die nach Peter, SchwZStr 90 (1974), S. 338, „besser verzichtet worden wäre", w e i l sie nichtssagend sei. Pfund h ä l t sie auch f ü r überflüssig; er verneint ebenfalls einen Unterschied „zwischen dem gemeinen Strafrecht u n d dem Verwaltungsstrafrecht" (ZSchwR 90 [1971], S. 121, 166). I m übrigen ist sein Standort nicht klar, wenn er andererseits „ v o n einem vollwertigen u n d allseits ernstgenommenen Verwaltungsstrafrecht" spricht, „das an die Seite des K r i m i n a l s t r a f rechts t r i t t " u n d von dem sogar zu beobachten sei, wie es „ins K r i m i n a l s t r a f recht hineinzuwachsen beginnt" (S. 153 m i t A n m . 141); dagegen wieder sein Abgrenzungsversuch S. 135. Aeppli w i l l m i t Bezug auf das deutsche Gesetz über Ordnungswidrigkeiten v o m 25. März 1952 (BGBl. I S. 177) innerhalb der Übertretungen einen Bereich nichtkriminellen Unrechts aussondern, wie etwa das Überschreiten der Parkzeit. Demgegenüber zählt er den i n A r t . 126 StGB enthaltenen Tatbestand der Tätlichkeiten, obwohl Übertretung, zum k r i m i n e l len Unrecht (S. 9 f.). 46 Verbrechen, S. 96 ff., 118 ff., 164; SchwZStr 49 (1935), S. 313 ff. — Ebenso wollen Noll, SchwZStr 72 (1957), S. 374, u n d J. Graven , SchwZStr 73 (1958), S. 31, 34, einen qualitativen Unterschied sehen.
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grundsätzliche Unterschied zwischen kriminellen Delikten und Übertretungen liege also nicht i n der Eigenart der objektiven Tatbestände, sondern sei ein Wertunterschied, der i n qualitativ differenzierten Strafandrohungen als sozialethische (sittliche) Mißbilligung bei der kriminellen Strafe und ohne solchen Makel bei den Übertretungsstrafen zum Ausdruck komme. „Übertretungen sind strafbare Handlungen, um deretwillen der Täter diesen Makel nicht verdient, mögen sie vom Standpunkt eines höheren Staatsethos auch nicht von vornherein sittlich ganz indifferent bleiben 4 8 ." Das sittliche Unwerturteil über den Täter, das diesen als Verbrecher abstempele, werde aber nur durch bestimmte, die Täterpersönlichkeit kennzeichnende subjektive Voraussetzungen 49 bedingt, bei deren Fehlen die Tat ohne Rücksicht auf das äußere Geschehen immer eine (nicht kriminelle, sittlich nicht verwerfliche) Übertretung darstelle. Die mit keinem sittlichen Makel behaftete Übertretungsstrafe enthalte nur ein Unwerturteil über die äußere Tat, das (objektive) Verhalten als solches. „Insofern wäre der Verbrecher das Gegenstück zur Übertretung 5 0 ." Für das Verbrechen sei daher das äußere Verhalten „nicht als solches, sondern nur als Ausdruck der Täterpersönlichkeit" (der kriminellen Persönlichkeit) maßgebend 51 . Fehle ihm dieser Ausdruckswert, so komme nur eine Übertretung i n Betracht. So w i r d der Begriff der Übertretung dem des Verbrechens subsidiär, das Verbrechen „formallogisch" eine durch subjektive Merkmale 5 2 qualifizierte Übertretung 5 3 . Fahrlässigkeitstaten dürften nicht kriminell bestraft werden 5 4 . Die Lehre Germanns hat, soweit ersichtlich, i n der Schweizer Literatur nur geringen Anklang gefunden 55 . M i t der herrschenden Meinung i n 47 Z w a r nicht i n der Weise, daß sie positiv festgestellt werden müßten, doch könne i h r Fehlen die Deliktsnatur ändern. 48 Verbrechen, S. 101. Siehe auch A n m . 133 a. E. 49 Diese sind nicht schon m i t einem bloß formell tatbestandsmäßigen Vorsatz gegeben, sondern verlangen einen „der Sache nach verbrecherischen, d. h. sittlich verwerflichen, gemeinschaftswidrigen, i n der Regel auf Verletzung oder Gefährdung des geschützten Rechtsguts gerichteten Vorsatz" (Verbrechen, S. 110). 50 a.a.O., S. 114. 51 a.a.O., S. 114. 52 „Die den qualitativen Unterschied begründen" (a.a.O., S. 115). 53 a.a.O., S. 115. Als U n w e r t u r t e i l lediglich über das objektive Geschehen soll die Bestrafung wegen einer Übertretung nicht von einer bestimmten Schuldart abhängig sein; es genüge ein irgendwie geartetes Verschulden, das de lege ferenda objektiv — nach der i m Verkehr erforderlichen Sorgfalt — bestimmt werden soll (Verbrechen, S. 99). 54 Dafür müsse mehr als seither objektiv fahrlässiges Verhalten — das ist solches ohne Erfolgseintritt — als Übertretung bestraft werden, denn der, durch dessen Fahrlässigkeit etwas passiere, solle nicht für die andern, die sich genauso fahrlässig verhalten, mitbüßen (Verbrechen, S. 104). 35 A l l e i n Noll und J. Graven folgen i h r (vgl. o. S. 252, Anm. 46). Auch i n der Rechtsprechung gibt es w o h l n u r wenige Beispiele, die zur Stützung der Ger-
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Lehre und Rechtsprechung w i r d man sie kaum als der mit dem StGB geschaffenen Schweizer Strafrechtsordnung zugrunde liegend ansehen können. Die angedrohte Strafe ist auch nicht Bewertungsmaßstab für wesensverschiedene Deliktsgruppen, sondern Einteilungsmaßstab zur Differenzierung der Delikte nach ihrer relativen Schwere 56 . Dennoch ist das Hauptanliegen Germanns ein allgemein schweizerisches, nämlich das der Trennung des i m engeren Sinne kriminellen vom nichtkriminellen Strafrecht. So gesehen, besteht zwischen der Ansicht Germanns und der herrschenden Meinung kein fundamentaler Unterschied. Nur erscheint bei Germann das allgemeine Bestreben bis zum Extrem gesteigert 57 . Die vor Inkrafttreten des Schweizer StGB i n der Rechtsprechung gelegentlich unternommenen Versuche, das nichtkriminelle Unrecht auf Grund seiner behaupteten besonderen Rechtsnatur vom übrigen Strafrecht abzugrenzen 58 , sind vereinzelt geblieben 59 ; andere Entscheidungen standen ihnen entgegen, und sie wurden auch später nicht wiederholt, vielmehr schon vor Inkrafttreten des StGB nur mehr die Strafdrohungen als maßgebend angesehen 60 . Die Lehre Goldschmidts hat i n der Schweiz keinen Anklang gefunden 61 . Selbst Germann lehnt sie ab 6 2 . Bezeichnend für die Schweizer raannschen Theorie herangezogen werden könnten. Sie sind nicht Zeugnis einer gesicherten Rechtsprechung. Siehe darüber weiter unten i m Text. 56 Dies zeigt auch A r t . 333 Abs. 2 StGB, vgl. o. S. 246, A n m . 8. 57 U n d damit w o h l übersteigert. Bei Germann verschwindet aller sozialer Eigenwert sowohl des Verbrechens als auch der Strafe, den diese Erscheinungen doch auch besitzen; was ihnen noch eine Bedeutung gibt, ist allein i h r „Ausdruckswert" (für die Persönlichkeit des Täters, für die sittliche M i ß b i l l i gung). 58 So vor allem das Bundesgericht i m Bassanesi-Fall B G E 56 I S. 413 ff. (1930), i n dem die Abgrenzung danach versucht wurde, daß i m Polizeistrafrecht an sich moralisch Erlaubtes oder Indifferentes wegen seiner Gefährdungsmöglichkeit verboten sei, u m Verletzungen vorzubeugen. Die Übertretung sei nicht ehrenrührig; sie lasse nicht auf niedrige Gesinnung schließen. — Hafter wies diesen Abgrenzungsversuch i n seiner K r i t i k (SchwZStr 45 [1931], S. 151 ff.) zurück. I h m folgte dann das Züricher Kassationsgericht, Bl. Zürch. Rspr. 35 (1936), Nr. 132 S. 283. 59 Außer dem vorerwähnten Bundesgerichtsurteil noch B G E 22 S. 411; 42 I 397; 53 I 74; ferner Obergericht Zürich, Bl. Zürch. Rspr. 34 (1935), Nr. 34 S. 82 ( = SchwJZ 31 [1934/35], S. 266 ff.); 36 (1937), Nr. 68 S. 141 f.; 37 (1938), Nr. 86 S. 186 f.; i n 37 (1938), Nr. 103 S. 212, wurde dieser Standpunkt aber aufgegeben. 60 BGE 56 I 559 : keine qualitativen, n u r quantitative Unterschiede (im selben Band wie das Bassanesi-Urteil!); B G E 63 I 326 ff., 331 (nicht ganz k l a r BGE 63 I 332 ff., 334); 64 (1938) I 365 ff., 375; ferner Kassationsgericht Zürich, Bl. Zürch. Rspr. 35 (1936), Nr. 132 S. 283; Obergericht Zürich, Bl. Zürch. Rspr. 37 (1938), Nr. 103 S. 212 ( = SchwJZ 34 [1937/38], S. 378 Nr. 289); 39 (1940), Nr. 21 S. 51, Nr. 38 S. 86, Nr. 89 S. 183. 61 Gegen sie Hafter, Lehrbuch, 1. Aufl., S. 90, A n m . 1 (S. 91); Renold, S. 1,
Anm. 2; Baer, S. 13, 14 ff.; Schreiber, S. 29 ff., 31; Zeller,
S. 11; Oukhtomsky, S. 44 ff.; Jucker,
Festgabe für Zürcher, S. 116 ff. Vielfach w i r d überhaupt
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Haltung i n dieser Frage scheinen m i r einige Äußerungen Zellers zu sein, m i t denen er die Lehren Goldschmidts und seines Schülers Hof acker zurückweist: „Es gibt keinen Gegensatz zwischen Verfassung und Verwaltung . . . Der Bestand an Rechtsnormen, der die Verfassung ausmacht, und der ja für die Verwaltung die Grundlage ihrer Tätigkeit bildet, hat letzten Endes das gleiche Ziel wie die Verwaltung, die Wahrnehmung und Förderung der allgemeinen Interessen... und der formelle Ungehorsam existiert gar nicht, weil i n i h m immer etwas Reales, gegen das sich der Ungehorsam richtet, zugrunde liegt. I n . . . Wahrheit beruht die ganze Unterscheidung . . . auf einer bestimmten staatsrechtlichen Auffassung, nämlich auf derjenigen, daß es einen Gegensatz gebe zwischen den Interessen des Staates und den Interessen des Substrates, des Staatsvolkes. Die Anhänger dieser Anschauung sehen i n der Verwaltung etwas Minderwertiges, dem Individuum feindliches, oder zum mindesten sehen sie in den Interessen der Individuen etwas Höheres als i n den Interessen der Verwaltung, weshalb die Interessen der einzelnen und des Staates als Gesamtheit als Rechtsgüter bezeichnet werden, während den Interessen der Verwaltung eine solche Qualifikation nicht zugebilligt wird. Nun zeigt eine genaue Betrachtung, daß sich der Unterschied zwischen Rechtsgut und Verwaltungsinteresse gar nicht durchführen läßt 6 3 ." Die Schweizer Auffassung ging auch niemals dahin, die Polizeistraftaten seien gegen das Verwaltungsinteresse gerichtet. Man sah i n ihnen — soweit es sich u m sogenannte echte Polizeidelikte handelte — immer nur Verletzungen der öffentlichen Ordnung, Beeinträchtigungen des Zusammenlebens der Bürger, was sie als öffentlicher Sühne bedürfendes (nicht auf den Raum des Verwaltungsmäßigen beschränktes) Unrecht auswies 64 . I m übrigen war das Polizeistrafrecht der Schweizer Kantone von jeher mehr ein Bagatellstrafrecht. Deshalb konnte es auch ohne weiteres i n das neue Übertretungsstraf recht eingehen; es fand oft kaum mehr als eine Änderung des Namens statt.
keine Notiz von i h r genommen. Pfund erwähnt sie lediglich, ohne sich m i t i h r auseinanderzusetzen (ZSchwR 90 [1971], S. 121 m i t A n m . 21). — M i t Bezug auf die Fiskaldelikte w i l l Busch (S. 1 ff., 17 ff.) danach unterscheiden, ob eine Tat gegen einen „naturrechtlichen Satz" verstößt oder nicht. 62 Verbrechen, S. 114. 63 Festgabe für Zürcher, S. 117. — Renold macht gegen Goldschmidt u. a. geltend, daß es eine „staatsrechtliche Ermächtigung" der V e r w a l t u n g i m Sinne Goldschmidts i m Schweizer Bundesrecht überhaupt nicht gebe, da die Bundesverwaltung nirgends befugt sei, unabhängig von der gesetzgebenden Gewalt des Bundes Strafvorschriften zu setzen (S. 1, A n m . 2). Er w i l l damit sagen, der V e r w a l t u n g sei i n der Schweiz kein eigenes Betätigungsfeld außerhalb der Rechtsordnung überlassen. 64 Renold, S. 8; Baer, S. 10 ff. Nicht ganz k l a r Pfund, a.a.O.
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2. Teil:
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4. Die Übertretungen im geltenden Strafrecht I m h e u t i g e n Schweizer S t r a f r e c h t lassen sich folgende G r u p p e n v o n Übertretungstatbeständen unterscheiden : a) g e r i n g f ü g i g e V e r l e t z u n g e n oder G e f ä h r d u n g e n der i m S t G B geschützt e n Rechtsgüter. Sie w e r d e n w e g e n des engen Z u s a m m e n h a n g e s m i t d e n entsprechenden V e r b r e c h e n s - u n d V e r g e h e n s t a t b e s t ä n d e n i n d e n selben T i t e l n b e h a n d e l t w i e d i e s e 6 5 ; b) Ü b e r t r e t u n g e n b u n d e s r e c h t l i c h e r B e s t i m m u n g e n i m S i n n e des 19. T i t e l s des S t G B ( A r t . 323 - 332) 6 6 ; c) Ü b e r t r e t u n g e n b u n d e s r e c h t l i c h e r Nebengesetze (Polizei-, V e r w a l t u n g s - u n d Fiskalgesetze; sie e n t h a l t e n a l l e r d i n g s n i c h t n u r Ü b e r t r e tungstatbestände) ; d) k a n t o n a l e s Ü b e r t r e t u n g s s t r a f r e c h t . V e r l e t z u n g s d e l i k t e i m S i n n e v o n a) w e r d e n k a u m v o r k o m m e n , da m a n a n n i m m t , das S t G B e n t h a l t e eine abschließende Regelung, die es d e n K a n t o n e n v e r w e h r e , ü b e r die d o r t b e h a n d e l t e M a t e r i e A b w e i c h e n d e s z u b e s t i m m e n . Ü b e r t r e t u n g s s t r a f e n s i n d n u r H a f t (bis z u d r e i M o n a t e n , A r t . 39) u n d B u ß e (Höchstbetrag r e g e l m ä ß i g 5 000 F r a n k e n , A r t . 106), die als n i c h t i m engeren S i n n e k r i m i n e l l e S t r a f e n gelten. D i e B u ß e k a n n auch V e r gehensstrafe s e i n 6 7 . Das S t G B l ä ß t b e i Ü b e r t r e t u n g e n die V e r w a h r u n g 65 So ζ. B. Tätlichkeiten ohne Körperverletzung (Art. 126); Verabreichen geistiger Getränke an K i n d e r (Art. 136); Entwendung (Art. 138); geringfügige Veruntreuung oder Unterschlagung (Art. 142) ; boshafte Vermögensschädigung ohne Betrugsabsicht (Art. 149) ; unzüchtige Belästigung, Anlocken zur Unzucht usw. (Art. 205 -212); fahrlässige Begehungsformen: z.B. des I n v e r k e h r b r i n gens gefälschter Waren (Art. 154 Ziff. 2), der Tierquälerei (Art. 264 Ziff. 2), der Urkundenfälschung i m A m t (Art. 317 Ziff. 2) u. a.; ferner sogenannte Ungehorsamsdelikte (im 15. T i t e l „Strafbare Handlungen gegen die öffentliche G e w a l t " : Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen, A r t . 292 ; Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen, A r t . 293; Übertretung eines Berufsverbotes, A r t . 294, oder des Wirtshaus- u n d Alkoholverbotes, A r t . 295) ; auch Nichtanzeigen einer Schwangerschaftsunterbrechung durch den sie vornehmenden A r z t (Art. 121), Herausforderung zum Zweikampf (Art. 130); schließlich Presseübertretungen (Art. 322). 66 Ungehorsam i m Zwangsvollstreckungs- oder Konkursverfahren (Art. 323, 324); ordnungswidrige F ü h r u n g der Geschäftsbücher (Art. 325); Nachmachen von Geld, amtlichen Wertzeichen, Postwertzeichen ohne Fälschungsabsicht (Art. 327, 328); Verletzung militärischer Geheimnisse (Art. 329); Handeln m i t militärisch beschlagnahmtem Material (Art. 330), unbefugtes Tragen der m i l i tärischen U n i f o r m (Art. 331); Nichtanzeige eines Fundes (Art. 332). A r t . 326 lehnt die Strafbarkeit juristischer Personen u n d nicht rechtsfähiger Handelsgesellschaften ab u n d macht i n den Fällen der A r t . 323 - 325 die Organe u n d bevollmächtigten Vertreter verantwortlich. Entsprechend A r t . 172. Eine Haft u n g des Verbandes für die verhängte Strafe ist nicht vorgesehen (sie k o m m t aber i m Nebenstrafrecht v o r ; vgl. z. B. A r t . 35 des Atomenergiegesetzes v o m 23. Dezember 1959, AS 1960 S. 541). 67 Hauptstrafe, A r t . 48 StGB. Dann beträgt sie regulär 40 000 Fr.
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(als Gewohnheitsverbrecher) überhaupt nicht (Art. 103, 42 StGB), die Eintragung ins Straf register nur i n bestimmten Fällen zu 6 8 ; Versuch und Beihilfe werden nur bei ausdrücklicher Vorschrift bestraft (Art. 104 Abs. 1 StGB), und ebenso dürfen Anstaltseinweisung, die Nebenstrafen des Entzugs der elterlichen Gewalt und der Vormundschaft, des Berufsoder Gewerbeverbotes, der Landesverweisung sowie die Maßnahme der Urteilsveröffentlichung nur i n den besonders bestimmten Fällen verhängt werden (Art. 104 Abs. 2). — Die Abweichungen von den Verbrechens- und Vergehensregeln folgert man nicht aus einer Wesensverschiedenheit der Übertretungen, sondern aus ihrer geringen K r i m i n a l i t ä t 6 9 . I h r Charakter als kriminelle Delikte (geringer Schwere) hat die Anwendbarkeit der Vorschriften über den bedingten Strafvollzug, die Straferhöhungs- und -milderungsgründe, den Rückfall, die Begnadigung sowie der immerhin nach einzelnen Gesetzen möglichen Anstaltseinweisung bei Liederlichen und Arbeitsscheuen und eines Teiles der Nebenstrafen und Maßnahmen zur Folge. Das Vereinheitlichungsbestreben, das jede nicht durch den Bagatellcharakter der Übertretungen bedingte Abweichung von den allgemeinen Verbrechensnormen vermeiden w i l l , zeigt sich insbesondere i n dem Grundsatz des A r t . 102 70 und der Geltung des Schuldprinzips m i t dem grundsätzlichen Vorsatzerfordernis auch bei Übertretungen (allerdings m i t der bedeutsamen Ausnahme des A r t . 333 Abs. 3) 71 . F ü r die Übertretungen fiskalischer Bundesgesetze sowie einiger weniger Bundesverwaltungsgesetze 72 sah das Bundesgesetz über die Bundes strafrechtspflege vom 15. Juni 1934 (BS 3, S. 303) i n seinem \aerten und fünften Teil jeweils ein besonderes Verfahren vor (sogenanntes Bescheidsverfahren) 73 , das von der zuständigen Bundesverwaltungsbehör68 Bei H a f t oder Buße von mindestens 200 Fr. (Art. 360 lit. b StGB; A r t . 9 Ziff. 2 der eidgenössischen Strafregisterverordnung v o m 21. Dezember 1973, AS 1974 S. 57): Eintragung i n das Zentralstrafregister u n d auf G r u n d eines Vorbehalts zugunsten der Kantone (Art. 22 Strafregisterverordnung) i n das kantonale Strafregister. Darüber hinaus ist den Kantonen zugestanden, über Verurteilungen des ihnen nach A r t . 335 StGB vorbehaltenen Übertretungsstrafrechts besondere K o n t r o l l e n zu führen. Über die sogenannte „kantonale Strafkontrolle" oder „Sonderkontrolle" siehe näher Rüegg, SchwZStr 76 (1960), S. 399; ferner Aeppli, S. 10, A n m . 33. — Die früher bei Verbrechen zwingend u n d bei Vergehen i m Falle ehrloser Gesinnung mögliche Nebenstrafe des E h r verlustes (Art. 52 StGB) w a r bei Übertretungen ausgeschlossen (Art. 103 StGB). Die Bestimmung wurde durch B G v o m 18. März 1971, AS 1971 S. 777, gänzlich aufgehoben. 69 Hafter, Lehrbuch, 2. Aufl., S. 98. 70 Vgl. o. S. 250, A n m . 33. 71 Vgl. o. S. 246, A n m . 8. 72 Die Ausführung der meisten Bundesverwaltungsgesetze obliegt den K a n tonen; entsprechend ist die Bestrafung der Zuwiderhandlungen gegen diese Gesetze der kantonalen Gerichtsbarkeit überlassen.
73
Stämpfli, Anm. 1 zu Art. 293. Art. 279 - 320 bei Fiskalübertretungen; Art.
321 - 326 bei Übertretung anderer Bestimmungen des Bundesverwaltungs17 Mattes
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2. T e i l :
echtsvergleichende Untersuchung
de bis z u m E r l a ß e i n e r S t r a f v e r f ü g u n g d u r c h g e f ü h r t w u r d e , gegen d i e A n t r a g auf gerichtliche Entscheidung möglich w a r . D i e Behörde konnte n u r a u f G e l d s t r a f e e r k e n n e n . „ Ü b e r t r e t u n g " i s t h i e r b e i n i c h t i m technischen S i n n e des A r t . 101 S t G B z u verstehen, s o n d e r n m e i n t alle Z u w i d e r h a n d l u n g e n gegen d i e b e t r e f f e n d e n Gesetze 7 4 , d i e n i c h t bloße O r d n u n g s w i d r i g k e i t e n s i n d 7 5 . Meistens s t e l l e n diese D e l i k t e a l l e r d i n g s U b e r t r e t u n g e n i m S i n n e des A r t . 101 S t G B dar. Das a m 1. J a n u a r 1975 i n K r a f t getretene Bundesgesetz ü b e r das V e r w a l t u n g s s t r a f r e c h t v o m 22. M ä r z 1974 ( A S 1974 S. 1857) h o b d e n 4. u n d 5. A b s c h n i t t des Bundesgesetzes ü b e r d i e Bundesstrafrechtspflege a u f 7 6 . Es findet A n w e n d u n g , w e n n d i e V e r f o l g u n g u n d B e u r t e i l u n g v o n W i d e r h a n d l u n g e n 7 7 e i n e r V e r w a l t u n g s b e h ö r d e des B u n d e s ü b e r t r a g e n w o r d e n i s t ( A r t . I ) 7 8 . U n t e r s u c h u n g u n d A b u r t e i l u n g d u r c h S t r a f - oder E i n z i e hungsbescheid liegen, sofern k e i n e F r e i h e i t s s t r a f e i n B e t r a c h t k o m m t , w i e b i s h e r i n der H a n d d e r f a c h k u n d i g e n V e r w a l t u n g ( A r t . 64, 66). D e r rechts. Diese Bestimmungen galten n u r subsidiär, soweit nämlich die einschlägigen Einzelgesetze u n d die Ausführungsverordnungen keine besonderen Vorschriften enthielten (Art. 279, 321). 74 Das Gesetz über die Bundesstrafrechtspflege wurde bereits vor dem StGB erlassen. Das Bundesstrafrecht kannte damals keine gesetzliche Deliktseinteilung. 75 Stämpfli, A n m . 1 zu A r t . 279. Über die sogenannten Ordnungsverletzungen, bei denen gegen die Verwaltungsstrafverfügung keine gerichtliche E n t scheidung angerufen werden kann, vgl. u. S. 282 ff. 76 D a m i t wurde die Unterscheidung von Verstößen („Übertretungen", W i d e r handlungen) gegen fiskalische u n d andere Bundesverwaltungsgesetze aufgegeben (vgl. o. A n m . 73). Es sollten dadurch die Rechtszersplitterung beseitigt, v i e l fach veraltete Rechtsinstitute m i t rechtsstaatlichen Grundsätzen i n Einklang gebracht sowie schließlich das Haftrecht u n d die A n o r d n u n g von Freiheitsentzug den Prinzipien der Europäischen Menschenrechtskonvention, der die Schweiz bisher nicht beigetreten ist, angepaßt werden (Botschaft des Bundesrates v o m 21. A p r i l 1971, BB1. 1971 I 2 S. 1000 f.). Z u m letzten vgl. Peter, SchwZStr 90 (1974), S. 357, ohne nähere Stellungnahme; Trechsel, Menschenrechtskonvention, S. 199, spricht sich dagegen aus, daß Verwaltungsbehörden Freiheitsstrafen ausfällen; a. A. Bischofsberg er, S. 72, u n d Clerc, SchwZStr 90 (1974), S. 192, der aber das Verhältnis der Menschenrechtskonvention zur k a n tonalen Gesetzgebung aufgreift; zur Frage des Verfassungsranges vgl. Wildhaber, Z B J V 1969, S. 249 ff. Über die staatsrechtliche Problematik i n Österreich vgl. o. S. 219, A n m . 4. 77 Demgegenüber heißt es i m B G über die Bundesstrafrechtspflege „ Ü b e r tretungen" (Art. 279 ff.). Über den Begriff vgl. o. A n m . 74. I n der Botschaft des Bundesrates werden beide Ausdrücke entsprechend u n d ohne nähere Erläuterung verwendet (a.a.O., S. 1000 f.), was dafür spricht, daß es sich u m keinen materiellen Unterschied handelt. 78 Der Geltungsbereich des Gesetzes, u n d zwar auch seiner materiellrechtlichen Bestimmungen (Art. 2 -18), bestimmt sich also nach einem rein formellen K r i t e r i u m . E r w i r d sich vorerst auf die Steuern, das Zollwesen u n d das Alkoholmonopol, das B a n k - u n d Kreditwesen, den Post- u n d Fernmeldeverkehr, die Rohrleitungsanlagen, die L u f t f a h r t , die elektrischen Anlagen, das Filmwesen, die Landwirtschaft u n d die Privatversicherung erstrecken. Siehe auch weiter u. S. 285 ff.
Schweiz
259
Verurteilte kann Einsprache erheben (Art. 67), worüber die Verwaltung — i m Gegensatz zum früheren Recht — den Sachverhalt nochmals überprüft und erst jetzt eine Straf- oder Einziehungsverfügung erläßt m i t der Möglichkeit gerichtlicher Beurteilung durch das kantonale Gericht (Art. 69, 70). I m Einverständnis m i t der Verwaltung kann der Einsprecher das Einspracheverfahren überspringen und die Einsprache als Begehren u m Beurteilung durch das Strafgericht behandelt wissen (Art. 71). Wiegt die Widerhandlung dagegen so schwer, daß die Voraussetzungen einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßnahme gegeben erscheinen, so überweist die Verwaltung den Fall zur Beurteilung durch das zuständige kantonale Gericht (Art. 21 Abs. 1, 22, 73). Dieses ist auch zuständig zum Erlaß eines Haftbefehls (Art. 53 Abs. 2). — Der materielle Geltungsbereich des Gesetzes ist sehr weit gespannt. Widerhandlungen können die einfache Mißachtung mündlicher Anordnungen des Postpersonals sein; aber auch der raffinierte Abgabebetrug großen Stils fällt darunter 7 9 . I I I . Das kantonale Ubertretungsstrafrecht 1. Allgemeine Übersicht
Was bisher vom schweizerischen Ubertretungsstrafrecht gesagt wurde, gilt i m grundsätzlichen ebenso für das kantonale Ubertretungsstrafrecht. Auch soweit die Kantone hier eine Strafgesetzgebungsbefugnis behalten haben, fügt sich i h r Ubertretungsstrafrecht i n den erörterten Begriff der Übertretung, wie er dem StGB von 1937 zugrunde liegt, ein. Aus A r t . 335 StGB darf man nicht schließen, zum mindesten i n den Kantonen seien Verwaltungs- und Polizeistrafrecht aus dem Kriminalstrafrecht infolge einer angenommenen Wesensverschiedenheit ausgesondert. Es werden auch alle Übertretungen des jeweiligen kantonalen Rechts gleich behandelt, wobei die einzelnen Rechte beträchtliche Verschiedenheiten vor allem i n verfahrensrechtlicher Hinsicht auf weisen, während sie i n den allgemeinen Vorschriften des materiellen Rechts nicht wesentlich voneinander und vom Bundesrecht abweichen 1 . 79 Peter, SchwZStr 90 (1974), S. 343 ff., teilt sie i n vier Gruppen ein, und zwar nach der Ausgestaltung des Verfahrens. 1 Soweit nicht besondere Fundstellen angegeben sind, wurden die hier behandelten kantonalen Gesetze den von den jeweiligen Staatskanzleien der Kantone herausgegebenen Gesetzessammlungen entnommen. — Vgl. ferner Trechsel; Thormann, Festgabe für Lotmar, S. 37 f.; Clerc, SchwZStr 88 (1972), S. 337 ff., sowie dessen Chroniken i n SchwZStr; für Bern und Zürich siehe
Schultz, ZBJV1971, S. 329 ff., und Aeppli.
Das Verfahren liegt grundsätzlich i n der Hand der Kantone. Die Übertretungen von Bundesgesetzen werden, soweit dafür nicht die Zuständigkeit einer Bundesverwaltungsbehörde begründet ist (vgl. o. S. 258 f.), regelmäßig nach demselben Verfahren verfolgt wie die kantonalen Übertretungen. Siehe auch
Aeppli, S. 3. n*
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2. Teil:
echtsvergleichende Untersuchung
Die Kantone regeln ihr Übertretungsstrafrecht zum Teil i n Einführungsgesetzen zum StGB (mit denen sie ihr Strafrecht an den durch das StGB geschaffenen Rechtszustand angeglichen haben). Vielfach w u r den die alten Ubertretungsbestimmungen i m wesentlichen beibehalten bzw. übernommen und r.ur in Einzelheiten entsprechend dem neuen Recht geändert (auch dies zeigt, daß schon das alte Recht keine qualitative Unterscheidung kannte), so daß die Verschiedenheiten der früheren Rechte vor allem i m Verfahren erhalten blieben. Bei dieser durch die Einführung des StGB bedingten Neuordnung des kantonalen Rechts wurde der Ausdruck „Polizeiübertretungen" vielfach fallengelassen und durch „Übertretungen" ersetzt, so daß beide i n den kantonalen Gesetzen vorkommen, ohne daß ein sachlicher Unterschied zwischen ihnen festzustellen wäre 2 . Sie dienen jeweils zur Bezeichnung des Bagatellstrafrechts. Für die Polizeiübertretungen ist weitgehend ihre örtlich begrenzte Bedeutung kennzeichnend. Aus diesem Grunde und wegen ihres Zusammenhanges mit den lokalen Verhältnissen werden sie vielfach von den örtlichen Instanzen geahndet. Dies dürfte wohl i n der Hauptsache dazu geführt haben, Verwaltungsbehörden 3 Strafbefugnisse zuzuerkennen 4 . Polizeistrafgesetzbücher gibt es i n Basel-Stadt (vom 23. September 1872), Zug (vom 7. November 1940), Nidwalden (vom 27. A p r i l 1941). Appenzell IRh., Graubünden, Luzern, Obwalden, St. Gallen hoben ihre Polizeistrafgesetzbücher mit Inkrafttreten des StGB auf; zum gleichen Zeitpunkt setzten Aargau den größten Teil seines Zuchtpolizeigesetzes vom 19. Hornung (Februar) 18685 und Schwyz das Luzerner PolStG, das es vorher angewendet hatte, außer Kraft. Übertretungsgesetze bestehen i n der Waadt und i m Wallis. I n anderen Kantonen enthalten die Einführungsgesetze zum StGB Ubertretungstatbestände; allenthalben findet man noch ein mehr oder weniger ausgedehntes Nebenstrafrecht. I m Tessin ζ. B. gibt es ein Gesetz betreffend das Verfahren bei Übertretungen (vom 29. Mai 1941 - 27. Juni 1960), während etwa Basel-Stadt und 2
Schreiber, S. 30. I n der Regel solchen der Ortsinstanz wie Gemeinderat, Gemeindeammann; seltener der Bezirksinstanz wie Bezirksammann. 4 A u f den Zusammenhang dieses Polizeistrafrechts m i t der früheren Niedergerichtsbarkeit weist noch das Gesetz über die Organisation der Gerichtsbehörden des Kantons Zug v o m 3. Oktober 1940 hin, das die Strafrechtspflege i n eine niedere u n d eine höhere einteilt, wobei die niedere (außer v o m Polizeirichter) von örtlichen Stellen, den Einwohnerräten u n d den Polizeiämtern, ausgeübt w i r d . Nach dem früheren Organisationsgesetz v o m 20. J u l i 1905 oblag die „niedere Strafpolizei" (im Gegensatz zur „höheren Strafrechtspflege") den Einwohnerräten u n d der Kantonspolizeidirektion. Bei geringfügigen Sachen waren auch die Polizeiämter zuständig. A n die Stelle der Kantonspolizeidirektion ist jetzt der Polizeirichter getreten (ein Zeichen für die fortschreitende „Justifizierung" u n d die Angleichung an allgemeine Regeln). 5 Es wurde ganz aufgehoben (zusammen m i t dem EGStGB v o m 21. J u l i 1941) durch § 250 des Gesetzes über die Strafrechtspflege (Strafprozeßordnung) v o m 11. November 1958. 3
Schweiz
261
Zürich 5a das Polizei- oder Übertretungsstrafverfahren i n besonderen A b schnitten ihrer Strafprozeßordnungen regeln. Zuständigkeitsverteilung und Verfahren i n den einzelnen Kantonen bieten auch heute noch ein buntes Bild, das oft recht altertümlich anmutende Formen aufweist. 2. Das materielle Polizei- oder Übertretungsstrafrecht
U m eine Übersicht über die Gegenstände des kantonalen Polizeistrafrechts und die i n i h m geltenden allgemeinen Regeln zu gewinnen, seien stellvertretend die des Polizeistrafgesetzes von Basel-Stadt vom 23. September 18726, von dem Stooß meinte, es habe „das Wesen des Polizeiunrechts tiefer erfaßt als alle anderen schweizerischen Strafgesetze" 7 , angeführt, wobei auch auf abweichende allgemeine Bestimmungen i n andern kantonalen Rechten hingewiesen werden soll. Das Basler PolStG enthält eine umfassende Kodifikation des materiellen kantonalen Polizeistrafrechts. Es macht damit (anders als i n den übrigen Kantonen) städtische Polizeiverordnungen weitgehend überflüssig; auch die Verwaltungsgesetze haben aus diesem Grunde nur wenige Übertretungstatbestände 8 . Das EGStGB Basel-Stadt vom 30. Oktober 19419 änderte das PolStG i n zum Teil bedeutsamer Weise (so wurde der Allgemeine Teil neu kodifiziert), ließ jedoch die Grundstruktur i m ganzen unverändert. Der Besondere Teil blieb i m wesentlichen unberührt. Polizeiübertretungen sind (wie schon früher) nach § 1 PolStG Handlungen oder Unterlassungen, auf die i n kantonalen Gesetzen, Verordnungen oder Polizeivorschriften Polizeistrafe 10 angedroht ist, also 5a Vgl. eingehend Aeppli. — Die Arbeiten über die Revision des G V G v o m 29. Januar 1911, der StPO v o m 4. M a i 1919 — 6. J u l i 1941 u n d des EGStGB v o m 6. J u l i 1941 waren am 11. Februar 1974 beendet. A m 30. J u n i 1974 w a r darüber ein Volksentscheid vorgesehen. Gleichzeitig sollte über eine I n i t i a t i v e zur Bekämpfung der Jugendkriminalität abgestimmt werden, deren Zurückweisung der Große Rat empfohlen hatte. Die wahlberechtigten Bürger entschieden sich indessen für die Annahme der I n i t i a t i v e u n d ein damit nicht zu vereinbarendes Gesetz zur Änderung des Jugendgerichtsverfahrens, so daß am 8. Dezember 1974 eine erneute A b s t i m m u n g stattfinden mußte. Vgl. dazu Clerc, SchwZStr 90 (1974), S. 193; 91 (1975), S. 77. Die eingangs erwähnten Reformgesetze sind bis jetzt offenbar nicht i n K r a f t getreten. 6 Gesamtausgabe der Gesetzessammlung, Bd. 2, S. 1247. — Eine Revision des PolStGB ist i m Gange. A m 5. Februar 1974 wurde dem Großen Rat ein Kommissionsentwurf zugeleitet (vgl. Clerc, SchwZStr 90 [1974], S. 191).Erwurde, soweit ersichtlich, nicht veröffentlicht. Das Material w a r m i r auch sonst nicht zugänglich. Der Darstellung w i r d daher das geltende Polizeistrafrecht zugrunde gelegt. 7 Grundzüge, I , S. 168; ebenso Germann, SchwZStr 49 (1935), S. 313, A n m . 1
a. E., S. 314; Oukhtomsky, S. 12. 8 Baer t S. 15,16. 9 Thormann-v. Overbeck, III, S. 265.
10 H a f t bis zu 42 Tagen u n d Geldbußen bis zu 1000,— Fr. — bei Gewinnsucht m e h r — , falls nicht ein anderes Höchstmaß bestimmt w i r d , §§ 11,12,15.
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2. Teil:
echtsvergleichende Untersuchung
schlechthin die kantonalen Übertretungen. Die Übertretungen des Bundesrechts gehören demnach nicht zu den Polizeiübertretungen. Sie werden aber wie diese abgeurteilt 1 1 . Das Gesetz enthält i n den 17 Abschnitten des zweiten Teils Übertretungen i n bezug auf einzelne öffentliche Verpflichtungen 1 2 ; öffentliche Abgaben; Gottesdienst, Sonntagsfeier, Erziehung; sittenpolizeiliche Übertretungen; Übertretungen bezüglich Spiele und Lotterien; Störungen der öffentlichen Ruhe und Sicherheit; sanitätspolizeiliche Übertretungen; Übertretungen bezüglich Tierhaltung; Nichtbefolgen der Vorschriften über Niederlassung und Aufenthalt; Übertretungen durch Landstreicherei, Betteln, abergläubische Künste, Kollektieren; maschinenpolizeiliche, bau-, feuer-, wasser-, straßenpolizeiliche Übertretungen; Übertretungen i n bezug auf Pflanzenschutz-, Feld- und Waldpolizei; auf Münze, Maß und Gewicht, Marktpolizei; Gewerbepolizeiübertretungen. Für die Polizeiübertretungen gelten aushilfsweise die allgemeinen Bestimmungen des StGB über Verbrechen und Vergehen, nicht jedoch die für Übertretungen (§ 4 PolStG). Die andern kantonalen Rechte machen diese Einschränkung meistens nicht. Der Grundsatz n u l l u m crimen nulla poena sine lege ist anerkannt (§ 1 PolStG). I n der Schweiz dürfen Verwaltungsbehörden, die zum Erlaß verwaltungsrechtlicher, besonders polizeilicher Vorschriften gesetzlich ermächtigt sind, i m Zweifel die Übertretung dieser Vorschriften m i t Strafe bedrohen, also Übertretungstatbestände (und nur diese) schaffen 13 . I m Einklang damit werden verschiedentlich Verwaltungsbehörden ausdrücklich ermächtigt, selbst Strafen anzudrohen, wenn das Gesetz, dessen Ausführung ihnen obliegt, keine solche Strafdrohung enthält 1 4 . Mitunter sieht man hierin einen Verstoß gegen den Grundsatz nulla poena sine lege 15 . I n Basel kann nur der Regierungsrat (die m i t der Staatsverwaltung beauftragte oberste vollziehende Behörde des Kantons) Verordnungen m i t Polizeistrafandrohungen erlassen und nur, wenn das betreffende Gesetz der Verordnung die A u f 11 § 37 Ziff. 2 des Ges. betreffend W a h l u n d Organisation der Gerichte und der richterlichen Beamtungen (Gerichtsorganisationsgesetz) v o m 27. J u n i 1895 — 25. Januar 1966 (Sammlung, Bd. 41 n. F., S. 10 f.). 12 ζ. B. verbotener Verkehr m i t Gefangenen, unbefugte Siegelanfertigung, Titelmißbrauch, unterlassene Hilfeleistung, Mißbrauch von Alarmeinrichtungen usw. 13 Bundesgericht B G E 63 I 8 ff., 15 f.; 326 ff., 330; dort auch weitere Rechtsprechungsnachweise; ständige Rechtsprechung des Bundesgerichts. 14 So Zürich, §328 des Ges. betreffend den Strafprozeß v o m 4. M a i 1919; Schaffhausen, A r t . 9 EGStGB v o m 22. September 1941 (Thormann-v. Overbeck, I I I , S. 331) ; Glarus, A r t . 4 EGStGB v o m 2. M a i 1965. — Vgl. aus dem Bundesrecht z. B. A r t . 103 des B G über den Straßenverkehr v o m 19. Dezember 1958, AS 1959 S. 679. 15 Schreiber, S. 67. Zweifelnd Karmann, SchwJZ 1960, S. 215. Dies scheint aber nicht die überwiegende Meinung zu sein. Vgl. zu der Frage näher Ger-
mann, Kommentar, Art. 1, Anm. 3 ff.
Schweiz
263
Stellung v o n S t r a f v o r s c h r i f t e n ü b e r l ä ß t 1 6 . I n d e n a n d e r n K a n t o n e n s i n d die Gemeinden vielfach auf G r u n d der Gemeindeautonomie z u m Erlaß g e n e r e l l e r P o l i z e i s t r a f v o r s c h r i f t e n zuständig. E i n solches selbständiges Strafsetzungsrecht f e h l t i n B a s e l - S t a d t 1 7 . D e r S c h u l d g r u n d s a t z i s t a n e r k a n n t , doch g e n ü g t i n d e r Regel F a h r l ä s s i g k e i t z u r B e s t r a f u n g 1 8 . F ü r d e n R e c h t s i r r t u m g i l t § 8 P o l S t G 1 9 . Das B e w u ß t s e i n d e r R e c h t s w i d r i g k e i t ist n i c h t e r f o r d e r l i c h 2 0 . § 8 P o l S t G g e h t d a v o n aus, daß d i e „ U n k e n n t n i s der Polizeivorschriften" i m allgemeinen auf Fahrlässigkeit beruhe, u n d gibt an, w e l c h e W i r k u n g d e r n u r i n A u s n a h m e f ä l l e n e n t s c h u l d b a r e „ R e c h t s i r r t u m " haben k a n n 2 1 . Versuch u n d Beihilfe werden n u r bei ausdrück16 § 2 Abs. 1 PolStG; i n Abs. 2 eine Ausnahmebefugnis f ü r außerordentliche u n d dringende Fälle. 17 Stadtstaat (keine Gemeindeautonomie neben der Staatsgewalt möglich). 18 § 7 PolStG; ebenso durchweg das kantonale Recht, z . B . Zug, § 3 PolStG v o m 3. November 1940 (Thormann-v. Overbeck, I I I , S. 216); Thurgau, § 31 EGStGB v o m 21. Dezember 1940 (a.a.O., S. 522); Zürich, A r t . 4 EGStGB v o m 6. J u l i 1941 (a.a.O., S. 1), u n d § 333 Abs. 3 StGB. 19 „Unkenntnis der Polizeivorschriften begründet, w e n n der Täter bei Begehung der Polizeiübertretung das achtzehnte Alters j ä h r vollendet hatte, i m allgemeinen weder Ausschließung noch M i l d e r u n g der Strafbarkeit. N u r w e n n sie i n einem besonderen Falle entschuldbar ist, k a n n der Richter statt auf H a f t auf eine geringe Geldbusse erkennen oder von einer Bestrafung Umgang nehmen." — Vgl. dazu die entsprechende Vorschrift des A r t . 20 StGB (der meistens auch i m kantonalen Übertretungsstrafrecht anzuwenden ist): „ H a t der Täter aus zureichenden Gründen angenommen, er sei zur T a t berechtigt, so k a n n der Richter die Strafe nach freiem Ermessen m i l d e r n (Art. 66) oder von einer Bestrafung Umgang nehmen." 20 Verbrechen hingegen konnten nach (früherer) ständiger Basler Rechtsprechung n u r bei Bewußtsein der Rechtswidrigkeit wegen vorsätzlicher Begehung bestraft werden (Germann, Verbrechen, S. 99, A n m . 1) ; das alte StG von Basel kannte keine dem § 8 (früher § 14) PolStG entsprechende Vorschrift. Das Bundesgericht verlangte f ü r das Bundesstrafrecht auf G r u n d von A r t . 11 des B G über das Bundesstrafrecht von 1853 f ü r den Vorsatz i n ständiger Rechtsprechung das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit (BGE 60 I 412, 418; 62 I 46, 51; 68 I V 21, 29); anders vielfach das kantonale Recht. F ü r das StGB geht das Bundesgericht i m Hinblick auf A r t . 18 Abs. 2, 20 StGB davon aus, daß ein B e w u ß t sein der Rechtswidrigkeit nicht zum Vorsatz gehöre (grundlegend BGE 70 I V 97, 98; ferner z.B. 82 I V 15, 17; 90 I V 43, 49). Die L i t e r a t u r w i l l A r t . 20 teilweise anders auslegen; überhaupt w i r d die Regelung des A r t . 20, die als Kompromiß zwischen entgegengesetzten Ansichten zustande kam, großenteils abgelehnt (siehe näher über den Stand der Meinungen Furger, S. 66 ff., 263 ff.; Wili, S. 38 ff., 53 ff., 118 ff. [zur beabsichtigten Revision des A r t . 20], jeweils m i t zahlreichen Hinweisen auf L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung). 21 Hafter sieht i n § 8 PolStG i m Gegensatz zu andern Schweizer Gesetzen, die den Rechtsirrtum f ü r gänzlich unbeachtlich erklärten, „wenigstens den A n satz zu einer richtigeren Behandlung" (Lehrbuch, 1. Aufl., S. 182), während Germann die Vorschrift als Beispiel f ü r die k r i m i n e l l e Farblosigkeit der Übertretungen hervorhebt, bei denen i m Gegensatz zu den Verbrechen ein Bewußtsein der Rechtswidrigkeit gleichgültig sei (Verbrechen, S. 99, A n m . 1). Wie Hafter auch Lerch, S. 121. — Die Vorschrift hat den Gegensatz v o n T a t - u n d Rechtsi r r t u m v o r Augen. Anscheinend beruht sie, wie m a n w o h l einem bei Heinrich Pfenninger, S. 755, zitierten Justizbericht von Basel entnehmen kann, auf der Ansicht, daß die Vorschriftskenntnis zwar i m allgemeinen unbeachtlich sei, i m
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2. Teil : Hechtsvergleichende Untersuchung
l i c h e r B e s t i m m u n g b e s t r a f t (§§ 9, 10 A b s . 3 P o l S t G ; ebenso i n v i e l e n a n d e r n K a n t o n e n , aber ζ. B . i n Z u g ist B e i h i l f e a l l g e m e i n s t r a f b a r , § 4 P o l S t G ) . N e u ist, daß d e r u n t a u g l i c h e u n d d e r u n v o l l e n d e t e V e r s u c h i n j e d e m F a l l e straflos b l e i b e n . N a c h d e m S t G B k a n n d e r R i c h t e r n u r b e i e i n e m u n t a u g l i c h e n V e r s u c h „ a u s U n v e r s t a n d " v o n einer B e s t r a f u n g a b sehen ( A r t . 23 A b s . 2), sonst die S t r a f e m i l d e r n ( A r t . 23 A b s . 1; f ü r d e n u n v o l l e n d e t e n u n d d e n beendeten V e r s u c h v g l . A r t . 21 u n d 22). E i n e n besonderen F a l l d e r m i t t e l b a r e n T ä t e r s c h a f t e n t h ä l t § 10 A b s . 2 P o l S t G : W e n n dem Familienoberhaupt, Hausherrn, Dienstherrn usw. polizeiliche P f l i c h t e n o b l i e g e n u n d diesen a u f seine A n w e i s u n g v o n F a m i l i e n a n g e h ö r i g e n , D i e n s t b o t e n , A r b e i t e r n u s w . z u w i d e r g e h a n d e l t w i r d , so t r i f f t n u r i h n d i e Strafe, „ s o f e r n n i c h t der T ä t e r besonderer p o l i z e i l i c h e r A b m a h n u n g oder A u f f o r d e r u n g z u w i d e r g e h a n d e l t h a t " . — E i n e H a f t u n g f ü r f r e m d e T a t oder f r e m d e S t r a f e k o m m t n i c h t a l l g e m e i n v o r ( w o h l aber m i t u n t e r i n besonderen F ä l l e n ) 2 2 , ebensowenig eine V o r s c h r i f t ü b e r die S t r a f b a r k e i t j u r i s t i s c h e r Personen. Es g i l t i m Schweizer S t r a f r e c h t ü b e r h a u p t die g r u n d s ä t z l i c h e A u f f a s s u n g , daß j u r i s t i s c h e Personen n i c h t s t r a f b a r s e i e n 2 2 a . D o c h h a f t e n sie ζ. B . i n U r i nach A r t . 7 E G S t G B v o m 4. M a i 1941 2 3 solidarisch n e b e n d e n v e r u r t e i l t e n O r g a n e n f ü r die gegen diese v e r h ä n g t e n G e l d s t r a f e n ( B u ß e n ) 2 4 . Dagegen b e s t i m m t e W a a d t i n Einzelfalle aber doch einmal für das (zum Vorsatz erforderliche) „verbrecherische Bewußtsein" unentbehrlich sein, der Rechtsirrtum daher den „verbrecherischen Vorsatz ausschließend" w i r k e n (u. U. sogar jedes Verschulden beseitigen) könne; daher müsse der Richter die Möglichkeit haben, dies i m gegebenen Falle entsprechend zu berücksichtigen. Zustimmend Furger, S. 56 f. Ä h n l i c h wollte auch Stooß i n § 8 PolStG Basel-Stadt eine (als gerechtfertigt anzuerkennende) Ausnahme von seinem Grundsatz der Unbeachtlichkeit des B e w u ß t seins der Rechtswidrigkeit f ü r solche Fälle sehen, i n denen „den Umständen nach die Rechtswidrigkeit des Verhaltens dem Täter nicht bekannt sein konnte" (Grundzüge, S. 202). 22 So können z. B. i n Thurgau etwa nach § 49 Abs. 3 der I. Verordnung über Jagd- u n d Vogelschutz v o m 10. A p r i l 1930 (Thurgauer Rechtsbuch, Nachtrag, I V , S. 350), § 120 Abs. 2 des Ges. über das Straßenwesen v o m 25. Februar 1939 (a.a.O., I I , S. 1931) die E l t e r n u n d Vormünder für die Taten der Minderjährigen bestraft werden (müssen es aber nicht), wenn sie nicht die Einhaltung ihrer Aufsichtspflicht nachweisen. Nach A r t . 486 StPO Waadt (Code de procédure pénale du canton de V a u d d u 3 septembre 1940) ist der Inhaber der Hausgewalt für die Zahlung der gegen einen seiner Hausgewalt unterstehenden M i n d e r jährigen unter 18 Jahren wegen einer Übertretung verhängten Geldstrafe v e r antwortlich. Die Vorschrift gilt auch nach I n k r a f t t r e t e n der neuen StPO v o m 12. September 1967 fort (Art. 511 C. c. p. du 12 septembre 1967, L o i d u 11 décembre 1967). A r t . 174 StPO Graubünden v o m 8. J u n i 1958 sah den m i t haftenden D r i t t e n generell vor u n d gab i h m das Recht der Einsprache gegen das Strafmandat des Kreispräsidenten (der die Übertretungen beurteilt, soweit nicht Verwaltungsbehörden zuständig sind) an den Kreisausschuß. Die Bestimmung wurde durch Volksentscheid v o m 7. A p r i l 1974 abgeschafft. (Die M i t t e i l u n g verdanke ich H e r r n Staatsanwalt Dr. Marty i n Bellinzona.) 22a Über die wechselnde Auffassung des Schweizer Bundesgerichts siehe Schultz, S. 101, m i t Nachweisen. 23 Thormann-v. Overbeck, I I I , S. 145.
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Art. 13 des Übertretungsstrafgesetzes 25 : „I. Wenn eine juristische Person eine Übertretung begeht, beispielsweise durch eines ihrer Organe i n Ausübung seiner Organtätigkeit, w i r d die Strafe regelmäßig gegen die eine oder die mehreren natürlichen Personen ausgesprochen, die die Übertretung begangen oder bei ihrer Begehung mitgewirkt haben. — II. Sind diese Personen jedoch nicht feststellbar, so w i r d die Strafe gegen die juristische Person ausgesprochen. Es kann nur auf Geldstrafe erkannt werden unbeschadet der zusätzlichen Maßnahmen, die i n der anzuwendenden Bestimmung vorgesehen sind." Bei besonders geringem Verschulden, ganz unbedeutenden Tatfolgen oder erheblicher Schadenersatzverpflichtung kann der Richter von Strafe absehen; dabei ist i h m anheimgestellt, eine Verwarnung zu erteilen (§19 PolStG) 26 . Uneinbringliche Geldbußen werden (wie allgemein i m kantonalen Straf recht) i n Haft umgewandelt (§ 15 PolStG). Erzwingungshaft ist nicht bekannt. Nebenstrafen sieht das PolStG nicht vor; die des StGB dürfen nicht angewendet werden ( § 1 1 PolStG). Neuenburg läßt allerdings die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenfähigkeit zu (Art. 5 Code pénal neuchâtelois du 20 novembre 1940)27. Auch sonst kommen in kantonalen Rechten einzelne Nebenstrafen und Maßnahmen vor. Die Verhängung sichernder Maßnahmen verbietet jedoch § 11 PolStG (mit Vorbehalt der kantonalen Versorgungsgesetze). Die Einziehung (Konfiskation) von Verbrechensgegenständen ist bei Waffen allgemein, sonst nur bei besonderer Vorschrift zulässig (§17 PolStG). Die übrigen Maßnahmen (Friedensbürgschaft, Verfall von Geschenken und anderen Zuwendungen zur Veranlassung oder Belohnung einer strafbaren Handlung, Urteilsveröffentlichung) dürften wohl anwendbar sein (gemäß § 4 Abs. 1 PolStG). Rückfall (in Form der Wiederholung der gleichen Polizeiübertretung) führt nach dem PolStG bei etlichen Delikten zu schwererer Bestrafung. Untersuchungshaft w i r d nach § 22 PolStG stets angerechnet (nach Art. 69 StGB nur, wenn der Verurteilte sie nicht veranlaßt oder verlängert hat). Nach § 3 Ziff. 3 der Verordnung vom 19. Dezember 1941 über die kantonale Kontrolle von Strafen und Maßnahmen und über das Strafre24 Die solidarische H a f t u n g der juristischen Person oder Gesellschaft für die Buße, die wegen einer i n deren Geschäftsbetrieb begangenen Übertretung v e r hängt w i r d , findet sich auch i m Nebenstrafrecht des Bundes (vgl. z. B. A r t . 115 des Landwirtschaftsgesetzes v o m 3. Oktober 1951, AS 1953 S. 1073). Dagegen Schultz, S. 101. Siehe jetzt aber auch A r t . 7 des B G über das Verwaltungsstrafrecht v o m 22. März 1974, AS 1974 S. 1857. 25 L o i du 4 février 1941 sur la répression des contraventions; Thor mann-
v. Overbeck, III, S. 590.
28 Ä h n l i c h A r t . 8 EGStGB Zürich: bei leichten Übertretungen Verweis an Stelle der Buße möglich.
27
Thormann-v. Overbeck, III, S. 657.
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2. Teil: Hechtsvergleichende Untersuchung
gister 2 8 sind die Verurteilungen wegen Übertretungen kantonalen Rechts einzutragen, die auf Haft oder Geldbuße von mindestens 50 Franken lauten. Bedingte Verurteilung oder bedingten Strafvollzug gibt es bei Polizeiübertretungen nicht (Art. 14 PolStG). Die meisten Kantone lassen aber den bedingten Strafvollzug entsprechend dem Bundesrecht (Art. 41 StGB) zu. Bei Tateinheit gilt das Absorptionsprinzip ( § 2 1 Abs. 1 PolStG) 2 9 , bei Tatmehrheit wie nach dem StGB (Art. 68) das Strafschärfungsprinzip (§ 21 Abs. 3 PolStG) 3 0 . Die übrigen Kantone haben das Absorptions- oder das Strafschärfungsprinzip. Genf ordnet aber i n A r t . 15 L o i pénale genevoise du 20 septembre 1941 31 Kumulation der Übertretungsstraf en an. Bei Tateinheit zwischen einer Polizeiübertretung und einem kriminellen Delikt entfällt die Polizeistrafe, bei Tatmehrheit t r i t t Strafschärfung gemäß A r t . 68 StGB ein (§ 21 Abs. 2 und 3 PolStG). Für Kinder und Jugendliche enthält § 24 PolStG besondere Bestimmungen. 3. Das Verfahren zur Ahndung der Übertretungen
a) Allgemeine
Übersicht
I n der Fülle der Verfahrensgestaltungen lassen sich folgende Verfahrensarten unterscheiden: das administrative Straf verfügungsverfahren m i t und ohne Möglichkeit, das ordentliche Strafgericht anzurufen, das richterliche Strafbefehlsverfahren (dem nach Einspruch das ordentliche Gerichtsverfahren folgt) und das ordentliche Strafgerichtsverfahren m i t oder ohne vorgängige Verwaltungsverfügung oder vorherigen richterlichen Strafbefehl. Jedoch hat sich nicht jeder Kanton für eines der genannten Verfahren entschieden, sondern verwendet mehrere nebeneinander, so daß die Übertretungen je nach ihrer A r t und Schwere i n verschiedener Weise abgeurteilt werden. I n den meisten Kantonen ist mindestens für einen Teil der Übertretungen das unmittelbar stattfindende gerichtliche Verfahren 32 vorgesehen 3 3 . Manche Kantone weisen Übertretungen grundsätzlich wie die 28
Gesamtausgabe der Gesetzessammlung, Bd. 2, S. 1391. I m StGB dagegen das Schärfungsprinzip, A r t . 68. 30 A r t . 68 StGB setzt aber Verurteilung zu mehreren Freiheitsstrafen voraus. Treffen Freiheitsstrafe u n d Buße zusammen, werden beide nebeneinander v e r hängt (Germann, A n m . zu A r t . 68; B G E 75 I V 1 ff.). 29
31
32
Thormann-v. Overbeck, III, S. 672.
Das ordentliche Verfahren m i t mündlicher Verhandlung oder der richterliche Strafbefehl m i t nachfolgendem ordentlichen Verfahren. 33 Jedoch ging ζ. B. i n Thurgau bei kantonalen Polizeiübertretungen dem ordentlichen Gerichtsverfahren immer eine Strafverfügung des Bezirksstatt-
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V e r b r e c h e n u n d V e r g e h e n u n m i t t e l b a r v o r die Gerichte, sofern n i c h t die Z u s t ä n d i g k e i t v o n V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n d u r c h besondere B e s t i m m u n g b e g r ü n d e t ist (ζ. B . f ü r d i e Ü b e r t r e t u n g e n e i n z e l n e r V e r w a l t u n g s g e s e t z e ) . I n der R e g e l f i n d e t d a n n eine m ü n d l i c h e V e r h a n d l u n g statt. Das V e r f a h r e n k a n n i n m a n c h e r H i n s i c h t v o m sonst ü b l i c h e n abweichen, u m i m H i n b l i c k a u f d i e g e r i n g e B e d e u t u n g der F ä l l e i h r e schnelle E r l e d i g u n g z u g e w ä h r l e i s t e n 3 4 . Diese F o r m h a b e n v o r a l l e m d i e welschen K a n t o n e ( i n A n l e h n u n g a n die D r e i t e i l u n g der G e r i c h t s o r g a n i s a t i o n i m französischen Recht) g e w ä h l t 3 5 , aber auch andere (insbesondere solche, d i e f r ü h e r die D r e i t e i l u n g der s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n k a n n t e n ) . A l s P o l i z e i r i c h t e r u r t e i l e n z u w e i l e n d i e B a g a t e l l r i c h t e r d e r z i v i l e n G e r i c h t s b a r k e i t , die F r i e d e n s r i c h t e r oder die G e m e i n d e g e r i c h t e ( i n diesem F a l l e besteht n u r noch ein geringer Unterschied zu dem Verfahren bei Erlaß einer Strafverfügung durch Gemeindebehörden)36. Soweit hierbei Gemeindebehörden e r s t i n s t a n z l i c h z u s t ä n d i g sind, n e h m e n sie eine D o p p e l s t e l l u n g e i n (als k o m m u n a l e V e r w a l t u n g s b e h ö r d e u n d als erste g e r i c h t l i c h e I n s t a n z i n Strafsachen m i t r i c h t e r l i c h e r U n a b h ä n g i g k e i t gegenüber d e r oberen V e r w a l t u n g s b e h ö r d e ) . I h r e E r k e n n t n i s s e h e i ß e n U r t e i l e , gegen die o r d e n t l i c h e R e c h t s m i t t e l ( n i c h t E i n s p r u c h ) a n ü b e r g e o r d n e t e G e r i c h t e gegeben s i n d 3 7 . D e r G e m e i n d e r a t h a t diese D o p p e l s t e l l u n g ζ. B . i m W a l l i s u n d i n d e r W a a d t 3 3 . D i e Ü b e r t r e t u n g e n w e r d e n i n der geschilderten W e i -
halters (der Bezirks Verwaltungsbehörde) voraus; dasselbe galt f ü r leichte Übertretungen von Bundesrecht, während die i n §§ 2 u n d 3 EGStGB v o m 21. Dezember 1940 (Thurgauer Rechtsbuch, I , S. 859) aufgezählten schwereren unmittelbar vor das Gericht kamen; § 4 EGStGB, Ges. betreffend die A b w a n d l u n g der Polizeistraffälle v o m 6. J u n i 1865 (a.a.O., I, S, 469). N u n m e h r urteilen die Bezirksämter durch Strafverfügung alle Übertretungen des eidgenössischen u n d kantonalen Rechts, außerdem eine Reihe strafbarer Handlungen kleinerer K r i m i n a l i t ä t w i e Ladendiebstahl, Fahren ohne Haftpflichtversicherung, Mißbrauch von Ausweisen, Verstöße gegen Aufenthaltsbestimmungen usw. ab, ausgenommen die Übertretungen fiskalischer u n d anderer Bundesgesetze, für die schon nach bisherigem Bundesstrafprozeßrecht (vgl. o. S. 257 f.) ein kantonales Gericht zuständig w a r ; sie gehören v o r die bezirksgerichtlichen Kommissionen, die ferner Einsprachen gegen Strafverfügungen der Bezirksämter beurteilen: § 11 Abs. 1 u n d § 13 Ziff. 1, 4 StPO v o m 30. J u n i 1970 (a.a.O., 34 Nachtrag, I V , ist S.251). A n diesemdas Rechtszustand dürfte sich zu durch das am das 1. JaHierbei insbesondere Strafbefehlsverfahren erwähnen, in einigen Kantonen r geringfügige Übertretungen (in der Regel die n u r m i t nuar 1975 i n K r a f tf ü getretene Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht zu ahndenden) vorgesehen ist,geändert ζ. B. i n Basel-Stadt, Glarus, Aargau vGeldbuße o m 22. März 1974 (vgl. o. S. 258 f.) nichts haben. u n d Basel-Landschaft (es ist aber häufig nicht auf Übertretungen beschränkt, sondern auch bei leichteren Vergehen anwendbar). 35 Siehe Baer,S. 116. 36 Baer, a.a.O. 37 Baer, S. 55,117. 38 Baer, S. 117. A r t . 8 Ziff. 1 StPO Waadt v o m 12. September 1967, A r t . 483 ff. StPO Waadt v o m 3. September 1940; § 4 GOG Wallis v o m 2. Oktober 1960. Dasselbe gilt m i t u n t e r f ü r den Bezirksamtmann, w e n n er bedingte Strafbefehle erlassen kann. Er w i r d dann als (ordentlicher) Strafbefehlsrichter be-
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2. Teil:
echtsvergleichende Untersuchung
se z . B . i n B e r n 3 9 , G e n f 4 0 , W a l l i s 4 1 , T e s s i n 4 2 , F r e i b u r g 4 3 , Appenzell ARh. 45, Schwyz46 u n d Basel-Stadt47 abgeurteilt.
