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German Pages 1094 Year 2005
GEORG M E Y E R / G E R H A R D
ANSCHÜTZ
Lehrbuch des deutschen Staatsrechts
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1000
GEORG MEYER
Lehrbuch des deutschen Staatsrechts Nach dem Tode des Verfassers in siebenter Auflage bearbeitet von
Gerhard Anschütz Achte Auflage, unveränderter Nachdruck der 7. Auflage M i t einer Einleitung von Ernst-Wolfgang Böckenförde
Duncker & Humblot • Berlin
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Unveränderter Nachdruck der 7. Auflage von 1919 Alle Rechte vorbehalten © 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 3-428-12000-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706©
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Einleitung zur achten Auflage Von Prof. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde
Als das hier erneut publizierte Werk im Frühjahr 1919 der Öffentlichkeit als „Lehrbuch des deutschen Staatsrechts" übergeben wurde, stand es im Übergang von geltendem Recht zur Geschichte. Gerhard Anschütz, der Bearbeiter der 7. Auflage, die in drei Lieferungen (1914, 1917 und dann insgesamt 1919) ausgegeben wurde, war der Auffassung, daß der „Meyer-Anschütz" ungeachtet der staatsrechtlichen Umwälzung noch weiter gebraucht werden könne. „So mag denn", heißt es im Vorwort, „dieses Buch noch einmal hinausgehen, als eine letzte zeitgenössische Beschreibung des gesamten deutschen Staatswesens, so wie es vor der Umwälzung in Reich und Einzelstaaten ausgesehen hat." Und mit dem verhaltenen Stolz des national und liberal denkenden Gelehrten und Bürgers fügt er an: „Möge es über seinen nächsten rechtswissenschaftlichen Zweck hinaus die Erinnerung wachhalten an eine Epoche deutschen Staatslebens, die unserem Volke mit der Erfüllung seines Einheitstraumes ein vordem von Vielen ersehntes, von Wenigen für möglich gehaltenes Maß von Macht, Glück und Glanz gebracht hat."
1. In der Tat präsentiert sich mit dem „Meyer-Anschütz" der Abschluß einer Epoche des deutschen Staatsrechts und deutscher Staatsrechtswissenschaft. Sie ist charakterisiert durch das, was als „staatsrechtlicher Positivismus" gekennzeichnet wird. Zu diesem staatsrechtlichen Positivismus gehört nicht nur der Ausgang vom gegebenen positiven Recht unter Abweisung metapositiver, d. h. historisch-politischer sowie in die Rechtsphilosophie und Staatstheorie übergreifender Erörterungen, sondern ebenso und primär die dogmatischbegriffliche Erklärung und Darbietung dieses Rechts auf hohem Niveau und mit besonderer darstellerischer Kraft. Die deutsche Staatsrechtslehre, ja das deutsche öffentliche Recht verdankt dieser Epoche zahlreiche herausragende systematisch orientierte Darstellungen und monographische Untersuchungen.1 Unter ihnen gehört der Meyer-Anschütz nach Inhalt und Wirkung in die erste Reihe.
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Ernst-Wolfgang Böckenförde
Der Autor des Werkes, Georg Meyer, entstammte dem Lipperland. 1841 in Detmold als Sohn eines Gastwirts und späteren Oberbürgermeisters von Detmold geboren 2, legte er dort 1860 die Abiturprüfung ab und verbrachte zunächst drei Semester an der Universität Jena mit dem Studium der Rechte, auch der Geschichte und Philosophie, wechselte zum Wintersemester 1861 / 62 an die Universität Heidelberg und wurde dort bereits im März 1863 - noch vor seinem ersten juristischen Staatsexamen in Detmold am 12. Juni 1863 - zum Doktor der Rechte promoviert. Kurze Zeit als Auditor im lippischen Staatsdienst tätig, von dort zu statistischen Studien und entsprechender Tätigkeit beurlaubt, wandte er sich bald der Wissenschaft zu und habilitierte sich 1867 an der Universität Marburg. 1872 zum ao. Professor für Staats- und Verwaltungsrecht in Marburg ernannt, wurde er Anfang 1875 als Ordinarius an die Universität Jena berufen. Hier entstanden seine Hauptwerke, die Lehrbücher des Deutschen Staatsrechts (1878) und des Deutschen Verwaltungsrechts (1883/85). Seit 1889 wirkte er an der Universität Heidelberg, hochgeachtet und anerkannt, wo er im Februar 1900, erst 59 Jahre alt, nach einem Schlaganfall verstarb. Als Bürger der nationalliberalen Richtung und Partei zugehörig, war Georg Meyer auch politisch tätig, von 1881 bis 1890 gehörte er dem Reichstag an, später war er Vertreter der Universität Heidelberg in der badischen Ersten Kammer. Das Lehrbuch des deutschen Staatsrechts von Georg Meyer wurde schnell eine Erfolgsgeschichte. Zuerst 1878 erschienen, zwei Jahre nach dem ersten Band von Paul Labands Staatsrecht des deutschen Reiches, folgten die weiteren Auflagen in kontinuierlichen Abständen: 1885 die zweite, 1891 die dritte, 1895 die vierte und 1899 bereits die fünfte, während die fünfte und letzte Auflage von Labands Staatsrecht erst 1911 bis 1914 erschien. Hinzu kamen noch die beiden von Gerhard Anschütz bearbeiteten (sechste 1905, siebente 1914-1919) Auflagen; in ihnen wurde aus dem Meyer'schen Lehrbuch der „Meyer-Anschütz". Diese weitreichende Wirkung erzielte das Werk durch seine besonderen Qualitäten: es verband Landesstaatsrecht und Reichsstaatsrecht in einem, stellte mithin das gesamte deutsche Staatsrecht dar; es tat dies in streng systematischem Aufbau, gegliedert nach Herrschaftsbereich, Organen, Funktionen und Grenzen der staatlichen Herrschaftsmacht; ferner in prägnanter, einprägsamer und begrifflich durchformter Darstellung, unter 1
Siehe den Überblick bei Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2, München 1992, S. 330-364 und Manfred Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1997, S. 235-298. 2 Die biographischen Angaben nach Carsten Doerfert, Georg Meyer (1841-1900). Staatsrechtler und Politiker aus Lippe, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde, Bd. 62 (1993), S. 191-197 und Georg Jellinek, Georg Meyer, in: ders. Ausgewählte Schriften und Reden, Bd. 1, Berlin 1911, S. 272-281.
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Einbeziehung auch der Grundbegriffe des Staatsrechts und einer Geschichte des deutschen Staatsrechts vom alten Reich an. Alles, was der Studierende und der berufliche Praktiker für die Erlernung und Anwendung des im Fortgang der Zeit sich weiter differenzierenden Staatsrechts brauchte, war hier versammelt. Der Umfang stieg denn auch kontinuierlich von 640 Seiten in der ersten über 772 in der vierten, auf 1067 Seiten in der siebenten Auflage. Kein geringerer als Georg Jellinek beurteilte die Lehrbücher Georg Meyers als „die besten dieser Art, die die deutsche Literatur aufzuweisen hat. Sie behandeln das Reichsrecht und das Recht sämtlicher Bundesstaaten als eine Einheit und zeichnen sich durch eine unerreichte stoffliche Fülle aus, die das ganze ungeheure Material der modernen Gesetzgebung in der umfassendsten Weise in sich aufgenommen hat." 3
2. Welche sachliche, inhaltliche und methodische Bedeutung dem Meyer-Anschütz im Rahmen der deutschen Staatsrechtslehre zukommt, zeigt am deutlichsten ein Blick auf die Entwicklung der deutschen Staatsrechtswissenschaft im 19. Jahrhundert. Über diese Entwicklung gibt es zwei ausführliche, in sich besonders gelungene Darstellungen 4, so daß es an dieser Stelle nur weniger Bemerkungen bedarf. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wirkte einerseits die Tradition der alten Reichspublizistik fort, die vorwiegend das geschichtlich gewordene Reichsstaatsrecht in Anwendung der historisch-politischen Methode aufbereitete und zusammenfaßte und in Johann Stephan Pütter einen herausragenden, zur Systematisierung befähigten Vertreter gefunden hatte. Anderseits gab es die von den Gedanken des Vernunftrechts beeinflußte Literatur zu einem allgemeinen Staatsrecht i. S. eines ius publicum universale. Auf beider Grundlage entstanden nach 1815 nicht wenige Werke zum öffentlichen Recht des deutschen Bundes, zu einem deutschen Staats- und Bundesrecht oder auch einem „gemeinen" deutschen Staatsrecht.5 Daneben entwickelte sich, getragen von der vormärzlichen konstitutionell-liberalen Bewegung und orientiert nicht zuletzt an den süddeutschen konstitutionellen Verfassungen, eine (frühe) konstitutionelle Staatsrechtslehre; sie war teils vernunftrechtlich, teils von einem geschichtlich-organischen Liberalismus 6 geprägt, gemeinsam aber von 3
Georg Jellinek, Georg Meyer, in: Badische Biographien 5 (1906), S. 565. * Michael Stolleis (N. 1), S. 39-120, 156-228; Manfred Friedrich (N. 1), S. 88234; unter methodengeschichtlichem Aspekt ferner Walter Pauly, Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus, Tübingen 1993, S. 52-91. 5 Nachweise und Würdigung bei Michael Stolleis (N. 1), S. 81-99.
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einem staatsrechtlich-politischen Impetus und entsprechenden Ordnungsbild getragen; beides fand etwa - auch in seiner Variationsbreite - im Staatslexikon von Rotteck und Welcker 7 seinen Ausdruck. Diese frühe konstitutionelle Staatsrechtslehre verlor nach den Erfolgen (in vielen Einzelstaaten) und dem Scheitern (im Hinblick auf das Reich) der bürgerlich-liberalen Verfassungsbewegung der Jahre 1848/49 ihren Elan und zunehmend auch ihre Überzeugungskraft. Angesichts der Konsolidierung der staatsrechtlichen Verhältnisse im Sinn einer monarchisch-konstitutionellen Ordnung, die nach den bewegten Jahren 1848 bis 1850 eintrat - alle deutschen Einzelstaaten und selbständigen Städte außer den beiden Mecklenburgs hatten konstitutionelle Verfassungen - büßte die Begründung der Pflichten und Rechte im Staat aus allgemeinen Vernunftideen oder der Geschichte des Rechts einen guten Teil ihrer Notwendigkeit und Evidenz ein. Statt dessen setzte sich Schritt für Schritt eine Richtung durch, welche die Behandlung des Staatsrechts strikt auf das positivrechtlich Gegebene begrenzen und dieses vermittels einer formalen juristischen Methode in einem dogmatisch-begrifflichen System erfassen und entfalten wollte. Sie nahm sich nicht überall, aber weithin die Methode und Dogmatik des Zivilrechts zum Vorbild, wie sie vor allem im sog. Pandektenrecht zur Erscheinung kam. Damit war der Weg zum staatsrechtlichen Positivismus vorgezeichnet. Er entsprach auch dem Gang der Zeit in eine von der Philosophie, erst recht der Metaphysik befreite Weltsicht, die sich allein auf die positiv gegebenen, die erfahrbaren und meßbaren Dinge bezog und sich diesen zuwandte. Eine philosophisch und staatswissenschaftlich geprägte Staatsrechtswissenschaft, wie sie der große Lorenz v. Stein und auch Rudolf von Gneist noch repräsentierten, wirkte in diesem Rahmen eher wie ein Nachhall aus schon vergangener Zeit.
3. Das Werk Georg Meyers steht auf dem Boden dieses staatsrechtlichen Positivismus. Es ist voll und ganz getragen von der Ausrichtung einerseits auf das geltende positive Recht, das in den Einzelstaaten und im Reich Gestalt gewonnen hatte, andererseits auf die juristische anstelle einer philosophischhistorisch-politischen Methode. Darin bewegt es sich ganz in den Bahnen, die 6 Siehe dazu E.-W. Böckenförde, Die Einheit von nationaler und konstitutioneller politischer Bewegung im deutschen Frühliberalismus, in: ders. (Hg.) Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815-1914), 2. Aufl. Königstein 1981, S. 31 -34. 7 Das Staatslexikon. Enzyklopädie der sämtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, hrg. von Karl v. Rotteck u. Karl Th. Welcker, Leipzig 1834 ff.; neue Auflage Altona 1845-1848 (12. Bde.).
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Carl Friedrich von Gerber vorgezeichnet hatte, der Abkehr von jeder Art politischen und staatsphilosophischen Raisonnements und der Hinwendung zur juristischen Methode und Konstruktion. Was Gerber unternahm, war die „Aufstellung eines wissenschaftlichen Systems . . . in welchem sich die einzelnen Gestaltungen als die Entwicklung eines einheitlichen Grundgedankens darstellen." 8 Dieser Grundgedanke war die Erfassung des Staates als einheitliche Rechtspersönlichkeit, in deren Zentrum der Monarch als souveränes Willenssubjekt steht, eine Rechtsperson mit Herrschafts- und Willensmacht, soweit ihr nicht (durch die Konstitution und Gesetze) rechtliche Grenzen gezogen sind. Die Feststellung dieser Grenzen erscheint als die erste Aufgabe des Staatsrechts.9 Gerber verwirft zwar den Charakter des Staates als Organismus bzw. organischer Rechtspersönlichkeit nicht, der heute im Begriff der Organisation fortlebt, aber er konstruiert gleichwohl den Staat als eigenes und einheitliches Rechts- und Willenssubjekt, als dessen Willensmacht die Staatsgewalt erscheint, die er in und durch seine Organe, primär den Monarchen ausübt. Gerber stellt so, wie mit Recht bemerkt worden ist, 1 0 nicht eigentlich das positive Staatsrecht selbst dar, er entwickelt vielmehr eine Theorie des positiven Staatsrechts, wie es in den damals eingeführten Verfassungen existierte und für ihn ein Ausdruck der Rechtsüberzeugung des deutschen Volkes war. Diese Theorie war - sieht man genauer hin - eine Theorie und juristische Konstruktion auf der Grundlage und in Anerkennung des monarchischen Prinzips als Prämisse des konstitutionellen Staatsrechts 11; das entsprach der damaligen staatsrechtlichen Lage. Sie setzt die Geltung dieses Prinzips, wie es beispielhaft die bayerische Verfassung von 1818 formulierte, 12 voraus und bildet es in der Weise juristisch-konstruktiv ab, daß der Monarch vom Ober8 Carl Friedrich v. Gerber, Grundzüge eines Systems des deutschen Staatsrechts, Leipzig 1865, Vorrede; für den Zusammenhang siehe Walter Pauly (N. 4), S. 141 ff. 9 Carl Friedrich v. Gerber (N. 8), S. 229. 10 Manfred Friedrich (N. 1), S. 232; Andeutungen in dieser Richtung schon bei Walter Pauly (N. 4), S. 148 f. 11 Manfred Friedrich (N. 1), S. 229. 12 Bayer. Verfassung Tit. II, § 11: Der König ist das Oberhaupt des Staats, vereiniget in sich alle Rechte der Staatsgewalt und übt sie unter den von ihm gegebenen in der gegenwärtigen Verfassungs-Urkunde festgesetzten Bedingungen aus. (E.R. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, Stuttgart 1961, S. 142). Inhaltlich gleichlaufend Art. 57 der Wiener Schlußakte von 1820: Da der Deutsche Bund, mit Ausnahme der freien Städte, aus souveränen Fürsten besteht, so muß dem hierdurch gegebenen Grundbegriffe zufolge die gesamte Staats-Gewalt in dem Oberhaupt des Staats vereinigt bleiben, und der Souverän kann durch eine landständische Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden (E.R. Huber, a. a. O., S. 88).
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haupt zum Hauptorgan des Staates selbst und die in ihm vereinigten Rechte der Staatsgewalt zur Staatsgewalt selbst werden. Der Staat, sich im Monarchen verkörpernd, als Träger souveräner Willens- und Herrschaftsmacht; das Staatsrecht als bloße Selbstbegrenzung dieser Willens- und Herrschaftsmacht; die staatlichen Funktionen als deren Handlungsformen; die Einzelnen, das Volk und die Kooperationen primär als Gegenstände, auf die sich die Herrschaftsmacht bezieht; die Position der Volksvertretung (Stände) nicht als eigenes Herrschaftsrecht, sondern nur beschränkend zu dem Willen des Monarchen hinzutretend: all dies und das sich darin zeigende Staatsbild sind konsequente Ableitungen und Anwendungen, die von der entwickelten Theorie getragen werden, nicht spekulative oder politisch motivierte Erfindungen. Sie werden in Konstruktionen und abstrakten Begriffen gefaßt, die nicht selten kaum schon bei Gerber, häufig später bei Laband - dem Privatrecht entliehen sind. Auf dieser Systembasis baut das Staatsrechtslehrbuch von Georg Meyer auf, sie prägt seinen Aufbau, seine Diktion wie auch seine begriffliche Struktur.
4. Gleichwohl kann dieses Lehrbuch nicht als Parallele zu Labands Staatsrecht des deutschen Reiches, gewissermaßen als dessen kleinerer Bruder, angesehen werden. Dies könnte sich zwar nahelegen, denn gerade Laband bewegte sich voll in den Bahnen C. F. v. Gerbers und machte sich die Anwendung von dessen juristischer Methode und begrifflicher Konstruktion nicht nur zu eigen, sondern baute sie weiter aus und vollendete sie, ja übersteigerte sie in gewisser Weise. Nicht ohne Grund wird vielfach von der Gerber-Laband'schen Methode in der Behandlung des Staatsrechts gesprochen. Aber es würden dabei wichtige Unterschiede und die Eigenart des Meyer'schen Werkes übersehen. In Georg Meyers Staatsrecht zeigt sich nämlich eine andere Linie der Rezeption und Fortführung C. F. v. Gerbers, die gegenüber dem Laband'sehen Werk in mehrfacher Hinsicht eine Eigenständigkeit, wenn nicht gar Gegensätzlichkeit aufweist. a) Das beginnt schon bei der Handhabung der juristischen Methode. Beide Werke bekennen sich zu ihr, aber sie entwickeln ein durchaus unterschiedliches methodisches Programm. Während Laband für die juristische Konstruktion seine Zuflucht vornehmlich zu den dem Privatrecht entnommenen Rechtsbegriffen nimmt, die er zu „allgemeinen Rechtsbegriffen" aufsteigert, geht es Meyer konkret um die Erfassung und Anwendung spezifisch staatsrechtlicher Begriffe. Laband beschreibt im Vorwort zum ersten Band seines Staatsrechts die rechtswissenschaftliche Behandlung des Staatsrechts folgendermaßen: 13
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„Es handelt sich ... um die Analyse der neu entstandenen öffentlich-rechtlichen Verhältnisse, um die Feststellung der Natur derselben und um die Auffindung der allgemeinen Rechtsbegriffe, denen sie untergeordnet sind ... Eigentümlich ist der Deutschen Verfassung sowie jeder konkreten Rechtsbildung nur die tatsächliche Verwendung und Verbindung der allgemeinen Rechtsbegriffe." So ergibt sich, „daß auf dem Gebiete des Staatsrechts zahlreiche Begriffe wiederkehren, welche ihre wissenschaftliche Feststellung und Durchbildung zwar auf dem Gebiete des Privatrechts gefunden haben, welche ihrem Wesen nach aber nicht Begriffe des Privatrechts, sondern allgemeine Rechtsbegriffe sind. Nur müssen sie allerdings von spezifisch-privatrechtlichen Merkmalen gereinigt werden." Demgegenüber heißt es zwei Jahre später bei Georg Meyer im Anschluß an sein Bekenntnis, daß das Buch Staatsrecht und nicht Politik sein solle: „Entschieden fordere ich, daß bei der Behandlung des Staatsrechts nach streng juristischer Methode verfahren wird. Die Begriffe sind im Staatsrecht ebenso scharf zu fassen, die Konsequenzen ebenso streng zu ziehen, wie im Privatrecht. Damit soll freilich nicht gesagt sein, daß es sich um eine einfache Übertragung privatrechtlicher Begriffe auf das Staatsrecht handele. Im Gegenteil: Privatrecht und Staatsrecht sind ihrer ganzen Anlage nach so fundamental verschieden, daß privatrechtliche Analogien in letzterem nur mit der größten Vorsicht gebraucht werden dürfen. Die staatsrechtlichen Begriffe aus dem Wesen des Staates heraus zu entwickeln, halte ich für die vornehmste Aufgabe des Staatsrechts."14 Das ist weit mehr als nur die Setzung unterschiedlicher Akzente. b) Entsprechend stellt Meyer der Darstellung des geltenden Staatsrechts eine Einleitung „Grundbegriffe des Staatrechts" voran, die in der ersten Auflage schon 30, in der letzten 60 Seiten umfaßt. Er beschränkt diese kompakte Zusammenfassung einer allgemeinen Staatslehre bewußt auf die Entwicklung der juristischen Begriffe und läßt etwa die Lehre vom Staatszweck und der Entstehung des Staates draußen vor - das ist der Vermeidung des politischen oder staatsphilosophischen Raisonnements geschuldet.15 Aber in diesem Rahmen greift er entschieden auf die Sache zu, fern aller formalen Begriffsbildung und Konstruktion. Der Begriff des Staates wird nicht auf die juristische Person reduziert, vielmehr von dem des politischen Gemeinwesens her gebildet. Und das politische Gemeinwesen erfordert „1. das Vorhandensein eines menschlichen Gemeinwesens, d. h. einer organisierten Mehrheit von Men13
Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1, Tübingen 1876, S. VI und VII; weitere Verdeutlichung im Vorwort zur 2. Aufl., vgl. Bd. 1, 5. Aufl., Tübingen 1911, S. IX. Zu Labands Methode allgemein siehe E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., Berlin 1981, S. 216 ff. und Christoph Schönberger, Das Parlament im Anstaltsstaat. Zur Theorie parlamentarischer Repräsentation in der Staatsrechtslehre des Kaiserreichs, Frankfurt/M. 1997, S. 85 ff. 14 Georg Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, Leipzig 1878, Vorwort (S. V). 15 Georg Meyer (N. 14), Vorwort S. V/VI.
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sehen, 2. eine territoriale Grundlage, 3. die sachliche Unbegrenztheit des Wirkungskreises" 16 - im Kern bereits die Drei-Elementen-Lehre von Georg Jellinek, fünfzehn Jahre vor Erscheinen von dessen Allgemeiner Staatslehre. Der Staat faßt „die in ihm verbundenen Glieder zu einer höheren Einheit zusammen und unterwirft sie seiner Herrschaft." 17 Ferner behandelt Meyer ausführlich die Geschichte des deutschen Staatsrechts von der Zeit des alten Reiches an, ein imposantes und detailgenaues Kompendium der Staatsrechts- und Verfassungsentwicklung, nicht zuletzt in der Zeit des Rheinbundes und des Deutschen Bundes, bis hin zu den Entstehungsvorgängen des Norddeutschen Bundes und des Bismarckreichs. Eine Ablösung von Geschichte und Tradition des Staatsrechts findet in keiner Weise statt. Laband beginnt demgegenüber voraussetzungslos mit der Entstehung des Deutschen Reiches von 1871 und setzt dafür mit der Auflösung des Deutschen Bundes 1866 ein. c) Die andere Linie der Gerber-Rezeption zeigt sich weiter in der Verbindung von Reichs- und Landesstaatsrecht in Meyers Werk. Gerber hatte Grundzüge des Systems des deutschen Staatsrechts geliefert, ein dogmatischbegriffliches Grundgerüst anhand des Materials, welches das Recht der Einzelstaaten vor der Gründung des Deutschen Reiches darbot, ohne aber dieses Recht selbst darzustellen. Laband wandte sich dann allein dem Staatsrecht des Reiches zu, und dies in aller Ausführlichkeit. Meyer fand eine Synthese, indem er Reichs- wie Landesstaatsrecht unter übergreifenden Gliederungspunkten systematisch zusammenfaßte und dadurch eine starke begrifflich-institutionelle Durchbildung erreichte. d) Es ist aber nicht allein die Grundanlage, auch in Einzelpositionen tritt diese andere Linie deutlich hervor. Beispielhaft sei auf die Diskussion und den Begriff des Bundesstaates in seiner Abgrenzung zum Staatenbund sowie auf die rechtliche Qualifizierung der Grund- und Freiheitsrechte verwiesen. Die Frage, ob das Bismarckreich ein eigener Staat, also Bundesstaat, oder nur eine Vereinigung souverän bleibender Staaten, mithin Staatenbund sei, ist nach der Reichsgründung in der Staatsrechtslehre lebhaft und kontrovers diskutiert worden. 18 Laband ging davon aus, daß es sich bei diesem Gegensatz
16 Georg Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 2. Aufl., Leipzig 1885, § 1, S. 2; unverändert bis in die 7. Auflage. 17 Georg Meyer (N. 14), § 3, S. 5. 18 Siehe Michael Stolleis (N. 1), S. 365-368 und Paul Laband (N. 13), § 8, wo bereits in der ersten Auflage nach der Darlegung des eigenen Bundesstaatsbegriffs (S. 70-73) der Auseinandersetzung mit abweichenden Auffassungen 12 Seiten (73 - 85) gewidmet sind. In der fünften Auflage umfaßt die Kritik entgegenstehender Ansichten einen eigenen Paragraphen von 26 Seiten (72-88).
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um denselben handele wie zwischen juristischer Person und Gesellschaft auf dem Gebiet des Privatrechts. Wie die juristische Person ein Rechtssubjekt, die Gesellschaft nur ein Rechtsverhältnis ist, so ist der Staat und auch der Bundesstaat, weil eine organisierte Einheit und Person, kein Rechtsverhältnis, der Staatenbund nur ein Rechtsverhältnis und kein Rechtssubjekt mit allem, was daraus folgt. 1 9 - tertium non datur. Anders Georg Meyer. Er fragt vor dem Hintergrund der historisch vorfindlichen Zusammenschlüsse von Staaten wie den USA, der Schweizer Eidgenossenschaften nach 1815 und dem Deutschen Bund nach einem eigenen staatsrechtlichen Begriff für Verbindungen von Staaten und findet ihn im Begriff des Bundes. Dieser erscheint als der Grundbegriff für Staatenverbindungen als Vereinigungen mehrerer Staaten zu einem größeren Gemeinwesen, in dem eine höhere Gewalt existiert, der eine begrenzte Herrschaft über die einzelnen Staaten zusteht.20 Jeder Bund ist ein Rechtssubjekt des öffentlichen Rechts mit bestimmten eigenen Herrschaftsbefugnissen und Organen, Staatenbund und Bundesstaat unterscheiden sich nach der Art der Ausübung dieser Befugnisse - nur über die Staaten oder auch unmittelbar über die einzelnen Staatsangehörigen. Der Gegenbegriff ist die Allianz, die rein vertragsmäßigen Charakter mit wechselseitigen Einzelverpflichtungen hat. 21 Hier zeigt sich keine abstrakte, sondern eine historisch konkrete und gleichwohl juristische Begriffsbildung. Bei den Freiheitsrechten ging der Streit darum, ob sie überhaupt als subjektive Rechte oder nur als objektiv-rechtliche Selbstbeschränkungen staatlicher Herrschaftsmacht anzusehen seien. Laband ebenso wie C. F. v. Gerber sahen in ihnen überhaupt keine Rechte im subjektiven Sinn. Die Freiheitsrechte oder Grundrechte, sagt Laband „sind Normen für die Staatsgewalt, welche dieselbe sich selbst gibt, sie bilden Schranken für die Machtbefugnisse der Behörden, sie sichern dem Einzelnen seine natürliche Handlungsfreiheit in bestimmtem Umfange, aber sie begründen nicht subjektive Rechte der Staatsbürger. Sie sind keine Rechte, denn sie haben kein Objekt." 22 Dem tritt Meyer entgegen: „Individuelle Freiheitsrechte oder Grundrechte sind solche Rechte, welche dem Einzelnen eine Freiheit von Einwirkungen des Staates gewähren." 2 3 Und Laband wie Gerber entgegnet er knapp und klar, es sei freilich 19 Paul Laband (N. 13), § 7, S. 56/57. Eine Kritik dieser privatrechtlichen Analogie erfolgte schon 1876 durch Georg Meyer, Staatswissenschaftliche Literatur, in: Hirths Annalen 1876, S. 662. 20 Georg Meyer (N. 14), § 13 u. 14, S. 20 ff.; in der zweiten Auflage ist die Darstellung insbes. im Hinblick auf den Bundesstaat weiter ausgearbeitet und präzisiert, vgl. dort (Fn. 16), § 14, S. 26-34. 21 Georg Meyer (N. 14), § 13, S. 20. 22 Paul Laband (N. 13), § 15, S. 149; unverändert in der 5. Aufl., Bd. 1, § 16, S. 151. 23 Georg Meyer (N. 14), § 217, S. 566.
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nicht zu leugnen, daß die gesetzlichen Bestimmungen, auf denen die Grundrechte beruhen, den Charakter von Rechtssätzen haben. „Aber der Anspruch, den diese Rechtssätze jedem einzelnen auf Freiheit von der Einwirkung staatlicher Organe gewähren, bildet einen Bestandteil seines individuellen Rechtskreises und ist daher insofern allerdings ein Recht im subjektiven Sinn." 2 4 Mehr braucht nicht gesagt zu werden, um deren Auffassung zu erledigen. Anschließend verweist Meyer auf die klassischen Grundrechtserklärungen als „gesetzliche Fixierungen" der Grundrechte.
5. Ein Wort ist noch zur Entwicklung des Lehrbuchs vom „Meyer" zum „Meyer-Anschütz" zu sagen. Zwischen der ersten und siebenten Auflage, die hier erneut präsentiert wird, liegen mehr als 40 Jahre. In dieser Zeit ist das Werk nicht nur an Umfang gewachsen und detaillierter geworden, es hat sich ein Stück weit auch verändert. Die erste bis fünfte Auflage wurde von Georg Meyer allein bearbeitet. Anlage, Duktus und Positionen sind dabei stets gleich geblieben; die anfängliche Präzision der Aussagen lockerte sich im Fortgang der Bearbeitung und durch von der Gesetzgebung veranlaßte Ergänzungen zuweilen etwas auf, zuweilen wurde sie aber auch vertieft. Als Beispiel für letzteres sei auf die Einleitung zu den individuellen Freiheitsrechten (§217) verwiesen. Als Gerhard Anschütz dann die Bearbeitung der 6. Auflage übernahm, beschränkte er sich mit großem Respekt vor dem Werk Georg Meyers im wesentlichen darauf, Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung nachzutragen, solche Abänderungen in Text und Anmerkungen vorzunehmen, die durch die fortschreitende Rechtsentwicklung und den neuen Stand der Theorie bedingt waren, und den Inhalt des Buches hie und da durch sachliche Ausführungen zu ergänzen. Abänderungen und Ergänzungen wurden jeweils durch Einschließung in eckige Klammern deutlich gemacht. Zu anderweitigen Änderungen hielt Anschütz sich, wie er im Vorwort ausführt, nicht für berufen, „auch da nicht, wo meine Ansichten von denen des Verfassers abweichen." 25 Das änderte sich in der 7. Auflage. Für sie entschloß sich Anschütz, „in ziemlich erheblichem Umfange Korrekturen und Zusätze im Text und Anmerkungen anzubringen, um solche Ansichten des Verfassers, die mir nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft nicht mehr haltbar erscheinen, durch die mei24 Georg Meyer (N. 14), § 217, S. 567. 25 Georg Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts. Nach dem Tode des Verfassers in sechster Auflage bearbeitet von Gerhard Anschütz, Leipzig 1905, Vorwort S. VI.
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nes Erachtens richtigen Meinungen zu ersetzen" (Vorwort). Daraus spricht das Selbstbewußtsein des inzwischen zu einem der führenden Staatsrechtslehrer aufgestiegenen Autors. Die Änderungen beziehen sich nicht nur auf einzelne Sätze, sondern, wie Anschütz selbst vermerkt, auch auf „Partien" des Buches 26 und sind wiederum im Interesse der Klarstellung der Autorschaft und auch des „geistigen Eigentums" in eckige Klammern gesetzt. So wurde aus Meyers Lehrbuch der „Meyer-Anschütz", und in dieser Form ist das Buch auf uns überkommen.
6. Worin liegt die Bedeutung des „Meyer-Anschütz" für die Gegenwart? Die Bedeutung scheint mir eine zweifache. Zum einen ist das Buch ein historisches und staatsrechtsgeschichtliches Dokument hohen Ranges. Es spiegelt und repräsentiert eine Epoche des deutschen Staatsrechts und Staatsrechtsdenkens, die sich ungeachtet brüchig werdender Grundlagen durch eine hohe Rechtskultur und ein außerordentliches Niveau rechtswissenschaftlicher Arbeit auszeichnete. Diese Arbeit beruhte auf Grundgegebenheiten und Grundentscheidungen, die nicht mehr die heutigen sind, aber in deren dogmatischer Verarbeitung und Entfaltung zeichnete sie sich durch ein hohes Maß an Konsistenz und Folgerichtigkeit aus. Über diese rechtswissenschaftliche Kulturleistung darf das Etikett „staatsrechtlicher Positivismus" nicht hinwegtäuschen. Auch heute, ein Jahrhundert später, stehen wir teilweise noch auf deren Schultern; der Blick in die Abgründe des 20. Jahrhunderts, was Rechtsmißbrauch und die Setzung von Unrecht angeht, war dem staatsrechtlichen Positivismus noch verschlossen. Zum andern ergibt sich die Bedeutung aus der prägnanten Form der Darstellung, der dogmatisch-begrifflichen Durchbildung und systematischen Geschlossenheit, die das Buch aufweist. Es ist ihm dadurch gelungen, die seinerzeit bestehende Gestalt und Struktur der staatsrechtlichen Ordnung der konstitutionellen Monarchie konzise zu vermitteln und eine prägende Kraft für ihre Erlernung und Handhabung zu entfalten. Das ist eigentlich alles, was von einem Lehrbuch erwartet werden kann. So gesehen, hat der Meyer-Anschütz 26 So insbes. auf die §§12 bis 14 über Staatenverbindungen im allgemeinen sowie Staatenbund und Bundesstaat. Hier schwenkt Anschütz auf die vorherrschende Charakterisierung des Staatenbundes als bloßes Vertragsverhältnis und die Gegenüberstellung von Bundesstaat und Staatenbund als Staat und Nichtstaat ein, unter Eliminierung des Bundesbegriffs als Grundbegriff. Das hat u. a. zur Folge, daß auch § 64 über die Gründungsvorgänge und den Charakter des Norddeutschen Bundes weithin neu- bzw. umgeschrieben wurde, vgl. Meyer-Anschütz, 7. Aufl., S. 193-196.
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Ernst-Wolfgang Böckenförde
als Lehrbuch auch heute noch Vorbildcharakter. Ein Lehrbuch zum Bundesund Landesstaatsrecht der Bundesrepublik, in einem Band zusammengefaßt, welches das geltende Staatsrecht mit gleicher systematischer Kraft und dogmatisch begrifflicher Durchbildung darstellt, steht, soweit ich sehe, noch aus.
Yorwort zur siebenten Auflage. W a s ich dem k u r z nach Ausbruch des Krieges erschienenen ersten T e i l der nunmehr vollendeten siebenten Auflage dieses Buches m i t auf den W e g gab, sei hier wiederholt I c h sagte damals: „Georg Meyers Lehrbuch des deutschen Staatsrechts w i r d hiermit zum siebenten Male i n einer neuen Auflage der Öffentlichk e i t übergeben. D i e erste und selbstverständliche Aufgabe des Herausgebers bestand auch diesmal d a r i n , die durch die fortschreitende E n t w i c k l u n g des ßechts, der Rechtsanwendung u n d der ßechts Wissenschaft bedingten Änderungen vorzunehmen. Solche Änderungen sind nicht besonders kenntlich gemacht. Weiterhin aber habe ich mich diesmal, i m Unterschied von der Vorauflage entschlossen, i n ziemlich erheblichem Umfange K o r r e k t u r e n und Zusätze i m T e x t wie i n den Anmerkungen anzubringen, u m solche Ansichten des Verfassers, die m i r nach dem jetzigen Stande der Wissenschaft nicht mehr haltbar erschienen, durch die meines Erachtens richtigen Meinungen zu ersetzen. H i e r war, i m Interesse der Klarstellung der Autorschaft, eine äußerliche Kennzeichnung geboten. Diejenigen Partien und einzelnen Sätze des Buches, welche ich als mein geistiges Eigentum, als Ausdruck meiner von G. Meyer abweichenden Ansichten aufgefaßt zu wissen wünsche, sind i n eckige Klammern gesetzt, die ganz von m i r herrührenden Anmerkungen m i t kleinen Buchstaben bezeichnet. Das Buch w i r d i n drei Teilen ausgegeben werden, die zusammen einen Band bilden." — D i e Bearbeitung des zweiten und dritten Teils hat sich länger hingezogen als es erwünscht und vorauszusehen war. D e r K r i e g stellte mancherlei politische und publizistische Anforderungen an mich, welehe die Arbeit an dem „Meyer-Anschütz" immer wieder, oft auf Monate hinaus, zurückdrängten. Dazu k a m , als weitere Hemmung, meine Versetzung von der Berliner an die Heidelberger Universität, u n d auch die Drucklegung des Buches konnte, infolge der stets steigenden technischen Schwierigkeiten, nicht so schnell fortschreiten als es i n friedlichen Zeiten möglich gewesen u n d geschehen wäre. So vergingen die Jahre 1915 und 1916 bis zum Erscheinen des zweiten Teils (ausgegeben i m F r ü h j a h r 1917). Als die Bearbeitung des dritten zur größeren Hälfte fertiggestellt war, wendeten sich unsere Geschicke auf dem Kriegsschauplatz, und der Niederlage auf den Schlachtfeldern folgte der Zusammenbruch unseres Staatswesens i m Innern. D i e Revolution brach aus und
XVIII
Vorwort.
es erhob sich n u n für Verfasser und Verleger dieses Werkes die Frage, ob nach dem Untergange des bisherigen Staatsrechts die Weiterführung einer so umfassenden Darstellung dieses Staatsrechts, wie sie der „Meyer-Anschütz" bietet, noch angezeigt sei. Diese Frage konnte n u r bejaht werden. Ganz abgesehen von der historischen Bedeutung, welche dem vor unsern Augen zertrümmerten Reichsbau, dem Deutschland der Bismarckzeit, für alle Zeiten auch dann innewohnen w i r d , wenn niemals wieder etwas ihm Gleiches oder Verwandtes aus dem Schutt von heutzutage erstehen sollte, — niemand w i r d bestreiten, daß viele Abschnitte dieses Buches ihren seitherigen W e r t in jedem Falle behaupten werden. Dies g i l t vor allem von der ^Darstellung der Grundbegriffe des Staatsrechts und von den K a p i t e l n , welche der ferneren staatsrechtlichen Vergangenheit Deutschianas gewidmet sind, ebenso aber auch von den Erörterungen über die zahlreichen D i n g e , die aus dem alten i n das neue Staatsrecht vorläufig unverändert übernommen sind, wie Erwerb, Verlust und Inhalt der Staatsangehörigkeit, Grundrechte, Stellung der Fremden, Behördenund Gemeindeorganisation, Beamtenrecht, Gesetz und Verordnung, Justiz u n d Verwaltung, Staatsverträge und vieles andere mehr. U n d über dem allen: auch das neue Deutschland, das K i n d des verlorenen Krieges und der Revolution, es w i r d nicht so neu sein, daß es jede A n k n ü p f u n g an das Gewesene, an die bisherige Reichsverfassung, an den monarchisch-konstitutionellen Beamtenstaat des neunzehnten Jahrhunderts, an die Ideen von 1848 vermissen läßt. Wahrscheinlich werden solche Anknüpfungen und Zusammenhänge sogar i n v i e l größerer Fülle vorhanden sein als revolutionärer Enthusiasmus es sich jetzt träumen läßt. W e n n dem aber so ist, dann w i r d m i t dem i n die neue Zeit hinübergenommenen alten Recht auch die Lehre von diesem Recht, die so hochentwickelte und fein durchgebildete deutsche Staatsrechtswissenschaft der letzten Jahrzehnte, ihre Bedeutung weiterhin behalten u n d man w i r d den „Meyer-Anschütz" weiter brauchen können. U n d so mag denn dieses Buch noch einmal hinausgehen, als eine letzte zeitgenössische Beschreibung des gesamten deutschen Staatswesens, so wie es vor der Umwälzung, i n Reich und Einzelstaaten ausgesehen hat. Möge es den Nachlebenden Kunde bringen von der rechtlichen Gestaltung dieses Staatswesens und möge es, über diesen seinen nächsten rechtswissenschaftlichen Zweck hinaus die Erinnerung wach halten an eine Epoche deutschen Staatslebens, die unserm Volke m i t der Erfüllung seines Einheitstraümes ein vordem von Vielen ersehntes, von Wenigen für möglich gehaltenes Maß von Macht, Glück und Glanz gebracht hat. D i e nach uns kommen, werden sagen können, ob diese Epoche i n der deutschen Geschichte n u r eine Episode war und ebenso müssen w i r es ihrem U r t e i l überlassen, ob die Ergebnisse der Revolution von 1918 gegenüber dem, was an politischer Freiheit und sozialer Gerechtigk e i t i m bisherigen Deutschen Reich schon vorhanden w a r , oder
Vorwort.
XIX
doch, ohne gewaltsame Umwälzung erreichbar gewesen und auch sicher erreicht worden w ä r e , i n irgendeinem Sinne einen Fortschritt bedeuten. — Gegenstand der Darstellung ist das deutsche Staatsrecht vor der Revolution. Über den 9. November w i r d also i m T e x t des Buches nirgends hinausgegriffen. Doch schien es m i r nützlich, i n einem Nachtrage (S* 1023 ff.), anschließend an eine kurzgefaßte Schilderung der Ursachen der Revolution, die wichtigsten Tatsachen der mit jenem Schicksalstage einsetzenden staatsrechtlichen E n t w i c k l u n g zu verzeichnen. I n diesem Nachtrage findet man auch diejenigen Rechtsänderungen, literarischen Erscheinungen u n d sonstigen Veränderungen des Materials, welche nach dem D r u c k der beiden ersten Teile des Werkes (Juni 1914 bzw. März 1917) eingetreten sind u n d daher dort nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Die mühevolle Arbeit, T e x t und Anmerkungen auch i n bezug auf das Recht der deutschen Einzelstaaten, die kleinen nicht ausgenommen, richtigzustellen, ist m i r i n weitem Maße durch die Herren D r . F . W . v. Rauchhaupt i n Hamburg (Teil I des Werkes) u n d Professor D r . Waldecker i n Berlin (Teile I I und H I ) freundlichst abgenommen worden. Das Sachverzeichnis ist von Fräulein cand. j u r . Ilse Schmidt i n Heidelberg angefertigt. D i e m i r hierdurch geleistete Hilfe war so w e r t v o l l , daß es m i r Bedürfnis ist, ihrer auch an dieser Stelle dankbar zu gedenken. H e i d e l b e r g , A p r i l 1919.
Gerhard Anschütz.
Inhaltsverzeichnis. Einleitung.
Die Grundbegriffe des Staatsrechts* I. Staat und Staatenverbindungen § 1 IL Der Einheitsstaat. 1. Die Grundlagen des Staates. § 2 2. Der rechtliche Charakter des Staates. § 3 3. Der Wirkungskreis des Staates. § 4 4. Organe des Staates und Träger der Staatsgewalt. § 5 . . 5. Der Begriff der Souveränetät. § 6 6. Die Legitimität der Staatsgewalt § 7 7. Die staatlichen Funktionen. § 8 8. Die Staatsformen. § 9 . . . 9. Die Gliederung des Staates. § 10 10. Die subjektiven öffentlichen Hechte. § 11 I I I . Die Staatenverbindungen. 1. Die Staatenverbindungen im allgemeinen. § 12 2. Die Bundesverhältnisse. a) Der Staatenbund. § 13 b) Der Bundesstaat § 14 IV. Das Staatsrecht §§ 15—18 Erster
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11 13 16 17 21 25 27 32 35 37 41 45 48 55
Teil.
Geschichte des deutschen Staatsrechts. Erstes Buch. D i e Z e i t des Deutschen Reiches. I. Geschichtliche Übersicht. § 19 . . . . II. Quellen des deutschen Reichsstaatsrechts. § 20 I I I . Die Verfassung des Deutschen Reiches. 1. Staatsrechtlicher Charakter des Deutschen Reiches. § 21. 2. Der Kaiser. § 22 3. Der Reichstag. § 23 4. Die Rechtspflege des Reiches. §§ 24—28 5. Die Verwaltung des Reiches. § 29 . 6. Die K r eis Verfassung.