Neuenburg44,
H ä u f i g k o m m t n u r e i n T e i l der Ü b e r t r e t u n g e n u n m i t t e l b a r v o r die Gerichte. D i e b e i d e n G r u p p e n k ö n n e n nach der A r t oder nach der Schwer e der Ü b e r t r e t u n g e n (so daß v o n e i n e r gewissen S t r a f h ö h e a n oder, w i e meist, b e i F r e i h e i t s s t r a f e d i e G e r i c h t e z u s t ä n d i g sind) a u f g e t e i l t sein. N a c h d e r A r t d e r Ü b e r t r e t u n g e n t r e n n e n v o r a l l e m d i e K a n t o n e , die d i e B e u r t e i l u n g d e r Ü b e r t r e t u n g e n l o k a l e r P o l i z e i v o r s c h r i f t e n , der B e s t i m m u n g e n d e r G e m e i n d e o r d n u n g e n , G e m e i n d e r e g l e m e n t e u s w . oder anderer Ü b e r t r e t u n g e n v o r w i e g e n d örtlicher Bedeutung den Gemeindeverwaltungsbehörden übertragen u n d n u r die A b u r t e i l u n g v o n Übertret u n g e n k a n t o n a l e r Gesetze u n d V e r o r d n u n g e n (jedenfalls solcher m i t zeichnet, so ζ. B. i n Aargau, § 5 StPO v o m 11. November 1958 (dazu Bolliger, S. 47 ff.), oder als Einzelrichter, Schwyz, § 1 der durch § 263 der StPO v o m 10. Dezember 1956 aufgehobenen Verordnung betreffend die A b u r t e i l u n g von Übertretungen u n d leichten Vergehen durch einen Einzelrichter v o m 28. Januar 1942 (Thormann-v. Overbeck, I I I , S. 174). 39 Gerichtspräsident als Einzelrichter, A r t . 31 Ziff. 2 des Ges. v o m 20. M a i 1928 über das Strafverfahren i. d. F. des A r t . 29 EGStGB v o m 6. Oktober 1940 (Thormann-v. Overbeck, I I I , S. 63). 40 Polizeigericht, A r t . 3 EGStGB v o m 7. Dezember 1940 (Thormann-v. Overbeck, I I I , S. 665 ff.), A r t . 210 StPO v o m 7. Dezember 1940 (im Auszug a.a.O., S. 692). 41 Polizeigericht, Instruktionsrichter, A r t . 11 u n d 12 StPO v o m 22. Februar 1962. 42 Amtsrichter, A r t . 28 GOG v o m 24. November 1910 i. d. F. des A r t . 28 des Änderungsges. v o m 27. J u n i 1960 (Thormann- v. Overbeck, I I I , S. 540; Raccolta, 11, S. 1). 43 Bezirksgerichtspräsident als Einzelrichter ist Polizeirichter (Art. 155 GOG v o m 22. November 1949). A u f G r u n d besonderer Bestimmungen ist daneben der Oberamtmann bei Verwaltungspolizeiübertretungen zuständig (Art. 153 GOG). 44 Präsident des Bezirksgerichts als Polizeigericht, A r t . 33 Abs. 1 Ziff. 1 StPO v o m 19. A p r i l 1945. 45 Gemeindegericht (Art. 60 K V , A r t . 8 ZPO v o m 24. A p r i l 1955, A r t . 17 EGStGB v o m 27. A p r i l 1941, A r t . 150 ff. StPO v o m 26. A p r i l 1914). Es u r t e i l t auch über einige geringere Vergehen. Seine Urteile unterliegen der Appellation an das Bezirksgericht. — Übertretungen werden ferner v o m Bezirksgericht u n d von Verwaltungsbehörden abgeurteilt (Art. 11, 15 EGStGB). Die Gerichtsorganisation ist jetzt i n der Verfassung geregelt. E i n Text w a r bisher nicht zugänglich. Siehe näher Clerc, SchwZStr 90 (1974), S. 193. 46 Bezirksgericht (wenn der Bezirksammann oder die sonstige Verwaltungsbehörde keine Strafverfügung erlassen kann), §§ 9, 166 StPO v o m 10. Dezember 1956. A m 1. Januar 1975 sind eine neue Gerichtsordnung v o m 10. M a i 1974 u n d eine neue StPO v o m 28. August 1974 i n K r a f t getreten. Die Texte standen erst während der Drucklegung zur Verfügung u n d konnten daher nicht mehr berücksichtigt werden. 47 Polizeigericht, Strafbefehl des Polizeigerichtspräsidenten als Einzelrichter f ü r leichte Fälle, §§ 223 ff., 233 ff. StPO vom 15. Oktober 1931 — 25. Januar 1966 (Sammlung, Bd. 41 n. F., S. 59).
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e i n e r gewissen E r h e b l i c h k e i t ) d e m g e r i c h t l i c h e n V e r f a h r e n (u. U . m i t vorheriger Verwaltungsstrafverfügung) vorbehalten. Die Übertretungen w e r d e n d a n n i n d e m B e r e i c h geahndet, f ü r d e n sie B e d e u t u n g haben. A l s strafende B e h ö r d e i m G e m e i n d e b e r e i c h k o m m t n a t u r g e m ä ß n u r d i e G e m e i n d e b e h ö r d e i n B e t r a c h t , w ä h r e n d i m g r ö ß e r e n B e r e i c h die G e r i c h t e (u. U . nach v o r l ä u f i g e r E n t s c h e i d u n g der B e z i r k s b e h ö r d e n ) b e r u f e n sind. E i n e solche K o m p e t e n z v e r t e i l u n g findet m a n ζ. B . i n B a s e l - L a n d schaft 48, Z u g 4 9 , A a r g a u 5 0 , Glarus 51. N a c h d e r Schwere der Ü b e r t r e t u n g e n (der b e s c h r ä n k t e n S t r a f b e f u g n i s der Verwaltungsbehörden) 52 grenzen etwa Schwyz53, W a a d t 5 4 , L u z e r n 5 5 zwischen g e r i c h t l i c h e r u n d v e r w a l t u n g s b e h ö r d l i c h e r Z u s t ä n d i g k e i t ab. D i e administrative Straf Verfügung k o m m t g e l e g e n t l i c h noch als endgültige Verwaltungsverfügung 56 v o r . Das V e r f ü g u n g s v e r f a h r e n k a n n 48 Polizeigericht (Abteilung des Bezirksgerichts) einerseits, § 6 des Ges. betreffend die Organisation der richterlichen Behörden v o m 30. Oktober 1941 i. d. F. des Ges. v o m 21. Dezember 1959, § 5 des Ges. betreffend die Strafprozeßordnung v o m 30. Oktober 1941 i. d. F. des Ges. v o m 21. Dezember 1959, Gemeinderat andererseits. Dessen Befugnisse w u r d e n auf die A h n d u n g von W a l d - u n d Forstfrevel beschränkt. 49 Polizeirichter u n d Strafgericht, §§ 30, 34 GOG v o m 3. Oktober 1940, AS S. 187 (geändert durch Ges. v o m 2. A p r i l 1951, AS S. 511), einerseits, E i n w o h nerräte u n d Polizeiämter andererseits, §§ 28, 29 GOG. 50 Bezirksgericht, Bezirksamtmann, als Strafbefehlsrichter bei Geldbußen, daneben Gemeinderat u n d andere Verwaltungsbehörden, § § 4 - 6 StPO v o m 11. November 1958. 51 Präsident des Zivilgerichts als Einzelrichter i n Strafsachen ist i m wesentlichen zuständig für die A b u r t e i l u n g von Übertretungen, A r t . 17 GOG, A r t . 5 Satz 1 StPO, beide v o m 2. M a i 1965; das sogenannte „Polizeigericht" ist zur A b u r t e i l u n g von Vergehen u n d gewisser Verbrechen sowie bei Zuwiderhandlungen gegen bundesrechtliche Bestimmungen über das Urheberrecht, den gewerblichen Rechtsschutz u n d den unlauteren Wettbewerb zuständig, A r t . 18 GOG, A r t . 6 StPO. Daneben Zuständigkeit der Gemeinderäte bei Frevel u n d Übertretungen der Feuerwehrordnung, A r t . 5 Satz 2 StPO. 52 Die meist n u r auf Geldstrafe erkennen dürfen u n d auch dabei i n der Regel n u r bis zu einer bestimmten Höhe. Eine solche Beschränkung besteht auch oft i n der vorigen Gruppe, wie überhaupt beide Einteilungen nebeneinander v o r kommen. 53 Bezirksgericht, § 9 StPO v o m 10. Dezember 1956; Bezirksammann oder eine sonstige Verwaltungsbehörde (wenn n u r Buße angedroht oder H a f t bis zu zehn Tagen oder Buße bis zu 300 Fr. angemessen ist), §§ 159, 166 StPO. Siehe i m übrigen o. A n m . 46. 54 A u f t e i l u n g zwischen dem Polizeigericht (Einzelrichter) u n d Verwaltungsoder Gemeindebehörden: I l connaît des contraventions q u i ne relèvent pas de compétences administratives ou municipales, A r t . 8 Ziff. 1 StPO v o m 12. September 1967. 55 Amtsgericht, § 13 des Ges. über die Strafprozeßordnung v o m 3. J u n i 1957; Amtsstatthalter zuständig zum Erlaß einer S traf Verfügung bis zu drei Monaten Haft, 1500 Fr. Buße, Wirtshaus verbot oder sonstige Maßnahmen nach A r t . 57 - 61 StGB, §§ 126, 131 StPO i. d. F. des Änderungsges. v o m 14. M a i 1974. Siehe näher Clerc, SchwZStr 90 (1974), S. 410.
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hierbei ordentliches (jedoch nicht notwendig ausschließliches) Verfahren sein — wenn die Verwaltungsbehörde auf einem bestimmten Sachgebiet, ζ. B. dem der Ortspolizei, allein für die Bestrafung zuständig ist (wenigstens bis zu einer bestimmten Strafhöhe) — oder aber außerordentliches, wenn eine Behörde 5 7 n u r nach einzelnen Vorschriften endgültig entscheidet 58 . Die zweite Form hat keine große Bedeutung und w i r d daher hier übergangen. Die erste findet man ζ. B. i n Glarus 5 9 , Graubünden 6 0 , Unterwaiden n i d dem W a l d 6 1 und früher i n Thurgau 6 2 . Die endgültige administrative Straf Verfügung ist i m Abnehmen begriffen; sie kam früher u. a. auch i n Zug und U r i vor 6 3 , wo sie aber inzwischen abgeschafft worden ist. Meistens entscheidet die Verwaltung nur m i t einer sogenannten vorläufigen Straf Verfügung 6*, nach deren Erlaß das ordentliche erstinstanzliche Strafgericht angerufen werden kann. W i r d dagegen die Möglichkeit der „Weiterziehung" an ein übergeordnetes Gericht eröffnet, so soll die zuerst zuständige Behörde die Stelle eines Strafgerichts erster I n stanz vertreten und ihre Entscheidung daher keine administrative Strafverfügung mehr darstellen (sondern ein U r t e i l sein, wie z. B. i n der Gemeindegerichtsbarkeit der Waadt) 6 5 . Die vorläufige Strafverfügung bildet die i n der Schweiz am meisten verbreitete A r t der „Strafabwand56 Ohne Anrufung der Gerichte; aber m i t Rechtsmitteln an die obere Verwaltungsbehörde; ebenso ist der staatsrechtliche Rekurs wegen Verletzung verfassungsmäßiger Rechte möglich (Baer, S. 55). 57 z.B. der Schulrat, die Armenpflege, der Gemeinderat, auch eine höhere Behörde bei Sachen überörtlicher Bedeutung.
58
Baer, S. 55 f., 58 ff.
59
Zuständigkeit der Gemeinderäte bei Frevel und Übertretungen der Feuerwehrordnung. Vgl. o. Anm. 51. 60 Art. 50, 179, 180 StPO vom 8. J u n i 1958. Jetzt aber Rekurs an das Verwaltungsgericht möglich: A r t . 179 StPO wurde durch A r t . 83 Ziff. 4 des Verwaltungsgerichtsges. vom 9. A p r i l 1967 (AGS 1967 S. 353) u n d zuletzt durch Volksbeschluß vom 7. A p r i l 1974 geändert (siehe Fußnote a.a.O.). 61 A r t . 86 Abs. 3 und 4 K V (Aburteilung der Übertretungen von Gemeindeverordnungen, wenn höchstens 50 Fr. Buße verhängt werden; gegen die Entscheidung Rekurs an den Regierungsrat). Zur Aburteilung der Übertretungen sind ansonsten die Justizkommission und das Kantonsgericht zuständig (Art. 64, 71 KV). 62 Gemeinderat m i t nach Sachgebieten beschränkter Zuständigkeit; Bezirksstatthalter (grundsätzlich zuständig für alle Übertretungen), gegen dessen U r teile bei Anfechtung des Strafmaßes Beschwerde an den Regierungsrat, sonst die Anrufung des Polizeigerichts (in geringfügigen Fällen der Gemeinderäte) möglich ist, §§ 5, 6, 8 des Ges. betreffend die Abwandlung der Polizeistraffälle vom 6. Juni 1865 (Thurgauer Rechtsbuch, I, S. 469). Jetzt umfassende Zuständigkeit der Bezirksämter, §§ 11 Abs. 1, 13 Ziff. 4 StPO vom 30. Juni 1970 (a.a.O., Nachtrag, IV, S. 251). Siehe näher o. S. 266, Anm. 33. 63
64 65
Baer, S. 56, 57. Vgl. Baer, S. 67 ff. Baer, S. 68; vgl. o. S. 267, 269, Anm. 54.
Schweiz
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l u n g i n Ü b e r t r e t u n g s f ä l l e n " . V o r a l l e m v i e l e n K a n t o n e n der deutschen Schweiz i s t sie als ordentliches P o l i z e i s t r a f v e r f a h r e n besonders f ü r ger i n g f ü g i g e Ü b e r t r e t u n g e n (Geldstrafe) b e k a n n t 6 6 . D a n e b e n steht fast i m m e r das u n m i t t e l b a r e g e r i c h t l i c h e V e r f a h r e n e n t w e d e r f ü r b e s t i m m t e M a t e r i e n oder a l l e Ü b e r t r e t u n g e n , b e i d e n e n eine b e s t i m m t e S t r a f g r e n z e überschritten w i r d . D e r Gemeinderat h a t h ä u f i g S t r a f b e f u g n i s s e 6 7 , ζ. B . i n St. G a l l e n 6 8 , B a 69 sel-Landschaft , Schaffhausen 70, Z ü r i c h 7 1 , Aargau, Zug, Wallis, W a a d t u. a. E r e r l ä ß t v i e l f a c h k e i n e S t r a f v e r f ü g u n g , s o n d e r n e i n „ U r t e i l " , w i e i n Z u g , W a l l i s , W a a d t , gegen das n i c h t „ E i n s p r a c h e " , s o n d e r n e i n o r d e n t liches R e c h t s m i t t e l ( B e r u f u n g , Kassationsbeschwerde) gegeben i s t 7 2 . N i c h t i m m e r l i e g t es außer Z w e i f e l , ob m a n d e n G e m e i n d e r a t b e i d e r S t r a f v e r f ü g u n g als O r g a n der Rechtspflege oder als V e r w a l t u n g s b e h ö r d e anzusehen hat. Einen wichtigen H i n w e i s k a n n die Möglichkeit einer Anfechtung 06
Ebenso dem Bund, vgl. o. S. 258 f. Besonders i n Ortspolizeisachen, soweit die Gemeinde k r a f t ihrer Autonomie, die sich sowohl auf die Rechtsetzung als auch auf die Rechtsprechung bezieht, Polizeiverordnungen m i t eigenen Strafandrohungen erlassen kann, also i n Angelegenheiten von n u r örtlicher Bedeutung. 68 A r t . 244 - 264 des Ges. über die Strafrechtspflege v o m 9. August 1954 (GS 20, S. 523). 69 Geringfügige Feld- u n d Walddiebstähle (§ 75 EGStGB). Gegen die „ U r teile" des Gemeinderates steht die „ A p p e l l a t i o n " an das Polizeigericht (eine A b t e i l u n g des Bezirksgerichts) offen (§ 5 Abs. 2 des Ges. betreffend das Strafverfahren v o m 30. Oktober 1941 i. d. F. des Ges. v o m 21. Dezember 1959). 67
70 A r t . 33 EGStGB v o m 22. September 1941 (Schaffhauser Rechtsbuch, I V , Nr. 370) (insbesondere Übertretungen von Gemeindepolizeiverordnungen, deren Tatbestände die Gemeinden gemäß A r t . 25 EGStGB aufstellen dürfen, Übertretungen aller Vorschriften, die von Gemeindeorganen auszuführen sind; Strafbefugnis: Buße bis zu 100 Fr. u n d zehn Tagen Haft). I m übrigen werden die Übertretungen von der Polizeidirektion (Art. 32 EGStGB), einige auch v o m Kantonsgericht (Art. 27 EGStGB) bestraft. Das Verfahren der Gemeindebehörden u n d Polizeidirektionen regeln die A r t . 34 - 64 EGStGB (zunächst „StrafVerfügung", dagegen „Einsprache" an die verfügende Behörde, danach „Rekurs" an den Bezirksrichter). 71 § 94a G V G v o m 29. Januar 1911, § 333 StPO v o m 4. M a i 1919 (Zürcher Gesetzessammlung, Bd. 6, S. 117, 395). Die Strafbefugnis des Gemeinderates ist auf 100 Fr. Buße beschränkt. Ansonsten werden die Übertretungen (sofern nicht besondere Behörden zuständig sind) von den Statthalterämtern u n d i n bestimmten Fällen von den Bezirksanwaltschaften (in der Regel Statthalterämter der Bezirke) bestraft, § 94a GVG, §§ 334 - 335a StPO, V O v o m 7. J u l i 1960 (a.a.O., S. 493). Die Verwaltungsbehörde erläßt eine Strafverfügung, gegen die gerichtliche Beurteilung verlangt werden kann. Die Oberbehörde k a n n eine nicht an das Gericht weitergezogene Strafverfügung oder eine Verfahrenseinstellung wegen offenbarer Gesetzesverletzung aufheben. (Vgl. §§ 341 - 357 StPO.) F ü r die gerichtliche Beurteilung sind der Einzelrichter als Strafrichter u n d das Bezirksgericht zuständig, §§ 21 a, 21 b, 33 G V G (siehe dazu näher Aeppli, S. 32 ff.). 72 I n diesen Fällen sind die Gemeindebehörden i n die ordentliche Rechtspflege eingebaut, ohne daß dadurch stets ein großer Unterschied zum a d m i n i strativen Strafverfügungsverfahren zu bestehen braucht.
2. Teil:
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echtsvergleichende Untersuchung
der Entscheidung durch ein ordentliches Rechtsmittel bieten, ohne daß dies aber stets ausschlaggebend wäre. Bezirksbehörden können Ubertretungen i m Strafverfügungsverfahren ζ. B. i n Thurgau 7 3 , Luzern 7 4 , Zürich usw., früher auch i n der Waadt 7 5 , bestrafen. Zuweilen ist auch die Zuständigkeit kantonaler Behörden vorgesehen, wie etwa i n Nidwaiden nach § 2 EGStGB vom 27. A p r i l 1941 76 die des Regierungsrates. Sehr häufig w i r d die (ordentliche) Strafbefugnis auf mehrere Verwaltungsbehörden verteilt, so ζ. B. i n Zürich auf den Gemeinderat und das Statthalteramt 7 7 , i n Schaffhausen auf den Gemeinderat und die Polizeidirektion 7 8 , i n der Waadt auf den Gemeinderat und andere Verwaltungsbehörden 7 9 , i n Aargau auf den Gemeinderat, den Bezirksamtmann und andere Verwaltungsbehörden 8 0 usw. b) Insbesondere die gemeindliche Strafgerichtsbarkeit I m folgenden seien noch einige Beispiele gemeindlicher Strafgerichtsbarkeit gesondert aufgeführt. I n Glarus t r i t t sie m i t der endgültigen Verwaltungsstrafverfügung des Gemeinderates neben das sonst ausschließliche gerichtliche Verfahren. Sie besteht seit alters h e r 8 1 und umfaßte früher die Übertretungen ge73
Jetzt Bezirksämter. Vgl. o. S. 266, Anm. 33. Vgl. o. S. 269, Anm. 55. 75 Früher der Präfekt bei allen Übertretungen, sofern Geldbußen zu verhängen waren, A r t . 22 des Ges. vom 4. Februar 1941 über die Bestrafung der Übertretungen, daneben die Gemeindebehörde als erstinstanzliches Strafgericht für bestimmte Materien und m i t begrenzter Strafbefugnis. Nunmehr Aufteilung zwischen Polizeigericht und Verwaltungs- oder Gemeindebehörden, A r t . 8 Ziff. 1 StPO vom 12. September 1967, vgl. o. S. 269, Anm. 54. 74
76
Thormann-v. Overbeck, III, S. 182.
77
Je nach der Höhe der zu verhängenden Strafe, §§ 333, 334 StPO. 78 Der Gemeinderat ist zuständig bei Gemeindesachen, wie Übertretungen der Gemeindevorschriften und der von den Gemeinden auszuführenden Gesetze und Verordnungen, ferner bei Gefährdung durch Tiere, Beunruhigung der Bevölkerung durch falsche Nachrichten oder falschen Alarm, Ruhestörung, Belästigung durch Immissionen aus Bosheit oder Mutwillen, Mißbrauch technischer Einrichtungen zur Belästigung oder Beunruhigung anderer aus Bosheit oder M u t w i l l e n (Art. 33 Abs. 1, 14 - 18 EGStGB vom 22. September 1941, Thormann-v. Overbeck, I I I , S. 331), auch bei geringfügigen Forstfreveln i n Gemeinde« oder Privatwaldungen (bei solchen i n Staatswaldungen ist die Forstdirektion zuständig, § 53 Forstges. vom 16. Dezember 1904, Jenny, S. 464). Die Strafbefugnis des Gemeinderates ist begrenzt (100 Fr. Buße, zehn Tage Haft). F ü r die andern Übertretungen ist die Polizeidirektion erstinstanzlich zuständig (ausgenommen etliche Übertretungen des StGB, die vor das Kantonsgericht kommen), A r t . 32 lit. a EGStGB. Gemeinderat und Polizeidirektion erlassen eine Strafverfügung; gegen sie ist Einsprache an die verfügende Amtsstelle und gegen die neue Verfügung Rekurs an den Bezirksrichter möglich (Art. 40, 42, 45 EGStGB). 79 80
81
Vgl. o. S. 269, Anm. 54, und vorige Anm. 75. §§ 4, 5 StPO vom 11. November 1958.
Streiff,
S. 76.
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meindlicher Gesetze (ortspolizeilicher Vorschriften) und Frevel i n den Gemeindewaldungen (Art. 71 der Kantonsverfassung vom 22. M a i 1887). Die Aufsicht über den Gemeinderat übt der Regierungsrat aus, dem i n folgedessen auch „die Entscheidungen über Begehren und Kassation von Gemeindebeschlüssen" obliegen (Art. 52 Abs. 2 Ziff. 9 der Kantonsverfassung). Er entscheidet endgültig über die gemeinderätlichen Straferkenntnisse 82 . Nunmehr ist der Gemeinderat nur noch bei Übertretung der Feuerwehrordnung und bei Frevel zuständig 88 . Auch i n Aargau gibt es noch eine gemeinderätliche Strafbefugnis als einen Rest der alten niederen Gerichtsbarkeit, die den Städten und gewissen Landgemeinden zustand 84 . Aus Gründen der Tradition w i l l man sie nicht zugunsten des ordentlichen Strafverfahrens abschaffen, wobei die Gemeinderäte selbst auf Wahrung ihrer Rechte bedacht sind 8 5 . Bolliger berichtet, daß sie namentlich aus historischen und die Abstimmung betreffenden Gründen bei Schaffung des EGStGB beibehalten worden sei, obwohl man bereits 1866 festgestellt habe, daß die Justiz der Gemeinderäte nicht viel tauge 86 . Auch die Strafprozeßordnung vom 11. November 1958 hat sie übernommen. Sie gilt heute noch als Ausfluß der Gemeindeautonomie, die neben dem Recht zur Selbstverwaltung auch das Verordnungsrecht und eine entsprechende Strafbefugnis umschließen soll 8 7 . Der Gemeinderat ist zuständig zur Bestrafung bestimmter geringfügiger Übertretungen, insbesondere Übertretungen von Gemeindepolizeivorschriften, die er selbst erlassen darf, da er die örtliche Polizei verwaltet. Seine Strafbefugnis ist beschränkt 88 . Der Gemeinderat gilt als Strafrichter 8 9 . Er erläßt zunächst einen Strafbefehl, gegen den Einspruch an ihn selbst zulässig ist, durch den der Strafbefehl wegfällt 9 0 . Das auf die dann folgende (mündliche) Verhand82 83
Streiff,
S. 77.
I m übrigen urteilt der Einzelrichter i n Strafsachen (das ist der Präsident des Zivilgerichts) sämtliche Übertretungen ab (Art. 17 GOG, Art. 5 Satz 1 StPO, beide vom 2. M a i 1965). Er erläßt (mit oder ohne persönliche Anhörung des Beschuldigten) eine Strafverfügung, die durch „Einsprache" an das Polizeigericht (bestehend aus dem Präsidenten und zwei Mitgliedern des K r i m i n a l gerichts) „weitergezogen" werden kann (Art. 6 Abs. 4 StPO). Gegen dessen Urteil sind die außerordentlichen Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und der Revision an das Obergericht möglich (Art. 156 ff. StPO). 84 85 86
87 88
150).
Bolliger, S. 146. Bolliger, S. 146. S. 146.
Bolliger, S. 146. Er erkennt heute nur noch auf geringfügige Bußen (Bolliger, S. 147, 149,
89
Bolliger, S. 146. § 4 StPO, der die Zuständigkeit des Gemeinderates (wie schon vorher § 13 EGStGB) auch unter dem neuen Recht bestätigt, steht i m Abschnitt „Die straf richterlichen Behörden". 18 M a t t e s
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2. T e i l :
echtsvergleichende Untersuchung
lung ergehende Urteil kann m i t der Kassationsbeschwerde wegen offenbarer Gesetzesverletzung (grober Verstoß erforderlich) vor dem zuständigen Bezirksgericht angefochten werden 9 1 . St. Gallen hat die Gemeindestrafgerichtsbarkeit auch i n seinem Gesetz über die Strafrechtspflege (StP) vom 9. August 1954 (BGS 5, S. 405) eingehend geregelt, was auf ihre fortdauernde Bedeutung hinweist. Das Gesetz bezeichnet das Verfahren vor den Gemeindebehörden (Art. 244 - 264) als „besonderes Strafverfahren" i m Gegensatz zum „ordentlichen Verfahren" (Art. 4 - 243), i n dem die Gerichtskommission, das Bezirksgericht und das Kantonsgericht i n erster Instanz sowie das Kassationsgericht urteilen (vgl. A r t . 2). Die Zuständigkeit der Gemeindebehörden ist gegenüber früher teils eingeengt, teils erweitert worden. Nach dem schweizerischen Strafgesetzbuch strafbare Handlungen dürfen sie nicht mehr verfolgen und bestrafen, dagegen jetzt bis auf eine Reihe von Ausnahmen alle Übertretungen des kantonalen Rechts (Art. 244 Abs. 1 Nr. 3 StP). I m übrigen sind sie zuständig bei Zuwiderhandlungen gegen Gemeindeverordnungen und -reglemente sowie gegen örtliche Regelungen des Straßenverkehrs (Art. 244 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StP) und ferner bei Übertretungen verschiedener bundesrechtlicher Vorschriften (ζ. B. über Maß und Gewicht, Lebensmittelhandel, Fußgänger- und Radfahrerverkehr, Art. 244 Abs. 1 Nr. 4 StP). Die Untersuchung führt der Gemeindeammann als Untersuchungsbeamter, sofern nicht ein besonderer Untersuchungsbeamter eingesetzt ist (Art. 246 StP). Zur Entscheidung ist der Gemeinderat berufen, der seine Befugnisse mit Genehmigung des Justizdepartements auf eine Kommission oder einen Beamten übertragen kann (Art. 247 StP). Für das Verfahren gelten die Vorschriften über das ordentliche Verfahren ergänzend (Art. 244 Abs. 2 StP). Bei Bußen bis zu 300 Franken erläßt der Gemeinderat unter den Voraussetzungen des Art. 252 StP eine „provisorische Bußenverfügung" 9 2 , gegen die „Einsprache" möglich ist. I m übrigen erkennt der Gemeinderat — grundsätzlich nach mündlicher Verhandlung — durch einen „Entscheid" auf Strafe, Maßnahme oder Freispruch sowie über die Zivilklage (Art. 254, 255 StP). Den Entscheid können der Beschuldigte und der Untersuchungsrichter 93 m i t 90 Bolliger, S. 153, 154. Die Gestaltung des Verfahrens hat sich gewohnheitsrechtlich herausgebildet, so daß i n den verschiedenen Gemeinden einzelne A b weichungen auftreten können (Bolliger, S. 148, 149). Die StPO g i l t sinngemäß. 91 Bolliger, S. 155. — Soweit nicht die Zuständigkeit der Gemeinderäte u n d anderer Verwaltungsbehörden besonders begründet ist, werden die Übertretungen (und Vergehen), f ü r die n u r Buße i n Betracht kommt, durch den Bezirksamtmann als „Strafbefehlsrichter" i m Strafbefehlsverfahren „abgewandelt", die andern Übertretungen (und Vergehen) sowie die „Einsprachen" gegen Strafbefehle v o m Bezirksgericht abgeurteilt (§§ 5, 6,194 ff. StPO). 92 Die Befugnis hierzu k a n n auf den Untersuchungsbeamten übertragen werden (Art. 247 StP). 93 Dieser k a n n i h n auch wegen offensichtlicher Gesetzwidrigkeit aufheben u n d den Gemeinderat zu neuer Beurteilung anhalten.
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der Berufung an die Gerichtskommission anfechten (Art. 256 StP), die endgültig entscheidet (Art. 260 StP). Vorgesehen ist noch eine Rechtsverweigerungsbeschwerde (Art. 260, 261 StP). — Bei bestimmten geringfügigen Übertretungen kann der Gemeinderat zu „Bußenerhebungen auf der Stelle" 9 4 ermächtigen (Art. 251 StP) 95 . I n Zug sind die Einwohnerräte (Gemeinderäte) ganz i n die Strafrechtspflege eingefügt. Die „niedere Strafpolizei" oblag nach § 42 des Gesetzes betreffend die Organisation der Gerichtsbehörden vom 20. J u l i 190590 den Einwohnerräten und der Kantonspolizeidirektion 9 7 . Geringfügige Polizeiübertretungen wurden daneben von den Polizeiämtern „abgewandelt", gegen deren „Bußausfällungen" Rekurs an den Einwohnerrat und gegen dessen Entscheid an den Regierungsrat zulässig war (§ 43 GOG). Zur Untersuchung (und Aburteilung) einer Übertretung war die „Überweisung seitens der zuständigen richterlichen Amtsstelle" erforderlich, nämlich des Kantonsgerichtspräsidenten nach der Voruntersuchung durch die Polizeidirektion und u. U. das Verhöramt, die ihre Untersuchungen nebst Antrag an den Präsidenten zu übergeben hatten (§§ 45 Abs. 1, 58 GOG, §§ 1, 2, 10 Abs. 1 lit. b der Verordnung betreffend das Überweisungsverfahren i n Strafsachen vom 10. A p r i l 192698). Der Präsident überwies die leichteren Fälle (nicht nur Polizeiübertretungen) an die Polizeidirektion oder an den Einwohnerrat (§§ 47, 58 GOG, § 61 der Verfassung vom 31. Januar 189499, §§ 2, 10 Abs. 1 lit. b der Verordnung von 1926). Der Einwohnerrat konnte dann auf Geldbuße bis zu 25 Franken oder Gefangenschaft bis zu fünf Tagen erkennen (§ 45 Abs. 4 GOG); gegen seinen Entscheid war nur Kassation zulässig (§ 45 Abs. 3 GOG). — Die Polizeidirektion hatte eine Strafbefugnis bis zu zehn Tagen Gefängnis oder 50 Franken Geldbuße (§ 48 GOG). Ihre Urteile konnten m i t dem Rekurs an das Strafgericht angegriffen werden (§ 47 GOG). Neben dieser Aburteilung der ihr zugewiesenen Strafsachen durfte sie
94 Gebührenpflichtige Verwarnung, die auch i n neueren Gesetzen anderer Kantone vorkommt. 95 Übertretungen, f ü r die der Gemeinderat nicht zuständig ist, werden i m ordentlichen Verfahren von der Gerichtskommission abgeurteilt (wie die V e r gehen u n d einige Verbrechen, jeweils bis zu bestimmter Strafhöhe, A r t . 12 StP), bei Bußen über 2000 Fr. v o m Bezirksgericht (Art. 12, 13 StP). Vorgesehen sind auch hier die Bußenerhebung auf der Stelle durch Polizeiorgane (Art. 51 StP), u n d die provisorische Bußenverfügung durch den Untersuchungsrichter (den Bezirksammann, A r t . 5, 6, 52 StP), ferner nach Abschluß des Untersuchungsverfahrens ein Strafbescheid des Untersuchungsrichters (der aber auch bei bestimmten leichten Vergehen zulässig ist, A r t . 5, 128 StP), auf den bei E i n sprache Uberweisung zu gerichtlicher Beurteilung folgt (Art. 131 StP). 96 Gesetzgebung, I I I , S. 197 ff. 37 Siehe auch o. S. 260, A n m . 4. 98 Gesetzgebung, I I I , S. 414 ff. 99 Gesetzgebung, I, S. 3 ff.
1
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2. T e i l :
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„bloße Polizeiübertretungen durch Ausübung ihrer Einzelkompetenz... erledigen" (§ 47 GOG). Heute w i r d die niedere Strafrechtspflege durch die Einwohnerräte und den Polizeirichter ausgeübt (§ 28 Abs. 1 des Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden vom 3. Oktober 1940) 100 . Der Einwohnerrat kann „die i m Polizeistrafgesetz der gemeindlichen Zuständigkeit unterstellten Tatbestände" und gewisse Verkehrsübertretungen ahnden (§ 29 Abs. 1 GOG) 1 0 1 , soll also die Übertretungen von nur örtlicher Bedeutung verfolgen. Seine Strafbefugnis geht bis zu 50 Franken Buße und fünf Tagen Haft (§ 28 Abs. 2 GOG); er darf sie auf die Polizeiämter übertragen, deren Entscheidungen jedoch nicht mehr vor den Einwohnerrat gebracht werden können (§ 28 Abs. 3 GOG). Zur Entscheidung von Z i v i l ansprüchen ist er ebensowenig wie früher zuständig (§ 29 Abs. 2 GOG). Der Polizeirichter beurteilt heute die i h m überwiesenen Fälle. Seit dem Gesetz vom 2. A p r i l 1951 kann er Haft oder Gefängnis bis zu zwei Monaten oder Buße bis zu 500 Franken verhängen (§ 30 Abs. 2 GOG i. d. F. des genannten Gesetzes) 102 . I n diesem Rahmen erkennt er auch bei Ubertretungen von kantonalen Gesetzen oder von Bundesgesetzen, deren Ahndung bisher andern Behörden übertragen gewesen ist (§ 30 GOG). Die Strafsachen, für die weder der Einwohnerrat noch das Polizeiamt zuständig ist, urteilt das Strafgericht ab (§ 34 GOG). I n allen Fällen der niederen Strafrechtspflege kann bereits auf Grund der polizeilichen Ermittlungen durch Strafbefehl, den § 32 Abs. 2 GOG 100 AS S. 187; Justizgesetzgebung, S. 187; i m Auszug bei Thormann-v. Overbeck, I I I , S. 205. 101 i. d. F. des Ges. v o m 2. A p r i l 1951, AS S. 511. — Das Polizeistrafgesetz für den K a n t o n Zug v o m 7. November 1940 (Justizgesetzgebung, S. 337; Thormannv. Overbeck, I I I , S. 216) enthält i m Besonderen T e i l 1. „Tatbestände der gemeindlichen u n d kantonalen Zuständigkeit" u n d 2. „Tatbestände der kantonalen Zuständigkeit". Die ersten betreffen meist Fälle, deren Bedeutung über die örtlichen Verhältnisse nicht hinausreicht, ζ. B. Übertretung amtlicher V o r schriften (§ 8: „ I . Wer einer von einer zuständigen Behörde erlassenen allgemeinen Vorschrift, i n der diese Gesetzesbestimmung angerufen w i r d , zuwiderhandelt, w i r d m i t Busse oder Haft bestraft. — I I . Der Versuch ist strafbar."); Bettelei u n d Landstreicherei; ordnungswidriges Baden; Verunreinigung von Bauten; sicherheits- u n d verkehrspolizeiliche, gesundheitspolizeiliche usw. Z u widerhandlungen; Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften über Begräbniswesen, Sonntagsruhe, K i n o u n d Schaustellungen oder über Wirtschaftspolizei; Trunkenheit u n d geringfügige Feld- u n d Walddiebstähle. Z u r zweiten Gruppe gehören „Ordnungswidrigkeiten" (§25: „ I . Wer vorsätzlich den amtlichen Vorschriften oder Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung zuwiderhandelt, w i r d m i t Busse oder Haft bestraft. — I I . Der Versuch ist strafbar.") sowie Übertretungen ζ. B. betreffend Waffenverbot, Unfallverhütung, N a t u r - u n d Heimatschutz usw., ferner etwa K o n kubinat, unterlassene Hilfeleistung, Verletzung der Aufsichtspflicht, unbefugte Sammlung oder Berufsausübung, Herstellen usw. von Nachschlüsseln u n d dergleichen mehr. 102 Nach der ursprünglichen Fassung des § 30 Abs. 2 GOG durfte er n u r H a f t oder Gefänignisstrafen bis zu 20 Tagen oder Bußen bis 200 Fr. aussprechen.
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und § 60 Abs. 2 StPO vom 3. Oktober 1940 103 als „bedingtes Urteil" bezeichnen, entschieden werden (§ 32 GOG, § 60 StPO). Gegen ihn ist „Einsprache" (auch durch den Staatsanwalt) an die erkennende Behörde zulässig (§ 32 GOG, §§ 60, 61 StPO), nach deren Einlegung der Verhörrichter die erforderlichen Ermittlungen anstellt und die Sache gegebenenfalls dem Staatsanwalt zur Stellung eines Strafantrages an das Strafgericht überweist (§ 61 StPO). Das Urteil des Polizeiamtes, des Einwohnerrates oder des Polizeirichters kann mit der Berufung an das Strafgericht (§ 31 GOG, §§ 59, 70 StPO) und dessen U r t e i l 1 0 4 m i t der an das Strafobergericht (§ 70 StPO) angefochten werden. I m ganzen zeigt das Verfahren ein gewisses Bestreben nach Vereinheitlichung (des Strafprozesses), das aber Abweichungen wegen des Bagatellcharakters der zur „niederen Strafrechtspflege" gehörenden Delikte zuläßt. Die Zuständigkeit w i r d wesentlich nach der Strafhöhe (für den Einwohnerrat und das Polizeiamt allerdings i m Rahmen einer gewissen Ubertretungsgruppe) bestimmt. Die Ermittlungen führt das Polizeiamt der Gemeinde, wenn der Einwohnerrat Strafbefugnis hat, i m übrigen der Verhörrichter (§§ 20, 22 GOG). Durch diesen w i r d eine gewisse Einheitlichkeit der Strafverfolgung gewahrt; er überweist die von i h m untersuchten Strafsachen an die jeweils zuständige Behörde (an den Einwohnerrat, das Polizeiamt, den Polizeirichter oder an den Staatsanwalt zur Stellung eines Strafantrages an das Strafgericht; § 23 GOG, § 34 StPO). Das Polizeikommando führt neben dem Strafregister eine kantonale Strafkontrolle, in die außer den Übertretungen des Bundesrechts bei Bußen von 20 bis zu 50 Franken die kantonalen Übertretungen, für die eine Freiheitsstrafe oder eine Buße von mindestens 20 Franken ausgesprochen wurde, einzutragen sind (§ 4 der Verordnung über das Strafregister und die Strafkontrolle vom 24. Januar 1942) 105 . c) Das Polizeistrafverfahren
in Basel-Stadt
Das Polizeistrafverfahren von Basel-Stadt ist ein justizförmiges Verfahren. I n i h m sollen einerseits die Grundsätze und Garantien des gerichtlichen Strafverfahrens gewahrt und andererseits der Verwaltung gewisse Mitwirkungsrechte bei der Verfolgung von Polizei- oder Verwaltungsübertretungen gesichert werden. Es ist weitgehend dem allgemeinen Strafprozeß angeglichen und daher mit diesem zusammen i n der Strafprozeßordnung vom 15. Oktober 1931 - 25. Januar 1966 (Sammlung, 103
AS S. 297; Justizgesetzgebung, S. 297. Wenn es auf Buße über 300 Fr. oder Freiheitsstrafe über 30 Tage lautet (§ 35 GOG). 105 Thormann-v. Overbeck, I I I , S. 200. Z u m Strafregisterrecht der Schweiz, insbesondere dem Verhältnis von bundesrechtlichem Strafregister, kantonaler Strafkontrolle u n d Gemeindestrafregister, vgl. Rüegg, SchwZStr 76 (1960), S. 391 ff. 104
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Bd. 41 n. F., S. 59) geregelt. Die Strafen können lediglich i m gerichtlichen 106 , gesetzmäßigen Verfahren von dem Polizeigericht oder dem Einzelrichter i n Polizeistrafsachen oder i n den Landgemeinden verhängt werden (§ 1 Abs. 1 und 2 StPO, §§ 37 - 39 GOG vom 27. Juni 1895 — 25. Januar 1966 (Sammlung, Bd. 41 n. F., S. 10 f.) 1 0 7 . Die Teilnahme der Verwaltung w i r d dadurch gesichert, daß grundsätzlich ihr die Einleitung des Strafverfahrens und die sogenannte Verzeigung obliegen. Das Polizeistrafverfahren ist ein sogenanntes Verfahren auf Verzeigung, die an die Stelle der (öffentlichen oder privaten) Klage t r i t t (§§ 2, 8 Abs. 1 StPO). Unter „Verzeigung" versteht man die Mitteilung einer geschehenen Übertretung an den Polizeigerichtspräsidenten durch die zuständige Behörde (Verwaltungsbehörde; i n bestimmten Fällen die Staatsanwaltschaft; § 215 StPO) oder einen Privaten (§ 219 StPO). P r i vatverzeigung ist aber nur zulässig, wenn die zur Verzeigung zuständige Behörde dem Antrag des privaten Anzeigers auf amtliche Verzeigung nicht entspricht. Von der Verzeigung ist die Anzeige zu unterscheiden, die an Polizeibeamte oder eine zur Verzeigung zuständige Behörde ergeht (§212 StPO). Das Verfahren steht wie das sonstige Strafverfahren unter der Herrschaft des Legalitätsprinzips, das aber i n den Fällen besonders geringen Verschuldens des Täters oder ganz unbedeutender Folgen der Tat zugunsten des Opportunitätsprinzips durchbrochen w i r d (§ 216 Abs. 2 StPO). Unterläßt die zuständige Behörde i n einem solchen Falle die Verzeigung, so kann sie dem Übertreter eine Verwarnung erteilen. Verzeigt sie die Sache, so kann der Polizeirichter unter den genannten Voraussetzungen sowie bei Verpflichtung des Täters zu erheblichem Schadenersatz von Strafe absehen (und ebenfalls eine Verwarnung erteilen, § 19 Abs. 1 PolStG). Das Recht des Beschuldigten auf rechtliches Gehör w i r d durch verschiedene Bestimmungen gewahrt. Bereits i m Ermittlungsverfahren ist er auf sein Verlangen zu vernehmen (§ 214 Abs. 2 StPO), und der Richter darf niemand ungehört verurteilen (§10 Abs. 1 Satz 2 StPO). Das Verfahren findet (je nach der Höhe der zu verhängenden Strafe) 1 0 8 vor dem Einzelrichter oder vor der Polizeigerichtskammer statt. Der Einzelrichter 106 Über Ausnahmen zugunsten des Polizeidepartements vgl. § 37 GOG u n d z. B. § 114 PolStG. 107 Das Polizeigericht hat n u r eine K a m m e r u n d besteht aus dem Vorsitzenden u n d dem stellvertretenden Gerichtspräsidenten sowie einem Richter; es bildet eine A b t e i l u n g des Strafgerichts. Einzelrichter i n Polizeistrafsachen ist der Präsident des Polizeigerichts. I n bestimmten Fällen (§ 38 GOG) u r t e i l t der Einzelrichter i n den Landgemeinden (§ 222 StPO) (er entscheidet i n den dort bezeichneten leichteren Fällen endgültig u n d darf n u r Geldbußen bis zu 50 Fr., ersatzweise H a f t bis zu fünf Tagen, aussprechen). 108 Der Einzelrichter i n Polizeistrafsachen darf Geldbuße, Gefängnis oder H a f t bis zu 60 Tagen aussprechen u n d Gegenstände von höchstens 400 Fr. Wert einziehen. E r ist aber nicht zuständig, w e n n die verzeigende Behörde die V e r handlung vor dem Polizeigericht verlangt. (§ 39 GOG)
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kann i n allen Fällen seiner Zuständigkeit durch Strafbefehl erkennen, gegen den Einspruch zulässig ist, auf Grund dessen der Einzelrichter eine mündliche Verhandlung durchführt. Die Verzeigung w i r d durch ein M i t glied der verzeigenden Behörde (in bestimmten Fällen den Staatsanwalt) vertreten; i m Verfahren vor dem Einzelrichter kann darauf verzichtet werden (§ 229 Abs. 2 StPO). Bei vollem Geständnis des Verzeigten braucht das Gericht keine Beweisaufnahme durchzuführen (§ 230 Abs. 3 StPO). Gegen die Urteile i m Polizeistrafverfahren ist (in beschränktem Umfange) Berufung an den Ausschuß des Appellationsgerichts zulässig (§ 236 ff. StPO). Inappellable erstinstanzliche Urteile sind (durch beide Parteien) m i t der Beschwerde wegen Unzuständigkeit, Verfahrensmängeln, unrichtiger Gesetzesauslegung und bei Inzidententscheidung über die Gültigkeit einer Verordnung oder einer Verfügung anfechtbar. Auch bei gesetzwidriger Einstellung ist (der verzeigenden Behörde oder dem Privatverzeiger) die Beschwerde gegeben (§ 256 StPO). I m übrigen gelten weitgehend die Grundsätze des gewöhnlichen strafgerichtlichen Verfahrens, besonders auch hinsichtlich der Vollstreckung und der Begnadigung. IV. Abschließende Bemerkung zum Schweizer Ubertretungsstrafrecht Zusammenfassend kann gesagt werden, daß das Schweizer Übertretungsstrafrecht nicht dem deutschen Recht der Ordnungswidrigkeiten gleichzustellen ist. Jenes umfaßt einen größeren Bereich als dieses. Als Gemeinsamkeit ergibt sich nur, daß i n beiden Fällen nicht i m engeren Sinne kriminelles Unrecht, dessen Täter man die soziale Brandmarkung möglichst ersparen möchte, einer Sonderregelung zugeführt werden soll. Aber schon der Begriff dieses nichtkriminellen Unrechts ist jeweils verschieden. Während er i n der Schweiz von der rechtlichen Folge (der Strafe) her bestimmt wird, die nach der Schwere der Tat (in abstracto) angemessen erscheint, soll er i n Deutschland eine wesentliche Verschiedenheit der Delikte selber (des materiellen Unrechts) dogmatisch erfassen 1. Die Übertretungen des Schweizer Rechts beschränken sich nicht auf „bloße" Zuwiderhandlungen gegen Polizei- und Verwaltungsvorschriften, und sie werden nach herrschender Meinung auch nicht unter dem Gesichtspunkt ethischer Indifferenz von den Verbrechen und Vergehen abgegrenzt, sondern allein danach, ob ein bestimmtes Delikt den Makel einer i m engeren Sinne kriminellen Bestrafung nach sich ziehen soll, also nur nach der relativen Schwere der Tat, deren Bewertung dem Gesetzgeber anheimgestellt ist. Man hält die Übertretungen auch nicht auf den 1 Jedenfalls nach der jüngst noch überwiegenden Meinung (darüber näher i m zweiten Band).
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2. Teil: Hechtsvergleichende Untersuchung
Raum des „ n u r " Verwaltungsmäßigen und daher die Öffentlichkeit nicht Berührenden beschränkt, sondern sieht i m Gegenteil gerade auch das Unrecht des Polizeiwidrigen i n den Polizeiübertretungen als ein öffentlicher Sühne bedürfendes Unrecht an. Daher verlangt niemand die Ausgliederung der Übertretungen aus dem Strafrecht, und auch sonst geht die Sonderregelung verschieden weit. Das schweizerische Übertretungsstrafverfahren ist noch weitgehend von kantonalen Besonderheiten und erhalten gebliebenen Bildungen früherer Epochen bestimmt, die vor allem den Gedanken des Jurisdiktionsrechts des mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt Betrauten zeigen, so besonders i n einer m i t der Gemeindeautonomie begründeten gemeindlichen Strafbefugnis. Hingegen t r i t t nirgends die Meinung hervor, die Bestrafung der Übertretungen oder bestimmter Arten von Übertretungen müsse deshalb Verwaltungsbehörden übertragen werden, weil die Verhängung der Buße (Geldstrafe) eine spezifische Verwaltungstätigkeit sei. Jedermann ist sich darüber i m klaren, daß es sich hier u m Rechtsprechung 2 handelt, und die zuständigen Gemeinde- oder sonstigen Verwaltungsbehörden werden daher oft als Gerichte oder Richter (wenigstens bezüglich ihrer strafenden Tätigkeit) bezeichnet. V. Das Ordnungs- und Disziplinarstrafrecht 1. Die Disziplinarstrafgewalt der Behörden gegenüber Privatpersonen
I n der Schweiz haben die Behörden häufig eine Disziplinarstrafgewalt gegenüber dem m i t ihnen i n amtlichen Verkehr tretenden Publikum. Ein anschauliches Beispiel bietet etwa § 2 des zürcherischen Gesetzes betreffend die Ordnungsstrafen vom 30. Weinmonat (Oktober) 1866 (Zürcher Gesetzessammlung, Bd. 6, S. 111): „Als Disziplinarfehler gilt: 1. Saumselige oder leichtfertige Behandlung von Amts- oder Dienstgeschäften, wenn der Fehler zu gering ist, um als Verletzung der Amtsoder Dienstpflicht bezeichnet zu werden; 2. Störung der i m einzelnen Falle oder i m allgemeinen vorgeschriebenen Ordnung des Geschäftsganges; 3. Verletzung des durch die gute Sitte für amtliche Verhandlungen gebotenen Anstandes." Ziff. 2 betrifft nicht ungebührliches Benehmen (dafür gilt Ziff. 3), vielmehr neben Verstößen wie Nichterscheinen vor der Behörde trotz Pflicht zum Erscheinen oder Weigerung, einen amtlichen Erlaß anzuneh2 Wegen der Problematik u m die Vereinbarkeit m i t den Grundsätzen der Europäischen Menschenrechtskonvention vgl. o. S. 258, A n m . 76.
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men 1 , überhaupt das Nichterfüllen einer gesetzlichen Pflicht oder Nichtbeachten einer amtlichen Verfügung, sofern darin zugleich eine Störung des Geschäftsganges der Verwaltung liegt 2 , immer aber nur solche Fälle, die sich i m Rahmen eines vorausgesetzten Pflichtenverhältnisses des Bürgers gegenüber der hoheitliche Gewalt ausübenden Stelle (Verwaltungsunterwerfungsverhältnisses) halten. Dieses Gesetz über die Ordnungsstrafen ist als Disziplinarstrafgesetz bezeichnet worden; es stelle ein „Gesetz zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Disziplin bei den Amtsstellen von Staat und Gemeinden und bei dem mit den Amtsstellen verkehrenden P u b l i k u m " 3 dar. Ganz entsprechend bestimmt St. Gallen i n Art. 7 seines EGStGB vom 17. Februar 19414: „Dem Disziplinarstrafrecht i n der öffentlichen Verwaltung und Rechtspflege unterstehen: 1. Amtspersonen, . . . ; 2. Privatpersonen i m amtlichen Verkehr mit Behörden und Amtsstellen." Nach A r t . 8 Abs. 2 begeht auch die Amts- oder Privatperson einen Disziplinarfehler, die „ i m amtlichen Verkehr gute Sitte und Anstand verletzt oder die vorgeschriebene Ordnung des Geschäftsgangs stört". Die Disziplinargewalt steht der Behörde zu, mit der oder mit deren Mitgliedern „der Angeschuldigte in Verkehr gekommen ist" (Art. 12 Abs. 2 EGStGB St. Gallen). Diese Ordnungs- oder Disziplinarstrafgewalt der Behörde, die i m deutschen Recht nur i n der — von den Gerichten zu verhängenden — prozessualen Ordnungsstrafe eine entfernte Parallele findet, erwächst offenbar aus der Annahme einer A r t Disziplinarverhältnis zwischen den Amtsstellen und den ihrer Hoheitsbefugnis unterworfenen Bürgern. Es w i r d dadurch begründet, daß jemand i n den Umkreis der Ausübung hoheitlicher Gewalt tritt. Der Grundgedanke ist jedenfalls, daß eine Störung i n der Betätigung hoheitlicher Gewalt und damit der am Orte ihrer Wirksamkeit von ihr ausgehenden Befriedung strafwürdig sei. Dem die Hoheitsgewalt Ausübenden, der die Autorität der Rechtsgemeinschaft und infolgedessen auch ihres Rechts repräsentiert, obliegt es, den Hoheitswillen durchzusetzen und seine Befugnis zur rechtlichen Ordnung des i h m übertragenen Sachbereiches anzuwenden. Hierbei steht seine Tätigkeit als die Ausübung des Rechtsordnungs- (Rechtsgemeinschafts-) Willens zur Herstellung rechtsordnungsgemäßer Zustände selbst unter erhöhtem Schutz. I n der Hoheitsgewalt ist daher die Befugnis zur A h n dung der ihre Ausübung störenden Verstöße (Zuwiderhandlungen gegen das bei ihrem Auftreten von ihr ausgehende Gebot zum Wohlverhalten) 1
Klaus, S. 30. Klaus, S. 28 f. 3 Klaus, S. 11. — Nach Aeppli, S. 12, dient es der A h n d u n g des Disziplinarunrechts, das ein besonderes Verhältnis des Betroffenen zum Staat voraussetzt: entweder das öffentliche Dienstverhältnis oder der geschäftliche Verkehr von Privatpersonen m i t Amtsstellen. 4 Thormann-v. Overbeck, I I I , S. 390. 2
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enthalten. — Dieser Gedankengang erinnert i n etwa an die Verletzung des Thingfriedens i m germanischen Recht. Die Disziplinarstrafgewalt der Amtsstellen bietet manche Entsprechung zum Contempt of Court des englisch-amerikanischen Rechts, der seinerseits aus der Verletzung des Königsfriedens i m germanischen Recht entstanden ist 5 . Das weist auf Zusammenhänge hin. Es dürfte wohl die Annahme gerechtfertigt sein, daß es sich bei der Disziplinarstrafgewalt der Amtsstellen i n der Schweiz u m eine letzte Nachwirkung der einst dem germanischen König, dann auch andern Trägern der Hoheitsgewalt eigenen Befugnis, am Ort der Ausübung ihrer Hoheitsgewalt und überhaupt für die Ausübung dieser Gewalt einen erhöhten (Friedens-)Schutz herzustellen und Verletzungen desselben zu bestrafen, und schließlich der allgemein dem Hoheitsträger als dem Verkörperer der Rechtsordnung zukommenden Befugnis, die Behinderung i n der Ausübung des Hoheitsrechts zu ahnden, handelt (wie ja auch der Ursprung unserer heutigen prozessualen Ordnungsstrafe i n solchen Erscheinungen zu suchen sein wird). So scheint das heutige Rechtsgebilde auf eine frühere Stufe der Rechtsentwicklung hinzuweisen. Nach seiner Herkunft setzt es wohl eine persönlichkeitsgebundene, auf einem persönlichen Treueverhältnis beruhende Hoheitsgewalt voraus. Nach der Versachlichung der Staatsgewalt und der Institutionalisierung der Staatsverwaltung, insbesondere nach der Gewaltenteilung, fehlt i h m die rechte Grundlage. Es ist denn auch i n Deutschland auf die Ordnungsstrafgewalt des Richters beschränkt, wo es am ehesten gerechtfertigt erscheint, weil hier die Betätigung der auf die Durchsetzung der Rechtsordnung gerichteten Hoheitsgewalt des Staates am unmittelbarsten hervortritt. I m übrigen gibt es nur (oder sollte es nur geben) die Zwangsstrafe als das der versachlichten, institutionalisierten Staatsverwaltung angemessene Mittel, sich durchzusetzen und i n ihrem Wirkungsbereich entsprechend ihrem (ihr von Rechts wegen erteilten) Auftrag die (rechtliche) Ordnung herzustellen. — Immerhin mag es für die Verhältnisse und die Anschauungen i n der Schweiz aufschlußreich sein, daß es dort eine Strafgewalt der Amtsstellen gibt, die auf der Annahme einer A r t Disziplinarverhältnis als Verwaltungsunterwerfungsverhältnis zwischen der die Hoheitsgewalt ausübenden Verwaltung und dem mit i h r i n Berührung kommenden Bürger beruht. 2. Die Ordnungsbuße im engeren Sinne
Neben dieser Ordnungsbuße, die auch als Disziplinarbuße (Disziplinarstrafe) bezeichnet wird, gibt es noch eine andere, die ihr recht nahe kommt und eine von Verwaltungsbehörden zu verhängende Sanktion einfacher Zuwiderhandlungen gegen gesetzliche oder behördliche A n ordnungen (Ordnungswidrigkeiten, Ordnungsverletzungen oder Wider5
Lienert, S. 9 f., m i t Nachweisen.
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handlungen genannt) darstellt. Sie hat mit der eigentlichen Disziplinarbuße gemein, daß der einzelne hier gleichsam als i n einem durch Eintritt i n den behördlichen Wirkungskreis begründeten Pflichtenverhältnis zu der die Staatshoheit ausübenden Verwaltungsbehörde stehend erscheint. Doch w i r d man den Grund der Bestrafung kaum mehr i n der Nichtbeachtung eines hoheitlichen Befehls (dies kann höchstens bei manchen Tatbeständen Anknüpfungspunkt der Strafdrohung sein) oder i n der Störung der Hoheitsgewalt, sondern i m materiellen Gehalt der Tat zu suchen haben. Aber zur Erreichung des Zweckes der Strafdrohung soll eine Ahndung i m Rahmen des erwähnten Verhältnisses einzelner — Verwaltungsbehörde (d. h. der Behörde, die zur Überwachung des Lebensbereiches, i n dem der einzelne bestimmte Pflichten i m Interesse der A l l gemeinheit hat, zuständig ist und dazu auch gewisse Anordnungs- und Leitungsbefugnisse besitzt) genügen: I n diesem Sinne handelt es sich bei den mit Ordnungsbuße bedrohten Zuwiderhandlungen um nicht der öffentlichen Sühne bedürfendes Unrecht. Aus der A r t der Abgrenzung folgt schon der nur quantitative Unterschied zu den sonstigen strafbaren Handlungen und insbesondere Übertretungen. Insofern die Ordnungsbußen nur i m Rahmen jener Beziehung zwischen der Verwaltung und dem einzelnen verhängt werden, kann man sagen, daß sie ähnlich der oben genannten Disziplinarbuße Handlungen zum Gegenstand haben, bei denen die Bestrafung — i m Gegensatz zum Polizeistrafrecht — gerade nicht an die Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder des Zusammenlebens der Bürger anknüpfen (sonst müßten Polizeistrafen — Ubertretungsstrafen — angedroht werden), sondern sich ihrer Bedeutung nach i m Rahmen des dargestellten Pflichtenverhältnisses halten soll 6 : „Sie betreffen diejenigen Zuwiderhandlungen gegen die einschlägigen Gesetzesvorschriften, welche nach Auffassung des Gesetzgebers nicht gleichzeitig die öffentliche Ordnung verletzen und daher nicht i n den Kreis des öffentliche Sühne bedürfenden Unrechts fallen 7 ." Man muß sich aber auch hier davor hüten, von Zuwiderhandlungen lediglich gegen Verwaltungsinteressen (Interessen der Verwaltung an einer reibungslosen Verwaltungstätigkeit) oder von Störungen des Verwaltungsablaufs zu sprechen 8. Denn das Pflichtenverhältnis i m Bereich der Ordnungsbuße w i r d nicht durch das Interesse der Verwaltung an einer reibungslosen Verwaltungstätigkeit, sondern allein durch die auf Herstellung einer gerechten Ordnung gerichtete Ausübung hoheitlicher Ge0
Siehe Baer, S. 10 ff.; Renold, S. 8. Renold, a.a.O. 8 Pfund (ZSchwR 90 [1971], S. 143 ff.) untersucht den I n h a l t der Verwaltungsverstöße u n d der Ordnungsbuße i m Lichte einer gewandelten Staatsauffassung — nunmehr unter dem B l i c k p u n k t des Sozial- u n d Wohlfahrtsstaates. Von einer darauf ausgerichteten Gesetzgebung werde schwerlich gesagt werden können, „ . . . i h r ethischer Gehalt, i h r Sollenscharakter u n d ihre Lenkungsk r a f t sprächen das Gewissen nicht an" (S. 153). 7
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wait begründet, der der Staatsbürger wegen des verfolgten Zieles als Angehöriger und Mitträger des Staatsverbandes unterworfen ist. Eine Verschiedenartigkeit der Delikte läßt sich nicht aus der Verschiedenartigkeit des Anknüpfungspunktes (die hier i n erster Linie nur eine unterschiedliche Zuständigkeit bedingt), sondern allein aus einer solchen i m materiellen Unrecht herleiten, an der es jedoch fehlt: Es handelt sich u m unterschiedliche Schwere des Unrechts 9 . Weiterhin ist jedoch insbesondere für die Strafbefugnis der Verwaltungsbehörde wichtig, daß die Ordnungsbuße die Funktion der Zwangsstrafe m i t zu erfüllen hat 1 0 . Die Strafe w i r d i m einzelnen Falle zwar wegen der begangenen Tat verhängt, aber die Bedrohung bestimmter Taten m i t Strafe verfolgt i m ganzen die sonst mit der Zwangsstrafe erstrebten Zwecke. Hier ergibt sich sogleich der Ubergang zu den eigentlichen Übertretungen i n Gestalt der Ungehorsamstatbestände (§ 292 StGB, ferner etwa § 328 StPO Zürich) 1 1 . Bezeichnenderweise kennt die Schweiz kaum Zwangsstrafen als Mittel des Verwaltungszwanges 12 . Ihre Funktion w i r d außer von strafrechtlichen Ungehorsamsstrafen von den erwähnten Ordnungsbußen (im engeren Sinne und den Disziplinarstrafen gegen Private) erfüllt. Wohl wird, wie hervorgehoben, auch die Ordnungsbuße i n erster Linie deshalb verhängt, „ w e i l sich der Gebüßte nicht rechtsgemäß verhalten h a t " 1 3 ; dies hindert aber nicht, daß sie als Institution außer dem Zweck der A h n dung begangener Widerrechtlichkeit auch die Funktion erfüllt, die sonst den Verwaltungszwangsstrafen zukommt. Auch dies bestätigt die Bemerkungen über Herkunft und Charakter jener Ordnungsbußen. Der Ungehorsam gegenüber amtlichen Anordnungen beschränkt sich keineswegs stets auf das besprochene Pflichtenverhältnis, sondern greift sehr oft darüber hinaus und berührt die öffentliche Ordnung; dann t r i t t das Verlangen nach öffentlicher Sühne i n Erscheinung. Die Abstufung zeigt sehr gut etwa ein Vergleich der erwähnten Disziplinarstrafvorschriften (§ 2 Ziff. 2 Ordnungsstrafgesetz Zürich und Art. 7, 8 Abs. 2 EGStGB St. Gallen) m i t § 328 StPO Zürich (Polizeistrafe des kantonalen Rechts) 14 und Art. 292 Schweizer StGB (Übertretungsstrafe des eid9
Schultz, S. 31 ; w o h l auch Peter, SchwZStr 90 (1974), S. 338. Darauf weist Aeppli, S. 12, hin. 11 Siehe weiter u. A n m . 14. — Vgl. auch z. B. A r t . 86 Abs. 2 K V Nidwaiden, wonach der Gemeinderat bei Nichtausführung seiner Anordnungen Ordnungsbuße bis zu 50 Fr. verhängen kann. 12 Brenn, S. 7. 13 Klaus, S. 9. 14 „Die Verwaltungsbehörden können zur Vollziehung der i n ihre Zuständigkeit fallenden Gesetze u n d Verordnungen, wenn diese keine Strafandrohungen enthalten, i m einzelnen Falle Bussen androhen . . . Z u r Ausfällung der Bussen 10
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genössischen Rechts; der T a t b e s t a n d k a n n n u r v o r s ä t z l i c h v e r w i r k l i c h t w e r d e n ; b e i F a h r l ä s s i g k e i t u. U. O r d n u n g s s t r a f e oder P o l i z e i b u ß e ) 1 5 . D a b e i e r g i b t sich, daß die A u f g a b e der V e r w a l t u n g s z w a n g s s t r a f e z u m T e i l auch v o n d e n sogenannten U n g e h o r s a m s s t r a f e n e r f ü l l t w i r d 1 6 . 3. Materielles Recht und Verfahrensrecht D i e Schweizer O r d n u n g s b u ß e i m engeren S i n n e findet sich v o r a l l e m i n F i s k a l - u n d Versicherungsgesetzen 1 7 , aber auch ζ. B . i n d e n B u n d e s gesetzen ü b e r B a n k e n u n d Sparkassen v o m 8. N o v e m b e r 1934 ( A r t . 51) 1 8 , das Schiffsregister v o m 28. S e p t e m b e r 1923 ( A r t . 62) 1 9 , d e n V e r k e h r m i t E d e l m e t a l l e n v o m 20. J u n i 1933 ( A r t . 55) 2 0 , d i e A u s w a n d e r u n g s a g e n t u r e n v o m 23. M ä r z 1888 ( A r t . 18) 2 1 u s w . Sie w a r i m A b n e h m e n b e g r i f f e n , w e i l d i e E n t w i c k l u n g d a h i n g i n g , eine A n g l e i c h u n g a n das a l l g e m e i n e S t r a f recht z u erreichen u n d die O r d n u n g s v e r s t ö ß e i n d e n Ü b e r t r e t u n g e n a u f gehen z u lassen 2 2 . D i e s zeigte sich d a r a n , daß neuere Gesetze d i e O r d n u n g s b u ß d r o h u n g e n ä l t e r e r Gesetze, die sie ablösten, n i c h t ü b e r n a h m e n 2 3 ; sie h a t t e n n u r noch e i n h e i t l i c h Ü b e r t r e t u n g s - oder V e r g e h e n s t a t sind die i n den §§ 333 u n d 334 genannten Stellen (Gemeinderat u n d Stadthalteramt) zuständig." 15 „Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen. Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses A r t i k e l s an i h n erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, w i r d m i t Haft oder m i t Busse bestraft." 16 M i t den vorstehenden Ausführungen wurde n u r versucht, die nach A n sicht des Verfassers f ü r das Schweizer Ordnungsstrafrecht bedeutsamen (ihm zugrunde liegenden) Gedanken herauszustellen. I h r e Beurteilung insbesondere i m Hinblick auf das deutsche Recht, die freilich bereits anklang, bleibt dabei offen, vor allem die Frage, ob es ein über das Pflichtenverhältnis Staatsbürger — Amtsstelle nicht hinausreichendes, aber Sanktionen bedürfendes Unrecht geben kann. 17 ζ. B. i n A r t . 104 des Zollges. v o m 1. Oktober 1925 (BS 6, S. 465), A r t . 62 des Alkoholges. v o m 21. J u n i 1932 (BS 6, S. 857), A r t . 91 des B G über die Altersu n d Hinterlassenenversicherung v o m 20. Dezember 1946 (BS 8, S. 447), A r t . 70 des B G über die Invalidenversicherung v o m 19. J u n i 1959 (AS 1959 S. 827), A r t . 10 des B G betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen i m Gebiete des Versicherungswesens v o m 25. J u n i 1885 (BS 10, S. 289), A r t . 19 des B G über die Kautionen der Versicherungsgesellschaften v o m 4. Februar 1919 (BS 10, S. 296), A r t . 31 des B G über die Sicherstellung von Ansprüchen aus Lebensversicherungen ausländischer Versicherungsgesellschaften v o m 25. J u n i 1930 (BS 10, S. 303) usw. 18 BS 10, S. 337. 19 BS 7, S. 305. 20 BS 10, S. 130. 21 BS 10, S. 232. 22 Über die Abgrenzungsfrage u n d zum Stand der Meinungen vgl. o. S. 252, A n m . 45. 23 So fehlen ζ. B. i m Eisenbahnges. v o m 20. Dezember 1957 (AS 1958 S. 335), i m Getreideges. v o m 20. März 1959 (AS 1959 S. 995) u n d i m Arbeitszeitges. v o m 8. Oktober 1971 (AS 1972 S. 604) die i n den aufgehobenen Gesetzen über den
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2. Teil: Hechtsvergleichende Untersuchung
bestände. Dieser Prozeß wurde durch das am 1. Januar 1975 i n Kraft getretene Bundesgesetz
über
das Verwaltungsstraf
recht
v o m 22. M ä r z
197424 jedenfalls für die Widerhandlungen, deren Verfolgung und Beurteilung einer Verwaltungsbehörde des Bundes übertragen ist (Art. 1), i n eine gegenteilige Richtung gelenkt: A r t . 3 führt den Begriff der Ordnungswidrigkeit ein. Sie ist i m Sinne dieses Gesetzes die vom einzelnen Verwaltungsgesetz als solche bezeichnete oder die mit Ordnungsbuße bedrohte Übertretung 2 5 . Die Ordnungswidrigkeiten stellen vielfach Zuwiderhandlungen gegen Anmelde- und ähnliche Pflichten dar. Zuweilen werden einfach die Widerhandlungen oder der Ungehorsam gegen Ordnungsvorschriften mit (Ordnungs-)Buße 26 bedroht, oder die Ordnungsverletzung kommt als subsidiärer Tatbestand, als Nichtbefolgen dienstlicher Anordnungen, Verweigerung der Auskunft oder Übertretung der Vorschriften einer Konzession usw. vor 2 7 . Ob die Ordnungsbußen echte Strafen sind, ist i n der Schweizer Rechtslehre nicht eindeutig geklärt. Manche unterscheiden zwischen den einzelnen Arten der Ordnungsbußen und erkennen den Disziplinarbußen (ζ. B. nach § 2 des Ordnungsstrafengesetzes von Zürich) nicht den Charakter einer echten staatlichen Strafe zu, da sie auf Grund eines besonderen Gewaltverhältnisses verhängt würden 2 8 . Dagegen hält die wohl herrschende Meinung die Ordnungs- und Disziplinarstrafen für echte Strafen, auch wenn sie nicht allen Regeln des Polizei- oder K r i m i n a l strafrechts folgen 29 . Die Ordnungsbußen w i r d man den ÜbertretungsBau u n d Betrieb der Eisenbahnen v o m 23. Dezember 1872 (BS 7, S. 3) (Art. 34), über die Getreideversorgung v o m 7. J u l i 1932 (BS 9, S. 439) (Art. 33 Abs. 3) u n d die Arbeitszeit beim Betrieb der Eisenbahnen v o m 6. März 1920 (BS 4, S. 766) (Art. 19) enthalten gewesenen Ordnungsbußandrohungen. 24 AS 1974 S. 1857. — I m folgenden B G V S t R abgekürzt. 25 Peter, SchwZStr 90 (1974), S. 338, h ä l t die Definition f ü r nichtssagend u n d überflüssig. Sie widerspricht i m übrigen der bisher herrschenden Meinung über das Wesen der Ordnungswidrigkeit (siehe darüber näher i m zweiten Band). I n der Schweiz wurde allerdings die Grenzlinie zum i m engeren Sinne k r i m i nellen Strafrecht, also zur Übertretung, nicht so scharf gezogen (vgl. o. S. 252, A n m . 45). Ähnliches gilt f ü r die hier zu behandelnde Ordnungsbuße i m engeren Sinne (vgl. o. S. 251, A n m . 41). 28 Die Begriffe v/erden nicht i m m e r einheitlich verwendet. Siehe dazu die i m Anhang zum B G über das Verwaltungsstraf recht geänderten u n d neu bekanntgemachten Bundesgesetze (AS 1974 S. 1857 ff.). 27 I m Bereich des Bundesrechts erstrecken sich die Ordnungswidrigkeiten i m wesentlichen — w i e bisher — auf die Steuern, das Zollwesen, das A l k o h o l monopol, das B a n k - u n d Kreditwesen, den Post- u n d Fernmeldeverkehr, die Rohrleitungsanlagen, die L u f t f a h r t , die elektrischen Anlagen, das Filmwesen, die Landwirtschaft u n d die Privatversicherung. 28 Brenn, S. 6, 8; Aeppli, S. 12 f. 29 Hafter, Lehrbuch, 1. Aufl., S. 238; 2. Aufl., S. 293 f.; Klaus, S. 7 ff.; Schwander, S. 22; Pf ister, SchwSZtr 83 (1967), S. 300. Siehe näher o. S. 251, A n m . 41.
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büßen größtenteils gleichstellen können. Für die Disziplinarbußen ist der Straf char akter in der neueren Gesetzgebung ausdrücklich anerkannt worden. So haben der i n das Zürcher Ordnungsstrafengesetz durch Art. 80 des EGStGB vom 6. J u l i 1941 eingefügte § 4 a und Art. 9 Abs. 1 lit. a Nr. 2 des EGStGB St. Gallen die Vorschriften des StGB über Strafzumessung, Vollstreckung und Umwandlung von Bußen 3 0 auf die Diszi plinarbußen, Zürich auch auf die anderen Ordnungsbußen für anwendbar erklärt. Vor allem ist demzufolge die Buße „nach den Verhältnissen des Täters" so zu bemessen, daß dieser eine „seinem Verschulden angemessene" Strafe erleidet (Art. 48 Ziff. 2 StGB). Gemäß § 4 des Zürcher Ordnungsstrafengesetzes (i. d. F. von 1926) richtet sich die Obergrenze der Buße nach den für die Behörden geltenden Sätzen der Polizei(Übertretungs-)Bußen 31 . Dies läßt erkennen, daß auch die m i t Ordnungsoder Disziplinarbuße bedrohten Zuwiderhandlungen i n das Bemühen, einen einheitlichen Begriff der strafbaren Handlung zu schaffen, einbezogen werden. Das Verbot der Doppelbestrafung gilt freilich nicht für die genannten Disziplinarbußen 32 , wohl aber regelmäßig für die Ordnungsbußen i m engeren Sinne schon auf Grund der i n den betreffenden Gesetzen enthaltenen Subsidiaritätsklausel. Damit sind diese Ordnungswidrigkeiten den Übertretungen weitgehend angenähert; eine feste Grenze besteht nicht, und es ist vielfach zweifelhaft, ob es sich um eine Übertretung i m engeren Sinne oder u m eine sogenannte Ordnungsverletzung, gegen die m i t einer Ordnungsbuße eingeschritten wird, handelt. Sie stehen so zwischen den Übertretungen und den einfachen Disziplinarverstößen der mit der Verwaltung amtlich verkehrenden Privatpersonen, bald mehr zu den einen, bald mehr zu den andern hinneigend; sie bilden einen Übergang zwischen beiden und erscheinen nur als nicht der öffentlichen Sühne anheimfallendes Unrecht m i t den Disziplinarverstößen zu einer Gruppe vereint. Die Ordnungsvorschriften enthalten kaum allgemeine Bestimmungen. Doch ist auf das Ordnungsstrafrecht des Bundes Art. 333 Abs. 1 StGB 3 3 anwendbar, und Art. 2 BGVStR erklärt grundsätzlich die allgemeinen Bestimmungen des StGB für anwendbar. Für das kantonale Ordnungsstrafrecht gelten die allgemeinen Bestimmungen des StGB mindestens subsidiär 34 . Auch insoweit t r i t t das Bestreben nach Vereinheitlichung der Strafrechtsnormen hervor, und es zeigt sich, daß das Ordnungsstrafrecht als zum Strafrecht gehörig betrachtet wird. Die Ordnungsverstöße (Widerhandlungen, Ordnungswidrigkeiten) sind demzufolge nur bei Ver30 A r t . 48 Ziff. 2, A r t . 49 StGB; Zürich außerdem A r t . 48 Ziff. 3, wonach die Buße m i t dem Tod des Verurteilten wegfällt. 31 Vgl. §§ 328, 333 StPO Zürich v o m 4. M a i 1919. 32 Schwander, S. 16. 33 Vgl. o. S. 246, A n m . 8. 34 Hafter, Lehrbuch, 2. Aufl., S. 298, A n m . 1 a. E.
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2. Teil: Hechtsvergleichende Untersuchung
schulden strafbar 3 5 ; regelmäßig genügt aber Fahrlässigkeit. Versuch und Beihilfe werden i m allgemeinen nicht bestraft, wohl aber Anstiftung. Dagegen stellt Art. 5 BGVStR für seinen Geltungsbereich, also die Widerhandlungen, deren Verfolgung und Beurteilung einer Verwaltungsbehörde des Bundes übertragen ist, den Gehilfen dem Anstifter gleich; dieser w i r d milder, jener strenger bestraft, als es nach dem StGB der Fall wäre (Art. 24, 25, 102, 104 Abs. 1 StGB). Die Ordnungsbußdrohungen richten sich i n vielen Fällen auch gegen juristische Personen, vor allem i m Versicherungsrecht 36 . Mitunter werden die Gesellschaften und ihre unmittelbar handelnden Organe, Vertreter und Hilfspersonen nebeneinander bestraft. Doch ist die Strafbarkeit der Personenverbände auch i m Bereich der Ordnungsverstöße keine allgemeine Erscheinung 37 . Oft t r i f f t die Organe und Vertreter die strafrechtliche Verantwortlichkeit anstelle des Personenverbandes 38 . Die juristische Person oder die nichtrechtsfähige Gesellschaft haftet dann solidarisch m i t dem Verurteilten für die Zahlung der gegen ihn verhängten Buße 39 . Eine stellvertretende strafrechtliche Haftung natürlicher Personen w i r d allgemein nicht angenommen 40 , wohl aber mehrfach eine solidarische Mithaftung der Auftraggeber und Geschäftsherren bzw. des Familienoberhauptes 41 . Art. 6 Abs. 1 BGVStR enthält jetzt eine umfassende strafrechtliche Verantwortlichkeit der natürlichen Personen für Widerhandlungen beim Besorgen der Angelegenheiten einer juristischen Person, Firma oder Personengesamtheit ohne Rechtspersönlichkeit oder sonst bei Ausübung entsprechender Verrichtungen für einen andern. Art. 6 Abs. 2 BGVStR dehnt die Strafbarkeit des Geschäftsherrn aus. Unterläßt er es nämlich vorsätzlich oder fahrlässig i n Verletzung einer Rechtspflicht, eine Widerhandlung eines Untergebenen abzuwenden oder i n ihren Wirkungen aufzuheben, so verfällt er den Strafbestimmungen, die für den mit der entsprechenden Schuldform handelnden Täter gelten 4 2 » 4 3 . Die Umwan-
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Ebenso Klaus für das Züricher Gesetz über Ordnungsstrafen. A r t . 10 des Versicherungsaufsichtsges. v o m 25. J u n i 1885, A r t . 19 des Kautionsges. v o m 4. Februar 1919, A r t . 31 des Sicherstellungsges. v o m 25. J u n i 1930 (vgl. o. S. 285, A n m . 17), neu bekanntgemacht am 24. März 1974 (AS 1974 S. 1857, Anhang Nr. 23 - 25). 37 Über die wechselnde Rechtsprechung des Schweizer Bundesgerichts und kritisch dazu Schultz, S. 101, sowie eingehend Seiler, S. 208 ff. Nach A r t . 7 B G VStR ist sie unter bestimmten Voraussetzungen vorgesehen. 38 z. B. früher nach A r t . 55 Abs. 3, 51 des B G über denVerkehr m i t Edelmetallen v o m 20. J u n i 1933. Die Bestimmungen w u r d e n durch das B G über das V e r waltungsstrafrecht aufgehoben (a.a.O., Anhang Nr. 20). 39 Dagegen Schultz, S. 101. 40 Doch soll sie i m Disziplinarstrafrecht, z. B. dem von Zürich, i n gewissen Fällen möglich sein, siehe Klaus, S. 32. 41 So i n den jetzt aufgehobenen Bestimmungen der A r t . 105 Abs. 3, 100 des Zollges. v o m 1. Oktober 1925 (a.a.O., A n h a n g Nr. 7). Kritisch Schultz, S. 101. 36
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d e l b a r k e i t der n i c h t b e i t r e i b b a r e n O r d n u n g s b u ß e i n H a f t ist u m s t r i t t e n 4 4 ; zeitweise schien d i e E n t w i c k l u n g f ü r die U m w a n d e l b a r k e i t z u sprechen 4 5 . D e m g e g e n ü b e r ist i n n e u e r e r Z e i t eine g e g e n t e i l i g e Tendenz z u beobachten: N a c h A r t . 10 A b s . 1 u n d 2 B G V S t R ist d i e U m w a n d l u n g ausgeschlossen. Gleiches w i r d auch o h n e ausdrückliche R e g e l u n g nach d e m Bundesgesetz ü b e r O r d n u n g s b u ß e n i m S t r a ß e n v e r k e h r v o m 24. J u n i 1970 ( A S 1972 S. 734) a n g e n o m m e n 4 6 » 4 7 . B e i m Z u s a m m e n t r e f f e n v o n W i d e r h a n d l u n g e n gegen verschiedene V e r w a l t u n g s g e s e t z e oder gegen e i n V e r w a l t u n g s g e s e t z u n d e i n n i c h t u n t e r A r t . 1 B G V S t R fallendes Gesetz w e r d e n d i e B u ß e n g r u n d s ä t z l i c h separat ausgesprochen u n d k u m u l i e r t ( A r t . 9 B G V S t R , A r t . 68 S t G B ) . Dies g i l t n i c h t b e i F r e i h e i t s s t r a f e n 4 8 , w o h l aber b e i O r d n u n g s b u ß e n u n d g e w ö h n l i c h e n B u ß e n des S t G B 4 9 . O r d n u n g s - u n d D i s z i p l i n a r s t r a f e n sowie die w e g e n V e r s t ö ß e n gegen fiskalische Bundesgesetze ausgesprochenen B u ß e n u n d U m w a n d l u n g s s t r a f e n w e r d e n nach A r t . 12 Z i f f . 4, 5 d e r eidgenössischen S t r a f r e g i s t e r v e r 42 Peter sieht darin eine Erweiterung der Strafbarkeit über das unechte Unterlassungsdelikt hinaus, w e n n der Geschäftsherr erst nach der Tat K e n n t nis erhält u n d deren W i r k u n g e n nicht aufhebt, soweit es i h m möglich ist (SchwZStr 90 [1974], S. 339). 43 I m Falle einer juristischen Person, K o l l e k t i v - , Kommanditgesellschaft, Einzelfirma oder Personengesamtheit ohne Hechtspersönlichkeit sind die schuldigen Organe, Organmitglieder, tatsächlich leitende Personen, L i q u i d a toren usw. verantwortlich (Art. 6 Abs. 3 BGVStR). 44 Ablehnend Klaus, S. 15, 49; Obergericht Zürich, Bl. Zürch. Rspr. 29 (1930), Nr. 97 S. 251 ff. (aber die Meinung der einzelnen K a m m e r n des Obergerichts w a r unterschiedlich; vgl. a.a.O., S. 254); B G E 61 I I I 132; 72 I 251, 255; ebenso Germann, A n m . zu A r t . 49, sowie Kommentar, Vorbem., S. 25. 45 Hafter hält sie nach A r t . 49 Ziff. 3, A r t . 333 Abs. 1 StGB für zulässig (Lehrbuch, 2. Aufl., S. 298, A n m . 1 a. E.). § 4 a Ordnungsstrafenges. Zürich (eingefügt durch A r t . 80 EGStGB) u n d A r t . 9 lit. a Ziff. 2 EGStGB St. Gallen ordnen ausdrücklich die U m w a n d l u n g der Disziplinarbußen (Zürich auch der Ordnungsbußen) gemäß A r t . 49 Ziff. 3 StGB an. Befürwortend auch schon die V e r w a l tungskommission des Züricher Obergerichts, Bl. Zürch. Rspr. 29 (1930), S. 254 f. 40 Schultz, S. 31. 47 M i t diesem Gesetz sollte keine Entkriminalisierung des Verkehrsstrafrechts angestrebt (Botschaft des Bundesrates v o m 14. M a i 1969, BB1. 1969 I 2 S. 1091; i h r schließt sich Aeppli, S. 93, an), vielmehr die gesetzliche Grundlage f ü r die Durchführung eines Kurzverfahrens zur A h n d u n g der Massenverkehrsdelinquenz i m sogenannten Ticketverfahren geschaffen werden. Diese ist i n A r t . 1 Abs. 2 enthalten: Vorleben u n d persönliche Verhältnisse des Täters w e r den bei Erhebung der Buße, die überwiegend für eine echte Strafe gehalten w i r d (vgl. o. S. 251, Anm. 41), nicht berücksichtigt. Nach A r t . 102 Ziff. 1 Abs. 1 des B G über den Straßenverkehr (SVG) v o m 19. Dezember 1958 (AS 1959 S. 679) finden nämlich die allgemeinen Bestimmungen des StGB — also auch die Strafzumessungsregeln der A r t . 48 Abs. 2 u n d 63 StGB — i m Verkehrsstrafrecht insoweit Anwendung, als das SVG keine abweichenden Vorschriften enthält, u n d nach A r t . 100 Ziff. 1 Abs. 2 SVG k a n n lediglich i n leichten Fällen von einer Strafe Umgang genommen werden, was einen Verzicht auf jede Sanktion bedeutet. 48 A r t . 68 StGB bleibt hier anwendbar; Umkehrschluß zu A r t . 9 BGVStR (Peter, SchwZStr 90 [1974], S. 339), aber w o h l bestritten. 49 Botschaft des Bundesrates v o m 21. A p r i l 1971, BB1. 1971 I 2 S. 1006.
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2. T e i l :
echtsvergleichende Untersuchung
Ordnung vom 21. Dezember 1973 (AS 1974 S. 57) i. d. F. vom 25. November 1974 (AS 1974 S. 1946) nicht i n das Strafregister eingetragen. Das Verfahren ist i n der Regel ein reines Verwaltungsverfahren. Die Strafverhängung obliegt der zuständigen Verwaltungsbehörde. Uberwiegend gilt das Opportunitätsprinzip. Die mündliche Einvernahme w i r d wie überhaupt die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme i n das Ermessen der Behörde gestellt, das Recht des Beschuldigten auf rechtliches Gehör aber oft ausdrücklich zugesichert. Als Rechtsmittel gegen die Ordnungsbußenverfügung ist meistens Verwaltungsbeschwerde an die Oberbehörde 50 , teilweise auch Verwaltungsgerichtsbeschwerde, in einigen Fällen Rekurs an eine besondere Rekursbehörde gegeben. Beschwerde» oder rekursberechtigt sind auch die mithaftenden (mitverpflichteten) Personen. Für die Widerhandlungen (Ordnungswidrigkeiten), deren Verfolgung und Beurteilung einer Verwaltungsbehörde des Bundes übertragen ist, ist das Verfahren jetzt einheitlich durch das am 1. Januar 1975 i n K r a f t getretene Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen und unter Berücksichtigung der Prinzipien der Menschenrechtskonvention geregelt 51 .
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Zuweilen m i t der Möglichkeit weiterer Beschwerde. Siehe eingehend o. S. 258 f., u n d Peter, SchwZStr 90 (1974), S. 337 ff.
FRANKREICH I . D i e gesetzliche Einteilung der strafbaren Handlungen 1. Das System des Code pénal vom 22. Februar 1810
Das französische Strafrechtssystem beruht auf der Dreiteilung der strafbaren Handlungen i n Verbrechen, Vergehen und Übertretungen (crimes, délits et contraventions). Die Übertretungen heißen auch Polizeiübertretungen (contraventions de police; vor 1958 häufig contraventions de simple police genannt) und werden als strafbare Handlungen, die die Gesetze mit Polizeistrafe bedrohen, definiert 1 . Dies legt die Vermutung nahe, das Polizeistrafrecht (Verwaltungsstrafrecht, soweit beide gleichzusetzen sind) habe jeweils i m vierten Buch des ersten und zweiten Teils des Code pénal, das von den Übertretungen handelt, eine eigene Regelung erhalten. Ein solcher Gedanke liegt der Deliktseinteilung des Code pénal aber nicht zugrunde, denn für die Dreiteilung w i r d nur die relative Schwere der Delikte berücksichtigt 2 , so daß mit „contraventions de (simple) police" die i n einer Gruppe zusammengefaßten leichten strafbaren Handlungen (also die Bagatelldelikte) gemeint sind. Der gesetzliche Einteilungsmaßstab ist die angedrohte Strafe (distinctio delictorum ex poena, die dadurch gerechtfertigt sei, daß der Gesetzgeber bei Festlegung der Strafandrohung eine distinctio poenarum ex delicto vorgenommen habe) 3 . Z u den Bagatelldelikten gehören nicht nur Übertretungen von Polizeivorschriften (wegen ihrer nur örtlichen Bedeutung und geringen Schwere), sondern ebenso leichte Verletzungsdelikte, Forst- und Wegedelikte, Verkehrsdelikte usw. Andererseits w i r d es auch als gerechtfertigt angesehen, sogenannte eigentliche Polizeiübertretungen (Zuwiderhandlungen gegen Polizeivorschriften) mit schwererer Strafe zu bedrohen, da die Strafdrohung sich nicht nur nach der moralischen Verwerflichkeit der Tat und den für sie geforderten subjektiven Voraussetzun1 A r t . 1 Abs. 1 C. p.: L'infraction que les lois punissent de peines de police est une contravention. 2 Ganz einhellige u n d unbestrittene Ansicht i n der französischen L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung; vgl. Berriat-Saint-Prix, S. 11; Ortolan , I, S. 282; R. Garraud , I, S. 222; I I I , S. 469; Roux , I, S. 89; Donnedieu de V obres, S. 97; VidalMagnol, I, S. 87; Vouin-Léauté, Dr. pén., 1956, S. 154, 155 f.; 1960, S. 23; 1969, S. 30; Faustin Hélie-Brouchot, S. 7; Mellor, S. 3; Kuhnmunch, J. C., A r t . 1 C. p., Nr. 2; Bouzat, S. 208; Stéfani-Levasseur, S. 6, 23 f.; Merle-Vitu , S. 388. 3 Ortolan, I, S. 274.
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2. T e i l :
echtsvergeichende Untersuchung
gen 4 , s o n d e r n i n erster L i n i e nach d e m sozialen N a c h t e i l z u r i c h t e n habe, d e n die T a t h e r v o r r u f e n k ö n n e 5 . D i e D r e i t e i l u n g der s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n h a t v o r a l l e m B e d e u t u n g f ü r die A n w e n d u n g d e r R e g e l n des A l l g e m e i n e n Teils, die z u m T e i l nach d e r D e l i k t s e i n t e i l u n g a b g e s t u f t sind, sowie f ü r d i e B e s t i m m u n g des z u s t ä n d i g e n Gerichts (die d r e i g l i e d r i g e G e r i c h t s o r g a n i s a t i o n e n t s p r i c h t d e r D r e i t e i l u n g der D e l i k t e ) u n d des a n z u w e n d e n d e n V e r f a h r e n s 6 . 2. Die Entstehung der Dreiteilung der strafbaren Handlungen im Code pénal D i e Französische R e v o l u t i o n b e d e u t e t e auch f ü r das S t r a f r e c h t F r a n k reichs e i n e n B r u c h m i t d e r b i s h e r i g e n E n t w i c k l u n g . M a n w o l l t e n e u b e g i n n e n u n d nach m o d e r n e n G r u n d s ä t z e n e t w a s anderes als das B i s h e r i g e schaffen. So t r e n n t das h e u t i g e französische S t r a f r e c h t i m B e w u ß t s e i n selbst b e d e u t e n d e r französischer S t r a f r e c h t l e r eine t i e f e K l u f t v o n d e m v o r r e v o l u t i o n ä r e n Recht, sogar d e r a r t , daß m a n c h e m e i n e n , seine G e schichte b e g i n n e e i g e n t l i c h erst i n d e r Französischen R e v o l u t i o n 7 . F r e i l i c h s i n d auch i m v o r r e v o l u t i o n ä r e n französischen S t r a f r e c h t A n k n ü p f u n g s p u n k t e z u finden, v o n d e n e n aus sich e i n P o l i z e i s t r a f r e c h t w i e i n a n d e r e n L ä n d e r n h ä t t e e n t w i c k e l n k ö n n e n ; d i e Französische R e v o l u t i o n h a t diese M ö g l i c h k e i t jedoch abgeschnitten. Das P r o b l e m des P o l i z e i strafrechts tauchte infolgedessen s p ä t e r g a r n i c h t auf. D i e F o r d e r u n g e n 4 Siehe über die Bedeutung dieser K r i t e r i e n i m französischen Recht unten zu der Einteilung i n délits intentionnels u n d non intentionnels. 5 Vgl. u. S. 330 m i t A n m . 131. Vgl. auch R. Garraud , I I I , S. 469 : Es gebe Polizeiübertretungen, die ein großes Übel oder eine beträchtliche Interessenverletzung zur Folge haben könnten u n d deshalb schwerer als Verbrechen (im Sinne der Zweiteilung) bestraft werden müßten. Et comme le Code pénal français classe les infractions d'après la peine q u i leur est appliquée par la loi, c'est exclusivement sur leur gravité et non sur leur nature (die bestimmt werde nach der intention de l'agent — au point de vue intentionnel et subjectif — u n d der immoralité du fait) qu'est basée cette division des faits punissables. 6 Vgl. auch u. S. 302 ff., 328 ff. 7 Vgl. Boitard , 2. Aufl., S. I f . : „Dans le droit pénal . . . presque tout est nouveau, presque tout a ressenti vivement l'influence du temps, des moeurs, des révolutions; et, sous ce rapport encore, nous aurons, je le répète, assez peu d'intérêt à consulter le droit ancien." Diesem U r t e i l schließt sich ζ. B. R. Garraud, I, S. 146, T e x t u n d A n m . 21, ausdrücklich an unter Zurückweisung der Einwendungen, die Faustin Hélie i m V o r w o r t zur 9. Auflage des Buches von Boitard (S. X ff.) dagegen erhoben hatte. Auch i n neueren Darstellungen des französischen Strafrechts k l i n g t diese Auffassung zuweilen an, u n d die Bemerkungen zur Strafrechtsgeschichte erinnern m i t u n t e r an den weiteren Satz Boitards (S. 2): „Aussi ne m'occuperai- je guère aujourd'hui de l'histoire du droit criminel antérieur à 1789 . . . que pour vous faire sentir, par quelques exemples saillans, quel immense intervalle sépare, à cet égard, les idées anciennes des textes nouveaux." — Heute w i r d dieser Einschnitt nicht mehr so stark hervorgehoben, sondern mehr der durch die Geistesströmungen des 18. Jahrhunderts u n d die Revolution von 1789 eingeleitete entwicklungsgeschichtliche Aspekt betont; vgl. etwa Merle-Vitu. S. 85 ff.; Bouzat, S. 88 ff.
Frankreich
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der Französischen Revolution gingen i n ganz andere Richtung 8 ; jede W i l l k ü r i n der Bestrafung sollte ausgeschaltet, die Strafe i n jedem Falle schon vor der Tat durch ein förmliches Gesetz bestimmt sowie nur i n einem gesetzlich vorgeschriebenen förmlichen Verfahren zu verhängen sein 9 und die Teilung der Staatsgewalten streng durchgeführt werden, was die Übertragung der gesamten Strafrechtspflege auf die Gerichte 10 zur Folge hatte. Das nach 1789 neu geschaffene Straf recht und seine weitere Entwicklung waren — wenigstens soweit sie unsere Frage betreffen — ganz auf die Forderungen und Neuerungen der Französischen Revolution ausgerichtet, die auch hinfort maßgebend geblieben sind, so daß andere Probleme nicht in den Blickpunkt des Interesses rücken konnten. Die Bezeichnung „contraventions de simple police" 1 1 ist ein historisches Überbleibsel. Unter Polizeidelikten verstand man i m Ancien Régime die Vergehen gegen Polizeivorschriften 12 . Es gab eine police générale und eine police locale (municipale) 13 . I m übrigen wurden bei den strafbaren Handlungen délits de grand criminel 1 4 und délits de petit criminel 1 5 unterschieden und den letztgenannten die délits (contraventions) de police générale zugeordnet 16 , hinwiederum den délits de police locale wohl andere leichte strafbare Handlungen gleichgeachtet 17 . Man klassifizierte die Delikte hierbei nur nach der Schwere (d'après l'ordre de gravité) 1 8 . So hatte sich i n Frankreich bereits unter dem Ancien Régime allmählich, wenn auch noch nicht i n voller Deutlichkeit, eine graduelle Dreiteilung der strafbaren Handlungen herausgebildet 19 . — 8 Vgl. z. B. A r t . 4, 5, 7 - 9, 16 der Menschenrechtserklärung v o m 26. August 1789. 9 So daß auch ein polizeiliches Strafrecht i m Sinne von Montesquieus bekanntem W o r t : „Dans l'exercise de la police, c'est plutôt le magistrat q u i p u n i t que la loi", vgl. o. S. 192, Anm. 44, unmöglich war. 10 Ausnahmen von diesem Grundsatz werden später erörtert. 11 Heute spricht man durchweg n u r noch von contraventions de police oder einfach von contraventions. 12 „Nous appelons Délits de Police toute Contravention aux Règlements particuliers faits pour la Police extérieure de l ' E t a t " (Muyart de Vouglans, L i v r e 3, Tit. 8, Sommaires, I). 13 Ortolan , I, S. 256. 14 M i t exemplarischen Strafen, peines afflictives ou infamantes genannt, i m außerordentlichen Verfahren — schriftlichen u n d geheimen Inquisitionsverfahren — verfolgt. 15 N u r Zucht- oder Besserungsstrafen, peines correctionnelles; Verfolgung i m summarischen ordentlichen Verfahren m i t öffentlicher mündlicher V e r handlung. 18 Ortolan , I, S. 275 ff. 17 Die Strafen waren hier admonitrices — ermahnend — (peines de simple police); eine scharfe Grenze insbesondere zwischen den Delikten der 2. u n d 3. Gruppe u n d den dazugehörigen Strafen bestand also nicht (Ortolan , I, S. 278, 283). 18 Ortolan , I, S. 282.
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
Die Verfassunggebende Versammlung (Assemblée Constituante) unterschied dementsprechend folgende drei Gruppen 2 0 : délits de police municipale, délits de police correctionnelle und délits de police de sûreté ou de nature à mériter peine afflictive ou infamante. Uber die hierbei — i m Anschluß an Begriffe des alten Rechts — zugrunde gelegten drei Arten von Polizei bestimmte die Präambel der L o i sur la police municipale et sur la police correctionnelle, du 19 - 2 2 juillet 1791: „ L a police municipale, qui a pour objet le maintien habituel de l'ordre et de la tranquillité dans chaque lieu . . . La police correctionnelle, qui a pour objet la répression des délits qui, sans mériter peine afflictive ou infamante, troublent la société et disposent au crime . . . — La police de sûreté, qui a pour objet de s'assurer de la personne de tous ceux qui seraient prévenus de crimes ou délits de nature à mériter peine afflictive ou infamante . . ." 2 1 . Die Delikte lediglich örtlicher Bedeutung sind danach Gegenstand der police municipale (locale), die von überörtlicher, die Gesellschaft i m ganzen angehender Bedeutung, aber geringerer Schwere der police correctionnelle (mit züchtigenden, erziehenden Strafen, weil die Täter solcher Delikte noch für besserungsfähig gehalten wurden) und die schweren schließlich der police de sûreté (mit exemplarischen, abschrekkenden Strafen, die sich nur nach dem Sicherheitsbedürfnis richten sollten, weil man die Täter so schwerer Taten nicht für besserungsfähig hielt). Der Code du 3 brumaire an I V unterschied schließlich klar zwischen peines de simple police, peines correctionnelles und peines afflictives ou infamantes (einfachen Polizeistrafen, Besserungsstrafen und exemplarischen Strafen; vgl. A r t . 1 C. p.). Wesensmäßig verschiedene Deliktsarten (im Sinne der Lehre vom Verwaltungsstrafrecht) sollten damit nicht bezeichnet werden; dies hätte mit der bereits i n A r t . 5 der Erklärung der Menschenrechte von 1789 niedergelegten Auffassung i n Widerspruch gestanden: La Loi n'a le droit de défendre que les actions nuisibles à la société... (Das Gesetz darf nur 19
Ortolan , I, S. 274 ff., 277, 278. Vor allem i n den Gesetzen v o m 19. - 22. J u l i 1791 (relatif à l'organisation d'une police municipale et correctionnelle; m i t Vorschriften über délits de police municipale u n d délits de police correctionnelle) sowie v o m 25. September bis 6. Oktober 1791 (Code pénal, m i t Vorschriften über crimes, d. h. délits, die i n den Bereich der police de sûreté fallen; vgl. auch das Gesetz v o m 16. - 29. September 1791 [concernant la police de sûreté, la justice criminelle et l'établissement des jurés]), die zusammen eine Straf rechtskodifikation bildeten (Lois annotées, S. 129, 155, 163). Das nächste strafrechtliche Gesetzgebungsw e r k vor dem Code pénal ist der von der Convention nationale erlassene Code des Délits et des Peines du 3 Brumaire an I V ( = 25. Oktober 1795; Lois de la République française, an I V , Nr. 1221 = Lois annotées, S. 362), der zwar v o r wiegend Verfahrensrecht enthielt, aber auch die Dreiteilung der strafbaren Handlungen auf G r u n d einer Dreiteilung der Strafen allein nach ihrer Schwere u n d i n ihrer Zuordnung zu einer dreigliedrigen Gerichtsorganisation eindeutig durchführte (Art. 559 ff.). 21 Siehe vorige A n m . 20
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d i e der Gesellschaft schädlichen H a n d l u n g e n v e r b i e t e n ) 2 2 . A l l e s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n k o n n t e n infolgedessen n u r e i n h e i t l i c h d e n B e s t a n d der Gesellschaft b e d r o h e n d e H a n d l u n g e n sein. M i t d e r g e n a n n t e n D e l i k t s e i n t e i l u n g v e r b a n d sich (schon v e r m ö g e des Gesichtspunktes der ö r t l i c h e n oder ü b e r ö r t l i c h e n W i c h t i g k e i t der s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n ) v o n A n f a n g a n die Z u s t ä n d i g k e i t s r e g e l u n g 2 3 ; es e n t sprach i h r die d r e i g l i e d r i g e G e r i c h t s o r d n u n g f ü r d i e e r s t i n s t a n z l i c h e Z u s t ä n d g i k e i t 2 4 . D e r Code d ' i n s t r u c t i o n c r i m i n e l l e v o m 27. N o v e m b e r 1808 2 5 u n d d e r Code p é n a l v o m 22. F e b r u a r 1810 (beide i n K r a f t g e t r e t e n a m 1. J a n u a r 1811) h a b e n diesen Hechtszustand e n d g ü l t i g festgelegt; er ist seither u n v e r ä n d e r t g e b l i e b e n 2 6 . E n t s p r e c h e n d d e n D e l i k t e n s i n d auch die S t r a f e n d r e i f a c h g e g l i e d e r t (vgl. A r t . 1 C. p.) i n e x e m p l a r i s c h e (Leibesstrafen u n d e n t e h r e n d e S t r a f e n — peines afflictives et infamantes), bessernde (züchtigende — peines correctionnelles) u n d e r m a h n e n d e ( P o l i z e i s t r a f e n — peines de police) S t r a f e n 2 7 . Dieser ebenfalls aus der v o r r e v o l u t i o n ä r e n Z e i t s t a m m e n d e n 22
Vgl. auch A r t . 8 dieser E r k l ä r u n g : L a L o i ne doit établir que des peines strictement et évidemment nécessaires . . . (Zitate der Menschenrechtserklär u n g nach dem Text bei M. Duverger, Constitutions et documents politiques, Paris, 1964). 23 So w u r d e n die délits de police municipale von der gemeindlichen — ö r t lichen — Polizeigewalt (police municipale) verfolgt. Nicht uninteressant ist i n diesem Zusammenhang, daß die Bürgermeister der Gemeinden, die nicht Bezirkshauptstädte waren, bis 1873 neben den Friedensrichtern (in Strafsachen, Polizeirichtern — juges de simple police) bestimmte, i m Gemeindegebiet begangene Übertretungen abzuurteilen hatten (alter A r t . 166 Code d'instr. crim., aufgehoben durch Gesetz v o m 27. Januar 1873). Noch heute w i r d die öffentliche Klage bei Übertretungen (Polizeistrafsachen), w e n n nicht der Staatsanwalt sie wegen der Höhe der angedrohten Strafe wahrnehmen muß oder aus anderen Gründen übernimmt, v o m örtlichen Polizeikommissar (in Ausnahmefällen durch den Bürgermeister oder einen seiner Beigeordneten) vertreten, i n Forstangelegenheiten durch einen Forstbeamten (Art. 45, 46 C. p. p.; vgl. vorher A r t . 144 C. cTinstr. crim.) sowie häufig i m Bereich des Nebenstrafrechts durch die Verwaltung, vgl. Stefani- Lev asseur, I I , S. 99 ff. A l l e diese Personen sind Vertreter der Staatsanwaltschaft. 24 Juge ou t r i b u n a l de simple police (oder juge de paix), heute t r i b u n a l de police; t r i b u n a l correctionnel; t r i b u n a l criminel (heute Cour d'assises). 25 Abgelöst durch den Code de procédure pénale (Buch I : Ges. v o m 31. Dezember 1957; Bücher I I - V : Ord. Nr. 5 8 - 1296 v o m 23. Dezember 1958, i n K r a f t getreten am 2. März 1959; seither zahlreiche Änderungen). 26 Vgl. A r t . I C . p.: L'infraction que les lois punissent de peines de police est une contravention. L'infraction que les lois punissent de peines correctionnelles est u n délit. L'infraction que les lois punissent dune peine afflictive ou infamante est u n crime. 27 Verbrechensstrafen (Leibesstrafen u n d entehrende Strafen) sind die T o desstrafe, kriminelles Zuchthaus (lebenslang oder zeitig, nämlich v o n fünf bis zu zehn oder zehn bis zu zwanzig Jahren; f ü r strafbare Handlungen des gemeinen S traf rechts), k r i m i n e l l e Festungshaft (lebenslang oder zeitig, das heißt von fünf bis zu zehn oder zehn bis zu zwanzig Jahren; f ü r politische
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
E i n t e i l u n g m i ß t m a n h e u t e n u r t e r m i n o l o g i s c h e B e d e u t u n g b e i ; sachlich w i r d sie abgelehnt, d a a l l e S t r a f e n die gleichen Z i e l s e t z u n g e n h ä t t e n , w e n n auch j e w e i l s e i n anderes Z i e l d e n V o r r a n g h a b e n k ö n n e 2 8 . D i e f r a g l i c h e n A u s d r ü c k e bezeichnen m i t h i n n u r verschieden schwere u n d verschieden h o h e Strafen. D u r c h die K r i t i k a n der S t r a f e n b e n e n n u n g ist die D r e i t e i l u n g d e r s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n aber n i e i n Z w e i f e l gezogen w o r d e n . Sie s o l l auch b e i b e h a l t e n w e r d e n ; eine m ö g l i c h e Z w e i t e i l u n g w i r d a l l g e m e i n a b g e l e h n t (schon i m H i n b l i c k a u f die französische Gerichtsorganisation). D i e F r a g e des V e r w a l t u n g s s t r a f rechts s p i e l t b e i diesen E r ö r t e r u n g e n k e i n e R o l l e ; E i n w ä n d e gegen d i e D r e i t e i l u n g w e r d e n d u r c h w e g als u n b e g r ü n d e t z u r ü c k g e w i e s e n 2 9 . A u c h d e r französische Strafgesetzentwurf v o n 193230 31 übernahm unter allgemeiner Z u s t i m m u n g die D r e i t e i l u n g nach der Delikte), Verbannung (von fünf bis zu zehn Jahren), Aberkennung der b ü r gerlichen Ehrenrechte, Aufenthalts verbot (von fünf bis zu zwanzig Jahren), Geldstrafe (über 2000 F), Entziehung der Geschäftsfähigkeit, Beschränkung der Verfügungsfähigkeit, Urteilsveröffentlichung, Einziehung u. a. (Art. 6 - 8 , 11, 12, 18, 19, 28, 29, 32, 34, 36, 37, 44, 51, 52 C. p.; teilweise neu gefaßt durch Ord. Nr. 60 - 529 v o m 4. J u n i 1960 D. 1960. 210), Vergehensstrafen (Zucht- oder Besserungsstrafen) Gefängnis (von zwei Monaten u n d einem Tag bis zu fünf Jahren, bei Rückfall u n d gesetzlichen Ausnahmen auch darüber), Untersagung der Ausübung gewisser Staatsbürger-, Z i v i l - oder Familienrechte auf Zeit, Geldstrafe (über 2000 F), Aufenthaltsverbot (von zwei bis zu fünf Jahren), Urteilsveröffentlichung, Einziehung (Art. 9, 11, 40, 42, 44, 51 C. p.; zum T e i l i. d. F. der Ord. Nr. 60 - 529, A r t . 381 Abs. 2 C. p. p.). Z u den Übertretungsstrafen (Polizeistrafen) vgl. u. S. 302 bei u n d i n Anm. 55. 28 Ortolan , I, S. 283, 284; heute ζ. Β . Vidal-Magnol, I, S. 97, A n m . 3, S. 613, 626 f.; Donnedieu de Vabres, S. 278 f.; Bouzat , S. 209; Merle-Vitu, S. 397, 701 f. 29 Bouzat , S. 209 f f.; Vidal-Magnol , I, S. 96 f.; Donnedieu de Vabres, S. 99 f.; Vouin-Léauté, 3. Aufl., S. 32; Stéfani-Levasseur, S. 218; Kuhnmunch, J. C., A r t . 1 C. p., Nr. 9 ff. Schon Ortolan hielt (I, S. 271) die Einteilung nach der Schwere der Taten mehr für „das Ergebnis einer logischen Deduktion als einer w i l l k ü r lichen Bestimmung" u n d unterschied auf G r u n d dessen nach der „science rationelle" zwischen solchen n u r örtlicher u n d anderen von allgemeiner Bedeutung, wobei er dem Gesetzgeber anheimstellte, aus Zweckmäßigkeitsgründen die letzten noch einmal zu unterteilen (I, S. 273). — Auch soweit die Frage einer qualitativen Deliktseinteilung erörtert w i r d , hat sie eine andere Bedeutung als die der Aussonderung von Ordnungswidrigkeiten aus dem Straf recht; i m m e r handelt es sich lediglich u m eine Einteilung der strafbaren Handlungen, deren Strafbarkeit auf einem einheitlichen Grunde beruht, dem gegenüber selbst angenommene qualitative Einteilungskriterien nach der f ü r die Strafbarkeit erforderlichen Beschaffenheit der Taten an Bedeutung zurücktreten. Der Vorrang des einheitlichen Strafgrundes (gleichartigen materiellen U n rechts) vor etwaigen qualitativen Einteilungsgesichtspunkten w i r d besonders deutlich i n der Ablehnung der Lehre von den délits-contraventions (vgl. u. S. 309 f.). 30 Der Allgemeine T e i l des Entwurfs ist abgedruckt i n der Revue internationale de D r o i t pénal, Paris, 1932, S. 281 ff. 31 z.B. P. Garraud, Rapport, S. 8; Magnol, L ' A v a n t - P r o jet, S. 18; sie sehen i m Einklang m i t der w o h l einhelligen Meinung i n der L i t e r a t u r die Dreiteilung für besser an als die Zweiteilung, denn n u r die Abstufung nach der Schwere der Taten führe zu praktisch u n d theoretisch brauchbaren Ergebnissen und
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Schwere der Taten (Art. 1 Abs. I I - IV). Neuestens haben Merle-Vitu 32 den klassischen Begriff der Dreiteilung unter Gesichtspunkten der K r i minologie und der défense sociale kritisch gewürdigt. Sie halten es unter Hinweis auf das deutsche Recht zumindest für vertretbar, die eigentlichen Polizeiübertretungen aus dem Strafrecht herauszunehmen und ihre A h n dung einem Verwaltungsverfahren zu übertragen, während die Übertretungen der 5. Gruppe i m Sinne der herkömmlichen Dreiteilung beibehalten werden sollen. Für die Dreiteilung t r i t t dagegen Pradel 33 ein, und sie w i r d weiterhin entschieden verteidigt etwa von Stéfani-Levas seur 34 . Dieser Auffassung ist auch der jüngst erschienene Entwurf eines neuen Code pénal von 1976 gefolgt 3 4 3 . 3. Das französische Übertretungsstrafrecht nach der Justizreform von 1958
I m Zuge der Reformen des Justizwesens unter der V. Republik vom Dezember 1958, die zwar i m ganzen wohl mehr notwendige Neuerungen als Strukturwandlungen brachten, aber auch i n einige wichtige Grundsätze entscheidend eingriffen, ist das Ubertretungsstrafrecht teilweise umgestaltet worden 3 5 . Einmal können Übertretungsstrafvorschriften künftig nur noch auf dem Verordnungswege (nicht mehr durch Gesetz) geschaffen werden. Zum andern hat sich die Grenze zwischen Vergehen und Übertretungen ziemlich weit i n das bisherige Gebiet der Vergehen hinein verschoben; obgleich der Grundsatz der Dreiteilung der strafbaren Handlungen nach ihrer Schwere dadurch gänzlich unangefochten blieb, haben doch die Übertretungen insgesamt ihren Charakter durch stärkere Annäherung an die Vergehen geändert 36 . Die Verfassung vom 24. Oktober 1958 verteilte die Rechtsetzungsbefugnis neu: A u f den i n Art. 34 genannten Sachgebieten (zu denen freilich die wichtigsten gehören) übt sie das Parlament — teils i m ganzen, teils aber auch nur i n den Grundsätzen — durch Erlaß von Gesetzen vermeide die dogmatischen Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von délits intentionnels u n d non intentionnels (siehe dazu i m nächsten Kapitel), die nicht m i t der zwischen schwereren u n d leichteren Delikten übereinstimme, da délits non intentionnels oft schwerer strafbar seien als délits intentionnels; außerdem sei hierbei die Einreihung der Fahrlässigkeitstaten schwierig. — Garraud kritisiert die Beibehaltung der alten Strafenbezeichnungen als überholt. — Siehe auch u. S. 329, A n m . 130. 32 S. 397 ff. 33 S. 242. 34 S. 218. 34a A v a n t - P r o jet de Code pénal, L i v r e I, sieht i n A r t . 1101 w e i t e r h i n die Dreiteilung als „klassische Unterscheidung" entsprechend der bisherigen Regel u n g (Art. 1 C. p.) vor, „ q u i sert de clef de voûte au droit pénal comme à la procédure pénale" (S. 27). 35 Levasseur spricht von einer „révolution en droit pénal" (D. 1959, Chron., S. 121). Kritisch aus jüngster Sicht Salvaire, J. C. P. 1975 I 2741. 30 Dazu eingehend Chabas, Rev. sc. er. 1969, S. 1 ff., S. 281 ff.
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
aus (Gegenstände d e r Gesetzgebung), i m ü b r i g e n o b l i e g t sie nach A r t . 37 A b s . 1 d e r R e g i e r u n g (Gegenstände des V e r o r d n u n g s w e s e n s ) , d i e d a m i t z u m regelmäßigen „Gesetzgeber" ( i m Verordnungswege) 37 geworden i s t 3 8 . Z u d e n d e m P a r l a m e n t n i c h t v o r b e h a l t e n e n (d. h. d e r Rechtsetzung d u r c h V e r o r d n u n g u n t e r l i e g e n d e n ) Gegenständen g e h ö r t auch das Ü b e r t r e t u n g s s t r a f r e c h t 3 9 . I n s o w e i t ist also d e r G r u n d s a t z der Gesetzlichkeit, d. h. der V e r b r e c h e n s b e s t i m m u n g u n d S t r a f a n d r o h u n g d u r c h ( v o r h e r gehendes) formelles Gesetz, „ d e r E c k s t e i n des m o d e r n e n französischen S t r a f r e c h t s " 4 0 , d u r c h b r o c h e n 4 1 ; erstmals seit der Französischen R e v o 37 Die Regierung hat also jetzt neben i h r e m herkömmlichen Verordnungsrecht zur Gesetzesausführung ein weiteres, das man pouvoir normatif gouvernemental nennen kann, das i n Verordnungsform ausgeübt w i r d u n d den erlassenen Vorschriften die K r a f t eines förmlichen Gesetzes gibt (vgl. Vedel, S. 631 f.). 38 Durand spricht von einer „décadence de la l o i dans la constitution de la Ve république", zu der die „Demütigung des Gesetzgebers" (l'humiliation d u législateur) geführt habe (J. C. P. 1959 1 1470), während f ü r Morange die Rechtsetzungsnormen der Verfassung gegenüber den Grundsätzen der Französischen Revolution einen „konterrevolutionären Aspekt" haben (D. 1959, Chron., S. 21). 39 A r t . 34 Abs. 2 der Verfassung besagt, daß das Parlament Gesetze zu erlassen habe u. a. über „die Bestimmung der Verbrechen u n d Vergehen sowie die Strafen, die auf ihnen stehen; das Strafverfahren . . . " (La l o i fixe les règles concernant: . . . la détermination des crimes et délits ainsi que les peines q u i leur sont appliquables ; la procédure pénale . . . ) . Obgleich m a n bisher „crime et délit" meistens als „strafbare Handlung" schlechthin verstanden hatte — vgl. z. B. A r t . 64, 327, 328 C. p. (Levasseur, a.a.O., S. 122) —, nahm man bei der Auslegung des A r t . 34 der Verfassung die Übertretungen davon aus. Dementsprechend heißt es i n dem durch die Verordnung Nr. 58 - 1303 v o m 23. Dezember 1958 eingeführten A r t . R. 25 C. p., daß Tatbestände u n d Strafen der Übertretungen i m Verordnungswege festzusetzen seien. Diese Auffassung haben der Staatsrat (Conseil dÊtat) (vgl. u. A n m . 41) u n d der Verfassungsrat ( Conseil constitutionnel 19. 2. 1963 D. 1964. 92 m i t A n m . von Hamon; dazu Légal , Rev. sc. er. 1964, S. 366 f.) bestätigt. — Die Frage der Verfassungsmäßigkeit von Verordnungen, die Übertretungen m i t Freiheitsstrafen betreffen, hat neuerdings zu unterschiedlichen Auffassungen geführt: Der Verfassungsrat hat i n einer Entscheidung v o m 28. November 1973 (D. 1974. 269) den Standpunkt vertreten, auf dem Verordnungswege könnten n u r Übertretungsstraftatbestände, die Geldstrafen androhen, geschaffen werden, nicht aber solche m i t Freiheitsstrafen. Demgegenüber haben der Staatsrat i n einer Stellungnahme v o m 17. Januar 1974 (D. 1974. 280) u n d der Kassationshof (Cour de Cassation) i n einem U r t e i l v o m 26. Februar 1974 (D. 1974. 273 m i t dem Schlußantrag des Generalstaatsanwalts Touffait u n d A n m . v o n Vouin) die Verfassungsmäßigkeit derartiger ÜbertretungsVerordnungen bejaht. Vgl. zum Ganzen kritisch Hamon, D. 1974, Chron., S. 83 ff.; Vedel y Le Monde v o m 5. Dezember 1973, S. 11, u n d v o m 21. Februar 1974, S. 1, 8; Touffait, a.a.O.; Vouin, a.a.O., u n d Le Monde v o m 5. Februar 1974, S. 16. Zusammenfassend neuestens Rassat, J. C. P. 1975 12740. 40
Levasseur, D. 1959, Chron., S. 122. Die Verfassung v o m 4. Oktober 1958 verkündet zwar i n der Präambel feierlich die Verbundenheit des französischen Volkes m i t der E r k l ä r u n g der Menschenrechte von 1789, deren A r t . 8 lautet: „ L a L o i ne doit établir que des peines strictement et évidemment nécessaires, et n u l ne peut être p u n i qu'en v e r t u d'une l o i établie et promulguée antérieurement au délit, et légalement appliquée." Der Staatsrat (Conseil dÊtat) hat jedoch i n seiner Entscheidung v o m 12. Februar 1960 (Sir. 1960. 131 = D. 1960. 263) festgestellt, daß A r t . 8 der 41
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l u t i o n k a n n die E x e k u t i v e Ü b e r t r e t u n g s t a t b e s t ä n d e schaffen u n d Ü b e r t r e t u n g s s t r a f e n a n d r o h e n 4 2 . D i e F o l g e r u n g e n aus dieser verfassungsr e c h t l i c h e n L a g e s i n d d u r c h einige Erlasse (ordonnances) 4 3 u n d V e r o r d n u n g e n (décrets) v o m 23. D e z e m b e r 1958 gezogen w o r d e n : A r t . 8 des E r lasses N r . 58 — 1297 (D. 1959.103) h o b d e n B e s o n d e r e n T e i l des Ü b e r t r e tungsstrafrechts i m Code p é n a l ( A r t . 471 - 485) auf, u n d die V e r o r d n u n g N r . 58 — 1303 (D. 1959.118) schuf e i n e n z w e i t e n T e i l des Code p é n a l ( V e r o r d n u n g s t e i l ) 4 4 , d e r die d u r c h V e r o r d n u n g z u t r e f f e n d e n B e s t i m m u n g e n , insbesondere d i e Ü b e r t r e t u n g s s t r a f Vorschriften, e n t h ä l t 4 5 ; v e r Menschenrechtserklärung (der manche naturrechtliche Geltung beilegen wollten) durch A r t . 34 der Verfassung insoweit aufgehoben ist, als er i h m widerspricht, d. h. soweit er auch für die Bestrafung von Übertretungen ein vorheriges förmliches Gesetz (loi) verlangt. ( I m selben Umfang ist A r t . 4 C. p. als aufgehoben anzusehen.) D a m i t stehen selbst die Grundsätze der Menschenrechtserklärung zur Disposition des Verfassungsgesetzgebers, dessen Entscheidungen i m übrigen nicht wegen Widerspruchs zu übergeordneten Normen angefochten werden könnten. — Diese v o m Staatsrat u n d v o m Verfassungsrat (vgl. o. A n m . 39) anerkannte „Abschaffung des Grundsatzes der Gesetzlichkeit" i m Ubertretungsstrafrecht w i r d ζ. B. von Levasseur (a.a.O., S. 122 f.) u n d Vedel sowie VHuillier (beide i n A n m . zur genannten Entscheidung des Staatsrates i n J. C. P. 1960 I I 11 629 bis u n d D. 1960. 264; zu dieser Entscheidung vgl. Bourdoncle, Sir. 1960, Chron., S. 63) deutlich getadelt. Siehe auch Segur, J. C., A r t . 464-471 C. p., Nr. 2, 15; Bouzat, S. 145 f. — Z u der Auseinandersetzung u m die Verfassungsmäßigkeit v o n Verordnungen, die f ü r Übertretungen Freiheitsstrafen androhen, vgl. o. A n m . 39. 42 Gesetze i m Sinne des n u l l u m crimen, n u l l a poena sine lege konnten früher neben dem Gesetz i m formellen Sinne (loi) n u r auf G r u n d besonderer Ermächtigung i n Ausnahmesituationen bestimmte — gesetzesvertretende — Rechtsverordnungen (ordonnances, décrets-lois) sein. Ansonsten durften V e r ordnungen (règlements administratifs) i n ihren verschiedenen Rangstufen lediglich zur A u s f ü l l u n g von Blankettatbeständen dienen (vgl. z. B. Stéfani Levasseur, S. 106 ff.). Heute muß m a n „Gesetz" i m weiten (materiellen) Sinne verstehen (z. B. Mellor, S. 7; Fréjaville-Soyer, S. 14). Bei den schweren Delikten (Verbrechen u n d Vergehen) ist w e i t e r h i n ein formelles Gesetz erforderlich, bei den leichten (Übertretungen) dagegen eine Verordnung der Regierung, die nach A r t . R. 25 C. p. ein i n der F o r m eines sogenannten règlement d'administration publique (hier ist vorherige Stellungnahme des Staatsrates nötig) ergangenes Dekret (décret) sein muß (vgl. auch A r t . 37 Abs. 2, ferner A r t . 13 Abs. 1, 19, 21 Abs. 1 der Verfassung). Andere Verordnungen als die der Regierung kommen n u r f ü r eine ausdrücklich vorgesehene Blankettausfüllung (z. B. A r t . R. 26 § 15 C. p.) i n Betracht (ebenso solche der Regierung bei den der förmlichen Gesetzgebung vorbehaltenen Gegenständen). Z u m Verordnungsrecht, insbesondere unter der neuen Verfassung, vgl. J. C., A n m . zu A r t . R. 26 § 15 C. p.; Morange, D. 1959, Chron., S. 21 ff.; Stéf ani-Lev asseur, S. 108 ff.; Bouzat, S. 165 ff.; Kuhnmunch, J. C., A r t . 4 C. p., Nr. 6 ff. Über „die beiden Quellen des Straf rechts nach der Verfassung v o m 4. Oktober 1958" vgl. Roujou de Boubée, J. C. P. 1961 1 1638. Siehe auch Merle-Vitu, S. 201 f., 247 ff. 43 Nach A r t . 92 der Verfassung, der der Regierung f ü r vier Monate Befugnisse zu gesetzgeberischen Maßnahmen erteilte. 44 Règlements d'administration publique et décrets en Conseil d'État. Die A r t i k e l dieses zweiten Teiles des C. p. werden durch ein vorgesetztes R. ( = Règlement) bezeichnet. Durch Décr. Nr. 60-896 v o m 24. August 1960, Sir. 1960. 293, wurde ein dritter T e i l des C. p. (Décrets) geschaffen, der Ausführungsvorschriften enthält. Den A r t i k e l n dieses Teils ist ein D. vorgesetzt.
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
schiedene Vorschriften des Code pénal wurden zudem durch die Erlasse Nr. 58 — 1296, D. 1959.64 (Art. 2 und 9), und Nr. 58 — 1298, D. 1959.114, geändert. Zusammen mit dieser Verlagerung der Rechtsetzungsgewalt wurde die Obergrenze der Ubertretungsstrafen zur Erweiterung der Zuständigkeit der Polizeigerichte (Einzelrichter) durch Art. 7 der Ord. Nr. 58 — 129746 beträchtlich erhöht — wodurch die neue Rechtsetzungsbefugnis der Regierung erst ihr volles Gewicht erhält — und durch Art. 2 der Ord. Nr. 58 — 1303 eine neue (5.) Übertretungsgruppe geschaffen. Ursprünglich waren Übertretungen nur Taten, auf die das Gesetz Geldstrafe von einem bis zu 15 F und u. U. Gefängnis bis zu fünf Tagen androhte (Art. 465 C. p., Art. 137 C. d'instr. crim.), was ihnen i n der allgemeinen Überzeugung den Charakter unbedeutender, verzeihlicher Verstöße gab, die wegen ihrer ganz geringen Schwere nicht eigentlich als gemeine Übeltaten, sondern mehr als mißliche Handlungen bloß sozialer Zuchtlosigkeit angesehen wurden und deren Bestrafung keine weiteren Folgen nach sich zog. Das Schlimmste war noch das Erscheinen vor Gericht; doch konnte sich der Beschuldigte vertreten lassen. Das so gekennzeichnete Wesen der Übertretung als eines ausgesprochenen Bagatelldelikts änderte sich erstmals leicht durch die Ord. Nr. 45 — 2241 vom 4. Oktober 1945 (D. 1945.252, 340), die eine neue (4.) Übertretungsgruppe 47 einführte (Art. 483, 484 C. p.; jetzt Art. R. 38, 39 C. p.) und darauf Geldstrafen bis zu 1200 F (die der bisherigen waren — wegen der Geldentwertung — u m das Zwölffache bis auf 180 F erhöht worden) 4 8 und Gefängnis bis zu zehn Tagen androhte. Die fortschreitende Geldentwertung bedingte mehrfache Erhöhungen der Geldstrafen; seit der L o i de finances vom 31. Dezember 1953 (D. 1954.39) und Art. 7 des Gesetzes vom 29. Dezember 1956 (D. 1957.13) betrug sie 300 bis 36 000 F. Die Ord. Nr. 58 — 1303 wandelte schließlich eine weitere A n zahl von Vergehen unter Erhöhung der Übertretungsstrafgrenze auf 200 000 F, an deren Stelle seit dem 1. Januar 1960 2000 NF und seit dem 1. Januar 1963 2000 F getreten sind 4 9 , und zwei Monate Gefängnis zu 45 Dieselbe Zweiteilung nahm man schon kurz vorher beim Erlaß des Code de la route vor: Die Ord. Nr. 58 - 1216 v o m 15. Dezember 1958, D. 1959. 3, führte den ersten T e i l (Gesetzesteil) ein, i n dem n u r Vergehensstrafen angedroht w e r den, u n d das Décr. Nr. 58 - 1217 v o m selben Tag, D. 1959. 5, den Verordnungsteil m i t den Übertretungen. 46 Übereinstimmend A r t . 381 Abs. 2, 521 Abs. 2 C. p. p. 47 Sie bestand teils aus früheren Vergehen, wie der fahrlässigen K ö r p e r verletzung m i t Arbeitsunfähigkeit bis zu sechs Tagen oder der fahrlässigen Brandstiftung (vorher A r t . 320, 458 C. p.), teils aus vorher leichter strafbaren Übertretungen, wurde später mehrfach vervollständigt u n d v o r allem durch die Ord. Nr. 58 - 1303 etwas verändert (insbesondere k a m die fahrlässige K ö r perverletzung zur neugeschaffenen 5. Gruppe). 48 Durch die Gesetze v o m 26. J u l i 1941 u n d 17. Februar 1942 (D. A. 1941. 426 u n d 1942. 90) sowie die Ord. v o m 24. März 1945 (D. 1945. 72). 49 Ord. Nr. 58 - 1341 v o m 27. Dezember 1958, D. 1959. 130, Décr. Nr. 59 - 1313 v o m 18. November 1959, D. 1959. 645, Circ. v o m 19. November 1959, D. 1959. 645
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301
Übertretungen um und faßte sie i n einer fünften Übertretungsgruppe (Art. R 40, 41 C. p.) zusammen. Zu ihnen gehören u. a. (Art. R. 40 C. p.) einfache vorsätzliche Körperverletzung ohne Krankheit oder volle A r beitsunfähigkeit von mehr als acht Tagen (§ 1), Beleidigung von Personen, denen die Ausübung öffentlicher Gewalt übertragen ist (§ 2), fahrlässige Körperverletzung ohne volle Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Monaten (§ 4) 50 , verschiedene Verstöße der Standesbeamten bei Führung der Personenstandsregister (§ 5), Nichtanzeige einer Geburt, Nichtablieferung eines Findelkindes (§ 6), Verstöße gegen Bestattungsvorschriften (§ 7), vorsätzliches Zerstören fremder Bäume usw. (§ 8), Töten bestimmter fremder Tiere (§ 9) u. a. m. 5 1 . Neu eingeführt wurde nur § 3: das öffentliche Tragen von Abzeichen, die mit den vom Staat verliehenen Auszeichnungen zu verwechseln sind. Später kamen noch das öffentliche Anlocken zur Unzucht (§ 11; vorher Art. R. 38 § 10) und das Zusenden unbestellter Waren (§ 12; sogenannter envois forcés) hinzu 5 2 . M i t dieser Erhöhung der Übertretungsstrafen und Einordnung bisheriger minder schwerer Vergehen i n die Übertretungen verloren diese ihren früheren reinen Bagatellcharakter der kleinen (relativ unbedeutenden, nicht ehrenrührigen) Gesetzesverstöße, deren Bestrafung stets ohne weitere Folge Wirkung für Ansehen und Stellung des Täter blieb. Die Geldstrafe von 2000 F erreichte damals fast die Untergrenze des Jahresverdienstes eines Arbeiters, und eine Gefängnisstrafe von einigen Wochen oder gar zwei Monaten läßt den Bestraften i n den Augen seiner Umwelt als schimpflich erscheinen 53 . Die Grenze zu den Vergehen ist dadurch weniger scharf geworden, wodurch die bloß quantitative Unterscheidung nur noch ausgeprägter hervortritt 5 4 . (Ersetzung der bisherigen Währungseinheit — franc — durch eine neue — nouveau franc; amtliche A b k ü r z u n g : N F — i m Verhältnis 100:1), Décr. Nr. 62 - 1320 u n d A r r . v o m 9. November 1962, Circ. v o m 27. Dezember 1962, J. O., S. 10 920, 10 921, 12 736 (Änderung der Bezeichnung für die neue französische Währungseinheit von „nouveau franc" i n „franc" ab 1. Januar 1963; amtliche Abkürzung: F). 50 A r t . R. 40 §§ 1, 4 i. d. F. des Décr. Nr. 60 - 895 v o m 24. August 1960, J. O., S.7888. 51 Früher Vergehen nach A r t . 311, 224, 320, 192 - 195, 346 - 348, 358, 445 - 450, 453, 454 usw. Die Strafandrohungen w u r d e n gegenüber früher vielfach geändert, u m einer gewandelten Auffassung über die Deliktsschwere Rechnung zu tragen. Vgl. A r t . R. 40 § 5 i. d. F. des Décr. Nr. 62 - 1086 vom 14. September 1962, J. O., S. 9123. 52 Décr. Nr. 60 - 1247 v o m 25. November 1960, J. O., S. 10 608, u n d Nr. 61 - 138 v o m 9. Februar 1961, J. O., S. 1957. Das Décr. Nr. 63 - 266 v o m 16. März 1963, J. O., S. 2717, hat dem A r t . R. 40 C. p. die §§ 13,14 angefügt: Verstöße des zu A u f enthaltsverbot Verurteilten gegen bestimmte Melde- u n d Gestellungspflichten. E i n § 15 (unerlaubtes Schuttabladen m i t einem A u t o oder Abstellen eines Autowracks, vgl. A r t . R. 30 § 14 C. p.) w u r d e durch das Décr. Nr. 73 - 134 v o m 13. Februar 1973, J. O., S. 1723, hinzugefügt. 53 Levasseur, D. 1959, Chron., S. 126. Vgl. auch Segur, J. C., A r t . 464 - 471 C. p., Nr. 14.