§ 30
61 68 71 74 78 83 91 93
IV. Die Landesverfassung. §§ 31, 32 93 V. Die Auflösung des Deutschen Reiches. § 33 99 VI. Literatur des deutschen Staatsrechts zur Reichszeit. § 34 . . 101 Zweites Buch. D i e Z e i t des Rheinbundes. 8§ 35—37 106 Drittes Buch. D i e Z e i t des Deutschen Bundes. Erster Abschnitt. D e r Bund. 1. Gründun? des Deutschen Bundes. § 38 113 2. Quellen des deutschen Bundesrechts. § 39 . 116 3. Mitglieder des Bundes. § 40 117 4. Rechtlicher Charakter dea Deutschen Bundes. § 41 . . . 121 5. Die Organisation der Bundesgewalt. §§ 42—44 125 6. Rechte der Bundesangehörigen. § 45 131 7. Die Gesetzgebung des Bundes. § 46 132
Inhaltsverzeichnis.
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8. Das Eingreifen des Bandes in die inneren Verhältnisse der Bandesstaaten. § 47 9. Die Tätigkeit des Bundes hinsichtlich des Verhältnisses der Bundesglieder zueinander. § 48 49 10. Die auswärtigen Verhältnisse des Bundes 11. Das Heerwesen des Bundes. § 60 . . 12. Die Finanzen des Bundes. § 51 . . . 13. Die Bundesexekution. § 52 Zweiter Abschnitt. D i e einzelnen Staaten. §§ 53—57 Viertes Buch. D i e G-rûndung des Deutschen Reiches. 1. Die Beformbestrebungen zur Zeit des Deutschen Bandes. §§ 58—60 2. Gründung des Norddeutschen Bundes. §§ 61—64 3. Die Gründung der Rechtsverhältnisse von Luxemburg. § 65 4. Die Beziehungen des Norddeutschen Bundes zu den süddeutschen Staaten. § 66 5. Die Gründung des Deutschen Reiches. §§ 67, 6 8 . . . . . 6. Die Erwerbung von Elsaß-Lothringen. § 69 7. Die Erwerbung der Schutzgebiete und Helgolands. § 69 a Zum dritten und vierten Buch. L i t e r a t u r des deutschen Staatsrechts seit Gründungjles Deutschen Bundes. § 70 . .
134 136 138 140 142 142 143 168 182 202 203 205 209 209 214
Zweiter Teil. Das heutige deutsche Staatsrecht.
Einleitung. 1. Die politische Organisation Deutschlands und der staatsrechtliche Charakter derselben. § 71 2. Quellen des deutschen Staatsrechts. §§ 72, 73 Erstes Buch. D e r Herrschaftsbereich. 1. Das Gebiet. §§ 74, 74 a 2. Die Angehörigkeit. §§ 75-79 3. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Reich und Einzelstaaten. §§ 80, 81 Zweites Buch. D i e Organe. Erster Abschnitt. D i e O r g a n i s a t i o n der Staaten. Einleitung. § 82 Erster Unterabschnitt. D i e k o n s t i t u t i o n e l l - m o n a r c h i s c h e n Staaten. Einleitung. § 83 Erstes Kapitel. Der Monarch. 1. Die Rechtsstellung des Monarchen im Staate. § 84. . . . 2. Die Thronfolge. §§ 85—90 3. Beendigung und Übergang der Regierung. § 91 4. Regentschaft und Stellvertretung. §§ 92, 93 5. Die Vermögensverhältnisse des fürstlichen Hauses. §§ 94, 95 Zweites Kapitel. Der Landtag. 1. Rechtliche Stellung des Landtags. § 96 2. Zusammensetzung des Landtags. §§ 97—102 3. Die Sitzungsperioden des Landtags. § 103 4. Die Geschäftsformen des Landtags. § 104 5. Die persönliche Stellung der Landtagsmitglieder. § 105 . . Drittes Kapitel. Die S t a a t s b e h ö r d e n und Kommunalverbände. L Grundbegriffe und allgemeine Grundsätze. § 106 II. Geschichtliche Entwicklung der deutschen Behördenorganisation. § 107
224 230 236 242 260 267 268 270 279 305 309 319 329 335 358 363 369 381 391
Inhaltsverzeichnis.
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I I I . Die Organe der Verwaltung. 1. Die Zentralbehörden. § 108 2. Allgemeiner Charakter der Lokalverwaltung. § 109. ' 8. Die Gemeinden. §§ 110—114 4. Die Bezirke, Kreise und Provinzen. §§ 115—118 . IV. Die Organe der Justiz. § 118 a Zweiter Unter-Abschnitt. D i e F r e i e n Städte. § 1 1 9 . Zweiter Abschnitt D i e O r g a n i s a t i o n des D e u t s c h e n B e i c h e s u n d der r e i c h s u n m i t t e l b a r e n Gebiete. Erstes Kapitel. D i e O r g a n i s a t i o n d e s D e u t s c h e n R e i c h e s . 1. Subjekt und Träger der Reichsgewalt; Organe des Reiches. 120-122
Ëer Bundesrat
§§ 128—126 8. Der Kaiser. § 127 4. Der Reichstag. §§ 128—133 . . . 5. Die Reichsbehörden. §§ 134—137 . . . Zweites Kapitel. Das Reichsland Elsaß - Lothringen. §§ 138—141 Drittes Kapitel. D i e Schutzgebiete. § 141a Dritter Abschnitt. D i e Rechtsverhältnisse der Beamten. 1. Das Rechtsverhältnis der Beamten im allgemeinen. §§ 142—144 2. Begründung des Beamtenverhältnisses. § 145 3. Rechte und Pflichten der Beamten. §§ 146—150 4. Die Beendigung des Beamten Verhältnisses. §§ 151—153.. . 5. Stellung zur Disposition. Versetzung. Suspension. § 154 Drittes Buch. D i e F u n k t i o n e n . Erster Abschnitt. D i e G e s e t z g e b u n g . I. Begriff und Wesen der Gesetzgebung. § 155 IL Die Landesgesetzgebung. 1. In den monarchisch regierten Staaten. a) Geschichtliche Entwicklung. § 156 . b) Gesetze im formellen Sinne. §§ 157 158 c) Verordnungen. §§ 159—161 2. In den Freien Städten. § 162 I I I . Die Reichsgesetzgebung. 1. Einfache (formelle) Reichsgesetze. § 163 2. Änderungen der Reichs Verfassung. § 164 3. Reichsverordnungen. § 165 4. Landesgesetze für Elsaß-Lothringen. § 166 . . . . . . . . IV. Das Verhältnis von Reichs- und Landesgesetzgebung. §§ 167,168 V. Die Gesetzgebung für die Schutzgebiete. § 169 Zweiter Abschnitt. D i e Justiz. 1. Begriff und Arten der Justiz. § 170 2. Verteilung der Funktionen der Justiz unter die einzelnen Organe. § 171 3. Ausübung der Justiz durch die Gerichte §§ 172, 173 . . . 4. Einfluß aer Verwaltungsorgane auf die Justiz. §§ 174, 175 Dritter Abschnitt. D i e V e r w a l t u n g . Erstes Kapitel. A l l g e m e i n e G r u n d s ä t z e . 1. Begriff und Arten der Verwaltung. § 176 II. Die rechtliche Natur der Verwaltungsakte. § 177 I I I . Verhältnis der Verwaltung zur Gesetzgebung. §§ 178, 170 . . IV. Verhältnis der Verwaltung zur Justiz 1. Abgrenzung des Gebietes. § 180 2. Die Kompetenzkonflikte. § 181 V. Die Rechtskontrollen der Verwaltung. 1. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit. § 182 2. Die Verantwortlichkeit der Verwaltungsbeamten.
402 405 408 440 464 466
472 482 494 501 522 540 557 563 582 591 620 631 637 648 651 668 679 680 689 705 712 715 719 723 726 733 745 750 757 759 766 766 773 778
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a) Im allgemeinen. § 183 • . b) Die Verantwortlichkeit der obersten Verwaltungsbeamten (Minister). §§ 184—186 !" . . . . . . . VI. Die Verwaltungsexekution. § 187 Zweites Kapitel. D i e V e r w a l t u n g der a u s w ä r t i g e n Angelegenheiten. Einleitung. § 188 1. Die auswärtige Verwaltung der Einzelstaaten. § 189. . . 2. Die auswärtige Verwaltung des Deutschen Reiches. § 190 Drittes Kapitel. D i e V e r w a l t u n g der inneren Angelegenheiten. §§ 191—194 Viertes Kapitel. D i e V e r w a l t u n g des Heerwesens. 1. Allgemeine Grundsätze. § 195, 195 a 2. Das Landheer. §§ 196—198 3. Die Kriegsmarine. § 199 4. Die Schutztruppen der Schutzgebiete. § 199 a 5. Militärgesetzgebung. § 200 Fünftes Kapitel. D i e V e r w a l t u n g der Finanzen. I. Allgemeine Grundsätze. § 201 H. Geschichtliche Entwicklung der Finanzverwaltung in Deutschland. § 202 I I I . Die Finanzverwaltung der Einzelstaaten. 1. Im allgemeinen. § 203 2. Mitwirkung der Landtage bei der Finanzverwaltung. § 204 bis 207 IV. Die Finanzverwaltung des Deutschen Reiches. 8§ 208, 209. . V. Die Finanz verwaltung des Reichslandes Elsaß-Lothringen. § 219 VI. Die Finanzverwaltung der Kommunalverbände. § 211 Vierter Abschnitt. D i e F u n k t i o n e n des Reiches gegenüber den E i n z e l s t a a t e n . §§ 212, 212a, 212b Viertes Buch. Rechtsverhältnisse der U n t e r t a n e n . Erster Abschnitt. R e c h t s v e r h ä l t n i s s e der e i n z e i n e n I n d i viduen. Einleitung. §§ 213, 214 Erstes Kapitel. D i e b ü r g e r l i c h e n Rechte. I. Das Recht des Aufenthaltes im Gebiete. § 215 II. Anspruch auf staatlichen Schutz und Fürsorge. § 216 . . . . I I I . Individuelle Freiheitsrechte. Einleitung. § 217 1. Unverletzlichkeit der Person, der Wohnung und der Papiere. §218 2. Freiheit der persönlichen und wirtschaftlichen Bewegung. §219 3. Freiheit der geistigen Bewegung. 8§ 220, 221 4. Unverletzlichkeit des Vermögens. § 222 IV. Recht der Beschwerde und Petition. § 223 Zweites Kajjitel. D i e P f l i e h t e n . 85 224—226 . . . . . . . . Drittes Kapitel. R e c h t l i c h e S t e l l u n g b e v o r r e c h t i g t e r Stände. Einleitung. § 227 1. Die Mitglieder der regierenden Fürstenhäuser. § 228 . . . 2. Die standesherTlichen Familien § 229 3. Der Adel. § 229 a Zweiter Abschnitt. R e c h t s v e r h ä l t n i s s e der Versammlungen, Vereine und Korporationen. §§ 230—232
792 798 808 809 810 817 820 835 839 860 863 865 869 870 873 878 906 926 929 931
946 948 951 953 956 961 963 968 971 973 982 982 985 991 992
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Dritter Abschnitt. R e c h t s v e r h ä l t n i s s e d e r R e l i g i o n s gesell schaffen. Einleitung. § 233 I. Das Reformationsrecht. § 234 II. Das Aufsichtsrecht. 1. Die katholische Kirche. §8 235—239 2. Die evangelische Kirche. S 240 3. Die übrigen Religionsgesellschaften. § 241 Nachtrag. I. Staatsrechtliche Reformen und Reformbestrebungen während der Kriegszeit . II. Ursachen und Ausbruch der Revolution I I I . Die Anfange des neuen Staatsrechts K l e i n e r e N a c h t r ä g e und B e r i c h t i g u n g e n Sachverzeichnis
997 999 1005 1017 1021 1023 1030 1035 1043 1045
Verzeichnis der Abkürzungen. AHE = Allerhöchster Erlaß. AllgStL = Allgemeine Staatslehre. A. M. = Anderer Meinung. AnnDR == Annalen des Deutschen Reiches für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft, begr. von GeorgHirth und Max Seydel, hrsg. von Karl Theodor Eheberg und Anton Dyroff. ArchOffR = Archiv des öffentlichen Rechts, hrsg. v. Georg Jellinek, Paul Laband, Otto Mayer, Robert Piloty. ArchVerwR=Archiv furVerwaltungsrecht, hrsg. von H. Klinckmüller und H. Rousseau. BA = Bundesakte. BB = Bundesbeschluß. BG = Beamtengesetz. BGB = Bürgerliches Gesetzbuch für das Deutsche Reich vom 18. August 1896. BGBl = Bundesgesetzblatt. BRG = Bürgerrechtsgesetz. Büschs Z. (ZLP) = Zeitschrift für deutschen Zivilprozeß und das Verfahren in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, hrsg. von Busen u. a. BV=Bundesverfassung. DJZ== Deutsche Juristenzeitung, hrsg. von P. Laband u. a. DO = Dorfordnung. EG = Einführungsgesetz. Enzykl. = Enzyklopädie der Rechtswissenschaften , hrsg. von Josef Köhler, begr. von Franz v. Holtzendorff. Ew. Ldfr. = Ewiger Landfrieden. FG = Reichsgesetz, betr. die deutsche Flotte, vom 14. Juni 1900. G. = Gesetz. GB = Goldene Bulle. GG = Grundgesetz. GO = Gemeindeordnung, Geschäftsordnung. Goltd-Arch=Archiv für Strafrecht und Strafprozeß, begr. von Goltdammer, hrsg. von J. Kohler.
Grünhuts Z. Zeitschrift für das Pri vatund öffentliche Recht der Gegenwart, hrsg. von Karl S. Grünhut. G-S = Gesetzsammlung. GVG = Gemeindeverrassungsgesetz. HdwbdStW = Handwörterbuch der Staatswissenschaften, hrsg. von J. Conrad u. a. HbOffR = Handbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, hrsg. von Heinrich Marquardsen u. Max Seydel. HbdP = Handbuch der Politik, hrsg. von Paul Laband u. a. HG == Heimatsgesetz. JahrbOffR=Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, hrsg. von Paul Laband u. a. Jherings J. = Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts, hrsg. von Ferdinand Regelsberger und Victor Ehrenberg. IPO = Instrumentum pacis Osnabrugensis. JRA = Jüngster Reichsabschied. JW=Juristische Wochenschrift, hrsg. vom Deutschen Anwaltverein. KGG= Konsulargerichtsbarkeitsgesetz vom 7. April 1900. KGO = Kammergerichtsordnung. Kl. A. = Kleine Ausgabe. RMilStrGO = Reichsmilitärstrafgerichtsordnung. Komm. = Kommentar. KritVJSchr = Kritische Vierteljahrsschrift f. Gesetzg.u. Rechtswissensch, d. Gegenw.
K r O = Kreisordnung.
LGG = Landesgrundgesetz. LOG = Landgemeindeordnung. LO = Landscnaftsordnung, Landtagsordnung. m. a. W. = mit andern Worten. MonGerm = Monumenta Germaniae. NF = Neue Folge. NLO = Neue Landschaftsordnung. ÖffRdGegenw= Das öffentliche Recht der Gegenwart, hrsg. von Georg Jellinek u. a.
XXVI
Verzeichnis der Abkürzungen.
OVG = Oberverwaltungsgericht. PrALR = Preußisches allgemeines Landrecht. Preuß J = Preußische Jahrbücher, hrsg. von H. Delbrück. PrO = Provinzialordnung. PrVerwBl=Preußisches verwaltungsblatt. BA = Reichsabschied. RBG = Reichsbeamtengesetz vom 31. März 1873. RCPrO = Reichszivilprozeßordnung vom 20. Mai 1898, Einführungsgesetz dazu vom 30. Januar 1877. RDA ='Reichsdeputationsabschied. RDHSch = Reichsdeputationshauptschluß. RG = Reichsgesetz, Rechtsgeschichte. RGB = Reichsgesetzblatt. RGG = Revidiertes Grundgesetz. RGO = Reichsgewerbeordnung, Fassung vom 26. Juli 1900. RGrSt = Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen. RGVG = Reichsgerichtsverfassungsgesetz vom 20. Mai 1898; Einführungsgesetz dazu vom 27. Januar 1877. RGZ == Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen. RHJBA = Rheinbundsakte. RHO=Reichshofratsordnung von 1654. RKonkO=Reichskonkursoranung vom 20. Mai 1898. RMG=Reichsmilitärgesetz vom 2. Mai 1874. RPrG = Reichspreßgesetz vom 7. Mai 1874. RStrGB=Reichsstrafgesetzbuch vom 26. Februar 1876. RStrPrO = Reiclisstrafprozeßordnung vom 1. Februar 1877. RVerf = Reichsverfassung. RVO = Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911. RWG=Reichswahlgesetz vom 31. Mai 1869. SchGG = Schutzgebietsgesetz, in der Fassung vom 10. September 1900. Schmollers J. = Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, hrsg. von Gustav v. Schmoller.
SchwSp = Schwabenspiegel. StenBer = Stenographischer Bericht. SSp = Sachsenspiegel. StR = Staatsrecht. StDG = Staatsdienergesetz. StGG = Staatsgrundgesetz. StO = Städteordnung. SystRechtsw = Systematische Rechtswissenschaft (Kultur der Gegen wart) r hrsg. von P. Hinneberg. V. = V erordnung. Verf. = Verfassung. Vertr.=Vertrag. VerwArch =Verwaltungsarchiv, hrsg. von M. Schultz enstein und A. Keil. VerwOrgG =Verwaltungsorganisationsgesetz. VG=Vereinsgesetz. V R = Verwaltungsrecht V U = Verfassungsurkunde. W G = Wahlgesetz. W K = Wahlkapitulation. W K A = Wiener Kongreßakte. WSA = Wiener Schlußakte. WStVR = Wörterbuch des deutschen Staats- und Verwaltungsrechts, begr. von M. v. Stengel, hrsg. von M. Fleischmann. Z. = Zeitschrift. ZDStR = Zeitschrift für deutsches Staatsrecht u. deutsche Verfassungsgeschichte, hrsg. von L . K. Äegidi. ZKirchR = Zeitschrift für Kirchenrecht, hrsg. von R. Dove, E. Friedberg. ZPO == Zivilprozeßordnung vom 30. Januar 1877. Z. preuß. Geschichte u. Landeskunde= Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde, hrsg. von Const. Rößler. ZRG(G) = Zeitschrift für Rechtseschichte (Germanistische Abtlg.), rsg. von A. F. Rudorff u. a. ZStW == Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, hrsg. von Mohl u. a. ZustG = Zuständigkeitsgesetz. ZV = Vertr. Zollvereinsvertrag vom 8. Juli 1867. Z W = Z o l l Vereins vertrag vom 8. Juli 1867.
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Einleitung. Die Grundbegriffe des Staatsrechts Literatur* — Mit den Grundbegriffen des Staatsrechts befassen sich sowohl die "Werke über allgemeine Staatslehre, allgemeines Staatsrecht, Politik und Rechtsphilosophie als diejenigen über deutsches Staatsrecht als endlich einzelne besondere Abhandlungen monographischen Charakters. Die wesentlichsten (neueren) Bücher und Schriften dieser Art sind, außer den in den Anmerkungen zu §§ 2—18 angeführten, folgende: I. Aus der Literatur der allgemeinen Staatslehre, des allgemeinen Staatsrechts, der Politik und Rechtsphilosophie: K. S. Zachariä, 40 Bücher vom Staate, 7 Bde., Heidelberg 1839—43. F. C. Dahlmann, Die Politik auf den Grund und das Maß der gegebenen Zustände zurückgeführt, Bd. 1, 2. A., Leipzig 1847. G. Waitz, Grundzüge der Politik, Kiel 1862. F. J. Stahl, Die Philosophie des Rechts, 3. Aufl. (Heidelberg 1856), Bd. 2: Rechts- und Staatslehre auf der Grundlage christlicher Weltanschauung (in Abt. 2 enthalten als viertes Buch: Die Staatslehre und die Prinzipien des Staatsrechts; neu erschienen Berlin 1910). J. C. Bluntschli, Lehre vom modernen Staat (zuerst unter dem Titel Allgemeines Staatsrecht), Bd. 1, 2 6. Aufl., bearbeitet von Loening, 1886, Bd. 3 (Politik als Wissenschaft) 1. Aufl. 1876. v. Mohl, Geschichte und Literatur der Staats Wissenschaften, 3 Bde., 1855—58. Derselbe, Enzyklopädie der Staatswissenschaften, 2. Aufl., 1872. v. Treitschke, Politik, 2 Bde., 1897/98. Gareis, Allgemeines Staatsrecht, in Marquardsens Handbuch des öffeutl. Rechts, v. Ihering, Der Zweck im Recht, 2 Bde., 1877, 1883. E. R. Bierling, Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe, Bd. 1, 2, 1877, 1883. Derselbe, Juristische Prinzipienlehre, bis jetzt 4 Bde., Freiburg, Leipzig, Tübingen 1894—1911. L. Gumplowicz, Die soziologische Staatsidee, 2. A., 1902; Ailgem. Staatsrecht, 3. A., 1908. F. Oppenbeimer, Der Staat, 1909. Von hervorragender Bedeutung für die Darstellung und Kritik der staatsrechtlichen Grundbegriffe sind die Werke Jellineks: Recht des modernen Staates, Bd. 1; Allgemeine Staatslehre, 3. A., herausgegeben von W. Jellinek, 1914 (Fragmente des nicht erschienenen 2. Bandes, der die Besondere Staatslehre enthalten sollte, in Jellineks nachgelassenen „Ausgewählten Schriften und Reden", 2 Bde„ 1911, 2 153ff.); Gesetz und Verordnung, 1887; System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. A., 1905. — Gierke, Genossenschaftsrecht, Bd. 3 (1881) und 4 (1913). Derselbe, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien, G. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
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3. A., 1913. Derselbe, Die Grundbegriffe des Staatsrechts und die neuesten Staatsrechtstheorien, in der Ztschr. f. d. gesamte Staatswissenschaft 30 153 ff. r 265 ff. Rosin, Souveränetät, Staat, Gemeinde, Selbstverwaltung, Annalen 1888 265 ff. H. Preuß, Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften (1889). v. Seydel, Vorträge aus dem allgemeinen Staatsrecht, 1903. Loening, Artikel Staat (Allgemeine Staatslehre) im Handwörterb. der Staatswiss. 7 692 ff. Otto Mayer, Die juristische Person und ihre Verwertbarkeit im öffentl. Recht, in der Festgabe fur Laband (1908) 1 3 ff. Rehm, Geschichte der Staatsrechtswissenschaft (1896), Allgemeine Staatslehre (1899), Allgemeine Staatslehre (Sammlung Göschen, 1907). E. Lingg, Empirische Untersuchungen zur allgem. Staatslehre (1890). Seidler, Das juristische Kriterium des Staates (1905). Richard Schmidt, Allgemeine Staatslehre, 2 Bde. (1901/03). Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre (1911). Menzel, Begriff und Wesen des Staates, im Handbuch der Politik, herausgeg. von Laband, Bentzheimer u. a. (1912/13) 1 35 ff. Zorn, Politik als Staatskunst, das. 1 ff. Rehm, Politik als Wissenschaft, das. 7 ff. v. Frisch, Die Aufgaben des Staates in geschichtlicher Entwicklung, das. 46 ff. A. Affolter, Grundzüge des allgemeinen Staatsrechts, 1892. Bornhak, Allgemeine Staatslehre, 2. A., 1909. Hatschek, Allgemeines Staatsrecht, 3 Bde. (Sammlung Göschen), 1909. Stier-Somlo, Politik, 2. A., 1911 Frhr. v. Hertling, Art. Politik, im Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 3. A. (1911). Derselbe, Recht, Staat und Gesellschaft (1906). Duguit, l'État, le droit objectif et la loi positive (1901); l'État, les gouvernants et les agents (1903); Traité de Droit Constitutionnel, 2 vol. (1911); Manuel de Droit constitutionnel (1911). Esmein, Éléments de droit constitutionnel comparé, 4. éd. (1906). Dicey, Introduction to the study of the law of constitution, 7. ed. (1908). Burgess, Political science and comparative constitutional law, 2. ed. (1902). II. Von den systematischen Werken über deutsches Staatsrecht und deutsches Verwaltungsrecht gehen auf die staatsrechtlichen Grundbegriffe näher ein insbesondere : Zachariae, Deutsches Staats- und Bundesrecht, 3. A., 1865, 1867; Zöpfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsrechts, 5. A., 1863. O. Mejer, Einleitung in das deutsche Staatsrecht, 2. A., 1884; H. Schulze, Einleitung in das deutsche Staatsrecht, 1867; derselbe, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 1881/86 ; C. F. v. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, 3. A., 1880; Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 4 Bde., Bd. 1, 2, 3 5. A., 1911—13, Bd. 4 4. A., 1901; Haenel, Deutsches Staatsrecht, 1. Bd., 1892; Zorn, Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1. Bd., 2. A., 1895; Otto Mayer r Deutsches Verwaltungsrecht, 2 Bde., 1895/96; Anschütz, Deutsches Staatsrecht, in der Enzykl. der Rechtswissenschaft, 3. A., 1913, 4 1 ff.
I. Staat und Staatenverbindung. § l. 1. G e m e i n w e s e n heißen diejenigen Vereinigungen einer Mehrheit von Menschen, welche einen ihre Glieder beherrschenden Willen und eine zur Bildung und Äußerung dieses Willens bestimmte Organisation besitzen. D e r Wirkungskreis derselben kann entweder ein sachlich b e g r e n z t e r oder ein sachlich u n b e -
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g r e n z t e r s e i n 1 ; er kann sich auf e i n z e l n e oder auf a l l e Seiten des menschlichen Lebens erstrecken. Z u den Gemeinwesen m i t sachlich b e g r e n z t e m Wirkungskreise gehören z. B . die Kirche und die wirtschaftlichen Genossenschaften. D i e Gemeinwesen mit sachlich u n b e g r e n z t e m Wirkungskreise bilden sich auf einer doppelten Grundlage. Die ursprüngliche und zur Zeit des Nomadenlebens einzige ist die g e m e i n s a m e A b s t a m m u n g ; auf ihr beruhen die Familie, das Geschlecht, die Stammesgenossenschaft. Nach Begründung fester W o h n s i t z e a t r i t t daneben eine zweite Grundlage auf, welche jene erste allmählich gänzlich absorbiert, das G e b i e t , d. h. ein räumlich abgegrenzter T e i l der Erdoberfläche. M i t i h r entsteht der Begriff der n o k i s , des p o l i tischen Gemeinwesens. Z u m Begriff des p o l i t i s c h e n G e m e i n w e s e n s w i r d also erfordert: 1. das Vorhandensein eines menschlichen Gemeinwesens, d. h. einer organisierten Mehrheit von Menschen, 2. eine territoriale Grundlage, 3. die sachliche Unbegrenztheit des Wirkungskreises. Politische Gemeinwesen sind die Staaten, die als Teile und Glieder des Staates erscheinenden Kommunalverbände (Gemeinden, Kreise, Bezirke, Provinzen) und die Staatenverbindungen, welche mehrere Staaten zu einer höheren Einheit zusammenfassen. D i e politischen Gemeinwesen gehören zur Kategorie der G e b i e t s k ö r p e r schaften 2. 2. Die politische Organisation kann eine so einfache sein, daß auf einem bestimmten Gebiete nur ein e i n z i g e s politisches Gemeinwesen existiert, Staat und Gemeinde zusammenfallen. Dies 1
Das Wort „Lnoegrenztheit" ist hier nicht im aktuellen, sondern im potentiellen Sinne zu verstehen. Das Entscheidende ist, daß der Wirkungskreis unbeschränkt sein k a n n (s. oben im Text, Anfang dieses Paragraphen). Die Bemerkung Rehms, Staatsl. 13 Anm. 1: „Dagegen kann gegen diesen Ausdruck (sachlich unbegrenzt) eingewandt werden, daß er die Vorstellung erweckt, als müsse der Wirkungskreis des Staates unbegrenzt sein, währena der Staat doch wohl jederzeit den Umfang seiner Tätigkeit abmindern kann" — beruht daher auf einem Mißverständnis. a Die Entstehung der „zweiten Grundlage" ist nicht bedingt durch die Überwindung des Nomadentums und den Übergang zur Seßhaftigkeit. Es ist sehr wohl denkbar, daß ein Nomadenvolk das weite Land, in welchem es umherstreift, als sein Land betrachtet und die Herrschaft darin und darüber mit Ausschluß fremder Herrschermacht erfolgreich behauptet. Ein solcher Nomadenstaat beruht doch schon auf dem Gedanken, daß nicht nur sein Volk, sondern a l l e s Volk, welches in seinem Gebiete sich befindet, seiner Gewalt Untertan ist; er ist „Gebietskörperschaft" im Sinne des Textes. 2 Der Begriff „politisches Gemeinwesen" ist der w e i t e r e Begriff, welchem der Begriff „Staat" als engerer sich unterordnet. Es ist durchaus naturgemäß und folgerichtig, zunächst diesen weiteren Begriff festzustellen und erst dann zur Formulierung des engeren überzugehen. Jellinek, Staatenverbindungen 38, polemisiert zwar gegen denselben, gebraucht aber an einer späteren Stelle seines Werkes (a. a. 0. 40) einen ganz ähnlichen Begriff, „politisches Gebilde". Vgl. Rosin, Öffentliche Genossenschaft (1886) 42ff.; JPreuß, Gemeinde, Staat, Reich 261, 366ff., sowie die replizierenden Bemerkungen Jellineks, Staatsl. 180. I*
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ist jedoch nur bei einem sehr geringen Umfange des Gebietes und bei sehr einfachen Verhältnissen möglich. Regelmäßig ist die politische Organisation, selbst bei wenig entwickelten Völkern, noch mehr aber bei solchen, welche einen höheren Standpunkt der K u l t u r erreicht haben, eine k o m p l i z i e r t e r e . Es besteht eine Mehrheit politischer Gemeinwesen, welche sich i m Verhältnis der Über- und Unterordnung befinden und somit zu einem p o l i t i s c h e n G e s a m t v e r b a n d e vereinigt sind. I n diesem Falle verteilt sich die Gesamtheit der Aufgaben, deren Erfüllung als Zweck der politischen Organisation erscheint, unter die einzelnen Gemeinwesen, welche Bestandteile des politischen Gesamtverbandes bilden. D e r Wirkungskreis des Gesamtverbandes ist u n b e g r e n z t ; den einzelnen politischen Gemeinwesen, aus welchen derselbe besteht, kann dagegen ein beschränkter Wirkungskreis zugewiesen sein. Hinsichtlich der A r t , wie die Verteilung der politischen Aufgaben unter die einzelnen politischen Gemeinwesen stattfindet, bestehen außerordentlich verschiedene Möglichkeiten; es sind daher die verschiedensten Formen der politischen Organisation möglich. Unter diesen treten jedoch, namentlich für das moderne Staatsleben, zwei Hauptgestaltungen hervor : die des E i n h e i t s s t a a t e s und die der S t a a t e n V e r b i n d u n g . 3. Die Entwicklung des a n t i k e n Staatslebens hat sich i n den Städtestaaten vollzogen 3 . Hier war der S t a a t f ü r j e d e s V o l k die e i n z i g e p o l i t i s c h e O r g a n i s a t i o n ; es gab kein Gemeinleben außerhalb des Staates. Z u r E n t w i c k l u n g eines Unterschiedes zwischen Staat und anderen politischen Gemeinwesen bestand daher keinerlei Veranlassung ; und es ist ein solcher weder von den staatsphilosophischen Schriftstellern des Altertums noch von den römischen Juristen formuliert worden. I m späteren römischen Reiche bestand allerdings der Gegensatz von imperium Romanum und municipium ; aber die Municipien wurden als künstliche Schöpfungen betrachtet, welche ihr Recht vom Staate ableiteten 4 . Die m i t t e l a l t e r l i c h e n J u r i s t e n wendeten den römischen Staatsbegriff auf das R e i c h an, welches nach den damaligen Vorstellungen die gesamte Christenheit umfaßte. Sie erkannten aber an, daß zwischen dem Reiche und den einzelnen Individuen 8
Über die Entwicklung des Begriffes des Gemeinwesens und des Staatsbegriffes, vgl. namentlich 0. Gierke, Genossenschaftsrecht 3 und 4. 4 Über die Entwicklung des antiken Staatslebens vgl. R. Schmidt, Allg. St.L. 2 87 ff., 188ff. (über Municipien und Selbstverwaltung im römischen Reich 269 ft.), besonders aber Jellinek, Staatsl. 287 ff., dessen Verdienst einmal in der Aufweisung der großen zeitlichen und örtlichen Verschiedenheiten, der antiken Staatsbildung, sodann aber und vor allem in der Richtigstellung der herrschenden, vielfach übertriebenen Vorstellungen über die Allmacht des hellenischen Staates und die Universalität seines Zweckes beruht. „Der Staat, welcher in Wahrheit alle Seiten des menschlichen Gemeindaseins in seinen Bereich gezogen hat, ist der mit unvergleichlich größerer realer Macht als der hellenische ausgestattete Staat der Gegenwart" (Staatsl. 311).
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Z w i s c h e n v e r b ä n d e (Königreiche, andere Fürstentümer, Feudalherrschaften, Städte, kirchliche Verbände) existierten, welche obrigkeitliche Befugnisse besaßen, und in denen sich ein selbständiges Gemeinleben entwickelte. Indem sie diese als universitates bezeichneten, schufen sie den Begriff des Gemeinwesens i m staatsrechtlichen Sinne. D i e Zwischenverbände unterschieden sich vom Reiche dadurch, daß sie der Herrschaft desselben unterworfen waren, während das Reich bezw. der an der Spitze. desselben stehende Kaiser keinen Herrscher über sich hatte. E r besaß die h ö c h s t e G e w a l t , die suprema potestas oder plenitudo potestatis. Nachdem mit dem Ende des Mittelalters die Macht und selbst die Idee des heiligen römischen Reiches verschwunden war, fand der S t a a t s b e g r i f f auf die einzelnen bisher als Bestandteile desselben betrachteten K ö n i g r e i c h e und andere L ä n d e r A n wendung. Diesen und den an ihrer Spitze stehenden Herrschern wurde die höchste Gewalt zugeschrieben, welche bisher als Eigenschaft des Reiches und des Kaisers gegolten hatte. I n Frankreich k a m dafür der ursprünglich in einer wesentlich andern Bedeutung verwendete Ausdruck „ s o u v e r a i n e t é " a u f 5 , welcher auch i n andere europäische Sprachen überging. D i e Existenz von Zwischenverbänden zwischen Individuen nnd Staat blieb anerkannt, wenn auch die zentralisierende Tendenz des sechzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts der E n t w i c k l u n g derselben wenig günstig und bestrebt war, das Gemeinleben möglichst i m Staate zu konzentrieren. Als der wesentliche Unterschied des Staates von diesen untergeordneten Verbänden, als das charakteristische Merkmal des ersteren wurde die S o u v e r ä n e t ä t betrachtet, der Staat als das s o u v e r ä n e p o l i t i s c h e G e m e i n w e s e n charakterisiert 6 . 6 Über den Bedeutungswandel in der Geschichte des Ausdrucks vgl. Esmein, Cours élémentaire d'histoire du droit français (8e éd., 1898) 139ff. r 178ff.; Rehm, Staatsl. 40; Jellinek, Staatsl. 436ff. Die Dogmengeschichte des Souveränetätsbegrifls ist am besten und vollständigsten bei Jellinek, Staatsl. 435 ff. dargestellt. Vgl. außerdem Rehm, Geschichte der Staatsrechtswissenschaft 192ff., Staatsl. 40ff.; Dock, Der Souveränetätsbegriff von Bodin bis zu Friedrich d. Gr. (1897); Dock, Revolution und Restauration über die Souveränetät (1900); Landmann, Der Souveränetätsbegriff bei den französischen Theoretikern (1896). 6 Die Ansicht, daß die Souveränetät das w e s e n t l i c h e Merkmal des Staates sei, führt zurück auf die Lehre der italienischen Juristen des späteren Mittelalters (insbes. des Bartolus) von den Verbänden mit und ohne Superior, den universitates superiorem recognoscentes bzw. non recognoscentes : indem die letzteren und nur sie dem Imperium, also dem Staate in vollem Wortsinn gleichgestellt wurden, war die Souveränetät — Unabhängigkeit nach außen, Unbeschränkthöit nach innen — als Essentiale des Staatsbegriffes behauptet. Vgl. Gierke, Genoss.R. 3 638 ff., Althusius 229 ff M Rehm, Gesch. der Staatsrechtswiss. 193 ff., Jellinek, Staatsl. 442 f. Mit vollem Bewußtsein ist aber die Theorie von der begrifflichen Notwendigkeit der Souveränetät für den Staat erst von Bodin aufgestellt worden (vgl. Hanke, Bodin, eine Studie über den Begriff der Souveränetät, 1894, Jellinek, Staatsl. 453f., Rehm a. a. 0. 218ff); bezeichnend der Satz des Bodin: „l'Etat est un droit gouvernement de plusieurs mesnaçes et de ce que leur est commun a v e c p u i s s a n c e s o u v e r a i n e " (Six livres de la Republique, 1576, I, 1). Ihm
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4. Diese Theorie hatte sich i n Anlehnung an den E i n h e i t s s t a a t entwickelt und war, sofern man lediglich diese F o r m politischen Zusammenlebens i m Auge hatte, durchaus zutreffend. I n neuerer Zeit entstanden aber die b u n d e s s t a a t l i c h e n V e r f a s s u n g e n der Vereinigten Staaten von Nordamerika, der Schweiz und Deutschlands. D u r c h diese wurde eine Reihe von Staaten zu einem größeren politischen Verbände zusammengefaßt und der Herrschaft desselben unterworfen. Diese Staaten waren, weil sie der Herrschaft des Bundes unterstanden, n i c h t s o u v e r ä n , entbehrten also derjenigen Eigenschaft, welche bisher als die für den Staat wesentlichste angesehen war. Gegenüber diesen Gestaltungen entstand daher die Frage, ob die S o u v e r ä n e t ä t i n der Tat ein n o t w e n d i g e r B e s t a n d t e i l d e s S t a a t s b e g r i f f e s sei. W u r d e dieselbe bejaht, so blieb nur eine doppelte Möglichkeit. Entweder man wendete den Begriff „Staat" auch ferner auf die E i n z e l s t a a t e n an und schrieb diesen Souveränetät zu ; dann mußte man jede Oberherrschaft des Bundes über dieselben leugnen und letzteren für ein bloßes v ö l k e r r e c h t l i c h e s V e r t r a g s v e r h ä l t n i s erklären 7 . Oder man nahm an, daß i n einem solchen Verhältnis lediglich der B u n d souverän
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sind die meisten späteren Schriftsteller gefolgt. Auch in neueren Werken wird die Theorie von der notwendigen Souveränetät des Staates noch vielfach vertreten: H. A. Zachariä, Deutsches Staats- u. Bundesrecht 1 (§ 12) 41. Zöpfl, Grundsätze des gemeinen deutschen Staatsr. 1 (§§ 2, 5, 8) 2, 9, 13. v. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts (3. Aufl. 1880) (§ 7) 22. Waitz, Politik 18. Bluntschli, Allg. Staatl. 561 ff. v. Treitschke, Bund und Reich, Preuß. Jahrbücher 80 526; Politik 1 35. Sevdel, Z.StaatsW. 1872 190; Ann. D. R. 1898 324; Vorträge aus dem alle. St.K. (1903) 14 ff., 76. Bake, Beschouwingen over den staatenbond en aen bondsstaat (1881) 11 ff., 36. Zorn, St.R. 1 63 ff. Gierke, Z.StaatsW. 80 304, SchmollersJ. 7 1169. Borel, Etude sur la souveraineté de l'état fédératif (1886) 75 ff. Linge, Empirische Untersuchungen zur allg. Staatslehre 223 , 235. Bornhak, Allg. Staatsl. 9. G. Bansi, Ann.D.R. (1898) 660. Le Fur, Etat fédéral et confédération d'états (1896), [eine deutsche Bearbeitung zus. mit P. Posener (1902)] 354 ff. Combothecra in der Revue de droit public 8 250 ff. Übrigens sind mehrere dieser Schriftsteller, insbes. Zorn und Bornhak, in ihren Ausführungen nicht konsequent, wie Rehm, Staatsl. 119, 124 ff. nachweist. — Nur scheinbar gehört dieser Gruppe von Schriftstellern an v. Stengel, SchmollersJ. 22 777 ff. Er erklärt zwar die Souveränetät für eine wesentliche Eigenschaft des Staates, verbindet, mit dem Worte aber einen ganz andern Begriff als den in der Wissenschaft anerkannten. Die Souveränetät ist nach ihm nur etwas Relatives und schließt eine Unterordnung nicht aus. Souverän nennt er alle Gemeinwesen, welche völkerrechtliche Subjekte sind, sich selbst die von ihnen zu verfolgenden Zwecke setzen und, unkontrolliert von einer übergeordneten Gewalt, Recht schaffen können (a. a. O. 788). Der Verfasser legt also dem Worte „Souveränetät" eine Bedeutung bei, welche von dem bisherigen Sprachebrauche völlig abweicht. Er versteht darunter nur die relative ¡Selbständigeit, welche auch Staaten in Bundesverhältnissen zukommt und welche als die wesentliche Eigenschaft dieser schon längst von anderen Schriftstellern, namentlich von G. Meyer und Jellinek erkannt worden ist (vgl. unt. N. 20). Die von ihm charakterisierten Gemeinwesen sind allerdings S t a a t e n , aber nicht7 notwendig s o u v e r ä n e Staaten. Seydel, Der Bundesstaatsbegriff, Z.StaatsW. (1872) 185 ff.; Abhandlungen (1893) 1; Kommentar zur Verfassungsurkunde f. d. Deutsche Reich (2) 2 ff.