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
Nach den Reformen stellt sich das geltende französische Übertretungsstrafrecht i n seinen wichtigsten Punkten wie folgt dar: Übertretungen sind die strafbaren Handlungen, auf die das Gesetz Gefängnisstrafe bis zu zwei Monaten oder Geldstrafe bis zu 2000 F (sei es m i t oder ohne Einziehung von Sachen) androht 5 5 . Der Code pénal teilt sie, nach ihrer Schwere abgestuft, i n fünf Gruppen 5 6 ein. Zu ihnen gehören (außer den schon genannten Tatbeständen) viele Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit, Gesundheit und Ordnung, Blankettatbestände, allerlei Gefährdungsdelikte, Verletzungsdelikte wie Fälle von Mundraub, Felddiebstähle, Ausstoßen nicht öffentlicher Beleidigungen, Tätlichkeiten (tätliche Beleidigungen), unvorsichtiges Werfen von Unrat auf andere, Tierquälerei, Beschädigen oder Töten fremder Tiere, andere Fälle der Sachbeschädigung (soweit nicht Vergehen); auch ζ. B. das Hetzen von Hunden gegen Passanten, Verweigern geforderter Hilfeleistung, berufsmäßige Wahrsagerei und Traumdeuterei, nächtliche Ruhestörung, Verhalten, das zum Anreizen zur Unzucht geeignet ist, usw. (dazu viele Tatbestände, vor allem auch der 5. Gruppe, i n strafrechtlichen Nebengesetzen). Versuch und Teilnahme sind bei Übertretungen regelmäßig nicht strafbar 5 7 . Die gesetzlich vorgesehenen mildernden Umstände werden grund54
Durch die Aufgabe des reinen Bagatellcharakters i n der bisherigen A r t , der f ü r die allgemeine Meinung eine feste Begrenzung der Übertretungen darstellte, als Unterscheidungsmerkmal könnte eine weitere Vergrößerung des Bereichs der Übertretungen ohne weiteres möglich sein, worauf Levasseur nachdrücklich hinweist: „Der soziologisch künstliche Charakter der gegenwärtigen Grenze erlaubt geradezu zu bezweifeln, daß sie später nicht noch weiter erhöht w i r d . " Der überkommene, i m allgemeinen Bewußtsein v e r w u r zelte Übertretungsbegriff u n d der heutige Umfang der Übertretungen s t i m m ten nicht überein (a.a.O.). Vgl. ferner Chabas, Rev. sc. er. 1969, S. 7 ff. — Infolge der rein quantitativen Abgrenzung ist auch die Strafrechtsetzungsbefugnis der Regierung grundsätzlich nicht qualitativ (nach der A r t der Handlungen), sondern n u r nach der Höhe der Strafdrohungen begrenzt (Conseil constitution nel 19. 2. 1963 D. 1964. 92 m i t A n m . von Hamon; Légal , Rev. sc. er. 1964, S. 366 f.). 55 A r t . 464-466, 470 C. p., A r t . 381, 521 C. p. p. Untergrenze der Strafen: ein Tag Gefängnis oder 3 F. A r t . 471 C. p. sieht ferner für gewisse Fälle die Urteilsveröffentlichung vor. Über die Verbrechens- u n d Vergehensstrafen vgl. o. S. 295, A n m . 27. 58 1. Geldstrafe von 3 - 4 0 F, bei einzelnen Übertretungen u. U. Gefängnis bis zu drei Tagen (Art. R. 26 - 29 C. p.) ; 2. 40 - 80 F Geldstrafe, bei manchen Übertretungen u. U. bis zu drei Tagen Gefängnis (Art. R. 30 - 33); 3. 80 - 160 F Geldstrafe, bei einigen Übertretungen u. U. bis zu f ü n f Tagen Gefängnis (Art. R. 34 - 37); 4. 160 - 600 F Geldstrafe, Gefängnis bis zu acht Tagen (Art. R. 38, 39); 5. Gefängnis von zehn Tagen bis zu einem Monat, Geldstrafe von 600 1000 F (Art. R. 40, 41). Bei Rückfall erhöhte Strafdrohungen; so i n der 1. Gruppe Gefängnis bis zu fünf Tagen, i n der 2. u n d 3. bis zu acht Tagen, i n der 4. bis zu zehn Tagen, i n der 5. u n d ebenso i n der 2. Gruppe gegen Veranstalter von Lotterien oder Glücksspielen an öffentlichen Orten Gefängnis bis zu zwei Monaten u n d bis zu 2000 F Geldstrafe. 57 A r t . 2, 3, 59 - 61 C. p. Wegen der Geringfügigkeit der Taten fehlt durchweg das Strafbedürfnis (Fréjaville-Soyer, S. 33, für die Versuchsbestrafung). Aus-
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sätzlich berücksichtigt (Art. 472 C. p.), nicht aber die erschwerenden (sofern sie nicht das Delikt ändern). Beim Zusammentreffen mehrerer Übertretungen gilt das Kumulationsprinzip (bei Verbrechen und Vergehen das Absorptionsprinzip, Art. 5 C. p.), was insbesondere bei den Übertretungen der 5. Gruppe zu verhältnismäßig hohen Strafen führen kann. Die Erzwingungshaft zur Einbringung der Geldstrafe ist wie bei Verbrechen und Vergehen möglich 5 8 , ebenso die Veröffentlichung der Entscheidung 59 . Für die Übertretungen der 5. Gruppe gelten manche Vergehens· (anstatt der Übertretungs-)Regeln: Die einfache Strafaussetzung (ohne Bewährungsauflagen), sonst unzulässig, ist statthaft 6 0 (Art. 734 - 1 — 737 C. p. p. i. d. F. des Gesetzes Nr. 70 — 643 vom 17. J u l i 1970); A r t . 768 Nr. 2 C. p. p. schreibt die Eintragung der Verurteilungen ins Strafregister vor; die wegen derselben Tat Verurteilten haften solidarisch für Geldstrafen, Schadenersatz und Kosten (Art. 55 C. p.); die Rückfallbestrafung ist nicht wie bei den sonstigen Übertretungen vom Begehungsort der früheren Übertretung abhängig (Art. 474 C. p.). Die einfache vorsätzliche Körperverletzung, die eine Krankheit oder völlige Arbeitsunfähigkeit bis zu acht Tagen zur Folge hat, und die Beleidigung von Personen, denen die Ausübung öffentlicher Gewalt übertragen wurde (Art. R. 40 §§ 1, 2 C. p.), werden bei Rückfall zu Vergehen (Art. 475, R. 41 Abs. 2 C. p.) 61 . Zuständig zur Aburteilung der Übertretungen ist das aus einem Einzelrichter (Polizeirichter) gebildete Polizeigericht (tribunal de police, A r t . 521 C. p. p.) 62 . Die Anklage hat nach A r t . 45 C. p. p. i m Regelfalle nahmen gibt es für den Versuch kaum, f ü r die Teilnahme nicht oft (z. B. A r t . R. 34 § 8, 38 § 1, 40 § 1 C. p.). 58 A r t . 467 C. p., 749 - 762 C. p. p. A r t . 52, 53 (a. F.), 467 Abs. 2, 469 C. p. w u r d e n durch A r t . 12 der Ord. Nr. 60 - 529 v o m 4. J u n i 1960, J. O., S. 5107, aufgehoben. — Die U m w a n d l u n g uneinbringlicher Geldstrafen i n Ersatzfreiheitsstrafe ist dem französischen Strafrecht unbekannt. 59 Nach A r t . 471 C. p. unter den dort angegebenen Voraussetzungen; entsprechend f ü r Verbrechen u n d Vergehen A r t . 51 C. p. 60 Nicht dagegen die Strafaussetzung m i t Bewährungsauflagen (Art. 738 747 C. p. p. i. d. F. des Ges. Nr. 70-643 v o m 17. J u l i 1970: u n t e r gewissen Voraussetzungen möglich bei V e r u r t e i l u n g zu Gefängnis wegen gemeinen Verbrechens oder Vergehens). 61 Sonst ist i m C. p. eine U m w a n d l u n g von Übertretungen i n Vergehen durch Rückfall nicht vorgesehen. 82 Polizeigerichte (früher t r i b u n a u x de simple police genannt) sind seit der Justizreform von 1958 nicht mehr die sogenannten Friedensgerichte, die aufgehoben wurden, sondern die neu geschaffenen, m i t Einzelrichtern besetzten I n stanzgerichte (tribunaux d'instance); A r t . 1, 2 der Ord.Nr.58-1273 v o m 22. Dezember 1958, J.O., S. 11557 = D. 1959. 26; vgl. auch Décr. Nr. 58 -1281 v o m selben Tag, J. O., S. 11572 = D. 1959. 35. Die Korrektionsgerichte (tribunaux correctionnels), die alle Vergehen abzuurteilen haben (Art. 381 C. p. p.; m i t drei Richtern besetzt, A r t . 398 C. p. p.), sind Abteilungen der an die Stelle der früheren Gerichte erster Instanz getretenen t r i b u n a u x de grande instance (Art. 1, 2 der Ord. Nr. 58 - 1273). Über die Verbrechen u r t e i l t das Schwurgericht
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2. T e i l :
echtsverg eichende U n t e r s u c h u n g
der Polizeikommissar zu vertreten; nur bei den Übertretungen der 5. Gruppe obliegt sie dem Staatsanwalt (sonst kann er sich ihrer annehmen). Eine gerichtliche Voruntersuchung ist auf Antrag des Staatsanwalts möglich (Art. 44, 79 C. p. p.). Der Angeklagte kann sich vor Gericht vertreten lassen, wenn auf der Übertretung nur Geldstrafe steht (Art. 544 Abs. 2 C. p. p.). Bis zum Jahre 1972 erlaubte das Gesetz unter gewissen Voraussetzungen (vgl. Art. 528 C. p. p. a. F.) auch eine Unterwerfung (Art. 524 — 528, Art. R. 42 — 44 C. p. p. a. F.) 63 i m Verfahren der sogenannten amende de composition. Durch ein Gesetz vom 3. Januar 197264 wurde für ganz Frankreich das vorher nur dem lokalen Sonderrecht ElsaßLothringens als Relikt des deutschen Rechts vorbehaltene Strafbefehlsverfahren 6 5 eingeführt (Art. 524 — 528 - 2 C. p. p. n. F.). Wählt die Staatsanwaltschaft entsprechend den Voraussetzungen der Art. 524, 525 C. p. p. dieses vereinfachte Verfahren, so übermittelt sie die Akten m i t ihrem Antrag dem Polizeirichter, der entweder einen auf Freispruch oder auf Verurteilung zu Geldstrafe lautenden Strafbefehl erlassen kann oder für den Fall, daß er eine mündliche Verhandlung für erforderlich bzw. eine andere Sanktion als Geldstrafe für angebracht hält, die Sache an die Staatsanwaltschaft zur Einleitung des normalen Verfahrens zurückgibt. Der Strafbefehl ergeht ohne Gründe (Art. 526 Abs. 2 C. p. p.) und erwächst i n Rechtskraft (Art. 528 - 1 C. p. p., allerdings nicht i n bezug auf die action civile). Staatsanwaltschaft und Betroffener können gegen die ordonnance pénale das Rechtsmittel der opposition (Einspruch) einlegen, deren Wirkung i n der Überleitung i n das normale Verfahren besteht 66 . Soweit gesetzlich besonders vorgesehen, ist auch eine freiwillige Zahlung zu Händen des protokollaufnehmenden Beamten oder durch Überweisung möglich (Art. 529, 530 C. p. p. a. F., 529 — 530 - 2 C. p. p. n. F.) 67 , durch die der Beschuldigte einer weiteren Verfolgung entgeht. (Art. 231 ff. C. p. p.; m i t drei Richtern u n d neun Geschworenen), das i n jedem Departement f ü r eine Schwurgerichtsperiode gebildet w i r d . F ü r jede der drei Verfahrensarten bestehen eigene Vorschriften; das Übertretungsstrafverfahren, das naturgemäß am einfachsten (mit den geringsten Förmlichkeiten) gehalten ist, folgt weitgehend den Vorschriften für das Verfahren bei Vergehen. 03 Früher A r t . 166-171 C. d'instr. crim.; eingeführt durch Ord. v o m 2. November 1945. 64 Ges. Nr. 7 2 - 5 d u 3 janvier 1972 tendant à simplifier la procédure en matière de contraventions, J. O., S. 153; siehe ferner dazu Décr. Nr. 72 - 471 vom 12. J u n i 1972, J. O., S. 5941 (Art. R. 42 - 5 0 C. p. p. n. F.), sowie Circ. v o m 30. J u n i 1972, D. 1972. 343. 65 Dazu näher Lorentz u n d Volff, Gaz. Pal. 1972 I 274. 66 Vgl. ausführlich zu dem neuen vereinfachten Verfahren Pradel, D. 1972, Chron., S. 153; Doli, Gaz. Pal. 1972 I 114; Lorentz u n d Volff, Gaz. Pal. 1972 I 274; I I 499; dieselben, J. C. P. 1968 I 2192; Mayer-Jack, J. C. P. 1972 I 2456; siehe auch Stéfani-Levasseur, I I , S. 543 f., 582 f.; Merle-Vitu, I I , S. 620 ff.; ferner Salvaire, J. C. P. 1975 I 2741. 87 Verfahren der amende forfaitaire: zunächst eingeführt durch décret-loi v o m 28. Dezember 1926 für Straßenverkehrsübertretungen, sodann auf andere
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Die Urteile des Polizeirichters i m normalen Verfahren können m i t der Berufung an den Appellationshof (Cour d'appel) angefochten werden 6 8 , wenn die angedrohte Strafe fünf Tage Gefängnis oder 160 F übersteigt 69 (vor allem also, wenn es sich um Übertretungen der 4. oder 5. Gruppe handelt) 70 , sonst nur, wenn das Urteil auf Gefängnisstrafe lautet. Der Generalstaatsanwalt hat jedoch immer ein Berufungsrecht (Art. 546 Abs. 5 C. p. p.) 71 . Die Kassation ist auch bei Übertretungen gegen die letztinstanzlichen — d. h. die sonst nicht mehr anfechtbaren — Entscheidungen möglich (Art. 567 C. p. p.). Zwei Gründe lassen sich für die in der V. Republik eingeführten Ä n derungen des Übertretungsstrafrechts angeben: 1. Man wollte das Strafverfahren bei weniger schweren (aber zum Teil recht häufigen) Delikten vereinfachen, indem man den Anwendungsbereich des einfacheren Einzelrichterverfahrens vergrößerte und neuerdings das Strafbefehlsverfahren auf ganz Frankreich ausdehnte 72 , und zwar ohne daß durch diese Neuerungen die Parallelität von materieller Dreiteilung und Dreigliederung der Gerichts- und Verfahrensordnung durchbrochen werden sollte. Dies bedingte aber wegen der Schwere der neu geschaffenen Übertretungen gewisse Ausnahmeregelungen (Sonderbestimmungen für die 5. Übertretungsgruppe, durch die diese teilweise wie Vergehen behandelt werden). Zugleich korrigierte man eine Reihe von Strafdrohungen, um der heutigen Auffassung von der Schwere mancher Delikte Rechnung zu tragen. 2. Da die neue Verfassung der Regierung ein umfangreiches (auÜbertretungsarten ausgedehnt. Das Gesetz Nr. 66 - 484 v o m 6. J u l i 1966 hatte das Verfahren insoweit vereinfacht, als i m Falle des Falschparkens der Geldbetrag auch überwiesen werden konnte. Die Bestimmungen über das Verfahren der amende forfaitaire w u r d e n durch das oben (in A n m . 64) erwähnte Gesetz vom 3. Januar 1972 neu gefaßt; i n der Sache wurde das Verfahren k a u m geändert. Vgl. näher Merle-Vitu, a.a.O., S. 618 f., 623 f.; Stéfani-Levasseur, I I , S. 545 ff., sowie die i n A n m . 66 Genannten. Das Verfahren wurde durch die ebenfalls neu gefaßten A r t . L. 2 1 - 1 u n d 27 ff. Code de la route ergänzt: W i r d i m Falle des Falschparkens die amende forfaitaire nicht bezahlt oder dagegen k e i n Einspruch eingelegt, so muß eine von der Staatsanwaltschaft für v o l l streckbar erklärte amende pénale fixe bezahlt werden (Art. L. 27 - 1 Code de la route). Dieses Verfahren soll auf weitere Ubertretungstatbestände des Straßenverkehrsrechts ausgedehnt werden. 68 Die Urteile wegen Vergehen sind ohne Einschränkung anfechtbar (Art. 496 C. p. p.). 69 Oder für die Tat Entzug der Fahrerlaubnis vorgesehen ist (Art. L. 13 Abs. 3 Code de la route v o m 15. Dezember 1958, D. 1959. 3). 70 Ferner bei Rückfall der 2. oder 3. Gruppe sowie bei Zusammentreffen mehrerer Übertretungen eines Täters, deren Strafandrohungen insgesamt die angegebene Grenze überschreiten (Cass. crim. 5. 9. 1949 D. H. 1949. 421 m i t A n m . von Vouin; 6. 3. 1956 Rev. sc. er. 1956, S. 845; 15. 5. 1961 B u l l . crim. Nr. 253; 9. 3.1965 Gaz. Pal. 1965 I 348). 71 I n bestimmten Sachen steht die Berufung jeder Partei i n allen Fällen zu, z. B. A r t . 546 Abs. 4 C. p. p. Vgl. die Aufzählung i n J. C., A r t . 544 - 549 C. p. p., Nr. 77. 72 Vgl. o. S. 304. 2
Mattes
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
tonomes) Rechtsetzungsrecht gab, mußte sie ihr folgerichtig auch eine Strafrechtsetzungsbefugnis zugestehen, damit sie ihren Rechtssätzen den nötigen Nachdruck verschaffen kann. Hierbei hielt man die Befugnis zur Androhung von Übertretungsstrafen in ihrer neuen Höhe für ausreichend (und die Durchbrechung des Legalitätsgrundsatzes i m bisherigen Sinne insoweit für vertretbar). Anfiüge eines Verwaltungsstrafrechts i m Sinne der deutschen Theorie sind in alledem nicht festzustellen. Die Befugnis der Regierung zur Schaffung von Übertretungstatbeständen ist sachlich nicht beschränkt (soweit es sich nicht u m die bereits vorhandenen Verbrechen und Vergehen handelt) und erstreckt sich auch auf Tatbestände aus dem „Kernbereich" des Strafrechts; ebensowenig w i r d sie durch den Übertretungsbegriff als solchen nach Sachgebieten oder qualitativ-materiellen Kriterien des Unrechts abgegrenzt, sondern einfach nach der Höhe der anzudrohenden Strafe bestimmt. Der m i t der Übertragung eines Teiles der Strafrechtsetzungsgewalt auf die Regierung verfolgte gesetzgeberische Zweck war also nicht, gewisse materiell abgegrenzte Tatbestände künftig von der Regierung schaffen zu lassen, sondern diese allgemein zur Androhung bestimmter (leichterer) Strafen zu ermächtigen. — Unter dem Eindruck des deutschen Rechts der Ordnungswidrigkeiten erheben sich seit einiger Zeit vereinzelt Stimmen, die für die Schaffung eines eigenständigen Verwaltungsstrafrechts eintreten 7 3 . Der Gedanke wurde aber vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen 7 3 3 . I I . D i e wissenschaftliche Einteilung i n délits intentionnels und délits non intentionnels — Die délits purement matériels 1. Die Unterscheidung zwischen Schuld- und Formaldelikten, ihre Entstehung, ihr Zweck und ihr Verhältnis zur gesetzlichen Deliktseinteilung
Neben der dargelegten gesetzlichen Deliktseinteilung steht eine theoretische, die nicht die Schwere der Taten, sondern die Deliktsnatur zugrunde legen w i l l und der Feststellung von subjektiven Strafbarkeitserfordernissen dient. Sie geht nicht von einer Verschiedenheit i m objektiven Unrecht aus, sondern macht die strafbare Handlung insgesamt, und zwar vor allem von ihrer subjektiven Erscheinung her, zum Gegenstand der Betrachtung und unterscheidet danach subjektiv verwerfliche (weil auf eine Schädigung = Herbeiführung eines schädlichen Erfolges gerichtete) Taten, die nur bei entsprechender subjektiver Einstellung deliktisch, also strafbar, sind, und andere, die ihre Strafbarkeit nicht erst von einer solchen subjektiven ( = subjektiv verwerflichen) Einstellung erhalten (für deren Bestrafung die willentlich und zurechenbar gesetzte Tat der Zuwiderhandlung genügt): délits intentionnels und délits non 73 73a
Vgl. Levasseur, D. 1959, Chron., S. 123; Ph. Merle, S. 182. Vgl. o. S. 297, Anm. 34a.
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intentionnels. Sie ist ursprünglich die ins Subjektive gewendete (d. h. von den beim Täter erforderlichen subjektiven Voraussetzungen her gesehene) Unterscheidung von Verletzungsdelikten und einfachen Zuwiderhandlungen (contraventions, von contra venire) und hat heute nur noch die praktische Bedeutung, das Schulderfordernis (Vorsatz, Fahrlässigkeit oder gar kein — nachzuweisendes — Verschulden) festzustellen. Unter contravention wurde schon i m alten Recht häufig die einfache Zuwiderhandlung (insbesondere gegen Polizeivorschriften, also die Polizeiübertretung) verstanden, ohne daß es sich dabei schon um einen technischen Begriff der Gesetzessprache gehandelt hätte 1 . Das heutige délit non intentionnel ist nicht gleichbedeutend mit Polizeiübertretung, obwohl ein großer Teil der délits non intentionnels aus Polizeiübertretungen besteht, sondern stellt einfach die Zuwiderhandlung (auch gegen eine Polizeivorschrift) ohne den auf einen deliktischen (schädlichen) Erfolg gerichteten Vorsatz als Verbrechensmerkmal dar. Bei der Entstehung dieser Lehre haben wohl einerseits naturrechtliche, andererseits polizeiliche Gesichtspunkte mitgespielt 2 . Heute besitzen für die Abgrenzung beider Deliktsarten nur noch die polizeilichen eine gewisse Bedeutung. I m übrigen konnte auch hier eine Lehre vom Verwaltungsstrafrecht keinen Fuß fassen. Die Literatur der ersten Jahrzehnte nach Inkrafttreten des Code pénal 3 hatte sich mit der Unterscheidung von délits intentionnels und délits non intentionnels noch kaum beschäftigt. Es finden sich aber rein theoretische Einteilungen, die schließlich zu der genannten Unterscheidung hinführten. So stellten manche den an sich bösen Taten, deren Strafbarkeit aus der Natur des Menschen selbst (dem Naturrecht) folge (délits de moralité, délits naturels), die an sich 1
Ortolan, I, S. 256. Wobei als natürliche Verbrechen, die schon an sich verwerflich u n d daher verboten seien, regelmäßig solche galten, die auf einen schädlichen Erfolg abzielen (daher die Bezeichnung „délit intentionnel"; intention = Vorsatz meint das Richten der Handlung auf einen bestimmten — i m Strafrecht also verbrecherischen — Erfolg); während den Delikten bloß polizeilicher A r t , deren Bestrafung man den Zweck der Verhütung von Rechtsverletzungen beilegte, eine solche Beziehung zu einem schädlichen Erfolg fehlte, so daß zu ihnen auch k e i n darauf bezügliches Verschulden, m i t h i n , da m a n ein anderes (etwa i n bezug auf eine Polizeivorschrift) nicht kannte oder einfach unterstellte (gesetzliche Vorschriften müßten gekannt sein), gar kein Verschulden gehörte oder das Verschulden vermutet wurde. Dies entsprach polizeimäßigen Gedankengängen: Die Strafandrohung bei solchen bloßen Zuwiderhandlungen sollte der Vorbeugung oder der A b w e h r drohender Schäden dienen; f ü r die Durchführung der polizeilichen Aufgabe der Schadensverhütung w a r aber ein V e r schulden unerheblich, j a sogar hinderlich (Strafe der Polizeiübertretungen als polizeiliche Maßnahme). Dogmatisch ließ es sich insofern nicht konstruieren, als es nicht auf einen deliktischen Erfolg, sondern auf die Kenntnis von V o r schriften hätte bezogen werden müssen, was man jedoch grundsätzlich nicht wollte. 2
3 z. B. Le Graverend; Berriat-Saint-Prix; Rauter; Boitard; noch Chauveau - Faustin Hélie, Théorie du Code pénal.
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Rossi u n d auch
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
„unschuldigen" gegenüber, die nicht das Naturrecht um ihrer selbst willen verbiete, sondern erst der Gesetzgeber um der Wohlfahrt der Bürger willen (zur Erfüllung seiner polizeilichen Aufgabe) unter Strafe stelle (délits de convention sociale; mala prohibita) 4 . Entsprechend betrachteten Chauveau und Faustin Hélie als einzig wahre, weil auf die Natur der strafbaren Handlungen gestützte, Unterscheidung die zwischen solchen Delikten, deren Strafbarkeit auf der moralité du fait, der intention des Täters beruhe, und den andern, die nur Zuwiderhandlungen gegen Verbote oder Gebote des Gesetzes seien und in der bloßen Vornahme der Handlung oder in der Unterlassung bestünden, unabhängig von der Absicht oder dem Willen des Täters 5 . Gegenüber der gesetzlichen Einteilung des Code pénal, die nicht von den genannten Gesichtspunkten, sondern der sozialen Schädlichkeit oder Gefährlichkeit der Tat ausgingt konnten sich aber jene theoretischen Überlegungen nicht durchsetzen, und überhaupt erschien die Einheit des Strafrechts durch sie nie i n Frage gestellt. Ortolan 7 ließ sich bereits eingehend über die Lehre von den délits intentionnels und non intentionnels aus und brachte das délit non intentionnel m i t den bloßen Zuwiderhandlungen (autrement dit contraventions) in Verbindung. R. Garraud, der noch 8 die Einteilung in délits und transgressions de police als die wissenschaftlichste bezeichnet hatte, dabei aber die ausschließlich nach der Schwere vorgenommene Dreiteilung des Code pénal verteidigte 9 , ging von der moralischen Bewertung der Handlungen (an sich verboten oder an sich erlaubt oder indifferent, ohne unmittelbare Verletzung fremder Rechte und ohne böse 4 Vgl. ζ. B. Rauter , I, S. 119 ff. — Rossi , einer der führenden Vertreter der französischen sogenannten neoklassischen Strafrechtsschule (Italiener, Professor i n Paris), unterschied zwischen Handlungen, die i m m e r u n d überall k r i m i n e l l seien (ein absolutes sittliches u n d materielles Übel verursachten), u n d andern, die es n u r unter gewissen Umständen seien (II, S. 37 f., 88), lehnte es aber nachdrücklich ab, daraus eine die Einheit des Strafrechts angreifende Verschiedenartigkeit der Strafgesetze herzuleiten. Die Gesetze müßten der wahre Ausdruck der Erfordernisse der Gesellschaft sein. Die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit einer Handlung hinge weitgehend von den Verhältnissen i n einem Lande ab; w e n n eine Handlung wegen der besonderen Umstände eines Landes die öffentliche Ordnung oder die Sicherheit des einzelnen gefährde, so sei sie i n sich unmoralisch u n d rufe ein wirkliches Übel hervor; i h r Verbot bestehe zu Recht, u n d das sie verbietende Gesetz sei wahrhaft gerecht u n d spiegele eine sittliche Verpflichtung wider. Deshalb sei es auch falsch, die Polizeigesetze als w i l l k ü r l i c h e (nicht auf ein Verbot des Naturrechts gestützte) Gesetze u n d die von ihnen verbotenen Handlungen als an sich indifferent anzusehen (II, S. 37, 89 ff.). — Vgl. auch u. S. 326 ff. 5 Théorie, I, S. 37. 6 Boitard, 2. Aufl., S. 25. 7 I, S. 251 ff. 8 I I I , S. 468 f. 9 Doch habe der Gesetzgeber die Bestimmung der Deliktsnatur au point de vue intentionnel et subjectif, d. h. unter dem Gesichtspunkt des Schulderfordernisses, dem Richter überlassen, I I I , S. 469, Anm. 2; I, S. 233 ff. Siehe auch o. S. 292, A n m . 5.
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Absicht) aus und gelangte so ebenfalls zu der theoretischen Zweiteilung nach der intention des Täters 10 . Heute w i r d die Unterscheidung zwischen délits intentionnels und non intentionnels allgemein gemacht 11 , dient aber nur der Bestimmung des Schulderfordernisses. Sie hat das gesetzliche System der Dreiteilung nach der Schwere i n keinem Punkte zu durchbrechen vermocht. Die zu Ende des 19. Jahrhunderts von manchen verf oditene und sehr umstrittene Theorie der délits-contraventions (oder délits contraventionnels), die auf die ohne Verschuldensnachweis strafbaren Handlungen ohne Rücksicht auf die Höhe der Strafdrohungen die Regeln für Übertretungen (z. B. hinsichtlich der Teilnahme oder der Verjährung) anwenden wollte (entgegen Art. 1 C. p.), hat sich nicht durchgesetzt. Nach ihr sollten die mit Vergehens- oder gar Verbrechensstrafe 12 bedrohten Delikte von, wie man meinte, bloßem Übertretungscharakter eine gemischte Rechtsnatur haben, also nach der gesetzlichen Strafdrohung zu den Vergehen oder Verbrechen, wegen des fehlenden Schulderfordernisses oder entbehrlichen Verschuldensnachweises aber zu den Übertretungen gehören, so daß teils die Vergehens- bzw. Verbrechens-, teils die Übertretungsregeln anzuwenden gewesen wären. I n der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte 13 und i n einigen Entscheidungen des Kassationshofes 14 sowie verschiedener anderer Gerichte 15 fand diese Theorie zunächst Anklang, wurde dann aber vom Kassationshof endgültig abgelehnt 1 6 , wohl unter dem Einfluß von Villey, der i n zahlreichen Anmerkungen 1 7 gegen die der Theorie folgenden Urteile und eine starke Lehrmeinung scharf Stellung genommen hatte. Auch die Literatur billigte schließlich einhellig die Meinung Villeys, und heute besitzt die Lehre 10
I, S. 233 f. z. B. Donnedieu de Vahr es, S. 112 f.; E. Garçon , A r t . 1, A n m . 66 ff.; Vidal Magnol, I, S. 99 f.; Bouzat, S. 254 ff.; Vouin, S. 162 ff.; Garraud/Laborde-Lacoste, S. 70 f.; Vouin-Léauté, Dr. pén., 1956, S. 207 ff.; 3. Aufl., S. 56 f.; Stéfani-Levas seur, S. 236 f.; Merle, S. 223; Merle -Vitu, S. 566 ff., 586 ff. 12 Wie z. B. die Vornahme von der Regierung nicht gebilligter feindlicher Handlungen, die Frankreich der Gefahr einer Kriegserklärung aussetzen, A r t . 80 (bisher 79) Ziff. 1 C. p., die ohne Nachweis von Vorsatz oder Fahrlässigkeit strafbar ist (Donnedieu de Vabres, S. 99). 13 z. B. Cons. d ^ t . (bezüglich der zu seiner Zuständigkeit gehörenden contraventions de grande voirie; vgl. dazu u. S. 337), Urteile v o m 22. 7. 1898 u n d 7. 7. 1899 Sir. 1901. 3. 8 u n d 141; 3. 8. 1893 Sir. 1895. 3. 80; 11. 12. 1896 Sir. 1898. 3.141; 29. 4.1898 Sir. 1900. 3. 39. 14 z.B. Cass. 11. 2. 1876 Sir. 1876. 1. 233; 7. 4. 1870 D. P. 1887. 2. 245 Note a; 3. 4.1869 Sir. 1870.1. 229. 15 z. B. Caen 9. 5. 1877 Sir. 1878. 2. 49; Pau 29. 5. 1886 D. P. 1887. 2. 245. 10 z.B. Cass. 15. 2. 1843 Sir. 1843. 1. 365; 23. 2. 1884 Sir. 1886. 1. 233; 13. 6. 1884 Sir. 1886. 1. 233; 18. 3. 1895 Sir. 1895. 1. 169; 12. 8. 1898 D. P. 1899. 1. 174; 13. 2.1913 Sir. 1913 Sommaires I, 62. 17 z.B. Sir. 1876. 1. 89 u n d 233; 1885. 1. 401; 1886. 1. 233; 1891. 1. 185. 11
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
von den délits contraventionnels nur noch historisches Interesse 18 . Sie ging davon aus, daß alle Übertretungen bloße Zuwiderhandlungen (ohne Verschuldensnachweis) darstellten und umgekehrt auch alle solche Zuwiderhandlungen Übertretungen sein müßten. Aber einmal sind nicht alle Übertretungen lediglich Zuwiderhandlungen i m hier gemeinten Sinne, und zum andern wurde mit Erfolg darauf hingewiesen, daß nicht die behauptete Übertretungsnatur, sondern die Schwere des Delikts (in abstracto) für seine Einstufung maßgebend sei, und dazu in Abrede gestellt, daß fehlendes Schulderfordernis ohne weiteres die „Übertretungsnatur" der strafbaren Handlung bedeute. So blieb die unbedingte Geltung des Art. 1 C. p. erhalten, und nur soweit das Gesetz keine Regel gibt, darf die Theorie ergänzend einspringen: nämlich nur zur Feststellung der subjektiven Voraussetzungen der Bestrafung. 2. Der Begriff der intention (des Vorsatzes)
Dieser Feststellung dient die bereits genannte Unterscheidung von délits intentionnels und délits non intentionnels. Die intention bezeichnet den Deliktsvorsatz. Sie ist bei den älteren französischen Kriminalisten eine intention de nuire 1 9 gewesen, nämlich der auf eine Schädigung (anderer, der Gesellschaft) gerichtete „böse" Vorsatz, der damit als k r i m i nelle Einstellung zum wesentlichen Merkmal der eigentlich kriminellen Verbrechen (im Gegensatz zu den der Verhütung solcher krimineller Schädigungen dienenden Polizeidelikten) wurde. So erscheint die Auffassung des Verbrechens hauptsächlich von der (zur Tatbegehung erforderlichen) subjektiven Einstellung des Täters (dem élément moral) bestimmt, die jedoch gewisse objektive Gegebenheiten (den objektiven Deliktstatbestand, insbesondere den deliktischen Erfolg) voraussetzt, auf die sie bezogen sein muß. Die Existenz der strafbaren Handlung hängt deshalb bei den délits intentionnels entscheidend von den subjektiven Erfordernissen (der intention) ab, wodurch objektive und subjektive Deliktsvoraussetzungen zusammenrücken und den subjektiven in gewisser H i n sicht eine führende Stellung zukommt 2 0 . 18
z.B. bei Bouzat, S. 219; Donnedieu de Vabres, S. 98; Vidal-Magnol, I, S. 101; Vouin-Léauté, Dr. pén., 1956, S. 211; Stéfani-Levasseur, S. 218 ff. Etwas reserviert Merle, S. 90, 250, 254; siehe jetzt aber i m genannten Sinne Merle-Vitu, S. 394. — Jedoch bezeichnet m a n oft noch heute die Vergehen, die ohne Schuldnachweis bestraft werden können, als délits contraventionnels (vgl. Donnedieu de Vabres, S. 99; Merle, a.a.O.). Siehe auch o. S. 296, A n m . 29. 19 z.B. Boitard, 2. Aufl., S. 628, Note 21; besonders deutlich ChauveauHélie, Traité de la criminalité, de la pénalité et de la responsabilité, Bd. 1, Paris, 1874, Nr. 126 (zitiert nach Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht, S. 210): Le délit n'existe pas par le seul fait matériel; son élément essentiel est l'intent i o n de nuire. 20 Vgl. z. B. schon Boitard, 2. Aufl., S. 29, Nr. 21: Das Gesetz bestrafe nicht die physische Schädigung als solche, vielmehr „den schuldhaften Willen, den Schaden zu verursachen".
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Die Beziehung der intention auf das Hervorbringen eines schädlichen Erfolges ist allerdings weitgehend verlorengegangen (wie auch der schädliche Erfolg als Kennzeichen der „eigentlich" kriminellen Verbrechen aufgegeben ist). Der schädliche Erfolg wurde (nach der deutschen Terminologie) zur Tatbestandserfüllung abgeschwächt 21 (wenn auch der Ausgangspunkt noch nachklingt, so daß Robert von Hippel der französischen Theorie wegen der immer noch vorzufindenden Beziehung des Vorsatzes auf den Erfolg ungenügende dogmatische Erfassung des Vorsatzproblems vorwarf 2 2 ). Ortolan definierte den Vorsatz als das Richten der Handlung oder Unterlassung auf das Hervorbringen des tatbestandsmäßigen (deliktskonstitutiven) schädlichen Erfolges 23 , an dessen Stelle i n den neueren Begriffsbestimmungen das Begehen des (vom Gesetz beschriebenen) Delikts schlechthin tritt. Die intention de nuire ist zu einer intention de délinquer geworden. R. Garraud bestimmte die intention criminelle schon nicht mehr in bezug auf einen schädlichen Erfolg, sondern als „Kenntnis der Unmoralität oder Unrechtmäßigkeit der Handlung, die von dem W i l len, sie zu begehen, begleitet ist" 2 4 . Die klassische Definition stellte sodann E. Garçon auf: „Der Vorsatz i m juristischen Sinne ist der Wille des Täters, das Delikt, so wie es durch das Gesetz bestimmt ist, zu begehen, das heißt das Bewußtsein des Schuldigen, die gesetzlichen Verbote (die zu kennen i h m immer unterstellt wird) zu verletzen 2 5 ." Sie ist als Formulierung der sogenannten „théorie classique" i n der Literatur aner21
Wollen der Handlung u n d des Erfolges als Erfordernis des Vorsatzes: Stéfani-Levasseur, S. 185 f. 22 V D A , I I I , S. 377. — Heute sieht man vielfach i n der Kenntnis (nicht mehr der Schädlichkeit, sondern) „der Unrechtmäßigkeit des Erfolges" (im Rahmen des Bewußtseins der Tatbestandserfüllung) einen Hauptbestandteil des V o r satzes; vgl. Légal, SchwZStr 77 (1961), S. 320: „ L a conscience . . . de l'illégalité du résultat poursuivi, est u n facteur essentiel de l'intention coupable." E i n besonderes Unrechtsbewußtsein (innerhalb des Vorsatzes oder neben diesem) w i r d damit allerdings nicht gefordert (zum T e i l w i r d das Unrechtsbewußtsein jedoch als Bestandteil des Vorsatzes betrachtet, das unwiderleglich vermutet wird, so von Merle-Vitu, S. 570); i m wesentlichen dürfte die Erkenntnis der sozialen Bedeutung des Erfolges genügen, wobei ein Rechtsirrtum (im Gegensatz zum T a t i r r t u m ) grundsätzlich zu Lasten des Täters geht (denn das Gesetz müsse jeder kennen); so z. B. Cass. crim. 28. 2. 1961 B u l l . crim. Nr. 124; 28. 3. 1962 B u l l . crim. Nr. 152 (zu beiden Légal, Rev. sc. er. 1962, S. 743 ff.); 31. 5. 1962 J. C. P. 1962 I I 12 760; 15. 6. 1962 B u l l . crim. Nr. 226; 23. 5. 1967 B u l l , crim. Nr. 157; 22. 1. 1969 B u l l . crim. Nr. 43; 2. 2. 1971 J. C. P. 1971 I I 16 793. Vgl. aber auch Cass. crim. 9. 10. 1958 Gaz. Pal. 1958 I I 319 (das ernsthafte Bemühen, sich gesetzmäßig zu verhalten, schließe die conscience de commettre u n acte fautif u n d damit den Vorsatz aus). Uber die Rechtsprechung zum Rechtsirrtum siehe Légal, SchwZStr 77 (1961), S. 310 ff.; derselbe, Rev. sc. er. 1962, S. 743 ff.; ferner Françon, S. 242 ff.; Couturier, Rev. sc. er. 1968, S. 547 ff. 23 . . . l'intention, c'est-à-dire le fait d'avoir dirigé, d'avoir tendu son action ou son inaction vers la production du résultat préjudiciable constitutif du délit (I, S. 149, ebenso I, S. 108). 24 1,1. Aufl., S. 376. 25 A r t . 1 C. p., Nr. 77. L ' i n t e n t i o n dans son sens juridique, est la volonté de l'agent de commettre le délit tel q u ' i l est déterminé par la l o i ; c'est la
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k a n n t w o r d e n 2 6 u n d i n h a l t l i c h i m w e s e n t l i c h e n i n die späteren B e g r i f f s b e s t i m m u n g e n d e r herrschenden L e h r e eingegangen. R. Garraud übern a h m sie w ö r t l i c h 2 7 u n d e r l ä u t e r t e , d e r V o r s a t z bestehe i m „ W i l l e n , eine H a n d l u n g z u begehen, v o n d e r m a n w e i ß , daß die s c h u l d h a f t , s t r a f b a r i s t " 2 8 . Ä h n l i c h ä u ß e r n sich, u n t e r a u s d r ü c k l i c h e r B e r u f u n g a u f E. Garçon u n d Ü b e r n a h m e seiner F o r m e l , Donnedieu de Vabres ( B e w u ß t s e i n des Täters, eine v e r b o t e n e H a n d l u n g z u begehen) 2 9 , Vidal u n d Magnol ( W i l l e des Täters, das D e l i k t u n t e r d e n V o r a u s s e t z u n g e n z u begehen, nach den e n es v o m Gesetz b e s t i m m t ist, dessen K e n n t n i s stets u n t e r s t e l l t w i r d ) 3 0 , Bouzat (wissentliche u n d w i l l e n t l i c h e S c h u l d ) 3 1 , Stéjani u n d Levasseur ( W i l l e , e i n e H a n d l u n g z u begehen oder z u unterlassen, v o n der m a n w e i ß , daß sie v o m Gesetz v e r b o t e n oder geboten i s t ) 3 2 , f e r n e r M e r l e 3 3 ; i n der Sache ebenso e t w a C u c h e 3 4 sowie Vouin u n d L é a u t é 3 5 . A u c h die Rechtsprechung v e r w e n d e t d e n gleichen B e g r i f f der i n t e n t i o n 3 6 . 3. Die Formaldelikte (délits purement matériels) Z u den délits non intentionnels w e r d e n heute allgemein die fahrlässigen ( E r f o l g s - ) D e l i k t e u n d die d é l i t s p u r e m e n t m a t é r i e l s ( v o n m a n c h e n conscience, chez le coupable, d'enfreindre les prohibitions légales (qu'il est toujours réputé connaître ...). 26 Vgl. Merle, S. 228; Merle-Vitu, S. 566 f.; Stéfani-Levasseur, S. 197. 27 I, 3. Aufl., S. 575. 28 a.a.O., S. 572: . . . l'intention ou le d o l consiste dans la volonté d'accomplir u n acte qu'on sait être coupable, punissable. C'est la malignité, la volonté de m a l faire, l'animus delinquendi, l'état d'âme de celui q u i applique sa volonté à violer la loi, ou plutôt à léser les biens juridiques pour la protection desquels intervient la sanction pénale. — S. 574 w i r d der Wille, ein v o m Gesetz bestimmtes D e l i k t zu begehen, erläutert als conscience chez le coupable, soit q u ' i l fasse ou s'abstienne de faire ce q u i est deféndu ou ordonné, soit q u ' i l cause u n résultat préjudiciable q u i entre dans la constitution d u délit. 29 S. 79. Ebenso Kuhnmunch, J. C., A r t . 1 C. p., Nr. 94. 80 d. h. der Wille, eine Handlung i m Bewußtsein zu begehen, daß sie verboten ist, oder wissentlich eine v o m Gesetz befohlene Handlung zu unterlassen, ohne daß der Täter sich dabei auf Gesetzesunkenntnis berufen könnte: S. 184. 31 So 1. Aufl., S. 82. Jetzt "wissentliche Schuld" (S. 255). 32 Wobei aber Gesetzeskenntnis i m m e r unterstellt w i r d ; S. 188. 33 S. 228 ff. Eingehend zum Ganzen: Merle-Vitu, S. 566 ff., 586 ff. 34 Sich w i l l e n t l i c h eine deliktische Handlung als Ziel vornehmen, wissend, daß sie deliktisch ist; willentliche u n d wissentliche Verfolgung eines deliktischen Zieles, der Begehung der Gesetzesverletzung (S. 71). 35 Dr. pén., 1956, S. 203; 1960, S. 49: Willentliches Handeln i m Bewußtsein, eine verbotene Tat zu begehen. 36 Vgl. z.B. Cass. crim. 21. 2. 1930 D. P. 1930. 1. 70; 4. 6. 1942 D. C. 1943. 34; 7. 8. 1944 Sir. 1945. 1. 6; 5. 2. 1958 J. C. P. 1958 I I 10 580; 9. 10. 1958 Gaz. Pal. I I 319; 23. 1. 1962 Bull. crim. Nr. 57; 15. 6. 1962 B u l l . crim. Nr. 226. Weitere Urteile bei Bouzat, S. 255, A n m . 2; Merle, S. 233; Merle-Vitu, S. 568.
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auch Ü b e r t r e t u n g e n i m engeren S i n n e — c o n t r a v e n t i o n s p r o p r e m e n t dites — g e n a n n t ) 3 7 g e z ä h l t 3 8 . N u r Cuche w i l l die F a h r l ä s s i g k e i t s t a t e n (délits d'imprudence) zu d e n d é l i t s i n t e n t i o n n e l s r e c h n e n 3 9 . D i e d e n F o r m a l d e l i k t e n des f r ü h e r e n deutschen R e c h t s 4 0 v e r g l e i c h b a r e n d é l i t s p u r e m e n t m a t é r i e l s bestehen i n d e r b l o ß e n Z u w i d e r h a n d l u n g gegen das S t r a f g e setz (simple v i o l a t i o n m a t é r i e l l e de l a l o i p é n a l e ) 4 1 u n d h a b e n scheinbar k e i n S c h u l d m e r k m a l (élément m o r a l ) ; sie h e i ß e n p u r e m e n t m a t é r i e l s , w e i l sie n u r das f a i t m a t é r i e l , d i e äußere T a t b e s t a n d s e r f ü l l u n g , a u f w e i sen 4 2 . So stehen einerseits diese Z u w i d e r h a n d l u n g e n als D e l i k t e anschein e n d ohne S c h u l d e r f o r d e r n i s d e n V o r s a t z - u n d F a h r l ä s s i g k e i t s t a t e n 4 3 als S c h u l d d e l i k t e n gegenüber, andererseits w e r d e n d i e V o r s a t z d e l i k t e v o n den übrigen, subjektiv nicht auf D e l i k t s v e r w i r k l i c h u n g „gerichteten" s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n unterschieden. Diese e t w a s unsichere S t e l l u n g d e r F a h r l ä s s i g k e i t s t a t e n 4 4 r ü h r t w o h l daher, daß v i e l f a c h z w e i f e l h a f t ist, i n w i e w e i t b e i fahrlässigen Schadensverursachungen e i n s u b j e k t i v k r i minelles Verhalten vorliegt u n d Strafe angedroht werden soll45. 37 z. B. von R. Garraud, I, S. 585, 591. Bouzat spricht von Übertretungen i m weiteren Sinne (S. 262). Merle bezeichnet als Übertretungen i m engeren Sinne die nach A r t . 1 C. p. (S. 250). 38 Donnedieu de Vabres, S. 80; Bouzat, S. 259 ff.; Vidal-Magnol, I, S. 99 f., 201; R. Garraud, I, S. 585; Stéfani-Levasseur , S. 207 ff.; Vouin-Léauté , Dr. pén., 1956, S. 208 f.; Merle , S. 243 ff.; Merle-Vitu, S. 580 ff., 591 ff.; Kuhnmunch, J. C., A r t . 1 C. p., Nr. 99 ff. 30 S. 71, A n m . 1. 40 Vgl. dazu Nagler, L K , 6. Aufl., S. 36; sie kamen insbesondere i m Z o l l - u n d Steuerstraf recht vor, wurden dort aber durch die §§ 396, 413 R A O grundsätzlich beseitigt; die Strafe knüpfte bei ihnen an die objektive u n d rechtswidrige V e r w i r k l i c h u n g des äußeren Tatbestandes an, ohne daß ein Verschulden erforderlich gewesen wäre (Nachweise bei Nagler, a.a.O.). Das Reichsgericht bemühte sich u m Einschränkung, indem es, soweit die betreffende Vorschrift es zuließ, das Nichterfordernis der Schuld i n ein Nichterfordernis des V e r schuldensnachweises (Schuldvermutung) umdeutete, so daß bei Nachweis eines Schuldausschließungsgrundes keine Strafe verhängt werden durfte (RGSt. 61, S. 81 ff., 88, m i t weiteren Nachweisen). — Vgl. auch § 5 Abs. 1 Satz 2 österreichisches VStG. 41 Vgl. ζ. B. Cass. crim. 30. 4. 1952 B u l l crim. Nr. 112: L a contravention réside tout entière dans le fait matériel commis en infraction aux dispositions de la loi. Ebenso Cass. crim. 16. 10. 1957 Bull. crim. Nr. 638; 27. 5. 1959 Bull. crim. Nr. 279; 17. 1., 31. 1., 14. 2. 1962 B u l l . crim. Nr. 39, 72, 93 (vgl. zur letzten Entscheidung Légal , Rev. sc. er. 1962, S. 744 f.); 10. 7. 1963 B u l l . crim. Nr. 255 ; ständige Rechtsprechung. 42 Vgl. z.B. Cass. crim. 7. 3. 1918 D. P. 1921. 1. 217: Les infractions . . . purement matérielles . . . existent par le seul fait de la perpétration de l'acte prohibé, indépendamment de l'intention. 43 Die zusammenfassend auch délits ordinaires genannt werden, w e i l sie die vollen objektiven u n d subjektiven Deliktsvoraussetzungen haben. 44 Sie zeigt sich auch ζ. B. darin, daß die Zweiteilung u. a. m i t dem Hinweis abgelehnt w i r d , die Fahrlässigkeitstaten seien schwer einzureihen; vgl. u. S. 330, A n m . 133 a. E. 45 Vgl. ζ. B. Fr éj avilie-S oyer, 9. Aufl., S. 20; n u r w e n n sie eine wirkliche soziale Gefahr schüfen, stelle das Gesetz sie unter Strafe.
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
Subjektiv ist für die genannten Zuwiderhandlungen nur ein bewußter und freier Wille erforderlich, auf den das Verhalten des Täters zurückgeführt werden kann, also hinsichtlich der für den Gesetzesverstoß ursächlichen Handlung der (von unwiderstehlichem Zwang freie) Handlungswille und die Zurechnungsfähigkeit, nicht dagegen der Nachweis eines eigentlichen strafrechtlichen Verschuldens 46 . Die vor allem in der Rechtsprechung 47 viel gebrauchte Bezeichnung délits purement matériels w i r d jedoch häufig abgelehnt 48 ; alle strafbaren Handlungen setzten ein Verschulden voraus, und auch bei jenen Zuwiderhandlungen fehle nicht jegliches Schuldmoment, was sich i n der Anerkennung (allerdings sehr enggefaßter) Entschuldigungsgründe zeige. Die ganz überwiegende Meinung in der Literatur hält daher zwar auch diese Delikte für Schulddelikte 4 9 ; es herrscht aber Einigkeit, daß das Verschulden bei ihnen nicht nachgewiesen zu werden brauche, dem Angeklagten vielmehr der Entlastungsbeweis obliege. Dies führt zu einer Schuldvermutung (Delikte mit vermutetem Verschulden) 50 . Da sie nur schwer zu entkräften ist, taucht doch immer wieder die Wendung auf, es sei kein Verschulden (élément moral) erforderlich, zur Bestrafung genüge die bloße Zuwiderhandlung. Vor allem die Rechtsprechung verharrt auf diesem Standpunkt 5 1 . Besonders deutlich hat der Kassationshof i n der Entscheidung vom 27. Mai 1959 ausgesprochen, daß bei derartigen Delikten weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit erforderlich sei, vielmehr das bloße fait matériel genüge — 46 Besonders deutlich Cass. crim. 27. 5. 1959 B u l l . crim. Nr. 279 m i t A n m . von Légal , Rev. sc. er. 1960, S. 71 f. 47 z.B. Cass. crim. 7. 3. 1918 D. P. 1921. 1. 217; 19. 5. 1926 D. H. 1926. 348; 7. 8. 1929 Gaz. Pal. 1929 I I 876; 17. 11. 1937 Gaz. Pal. 1937 I I 942; 30. 4. 1952 Bull. crim. Nr. 112; 16. 10. 1957 B u l l crim. Nr. 638; 27. 5. 1959 B u l l crim. Nr. 279; aus der L i t e r a t u r z.B. Chauv eau-Faustin Hélie, V I , S. 304; Donnedieu de Vobres, S. 113; Faustin Hélie, S. 196; Vouin-Léauté, 3. Aufl., S. 59; Fréjaville Soyer, S. 21. 48 Vgl. R. Garraud, I, S. 590 f.; Garraud! Labor de-Lacoste, S. 71; VidalMagnol, I, S. 202 f.; Bouzat, S. 262; Merle, S. 250 f.; Kuhnmunch, J. C., A r t . 1 C. p., Nr. 89. 49 Ortolan, I, S. 152 f., 164, A n m . 2, 266 f.; R. Garraud, a.a.O.; Roux, I, S. 145 f., 161; Vidal-Magnol, Bouzat, Merle (aile a.a.O.); Stéfani-Levasseur, S. 207 f.; Vouin-Léauté, Dr. pén., 1956, S. 208 f.; 3. Aufl., S. 59; Fréjaville-Soyer, S. 21; Kuhnmunch, a.a.O. 50 Vgl. besonders R. Garraud, I, S. 591; Donnedieu de Vabres, S. 113; Vouin, S. 163; J.-Ch. Schmidt, S. 398; Bouzat, Merle, Stéfani-Levasseur, FréjavilleSoyer (alle a.a.O.); durchaus herrschende Meinung i n der Literatur. Kritisch aber Ph. Merle, S. 112 ff. — Die Rechtsprechung stellt i m allgemeinen nicht auf ein vermutetes Verschulden ab. 51 Vgl. o. A n m . 41, 47, ferner z. B. Cass. crim. 10. 12.1897 Sir. 1898.1. 205; 8. 11. 1907 Sir. 1907. 1. 470; 28. 3. 1936 D. H. 1936. 286; 28. 10. 1938 Gaz. Pal. 1938 I I 698; 23. 6. 1953 D. 1953. 556 usw.; aus der L i t e r a t u r z.B. Fréjaville-Soyer, S. 21; Legros, S. 11, 13 f.; offenbar auch Cuche, S. 70; i m Ergebnis ebenso StéfaniLevasseur, S. 211; ferner Vouin-Léauté, 3. Aufl., S. 59 (élément moral très réduit). Garr audi Labor de-Lacoste, S. 70, meinen, das Gesetz scheine hier kein Verschulden zu fordern.
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i n d é p e n d a m m e n t de t o u t e f a u t e et de t o u t e i n t e n t i o n délictueuse d u p r é v e n u 5 2 . D i e P r o b l e m a t i k l i e g t dabei i m A n k n ü p f u n g s p u n k t des S c h u l d u r t e i l s . W i e schon a m B e g r i f f d e r i n t e n t i o n z u b e m e r k e n w a r , h a t m a n strafrechtliches V e r s c h u l d e n i n B e z i e h u n g z u e i n e m schädlichen ( d e l i k t i schen) E r f o l g gesetzt, der die A r t des Tatbestandes b e s t i m m t e u n d i n dessen K e n n t n i s das B e w u ß t s e i n d e l i k t i s c h e n ( s t r a f r e c h t l i c h v e r b o t e n e n u n d d a h e r Unrechten) V e r h a l t e n s lag. F ü r e i n besonderes U n r e c h t s b e w u ß t s e i n n e b e n dieser i n t e n t i o n b l i e b deshalb k e i n R a u m . Z e i g t e der T a t b e s t a n d k e i n e n d e r a r t i g e n D e l i k t s e r f o l g , so f e h l t e auch der A n k n ü p f u n g s p u n k t s t r a f r e c h t l i c h e n Verschuldens, d e n n das bloße Wissen u n d W o l l e n der d i e Z u w i d e r h a n d l u n g d a r s t e l l e n d e n T a t h a n d l u n g ( v o l o n t a r i é t é de l'acte) w u r d e n i e als solches angesehen 5 3 . Es k o n n t e d a n n n u r 52
Bull. crim. 1959, S. 570, Nr. 279. Der Angeklagte hatte m i t der Ladung seines Lastwagens eine Eisenbahnbrücke über einer Straße beschädigt u n d w a r wegen „Beschädigung des Schienenweges" angeklagt. Die Vorinstanz v e r neinte die Fahrlässigkeit u n d sprach frei; der Kassationshof hob auf, w e i l die Tat nicht fahrlässig geschehen zu sein brauche. Die Vorinstanz bezog die F a h r lässigkeit offenbar auf die Beschädigung, i n der sie anscheinend das für die Bestimmung des geschützten Rechtsgutes u n d die Begründung des tatbestandlichen Unrechts wesentliche M e r k m a l sah, während der Kassationshof nicht diese, sondern das Verhalten i n seiner Vorschriftswidrigkeit i n den Vordergrund stellte. Geschütztes Rechtsgut ist hier nicht das Eigentum (an den B a h n anlagen), sondern die Betriebs- u n d Verkehrssicherheit der Eisenbahn, die durch das Verbot der Beschädigung des Schienenweges gewährleistet werden soll. Dem Täter w i r d daher nicht die Beschädigung (Herbeiführung eines schädlichen Erfolges i n Gestalt der Sachbeschädigung) als solche vorgeworfen, sondern die (abstrakte) Beeinträchtigung der Betriebs- u n d Verkehrssicherheit der Bahn (in Gestalt eines Verstoßes gegen eine der Sicherheit der Eisenbahn dienende Vorschrift). E i n Verschulden i n bezug auf jene Erfolgsherbeiführung ist deshalb unbeachtlich; die Verantwortlichkeit (Vorwerfbarkeit) gründet sich (bei freiem Willen) allein auf die Vorschriftswidrigkeit des Verhaltens als solche, die hier seine abstrakte Gefährlichkeit ausmacht. Es fehlt ein materiellgegenständliches Angriffsobjekt als Konkretisierung des geschützten Rechtsgutes, auf das (d. h. seine Verletzung oder Gefährdung) das Verschulden bezogen werden könnte. — Die Entscheidung zeigt deutlich, daß i n den Fällen der délits purement matériels die Schuld nicht auf die Tathandlung, noch nicht einmal auf einen etwa zum Tatbestand gehörigen Erfolg bezogen werden kann, vielmehr allein auf das rechtliche Gebot oder Verbot u n d dessen Nichteinhaltung; insoweit ist aber die Notwendigkeit eines besonders festzustellenden Verschuldens i n der Rechtsprechung u n d ziemlich einhellig i n der Lehre nicht anerkannt, denn die Vorschriftswidrigkeit des Verhaltens sei, von Ausnahmefällen abgesehen, i m m e r vorwerfbar. Daher k a n n der Kassationshof hier feststellen : L'infraction . . . réside tout entière dans le fait matériel qui la constitue (d. h. sie besteht auch ohne ein Verschulden bezüglich des fait matériel, w e i l dieses, soweit denkbar — etwa als „vorsätzliche" Begehung der Tathandlung —, die Vorwerfbarkeit des Verstoßes gegen das rechtliche Gebot oder Verbot doch nicht zu tragen vermöchte). — Siehe auch weiter unten i m Text. 53 z.B. Cass. crim. 8. 11. 1907, 17. 11. 1937, 28. 10. 1938, 16. 10. 1957, 27. 5. 1959 (vgl. o. A n m . 47 u n d 51). Die Willentlichkeit der Handlung ist zwar auch bei den délits purement matériels Voraussetzung f ü r die Strafbarkeit (toute infraction, même purement matérielle, suppose chez son auteur une volonté libre: 27. 5. 1959, 16. 10. 1957 u. a.; fehlt sie, so muß freigesprochen werden, 19. 10. 1922 Sir. 1923. 1. 187), bildet aber für sich allein noch k e i n Verschulden (denn eine i n -
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
a u f das (gesetzliche) V e r b o t selbst bezogen w e r d e n , dessen V e r l e t z u n g s o m i t gleichsam a n die S t e l l e des schädlichen Erfolges t r a t . Dies b i l d e t d e n H i n t e r g r u n d f ü r d e n stets w i e d e r h o l t e n Satz des Kassationshofes, b e i d e n d é l i t s p u r e m e n t m a t é r i e l s sei eine i n t e n t i o n délictueuse ( u n d ebenso eine faute) n i c h t e r f o r d e r l i c h 5 4 , u n d f ü r die v e r b r e i t e t e A u f f a s sung, die die F a h r l ä s s i g k e i t n u r m i t der V e r u r s a c h u n g eines Schadenserfolges i n V e r b i n d u n g b r i n g t 5 5 . D e n n w e i l e n t w e d e r strafrechtliches V e r s c h u l d e n g r u n d s ä t z l i c h n i c h t v o n Gesetzeskenntnis a b h ä n g i g sein sollte oder Gesetzeskenntnis einfach u n t e r s t e l l t w u r d e , g e l a n g t e m a n b e i d e n f r a g l i c h e n Z u w i d e r h a n d l u n g e n z u g a r k e i n e m oder z u e i n e m v e r m u t e t e n V e r s c h u l d e n , so daß j e d e n f a l l s i m a l l g e m e i n e n das bloße f a i t m a t é r i e l d e r Z u w i d e r h a n d l u n g z u r B e s t r a f u n g g e n ü g t 5 6 . W e n n die L e h r e fraction purement matérielle ist ein Delikt, das nach der Rechtsprechung des Kassationshofes gerade keine Schuld voraussetzt); d. h. die objektive Tatbestandserfüllung w i r d durch sie nicht schuldhaft, u n d die Verantwortlichkeit gründet sich allein auf jene ohne Rücksicht auf ein Verschulden, sofern n u r eine willentliche Handlung vorliegt: L a matérialité de l'acte suffit, pourvu q u ' i l soit volontaire (8. 11. 1907; que l'auteur a agi librement et volontairement: 9. 12. 1859 Sir. 1860. 1. 189; 6. 12. 1867 Sir. 1868. 1. 138). Entsprechend E. Garçon , A r t . 1, A n m . 69, 111: On dit ordinairement que les infractions non intentionnelles se constituent par le seul fait matériel . . . On reconnaît seulement, que l'infraction disparaît si l'auteur a agi sans volonté ou sous l'empire de la force majeure. Auch hier w i r d die Handlung nicht dadurch zum Schulddelikt, daß sie willentlich (mit Wissen u n d Wollen) vorgenommen w i r d . Vgl. auch Légal, Rev. sc. er. 1962, S. 263 (responsabilité sans faute); a.a.O., 1960, S. 72 (über den Stand der Rechtsprechung) : Si la faute n'est pas nécessaire, d u moins f a u t - i l que l'acte du contrevenant émane d'une volonté consciente et libre; ferner Faustin Hélie- Br ouchot, S. 197 (la volonté q u i diffère essentiellement de l'intention); Kuhnmunch, J. C., A r t . 1 C. p., Nr. 89, 103, 112: I l faut et i l suffit que l'acte émane d'une volonté libre (la volonté d'accomplir l'acte incriminé est suffisante). — Uber die Unterscheidung von volonté u n d intention vgl. z. B. R. Garraud, I, S. 571 f. Besonders deutlich weist Donnedieu de Vabres auf diesen Unterschied h i n (Rev. sc. er. 1938, S. 83; 1939, S. 94). Systematisch ist die Willentlichkeit der Handlung nach der französischen Lehre am ehesten als eine Schuldvoraussetzung (ein Erfordernis der Zurechnungsfähigkeit), die von der Schuld selbst (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) unterschieden werden muß, aufzufassen (als ein bei allen strafbaren Handlungen notwendiges M e r k m a l der — subjektiven — Zurechenbarkeit einer Handlung). Die Ansichten sind allerdings n u r insofern eindeutig, als die Willentlichkeit (der freie Wille) von der Schuld selbst unterschieden w i r d (sie noch nicht ausmacht). Die Erörterungen knüpfen an A r t . 64 C. p. an (vgl. u. S. 319, Anm. 76). Vielfach w i r d der Zwang ausdrücklich als „Schuldausschließungsgrund" bezeichnet (vgl. z. B. Bouzat, S. 343). Besonders k l a r u n d zusammenfassend zu den aufgeworfenen Fragen Légal, Rev. sc. er. 1962, S. 263: Les infractions matérielles . . . supposent sans doute la constatation chez l'agent d'une volonté consciente et libre, en d'autres termes l'imputabilité, mais . . . elles n'impliquent pas en revanche la preuve d'une défaillance repréhensible de cette volonté c'est-à-dire la culpabilité . . . du moment que l'acte a été libre et volontaire, les tribunaux se refusent à rechercher si l ' i n d i v i d u a commis ou non une faute psychologique. Seule la force majeure peut l'exonérer (siehe auch u. S. 318, Anm. 67). 54 Vgl. o. A n m . 52. 55 Vgl. Vidal-Magnol, I, S. 202; Stéfani-Levasseur, S. 211; Vouin-Léauté, Dr. pén., 1956, S. 208 f.; 3. Aufl., S. 59.