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sei, also den Staat repräsentiere; dann konnte man den Einzelstaaten nur noch den Charakter von Provinzen, also von K o m m u n a l v e r b ä n d e n zuerkennen 8 . Beide Auffassungen stehen aber m i t den tatsächlichen Zuständen nicht i n Einklang, I n den genannten bundesstaatlichen Verhältnissen besteht zweifellos eine Herrschaft des Bundes über die Einzelstaaten. Anderseits haben diese Staaten doch wieder vielfache Eigenschaften, welche ihnén mit den souveränen Staaten gemeinsam sind, und es existieren tiefgreifende Unterschiede zwischen den Einzelstaaten in einem Bundesstaate und den Kommunalverbänden eines Einheitsstaates. D i e Souveränetät ist demnach kein w e s e n t l i c h e r B e s t a n d t e i l des Staatsbegriffes; es gibt s o u v e r ä n e und n i c h t s o u v e r ä n e Staaten ö . W i r d aber die Souveränetät nicht mehr als das maßgebende Unterscheidungsmoment zwischen dem Staate und den ihm untergeordneten politischen Gemeinwesen anerkannt, so kommt es darauf an, ein ander weites Unterscheidungsmerkmal festzustellen, durch welches die Grenze zwischen Staat und Kommunalverbänden gezogen werden kann. 5. D e r U n t e r s c h i e d v o n S t a a t u n d K o m m u n a l v e r b ä n d e n beruht auf der verschiedenen Rechtsstellung beider Arten von Gemeinwesen, ist also ein juristischer, nicht bloß ein historisch-politischer 1 0 . Über das Wesen desselben bestehen aber große Meinungsverschiedenheiten. V o n einer Seite w i r d behauptet 1 3 , die charakteristische Eigentümlichkeit der Staaten sei der Besitz von Herrschaftsrechten b . Aber Herrschaftsrechte können auch den 8 Zorn, St.R. 1 84; 142 N. 8 und Z.StaatsW. 87 314; Borel, Étude sur la souveraineté de l'État fédératif (1886) 75 ff.. 108; Le Fur, État fédéral et confédération d'États (1896) 397ff. ; v. Treitschke, Politik 40; Bansi, Ann.D.R. (1898) 682. e Die Ansicht, daß die Souveränetät kein wesentliches Element des Staatsbegriffes sei, ist schon von R. v. Mohl, Enzyklopädie der Staatswissenschaften (§ 13) 86 aufgestellt worden, aber ohne daß daraus weitere Konsequenzen gezogen sind. Sie ist näher ausgeführt und begründet worden von Gr. Meyer, »Staatsrechtliche Erörterungen 3ff. und hat in neuerer Zeit immer mehr Anhänger gewonnen. Sie wird namentlich geteilt von Laband, St.R. 1 58, Kl.A. 15ff.; H. Schulze, Lehrbuch (8 16) 26; Jellinek, Staatenverbindungen 36ff.; in der Heidelberger Festgabe 265; Staatslehre 486ff.; Brie, GrünhutsZ. 11 94, Theorie der Staatenverbindungen 9 ff.; Rosin, Ann.D.R. (1883) 273 ff ; Mejer, Einleitung 24; Ulimann, Völkerrecht (1908) 89 ; B. Schmidt. Der Staat (1896) 51; Rosenberg, Die staatsrechtliche Stellung von Elsaß-Lothringen 32; Rehm, Staatsl. 21 ff., 116ff.; Anschütz, Enzykl. 470, 471. Die Behauptung, daß mit dem Aufgeben des Merkmals der Souveränetät jeder Unterschied zwischen Staat una Gemeinde verloren gehe (Seydel, Ann.D.R. [1876] 654 und Vorträge 76), ist, wie die nachfolgenden Erörterungen ergeben, unzutreffend. 10 Dies behauptet Affolter, Allgemeines Staatsrecht 59 ff. 11 Laband, St.K. 1 65; K1.A. 17 ff. Lingg, Empirische Untersuchungen 223, 235. t> Dieser Satz gibt Labands Auffassung nicht richtig wieder. Schon in der 1. Aufl. des Labandschen Staatsrechts (1 106) ist der Unterschied zwischen Staat und Kommunal verband darin gefunden worden, „daß die Staaten eine öffentlich-rechtliche Herrschaft k r a f t e i g e n e n R e c h t s haben, nicht durch Übertragung, nicht als Organe, deren sien eine höhere Macht zur Erfüllung
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Kommunalverbänden zustehen 1 2 . Nach einer anderen Anschauung besteht der Unterschied d a r i n , daß die Staaten staatliche, die Kommunalverbände nicht staatliche Zwecke e r f ü l l e n l ö . Dies ist eine unverhüllte petitio p r i n c i p i i ; abgesehen hiervon ist ein prinzipieller Gegensatz zwischen staatlichen und kommunalen Aufgaben nicht v o r h a n d e n 1 4 . Ebensowenig kann die charakteristische Eigentümlichkeit des Staates i n der Allseitigkeit seines Zweckes gefunden w e r d e n l ß . Denn gerade die Allseitigkeit fehlt den Staaten i n bundesstaatlichen Verhältnissen 1 6 . Sie ist endlich nicht darin zu suchen, daß die Staaten völkerrechtliche Persönlichkeit 1 7 oder Gebietshoheit, d. h. das Recht, Gebietsveränderungen vorzunehmen, besitzen 1 8 . Denn auch diese Eigenschaften und Befugnisse sind bei Staaten i n bundesstaatlichen Verhältnissen häufig nicht vorhanden, während Verfügungsbefugnisse über das Gebiet auch Gemeinden zustehen k ö n n e n 1 9 . i h r e r Aufgaben, zur Durchführung i h r e s Willens bedient, sondern als selbständige Rechtssubjekte mit eigener Rechtssphäre, mit eigener Willensund Handlungsfreiheit". Die späteren Auflagen des Werkes (5. A. 1 65) halten hieran unverändert fest. Das Unterscheidungsmerkmal des Staates ist also nach Laband nicht sowohl der Besitz als der u n a b g e l e i t e t e Besitz von Herrschaftsrechten, das Moment des e i g e n e n Rechts. 12 Vgl. auch Rosin, Ann.D.R. (1883) 284ff.; Gierke, SchmollersJ. 7 1163; Haenel, St.R. 1 800; Le Fur a. a. 0. 377 ff. 13 Rosin, Ann.D.R. (1883) 291 ff. Mejer, Einleitung 27. 14 Vgl. auch Gierke a. a. 0. 1195; Haenel, StR. 1 800; Le Fur, a. a. 10.6 366 ff. Brie, Theorie der Staatenverbindungen 5ff.; B. Schmidt, Der Staat 51 ff. 16 Vgl. auch Jellinek, Gesetz und Verordnung 204 N. 18; Haenel 1 802; Le Fur, État Fédéral 371 ff. — Um diesem Einwände zu begegnen, hat B. Schmidt a. a. 0. die Theorie von der Universalität der Zwecke als wesentliche Eigenschaft des Staates zu modifizieren gesucht. Er sieht als Staat diejenige Gemeinschaftsform an, welche g r u n d s ä t z l i c h für die sozial zu lösenden Zwecke der Menschheit zu sorgen hat. Als solche betrachtet er aber in bundesstaatlichen Verhältnissen trotz der beschränkten Befugnisse der Bundesgewalt nicht die Einzelstaaten, sondern den Bund (a. a. 0. 130, 131). Für die Unterscheidung von Staaten in Bundesverhältnissen einer- und Kommunalverbänden anderseits bietet also seine Theorie keinerlei Anhalt. Verf. gelangt zu einer wesentlichen Gleichstellung beider, also zu einer Auffassung, welche, wie schon früher (S. 5, 6) bemerkt, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht im Einklänge steht. 17 Stoeber, Arch.Öffentl.R. 1 638 ff. Vgl. dagegen Preuß a. a. 0. 190 ff. Wie Stoeber auch Rehm, Staatslehre 28 ff. (vgl. auch 112 ff.). Gegen ihn: Jellinek, Staatsl. 489 Anm. 1. 18 Preuß a. a. 0. Gemeinde, Staat, Reich 403 ff. Ähnlich auch Arndt, Kommentar zur Verfassung des Deutschen Reiches (4. A.) 27, welcher den Unterschied zwischen Staaten und Kommunalverbänden darin findet, daß über das Sein, Anderssein und Nichtsein des Kommunalverbandes nicht letzterer, sondern der Staat zu befinden hat, während über Sein, Anderssein und Nichtsein des Staates nur dieser selbst entscheidet. 10 Vgl. auch Haenel, St.R. 1 800; Jellinek, System 77 N. 3; Brockhausen, Vereinigung und Trennung von Gemeinden (1893) 32ff. ; Bansi, Ann.D.R. (1898) 675 ff. Beispielsweise bestimmt die württembergische Gemeindeordnung v. 28. Juli 1906, Art.. 2 : „Die Veränderung der Gemeindebezirke . . . erfolgt für die Regel durch Übereinkunft der beteiligten Gemeinden." Damit ist das Recht der Gemeinden, über ihr Gebiet zu verfügen, im Prinzip anerkannt.
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§ 1.
Der Unterschied zwischen Staaten und Kommunalverbänden liegt vielmehr darin, daß die Herrschaft des Staates über die Kommunalverbände eine r e c h t l i c h u n b e s c h r ä n k t e , die des Bundes über die Staaten dagegen eine r e c h t l i c h b e s c h r ä n k t e ist, daß letztere eine zweifache S e l b s t ä n d i g k e i t besitzen, welche den Kommunalverbänden abgeht, nämlich: a) die Befugnis, g e w i s s e p o l i t i s c h e A u f g a b e n selbständig, d. h. n a c h e i g e n e n G e s e t z e n zu erfüllen; b) die Befugnis, ihre e i g e n e O r g a n i s a t i o n selbständig, d. h. d u r c h e i g e n e G e s e t z e zu r e g e l n 2 0 . 20 Die Ansicht Jellineks über den Unterschied von Staaten und Kommunalverbänden befindet sich mit der hier vertretenen in wesentlicher Übereinstimmung. Schon die in Staatenverbindungen 40 aufgestellte Behauptung, daß als „Staat" jedes politische Gebilde bezeichnet werden könne, welches aus eigenem Recht bindende Normen zu erlassen berechtigt sei. sowie die Ausführungen in: Gesetz und Verordnung 201, nach welchen das charakteristische Merkmal der Staaten in der Befugnis ; aus eigener Macht bindende Normen für die Untertanen aufzustellen und m der selbständigen Organisationsgewalt besteht, wiesen vielfache Berührungspunkte mit der von G. Meyer vertretenen Meinung auf. Nach der Formulierung aber, welche Jellinek seiner Theorie in der Heidelberger Festgabe Über Staatsfragmente (1896) 265ff. gegeben hat, kann eine fast vollständige Übereinstimmung beider Ansichten konstatiert werden. Diese Übereinstimmung erkennt Jellinek — Staatsl. 489 Änm. 1 — seinerseits an. — Eine Darstellung und Kritik der Theorien übgr den Unterschied zwischen Staat und Gemeinde gibt Rosenberg, Arch.Offentl.R. 14 328 ff., dessen eigene Ansicht mit der oben im Text und von Jellinek vertretenen Meinung im wesentlichen übereinstimmt, ohne daß dies gebührend hervorgehoben wird. Haenel (St.R. 1 800; macht gegen die von G. Meyer angenommene Unterscheidung geltend, die Grenzen der Autonomie der Selbstverwaltungskörper seien im positiven Rechte des Einheitsstaates relative und könnten zu einer Weite ausgedeht werden, welche die von G. Meyer angenommenen Merkmale des Staates in sich schließe. An einer späteren Stelle (a. a. 0. 801) behauptet er aber, die deutschen Einzelstaaten unterschieden sich von den Selbstverwaltungskörpern dadurch, daß sie in der Erfüllung der ihnen nach ihrer Verfassung gesetzten Aufgaben „frei von allen gesetzlichen Direktiven, frei von allen Rechten der Kontrolle und des Zwanges" seitens des Reiches seien. Dies entspricht durchaus dem von G. Meyer unter anderem aufgeführten Merkmal, denn die s e l b s t ä n d i g e Erfüllung politischer Aufgaben durch die Einze.lstaaten schließt nicht nur gesetzliche Direktiven, sondern auch Kontrolle und Zwang seitens der Bundesgewalt aus. Im übrigen treffen seine Ausführungen mit denen von Gierke, SchmollersJ. 7 1166 zusammen, der gegen die von G. Meyer angenommene Unterscheidung bemerkt: eine derartige Selbständigkeit stehe einerseits auch der mit Autonomie und konstitutiver Gewalt begabten Landschaft oder Stadt zu, anderseits könne sie auch für die Gliedstaaten — wie in der Schweiz und in der Union durch die Vorschrift republikanischer Verfassungen — mehr oder weniger beschränkt sein. Diese Einwendungen sind nicht zutreffend. In e r s t e r e r Beziehung hat Gierke, wie nach dem Zitat aus Jellinek (a. a. 0. 502 N. 2) anzunehmen ist, namentlich einzelne englische Kolonien, z. B. Kanada im Auge, welche allerdings die größte Selbständigkeit besitzen, die Gliedern eines Staates überhaupt zusteht. Aber gerade bei diesen ist die hier als Merkmal der Staaten angenommene Selbständigkeit n i c h t vorhanden. Denn ihre Verfassung beruht nicht auf e i g e n e n Gesetzen, sondern auf e n g l i s c h e n S t a a t s g e s e t z e n , und die koloniale Gesetzgebung wird zwar unter maß-
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6. S t a a t e n sind demnach alle diejenigen politischen Gemeinwesen, welche die Befugnis besitzen, politische Aufgaben selbständig, d. h. nach eigenen Gesetzen zu erfüllen, und ihre Verfassung selbständig, d. h. durch eigene Gesetze zu regeln 0 . Sie zerfallen i n : a) s o u v e r ä n e S t a a t e n (Einheitsstaaten)d, d. h. solche, welche keiner höheren Gewalt unterworfen s i n d 2 1 ; ebender Beteiligung k o l o n i a l e r O r g a n e , aber auch unter entscheidendem glinfluß e n g l i s c h e r S t a a t s o r g a n e (König, Gouverneur) ausgeübt; sie hat
also keinen andern Charakter, als ihn beispielsweise die Gesetzgebung der österreichischen Kronländer und die Landesgesetzgebung Elsaß-Lothringens besitzt. Was das z w e i t e Moment betrifft, so beschränken sich die Vorschriften über die einzelstaatliehen Verfassungen, welche in den bundesstaatlichen Grundgesetzen der Schweiz und der Vereinigten Staaten vorkommen, auf die Feststellung des a l l g e m e i n e n s t a a t s r e c h t l i c h e n C h a r a k t e r s dieser Verfassungen; die Regelung der einzelstaatlichen Organisation, d. h. die Feststellung der Organe una die Normierung ihrer Befugnisse, ist dagegen Sache der E i n z e l s t a a t e n geblieben, letztere haben ein R e c h t , dieselbe durch e i g e n e Gesetze vorzunehmen. Eine ganz andere Stellung nehmen Gemeinden und Provinzen ein, deren Verfassung der S t a a t durch seine Gesetze, sei es durch allgemeine Provinzial- und Gemeindeordnungen, sei es durch Spezialgesetze — wie die englischen Gesetze über einzelne Kolonien oder die deutschen Reichsgesetze über Elsaß-Lothringen —, festzustellen berechtigt ist. — Brie, Theorie der Staaten Verbindungen 12 und Preuß, Gemeinde, Staat, Reich 72 treten den obigen Ausführungen mit der Bemerkung entgegen, daß auch die Kommunalverbände in ihren autonomischen Satzungen eigene Gesetze besäßen. Aber der Unterschied der Staaten von den Kommunalverbänden liegt nicht in der Befugnis, eigene Gesetze zu e r l a s s e n , welche jedem korporativ organisierten Verbände zusteht, sondern darin, daß ihnen ein K r e i s p o l i t i s c h e r A u f g a b e n v o r b e h a l t e n i s t , welche sie nach eigenen Gesetzen erfüllen können. Eine derartige Selbständigkeit besitzen die Kommunalverbände nicht; ihre Tätigkeit bei der Erfüllung politischer Aufgaben unterliegt der unbeschränkten Regelung durch Staatsgesetze. c Die hier hervortretende Betonung des „eigenen" trifft den richtigen Punkt. Doch verdient dieses Moment noen schärfer hervorgehoben zu werden. Der Staat unterscheidet sich von der Gemeinde und jedem andern Verbände des öffentlichen Rechts nicht dadurch, daß er Gewalt hat, sondern daß er Gewalt hat kraft eigenen Rechts. Gewalt, z. B. Finanzhoheit, steht auch der Gemeinde über ihre Mitglieder und Einwohner zu, diese Gewalt ist aber aus der Staatsgewalt abgeleitet. Letztere allein ruht auf sich selbst, auf eigenem Recht: Anschütz, Enzykl. 19. Übereinstimmend vor allem Laband 1 65 (oben Anm. b) und Jellinek, Staatsl. 489ff. (489f.: „Staatsgewalt ist nicht weiter ableitbare Herrschaftsgewalt, Herrschergewalt aus eigener Macht und daher zu eigenem Recht"), Staat und Gemeinde (Ausgewählte Schriften und Reden 2 352 ff.): vgl. ferner Hatschek, Allgem. Staatsr. 8 45, Ruck im Jahrb.Öff.R. 6 162 („Staat bedeutet e i g e n h e r r l i c h e Gebietskörperschaft") und Walther, Das ötaatshaupt in den Republiken (1907) 53, 54. d Die hierin liegende Gleichsetzung der Begriffe „souveräner Staat" und „Einheitsstaat" ist unzutreffend. Auch Nicht-Einheitsstaaten, d. h. zusammengesetzte Staaten können souverän sein und sind in der Regel souverän. Das Deutsche Reich ist erstens ein Staat, zweitens ein souveräner Staat, drittens aber kein Einheits-, sondern ein zusammengesetzter (Bundes-) Staat. Anschütz, Enzyklop. 13, 64 ff. 21 Haenel, St.R. 1 108 ff. findet den Unterschied des Einheitsstaates von andern korporativen Verbänden in drei Momenten: darin, daß derselbe Ge-
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b) n i c h t s o u v e r ä n e S t a a t e n , d. h. solche, über welche einem höheren politischen Verbände eine beschränkte Herrschaft zusteht. D i e Grundlehren unserer Staatswissenschaft sind zum größten T e i l an der Hand des Einheitsstaates entwickelt w o r d e n 2 2 . D i e fiir diesen gefundenen Resultate dürfen aber nicht ohne weiteres auf die Staatenverbindungen übertragen werden, sie sind i n bezug auf letztere mannigfacher Modifikationen fähig und bedürftig. I m folgenden werden die staatsrechtlichen Grundbegriffe zunächst für den Einheitsstaat entwickelt, während sich eine spätere Erörterung mit den Verhältnissen der Staatenverbindungen und den für diese geltenden besonderen Grundsätzen beschäftigt.
I I . Der Einheitsstaat. 1. Bio Grundlagen des Staates. § 2. Der Staat ist e i n a u f e i n b e s t i m m t e s G e b i e t b a s i e r t e s menschliches Gemeinwesen. D i e Grundlagen desselben 1 sind daher: 1. e i n e M e n g e v o n M e n s c h e n als persönliche Grundlage. Den Inbegriff der i m Staate geeinigten Menschen bezeichnet man als V o l k i m p o l i t i s c h e n Sinne. Verschieden davon ist V o l k im n a t ü r l i c h e n Sinne oder N a t i o n 2 * . Das V o l k i n bietskörperschaft ist, einen universellen Gemeinzweck hat und S e l b s t g e n ü g s a m k e i t besitzt. Die beiden ersten Merkmale sind zweifellos zutreffend. Der Begriff der „Selbstgenügsamkeit" aber ist, auch nach den weiteren Erläuterungen, welche der Verfasser (a. a. O. 113) gibt, zu unbestimmt, um darauf eine juristische Charakterisierung stützen zu können. 22 Dies erkennt auch Haenel a. a. 0. 73 ff. an. Ebenso Anschütz, Enzyklop. 13. 1 Jellinek, Staatsl. 394 ff. 2 Vgl. Fr. J. Neumann, Volk und Nation (1883); Lamprecht, Deutsche Geschichte 1 lff*.; v. Herrnritt, Nationalität und Becht (1899); Jellinek, Staatsl. 116ff.; Anschütz, Enzyklop. 5, 6; A. Kirchhoff, Zur Verständigung über die Begriffe Nation und Nationalität (1905); F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat (2. A. 1911) lff.; Stier-Somlo, Preuß. Staatsrecht (1906) 1 30 ff. a Die Gegenüberstellung von „politisch" und „natürlich" will sagen, daß nicht jedes politisch organisierte (geeinte) Volk — Volk im politischen Sinne, Staatsvolk — ein solches im natürlichen Sinne, eine Nation darstellt. Ein Volk ist und heißt eine Nation dann, wenn es eine Gemeinsamkeit, eine Einheit ist auch abgesehen von dem rechtlichen Ausdruck dieser Einheit, dem Staat, — auch dann, wenn es nicht oder noch nicht (Deutsche und Italiener vor ihrer Einigung) oder nicht mehr (Polen nach der Zerstörung ihres Staates) staatlich geeint ist. An welchen Merkmalen aber erkennt man diese außerstaatliche Einheit? Es sind deren mehrere hervorgehoben worden: die Gemeinsamkeit der Abstammung („natio", von nasci), der Basse, der Sprache, der Keligion, der Kultur im allgemeinen. Allein diese Begriffs-
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seiner wirtschaftlichen Gliederung heißt G e s e l l s c h a f t 8 . Der Begriff „Gesellschaft" ist jedoch kein Rechtsbegriff, die Gesellschaft selbst kein Rechtssubjekt 4 . 2. ein L a n d o d e r G e b i e t als sachliche Grundlage 5 , bestimmungen, welche die Erscheinung „Nation" nach objektiven Kriterien erklären wollen, scheitern daran, daß aie behaupteten Kriterien nicht immer zutreffen. Diese Kriterien sind in Wahrheit nicht solche, sondern typisch wiederkehrende Faktoren, welche vorzugsweise geeignet sind, dasjenige hervorzubringen, was ein Volk zur Nation macht: das N a t i o n a l b e w u ß t sein. Das Entscheidende liegt also nicht in objektiven Tatsachen und Verhältnissen, wie Basse-, Sprach-, Religionsgemeinschaft usw., sondern im Subjektiven, in der Sphäre des Volksbewußtseins. Das Volk ist eine Nation, welches das Bewußtsein seiner selbst, seiner Eigenart und Einheit hat, w e l c h e s eine N a t i o n s e i n w i l l . „L'existence d'une nation", sagt Benan (Qu'est-ce qu'une nation [1882] 27) in schärfster Formulierung dieser Auffassung, est un plébiscite de tous les jours." Das Nationalbewußtsein ist für den Begriff der Nation erforderlich und ausreichend; wodurch und wie es entstand, ist gleichgültig. Sicherlich sind die oben erwähnten Faktoren nicht die einzigen, welche Nationalbewußtsein erzeugen können ; hinzuzufügen wäre vor allem die nationalisierende Kraft der gemeinsamen politischen Organisation, des Staates: ein Staatsvolk, welches von Haus aus keine Nation war, kann eine solche werden durch den festigenden Druck der staatlichen Institutionen (Schweiz, Vereinigte Staaten von Nordamerika). Solche Nationen, „die auf der vereinigenden Kraft einer gemeinsamen politischen Geschichte und Verfassung beruhen", mag man mit Meinecke a. a. 0. 2,3 „Staatsnationen" nennen", im Gegensatz zu den auf „gemeinsam erlebtem Kulturbesitz" beruhenden „Kulturnationen". 8 Der Begriff „Gesellschaft" ist namentlich entwickelt worden von L. Stein, Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich 1 (1850). Einleitung: „Der Begriff der Gesellschaft". Ihm folgt im wesentlichen Gneist in seinen verschiedenen Werken, namentlich in der Schrift : Der Rechtstaat, 2. Aufl. (1879) 1 ff. — Viel weiter faßt R. v. Mohl (Enzyklopädie § 6 und Geschichte und Literatur der Staats wissen Schäften [1855] 1 69 ff.) den Begriff der Gesellschaft. Er nennt alle aus einem gemeinsamen Interesse sich entwickelnden menschlichen Gemeinschaften, einerlei, ob sie eine Organisation besitzen oder nicht, g e s e l l s c h a f t l i c h e L e b e n s k r e i s e und den Inbegriff aller in einem bestimmten Umkreise (in einem Staate, in einem Weltteile) tatsächlich bestehenden gesellschaftlichen Gestaltungen : G e s e l l schaft. Aus der neuesten Literatur: Rehm, Staatsl. 284; Jellinek, Staatsl. 84ff.; G. Rümelin, Über den Begriff der Gesellschaft und einer Gesellschaftslehre, Reden und Aufsätze 3 248; Kistiakowski, Gesellschaft und Einzelwesen (1899); Gothein, Gesellschaft und Gesellschaftswissenschaft. Handw. d. Staatsw. (3. A.)< 4 680; Simmel in SchmollersJ. 20 575 ; Spann, Untersuchungen über den Gesellschaftsbegriff in der Z.StaatsW. 59 574. 4 Völlig verkannt ist dies von H. Rösler, Lehrbuch d. deutsch. Verwaltungsrechtes 1 (1872) § 2, der den „Rechtsbegriff der Gesellschaft" zur Grundlage des sogenannten sozialen Verwaltungsrechtes machen will. — Vgl. dagegen auch Laband (2. Aufl.) 1 98 N. 1 und Rosin, Ann.D.R. (1883) 310. 5 Die Notwendigkeit des Gebietes als Merkmal des Staatsbegriffs ist heute nahezu unbestritten. Vgl. Rehm, Staatsl. 36, der die vereinzelten abweichenden Meinungen (Curtius, Bruno Schmidt, v. Treitschke) angibt;. Jellinek, Staatsl. 404; Anschütz, Enzyklop. 6; G. Seidler, Das jurist. Kriterium des Staates (1905) 37, 59 ff. Affolter, AnnJD.R. (1903) 116 will das „festbegrenzte Gebiet" nur als eine „regelmäßig auftretende Eigenschaft wenn auch nicht des Staates überhaupt, so doch des modernen Staates" gelten lassen.
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2. Der rechtliche Charakter des Staates1. § 3. D e r Staat ist ein menschliches G e m e i n w e s e n . E r faßt die i n i h m verbundenen Glieder zu einer höheren Einheit zusammen und unterwirft sie seiner Herrschaft. Neben dem Staate bestehen noch andere menschliche Gemeinwesen. Dieselben beruhen teils auf natürlicher Abstammung, teils auf der Gemeinsamkeit bestimmter Zwecke und Anschauungen. D i e ersteren (Familie, Geschlecht) pflegen im Zustande höherer K u l t u r ihre rechtliche Gliederung gänzlich zu verlieren und erscheinen vom Rechtsstandpunkte dann nur als eine Gemeinschaft von Personen, welche durch individuelle Rechte und Pflichten verbunden sind. Unter den letzteren nehmen die Religionsgesellschaften, namentlich die christlichen Kirchen, die hervorragendste Stelle ein, daneben gibt es Vereinigungen zu wirtschaftlichen, geselligen, wissenschaftlichen, künstlerischen und anderen Zwecken. Auch diese besitzen die Möglichkeit, durch Beschlüsse und Statuten ihren Mitgliedern Pflichten aufzuerlegen und so eine Herrschaft über sie auszuüben. Aber das Moment der Beherrschung t r i t t bei ihnen mehr in den Hintergrund, und sie kommen für das Recht vorzugsweise als vermögensrechtliche Subjekte i n Betracht, welche m i t anderen Rechtssubjekten in Verkehr treten. Ausgebildetere Herrschaftsverhältnisse haben sich nur i m Staate und in der Kirche entwickelt2. Man hat den Staat vom natürlichen Standpunkte als O r g a n i s m u s bezeichnet (organische Staatstheorie) a . Diese Bezeichnung 1 H. Preuß, Die Persönlichkeit des Staates organisch und individualistisch betrachtet, Arch.Öffentl.R. 4 62ff.; Derselbe über Organspersönlichkeit, SchmollersJ. (1902) 103; Stellvertretung und Organschaft, IhermgsJ. 2. F. 8 429; Jellinek, System 12ff., Staatsl. 140, 174ff.; Anschütz, Enzyklop. 7ff. 2 Gegen die Zusammenfassung des Staates mit anderen menschlichen Gemeinwesen erhebt Widerspruch v. Gerber, St.R. (§ 1) 2 N. 2 u. 3. Er nimmt das Wort und den Begriff „Herrschen" als etwas dem Staate Spezifisches in Anspruch und nur die Kirche will er ihm in dieser Beziehung gleichstellen. Wenn aber auch die Herrschaft des Staates ihrem Umfange nach viel weitgehender, ihrem Inhalte nach viel intensiver ist als die eines anderen menschlichen Gemeinwesens, so beschränkt sich die Verwirklichung der Herrschaftsidee doch keineswegs bloß auf Staat und Kirche. In der neueren Wissenschaft wird die Gleichartigkeit des Staates mit anderen menschlichen Gemeinwesen namentlich anerkannt von Gierke an zahlreichen Stellen seines Genossenschaftsrechtes, Z.StaatsW. 80 302, SchmollersJ. 7 1125 sowie von Preuß, SchmollerJ. (1902) 103 ff.; IheringsJ. 2. F. 8 429 ff. a Gierke, Genoss.B. 8 549ff; derselbe, Z.StaatsW. 80 170ff.; Jellinek, Staatsl. 148 ff; Wundt, System der Philosophie (2. A., 1897) 616 ff.; van Krieken, Über die sogenannte organische Staatstheorie (1873); Loening im Handwörterb. der Staatswiss. 7 697 ff; Preuß in den in voriger N. zit. Schriften und in seinem Buche Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften (1889); Menzel im Handb. d. Politik 1 38 ff.; Erich Kaufmann, Über den Begriff des Organismus in der Staatslehre des 19. Jahrhunderts (1908). Vgl. auch Walther, Staatshaupt in den Republiken (1907) 40 ff.; Grosch im Arch.Öff.R. 25 407 ff.
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enthält jedoch nur einen Vergleich, dessen Verwendung mit großer Vorsicht erfolgen m u ß 8 . Das Hauptverdienst der ; organischen Staatstheorie liegt auf der negativen Seite. Es besteht darin, daß sie früheren unrichtigen Auffassungen, z. B. der, daß der Staat eine Maschine 4 , daß er eine vertragsmäßige Vereinigung einzelner I n d i v i d u e n , überhaupt, daß er etwas künstlich Gemachtes sei, entgegengetreten i s t 5 . F ü r die juristische Konstruktion des Staates kann der Begriff des Organismus nicht verwendet werden 6 . V o m juristischen Standpunkte bezeichnet man den Staat als P e r s o n , d. h. als Rechtssubjekt des öffentlichen Rechtes. D i e Herrschaftsrechte gegenüber den Untertanen stehen dem Staate als Gemeinwesen und nicht dem Herrscher z u ; der Herrscher erscheint n u r als Organ des Staates 7 . D i e Auffassung des Staates als eines selbständigen, von der Person des Herrschers unabhängigen Rechtssubjektes findet sich schon bei den politischen Schriftstellern des klassischen Altertums mit völliger Klarheit ausgesprochen. Dagegen war es der mittelalterlich - germanischen Staats- und Rechtsanschauung eigentümlich, daß sie alle Rechtsverhältnisse i n individuelle Beziehungen von Person zu Person auflöste. Von diesem Standpunkte erschien der Herrscher nicht als Organ des Gemeinwesens, sondern als persönlicher Herr, welcher mit seinen Untertanen durch eine Reihe einzelner Rechte und Pflichten verbunden war. D i e mittelalterlich-italienische D o k t r i n hielt jedoch unter dem Einfluß der antiken Anschauungen den 8 Am weitesten geht in der Vergleichung des Staates mit einem Organismus, speziell mit dem menschlichen Körper, Bluntschli in seinen Psychologischen Studien über Staat und Kirche (1844). Auch in seinen späteren Werken tritt diese Auffassung, wenngleich in gemilderter Form, stark in den Vordergrund. Zu den entschiedensten Vertretern der organischen Staatstheorie ist ferner Herbert Spencer zu zählen. Vgl. über ihn Grosch im Arch.Öff.R. 25 410. 4 Sogenannte mechanische Staatstheorie. Hauptvertreter: Schlözer. (Nähere Angaben bei Gierke, Althusius 200.) ^ B Gänzlich verkannt ist dieses Verdienst in der Schrift von van Krieken, Über die sogenannte organische Staatstheorie (1873). — Vgl. Gierke, Z. StaatsW. 30 281 ff; v. Treitschke, Politik 1 28; E. Kaufmann in der in voriger Nr. zit. Schrift. 6 Am besten handelt über diesen Gegenstand v. Gerber, St.-R. Beilage I. Der Staat als Organismus 217 ff. Vgl. auch Jellinek, System 35 ff. Gegen die Auffassung des Staates als Organismus Combothecra, L'état en tant qu'organisme m der Revue de droit public 5 279. Im Sinne des Textes: Kehm, Staatsl. 155; Jellinek, Staatsl. 148; Anschütz, Enzyklop. 8. Das Hauptverdienst um die Kritik und Bekämpfung der organischen Staatstheorie gebührt Jellinek, Staatsl. 148. Gegen ihn neuestens Preuß, Über Organpersönlichkeit. SchmollersJ. (1902) 103ff. : scharfsinnige Untersuchungen, welche einerseits die wissenschaftliche Position der organischen Theorie wiederum nicht unbeträchtlich heben dürften, andererseits aber einen Beitrag zu der Erkenntnis liefern, daß der Abstand zwischen jener Theorie und der heute herrschenden Persönlichkeitslehre (Jellinek, Stastsl. 169 ff.) nicht so groß ist als allgemein angenommen wird. — Vermittelnd zwischen den Anhängern und Gegnern der organischen Theorie: R. Schmidt, Allg. Staatsl. 156 ff, 161 ff. 7 Vgl. J. Lukas, Die rechtliche Stellung des Parlamentes . . . (1901) 66.
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Gedanken der selbständigen Persönlichkeit des Staates fest, und unter ihrem Einfluß kehrte man seit dem sechzehnten Jahrhundert allgemein wieder zu der Auffassung des Staates als eines selbständigen Rechtssubjektes z u r ü c k 8 . I n der heutigen Staatswissenschaft darf dieselbe als die für die rechtliche Betrachtung des Staates maßgebende angesehen werden 9 Es hat jedoch auch 8 Vertreter derselben im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert sind z. B. Bodin, De re publica, I, 1 u. I, 8; Hugo Grotius, De iure belli ac pacisr Lib. I cap. 3 § 7 i f., welcher die Verschiedenheit der Rechtsstellung des Staates und des Herrschers klar und richtig entwickelt, und Hobbes, de cive V > 9. — Eine ausfuhrliche Darstellung der Entwicklung des Begriffes des Gemeinwesens im deutschen Recht gibt Gierke, Genossenschaftsrecht, namentlich 29 u . 8 . Mit voller Sehärfe und Klarheit ist sie im neunzehnten Jahrhundert zuerst von Albrecht in seiner Besprechung von Maurenbrechers Grundsätzen des deutschen Staatsrechtes, in den Göttinger gelehrten Anzeigen (1837) 1492 ff. entwickelt worden. [Nicht mit Unrecht meint 0. Mayer, Festgabe f. Laband 1 54 von dieser Besprechung, daß sie für die Lehre von der Persönlichkeit des Staates geradezu die Bedeutung.einer symbolischen Schrift habe. Vgl. über Albrecht auch Bernatzik Arch.ÖffR. 5 246 ff. Vgl. außerdem namentlich v. Gerber, St.R. Beilage n , Die Persönlichkeit des Staates 225 ff.; Jellinek, Gesetz und Verordnung 192 ff., System 28 ff. und besonders Staatsl. 148—174 ; Bernatzik, Arch.ÖffR. 5 169 ff.; v. Treitschke, Politik 1 25; Laband, St R. 1 56ff.; Haenel, St.R. 1 81 ff.; Hübler, Organis, der Verwaltung (1898), 1; Anschütz, Enzyklop. 10 f.; Schmidt, Allgem. Staatsl. 1 225, 226; Seidler, Jurist. Kriterium des Staates 55 ff. Auch Kehm steht in seiner Allg. Staatslehre 150 ff. auf dem Boden dieser herrschenden Persönlichkeitstheorie (mit der sich aber die einseitig dynastischen, halb patrimonialen Anschauungen, welche seine späteren Schriften — die staatsrechtliche Stellung des Hauses Wittelsbach zu Bayern (1901), 18; Modernes Fürstenrecht (1904), 7 ff. (vgl. jedoch Arch.Öff.R. 25 393ff.) — kennzeichnen, schwer vereinbaren lassen dürften).] 15 Anders in Frankreich, wo es gegenwärtig Mode zu sein scheint, den Begriff der juristischen Person überhaupt zum alten Eisen zu werfen. (Duguit, de Vareilles-Sommi&res, Le Für; näheres bei 0. Mayer, Die juristische Person und ihre Verwertbarkeit im öffentlichen Recht, in der Festgabe für Laband 4 ff.). Damit ist dann natürlich auch die Lehre von der Persönlichkeit des Staates erledigt. Wissenschaftlich weiterzukommen ist mit diesem Pseudorealismus, der nur das als vorhanden betrachten will, was sich mit Händen greifen läßt und die juristischen Personen mit der Wendung abtut, Bie seien Personen „qui n'existent pas", nicht. Ohne mit den FranzosenT über deren Theorien er berichtet, durchweg übereinzustimmen, gelangt auch 0. Mayer a. a. 0. 11 ff. zur Verwerfung der Persönlichkeitslehre. Der Begriff der jur. Person passe nur auf die dem Staatswillen unterworfenen Wesen, Vereine, Stiftungen usw., denen der Staat durch seine Rechtsordnung die Eigenschaft als jur. Person aufprägte. „Der Staat ist der Simson, den man vergeblich zu binden sucht mit den Stricken der juristischen Persönlichkeit4* (67). Vergeblich gewiß, wenn er sich nicht binden lassen will. Daß er es will, muß im Gegensatz zu O. Mayer mit allem Nachdruck behauptet werden. Der Staat will gebunden sein durch die Stricke nicht sowohl der „juristischen Persönlichkeit" als vielmehr der R e c h t s o r d n u n g , durch deren Willen allein freilich die juristische Person etwas ist. Der Staat stellt sich unter das Recht; er will unter anderem betrachtet und behandelt sein als ein Etwas, welches im Rechtssinne wollen und handeln kann. Ein solches Etwasa aber fällt unter den Gattungsbegriff der Person. Die „deutschen Professoren r welche, nach dem ironischen Ausdrucke 0. Mayers (S. 59) „den Staat zur juristischen Person ernannt haben", erfüllten in folgerichtiger Anwendung
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diejenige staatsrechtliche Anschauung, welche die Herrschaftsrechte nicht als Rechte des Staates, sondern als persönliche Rechte des Herrschers auffaßt, noch i m gegenwärtigen Jahrhundert Vertreter gefunden 1 0 . Man bezeichnet diese Anschauung als „Herrschertheorie" (Jellinek).
3. Wirkungskreis des Staates.
§ Der Wirkungskreis des Staates ist r ä u m l i c h und p e r s ö n l i c h begrenzt: räumlich durch das Staatsgebiet, persönlich durch die Staatsangehörigkeit. S a c h l i c h dagegen hat der Staat einen unbegrenzten Wirkungskreis. Seine Tätigkeit beschränkt sich nicht auf eine einzelne oder einzelne Seiten des menschlichen Lebens, er kann alle i n den Bereich seines Handelns hineinziehen; es bleibt ihm keine Sphäre desselben prinzipiell verschlossen. A l l gemein ist nur diese negative Bestimmung der Tätigkeit des Staates möglich. D i e positive Feststellung der Staatsaufgaben kann lediglich für einen konkreten Staat und auch für diesen nicht i n einer einzigen Formel, sondern nur m i t genauer Untersuchung der einzelnen Gebiete des Staatslebens erfolgen. Sie ist Gegenstand der P o l i t i k 1 . «ines von ihnen nicht erfundenen, sondern der Rechtswirklichkeit entnommenen Begriffs, einfach ihre Berufspflicht als Juristen, als sie diese „Ernennung" vollzogen. 10 Maurenbrecher, Grundsätze des heutigen deutschen Staatsrechtes (1837), § 245, und Die deutschen regierenden Fürsten und die Souveränetät . b. R e a l u n i o n heißt diejenige Vereinigung, welche auf «inem die mehreren Staaten gemeinsam verpflichtenden Rechtsgrunde und insofern auf A b s i c h t 0 beruht. Dieser Rechtsgrund kann ein V e r t r a g , kann aber auch Gewohnheitsrecht oder der W i l l e eines übergeordneten Herrschers sein 8 d. » In der gegenwärtigen Staatenwelt kommen Personalunionen zurzeit nicht vor. Beispiele aus der Vergangenheit sind: Die Personalunion zwischen England und Hannover (1714—1837), Dänemark und Schleswig-Holstein (bis 1864), den Niederlanden und Luxemburg (1815—1890), Preußen und Neuchatel (1707—1857), Belgien und dem Kongostaat (1885—1908). Die Kennzeichnung der Personalunion als Zufallsgemeinschaft und der Vergleich mit der communio incidens ist Gemeingut der Wissenschaft. Vgl. z. B. Jellinek, Staatsl. 750; Loening a. a. 0. 7 724; Anschütz, Enzyklopädie 15; Hubrich im Handb. d. Pol. l 83; Hatschek, AZlgem. Staatsr. 8 18, 19; Rehm, Staatsl. (1907) 32. — Die meisten der bisher vorgekommenen Personalunionen haben sich dadurch gelöst, daß das Thronfolgerecht des einen, nicht das des andern Staates Frauen zur Thronfolge zuläßt, so daß beim Erlöschen des Mannesstammes die Erbtochter in dem einen Lande sukzedierte, in dem andern jedoch männlichen Kognaten weichen mußte. Dieser Erlöschungsgrund ist nicht der einzig mögliche. So wurde die Personalunion Preußen-Neuchatel (Neuenburg) dadurch beendigt, daß N. aus einem Fürstentum in eine Republik verwandelt wurde, die zwischen Belgien und dem Kongo Staat durch Inkorporation des letzteren in das erstere (Hatschek a. a. O. 3 19). o Vgl. die in vorstehender Anm. zitierten Schriftsteller; insbes. auch Hatschek 8 28 („von beiden Staaten planmäßig gewollter Organisationsparallelismus"). 8 Die bisherige Theorie fand das Wesen der Realunion darin, daß die Verbindung auf einer gemeinsamen g r u n d g e s e t z l i c h e n Bestimmung der beiden Staaten beruhe. Diese Ansicht ist durch Jellinek, Staatenverbindungen 197 ff. und Staatsl. 754ff. widerlegt worden, der ausführt, daß auch eine übereinstimmende grundgesetzliche Bestimmung mehrerer Staaten den einzelnen Staat nicht hindere, die Verbindung einseitig zu lösen. Seine Auffassung ist jedoch zu eng, wenn er den Rechtsgrund der Vereinigung lediglich in einem Vertrage (Staatsl. 754: „Vereinbarung") finden will, obgleich zuzugeben ist, daß die anderen Fälle nur geringe praktische Bedeutung haben. Erbfolge und Eroberung, welche Aflßlter, Allg. St.R. 54 N. 46, als Entstehungsgründe der Realunion anführt, werden dagegen, wenn nicht ein anderes Moment hinzukommt, immer nur zur Personalunion führen. Vgl. Brie in GrünhutsZ. 11 136 ff, Theorie der Staatenverbindungen 70. ff. d Die Hauptbeispiele für die Figur der Realunion sind Österreich-Ungarn und Schweden^Nor wegen. Von diesen Verbindungen ist die zweite durch Vertrag der beiden Staaten vom 26. Oktober 1905 aufgelöst worden (näheres bei Bredo Morgenstieme, Das Staatsrecht des Kgr. Norwegen (1911); Anathon Aall und Nikolaus Gjelsvik, Die norwegisch-schwedische Union, ihr Bestehen
Einleitung.
§ 1.
43
D i e Vereinigung der Staaten beruht sowohl in dem Falle der Personalunion als i n dem der Realunion lediglich auf der Person des Herrschers. Gemeinsame Organe für die durch Union verbundenen Staaten sind freilich denkbar und werden namentlich i n Fällen der Realunion vorkommen (österreichisches gemeinsames Ministerium, Delegationen des österreichischen Reichsrates und ungarischen Reichtages). Aber diese gemeinsamen Organe erscheinen nicht als etwas für das Verhältnis Wesentliches, sondern sind akzessorischer Natur. Sie haben außerdem nicht den Oharakter von Organen eines größeren, über den Staaten stehenden Gemeinwesens, sondern fungieren als Organe jedes einzelnen der verbundenen Staaten 4 . [ Z u den Staatenverbindungen im weiteren Sinne gehören auch die e i n s e i t i g e n A b h ä n g i g k e i t s v e r h ä l t n i s s e des Völkerrechts: ein Staat oder mehrere Staaten haben sich — tatsächlich vielleicht gezwungenermaßen, rechtlich jedenfalls freiwillig, in der Regel durch Vertrag — in ein Verhältnis zu einem dritten Staate begeben, kraft dessen dieser D r i t t e gewisse (insbesondere auswärtige, nach Befinden auch innere) Hoheitsrechte des oder der andern auszuüben befugt ist. E i n Musterbeispiel dieser A r t von Staaten Verbindung ist das P r o t e k t o r a t , kraft dessen der eine Staat — die Schutzmacht oder der Protektor — den andern — den Schutzstaat — gegen Angriffe dritter Staaten zu schützen verpflichtet ist, wogegen letzterer im Verkehr m i t dritten die Vorund ihre Lösung (1912); Fleischmann, Das Staatsgrundge6etz des Kgr. Norwegen (1912) I X ff., 38ff.), während die erstgenannte noch fortbesteht (über ihre Geschichte und rechtliche Natur vgl. aus der reichhaltigen Literatur insbes. Jellinek, Staatenverbindungen 2^7ff., Staatsl. 757 ff; v. Juraschek, Personalunion und Realunion; Ulbrich, Österr. Staatsrecht (3. A. 1904) 47 ff.; Seidler, Das juristische Kriterium des Staates 90ff; Hauke, Grundriß des Verfassungsrechtes (im Grundriß des österr. Rechts) 141 ff.; Tezner, Der österr. Kaisertitel, das ungarische Staatsrecht u. die ungar. Publizistik (1899); Derselbe, Der Kaiser (1909) 199 ff; Hatschek a. a. 0. 8 23 ff.) Als Real- und nicht als Personalunion ist auch die Gemeinsamkeit des .Landesherrn aufzufassen, welche die beiden deutschen Fürstentümer Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen seit 1909 (Erlöschen der Sonaershäuser Linie des Fürstlicn Schwarzburgischen Gesamthauses) verbindet: Rehm, Staatsl. (1907) 35; a. M. Strupp im Jahrb. Öff.R. G 293, der das Verhältnis (ohne nähere Begründung) für eine Personalunion erklärt. 4 So mit Recht: Brie in GrünhutsZ. 11 139, Theorie der Staatenverbindungen 77 ff.; v. Juraschek, Personalunion und Realunion 103 ff. Unrichtig ist es daher, die Realunion für einen Spezialfall des Staatenbundes anzusehen (Jellinek, Staaten Verbindungen 225 ff, System 307; Triepel, Interregnum 92) oder die österreichisch-ungarische Monarchie für eine zu einem Staatenbunde entwickelte Realunion (Ulbrich, Österreich. Staatsrecht, § 315, einen Staatenstaat (Bidermann, Die rechtl. Natur der österr.-ungarischen Monarchie, 1877, Die staatsrechtlichen Wirkungen der österr. Gesamtstaatsidee, GrünhutsZ. 21 339 ff.) oder für einen Bundesstaat zu erklären (Dantscher v. Kollesberg, Der monarchische Bundesstaat Österreich - Ungarn, 1880). Dasselbe gilt von der Behauptung, daß die Realunion keine besondere staatliche Einrichtung, sondern entweder Staatenbund oder Bundesstaat sei {Affolter, Allgem. Staatsr. 54 N. 46).