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auch ganz überwiegend für diese Delikte ein Verschulden fordert, so w i r d es doch häufig nicht in einer solchen Fahrlässigkeit gesehen, wie sie bei den fahrlässigen Erfolgsdelikten vorliegen muß 5 7 . Man macht vielmehr einen Unterschied zwischen dem auf eine Erfolgsverursachung bezogenen eigentlichen Fahrlässigkeitsverschulden und dem Verschulden bei jenen Zuwiderhandlungen (das zwar gleichfalls als Fahrlässigkeit bezeichnet wird, die aber gegenüber der bei Erfolgsdelikten sachlich verschiedenartig sei 58 ). Vidal-Magnol sehen das Übertretungsverschulden nicht in der üblichen (kriminellen) Fahrlässigkeit (die einen Deliktserfolg voraussetze), sondern in der Nachlässigkeit, sich über seine Rechte und Pflichten zu unterrichten, d. h. i n der (immer vorwerfbaren) Unkenntnis der (in gesetzlichen Vorschriften niedergelegten) Rechte und Pflichten 59 . Auch Bouzat und Fréjaville-Soyer begreifen die Fahrlässigkeit bei diesen „offensichtlich unbedeutenden" Verstößen als „Nachlässigkeit des Täters, sich über seine Pflichten aufzuklären und sich nach ihnen zu richten" 6 0 . Entsprechend ist für Vouin-Léauté die Schuld, die an die Stelle des Vorsatzes oder der erfolgsbezogenen Fahrlässigkeit tritt, die (stets vorwerfbare) Nichtbeachtung der Vorschriften: N u l n'est censé ignorer la loi 6 1 . Diese Schuld ist notwendig mit der Begehung der verbotenen Handlung verbunden und kann nur i m Falle „höherer Gewalt" verschwinden, wie etwa R. Garraud* 2, E. Garçon 63 und Légal 64 betonen; sie ergibt sich also, „aus der alleinigen Tatsache der Verletzung der Vorschrift", die im Interesse der öffentlichen Sicherheit erlassen wurde, was z. B. Stéfani56 Was außerdem manchen zur besseren Erreichung der damit meist verfolgten polizeilichen Zwecke (d. h. des Schutzes der allgemeinen Sicherheit u n d Ordnung) gerechtfertigt erscheint. Vgl. u. S. 327 f. 57 Viele begreifen freilich die Schuld bei allen nicht vorsätzlichen Delikten unter einem einheitlichen Begriff der Fahrlässigkeit (z. B. Ortolan, I, S. 153, 164, Anm. 2, 266; Roux, I, S. 145 f., 161; Merle, S. 251; jedoch werde das fahrlässige Verschulden bei den faits contraventionnels vermutet: Donnedieu de Vabres, S. 113; Bouzat, S. 262; Merle, a.a.O.). Vgl. aber auch Merle-Vitu, S. 566 ff., 580 ff., 591 ff. 58 z.B. Vidal-Magnol, I, S. 202; E. Garçon, A r t . 1, A n m . 113; Vouin-Léauté, Dr. pén., 1956, S. 208; Stéfani-Levasseur, S. 207 f. Das Verschulden k a n n hier nicht auf die Herbeiführung eines sachlich-gegenständlichen Erfolges, sondern n u r unmittelbar auf eine (vielfach abstrakte) soziale Nachteiligkeit oder Gefährlichkeit des Verhaltens, für die stellvertretend das gesetzliche Verbot (die Vorschrifts- oder Pflichtwidrigkeit des Verhaltens als solche) steht, bezogen werden. 59 I, S. 202. 60 Bouzat, S. 197; entsprechend Fréjaville-Soyer, S. 21. 61 Dr. pén., 1956, S. 208, 209; 3. Aufl., S. 59 (es sei dies nur ein élément moral très réduit). 62 I, S. 591: L a faute est . . . inséparable du fait incriminé, parce que le fait incriminé démontre que celui q u i l'a accompli est nécessairement en faute. 63 A r t . 1, A n m . 113, 115 ( . . . c'est la faute inséparable de ce fait matériel). 64 Rev. sc. er. 1960, S. 72: (La faute) est nécessairement inhérente à l'acte accompli.
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
Levasseur hervorheben 65 und wovon auch Legros ausgeht 66 . Damit weichen die Standpunkte der Lehre und der Rechtsprechung kaum noch voneinander ab, mag man nun, wie es durchweg die Lehre tut, hier noch von einer Schuldvermutung sprechen 67 oder mit Legros sagen, das Begehen der Tat (die Gesetzesverletzung) stelle schon für sich die Schuld (Fahrlässigkeit) dar 6 8 , oder der Ansicht der Rechtsprechung folgen, die Ubertretung liege überhaupt ganz in dem fait matériel selbst, das unter Verletzung des Gesetzes begangen wurde 6 9 . Aus alledem folgt, daß man unter den dargestellten Grundsätzen ein die strafrechtliche Verantwortung tragendes Verschulden, das man bei den fraglichen Zuwiderhandlungen suchen will, nicht i n der willentlichen Vornahme der Tathandlung finden kann, sondern nur i m Verstoß gegen die Vorschrift (das Verbot): Alleiniger Anknüpfungspunkt für das Schuldurteil ist m i t h i n die Vorschriftswidrigkeit des (auf einen freien Willen zurückzuführenden) Verhaltens als solche 70 . Da das Verbot die (generelle) Gefährlichkeit oder Nachteiligkeit des verbotenen Verhaltens voraussetzt (von ihr bedingt w i r d und sie vertypt), läßt sich das Schuldurteil auch auf diese beziehen. Die Zuwiderhandlung kann man dann als vertypte Unvorsichtigkeit, Nachlässigkeit usw., also vertypte Schuldhaftigkeit (generelle Fahrlässigkeit) auffassen; die m i t der Tat notwendig verbundene Unvorsichtigkeit (Fahrlässigkeit) begründet demgemäß ζ. B. für Chauveau-Faustin Hélie 71 sowie E. Garçon 72 den Schuldvorwurf. Zur Bestrafung der Zuwiderhandlungen (infractions matérielles) genügt es mithin, daß der Täter zurechnungsfähig war und willentlich gehandelt hat 7 3 . Nach der Rechtsprechung braucht allerdings die Willentlichkeit der Handlung nicht nachgewiesen zu werden 7 4 . Die ganz über65
S. 210 ff. S. 14. Ä h n l i c h Merle-Vitu, S. 581 ff. 67 Légal , Rev. sc. er. 1960, S. 72, nennt die V e r m u t u n g i m Anschluß an die erwähnte Entscheidung des Kassationshofes v o m 27. M a i 1959 eine u n w i d e r legliche. Es handele sich jedoch weniger u m eine Vermutung der Schuld als der Verantwortlichkeit (vgl. o. S. 315, A n m . 53), die n u r durch Nachweis einer nicht vom W i l l e n gesetzten Ursache zu widerlegen sei (ebenso Kuhnmunch, J. C., A r t . 1 C. p., Nr. 103). 68 S. 11,13,14. 60 Vgl. o. S. 315, Anm. 52. 70 Darüber, daß der Handlungswille (die Willentlichkeit des Verhaltens) für sich allein noch keine Schuld begründet, vgl. o. S. 315, Anm. 53. 71 V I , S. 304. Die Zuwiderhandlung sei i m m e r das Ergebnis einer Nachlässigkeit, eines Vergessens usw. ; bestraft werde gerade diese Nachlässigkeit usw. 72 A r t . 1, A n m . 115. 73 Es fehle eine intention délictueuse ou criminelle (mauvaise foi), auch eine volonté fautive ; vorhanden sei n u r das auf das fait matériel bezogene élément volontaire, zu dem ein élément moral i m engeren Sinne nicht gehöre (Donnedieu de Vabres, Rev. sc. er. 1938, S. 83; 1939, S. 94; Cass. crim. 17. 11. 1937 Gaz. Pal. 1937 I I 943). 74 Ebenso ausdrücklich z. B. Faustin Hélie-Brouchot, S. 197 (la volonté . . . est toujours présumée dans les contraventions). 68
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w i e g e n d e französische L e h r e k n ü p f t d a r ü b e r h i n a u s a n die Tatsache d e r Z u w i d e r h a n d l u n g d i e S c h u l d v e r m u t u n g 7 5 . E i n i g k e i t besteht d a r i n , daß die V e r m u t u n g (sei es n u r der W i l l e n t l i c h k e i t oder auch der Schuld) a l l e i n d u r c h N a c h w e i s h ö h e r e r G e w a l t oder u n w i d e r s t e h l i c h e n Z w a n g e s z u e n t k r ä f t e n i s t 7 6 . D i e Rechtsprechung s t e l l t h i e r sehr hohe A n f o r d e r u n g e n ; sie v e r l a n g t v o n j e d e m e i n absolutes Höchstmaß a n S o r g f a l t u n d V o r s i c h t 7 7 . Z u r h ö h e r e n G e w a l t g e h ö r e n auch manche F ä l l e dazwischent r e t e n d e n Verschuldens eines D r i t t e n 7 8 u n d die absolute U n m ö g l i c h k e i t z u r E r k e n n t n i s eines I r r t u m s 7 9 . G u t e r G l a u b e als solcher e n t s c h u l d i g t jedoch n i e 8 0 . 75
Vgl. o. S. 314, Anm. 50. R. Garraud, I, S. 591; Vidal-Magnol, I, S. 201, 203; Donnedieu de Vabres, S. 113; Vouin, S. 163; Bouzat, S. 196, 262; E. Garçon, A r t . 1, A n m . 127; Faustin Hélie-Brouchot, S. 197; Stéfani-Levasseur, S. 207 f.; Merle, S. 251 f.; MerleVitu, S. 581; Fréjaville-Soyer , S. 21; Kuhnmunch, J. C., A r t . 1 C. p., Nr. 112; Légal, L a responsabilité sans faute, S. 142 ff.; derselbe, Le nouveau régime des contraventions, S. 159 f. — ganz einhellige Meinung; aus der zahlreichen Rechtsprechung z.B. Cass. crim. 19. 10. 1922 Sir. 1923. 1. 187; 12. 12. 1925, 19. 5. 1926 D. H. 1926. 37. 348; 15. 5. 1926 Sir. 1928. 1. 33; 31. 7. 1937 D. H. 1937. 523; 8. 11. 1951 B u l l . crim. Nr. 288; 30. 12. 1953 B u l l . crim. Nr. 360 (dazu A n m . von Légal, Rev. sc. er. 1954, S. 753); 1. 10. 1957 B u l l . crim. Nr. 613; 10. 1. 1960 Bull. crim. Nr. 79; 14. 2. 1962 B u l l . crim. Nr. 93; 10. 7., 30. u n d 31. 10. 1963 B u l l , crim. Nr. 255, 299, 302; 22. 1. u n d 13. 2. 1964 B u l l . crim. Nr. 24, 53 (vgl. demgegenüber Cass. crim. 26. 1. 1956 B u l l . crim. Nr. 107; 9. 10. 1958 Gaz. Pal. I I 319 u n d zum Ganzen Légal, Rev. sc. er. 1962, S. 744 f.). — Der Kassationshof spricht i m m e r n u r von höherer Gewalt (force majeure), die L i t e r a t u r außerdem (oder auch statt dessen) von unwiderstehlichem Zwang (wobei häufig Unterscheidungen zwischen beiden Begriffen gemacht werden). Gemeint ist jedoch immer dasselbe: l'impossibilité absolue de prévoir et d'empêcher l'infraction (Cass. crim. 12. 12. 1925). Gesetzliche Grundlage ist A r t . 64 C. p.: I l n'y a n i crime n i délit, lorsque le prévenu était en état de démence au temps de l'action, ou lorsqu'il a été contraint par une force à laquelle i l n'a p u résister. — Der Nachweis höherer Gewalt (der absoluten Unmöglichkeit normgerechten Verhaltens) beseitigt für den Kassationshof, wie manchen Urteilen zu entnehmen ist, die Willentlichkeit der Handlung; vgl. z.B. 19. 10. 1922, 8. 11. 1951: Die Übertretung sei dann „unabhängig v o m W i l l e n " geschehen (im Leitsatz der letzten Entscheidung heißt es allerdings — entgegen der sonstigen Ansicht des Kassationshofes, daß jene Delikte ohne Verschulden strafbar seien — : L a force majeure détruit la culpabilité . . . même en matière de contravention . . . ) ; nach der überwiegenden Lehre w i r d die (zunächst vermutete) Schuld ausgeschlossen. Vgl. auch E. Garçon, A r t . 1, A n m . 114 (Einsichtsfähigkeit u n d freier W i l l e könnten unter Umständen erhalten bleiben, es entfalle dann n u r die Schuld). Siehe auch o. S. 315, A n m . 53 a. E. 76
77 Vgl. die angegebenen Entscheidungen; über weitere siehe die i n A n m . 76 Zitierten. 78 Cass. crim. 12. 10. 1850 Sir. 1853. 1. 464; 23. 1. 1885 Sir. 1886. 1. 41; 31. 7. 1937 D. H. 1937. 523. Bouzat nennt es neben höherer Gewalt und Z u f a l l als selbständigen Entschuldigungsgrund, S. 196, 262. 79 Vidal-Magnol, I, S. 202 f.; Merle, S. 251 f.; Merle-Vitu, S. 581 f. Cass. crim. 9. 12. 1859 Sir. 1860. 1. 189; 6. 12. 1867 Sir. 1868. 1. 138; 12. 12. 1925 D. H. 1926. 37; 31. 7. 1937 D. H. 1937. 523; 30. 12. 1953 B u l l . crim. Nr. 360 (dazu Légal, Rev. sc. er. 1954, S. 753); 26. 1. 1956, 14. 2. 1962 (vgl. A n m . 76). I m allgemeinen entschuldigt ein I r r t u m (Tat- oder Rechtsirrtum) nicht. Er k a n n n u r beachtlich sein, wenn er absolut unvorhersehbar u n d unvermeidbar (Merle, a.a.O.; erreur invincible,
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
4. Die Abgrenzung der délits purement matériels (contraventionnels) von den délits intentionnels W i e e r w ä h n t , soll diese E i n t e i l u n g , anders als d i e a n der S t r a f d r o h u n g , also d e r Schwere der T a t e n , ausgerichtete gesetzliche K l a s s i f i z i e r u n g des A r t . 1 Code pénal, eine solche nach d e r „ n a t u r e i n t r i n s è q u e " , d e m C h a r a k t e r oder d e m „ m o r a l i s c h e n W e r t " d e r D e l i k t e s e i n 8 1 . Z u r S y s t e m a t i s i e r u n g s t e l l e n L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung jedoch n i c h t a u f e i n das o b j e k t i v e U n r e c h t betreffendes sachliches U n t e r s c h e i d u n g s m e r k m a l , sond e r n die m o r a l i t é de l ' a u t e u r b z w . das é l é m e n t m o r a l d u d é l i t a b 8 2 . Das é l é m e n t m o r a l (die Schuld) b e s t i m m t d e n „ m o r a l i s c h e n W e r t " u n d die „ N a t u r d e r T a t " . D i e U n t e r s c h e i d u n g w i r d also n i c h t aus d e m z u g r u n d e l i e g e n d e n m a t e r i e l l e n U n r e c h t , sondern der z u r ( v o l l e n , d. h. auch subjektiven) Tatbestandsverwirklichung erforderlichen subjektiven E i n s t e l l u n g des T ä t e r s z u seiner d e l i k t i s c h e n H a n d l u n g (also d e m k r i m i n e l l e n V e r s c h u l d e n : K r i m i n e l l v e r w e r f l i c h i m v o l l e n S i n n e ist n u r die m i t k r i m i n e l l v e r w e r f l i c h e m W i l l e n begangene T a t ) g e w o n n e n , i n s o f e r n n ä m lich, als b e i d e n d é l i t s i n t e n t i o n n e l s e i n D e l i k t s w i l l e ( k r i m i n e l l e r Vorsatz) impossibilité absolue de vérification: Légal , a.a.O., S. 754) bzw. „allgemein u n d unvermeidbar" (Vidal- Magnol, a.a.O.) ist; nur dann hat er den Charakter höherer Gewalt. Diese Gleichstellung des I r r t u m s m i t der höheren Gewalt bringt allerdings systematische Schwierigkeiten m i t sich. — Z u m I r r t u m , insbesondere dem Rechtsirrtum, vgl. auch Légal, SchwZStr 77 (1961), S. 310 ff., 316 ff.; derselbe, Rev. sc. er. 1962, S. 743 ff., sowie die o. auf S. 311 i n Anm. 22 Genannten. 80 Statt aller: Vidal- Magnol , I, S. 201. 81 Vgl. z. B. R. Garraud, I, S. 222, 233 ff. (classement des infractions au point de vue de leur moralité — aber unter Betonung, daß damit die gesetzliche Dreiteilung nicht durchbrochen werde); Faustin Hélie-Brouchot, S. 7; Merle, S. 255; Cass. crim. 23. 1. 1957 J. C. P. 1957 I I 9837. — M i t jener „ N a t u r " der Delikte ist nicht das „materielle Unrecht" der deutschen Lehre gemeint, sondern die Beschaffenheit der strafbaren Handlung (ihre Konstruktion) im ganzen i m Hinblick auf die f ü r ihren Deliktscharakter (und d a m i t ihre Strafbarkeit) erforderlichen Voraussetzungen (insbesondere der subjektiven Zurechenbarkeit): Manche Delikte verlangen nach ihrem A u f b a u zu ihrer vollen E x i stenz (d. h. damit sie Delikte sein können) den k r i m i n e l l e n Vorsatz (er stellt die moralité de l'acte dar u n d macht erst den verbrecherischen Charakter dieser Handlungen aus), andere nicht. Dem entspricht es, daß die „klassische" Deliktsbestimmung der französischen Lehre nicht nach dem (objektiv-)materieilen Verbrechensbegriff sucht, sondern das Verbrechen als die Gesamtheit der obj e k t i v e n u n d subjektiven Bedingungen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit auffaßt, wobei der Schwerpunkt auf dem „subjektiven Charakter der strafrechtlichen Verantwortlichkeit" liegt (Merle, S. 1, 2). Vgl. Roux, I, S. 88: „ L ' i n fraction est la manifestation fautive d'une volonté agissant contre le droit et sanctionnée par la l o i au moyen d'une peine." — F ü r die „ N a t u r " eines Deliktes ist der gesetzgeberische Zweck seines Tatbestandes wichtig. 82 Vgl. R. Garraud, a.a.O.; Vidal-Magnol, I, S. 99; Donnedieu de Vabres, S. 112; Bouzat, S. 254 ff. Kuhnmunch, J. C., A r t . 1 C. p., Nr. 1 ff., unterscheidet drei A r t e n der Einteilung strafbarer Handlungen: die nach dem élément légal (insbesondere nach der Schwere der Taten), dem élément matériel (der Begehungsweise) u n d dem élément moral: délit intentionnel et non intentionnel (Nr. 89 ff.). Sie sind auch sonst i n der L i t e r a t u r anerkannt.
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des Täters erforderlich ist (der indessen bestimmte objektive Erfordernisse voraussetzt, auf die er als deliktischer Wille bezogen werden kann), bei den délits purement matériels hingegen nicht. Einander gegenübergestellt sind damit die subjektiv verwerfliche und die subjektiv nicht verwerfliche Tat. Wenn die Unterscheidung so auch nicht zur Herausarbeitung objektiv verschiedenartigen Unrechts dienen soll, die bloßen Zuwiderhandlungen m i t h i n allein als ein i n subjektiver Hinsicht nicht i m engeren Sinne kriminelles Unrecht (ohne élément moral) aufgefaßt werden können (insofern, als zur Bestrafung kein Nachweis kriminellen Verschuldens erforderlich ist), bleibt dennoch zu klären, wann ein solches délit purement matériel vorliegt, d. h. nach welchen (objektiven) Merkmalen entschieden werden kann, zu welcher Gruppe ein Tatbestand gehört. Diese Grenzziehung ist unsicher. Allgemeingültige objektive K r i terien haben Theorie und Rechtsprechung trotz der großen praktischen Bedeutung des Problems für den Schuldausspruch nicht finden können. Soweit hierbei Erörterungen zur Deliktsnatur gemacht werden, gehen sie i m allgemeinen nicht eigentlich darauf aus, einen Wesensunterschied des objektiven Unrechts darzutun, als vielmehr von der Eigenart der das Verbot ausdrückenden Unrechtsbeschreibung auf Besonderheiten des gesetzgeberischen Zweckes zu schließen, woraus sich Folgerungen für die subjektiven Voraussetzungen der Strafbarkeit ergeben. Demzufolge liegt die Eigenart der délits purement matériels oder bloßen Zuwiderhandlungen (infractions contraventionnelles) nach französischer Auffassung i n erster Linie in der geringeren Anforderung an den Schuldnachweis; es handelt sich also um ein subjektiv (nicht objektiv) nichtkriminelles Unrecht (Bestrafung ohne Nachweis kriminellen Verschuldens). Zur Bestimmung des Schulderfordernisses werden außer der unmittelbaren Gesetzesauslegung i m wesentlichen nur kriminalpolitische Erwägungen (möglichste Verwirklichung der vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke) herangezogen. Die Mehrzahl der Übertretungen des Code pénal gilt als délits purement matériels 83 , von den Vergehen ζ. B. kirchliche Trauung durch den Geistlichen vor amtlichem Nachweis der zivilen Eheschließung (Art. 199)84, Veranstaltung von Glücksspielen oder unerlaubten Lotterien, unerlaubtes Unterhalten von Pfandleihanstalten (Art. 410, 411), Verstöße gegen Vorschriften, die die gute Qualität der zur Ausfuhr bestimmten französischen Industrieerzeugnisse sichern sollen (Art. 413), usw. und von den Verbrechen etwa das Versäumen einer Dienstleistung, die einem mit Armeelieferungen Beauftragten auferlegt worden war (Art. 430) 85 , 83 Häufig w i r d aber auch bei Übertretungen Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorausgesetzt (vor allem i n der 5. Gruppe); vgl. z. B. A r t . R. 40 §§ 1, 2, 8 u n d A r t . R. 38 § 4, 40 § 4 C. p. 84 R. Garraud , I, S. 233; E. Garçon , A r t . 199 C. p., A n m . 14,15. 85 E. Garçon , A r t . 1, A n m . 123.
21 M a t t e s
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2. T e i l : Rechts v e r g i eichende U n t e r s u c h u n g
oder die Vornahme feindlicher Handlungen gegen fremde Staaten, die von der Regierung nicht gebilligt sind und Frankreich der Gefahr einer Kriegserklärung aussetzen (Art. 80 Ziff. I) 8 6 . Zahlreich sind die délits purement matériels i m Nebenstrafrecht, wo sie vielfach Vergehen darstellen. Hierher gehören z. B. Jagd- und Forstdelikte, Übertretungen i m Bereich des öffentlichen Wegerechts, Pressedelikte, Zoll-, Steuer- und Monopoldelikte, Preisdelikte und andere Wirtschaftsdelikte, Delikte aus dem Bereich des Gesellschafts- und Vereinsrechts wie überhaupt dem Polizeirecht i m weiteren Sinne usw. 8 7 . Auch das Nichterneuernlassen der Ausweiskarte durch einen Ausländer hat man als eine ohne Schuldnachweis strafbare Zuwiderhandlung angesehen, das Nichtanmelden des Auslandsguthabens dagegen als Vorsatzdelikt 8 8 . Die Eingruppierung ist oft zweifelhaft und umstritten. Das Fordern zu hoher Preise (délit de hausse illicite des prix) ζ. Β. wurde unterschiedlich beurteilt, teils als délit intentionnel 8 9 , teils als purement matériel 9 0 , während die Cour de Cassation unterschied, ob es sich um eine nicht genehmigte Preiserhöhung (purement matériel) oder u m eine Preiserhöhung handle, die durch die Umstände nicht gerechtfertigt sei und dadurch einen caractère illégitime erhalte (délit intentionnel) 9 1 . Ebenso hat der Kassationshof auch ζ. B. das Eröffnen von Schuhreparaturwerkstätten ohne die erforderliche behördliche Erlaubnis 9 2 als bloße Zuwiderhandlung betrachtet 93 . I m ganzen ist die Abgrenzung jedoch nicht klar. Genaue Kriterien fehlen. Zuweilen n i m m t man bei Vergehen i m engeren Sinne eine Ver86
Donnedieu de Vabres, S. 99. Auch etwa die Zuwiderhandlung gegen einen Ausweisungsbefehl oder Verstöße gegen Eisenbahnpolizeivorschriften u . a . m . ; Bouzat, S. 263, A n m . 3; Donnedieu de Vabres, S. 113, A n m . 3; Vidal-Magnol, I , S. 201 ff. 88 Cass. crim. 11. 4.1938 Gaz. Pal. 1938 I I 54. 80 T r i b u n a l correctionnel de la Seine 31. 8. 1937 D. P. 1937. 2. 97; i n der Berufungsinstanz ebenso Cour d'Appel de Paris 22. 10. 1937 D. P. 1937. 2. 97 m i t A n m . von Tchernoff u n d Gaz. Pal. 1937 I I 548, ebenso eine Reihe weiterer I n stanzgerichte (Nachweise bei Donnedieu de Vabres, Rev. sc. er. 1939, S. 92), da bei Vergehen eine V e r m u t u n g für ein Schulddelikt spräche (das Gesetz wolle die intention coupable bestrafen). 90 Garraud! Labor de-Lacoste, S. 70. 91 Kassationsentscheidung gegen das zitierte Berufungsurteil von Paris v o m 28. 10. 1938 D. H. 1938. 578 = Gaz. Pal. 1938 I I 698, ebenso 15. 3. 1940 Gaz. Pal. 1940 I 375; zustimmend Donnedieu de Vabres, Rev. sc. er. 1939, S. 92 f., ähnlich schon Rev. sc. er. 1938, S. 80 ff., der u. a. i m Sinne der Cour de Cassation darauf hinwies, daß die Einteilung i n délits intentionnels u n d non intentionnels nicht m i t der gesetzlichen Dreiteilung nach der Schwere zusammenfalle u n d n u r der Feststellung des Schulderfordernisses diene, wofür die gesetzliche Einreihung keine V e r m u t u n g begründe. 87
92 Oder das Eröffnen von neuen Schuhläden, Ges. v o m 22. März 1936, Gaz. Pal. 1936 1 1130. 93 5. 8. 1938 Gaz. Pal. 1938 I I 707 unter Aufhebung des Berufungsurteils (Paris), das aus der angedrohten Vergehensstrafe auf ein Vorsatzdelikt geschlossen u n d daher die mauvaise foi des Täters verlangt hatte.
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mutung für Vorsatzdelikte an 9 4 , was aber überwiegend als falsch zurückgewiesen w i r d 9 5 . Auch die Geringfügigkeit der Strafe oder die Tatsache, daß es sich um ein (echtes) Unterlassungsdelikt handelt, spielt gelegentlich eine Rolle 9 6 , kann aber i n der Regel höchstens den Wert einer zusätzlichen Erwägung haben und bietet daher ebenfalls keinen festen Maßstab. Immerhin ergeben sich aus den Entscheidungen des Kassationshofes einige leitende Gesichtspunkte 97 . Maßgebend ist immer zunächst der Wortlaut: Das Gesetz spricht m i t unter von „vorsätzlicher" oder „wissentlicher" Begehung oder gebraucht einen entsprechenden Ausdruck. Die hohe Strafdrohung kann ein Zeichen für ein Vorsatzdelikt sein, vor allem i m Hinblick auf die vergleichbarer Delikte. W i r d auf die Strafdrohung eines Vorsatzdeliktes verwiesen, so soll ebenfalls ein Vorsatzdelikt vorliegen 9 8 . Fehlt bei zwei vergleichbaren Tatbeständen i n einem das Wort „wissentlich", so w i r d dennoch die Gleichheit der Strafdrohungen als Indiz für gleiches Schulderfordernis gewertet 99 . (Echte) Unterlassungsdelikte sollen häufig, aber nicht immer, bloße Zuwiderhandlungen sein 1 0 0 . Erst wenn diese Versuche, den Willen des Gesetzgebers an Hand des Gesetzes selbst zu erforschen, nicht zum Ziele führen, soll auf die „Nat u r " der Tat, nämlich den Zweck Bedacht genommen werden, den der Gesetzgeber mit der Aufstellung des Straftatbestandes mutmaßlich verfolgte. Es ergibt sich, daß die Natur der Tat mit dem gesetzgeberischen Zweck i n Zusammenhang gebracht und durch ihn bestimmt wird. Die Frage, die die Rechtsprechung sich stellt, lautet dahin, ob die Natur (die Art) der strafbaren Handlung, wie sie nach der Tatbestandsfassung erscheint, beim Täter einen deliktischen Vorsatz bedingt oder ob es sich um einen Verstoß gegen eine Vorschrift handelt, die ohne Ausnahme und ohne Rücksicht auf die jeweiligen subjektiven Voraussetzungen bei einem Täter eingehalten (durchgeführt) werden m u ß 1 0 1 bzw. als eine Maßregel anzusehen ist, die die unbedingte Befolgung des betreffenden 94 ζ. B. Paris 22. 10. 1937 D. P. 1937. 2. 97; Bordeaux 18. 4. 1940 Gaz. Pal. 1940 1445. Vgl. auch Cass. crim. 7. 8.1929 Gaz. Pal. 1929 I I 876. 95 Roux, I, S. 161, A n m . 11; Donnedieu de Vabres, S. 113; Bouzat, S. 263; vgl. auch o. A n m . 91. 98 Vgl. Merle, S. 254, 255. 97 Magnol, Rev. sc. er. 1938, S. 704; Merle-Vitu, S. 584. 98 Das Nichtanmelden eines Auslandsguthabens z.B. wurde m i t der Strafe des A r t . 366 C. p. — Meineid i n Zivilsachen — bedroht: Der Kassationshof Schloß daraus auf ein Vorsatzdelikt; 11. 4.1938 Gaz. Pal. 1938 I I 54. 99 Cass. crim., a.a.O. 100 Magnol, Rev. sc. er. 1938, S. 705; Vidal-Magnol, I, S. 100, m i t Nachweisen. 101 Vgl. z.B. Cass. crim. 23. 1. 1957 J. C. P. 1957 I I 9837: . . . la disposition précitée n'admet aucune dérogation; . . . i l n'y a pas lieu pour le juge de rechercher s'il existait une intention dolosive que le législateur n'a pas exigée et que la nature des infractions ne comporte pas . . .
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2. T e i l : Rechtsvergleichende U n t e r s u c h u n g
Gesetzes sichern soll 1 0 2 . I m letzten Falle sagt man, das Gesetz habe polizeiliche Zwecke, und bezeichnet die entsprechenden Verbote und Gebote als Polizei- oder Ordnungsmaßnahmen; die Zuwiderhandlungen sind dann purement matérielles 1 0 3 . So ist ζ. B. der Verstoß gegen Vorschriften, die der Verkehrs- und Betriebssicherheit etwa der Eisenbahn dienen, ohne Schuldnachweis strafbar 1 0 4 . Dasselbe gilt bei entsprechenden, die öffentliche Sicherheit und Ordnung gewährleistenden Bestimmungen auf andern Gebieten. Ob eine Strafvorschrift polizeiliche Zwecke verfolgt, w i l l man auch danach beurteilen, ob sie i n erster Linie die Herbeiführung eines unerwünschten Erfolges ahnden oder seinem Eintritt (ohne ihn tatbestandlich vorauszusetzen) vorbeugen soll (ob sie vorwiegend repressiven oder präventiven Charakter hat) 1 0 5 . Der Ausgangspunkt der Unterscheidung, das Herbeiführen eines deliktischen, weil schädlichen Erfolges, taucht hier also wieder auf, obschon er nicht mehr ausdrücklich erwähnt wird. — Zuweilen spielt auch der Gesichtspunkt der Verwerflichkeit eine Rolle. Aufschlußreich für die Abgrenzung sind die Entscheidungen des Kassationshofes vom 15. März 1940 und vom 28. Oktober 1938 106 , die sich mit ungenehmigten Preiserhöhungen befassen. Danach ergibt sich folgendes: Verstöße gegen Vorschriften, die nicht nur die durch die Umstände (die wirtschaftlichen Gegebenheiten) nicht gerechtfertigten Preiserhöhungen ahnden (Repression), sondern ihnen vor allem vorbeugen wollen (Prävention), indem sie nämlich die zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Preise ohne vorherige Genehmigung durch die zuständige Behörde zu erhöhen verbieten, sind purement matérielles (bloße Zuwiderhandlungen) und daher ohne Verschuldensnachweis und trotz guten Glaubens des Täters strafbar. Ist jedoch eine Preiserhöhung nur dann strafbar, wenn sie durch die Umstände nicht gerechtfertigt, der Preis also nach den Verhältnissen überhöht erscheint, so handelt es sich um ein 102 Vgl. Cass. crim. 7. 8. 1929 Gaz. Pal. 1929 I I 876: disposition prévue . . . à l'effet de déterminer des mesures d'ordre purement matériel en vue d'assurer l'exécution de ladite l o i . . . cette disposition est générale et absolue et ne souffre d'exception . . . Vgl. auch Donnedieu de Vabres , Rev. sc. er. 1938, S. 83 (Anm. zu Cass. crim. 17. 11. 1937 Gaz. Pal. 1937 I I 943): Die Frage sei, ob der gesetzgeberische Zweck eine strenge u n d gewissermaßen „automatische" A n wendung des Gesetzes verlange. Wenn ja, dann komme auch keine „psychologische Nachforschung" über die Schuld des Angeklagten i n Betracht (ebenso a.a.O. 1939, S. 93); auf sie könne wegen der geringen Bedeutung der Taten verzichtet werden (Bouzat, S. 263). 103 Donnedieu de Vabres, Rev. sc. er. 1939, S. 93, 94 (zu Cass. crim. 28. 10. und 5. 8.1938 Gaz. Pal. 1938 I I 698, 707). 104 Cass. crim. 27. 5. 1959 B u l l . crim. Nr. 279: Toute infraction aux lois et règlements sur la police, la sûreté et l'exploitation des chemins de fer réside tout entière dans le fait matériel q u i la constitue. 105 Cass. crim. 28. 10.1938 Gaz. Pal. 1938 I I 698 = D. H. 1938. 578; dazu Donnedieu de Vabres , Rev. sc. er. 1939, S. 93. 106
Gaz. P a l . 1940 1375 u n d Gaz. P a l . 1938 I I 698 = D . H . 1938. 578.
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Vorsatzdelikt (délit intentionnel), das nur bei entsprechender subjektiver Einstellung (mauvaise foi, kriminellem Vorsatz) des Täters strafbar ist, nämlich wenn dieser die Umstände gekannt hat, die sein Verhalten deliktisch machen 107 (sich etwa einen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen wollte 1 0 8 , was bei Zuwiderhandlungen gegen starre Preiserhöhungsverbote gleichgültig ist) 1 0 9 . Die Unterscheidung läuft also darauf hinaus, ob i n der Tatbestandsfassung zur Beschreibung des Unrechts materielle (normative) Merkmale desselben verwendet werden, auf Grund derer eine bestimmte Verhaltensweise als ungerechtfertigt zu beurteilen ist und deren Voraussetzungen ferner i m Einzelfalle vorhanden und nachgewiesen sein müssen und die der Täter dann auch kennen muß, damit er bestraft werden kann, oder ob jene Beurteilung, die sonst an Hand der konkreten Umstände i m Einzelfalle geschehen müßte, schon generell i n Gestalt eines — damit i n der tatbestandlichen Unrechtsbeschreibung an die Stelle der materiellen, normativen Unrechtsmerkmale tretenden — gesetzlichen oder behördlichen Verbotes oder Gebotes vorliegt und so dem Täter i m Einzelfalle entzogen ist, weshalb er auch die deliktische Natur seines Verhaltens nicht zu kennen braucht. Die behördliche A n ordnung hat dann nach der französischen Theorie und Rechtsprechung den Charakter einer Vorbeugungsmaßnahme, nämlich den Zweck, etwa i m Einzelfalle unberechtigte Preiserhöhungen von vornherein unmöglich zu machen. Diesem Zweck widerspräche es, wenn man zur Bestrafung einen Verschuldensnachweis verlangte. Es sei hierbei, sagt der Kassationshof, der „böse Glaube" (der deliktische Vorsatz, ζ. B. einen überhöhten Preis zu fordern) kein Verbrechensmerkmal; das Vorhandensein des Delikts ergebe sich allein aus der Tatsache der willentlichen Nichtbeachtung einer gesetzlichen Vorschrift, die immer als bekannt vorausgesetzt werde (also ζ. B. allein aus dem Fordern eines höheren als des gesetzlich erlaubten Preises). 107
d. h. die Umstände, die das i n seinem Verhalten liegende (im Tatbestand beschriebene) Unrecht ausmachen. 108 Hier, sagt Donnedieu de Vabres, sei die Beachtung des psychologischen Elements unerläßlich, so daß n u r ein Vorsatzdelikt — délit intentionnel — i n Betracht kommen könne, Rev. sc. er. 1939, S. 93. — Die intention criminelle gilt i n diesem Falle als konstitutives (deliktsbegründendes) Element der strafbaren Handlung. 109 Die Entscheidungen des Kassationshofes betrafen die Auslegung einer Verordnung v o m 1. J u l i 1937 (D. P. 1937. 4. 139), die i n A r t . 1 Abs. 1 u n d 2 die Erhöhung aller am 28. J u n i 1937 bestehenden Preise für Waren u n d Lebensm i t t e l ohne vorherige behördliche Genehmigung verbot (délit de hausse sans autorisation), von diesem Verbot aber i n A r t . 1 Abs. 3 f ü r landwirtschaftliche Produkte u n d verderbliche Lebensmittel eine Ausnahme machte, bei denen ungenehmigte Preiserhöhungen n u r strafbar waren, wenn sie sich nach den Umständen i m Einzelfall als ungerechtfertigt erwiesen (délit de hausse illégitime) (die zuständige Stelle konnte Preiserhöhungen nach A r t . 1 Abs. 3 — hinterher — als gerechtfertigt anerkennen). Die Regelung wurde kritisiert u n d bald geändert.
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
Das Schrifttum hat sich mit der Abgrenzungsfrage nicht näher beschäftigt. Eingehende Untersuchungen fehlen, soweit ersichtlich. I n der Regel begnügt man sich damit, die i n der Rechtsprechung verwendeten Gesichtspunkte kurz wiederzugeben oder auch zu erläutern. Zuweilen w i r d eine nähere Charakteristik der Zuwiderhandlungen versucht. Auch für das Schrifttum folgt die „Natur" eines Delikts als bloße Zuwiderhandlung (délit purement matériel) aus dem gesetzgeberischen Zweck. Ein délit purement matériel liege vor, wenn der Gesetzgeber mit der Strafdrohung einen polizeilichen Zweck i m weiteren Sinne erstrebe; man w i l l es daher als Verstoß gegen eine Polizeimaßregel ( = eine zu polizeilichen Zwecken erlassene Vorschrift) kennzeichnen 110 . Jedoch bestehen keine einheitlichen Vorstellungen darüber, was man unter einer Polizeimaßregel zu verstehen habe 1 1 1 . Manche gehen bei der Lösung dieser Frage von der Unterscheidung zwischen an sich Unrechten (verwerflichen, moralwidrigen, schädlichen) und an sich erlaubten oder indifferenten Taten aus. Ortolan sah demgemäß die Zuwiderhandlung als Verletzung einer Vorschrift, die weniger wegen eines „vorgegebenen Rechtes" (dessen Verletzung schon an sich strafbar wäre) als vielmehr zur guten Verwaltung des Landes und der Vorsorge für die gemeinsamen Interessen der Bevölkerung (zur Verhütung des Übels und zur Beförderung des Wohls) erlassen worden ist (zustimmend Merle 112). Damit sollte jedoch die Bestrafung von Zuwiderhandlungen nicht auf bloßer Nützlichkeit (Zweckmäßigkeit) beruhen, vielmehr auch mit ihr Gerechtigkeit geübt werden; denn jedermann sei dem Volk, i n dem er lebe, durch Rechtspflichten verbunden und nach der „absoluten Gerechtigkeit" gehalten, zu seinem Teil zum Gemeinschaftsleben beizutragen 113 . R. Garraud unterschied die durch die „universelle Moral" verurteilten, die Rechte anderer verletzenden und aus einem „bösen Vorsatz" hervorgehenden Taten, die bei allen Völkern gleicher Zivilisationsstufe in ähnlicher Weise bestraft würden und unter die Strafgewalt des Staates fielen, von den durch das positive Recht geschaffenen Delikten, die der Staat kraft seiner Polizeigewalt verfolge. Diese letzten beträfen an sich erlaubte oder gleichgültige (nicht moralwidrige) Handlungen ohne bösen Vorsatz und ohne Verletzung fremder Rechte, die aber wegen der Sicherheit und Wohlfahrt der Gesellschaft (und um den Bürgern das Gefühl dieser Sicherheit und Wohlfahrt zu vermitteln) unter Strafe gestellt sei110 Vgl. Ortolan , I, S. 253; R. Garraud , I, S. 233 f.; Roux , I, S. 161, A n m . 11; Cuche, S. 70; Provent , Rev. sc. er. 1938, S. 253, 254; Donnedieu de Vabres , S. 113; Vidal-Magnol, I, S. 100; Bouzat , S. 263; Stéfani-Levasseur , S. 216 ff.; Merle , S. 255; Merle-Vitu, S. 584 f. — Siehe auch o. S. 307 ff. 111 Ebenso Merle, S. 255. 112 S. 255. 115 I, S. 253. Die fraglichen Handlungen seien zwar, für sich allein betrachtet, moralisch indifferent, erschienen aber nach jener Idee des gemeinsamen I n t e r esses der Bevölkerung als gerechterweise strafbar.
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en. Die Strafgewalt des Staates beruhe auf der Gerechtigkeit und dem sozialen Nutzen (und könne daher allein moralwidrige und schädliche Handlungen erfassen), die Polizeigewalt nur auf dem sozialen Nutzen (weshalb sie sogar an sich „unschuldige" Taten bestrafen könne) 1 1 4 . Gegenwärtig wollen etwa Vouin-Léauté die strafbaren Handlungen i n solche, die von Natur aus Verbrechen, und andere, die es durch gesetzliche Bestimmung seien, einteilen, ohne aber die beiden Gruppen ausdrücklich m i t den Vorsatzdelikten und den bloßen Zuwiderhandlungen gleichzusetzen 115 . Diese A r t der Unterscheidung ist gelegentlich bis zur Bezeichnung der Zuwiderhandlung als rein künstliches Delikt (infraction purement artificielle — so Desprez 116 , wiederholt von J.-Ch. Schmidt 117) vereinfacht worden; doch hat die Literatur eine solche Charakterisierung offenbar nicht übernommen. I m neueren Schrifttum findet man die polizeiliche Maßregel hingegen häufig als einfache Ordnungsmaßnahme oder ein die öffentliche Ordnung betreffendes, nur in bestimmten Fällen erlassenes Verbot (Provent, Bouzat, Donnedieu de Vabres 118; Stéfani-Le vasseur 119) bzw. eine i m öffentlichen Interesse erlassene oder der Schadensverhütung dienende (einen Schaden aber nicht voraussetzende) Vorschrift (Stéfani-Levasseur 120) umschrieben. Einige lassen sich (unter Heranziehung eines in der Rechtsprechung viel verwendeten Gesichtspunktes) näher dahin aus, es handle sich u m Strafbestimmungen, die die unbedingte und uneingeschränkte Befolgung einer Vorschrift sichern sollten (Roux 121); sie hätten dann einen „mehr disziplinarischen als moralischen Charakter", und ihre Geltung solle m i t einem „gewissen Automatismus" der Bestrafung gesichert werden (Cuche 122, Donnedieu de Vabres 123). 114 I, S. 233 f.; vgl. auch S. 224. Die erstgenannten Delikte erhielten ihren verbrecherischen Charakter aus dem Vorsatz (l'intention), die andern bestünden aus der einfachen Übertretung der gesetzlichen Vorschriften auch bei gutem Glauben des Täters. — Weitergehend Maurice Hauriou, Sir. 1897. 3. 113 f. (Urteilsanmerkung): Verbrechen u n d Vergehen verstießen gegen die rechtliche u n d sittliche Ordnung, Übertretungen lediglich gegen Polizeiregeln, die n u r i n sehr entfernter Beziehung zur Rechtsordnung u n d zur M o r a l stünden u n d einen tatsächlichen Zustand, selbst w e n n er gegen Recht u n d M o r a l wäre (!), aufrechtzuerhalten hätten. Polizeiübertretungen seien daher „ o b j e k tive" Delikte, bei denen es auf Vorwerfbarkeit oder einen „verantwortlichen W i l l e n " nicht ankomme. Vgl. auch u. S. 329, A n m . 130. 115 Dr. pén., 1956, S. 149 ff., 156. Abgrenzungsmerkmale geben die Verfasser nicht an. Gegen die „naturrechtliche" Einteilung z.B. R. Garraud, I, S. 203; Vidal-Magnol, I, S. 75 (vgl. auch S. 6 u n d 74, wo diese Einteilung wiedergegeben wird) ; E. Garçon, A r t . 1, A n m . 6 f. 116 Nature j u r i d i q u e de contraventions. Thèse, Paris, 1898 (zitiert nach J.-Ch. Schmidt, S. 417). 117 a.a.O. — Vidal-Magnol, erwähnen die Bezeichnung a.a.O., S. 6. 118 A l l e a.a.O., der letzte ferner Rev. sc. er. 1939, S. 94. 119 S. 212. 120 S. 212. 121 I, S. 161, A n m . 11. Er f ü h r t noch besonders die eine Berufspflicht begründenden Vorschriften an.
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
Auch auf das Fehlen eines schädlichen Erfolges (abstraktes Gefährdungsdelikt) w i r d als kennzeichnend für die Zuwiderhandlungen hingewiesen (i Stéfani-Levasseur 124). Anzuführen wäre sodann noch (mindestens für einen Teil der Zuwiderhandlungen) der Gesichtspunkt der vertypten Unvorsichtigkeit (Nachlässigkeit), den man besonders bei Chauveau-Faustin Hélie 125 und E. Garçon 126 finden kann. Schließlich sei zusammenfassend etwa die Erklärung von Stéfani-Levasseur wiedergegeben, die Zuwiderhandlung bestehe „meistens i n einem Ungehorsam gegenüber einer Polizeimaßnahme, einer Vorschrift, die zur Aufrechterhaltung der Ordnung für notwendig gehalten w i r d und bestimmt ist, Beeinträchtigungen der Sicherheit zu verhüten oder Schäden zu vermeiden"; sie berühre nicht das „rechtliche oder sittliche Gewissen", sondern sei nur eine „Verletzung von Verwaltungsinteressen" 1 2 7 — womit denn freilich ein greifbarer Abgrenzungsmaßstab ebensowenig gewonnen ist wie mit andern Umschreibungsversuchen. Aus dieser Gewißheit heraus bietet die Literatur immer noch gewisse Hilfsmittel an, wie den Hinweis, eine geringe Strafe, insbesondere eine mäßige Geldstrafe, lasse vermuten, daß der gute Glaube des Täters unerheblich sei, oder ein (echtes) Unterlassungsdelikt erfordere meistens keinen Schuldnachweis 128 . Bei dieser Sachlage ist es nur natürlich, daß die Zuwiderhandlungen, was ihren materiellen Unrechtsgehalt betrifft, als leichte Delikte („offensichtlich unbedeutende" Verstöße, Bagatelldelikte) gekennzeichnet werden (mindestens teilweise) 129 . Zwar erinnern manche der hier wiedergegebenen Formulierungen an die Lehre vom Verwaltungsstrafrecht. Und wenn man eine Parallele zu den Ordnungswidrigkeiten oder Verwaltungsdelikten, wie sie diese Lehre auffaßt, sucht, w i r d man sie nicht i n den Übertretungen des Code pénal, sondern allenfalls i n den sogenannten délits purement matériels finden können. Aber die Besonderheiten jener Zuwiderhandlungen haben i n Frankreich zu keinen Folgerungen i n Richtung auf ein eigenes Verwaltungs- oder Ordnungswidrigkeitenrecht geführt. Die Einteilung i n délits 122 S. 70. Andernfalls gäbe entweder die Untersuchung der Schuld der „moralischen Seite" das Ubergewicht über die disziplinäre u n d verfälschte damit den Charakter der Strafvorschrift, oder diese Untersuchung bedingte ein umständliches, der Schwere der Tat unangemessenes Verfahren. 123 Vgl. o. S. 324, A n m . 102. 124 S. 212. 125 V I , S. 304. 126 A r t . 1, A n m . 115. 127 S. 212. 128 z.B. Roux , I, S. 161, A n m . 11; Vidal-Magnol, I, S. 100; Donnedieu de Vabres, S. 113; Merle, S. 255. 129 Vgl. z.B. Roux , a.a.O.; Vidal-Magnol, S. 100 (geringe Strafe); Bouzat, S. 197; Stéfani-Levasseur , S. 212 (Verletzung von Verwaltungsinteressen als Bagatellstrafrecht).
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intentionnels und non intentionnels (purement matériels, wenn man die Fahrlässigkeitsdelikte außer Betracht läßt) w i r d nicht als ein die Einheit des Strafrechts gefährdender Unterschied empfunden. Die Literatur lehnt es auch einhellig ab, darauf eine gesetzliche Deliktseinteilung zu gründen; sie billigt allgemein die nach der Schwere der Taten vorgenommene (quantitative) Dreiteilung des Code pénal und verteidigt sie gegen eine mögliche (qualitative) Zweiteilung nach der (angeblichen) „inneren Natur" (nature intrinsèque) der strafbaren Handlungen 1 3 0 . Hieraus folgt, 130 Ortolan, I, S. 274; R. Garraud, I, S. 224 ff.; Roux, I, S. 89 ff.; Cuche, S. 30 f.; Vidal-Magnol, I, S. 96 ff.; Donnedieu de Vabres, S. 96 ff., 100; Bouzat, S. 208 ff.; E. Garçon, A r t . 1, A n m . 30 ff.; Vouin-Léauté, Dr. pén., 1956, S. 154 ff., 156; Stéfani-Levasseur, S. 195 ff., 218; Merle, S. 81 ff., 85 f.; Kuhnmunch, J. C., A r t . 1 C. p., Nr. 3 ff.; Mellor, S. 3. — M i t u n t e r w i r d gesagt, die Zweiteilung (nach der heute von den französischen Schriftstellern i n der Regel ohne eigene Bef ü r w o r t u n g lediglich wiedergegebenen Lehre i n Vorsatzdelikte, die die G r u n d lagen des Soziallebens angriffen bzw. individuelle oder kollektive Rechte u n mittelbar verletzten, u n d „normalerweise" indifferente Übertretungen der durch die Erfordernisse des Soziallebens bedingten bzw. der n u r zur Schadensverhütung — vorbeugend — erlassenen Regeln: Vgl. Merle, S. 85; Bouzat, S. 210; Vidal-Magnol, I, S. 98; Donnedieu de Vabres, S. 99) scheine zwar theoretisch bzw. „rationell" eher i n der „ N a t u r der Dinge" zu liegen (sie erscheine „sehr befriedigend f ü r den Geist", bereite jedoch praktische Schwierigkeiten: Bouzat, S. 210), demgegenüber aber w i r d betont, daß die Dreiteilung für ein brauchbares Strafrechtssystem besser geeignet sei u n d insbesondere der französischen Strafrechtsordnung mehr entspreche (siehe die Zitierten). Die D r e i teilung des Code pénal ist von manchen französischen K r i m i n a l i s t e n (ausländische K r i t i k e r , i n der Regel Anhänger der Zweiteilung, bleiben hier unberücksichtigt) angegriffen worden (vgl. auch o. S. 307 ff.), w i e vor allem von Rossi, I, S. 54 f., u n d Boitard, 2. Aufl., S. 24 ff., deren K r i t i k sich aber weniger gegen die Dreiteilung als solche denn vielmehr dagegen richtete, daß die strafbaren Handlungen nach der angedrohten Strafe u n d nicht nach ihrer N a t u r eingeteilt werden. Diese K r i t i k ist längst überwunden (vgl. Chauv eau-Faustin Hélie, I, S. 34ff., sowie die Obengenannten); die Einteilung nach der Strafdrohung ist eine solche nach der (relativen) Deliktsschwere, die allgemein für richtig gehalten w i r d . — Kritisch gegenüber der Dreiteilung äußerten sich v o m Standp u n k t der Zweiteilung Chauv eau-Faustin Hélie, I, S. 3l6 ff. — Vgl. zum Ganzen auch Merle-Vitu, S.388ff., 396ff., sowie O.S. 297, A n m . 32. — Gegen die E i n beziehung der Übertretungen (im Sinne der Zweiteilung) i n das Strafrecht (in denselben Begriff der strafbaren Handlung wie die Verbrechen u n d Vergehen) haben sich k a u m Stimmen erhoben. Hauriou bemängelte, daß die Übertretungen „künstlich" m i t Verbrechen u n d Vergehen vereinigt worden seien; sie seien „objektive" Delikte u n d gehörten eigentlich zum Polizeirecht (Urteilsanmerkung i n Sir. 1897. 3. 114; zweifelnd hierzu J.-Ch. Schmidt, S. 416 f.; siehe auch o. S. 327 bei A n m . 116). F ü r die Schaffung eines eigenständigen V e r w a l tungsstrafrechts haben sich Levasseur (D. 1959, Chron., S. 123) u n d Ph. Merle (S. 182) ausgesprochen (siehe dazu ferner o. S. 297). — A l l e diese Einwendungen gegen die Deliktseinteilung des Code pénal sind vereinzelt geblieben u n d haben i m französischen Schrifttum keinen wirksamen Nachhall hinterlassen. VidalMagnol (I, S. 99) drücken eine allgemeine Überzeugung aus, wenn sie feststellen: „Die Dreiteilung unseres Strafgesetzbuches hat doch, von einigen U n vollkommenheiten abgesehen, den Vorteil, einfach u n d praktisch zu sein — ein wirkliches Verdienst für ein Gesetzbuch, das keine wissenschaftliche u n d theoretische A r b e i t ist, sondern dessen A n w e n d u n g so k l a r wie möglich sein soll." Daß etwa die „ N a t u r der Sache" eine andere Einteilung gebiete, w i r d von niemandem angenommen. Es besteht die allgemeine Ansicht, daß die Gestalt u n g des Strafrechts Sache des Gesetzgebers ist.
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2. T e i l : Rechts v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
daß das W e s e n s m e r k m a l auch d e r s o g e n a n n t e n délits c o n t r a v e n t i o n n e l s ( p u r e m e n t m a t é r i e l s ) als s t r a f b a r e r H a n d l u n g e n ebenso w i e i h r U n rechtsgehalt u n d e i g e n t l i c h e r S t r a f g r u n d l e t z t e n Endes n i c h t aus d e m p o l i z e i l i c h e n Z w e c k eines Gesetzes a b g e l e i t e t w e r d e n , s o n d e r n w i e b e i a l l e n a n d e r n s t r a f b a r e n H a n d l u n g e n aus i h r e r Sozialschädlichkeit b z w . - g e f ä h r l i c h k e i t . D e m e n t s p r i c h t es, w e n n die s t r a f b a r e H a n d l u n g als solche d e f i n i e r t w i r d als S t ö r u n g b z w . B e e i n t r ä c h t i g u n g d e r sozialen O r d n u n g u n d des sozialen F r i e d e n s oder auch d e r a l l g e m e i n e n S i c h e r h e i t 1 3 1 . D e r p o l i z e i l i c h e Z w e c k des Gesetzes i s t d a n n n u r e i n z w e i t r a n g i g e r Ges i c h t s p u n k t 1 3 2 , der (lediglich) die V o r a u s s e t z u n g e n d e r B e s t r a f u n g bes t i m m t . Schließlich w i r d n i r g e n d s i n E r w ä g u n g gezogen, die Z u w i d e r h a n d l u n g e n gegen „ p o l i z e i l i c h e " Gesetze e t w a v o n V e r w a l t u n g s b e h ö r den aburteilen zu lassen133. 131 Vgl. z.B. R. Garraud , I, S. 212; Vidal-Magnol , I, S. 6, 64, 76; Donnedieu de Vabres, S. 97; Bouzat, S. 1, 129; Stéfani-Levasseur, S. 3, 7; siehe auch VouinLéauté, Dr. pén., 1956, S. 34, 35: „antisoziales Verhalten". (Von den weiteren Merkmalen der Definition — Handlung oder Unterlassung, die v o m Gesetz m i t Strafe bedroht ist — k a n n hier abgesehen werden.) Folgerichtig ergibt sich daraus eine Deliktseinteilung nach der „sozialen Gefahr" der Taten, also nach ihrer „ o b j e k t i v e n Schwere": R. Garraud, I, S. 225; Donnedieu de Vabres, S. 97. Siehe a u d i A r t . 5 der Menschenrechtserklärung von 1789; L a L o i n'a le droit de défendre que les actions nuisibles à la société. — Der gemeinsame G r u n d der Strafbarkeit aller Delikte, der das materielle Unrecht bestimmt, die Sozialschädlichkeit oder -gefährlichkeit der Taten, hat m i t h i n Vorrang vor allen K r i t e r i e n zur Bestimmung einzelner Gruppen von strafbaren Handlungen. 132 Ä h n l i c h bereits Chauveau-Faustin Hélie, I, S. 21. Anders ζ. B. Boitard, 2. Aufl., S. 25 ff., der i n erster L i n i e auf die M o r a l w i d r i g k e i t der Taten abstellte u n d daher die Deliktseinteilung des Code pénal verwarf. — Heute w i r d die strafrechtliche von der sittlichen Beurteilung meistens streng getrennt u n d der G r u n d der Strafbarkeit (Strafwürdigkeit) einer Tat nicht i n ihrer M o r a l w i d rigkeit, sondern ausschließlich i n i h r e m erheblichen Widerstreit m i t der A u f rechterhaltung der äußeren Sozialordnung bzw. der öffentlichen Sicherheit (friedlichen Ordnung der Beziehungen zwischen den Menschen) erblickt; vgl. ζ. B. Donnedieu de Vabres, S. 2 (er leugnet indessen nicht Beziehungen z w i schen Sittlichkeit u n d Strafrecht; S. 3); Vidal-Magnol, I, S. 6, 63 f.; StéfaniLevasseur, S. 29 f. (die Sittlichkeit habe i m Gegensatz zu den genannten A u f gaben des S traf rechts die V e r v o l l k o m m n u n g des Individuums zum Ziel). Doch bestreitet ζ. B. Bouzat (S. 6 f.) diese scharfe Trennung. F ü r i h n haben alle strafrechtlichen Vorschriften eine sittliche Grundlage; auch eine Polizeiübertretung sei ein A n g r i f f auf die soziale Moral, die Gehorsam gegenüber den staatlichen Gesetzen gebiete. — Es zeigt sich m i t h i n , daß die Auffassung über das Verhältnis des Strafrechts zur Sittlichkeit nicht n u r davon abhängt, w o r i n man den G r u n d der Strafbarkeit (den Bezugspunkt der Strafrechtsnormen) sieht, sondern auch davon, worauf die sittlichen Pflichten bezogen werden. — I m übrigen entspricht die strenge Trennung von rechtlicher u n d sittlicher Beurteilung der Grundhaltung des nachrevolutionären französischen Strafrechts. 133 I m einzelnen w i r d zugunsten der Dreiteilung auch auf deren Parallelität m i t der dreigliedrigen Gerichtsorganisation u n d ihre bessere Eignung hingewiesen, die Unrechten Handlungen dem allgemeinen Bewußtsein abgestuft nach dem Grad ihrer Verwerflichkeit einzuprägen, und gegen die Zweiteilung die Unmöglichkeit einer sicheren Grenzziehung sowie die Einreihung ganz verschiedenartiger Delikte i n eine Gruppe u. a. m. angeführt (vgl. die o. A n m . 130 Zitierten); u n k l a r sei auch, wo bei der Zweiteilung (in délits intentionnels u n d
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I I I . Dritthaftung und Strafbarkeit von Personenverbänden Die Lehre von den délits purement matériels hat also gegenüber der gesetzlichen Dreiteilung nur die Bedeutung, festzustellen, welche subjektiven Voraussetzungen für die Bestrafung erforderlich sind. Es bleibt zu prüfen, ob aus dem Verzicht auf ein eigentliches strafrechtliches Verschulden bei diesen Delikten für die Frage der Dritthaftung und der Strafbarkeit von Personenverbänden Folgerungen gezogen werden, die für die Frage des Verwaltungsstrafrechts wichtig sein könnten. 1. Dritthaftung
Die Dritthaftung stellt eine Ausnahme 1 vom Grundsatz der „Personalität der Strafen" dar, nach dem jemand nur seine eigene Tat 2 zu verantworten und nur die von i h m selbst verwirkte Strafe 3 zu verbüßen hat. Demgemäß ist sie denkbar i n Form des Einstehenmüssens für die Tat eines andern (strafrechtliche Stellvertretung) 4 oder der Haftung für die von einem andern verwirkte (Geld-)Strafe. Die letzte Haftung kann gesamtschuldnerisch (solidarisch) oder subsidiär sein. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für fremde Tat kommt i n Frankreich noch heute als anerkanntes Rechtsinstitut vor, ohne jedoch eine allgemeine Regel zu sein, und ist nicht auf die bloßen Zuwiderhandlungen beschränkt. Sie betrifft durchweg Fälle, die nach deutschem Recht als contraventionnels) die fahrlässigen Erfolgsdelikte hingehörten (R. Garraud, I, S. 227; P. Garraud, Rapport, S. 8; Magnol, A v a n t - P r o j e t , S. 18; Vidal-Magnol, I, S. 99; Bouzat, S. 211). 1 Teils als wirkliche, teils als scheinbare Ausnahme angesehen (vgl. Merle, S. 211; Stéfani-Levasseur, S. 258 f.). 2 N u l n'est passible de peine qu'à raison de son fait personnel: Cass. crim. 28. 2. 1956 J. C. P. 1956 I I 9304; ständige Rechtsprechung (Grundsatz persönlicher — eigener — Verantwortlichkeit). 3 „ I n d i v i d u a l i t ä t " der Strafen: Merle, S. 217; Merle-Vitu, S. 511. 4 Stellvertretung deswegen, w e i l die Tat des „Vertreters" dem „Vertretenen" zugerechnet w i r d , was aber die Strafbarkeit des „Vertreters" nicht ausschließt; Jescheck, ZStW 65 (1953), S. 213, 217. — Eingehend über die Verantwortlichkeit für fremde Tat Costes, Rev. sc. er. 1939, S. 628 ff.; Level, J. C. P. 1960 I 1559, 1583; Merle-Vitu, S. 510 ff.; Stéfani-Levasseur, S. 271 ff.; Bouzat, S. 396 ff.; vgl. ferner Légal, L a responsabilité du fait d'autrui, S. 142 ff.; Legros, Rev. dr. pén. et crim. 1963-64, S. 3 ff.; Salvaire, Rev. sc. er. 1964, S. 307 ff. Vgl. zum Ganzen Dauvergne, Rev. sc. er. 1973, S. 591 ff., 616 ff. — Aus der Rechtsprechung z. B. Cass. crim. 6. 10. 1955, 28. 2. 1956 J. C. P. 1956 I I 9098, 9304. Vgl. auch Cass. crim. 6. 12. 1961 B u l l crim. Nr. 503; 4. 6. 1957 B u l l . crim. Nr. 486; 10. 1., 10. 7., 6. 11. 1963 Bull. crim. Nr. 19, 255, 313; 6. 5. 1964 B u l l . crim. Nr. 151; 12. 11. 1963 J. C. P. 1964 I I 13 888 m i t A n m . von Vivez; 11.6.1963 D. 1964.121; 31.1.1964 Gaz. Pal. 1964 I 313; 27. 7. 1964 J. C. P. 1965 I I 14 027 m i t A n m . von Vivez; 10. 1. 1967 B u l l . crim. Nr. 250, dazu Légal, Rev. sc. er. 1968, S. 325; 18. 4. 1967 B u l l , crim. Nr. 123, dazu Légal, Rev. sc. er. 1968, S. 616; 20. 5. 1969 J. C. P. 1970 I I 16 296 m i t A n m . von Lestang.
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
Unterlassungs- oder Fahrlässigkeitsdelikte oder i n mittelbarer Täterschaft begangene Handlungen strafbar wären. Das Rechtsinstitut wurde seit der Mitte des 19. Jahrhunderts (zuerst i n der Rechtsprechung, dann auch in der Gesetzgebung) i n der Absicht entwickelt, strafwürdige Taten möglichst nicht ungestraft zu lassen5. M i t seiner Hilfe soll der auteur moral, wie er oft i m Unterschied zum unmittelbar handelnden auteur matériel genannt w i r d 6 , auch dann bestraft werden können, wenn er nicht Teilnehmer i m Sinne des französischen Rechts ist. Er begeht mittelbar das Delikt, dessen unmittelbar Ausführender nur als Instrument angesehen w i r d ; seine Verantwortlichkeit beruht darauf, daß das Verhältnis zu dem Ausführenden dessen T u n als i h m objektiv und subjektiv zurechenbar erscheinen läßt (da es i n seinem Herrschaftsbereich geschehen ist). Der unmittelbar Handelnde „ v e r t r i t t " den Dritten (Arbeitgeber, Vorgesetzten, Eigentümer usw.) bei der objektiven Tatausführung, weil diese die Erfüllung einer dem Dritten obliegenden Rechtspflicht betrifft. Subjektiv hat der Arbeitgeber, Unternehmer usw. für eigene Schuld einzustehen 7 , deren Erfordernisse sich nach dem betreffenden Delikt richten 8 · Sein Verschulden kann auf eigenem Unterlassen (ζ. B. des Unternehmers oder Vorgesetzten, der seine Angestellten und Arbeiter zu überwachen hat, von denen einer eine Zuwiderhandlung begeht) oder positiven Tun, insbesondere einer fahrlässigen Erfolgsherbeiführung (Überlassen eines Fahrzeugs an einen Fahrunkundigen) beruhen 9 . Die Verantwortlichkeit des Dritten schließt grundsätzlich nicht die des unmittelbar 5
Bouzat, S. 397 ff.; Donnedieu de Vabres, S. 283 ff., 612 f.; Merle-Vitu, S. 511 f. — Beispiele aus der neueren Gesetzgebung bei Bouzat, S. 398 f. 6 Roux, Sir. 1924. 1. 281 (Urteilsanmerkung); Costes, S. 630; Bouzat, S. 397. 7 So jedenfalls die w o h l überwiegende Meinung; vgl. Merle, S. 214 f.; StéfaniLevasseur, S. 276 ff.; Costes, S. 636; Bouzat, S. 399; Merle-Vitu, S. 514. 8 Merle, S. 216 f.; Level, J. C. P. 1960 I 1583; Paris 26. 11. 1959 R. D. P. 1960. 181 (fahrlässige Tötung). Bei den délits purement matériels folgt die Verantwortlichkeit daher einfach aus dem Uberordnungs- oder Herrschaftsverhältnis (weil kein Schuldnachweis erforderlich ist), ebenso i n der Regel bei fahrlässigen Erfolgsdelikten (mangelnde Aufsicht als Fahrlässigkeit). 9 Bouzat, S. 397 ff.; Donnedieu de Vabres, a.a.O., m i t vielen Nachweisen aus der Rechtsprechung. Eingehend Costes, S. 635 ff. — Die hier i n Betracht k o m menden Fälle sind unter folgenden Gesichtspunkten zu erfassen: 1. Verletzung von Pflichten, die dem D r i t t e n selbst obliegen u n d zu deren E r f ü l l u n g er sich anderer bedient; er muß dann für die Handlungen dieser andern einstehen (Grund: eigenes Verschulden bei der Überwachung). 2. Erfolgsherbeiführung durch einen andern infolge nachlässigen oder unvorsichtigen Verhaltens (Fahrlässigkeit) des D r i t t e n oder auch wissentlichen Geschehenlassens durch diesen; manche Fälle der Verleitung oder des Zwanges werden nicht selten ebenfalls hier angeführt (zuweilen begreift m a n unter dieser Rechtsfigur i n einem w e i teren Sinne auch A n s t i f t u n g u n d mittelbare Täterschaft: z.B. Merle, S. 212). Vgl. (außer den schon Zitierten) Merle-Vitu, S. 510 ff. (S. 513 f. über die verschiedenen Begründungen der Rechtsfigur); Vouin-Léauté, Dr. pén., 1956, S. 192 ff., 296; St éfani-Lev asseur, S. 276 ff.; Saillard; Salvair e ; Fourgoux (Anm. zu L y o n 29. 3.1963 D. 1964. 72).
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Handelnden aus 10 . — Wenn dieses Rechtsinstitut auch nicht auf die Zuwiderhandlungen gegen Polizei- und Verwaltungsvorschriften beschränkt ist, so w i r d es doch hier naturgemäß am meisten angewendet 11 (möglich ist dies insbesondere wegen des geringen Schulderfordernisses). Außerdem kennt das französische Recht eine zivilrechtliche Haftung für die von einem andern verwirkte Geldstrafe. Sie kommt vor allem i m Bereich der amende fiscale 12, aber auch sonst (jedoch als Ausnahme) auf Grund besonderer gesetzlicher Bestimmung vor 1 3 und weist zu den bloßen Zuwiderhandlungen keine näheren Beziehungen auf. 2. Strafbarkeit von Personenverbänden und juristischen Personen
Es gilt der Grundsatz, daß juristische Personen und Personenverbände nicht strafbar sind, und zwar auch i m Bereich der bloßen Zuwiderhandlungen. Man folgert dies aus der Personalität der Strafen. Doch ist dieser Grundsatz, obwohl er von der herrschenden Meinung und der Rechtsprechung immer wieder verfochten wird, nicht unbestritten, und seine Anhänger und das Gesetz machen viele Ausnahmen. Vor der Französischen Revolution und noch während der Revolutionszeit war die Strafbarkeit von Personenverbänden und selbst von Gemeinden anerkannt. Als Strafen gab es Geldstrafen, Zerstörung von Gebäuden und Stadtmauern, Entziehung von Privilegien usw. 1 4 Der Code pénal enthält keine diesbezüglichen Bestimmungen. Die Rechtsprechung vertritt ständig den Grundsatz strafrechtlicher Unverantwortlichkeit der Personenverbände 15 , und zwar für den gesamten Bereich des Straf10 Vgl. Costes, S. 636 f.; Vouin-Léauté , Dr. pén., 1956, S. 194; Cass. crim. 24. 3. 1958 D. 1958. 713; Bouzat, S. 401. 11 Siehe auch u. S. 338 f. Es ist aber auch hier n u r eine (meist an bestimmte Vorschriften geknüpfte) Ausnahme v o m Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit, der i n diesem Bereich w i e sonst i m Strafrecht gilt. Vgl. Saillard, S. 59. 12 Siehe dazu u. S. 339. 13 z. B. A r t . 68 C. p., A r t . 56 Abs. 3 der Ord. v o m 30. J u n i 1945 (vgl. u. S. 344), A r t . L. 21 des Code de la route v o m 15. Dezember 1958. A r t . 6 Abs. 2 (aufgehoben durch Ges. vom 24. M a i 1951 D. 1951. 251) der Ord. Nr. 45 - 174 v o m 2. Februar 1945 (D. H. 1945. 41) bürdete den Eltern eines Minderjährigen eine gesamtschuldnerische H a f t u n g m i t diesem f ü r die gegen i h n verhängte Geldstrafe auf, gleich, u m welche Tat es sich handelte. A r t . 36 des Ges. v o m 9. Dezember 1905 über die Trennung von Staat u n d Kirche (D. P. 1906. 4. 1) macht die Religionsgemeinschaften zivilrechtlich haftbar für die Zahlung von Geldstrafen, die gegen Geistliche wegen bestimmter Vergehen oder Übertretungen verhängt worden sind. Weitere Beispiele bei Bouzat, S. 396 f. 14 Vidal-Magnol, I, S. 80; Bouzat, S. 309 f.; Donnedieu de Vabres, S. 148; eingehend Merle-Vitu, S. 635 ff. 15 z.B. Cass. crim. 16. 5. 1930 D. H. 1930. 431: „Eine Gesellschaft kann sich als geistige Wesenheit (être moral) keine strafrechtliche Verantwortlichkeit zuziehen, es sei denn auf G r u n d einer besonderen Bestimmung des Gesetzes . . . " ; ebenso 8. 3. 1883 D. P. 1884. 1. 428; 7. 3. 1918 D. P. 1921. 1. 217 m i t Anm. von Nast; 10. 1. 1929 D. H. 1929. 164; 4. 2. 1944 J. C. P. 1944 I V 38; 6. 7.
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2. T e i l : Rechtsvergleichende U n t e r s u c h u n g
rechts 16 . Sie befindet sich dabei i n Ubereinstimmung mit der vorherrschenden Meinung i n der Literatur, mindestens was das geltende Recht anbetrifft 1 7 . Doch lassen Rechtsprechung und Literatur eine ganze Reihe von Ausnahmen zu, und die Gesetzgebung schafft immer mehr Strafbestimmungen gegen Personenverbände 18 . Dazu w i r d heute i n einem großen Teil der Theorie deren Strafbarkeit überhaupt befürwortet 1 9 , so daß man durchaus von einer gewissen Tendenz sprechen kann, die Strafbarkeit juristischer Personen i m Grundsatz anzuerkennen. Die Gesetze, die auch Personenverbänden Strafen androhen, sind zwar meist Verwaltungsgesetze (vor allem Fiskal- oder Wirtschaftsgesetze) jüngeren Datums 2 0 , die i n Betracht kommenden Delikte aber nicht nur einfache Zuwiderhandlungen. I n diesem Zusammenhang w i r d oft die Verordnung vom 5. Mai 194521 (ergänzt durch die Verordnung vom 2. November 194522) über die Verfolgung von Presse-, Verlags-, Nachrichtenund Anzeigenunternehmen wegen Zusammenarbeit mit dem Feind als besonders kennzeichnend genannt. Aber als situationsgebundenes politisches Gesetz dürfte sie kaum ein gutes Beispiel für die Befolgung eines Rechtsgrundsatzes sein. Die Rechtsprechung läßt Ausnahmen von ihrem Grundsatz nur kraft gesetzlicher Anordnung zu, geht aber, da ausdrückliche Vorschriften verhältnismäßig selten sind, bei der Auslegung ziemlich weit: Wenn der 1954 B u l l crim. Nr. 250; 27. 4. u n d 3. 6. 1955 Bull. crim. Nr. 210, 273; 6. 3. 1958 Bull. crim. Nr. 231; 26. 11. 1963 Gaz. Pal. 1964 1 189; 27. 2. 1968 B u l l . crim. Nr. 69; ferner etwa Orléans 26. 4. 1941 D. A . 1941. 249; Bayonne 4. 1. 1950 D. 1950 Sommaire 28. 18 Einschließlich der einfachen Zuwiderhandlungen; vgl. Cass. crim. 6. 7. 1954 B u l l . crim. Nr. 250. 17 Bouzat, S. 310; Merle-Vitu, S. 636 ff.; Vidal-Magnol, I, S. 80 ff., die aber die Schaffung von Strafbestimmungen für Personenverbände begrüßen; R. Garraud, I, S. 535 ff., 537 ff.; Garraud! Labor de-Lacoste, S. 62 f.; Cuche, S. 93; Roux, I, S. 137 ff. ; Faivre, S. 550 ff. 18 Vgl. Faivre, S. 556 ft; Bouzat, S. 314 ff. 19 Donnedieu de Vabres, S. 148 ff.; Vouin, S. 276 ff.; Devise, Personne morale; Stéfani-Lev asseur, S. 244; Vouin-Léauté, Dr. pén., 1956, S. 297 f.; Merle-Vitu, S. 636 ff., 638; i m Prinzip auch Vidal-Magnol, a.a.O. Der Entwurf von 1932 wollte die Strafbarkeit der juristischen Personen allgemein einführen; A r t . 115 Abs. 2 gestattete aber nur, Geldstrafen u n d vermögensrechtliche Sicherungsmaßnahmen — neben Konfiskation u n d Geschäftsschließung die A u f lösung u n d das einstweilige Verbot der Betätigung der juristischen Person nach A r t . 71 — gegen sie zu verhängen. 20 z. B. A r t . 8 Abs. 2 der Verordnung v o m 12. November 1938 D. P. 1939. 4. 156 über die Steuerhinterziehung; A r t . 4 Abs. 5 der Verordnung v o m 9. September 1939 D. P. 1939. 4. 461 über Auslandsguthaben; A r t . 12 der Verordnung v o m 30. M a i 1945 D. 1945. 118 über die Bestrafung von Devisenvergehen (vgl. A r t . 71 der Verordnung v o m 15. J u l i 1947 D. 1947. 265). 21 D. 1945. 98. . 945. 3 1 .
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Täter durch bestimmte Eigenschaften und Pflichten qualifiziert (ζ. B. als Eigentümer, Betriebsinhaber, Steuerpflichtiger) oder eine strafrechtliche Verantwortlichkeit für fremde Tat gesetzlich angeordnet ist, liest sie die Strafbarkeit des Personenverbandes mit der Begründung aus dem Gesetz, dieses unterscheide nicht, ob der Eigentümer usw. oder der Drittverantwortliche eine natürliche oder eine juristische Person sei 23 . Strafen, die den Charakter von Sicherungsmaßnahmen haben (wie Einziehung md Geschäftsschließung), werden auch gegen juristische Personen ausgesprochen 24 . Die genannten Fälle, i n denen die Rechtsprechung eine Strafbarkeit von Personenverbänden annimmt, betreffen zwar meist das Gebiet der délits purement matériels, doch wurde daraus für diese Zuwiderhandlungen keine allgemeine Regel abgeleitet, von der Rechtsprechung vielmehr durchweg der Grundsatz strafrechtlicher Unverantwortlichkeit der Verbände auch insoweit aufrechterhalten. Das Argument, die Unmöglichkeit eines kriminellen Schuldvorwurfs gegen eine juristische Person stehe ihrer Bestrafung wegen bloßer Zuwiderhandlungen nicht entgegen, w e i l diese kein Verschulden erforderten, w i r d nur von wenigen vorgebracht 25 und widerspricht der sonst i n der französischen Theorie herrschenden Auffassung, die délits purement matériels seien nicht ohne Schuld strafbar 2 6 . Die Rechtsprechung verwendet es nur selten zur Stützung von Ausnahmen 27 , dabei vorwiegend i m Gebiet der indirekten Steuern 28 . I n einer Entscheidung vom 3. Dezember 1943 sprach der Kassationshof schließlich auch von der „intention dolosive et vexatoire", m i t der eine Gesellschaft gehandelt habe 29 , was von Donnedieu de Vabres 30 als Indiz dafür gewer23
Cass. crim. 4.11.1898 Sir. 1901.1. 57 m i t ablehnender A n m . von Roux; 24.12. 1864 Sir. 1866. 1. 454; auch schon 6. 8. 1829 Sir. 1829. 1. 354 = Journal du Palais, Bd. 22 (Paris 1857), S. 1327; ferner etwa Cass. crim. 7. 3. 1918 D. P. 1921. 1. 217; 28. 5. 1925 Sir. 1926. 1. 95; 18. 2. 1927 D. H. 1927. 225; 11. 5. 1937 D. H. 1938 Sommaire 8; 15. 7. 1943 Bull. crim. Nr. 68; 13. 4. 1956 B u l l . crim. Nr. 294; 6. 3. 1958 B u l l . crim. Nr. 231; 14. 12. 1960 Bull. crim. Nr. 586; 25. 4. 1968 J. C. P. 1969 I I 16100 m i t A n m . von Puech. Diese Fälle betreffen meistens Fiskaldelikte (aus dem Gebiet der indirekten Steuern; vgl. u. S. 338 f.). I n anderen Fällen führen die beiden oben genannten Grundsätze oft nicht zur Bestrafung der juristischen Person, sondern es w i r d deren Leiter verantwortlich gemacht: Cass. crim. 6. 11. 1920 Sir. 1924. 1. 94; 6. 10. 1955 J. C. P. 1956 I I 9098. Siehe auch A r t . 1805 C. gén. imp. — Z u m Ganzen vgl. Faivre, S. 553 ff. — Weitere Nachweise aus der Rechtsprechung bei Merle-Vitu, S. 640. 24 Bouzat, S. 314; vgl. auch S. 396; Donnedieu de Vabres, S. 150; Roux, I, S. 140. 25 ζ. B. Donnedieu de Vabres, S. 151. 26 Roux, I, S. 139, A n m . 11. 27 z.B. Cass. crim. 24. 12. 1864 Sir. 1866. 1. 454; 4. 11. 1898 Sir. 1901. 1. 57 m i t ablehnender A n m . von Roux ; 6. 3.1958 B u l l . crim. Nr. 231. 28 Cass. crim. 7. 3. 1918 D. P. 1921. 217 m i t kritischer Anm. von Nast; 18. 2.1927 D. H. 1927. 225. 29 Chambre sociale, J. C. P. 1944IV10. 30 S. 151.
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
tet wird, daß die Rechtsprechung die juristischen Personen auch der Begehung von délits intentionnels (Vorsatzdelikten) für fähig halte. I m ganzen kann man feststellen, daß aus der Lehre von den délits purement matériels für die Dritthaftung und die Strafbarkeit juristischer Personen grundsätzlich keine Folgerungen gezogen werden. I V . Hinweis auf die amende fiscale 1 und die contraventions de grande voirie 2 Die hier zu behandelnden Delikte sind nicht oder doch nicht i n erster Linie als polizeiwidriges Unrecht (Verstöße gegen Vorbeugungsmaßnahmen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung), sondern als Verletzungen von Rechten oder Interessen des Staates als Fiskus zu verstehen, wobei freilich kein wirklicher Schaden einzutreten braucht. Diese strafbaren Handlungen richten sich nach ihrer ursprünglichen Anlage gegen staatliche (landesherrliche) Eigentums-, Regal-, Monopol- oder ähnliche Rechte und gehen daher über den Kreis der Finanzdelikte (im Sinne des heutigen deutschen Rechts) hinaus. Dieses Rechtsgebiet kann nicht eingehend dargestellt werden, da es Probleme aufwirft, die nicht eigentlich zum Thema des „Verwaltungsstrafrechts" gehören, sondern sich aus der Besonderheit des „Fiskal"-Delikts erklären. Doch wegen der großen Bedeutung der amende fiscale und der Eigenart der Übertretungen gegen das öffentliche Eigentum sollen einige kurze Hinweise folgen. Sie zeigen, daß hier die Stellung des Staates zugleich als Inhaber der Strafgewalt (des Straf anspruchs) und i n seinen vermögensrechtlichen Interessen Verletzter maßgebend ist. Dementsprechend weist das Fiskalstrafrecht eine wesentlich andere Problematik auf als das Verwaltungsstrafrecht. Den Umkreis der Fiskaldelikte bestimmt die Anwendbarkeit der amende fiscale, einer Fiskalgeldstrafe, die eine auf die Doppelstellung des Staates als Inhaber des Strafanspruchs und Träger des angegriffenen Rechtsgutes gegründete gemischte Rechtsnatur von Strafe und zivilrechtlicher Ausgleichs- oder Entschädigungsleistung hat. Als ihr Kriter i u m w i r d i m allgemeinen die Zulässigkeit eines Verwaltungsvergleichs 3 1 Bouzat, S. 584 ff.; Vidal-Magnol , I, S. 769 ff.; Donnedieu de Vabres, S. 375 ff.; Roux , I, S. 433 ff.; R. Garraud, I I , S. 390 ff.; Chauv eau-Faustin Hélie , I, S. 224 ff.; Vouin, S. 90 f.; Garraud! Lab or de-Lacoste, S. 123 f.; Cuche, S. 197; Vouin-Léauté, Dr. pén., 1956, S. 576; Bourrel, Amende fiscale; Boitard, Rev. sc. er. 1941, S. 151 ff.; Gassin, Transaction; Hoguet, Douanes; Rieg, J. C., A r t . 6 - 11 C. p., Fase. I I , Nr. 66 ff. 2 Vidal-Magnol, I, S. 1109; Bouzat, S. 195, A n m . 3; Donnedieu de Vabres, S. 659; Font-RéaulxlDurnérinlMarizis, S. 220 ff.; Gabolde, Voirie; Caullet, S. 243 ff., 336 ff.; Bonnard, S. 103 ff.; Gautron, Eaux; Ledere, Forêts; Vedel, S. 525. 3 Transaction; als Vergleich entsprechend dem nach A r t . 2046 Code c i v i l (On peut transiger sur l'intérêt c i v i l q u i résulte d'un délit . . . ) aufgefaßt.
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angesehen. Neben den Steuer- und Zolldelikten gehören hierher die Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften des Register- und Stempelwesens, Postübertretungen, Verstöße gegen die Gold- und Silbermetallgesetzgebung, auch manche Übertretungen hinsichtlich der Organisation des Getreidemarktes usw., ferner vor allem Forst- und Fischereidelikte sowie die unter der Bezeichnung „contraventions de grande voirie" zusammengefaßten Delikte gegen das öffentliche Eigentum (Wegerechtsdelikte). Zur grande voirie 4 zählen Küsten, Ufer, Häfen, Strand- und Uferbefestigungen, Flüsse und schiffbare Gewässer, weiter Fernmeldelinien, Eisenbahnen, die nationalen und departementalen Straßen usw. Die Deliktstatbestände der grande voirie umfassen Eingriffe i n das öffentliche Eigentum durch Bauten und andere Werke ohne behördliche Genehmigung, Beschädigung öffentlicher Anlagen, Nichtbeachten von Legalservituten (der Anlieger öffentlichen Eigentums), Störungen des Gebrauchs öffentlichen Eigentums. Hinsichtlich der letzten Gruppe ist zu unterscheiden zwischen Delikten, die als Eingriffe i n das öffentliche Eigentum i n Gestalt von Behinderungen seines bestimmungsgemäßen Gebrauchs aufgefaßt werden, und solchen, die lediglich als Störungen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gelten. Nur die ersten gehören hierher, die zweiten sind „Polizeidelikte". Die Auffassung des Gesetzgebers wandelt sich. Durch décret vom 28. Dezember 19265 wurden alle Verkehrsdelikte auf öffentlichen Wegen (nicht die auf Gewässern) der normalen strafgerichtlichen Verfolgung unterworfen. Die Fiskaldelikte unterliegen der gesetzlichen Dreiteilung, sind also nicht nur (wenn auch großenteils) Übertretungen i m Sinne des Code pénal, und gelten durchweg als purement matériels (wobei insbesondere bei den Übertretungen gegen das öffentliche Eigentum und den Forst- und Fischereidelikten viele Verletzungsdelikte vorkommen 6 ), so daß zur Bestrafung kein Schuldnachweis erforderlich ist. Wegen des teils zivilrechtlichen, teils strafrechtlichen Charakters der amende fiscale richtet sich 4 I m Gegensatz hierzu steht die petite voirie, zu der Kreis- u n d Gemeindestraßen, ländliche Wege u n d dergleichen gehören. Vgl. auch Ord. Nr. 59-115 v o m 7. Januar 1959 D. 1959. 255. 5 D. P. 1927. 4. 333 (concernant l'unification des compétences en matière de police de la circulation et de la conservation des voies publiques). Vgl. heute Ord. Nr. 58 - 1351 und Décr. Nr. 1354 v o m 27. Dezember 1958 D. 1959. 135 u n d 136 sowie den Code de la route (D. 1959. 3). β Trotzdem sind sie purement matériels; vgl. Vedel, S. 525, für die Wegerechtsdelikte. — Die Dreiteilung galt bisher i m Steuerstraf recht n u r bedingt; so sind alle strafbaren Handlungen i m Bereich der indirekten Steuern ohne Rücksicht auf die Strafdrohung w i e Vergehen behandelt worden (ζ. B. h i n sichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit u n d der Verjährung); durch A r t . 31 der Ord. Nr. 58 - 1297 v o m 23. Dezember 1958 wurde dieser Rechtszustand zweifelhaft; bestätigt hat i h n Nice 9. 11. 1960 u n d 9. 5. 1961 D. 1961. 676 (ebenda zustimmend Fromont); dagegen jedoch Cass. crim. 6. 12. 1961 B u l l . crim. Nr. 502 für die Kraftfahrzeugsteuerdelikte (Verjährung), während Cass. crim. 28. 5.1964 B u l l . crim. Nr. 183 i h n aufrechterhalten w i l l .
22 M a t t e s
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
ihre Anwendbarkeit auch teils nach zivilrechtlichen, teils nach strafrechtlichen Regeln. Ein Vergleich (entsprechend A r t . 2046 C. c.)7 mit der zuständigen Verwaltungsbehörde ist möglich; als Verpflichtung zu zivilrechtlicher Ersatzleistung kann Fiskalgeldstrafe gegen die nur zivilrechtlich (noch nicht strafrechtlich) verantwortlichen Minderjährigen ausgesprochen, ihre Zahlung auch von zivilrechtlich verantwortlichen dritten Personen 8 verlangt werden usw. Aus der strafrechtlichen Natur folgen die Zuständigkeit der ordentlichen Strafgerichte (außer bei den Übertretungen der grande voirie und bestimmten Abgabedelikten), die Eintragung i n das Strafregister, die Unmöglichkeit der Verhängung oder Beitreibung gegen die Erben, das Nichterfordernis eines Schadenseintritts usw. Für die Drittverantwortlichkeit und die Strafbarkeit juristischer Personen ergibt sich folgendes: Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für fremde Tat ist als Ausnahme von dem dargestellten allgemeinen Grundsatz i m Bereich der amende fiscale weit verbreitet, für das Gebiet der indirekten Steuern auf Grund von art. 35 du décret du 1 e r germinal an 13 concernant les droits réunis, la manière de procéder sur les contraventions etc. 9 (Art. 1805 Code général des impôts) geradezu eine Regel geworden 10 und auch bei den Übertretungen gegen das öffentliche Eigentum sehr häufig anzutreffen 11 . Hinsichtlich dieser letztgenannten Übertretungen (contraventions de grande voirie) hat der Staatsrat auch die Strafbarkeit der juristischen Personen allgemein und seit langem anerkannt 1 2 . Die Geldstrafen können sogar gegen juristische Personen des 7
Vgl. o. A n m . 3. Er b r i n g t die Strafklage zum Erlöschen (Art. 6 Abs. 3 C. p. p.). Nach A r t . 1384 C. c. hat jeder f ü r die von Personen, die er unter seiner Verantwortung hat, oder von Sachen, die sich i n seiner Obhut befinden, verursachten Schäden einzustehen; ferner haften der Vater, nach dessen Tod die Mutter, f ü r die schadenstiftenden Handlungen der zum Haushalt gehörenden Kinder, die Meister u n d Auftraggeber für ihre Bediensteten u n d U n t e r gebenen, die Erzieher u n d Handwerker f ü r die Schüler u n d Lehrlinge unter ihrer Aufsicht. 9 Les propriétaires des marchandises seront responsables du fait de leurs facteurs, agens ou domestiques, en ce q u i concerne les droits, confiscations, amendes et dépens (Bulletin des Lois de l'Empire français, 4e série, No. 38). 10 Vgl. Cass. crim. 14. 12. 1960 B u l l . crim. Nr. 586; 24. 3. 1958 D. 1958. 713; 25. 1. 1956 B u l l . crim. Nr. 100; 5. 3. 1953 Bull. crim. Nr. 75; 26. 2. 1948 B u l l , crim. Nr. 63. 8
11 z. B. Cons. d'Ét. 7. 8. 1891 D. P. 1893. 3. 12 (Bestrafung des Eigentümers, wenn der Schäfer das V i e h i m Straßengraben weiden läßt); 8. 5. 1896 D. P. 1897. 3. 48 m i t A n m . ; 28.11. 1924 D. H. 1925. 29 (bei Beschädigung von Schleusen oder Hafenanlagen Bestrafung des Schiffseigentümers solidarisch m i t dem Schiffsführer). Die Verhängung der Strafe gegen den Vorgesetzten usw. w i r d m i t der Bemerkung kritisiert, es handle sich i n Wahrheit u m eine bürgschaftsähnliche oder doch lediglich zivilrechtliche Haftung f ü r die fremde Strafe. 12 Cons. d'Ét. 16. 12. 1887 D. P. 1889. 3. 24; 21. 1. 1925 D. H. 1925. 184. Vgl. auch Cons. d'Ét. 25. 1. 1838 Sir. 1838. 2. 274: Verurteilung einer Gesellschaft als
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ö f f e n t l i c h e n Rechts (auch Gebietskörperschaften) oder ö f f e n t l i c h e V e r w a l t u n g e n ausgesprochen w e r d e n 1 3 . A n s o n s t e n g i l t z w a r auch i m F i s k a l strafrecht der G r u n d s a t z d e r U n v e r a n t w o r t l i c h k e i t der P e r s o n e n v e r bände, doch bestehen gerade h i e r zahlreiche A u s n a h m e n 1 4 , u n d f ü r die i n d i r e k t e n S t e u e r n h a t sich a u f G r u n d des e r w ä h n t e n A r t i k e l s 35 des D e k r e t s v o m 1. K e i m m o n a t des Jahres 13 geradezu die gegenteilige Regel h e r a u s g e b i l d e t 1 5 , w e i l dieser d e m E i g e n t ü m e r der besteuerten W a r e n eine strafrechtliche V e r a n t w o r t u n g a u f b ü r d e , ohne z u unterscheiden, ob eine n a t ü r l i c h e oder eine j u r i s t i s c h e P e r s o n b e t r o f f e n s e i 1 6 . I n der T h e o r i e w i r d z u w e i l e n v o r g e b r a c h t , es h a n d l e sich i n W a h r h e i t u m eine z i v i l r e c h t liche V e r a n t w o r t l i c h k e i t d e r j u r i s t i s c h e n P e r s o n 1 7 . D i e H a f t u n g des z i v i l r e c h t l i c h f ü r d e n Schaden V e r a n t w o r t l i c h e n 1 8 f ü r die gegen e i n e n a n d e r n v e r h ä n g t e G e l d s t r a f e e r g i b t sich, w i e bereits e r w ä h n t , aus d e r z i v i l r e c h t l i c h e n Seite d e r amende fiscale. Sie ist k e i n e strafrechtliche H a f t u n g f ü r die f r e m d e T a t , s o n d e r n eine z i v i l r e c h t l i c h e u n d solidarische f ü r die f r e m d e S t r a f e 1 9 u n d t r i f f t auch die j u r i s t i s c h e Person, s o b a l d sie z u m K r e i s der z i v i l r e c h t l i c h V e r a n t w o r t l i c h e n g e h ö r t 2 0 . Schiffseigentümerin f ü r die Zuwiderhandlung eines Matrosen (auch als Beispiel für Drittverantwortlichkeit). 13 Cons. d'Ét. 17. 12. 1937 D. H. 1938. 153 (Stadt Nancy): Beschädigung einer Telefonleitung i n Ausführung von Arbeiten für Rechnung einer Stadt stellt eine Übertretung zu Lasten dieser Stadt dar; S traf ausspruch auch ζ. B. gegen das Département (für eine auf A n o r d n u n g des Unterpräfekten begangene Übertretung) i n Cons. d'Ét. 23. 7. 1841 Sir. 1842. 2. 88; gegen eine Gemeinde i n Cons. d'Ét. 14. 6. 1851 D. P. 1852. 3. 3 (les communes peuvent, aussi bien que les particuliers, être condammnées à des amendes pour contravention de grande voirie); 6. 7. 1888 D. P. 1889. 3. 101; die unmittelbar Ausführenden w u r d e n dabei nicht bestraft. Vgl. auch Cass. crim. 6. 3. 1958 Bull. crim. Nr. 231: Bestrafung einer Gemeinde als Grundstückseigentümerin wegen einer contravention de voirie. 14 Vgl. z. B. A r t . 1771 ff. C. gén. imp. Siehe auch o. S. 335, A n m . 23. 15 z.B. Cass. crim. 28. 5. 1925 Sir. 1926. 1. 95; 13. 4. 1956 B u l l . crim. Nr. 294; 24. 3.1958 D. 1958. 713; 14.12.1960 B u l l . crim. Nr. 586. 16 Z u r Rechtfertigung der Bestrafung von Verbänden i m Fiskalstrafrecht w i r d ferner darauf hingewiesen, daß die Fiskalgeldstrafe auf G r u n d ihrer gemischten Rechtsnatur auch einen Schadenersatzcharakter habe (Faivre, S. 555 f.). 17 Haftung der zivilrechtlich verantwortlichen Person wie auch sonst bei der amende fiscale oder Legalbürgschaft: Nast i n der A n m . zu Cass. crim. 7. 3. 1918 D. P. 1921.217. 18 A r t . 1384 C. c.; vgl. o. S. 338, A n m . 8. 19 Der Unterschied t r i t t allerdings häufig nicht k l a r zutage. Manche schreiben, die Strafe werde gegen den zivilrechtlich Verantwortlichen „verhängt" oder „ausgesprochen" (z.B. Donnedieu de Vabres, S. 376; Vidal-Magnol, I, S. 770), andere dagegen, ihre Zahlung werde von ihnen verlangt (Bouzat, S. 586; auch Donnedieu de Vabres, a.a.O., an anderer Stelle). K l a r unterscheiden zwischen zivilrechtlicher u n d strafrechtlicher Verantwortlichkeit Cass. crim. 18. 5. 1933 D. H. 1933. 382 (die strafrechtliche Verantwortlichkeit des A r t . 35 des Dekrets aus dem Jahre 13 greife i n jenem Falle nicht ein, aber die zivilrechtliche des A r t . 1384 C. c. erstrecke sich auch auf die amende fiscale) und Cass. 22«
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
D i e Ü b e r t r e t u n g e n der g r a n d e v o i r i e g e h ö r e n v o r die V e r w a l t u n g s g e r i c h t e 2 1 als die t r a d i t i o n e l l e n W a h r e r des ö f f e n t l i c h e n E i g e n t u m s , die i n der Regel e i n k o n t r a d i k t o r i s c h e s V e r f a h r e n d u r c h f ü h r e n u n d gegen d e r e n E n t s c h e i d u n g die B e r u f u n g a n d e n S t a a t s r a t zulässig i s t 2 2 . A n s o n sten w e r d e n die F i s k a l d e l i k t e v o n d e n o r d e n t l i c h e n S t r a f g e r i c h t e n a b g e u r t e i l t , m i t A u s n a h m e b e s t i m m t e r A b g a b e n d e l i k t e , f ü r die die V e r waltungsgerichte zuständig sind23. Die V e r w a l t u n g hat entweder ein Recht z u r E r h e b u n g d e r ö f f e n t l i c h e n K l a g e ( a l l e i n oder n e b e n der Staatsa n w a l t s c h a f t ) oder e i n A n t r a g s r e c h t . Sie k a n n i h r e erhobene K l a g e o d e r i h r e n g e s t e l l t e n A n t r a g z u r ü c k n e h m e n , w o d u r c h die S t r a f v e r f o l g u n g e n d e t 2 4 . E i n w e i t e r e s V e r f ü g u n g s r e c h t ü b e r die öffentliche K l a g e ist i h r m i t der M ö g l i c h k e i t , e i n e n V e r w a l t u n g s v e r g l e i c h abzuschließen, eingeräumt25. belgique 11. 12. 1911 Sir. 1912. 4. 23 (ein Vater ist für die gegen seinen m i n d e r jährigen Sohn ausgesprochene Geldstrafe — zivilrechtlich — verantwortlich auf G r u n d des A r t . 1384 C. c.; es bestehe eine gesamtschuldnerische Verpflichtung beider zur Zahlung der verhängten Strafe — so i n der A n m e r k u n g zu der Entscheidung). 20 Cass. crim. 18. 5.1933 D. H. 1933. 382. 21 Vgl. z. B. A r t . 40 ff. Code des voies navigables et de la navigation intérieure (Décr. v o m 13. Oktober 1956 D. 1956. 427). — Soweit es sich u m Übertretungen von Vorschriften handelt, die die Erhaltung öffentlicher Wege u n d den Verkehr auf ihnen betreffen, sind seit 1926 die ordentlichen Gerichte zuständig (vgl. o. S. 337, A n m . 5). Die Übertretungen der petite voirie urteilen sie schon seit einem Gesetz v o m 29. Blütenmonat (floréal) des Jahres 10 ab. — Vgl. auch Lestang, J. C., A r t . R. 34 § 11, Nr. 29. 22 Vgl. Ges. v o m 22. J u l i 1889 D. P. 1890. 4. 1; Décr. v o m 30. September 1953 D. 1953. 376 u n d v o m 10. A p r i l 1959 D. 1959. 468. 23 Bei einer Reihe von Zuwiderhandlungen aus dem Bereich der direkten Steuern (Art. 1734 ff. C. gén. imp., die der Höhe nach bestimmte Fiskalgeldstrafen androhen) u n d der Umsatzsteuer (Art. 1756 a.a.O.) setzen zunächst die Steuerbehörden die Geldstrafe fest (Festsetzung und Einziehung ähnlich wie bei den Steuern); es k a n n dann das Verwaltungsgericht angerufen werden, gegen dessen Entscheidung Berufung an den Staatsrat zulässig ist (vgl. A r t . 1742, 1931 ff., 1936 ff., 1943 C. gén. imp.; vgl. z . B . Cons. d'Ét. 8. 7. 1957 D. 1959. 120 m i t A n m . von Blancher). Bei Verstößen gegen Auskunftspflichten bezüglich der direkten Steuern (Art. 1743, 2005 a.a.O.) werden die Geldstrafen v o m V e r w a l tungsgericht verhängt. (Vgl. Bourrel, Amende fiscale, Nr. 2 ff.) I m übrigen sind die ordentlichen Gerichte zur Bestrafung zuständig. 24 Die Staatsanwaltschaft hat keine solche Verfügungsbefugnis über die öffentliche Klage. Sie entscheidet zwar — wie i m m e r — nach dem Opportunitätsprinzip über die Anklageerhebung, k a n n die erhobene Klage aber nicht fallenlassen. — Vgl. Donnedieu de Vabres, S. 616. 25 I m Vergleich erkennt der Beschuldigte die Gesetzesverletzung an u n d verpflichtet sich zur Zahlung einer Summe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens (u. U. auch zur Übertragung beschlagnahmter Güter an den Staat), die V e r w a l t u n g bietet die Aufgabe der Strafverfolgung bzw. den Erlaß der Strafe an. Der Vergleich vor Rechtskraft des Urteils verbraucht die Strafklage (selbst bei Freiheitsstrafe), der nach Rechtskraft (in der Regel möglich) läßt die Freiheitsstrafe unberührt, beseitigt aber die Vollstreckbarkeit der Geldstrafe. Das Vergleichsangebot der V e r w a l t u n g ist keine Straffestsetzung, sondern eine einfache Verwaltungsmaßnahme.
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Die Theorie der amende fiscale ist vor allem von Roux scharf kritisiert worden 2 6 , doch w i r d sie weiterhin von der Rechtsprechung uneingeschränkt beibehalten; das gegenwärtige Schrifttum zeigt kaum offene Ablehnung, höchstens Zurückhaltung 2 7 . V. Das Wirtschaftsverwaltungsstrafrecht 1 (die amende administrative) M i t der Ausbreitung des Wirtschaftsstrafrechts entstand auch i n Frankreich ein Wirtschaftsverwaltungsstrafrecht, das i m Kriege einen gewissen Umfang erreichte, i m ganzen aber für das französische Recht offenbar eine vorübergehende Erscheinung blieb. Heute kann es i m wesentlichen als überwunden gelten. Bereits die Verordnung (ordonnance) Nr. 45 — 1484 vom 30. Juni 1945 über die Feststellung, Verfolgung und Bestrafung der Wirtschaftsdelikte 2 , die i m wesentlichen auf Preisdelikte und Verstöße gegen die Sicherung der Lebensmittelversorgung anwendbar ist, schränkte in der Absicht, den Einfluß der Verwaltung auf die Strafverfolgung zurückzudrängen, die Strafbefugnisse der Verwaltung wieder ein. Sie wollte „die Rückkehr zu den traditionellen Prinzipien unseres öffentlichen Rechtes" einleiten und „den Justizbehörden wieder die Verantwortung für die öffentliche Klage i n Wirtschaftsstrafsachen" übertragen, indem sie den „Vorrang der Staatsanwaltschaft vor der Verwaltungsbehörde" sicherstellte (Präambel der genannten Verordnung). Dies läßt darauf schließen, daß man die Strafbefugnisse der Wirtschaftsverwaltungsbehörden und die von ihnen zu verhängende amende administrative als Fremdkörper i m französischen Rechtssystem empfand, was durch die Haltung der französischen Literatur zu dieser Rechtserscheinung bestätigt wird. Die Lehre hat von ihr entweder gar nicht oder nur beiläufig Notiz genommen 3 . A n scheinend hielt man sie für eine durch ungünstige Zeitumstände bedingte 26 I, S. 436 m i t A n m . 36 und 37 u n d i n vielen Anmerkungen zu Entscheidungen des Kassationshofes, z.B. Sir. 1907. 1. 105; 1908. 1. 369; 1909. 1. 113; 1912.1.593. 27 E t w a Vidal-Magnol , I, S. 770. 1 Vgl. hierzu Souleau, Économie nationale; derselbe, Infractions économiques, Encyclopédie Dalloz u n d J. C., Lois pénales annexes, Fase. I - V ; Rousselet-Patin, 6. Aufl., S. 544 ff.; 7. Aufl., S. 650 ff.; mise à jour, 1963, S. 65 f.; Rousselet-Arpaillange-Patin , 8. Aufl., S. 799 ff.; Vouin , Précis, S. 651 ff.; Vidal-Magnol , I, S. 789 f.; Bouzat , 1. Aufl., S. 370 (in der 2. A u f l . nicht mehr erwähnt); Bergeret, Amende, Nr. 6; Garraud/Labor de-Lacoste, S. 124; Fréjaville, 8. Aufl., S. 98; Donnedieu de Vabres, S. 394 f.; Hémard , Rev. sc. er. 1958, Suppl., S. 53 ff. 2 D. A . 1945.141 = Sir. 1945.1903; i n geänderter F o r m noch i n Geltung. 3 Vgl. Vouin, S. 90; Bouzat (vgl. o. A n m . 1); Bergeret, Amende, Nr. 6; VidalMagnol, I, S. 789 f.; Garraud/Laborde-Lacoste, S. 124; Fréjaville , 8. Aufl., S. 98; Donnedieu de Vabres erwähnt sie überhaupt nicht.
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
Einrichtung 4 , die daher auch nicht Allgemeingut der französischen Strafrechtswissenschaft geworden ist. Das Gesetz Nr. 55 — 1538 vom 28. November 1955 setzte schließlich dem Verwaltungsstrafrecht i m Anwendungsbereich 5 der Verordnung vom 30. Juni 1945 ein Ende 6 . Es beseitigte die der Verwaltung bisher zugestandene Befugnis, bei einer großen Zahl von Wirtschaftsdelikten Geldstrafen, Konfiskationen, Tätigkeitsverbote und Geschäftsschließungen auszusprechen, und übertrug das Recht zur Verhängung dieser Strafen und Maßnahmen wieder auf die Gerichte, die i m gewöhnlichen Verfahren zu erkennen haben. Nach den Worten Marc Ancels fügt das neue Gesetz „die Verfolgung und Bestrafung in Wirtschaftssachen wieder i n den Rahmen des ordentlichen (gemeinen) Strafrechts ein" 7 . Delikte gegen die Sicherung der Versorgung m i t Industrieerzeugnissen konnte die Verwaltung noch bis zum Jahre 1958 auf Grund des Gesetzes vom 29. J u l i 19438 über die Bestrafung der Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften zur Erfassung und Verteilung industrieller Güter und zur Sicherung der Energieversorgung bestrafen 9 . Die Verordnung (ordonnance) Nr. 58 — 1331 vom 23. Dezember 195810, die jenes Gesetz ablöste, hob die Verwaltungsstrafbefugnisse auch auf diesem Gebiet des W i r t schaftsstrafrechts auf und schuf für seinen Anwendungsbereich 11 eine ähnliche Regelung wie die der Verordnung vom 30. Juni 1945 seit der Änderung von 1955. Heute können die zuständigen Verwaltungsbehörden nach den beiden geltenden Verordnungen nur noch i m Wege des Verwaltungsvergleichs einen (allerdings beträchtlichen) Einfluß auf das Strafverfahren nehmen. Sie haben das Recht, dem Beschuldigten nach Erhalt der Niederschrift 4
Vgl. auch Hémard, S. 53 ff. Er w i r d bestimmt durch die A r t . 1 - 4 der Verordnung, ferner durch die Dekrete v o m 24., 27. u n d 28. J u n i 1958 (D. 1958. 228, 230, 233). 8 D. 1955. 498; Berichtigung D. 1956. 26. Siehe auch Décr. v o m 7. Dezember 1955 D. 1955. 519. — Weitere Änderungen durch Ges. Nr. 65 - 549 v o m 9. J u l i 1965, J. O., S. 5915; siehe dazu näher Guérin, J. C. P. 1965 1 1948. 7 ZStW 70 (1958), S. 115. 8 D. A. 1943. 110. Vgl. auch A r t . 3 des Ges. v o m 31. Dezember 1948 D. 1949. 70. 9 Sie durfte, ähnlich w i e ursprünglich nach der Verordnung v o m 30. J u n i 1945, sogenannte „Verwaltungssanktionen", die den „gerichtlichen Strafen" gegenübergestellt waren, verhängen, nämlich Verwaltungsgeldstrafe (amende administrative), Geschäftsschließung, Tätigkeitsverbot u n d Veröffentlichung des Erkenntnisses, auch eine V e r w a r n u n g aussprechen. Die Verwaltungsgeldstrafe galt nicht als amende pénale, w a r i h r aber angenähert (jedoch ohne E i n tragung ins S traf register). Verwaltungssanktion u n d gerichtliche Bestrafung waren nebeneinander angedroht; die A r t der Verfolgung bestimmte die V e r w a l t u n g nach Ermessen (nach der Verordnung von 1945 entschied darüber der Staatsanwalt oder der Untersuchungsrichter). 10 D. 1959.126. Dazu Décr. v o m 31. Dezember 1959 D. 1960. 45. 11 Siehe A r t . 1, 2,18 des Ges. s
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über die Feststellung des Wirtschaftsvergehens und — seit der Änderung durch das Gesetz vom 9. J u l i 1965 (Art. 19, 22 n. F.) — mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft einen Verwaltungsvergleich vorzuschlagen. W i r d ein solcher Vergleich nicht durchgeführt, so gibt die Behörde die Akten an die Staatsanwaltschaft zur Einleitung der gerichtlichen Verfolgung. K o m m t er hingegen zustande und w i r d er fristgerecht erfüllt, so ist eine gerichtliche Verfolgung wegen der i n der erwähnten Niederschrift festgestellten strafbaren Handlungen nicht mehr möglich. Noch während des Gerichtsverfahrens kann der Staatsanwalt, der Untersuchungsrichter oder das Gericht, solange noch keine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, einem Gesuch des Beschuldigten um Gewährung eines Verwaltungsvergleichs stattgeben und die A k t e n der Verwaltungsbehörde zum Abschluß des Vergleichs übersenden 12 . Kommt der Vergleich zustande, so stellt die betreffende Justizbehörde das Erlöschen der öffentlichen Klage fest; i m andern Fall geht das Verfahren weiter 1 3 . Nach den Angaben Hémards 14 werden die meisten Wirtschaftsdelikte i m Wege eines Verwaltungsvergleichs erledigt. Der Vergleich gilt nicht als Strafe 15 , w i r k t nicht rückfallbegründend und w i r d auch nicht i n das Strafregister eingetragen. Er soll ein Vertrag 12 Lehnt das Gericht die Aktenübersendung ab, so ist gegen diese E n t scheidung keine Kassation zulässig, w e i l es sich nicht u m eine Rechts-, sondern u m eine Tatsachenfrage handele: Cass. crim. 10. 10. 1973 J. C. P. 1974 I I 17 780 m i t A n m . von Guérin (anders noch Cass. crim. 25. 5. 1956 B u l l . crim. Nr. 394). 13 Wegen der Einzelheiten vgl. A r t . 19, 20, 22, 33, 38 der Ord. Nr. 45 - 1484 v o m 30. J u n i 1945, Décr. Nr. 55 - 1596 v o m 7. Dezember 1955 D. 1955. 519 u n d A r t . 10 - 15 der Ord. Nr. 58 - 1331 v o m 23. Dezember 1958 sowie das Ges. v o m 9. J u l i 1965 (vgl. o. A n m . 6). Ausführlich zur transaction Merle-Vitu, II, S. 62 ff., u n d Syr, J. C. P. 1969 I 2280, jeweils m i t weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum. — Gegen die Entscheidung des Gerichts, durch die dem A n t r a g auf Ermöglichung eines Verwaltungsvergleichs stattgegeben w i r d , läßt Paris 28. 11. 1962 J. C. P. 1963 I I 13 054 die Berufung durch die Staatsanwaltschaft zu (wegen der Schwere der Tat sollte auf Freiheitsstrafe erkannt werden). 14 S. 57; siehe ferner Schüler, S. 82 ff. 15 M. Boitard nennt i h n eine Verwaltungssanktion (Rev. sc. er. 1941, S. 151, 162). Bernard w i l l i h n (S. 57) tatsächlich (aber nicht rechtlich) als eine Strafsanktion ansehen. Vgl. auch Cass. crim. 13. 6. 1956 B u l l . crim. Nr. 472 (Vergleich w i r k t nicht rückfallbegründend). Hier stellt der Kassationshof den Vergleich ausdrücklich den gerichtlichen oder durch eine Verwaltungsbehörde zu v e r hängenden Strafen entgegen. Manche Entscheidungen sprechen (ähnlich wie etwa M. Boitard) von einer Verwaltungssanktion (ζ. B. Cass. crim. 19. 2. 1964 D. 1964. 366; Cons. d'Ét. 13. 11. 1942 Gaz. Pal. 1943 I 81); sie setzt aber immer die Zustimmung des Beschuldigten voraus (M. Boitard, a.a.O.). Hingegen hält Mazard (Anm. zu Cass. crim., a.a.O.) den Vergleich für eine „echte Strafe" (die auch rückfallbegründend wirke). Vgl. auch Cass. crim. 6. 5. 1964 B u l l . crim. Nr. 152 (zum Fiskalstraf recht). Auch heute w i r d die transaction überwiegend nicht als Strafe, sondern als Verwaltungssanktion angesehen (vgl. insbesondere Syr, a.a.O. [o. A n m . 13]); Bouzat, I I , S. 1019, A n m . 4; Gassin, Transaction, Nr. 130 132; ähnlich auch Merle-Vitu, I I , S. 63 („moyen administratif bilatéral d'extinct i o n des poursuites"); den Vertragscharakter betont dagegen Schüler, S. 94 ff.
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2. T e i l : Rechtsvergleichende U n t e r s u c h u n g
zwischen der Verwaltung und dem Beschuldigten sein, der der Kontrolle durch die höheren Verwaltungsbehörden und der Rechtskontrolle durch den Staatsrat unterliegt 1 6 . I n der Literatur w i r d er jedoch als Strafrechtseinrichtung teilweise abgelehnt. Nach Hémard widerspricht er dem Grundsatz, daß man sich über die öffentliche Klage nicht vergleichen kann; außerdem werde das Wirtschaftsdelikt durch die weitgehende Möglichkeit des Verwaltungsvergleichs verniedlicht 1 7 . Personen, die i n einem Unternehmen, einer Gesellschaft oder einer Vereinigung eine leitende oder geschäftsführende Stellung bekleiden, t r i f f t die Strafe nicht nur für Taten, die sie selbst begehen, sondern auch für solche, deren Ausführung durch eine abhängige oder ihnen unterstellte Person sie geschehen lassen. Der unmittelbar Ausführende w i r d ebenfalls bestraft. Das Unternehmen, die Gesellschaft oder die Vereinigung haftet solidarisch mit dem Verurteilten bis zur Höhe der Geldstrafe und der Kosten 1 8 . Ob das Unternehmen sich i n der Hand einer juristischen oder einer natürlichen Person befindet, ist gleichgültig. Bei Verurteilung einer der genannten leitenden oder geschäftsführenden Personen kann die Geschäftsschließung gegen das Unternehmen, das sie leitet, ausgesprochen werden. Schließlich ist es auch möglich, über eine juristische Person des Privatrechts das Verbot der Berufsausübung zu verhängen 19 .
16 Cons. d'Ét. 13. 11. 1942 Gaz. Pal. 1943 I 81; Hémard, S. 57. Nachprüfbar ist nicht die Vereinbarung als solche, sondern die den Vergleich gewährende oder vorschlagende Entscheidung der Verwaltungsbehörde (Cons. d'Ét., a.a.O.). 17 Hémard, S. 58. 18 Nach A r t . 56 Abs. 3 der Ord. Nr. 45 - 1484 auch bis zum Wert der einzuziehenden Gegenstände. 19
A r t . 49. 56 der O r d . N r . 45 - 1484. A r t . 20, 23 der O r d . N r . 58 - 1331.
ITALIEN I. Das italienische Ubertretungsstrafrecht 1. Das Ubertretungsstrafrecht Italiens und die Verwaltungsstrafrechtstheorie a) Die Deliktseinteilung
im Strafgesetzbuch
Goldschmidt nannte Italien „das klassische Land der Scheidung zwischen Verfassungs- und Verwaltungsstraf recht" 1 . Die scharfe Trennung beider Unrechtsbereiche sei für die Italiener von alters her charakteristisch. Wahr ist, daß das Problem der Übertretungen i n Italien seit dem vorigen Jahrhundert außerordentlich zahlreiche Veröffentlichungen hervorgebracht hat 2 . A u f sie einzugehen, ist weder i m Rahmen der vorliegenden Darstellung möglich noch für ihre Zwecke erforderlich. Auch die Richtigkeit der angeführten Behauptung Goldschmidts darf dahingestellt bleiben. Denn auf jeden Fall wollten die Schöpfer des ersten StGB (1889) des wiedervereinigten Italien bewußt zwischen Verbrechen und Übertretungen (delitti und contravvenzioni) trennen, weil diese ein wesentlich anderes Unrecht darstellten als jene, und bei der Reform von 1930 ist es dabei geblieben, so daß doch jedenfalls das geltende Recht (wenigstens nach der Absicht seiner Schöpfer) auf dem Gedanken der Zweiteilung nach qualitativen Gesichtspunkten beruht. Es war auch durchaus nicht die Macht der Tradition, die jene Zweiteilung bedingte; manche italienischen Partikularrechte hatten sich für die Dreiteilung entschieden, und bei den sich über rund 25 Jahre hinziehenden Vorbereitungsarbeiten, die eine Reihe von Entwürfen hervorbrachten, wurde um die Zwei- oder Dreiteilung gekämpft; die Entwürfe sahen bald diese, bald jene vor. Man entschied sich schließlich für die Zweiteilung i n Taten, die als schädliche Handlungen Verbrechen an sich, von Natur aus, und solchen, die es nur kraft positiver Satzung seien. Der Kommissionsbericht vom 22. März 1888 zum Entwurf Zanardelli führt aus 3 : 1
Verwaltungsstrafrecht, S. 116. Vgl. die Angaben bei Longhi; Gabrieli ; Gabrieli-Mazza; Gius. Sabatini , S. 3 ff.; Gugl. Sabatini , Contravvenzioni, S. 3 ff., 20 ff.; Rocco, S. 331 ff.; Manzini , I, S. 619 ff.; Angeloni ; Conti. 3 Camera dei Deputati. Relazione della commissione, S. 24. 2
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2. T e i l : R e c h t s v e r g e i c h e n d e U n t e r s u c h u n g
„Die Verstöße gegen Normen, die vom Gesetz zum unmittelbaren Schutz des Rechtes bestimmt sind, stellen Verbrechen dar. Übertretungen sind hingegen die Zuwiderhandlungen gegen gesetzliche Normen, die nur dem mittelbaren Schutz des Rechtes dienen. Die ersten sind Handlungen gegen das Recht, die zweiten solche einfachen Ungehorsams, wie sich Binding ausdrückt, gegenüber den Vorschriften, die der Gesetzgeber als Vorkehrungen zur Vermeidung möglicher Verletzungen der Rechtsordnung erlassen hat. Während so Gegenstand des Verbrechens eine (wirkliche oder mögliche) Rechtsverletzung ist, ist der der Übertretung eine lediglich vom Gesetzgeber vorausgesetzte und vermutete Gefahr eines Schadens . . . Die den Übertretungen eigene Gefahr ist vom Gesetzgeber lediglich vorausgesetzt und vermutet, zum Unterschied von der den Verbrechen eigenen Gefahr, die wirklich vorhanden ist." Indessen ist beiden Arten strafbarer Handlungen „der Charakter von Verstößen gegen Normen, die dem Schutz der Rechtsordnung dienen, gemeinsam; aber die Verbrechen sind i n sich selbst ungerechte, w e i l ein Recht angreifende Handlungen, während die Übertretungen Handlungen gegen das Gesetz darstellen, ohne ungerecht zu sein . . . " Der Vorsatz bei Verbrechen sei „auf Erzeugung eines für ein Recht schädlichen Erfolges gerichtet" (wenn nicht das Gesetz andere Schuldformen genügen lasse); bei Übertretungen hingegen fehle „ i n der Tat ein bestimmter oder unbestimmter rechtswidriger Vorsatz", es bestehe „allein ein Wille, der sich, frei von jeder verletzenden Richtung, nur auf eine vom Gesetz verbotene Tat bezieht". Der Ministerialbericht zum Entwurf des StGB von 19304 sieht dagegen das Merkmal der Übertretungen mehr darin, daß sie „gegen das Interesse der Verwaltung des Staates" gerichtet seien: „ I n Wahrheit hat die Strafnorm bei den Übertretungen immer den Schutz des genannten Interesses zum Zweck, insofern die Übertretungen notwendigerweise gerade die verschiedenen Interessen verletzen, die der Staat sich als Objekt seiner Verwaltungstätigkeit vornimmt. Zur rechtlichen Vollendung der Übertretung ist es gleichgültig, ob sonst ein Schaden oder die Gefahr eines Schadens die Verletzung dieser staatlichen Interessen begleitet." Und Arturo Rocco, der an der Entstehung des StGB 1930 maßgeblichen Anteil hatte, erläuterte dazu 5 : „Der Begriff der Übertretung w i r d eben gerade aus dem Begriff der Verwaltung gewonnen. Tatsächlich sind die Übertretungen Handlungen oder Unterlassungen gegen das Interesse der Verwaltung oder Verwaltungsinteresse des Staates; und weil sie diesem zuwider sind (und außerdem einen mittelbaren und indirekten sozialen Schaden und eine ebensolche Gefahr hervorrufen), werden sie von der Strafrechtsordnung unter Androhung einer Strafe verboten. Die Vor4 5
L a v o r i preparatori. Relazione ministeriale, Bd. V 2a, S. 477 Nr. 760. S. 351.
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Schriften des Übertretungsstrafrechts haben nämlich immer den Schutz des Verwaltungsinteresses des Staates zum Ziel; m i t der Zuwiderhandlung gegen diese (gebietenden oder verbietenden) Vorschriften, d. h. der Übertretung, ist deshalb stets die Verletzung, Beeinträchtigung oder Schädigung des Verwaltungsinteresses des Staates verbunden." Das geltende StGB vom 19. Oktober 19306 hat mithin, wie schon sein Vorgänger, das StGB vom 30. Juni 18897, eine Wesensverschiedenheit zwischen Verbrechen und Übertretungen anerkennen und eine entsprechende Trennung der strafbaren Handlungen durchführen wollen. Es unterscheidet die beiden Deliktsgruppen jedoch ebensowenig wie sonst ein Gesetz nach materialen Kriterien, sondern nur nach der angedrohten Strafe (Art. 39). Daher auch ist die Beurteilung dieser Zweiteilung nicht einheitlich. Manche wollen in ihr doch eine qualitative Unterscheidung verwirklicht sehen8, andere dagegen halten sie für rein quantitativ und äußerlich 9 . Z u ihrer Rechtfertigung w i r d angeführt, der Gesetzgeber sei bei der Deliktseinteilung nicht nach einem abstrakten Merkmal verfahren, sondern habe zuweilen, wo es i h m günstig erschienen sei, Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit, d. h. der Kriminalpolitik, verwertet 1 0 . Auch genüge die qualitative Unterscheidung allein nicht, sie müsse durch die quantitative ergänzt werden 1 1 . Enthielten Übertretungen eine Verletzung anderer Interessen, so überwiege doch das verwaltungs-(polizei-)widrige Verhalten diese leichte andere Verletzung 1 2 . So bezeichnen manche die Zweiteilung des StGB als ein quali-quantitatives System 13 . 6 R. D. v o m 19. Oktober 1930, Nr. 1398. Das Gesetz ist mehrfach geändert worden. Deutsche Übersetzungen liegen vor von Bunge (zum T e i l veraltet) u n d Riz (zweisprachig, m i t Anmerkungen). 7 Deutsche Übersetzung von Stephan. 8 Vgl. Ranieri , I, S. 121 f. Siehe auch die oben wiedergegebene Äußerung von Rocco. 9 So Bettiol, S. 220 (während die Lehre nach einem ontologischen, qualitat i v e n Unterscheidungsmerkmal gesucht habe); ferner (Einteilung nach der Schwere der Taten) Santaniello, S. 43; Petrocelli, S, 195 f.; Musotto, S. 103; Cavallo , I I , S. 106. Ä h n l i c h auch Maggiore , I, S. 220: Es sei nicht möglich, ein einheitliches u n d durchgängiges K r i t e r i u m zu finden. Der Gesetzgeber könne eine Tat je nach der i h r gerade zukommenden Bedeutung i n die eine oder andere Gruppe einreihen. Daher sei die Methode des StGB, Verbrechen u n d Übertretungen n u r nach der angedrohten Strafe zu unterscheiden, richtig. Ebenso Conti, S. 229; Pioletti, S. 110; Pagliaro , S. 221 f. 10 Manzini , I, S. 628. 11 Grispigni, S. 167. Übertretungen seien die gegen ein Verwaltungsinteresse gerichteten Taten geringer Schwere (minderschwere Verletzungen dieses I n t e r esses). 12 Manzini , I, S. 131. 13 Maggiore , I I , S. 1077. Nach i h m „scheint" es sich aber n u r u m ein solches System zu handeln: Z w a r habe der Gesetzgeber eine große Sympathie für die qualitative Unterscheidung gehabt, i n W i r k l i c h k e i t aber n u r eine quantitative durchgeführt.
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Die Äußerungen des Ministers bei den Beratungen des StGB 1930 sind selbst zwiespältig und lassen die Unsicherheit erkennen, die i n der Abgrenzungsfrage allen theoretischen Bemühungen zum Trotz herrscht und die das Eingeständnis i n sich birgt, daß das praktische Ergebnis dieser Bemühungen letzten Endes wertlos ist. Einmal heißt es: „Unter den vielen von der Strafrechtswissenschaft über die Natur der Übertretungen aufgestellten Theorien halte ich diejenige für die zufriedenstellendste — die daher am ehesten die Zustimmung des Gesetzgebers verdient —, die i n der Übertretung eine Begehungs- oder Unterlassungstat gegen das Interesse der Staatsverwaltung findet 14." A n anderer Stelle aber führte er aus: „Der Entwurf übernimmt als Unterscheidungsmerkmal zwischen Verbrechen und Übertretungen die A r t der angedrohten Strafen. Hier muß sofort festgestellt werden, daß ich bei der Übernahme dieses Merkmals der Meinung war, die ontologische Verschiedenheit der beiden Kategorien strafbarer Handlungen nicht zu verkennen und auch nicht darauf zu verzichten, die rechtswidrigen Taten nach ihrem Wesen i n die eine oder andere Kategorie einzugliedern; aber ich habe angenommen, so das Merkmal augenfällig zu machen, das am sichersten ist, um die Übertretungen zu kennzeichnen. Dabei habe ich m i r vergegenwärtigt, daß es Lehre und Rechtsprechung i n ihren langen und interessanten Bemühungen noch nicht gelungen ist, eine Unterscheidungsformel vorzuschlagen, die soviel Zustimmung gefunden hat, daß man sie wenigstens für vorherrschend ansehen kann 1 5 ." Wenn dies aber nicht gelungen ist, so kann auch die Behauptung, die Taten „nach ihrem Wesen" aufzugliedern, nicht richt i g sein. Das StGB spricht, wie i m allgemeinen auch die Theorie, nicht von Verwaltungs· oder Polizeidelikten, sondern von Übertretungen (contravvenzioni). Häufig werden beide oder jedenfalls Polizeidelikte und Übertretungen als gleichbedeutend angesehen 16 ; aber etliche lehnen die Bezeichnung „Verwaltungsdelikte" wegen der Bedeutung, die ihnen seit Goldschmidt innewohnt, ab 1 7 . Überhaupt hat Goldschmidt m i t seiner Lehre vom nur verwaltungswidrigen Unrecht, das aus dem (eigentlichen) K r i minalstrafrecht ausgeschieden werden müsse, i n dem „klassischen Land der Scheidung zwischen Verfassungs- und Verwaltungsstraf recht" 1 8 wenig 14 L a v o r i preparatori. Relazione ministeriale, Bd. V 2a, S. 477 Nr. 760. — „ U n d daraus, daß die ganze Staatsverwaltung entweder rechtsschützende oder wohlfahrtsfördernde Tätigkeit ist, folgt als logische Konsequenz die E i n teilung der Übertretungen i n zwei große Klassen, je nachdem sie dieses Interesse auf dem Gebiet der rechtsschützenden oder der wohlfahrtsfördernden Tätigkeit verletzen. So gibt es Polizeiübertretungen u n d andere Übertretungen, die die Wohlfahrtstätigkeit der öffentlichen V e r w a l t u n g betreffen" (Lavori preparatori. Relazione ministeriale, Bd. V 2a, S. 478 Nr. 762). 15 L a v o r i preparatori. Relazione ministeriale, Bd. V la, S. 82 Nr. 57. 18 Manzini , X , S. 1 ; Maggiore , I, S. 35 f . 17 So vor allem Rocco, S. 356 ff.; ferner Angeloni, S. 31 ff.; u. a.