44
Einleitung.
§ 1.
Schriften des Protektors befolgen, bzw. unter Verzicht auf jede selbständige völkerrechtliche Daseinsbetätigung, sich durch den Protektor vertreten lassen m u ß e . E i n solches Protektoratsverhältnis war der Rheinbund (unten § 36) und ist die gegenwärtige Schutzherrschaft Frankreichs über A n n a m , Kambodja, Tunis, Marokko.] [2. S t a a t e n v e r b i n d u n g e n i m e n g e r e n S i n n e sind Vereinigungen mehrerer Staaten zu einer d a u e r n d e n , o r g a n i s i e r t e n G e m e i n s c h a f t f . Die Gemeinschaft kann eine solche des Völkerrechts oder des Staatsrechts sein. I m ersteren F a l l beruht sie stets auf Vertrag und ist auch ihrem Wesen nach ein Vertragsverhältnis, welches, wie alle völkerrechtlichen Vertragsverhältnisse, die Souveränetät der verbundenen Staaten unberührrt läßt. I n diese Kategorie gehört die „ S t a a t e n b u n d " genannte Verbindungsweise. D i e staatsrechtlichen Verbindungen sind, i m Gegensatz zu diesen völkerrechtlichen, nicht sowohl Gemeins c h a f t e n als G e m e i n w e s e n , und zwar ' s t a a t l i c h e Gemeinwesen: Verbände von Staaten, welche als solche selbst wieder Staaten darstellen (zusammengesetzte oder Gesamtstaaten, Staatenstaaten i m weiteren Sinne). e Jellinek, Staatsl. 745ff.; Bornhak, Einseitige Abhängigkeitsverhältnisse unter den modernen Staaten (1896); Rehm, Staatsl. 71 ff. und Staatsl. (1907) 28ff.; — vgl. außerdem die einschlägige Literatur des Völkerrechts, vor allein v. Liszt, Völkerrecht (6. Aufl. 1910) 54; v. Ullmann, Völkerrecht (1908)f 105. Die Vorauflagen sagten hier (6. A. 39) statt „Gemeinschaft": pGemeinwesen", in welchem „eine höhere Gewalt" existiere, „welchem eine Herrschaft über die einzelnen Staaten zusteht". Diese Merkmale treffen aber nur auf die Staatenstaaten i. w. S. (oben im Text), nicht auf den Staatenbund zu. Der Text der Vorauflagen verwischte somit einen fundamentalen Unterschied auf dem Gebiete der Staatenverbindungen: den zwischen völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Verbindungen (richtig Jellinek, Staatsl. 762). Die völkerrechtlichen Verbindungen sind ihrer Entstehung wie ihrer Natur nach Verträge. Ein Vertrag ist wohl eine Gemeinschaft, niemals aber ein Gemeinwesen: ein Rechtsverhältnis kann nie ein Rechtssubjekt sein. Daher ist jetzt das Wort „Gemeinwesen" durch den umfassenderen Ausdruck „Gemeinschaft" ersetzt. Wenn man, wie es G. Meyer wollte, für Staatenbund und Bundesstaat einen höheren, vereinigenden Gattungsbegriff finden will, darf man unter dessen Merkmale nicht das Moment „Gemeinwesen" aufnehmen. Denn ein Gemeinwesen ist wohl der Bundesstaat, nicht aber der Staatenbund. Dagegen haben beide gemeinsam, daß sie auf die Dauer eingerichtete, organisierte Staatengemeinschaften sind. — Auch die Behauptung, daß in a l l e n Staatenverbindungen i. e.S., also auch im Staatenbunde, eine „höhere, die Verbundenen beherrschende Gewalt" bestehe, war irrig. In einer völkerrechtlich-vertragsmäßigen Staatenverbindung, als welche der Staatenbund in jeder seiner geschichtlichen Verkörperungen — Deutscher Bund, Schweiz 1815—1848, Vereinigte Staaten von Nordamerika 1776—1787 — gewesen ist, kann es eine solche „höhere", von den verbundenen Staatsewalten und auch von ihrer Summe verschiedene Gewalt gar nicht geben, »er Staatenbund hat keinen selbständigen, von dem Willen der Mitglieder esonderten Willen: deshalb nicht, weil die notwendige Voraussetzung fehlt: as eigene Selbst im Rechtssinne. Der Staatenbund ist nicht Rechtssubjekty nur Rechtsverhältnis.
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Einleitung.
§ 1.
45
Die staatsrechtlichen Staatenverbindungen scheiden sich nach der S t r u k t u r der Verbindung i n S t a a t e n s t a a t e n i m e n g e r e n S i n n e (auch „Suzeränetätsverhältnisse" genannt)% und B u n d e s S t a a t e n . Beim Staatenstaat im engeren Sinne ist die S t r u k t u r des Verbandes eine herrschaftliche (Herrschaftsverband), beim Bundesstaat dagegen eine genossenschaftliche (Genossenschaftsverband, Staatenkorporation). Die Verschiedenheit kommt darin zum Ausdruck, daß beim Staatenstaat im engeren Sinne einer der verbundenen Staaten (der Suzerän) als Alleinträger der die andern beherrschenden Verbandsgewalt erscheint, (Beispiel: das Verhältnis der T ü r k e i zu ihren Vasallenstaaten), während die Gewalt des Bundesstaates in der korporativen Gesamtheit der verbundenen Staaten ruht, sodaß jeder dieser Staaten zugleich Beherrschter und Mitherrscher, Untertan und Mitglied der Gesamtheit ist. D e r Bundesstaat ist nicht sowohl eine Verbindung als eine V e r b ü n d u n g von Staaten, ein Staat, der z u g l e i c h e i n B u n d ist. D e r Staatenbund ist n u r ein Bund, nicht auch ein Staat. Staatenbund und Bundesstaat faßt man zusammen als „ B u n d e s v e r h ä l t n i s s e " . ]
2. Die Bundesverhältnisse. a) D e r
Staatenbund.
§ 13. [ S t a a t e n b u n d ist die auf Vertrag beruhende, i n diesem Sinne und nach ihrer rechtlichen Natur vertragsmäßige, organisierte Verbindung souveräner Staaten zur gemeinsamen Wahrnehmung bestimmter politischer (auf dem Gebiete des staatlichen Machtzwecks liegender) Interessen der Verbundenen, insbesondere zum Schutze des Bundesgebietes nach außen und zur Bewahrung des Friedens innerhalb desselben a . E i n Begriff, abgezogen vornehmlich von den Staaten Vereinigungen, welche früher i n Nordamerika (1776—1787), der Schweiz (1815—1848) und i n Deutschland (1815—1866), durchweg als Vorstufe der heutigen, bundesstaatlichen, Einigung bestanden h. e Jellinek, Staatenverbindungen 137ff., Staatsl. 748 ff.; Lorenz im Handwörterb. a. a. 0. 7 724, 725; Anschütz, Enzyklop. 14, 16; Boghitch&vitch, Halbsouveränetät (1903) 85ff.; Hatschek, Allgem. Staatsr. 3 15, 16. a Die Vorauf läge definierte: „Staatenbund ist dasjenige Bundesverhältnis, in welchem der Bundesgewalt eine Herrschaft nur über die einzelnen Staaten zusteht." Diese Begriffsbestimmung konnte aus den in Anm. f zum vorigen § angegebenen Gründen nicht beibehalten werden. Von einer H e r r s c h a f t der „Bundesgewalt" über die einzelnen Staaten kann im Staatenbunde überhaupt nicht die Rede sein. Andererseits ist es mit dem Wesen des Bundesstaates nicht unverträglich, daß die Bundesgewalt „nur die einzelnen Staaten", d. h. nicht unmittelbar das Volk beherrscht (Laband, St.R. 1 59, 78 ff). Die im Text gegebene Definition entspricht der heute herrschenden Meinung. * Die ausführlichste Darstellung der Geschichte des Staatenbundbegriffes gibt jetzt Ebers, Die Lehre vom Staatenbunde (1910) 1—258. Die Lehre von dem Unterschied zwischen Staatenbund und Bundesstaat
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Einleitung.
§ 1.
D e r Staatenbund ist ein b l o ß e s V e r t r a g s V e r h ä l t n i s , k e i n R e c h t s s u b j e k t des ö f f e n t l i c h e n R e c h t e s 0 . Er war bis zum Jahre 1866 wesentlich beherrscht durch eine Abhandlung von Waitz, „Das Wesen des Bundesstaates", zuerst veröffentlicht in der Kieler Allgem. Monatsschrift fÜT Wissensch, und Lit., 1853, 494ff., dann wieder abgedruckt in den Grundzügen der Politik 153 ff. Die Waitzsche Bundesstaatstheorie fußt auf A. de Tocqueville, De la démocratie en Amérique (1835); vgl. v. Seydel, Vorträge 72, 73; 0. Mayer, Arch.Öff.R. 18 340; Ebers a. a. 0.100 ff., 109 ff. Über die Waitzsche Theorie : Laband St.R. 1 60 Anm. 2, 62ff. und — als Beispiel für ihren Einfluß auf die staatsrechtlich-politischen Anschauungen der ZÎeit vor 1866: v. Treitschke, Bundesstaat und Einheitsstaat in den histor. u. pol. Aufsätzen 2 (6. A.) 109 ff. Die Abkehr von Tocqueville-Waitz seit 1866/71 bedeutet vor allem eine Verselbständigung der d e u t s c h e n Theorie über Staatenbund und Bundesstaat, eine Befreiung von ausländischen Vorbildern und Einflüssen. Vgl. auch Anschütz, Bismarck und die Reichs Verfassung (1899) 24. Mag auch diese Befreiung noch keine anz vollständige sein — O. Mayer, Arch.Öff.R. 18 369, 372 —, so nimmt och sicher, wie Jellinek, Staatsl. 762 Anm. 1 mit Recht bemerkt, für die wissenschaftliche Erfassung von Staatenbund und Bundesstaat die deutsche Wissenschaft die führende Stelle ein. Erst seit den Neugestaltungen der Jahre 1866/67 und 1870 sind wieder selbständige Bearbeitungen des Gegenstandes aufgetreten (Ebers a. a. O. 132ff.). Vgl. namentlich: G. Meyer, Grundzüge des norddeutschen Bundesrechts § 2 und staatsrechtliche Erörterungen 12 ff.: Seydel, Der Bundesstaatsbegriff in der Z.StaatsW. 28 185ff., Abhandlungen (1893) 1 ff.; Kommentar zur Verfassungsurkunde für das Deutsche Reich (2. A. 1897) 1ff. ; Die neuesten Gestaltungen des Bundesstaatsbegriffes, Ann.D.R. (1876) 641ff. ; Abhandlungen 101 ; Vorträge aus dem allg. St.R. 71 ff.; A. Haenel, Vertragsmäßige Elemente (1 der Studien zum deutschen Staatsrecht) 31 ff. und Zur Kritik der Begriffsbestimmung des Bundesstaates, Ann.D.R. (1877) 78 ff.; S. Brie, Der Bundesstaat, Abt. I (1874), Zur Lehre von den Staatenverbindungen, GrünhutsZ. 11 85ff.: Theorie der Staatenverbindungen (1886); Laband, St.R. 1 55, K1.A. 15ff.; Zorn, St.R. 1 46ff. ; Streitfragen des deutschen Staatsrechtes in der Z. StaatsW. 37 292 ff. und Neue Beiträge zur Lehre vom Bundesstaat, in Ann.D.R. (1884) 453ff.; Liebe, Staatsrechtliche Studien, Heft 1 (1880) und Staatsrechtliche Streitfragen, in Z.StaatsW. 88 624ff. ; Bake, Beschouwingen over den staatenbond en den bondsstaat (1881); Jellinek, Lehre von den Staaten Verbindungen (1882): Staatsl. 762 ff.; Rosin, Ann.D.R. (1883) 302 ff.; Borel, Etude sur la souveraineté de l'état fédératif (1886); Trieps, Das Deutsche Reich und die Bundesstaaten in ihren rechtlichen Beziehungen (1890); Albert Bushel Hart, Introduction to the study of fédéral government (1891); Westerkamp, Staatenbund und Bundesstaat (1892); Le Pur, Etat fédéral et confédération d'états (1896); deutsche Bearbeitung unter Mitwirkung von P. Posener (1902); P. Kloeppel, Dreißig Jahre deutscher Verfassungsgeschichte (1900) 1 26ff. ; Robinson, Das Wesen des Bundesstaates, Z. StaatsW. 53 609ff. ; Rehm, Unitarismus und Föderalismus in der deutschen Reichsverfassung (1898), Staatsl. 40 ff., 117 ff. und Staatsl. (1907) 37 ff.; Affolter, Ann.D.R. (1903) 824ff.; Loening, Handwörterb. 7 724ff.; O. Mayer, Arch.Öff.R. 18 337ff.; Anschütz, Enzyklop. 13 ff., 68; Heilborn das. 5 503; M. Veith, Der rechtliche Einfluß der Kantone auf die Bundesgewalt nach Schweiz. Bundesstaatsrecht (Straßburger Diss. 1902); das mehrfach zit. Buch von Ebers; Hatschek, Allgem. Staatsr. 3 40ff. ; Hubrich, Handb. d. Pol. 1 84. Weitere Literatur bei Ebers a. a. O. X I I I ff., 132 ff. « So die herrschende Meinung. Vgl. besonders Laband, St.R. 1 55, Kl. A. 15 ff. und R. v. Mohl, Deutsches Reichsstaatsrecht (1873) 28 ff. E r s t e r e r hält den Gegensatz von Staatenbund und Bundesstaat für identisch mit dem Gegensatz von G e s e l l s c h a f t und j u r i s t i s c h e r P e r s o n , d. h. von R e c h t s v e r h ä l t n i s und R e c h t s Subjekt. Ihm haben sich
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Einleitung.
§ 1.
47
besitzt keinerlei Herrschaftsrechte über die einzelnen Gliedstaaten, geschweige denn über deren Angehörige. Als seine Mitglieder erscheinen nur die Staaten, nicht deren Angehörige. D e r Staatenbund hat keine gesetzgebende Gewalt. E r kann aber den Inhalt und Wortlaut von Gesetzen feststellen, deren verbindliche Einführung den Staatsgewalten der Einzelstaaten obliegt. Diese Feststellungen haben den Charakter vertragsmäßiger Willenserklärungen. Nicht ausgeschlossen ist, daß der Bund Befugnisse auf dem Gebiete der auswärtigen Verwaltung besitzt, denn durch die Ausübung derselben t r i t t er nur in Beziehung zu fremden Staaten und übt keine Herrschaft über die Angehörigen der verbündeten Staaten aus. Dagegen stehen ihm obrigkeitliche Verwaltungsbefugnisse auf dem Gebiete des inneren Staatslebens nicht zu, denn diese setzen stets eine direkte Beziehung zu den einzelnen Untertanen voraus, was, wie erwähnt, dem völkerrechtlich-vertragsmäßigen Wesen des Staatenbundes durchaus widerspricht. Eine Rechtspflege kann er wohl bei Streitigkeiten der Staaten ausüben, angeschlossen: Zorn, StR. 1 69ff.; Jellinek, Staatenverbindungen 178 und Staatsl. 762ff., auch System 306; Anschütz, Enzyklop. 14, 16; Loening, Handwörterb. 7 724; Bake a. a. 0. 78 ff; Rosin, Ann.D.R. (1883) 276 N. 3 und 302; Mejer, Einleitung 26; Triepel, Interregnum 91; Bornhak, Allg. Staatsl. 236ff., 242ff; Hatschek, Allg...Staatsr. 3 40ff.; Hubrich, Handb. d. Pol. 1 84, auch, wie Laband im Arch.Off.R. 27 342 richtig hervorhebt, Ebers, a. a. 0.268 ff, 285ff, 314. Einen vergeblichen Versuch der Widerlegung dieser herrschenden Lehre unternimmt Kloeppel, Dreißig Jahre deutscher Verfassungseschichte 26ff, 32ff. Gegen ihn: Anschütz, Histor. Zeitschr. (1901) 324ff. üoeppel (und außer ihm nur noch Affolter, Ann.D.R. (1903) 829 erklärt den Staatenbund für einen Staat. Diese Ansicht ist ganz isoliert geblieben. Zahlreichere Vertreter dagegen hat die Theorie, welche den Staatenbund zwar nicht als Staatswesen, aber als eine öffentlich-rechtliche K o r p o r a t i o n , ein korporatives R e c h t s s u b j e k t des Staats- und Völkerrechts (so namentlich G. Meyer in der Vorauf läge (6. A. 39 ff, 112ff.) und andern Schriften; ferner Haenel, v. Martitz, Brie, Ulbrich, v. Stengel, Rosenberg (Zitate und nähere Erörterung bei Ebers a. a. O. 134, 135 ff, 138 ff, 174 ff. 176 ff, 193 ff.) oder nur des Völkerrechtes (so insbes. die völkerrechtliche Literatur, vgl. Ebers 207 ff, außerdem Bake, Gierke, Schulze, vgl. Ebers 161 ff, 163, 206) auffassen will. Daneben fehlt es natürlich auch nicht an Versuchen, zwischen der herrschenden Lehre (Staatenbund ist Sozietät, Rechtsverhältnis) und der Theorie der zuletzt genannten (Staatenbund ist Korporation, Rechts Subjekt) zu vermitteln. So will z. B. Rehm, Staatsl. 86 ff zwischen sozietätsmäßigen und korporativen Staatenbünden unterscheiden; den ehemaligen Deutschen Bund erklärt er für eine Korporation. Über Rehm vgl. Ebers 200 ff. Auch die von Ebers selbst vertretene Auffassung, wonach der Staatenbund eine G e m e i n s c h a f t z u r g e s a m t e n H a n d darstellen soll (Ebers 303ff.), ist wohl den Vermittlungstheorien zuzuzählen. Doch darf man Ebers, der im übrigen den Vertragscharakter des Staatenbundes, die intakte Souveränetät der Bundesglieder, das Recht der letzteren zur Sezession aus dem Bunde und zur Nullifikation rechtswidriger Bundesbeschlüsse auf das schärfste betont, keinesfalls zu den Gegnern der herrschenden Theorie rechnen (vgl die oben angeführte Äußerung Labands, Arch.Öff. R. 27 342. Beifall hat die Eberssche Gesamthandtheorie (die nicht völlig neu ist, vielmehr einen schon von Jellinek, Staatsl. 765 und Heilborn Enzyklop. 5 503 ausgesprochenen Gedanken aufnimmt und ausbaut) bisher nicht gerunden; gegen sie Laband a. a. O. und Hubrich, Handb. d. Pol. 1 84 N. 11.
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Einleitung.
§ 14.
dagegen keine richterlichen Funktionen gegenüber den einzelnen Untertanen entwickeln. D e r Staatenbund hat eine b e s c h r ä n k t e Kompetenz, welche in dem Bundäsvertrage näher formuliert ist. D i e E r weiterung der Kompetenz erfordert Abänderung des Bundesvertrages, also einstimmige Einwilligung aller Bundesstaaten. Die sog. „Kompetenz-Kompetenz", d. h. die Fähigkeit des Bundes, sich selbst seine Kompetenz (auch gegen den Widerspruch einzelner Glieder) zu erweitern, ist mit dem Wesen des Staatenbundes nicht vereinbar, sie ist ein bundesstaatliches Prinzip D i e Staaten im Staatenbunde sind s o u v e r ä n 0 . Insbesondere bleiben sie gegenüber ihren Untertanen i m Vollbesitze staatlicher Herrschaft. D i e Beschränkungen, welche sie sich dem Bunde, d. h. den andern i m Bunde befindlichen Staaten gegenüber durch Eingehung des Bundesverhältnisses auferlegt haben, sind, dem Charakter des letzteren entsprechend, rein vertragsmäßiger Natur, es gilt mithin von ihnen, was von Verträgen zwischen Staaten überhaupt g i l t : sie binden zwar, unterwerfen aber nicht*. D i e Souveränetät der Staaten erleidet also durch das Staatenbundsverhältnis weder nach der inneren noch nach der äußeren Seite irgend eine Beeinträchtigung. D e r Staatenbund ist eine organisierte Staaten Verbindung: er besitzt O r g a n e , wie sie der Einheitsstaat hat. D i e A k t e dieser Organe sind A k t e des Bundes.] b) D e r
Bundesstaat. § 14.
[Der Unterschied z w i s c h e n B u n d e s s t a a t und S t a a t e n b u n d ist der zwischen Staat und Nichtstaat. D e r Staatenbund ist n u r ein B u n d von Staaten, der Bundesstaat ist das auch, er ist aber vor allem ein S t a a t : die Vereinigung der verbundenen Staaten mitsamt ihren Untertanen unter einer obersten, Staaten und V o l k beherrschenden Gewalt. Der Bundesstaat ist keine völkerrechtliche, sondern eine staatsrechtliche, keine vertragsmäßige, sondern eine korporative Verbindung von Staaten, welche als solche, in ihrer höheren Einheit selbst wieder Staat ist. d A. M. die früheren Auflagen (6. A. 42), ferner Seydel, Vorträge über Alle. St.R. 70; Hatschek, Allg. St.R. 3 48, 44. Übereinstimmend mit dem jetzigen Text: Laband, St.R. 1 91 ff., Haenel, St.R. 1 221, Brie, Staatenverbindungen 104; Zorn St.R. 1 76ff.; Affolter, Ann.D.R. (1903) 840; Ebers a. a. e0. 273, 286. A. M. die früheren Aufl. (6. A. 42: „Die Staaten im Staatenbunde sind nicht souverän"). Die Ansicht Gr. Meyers war vereinzelt geblieben. G-egen sie steht die ganz überwiegend herrschende Meinung der Staatsrechtslehrer; vgl. statt aller Laband, St.R. 1 58 N. 1; Zorn, StR. 1 69, Jellinek, Staatsl. 763 ff. Auch die mehrfach zit. Abhandlung von Ebers (285 ff., 313, 314) vertritt die Souveränetät der Staaten im Staatenbunde. f Anschütz, Enzyklop. 15.
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§ 1.
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D e r Begriff des Bundesstaates — abgezogen vornehmlich von den drei wichtigsten Verkörperungen, die er in der modernen Staatengeschichte gefunden hat: den Vereinigten Staaten von Nordamerika, der Schweiz, dem Deutschen Reich — zeigt drei wesentliche Merkmale: 1. Staatlichkeit des Ganzen, d. h. des Bundes; 2. Staatlichkeit der Glieder; 3. bündische (korporative, genossenschaftliche) Vereinigung der Glieder zum Ganzen. Das bedeutet i m einzelnen: ein Bund von Staaten, welcher Bundesstaat sein und heißen will, muß ein seinen Gliedern gegenüber selbständiges, ihnen übergeordnetes Staatswesen darstellen; sein W i l l e muß die Eigenschaft einer wahren Staatsgewalt besitzen. Besitzt er diese Eigenschaft n i c h t , so ist die betreffende Staatenverbindung keine staats-, sondern eine völkerreqhtliche : kein Bundesstaat, sondern ein Staatenbund. Die Gliedstaaten (Einzelstaaten) müssen trotz der Unterordnung unter die Bundesgewalt und dem dadurch bedingten Verlust ihrer Souveränetät Staaten, d. h. Gemeinwesen mit eigenständiger Herrschaft über ihre Untertanen a geblieben sein; — andernfalls würde der „Bundesstaat" i n Wahrheit kein solcher, überhaupt keine Staatenverbindung, sondern ein Einheitsstaath sein. Endlich muß die Struktur der Verbindung und des Verhältnisses zwischen der Gesamtheit und ihren Gliedern eine b ü n d i s c h e , eine genossenschaftlich-korporative sein. Bündisch ist gleichbedeutend mit genossenschaftlich : das genossenschaftliche Moment kommt aber darin zum A u s d r u c k , daß die Gliedstaaten, Untertanen und zugleich Mitinhaber der Bundesgewalt, bei der B i l d u n g der letzteren, des Bundeswillens, nach Maßgabe der Bundesverfassung beteiligt sind. E i n Gesamtstaat, welcher seine Gliedstaaten nur unterwirft, ohne sie bei der Bildung seines Willens zu beteiligen, wäre eine Staatenverbindung vom Typus des Herrschaftsverbandes, ein Staatenstaat i m engeren S i n n e c , aber kein Genossenschaftsverband, kein Bundesstaat. So kann samtstaat, einfachen anderseits sind d .
man definieren: D e r B u n d e s s t a a t i s t e i n G e g e n o s s e n s c h a f t l i c h z u s a m m e n g e f ü g t aus Staaten, die einerseits ihm u n t e r w o r f e n , an der B i l d u n g seines W i l l e n s b e t e i l i g t
a Vgl. oben § 3 S. 13 ff. * Vgl. oben § 2 S. 11 ff. c Vgl. oben § 12 S. 45. d Die in dieser Begriffsbestimmung ausgedrückte Ansicht, daß die Essentialien des Bundesstaats in der Staatlichkeit des Bundes, der Staatlichkeit der Glieder und der Beteiligung der Glieder bei der Bildung des Bundeswillens liegen, ist die heute herrschende. Vgl. Laband, St.R. 1 60 ff. ; Jellinek, System 295 und (weniger klar) Staatsl. 769, 773, 774; Loening, Handwörterb. a. a. 0. 7 725; Zorn, Z.Staats W. 37 317, Ann.D.R. (1884) 461, St.R. 1 73, 87ff.; Rehm, Unitarismus und Föderalismus in der deutschen R.-V. (1898); Staatsl. 86 (anders freilich Staatsl 1907 43); Anschütz, Enzyklop. 16, 17, 64ff.; Bismarck und die R.-V. (1899) 12 ff; ferner: v. Treitschke, Politik 2 325; Mejer, Einleitung 23; Brie, GrünhutsZ. 11 155 ff. und Staatenverbindungen 80 ff, 116ff.; Bake, Beschouwingen over den Statenbond en den Bondsstaat (1881) G. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
I.
7. Aufl.
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Einleitung.:
§ 14.
I n den Bundesstaaten der Gegenwart richten sich die — oder doch gewisse — Herrschaftsrechte der Bundesgewalt unmittelbar gegen die Individuen, das V o l k , nicht nur gegen die Einzelstaaten und durch deren V e r m i t t l u n g erst gegen das V o l k , wie denn z. B. die Bundes- (in Deutschland : Reichs-) Gesetze ihre verbindliche Kraft durch Erlaß und Verkündigung von Bundes (Reichs) wegen erlangen (R.V. A r t . 2 e ) . Eine solche unmittelbare Unterordnung des Volkes unter die Bundesgewalt ist gewiß politisch wertvoll: als Bürgschaft für die Autorität der Bundesgewalt und gegen staatenbündische Entartung des Bundesstaatsverhältnisses. Sie trifft auch, wie erwähnt, regelmäßig zu und darf daher als naturale des Bundesstaatsbegriffes bezeichnet werden. E i n notwendiges, wesentliches Merkmal (essentiale) dieses Begriffes ist sie aber nicht und am wenigsten ist es angängig, die Definition des Bundesstaates allein auf dieses Moment zu stellend Die Einzelstaaten sind der Bundesgewalt als einer über ihnen stehenden Gewalt unterworfen, also n i c h t s o u v e r ä n , die Bundesgewalt dagegen (sofern sie nicht ihrerseits, was denkbar, eine noch höhere Staatsgewalt über sich hat) souverän g. D i e Souveränetät ist mithin nicht, wie eine ältere T h e o r i e h behauptet, zwischen Bund und Gliedern geteilt — denn Souveränetät ist eine Eigenschaft, welche einem Gemeinwesen nur entweder ganz oder garnicht zustehen k a n n ; sie ist weder teilbar noch beschränkbar, sie teilen heißt sie zerstören! — sondern sie ruht ganz und ungeteilt bei 203ff.; Le Pur, État fédéral 601 ff., 673ff.; Gareis, Allgem. Staatsr. 110; Affolter, Ann.D.R. (1903) 837ff.; Veith, Der rechtliche Einfluß der Kantone auf die Bundesgewalt nach Schweiz. Bundesstaatsrecht (1902). — Im Gegensatz hierzu bezeichnet die ältere, von Tocqueville (la démocratie en Amérique (I, 8) und Waitz (Politik 163 ff, 173 ff.) geführte Bundesstaatstheorie es als ein Erfordernis des Bundesstaates, daß die Einzelstaaten von jedem rechtlichen Einfluß auf die Bildung des Bundeswillens a u s g e s c h l o s s e n seien. Vgl. G. Meyer, Grundzüge 12 ff., Erörterungen 15 ff. Die Stellung G. Meyers zu dieser Frage war eine vermittelnde: a. a. O. und in den Vorauflagen dieses Buches (6. A. 46) spricht er sich dahin aus, daß eine Beteiligung der Einzelstaaten bei der Bildung der Bundesgewalt in keiner Weise gegen das Wesen des Bundesstaates verstoße, daß aber auch dies Wesen jene Beteiligung nicht erfordere. Weitere Vertreter dieser Ansicht bei Laband, St.R. 1 61 N. 2, dazu noch Hatschek, Allg. Staatsr. 3 43. 6 Vgl. unten § 167. * Wie dies in den früheren Auflagen dieses Buches geschah. Vgl. 6. A. 43, 44: „Bundesstaat ist dasjenige Bundes Verhältnis, in welchem die Bundesgewalt ihre Herrschaftsrechte direkt über die einzelnen Untertanen ausübt. „Jedes Bundesverhältnis, in welchem die Bundesgewalt eine unmittelbare Herrschaft über die einzelnen Staatsangehörigen besitzt, ist ein Bundesstaat." Ebenso oder ähnlich die dort Anm. 4 zitierten. Dagegen im Sinne des Textes: Laband 1 78ff.; Zorn, St.R.l 73; Gierke, SchmollersJ. 7 1162 N. 2; Rümelin, Z.StaatsW. 39 201 ff., 40 394ff,: Hatschek, Allg. Staatsr. 3 42. « Vgl. 6. A. 48. Die heute herrschende Meinung, daß im Bundesstaat nur der Bund, nicht aber die Staaten souverän seien, ist zuerst von G. Meyer, Staatsrechtl. Erörterungen (1872) 2 ff. aufgestellt worden. h Waitz in seinen oben § 13 Anm. zit. Schriften; vgl. bes. Politik 162ff. i Hierauf nachdrücklichst hingewiesen und damit die Waitzsche.Bundesstaatstheorie widerlegt zu haben, ist das Verdienst von Seydel: Über den
Einleitung.
§ 14.
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der Bundesgewalt. Verursacht war der i n dieser Behauptung liegende I r r t u m durch die Beobachtung, daß Zentralgewalt und Gliedstaatsgewalten des Bundesstaates sich allerdings i n etwas „teilen", nämlich i n die Gesamtheit der staatlichen Aufgaben und Hoheitsrechte: i n die staatliche K o m p e t e n z . So ist im heutigen Deutschen Reiche das Ganze der Kompetenz, welches dem deutschen Einheitsstaate zustehen w ü r d e , wenn das Reich ein Einheitsstaat wäre, zwischen der Reichsgewalt und den 25 Einzelstaatsgewalten verteilt (unten § 80) K Das ist aber eben nur Verteilung der Bundesstaatsbegriff, Z.StaatsW. (1872) 185ff. (mit andern einschlägigen Arbeiten zusammen wieder abgedruckt in Seydels staatsrechtl. und pofit. Abhandlungen 1893) sowie Kommentar zur R.-V. lff.; Seydels Opposition gegen den Gedanken der geteilten Souveränetät ist übrigens nicht völlig originell, sie fußt, wie Seydel selbst weiß und anerkennt, auf Calhoun (Works 1 146 „Sovereignty is an entire thing, to divide, is — to destroy it"). Jener Gedanke ist heute völlig aufgegeben; vgl. insbes. Laband, St.R. 1 62ff, Zorn, St.R. 1 67 ff; Haenel, St.R. 1 204 ff.; v. Treitschke, Politik 2 321. — In seiner Polemik gegen Waitz hatte Seydel Recht; Unrecht aber, wenn er glaubte, mit der Irrlehre von der geteilten Souveränetät den Begriff des Bundesstaates schlechthin überwunden zu haben und so zu der Folgerung gelangte, daß alle politischen Gebilde, die man als Bundesstaaten Dezeichnet, entweder Staatenbünde oder Einheitsstaaten seien, daß insbesondere das Deutsche Reich ein Staatenbund sei. Dieser Irrtum Seydels ist durch den anderen veranlaßt, daß Seydel die Souveränetät für ein wesentliches und unentbehrliches Merkmal des Staates erklärt: vgl. oben § 1 Anm. 6, 7. Die richtige Orientierung vollzog Laband, indem er einerseits die Unteilbarkeit der Souveränetät zugab, andererseits die Souveränetät aus dem Kreise der Essentialien des Staatsbegriffs ausschied und als dasjenige Moment, welches den Staat vom Nichtstaat (insbesondere vom innerstaatlichen Kommunalverband) trennt, die Eigenständigkeit des Herrschaftsrechts bezeichnete: vgl. oben § 1 S. 7 Anm. b. Damit war der Begriff des Bundesstaates wiederum sichergestellt und einer Anschauung zum Siege verholfen, welche allein den deutschen politischen Verhältnissen vollkommen gerecht wird. Die Wirklichkeit dieser Verhältnisse fordert von der Wissenschaft einen Staatsbegriff, welcher sowohl auf die nationale Gesamtheit, das Reich wie auf die partikularen Glieder dieser Gesamtheit, die Einzelstaaten (Länder) paßt; welcher die letzteren nicht als Kommunal verband, das Reich nicht als Einheitsstaat, aber auch nicht als Staatenbund erscheinen läßt (Anschütz, Histor. Ztschr. (1901) 326 ff, Enzyklop. 64). Dieser Forderung hat erst Laband vollkommen Genüge geleistet: eine epochemachende Tat. k Die Behauptung, daß im Bundesstaate der volle Staat nicht in der Gesamtheit und nicht in den Gliedstaaten, sondern in der Totalität beider zum Ausdruck komme (Haenel, Vertragsmäßige Elemente 63; Bornhak, Allg. Staatsl. 255) oder daß der Gesamtstaat und die Einzelstaaten in ihrer Zusammengehörigkeit das Subjekt der Staatsgewalt bilden (Gierke in Schmollers J. 7 1168), Desagt nur, daß im Bundesstaate zur Erfüllung derjenigen Aufgaben, welche im Einheitsstaate dem Staate obliegen, sowohl eine Tätigkeit des Bundes als eine solche der Einzelstaaten erfordert wird. Dagegen enthält die Theorie keinerlei maßgebende Gesichtspunkte für die Bestimmung der im Bundesstaate einander gegenüberstehenden Rechtssubjekte — Buna und Einzelstaaten — und ihrer Rechtsbeziehungen zueinander, auf welche es erade für die juristische Konstruktion des Bundesstaates wesentlich anommt. Auch die zur Erklärung des Verhältnisses erfolgte Heranziehung der Analogie des Gesamteigentums (Gierke a. a. 0. 1170 u. 1171), eines außerordentlich zweifelhaften und sehr bestrittenen Begriffes des älteren germanischen Rechtes, erscheint nicht glücklich und ist doppelt auffällig oei
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Einleitung.
§ 14.
Kompetenz, nicht Teilung der Rechtsmacht ü b e r die Kompetenz, nicht Teilung der Souveränetät. Die Kompetenzverteilung kann auf sehr verschiedene Weise erfolgen; die A r t , wie sie geschieht, ist für das Wesen des Bundesstaates nicht maßgebend. Der Begriff des Bundesstaates trägt das Postulat einer bestimmten Kompetenzverteilung nicht in sich. Insbesondere kann man nicht sagen, daß nach diesem Begriff die Bundesgewalt auf die Erzeugung des Rechts, die Gesetzgebung, beschränkt, der Vollzug der Gesetze dagegen, wie überhaupt alle ausführende (verwaltende) Tätigkeit den Einzelstaaten zu überlassen sei 1 . B u n d und Staaten stehen nicht wie zwei selbständige und gleichberechtigte Gemeinwesen nebeneinander 111 ; die Staaten sind vielmehr Glieder eines höheren, sie beherrschenden staatlichen Verbandes: der Korporation „Bundesstaat". Die Bundesgewalt kann Gesetze erlassen, welche die Einzelstaaten zu befolgen verpflichtet sind und kann sich nach Maßgabe dieser Gesetze der Einzelstaaten als solcher und ihrer Organe zur Durchführung ihrer Anordnungen bedienen. Sie kann aber für diese Durchführung nach ihrem Belieben sich auch eigene Organe, Bundesbehörden, besetzt mit Bundesbeamten, schaffen. Die sachliche U n b e s c h r ä n k t h e i t des Wirkungsk r e i s e s , welche dem Einheitsstaate zusteht, besitzen im Bundesstaate weder die Staaten noch der Bund. Beide haben nur eine b e s c h r ä n k t e K o m p e t e n z . D i e Erweiterung der Kompetenz des Bundes kann nur durch einen A k t der Bundesgewalt stattfinden. Soweit die Bundeskompetenz auf der Bundesverfassung (z. B . i m deutschen Reiche: R.V. A r t . 4, vgl. unten § 80) beruht, erfordert die Erweiterung der Kompetenz eine Abänderung der Bundesverfassung, deren Vornahme den Organen des Bundes zusteht 11 . Freilich ist dieser A k t in den verschiedenen Bundesstaaten einem Schriftsteller, der selbst vor der Verwendung privatrechtlicher Aualogieen im Staatsrecht zu warnen fur nötig erachtet (a. a. 0. 1102). 1 Dies ist die Ansicht von Rümelin, Z.StaatsW. 89 202. m Wie Waitz, Politik 161 ff., 213 behauptet, dessen Theorie in diesem Punkte von 0. Mayer, V.R. 2 462 ff., Arch.Off.R. 18 340 Anm. 6 wieder aufgenommen ist. * Haenel, Vertragsmäßige Elemente 65, 241 ff., Deutsches Staatsr. 1 221 Zorn, Z.StaatsW. 37 314; Liebe, Staatsrechtliche Studien 40; Jellinek, System 307ff. ; Mejer, Einleitung 24; Brie, Theorie der Staatenverbindungen 104ff.; Le Fur, Etat Fédéral 590ff. G. Meyer wollte nicht zugeben (6. A. § 14 N. 11), daß die Alleinzuständigkeit der Bundesgewalt zur Regelung der Kompetenz Verhältnisse die dem Begriffe des Bundesstaates einzig entsprechende Einrichtung sei. Das war ein Irrtum : die Bundesgewalt ist den Einzelstaaten gegenüber souverän, sie wäre das aber nicht, wenn sie nicht Rechtsmacht über ihre Kompetenz besäße. Ein Bundes Verhältnis, in dem die Bundeskompetenz nicht von der Bundesgewalt eigenmächtig bestimmt, sondern dieser Gewalt „durch übereinstimmenden Beschluß der Einzelstaaten" (6. A. S. 47) vorgeschrieben wird, ist kein Bundesstaat, sondern, wegen der Souveränetät der Einzelstaaten, ein Staatenbund.
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§ 1.
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verschieden gestaltet. I m Deutschen Reiche geschieht die Abänderung der Reichsverfassung und damit die Erweiterung der Reichskompetenz durch die gesetzgebenden Organe des Reicheso. I n den republikanischen Bundesstaaten Nordamerikas und der Schweiz besteht eine besondere verfassunggebende Gewalt; welche i n der Schweiz durch die Kantone und die Schweizerbürger, i n den Vereinigten Staaten durch den Kongreß bzw. Verfassungskonvent und die Einzelstaaten repräsentiert wirdP. Dieser Gewalt steht auch die Regulierung der Kompetenzen zu. Sie erscheint als Vertreterin des souveränen nordamerikanischen und schweizerischen Volkes und ist als die höchste Gewalt innerhalb der Union und der Schweiz anzusehen, welcher sowohl die Organe des Bundes als die der Einzelstaaten unterworfen s i n d q . D i e Staaten i m Bundesstaate sind n i c h t s o u v e r ä n ' . Sie sind der Bundesgewalt als einer über ihnen stehenden Gewalt unterworfen. Sie besitzen aber auch ihren Untertanen gegenüber nicht mehr die Fülle staatlicher Hoheit und M a c h t ; diese ist durchbrochen durch die Kompetenz der Bundesgewalt. Allerdings beschränkt sich die Unterwerfung der Staaten unter die Bundesgewalt zunächst auf die Gebiete der Bundeskompetenz. Sie besteht aber auch außerhalb dieser Gebiete, da allein die Bundesgewalt sich in der Lage befindet, ihre Kompetenz selbst zu erweitern. Die Souveränetät i m Bundesstaate steht also lediglich dem B u n d e zu. o R.V. Art. 78. p Eine Abänderung der Verfassung der Vereinigten Staaten erfordert die Zustimmung des Kongresses oder Verfassungskonventes der Vereinigten Staaten und die Zustimmung von drei Vierteln der gesetzgebenden Versammlung oder Verfassungskonvente der Einzelstaaten (Verf. der Vereinigten Staaten Art. 5). In der Schweiz ist zur Abänderung der Bundesverfassung die Zustimmung der Mehrheit der Schweizerbürger und der Mehrheit der Kantone erforderlich (Revidierte Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 Art. 121). Vgl. Haenel, St.R. 1 783 ff. Über das Verhältnis des Völkerrechts zum Recht der einzelnen Staaten vgl. das bahnbrechende Buch yon Triepel, Völkerrecht und Landesrecht (1899). c Über die Gliederung des öffentlichen Rechts: Jellinek, Staatsl. 383 f£
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Einleitung.
§ 1.