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Gegenliebe gefunden 19 . Die allgemeine Meinung geht dahin, daß auch die Übertretungen strafbare Handlungen (reati) i m wahren Sinne dieses Wortes seien und zum Strafrecht gehörten. Von derselben Annahme gingen die Gesetzgeber von 1889 und 1930 aus und kodifizierten die Übertretungen m i t den Verbrechen zusammen i n einem Gesetzbuch (Strafgesetzbuch), wobei für beide, da sie gleichermaßen unter den Begriff der strafbaren Handlung fallen, durchweg dieselben allgemeinen Vorschriften (im ersten Buch) gelten. Die Tatbestände der Übertretungen sind i n einem ausgedehnten dritten Buch zusammengefaßt (während das zweite Buch den einzelnen Verbrechenstatbeständen vorbehalten blieb). Auch der 1949/50 veröffentlichte Entwurf eines neuen StGB hat an dieser grundsätzlichen Einteilung nichts geändert (Art. 18 Progetto) 20 . Der Vorentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches, den eine vom Justizminister ernannte Kommission i m Jahre 1956 ausgearbeitet hatte 2 1 , der daraus entstandene, am 24. Februar 1960 dem Senat zugeleitete Entwurf eines Änderungsgesetzes 22 sowie die am 6. Februar und am 19. November 1968 vorgelegten Änderungsentwürfe 23 — auch i n ihren späteren Fassungen, zuletzt i n der am 2. Februar 1973 beim Abgeordnetenhaus eingebrachten F o r m 2 4 » 2 4 a — haben die Deliktseinteilung und das System der Übertretungen nicht berührt. Die Herausnahme der Übertretungen aus dem Strafgesetzbuch w i r d nicht verlangt 2 5 . 18
Goldschmidt, Verwaltungsstraf recht, S. 116. So vor allem nicht bei Rocco (S. 356 ff.). Die Übertretungen ermangelten nicht der materiellen Rechtswidrigkeit u n d schon gar nicht der Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsgutes (es liege nämlich eine Verletzung des Interesses des Staates an seiner Verwaltungstätigkeit vor); verfehlt sei es auch, der Übertretung die Rechtsnatur einer strafbaren Handlung abzuerkennen u n d sie lediglich als Deliktsobligation des Verwaltungsrechts zu bezeichnen. Ä h n l i c h Grispigni, S. 168, A n m . 77. Ablehnend auch Maggiore , I I , S. 1078, A n m . 1 (auf S. 1079); Angeloni, S. 31 ff.; G. Battaglini, S. 149, A n m . 1; Santoro , S. 59 f.; Gius. Sabatini , S. 6 ff.; Gugl. Sabatini, Contravvenzioni, S. 25 ff., deutlich S. 31; derselbe, Istituzioni, S. 66; Malinverni, S. 36 f.; u. a. m. Daß die Übertretungen ein Rechtsgut haben, betont u. a. ebenfalls Ranieri, I, S. 122. — Goldschmidt hat sich offenbar n u r Raggi angeschlossen (Svolgimento del diritto amministrativo penale, i n „Filangieri", Milano, 1907, zitiert bei Grispigni, S. 168, A n m . 77; Gugl. Sabatini, Istituzioni, S. 66, A n m . 2; Rocco, S. 356, Anm. 158). 20 I n der beigegebenen Begründung w i r d lediglich darauf hingewiesen, daß das Unterscheidungsmerkmal zwischen Verbrechen u n d Übertretungen die angedrohte Strafe sei (Ministero d i Grazia e Giustizia. Progetto 1949, S. 23). 21 Ministero d i Grazia e Giustizia. Progetto preliminare di modificazioni al codice penale. 22 M i t Begründung abgedruckt i n Sc. pos. 1961, S. 120 ff. 23 Modificazioni al codice penale (Riv. it. dir. proc. pen. 1968, S. 182 ff.). Riforma del codice penale (Riv. it. dir. proc. pen. 1969, S. 303 ff.). 24 Modifiche al libro p r i m o ed articoli 576 e 577 del codice penale (Riv. it. dir. proc. pen. 1973, S. 827 ff.). 24a Uber die nachfolgende Reformgesetzgebung vgl. den Überblick bei Bosch, ZStW 88 (1976), S. 488, insbesondere S. 510 ff. 19
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Der dargelegten Auffassung entspricht es, daß die Übertretungen nicht von Verwaltungsbehörden, sondern von den Gerichten (dem pretore, Amtsrichter) abgeurteilt werden. Auch insoweit ist das italienische Ubertretungsstrafrecht der Lehre vom nur verwaltungswidrigen Unrecht nicht gefolgt, was i h m Goldschmidts K r i t i k eingebracht hat, die Einteilung beruhe nicht mehr auf einer scharfen Trennung von Rechts- und Verwaltungszweck 26 . Neben den Übertretungen des StGB kennt das italienische Strafrecht noch solche einer umfangreichen Nebenstrafgesetzgebung (der Verwaltungsgesetze). Das StGB enthält aber die wichtigeren Ubertretungstatbestände, die sich i m Laufe der Zeit herausgebildet haben 27 . Für die Delikte nach den strafrechtlichen Nebengesetzen gelten grundsätzlich auch die allgemeinen Vorschriften des StGB (Art. 16 StGB). Die Handlungen, die i n den vor dem StGB erlassenen Gesetzen, Verordnungen usw. unter Strafe gestellt worden sind, werden durch die Disposizioni di coordinamento e transitorie per i l codice penale vom 28. Mai 1931 nach der A r t oder Höhe der auf sie angedrohten Strafe unter die Deliktseinteilung des StGB gebracht (frühere Strafarten werden teils den Verbrechens-, teils den Übertretungsstraf en gleichgesetzt oder je nach ihrer Höhe entweder den einen oder den andern zugeordnet). b) Die Literaturmeinungen über das Verhältnis von Verbrechen und Übertretungen Die Ansichten i n der neueren Literatur über den Unterschied zwischen Verbrechen und Übertretungen sind geteilt. Es hat sich bereits gezeigt 28 , daß man Theorien über eine qualitative und eine quantitative Trennung sowie gemischte Theorien vorfindet. Ältere Unterscheidungen wie etwa die von Beccaria 29 , Carrara 30 oder der Verfasser des StGB von 188931 25 Der Entwurf Ferri wollte die Übertretungen einem besonderen Gesetz zuweisen. M a n hält dies aber nicht für billigenswert (Angeloni, S. 19). 26 Verwaltungsstrafrecht, S. 483 ff. — Richtig ist, daß die Trennung nicht gemacht w i r d ; sie soll es aber auch gar nicht, w e i l die Übertretungstatbestände als zum Strafrecht gehörig dem Rechtszweck unterstehen (vgl. die o. i n A n m . 19 Zitierten). 27 Die nicht dem steten Wandel der Gesetzgebung unterworfen seien, wie der Ministerialbericht zum Entwurf 1887 meinte (Camera dei Deputati. Relazione ministeriale, Bd. I I , S. 416). 28 Vgl. o. S. 347. 29 Der als „Vater" der neueren Strafrechtswissenschaft i n Italien nachfolgend etwas ausführlicher zu Worte kommen soll (in der Übersetzung von Esselborn): „Einige Verbrechen führen unmittelbar den Untergang der Gesellschaft oder dessen herbei, der sie v e r t r i t t , andere verletzen die Sicherheit des einzelnen Bürgers i m Hinblick auf sein Leben, seine Güter oder seine Ehre; wieder andere bestehen i n Handlungen, die m i t dem nicht i n Einklang stehen, was ein jeder m i t Rücksicht auf das allgemeine W o h l zu t u n oder zu lassen v e r pflichtet ist" (Über Verbrechen u n d Strafen, § 25). — I n der „ K u r z e n Betrach-
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w i r k e n auch b e i m a n c h e n n e u e r e n S c h r i f t s t e l l e r n nach, w e n n g l e i c h die F o r m u l i e r u n g e n a b g e w a n d e l t sind. So s p r i c h t ζ. B . Impallomeni den Ü b e r t r e t u n g e n denselben „ e i g e n t l i c h e n R e c h t s w i d r i g k e i t s w e r t " w i e d e n V e r b r e c h e n ab. Diese v e r l e t z t e n die d e n z i v i l i s i e r t e n V ö l k e r n eigenen b l e i b e n d e n G r u n d l a g e n des Daseins u n d des b ü r g e r l i c h e n Z u s a m m e n lebens, j e n e seien n u r gegen die sie ergänzenden u n d s e k u n d ä r e n B e d i n g u n g e n g e r i c h t e t u n d v o n z u f ä l l i g e r A r t 3 2 . Carnevale w o l l t e die Ü b e r t r e t u n g e n d a d u r c h gekennzeichnet sehen, daß sie n u r w i c h t i g e U m w e l t b e d i n g u n g e n der R u h e u n d S i c h e r h e i t oder d e r g ü n s t i g e n E n t w i c k l u n g (der W o h l f a h r t ) — also die f ü r B e s t a n d u n d G e d e i h e n d e r Rechtsgüter g ü n s t i g e n U m s t ä n d e — b e e i n t r ä c h t i g t e n , w ä h r e n d die V e r b r e c h e n gegen die Rechtsgüter selbst g e r i c h t e t seien (sie v e r l e t z t e n oder g e f ä h r d e t e n ) 3 3 . tung über das ,Allgemeine Gesetz über Verbrechen u n d derselben Bestrafung', soweit es von den politischen Verbrechen handelt" (Anhang, S. 173 ff.), heißt es: Unter einem Kriminalverbrechen müsse man jenes verstehen, das „ u n mittelbar auf die Zerstörung des gesellschaftlichen Bandes abzielte, w e n n es nicht bestraft u n d unterdrückt würde, während m a n unter politischem V e r brechen eine solche Übertretung oder schuldhafte Handlung verstehen könne, welche die Gesellschaft zwar unvollkommener macht, aber nicht unmittelbar deren Zerstörung b e z w e c k t . . . Die politischen Verbrechen, die mehr Fehltritte u n d Übertretungen als wirkliche Verbrechen sind, müssen als solche Handlungen angesehen werden, die den Menschen dazu vorbereiten, ein wirklicher Verbrecher zu werden, welcher die öffentliche Schande verdient u n d allein dazu bestimmt ist, den andern ein warnendes Beispiel zu werden . . . Die p o l i t i schen Strafen müssen, da sie i n erster L i n i e zur Besserung u n d dann erst zum Beispiel dienen sollen, . . . verschieden von den andern geartet, nämlich w e i t milder, von kürzerer Dauer und, soweit möglich, nicht entehrend sein . . . Die auf den Umsturz der Gesellschaft abzielenden Kriminalverbrechen sind so beschaffen, daß es zu ihrer Charakterisierung keiner positiven Gesetze bedarf, w e i l sie zu solchen schon von dem N a t u r - u n d Völkerrecht gestempelt u n d i n fast gleicher Weise i n allen Gegenden, zu allen Zeiten, unter allen Regierungsformen bei allen zivilisierten u n d nicht barbarischen oder w i l d e n V ö l k e r n anerkannt u n d verabscheut sind. I m Gegensatz hierzu erhalten die politischen Verbrechen, welche die Gesellschaft zu verschlechtern u n d zu verführen, aber nicht zu zerstören trachten, ihre hauptsächliche Ausgestaltung durch die positiven Gesetze, die nach Zeiten, Gegenden, Regierungsformen, kurz nach dem ganzen Kulturzustand einer Nation verschieden gestaltet sind u n d das auch sein müssen." 30 programma, § 150: Das Wesen des Verbrechens bestehe i n der Verletzung eines durch das Strafgesetz geschützten Rechtes. Daher müßten die Verbrechen nach der Verschiedenheit der verletzten Rechte eingeteilt werden. Das „ w i r k liche u n d eigentliche Verbrechen" sei von den Polizeiübertretungen sehr v e r schieden, denn diese verstießen gegen Gesetze, die die Wohlfahrt u n d nicht das Recht schützten; ihre „alleinige Grundlage" sei der Grundsatz der N ü t z lichkeit (Zweckmäßigkeit). Die verbotenen Handlungen seien moralisch h a r m los (innocenti) u n d enthielten keine gegenwärtige Verletzung oder Gefährdung des Rechtes. 31
Vgl. o. S. 345 f. S. 72 ff., 84, 86. 33 Concetto, S. 153 ff., bes. S. 154, 162 ff.; Lesione, S. 169 ff. Die Übertretungsnatur einer Tat werde nicht durch eine Rechtsverletzung beseitigt, sofern diese gegenüber den erwähnten primären Merkmalen n u r sekundärer A r t sei (Lesione, insbesondere S. 176 f., 178 ff.). 32
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2. T e i l
echtsvergeichende Untersuchung
Entsprechend begriff B. Alimena die Verbrechen i m Gegensatz zu den Übertretungen, die nur eine sehr entfernte Gefahr hervorbrächten oder wenigstens der Wohlfahrt hinderlich seien (ostacolare i l prospero esercizio), als Verletzungen oder mögliche unmittelbare Gefährdungen geschützter Hechte 34 . Vannini hat sich dieser Lehre angeschlossen und unterscheidet zwischen Schädigungs- und Gefährdungsdelikten als Verbrechen und Polizeidelikten als Übertretungen 3 5 . Z u einer ähnlichen Unterscheidung gelangt i m wesentlichen auch Petrocelli 36. I n der Verletzung von Verwaltungsinteressen sehen vor allem Rocco 27, Ranieri 58, Grispigni 39, Erosali 40 , Angeloni 41 das Wesen der Übertretungen. Auch Manzini glaubt an einen „ontologischen" Unterschied zwischen Verbrechen und Übertretungen, doch habe dieser, da das positive Recht beide Deliktsgruppen nach der Strafe unterscheide, nur einen „Leitwert" für die Aufstellung von Straftatbeständen (also de lege ferenda). Aus dem positiven Recht ergebe er sich als Synthese der den meisten Übertretungen, die i n den verschiedenen Gesetzen enthalten seien, eigentümlichen Merkmale, und daher komme i h m auch kein absoluter Wert zu. Nach der Regel, die der Gesetzgeber befolgt habe, hätten die Strafdrohungen bei Übertretungen „unter ontologischem Aspekt" „den Schutz der Bedingungen zum Gegenstand, die für die Kräfte oder den vorteilhaften Zustand der Gesellschaft als unerläßlich oder günstig angesehen werden oder die sich auf die Finanzordnung des Staates beziehen", und zielten „auf die Unterdrückung eines Einzel Verhaltens ab, das sich einzig gegen diese Bedingungen richtet und i n der Hauptsache i n bezug auf das 34 Beide verletzten Rechtsnormen, die Verbrechen außerdem das geschützte Recht bzw. gefährdeten es. Nach ihrer M o r a l w i d r i g k e i t ließen sie sich nicht unterscheiden; zwar seien die Übertretungen i m ganzen weniger unmoralisch als die Verbrechen, i m Einzelfalle könne es aber umgekehrt sein. Die Übertretungsnorm solle nicht n u r Verbrechen verhüten, sondern auch sonstige schädliche Erfolge (S. 254 ff.). 35 S. 137. 36 Die Verbrechen griffen die v o m Strafgesetz geschützten Rechtsgüter u n mittelbar an, während die Übertretungen nach der gesetzlichen V e r m u t u n g n u r günstige Bedingungen f ü r eine Schädigung oder konkrete Gefährdung dieser Rechtsgüter schüfen u n d deren Gedeihen hinderten. Eine ganz genaue Grenze lasse sich freilich nicht ziehen; die gegebene Beschreibung stelle jedoch die größtmögliche Annäherung an die Wahrheit dar (S. 195). — Verwandte Gedankengänge finden sich ferner bei Cavallo , I I , S. 105 f. 37
S. 351 ff. Vgl. o. S. 346 f. I h m hat sich auch Santoro , S. 170, angeschlossen. I, S. 121 ; I I I , S. 545 u n d 751. Vgl. auch Pisapia, S. 445. 39 S. 167; aber verbunden m i t einem quantitativen M e r k m a l : N u r die weniger schweren Angriffe auf das Verwaltungsinteresse seien Übertretungen. I n ähnlicher Weise, wenn auch m i t weniger deutlichem Abrücken von der rein qualitativen Unterscheidung, schränkt ebenfalls Ranieri , a.a.O., ein. 4Ü Corso, S. 31; Sistema, S. 352 f. (ein ontologisches K r i t e r i u m sei vorhanden, denn der Gesetzgeber verfahre nicht willkürlich). 41 S. 15 f. 38
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dem sozialen Leben Notwendige oder Vorteilhafte anstatt auf die Beschaffenheit des Täterwillens gesehen w i r d " 4 2 . Der Ansicht Manzinis hat sich Pannain 43 angeschlossen. Gramatica w i l l auf der Grundlage seines subjektiven Verbrechensbegriffs, der die Einheit des Begriffs der strafbaren Handlung verbürge, lediglich zu technischen Zwecken die Taten, bei denen der Erfolg gewollt ist (und fremde Güter, Rechte oder Interessen verletzt worden sind oder werden können), von den andern trennen, die einen nicht gewollten oder gar keinen Erfolg nach sich zögen; die ersten könne man nach der üblichen Terminologie Verbrechen, die zweiten Übertretungen nennen 44 . Z u den letzten gehörten außer den Fahrlässigkeitstaten alle Handlungen, bei denen ein Erfolg weder eintrete noch gewollt sei, die aber dennoch eine ins Unerlaubte führende Absicht zeigten: Sie seien insgesamt gemeingefährliche Übertretungen oder Gefährdungsdelikte 45 . Unter den Schriftstellern, die von einer qualitativen Unterscheidung ausgehen, ziehen manche ausdrücklich den Gesichtspunkt der geringeren Schwere zur Kennzeichnung der Übertretungen zu Hilfe, wie ζ. B. Grispigni 46 und Frosali 47. Überwiegend nimmt die neuere italienische Literatur aber nur einen gradmäßigen (quantitativen) Unterschied der Verbrechen und Übertretungen nach der größeren oder geringeren Bedeutung der „Bedingungen, auf die sie sich beziehen, für das individuelle und soziale Dasein" (Florian 48) an. Den Übertretungen eigne ebenso wie den Verbrechen ein 42 I, S. 625 f. Bemerkenswert jedoch, daß auch Manzini von einer ethischen Indifferenz der Übertretungen oder gar ihrer Strafe nichts wissen w i l l : Die Behauptung, die Verurteilung wegen einer Übertretung enthalte keinen moralischen V o r w u r f , vermindere den Wert der Strafe (I, S. 120). — Vgl. ferner u. S. 359. 43 S. 286. — Auch die Ansicht von Gius. Sabatini (S. 30 ff.) gehört i n diesen Zusammenhang: Verbrechen seien Angriffe auf die wesentlichen Werte des Einzelmenschen oder des Staates jeweils als Person, Übertretungen hingegen bestünden darin, daß der einzelne als Staatsbürger spezifische Solidaritätspflichten (d. h. spezifische Pflichten, die Tätigkeit des Staates zu unterstützen) nicht erfülle (unterlassene M i t w i r k u n g bei der politischen, wissenschaftlichen oder sozialen Tätigkeit des Staates, Verletzung des Rechtes des Staates auf diese M i t w i r k u n g ) . Die Übertretungen bleiben dabei aber strafbare Handlungen i m vollen Sinne, denn das Strafrecht solle nicht n u r die „grundlegenden Bedingungen des Lebens" sichern, sondern auch die „ E n t w i c k l u n g u n d V e r besserung der Gesellschaft" fördern. 44 S. 445 ff. 45 S. 447. 46 Vgl. o. S. 347, A n m . 11, S. 352, A n m . 39. 47 Vgl. o. S. 352, A n m . 40. I m allgemeinen verletzten die Übertretungen i n erster L i n i e staatliche Verwaltungsinteressen u n d seien von geringer Bedeutung (daher auch weniger gefährlich als Verbrechen). Ob dies bei einer Tat der F a l l sei, bestimme der Gesetzgeber. 48 I, S. 421 f. M a n könne zwischen primären u n d sekundären Bedingungen unterscheiden und danach die Delikte einteilen, doch sei dies ein rein empirisches u n d relatives K r i t e r i u m (S. 422).
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Mattes
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materielles Unrecht, das in der Gefährdung oder sogar Schädigung bestimmter rechtlich geschützter Güter oder Interessen bestehe (Sabatini 49 ) und deshalb nur eine Unterscheidung nach der größeren oder geringeren Schwere gestatte (Antolisei 5 0 , Carnelutti 51, Santaniello 52, Pagliaro 52). Nach einem Ausdruck Ferris sind die Übertretungen „Zwergverbrechen" (del i t t i nani — Bagatellverbrechen) 54 , nämlich die Delikte, die i n einem bestimmten Augenblick der gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung als weniger schwerwiegend empfunden werden (Bettiol 55). Ein absolutes Unterscheidungsmerkmal könne es somit nicht geben; alles hänge von der Bewertung ab, welche Bedeutung den verletzten Interessen zukomme (G. Battaglini 56). Nach den Umständen des einzelnen Falles (Deliktstatbestandes) teile der Gesetzgeber die strafbaren Handlungen ein, und das StGB habe gut daran getan, als Unterscheidungsmerkmal lediglich die angedrohte Strafe aufzunehmen (Maggiore 51). 2. Die Übertretungen i m geltenden Recht
a) Die Übertretungen
des Strafgesetzbuchs
Das StGB hat die Übertretungen i m dritten Buch i n zwei Gruppen eingeteilt, nämlich i n die Polizeiübertretungen (im ersten Abschnitt) und die Wohlfahrtsübertretungen (betreffend die „soziale Tätigkeit der öffent49 Gugl. Sabatini , Contravvenzioni, S. 43 (folglich quantitative Verschiedenheit). 50 S. 142. Ä h n l i c h auch Musotto, S. 103 (maßgebend seien allein k r i m i n a l politische Erwägungen). 51 Lezioni, S. 97 f. Allgemeines Unterscheidungsmerkmal sei die größere oder geringere soziale Bedeutung der Tat, der die größere oder geringere Schwere der Strafe entspreche. Da die verschiedene soziale Bedeutung sich aber nicht i n einer Formel fassen lasse, komme n u r die Unterscheidung nach der Strafdrohung i n Betracht (Lezioni, S. 98; Teoria, S. 42). 52 S. 43. — Siehe auch Penso, S. 73. 53 S. 221 f. E r begreift die Übertretungen als die f ü r leichter gehaltenen strafbaren Handlungen (gli i l l e c i t i penali r i t e n u t i p i ù lievi). 54 L a c. d. volontarietà nelle contravvenzioni, i n „Scuola Positiva", 1891 (zitiert nach Antolisei , S. 142). — Die Übertretungen hätten moralisch u n d soziologisch einen andern Wert, der auch eine andere Sanktion erfordere. I h n e n fehle das Symptomatische (der k r i m i n e l l e n Gefährlichkeit), das den Verbrechen eigne. Diese seien mehr durch den anthropologischen Faktor, jene mehr durch soziale Faktoren bestimmt. Dennoch bestehe zwischen beiden k e i n Wesensunterschied (Principii, S. 7,122 ff., 590). 55 S. 220 f. 56 S. 151. Die Übertretungen zeitigten geringeren sozialen Schaden oder hätten geringeres moralisches Gewicht, seien also Fälle minderer Schwere. 57 I, S. 220. — Ä h n l i c h Cavallo , I I , S. 106 f. (Unterscheidung nach der Schwere der Taten, die der Gesetzgeber unter Beachtung aller objektiven u n d subjekt i v e n M e r k m a l e des einzelnen Tatbestandes beurteile), jedenfalls i n bezug auf das geltende Recht; vgl. daneben a.a.O., S. 104 ff. Vgl. ferner Pioletti, S. 110; Conti, S. 228 f.
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liehen Verwaltung"; i m zweiten Abschnitt). Die Polizeiübertretungen sind entweder sicherheitspolizeiliche oder wohlfahrtspolizeiliche (gegen die „soziale Verwaltungspolizei" gerichtete) Übertretungen. Zu den ersten gehören die Taten gegen die öffentliche Ordnung und den öffentlichen Frieden 5 8 , die Übertretungen wider die öffentliche Sicherheit („Unversehrtheit") 5 9 sowie die zur Verhütung bestimmter Arten strafbarer Handlungen geschaffenen Übertretungstatbestände 60 . Die Übertretungen gegen die soziale Verwaltungspolizei betreffen entweder die Sittenpolizei 6 1 oder die Gesundheitspolizei 62 . Der zweite, dem Schutz der sozialen Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung dienende Abschnitt enthält nur wenige Vorschriften 63 . Häufig findet man die den Verletzungstatbeständen bei den Verbrechen entsprechenden Gefährdungstatbestände unter den Übertretungen. Das StGB von 1889 teilte das dritte Buch i n die folgenden vier Abschnitte ein: „Von den Übertretungen betreffend die öffentliche Ordnung", „ . . . die öffentliche Wohlfahrt", „ . . . die öffentliche Sittlichkeit", „ . . . den öffentlichen Schutz des Eigentums". Das Übertretungsstrafrecht kann man vorwiegend teils als Polizeistrafrecht i m Dienste der Gefahrenabwehr, teils als Wohlfahrtsverwaltungsstrafrecht, das den einzelnen zu positiver Tätigkeit i m Interesse und zur Förderung des allgemeinen Wohles verpflichtet, charakterisieren, wobei das erstgenannte das Übergewicht hat. Es enthält viele (meist abstrakte) Gefährdungsdelikte; aber es kommt auch eine ganze Reihe geringfügiger Verletzungsdelikte vor, wie das Beschädigen von Anschlägen (Art. 664), das Belästigen von Personen (Art. 660), das Versetzen anderer i n den Zustand der Trunkenheit (Art. 690), Gotteslästerung und schmähende Kundgebung gegenüber dem Andenken Verstorbener (Art. 724), Tier58 M i t den Untergruppen (§§ 1 - 4) : Nichtbefolgen polizeilicher Verfügungen und aufrührerische u n d gefährliche Kundgebungen; Überwachung der M i t t e l zur Veröffentlichung; Überwachung bestimmter Gewerbe u n d öffentlicher Schaustellungen; Überwachung der Hausiergewerbe u n d Verhütung der Bettelei (Art. 650 - 671). 59 Sicherheit der Personen an Orten öffentlichen Durchgangsverkehrs odei i n Wohnungen (§ 1) ; Verhütung von Unglücksfällen i n gewerblichen U n t e r nehmungen oder beim Umgang m i t Explosivstoffen (§2) (Art. 672 - 681). 60 § § 1 - 6 : Vorbeugender Schutz der Geheimnisse; Verhütung des A l k o h o l mißbrauchs u n d der i m Zustand der Trunkenheit begangenen Verbrechen, der Verbrechen gegen den öffentlichen Glauben, gegen das Leben u n d die persönliche Unversehrtheit, gegen das Vermögen; Aufsicht über Geisteskranke, Minderjährige oder i n Gewahrsam gehaltene Personen (Art. 682 - 717). 61 A r t . 718 - 727. 62 A r t . 728 - 730. 63 A r t . 731 - 734 : Verletzung der Schulpflicht, unterlassene A n l e i t u n g M i n d e r jähriger zur Arbeit, Beschädigung von archäologischem, historischem oder künstlerischem Nationalvermögen, Zerstören oder Verunstalten von unter Naturschutz stehenden Stellen.
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quälerei (Art. 727), Schädigung archäologischen, historischen oder künstlerischen Nationalvermögens (Art. 733), auch Zerstörung von Naturschönheiten (Art. 734) u. a. m. Als ethisch indifferente Handlungen oder Unterlassungen lassen sich die Übertretungen nicht bezeichnen; dies zeigen etwa solche Tatbestände wie die Verwendung Minderjähriger zu Bettelei (Art. 671), die Ausgabe alkoholischer Getränke an Minderjährige oder Geisteskranke (Art. 689), der Mißbrauch der Leichtgläubigkeit des Volkes durch Täuschungen (Art. 661), die Handlungen gegen den Anstand i n der Öffentlichkeit (Art. 726), der Handel m i t Gegenständen, die den Anstand verletzen (Art. 725), die schon erwähnten Delikte der Gotteslästerung, der Tierquälerei usw. b) Der Allgemeine Teil des Übertretungsstraf
rechts
Die allgemeinen Bestimmungen des StGB gelten grundsätzlich sowohl für die Verbrechen als auch für die Übertretungen. Übertretungen sind wie Verbrechen nur bei Verschulden strafbar. Art. 42 Abs. 1 StGB bestimmt: „Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung, die vom Gesetz als strafbare Handlung (reato) vorgesehen ist, bestraft werden, wenn er sie nicht m i t Wissen und Wollen begangen hat." Dies gilt auch für Übertretungen. Jedoch enthält A r t . 42 Abs. 1 nicht etwa eine Definition des Vorsatzes; er besagt eigentlich überhaupt noch nichts über die Schuld, sondern lediglich, daß ein strafrechtlich erhebliches Verhalten erst vorliegt, wenn es wissentlich und willentlich (also m i t Handlungswillen) geschieht 64 . Die wissentliche und willentliche Tathandlung w i r d damit zur Voraussetzung jeder subjektiven Zurechenbarkeit, jedes strafrechtlichen Verschuldens gemacht. Über die eigentlichen Schulderfordernisse geben dann erst die Absätze 2 - 4 des A r t . 42 Auskunft, und Art. 43 definiert die einzelnen Schuldformen. Verbrechen sind nach A r t . 42 Abs. 2 grundsätzlich nur bei Vorsatz strafbar (wenn nicht das Gesetz die sogenannte Präterintentionalität oder die Fahrlässigkeit ausdrücklich genügen läßt). Abs. 4 bestimmt schließlich 65 über das Schulderfordernis bei Übertretungen folgendes: „Bei den Übertretungen ist jeder für seine wissentlich und willentlich vorgenommene Handlung oder Unterlassung, sei sie vorsätzlich oder fahrlässig, verantwortlich 6 6 ." Während der Handlungswille des A r t . 42 Abs. 1 sich nur auf die Tathandlung als solche bezieht, w i r d das eigentliche Verschulden (Vorsatz, Fahr64 Vgl. Codice, A r t . 42, A n m . 131; Saltelli/ Romano-di Falco , A r t . 42, A n m . 116 ff.; Antolisei, S. 260 ff., 266, 314 f.; Bettiol, S. 424 (psychologisches Band zwischen Tat u n d Täter, das erforderlich sei, u m die psychische Zugehörigkeit einer Tat zu einem handelnden Subjekt zu bestimmen). 65 Abs. 3 b e t r i f f t die sogenannte objektive Verantwortlichkeit. 66 Auch hieraus ergibt sich eindeutig, daß i n Abs. 1 nicht der Vorsatz gemeint, wissentliches u n d willentliches Handeln noch keine Vorsatztat ist.
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lässigkeit) i m Hinblick auf den deliktischen Erfolg gesehen. Daher bestimmt Art. 43 Abs. 1, daß beim vorsätzlichen Verbrechen „der schädigende oder gefährliche Erfolg, der das Ergebnis der Handlung oder Unterlassung ist und von dem das Gesetz das Bestehen des Verbrechens abhängig macht, vom Täter als Folge seiner Handlung oder Unterlassung vorausgesehen und gewollt" sein müsse. Zur fahrlässigen Begehung gehört, daß der „Erfolg, mag er auch vorausgesehen sein, vom Täter nicht gewollt ist und infolge von Nachlässigkeit, Unachtsamkeit, Unerfahrenheit oder Nichtbeachten von Gesetzen, Verordnungen, Befehlen oder Regeln eint r i t t " . Diese Begriffe von Vorsatz und Fahrlässigkeit gelten nach Abs. 2 des Art. 43 auch für die Übertretungen, doch kommt es auf die Unterscheidung zwischen ihnen nur an, wenn das Gesetz davon eine Rechtswirkung abhängig macht (Art. 43 Abs. 2). A r t . 42 Abs. 4 läßt zur Strafbarkeit der Übertretungen Fahrlässigkeit (sofern nicht Vorsatz ausdrücklich vorgeschrieben oder nur vorsätzliche Begehung möglich ist) genügen, erfordert sie aber auch 67 . Dies ist allerdings bestritten 6 8 . Die Schwierigkeit liegt wohl darin, daß alles Verschulden vom Gesetz auf einen schädlichen oder gefährlichen (deliktischen) Erfolg bezogen wird, ein solcher aber häufig nicht zum Tatbestand der Übertretungen gehört 6 9 . Daraus schließt ζ. B. Manzini , bei den Übertretungen genüge das wissentliche und willentliche Verhalten als solches ohne Nachweis eines (auf einen deliktischen Erfolg bezogenen) Verschuldens 70 . Indessen nimmt die überwiegende Meinung an, daß auch die Übertretungen nur bei schuldhafter (mindestens fahrlässiger) Begehung strafbar seien, da es eine objektive Verantwortlichkeit 67
Jedenfalls nach herrschender Meinung; siehe weiter unten. z.B. von Pannain, S. 473; Saltelli/Romano-di Falco , S. 267; Maggiore, I, S. 478; Gugl. Sabatini, Contravvenzioni, S. 59; E. Battaglini, Giust. pen. 1952 I I 792. 69 Vgl. dazu auch z. B. G. Battaglini, S. 255 f. Bei Erfolgseintritt liegt meist ein Verbrechen vor, z. B. Körperverletzung oder Tötung. — Von der Bezogenheit des Vorsatzes u n d der Fahrlässigkeit auf einen Deliktserfolg geht jedenfalls das Gesetz i n A r t . 42 u n d 43 aus. E i n großer T e i l der L i t e r a t u r folgt i h m darin nicht u n d bezieht Vorsatz u n d Fahrlässigkeit auf die Tat (Tatbestandserfüllung) i m ganzen. Daraus ergeben sich angesichts der Gesetzesfassung viele Zweifelsfragen — über den I n h a l t von Vorsatz u n d Fahrlässigkeit bei den erfolglosen Delikten (die es auch unter den Verbrechen gibt), die nähere Bestimmung des „Wissens u n d Wollens" der Handlung (des Handlungswillens) u n d dessen Unterscheidung v o m Vorsatz, die Definition des „Erfolges" i m Sinne des Gesetzes usw. —, zu denen hier n u r auf die zu A r t . 42 u n d 43 angeführte L i t e r a t u r verwiesen werden kann. — Die Übertretungen sind n u r zum T e i l erfolglose Delikte i m üblichen Sinne, wie schon die oben wiedergegebenen Beispiele zeigen. Das Gesetz scheint allerdings, worauf z. B. Bettiol, S. 429, hinweist, davon auszugehen, daß jede strafbare Handlung einen Erfolg habe (was aber Bettiol, a.a.O., m i t andern für falsch hält). Auch etwa i n Codice, S. 189, heißt es, die Übertretungen hätten immer einen Erfolg, m i t u n t e r sogar einen solchen i m engeren Sinne (Veränderung der Außenwelt). Es k o m m t eben darauf an, was man unter „Erfolg" verstehen w i l l . 70 I, S. 802. Vgl. aber auch folgende A n m . 71. 68
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j e d e n f a l l s als R e g e l n a c h d e m i t a l i e n i s c h e n S t G B n i c h t g e b e 7 1 . A r t . 42 A b s . 4 besagt d e m n a c h n i c h t , daß das V e r s c h u l d e n ü b e r h a u p t , s o n d e r n n u r die S c h u l d a r t g l e i c h g ü l t i g s e i 7 2 . Antolisei
b e t o n t , daß das w i s s e n t l i c h e
u n d w i l l e n t l i c h e V e r h a l t e n auch schuldlos geschehen k ö n n e 7 3 . M i t h i n u n t e r s c h e i d e n sich V e r b r e c h e n u n d Ü b e r t r e t u n g e n nach d e r heute vorherrschenden M e i n u n g i n Italien i n subjektiver Hinsicht dad u r c h , daß die e r s t e n g r u n d s ä t z l i c h n u r b e i V o r s a t z , die l e t z t e n h i n g e g e n i n d e r R e g e l schon b e i F a h r l ä s s i g k e i t s t r a f b a r sind. V i e l f a c h w i r d jedoch a n g e n o m m e n , e i n p o s i t i v e r V e r s c h u l d e n s n a c h w e i s sei n i c h t e r f o r d e r l i c h ; es b r a u c h e n u r b e w u ß t e s u n d g e w o l l t e s V e r h a l t e n d a r g e t a n z u w e r d e n 7 4 . 71 Vannini, S. 130; Fr. Alimena, Sc. pos. 1939, S. 202 ff.; Antolisei, S. 315; Bettiol, S. 454 f.; G. Battagline S. 255; Santaniello, S. 157 f.; Ranieri , I, S. 348; Grosso , S. 245; Conti , S. 230 ff.; Pagliaro , S. 306 f.; Codice, S. 188 (dort w i r d ausgeführt, daß auch bei sogenannten erfolglosen D e l i k t e n Fahrlässigkeit denkbar sei, indem der Täter nämlich die H a n d l u n g oder Unterlassung als solche, nicht jedoch deren Folgen gewollt habe); Angeloni, S. 52; Santoro , S, 419; Musotto, S. 185 f.; Cavallo , I I , S. 105, 106, 363 ff. (Wissen u n d Wollen der H a n d l u n g oder Unterlassung, mindestens Fahrlässigkeit hinsichtlich des Erfolges); u. a. — Auch Manzini verzichtet nicht auf das Mindesterfordernis der Fahrlässigkeit (die bei den erfolglosen Übertretungen freilich nicht auf einen D e l i k t s erfolg bezogen sein kann) ; aber er sieht sie offenbar regelmäßig schon m i t der willentlichen Übertretungshandlung gegeben (vgl. I, S. 803, 807). — Die H a l t u n g der Rechtsprechung ist nicht einheitlich, zum T e i l widersprüchlich. Manche Entscheidungen lassen die bloße W i l l e n t l i c h k e i t des Verhaltens genügen (ζ. B. Cass. 8. 11. 1954 Riv. pen. 1955 I I 657; 7. 3. 1957 Giust. pen. 1957 I I 733; 17. 6. 1958 Giust. pen. 1959 I I 477; 26. 10., 18. u n d 21. 12. 1964 Cass. pen. 1965 S. 354 Nr. 626, 627 u n d S. 584 N r . 1039; 22. 10. 1965 Cass. pen. 1966 S. 370 Nr. 515; 10. 7. 1967 Cass. pen. 1968 S. 695 N r . 1030; 28. 1. 1969 Cass. pen. 1970 S. 228 Nr. 266); andere nicht, sondern erfordern darüber hinaus Verschulden, wenigstens Fahrlässigkeit (z. B. Cass. 24. 3. 1955 Riv. pen. 1955 I I 873; 11. 6. 1957 Giust. pen. 1957 I I 900; 24. 6. 1957 Giust. pen. 1958 I I 51; 2. 4. 1960 Giust. pen. 1961 I I 432; 15. 1. 1964 Riv. pen. 1964 I I 879; 17. 3. u n d 11. 5. 1966 Cass. pen. 1967 S. 44 Nr. 24 u n d S. 226 Nr. 322; 30. 11. 1967 Cass. pen. 1968 S. 1052 Nr. 1607; 9. 5. 1968 Cass. pen. 1969 S. 612 N r . 925; 22. 3., 17. 4., 23. 5. u n d 24. 10. 1969 Cass. pen. 1970 S. 607 N r . 845, 846, S. 1139 N r . 1661 u n d S. 1476 Nr. 2187; 24. 1. u n d 11. 11. 1970 Cass. pen. 1971 S. 263 Nr. 265 u n d S. 1583 Nr. 2356; 21. 1. 1972 Mass. uff. 1972 S. 376 Nr. 120 458; 28. 2. 1972 Cass. pen. 1973 S. 480 Nr. 580). Vgl. auch u. A n m . 74. 72 Vgl. die i n A n m . 71 Zitierten. 73 S. 315. Z u r Strafbarkeit sei aber Verschulden nötig (ein schuldhafter Wille, w i e Angeloni, S. 50, hervorhebt, der mehr als das bloße Wollen — die bloße W i l l e n t l i c h k e i t — der H a n d l u n g oder Unterlassung erfordere). 74 Vgl. Antolisei, S. 315; G. Battagline S. 256; Ranieri , I, S. 348 f.; Santaniello , S. 157 f.; Conti, S. 232. D a m i t haben sich die Ansichten praktisch angenähert (abgesehen von der Frage der Entschuldigungsgründe) ; vgl. Manzini , I, S. 802 f., 806; Maggiore , I I , S. 1082; Cass. 4. 6. 1945 Riv. pen. 1945 S. 291; 28. 5. 1946 Riv. pen. 1946 S. 427: „Es genügt, daß die Z u w i d e r h a n d l u n g w i l l e n t l i c h u n d wissentlich geschieht, wobei die Nachforschung über ihre vorsätzliche oder fahrlässige N a t u r ohne Bedeutung ist." Cass. 11. 11. 1957 Giust. pen. 1958 I I 137; 22. 10. 1965 Cass. pen. 1966 S. 370 Nr. 515; 11. 5. 1966 Cass. pen. 1967 S. 44 N r . 24; 28. 4. 1969 Cass. pen. 1970 S. 1476 Nr. 2186; 10. 5.1972 Mass. uff. 1972 S. 1417 Nr. 122 647: „Es obliegt dem Beschuldigten zu beweisen, daß i h m nicht einmal Fahrlässigkeit vorgeworfen werden k a n n " (presunzione relativa d i colpevolezza).
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Der Schuldgrundsatz hat dann den Sinn, daß die Tat unter Umständen entschuldigt sein kann (aber mit einer A r t „Beweislast" beim Angeklagten) 75 . Wichtig w i r d hierbei häufig A r t . 5, wonach niemand sich zu seiner Entschuldigung auf Unkenntnis des Strafgesetzes berufen kann. Das grundsätzliche Genügenlassen fahrlässigen Verschuldens und die geringen Anforderungen an den Schuldnachweis werden damit begründet, daß die Normen des Strafgesetzes unbedingt eingehalten werden müßten 7 6 . M i t der Geringfügigkeit und Häufigkeit der Übertretungen vertrügen sich eingehende Untersuchungen der psychischen Tatseite nicht 7 7 . Manzini erläutert weiterhin, i m Bereich des Übertretungsstrafrechts werde der Mensch nicht als Einzelpersönlichkeit, sondern als Glied des sozialen Ganzen aufgefaßt und i h m daher mehr als sein tadelnswertes Verhalten selbst der ungünstige Zustand vorgeworfen, i n den seinetwegen das soziale Leben gerate. Daher sei kein Vorsatz, Übles zu tun, erforderlich, es genüge der Nachweis des Wollens der Tat, die die Zuwiderhandlung darstelle. Wer sich willentlich i n eine Lage begebe, i n der er gegen polizeiliche oder fiskalische Pflichten verstoßen könne, müsse dies auch verantworten 7 8 . Zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung und der praktischen Anwendbarkeit der Polizeivorschriften lege das Gesetz dem einzelnen eine strenge Pflicht zur Feststellung der Grenzen seiner Befugnisse und der Voraussetzungen seiner Tätigkeit auf. Unkenntnis der Vorschriften entschuldige daher nie, wenn der Betreffende die Möglichkeit hatte, sich zu unterrichten 7 9 . Der Versuch ist nur bei Verbrechen (Art. 56), Teilnahme hingegen auch bei Übertretungen (Art. 110 ff.) strafbar. Als Hauptstrafen für die Übertretungen sieht das Gesetz Haft (arresto, Art. 25) und Geldbuße (ammenda, A r t . 26) vor (Art. 17 Abs. 2). Beide sind nur Übertretungsstrafen. Bei Verbrechen gibt es anstelle der Geldbuße die Geldstrafe (multa). Die Dauer der Haftstrafe bewegt sich zwischen fünf Tagen und drei Jahren 8 0 , die Höhe der Geldbuße zwischen 800 und 400 000 Lire (Art. 26 Abs. I) 8 1 . Als Nebenstrafen für Übertretungen nennt A r t . 19 die 75 I m einzelnen ist hier vieles umstritten, insbesondere welche Umstände als Entschuldigungsgründe anzuerkennen, wie Rechtsirrtum u n d Tatsacheni r r t u m zu beurteilen seien usw. Vgl. dazu näher die angegebenen Schriftsteller sowie die Ubersicht bei Gius. Sabatini , S. 47 ff. Vgl. ferner Grosso, S. 244 ff. 76 Vgl. auch Maggiore , I, S. 478; I I , S. 1082 f. 77 Antolisei, S. 315. 78 I, S. 805. Siehe aber auch o. A n m . 71. 79 Manzini , I I , S. 34. 80 Gefängnis: 15 Tage bis zu 24 Jahren; A r t . 23. 81 Falls die Geldbuße i n dieser Höhe nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters u n w i r k s a m wäre, k a n n sie bis auf das Dreifache erhöht werden, A r t . 26 Abs. 2. Geldstrafe: 2 000 - 2 000 000 Lire, A r t . 24 (Art. 24 u n d 26 i. d. F. des Ges. v o m 12. J u l i 1961, Nr. 603, das auch alle i m StGB u n d i n den Nebengesetzen
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2. Teil:
echtsvergleichende Untersuchung
Untersagung der Berufsausübung (kein Berufsverbot, bei dem die behördliche Erlaubnis, die Befähigung usw. wegfallen) und die Veröffentlichung des Strafurteils. Das Gesetz kann aber i m Einzelfall auch die Nebenstrafen für Verbrechen androhen (Art. 19 Abs. 4). Für die Strafzumessung gelten dieselben gesetzlichen Regeln (Art. 61 ff., 132 ff.) 82 . Uneinbringliche Geldbußen werden i n Haft umgewandelt. Der Rückfall hat auch bei Übertretungen eine Straferhöhung zur Folge (Art. 99). Doch braucht der Richter, wenn es sich nicht um gleichartige Delikte handelt, die Rückfall Vorschriften nicht anzuwenden (Art. 100, 101). Der Rückfall ändert nicht die Deliktsnatur. Die Feststellung der Gewohnheits- oder Gewerbsmäßigkeit (Art. 104) zieht die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach sich (Art. 109). Zum Hangverbrecher kann jedoch ein Übertreter nicht erklärt werden (Art. 108). Sicherungsmaßnahmen (Art. 199 ff.) gegen Übertreter stellen aber, obwohl sie, wenn auch m i t gewissen Abweichungen von der allgemeinen Regel, verhängt werden können, praktisch Ausnahmen dar, da die Voraussetzungen selten erfüllt sind 8 3 . Bedingte Strafaussetzung (Art. 163 ff.), Straferlaß, Begnadigung (Art. 174) und Amnestie (Art. 151) sind auf Übertretungen anwendbar. Die strafrechtliche Handlungsfähigkeit der juristischen Person lehnt A r t . 197 StGB für den gesamten Bereich des Straf rechts ab. Manche (meist ältere) Nebengesetze richten allerdings ihre Strafdrohungen gelegentlich auch gegen juristische Personen, so ζ. B. das Gesetz über Maße und Gewichte vom 23. August 1890, Nr. 7088 (Art. 31 Abs. 2). Diese Ausnahmen stoßen i n der Literatur auf zum Teil scharfe K r i t i k 8 4 . Viele der angegriffenen Vorschriften gelten heute nicht mehr. Statt der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der juristischen Person oder einer natürlichen Person für eine fremde Tat kennt das StGB eine (zivilrechtliche) Haftung der juristischen oder natürlichen Person für die Zahlung der gegen einen andern wegen einer Übertretung verhängten Geldbuße (Art. 196, 197 StGB). A r t . 196 Abs. 1 macht die Gewalthaber und die m i t der Leitung oder Überwachung anderer betrauten Personen für die Zahlung der Geldbußen haftbar, zu denen die unter ihrer Gewalt, — ausgenommen den Abgabengesetzen u n d den nach dem 21. Oktober 1947 erlassenen Gesetzen — angedrohten Geldstrafen u n d Geldbußen — sofern sie nicht Proportionalstrafen sind — auf das Vierzigfache ihres ursprünglichen B e trages erhöht hat). 82 Gewinnsucht k a n n jedoch n u r bei Verbrechen neben der angedrohten Freiheitsstrafe noch eine Geldstrafe nach sich ziehen (Art. 24 Abs. 2 StGB). 83 Angeloni, S. 113. 84 Besonders Manzini n i m m t gegen sie Stellung (I, S. 546). Soweit sie i n V e r ordnungen enthalten sind, erkennt er sie überhaupt nicht an, da durch die Verordnung kein gesetzlicher Grundsatz geändert werden könne. I m übrigen ist die Lehre der Ansicht, daß nach geltendem Recht n u r natürliche Personen strafrechtlich verantwortlich sein können (vgl. z. B. Antolisei, S. 464 f.).
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Leitung oder Überwachung Stehenden wegen Übertretung solcher Bestimmungen verurteilt worden sind, deren Einhaltung ihnen selbst oblag, sofern sie die Übertretung nicht strafrechtlich zu verantworten haben. Der Mithaftende ist verpflichtet, bei Zahlungsunfähigkeit des Verurteilten eine dem Betrag der Buße gleiche Geldsumme zu zahlen. K a n n er dies nicht, so muß der Verurteilte eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen (Art. 196 Abs. 2). Gegen den Dritthaftenden kann keine Umwandlungsstrafe verhängt werden 8 5 . — Dieselbe Verpflichtung t r i f f t die juristische Person (mit Ausnahme des Staates, der Provinzen und der Gemeinden) hinsichtlich der gegen ihre Vertreter oder Geschäftsführer oder die zu ihr i n einem Abhängigkeitsverhältnis stehenden Personen wegen einer Verletzung der ihnen auf Grund ihrer Stellung obliegenden Pflichten verhängten Geldbußen (Art. 197 Abs. 1). Bei Nichterfüllung dieser Zahlungsverpflichtung t r i f f t auch hier den Verurteilten eine Ersatzfreiheitsstrafe (Haft, A r t . 197 Abs. 2). Von der Haftung der juristischen Person sind die juristischen Personen des öffentlichen Rechts m i t Ausnahme der genannten Gebietskörperschaften nicht ausgenommen 86 . Diese subsidiäre Haftung für die Zahlung der von einem Dritten verwirkten (bei diesem aber uneinbringlichen) Geldbuße gilt als zivilrechtliche Verantwortlichkeit, nicht als kriminelle Bürgschaft 87 . M i t dieser Konstruktion wollte man die rechtspolitischen Ziele des alten Art. 60 (StGB 1889) ereichen, ohne sich m i t den Grundsätzen strafrechtlicher Verantwortlichkeit i n Widerspruch zu setzen. I n der Literatur w i r d sie jedoch kritisiert: Sie füge dem Strafrecht ein „zwitterhaftes und nicht zu rechtfertigendes" Gebilde ein und sei daher genau so tadelnswert wie der alte A r t . 60 88 . Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit w i r d m i t einer (vermuteten) Fahrlässigkeit (die aber nur zivilrechtlicher A r t sei) begründet 89 . Nach der Absicht des Gesetzgebers sollte die subsidiär haftende natürliche oder juristische Person Bürge sein 90 , die nicht die Buße selbst, sondern nur eine 85 A r t . 60 des StGB von 1889 kannte dagegen die echte strafrechtliche (stellvertretende) Verantwortlichkeit f ü r fremde Tat. 86 Grund: Sie übten nicht eigentliche Staatsfunktionen aus, u n d es solle eine Überwachung ihrer Funktionäre u n d abhängigen Personen angeregt werden ( Manzini , I, S. 825). 87 Manzini , I, S. 812 ff., 815 f. 88 Manzini , I, S. 813; überdies habe das StGB diese Rechtsfigur dem Finanzrecht entliehen (a.a.O., A n m . 2). 89 Manzini , I, S. 814. E i n Entlastungsbeweis ist nicht möglich, da es sich u m eine praesumptio j u r i s et de jure „hinsichtlich der Nachlässigkeit bei der Sorge für das Einhalten gesetzlicher Vorschriften" (negligenza nel fare osservare date norme d i legge) handele (so Bettiol , S. 813). 90 L a v o r i preparatori. Relazione ministeriale, Bd. V la, S. 242: „Die Verantwortlichkeit ist zivilrechtlicher A r t , w i r d bürgschaftsmäßig bestimmt u n d bleibt auf Übertretungen beschränkt."
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Geldsumme i n ihrer Höhe zu zahlen habe. Damit glaubte man, nicht vom Schuldgrundsatz abzuweichen 91 . I n der Lehre w i r d die zivilrechtliche Verantwortlichkeit als subsidiäre und eventuelle vermögensrechtliche Verbindlichkeit m i t Suspensivbedingung angesehen, die eine Garantiehaftung für die Erfüllung der Strafleistung des Verurteilten darstelle 92 . Ähnliche Vorschriften sind vor allem i n Finanzgesetzen, aber auch i n andern strafrechtlichen Nebengesetzen enthalten. I m Zollgesetz von 1940 (Art. 136) und i m Gesetz über das Salz- und Tabakmonopol von 1942 (Art. 105) w i r d das Institut sogar bei Geldstrafe wegen Konterbande (Verbrechen) angewendet. Der Dritthaftende ist (sofern das Gesetz nichts anderes bestimmt) Partei i m Strafverfahren mit denselben Rechten wie der Angeklagte (Art. 123 StPO). Das Erlöschen der strafbaren Handlung oder der Strafe beseitigt auch die zivilrechtliche Haftung für die Zahlung der Buße (Art. 198 StGB). c) Das Verfahren
bei Übertretungen
Auch bei Übertretungen findet ein gerichtliches Verfahren statt, das ein normales Strafverfahren darstellt, auf das grundsätzlich die allgemeinen Prozeßvorschriften anzuwenden sind 9 3 . Nur i n Einzelheiten ergeben sich auf Grund der Einfachheit und geringen Bedeutung der meisten Ubertretungssachen gewisse Abweichungen. Vor 1865 waren die Verwaltungsgerichte zur Aburteilung der Polizeiund Fiskalübertretungen zuständig. Das Gesetz über das Verwaltungsstreitverfahren vom 20. März 1865, Nr. 2248 (Art. 1, 2), wies die Bestrafung aller Übertretungen den ordentlichen Gerichten zu. Nach der geltenden StPO von 1930 (codice di procedura penale vom 19. Oktober 1930)94 kommen die Übertretungen vor den Amtsrichter (pretore) (Art. 31 Abs. 1 StPO) 95 , der aber nicht ausschließlich Übertretungsrichter, sondern zur Ahndung aller strafbaren Handlungen zuständig ist, die mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, allein oder i n Verbindung miteinander, bedroht sind. Das Verfahren ist auch hier ein vom Legalitätsgrundsatz beherrschtes Offizialverfahren 96 . Die Anklage w i r d i n der 91
Manzini , I, S. 813 f. Manzini , I, S. 816. 93 Als strafbare Handlungen unterliegen die Übertretungen auch i m formellen Strafrecht grundsätzlich denselben Regeln w i e die Verbrechen (Angeloni, S. 339, 340). 94 R. D. v o m 19. Oktober 1930, N r . 1399. Das Gesetz ist mehrfach geändert worden. 95 Die wahlweise A n k l a g e v o r dem Landgericht nach A r t . 31 Abs. 2 StPO ist verfassungswidrig (Corte Cost. 3. - 7. 7. 1962 Nr. 88 Giur. Cost. 1962 S. 959). 96 Maggiore , I I , S. 1087. Das Vorverfahren f ü h r t der Amtsrichter selbst. 92
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Hauptverhandlung vor dem Amtsrichter von Referendaren, Vizeamtsrichtern, bestimmten Polizeibeamten oder bei deren Verhinderung vom Bürgermeister, der sich seinerseits vom Vizebürgermeister oder einem Gemeindebediensteten vertreten lassen kann, und bei Wegfall auch dieser Personen von einem Rechtsanwalt vertreten 9 7 . Der Amtsrichter kann i n den Fällen seiner Zuständigkeit, wenn nur auf eine Geldstrafe oder Geldbuße erkannt werden soll, einen Strafbefehl erlassen (Art. 506 StPO), gegen den Einspruch zulässig ist, der eine mündliche Verhandlung vor dem Amtsrichter zur Folge hat (Art. 510 StPO), nach deren Abschluß der Amtsrichter durch Urteil entscheidet, ohne dabei an das Verbot der Schlechterstellung gebunden zu sein (Art. 510 Abs. 2 Satz 2 StPO). Das Strafbefehlsverfahren ist nicht auf Übertretungen beschränkt, aber insbesondere für sie bestimmt 9 8 . Auch die Verurteilungen wegen Übertretungen werden grundsätzlich i n das Strafregister aufgenommen. Nicht eintragungsfähig sind jedoch Urteile und Straf befehle wegen solcher Übertretungen, bei denen eine freiwillige Zahlung gegenüber dem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde zugelassen ist, sofern nicht bedingte Strafaussetzung gewährt wurde (Art. 604 StPO). d) Die Abwendung der Bestrafung durch freiwillige
Zahlung
M i t der freiwilligen gerichtlichen oder außergerichtlichen Zahlung (oblazione volontaria giudiziale e amministrativa) leistet der Übertreter eine vom Gesetz oder einer Verwaltungsbehörde bestimmte Geldsumme unter Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Formen und Fristen und bringt damit die strafbare Handlung zum Erlöschen. Dieses Rechtsinstitut, das als eine A r t Ablaßzahlung bezeichnet werden könnte, war schon i m Gesetz über die Verbrauchssteuern vom 28. J u l i 1861 und dann i m Kommunal- und Provinzialgesetz von 1865 enthalten und bekam einen größeren Anwendungsbereich, als man den Verwaltungsgerichten das Übertretungsverfahren entzog und es der ordentlichen Strafrechtspflege zuwies. Es galten nunmehr die strengen Grundsätze der gerichtlichen Strafverfolgung, denen gegenüber man aber nicht auf ein geeignetes M i t t e l verzichten wollte, das Verfahren i n geringfügigen Fällen, bei 97
Siehe näher A r t . 72 ordinamento giudiziario. A n Stelle des Amtsrichters ist bei manchen A r t e n von Übertretungen ausnahmsweise ein anderer Richter zuständig, so bei militärischen Übertretungen das Militärgericht. — Das Verhängen von Geldbußen bei Finanzübertretungen durch den Finanzamtsvorsteher nach A r t . 21 des Ges. v o m 7. Januar 1929, Nr. 4, u n d bei Schiffahrtsübertretungen durch den Hafenkommandanten nach A r t . 1238 des Ges. v o m 30. März 1942, Nr. 327, ist wegen fehlender Unabhängigkeit der genannten Personen verfassungswidrig (Corte Cost. 27. 3. - 3. 4. 1969 Nr. 60 Giur. Cost. 1969 S. 971; Corte Cost. 9. 7. 1970 Nr. 121 Giur. Cost. 1970 S. 1513. 98
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denen nur eine Geldstrafe in Betracht kam, schnell abzuwickeln". Die freiwillige Zahlung bot neben großer Kosten- und Arbeitsersparnis sowie schnellem Abschluß des Verfahrens noch den Vorteil, daß der Fiskus rasch und sicher i n den Besitz der zu erwartenden Geldstrafe gelangte 100 . Nach den Verwaltungsgesetzen (strafrechtlichen Nebengesetzen) war die Verwaltung zur Entgegennahme der freiwilligen Zahlung zuständig. Über mehrere Entwürfe kam sie dann i n das StGB 1889 (Art. 101) und von da i n das StGB 1930 (Art. 162). Es gibt m i t h i n eine vor Gericht und eine vor der Verwaltung zu leistende freiwillige Zahlung. Sie ist nach Art. 162 StGB bei allen nur m i t Geldbuße 101 bedrohten Übertretungen zulässig 102 . Der Übertreter hat das Recht, vor Eröffnung der Hauptverhandlung oder vor Erlaß des Strafbefehls eine Summe i n Höhe eines Drittels der angedrohten Höchststrafe und die Kosten des Verfahrens zu zahlen. Das Gericht kann weder die Annahme der freiwilligen Zahlung ablehnen noch die Höhe der zu zahlenden Summe anderweit festsetzen. Rückfällige, gewohnheits- und gewerbsmäßige Verbrecher und Übertreter sind von der freiwilligen Zahlung nicht ausgeschlossen 1 0 3 . Die strafrechtlichen Nebengesetze regeln Voraussetzungen und Durchführung der freiwilligen Zahlung häufig abweichend vom StGB 1 0 4 . I n ihrem Anwendungsbereich haben vielfach die zuständigen Verwaltungsbehörden die freiwillige Zahlung entgegenzunehmen; zuweilen steht ihnen dabei das Recht zur Festsetzung der zu zahlenden Summe innerhalb gewisser Grenzen, i n seltenen Fällen auch die Befugnis zu, über Annahme oder Ablehnung des Gesuchs um Gewährung der Rechtswohltat nach Ermessen zu entscheiden. Die Befugnis zur freiwilligen Zahlung ist ein subjektives öffentliches Recht des einzelnen 105 , die strafrechtliche Klage zum Erlöschen zu bringen und die strafbare Handlung zu tilgen. Durch seine Ausübung wandelt sich das strafbare Unrecht i n ein bloß verwaltungswidriges Unrecht (mero 99
Manzini , I I I , S. 596 f. Manzini sagt, sie sei eine den Bedürfnissen des modernen Staates angeglichene junge Erscheinung ( I I I , S. 596). 101 D i e frühere Beschränkung auf eine bestimmte Höhe (1889: 300 L i r e ; 1930: 10 000 Lire) ist weggefallen. 102 Nebengesetze können aber ihre Ausdehnung auf Verbrechen gestatten: so geschehen ζ. B. i n A r t . 141 des Zollges. v o m 25. September 1940, Nr. 1424, u n d i n A r t . 110 des Ges. über das Salz- u n d Tabakmonopol v o m 17. J u l i 1942, N r . 907 (Schmuggel; hier „ k a n n " die Behörde die f r e i w i l l i g e Z a h l u n g einräumen, m i t deren Leistung die strafbare H a n d l u n g „erlischt"). 103 Dies k r i t i s i e r t Manzini ( I I I , S. 598). 104 Siehe die Übersicht bei Angeloni, S. 354 ff. 105 Außer, w e n n die Verwaltungsbehörde das Gesuch zurückweisen darf ( Manzini , I I I , S. 602). 100
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torto amministrativo); die Tat verliert ihren Deliktscharakter 1 0 6 . Die gezahlte Geldsumme w i r d als bloße Verwaltungssanktion angesehen 107 . Ihre Zahlung hat nach der herrschenden Lehre nicht die Rechtsnatur eines Vergleichs m i t der Verwaltung und ist auch keine freiwillige Strafvollstreckung oder freiwillige Unterwerfung, sondern ein einseitiges Rechtsgeschäft, das der Private gegenüber der Verwaltung oder dem Gericht vornimmt 1 0 8 . M i t der freiwilligen Zahlung verzichtet der Private auf die gerichtlichen Garantien eines Strafverfahrens und erkennt seine Verantwortlichkeit an. Der Staat verzichtet dafür auf seinen Strafanspruch und läßt die strafbare Handlung getilgt sein. (Sie gilt nur noch als bloßes verwaltungswidriges Unrecht.) Dies trägt i n erster Linie ökonomischen und fiskalischen Interessen des Staates Rechnung 109 . Die objektive Augenscheinlichkeit der Übertretung und die subjektive Anerkennung der Verantwortlichkeit sollen weitere Aufklärungsmaßnahmen überflüssig machen. Die Durchführung eines ordentlichen gerichtlichen Verfahrens m i t seinen Garantien für eine gerechte Entscheidung w i r d nicht mehr für i m öffentlichen Interesse erforderlich gehalten, wenn der einzelne auf diese Garantien verzichtet 1 1 0 . Bei der Übertretung gewisser Verkehrsvorschriften 1 1 1 sowie verschiedener Bestimmungen des Steuerrechts 112 kann eine sofortige 113 freiwillige Zahlung zu Händen eines einziehungsberechtigten Beamten geleistet werden (oblazione i n via breve). Die Höhe dieser Zahlung ist jeweils gesetzlich festgelegt. I I . Die pena pecuniaria Da der Begriff des Strafrechts nur formal, d. h. nach der Rechtsfolge (der Strafe) zu bestimmen sei 1 , nimmt man an, daß das Problem des Ver106 So die italienische Auffassung, z.B. Manzini, I I I , S. 602 f.; Angeloni, S. 349. Vgl. auch den Ministerialbericht zum Entwurf des StGB 1930 (Lavori preparatori. Relazione ministeriale, Bd. V la, S. 214): „ Z u den Gründen der Tilgung der Straftat gehört die freiwillige Zahlung, die die charakteristische W i r k u n g hervorruft, das strafrechtliche Unrecht i n ein administratives Unrecht umzuwandeln." 107 Manzini, I I I , S. 604. 108 Manzini, I I I , S. 605 f.; Saltelli!Romano-di Falco, I I , S. 733; Rastello, S. 58. 109 Manzini, I I I , S. 604. 110 Manzini, I I I , S. 604. 111 D. P. R. v o m 15. J u n i 1959, Nr. 393 (Straßenverkehrsordnung), A r t . 138; D. P. R. v o m 30. J u n i 1959, Nr. 420 (Ausführungsverordnung dazu), A r t . 599. 112 Ges. v o m 7. Januar 1929, Nr. 4, A r t . 13. 113 d. h. bei der Feststellung der Übertretung vorzunehmende. 1 Gugl. Sabatini, Contravvenzioni, S. 30; Manzini, I, S. 117 ff.; Gius. Sabatini, S. 9 ff.; Grispigni, S. 121, 139; Bettiol , S. 217 f.; Pannain, S. 16 f f.; Antolisei, S. 7 f., 123 f.; Nuvolone, S. 15 ff.; h. M. Als (Kriminal-)Strafen gelten dabei die i m StGB vorgesehenen u n d von Justizorganen verhängten Strafen. A u f derselben L i n i e liegt es, wenn Cavallo (der von jener Ansicht abweicht) meint, die
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waltungsstrafrechts lediglich da auftauche, wo auf eine Zuwiderhandlung gegen Verwaltungsvorschriften Strafe angedroht ist 2 . I n diesem Falle handelt es sich, wie bereits dargelegt, u m echtes Strafrecht, und eine Ausgliederung eines sogenannten Verwaltungsstrafrechts kommt nicht i n Betracht. Das strafrechtliche Unrecht verschwindet nach italienischer Auffassung jedoch, wenn die Rechtsfolge nicht mehr als Strafe, sondern etwa als bloß verwaltungsmäßige Sanktion gilt 3 . Dann ist der Weg frei zur Annahme eines nur verwaltungswidrigen Unrechts m i t einer verwaltungsmäßigen Folge. Dieser Weg ist zuerst m i t der pena pecuniaria beschritten worden, die das Gesetz vom 7. Januar 1929, Nr. 4, über die Bestrafung der Finanzdelikte 4 , i n das Fiskalstrafrecht eingeführt hat und die auch vom Gesetz über die staatlichen Konzessionen durch R. D. vom 26. März 1936, Nr. 14185, übernommen wurde. Diese Gesetze unterscheiden die Geldstrafe und die Geldbuße von der sogenannten pena pecuniaria. Die pena pecuniaria soll eine Verwaltungsmaßnahme und keine Strafe sein. Das Gesetz erklärt, die Verpflichtung zur Zahlung der pena pecuniaria trage zivilrechtlichen Charakter (Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes von 1929). Damit soll aber nur die nichtstrafrechtliche Natur dieser Sanktion klargestellt werden 6 . Der Übertreter erscheine i n solchen Fällen nicht als strafrechtlicher Täter, sondern als ein gegenüber der öffentlichen Verwaltung rechtlich verpflichtetes Subjekt, das diese seine Pflichten nicht erfülle und infolgedessen Sanktionen entsprechend denen des privaten Rechts (Verwaltungsmaßnahmen) erhalte 7 . Die Strafe soll dann den schwereren Taten vorbehalten bleiben 8 . — Diese Unterscheidung ist begrüßt worden 9 . Nach der Meinung Manzinis sollte überhaupt die Zahl strafbare H a n d l u n g unterschiede sich v o n anderem Unrecht dadurch, daß sie gegen eine strafrechtliche Vorschrift verstoße (II, S. 41 f.; vgl. auch I, S. 157 ff.). F ü r Pagliaro , S. 11 f., ist die N o r m das logische Prius. 2 Gugl. Sabatini, Istituzioni, S. 67; Maggiore, I, S. 35. 3 Vgl. auch die zuvor besprochene f r e i w i l l i g e Zahlung. 4 Es w i r d ergänzt durch das R. D. v o m 24. September 1931, Nr. 1473. 5 Jetzt D. P. v o m 1. März 1961, N r . 121 (testo unico). 6 Manzini, I, S. 144, A n m . 1; Gius. Sabatini, S. 13; Rastello, S. 25, 183 ff., 201 ff. („Verwaltungssanktion"). U n t e r „nichtstrafrechtlicher N a t u r " (der angeblichen Verwaltungsmaßnahme) ist die Nichtzugehörigkeit der pena pecuniaria zu den Strafen des StGB zu verstehen. Sie hindert nicht, daß der pena pecuniaria i m übrigen ein repressiver Charakter (materiell die Rechtsnatur einer Strafe, die jedoch i n ihrer Ausgestaltung v o n denen des StGB i n gewisser Hinsicht abweicht) zuerkannt w i r d . Siehe dazu weiter unten i m Text. 7 Manzini meint ( I X 2, S. 754), die verletzten Vorschriften dienten nicht dem Schutz eines polizeilichen (oder sonst öffentlichen) Interesses, daher könne die Sanktion zusätzlich zu einer etwa v e r w i r k t e n Strafe verhängt werden (zweifelhaft, vgl. Rastello, S. 191). 8 Manzini, I, S. 120, 830. 9 Manzini, a.a.O.; Gugl. Sabatini, Istituzioni, S. 67 f.; derselbe, Contravvenzioni, S. 31 ff.