Verhältnisse, so namentlich das Erbfolge- und Vermögensrecht der regierenden Fürstenhäuser, und bedarf insoweit einer Berücksichtigung im Staatsrecht
§ 16. Die Q u e l l e n des Staatsrechts 1 sind: 1. G e s e t z e , unter welchen die V e r f a s s u n g o d e r d a s G r u n d g e s e t z von besonderer Bedeutung ist. 2. G e w o h n h e i t s r e c h t . Eine B i l d u n g von Rechtssätzen i n der Form gewohnheitsrechtlicher Erzeugung kann auf dem Gebiete des Staatsrechtes ebensogut wie auf dem des Privatrechtes v o r k o m m e n 2 . D i e Verfassung des alten deutschen Reiches beruhte und die jetzige englische Verfassung beruht zu einem großen T e i l auf Gewohnheitsrecht. Auch das Bestehen einer Verfassungsurkunde steht einer Bildung von Gewohnheitsrecht nicht entgegen, die Bestimmungen derselben können durch Gewohnheitsrecht abgeändert w e r d e n 8 . Gewisse Änderungen gibt es jedoch, welche d Die staatsrechtliche Seite und Bedeutsamkeit dieser Materie ist in ihrer neuesten systematischen Darstellung: Rehm, Modernes Fürstenrecht (1904) scharf hervorgehoben. 1 Vgl. auch § 72: Quellen des deutschen Staatsrechts. 2 Vgl. G. F. Puchta, Das Gewohnheitsrecht, 2. Teil, (1837) 225 ff.; Jellinek, Gesetz und Verordnung 334 ff. Seidler, Zur Lehre vom Gewohnheitsrecht auf dem Gebiete des österreichischen Staats- und Verwaltungsrechtes (Abdruck a. d. Festschrift zum 70. Geburtstage Joseph Ungers 1898), dazu 0. Mayer, Arch.Öff.R. 14 132 ff B. Schmidt, Das Gewohnheitsrecht als Form des Gemeinwillens (1899); Brie, Über die Gewohnheit insbesondere als Quelle des Verwaltungsrechts 1 (1399) u. Art. Gewohnheitsrecht im W.St.V.R. (2. A.) 2 287; Spiegel, Die Verwaltungswissenschaft (1909) 184ff und in Stengel-Fleischmanns Wörterbuch 2 289ff.; 0. Mayer, V.R. 1 130 ff; Anschütz, Preuß. Verw.Bl. 22 87, 88 und im Verw.Arch. 14 326, 327. JNeuerdings ist die Bedeutung des Gewohnheitsrechts für das öffentliche Recht besonders auf dem Gebiete des V e r w a l t u n g s rechtes vielfach untersucht worden; im Vordergrunde steht dabei zumeist die Frage, ob Befugnisse der Verwaltung zu Eingriffen in Freiheit und Eigentum der Untertanen sich nur auf Gesetz oder, bei Nichtvorhandensein eines Gesetzes, auch auf Gewohnheitsrechte gründen können. Vgl. außer den angegebenen Schriften von 0. Mayer, Seidler, Brie, Anschütz insbesondere noch: Fleiner, Instit. 83ff.; Bräuer, Arch.Öff.R. 21 523ff. (diese beiden dem Gewohnheitsrecht weniger günstig); Schade, Arch.Öff.R. 25 300ff, 308ff.; Schultzenstein, Verw.Arch 16206, 207; Schanze, Ztschr. f. Praxis u. Gesetzgebung in der Verwaltung 86 12 ff. (ihm günstiger). — Sehr beachtenswert für das Problem des Gewohnheitsrechts im öffentlichen Recht ist auch die Schrift Jellineks über Verfassungsänderung und Verfassungswandlung (1906): viele Verschiebungen des Rechtszustandes, welche Jellinek als „Verfassungswandlungen" (d. h. als Änderungen, welche den Text der Verfassung unverändert lassen und durch .Tatsachen hervorgerufen werden, die nicht von der Absicht einer solchen Änderung begleitet sein müssen) anspricht, dürften sich bei näherer Betrachtung als das Werk rechtsändernder Macht der Gewohnheit erweisen.] 8 v. Gerber, St.R. (§ 6) 14 u. 15 meint zwar, von der Abänderung durch Gewohnheitsrecht seien ausgeschlossen jene höchsten Prinzipien der Verfassung, welche dem Einfluß der fortschreitenden Rechtsbildung im Staate überhaupt entrückt sein sollten. Aber er hält es selbst für unmöglich, diese höchsten Prinzipien genauer zu formulieren.
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§ 1.
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ihrem Wesen nach nicht auf dem Wege gewohnheitsrechtlicher B i l d u n g v o r sich gehen können, weil zu ihrer Durchführung ein bewußter äußerer A k t notwendig ist. Dies sind namentlich Änderungen der Verfassungsform. M i t ihnen ist stets ein Wechsel i n der Person des Trägers der Staatsgewalt verbunden, der nicht allmählich innerhalb eines längeren Zeitraumes, sondern i n einem bestimmten Momente stattfinden muß. — Überhaupt wird da, wo eine gesetzlich genau geregelte Staatsorganisation besteht und die staatlichen Organe über der Aufrechterhaltung des geltenden Rechtes ängstlich wachen, nur ein geringer Raum für die Bildung von Gewohnheitsrecht übrig bleiben. 3. V ö l k e r r e c h t l i c h e V e r t r ä g e , wenn sie i n die inneren Verhältnisse eines Staates eingreifen. Sie gelten aber für die Untertanen eines Staates nur kraft einer Einführung durch die Staatsgewalt und haben dann dieselbe Verbindlichkeit wie Gesetze. I n einer Zeit, wo die staatlichen Rechtsverhältnisse als Beziehungen einzelner Personen und Korporationen zueinander angesehen wurden, kamen auch Verträge unter diesen als Quelle des Staatsrechtes v o r , so z. B. i m alten deutschen Reiche die Wahlkapitulationen, in den deutschen Territorien Verträge zwischen Landesherren und Liandständen, in den Reichsstädten Rezesse zwischen Rat und Bürgerschaft. Dagegen schließt die neuere Staatsauffassung, welche die bei Ausübung der Staatsgewalt beteiligten Personen nicht als einzelne I n d i v i d u e n , sondern als Organe des Gemeinwesens betrachtet, eine vertragsmäßige Erzeugung von Recht innerhalb des Staates völlig a u s a . § 17. Das S y s t e m des Staatsrechtes muß von dem des Privatrechtes durchaus verschieden sein. I m Privatrecht handelt es sich u m die Regelung von Rechtsbeziehungen einzelner Individuen zueinander, i m Staatsrecht um die Ordnung eines Herrschaftsverhältnisses K H i e r kommt es darauf an: 1. den Kreis von Personen festzustellen, welche der Staatsherrschaft unterworfen sind — H e r r s c h a f t s b e r e i c h des •Staates; 2. zu bestimmen, wer die Herrschaftsrechte des Staates ausübt — O r g a n e d e s S t a a t e s ; a Vgl. aber die eigentümliche, nicht vertragsmäßige, aber vertragsförmige Erzeugung öffentlich-rechtlicher, insbesondere v e r w a l t u n g s r e c h t 1 i c h er Rechtssätze durch V e r e i n b a r u n g : Anschütz, Pr.Verw.Bl. 22 88 ff, mit vielen Belegen aus der Praxis; Fleiner, Instit. 82, 88. Über den Begriff der Vereinbarung und seine Verschiedenheit von dem des Vertrages vgl. ooen § 14 S. 54 Anm. t. 1 Das von Seydel, Allg. Staatsl., zugrunde gelegte System schließt sich zum großen Teil an das System des Privatrecbtes an, was sich allerdings daraus erklärt, daß der Verfasser auch im Staatsrecht nur Individuen als Hechtssubjekte anerkennt. Vgl. dagegen Gierke, Z.StaatsW. 30 190.
Einleitung.
60
§ 1.
3. anzugeben, in welchen Handlungen sich die Staatsherrschaft äußert — F u n k t i o n e n d e r s t a a t l i c h e n O r g a n e ; 4. die rechtliche Stellung zu normieren, welche die der Staatsherrschaft unterworfenen Personen dem Staate gegenüber einnehmen — R e c h t s v e r h ä l t n i s s e d e r U n t e r t a n e n .
§ 18. Man unterscheidet a l l g e m e i n e s und b e s o n d e r e s Staatsrecht. Unter allgemeinem Staatsrecht verstand man früher philosophisches, ideales oder natürliches Staatsrecht i m Gegensatz zum positiven. Diese Bezeichnung kommt selbst noch bei solchen Schriftstellern vor, welche dem philosophischen Rechte eine praktische Anwendbarkeit nicht zugestehen 1 . Der Begriff des philosophischen Rechtes ist aber überhaupt zu verwerfen; es gibt kein anderes Recht als positives 2 . Ebensowenig darf man den Ausdruck „allgemeines Staatsrecht" verwenden, um diejenigen Sätze zu bezeichnen, welche sich auf Wesen und Zweck des Staatesbeziehen. W e n n diese auch zu juristischen Argumentationen benutzt werden können, so sind sie doch keine Rechtssätze. D e r Unterschied zwischen allgemeinem und besonderem Staatsrecht kann vielmehr nur so gefaßt werden, daß dieses das spezielle Recht eines e i n z e l n e n S t a a t e s oder einer S t a a t e n g r u p p e , . jenes das Recht d e s S t a a t e s ü b e r h a u p t , d . h . allermöglichen Staaten, namentlich der Staaten einer bestimmten Zeitepoche oder Kulturstufe, bezeichnet 8 . Eine A r t des besonderen Staatsrechten ist das d e u t s c h e . 1 2
R. v. Mohl, Enzyklopädie (§ 23) 174 ff; H. A. Zachariä, St.R. 1 (§ 2) 4. Vgl. Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie (1892); Jellinek, Staatsl. 850 ff. 8 So faßt den Unterschied auch Bluntschli, Allg. Staatsl. 11 ff.; ferner H. Schulze, Einleitung § 6, Lehrbuch § 3; Gareis, Allg. St.R. 10ff. und Rehm, Staatsl. 6.
Erster Teil. Geschichte des deutschen Staatsrechtes. Erstes Buch.
Die Zeit des alten deutschen Reiches1. I . Geschichtliche Übersicht. § 19. V o r der Völkerwanderung zerfielen die Deutschen i n zahlreiche einzelne V ö l k e r s c h a f t e n , welche jedes Bandes höherer politischer Einheit ermangelten. Nach unten hin gliederten sich 1 Über das Staatsrecht des alten deutschen Reiches sind außer den in § 34 erwähnten, während des Bestehens des Reiches entstandenen Schriften zu vergleichen: die im Eingang der Einleitung zitierten Werke über deutsches Staatsrecht von H. A. Zachariä, Zöpfl, Mejer und H. Schulze und die umfassenderen Arbeiten auf dem Gebiet der deutschen Rechtsgeschichte. Von letzteren sind besonders hervorzuheben: K. F. Eichhorn, Deutsche Staatsund Rechtsgeschichte, 5. Ausg., 4 Bde., Göttingen 1843—44. H. Zöpfl, Deutsche Rechtsgeschichte, 4. Aufl., 3 Bde., Braunschweig 1871—72. F. Walter, Deutsche Rechtseeschichte, 2. Ausg, 2 Bde., Bonn 1857. Hillebrand, Lehrbuch der deutschen Staats- und Rechtsgeschichte mit Anschluß der Geschichte der Privatrechtinstitute, Leipzig 1856. J. F. v. Schulte, Lehrbuch der Deutschen Reichs- und Rechtsgeschichte, 6. Aufl., Stuttgart 1892. H. Siegel, Deutsche Rechtsgeschichte, 3. Aufl., Berlin 1895. R. Schröder, Lehrbuch der Deutschen Rechtsgeschichte, 5. Aufl., Leipzig 1907. H. Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1 2. A. 1906, 2 1892. Derselbe, Geschichte und Quellen des deutschen Rechts in v. Holtzendorff-Kohlers Enzyklopädie der Rechtswissenschaft, 7. Aufl., 1 67ff. (auch als [erweiterter] Sonderabaruck erschienen unter dem Titel: „Grundzüge der deutschen Rechtsgeschichte" [im folgenden kurz als „Grundzüge" zitiert]), 5. Aufl. 1912. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1 u. 2, 3. Aufl., Kiel 1880—82; Bd. 3 u. 4, 2. Aufl., 1883—85; Bd. 5, 2. Aufl., von Zeumer 1893; Bd. 6 von Seeliger 1896; Bd. 7 - 8 , I. Aufl., 1874—78. R. Sohm, Die altdeutsche Reichs- und Gerichtsverfassung, Bd. 1: Die Fränkische Reichs- und Gerichtsverfassung, Weimar 1871. A. Heusler, Deutsche Verfassungsgeschichte, Leipzig 1905. 0. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, 3 Bde., Berlin 1868, 1873 u. 1881. E. Mayer, Deutsche und französische Verfassungsgeschichte vom 9.—14. Jahrhundert, 2 Bde., Leipzig 1899. K. Lamprecht, Deutsche Geschichte, Bd. 1—5, Berlin 1891—95. Kloeppel, 30 Jahre deutsch. Verfass.-Gesch. (1867—77) (Leipzig 1900) 1 179—216.
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Erster Teil.
Erstes Buch.
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diese i n Gaue und Gemeinden. Den K e r n des Volkes bildeten die freien Grundbesitzer; die Verfassung hatte einen vorwiegend d e m o k r a t i s c h e n Charakter, selbst da, wo erbliche Könige vorkamen* Erst nachdem i n der Zeit der Völkerwanderung das K ö n i g t u m eine Macht an der Spitze des erobernden Stammes geworden w a r , erhielt der Staat ein mehr m o n a r c h i s c h e s Gepräge. I n dem F r a n k e n r e i c h e wurde nicht nur der größte T e i l der deutschen Stämme, sondern auch vielfache Elemente romanischer Nationalität zu einer politischen Einheit zusammengefaßt. Dasselbe war eine germanisch-romanische Universalmonarchie auf christlicher Grundlage, eine Auffassung, welche in der Übertragung der römischen Kaiserkrone auf K a r l den Großen ihren formellen Ausdruck erhielt, Z u groß jedoch, u m auf die Dauer zusammenzuhalten, zerfiel es infolge der erbrechtlichen Grundsätze, welche i m fränkischen Königshause galten, und infolge der Schwäche der späteren Herrscher i n mehrere Teile. D u r c h den Vertrag von Verdun (843) und die Absetzung Karls des Dicken (887) sonderte sich der überwiegend germanische Osten von dem mehr romanischen Westen. Aus dem Ostfrankenreich ging das d e u t s c h e R e i c h hervor. D i e höchste Gewalt i m Frankenreiche repräsentierte der K ö n i g , der von einer ihn beratenden Versammlung der weltlichen und geistlichen Großen (Reichsversammlung, Reichstag) umgeben war. D i e Masse des Volkes bestand ursprünglich noch aus freien Grundbesitzern. Diese befanden sich gegenüber dem Könige i n einem d i r e k t e n U n t e r t a n e n v e r h ä l t n i s , welches sich namentlich i n der allgemeinen Wehrpflicht und dem allgemeinen Treueid äußerte. F ü r die Zwecke der Regierung war das fränkische Reich i n G r a f s c h a f t e n oder G a u e eingeteilt, an deren Spitze der Graf (comes, iudex, grafio), ein vom K ö n i g eingesetzter und absetzbarer Beamter, stand. Diese Einrichtungen gingen vom fränkischen auf das deutsche Reich über. Aber schon im Frankenreiche selbst hatten sich vielfache Elemente entwickelt, welche eine allmähliche Zersetzung derselben herbeiführten. M i t der immer wachsenden Ungleichheit des Grundbesitzes war eine Reihe von A b h ä n g i g k e i t s v e r h ä l t n i s s e n entstanden. Schutzbedürftige und besitzlose Freie begaben sich i n den Schutz eines mächtigen H e r r n oder ließen sich auf dessen Grund und Boden ansiedeln und bezahlten dafür Zinsen und Abgaben. So entstand die Klasse der V o g t e i l e u t e und H i n t e r s a s s e n . Andrerseits fingen die fränkischen Könige an, die Großen dadurch an sich zu fesseln, daß sie [hierin dem Vorgehen der Kirche folgend] ihnen Grundstücke zu einem zeitlich beschränkten Nutzungsrecht i n der F o r m eines B e n e f i c i u m verliehen. A u c h die großen Grundherren nahmen derartige Vergabungen vor. Gleichzeitig entwickelte sich die V a s a l l i t ä t , d. h. ein durch Kommendation begründetes Treueverhältnis zum
Die Zeit des alten deutschen Reiches.
§ 1.
K ö n i g oder einer Privatperson, das zu Diensten ehrenvoller A r t , namentlich Kriegsdienst, verpflichtete. Z u r Ausbildung der Vasallität hat namentlich das i n den Kriegen mit den Arabern hervortretende Bedürfnis nach berittenen Streitkräften Veranlassung gegeben. Aus der Verschmelzung von Beneficium und Vasallität ging das L e h n s v e r h ä l t n i s h e r v o r 2 . — D i e großen Grundbesitzer erhielten allmählich eine Reihe von öffentlichen Befugnissen zur selbständigen Ausübung. U m die alte fränkische Heeresverfassung, welche auf der Dienstpflicht aller Freien beruhte, aufrechtzuerhalten, übertrugen die Karolinger den Grundherren das Aufgebot über die auf ihrem Lande angesiedelten Leute, also einen T e i l der Grafenrechte. So entstand das S e n i o r a t . Dazu kam die I m m u n i t ä t 8 . Diese gewährte dem Grundbesitzer zunächst nur eine Exemtion von gewissen Amtsbefugnissen der königlichen Beamten, namentlich des Grafen. Die weitere E n t wicklung führte aber dahin; daß der Grundherr die Gerichtsbarkeit über seinen Immunitätsbezirk erhielt. — D i e l e h n s w e i s e Ü b e r t r a g u n g dehnte sich von den Grundbesitzungen auf die Ämter aus, so daß auch Grafschaftsrechte dem einzelnen in der F o r m des Lehns überlassen wurden. Es entstand die Erblichkeit der Lehen und der Ä m t e r , namentlich der Grafenämter, welche dadurch den Charakter des Amtes verloren und zu einer patrimonialen Herrschaft wurden. Auch kamen häufig Üoert r a g u n g e n m e h r e r e r G r a f s c h a f t e n an weltliche oder geistliche Große vor. So wurde die gleichmäßige Einteilung des Reiches i n Grafschaften durchbrochen, der Unterschied zwischen Grafschaften und Immunitäten verschwand und es bildeten sich n e u e B e z i r k e , 2
Über die Entstehung des Lehnswesens sind namentlich zu vergleichen: P. Roth, Geschichte des Benefizialwesens, Erlangen 1850; Feudalität und Untertanenverband, Weimar 1863. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte 21 290 ff, 4 176 ff. Derselbe, Die Anfange der Vasallität, Abhandl. d. Königl. Ges. d. Wissenschaften in Göttingen, Histor.-phil. Klasse 7 69 ff. (auch m besonderem Abdruck, Göttingen 1856). Derselbe, Die Anfänge des Lehnswesens, in v. Sybels Histor. Z. 1 90 ff G. Kaufmann, Die Entstehung der Vasallität eine Folge wirtschaftlicher Veränderungen, Jahrb. f. Nationalökonomie u. Statistik 28 105 ff. V. Ehrenberg, Kommendation und Huldigung nach fränkischem Rechte, Weimar 1877. H. Brunner, Der Reiterdienst und die Anfänge des Lehnswesens, Z.R.G.(G.) 8 1 ff. Derselbe, Die Landschenkungen der Merovinger und Agilolfinger, Forschungen zur Gesch. des deutschen und französ. Rechts 1894 1 ff 8 Waitz, Verfassungsgeschichte 2 2 396 ff., 4 i 288 ff. G. L. v. Maurer, Geschichte der Fronhöfe, Bauernhöfe und der Hofverfassung in Deutschland (Erlangen 1862) 1 282 ff. Gierke, Genossenschaffcsrecht 1 130 ff. Sohm, Altdeutsche Reichs- und Gerichtsverfassung (Weimar 1871) 1 349 ff. v. Bethmann Hollweg, Der Zivilprozeß des gemeinen Rechts (Bonn 1873) 5 § 77. Sickel, Beiträge zur Diplomatik III—V, Sitzungsberichte d. kais. Akad. d. Wissenschaften zu Wien, Philos.-histor. Klasse 47 175ff, 565ff.; 49 311 ff. A. Heusler, Der Ursprung der deutschen Städteverfassung 15ff. (Weimar 1872). G. Meyer, Z.R.G.(G.) 3 104 ff. Brunner, R.Gesch. 2 287 ff, Grundzüge 74 ff. E. Stengel, Die Immunität in Deutschland 1 (1910).
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deren Gebiet durch den örtlichen Umfang bestimmt wurde, in welchem einer Person Grafschaftsrechte zustanden. Der Berechtigte übte entweder seine Befugnisse selbst aus oder bestellte dafür einen Grafen, welchem namentlich die Wahrnehmung der richterlichen Funktionen zustand. Diese kleinen Herrscher ( F ü r s t e n ) hatten sich zwischen den K ö n i g und die Untertanen als Mittelinstanz eingeschoben und den direkten Untertanenverband vernichtet. Sie umgaben den König auf den Reichstagen, leiteten ihre Rechte lehnsweise von ihm ab und waren i h m zur Treue verbunden. Über die ihnen unterworfenen Personen übten sie eine Herrschaft aus, welche sich aus verschiedenen Elementen, Grafenrechten, Immunitätsbefugnissen, Seniorat, Lehnsherrlichkeit, Grundherrlichkeit, Yogtei usw. zusammensetzte. I m fortwährenden Kampfe mit dem Königtum wußten sie ihre Rechte immer mehr zu erweitern. Diese E n t w i c k l u n g wurde dadurch begünstigt, daß das deutsche Reich seit 911 ein Wahlreich geworden und daß m i t ihm seit 962 die römische Kaiserkrone verbunden war. Namentlich der letztere Umstand hat das deutsche K ö n i g t u m i n vielfache Streitigkeiten m i t der römischen Kirche und Italien verwickelt, über welchen die Aufgaben i m Innern des Reiches vernachlässigt wurden. Z u einer höheren Gewalt über den Grafen und Fürsten entwickelte sich seit dem neunten Jahrhundert das [schon früher vorhandene, durch die Karolinger vorübergehend niedergehaltene] S t a m m e s h e r z o g t u m . Auch dieses hatte seinen ursprünglichen Amtscharakter mehr und mehr in den einer eigen berechtigten Herrschaft verwandelt. Die Rechte der Herzöge waren weder i n den verschiedenen Jahrhunderten, noch in den einzelnen Herzogtümern völlig gleich; einen wesentlichen Bestandteil derselben bildete aber jedenfalls der Heerbann. D i e K ö n i g e , denen die wachsende Macht der Herzöge gefährlich zu werden drohte, wußten i m Bunde m i t den Fürsten das Stammesherzogtum zu beseitigen, eine E n t w i c k l u n g , welche m i t dem Sturze Heinrichs des Löwen entschieden ist. Die Früchte dieses Sieges erntete aber nicht das Königtum, sondern die Fürsten, welche zu ihren früheren Befugnissen nun auch noch die Herzogsrechte hinzu erwarben. Seit dieser Zeit (1180) bildete sich ein fester Begriff des Fürstenstandes aus. F ü r s t e n wurden nunmehr n u r diejenigen genannt, welche ein Territorium m i t voller Heeres- und Gerichtsgewalt, [bei den weltlichen Fürsten Fahnlehn, bei den geistlichen Szepterlehn genannt] unmittelbar vom Könige zum L e h n hatten 4 . F ü r die Fürsten k a m auch die Bezeichnung „ L a n d e s h e r r e n " (domini terrae), für die ihrer Herrschaft unterworfenen Gebiete der Name „ L ä n d e r " (territoria) auf. D i e erste urkundliche A n erkennung der landesherrlichen Rechte findet sich i n den beiden * Ficker, Vom Reichsfürstenstande. Innsbruck 1861.
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§ 1.
Konstitutionen Friedrichs I I . von 1220 und 1232 5 . Neben den Fürsten gab es noch Territorialherren, welche dem Stande der f r e i e n H e r r e n angehörten; [diese hatten ihr Territorium nicht notwendig vom Könige; sie konnten auch Allodialherren oder Vasallen von Fürsten sein und besaßen weitgehende Gerichtsherrlichkeit, jedoch keine volle Landeshoheit]. I m Laufe der Z e i t stiegen sie aber zum Reichsfürstenstande empor oder. sanken zur Ritterschaft hinab. Außerdem erhielten sich zunächst noch einzelne u n m i t t e l b a r e R e i c h s l a n d e , welche unter der Verwaltung königlicher Beamten standen. Allmählich verschwanden 'edoch auch diese, indem sie entweder an benachbarte Landesherren verkauft oder verpfändet und nachher nicht wieder eingelöst wurden oder indem die königlichen Beamten selbst erbliche und landesherrliche Rechte i n denselben erwarben. Somit war seit dem dreizehnten Jahrhundert die L a n d e s h o h e i t z u r G r u n d l a g e d e s R e i c h e s g e w o r d e n . Während des Interregnums wußten die Landesherren ihre Macht erheblich zu erweitern, und diese E n t w i c k l u n g setzte sich auch fort, nachdem das Reich wieder ein Oberhaupt erhalten hatte. Die Vergrößerung der fürstlichen Territorien durch Erbgang, Heirat, Kauf, Unterdrückung minder Mächtiger, die korporative Organisation des fürstlichen Hauses, die Ausbildung des landesherrlichen Beamtentums, die Entstehung der Landstände bewirkten, daß das politische Leben seit dem vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert sich mehr und mehr i n den Territorien konzentrierte. Auch die Könige fingen an, sich wesentlich als große Landesherren zu fühlen und legten das Hauptgewicht nicht auf ihre Stellung i m Reiche, sondern auf die Begründung und den Besitz einer Hausmacht. — Als eine hervorragende Klasse der Fürsten traten die K u r f ü r s t e n hervor, d. h. diejenigen, welchen das Recht der Königswahl zustand. Nachdem sie selbst durch den Kurverein zu Rense (1338) ihre Rechte hinsichtlich der Königswahl sichergestellt hatten, erfolgte eine reichsgesetzliche Anerkennung derselben durch die constitutio Licet iuris von 1338 und die Goldene Bulle Karls I V . von 1356. Sie bildeten innerhalb des Reichstages ein von den übrigen Fürsten abgesondertes Kollegium. A u f sie ging zunächst eine Reihe von königlichen Regalien, Münzrecht, Bergregal und Zollregal über, sie erhielten zuerst für ihre Länder privilégia de non evocando und de non appellando, Begünstigungen, welche später auch auf die übrigen Fürsten ausgedehnt wurden. Neben den Fürsten erhob sich ein anderes Element i n den S t ä d t e n 6 . Während auf dem Lande die H ö r i g k e i t sich mehr
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Ygl. unten § 20 S. 69. Über die Geschichte der Städteverfassung ist zu vergleichen (reichhaltige Literaturübersieht bei Schroeder, Deutsche Rechtsgeschichte 632 fl.): Arnold, Geschichte der deutschen Freistädte, Hamburg und Gotha 1854; Nitzsch, Ministerialität und Bürgertum im 11. und 12. Jahrhundert, Leipzig 1859; Gierke, Genoss.R. 1 249 G. L. v. Maurer, Geschichte der Städte6
G. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
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und mehr ausbreitete, hatte sich hier die Freiheit erhalten. I n dem städtischen Rate entstand ein Organ der Bürgerschaft, in welchem die Bestrebungen derselben, sich von der Herrschaft des Stadtherrn freizumachen, ihren Träger fanden. Gerichtsbarkeit und Besteuerungsrecht gingen auf denselben über. Nachdem seit Wilhelm von Holland und Rudolf von Habsburg die Städte auch zum Reichstage zugelassen wurden, war in denselben ein den Landesherren gleichberechtigtes Element erwachsen. Die Städte bildeten besondere Bezirke, i n denen Landeshoheit und Reichsstandschaft einer Korporation zustand. Es konnte sogar eine Zeitlang zweifelhaft erscheinen, ob nicht das städtische Element das Übergewicht erlangen und eine vollständige Umgestaltung des Reiches herbeiführen würde. I n dem großen Städtekriege von 1388 wurde jedoch der Sieg des landesherrlichen Prinzips entschieden. Die fürstlich regierten Territorien bildeten nunmehr die eigentliche Grundlage des Reichsverbandes, während die Beteiligung der Städte an demselben nur als eine vereinzelte Ausnahme erschien. I n der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts machte sich bereits das Bedürfnis nach größerer politischer E i n i g u n g i m Reiche lebhaft bemerkbar. Weitergehende Pläne scheiterten zwar an der Verschiedenheit des Standpunktes von Kaiser und Reichsständen, doch kam es im Jahre 1495 zu einer Reihe nicht unwichtiger R e f o r m e n 7 . D e r Ewige Landfriede enthielt ein dauerndes Verbot aller Fehde, und in dem Reichskammergericht wurde ein ständiger oberster Gerichtshof geschaffen, der alle Streitigkeiten der Reichsstände untereinander zu erledigen hatte. Es sollten jährliche Reichstage stattfinden, eine Bestimmung, die freilich tatsächlich nicht eingehalten wurde, und zeitweilig bestand sogar ein aus einzelnen Reichsständen bzw. deren Vertretern zusammengesetztes Reichsregiment, welches mit der Aufrechterhaltung des Landfriedens und der Vollstreckung der reichsgerichtlichen Verfassung in Deutschland, 4 Bde., Erlangen 1869—71; Andr. Heusler, Ursprung der deutschen Städteverfassung, Weimar 1872; v. Below, Die Entstehung der deutschen Stadtgemeinde, Düsseldorf 1889, Der Ursprung der deutschen Stadtverfassung, Düsseldorf 1892; C. Köhne, Der Ursprung der deutschen Städteverfassung in Worms, Speier und Mainz, Breslau 1890; R. Sohm, Die Entstehung des deutschen Städtewesens, Leipzig 1890 (Festschrift); Keutgen, Untersuchungen über den Ursprung der deutschen Städteverfassung, Leipzig 1895; Rietschel, Markt und Staat in ihrem rechtlichen Verhältnis, Leipzig 1897; K. Hegel, Die Entstehung des Städtewesens, Leipzig 1898; W. V arges, Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung, in J. f. Nationalökonomie u. Statistik 61 161ff., 63 801 ff., 64 481 ff., 67 481 ff., 69 56ff.; Brunner, Grundzüge 164ff.; Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte 682 ff.; Lamprecht, Der Ursprung des Bürgertums und des städtischen Lebens in Deutschland, in v. Sybels Histor. Z. 67 385 ff.; H. Preuss, Die Entwicklung des deutschen Städtewesens, 1. Bd., Entwicklungsgeschichte der deutschen Städteverfassung, 1906. 7 L. v. Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, Bd. 1, 7. Aufl., Leipzig 1894; H. Ulmann, Kaiser Maximilian I. 1 292 ff. (Stuttgart 1884); Lamprecht, Deutsche Geschichte 5 24 ff.
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Urteile betraut war. Die politische Bedeutung des Reiches wurde wieder eine größere und dasselbe entwickelte im sechzehnten Jahr hunderte eine rührige Tätigkeit auf den Gebieten der Gesetzgebung und Rechtspflege. Eine neue Wendung trat aber infolge der k i r c h l i c h r e f o r m a t o r i s c h e n B e w e g u n g e n des sechzehnten Jahrhunderts ein. Diese veranlaßten eine lange Reihe von religiösen Streitigkeiten und damit einen n e u e n K a m p f z w i s c h e n R e i c h s g e w a l t und Territorialgewalten. Deutschland wurde ein Schauplatz innerer Kriege, die einzelnen Reichsstände schlossen Alliancen zur Verfolgung ihrer Sonderinteressen, es begann eine Einmischung fremder Mächte, welche ihren Höhepunkt i m Dreißigjährigen Kriege erreichte. Letzterer endete i m W e s t f ä l i s c h e n F r i e d e n mit einem v o l l s t ä n d i g e n S i e g e d e r T e r r i t o r i a l g e w a l t e n , denen sogar das Recht der Bündnisschließung m i t auswärtigen Mächten zuerkannt wurde. Seit dieser Zeit war die Auflösung des Reiches entschieden 8 . Deutsche Fürsten kämpften i n Verbindung mit auswärtigen Herrschern gegen das Reich und andere deutsche Landesherren. A u f dem deutschen Reichstage saßen Vertreter außerdeutscher Regierungen. D i e Reichsgewalt hatte nicht mehr die Macht, den größeren Landesherren gegenüber ihre Befehle zur Durchführung zu bringen. Der i n Regensburg permanent gewordene Reichstag verlor sich in Formalitäten und Zeremonialfragen. Die Reichsgerichte waren träge und bestechlich. Die Beiträge zur Bestreitung der Reichslasten wurden von einem großen T e i l der Reichsstände nicht mehr bezahlt. D i e Reichskriegsverfassung bot ein B i l d traurigsten Verfalles dar. Um so kräftiger entwickelten sich die T e r r i t o r i e n . Die Macht der Landesherren, gestützt durch ein ausgebildetes Beamtentum und stehende Heere, oft gehoben durch ausgedehnte Besitzungen außerhalb des Reiches, nahm an Umfang und W i r k samkeit stetig zu. Politisches Leben bestand nur innerhalb der einzelnen Länder, i n welchen sich namentlich jene fürsorgende und bevormundende Tätigkeit der landesherrlichen Obrigkeit ausbildete, welche man in der Sprache der damaligen Zeit mit dem Namen „Polizei" zu bezeichnen pflegte. — A u f diesem Boden erwuchs der b r a n d e n b u r g i s c h - p r e u ß i s c h e S t a a t 9 , der 8 Über die politischen Zustande in den letzten 150 Jahren sind zu vergleichen : Clem. Theod. Perthes, Das deutsche Staatsleben vor der Revolution, Hamburg und Gotha 1845; Häußer, Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Gründung des Deutschen Bundes 1 64 ff. (3. Aufl., Berlin 1861—63); H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. 1, 4. Aufl., Leipzig 1887. 9 Eine zusammenfassende Darstellung der Geschichte des preußischen Staates und seines Rechtes gibt Bornhak, Preuß. Staats- und Rechtsgeschichte (Berlin 1903), der auf S. X I X — X X V I auch die außerordentlich reiche Literatur (wichtig insbesondere die Arbeiten von Schmoller, Stölzel, E. v. Meier, Hintze, Isaaksohn, Koser, LehmannHoltze u. a) zusammengestellt hat.
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§ 2.
unter einer Reihe ausgezeichneter Regenten, mit vortrefflichem M i l i t ä r und Finanzen, seine Macht so weit zu steigern wußte, daß er in die Reihe der europäischen Großmächte eintrat und ein Nebenbuhler der österreichischen Kaisermacht i n Deutschland wurde10.
I I . Quellen des deutschen Reichsstaatsrechtes.
§ 20. Das Verfassungsrecht des deutschen Reiches ist niemals i n einer einzigen Urkunde zusammengefaßt worden, die Grundsätze desselben beruhten vielmehr auf einer Reihe von einzelnen Reichsgesetzen und auf Gewohnheitsrecht 1 . Unter den Reichsgesetzen sind folgende von besonderer W i c h t i g k e i t : 10 Über das Emporsteigen Brandenburg-Preußens vom Territorialstaat zum Großstaat vgl. Kloeppef Dreißig Jahre deutsch. Verfass.-Gesch. 1 194 ff., namentlich aber a letzteres, soweit ersichtlich, nirgends geschehen ist», wären nach StoerkKohler, worauf Bornhak in Ann.D.K, (1904) 62 sehr treffend hinweist, unsere Verfassungsurkunden null und nichtig „und der Verfassungsbruch Ernst Augusts von Hannover, der einst das Rechtsbewußtsein in Deutschland auf das schwerste verletzte, hätte durch die neueste Rechtsforschung eine glänzende Rechtfertigung erfahren". Und wie steht es mit der Beseitigung jenes anderen großen „Organisationsprinzips", der e i n z e l s t a a t l i c n e n S o u v e r ä n e t ä t d u r c h den A k t der R e i c h s g r ü n d u n g ? Soweit bekannt, ist zu diesem Akt in jedem deutschen Staat die Zustimmung wohl des Landtags, nicht aber des Hauses und seiner Agnaten erfordert und erteilt worden. Der neueste Legitimismus hat also auch hier Gelegenheit, unter dem Zeichen des fiat justitia, pereat mundus eine Nichtigkeitserklärung zu erlassen. Sorgfältiger als Arndt, Kekule, Stoerk usw. begründet Rehm, Mod. Fürstenr. 7 ff. die Lehre, daß das Thronfolgerecht der deutschen Einzelstaaten der Abänderung durch einseitigen Akt der Staatslegislative entrückt sei. Seine Hauptthesen lauten: 1. Das Recht am Throne nicht vom Staate verliehen; 2. Das Recht vom Throne nicht durch den Staat entziehbar: vgl. a. a. O. 7 ff. 22 ff. — Die erste Behauptung ist nur historisch richtig,
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a In Preußen ist es sicher nicht geschehen; weder 1848, beim Übergang zum konstitutionellen System, noch früher, als es sich noch lediglich darum handelte, eine „ständische" Verfassung zu geben. Allerdings ist die Frage, ob es zum Weiterausbau der von Friedrich Wilhelm IV. seit 1842 (vgl. Anschütz, Komm. z. preuß. Verf. 22 ff.) eingeführten ständischen Einrichtungen der Zustimmung der Agnaten bedürfe, aufgeworfen worden, und zwar von dem damaligen Prinzen von Preußen, nachmaligen Kaiser und König Wilhelm I., 1845; sie wurde aber von König Friedrich Wilhelm IV. auf Grund gutachtlicher Äußerungen von Savigny, Heflter und Eichhorn rundweg verneint (v. Treitschke, D. Gesch. 5 34, 273, 609; Mareks, Kaiser Wilhelm I. 60ff.; Rachfahl, Deutchland, König Fr. Wilh. IV. und die Märzrevolution 21).
Die Organe.
§ 86.
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juristisch nicht; damit füllt auch die zweite. Auf die erste ist mit der Gegenfrage zu antworten; welche Rechtsordnung ist es, auf welcher das subjektive „Recht am Thron" beruhen soll? Die Fiktion eines außer- und überstaatlichen Rechts, welche R. freilich nicht scheut, wird sich doch nicht aufrechterhalten lassen. Von Völkerrecht kann hier nicht die Rede sein, also müssen die Rechte der Thronanwärter im Staatsrecht wurzeln, und es fragt sich dann weiter, ob im Reichs- oder im Landesstaatsrecht. Unter dem alten Reich war das fürstliche Hausrecht und insbesondere die Thronfolge allerdings kein Gegenstand der Landesgesetzgebung; dies ergab sich daraus, daß aas Haus als solches und seine Mitglieder der Landeshoheit nicht unterstellt, ihr vielmehr v o n R e i c h s w e g e n e n t r ü c k t , reichsunmittelbar waren. Die Immunität der Agnatenrechte gegenüber der landesherrlichen Gesetzgebungsgewalt beruhte also auf dem Seichsrecht und stand unter dem Schutz der Reichsgerichte. Seitdem haben sich nun aber die Zeiten gewandelt. Die Wirkungen des Untergangs des alten Reichs schätzt Rehm viel zu gering ein. Das Ereignis von 1806 ließ die Dynastien und die Rechtsverhältnisse ihrer Mitglieder in die durch das Wort quod est in territorio, est de territorio bezeichnete Stellung hinabsinken: 6ie wurden durch den Fortfall der Reichsverfassung zu Untertanen des Landesherrn, fielen seiner gesetzgebenden Gewalt als Staatsoberhaupt anheim. Die Regelung der Rechtsverhältnisse des regierenden Hauses wurde in jedem deutschen Staate L a n d e s a n g e l e g e n h e i t , und Landesangelegenheit ist sie noch heute, da die von R. Dehauptete Gewährleistung der Agnatenrechte gegenüber der Landesgesetzgebung, welche angeblich in Art. 57 EG-. zum BGB. enthalten sein soll, in Wahrheit nicht vorhanden ist: vgl. N. 1 zu diesem Paragraph. R. selbst gesteht (104ff.) zu, daß in der Zeit nach Untergang des Reichs das Thronfolgerecht einseitig durch „StaatsVerordnungen", d. h. gesetzgeberische Akte der absoluten Egonen geregelt werden konnte und geregelt worden ist: was aber der Gesetzgeber des absoluten Staates konnte, kann der des konstitutionellen erst recht." Der nicht näher motivierte Hinweis auf einen „Wandel der Rechtsanschauungen" (in den Kreisen der deutschen Fürsten?) genügt nicht, um die Tatsache zu entkräften, daß heute nicht minder wie schon vor hundert Jahren die Thronfolge als Landesangelegenheit der Regelung durch die Landesgesetzgebung unterliegt, — wobei eine Frage für sich bleibt, inwieweit auf Grund der Landesgesetze, insbesondere der Verfassung, der A u t o n o m i e des regierenden Hauses Spielraum gelassen ist. — Mit den hier vorgetragenen Anschauungen stimmen überein u. a. Jellinek, StaatsL 165 N. 1, System 146, 148 N. 5, Kampf des alten m. d. neuen Recht (Originalausgabe) 18, 28ff., Ausgewählte Schriften 1 415 ff.; 0. Mayer, Arch.Öff.R. 21 449; Bornhak an den oben S. 286 zit. Stellen; Schücking, Die Nichtigkeit der Thronansprüche des Grafen Alexander v. Welsburg in Oldenburg (1905) 40 ff. II. G. Mever hatte (Voraufl. 254) für die Staaten, deren Thronfolgerecht noch heute nicht auf Staats-, sondern auf Hausgesetz beruht, behauptet, daß Änderungen des Thronfolgerechts nur durch „ein Hausgesetz, welches der Zustimmung der gesetzgebenden Organe des Staates bedarf", m. a. W. durch einen übereinstimmenden Akt von Haus- und Staatsgesetzgebung, erfolgen können. Er bestritt also selbst für diese Staaten die Kompetenz der Hausautonomie zu einseitiger Regelung thronfolgerechtlicher Fragen. Schücking, Staat und Agnaten 42, 48, hatte sich dieser Ansicht angeschlossen, später aber (Die Nichtigkeit der Thronansprüche usw. 52 ff), bestimmt durch meine Polemik gegen G. Meyer, Voraufl. 258 ff, seine Meinung geändert. Die Ansicht G. Meyers ist unrichtig. Es ist zu unterscheiden: 1. In manchen Staaten ist das Thronfolgerecht unter vollständiger Wiedergabe seiner Satzungen in den Verfassungstext aufgenommen, also mit Venassungsgesetzeskralt kodifiziert worden; so namentlich in Bavern und Württemberg. Hier ist die Materie nur Staatsrecht, d. h. formelles Verfassungsrecht ; ihre Regelung bzw. Fortbildung steht allein der in den Formen
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Zweites Buch.
§ 86.
der Verfassungsänderung sich betätigenden Legislative des Staates zu; der Autonomie des regierenden Hauses ist diese Angelegenheit völlig entrückt, so zwar, daß auch die Z u s t i m m u u g der Faktoren dieser Autonomie, der Agnaten des Hauses, zu Verfassungsänderungen der gedachten Art nicht erforderlich erscheint. Insbesondere kann das Erfordernis solcher Zustimmung nicht mit der Begründung behauptet werden, daß jeweils in die Rechte der Agnaten „eingegriffen" werden will. Die Gültigkeit eines Gesetzes ist niemals und nirgends von der Anerkennung und Einwilligung derer abhängig, deren Rechtsstand durch das Gesetz berührt wird: die Gegenmeinung würde gleichbedeutend sein mit einem Zurück hinter die gesamte neuere und moderne Entwicklung der Staatsgewalt, würde die These in sich schließen, daß die gesetzgebende Gewalt (die Fähigkeit, J e d e m im Herrschaftsbereich des Staates souverän das Maß seines Sollens, Müssens, Dürfens, Könnens zuzuweisen) in der Staatsgewalt nicht enthalten sei, — eine Vorstellung, die ja für den altdeutschen, auch wohl für den mittelalterlichen Staat zutrefien mag, nicht aber für den der Gegenwart. — Die vorstehenden Gesichtspunkte gelten auch für diejenigen Verfassungen, welche den thronfolgerechtlichen Inhalt der Hausgesetze, ohne ihn im einzelnen zu wiederholen, als Ganzes und im allgemeinen a l l e g i e r e n , in der Absicht und mit der Wirkung, die Hausgesetze insoweit zum Verfassungsbestandteil zu machen, das Hausrecht in Verfassungsrecht umzuwandeln. Hierher gehört in erster Reihe P r e u ß e n — VU. Art. 58 — (übereinstimmend Schücking, Die Nichtigkeit usw. 56, Bornhak, Preuß. Staatsr. 1 171ff., Hubrich, Preuß. Staatsr. 185; Smend a. a. 0. 20, 21), sodann B a d e n VU. §4 — (wofern man, was mit Grund bestritten werden kann und z. B. von Kehm, Modernes Fürstenr. 105 und Eisenlohr, Die Thronfolgerechte der Cognaten in Baden (Heidelb. Diss. 1905) 53 verneint wird, die von der Bad. Verf. a. a. 0. zum „wesentlichen Bestandteil der Verfassung" erklärte Deklaration vom 4. Oktober 1817 für eine ihrerzeit als Hausgesetz und nicht vielmehr als Staatsgesetz erlassene Satzung ansehen will). — Zusammengefaßt: Die Verfassungen von Preußen, Bayern, Württemberg, Baden, — welche andere außerdem noch in diese Gruppe gehören, bleibe dahingestellt (Näheres bei Schücking, Die Nichtigkeit usw. 55ff.) — übernehmen das gesamte, ehemals von der Autonomie der regierenden Familie ausgebildete Thronfolgerecht ganz auf den Staat und überweisen seine Fortbildung der a u s s c h l i e ß l i c h e n Zuständigkeit der verfassungändernden Staatsgesetzgebung. 2. Andere — durchweg nur kleinstaatliche — Verfassungen (SachsenWeimar, Anhalt, Schwarzburg-Rudolstadt, Lippe; vgl. Schücking a. a, 0.53, 54) s c h w e i g e n über die Materie des Thronfolgerechts. Dies Schweigen ist im Zweifel nicht dahin zu deuten, daß die gleiche Rechtswirkung beabsichtigt war, wie in den Staaten der ersten Gruppe, auch nicht so, daß die das Thronfolgerecht ordnenden Hausgesetze Hausgesetze bleiben und die Eigenschaft von Staatsverfassungsgesetzen noch hinzugewinnen sollten, sondern so, daß das Thronfolgerecht weiterhin und heute als H a u s r e c h t : mit der Kraft der Hausgesetze und, folgeweise, mit der Möglichkeit der Abänderung allein durch die Faktoren der Hausautonomie, fortgelten soll, so aber, daß hierdurch dem Vorrang der Staatsgesetzgebung vor jeder autonomen Rechtsquelle kein Abbruch geschieht. Oder anders ausgedrückt: die Verfassungen dieser zweiten Gruppe überweisen das Thronfolgerecht der k o n k u r r i e r e n den Zuständigkeit von Haus- und Staatsgesetzgebung; sie lassen die einschlägigen älteren Hausgesetze in Kraft, verbieten ihre Abänderung durch die Famifienautonomie nicht, halten aber der Staatslegative die Möglichkeit jederzeitigen Eingreifens offen, es ihr überlassend, sich der Materie zu bemächtigen und sie von sich aus einseitig zu ordnen (zustimmend, entgegen seiner früheren Ansicht, jetzt Schücking a. a. 0. 52 ff., ebenso das Urteil des OLG. Oldenburg im Oldenburger Thronstreit vom 6. Dez* 1905, bei Saxl, Materialien und Gesetz [19071 118 ff., bes. 119; vgl. auch Schücking in Ann.D.R. (1907) 863. Dagegen halten Tezner, Die Sukzessions- und Yerwandtenrechte des Prinzen Alexander v. Oldenburg (1905), 60, 65 und Saxl, Materialien und Gesetz 61, 69 Anm. 79, die Hausgesetzgebung zur Regelung
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thronfolgerechtlicher Fragen nur da für zustandig, wo sie durch Staatsgesetz hierzu a u s d r ü c k l i c h ermächtigt ist). Ein Z u s a m m e n w i r k e n von Staats- und Hausgesetzgebung (oben, Text, Abs. 2 Satz 3) ist nach alledem durch allgemeine Grundsätze nirgends erfordert (so auch das oben zit. Urteil des OLG. Oldenburg). Die Notwendigkeit eines solchen Zusammenwirkens ist nicht zu vermuten und nur dort anzunehmen, wo sie singulärer Weise durch die Verfassung als besondere Bedingung für Änderungen des ThronfoJgerechts ausdrücklich vorgeschrieben sein sollte (Beispiel: Reuß j. L. Rev. GG. § 11). Hiervon abgesehen ist ein S t a a t s g e s e t z (ein verfassungänderndes in den Ländern der Gruppe 1, in denen der Gruppe 2 ein einfaches) jedenfalls überall ausreichend, um beliebige Umgestaltungen des Thronfolgerechts zu bewirken.] § 87. I n allen deutschen Staaten g i l t heutzutage der Grundsatz der U n t e i l b a r k e i t a . Die Verfassungen sprechen denselben entweder ausdrücklich 1 oder indirekt dadurch aus, daß sie eine Thronfolgeordnung aufstellen, welche das Prinzip der Individualsukzession und Unteilbarkeit i n sich schließt 2 . Diese Thronfolgeordnung ist die P r i m o g e n i t u r O r d n u n g 8 . a Rehm, Modernes Fürstenrecht 50ff. will diesen Grundsatz überall „eng" interpretieren, ihn nur gelten lassen, solange die Krone sich im Mannsstamme des regierenden Hauses vererbt, und inm ältere Hausgesetze, Verträge, Erb Verbrüderungen u. dgl., welche eine Teilung des Staatsgebietes vorsehen, überordnen. An solchen Konsequenzen seiner früheren patrimonialen Anschauungen wird Rehm wohl nicht mehr festhalten, nachdem er diese Anschauungen aufgegeben hat; vgl. seine oben § 85 Änm. 4 zit. Schriften. Vgl. auch unten § 87 Anm. b und § 90 Anm. 3. Der Grundsatz der Unteilbarkeit gilt, soweit er nicht sowohl dem Staate selber, sondern Dritten: dem Landesherrn, dem regierenden Hause, anderen Dynastien die Teilung des Staatsganzen verbieten und Ansprüche Dritter auf Vornahme solcher Dismembrationen abschneiden will, u n b e d i n g t u n d a b s o l u t ; auch ist er nicht „eng", sondern wie jeder Rechtssatz, der eine Lebensnotwendigkeit des Staates zum Ausdruck bringt, so weit als möglich zu interpretieren. Gegen Rehm: Jellinek, Staatsl. 172, 173 Anm. 1; 0. Mayer, Sächs. Staatsr. 57, van Calker, Hessisches Staatsr. 26. 1 Sächs. Verf. § 1, Württ. Verf. § 1, Bad. Verf. § 3, S.-Mein. Ergänzung zum GG. vom 9. März 1896 Art. 4, S.-Kob.Goth. StGG. § 1, Schwarzb.-Sondersh. LGG. § 1, Reuß ä. L. Verf. § 1, Reuß j. L. StGG. § 1, Schaumb.-Lippe Verf. Art. 1, Braunschw. N. LO. § 1, Oldenb. Rev. StGG. Art. 1 § 2. 2 So insbes. die preuß. Verf., Art. 53. 8 Die Primogeniturordnung ist in den meisten deutschen Staaten verfassungsmäßig festgestellt: Preuß. Verf. Art. 53, Bayr. Verf. Tit. I I § 2, Sächs. Verf. § 6, Württ. Verf. § 7, Hess. Verf. § 5, S.-Mein. GG. § 3, S.-Alt. GG. § 13, S.-Kob.-Goth. StGG. § 6, Braunschw. N. LO. § 14, Old. StGG. Art. 17 § 1, Schw.-Sondh. LGG. § 13, Reuß ä. L. Verf. § 3, Reuß j. L. G. vom 20. Juni 1856 § 8, Waldeck. Verf. § 15, Schaumb.-Lipp. Verf. Art. 3. — I n den andern Staaten gilt sie kraft hausgesetzlicher Bestimmung: Bad. Hausund Familienst. § 2. [Diese Bestimmung soll indessen nach § 4 der bad. Verf.-Urk. „einen wesentlichen Bestandteil der Verfassung bilden und als wörtlich in gegenwärtiger Urkunde betrachtet werden", gilt mithin materiell und formell als V e r f a s s u n g s v o r s c h r i f t : vgl. auch oben § 86, Zusätze I I S. 2881. Primogeniturordnung des Herzogs Ernst August von Weimar nebst kaiserl. Konfirm. vom 29. Aug. 1724 (H. Schulze, Hausgesetze 3 220 ff): Testam. des Fürsten Leopold von Annalt-Dessau (H. Schulze a. a. 0 . 1 65ff.) u. Testam. des Fürsten Leopold Maximilian zu Anhalt-Dessau vom 4. Mai 1751 (eben6 . M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
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Während nun aber zur Nachfolge überhaupt alle Deszendenten des ersten Erwerbers berufen s i n d 4 , bezog sich die hausgesetzliche Einführung der Primogenitur regelmäßig nur auf diejenige Linie,, welche zu der Z e i t , wo die Einführung erfolgte, i m Besitz der Regierung war. A u f die Seitenlinien, welche etwaige eventuelle Sukzessionsrechte besaßen, sollte sie keine Anwendung finden. Sie konnte auch auf diese, nach Lage des damaligen Rechtszustandes, nur m i t ihrer eigenen E i n w i l l i g u n g ausgedehnt werden. A u c h die Bestätigung des Erstgeburtsrechtes durch die neueren Verfassungen hat meist nur i n dem Umfange stattgefunden, i n welchem es durch die Hausgesetze festgestellt war. Erlischt daher die Linie oder das Haus, auf welche sich die Einführung der Primogeniturordnung bezog, so werden die aus früherer Zeit berechtigten L i n i e n nicht nach der Primogeniturordnung berufen. Ihre Reihenfolge richtet sich vielmehr nach demjenigen Rechte, welches zur Zeit der Entstehung ihres Anspruches maßgebend w a r 5 . Welcher A r t dieses Recht i s t , kann nur durch konkrete Untersuchung festgestellt werden. Es entscheiden darüber i n erster L i n i e die Hausgesetze und das Herkommen des betreffenden Hauses. I n E r mangelung spezieller Grundsätze werden in der Regel die Vorschriften des lombardischen Lehnrechtes als maßgebend erachtet werden müssen 6 . da 86 ff.). Pactum unionis des Grafen Simon m . zur Lippe von 1368 nebst kaiserlicher Bestätigung von 1521, kaiserliche Bestätigungen des Primogeniturrechtes von 1593 und 1626, Testament des Grafen Simon vT. von 1597, gräflichlippischer Hauptvergleich vom 22./24. Mai 1792 (H. Schulze a. a. 0. 2 147 ff, 173 ff.); Testam. des Grafen Philipp zu Schaumburg-Lippe von 1668 und Kaiserliche Bestätigung des Primogeniturrechtes von 1687 (H. Schulze a. a. O. 164 ff.); V. des Grafen Albert Anton von Schwarzburg-Rudolstadt vom 1. Juli 1710 (H. Schulze a. a. 0. 3 360 ff.); Hamburger Vergleich vom 8. März 1701 unter den Herzögen Friedrich Wilhelm und Adolf Friedrich I I . von Mecklenburg nebst Kaiserlicher Konfirmation vom 26. März 1701. Erläuterungsvertrag vom 14. Juli 1755 (H. Schulze a. a. O. 2 221 ff., 236 ff.). 4 Nach älterem deutschen, insbesondere nach sächsischem Recht waren in bezug auf die Lehnsbesitzungen nur die Deszendenten des letzten Besitzers, dagegen nicht dessen Seitenverwandte erbberechtigt, auch wenn sie vom ersten Erwerber abstammten. Das Mittel, diesen as Recht, aus besonderen Gründen, z. B. weil der Volljährigkeitstermin sehr nahe bevorsteht, von der Anordnung einer solchen abzusehen (so die VoraufL § 92 Anm. 16; ferner v. Rönne, Preußisches Staatsrecht (§ 47) 1 181 N. 6; J. Freund a. a. 0. 24ff.), steht ihm nicht zu. Richtig: Arndt, Komm, zu Art. 56 N. 5; Bornhak, Preußisches Staatsrecht 1 215; Hubrich, Preuß. Staatsr. 202; v. Stengel in Marquardsens Handb. 45; Schwartz, Preuß. Verfassungsurkunde 163; Zorn in der 5. Aufl. von v. Rönnes Preuß. Staatsrecht (§ 16) 1 235 N. 3, 236; Brie in WStVR., Art. Regentschaft, 3 254.] 17 Preuß. Verf. Art. 56 u. 57, Bayr. Verf. Tit. I I § 11, Hess. G. vom 26. März 1902 Art. 1 Abs. 3, S.-Mein. G. vom 9. März 1896 Art. 6, Wald. Verf. § 22. — Die Berufung des Landtages erfolgt in Preußen durch den der Krone zunächst stehenden volljährigen Agnaten, nachdem dieser die Regentschaft übernommen hat. Analog sind die Bestimmungen der waldeckischen Verfassung. In Hessen (vgl. das zit. G. von 1902) ist die Initiative zur Einleitung der Regentschaft, insbesondere die Berufung der Ständeversammlung und die einstweilige Übernahme der Regierungsgeschäfte bis zur Beschlußfassung der Stände Sache des Staatsministeriums. I n Bayern fehlt es an ausdrücklichen Festsetzungen darüber, wer zur Berufung der Stände befugt ist. Vgl. Poezl, Bayrisches Verfassungsrecht § 152; SeydelPiloty, Bayrisches Staatsrecht 1 117. 18 Sächs. Verf. §§ 10 u. 11, Württ. Verf. § 13 (nebst G. v. 15. Juli 1911), S.-Kob.-Goth. StGG. §§ 15 u. 16, Old. StGG. Art. 21, 23 u. 24. 19 Reuß ä. L. Verf. §§ 9 u. 10. 20 [Die im Herzogtum Braunschweig von 1884—1913 geführte Regentschaft beruhte auf dem G., die provisorische Ordnung der Regierungsvernältnisse bei einer Thronerledigung betreffend, vom 16. Februar 1879. Sie ist durch den Umstand veranlaßt worden, daß der Herzog von Cumberland wegen der politischen Stellung, die er gegenüber Preußen und dem Deutschen Reiche einnahm, zum Antritt der Regierung im Herzogtum nicht zugelassen werden konnte. Über diese Regentschaft in Braunschweig vgl. insbesondere die Abhandlung von Kulemann, „Eine staatsrechtliche Neubildung", im Arch.ÖffR. 16 485 ff., außerdem; Rhamm, Verfassungsgesetze des Herzogt. Braunschw. (2. Aufl. 1907); Derselbe, Braunschweig. Staatsr. 7, 8, 14, 15;
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R e g e n t ist nach den Grundsätzen des älteren Rechtes derjenige volljährige regierungsfähige Agnat, welcher der Krone am Derselbe, Ztschr. für Rechtspfl. im Herzogt. Braunschweig 67 129ff.; Francke im Arch.ÖffR. 17 473 ff; Rehm, Mod. Fürstenr. 302, 422 ff, 438; Triens, Das brannschweig. Regentschaftsges. v. 16. Febr. 1879 in seiner staatsrechtl. Bedeutung (1910); W. Klank, Die braunschw. Thronfolge (1910), sowie die oben N. 1 a. E. zitierten Schriften von Graf Bernstorff und Werbrun. — Das Gesetz vom 16. Februar 1879 (Ergänzungsgesetze dazu vom 12. FebruaT 1886 und vom 4. Dezember 1902) ist laut § 1 ergangen, „um bei künftig eintretenden Thronerledigungein die verfassungsmäßige Verwaltung des Herzogtums gegen Störungen in den Fällen zu sichern, daß der erbberechtigte Thronfolger am sofortigen Regierungsantritte irgendwie behindert sein sollte." Liegt nach Ansicht des Staatsministeriums ein solcher Fall vor, so beruft es den Regentschaftsrat (§ 2 d. G.), welcher nach Maßgabe des § 4 d. G. die Landesregierung übernimmt und führt. Diese provisorische Regierung hört auf, wenn der sie veranlassende Fall des „Behindertseins" entweder behoben ist oder aber ein Jahr lang unverändert fortbesteht. Alsdann nämlich, d. h. bei unverändertem Fortbestehen, wählt die Landesversammlung (der Landtag) aus den volljährigen, nicht regierenden Prinzen der deutschen Fürstenhäuser auf Vorschlag des Regentschaftsrats einen R e g e n t e n (§ 6 d. G.). Während der Dauer dieser Regentschaft ist und bleibt der „behinderte 0 Landesherr von a l l e n seinen verfassungsmäßigen Rechten, insbesondere auch von den Ehren- und Vermögensrechten ausgeschlossen. In Gemäßheit dieser Bestimmungen ist 1884/85, nach dem Tode des Herzogs Wilhelm von Braunschweig, verfahren, insbesondere am 21. Okt. 1885 Prinz Albrecht von Preußen und nach dessen Tode (1906) am 28. Mai 1907 Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg zum Regenten gewählt worden. Nachdem am 27. Okt. 1913 der Bundesrat auf Antrag Preußens sich dahin ausgesprochen hatte, daß die früher (Bundesratsbeschlüsse v. 2. Juli 1885 und 28. Febr. 1907) angenommene Behinderung des Hauses Cumberland an der Regierung in Braunschweig nicht mehr vorliege, stand dem Abschluß der Regentschaft nichts mehr im Wege. Der Chef des genannten Hauses verzichtete auf den braunschweigischen Thron, und sein ältester Sohn, Herzog Ernst August, trat alsbald die Regierung in Braunschweig an. Über das Ende der braunschw. Regentschaft vgl. Rehm und Smend, DJZ. 18 1345 ff, 1347 ff. Daß das braunschw. G. v. 16. Febr. 1879, so wie es zu verstehen ist und gehandhabt wird, eine „staatsrechtliche Neubildung" enthält, ist deutlich. Das Neue im Vergleich mit dem sonst in Deutschland geltenden Recht liegt aber nicht darin, daß überhaupt keine Regentschaft, sondern ein „Interregnum", eine „neue Form der Zwischenherrschaft" eingeführt werden sollte (wie Haenel nach Kulemann a. a. O. 526, 527, Rehm a. a. O. 422, 423 u. a. meinen), auch nicht darin, daß die braunschweigische Regentschaft 1884—1913 eine von Reichswegen angeordnete war (so ganz grundlos Rehm 302ff, 423, mit Bezug auf den JBundesratsbeschluß vom 2. Juli 1885, der doch n a c h dem G. v. 16. Febr. 1879 und dem Beginn seiner Ausführung erging und im übrigen gar nicht kompetent war, um die Landesgesetzgebung, die hier aus eigener Machtvollkommenheit vorgegangen war, zu der von ihr verfügten faktischen Depossedierung des Landesherrn nachträglich zu ermächtigen). sondern aarin, daß e i n e r s e i t s ein vollkommen regierungsfähiger, jedoch aus reichs- und staatspolitischen Gründen n i c h t genehmer Monarch regentschaftlich vertreten bzw. ersetzt wurde — und daß a n d r e r s e i t s die Suspendierung der diesem Monarchen verfassungsmäßig zustehenden Rechte sich auf deren v o l l e n U m f a n g , einschließlich der Vermögens- u n d a u c h E h r e n r e c h t e , erstreckte, der Art, daß dem Herzog von Cumberland, obwohl er Landesherr w a r , dennoch k e i n e s der monarchischen Ehrenrechte (Titulatur, Recht auf den erhöhten strafrechtlichen Schutz, auf die üblichen Ehrenbezeugungen, auf Kirchengebet usw.) zugestanden wurde.]
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ucli.
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nächsten steht, d. h. welcher die nächsten Sukzessionsrechte besitzt. A n diesem Grundsatz haben auch die meisten neueren Verfassungen festgehalten 2 1 . Einige dagegen lassen dem nächsten Agnaten die Mutter und Großmutter des verhinderten Monarchen 2 2 , vorausgesetzt, daß sie sich nicht anderweit vermählt haben, oder die Gemahlin desselben 2 8 vorgehen. Oder sie bestimmen, daß die agnatische Regentschaft nur dann eintritt, wenn nicht der Regierungsvorgänger, sei es a l l e i n 2 4 , sei es i n Verbindung mit dem L a n d t a g e 2 5 , eine anderweite Festsetzung getroffen hat. Ist ein volljähriger fähiger Agnat nicht vorhanden, so kommt die Regentschaft entweder an die Gemahlin des Monarchen 2 6 , an die Mutter oder Großmutter 2 7 oder an einen hohen B e a m t e n 2 8 oder es erfolgt die W a h l des Regenten durch den L a n d t a g 2 9 . Als volljährig gilt ein Agnat, wenn er das für den Monarchen vorgeschriebene Alter der Volljährigkeit b e s i t z t 8 0 . A u c h hinsichtlich seiner Befähigung sind die für den Monarchen geltenden Grundsätze analog anzuwenden 8 1 . D i e Regentschaft ist keine privatrechtliche Vormundschaft, auch keine unvollkommene A r t der Thronfolge 8 2 , sondern eine 21 Preuß. Verf. Art. 56, Sächs. Verf. § 9, Württ. Verf. § 12, Hess. G. v. 1902 Art. 2, Meckl. Erläuterungsvertr. über den Hamburger Vergl. vom 14. Juli 1755 (H. Schulze, Hausgesetze 2 236 ff. Nr. 21 u. 22), Reuß j. L. G. vom 9. Nov. 1893. 22 S.-Mein. G. vom 9. März 1896 Art. 6, S.-Alt. GG. § 16, S.-Kob.-Goth. StGG. § 13, Reuß ä. L. Verf. § 7, Schaumb.-Lipp. Verf. Art. 4. Nach letzterer geht jedoch der Mutter der zur Thronfolge berufene Sohn des Monarchen vor. S.-Kob.-Goth. StGG. § 17, Reuß ä. L. Verf. § 8, Wald. Verf. § 20. 2 * Bayr. Verf. Tit. I I §§ 10 u. 12, S.-Alt. GG. § 16, Wald. Verf. § 20, Braunschw. N. LO. § 17. 26 Old. StGG. Art. 21 u. 22, S.-Kob.-Goth. StGG. §§ 13 u. 17. 26 Bayr. Verf. Tit. H § 13 („verwittibte Königin"), Old. StGG. Art. 22. Braunschw. N. L.-O. § 18. 27 Württ. Verf. § 12, Braunschw. N. LO. § 18, Old. StGG. Art. 22. 28 Bayr. Verf. Tit. I I § 13. Regent ist in diesem Falle derjenige Kronbeamte, welchen der frühere Monarch dazu bestimmt hat, sonst aer erste Kronbeamte, dem kein gesetzliches Hindernis entgegen steht. 29 Preuß. Verf. Art. 57, Hess. G. v. 1902 Art. 2 Abs. 2, Braunschw. N. LO. § 19. 80 Da der Agnat mit Erreichung dieses Alters die Fähigkeit hat, selbst Monarch zu werden, so muß er auch für fähig erachtet werden, den verhinderten Monarchen zu vertreten. Besteht für die Prinzen des Hauses ein anderer Termin als für den Monarchen, so hat dieser nur privatrechtliche Bedeutung und. kann deshalb für die Fälligkeit zur Regentschaft nicht maßgebend sein. Übereinstimmend: H. Schulze, Preußisches Staatsrecht § 69, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts (§ 112) 1 263; v. Rönne, Preußisches Staatsrecht (§ 47) 1 182 N. 2; Zorn in der 5. Aufl. desselb. (8 16) 1 236 N. 1; v. Kirchenheim, Regentschaft 78ff.; Brockhaus a. a. O. 322; Peters a. a. O. 33; Dieckmann a. a. O. 19, 20; Graßmann a. a. 0. 499 ff. — And. Ans.: R. v. Mohl, Württemb. Staatsrecht § 61; Kraut a. a. 0. 209; Hancke a. a. 0. 30. 81 Das S.-Kob.-Goth. StGG. § 20 fordert außerdem, daß der Regent protestantischer Konfession sei. 82 Diese Bezeichnung kommt bei v. Gerber, Grundzüge (§ 34) 105 vor. Da aber in den Fällen, in welchen die Einrichtung einer Regentschaft not-
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A u s ü b u n g der m o n a r c h i s c h e n B e f u g n i s s e an S t e l l e d e s v e r h i n d e r t e n M o n a r c h e n 8 8 . Dem Regenten stehen alle Regierungsrechte des verhinderten Monarchen z u 8 4 , soweit die Verfassung nicht spezielle Ausnahmen e n t h ä l t 8 6 . Derselbe k a n n also namentlich unter Beobachtung der Formen der Verfassungsgesetzgebung auch das Staatsgrundgesetz des Landes a b ä n d e r n 8 6 . Doch ist der Regent nach einzelnen Verfassungen verpflichtet, bei wichtigen Angelegenheiten die Zustimmung der A g n a t e n 8 7 oder das Gutachten des Regentschaftsrates einzuholen. Als solcher fungiert i n der Regel das Staatsministerium oder die höchste Landesbehörde 8 8 . wendig wird, gar keine Thronerledigung stattfindet, so kann man auch nicht von einer Thronfolge sprechen. Übereinstimmend: Seydel-Pilotv, Bayrisches Staatsrecht 1 117. 88 [Die Regentschaft ist, wie die Stellung des Monarchen im Staat, Organscnaft im Staat, und zwar eine u n m i t t e l b a r e Organschaft. Übereinstimmend Jellinek, Staatsl. 547, 548, System 153,154, Ausgewählte Schriften 2 171; Anschütz, Enzykl. 135. And. M. z. B. Brie im WStVR. 3 255.] 84 Preuß. Verf. Art. 58, Bayr. Verf. Tit. I I § 15, Sächs. Verf. § 12, Württ. Verf. § 15, Old. StGG. A r t 25, Schwarzb.-Sondh. LGG. § 17, Wald. Verf. 888 24. Solche Ausnahmen kommen allerdings in den deutschen Verfassungen mehrfach vor. Nach der B a y r . Verf. Tit. I I § 18 dürfen während aer Regentschaft die erledigten Ämter mit Ausnahme der Justizstellen nur provisorisch besetzt, Krongüter nicht veräußert, heimgefallene Lehen nicht verliehen, neue Ämter nicht eingeführt werden. Vgh G. vom 26. Oktober 1887. I n der W ü r t t . Verf. § 15 (dazu G. vom 15. Juli 1911) ist dem Re eenten untersagt die Vornahme von Standeserhöhungen, die Errichtung neuer Ritterorden und Hofamter, die Verleihung heimgefallener Lehen. Auch gelten Abänderungen der Verfassung nur für die Dauer der Regentschaft. Das Schw.-Sondh. LGG. § 17 schließt während der Dauer der Regentschaft Verfassungsänderungen aus, welche die Rechte des Fürsten schmälern oder demselben neue Verpflichtungen auferlegen. 86 Die Frage, ob ein Regent zum Erlaß eines neuen Grundgesetzes befugt sei, ist namentlich mit Rücksicht auf die vom König Georg lV. von England als Regent des Herzogtums Braunschweig während der Minderjährigkeit des Herzogs Karl erlassene Landschaftsordnung vom 25. April 1820 erörtert worden. Vgl. Zöpfl, Die Regierungsvormundschaft im Verhältnis zur Landesverfassung, 1830. Für Bayern behauptete Seydel, Bayrisches Staatsrecht (1. Aufl.) 1 479 ff., die Unzulässigkeit von Verfassungsänderungen während der Regentschaft. Er hat diese Ansicht aber später zurückgenommen (Recht der Regentschaft in Bayern, München 1886, in Marquardsens Handbuch 37 ff, Staatsrecht (2. Aufl.) 1 241 ff, (3. Aufl.) 1125 ff. (bemerkenswert die Änderungen und Zusätze des Herausgebers der 3. Aufl., Pilotys S. 125 Anm. 9). Übereinstimmend: Hancke a. a. 0. 45ff; Peters a. a. 0. 52; Dieckmann a. a. 0.; Stölzle, Verfassungsänderung während der Regentschaft nach bayrischem Staatsrecht im Arch.ÖffR. 10 1 ff.; Dyroff in AnnJD.R. (1904) 402ff. Vgl. auch die bei Menner, Ann.D.R. (1913) 642 ff. angegebene Spezialliteratur über die 1913 beendigte Regentschaft in Bayern. — Köhler in AnnJD.R. (1888) 1 ff. erklärt den Ausschluß von Verfassungsänderungen während bestehender Regentschaft für unzulässig. Aber die von ihm herangezogene Analogie der lex in perpetuum valitura ist nicht zutreffend. Dieselbe Ansicht vertritt Stölzle a. a. 0. 37 Namentlich bei Verfassungsänderungen. Sächs. Verf. § 12, Old. StGG.8 8Art. 25. Bayr. Verf. T i t H § 19, Sachs, Verf. § 14, S.-Alt. GG. § 17, Reuß ä. L. Verf. § 11.
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D e r Regent, obwohl Stellvertreter des verhinderten Monarchen, bleibt U n t e r t a n 8 9 . Es steht i h m daher weder die monarchische Titulatur noch ein Anspruch auf die Insignien des Monarchen zu. Seine Integrität ist durch besondere Strafgesetze geschützt, aber Verletzungen des Regenten werden nicht gleich denen des Monarchen b e s t r a f t 4 0 . E r hat auch prinzipiell keine Unverantwortlichkeit für sich i n Anspruch zu nehmen. Doch gehen die neueren Verfassungen entschieden von dem Grundsatze aus, daß er für seine R e g i e r u n g s h a n d l u n g e n keinerlei Verantwortung trägt. D a für die staatlichen A k t e des Regenten das Erfordernis der Gegenzeichnung durch verantwortliche Minister besteht, so sind i n diesen die verantwortlichen Träger für seine Regierungshandlungen gegeben; er selbst ist insoweit unverantwortlich. A u c h findet auf den Regenten weder die Ministeranklage noch das Disziplinarverfahren gegen Beamte Anwendung. Dagegen bleibt der Regent für solche Handlungen, welche er als bloßer Privatmann vornimmt, verantwortlich. V ö l l i g selbstverständlich erscheint dies i n zivilrechtlicher Beziehung, da bei bürgerlichen Klagen selbst der Monarch vor den Gerichten seines Landes zu Recht steht. Aber auch der Strafe für etwa begangene Verbrechen ist der Regent nicht entzogen; es k a n n nur während der Dauer der Regentschaft eine Anklage gegen ihn nicht erhoben werden 4 1 . D e r Regent muß 39 Übereinstimmend: Seydel-Piloty, Bayrisches Staatsrecht 1 116, 131; Hancke a. a. 0. 58; Graßmann a. a. 0. 526. — And. Ans.: v. Kirchenheim, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts 202; Bornhak, Preußisches Staatsrecht 1 206ff.; Peters a. a. 0. 59; Stölzle, Die rechtliche Verantwortlichkeit des Regenten 12 ff. und Arch.Öff.R. 10 25. 40 RStGB. §§ 96, 97, 100, 101. 41 Darüber, daß der Regent während der Dauer der Regentschaft nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, herrscht ziemlich JEinstimmigkeit. F ü r die Fortdauer der Unverantwortlichkeit auch nach beendeter Regentschaft ohne Unterscheidung von Regierungsakten und Privathandlungen erklären sich: v. Gerber, Grundzüge (§ 34) 109; Zöpfl, St.R. ($ 243 1 679; H. Schulze, Preußisches Staatsr. § 70, Lehrb. des deutschen Staatsr. (§ 113) 1 267; R. v. Mohl, Württembergisches Staatsrecht § 63; v. Kirchenheim, Regentschaft 104 ff., Lehrbuch des deutschen Staatsrechts 202; Brockhaus a. a. 0. 323; Binding, Handb. deutsch. Strafrechts 1 670; Hancke a. a. 0. 54ff.; Peters a. a. 0. 60; Dieckmann a. a. 0. 33 ff.; Graßmann a. a. 0. 527ff'; v. Stengel in Marquardsens Handbuch 45; v. Liszt, Lehrb. des deutschen Strafrechtes 116, 117; Stölzle, Die rechtliche Verantwortlichkeit des Regenten, Würzburg 1894; Pieper, Die Unverantwortlichkeit des Regenten (1901). Dagegen: Maurenbrecher, Regierende deutsche Fürsten 141 N. 1; H. A. Zachariä, St.R. (S 82) 1 420; Held, System (§ 362) 2 295; Grotefend, St.R. § 430; v. Sarwey, Württembergisches Staatsrecht 1 66 ff. Zweifelhaft äußert sich v. Rönne, Preuß. Staatsr. (§ 49) 1 185. Mit den hier entwickelten Ansichten stimmen überein: Seydel, Bayrisches Staatsrecht 1 131 ff.: Anschütz, Enzykl. 135; Jellinek, Ausgew. Schriften und Reden 2 178; Otto Mayer, sächs. Staatsr. 111; Brie im WStvR. 8 255; Seidler, Studien 68 und anscheinend auch Zorn in der 5. Aufl. von v. Rönnes preuß. Staatsr. 1 240 N. 2. [v. Frisch, Verantwortlichkeit 138ff., der ausführlich über die Frage referiert, begeht den Fehler, nicht zwischen Regierungs- und Privathandlungen zu unterscheiden (derselbe Fehler bei Freund, Regentschaft 86 ff.). Er gelangt infolgedessen zu teilweise unrichtigen Ergebnissen. So z. B. zu dem Satz (a. a. 0. 145), der
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ebenso wie der Monarch die Beobachtung der Staatsverfassung feierlich geloben 4 2 . Die p r i v a t r e c h t l i c h e V o r m u n d s c h a f t über den minderjährigen Monarchen ist von der Regentschaft verschieden und kein Gegenstand staatsrechtlicher Erörterung. D i e R e g e n t s c h a f t überhaupt hört auf m i t dem W e g f a l l d e s G r u n d e s oder dem T o d d e s M o n a r c h e n . [ I m letzteren Falle hört sie ipso iure auf; sollte der Nachfolger wiederum regierungsunfähig sein, so müßte eine neue Regentschaft eingeleitet werden. I m ersteren Falle ist die Regentschaft aufzuheben und zwar ist über den Wegfall ihrer Voraussetzungen von denselben Faktoren zu beschließen, welche zur Feststellung des Eintritts dieser Voraussetzungen zuständig waren. Soweit also, wie z. B . i n Preußen (vgl. oben Anm. 16) ein Beschluß des Landtags auch i m Falle der M i n d e r j ä h r i g k e i t des Königs erforderlich ist, würde der Landtag gleicherweise über die Tatsache der Volljährigk e i t und das hierdurch bedingte Aufhören der Regentschaft formell zu beschließen haben*.] D i e Regierung des e i n z e l n e n R e g e n t e n Regent könne wälirend der Regentschaft überhaupt nicht zur Verantwortung gezogen werden, — was doch nur zutrifft mit dem Vorbehalt: außer zivilrechtlich wegen Privathandlungen. Unrichtig, weil zuweitgehend, ist es auch, daß der Regent nach Ablauf der Regentschaft strafrechtlich verantwortlich gemacht werden könne. Dies ist nur möglich, wenn es sich um Privatakte handelt; wegen seiner Regierungstätigkeit kann der Regent in keiner Form (weder zivil- noch strafrechtlich) und zu keiner Zeit (weaer vor noch nach Ablauf der Regentschaft) zur Verantwortung gezogen werden. Aus Regierungshandlungen des Regenten entsteht dem Staate überhaupt kein Strafanspruch (absoluter persönlicher Strafausschließungsgrund), auch nicht durch das Aufhören der Eigenschaft als Regent; aus Privathandlungen entsteht der Anspruch, ist aber zur Zeit, bei währender Regentschaft, unrealisierbar (aufschiebend wirksames Prozeßhindernis). Volle Gleichstellung des Regenten mit dem Monarchen im Punkte der UnVerantwortlichkeit besteht nur da, wo sie durch das Gesetz ausdrücklich statuiert ist, wie in Hessen (Regentschaftsgesetz v. 1902 Art. 6) und in S.-Kob.-Goth. (StGG. § 21). Dort kann nach Ablauf der Regentschaft der Regent auch wegen privater Handlungen nicht strafrechtlich verfolgt werden.] « Preuß. Verf. Art. 58, Bayr. Verf. Tit. I I § 16, Sächs. Verf. § 138, Württ. Verf. §14 Hess. G. v. 1902 Art. 6 Abs. 2, 11 (Aufhebung des Art. 107 der Verf.), S.-Weim. RGG. § 69, S.-Mein. GG. A r t 107, S.-Kob.-Goth. StGG. 157, Braunschw. N. LO. § 20. Old. StGG. Art 197 § 2, Schw.-Sondh. LGG. 18, Schw.-Rud. GG. § 47, Reuß ä. L. Verf. § 87; Reuß j. L. § 9 (G. vom . Nov.. 1893), Wald. Verf. § 21. a Übereinstimmend: Schwartz, Komm. 166; Hancke a. a. O. 40 und Graßmann a. a. O. 513; Freund a. a. O. 63 ff. Meistens wird ein formelles Aufhebungsverfahren mit Beschluß des Landtags oder (wie in Württemberg und Sachsen, oben Anm. 18) der Agnaten und des Landtags nur bei Regentschaft wegen Geisteskrankheit oder sonstiger Regierungsunfähigkeit, nicht dagegen bei Regentschaft wegen Minderjährigkeit gefordert; so auch die Voraufl. (S. 285). Dieser Standpunkt ist vom Gesetzgeber ausdrücklich rezipiert in Hessen (Regentschaftsgesetz v. 1902 Art. 9), Oldenburg (StGG. Art. 26) und S.-Kob.-Goth. (StGG. § 18). I n den anderen Ländern ist, wegen Schweigens der Verfassungen, die Frage meist sehr bestritten. Vgl. für Preußen v. Roenne-Zorn, Preuß. Staatsr. 1240, 241; Arndt, Komm. 224; Bornhak, Preuß. Staatsr. 1219 ff.; Freund a. a. O. 63ff.; für Bayern v. Seydel-Pilotv 1 134ff.; für Sachsen O. Mayer, Sächs. Staatsr. 111 ff.
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erreicht ihr Ende, wenn derselbe stirbt, sein A m t niederlegt oder selbst unfähig wird. Dagegen ist er nicht verpflichtet, wenn ein der Krone näherstehender Agnat volljährig wird, die Regentschaft an diesen abzugeben 4 8 . § 93. Nach einigen Verfassungen hat der Monarch die Befugnis, für den F a l l kürzerer Verhinderung, besonders solange er dazu imstande ist, persönlich Fürsorge fiir die L e i t u n g der Regierung zu treffen, einen S t e l l v e r t r e t e r zu ernennen 1 . E i n solcher Stellvertreter unterscheidet sich vom Regenten dadurch, daß seine Berufung nicht auf Gesetz, sondern auf einer Verfügung des Monarchen beruht, welcher i n der W a h l der Person vollkommene Freiheit besitzt. D e r Umfang seiner Befugnisse richtet sich nach dem i h m erteilten Auftrage; er ist für seine Regierungshandlungen dem Auftraggeber verantwortlich 2 . [Wo eine solche Stellvertretung weder durch das Gesetz noch durch Gewohnheitsrecht a für zulässig erklärt ist], k a n n dieselbe 48 Dies ist deshalb anzunehmen, weil die Nähe zur Krone zwar einen Maßstab für die Reihenfolge der Berufungen abgegeben, aber keine Abstufung in der Befähigung zur Regentschaft feststellen soll. Auch der Wortlaut der neueren VerFassungen spricht für diese Auffassung. Übereinstimmend: v. Gerber, Grundzüge (§ 34) 107 N. 9; H. Schulze, Preußisches Staatsrecht § 71, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts (§ 114) 1 269, Deutsches Pürstenrecht 1284; v. Kirchenheim, Regentschaft 87ff.; v. Rönne, Preußisches Staatsrecht (§ 50) 1 186; Zorn in der 5. Aufl. dess. 1 241; Poezl, Bayrisches Verfassungsrecht § 147: Opitz, Sächsisches Staatsrecht 1 149; Bornhak, Preuß. Staatsrecht 1 211, 212; Hancke a. a. 0. 39 ff, der nur für den Thronerben eine Ausnahme machen will; Peters a. a. 0. 72ff.; Dieckmann a. a. 0. 27. And. M. Sçhwartz, Komm. 166; Graßmann a. a. 0. 516; v. Stengel, Preuß. Staatsr. 46; 0. Mayer, Sächs. Staatsr. 112, 113; v. Seydel-Piloty, Bayr. Staatsr. 1 134; Mohl, Württ. Staatsr. § 61; Göz, Württ. Staatsr. 69. 1 Old. StGG. Art. 16, Wald. V.-U. §14. Vgl. Mittnacht, Über Stellvertretung der vorübergehend an der Regierung verhinderten Fürsten. VJSchr. 27 2 222ff. ; v. Martitz, Art. : „Regierungsstellvertretung 44 in v. Holtzendorffs Rechtslexikon 3 324ff.; Brie im WStVR. 3 255ff; Jellinek, Ausgew. Reden2 2 178ff. ; Anschütz, Enzykl. 135, 136. Anschütz, Enzykl. 136; v. Frisch, Verantwortlichkeit 146, 147. [Die Verantwortlichkeit besteht nur dem Mandanten gegenüber, nach außen hin, insbesondere auch der Volksvertretung gegenüber wird der Regierungsstellvertreter durch die Minister gedeckt.] a Die Voraufl. wollte das Institut der Regierungsstellvertretung nur da eiten lassen, wo es durch die Verfassung ausdrücklich zugelassen ist und ezweifelte daher seine Geltung insbesondere für Preußen. Gr. Meyer äußert sich hierüber (§ 93 Anm. 3.) f(3gendermaßen : „Demnach würde in Preußen, dessen Verfassung das Institut der Stellvertretung nicht kennt, bei Verhinderung des Königs, soweit nicht durch Bevollmächtigung des Staatsministeriums für Fortführung der Regierungsgeschäfte Sorge getragen werden kann, zur Einsetzung einer Regentschaft geschritten weraen müssen. Diese Meinung vertreten : aer Artikel „Die Regentschaft in Preußen" in den Preuß. Jahrb. 2 446 ff; E. Lasker, Zur Verfassungsgeschichte Preußens (Leipzig 1874) 76 ff, 86 ff; v. Rönne, Preußisches Staatsrecht (§ 51) 1 187; Fricker, Sächs. Staatsr. 266 ff; Haenel, Organisatorische Entwicklung der Reichsverfassung 58 N. 1; v. Oesfeld, Regentschaft 15. Dagegen halten die Ein-
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durch eine Verfügung des Monarchen nicht angeordnet werden. Es muß vielmehr, sobald es sich um die Ausübung von monarchischen Befugnissen handelt, welche nicht den ordentlichen Staatsbehörden übertragen -werden können, zur Einsetzung einer Regentschaft geschritten werden. Denn diejenigen Rechte, welche dem Monarchen durch die Verfassung zur persönlichen Ausübung übertragen sind, können auch nur auf Grund einer verfassungsmäßigen Bestimmung auf eine andere Person übergehen. Statt Einsetzung einer Regentschaft hat man mitunter die Annahme einer der Krone nahestehenden Person als Mitregenten beliebt (Sachsen, Kurhessen, Anhalt-Bernburg). Eine solche Einrichtung ist jedoch, da sie eine Teilung der Regierungsbefugnisse unter mehrere Personen enthält, für verfassungsmäßig unzulässig zu erachten 8 . 5. Die VermögensYerhältnisse des fürstlichen Hauses1. § 94. V o n dem S t a a t s g u t , welches bei der Lehre von der Finanzverwaltung eine nähere Erörterung findet 2, ist zu unterscheiden das sogenannte S c h a t u l l g u t oder P r i v a t v e r m ö g e n des Monarchen. Dieses steht UDter der Herrschaft der gewöhnlichen Regeln des Privatrechts, soweit nicht Verfassung und Hausgesetze eine besondere Ausnahme begründen 8 . Eine Mittelstellung zwischen setznng eines Stellvertreters ohne ausdrückliche Verfassungsbestimmungen, demnach auch in Preußen, für zulässig: Mittnacht a. a. 0. 228 ff.; v. Gerber, Grundzüge (§ 33) 104 N. 7; H. Schulze, Preußisches Staatsrecht § 72, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts (§ 115)1 273; v. Kirchenheim, Regentschaft 57 ff, Lehrb. des deutschen Staatsr. 119; v. Sarwey, Württembergisches Staatsrecht 1 68ff; Bornhak, Preußisches Staatsrecht 1 225; Hancke a. a. 0. 66 ff; Peters a. a. 0. 84 ff.; Dieckmann a. a. 0. 38; Graßmann, a. a. 0. 494; v. Stengel in Marquardsens Handb. 46; Göz, Württemberg. Staatsr. 71; Seydel-Piloty, Bayr. Staatsr. 1 136; Schwartz, Preuß. Verfassungsurkunde 160; Anschütz, Enzykl. 135. Tatsächlich besteht das Institut der Stellvertretung in Preußen in unbestrittener Übung. Stellvertretungen sind bei der Verhinderung Friedrich Wilhelms IV. m den Jahren 1857 und 1858, Wilhelms I. in den Jahren 1878 und 1888, Friedrichs I I I . 1888 vorgekommen. Man kann daher vielleicht schon jetzt ein das Institut der Stellvertretung sanktionierendes Gewohnheitsrecht annehmen. Jedenfalls ist ein solches in der Bildung begriffen. Übereinstimmend: Jellinek, System 345, 846; Zorn in der 5. Aufl. von v. Rönnes preuß. Staatsr 242". — Das fragliche Gewohnheitsrecht ist nicht erst in der Bildung begriffen, sondern unzweifelhaft bereits fertig ausgebildet Das Gleiche gilt auch für Württemberg (vgl. v. Mittnacht und Göz a. a. 0.) und Baden (Walz, Bad. Staatsr. 46). Neuester Präzedenzfall in Preußen: Erlaß v. 27. Mai 1910 (GS. 63). 8 Für die Zulässigkeit einer solchen Mitregentschaft: Mittnacht a. a. 0.244; Grotefend, St.R. § 422, anscheinend auch Rehm, Mod. Fürstenr. 439. Dagegen: v. Gerber, Grundzüge (§ 34) 106 Nr. 7; Seydel-Piloty, Bayrisches Staatsrecht 1 1161 und speziell tur Sachsen: 0. Mayer, Sächs. Staatsr. 113. Rehm, Mod. Fürstenr. 323 ff. 2 Vgl. § 201 ff. 3 Preuß. ALR. T. H Tit. 14 §§ 13—15, Bayr. Famüienstat. Tit. V I I I §§ 1—4, Sächs. Verf. § 21 (G. v. 23. April 1888), Sächs. Hausges. §§ 55—57,
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beiden nimmt das fürstliche K a m m e r g u t ein, dessen rechtliche Natur außerordentlich bestritten i s t 4 . D i e deutschen Territorien hatten, da sie ursprünglich bloße Amtsbezirke waren, kein eigenes Vermögen. Dagegen befanden sich die deutschen Landesherren ausnahmslos i m Besitz umfangreicher Grundbesitzungen, deren Erträge zur Bestreitung der Kosten sowohl der landesherrlichen Hofhaltung als der Landesregierung dienten. M i t ihnen vereinigten sich Reichsgüter, welche als Pertinenzen des Amtes auf die Landesherren i n ihrer Eigenschaft als Reichsbeamte übergegangen waren. D u r c h privatrechtliche Geschäfte aller A r t , Kauf, Erbschaft, Verpfändung, wurde dieser Grundbesitz fortdauernd vergrößert, namentlich wußten die Landesherren auf diese Weise allmählich den größten T e i l der Reichsbesitzungen in ihre Hände zu bringen. Einen ansehnlichen Zuwachs erhielt der Vermögenskomplex endlich durch die infolge der Reformation und des R D H S . von 1803 erfolgte Säkularisation von Stifts- und K i r c h e Dgut. D i e Gesamtheit dieser Grundbesitzungen wurde unter dem Namen l a n d e s h e r r l i c h e s K a m m e r g u t zusammengefaßt, seit dem achtzehnten Jahrhundert k a m dafür auch die Bezeichnung D o m ä n e n auf. Z u m Kammergut rechnete man außerdem die E i n k ü n f t e , welche dem Landesherrn aus nutzbaren Regalien, Sportein u n d Nachsteuern zuflössen. D a die Kosten des landesherrlichen Hofhaltes und der Landesverwaltung i n erster L i n i e auf dem Kammergut lasteten, so wurde dieses als eine Pertinenz der Landeshoheit angesehen. Es ging regelmäßig m i t derselben auf den neuen Erwerber über, jedoch ohne daß eine entgegenS.-Alt. GG. §§ 21—22 (erledigt durch G. vom 29. April 1874), S.-Kob.-Goth. Hausg. Art. 79-81, Old. StGG. Art. 186, Reuß ä. L. Verf. § 20, Wald. Hausges. § 23. * Infolge der vielfachen Streitigkeiten, welche namentlich in den kleineren deutschen Territorien über das Eigentum am Kammergut stattgefunden haben, ist eine ausgedehnte Literatur über diesen Gegenstand entstanden. Ein Verzeichnis dieser Streitschriften bei H. A. Zachariä, St.R. (§ 207) 2 417. Die bedeutendsten derselben sind die bei Gelegenheit des meiningischen Domänenstreites verfaßten: H. A. Zachariä, Das rechtliche Verhältnis des fürstlichen Kammergutes, insbesondere im Herzogtum Sachsen-Meinigen, Göttingen 1861, und Das Eigentumsrecht am Deutschen Kammergut, Göttingen 1864; A. L. Reyscher, Die Rechte des Staates an den Domänen und Kammergütern, Leipzig 1863, und Der Rechtsstreit über das Eigentum an den Domänen des Herzogtums Sachsen-Meinigen, Leipzig 1865. Vgl. die Besprechungen von Zöpfl, Heidelberger Jahrbücher der Literatur 1861 (S. 449ff.), 1864 (S. 241 ff.); Hemze, Die Domänenfrage im Herzogtum Sachsen - Meinigen, Z. Staats.W. 19 212ff. Vgl. außerdem: H. v. Treitschke, Art. „Domänen", Staatswörterbuch 3 162ff.; H. Böhlau, Fiskus, landesherrliches und Landesvermögen im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, Rostock 1877; H. Böhlau, Mecklenburgisches Landrecht 3 17 ff.; Rintelen, Art. „Domänen" im Handwörterb. der Staats Wissenschaften; Oelrichs, Art. „Domänen" in v. Stengels Wörterb. des deutschen Verw.-Rechts. Erg.-Bd. 2 30ff.; H. Rehm, Art. „Domänen" ebenda, Erg.-Bd. 3 57 ff.; Art. „Domänen" im WStVR. (von v. Jagemann, Günther, Haff, Küttner, Kümmerlen, Arthur B. Schmidt); Lade, Staatsverfassung, Fürstenrecht und Hausvermögen (1910).