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der als Übertretungen strafbaren geringfügigen Delikte vermindert, das „strafbare" Unrecht i n diesen unbedeutenden Fällen durch ein „bloß verwaltungs widriges" ersetzt werden und an die Stelle der Strafe eine Verwaltungssanktion nach A r t der Sanktionen des Privatrechts treten 1 0 . Jedoch blieb die nur verwaltungsmäßige Sanktion auf Fiskalgesetze beschränkt und scheint auch keine Tendenz zu weiterer Ausdehnung zu zeigen. Aber auch zwischen diesem bloß verwaltungswidrigen und dem strafbaren Unrecht kann kein wesentlicher Unterschied gefunden werden; sie lassen sich allein nach der A r t der angedrohten Sanktion trennen 1 1 . Die Richtigkeit dieser Auffassung folgert man auch daraus, daß A r t . 2 des R. D. vom 24. September 1931, Nr. 147312, beide Unrechtsarten bei den durch die Finanzgesetze schon früher unter Strafe gestellten Taten nach der Höhe der angedrohten Strafe abgrenzt. Z u den m i t pena pecuniaria bedrohten Zuwiderhandlungen gehören vielfach unterlassene oder nicht rechtzeitige Anmeldungen, Anzeigen oder Erklärungen, Nichtzahlung der vorgeschriebenen Gebühren vor der Ausführung von Handlungen oder der Ausübung von Rechten usw., selbst manche disziplinarischen Verstöße. Infolge der erwähnten Besonderheit der „zivilen" Geldstrafe richtet sich ihre Verhängung auch nicht immer nach den für die kriminelle Geldstrafe bzw. Geldbuße geltenden Vorschriften. Bei mehreren Beteiligten w i r d nur eine pena pecuniaria verhängt, für die sie alle gesamtschuldnerisch haften (Art. 11 des Gesetzes von 1929). I n den Fällen, i n denen sonst eine zivilrechtliche Haftung Dritter (natürlicher oder juristischer Personen) für die Zahlung der Geldbuße eintritt, sind diese Dritten gesamtschuldnerisch m i t dem unmittelbar Zuwiderhandelnden zur Zahlung der pena pecuniaria verpflichtet (Art. 12 a.a.O.). Die Geldsanktionen können auch unmittelbar gegen juristische Personen verhängt werden. Mitunter kommen sogar solche Sanktionsandrohungen eigens gegen die juristische Person vor. Bei mehrfachem Verstoß gegen dieselbe Vorschrift gilt das Kumulationsprinzip (Art. 8 Abs. 1 a.a.O.). Die Verhängung einer pena pecuniaria kann (wie die einer Geldbuße) durch freiwillige Zahlung 10 a.a.O. Das Gesetz v o m 29. Januar 1929 habe einen Versuch i n dieser Richtung unternommen m i t der etwas w i l l k ü r l i c h e n u n d w i r r e n Unterscheidung von Geldstrafe u n d Geldbuße einerseits sowie der „zivilen" pena pecuniaria andererseits. — Auch dieser Meinung Manzinis liegt die Vorstellung zugrunde, daß zwischen dem strafbaren u n d dem bloß verwaltungswidrigen Unrecht kein materieller Unterschied besteht, das eine sich vielmehr i n das andere durch bloße Änderung der Sanktion umwandeln läßt. 11 Gugl. Sabatini , Istituzioni, S. 67. Dies entspricht der o. S. 365 bei A n m . 1 angegebenen Auffassung der italienischen Lehre. 12 Disposizioni per i l coordinamento della legge 7 gennaio 1929, η. 4, con le singole leggi finanziarie.
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abgewehrt werden. Eine U m w a n d l u n g i n Freiheitsstrafe ist nicht statth a f t ( A r t . 6 R. D . 1931), d a f ü r j e d o c h d i e V o l l s t r e c k u n g gegen d i e E r b e n 1 3 . D e r N a c h f o l g e r i n e i n U n t e r n e h m e n h a f t e t f ü r b e s t i m m t e , gegen seinen Vorgänger verhängte Geldsanktionen gesamtschuldnerisch m i t
diesem
( A r t . 19 A b s . 1 des Gesetzes v o n 1929). Das V e r f a h r e n i s t e i n reines V e r w a l t u n g s v e r f a h r e n ,
das s c h r i f t l i c h
u n t e r S i c h e r u n g des r e c h t l i c h e n Gehörs des B e s c h u l d i g t e n v o r sich g e h t ( A r t . 55 a.a.O.). G e g e n die V e r f ü g u n g des F i n a n z a m t s v o r s t e h e r s h a t der Ü b e r t r e t e r d i e M ö g l i c h k e i t des Rekurses a n d e n F i n a n z m i n i s t e r 1 4 , d e r e n d g ü l t i g entscheidet ( A r t . 56 A b s . 1, 57, 58 a.a.O.) 1 5 . M i t h a f t e n d e d r i t t e P e r s o n e n h a b e n d i e s e l b e n Rechte w i e d e r B e s c h u l d i g t e selbst ( A r t . 59 a.a.O.). B e d i n g t e r S t r a f a u f s c h u b i s t b e i r e i n
finanzwidrigem
U n r e c h t aus-
geschlossen 1 6 . S t r a f e u n d V e r w a l t u n g s s a n k t i o n k ö n n e n i n d e r R e g e l u n a b h ä n g i g v o n e i n a n d e r f ü r dieselbe T a t v o n d e r j e w e i l s z u s t ä n d i g e n I n stanz v e r h ä n g t w e r d e n 1 7 . 13 Manzini, I, S. 145; dagegen aber (auf G r u n d des Strafcharakters der pena pecuniaria) Rastello, S. 69,178 f., 213 ff. 14 A b e r n u r bei Zuwiderhandlungen, auf die pena pecuniaria v o n mehr als 50 000 L i r e angedroht ist (Art. 56 Abs. 2 des Ges. v o n 1929 i. d. F. des D. P. R. v o m 4. Februar 1955, N r . 72, A r t . 14). Die Gesetze können eine andere Beschwerdesumme festsetzen; so beträgt sie nach A r t . 52 Legge dell'imposta generale sull'entrata v o m 19. J u n i 1940, N r . 762 (i. d. F. des D. P. R. v o m 4. Feb r u a r 1955, A r t . 15), 600 000 Lire. 15 Die E n d g ü l t i g k e i t der Entscheidung des Ministers nach A r t . 58 des Ges. v o n 1929 bezieht sich n u r auf das Verwaltungsverfahren (den Verwaltungsinstanzenzug), schließt aber nicht den Rechtsweg aus. Soweit einzelne Finanzgesetze die A n r u f u n g der Gerichte ausdrücklich unterbunden haben, ist sie n u n m e h r durch A r t . 113 der Verfassung v o m 17. Dezember 1947 ermöglicht. Die Entscheidung des Ministers k a n n vor den ordentlichen Gerichten wegen Verletzung eines subjektiven Rechts des Staatsbürgers auf G r u n d v o n A r t . 2 des Ges. über das Verwaltungsstreitverfahren v o m 20. März 1865, Nr. 2248, angefochten werden, die sie i n rechtlicher u n d tatsächlicher Hinsicht auf ihre Rechtmäßigkeit nachzuprüfen haben, ohne sie jedoch aufheben oder ändern zu können (Cass., Sezioni unite, 20. 1. 1936 Giur. it. 1936 I 1 Sp. 59; 30. 7. 1953 Nr. 2594 Giur. it. 1954 I 1 Sp. 151; Consiglio d i Stato, Adunanza plenaria, 13. 7. 1954 Nr. 22 Giur. it. 1955 I I I Sp. 17 gegen 25. 9. 1953 Nr. 780 Giur. it. 1954 I I I Sp. 17; Rastello, S. 138 ff.; Secchi, S. 251 f.; Malinverni, S. 25; unter Z u r ü c k weisung der v o n andern vertretenen Meinung, daß die Verhängung der pena pecuniaria durch die Verwaltungsbehörden Ausübung des Verwaltungsermessens sei, die von den ordentlichen Gerichten nicht nachgeprüft werden könne). Der Ausspruch der Verwaltungssanktion steht unter dem Legalitätsprinzip. Das Opportunitätsprinzip w i r d ausdrücklich abgelehnt (Cass., Sezioni unite, 30. 7. 1953 Nr. 2594 Giur. it. 1954 I 1 Sp. 151). Außer gegen die Entscheidung des Ministers soll der Rechtsweg auch schon gegen die des Finanzamtsvorstehers eröffnet sein (Rastello, Malinverni, a.a.O.; Gallo, S. 265; h. M.). Verschiedene Gesetze lassen ausdrücklich die Anfechtung der Strafverfügungen des Finanzamtsvorstehers u n d des Finanzministers v o r den ordentlichen Gerichten ( Z i v i l gerichten) zu; vgl. z. B. A r t . 52 Abs. 2 des Ges. v o m 19. J u n i 1940 (siehe vorige Anm.). 16 17
Manzini, Manzini,
I I I , S. 631 f. X , S. 264, 635 f. Vgl. aber o. S. 366, A n m . 7.
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Nach der bisherigen Darstellung hat es zwar den Anschein, als sei die pena pecuniaria auch materiell eine reine Verwaltungsmaßnahme. Das Gesetz erkennt ihr offenbar ausdrücklich die Rechtsnatur einer Strafe ab, und i n Rechtsprechung und Literatur führt die Annahme, die Umwandelbarkeit i n eine Freiheitsstrafe sei ein wesentliches Merkmal der Geldstrafe und des strafbaren Unrechts der m i t ihr bedrohten Handlungen 1 8 , zum selben Ergebnis. Demgegenüber w i r d aber immer wieder mit mehr oder weniger Nachdruck auf den (Sanktions-, Sühne- und damit) materiellen Strafcharakter der pena pecuniaria hingewiesen 19 . Rastello bezeichnet sie als eine nach der Absicht des Gesetzgebers „wahre und eigentliche Sanktion, sowohl i n materiell-rechtlicher als auch i n prozessualer Hinsicht", „die nach dem Muster unserer Strafrechtsordnung gestaltet ist" 2 0 . Ihre Verhängung sei Ausübung der Strafgewalt des Staates, die den allgemeinen Vorschriften des StGB unterliege, soweit das Gesetz von 1929 nichts anderes bestimme (Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes), und dieses Gesetz selbst ein Zweig des staatlichen Strafrechts 21 . Man erkennt, daß die pena pecuniaria dieselbe Funktion wie die Geldstrafe hat und i m wesentlichen nach denselben Grundsätzen wie diese angedroht und verhängt wird; insbesondere üben die Verwaltungsbehörden bei ihrer Festsetzung kein Verwaltungsermessen, sondern i n der Form von Verwaltungsakten sachlich Strafgewalt wie die Gerichte aus, die unter (nur zuweilen verwaltungsrechtlich eingekleideten) strafverfahrensrechtlichen Grundsätzen steht, und die Strafzumessung richtet sich allein nach der Schwere der Tat und der Persönlichkeit des Täters 22 . Die materielle Gleichartigkeit der Geldstrafen des StGB und der pena pecuniaria rechtfertigt die A n wendung der allgemeinen Vorschriften des StGB (Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes von 1929) und den Rechtszug zu den ordentlichen Gerichten. Durch ihre gesetzliche Ausgestaltung gehört die pena pecuniaria jedoch nicht zu denStrafen i m Sinne des StGB; ihre Sonderstellung w i r d mit Bezeichnungen wie Verwaltungsstrafe oder Verwaltungssanktion ausgedrückt 23 , die nicht ihren materiellen Strafcharakter leugnen, sondern sie nur von den Strafen des StGB unterscheiden und ihre vom Gesetz gewollte Zugehö18
Vgl. die Nachweise bei Malinverni, S. 22, A n m . 34. Vgl. dazu näher Antolisei, S. 7; Pannain, S. 20; Rastello, S. 185 ff., 214 ff.; Malinverni, S. 21 ff., 101 ff.; Giuliani, S. 28; Nuvolone , S. 17. 20 S. 203, 319, 323. Der Gesetzgeber habe hier ein Ahndungssystem einführen wollen, „das sich als solches i n das allgemeine System der A h n d u n g allen U n rechts, d. h. i n die Strafrechtsordnung, einfügt" (S. 201). Ä h n l i c h auch der Standpunkt Malinvernis, a.a.O. 21 S. 39 f., 207 f., 220 ff., 225, 326 ff. Siehe auch Malinverni, S. 114 f. 22 Rastello, S. 39 f., 145, 205 ff., 220 ff., 319, 321 ff., 326 ff.; Malinverni, S. 21 ff., 99 ff., 114 f. 23 Vgl. Rastello, S. 323 ff., 333 ff.: Das m i t der pena pecuniaria begründete Sanktionsrecht gehöre nicht ausschließlich i n das Straf- u n d Strafprozeßrecht, sondern auch i n das Verwaltungsrecht („Verwaltungssanktionsrecht i n A b gabensachen") ; Malinverni, a.a.O. 19
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rigkeit auch zum Verwaltungsrecht deutlich machen sollen. Die wichtigsten sachlichen Unterschiede bestehen offenbar darin, daß sie von Verwaltungsbehörden zu verhängen und nicht i n Freiheitsstrafe umwandelbar ist 2 4 . Man hat es also bei dem Recht der pena pecuniaria wohl m i t einer Erscheinung zu tun, an deren Ausgestaltung das Verwaltungsrecht ebenso wie das Straf- und Strafprozeßrecht beteiligt ist 2 5 , so daß sie keinem dieser Gebiete ausschließlich zugewiesen werden kann 2 6 . Da jedoch zwischen der kriminellen Geldstrafe und der pena pecuniaria materiell (ihrer Funktion nach) keine Wesensverschiedenheit besteht, die Verschiedenartigkeit des Unrechts aber von der der Sanktionsfolgen abhängt 2 7 , so ist auch das Unrecht der m i t krimineller Geldstrafe bedrohten Finanzdelikte und der nur mit pena pecuniaria zu ahndenden Finanzzuwiderhandlungen i m Sinne der italienischen Lehre materiell gleichartig 2 8 . I I I . Die depenalizzazione Die pena pecuniaria i m Sinne des Gesetzes Nr. 4 vom 7. Januar 19291 blieb lange Zeit auf das Fiskal- und das Währungsstrafrecht beschränkt. Erst als man sich Jahrzehnte später, bedingt vor allem durch die starke Vermehrung der Straßenverkehrsdelikte, einer Uberhäufung der Gerichte m i t der Aburteilung leichter Verstöße, für deren angemessene Bewältigung das geltende Verfahrensrecht keine geeigneten Formen bereitzuhalten schien, gegenübersah, erinnerte man sich ihrer als Wegweiser für einen möglichen Ausweg aus den aufgetretenen Schwierigkeiten. Der Gedanke einer „Entpönalisierung" leichter Delikte kam auf 2 ; 24 Nach Rastello ist das letzte der Grund, weshalb das Gesetz die Verpflicht u n g zu i h r e r Zahlung eine „zivilrechtliche" nennt; dies ändere aber an dem v o m Gesetz gewollten eigentlichen Sanktions-(Straf-)Charakter der pena pecuniaria nichts (S. 209 ff., 317 ff.). U n t e r diesem Gesichtspunkt ist die Frage der U m w a n d e l b a r k e i t i n Freiheitsstrafe gegenüber der ansonsten bestehenden materiellen Gleichartigkeit v o n Geldstrafe u n d pena pecuniaria nicht entscheidend. Auch Malinverni lehnt es entgegen einer verbreiteten andersartigen M e i n u n g ausdrücklich ab, i n i h r ein ausschlaggebendes M e r k m a l zu sehen (S. 22). 25 Rastello, S. 334. Der Gesetzgeber habe ein Recht schaffen wollen, das Verwaltungsorganen die Befugnis gibt, Verwaltungssanktionen auf der Grundlage des Straf- u n d Strafprozeßrechts zu verhängen. Diese Bestrafungsgewalt sei Verwaltungsorganen anvertraut, aber sachlich m i t der des Strafrichters identisch (S. 335). 26 D a m i t w i r d auch die M e i n u n g verständlich, die Frage, ob die pena pecuniaria k r i m i n e l l e n oder verwaltungsrechtlichen Charakter habe, sei letztlich nicht zu entscheiden (Malinverni, S. 28). 27 Vgl. o. S. 365, A n m . 1. 28 Malinverni, S. 99 ff., 105,114 f.; Giuliani, S. 55, 65, 240. 1 Vgl. o. S. 366, A n m . 4. 2 Minervini, Rass. stud, penit. 1965, S. 641 ff.
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die Lösung sah man darin, an die Stelle der gerichtlichen Bestrafung eine von einer Verwaltungsbehörde auszusprechende „Verwaltungssanktion" nach A r t der erwähnten pena pecuniaria treten zu lassen. Auch hier war die Auffassung grundlegend, daß der Umfang des strafrechtlichen Unrechts sich nach der Rechtsfolge richte, der Begriff der Strafe aber nur formal, d. h. danach zu bestimmen sei, ob es sich um eine i m Strafgesetzbuch als Strafe geregelte und zumindest grundsätzlich von den Gerichten zu verhängende Rechtsfolge handele. Aus solchen Überlegungen entstand das Gesetz vom 3. M a i 1967, Nr. 317, dessen Ziel es ist, i m Bereich des Straßenverkehrsrechts und der von Gemeinden und Provinzen i m Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse erlassenen Vorschriften eine „Entpönalisierung" durchzuführen 3 . Nach A r t . 1 des genannten Gesetzes bilden die Verstöße gegen die näher bezeichneten Vorschriften, sofern i n diesen bisher nur Geldbuße angedroht war, jetzt keine strafbaren Handlungen mehr und unterliegen statt dessen der „Verwaltungssanktion der Zahlung eines Betrages". Die Höhe des geschuldeten Betrages ist derjenigen der bisherigen Geldbuße gleich (Art. 2). Bei den vom Gesetz betroffenen Vorschriften des Straßenverkehrsrechts handelt es sich um die Straßenverkehrsordnung i. d. F. der Verordnung vom 15. Juni 1959, Nr. 393, mit späteren Änderungen 4 , die noch geltenden Bestimmungen der Königlichen Verordnung vom 8. Dezember 1933, Nr. 1740, über den Schutz der Straßen und über den Verkehr, sowie das Güterkraftverkehrsgesetz vom 20. Juni 1935, Nr. 1349 (Art. 1 Buchst, a, b und c des Gesetzes vom 3. Mai 1967). Die Gemeindeund Provinzialverordnungen (Art. 1 Buchst, d des genannten Gesetzes) betreffen Gegenstände der Gemeindepolizei (Orts-, Feld-, Baupolizei), gesundheitspolizeiliche Vorschriften auf Grund des Gesetzes zum Schutz der Gesundheit vom 27. J u l i 1934, Nr. 1265 (Art. 218, 344 - 346), u. a. 5 > 6 . Das Gesetz vom 3. Mai 1967 hat also bei den nur m i t einer Geldbuße bedrohten Übertretungen der fraglichen Gesetze und Verordnungen die Geldbuße durch eine als Verwaltungssanktion bezeichnete geldliche Rechtsfolge von gleicher Höhe ersetzt und wollte damit das bisher dem Strafrecht zugehörige Unrecht i n ein bloß verwaltungswidriges umwandeln. Durch die auf diese Weise erreichte Abgrenzung ist es (wie schon vorher i m Fiskalstrafrecht) von vornherein unmöglich, eine qualitative (materiale) Unterscheidung von strafbarem und verwaltungswidrigem Unrecht zu behaupten. Die Begründung zum Gesetzentwurf, die der Ju3
Lagostena Bassi-Rubini , S. 9 ff.; Duni-De Falco , S. 15 ff. Testo unico sulla circolazione stradale. 5 Vgl. das Gemeinde- u n d Provinzges. v o m 3. März 1934, Nr. 383, A r t . 53 Abs. 1 Nr. 6, 106 ff., 135 Nr. 15, 155, die Ausführungsverordnung zum Gemeinde» u n d Provinzges. v o m 12. Februar 1911, Nr. 297, A r t . 109 ff. β Vgl. näher Lagostena Bassi-Rubini , Nr. 17, 367 ff.; Battilà-Corpino, §§ 8 ff. 4
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stizminister der Abgeordnetenkammer i n der Sitzung vom 15. Juni 1964 gab 7 , erklärt denn auch unumwunden, daß es keine wissenschaftlich gesicherten Kriterien für eine qualitative Unterscheidung gebe und die Eingruppierung der Handlungen allein vom Ermessen des Gesetzgebers abhänge. Einer Entpönalisierung könnten deswegen auch keine grundsätzlichen Bedenken entgegenstehen. Jetzt habe man die „minder schweren" Übertretungen zu Verwaltungswidrigkeiten herabstufen wollen. Sie verletzten, häufig auch nur mittelbar, lediglich soziale Interessen geringer („sekundärer") Bedeutung („und i m besonderen die normale Entwicklung der Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung"), zu deren Schutz „das einfachere Mittel einer Verwaltungssanktion" ausreiche. Diese Verhaltensweisen, deren Verbot „Erfordernissen geringster sozialer Erheblichkeit" entspreche, welche „ m i t den tieferen Gründen der Strafe recht wenig gemein" hätten, werden i m übrigen nicht m i t dem alten Problem der Abgrenzung der Übertretungen bzw. Polizeiübertretungen von den Verbrechen i n Verbindung gebracht, sondern ausdrücklich sowohl den „klassischen und nach ihrem Wesen gleichbleibenden Tatbeständen der Verbrechen (vetita quia mala), die die grundlegenden Erfordernisse des Schutzes des gesellschaftlichen Lebens i n Vorschriften des Gesetzgebers übertragen", als auch der „Gruppe der Polizeiübertretungen, die ebenfalls herkömmlich und alten Ursprungs ist (mala quia vetita)", welche beide i m Strafgesetzbuch geregelt seien (und deren fortdauernde gemeinsame Zugehörigkeit zum Straf recht nicht i n Zweifel gezogen wird), entgegengesetzt. Es findet hier also eine Verschiebung gegenüber dem früheren, auf die Unterscheidung der Übertretungen von den Verbrechen konzentrierten Abgrenzungsproblem statt. Eine neue Gruppe von Handlungen noch unterhalb der überlieferten Übertretungen w i r d geschaffen, die sich nicht durch die Abhängigkeit ihrer Existenz vom Willen des Gesetzgebers, sondern durch die geringe Bedeutung der geschützten Interessen auszeichnen. Es handelt sich auch nicht mehr um eine Unterscheidung innerhalb des Bereichs der strafbaren Handlungen, sondern um eine Grenzziehung für das Strafrecht. Daß dies so ist, beruht i m wesentlichen auf der Annahme, die Gerichte seien mit der Aburteilung einer Vielzahl jener geringfügigen Fälle überfordert und könnten ihren Aufgaben nur gerecht werden, wenn sie für deren Ahndung nicht mehr zuständig seien. Von der Umwandlung der nur mit Geldbuße bedrohten Übertretungen des Straßenverkehrsgesetzbuches i n Verwaltungswidrigkeiten hat der Gesetzgeber jedoch verschiedene Zuwiderhandlungen ausgenommen, die i h m offenbar zu wichtig schienen, als daß er auf ihre gerichtliche Be7 A t t i camera. I V legislatura, doc. η . 1468; zitiert nach dem A b d r u c k bei Lagostena Bassi-Rubini , S. 735, u n d Battilà-Corpino, S. 101 ff.
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strafung verzichten wollte (Art. 16 des Gesetzes vom 3. Mai 1967): Das Überqueren eines Bahnüberganges bei geschlossenen oder sich schließenden Schranken oder nach Einsetzen der akustischen oder optischen Warnoder Verbotssignale; das Fahren m i t einem Fahrrad ohne Luftreifen oder ohne die vorgeschriebenen Brems-, Signal- oder Beleuchtungseinrichtungen; das Fahren m i t einem Kraftfahrzeug oder Oberleitungsfahrzeug ohne die vorgeschriebenen Bremseinrichtungen; das Fahren auf der falschen Straßenseite i n der Nähe oder i m Bereich von Kurven, Kuppen oder an andern unübersichtlichen Stellen; bestimmte Vorfahrtsverletzungen (durch aus nicht öffentlichen Wegen außerhalb bewohnter Ortschaften Einbiegende, beim Einbiegen i n vorfahrtsberechtigte Straßen, bei der Kreuzung von zwei vorfahrtsberechtigten Straßen); Verletzung von Vorschriften über das Beladen von Fahrzeugen, bewegliches Zubehör oder das Schleppen von Geräten; Verstoß gegen bestimmte Vorschriften bei der Benutzung von Autobahnen oder den Kraftwagen und Motorfahrzeugen vorbehaltenen Straßen außerhalb der Städte oder Benutzen dieser Straßen mit andern als dafür zugelassenen Fahrzeugen, mit Tieren oder als Fußgänger; Parken außerhalb bewohnter Ortschaften auf Kreuzungen, in Kurven, an Kuppen oder i n Straßentunnels (vgl. A r t . 15, 11. und letzter Absatz, A r t . 40 letzter Absatz, Art. 42 letzter Absatz, Art. 104 vorletzter Absatz, A r t . 105 Abs. 8 und 9, Art. 119,125 sowie A r t . 115 letzter Absatz des Straßenverkehrsgesetzes vom 15. Juni 1959, Nr. 393). Die materiell-rechtliche und die prozessuale Regelung des neuen Gesetzes weisen neben Entsprechungen auch einige Abweichungen von der Regelung der pena pecuniaria i m Gesetz vom 7. Januar 1929, Nr. 4, auf. A r t . 3 schreibt eine gesamtschuldnerische Verpflichtung bestimmter Personen m i t dem Täter zur Zahlung des von diesem (als Verwaltungssanktion) geschuldeten Betrages vor: des Eigentümers des Fahrzeugs bei Verstößen gegen das Straßenverkehrsgesetzbuch oder das Güterkraftverkehrsgesetz, wenn er nicht beweist, daß das Fahrzeug gegen seinen Willen gefahren wurde; der Person, welcher gegenüber dem Täter Gewalt, eine Leitungs- oder Aufsichtsbefugnis zukommt, i n den übrigen Fällen (jedoch ohne Entlastungsbeweis). Es handelt sich hier u m eine Mitschuld Dritter m i t dem Täter; die Zahlung kann von allen Verpflichteten i n gleicher Weise begehrt werden, ist die Leistung aber einmal erfolgt, so w i r k t sie befreiend für alle. Man hat es also nicht mit einer Parallele zu der Haftung des zivilrechtlich für die Zahlung einer Geldbuße Verantwortlichen i m Sinne der A r t . 196 und 197 StGB, sondern m i t einer Erstreckung der Verwaltungssanktion auf Dritte zu tun 8 : Diese unterliegen zusammen mit dem Täter einer Ahndung, die nur einmal m i t Wirkung für alle vollzogen wird. Die „Verpflichtung zur Zahlung der für die Zuwiderhandlungen geschuldeten Beträge", wie das Gesetz die von i h m beabsichtigte 8
Vgl. Battilà-Corpino,
§ 14; Genoviva, Anm. zu A r t . 3, 4.
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Verwaltungssanktion i n A r t . 4 nennt, geht nicht auf die Erben über (Art. 4). Diese Vorschrift weist (im Gegensatz zu der vorher besprochenen, die auf eine — zumindest gewollte — zivilrechtliche Natur der Zahlungspflicht — der „Verwaltungssanktion der Zahlung eines Betrages" — schließen läßt 9 ) auf die Ahndungsnatur der Verwaltungssanktion hin: Sie bildet eine Auswirkung des Grundsatzes persönlicher Verantwortlichkeit 1 0 . Eine freiwillige Zahlung (oblazione, conciliazione, definizione i n via amministrativa), wie sie aus A r t . 162 StGB, dem Nebenstrafrecht sowie dem Gesetz vom 7. Januar 1929, Nr. 4, für den Bereich der pena pecuniaria bekannt ist 1 1 , sieht A r t . 5 vor; sie w i r d hier „Zahlung i n verminderter Höhe" (pagamento i n misura ridotta) genannt, der (wie auch sonst) eine „befreiende Wirkung für alle Verpflichteten" zukommt. Sie ist unter bestimmten Voraussetzungen und i n verschiedener Höhe teils zu Händen des die Zuwiderhandlung feststellenden Beamten, teils innerhalb eines bestimmten Zeitraums danach oder nach der förmlichen Mitteilung über die Feststellung der Zuwiderhandlung an den Beschuldigten möglich. Zuständig zur Festsetzung des zu zahlenden Betrages ist bei Zuwiderhandlungen gegen das Straßenverkehrsgesetz, das Straßenschutzgesetz sowie das Güterkraftverkehrsgesetz der Präfekt, bei Verstößen gegen Gemeindeverordnungen der Bürgermeister und bei solchen gegen Provinzial ver Ordnungen der Präsident des Provinzialrates (Art. 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 des Gesetzes vom 3. Mai 1967, Nr. 317). Für die Feststellung der Zuwiderhandlungen gelten die auch bisher anzuwendenden Vorschriften der betreffenden Gesetze weiter (vgl. Art. Ö a.a.O.). I n dieser Hinsicht besteht kein Unterschied zur Verfolgung der nach diesen Gesetzen strafbaren Handlungen. Über die Bekanntgabe des Tatvorwurfs (contestazione) gibt A r t . 7 a.a.O. noch eine weitere, vereinheitlichende Vorschrift. W i r d die Feststellung der Zuwiderhandlung nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist dem Betroffenen förmlich mitgeteilt, so „erlischt" nach A r t . 7 Abs. 3 a.a.O. dessen Verpflichtung zur Zahlung der geschuldeten Summe. Findet eine freiwillige Zahlung nicht statt, so werden die Akten der zur Festsetzung des als Verwaltungssanktion zu zahlenden Betrages zuständigen Behörde vorgelegt (Art. 8 Abs. 1 a.a.O.). Diese Behörde setzt i n einem begründeten Beschluß (ordinanza motivata) „den für die Zuwiderhandlung geschuldeten Betrag" fest (Art. 9 Abs. 1 a.a.O.). Als Voraussetzungen für den Erlaß des Beschlusses nennt das Gesetz lediglich, daß die Behörde die von dem Ermittlungsorgan getroffene „Feststellung" (accertamento) der Zuwiderhandlung für be9
Vgl. Battilà-Corpino, § 17, Abs. 1. Battilà-Corpino , § 17; Genoviva, A n m . zu A r t . 3, 4. 11 Vgl. o. S. 363 ff., 367 f. 10
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gründet hält und der Betroffene gehört worden ist, sofern er innerhalb von 15 Tagen nach Ablauf der Frist für eine freiwillige Zahlung nicht darum nachgesucht hat (a.a.O.). Das Gesetz läßt i n A r t . 9 Abs. 4 die Anfechtung dieses Beschlusses durch eine Klage vor dem Amtsrichter zu, i n dessen Bezirk die Verletzung festgestellt wurde, und zwar innerhalb der für die Zahlung bestimmten Frist (Abs. 2). Die Behandlung der Klage hat keinen Suspensiveffekt. Der Amtsrichter kann aber die aufschiebende Wirkung herstellen (Abs. 5). Eine Vertretung des Betroffenen ist abweichend von Art. 82 Abs. 2 codice di procedura civile vom 28. Oktober 1940, Nr. 1443, nicht vorgeschrieben. Die Entscheidung des Amtsrichters ergeht auf mündliche Verhandlung; sie ist nicht mit der Berufung anfechtbar (Abs. 7, 8). Das Gesetz vom 3. Mai 1967 ist schon wegen seiner Tendenz, Straftaten i n sehr weitgehendem Maße zu entkriminalisieren, von Anfang an auf K r i t i k gestoßen 12 . Außerdem wurde die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes i n Zweifel gezogen 13 und auch die Ausgestaltung des Verfahrens bemängelt 14 . Damit hängt es wohl zusammen, daß der italienische Gesetzgeber den m i t dem Gesetz vom 3. Mai 1967, Nr. 317, eingeschlagenen und m i t dem Gesetz vom 9. Oktober 1967, Nr. 950, durch das forstpolizeiliche Übertretungen „entpönalisiert" wurden, fortgesetzten Weg zunächst nicht weitergegangen ist. Erst durch das Gesetz vom 24. Dezember 1975, Nr. 706, hat man den Gedanken einer Entkriminalisierung i n diesem Bereich wieder aufgegriffen, indem bei den nur m i t Geldbuße bedrohten Übertretungen diese durch die Verwaltungssanktion ersetzt wurde. Von der Regelung ausgenommen sind aber die Übertretungen des codice penale und anderer wichtiger Gesetze, was schon auf einen zurückhaltenden Gebrauch des Rechtsinstituts hinweist, von der langen gesetzgeberischen Pause ganz abgesehen.
12
Nuvolone, L'Indice penale 1967, S. 237; derselbe, Riv. it. dir. proc. pen. 1968, S. 60 ff.; Lagostena Bassi-Rubini, S.14 ff.; Bachelet, Generalbericht zum Thema „Esperienze e prospettive della depenalizzazione", delle violazioni i n materia d i circolazione stradale i n : A t t i del X I I I Convegno delle Commissioni giuridiche degli automobile Club, 1968; dort weitere Beiträge; Tartaglione, Sc. pos. 1969, S. 43 ff.; Peyron, Riv. it. dir. proc. pen. 1970, S. 439 ff.; DuniDe Falco, S. 22 ff.; Vigna- Βellag amba, S. 55 f. 13 Sie wurde v o m Verfassungsgerichtshof bejaht (Corte Cost. 4. 3. 1970 Nr. 32 Giur. Cost. 1970 S. 247 m i t eingehender kritischer A n m . von Bachelet). 14 Biancardi, Giust. pen. 1968 I 29; Cipriani, Giust. pen. 1969 I I I 221; Favino, Giust. pen. 1969 I I I 223. Auch die Rechtsprechung hat sich damit befaßt: Cass. 8. 10. 1970 Giust. pen. 1971 I I 680 m i t A n m . von Fera; 31. 1. 1972 Giust. pen. 1972 I I 781 m i t A n m . von Albamonte; 4. 3. 1971 Giust. pen. 1973 XI 249 m i t A n m . von Miranda.
Ergebnis der rechtsvergleichenden Untersuchung Die Untersuchung der Rechtsverhältnisse i n Österreich, der Schweiz, Frankreich und Italien hat ergeben, daß es i n diesen Ländern dem deutschen Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 25. März 1952 und seinen theoretischen Grundlagen und Zielsetzungen entsprechende Gesetze nicht gibt und auch ein Rechtszustand, wie er i n Deutschland durch das Ordnungswidrigkeitengesetz von 1952 geschaffen wurde, nicht angestrebt wird. Zwar kann man vergleichbare Problemlagen finden; sie haben jedoch nicht zu entsprechenden Lösungen geführt. Vielmehr beruhen die konkreten Rechtsgestaltungen, die zum Vergleich herangezogen werden können, durchweg auf Gedanken, die m i t der Lehre vom nur verwaltungs« oder ordnungswidrigen Unrecht nichts zu t u n haben. Es gibt kein allgemeines Problem des gleichsam aus der Natur der Sache heraus bestehenden Gegensatzes von Verwaltungs- oder Ordnungswidrigkeiten und kriminellen Delikten, das m i t Notwendigkeit i n den einzelnen Rechtsordnungen mindestens desselben Kulturkreises zum Durchbruch kommen und entsprechende Regelungen zur Folge haben müßte. Vielmehr findet man immer nur bestimmte Einzelprobleme, die auch i n der Lehre von den Ordnungswidrigkeiten eine Rolle spielen und daher ihr anzugehören scheinen, aber bei näherem Zusehen von ihr unabhängig sind und deshalb nicht als Beweis dafür angeführt werden dürfen, daß die Frage nach dem nur ordnungswidrigen Unrecht sich doch allenthalben i n einer vergleichbaren Weise stelle. Von den i n die Untersuchung einbezogenen Ländern haben Österreich und neuerdings die Schweiz besondere Verwaltungsstrafgesetze. Die anderen Länder kennen schon der Bezeichnung nach kein Verwaltungsstrafrecht als positiv-rechtliche Erscheinung. Das Verwaltungsstrafrecht Österreichs ist nur historisch zu erklären. Es ist der Überrest des einstigen, i m absoluten Staat entstandenen Polizeistrafrechts und beruht daher heute noch allein auf der Strafbefugnis der Verwaltungsbehörden. Materiell w i r d es durch den relativen Bagatellcharakter der Delikte gekennzeichnet. Auch das Verwaltungsstrafgesetz vom 21. Juni 1925 verdankt seine Entstehung nicht der Annahme einer Wesensverschiedenheit zweier Strafrechtsbereiche, sondern dem Bestreben, die i m Verlaufe des 19. Jahrhunderts zwar eingeschränkte, aber nicht beseitigte Strafrechtsprechung der Verwaltungsbehörden gesetzlich zu ordnen. Grundlegend für das österreichische Verwaltungsstraf-
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recht ist m i t h i n die Verteilung der Strafrechtsprechung auf Gerichte und Verwaltungsbehörden, die sich infolge unvollkommener Überleitung der Rechtsprechung auf die Gerichte erhalten konnte. Es w i r d deshalb auch nicht bezweifelt, daß die Aburteilung von Verwaltungsübertretungen Strafrechtsprechung ist. Die Verfassung läßt infolge ihrer nur formalen Anerkennung des Gewaltenteilungsgrundsatzes die Übertragung von Rechtsprechungsaufgaben auf Verwaltungsbehörden zu. Die Trennung von Justiz und Verwaltung versteht man nicht als Trennung der Staatsfunktionen, sondern als organisatorische Scheidung der Behörden. Zwar gibt es keine gemischten Behörden mehr (die zugleich Verwaltungsbehörden u n d Gerichte sind), aber den Verwaltungsbehörden wurden Rechtsprechungsaufgaben belassen, die sie als Verwaltungsbehörden erfüllen. So sind Justiz und Verwaltung i m materiellen Sinne nur teilweise voneinander abgesondert. Der Verteilung der strafbaren Handlungen auf das Justiz- und das Verwaltungsstrafrecht liegt kein rationales Prinzip zugrunde. Ausschlaggebend sind die aus einer Zuwiderhandlung möglicherweise entstehende Gefahr und die Bedeutung der Gegenstände, auf die sich die verbotenen Handlungen beziehen, für die Rechtsgemeinschaft, unter Umständen ferner der Zusammenhang mancher Handlungen m i t Verwaltungsangelegenheiten. Die Abgrenzung w i r d dadurch zu einer Maßfrage. Da sich die Wahrnehmung gewisser Strafrechtsprechungsaufgaben durch Verwaltungsbehörden eingebürgert hat, bildete sich auch eine bestimmte, von der Übung bedingte Vorstellung heraus, welche Deliktsarten durch Verwaltungsbehörden abgeurteilt werden sollten. Man hält dann eine gerichtliche Bestrafung bei ihnen nicht für angezeigt — eben deshalb, weil es die Gerichte bisher i m allgemeinen nicht m i t ihnen zu tun hatten. A u f Grund seiner Herkunft bleibt das österreichische Verwaltungsstrafrecht dem historischen Polizeistraf recht, wie es i m 19. Jahrhundert auch i n einer Reihe von Polizeistrafgesetzbüchern deutscher Staaten positiv-rechtlich niedergelegt worden war, verbunden und entspricht so wenig wie dieses der Lehre vom Polizei- oder Verwaltungsstrafrecht. Es steht damit i n der Betrachtung dem kantonalen Polizeistrafrecht der Schweiz nahe, das sich zum Ubertretungsstrafrecht gewandelt hat und dessen prozessuale Formen vielfach auf die Polizeistraf rechtsepoche zurückweisen. Das Schweizer Ubertretungsstrafrecht ist durch das Bestreben gekennzeichnet, für die Delikte mit geringem Unrechts- und Schuldgehalt gewisse Sonderregeln aufzustellen, um ihrer (sowohl i n objektiver als auch i n subjektiver Hinsicht) minderen Schwere gerecht zu werden und den Tätern die m i t der Bestrafung wegen der i n einem strengeren Sinne kriminellen Taten verbundenen Nachteile weitgehend zu ersparen. Es erweist sich als Bagatellstrafrecht, das der Bekämpfung der kleinen K r i m i nalität dient. Daß es mit dem Recht der Ordnungswidrigkeiten nicht ver-
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gleichbar ist, wurde i m einzelnen dargelegt. Daran hat sich auch durch das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht vom 23. März 1974 nichts geändert. Es gilt ohnedies nur für einen kleinen Teilbereich von Übertretungen i m Falle der Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde des Bundes. Soweit i n der jüngsten Entwicklung dieser beiden Länder vereinzelt der Begriff der Ordnungswidrigkeit i n die Gesetzgebung Eingang gefunden hat, steht dies den gewonnenen Ergebnissen nicht entgegen: I n Österreich wurde das Verwaltungsstrafrecht auch durch die Strafrechtsreform, die m i t dem Inkrafttreten des StGB am 1. Januar 1975 abgeschlossen wurde, nicht i n Frage gestellt, wenn sich auch neuerdings Stimmen nach einer Reform einzelner Bestimmungen erheben. I n der Schweiz werden die Ausdrücke Widerhandlung, Zuwiderhandlung, Ordnungswidrigkeit dem Begriff der Übertretung i m herkömmlichen Sinne gleicherachtet und bedeuten keine Änderung der Rechtsnatur des Unrechts. Nur i n Italien versuchte man, K r i m i n a l - und Verwaltungsstrafrecht nach solchen begrifflichen Merkmalen zu trennen, die aus der Annahme einer Wesensverschiedenheit beider Gruppen strafbarer Handlungen hergeleitet wurden. Während andere Gesetzgeber von der Betrachtung der tatsächlich vorgefundenen Fülle von Deliktstatbeständen ausgingen und dadurch nicht zu einer qualitativen Aufgliederung der Delikte i m Sinne der Lehre vom Verwaltungsstrafrecht (soweit sie sich ihr überhaupt gegenübergestellt sahen) kamen, hat sich der italienische von vornherein unter Zugrundelegen einer abstrakt-begrifflichen Verschiedenheit für eine (qualitative) Andersartigkeit der Verbrechen und Übertretungen entschieden und versucht, dieses Postulat m i t Hilfe der theoretisch aufgestellten qualitativen Kriterien positiv-rechtlich zu verwirklichen. Dies ist jedoch nach dem vorwiegenden Urteil auch der italienischen Strafrechtswissenschaft nicht gelungen. Das Bestreben lief i m übrigen nur darauf hinaus, Verbrechen und Übertretungen innerhalb des Gesamtgebiets der strafbaren Handlungen gegeneinander abgrenzen zu können, ohne dabei den Begriff der strafbaren Handlung überhaupt sprengen und die Übertretungen aus dem Strafrecht verbannen und i n das Verwaltungsrecht weisen zu wollen. Daher wurden die Übertretungen möglichst umfassend i n das Strafgesetzbuch aufgenommen; zu ihrer Aburteilung sind nur die Gerichte berufen. I m ganzen unterscheidet sich das italienische Übertretungsstrafrecht nicht wesentlich von dem anderer Rechtsordnungen, die die strafbaren Handlungen nur nach ihrer Schwere einteilen. Dies zeigt die geringe Bedeutung der Lehre vom Verwaltungsstrafrecht für das geltende italienische Ubertretungsstrafrecht. Es ist von ihr nicht geprägt und bietet geradezu ein Beispiel dafür, daß jene Lehre selbst dort, wo sie zum theoretischen Ausgangspunkt der Deliktseinteilung gemacht wurde, infolge ihrer verfehlten Grundlegung und ihrer un-
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zulänglichen Kriterien die positive Rechtsgestaltung nicht wesentlich beeinflussen konnte. Für die gesetzliche Deliktseinteilung nach französischem Recht ist die Unterscheidung qualitativ verschiedener Deliktsgruppen auf Grund der Lehre vom Verwaltungsstraf recht ohne jede Bedeutung. N u r für die Frage des Schulderfordernisses werden vergleichbare Erwägungen herangezogen. Doch bedeutet dies nicht, daß sich hier der Gedanke des Verwaltungsstrafrechts mit strukturgesetzlicher Notwendigkeit durchgesetzt hätte. Das französische Fiskalstrafrecht, bei dem fiskalische Gesichtspunkte eine Rolle spielen, sowie die unter der Bezeichnung contraventions de grande voirie zusammengefaßten Eingriffe i n das öffentliche Eigentum können aus den dargelegten Gründen nicht zum Vergleich herangezogen werden. I m Wirtschaftsstrafrecht hat die Verwaltung zwar noch Einfluß auf die Strafverfolgung; aber es hat sich kein eigentliches Wirtschafts verwaltungsstraf recht herausgebildet. Die Unterscheidung von Justiz- und Verwaltungsdelikten ist unbekannt und w i r d auch nicht angestrebt. Soweit die Verwaltung i m Wirtschaftsstrafrecht M i t w i r kungsrechte bei der Strafverfolgung hat, erstrecken sie sich auf alle strafbaren Handlungen und beruhen nicht auf der Anerkennung eines eigengearteten Verwaltungsstrafrechts. Wie die Lehre vom Verwaltungsstrafrecht die gesetzlich begründeten Deliktseinteilungen nicht beeinflußt hat, so ist sie auch nicht i n Teilbereichen für die Ausgestaltung der allgemeinen Bestimmungen oder des Verfahrens maßgebend geworden. Bei den allgemeinen Vorschriften könnten nur Abweichungen hinsichtlich des Schulderfordernisses und insbesondere der Frage des Unrechtsbewußtseins auf eine immanente Verschiedenartigkeit von Justiz- und Verwaltungsstrafrecht schließen lassen. Die übrigen festgestellten Unterschiede sind durch den minderen Unrechts- und Schuldgehalt bedingt, denn für das leichte Delikt rechtfertigen sich infolge seiner geringeren Schwere gewisse Änderungen der allgemeinen Bestimmungen. Die Besonderheiten der Schuldvoraussetzungen bei manchen Deliktsarten ergeben sich daraus, daß die Schuldlehre an den Erfolgsdelikten entwickelt wurde. Für die behandelten Rechte kann man davon ausgehen, daß der deliktische (schädliche) Erfolg den Bezugspunkt des Verschuldens, die subjektive Beziehung zu i h m den Inhalt der (vorsätzlichen oder fahrlässigen) Schuld bildete. Gehörte ein solcher deliktischer Erfolg nicht zum Tatbestand, so fehlte auch der Schuldbezugspunkt: deshalb die besonders i n der älteren Literatur verbreitete Meinung, ein Verschulden könne hier zur Bestrafung überhaupt nicht verlangt werden. Darauf ist auch die französische Lehre von den délits purement matériels zurückzuführen. Da man aber erfolgloses Delikt und Verwaltungswidrigkeit
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nicht gleichsetzen kann, sind auch die erwähnten Besonderheiten i m Schulderfordernis keine Eigenart des Verwaltungsstrafrechts, die sich gegenüber der sonstigen gesetzlichen Regelung durchgesetzt hätte. Soweit das Verschulden bei den Delikten ohne einen das Unrecht der Handlung begründenden materialen Erfolg auf das gesetzliche Verbot oder Gebot bezogen wurde (Verbotskenntnis bzw. fahrlässige Verbotsunkenntnis), konnte zur Bestrafung doch höchstens fahrlässiges Verschulden erforderlich sein, wobei die Unkenntnis des Verbotenseins i n der Regel schon als schuldhaft vermutet wurde. Jedenfalls erscheint hier Vorsatz oder Fahrlässigkeit nicht auf eine farblose Tatbestandsverwirklichung bezogen, sondern auf die Herbeiführung eines deliktischen (unrechtsbegründenden) Erfolges, an dessen Stelle die Verletzung einer gesetzlichen Vorschrift treten kann. Daraus ergeben sich die besonderen Schuldprobleme bei den sogenannten Polizeidelikten (Zuwiderhandlungen gegen Polizei Vorschriften), deren Tatbestandserfüllung meist nicht an die Herbeiführung eines materialen Erfolges gebunden ist. Wesentlich ist hier immer die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis des Unerlaubten des Verhaltens als Kernstück der Schuld; daher entschuldigt etwa i n Österreich unverschuldete Gesetzesunkenntnis, wenn ohne Gesetzeskenntnis das Unerlaubte nicht einzusehen war. Daß Fahrlässigkeit i n der Regel zur Bestrafung genügt, beruht auch darauf, daß man für leichte Strafen nicht die schwerste Schuldform verlangen zu müssen glaubt. Ferner spielen der „polizeiliche" Charakter der Strafdrohungen und die Ansicht eine Rolle, bei fehlender Erfolgsbezogenheit des Verschuldens seien die Schuldformen nicht wesentlich verschieden. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für fremde Tat und die Strafbarkeit juristischer Personen sind, wenn sie vorkommen, nicht auf den Bereich beschränkt, der für das Verwaltungsstrafrecht i n Anspruch genommen werden könnte, und daher für dieses nicht kennzeichnend. Entsprechendes gilt für die Haftung für fremde Strafe. Diese Rechtserscheinungen sind zum Teil Uberlieferungsreste, teils beruhen sie auf fiskalischen Gründen, teils mögen sie auch eine größere Wirksamkeit der Strafgesetze sicherstellen sollen. Daß sie gelegentlich i m Übertretungsstrafrecht häufiger als sonst oder, wie i n Italien, allein zu finden sind, hat seinen Grund darin, daß Übertretungen infolge ihres Bagatellcharakters eher als andere Delikte eine solche Abweichung von anerkannten Prinzipien des Strafrechts zu gestatten scheinen und die Verstöße gegen Pflichten, auf deren bessere Erfüllung man m i t jenen Rechtseinrichtungen hinwirken zu können glauben mag, meistens nur als leichte Delikte begriffen werden. Auch die verfahrensrechtlichen Gestaltungen geben keinen Anlaß, die Existenz eines eigengearteten Verwaltungsstrafrechts anzunehmen. Dies verbietet schon ihre Mannigfaltigkeit, die kein einheitliches Prinzip er-
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kennen läßt. I m Verwaltungs- oder Ubertretungsstrafrecht kommen j u stizförmige, verwaltungsförmige und gemischte Verfahren vor. Das Verwaltungsstrafverfahren i n Österreich beruht allein auf der teilweisen Wahrnehmung von Aufgaben der Strafrechtspflege durch Verwaltungsbehörden. Die Verwaltungsstrafgewalt hat hier nicht zur Voraussetzung, daß die i n Frage stehenden Delikte ihrer Natur nach von der Verwaltung abzuurteilen seien (so daß es sich um die Erfüllung einer Verwaltungs-, nicht einer Rechtsprechungsaufgabe handele). Das gleiche gilt für das i n der Schweiz noch vereinzelt anzutreffende reine Verwaltungsstrafverfahren. Es stellt sich zum großen Teil als Rest der früher weiter verbreiteten Gemeindegerichtsbarkeit dar. Daß es heute noch besteht, verdankt es i m wesentlichen der Rücksicht auf die Gemeindeautonomie. I n beiden Ländern können Verwaltungsbehörden immer noch Freiheitsstrafen verhängen, was i m Hinblick auf die Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention zu heftigen Auseinandersetzungen in Österreich geführt und i n der Schweiz den Erlaß des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht mitbestimmt hat, wodurch wenigstens für diesen Teilbereich insoweit die Zuständigkeit der Gerichte begründet wurde. Das gemischte Verfahren kommt i n der Schweiz häufig vor. Dabei sind auch die Fälle zu erwähnen, i n denen die Verwaltungsbehörde als erstinstanzliches Strafgericht gilt. Teilweise ist das gemischte Verfahren aus dem reinen Verwaltungsstrafverfahren entstanden, indem nämlich gegen die Entscheidungen der Verwaltungsbehörden der Rechtszug an die ordentlichen Gerichte zugelassen wurde. Daher spielt auch hier noch die gemeindliche Gerichtsbarkeit eine große Rolle. Teilweise dient die vorläufige Verwaltungsstrafverfügung einfach dazu, die Gerichte zu entlasten und die Verwaltung i n gewisser Hinsicht am Strafverfahren zu beteiligen (so auch i m italienischen Finanzstraf recht). Dann nimmt die Verwaltung nicht ihr ursprünglich eigene, sondern abgeleitete Befugnisse wahr. Die Verwaltungsstrafverfügung ist ebensowenig wie früher i n Deutschland ein Beweis, daß es ein Verwaltungsstrafrecht gibt, sondern vielmehr, daß es ein solches i n der Wirklichkeit der betreffenden Rechtsordnung nicht gibt. Von den justizförmigen Verfahren ist an dieser Stelle allein die gesetzliche Regelung des Polizeistrafverfahrens von Basel-Stadt erwähnenswert, die den Verwaltungsbehörden zwar keine Strafbefugnisse, wohl aber bei den meisten Übertretungen ein Recht zur M i t w i r k u n g an der Strafverfolgung einräumt, ohne i h r freilich das alleinige Klagerecht zu gewähren. Diese i n mancher Hinsicht beachtenswerte Verfahrensgestaltung zeigt, daß es möglich ist, die Verwaltung, wenn man es für w ü n schenswert hält, i n gewissem Umfang am Übertretungsstrafverfahren
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zu beteiligen, ohne ihr die Herrschaft über das Verfahren einzuräumen und ohne ein besonderes Verwaltungsstrafrecht begründen zu müssen. Die Einzelausgestaltung des Verfahrens läßt überall das Bestreben erkennen, die für wesentlich erachteten Grundsätze des Strafverfahrens auch i n dem von der Verwaltung geführten Verfahren durchzusetzen, soweit dies m i t den Erwägungen, die zur Zuständigkeit der Verwaltung geführt haben, vereinbar ist. Die Abwendung der Bestrafung durch freiwillige Zahlung und der Verwaltungs vergleich kommen ζ. B. i n Italien und Frankreich vor. Sie sind i m Fiskalstrafrecht weit verbreitet und von dort ins Ubertretungsstrafrecht sowie ins Wirtschaftsstrafrecht eingedrungen und bringen i n erster Linie fiskalische und prozeßökonomische Gesichtspunkte bei der Strafverfolgung (möglichst schneller und billiger Verfahrensabschluß unter Erzielung einer Vermögenseinbuße des Beschuldigten und Abführung des entsprechenden Wertes) zur Geltung, werden also dort angewendet, wo man glaubt, diesen Erwägungen i n jener Form ohne ernste Beeinträchtigung des Gerechtigkeitsgedankens nachgeben zu dürfen. I h r Verbreitungsgebiet ist mindestens teilweise über die geringfügigen Fälle ausgedehnt worden, so daß es nicht an K r i t i k fehlt. Die beiden Rechtseinrichtungen spiegeln keine Eigenart von Verwaltungswidrigkeiten wider, denn die fiskalischen und prozeßökonomischen Gesichtspunkte sind kein K r i t e r i u m zur Unterscheidung von Justiz- und Verwaltungsstrafrecht. Vergleichbar mit dem Recht der Ordnungswidrigkeiten sind nur das Ordnungsstrafrecht der Schweiz sowie die Rechtsgebiete der pena pecuniaria und der depenalizzazione i n Italien. Aber auch dieser Vergleich kann nur ein negatives Ergebnis haben. Das Ordnungsstrafrecht der Schweiz weist teilweise Formen auf, die i m deutschen Strafrecht archaischen Charakter haben würden. Die gegen Privatpersonen zu verhängende Disziplinarbuße des Schweizer Rechts entspricht nicht der Geldbuße nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz von 1952, sondern der prozessualen Ordnungsstrafe. Bei der Ordnungsbuße i m engeren Sinne handelt es sich u m eine bislang systematisch nicht erfaßte, verstreute Einzelerscheinung, die nach der Entwicklungsrichtung des Schweizer Straf rechts für nicht ausbreitungsfähig gehalten und i n das Bestreben nach Vereinheitlichung des Strafrechts einbezogen wurde, so daß ihre vom allgemeinen Strafrecht abweichenden Besonderheiten i m Schwinden waren. Das Bundesgesetz über das Verwaltungsstrafrecht von 1974 ging den entgegengesetzten Weg, wie ausgeführt w u r de. Mindestens für das deutsche Recht läßt sich aber der Gedanke nicht aufrechterhalten, daß es Delikte gebe, die zwar von Staats wegen für strafwürdig, aber dennoch keiner öffentlichen Sühne bedürftig anzusehen
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seien. Schließlich beruht die Schweizer Rechtserscheinung nicht auf der Annahme einer Artverschiedenheit i m materiellen Unrecht. Es soll sich vielmehr um so geringfügige Fälle handeln, daß man nicht mit öffentlicher Sühne einzugreifen brauche. Die Verschiedenartigkeit liegt m i t h i n nicht i m Unrecht, sondern nur i n der A r t der Verfolgung und der zu verhängenden Sanktion: Die den Verwaltungsbereich nicht überschreitende Erledigung der Strafsache sei ausreichend zu angemessener Sühne geringfügigen Unrechts. Hierin hat man wohl den entscheidenden Gesichtspunkt zu sehen. Es handelt sich also letzten Endes doch nur um die Verteilung der i m Grunde als Einheit begriffenen Strafrechtspflege auf verschiedene Stellen. Das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht nach dem Gesetz von 1952 geht hingegen von der Annahme einer Wesens- (nicht nur Grad-)Verschiedenheit der sogenannten Ordnungswidrigkeiten von den eigentlich strafbaren Handlungen aus. Das Schweizer Ordnungsstrafrecht aber ist noch Strafrecht. Die aus seiner ursprünglichen Anlage sich ergebende Besonderheit besteht darin, daß die m i t Ordnungsbuße bedrohten Verstöße nicht gegen die öffentliche Ordnung gerichtet sein sollen. Dies findet auch darin eine Stütze, daß das Ordnungsstrafrecht nicht aus dem Polizeistrafrecht hervorgegangen ist, als dessen Aufgabe der Schutz der öffentlichen Ordnung gilt. Die Lehre von den Ordnungswidrigkeiten aber hat die Nachfolge der Polizeistrafrechtstheorien angetreten, und die Ordnungswidrigkeiten sollen gerade Verstöße gegen Vorschriften darstellen, die die Ordnung (und zwar die öffentliche Ordnung als Fürsorgeobjekt der Verwaltung) betreffen, sich allerdings auch darin erschöpfen. Hierin liegen die wesentlichen Unterschiede der beiden Rechtserscheinungen, die zeigen, daß das Schweizer Ordnungsstrafrecht auf andern Voraussetzungen beruht als das Recht der Ordnungswidrigkeiten. Die pena pecuniaria des italienischen Rechts ist eine auf das Finanzstrafrecht beschränkte Ausnahmeerscheinung, deren Einzelregelungen sie kaum zu einer Ausdehnung auf das allgemeine Strafrecht geeignet machen. Auch sie soll nicht eine A r t Verschiedenheit des materiellen Unrechts widerspiegeln, sondern verdankt ihre Entstehung dem Bestreben, den Kreis des i m Sinne des StGB strafbaren Unrechts quantitativ einzuengen. Man nahm also nicht an, daß es ein Unrecht gebe, das seiner Natur nach kein i m engeren Sinne strafrechtliches Unrecht sein könne, sondern wollte vergleichsweise geringfügige Verstöße nicht mehr m i t krimineller Strafe bedrohen, sondern auf andere Weise zu unterdrücken und zu ahnden suchen. Maßgebend war nur die Absicht, bei leichteren Fällen verbotenen Tuns die kriminelle Strafbarkeit aufzuheben. Zeigt sich hier ein Berührungspunkt m i t dem deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht, so unterscheiden sich beide außer i n der eben genannten Weise doch auch grundlegend darin, daß die m i t pena pecuniaria bedrohten Taten nicht wegen einer Verschiedenartigkeit des Unrechts (die nicht vorhanden ist),
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sondern nur deswegen aus dem Straf recht i m engeren Sinne ausscheiden, weil die Androhung einer i m StGB geregelten Strafe wegfällt. I m übrigen hat die m i t der pena pecuniaria geschaffene Rechtsfolge eindeutig die Funktion einer Strafe und kann ihren materiellen Strafcharakter nicht verleugnen. Demgegenüber ist es zwar das Ziel der depenalizzazione, insbesondere beim Straßenverkehrsrecht gewisse Übertretungen leichterer A r t aus dem Bereich des strafbaren Unrechts herauszunehmen, sie zu „entpönalisieren". A n die Stelle der Geldbuße t r i t t eine Verwaltungssanktion. Eine Unterscheidung des Unrechts soll dadurch nicht herbeigeführt werden, es soll lediglich für weniger strafwürdige Zuwiderhandlungen die Strafbarkeit entfallen. Das Rechtsinstitut ist umstritten und kann daher nicht zur Gewinnung allgemeiner Grundsätze herangezogen werden. Auch das Problem der Bewältigung der Massenverstöße i m Bereich der Verkehrskriminalität braucht nicht zur Annahme eines Wesensunterschiedes i m Unrecht zu führen, wie die neueren Rechtsentwicklungen i n den untersuchten Ländern mit ihren verschiedenen Ergebnissen zeigen: Es wurde i n Österreich m i t der Möglichkeit der „Lenkerbenachrichtigung" und i n der Schweiz mit der Einführung der „Gassenbussen" i m „Ticketverfahren" gelöst. I n Frankreich hat man das als Relikt des deutschen Rechts i m ehemaligen Elsaß-Lothringen . beibehaltene Strafbefehlsverfahren auf das ganze Staatsgebiet ausgedehnt. Man glaubt, auch weiterhin mit der gerichtlichen Zuständigkeit auskommen zu können. Lediglich i n Italien ist man den umstrittenen Weg einer „Entpönalisierung" gegangen. Ergebnis. Die Tatsachen, die zur Aufstellung der Lehre von den Ordnungswidrigkeiten Anlaß gaben, sind auch i n andern Rechtsordnungen bekannt, haben dort aber nicht zu einem eigenen Recht der Verwaltungsoder Ordnungswidrigkeiten geführt. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, daß die Existenz von eigengesetzlichen (aus der Natur der Sache sich ergebenden, auf materieller Verschiedenartigkeit der Handlungen beruhenden) Ordnungs- oder Verwaltungswidrigkeiten auf vergleichend-empirischem Wege nicht zu erweisen ist. Eine Strukturgesetzlichkeit, wie sie der Lehre von den Ordnungswidrigkeiten nach ihren Angaben zugrunde zu liegen scheint und die, wenn sie vorhanden wäre, i n den Bildungen der positiven Rechte zum Durchbruch kommen müßte, läßt sich nicht erkennen. Wohl haben die einzelnen Rechtsordnungen Formen entwickelt, u m verschiedene praktische Ziele, wie sie auch von der Verwaltungsstrafrechtstheorie erstrebt werden, zu erreichen, aber ohne damit deren theoretische Forderungen zu übernehmen und die Einheit des Strafrechts zu sprengen.
Schrifttum Hinweis: Enthält das folgende Verzeichnis n u r eine Schrift eines Verfassers, so w i r d sie i n der Arbeit allein m i t dem Verfassernamen ohne Titelangabe zitiert. Dasselbe g i l t bei mehreren Schriften eines Verfassers für die L e h r u n d Handbücher sowie Kommentare, sofern nicht durch Zusammentreffen verschiedener derartiger Werke eines Verfassers eine Titelangabe notwendig ist. I m übrigen werden die Buchtitel i n der A r b e i t möglichst m i t einer K e n n zeichnung i n abgekürzter F o r m angeführt. Ahegg, Julius Friedrich Heinrich: Lehrbuch der Strafrechtswissenschaft. Neustadt a. d. Orla, 1836. Acta Borussica: Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung i m 18. Jahrhundert, hrsg. von der Königl. Akademie der Wissenschaften. Behördenorganisation u n d allgemeine Staatsverwaltung. 8 Bde., Berlin, 1894 - 1906. Adamovich, L u d w i g : Handbuch des österreichischen Verfassungsrechts. 6. Aufl., nach der von Hans Spanner bearbeiteten 5. Aufl., bearbeitet von L. K . Adamovich jr., Wien u n d New York, 1971. — Handbuch des österreichischen Verwaltungsrechts. 5. Aufl., 2 Bde., Wien, 1953,1954 (zitiert: Handbuch). — Von der Gewaltentrennung i m formellen u n d materiellen Sinn unter Berücksichtigung der Abgrenzung von Gerichtsbarkeit u n d Verwaltung, insbesondere auf dem Gebiete des Strafrechtes. Verhandlungen des vierten österreichischen Juristentages Wien 1970, Bd. I I , 1. Teil, Wien, 1972, S. 5. Aeppli, Gion F e l i x : Formelles Übertretungsstrafrecht i m K a n t o n Zürich. Z ü rich, 1971. Alimena, Bernardino: P r i n c i p i i d i diritto penale. Vol. 1, Napoli, 1910. Alimena, Francesco: L'elemento psicologico nelle contravvenzioni. Sc. pos. 1939, S. 202. Allfeld, P h i l i p p : Lehrbuch des Deutschen Strafrechts. 8. Aufl. des von Hugo Meyer begründeten Lehrbuchs, Leipzig u n d Erlangen, 1922. A i t e r n a t i v - E n t w u r f : A l t e r n a t i v - E n t w u r f eines Strafgesetzbuches. Allgemeiner Teil. Vorgelegt von Jürgen Baumann u. a. Tübingen, 1966. Amira, K a r l von: Germanisches Recht. Bd. 1: Rechtsdenkmäler. 4. Aufl. bearbeitet von K a r l August Eckhardt, Berlin, 1960. Ancel, Marc: Chronique de droit pénal français (1950- 1956). ZStW 70 (1958), S.107. Anders, Georg: Verwaltungsstraf recht. Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, hrsg. von Fritz Stier-Somlo u n d Alexander Elster, Bd. 6, B e r l i n und Leipzig, 1929, S. 625. Angeloni, Carlo: L a contravvenzione. 3. ed., Milano, 1964. Angermeier, Heinz: K ö n i g t u m u n d Landfriede i m deutschen Spätmittelalter. München, 1966. 25 M a t t e s
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