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gesetzte Disposition grundsätzlich ausgeschlossen war. Aus demselben Grunde bildete sich das Prinzip der Unveräußerlichkeit des Domänengutes, zum T e i l unter dem Einfluß fremden, namentlich des französischen Rechtes, aus. Z u r Begründung und Feststellung dieses Prinzips bediente man sich in D o k t r i n und Praxis häufig des Mittels, dem Kammergut die Qualität eines Fideikommisses der regierenden Familie beizulegen. Erst wenn das Kammergut zur Bestreitung der Landesbedürfnisse nicht ausreichte, trat infolge der Bewilligung durch die Landstände die Verpflichtung der Untertanen zur Bezahlung von Steuern ein. Diese flössen i n eine besondere, von den Ständen verwaltete Kasse, die sogenannte Landkasse. Die Landkasse und die mit den Mitteln derselben erworbenen Vermögensobjekte pflegte man als Landesvermögen dem Kammervermögen entgegenzustellen. Andrerseits unterschied man aber von demselben auch das reine Privat- oder Schatullgut des Landesherrn. Das Kammergut stammt aus einer Zeit, i n welcher die publizistische und privatrechtliche Persönlichkeit des Landesherrn noch nicht geschieden war. Es enthält daher Elemente verschiedener A r t . Es k a n n nicht als reines Staatsgut betrachtet w e r d e n 5 , denn ein wesentlicher Bestandteil, und zwar meist die Grundlage desselben, besteht aus Privatbesitzungen der regierenden Familie. Es ist aber auch kein bloßes Privateigentum der letzteren 6 , denn es umfaßt eine Reihe von Vermögensobjekten, welche dem Landesherrn kraft öffentlichrechtlicher T i t e l zugeflossen sind. Auch i n den Territorien des deutschen Reiches wurden die Kammergüter nicht als einfaches Privateigentum behandelt. Dies ergibt sich aus der bereits damals üblichen Gegenüberstellung von Schatullgut u n d Kammergut, sowie aus der Zweckbestimmung und der Pertinenzqualität des letzteren. Eine den Gesichtspunkten des heutigen Staatsrechtes entsprechende Regelung der Rechte am Kammergute würde daher nur durch eine Ausscheidung der einzelnen Vermögensbestandteile 6 Den Standpunkt, daß das Kammergut im Eigentum des Staates stehe, vertritt namentlich Klüber, Öffentl. Recht des teutschen Bundes (1840) §§ 882 u. 333. 6 Das Privateigentum des regierenden Hauses an den Domänen vertreten H. A. Zachariä, St.R. (§ 208) 2 427 und in den N. 4 angeführten Schriften; H. Zöpfl, St.R. (§ 485) 2 681 und in den N. 4 angeführten Abhandlungen. Ihnen schließt sich im wesentlichen an v. Gerber, Grundzüge (§ 26) 81 N. 4, der aber die Notwendigkeit konkreter Untersuchungen schärfer als sie hervorhebt. [Vgl. auch Anschütz, Enzyklop. 136, 137. Die gemeinrechtliche Geltung des Satzes, daß das Kammergut als Pertinenz der Landeshoheit ein Fideikommißgut des regierenden Hauses bildet, also im Privateigentum des letzteren steht, wird sich, jedenfalls für die Zeit des alten Reichs, kaum bestreiten lassen. Die Bad. Verf. von 1818 (§ 59) konnte sich für diese Auffassung in der Tat und mit Recht auf „allgemein anerkannte Grundsätze des Staats- und Fürstenrechts" berufen. Inwieweit das moderne Staatsrecht sich von jenen Grundsätzen losgesagt hat, ist eine Frage für sich; vgl. unten N. 10J. G. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
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möglich sein. Es würde dabei nicht von einem allgemeinen Prinzip, sondern von einer Untersuchung der speziellen Verhältnisse des einzelnen Territoriums auszugehen sein 7 . Diejenigen Güter, welche die regierende Familie bereits vor Erlangung der Landeshoheit besessen oder später auf rein privatem Wege erworben hat, müßten als Familiengut betrachtet werden. Der Charakter von Staatsgut würde für diejenigen i n Anspruch zu nehmen sein, welche auf Grund von öffentlichrechtlichen T i t e l n auf den Landesherrn übergegangen sind. Dahin gehören alle Reichsgüter, welche den ausgesprochenen Charakter von Amtsgütern hatten, alle Erwerbungen auf Grund der landesherrlichen Regalien (Bergwerke, Salinen usw.), namentlich aber auch das säkularisierte K i r c h e n g u t 8 . Eine solche Ausscheidung nach Erwerbstiteln ist jedoch praktisch nicht durchführbar, da der Ursprung der einzelnen Güter häufig nicht mehr ermittelt werden kann. W i l l man daher eine dem modernen Staatsleben entsprechende Ordnung der Rechte am Kammergut vornehmen, so k a n n dies nur auf dem Wege einer gesetzlichen Regelung geschehen. Solche Gesetze sind in den meisten deutschen Staaten erlassen worden. 1. I n einer Reihe von Staaten, namentlich i n den größeren, sind die Domänen für S t a a t s e i g e n t u m erklärt worden. Dem Monarchen ist nach dem Vorgange Englands und Frankreichs eine sogenannte Z i v i l l i s t e 9 , d. h. eine jährliche Rente zur 7 Auf konkrete Untersuchungen verweisen, abgesehen von v. Gerber, namentlich H. v. Treitschke a. a. 0. 166 und 167; K. v. Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften 2 305; Grotefend, St.K. § 350; Gneist in v. Stengels Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechtes 1 253; v. Jagemann im WStVR. 1 585ff.; insbesondere auch die Schriftsteller über B a d i s c h e s Domänenrecht, vgl. J. J. Pfister, Geschichtliche Entwicklung des Staatsrechtes des Großherzogtums Baden (1847) 1 589 ff.; Schenkel nach Wielandt, Bad. Staatsr. 38; v. Jagemann in dem Sammelwerk "Das Großherzogtum Baden" 555 ff.; Degen, Das Eigentumsrecht an den Domänen im Groß. Baden (Heidelberger Diss., 1903), 32 ff. 8 Gegen die Ausscheidung der verschiedenen Bestandteile kann nicht etwa die namentlich von Zachariä in den angeführten Schriften häufig betonte E i n h e i t des Kammergutes angeführt werden. Diese Einheit stammt eben aus einer Zeit, in welcher Staatsrecht und Privatrecht noch nicht voneinander geschieden waren. Auch hat sie nicht verhindert, daß in allen Staaten die nutzbaren Regalien dem Kammervermögen entzogen und für Rechte des Staates erklärt worden sind. 9 Das Institut der Zivilliste hat sich in E n g l a n d ausgebildet. Infolge schlechter Verwaltung hatten sich die königlichen Domänen und Einkünfte so verringert, daß im achtzehnten Jahrhundert häufige Finanzverlegenheiten für die Könige entstanden. Georg III. ging daher bei seiner Thronbesteigung ein Arrangement mit dem Parlament ein, nach welchem er über die erblichen Revenuen der Krone nur so zu verfügen versprach, wie das Parlament es angemessen finden würde, dafür aber zur Bestreitung des Haushaltes und zur Aufrechterhaltung des Glanzes der Krone eine bestimmte Summe aus Staatsfonds erhielt. Unter seinen Nachfolgern wurde dieses Arrangement dahin abgeändert, daß sie ihre ganze erbliche Revenue zur Disposition des Parlamentes stellten und dafür eine feste Summe bekamen. Der Name civil list rührt daher, daß auf der dem König überwiesenen Summe eine Reihe von Ausgaben für Staatsbeamte des sogenannten civil government lastete,
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Bestreitung der Kosten seines Unterhalts und seines Hofstaates ausgesetzt w o r d e n 1 0 . Diese Zivilliste steht entweder gesetzlich f e s t 1 1 , oder sie w i r d mit dem Landtage für die ganze Dauer der Regierung v e r e i n b a r t 1 2 . A u c h in diesen Staaten kommen nicht selten Familien- und Hausfideikommisse der regierenden Häuser vor. welche erst seit Wilhelm IV. von den eigentlichen Hofausgaben getrennt worden sind. (Vgl. Gneist, Englisches Verwaltungsrecht 1 168 ff., 2 615.) I n F r a n k r e i c h wurde die Aussetzung einer Zivilliste notwendig, nachdem infolge der Revolution alle königlichen Güter mit den Nationaldomänen vereinigt waren. Es enthielt darüber schon die französische Verfassung vom 3. September 1791 Tit. H I chap. H sect. 1 §§ 9—11 nähere Bestimmungen, ebenso die Charte vom 4. Juni 1814 § 23. Vgl. E. Meier, Art. „Civilliste® in v. Holtzendorffs Rechtslexikon 1 467 ff; Gneist, Art. „Civüliste" in v. Stengels Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechtes 1 252 ff; 0. Schwartz, A r t -Civilliste" im WStVR. 1 537ff; C. Mitschier, Art. Civilliste« in Conrads Handwörterbuch der Staatswissenschaften (2. Aufl.) 2 833 ff; Heckel, das. 3. Aufl. 3 398 ff. 10 In P r e u ß e n hatte schon Friedrich Wilhelm I. durch das Edikt über die Inalienabilität der alten und neuen Domänengüter vom 13. August 1713 alle erworbenen und zu erwerbenden Länder, Leute, Güter und Einkünfte der Krone und Kur auf ewig einverleibt, den Unterschied zwischen Domänen und Schatullgütern aufgehoben und beiden die Natur rechter Domanial-, Kammer- und Tafelgüter samt der denselben in den Rechten anklebenden lnalienablitat beigelegt. [Die hierin liegende Übertragung des Domäneneigentums auf den Staat wurde von dem ALR. ausdrücklich anerkannt. Dieses Gesetzbuch erklärte in T. I I Tit. 14 § 11 die Domänen- oder Kammergüter für Güter, deren Eigentum dem S t a a t e , deren Benutzung dem Staatsoberhaupt zusteht. Vgl. ni ezu Bornhak, Preuß. St.- u. R.-Gesch. 148 ff.; derselbe in Verw.Arch. 18 303 ff; Hintze in der histor. Zeitschr. 86 405 Anm. 1]. Die V. wegen der künftigen Behandlung des gesamten Staatsschuldenwesens vom 17. Jan. 1820 setzte für den Unterhalt des königlichen und der prinzlichen Hofstaaten eine jährliche Summe von 2500000 Thlr. aus, die auf spezielle Domänen und Forsten radiziert wurde, welche für die Staatsschuld nicht mit hafteten. Man nannte den betreffenden Güterkomplex Kronfideikommißfonds, die Rente Kronfideikommißrente. Durch Art. 59 der Verf. wurden diese Festsetzungen ausdrücklich bestätigt. Durch G. vom 30. April 1859 und 27. Jan. 1868 ist die jährliche Dotation der Krone noch um 500000 bzw. 1 Million Thlr. durch G. vom 20. Februar 1889 um 3500000 Mk. und durch G. v. 17. Juni 1910 um 2000000 Mk. erhöht worden, so daß sie jetzt 17719296 Mk. beträgt. Die später festgestellten Summen werden aus andern Staatseinkünften an den Kronfideikommißfonds gezahlt. — Auch in den übrigen Königreichen haben die Domänen den Charakter von Staatsgut erhalten. Bayr. Verf.Tit. I H §§ 1 u. 2, Sächs. Verf. §§ 16 u. 17, Württ. Verf. §§ 102 u. 103. Die Ansicht von H. A. Zachariä, St.R. (§ 209 N. 2) 2 437 und Opitz, Sächs. Staatsr. 1 192, daß die Sächs. Verfassungsurkunde für den Staat nicht das Eigentum, sondern nur die Verwaltung und Nutzung der Domänen in Anspruch nehme, wird durch die unzweideutigen Ausspruche derselben in § 16 widerlegt. Vgl. dagegen auch Zöpfl, St.R. (§ 486) 2 687; Reyscher, Rechte des Staates § 38; Leuthold, Sächsisches Staatsrecht, in Marquardsens Handb. 226ff; Fricker, Sachs. Staatsr. 203ff. Nach O. Mayer, Sächs. Staatsr. 80 ist in Sachsen „Das Staatsgut Königsgut, gerade wie die Staatsgewalt Königsgewalt ist". 11 Preuß. V. vom 17. Januar 1820, G. vom 30. April 1859, 27. Januar 1868, 20. Febr. 1889, 17. Juni 1910. Bayr. G., die Festsetzung einer permanenten Zivilliste betr., vom 1. Juli 1834, 11. April 1843, 29. Juni 1876. 12 Sächs. Verf. § 22, Württ. Verf. § 104, Württ. G. vom 1. Aug. 1864 und 7. Febr. 1874. 21*
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Dieselben sind jedoch aus bloßen Privatmitteln erworben und haben den Charakter von reinem Privatvermögen 1 8 . 2. I n anderen Staaten ist den Domänen der Charakter von E i g e n t u m d e r r e g i e r e n d e n F a m i l i e beigelegt bezw. belassen worden u . Dieses Rechtsverhältnis kann entweder so aufgefaßt werden, daß die fürstliche Familie eine juristische Person i m Sinne des Privatrechts und als solche Eigentümer des Kammergutes ist, oder so, daß die Güter ein Fideikommiß der regierenden Familie sind, an welchem dem jeweiligen Landesherrn Eigentum, den andern Familiengliedern eventuelle Erbrechte zustehen 1 5 . I n einzelnen dieser Länder sind die Domänen trotz ihrer Eigenschaft 18
I n Preußen ; das königliche Hausfideikommiß, das königlich-prinzliche Familienfideikommiß, und der sogenannte Krontresor (H. Schulze, Preußisches Staatsrecht § 52, Hausgesetze 8 619ff.), in Sachsen: das königliche Fideikommiß (Sachs. Verf. § 20, G. vom 13. April 1888, Opitz, Sächsisches Staatsrecht 1 199ff.; J. Loebe, Staatshaushalt des Königreiches Sachsen 79ff.; Fricker, Sächsisches Staatsr. 203ff.; O. Mayer, Sächs. Staatsr, 78, 84), in Württemberg: das Hofdomänenkammergut (Württ. Verf. § 108. Vgl. darüber R. v. Mohl, Württembergisches Staatsrecht § 55 ; Reyscher, Publ. Yers. 282 ; H. Schulze, Hausgesetze 3 475; v. Sarwey, Württembergisches Staatsrecht 1 128ff.; Göz, Württemberg. Staatsrecht 81). 14 Bad. Verf. § 59 (vgl. dazu die oben N. 7 angef. Literatur), S.-Kob. GL, den Beitrag der Domänen zu den Staatslasten betr. v. 29. Dez. 1846, Schw.Sondh. Gr. betr. das Kammergut des fürstlichen Hauses Schwarzburg-Sondershausen, vom 14. Juni 1881, Zusätze durch GG. vom 16. Dezember 1893, 14. Aug. 1896, 15. Juli 1897, Schw.-Rud. GrGr. § 9, Reuß ä. L. Verf. § 17, Reuß j. L. G., die Bildung eines Landesdomanialfonds betr., vom 23. Nov. 1880 § 3, Schaumb.-Lippe Verf. Art. 49, Lipp. V., die Trennung des Staatshaushaltes vom Domanialhaushalt betr., vom 24. Juni 1868 § 1, Abänderungsgesetze vom 20. März 1879 und vom 12. Juli 1912 (dazu Kiewning im WStVR. 2 780). 16 Die letztere Auffassung wird namentlich von H. A. Zachariä, Das Eigentumsrecht am deutschen Kammergut 105; Held, System (§ 298) 2 182; O. Mejer, Zur Lehre von der Geschlechtsgenossenschaft des hohen Adels, in Z. Privat- und öffentliches Recht der Gegenwart 5 229 ff; Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechtes 1 261 vertreten. Die Ansicht, daß die Familie des hohen Adels eine Korporation im zivilrechtlichen Sinne, d. h. ein selbständiges Vermögenssubjekt sei, ist von Beseler, Deutsches Privatrecht § 172 aufgestellt worden. Eine ausführliche Begründung derselben geben Beseler, Die Famile des hohen Adels als korporative Genossenschaft und Gierke, Die juristische Persönlichkeit des hochadeligen Hauses, in der Z. Privat- und öffentliches Recht der Gegenwart 5 540 ff. u. 557 ff., sowie Deutsches Privatrecht 148 ff., 400, 625. Ihnen stimmen zu : H. Schulze, Fürstenrecht 1363, Rosin in Jherings J. 82 343ff. und Rehm, Mod. Fürstenr. 103. Die betreffenden Ausführungen erscheinen jedoch nicht überzeugend. Die historische Entwicklung, auf welche sich die angeführten Schriftsteller in erster Linie berufen, beweist nur die Gebundenheit der Güter in der Familie, besagt aber gar nichts für die juristische Konstruktion des fraglichen Rechtsverhältnisses. Ebensowenig folgt aus dem Rechte der Familien des hohen Adels, im Wege der Autonomie verbindliche Vorschriften für die einzelnen Mitglieder zu erlassen, daß dieselben auch besondere Vermögenssubjekte sind (vgl. K. Maurer, Kritische Überschau 2 256 N. 1; Gierke a. a. O. 592). Gegen die Ausführungen Beselers und Gierkes wendet sich 0. Mejer, Zur Lehre von der Geschlechtsgenossenschaft des hohen Adels, in Z. Privat- und öffentliches. Recht der Gegenwart 6 201 ff. und Rehm, Die juristische Persönlichkeit der standesherrlichen Familie (1911) 1 ff. 5 ff.
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als Fideikommiß des regierenden Hauses der gewöhnlichen Staatsfinanzverwaltung unterstellt worden. Ihre Einkünfte fließen i n die Staatskasse und der Monarch erhält aus derselben eine jährliche R e n t e 1 6 . D i e Anerkennung als Familienvermögen hat hier n u r für den F a l l Bedeutung, daß die betreffende Familie aufhört, die Regierung des Landes z u führen. I n anderen Ländern steht dagegen das Domänenvermögen unter der ausschließlichen Verwaltung des Landesherrn u n d der von ihm ernannten B e h ö r d e n 1 7 . D i e Einkünfte desselben fließen jedoch trotzdem nicht immer ausschließlich dem Landesherrn u n d dem fürstlichen Hause z u 1 8 , vielmehr ist das Domanialvermögen häufig verpflichtet, einen bestimmten Beitrag zu den Kosten der Landesverwaltung zu l e i s t e n 1 9 . 3. I n wieder anderen Staaten hat eine T e i l u n g d e s D o m a n i a l v e r m ö g e n s zwischen dem Staate u n d der regierenden Familie stattgefunden 2 0 . Jedoch ist auch hier nicht immer 16 Bad. Verf. § 59, Bad. G., die Zivilliste betr., vom 8. März 1854 und die Erhöhung der Zivilliste betr., vom 14. April 1858 [dazu Erhöhung der Zivilliste um 800000 Mk. durch die Etatsgesetze aller Budgetperioden seit 1876, vgl. Bindings Ausgabe der bad. Verfassung 571, Schw.-Sond. G. vom 14. Juni 1881 §§ 11 ff. 17 S.-Kob. G. vom 29. Dez. 1846 Art. 8, Reuß ä. L. Verf. § 18, Lipp. V., die Verwaltung des fürstlichen Haus- und Familienfideikommisses betr., vom 14. April 1869, Reuß j. L. V. vom 24. Juli 1852 und 7. Juli 1854, G. vom 23. November 1880. 18 Dies ist der Fall in Reuß ä. L. (Verf. § 17) und war bis 1868 so in Lippe (V. vom 24. Juni 1868 §§ 3 u. 5). In Lippe fließen die Domäneneinkünfte nach dem G. vom 12. Juli 1912 teils dem Landesherrn, teils der Staatskasse zu; vgl. oben N. 14. 19 S.-Kob. G.. den Beitrag der Domänen zu den Staatslasten betr., vom 29. Dez. 1846 Art. 5 und G., das Domänengut im Herz. S.-Kob. betr., vom 21. Februar 1855, Schaumb.-Lipp. Verf. Art. 51—55, Schw.-Rud. GG. § 11, Reuß j. L. G. vom 23. November 1880, Lipp. G. betr, den Beitrag des fürstlichen Domaniums zu den aus der Landkasse zu bestreitenden Ausgaben und Beamtengehalten vom 25. März 1898; G. vom 12. Juli 1912 (vgl. die vorige Anm.). 20 Hess. Verf. Art. 6, Lauenb. Rezeß zwischen dem Herzog und der Ritter- und Landschaft über die landesherrlichen Domänen vom 19. Juni 1871, S.-Mein. G. über das Domänenvermögen vom 20. Juli 1871, G. vom 9. März 1896 Art. 10—18, S.-Alt. G., die definitive Regulierung der Rechtsverhältnisse am Domanialvermögeu betr., vom 29. April 1874, S.-Goth. G., die Aufhebung der Beilage H I zum Staatsgrundgesetz vom 25. März 1849 betr., vom 1. März 1855 und Vertr. über die Verwaltung und Nutzung des Domänengutes im Herzogtum S.-Gotha vom 1. März 1855. Nach dem S.-Kob.Goth. Hausgesetz A r t 20 bildet das Domänengut in den Herzogtümern S.Koburg una S.-Gotha einen Teil des herzoglichen Hausvermögens, es wird daselbst als Eigentum des herzogl. S.-Gothaischen Gesamthauses bezeichnet, während die übrigen Bestandteile des Hausvermögens Eigentum des herzogl. S.-Kob.-Gothaischen Spezialhauses sein sollen. Old. StGG. Art. 179 und Anl. I u. d. T.: Vereinbarung zwischen Sr. Königl. Hoheit dem Großherzog und dem durch G. vom 24. Juni 1848 berufenen Landtage des Großherzogtums Oldenburg wegen des Domanialvermögens. Nach dieser für die Dauer der Regierung des Mannsstammes des Herzogs Peter Friedrich Ludwig gültigen Vereinbarung ist aus dem bisherigen Domanialvermögen ein Teil als Krongut für die regierende Familie ausgeschieden, der Rest für Staatsgut erklärt
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sofort eine reelle Ausscheidung eingetreten, sondern der gesamte Güterkomplex bleibt zunächst unter gemeinsamer Verwaltung und die tatsächliche Teilung findet erst dann statt, wenn das betreffende Haus aufhört, die Regierung des Landes zu f ü h r e n 2 1 . 4. N u r in wenigen Ländern ist eine ausdrückliche gesetzliche Regelung der Eigentumsrechte am Kammervermögen bisher n i c h t erfolgt 2 2 . Als Eigentümer des Kammergutes muß hier der jeweilige L a n d e s h e r r [nach der heute herrschenden Meinung, oben N. 15, das r e g i e r e n d e H a u s als Korporation] angesehen w e r d e n 2 8 . Die beiden Eigenschaften desselben, welche das moderne Staatsrecht sonst unterscheidet, Staatsoberhaupt und Repräsentant der Familie, sind i n dieser Beziehung noch ununterschiedlich i n einer Person vereinigt. Es hat sich i n dem Kammergut ein Stück alter Verfassung erhalten, welches i n das moderne Staatsleben hineinragt. D i e Verwaltung desselben erfolgt hier entweder durch die Staatsbehörden i n der Weise, daß die Einkünfte zu Staatszwecken verwendet werden und der Landesherr nur eine Zivilliste e r h ä l t 2 4 . Oder die Verwaltung w i r d durch eine besondere Behörde geführt, und die Einkünfte dienen zur Bestreitung der Bedürfnisse des fürstlichen Hauses 2 5 . worden. Aus letzterem erhält jedoch der Großherzog zur Ergänzung seiner Dotation noch eine Zivilliste. Anhalt. G., die Auseinandersetzung des nerzoglichen Hauses und des Landes bezüglich des Domaniums betr., vom 28. Juni 1869, 2Nachtrag vom 3. April 1877 und 26. März 1884. 1 Hess. Verf. Art. 7, S.-Mein. G. vom 20. Juli 1871 Art. 6, 10—17. [Ebenso wie im Text wird die Hessische Verf. ausgelegt von Cosack; Staatsr. des Großh. Hessen 5. Dagegen wollen Rehm, Moa. Fürstenr. 331, 332 und van Calker, Hess. Staatsr. 34 das Eigentum an den in Art. 7 a. a. 0. bezeichneten zwei Dritteln dem jeweils regierenden Hause zusprechen; Rehm will die des Thrones verlustig gehende Familie auf einen Entschädigungsanspruch beschränken.] — Nach dem S.-Goth. G. und Vertr. vom 1. März 1855 ist zwar die Ausscheidung sofort erfolgt, doch bleibt das Domänengut verpflichtet, einen näher bestimmten Beitrag zu den Staatslasten zu leisten, dessen Zahlung wegfällt, wenn das herzogliche Haus aufhört, in Gotha zu regieren. 22 S.-Weimar, Braunschweig, Waldeck. — Das S.-Weim. G., die Verwaltung des großherzoglichen Kammervermögens betr., vom 4. Mai 1854, das die Verabschiedung vom 6. April 1848, durch welche das Kammergut mit dem Staatsvermögen vereinigt war, wieder aufhob, bestimmt lediglich, daß die vor dem 6. April 1848 bestehenden Rechte am Kammervermögen wieder eintreten sollen. Die Braunschw. N. LO. § 164 beschränkt sich ebenfalls darauf, zu erklären, daß die bisherigen Rechtsverhältnisse des Kammergutes und namentlich die Bestimmungen des Edikts vom 1. Mai 1794 unverändert2 8 bleiben. Reyscher in den N. 4 angeführten Schriften: Heinze a. a. 0. 276ff.; Held (§ 299) 2 184ff; H. Schulze, Lehrbuch des deutschen Staatsr. (§ 205) 1 5792 4ff. S.-Weim. G. vom 4. Mai 1854, Braunschw. N. LO. §§ 166—174. 25 So in Waldeck. Durch den Akzessionsvertrag vom 24. November 1877 war eine Beitragspflicht des Domanialvermögens zu den Staatslasten begründet worden, die aber nach Art. 9 des Vertr. vom 2. März 1887 wieder in Wegfall gekommen ist. Dagegen liegt die Unterhaltung des Konsistoriums als Oberkirchenbehörde und der fürstlichen Schlösser ausschließlich dem Fürsten ob. Über die Verwaltung vgl. V. vom 18. Dezember 1867.
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§ 95. M i t Einführung der Primogeniturordnung entstand das Bedürfnis, für die pekuniäre Ausstattung der jüngeren Prinzen und Prinzessinnen des Hauses Sorge zu tragen. Dieser Verpflichtung gab schon die Goldene B u l l e 1 Ausdruck. D i e speziellere Regelung der Frage erfolgte durch die Hausgesetze der fürstlichen Familien. D i e ältere Form der Versorgung war die der P a r a g i e n , d. h. der Anweisung bestimmter Güter, u m die Einkünfte derselben zu beziehen. Die jüngere und i n neuerer Zeit allgemein ü b l i c h e 2 Form ist die der A p a n a g e n , d . h . jährlichen Rentenzahlungen 8 . D e r Anspruch auf Apanage ist ein Alimentationsanspruch des berechtigten Prinzen gegenüber dem Monarchen oder dem Staate. Maßgebend für die Beurteilung desselben sind jedoch nicht die Grundsätze des römischen Rechts über Alimentationspflicht, sondern die autonomischen Bestimmungen u n d das Herkommen des betreffenden Hauses 4 . D i e Höhe der Apanagen ist i n neuerer Zeit in der Regel durch Staats- oder Hausgesetz spezieller fixiert worden 6 . Dabei kommen zwei verschiedene Systeme vor. Nach dem einen w i r d die Apanage den einzelnen Prinzen des Hauses persönlich ausgesetzt 6 , und diese treten mit erlangter Volljährigkeit i n den Anspruch e i n 7 . Nach dem anderen ist sie für die betreffende L i n i e bestimmt. Die Söhne bekommen zu Lebzeiten des Vaters keine besondere Apanage, sondern müssen von diesem unterhalten 1 G. B. cap. 25 § 5. [nach manchen Hausgesetzen allein zulässige! Vgl. z. B. Bayr. Familienstatut vom 5. August 1819 Tit. VI § 1, Württ. Hausges. vom 8. Juni 1828 Art. 23.] 8 E. Meier, Art. „Apanage" in v. Holtzendorffs Rechtslexikon 1 127 ff. Rintelen, Art. „Apanage" in Conrads Handwörterbuch der Staatswissenschaften Dies ist zuerst von Loening, Deutsches V e r w R 181 Anm. 1 erkannt worden. V g l . sodann besonders Jellinek, System 275 ff., Staatslehre 644 ff, Schriften und Reden 2 334ff. Ferner: Hatschek, Die Selbstverwaltung (1898) 3 4 f f , 60ff., 69ff.; Preuss, Staat und Stadt (1909). — Das oben i m Text gemeinte Gesetz ist das vom 14. Dezember 1789; es erklärt, daß die Gemeinden zwei Arten von Aufgaben zu erfüllen haben: „Les unes propres au pouvoir municipal; les autres propres à l'administration générale de l'État, et déléguées par elle aux municipalités." c Österreichische Gemeindegesetze vom 17. März 1849 und vom 5. März 1862; vgl. Jellinek, Schriften und Reden a.a.O. 335ff, Lamp, Das Problem der städtischen Selbstverwaltung nach österr. und preuß. Recht (1905) 22 ff, 41 ff, 84 ff, 126 ff. à Oben § 11 S. 37 ff. e Ebenso urteilen Loening, Jellinek, Lamp an den i n den vorstehen-
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der Errichtung und Verwaltung allgemeiner Anstalten und anderweiter Fürsorge für die Bewohner, teils in der Ausübung von Hoheitsrechten. Diese Hoheitsrechte werden entweder als den G e m e i n d e n zustehend angesehen oder als Rechte des S t a a t e s aufgefaßt, welche dieser Gemeindeorganen zur Ausübung überträgt f . Die der Gemeinde zustehenden obrigkeitlichen Befugnisse beruhen auf staatlichen Gesetzen. Sie können also durch A k t e der staatlichen Gesetzgebung sowohl erweitert als eingeschränkt als den Gemeinden entzogen werden. Solange aber eine derartige Entziehung nicht erfolgt ist, haben die Gemeinden dem Staate gegenüber ein R e c h t auf Ausübung derselben. [Keinesfalls hat die Gemeinde i m modernen Staate „eigene", d. h. eigenständige, originäre, nicht vom Staate abgeleitete Herrschaftsund Zwangsgewalt. Denn solche Gewalt steht unter heutigen Verhältnissen nur dem Staate selbst zu und es liegt i n diesem Punkte j a gerade das Unterscheidungszeichen zwischen dem Staate und allen innerstaatlichen Verbänden, insbesondere zwischen Staat und Gemeindet. Soweit also die Gemeinde G e w a l t („Hoheitsrechte"), z. B . Selbstgesetzgebung (Autonomie), Gerichtsbarkeit, Polizei, Finanzgewalt ausübt, kann sie dies nur tun auf G r u n d und im Rahmen staatlicher Ermächtigung 1 1 . Die g r ö ß e r e n B e z i r k e d e s S t a a t e s (Kreise, Bezirke, Provinzen) sind entweder bloße S t a a t s v e r w a l t u n g s b e z i r k e . I n diesem Falle werden sie von Staatsbeamten regiert und haben nicht den Charakter eines eigenen Rechtssubjektes. [Beispiele: Regierungsbezirk i n Preußen, Amtsbezirk in Baden.] Oder sie sind zugleich K o m m u n a l v e r b ä n d e , also besondere Rechtssubjekte [preußische und hessische Provinzen und Kreise, bayrische und sächsische Kreise und Bezirke, württembergische Oberamtsbezirke usw.]. Diese Kommunalverbände höherer Ordnung sind meist eine Schöpfung der modernen Staatsgesetzgebung. D i e staatliche Gesetzgebung hat daher auch den Kreis der Angelegenheiten bestimmt, welche denselben zur selbständigen Erledigung überlassen sind. A l s solche k o m m u n a l e Ang e l e g e n h e i t e n gelten die Verwaltung des Vermögens und der Anstalten des Kommunalverbandes ; diese ist den kommunalen Organen zur alleinigen und ausschließlichen Ordnung übertragen. den Anmerkungen b und c angeführten Stellen, ferner Schoen, Enzykl. (7. Aufl.) 4 237. f So w i r d die Finanzgewalt der Gemeinde überall als subjektives Eecht derselben betrachtet, während i n bezug auf die Polizeigewalt beide Auffassungen vorkommen. Vgl. § 111. 8 Oben § 1 Anmerkung b und c und S. 49. * A . M . ' Gierke, Genossenschaftsr. 1 738ff., Eosin, A n n . D . K . (1888) 291 ff., Helfritz, die Vertretung der Städte und Landgemeinden nach außen (1916), sowie namentlich Preuss an verschiedenen Stellen seiner Werke, z. B. Städtisches Amtsrecht 131 ff. Ubereinstimmend mit der Anschauung des Textes insbesondere Jellinek (vgl. die Zitate oben Anmerkung b) und Schoen, Enzykl. 237.
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§ 10.
Die Ausübung der obrigkeitlichen Befugnisse innerhalb der betreffenden Bezirke w i r d dagegen als S a c h e d e s S t a a t e s betrachtet; sie steht s t a a t l i c h e n Organen zu. Diese staatlichen Organe bestanden bis i n die neuere Zeit lediglich aus staatlichen Berufsbeamten. Erst die Verwaltungsreformgesetzgebung der letzten Jahrzehnte hat eine Umbildung derselben vorgenommen und den Berufsbeamten Elemente zur Seite gesetzt, welche meist aus Wahlen der kommunalen Vertretungen hervorgehen und ihre Ä m t e r als Ehrenämter verwalten.
8. Die Gemeinden1.
§ 110. 1. Über die Verfassung und die Funktionen der G e m e i n d e n i n ältester Zeit ist wenig bekannt. D i e Haupttätigkeit derselben war jedenfalls eine wirtschaftliche; sie bestand i n der durch die Gemengelage der Grundstücke veranlaßten Regelung der Feldbestellung und der Sorge für die gemeine M a r k . Daneben müssen die Gemeinden jedoch schon früh auch politische Befugnisse erworben haben. I m Mittelalter besaßen sie eine Gerichtsbarkeit i n geringeren Rechtsstreitigkeiten und Streitfällen. A u c h waren die Gemeindemitglieder zu gegenseitiger Unterstützung verpflichtet. 2, Einen Unterschied zwischen S t ä d t e n und Landg e m e i n d e n gab es ursprünglich nicht. Die Entwicklung einzelner Gemeinden zu S t ä d t e n 2 knüpft an das ihnen ver1 0 . Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht Bd. I §§ 7—9, 28—80, 88—34, 52—53, 55—57; 0 . Gierke, Art. Gemeinde, Gemeindeordnungen, Gemeindebeamte, Gemeindebürgerrecht, Gemeindeverfassung i n v. Holtzendorffs Rechtslexikon 2 42 ff; Brater, Art. „Gemeinde", Staatswörterbuch 4 109 ff ; Loening, Art. „Gemeinde" in seiner Ausgabe von Bluntschlis Staatswörterbuch 1 736 ff; Jolly, Art. „Gemeinde" i n v. Stengels Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechtes (1. Aufl.) 1 495 ff, Erg. Bd. B109 ff., „Gemeindebezirk" ebenda S. 500, „Gemeindemitgliedschaft" 512 ff, Erg. Bd. 1 41, „Gemeindeorgane" 518 ff., Erg. Bd. 141 ff., „Gemeindeverwaltung" 545 ff., „Gesamtgemeinden" 571 ff; A r t . „Gemeinde" i m W S t V R 2 39ff. (zahlreiche Einzelartikel, verfaßt von Walz, Stier-Somlo, Markull, Kutzer, Seyffarth, Hofacker, Glässing, Bruck, Schwarz, Saran); H. Preuss, Das städtische Amtsrecht i n Preußen (1902), Die Entwicklung des deutschen Städtewesens Bd. 1 (1906), Die kommunale "Selbstverwaltung in Deutschland, i m Handb. der Politik (1912)1 198 ff, A r t . Stadt und Stadtverfassung" im Handwörterbuch der Kommunal Wissenschaften ; K e i l , „Landgemeindeordnung" Erg. Bd. 1 57 ff, 2 132 ff. ; P. Schoen, Die Organisation der städtischen V e r w a l t u n g Preußens i n A n n . D . R . (1891) 707 ff.; E. v. Meier, Enzykl. (6. Aufl.), 641 ff; Schoen, das. (7. Aufl.) 4 238 ff. ; E. Loening, Landgemeinden und Gutsbezirke i n den östlichen Provinzen Preußens, i n Jahrb. für Nationalökonomie u. Statistik, 3. F o l g e , 3 161 ff. 2 Über die geschichtliche Entwicklung der deutschen Städteverfassung vgl. die § 19 N. 6 zitierte Literatur, über die späteren Verhältnisse der Landstädte namentlich G. Schmoller, Das Städtewesen unter Friedrich W i l h e l m I., Zeitsch. für preuß. Geschichte und Landeskunde, Jahrg. S 521 ff, 10 257 ff.,
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liehene Marktrecht an, auf dessen Grundlage sich eigene Gerichtsbarkeit und ein besonderes Stadtrecht ausbildete. Städte sind zuerst auf königlichem Grund und Boden und an Bischofssitzen entstanden; als eine dritte Klasse kamen später die fürstlichen Städte hinzu. Jede Stadt hatte ursprünglich einen Stadtherrn, welchem der G r u n d und Boden der Stadt gehörte. Seit dem zwölften Jahrhundert entwickelte sich die korporative Verfassung der Städte. I m Laufe des dreizehnten Jahrhunderts erhielten alle Städte einen R a t , an dessen Spitze ein oder mehrere Bürgermeister standen und der nunmehr das Hauptorgan der Bestrebungen w u r d e , sich von der Herrschaft des Stadtherrn frei zu machen. E r erwarb Besteuerungsrecht, Gerichtsbarkeit, Z o l l , Münze und andere nutzbare Regalien, sowie eine weitgehende Autonomie. D i e Städte wurden auf diese Weise zu sich selbst regierenden genossenschaftlichen Gemeinwesen. Sie schieden sich allmählich i n zwei Klassen. E i n T e i l derselben, namentlich bischöfliche und königliche Städte, erlangte alle Rechte des Landesherren, sowie Sitz und Stimme auf den Reichstagen; sie wurden als (freie) Reichsstädte bezeichnet und traten den landesherrlichen Territorien im Reiche als ein gleichberechtigtes Element zur Seite. D i e übrigen Städte hießen L a n d s t ä d t e ; sie waren der Landeshoheit eines Landesherrn unterworfen und neben der Ritterschaft auf den Landtagen vertreten. Das Recht an den Ratswahlen teilzunehmen, stand ursprünglich nur einer Aristokratie r a t s f ä h i g e r G e s c h l e c h t e r zu. Dieser trat der i n Zünfte gegliederte H a n d w e r k e r s t a n d entgegen und errang i m Laufe des vierzehnten Jahrhunderts, zum T e i l nach hartnäckigen Kämpfen, eine Beteiligung am Stadtregiment. D i e Verfassung nahm damit einen mehr demokratischen Charakter an. Es entstand eine e i n h e i t l i c h e B ü r g e r s c h a f t mit allgemeinen Rechten und Pflichten. Zu den Rechten der Bürger gehörte die Teilnahme am Stadtregiment, der Genuß der bürgerlichen Nutzungen, das Recht auf Wohnsitz, häusliche Niederlassung und Grunderwerb im Stadtgebiet, auf Verehelichung, sowie auf Unterstützung i m Verarmungsfalle, die Befugnis zum Gewerbebetrieb ; zu den Pflichten der Übernahme städtischer Ämter, die Leistung der Wehrpflicht und die Zahlung von Steuern. Neben den Bürgern kamen sogenannte S c h u t z g e n o s s e n vor, d. h. Personen, welche, ohne Bürger zu sein, i m Stadtgebiete wohnten, den Schutz der Stadt genossen und dafür gewisse Abgaben zahlten. D i e Zünfte waren m i t ihren Bestrebungen nicht überall vollständig durchgedrungen. Namentlich nicht i n den zur Hansa gehörigen Städten Norddeutschlands, wo, zum T e i l infolge der Inter11 513 ff., 12 353 ff, 425., sowie die oben § 107 N. 1 angegebenen Werke von E. v. Meier, Hintze, Loening, Waechter an den auf die Gremeindeverfassung bezüglichen Stellen.
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vention des hansischen Bundes, die zünftlerischen Unruhen u n d Aufstände vielfach gewaltsam unterdrückt wurden. Diese Ereignisse bewirkten auch einen Rückschlag i n Süd- und Westdeutschland. Seit dem fünfzehnten Jahrhundert w i r d die Verfassung der Städte mehr und mehr o b l i g a r c h i s c h , eine Veränderung, welche namentlich i n der Gestaltung des Rates zum Ausdruck kommt. A n die Stelle der W a h l und kurzen Amtsdauer der Ratsmitglieder t r i t t Kooptation und Lebenslänglichkeit. Die Ratsstellen kommen i n die Hände weniger Familien. Der Rat betrachtet sich nicht mehr als Repräsentant der Stadt, sondern als eine k r a f t eigenen Rechtes regierende Obrigkeit, zu welcher die städtischen Bürger i m Verhältnis von Untertanen sich befinden. D i e größeren Kollegien, welche dem Rat gegenüber die Bürgerschaft vertreten sollten, waren ohne Einfluß. D e r Gemeinsinn der Bürger verschwand, und die Zünfte begannen ihre Privilegien i m privaten Interesse auszubeuten. Diese Zustände hatten schon seit dem fünfzehnten Jahrhundert ein kräftiges Eingreifen einzelner Landesherren i n die städtischen Verhältnisse zur F o l g e 8 . Namentlich zeichneten sich die Hohenzollern durch derartige Maßnahmen gegenüber den brandenburgischen Städten aus. Die Ratswahlen wurden der landesherrlichen Bestätigung unterworfen, die Autonomie der Städte beschränkt und viele Gegenstände der städtischen Verwaltung durch landesherrliche Anordnungen geregelt. Unter dem Einfluß der Stände gelangten jedoch diese reformatorischen Bestrebungen wieder zum Stillstande. Ebenso hatten die volkstümlichen Bewegungen, welche i n den Städten während der Reformationszeit entstanden, keinen dauernden Erfolg. Die oligarchische Verfassung des Rates blieb bestehen. D i e Vertretung der Bürgerschaft erlangte keinerlei E i n fluß. Das Bürgerrecht wurde als ein nutzbares Privatrecht angesehen, welches den Anspruch auf bürgerliche Nutzung und bürgerliche Nahrung gewährte. Die Aufnahme i n den Bürgerverband war an sehr erschwerende Bedingungen, Vermögensnachweise, Zahlung eines hohen Bürgergeldes u. dgl. geknüpft; nur für Bürgerssöhne und Ehemänner von Bürgerstöchtern oder Bürgerswitwen bestanden Erleichterungen. Neben den Bürgern existierte eine große Zahl von Schutzgenossen, welche die bürgerlichen Lasten trugen, ohne Rechte zu genießen. D u r c h den dreißigjährigen K r i e g war der Wohlstand der Städte zerstört und meist eine vollständige Zerrüttung der städtischen Finanzen eingetreten. Diese Umstände veranlaßten wieder ein kräftigeres Eingreifen der landesherrlichen Obrigkeit. Die fürsorgende und bevormundende Tätigkeit derselben erstreckte sich auch auf die Städte. Energische Maßregeln dieser A r t er3 Schmoller a.a.O. Jahrg.8 527ff.; Bornhak, Gesch. des Preuß. Verw.R. 1 139ff., Preuß. Staats- und Rechtsgesch. 16ff.; Preuss, Entwicklung des deutschen Städtewesens 1 119 ff.
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griff namentlich Friedrich Wilhelm I . in Preußen 4 . Allerdings wurde die Selbständigkeit der Städte unter ihm vollständig gebrochen und dieselben i n hohem Maße der Aufsicht und L e i t u n g von Staatsbeamten, namentlich des commissarius loci unterworfen. Aber gleichzeitig fand eine durchgreifende Reform der städtischen Verwaltung statt. Der Gemeinsinn der Bürger wurde durch die erziehende Tätigkeit der landesherrlichen Obrigkeit von neuem belebt, die Stadtgemeinde als tätiges Glied dem Staats verbände eingefügt, innerhalb dessen sie die Stellung einer privilegierten Korporation einnahm. Diese Auffassung herrscht auch noch i m preußischen Landrecht v o r , welches an die Stelle der bisherigen statutarischen Regelungen der Städteverhältnisse eine allgemeine gesetzliche (freilich nur subsidiär geltende) Ordnung setzte 5 . Auch i n anderen deutschen Territorien wnrden i m L a u f des achtzehnten Jahrhunderts seitens der Landesherren Gesetze erlassen, welche den Zweck hatten, die Rechtsverhältnisse der Städte einheitlich zu regeln und Verbesserungen der städtischen Verwaltung herbeizuführen 6 . 3. Eine der städtischen entgegengesetzte E n t w i c k l u n g trat i n den L a n d g e m e i n d e n 7 ein. Diese erlangten n i c h t , wie die Städte, den Besitz von Hoheitsrechten und eine selbständige Verfassung , sondern standen unter der Herrschaft des Grundherrn. Trotzdem aber bewahrten die Gemeindegenossen eine tätige M i t w i r k u n g bei der Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten. D i e Eigenschaft eines Gemeindegenossen war ursprünglich an Hufenbesitz i n der Gemeinde geknüpft. M i t der Entstehung einer größeren Ungleichheit im Grundbesitz entwickelten sich die Ver4 Vgl. Schmoller i n der N. 2 angeführten Abhandlung; Isaacsohn, Geschichte des preußischen Beamtentums S84 ff; Bornhak, Gesch. des preuß.VerwR 2 11 ff. und Preuß. Staats- und Rechtsgesch. 164 ff.; Preuss, Entwicklung des deutschen Städtewesens 1 119ff., 156 ff. 5 Preuß. A L R I I 8 §§ 86—178. Uber die preußische Städteverfassung im achtzehnten Jahrhundert vgl. auch E. Meier, Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein und Hardenberg 70 ff. und Enzykl. 660 ff; Hintze m Acta Borussica G 1, 239 ff; Preuss, a. a. 0 . 156 ff. 6 Vgl. E. Loening, Deutsches V e r w R 144; Jolly a. a. 0 . 496; E. v. Meier, Hanno v. Verfassungs- und Verwaltungsgesch. 2 444 ff. 7 Über die Geschichte der Landgemeinden vgl. Gierke, Genossenschaftsrecht 1 §§ 52, 53, 55; G. L . v. Maurer, Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, Dorf- und Stadtverfassung und der öffentlichen Gewalt, München 1854, Geschichte der Markenverfassung, Erlangen 1856, Geschichte der Fronhöfe, der Bauernhöfe und der Hofverfassung i n Deutschland, 4 Bde., Erlangen 1862—1863, Geschichte der Dorfverfassung in Deutschland, 2 Bde. y Erlangen 1865 und 1866; C. Stüve, Wesen und Verfassung der Landgemeinden und des ländlichen Grundbesitzes i n Niedersachsen und Westfalen, Jena 1851; Thudichum, Die Gau- und Markenverfassung i n Deutschland, Gießen 1860; E. Meier, Reform 120 ff. und Hannöv. Verfassungs- und Verwaltungsgesch. 2 584 ff.; E. Loening, i n Jahrb. für Nationalökonomie a. a. 0 . ; K e i l , Die Landgemeinde i n den östlichen Provinzen Preußens (1890) und Kommentar zur Preußischen Landgemeindeordnung vom 3. J u l i 1891 (1896) 1—14; W . W i t t i c h , Die Grundherrschaft i n Noi'dwestdeutschland, Leipzig 1896; v. Below. Territorium und Stadt 1 ff., 95 ff.
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hältnisse i n den Landgemeinden jeweils verschieden. I n einzelnen wurde jeder Grundbesitz, einerlei von welchem Umfange, für genügend erachtet, um die Rechte eines Gemeindemitgliedes auszuüben, schließlich sogar nur der Besitz eines eigenen Hausstandes erfordert I n anderen verknüpfte sich die Berechtigung mit dem Besitz bestimmter Güter. I n noch anderen entstand die Anschauung, daß nur ein gewisses Maß des Grundbesitzes die volle Berechtigung gewähre; diejenigen Personen, welche zwar Grundbesitz, aber nicht von dem erforderlichen Umfange hatten, traten den sogenannten Vollbauern als Genossen geringeren Rechtes (Halbbauern usw.) gegenüber. Den Mittelpunkt der Gemeindetätigkeit bildete fortdauernd die Regulierung der Feldwirtschaft des einzelnen und die Sorge für die gemeine M a r k . Aus der Beschränkung der den einzelnen zustehenden Marknutzungen entwickelten sich die polizeilichen Funktionen der Gemeinde. Außerdem behielt dieselbe Gerichtsbarkeit i n geringeren Strafsachen und Schuldklagen und eine ziemlich weitgehende Autonomie. A n der Spitze der Gemeinde stand der Bauermeister, Bauerrichter oder „Schulze* (Schultheiß), welcher aus der W a h l der Gemeindegenossen hervorging. I n den grundherrlichen Gemeinden wurde derselbe schon im Laufe des Mittelalters vielfach durch einen grundherrlichen Beamten verdrängt. I n einzelnen Gegenden, namentlich den Kolonisationsländern, kommt auch die Verbindung des Vorsteheramtes mit einem bestimmten Gute vor (sogenannter Erb- oder Lehnsschulze). Die Beratung und Beschlußfassung über Gemeindeangelegenheiten erfolgte meist in der Versammlung aller Gemeindegenossen. D a , wo ständige Urteilsfinder und Schöffen vorkamen, entwickelten sich aus diesen häufig kollegialische Gemeinderäte nach dem Muster der städtischen Räte. Schon seit dem dreizehnten Jahrhundert erhoben sich Klagen des Bauernstandes über Bedrückung seitens der Fürsten. Im fünfzehnten Jahrhundert k a m es bereits zu einzelnen Aufständen, i n den Bauernkriegen des sechzehnten Jahrhunderts nahmen diese größere Dimensionen an und breiteten sich über einen großen T e i l von Deutschland aus. D i e Bauern erlitten jedoch eine vollständige Niederlage, so daß die erstrebte Verbesserung ihrer Verhältnisse nicht eintrat. Allmählich verloren viele Gemeinden auch die wirtschaftliche Grundlage, auf welcher ihre Gestaltung i m wesentlichen beruhte, die gemeine M a r k . Z u m T e i l wußten die Landesherrn dieselbe auf Grund ihrer Obermärkerschaft an sich zu bringen und mit ihrem Domanium zu vereinigen. Zum T e i l wurde dieselbe durch die seit Mitte des achtzehnten Jahrhunderts beginnenden Gemeinheitsteilungen i n Privateigentum der einzelnen Gemeindegenossen verwandelt. I n den Landgemeinden machte sich ebenfalls das Bestreben der Abschließung geltend. Namentlich suchte man da, wo sich noch Marknutzungen erhalten hatten, die Aufnahme im Interesse der nutzungsberechtigten Besitzer
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möglichst zu beschränken. So kam es, daß viele Personen, welche sich i n der Gemeinde niedergelassen, ein Einzugsgeld gezahlt hatten und an der Entrichtung der Gemeindeabgaben teilnahmen, gänzlich außerhalb des Gemeinde Verbandes standen. Nach dem Dreißigjährigen Kriege begann die fürsorgende T ä t i g k e i t der Landesherren sich auch auf die Bewohner des platten Landes zu erstrecken. D i e Erhaltung eines kräftigen Bauernstandes wurde als ein Gebot landesherrlicher P o l i t i k angesehen. D u r c h die landesherrliche Gesetzgebung waren den Gemeinden mehrfache Aufgaben überwiesen worden, deren Erfüllung früher i n den Händen kirchlicher Organe gelegen hatte, namentlich die Sorge für die Armenpflege und das Schulwesen. D e r Gemeindevorsteher geriet mehr und mehr i n die Stellung eines untergeordneten Organs der landesherrlichen Obrigkeit zur Ausübung lokaler Polizeifunktionen. Dadurch erhielten die Landesherren Veranlassung, sich auch mit der Verfassung der Landgemeinden näher zu beschäftigen. Landesherrliche Verordnungen bestimmten, wer als Mitglied der Gemeinde anzusehen sei, und welche Rechte den Gemeindemitgliedern zuständen. Sie knüpften dabei i n der Regel an den Wohnsitz i m Gemeindebezirk an. So entstanden neue Gemeinden auf rein politischer Basis. N u r selten wurde auch die Teilnahme an den Marknutzungen als ein Ausfluß des auf diese Weise entstandenen politischen Gemeindebürgerrechtes angesehen. I n der Regel erhielten sich die alten Markgemeinden neben den neuen politischen Gemeinden entweder als herrschende Korporation innerhalb derselben oder als rein privatrechtlicher Verband. Sie traten teils i n der Form der Realgemeinde auf, so daß die Mitgliedschaft an den Besitz bestimmter Grundstücke geknüpft w a r , teils i n der Form von Nutzungsgemeinden, so daß die Marknutzungen als ein selbständiges und frei veräußerliches Vermögensobjekt erschienen. 4. I n Deutschland war die Gemeinde trotz der eingehenden Staatsaufsicht und Staatskontrolle doch immer als ein selbständiges Gemeinwesen betrachtet worden. Wenn auch die Landgemeinden wegen der Unfreiheit des Bauernstandes und des Einflusses der Gutsherrschaft sich in einem Zustande der Gedrücktheit befanden, so hatten doch die Städte eine erhebliche Selbständigkeit bewahrt a . » Dieses Urteil G. Meyers trifft allenfalls für die mittleren und kleineren deutschen Länder zu, nicht aber für Brandenburg-Preußen. Hier ist von der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts ab bis zur StO von 1808 (s. oben im Text) von einer „erheblichen" oder auch nur unerheblichen Selbständigkeit der Städte keine Rede. Die preußische Stadt des 18. Jahrhunderts ist keine sich selbst regierende Korporation, sondern eine von außen und oben her durch Königlichie Behörden regierte Staatsanstalt. E. v. Meier, Reform der Verwaltungsorganisation (2. Aufl.) 61 ff., 77 ff. läßt dies nicht genügend hervortreten; besser M. Lehmann, Freiherr vom Stein 2 24 ff. und Preuß, Entwicklung des deutschen Städtewesens 1 156ff. W i e letzterer mit Recht bemerkt, wurde i m preußischen Staate jener Zeit „das System absoluter fürstlicher Obrigk e i t , des Polizei- und Militärstaates, der völligen Entrechtung der Städte, G. M e y e r - A n s c l i t i t z , Deutsches Staatsrecht.
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A n d e r s i n F r a n k r e i c h , w o schon u n t e r dem ancien régime die V e r w a l t u n g der Städte ganz i n die H ä n d e v o n staatlichen V e r waltungsbeamten gekommen war. D i e Revolution u n d die napoleonische G e s e t z g e b u n g b a u t e n a u f dieser G r u n d l a g e f o r t . I n i h r e r u n i f o r m i e r e n d e n T e n d e n z schufen sie eine e i n h e i t l i c h e G e m e i n d e v e r f a s s u n g f ü r S t a d t u n d L a n d , w e l c h e d i e G e m e i n d e n i c h t als selbständiges G l i e d des S t a a t s k ö r p e r s , s o n d e r n als s t a a t l i c h e n V e r w a l t u n g s b e z i r k a u f d e r e i n e n , als p r i v a t r e c h t l i c h e s V e r m ö g e n s s u b j e k t a u f d e r a n d e r e n Seite b e h a n d e l t e . D i e s e E i n r i c h t u n g e n blieben auch a u f D e u t s c h l a n d n i c h t ohne E i n f l u ß , u n d i n den Rheinbundstaaten w u r d e n vielfach Gemeindeverfassungen nach französischem M u s t e r e i n g e f ü h r t . U m dieselbe Z e i t g a b P r e u ß e n d e n A n s t o ß z u e i n e r b e d e u t samen R e f o r m d e r G e m e i n d e - , insbesondere d e r S t a d t v e r f a s s u n g e n . D i e S t ä d t e o r d n u n g v o m 19. N o v e m b e r 1 8 0 8 h v e r f o l g t e , w i e i h r e der Vernichtung jeder korporativen Selbständigkeit mit der zähesten Konsequenz und der vollendetsten Rücksichtslosigkeit bis zum Extrem durchgerührt". Die schon immer sehr beträchtliche Literatur über dieses monumentale Reformgesetz ist anläßlich seines hundertsten Jahrestages, 19. November 1908, noch stark vermehrt worden. Nähere Nachweise gibt Thimme i n der 2. Aufl. von E. v. Meiers „Reform", 471 ff. A n erster Stelle ist noch immer dieses Buch selbst, 249 ff., zu nennen; daneben stehen als wichtige Ergänzung die auf selbständigen Forschungen beruhenden Arbeiten M. Lehmanns: Freiherr vom Stein 2 447 ff., Preuß. Jahrbücher 98 471 ff. V g l . ferner Clauswitz, Die StO von 1808 und die Stadt Berlin (1908). Zwischen E. v. Meier und M. Lehmann hat sich ein lebhafter, oft m i t allzugroßem Aufwand polemischen Eifers geführter Streit darüber entsponnen, ob die StO durch die französische Gesetzgebung der Revolutionszeit beeinflußt sei; eine Frage, die von Meier glatt verneint, von Lehmann i n weitem Umfange bejaht wird. Vgl. E. v. Meier, Französische Einflüsse 2 314 ff., Lehmann, Preuß. Jahrb. 182 217 ff. Die Lehmannsche Ansicht beruht auf einer Überschätzung von Einzelheiten. R i c h t i g an ihr ist, daß zwei, allerdings wichtige, Bestimmungen der StO, die §§ 110 und 73, wonach die Stadtverordneten Vertreter der gesamten Bürgerschaft und an Instruktionen ihrer Wähler nicht gebunden sind, und wonach die Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung nicht «nach Ordnungen, Zünften und Korporationen", sondern i n örtlich begrenzten W a h l bezirken stattfinden, sachlich und zum Teil wörtlich m i t Vorschriften französischer Gesetze (G. vom 22. Dezember 1789, A r t 34, G. vom 14. Dezember 1789, Art. 7) übereinstimmen. I m übrigen aber hat die StO mit der französischen Revolutionsgesetzgebung nichts gemein; sie ist, insbesondere i n ihrer Grundauffassung über das Verhältnis von Staat und Stadt, eine selbständige Fortbildung deutscher, nicht eine Rezeption französischer Rechtsgedanken. Andrerseits geht Meier fehl, wenn er i n der StO eine Entfaltung von Keimen erblicken w i l l , die schon im altpreußischen Recht vorhanden gewesen seien. Das ist ganz verkehrt und eine „einseitig borussische Betrachtungsweise" (v. Gierke im Jahrb. d. Bodenreform 7 179). K e i n Bruch kann schroffer sein als der, den die StO von 1808 mit allen leitenden Grundsätzen des altpreußischen Städteverfassungsrechts vollzogen hat. I n der Literatur hat Lehmann am ehesten A n k l a n g gefunden bei Preuß, E n t w i c k l u n g des Städtewesens 1 237 ff., sonst ist seine Theorie meist abgelehnt worden; vgl. außer v. Gierke a. a. O. Hintze i n den Forschungen z. brandenb.-preuß. Gesch. 21 319 ff, Küntzel im Jahrb. für Gesetzgebung, Verwalt. und Volkswirtschaft 34 87 ff., Thimme i n der 2. Aufl. von E. v. Meiers „Reform" 473, 474, sowie X X V ff. (dort auch weitere Literaturangaben.
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Einleitungsworte es ausdrücken, das Z i e l , „die in Klassen und Zünfte sich teilenden Bürger zu einer Einheit zusammenzufassen, ihnen eine tätige Einwirkung auf die Verwaltung des Gemeinwesens beizulegen und durch diese Teilnahme Gemeinsinn zu erregen und zu erhalten" 8 . V o n einer Reform der Landgemeindeverfassung wurde dagegen infolge des übermächtigen Widerstandes der Gutsherren zunächst abgesehen c . I m Laufe der nächsten Jahrzehnte fand eine Revision der Städteordnung und eine Regelung der Gemeindeverhältnisse i n den neuerworbenen Provinzen Rheinland und Westfalen s t a t t 9 . Auch die a n d e r e n d e u t s c h e n L ä n d e r nahmen i n der Zeit nach 1815 eine Reorganisation ihrer Gemeindeverfassungen i n Angriff. I n den Rheinbundstaaten erfolgte nach Vernichtung der Fremdherrschaft die Aufhebung der unter französischem E i n fluß entstandenen Gemeindeordnungen. Bei der Neuordnung folgten viele Staaten, namentlich die norddeutschen, dem preußischen Vorbild, insofern als sie städtische und ländliche Gemeindeverfassung verschieden gestalteten, und für Reformen der ersteren die preußische StO von 1808 zum Muster nahmen. Dagegen war i m südlichen und westlichen Deutschland unter der Nachwirkung französischer Einflüsse die Neigung vorhanden, Stadt und L a n d gleichartig zu behandeln, eine Strömung, welche auch auf die preußische Rheinprovinz nicht ohne Einfluß blieb. I n einigen 7 namentlich süddeutschen Staaten wurde die Reform der Gemeindeverfassung schon i m zweiten oder Anfang des dritten Jahrzehntes des vergangenen Jahrhunderts vollzogen 1 0 . Andere Länder gelangten dagegen erst infolge der Bewegungen der dreißiger Jahre zu einer Neugestaltung der Gern einde Verfassung n . Noch andere sahen von einer allgemeinen gesetzlichen Regelung der Gemeindeorganisation zunächst ab; die Gemeindeverfassung beruhte hier auf den Statuten der einzelnen Ortschaften oder auf H e r k o m m e n 1 2 . Namentlich die Städteverfassung blieb dauernd statutarisch geregelt, 8 Preuß. GS 1806—1810 S. 324. C Vgl. E. V. Meier, Reform 325 ff., Französ. Einflüsse 2 848 ff., M. Lehmann, i r e i h e r r vom Stein 2 365ff, 503, K e i l , D i e Landgemeinden in den östl. Provinzen Preußens (1890) 81 fl. 9 Die Städteordnung vom 19. November 1808 wurde durch die revidierte Städteordnung vom 17. März 1831 ersetzt, welche in den östlichen Provinzen und i n vielen Städten der Provinz Westfalen Geltung erlangte. Eine Landgemeindeordnung für Westfalen wurde unter dem 31. Oktober 1841, eine Gemeindeordnung für die Rheinprovinz unter dem 23. J u l i 1845 erlassen. Vgl. E. v. Meier, Enzykl. 6. Aufl. 672, 673, Schoen, das. 7. Aufl. 4 242. 10 B a u e r n (V., die Verfassung und Verwaltung der Gemeinden betr., vom 17. Mai 1818), W ü r t t e m b e r g (Verwaltungsedikt für die Gemeinden, Oberämter und Stiftungen vom 1. März 1822), G r o ß h e r z o g t u m H e s s e n (GO vom 30. Juni 1821), N a s s a u (Kommunalordnung vom 5. Juni 1816). 11 S a c h s e n (StO vom 2. Februar 1832, LGO vom 7. November 1838), K u r h e s s e n (GO vom 23. Oktober 1834), B a d e n (GO und Bürgerrechtsgesetz vom 31. Dezember 1831). 12 Hannover, Sachsen-Weimar, Sachsen-A ltenburg, Sachsen-Meiningen. 27*
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während die Landgemeinden wenigstens i n einzelnen der betreffenden Staaten i m Laufe der vierziger Jahre allgemeine Ordnungen erhielten18. Einen neuen Anstoss für die Ordnung der Gemeindeverhältnisse gab die B e w e g u n g d e s J a h r e s 1 8 4 8 und die sich daran anschließenden Ereignisse. A u f dieselbe w i r k t e sowohl die allgemeine politische Strömung der damaligen Z e i t , als speziell die Bestimmungen der Reichsverfassung von 1849, durch welche den Gemeinden gewisse Freiheiten und Befugnisse als Grundrechte ihrer Verfassungen zugesichert wurden 1 4 . Die Gemeindeordnungen dieser Zeit beruhten auf einer freisinnigen Grundlage, berücksichtigten jedoch die historischen Verhältnisse und die Bedürfnisse des Staates vielfach zu wenig. Sie sind i m Laufe der fünfziger Jahre großenteils wieder beseitigt oder durch ander weite Gesetze, welche einschränkendere Bestimmungen enthielten, ersetzt worden15. I n anderen Staaten wurde wenigstens in einzelnen Hinsichten das Gemeinderecht neu geordnet d . Eine weitere Reform der Gemeindeverfassungen ist in vielen Staaten gegen E n d e d e r s e c h z i g e r u n d A n f a n g d e r s i e b z i g e r J a h r e des vergangenen Jahrhunderts erfolgt. Dazu hat zunächst die regere politische und gesetzgeberische Tätigkeit, welche sich in Deutschland seit Gründung des norddeutscheil Bundes bezw. des Deutschen Reiches entwickelte, beigetragen. Außerdem ist durch die Reform der K r e i s - , Bezirks- und Provinzialverfassungen, welche sich i n dieser Zeit i n den meisten deutschen Staaten vollzogen hat, auch eine Revision der Gemeindeverfassungen nahegelegt worden. Endlich hat das Bedürfnis, die Grundsätze über Gemeindeangehörigkeit und Heimatrecht der Gesetzgebung des norddeutschen Bundes und des deutschen Reiches über Freizügigkeit , Verehelichungsfreiheit, Gewerbefreiheit und Unterstützungswohnsitz anzupassen, zu einer Neuregelung der Gemeindeverhältnisse Veranlassung gegeben 1 6 . 18 Sachsen-Weimar (LGO vom 2. Februar 1840), Sachsen-Meiningen (Edikt vom 15. August 1840). i* RVerf Abschn. 6 Art. 11. 15 P r e u ß . GO vom 11. März 1850, wieder aufgehoben durch G. vom 24. Mai 1858 [s. E. v. Meier, Enzvkl., 6. Aufl. 673 ff.. Schoen, das. 7. Aufl. 4 242, Kloeppel, 80 Jahre deutscher Verfass.-Gesch. 893 ffj, H a n n o v. StO vom 1. Mai 1851, LGO vom 4. Mai 1852, ersetzt durch StO vom 24. Juni 1858, LGO vom 28. A p r i l 1859, N a s s . GO vom 12. Dezember 1848, ersetzt durch GO vom 26. J u l i 1854, S . - W e i m . GO vom 22. Februar 1850, ersetzt durch GO vom 18. Januar 1854. d Vgl. z. B. für Hessen: G. vom 8. Januar 1852 die Bildung der Ortsvorstände und des Gemeinderats betr., und vom 3. Mai 1858 betr. die Ortsvorstände. 16 Zu den Staaten, welche i n dieser Zeit eine Reform der Gemeindeverfassungen vorgenommen haben, gehören namentlich B a y e r n (Gesetze vom 29. A p r i l 1869 und 19. Januar 1872), S a c h s e n (StO und L G O vom 24. A p r i l 1873), B a d e n (Gesetze vom 14. Mai 1870 und 24. Juni 1874). H e s s e n (StO und LGO vom 13. und 15. J u n i 1874), S . - W e i m a r (GO vom
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Das heutige deutsche Gemeinderecht beruht auf den Gesetzen der Einzelstaaten, welche entweder gleichartige Vorschriften für alle Gemeinden enthalten, oder besondere Bestimmungen für Städte und für Landgemeinden geben. Statutarische Regelung kommt jetzt nur noch ausnahmsweise vor. A n m e r k u n g . Die jetzt in Kraft befindlichen deutschen Gemeindegesetze [mit Ausnahme der ausschließlich auf das kommunale Finanzwesen, vg!. unten § 211, bezüglichen] sind folgende. 1. P r e u ß e n : StO für die ö s t l i c h e n P r o v i n z e n vom 30. M a i 1853. Sie g i l t nicht i n Neuvorpommern und Rügen, wo nach dem G. vom 30. Mai 1853 die besonderen Verfassungen der einzelnen Städte, welche auf speziellen Rezessen beruhen, i n K r a f t geblieben sind c . Eine allgemeine L G O für die östlichen Provinzen ist am 3. J u l i 1891 erlassen; Abänderung durch G. vom 20. M a i 1902. StO für die Provinz W e s t f a l e n vom 19. März 1856, L G O für die Provinz Westfalen vom 19. März 1856, StO für die R h e i n p r o v i n z vom 15. Mai 1856. Für die Landgemeinden der Rheinprovinz ist die GO vom 23. J u l i 1845 mit den durch G. vom 15. Mai 1856 und die K r O vom 30. M a i 18b7 §§ 21 ff. bewirkten Modifikationen i n Kraft geblieben. G., betr. die Bestimmungen des Wohnsitzes im Sinne der rheinischen Gemeindeverfassungsgesetze, vom 30. J u n i 1884, G., betr. die Abänderung einiger Bestimmungen über die Pensionierung der Gemeindebeamten i n den Landgemeinden der Rheinprovinz, vom 21. J u l i 1891. H o h e n z o l l e r n s c h e F ü r s t e n t ü m e r : Hohenzollernsche Gemeindeordnung vom 2. J u l i 1900. H a n n o v e r : RevStO vom 23. J u n i 1858, G., betr. die Landgemeinden, vom 28. A p r i l 1859. H e s s e n - N a s s a u : StO und L G O vom 4. August 1897. Erstere findet auf die Stadt Frankfurt keine Anwendung, für welche das Gemeindeverfassungsgesetz vom 25. März 1867 g i l t . S c h l e s w i g - H o l s t e i n : G . , betr. die Verfassung und Verwaltung der Städte und Flecken, vom 14. A p r i l 1869, m i t geringen Modifikationen i n Lauenburg eingeführt durch G. vom 16. Dezember 1ö70, G., betr. die Erweiterung der Stadtgemeinde und des Stadtkreises Altona vom 31. März 1890, L G O vom 4. J u l i 1892. Helgoland bildet eine Landgemeinde, deren Verfassung durch eine vom Ministerium des Innern, gemäß § 6 Abs. 3 des preußischen Gesetzes vom 18. Februar 1891 (GS 11), am 28. A p r i l 1891 erlassenes Statut geregelt ist. — Besonderen Inhalts: G., betr. Gründung neuer Ansiedlungen i n Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, Sachsen und Westfalen vom 25. August 1876, abgeändert und ergänzt durch Gesetze vom 16. September 1899 und 10. August 1904. — A l l g e m e i n e p r e u ß i s c h e G e s e t z e : G., betr. die Anstellung und Versorgung der Kommunalbeamten vom 30. J u l i 1899; G., betr. die Abänderung und Ergänzung einiger Bestimmungen wegen der W a h l der Stadtverordneten, vom 1. März 1891; G., betr. Änderungen des Wahlverfahrens, vom 29. Juni 1893; G., betr. die Bildung der Wählerabteilungen bei den Gemeindewahlen, vom 30. J u n i 1900. 2. A n d e r e d e u t s c h e S t a a t e n . B a y e r n : GO für die Landesteile diesseits des Rheins vom 29. A p r i l 1869, Abänderung durch GG vom 19. Januar 1872, 14. März 1890, 24. Juni 1874). I n diesen Zusammenhang gehört auch die preußische Städteordnung für Schleswig-Holstein vom 14. A p r i l 1869 und aas preußische Gemeindeverfassungsgesetz für Frankfurt a. M. vom 25. März 1867. Die betreffenden Gesetze haben aber seit dieser Zeit schon wieder vielfache A b änderungen erfahren. « Hierüber vgl. Helfritz, Die Finanzen der Stadt Greifswald (Staatsund sozialwissensch. Forschungen, herausgeg. v. Schmoller und Sering, Heft 161) 1 ff.; v. Roques i m P r V B l 35 633 ff.
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Zweiter Teil.
Zweites Buch.
§ 11.
17. Juni 1896. GO für die Pfalz vom 29. A p r i l 1869, Abänderung durch GG vom 19. Januar 1872, 17. J u n i 1896 und 6. J u l i 1908; neu erging unter dem 15. August 1908 ein Städteverfassungsgesetz für die Pfalz, m i t einer teilw. Neuredaktion der rechtsrheinischen GO i m Anhang. G. über Heimat, Verehelichung und Aufenthalt vom 16. A p r i l 1868; Abänderung durch G G vom 23. Februar 1872, 21. A p r i l 1884, 17. März 1892, 17. Juni 1896, 9. J u n i 1899 ( A G zum B G B ) , 6. J u l i 1908. F ü r ganz Bayern m i t Einschluß der Pfalz wurde das Gemeindewahlgesetz vom 15. August 1908 erlassen. S a c h s e n : RevStO vom 24. A p r i l 1873, abgeändert 23. März 1880, 21. März 1902, 25. Februar 1904, 29. A p r i l 1906 und 23. Dezember 1908. StO für mittlere und kleinere Städte vom 24. A p r i l 1873. L G O vom 24. A p r i l 1873; vielfach abgeändert, unter dem 11. J u l i 1913 neu veröffentlicht. G., die Pensionsberechtigung der berufsmäßigen Gemeindebeamten betr., vom 30. A p r i l 1890, abgeändert vom 14. A p r i l 1900 und 30. A p r i l 1906. W ü r t t e m b e r g : GO vom 28. J u l i 1906, G., betr. die Gemeindeangehörigkeit vom 16. J u l i 1885, abgeändert 30. März 1886, Körperschaftsforstgesetz vom 19. Februar 1902. B a d e n : GO und Bürgerrechtsgesetz vom 31. Dezember 1831. Diese Gesetze sind später vielfach abgeändert worden und in einer Neuredaktion vom 5. November 1858 veröffentlicht. A m 24. Juni 1874 ist ein G., besondere Bestimmungen über die Verfassung und Verwaltung der Stadtgemeinden betr. (StO), erlassen worden, welches i n einigen Städten kraft Gesetzes gilt, i n anderen durch Gemeindebeschluß mit Genehmigung des Ministeriums des Innern eingeführt werden kann. Die StO g i l t jetzt i n einer Redaktion vom 20. Juni 1884, dazu Abänderungsgesetz vom 1. M a i 1886; die GO i n einer Redaktion vom 14. August 1896. das B R G in einer Redaktion vom 5. November 1858 mit Abänderungen vom 14. M a i 1870 und 24. J u n i 1874. Weitere Abänderung der StO. vom 23. J u n i 1892, 4. August 1894, der StO und GO durch G. vom 27. J u l i 1902, 19. Oktober 1906, 26. September 1910; Neupublikation auf Grund der letzteren Novelle vom 18. Oktober 1910. G., die Fürsorge für Gemeinde- und Körperschaftsbeamte betr., vom 8. J u l i 1896, jetzt geltend i n der Fassung vom S. September 1906. H e s s e n : StO vom 13. J u n i 1874; L G O vom 15. Juni 1874. Beide G. nach mehrfacher Änderung neu erlassen unter dem 8. J u l i 1911, dazu Gemeindeumlagegesetz vom 8. J u l i 1911. S . - W e i m a r : GO vom 17. A p r i l 1895; dazu Nachträge und Abänderungen vom 8. März 1902, 26. Februar 1903, 30. März 1904 und 22. März 1905. S . - M e i n i n g e n : GO vom 16. März 1897, abgeändert durch G. vom 27. Januar 1908. S . - A l t e n b u r g : Dorf-Ordnung vom 13. J u n i 1876. G., betr. die Pensions- und disziplinarrechtlichen Verhältnisse der städtischen Gemeindebeamten, vom 18. März 1892. G., betr. die B i l d u n g von Gemeindezweckverbänden, vom 16. Juni 1894, abgeändert 8. Januar 1906. StO vom 10. J u n i 1897, abgeändert durch G. vom 14. März 1904 § 22 (Gemeindeleistungen). S . - G o t h a : Gemeindegesetz vom 11. J u n i 1858, Zusatzbestimmungen vom 16. Mai 1869, abgeändert durch G. vom 17. März 1910, 3. A p r i l 1912 und 25. A p r i l 1913. S . - l £ o b u r g : Gemeindegesetz vom 22. Februar 1867, Nachtrag vom 24. J u n i 1869, abgeändert unter dem 30. Oktober 1911. G. über die Heimatsverhältnisse vom 2§. Februar 1867. StO für die Residenzstadt Koburg vom 5. August 1851, Abänderung vom 6. Februar 1875; dazu Minist. Bek. vom 2. November 1900. StO für die Stadt Neustadt vom 12. Mai 1852; dazu Minist. Bek. vom 27. September 1909. G., die Erweiterung der Befugnis zur Erhebung der Gemeindesteuern betr., vom 28. Juni 1893. B r a u n s c h w e i g : RevStO vom 18. Juni 1892, ergänzt und abgeändert durch G. vom 12. Januar 1893, 1. A p r i l 1895, 6. Januar 1899, 24. März 1902 und A G zum B G B § 118 Nr. 100. L G O vom 18. Juni 1892, ergänzt und abgeändert durch G. vom 1. A p r i l 1895, A G zum B G B § 100 Nr. 101, vom 19. Dezember 1907 und 1. Februar 1911. O l d e n b u r g : RevGO für das Herzogtum Oldenburg vom 15. A p r i l 1873, abgeändert durch V . vom 17. Februar 1880 und GG vom 22. Dezember 1884, 3. September 1891, 9. A p r i l 1894, 29. Dezember 1896, G. vom 8. Dezember 1899, vom 16. Januar 1903, A G zum B G B § 43; G. vom 12. Mai 1906, 27. Dezember 1907 und 28. A p r i l 1911. A n h a l t : GO vom 16. J u l i 1914. G. vom 18. Mai 1905 § 76 (Ge-
Die Organe.
§ 11.
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meindeabgabengesetz). S c h w . - S o n d e r s h a u s e n : GO vom 15. .Januar 1876, neu erlassen durch G. vom 1. J u n i 1912. S c h w . - R u d o l s t a d t : GO vom 9. J u n i 1876, abgeändert vom 28. März 1885 und 2. Dezember 1896, 22. Dezember 1899 und 13. März 1908. R e u ß ä. L . : GO vom 25. Januar 1871, Nachtrag vom 24. Dezember 1876, Abänderungen vom 6. Mai 1884, 13. Februar 1892 und 18. Januar 1904. G., die Errichtung einer neuen Behörde für die i n erster Instanz auszuübende Beaufsichtigung der städtischen Gemeindeverwaltung betr., vom 6. Mai 1884, Abänderung vom 13. Februar 1892. R e u ß j . L . : KevGO vom 17. Juni 1874, Abänderungen vom 15. Dezember 1877, 20. Dezember 1883, 28. J u l i 1890, 28. A p r i l 1891 und 12. M a i 1910. L i p p e : StO vom 17. A p r i l 1886, Abänderungen vom 15. Juni 1888, 4. A p r i l 1896 und 29. J u l i 1907. V., die Gemeindeverfassung betr. (LGO) vom 2. März 1841, Abänderungen und neue Redaktion der Dorf(s)gemeindeordnung vom 18. A p r i l 1893; abgeändert am 21. August 1893 und am 29. J u l i 1907 als Amtsgemeindeordnung erlassen. V., das Heimatrecht betr., vom 2. März 1841. G., betr. die Befugnis der Stadt-, Land- und Kirchengemeinden zur Veräußerung von Gegenständen, die einen geschichtlichen, wissenschaftlichen oder Kunstwert haben, vom 3. Januar 1895. S c h a u m b u r g - L i p p e : L G O vom 7. A p r i l 1870, StO vom 7. A p r i l 1870, Abänderungen vom 18. Dezember 1873, 22. Februar 1877. Ergänzungsgesetz vom 16. März 1893. W a l d e c k : NGO vom 16. August 1855 (Heimatsgesetz vom 16. August 1855), neue Redaktion vom 6. A p r i l 1888. Die sehr reichhaltige L i t e r a t u r über den Inhalt aller dieser Gemeindeesetze — Kommentare, systematische Darstellungen, Monographien — kann ier auch nicht annähernd vollständig angegeben werden. Hervorzuheben sind etwa: 1. i m Allgemeinen: Loening V R § § 33—39; Schoen i n der Enzykl. (7. Aufl.) 4 243 ff.; A r t . „Gemeinde" im W S t V R 2 39—48; 2. für die einzelnen Länder: die Darstellungen ihres Staatsrechts i m Offentl. Recht der Gegenw a r t ; Art. „Gemeinde" i m V S t V R 2 48ff. (Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen): Verfassungs- und Verwaltungsorganisation der Städte, herausgegeben i m Auftrage des Vereins für Sozialpolitik (1906); besonders für Preußen: Schoen, Recht der Kommunalverbände i n Preußen (1897); E. v. Meier i n der Enzykl. (6. Aufl.) 407 ff.; Leidig, Preuß. Stadtrecht (1891); Jebens, Die Stadtverordneten (1905); Preuß, Das städtische Amtsrecht i n Preußen (1902); Kommentare zur preuß. StO von 1853 von Oertel und Ledermann-Brühl, zur L G O von 1891 von K e i l und Genzmer. F ü r Bayern: v. Seydel-Piloty 1 5 2 0 f f ; Kommentar zur GO von 1869 von i \ K a h r und Weber-v. Sutner. F ü r Württemberg: Ruck, Verwaltungsrechtliche Gesetze Württembergs Bd. 1 und 2. Für Baden: Wieland, Handbuch des badischen Gemeinderechts, 2 Bde. (1889, 1893; vielfach veraltet). Für Hessen: Kommentare zur StO und zur L G O von 1911 von Best.
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§ in. 1. G e m e i n d e n s i n d d i e k l e i n s t e n p o l i t i s c h e n G e m e i n w e s e n , denen die V e r w i r k l i c h u n g der politischen Aufgaben i n örtlicher B e g r e n z u n g obliegt. I m Staatsrecht k o m m e n die Gemeinden n u r als p o l i t i s c h e G e m e i n w e s e n i n B e t r a c h t . Sie h a b e n a u ß e r d e m a b e r den C h a r a k t e r v o n j u r i s t i s c h e n P e r s o n e n des P r i v a t r e c h t s . D i e j e n i g e n V e r m ö g e n s o b j e k t e , welche den einzelnen Gemeindea n g e h ö r i g e n N u t z u n g e n g e w ä h r e n , w e r d e n als A l l m e n d g u t , diej e n i g e n , welche den öffentlichen Z w e c k e n der Gemeinde dienen, als K ä m m e r e i v e r m ö g e n b e z e i c h n e t . D a s A l l m e n d g u t k a n n E i g e n t u m d e r p o l i t i s c h e n G e m e i n d e sein, sodaß d i e T e i l n a h m e a n d e n A l l m e n d n u t z u n g e n als A u s f l u ß des p o l i t i s c h e n B ü r g e r r e c h t e s e r s c h e i n t . E s k a n n a b e r a u c h einer b e s o n d e r e n R e a l g e m e i n d e ge-
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Zweiter Teil.
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§11.
hören, welche den Charakter einer privatrechtlichen Korporation besitzt. Kämmereivermögen dagegen kann nur die politische Gemeinde haben. 2. [Bezüglich des Wirkungskreises der Gemeinden g i l t der Grundsatz der Universalität. Das heißt: der Wirkungskreis der Gemeinde erstreckt sich nicht blos auf einzelne, in den Gesetzen namentlich aufgezählte Angelegenheiten, sondern grundsätzlich auf alles, was für das Gemeindegebiet u n d seine Bewohner gemeinnützig ist. D e r kommunale Wirkungskreis ist — in diesem Sinne — nicht sachlich, sondern nur örtlich begrenzt. Aus i h m scheiden aus nur solche Angelegenheiten, welche nach ihrer A r t und Bedeutung über den kommunalen, m i t Begriffsnotwendigkeit l o k a l e n , Interessenkreis hinausragen, welche der Staat — als L a n d und Reich — aus diesem Grunde oder aus anderen Gründen sich ausschließlich vorbehalten oder höheren Kommunalverbänden (Kreis, Provinz) überwiesen h a t 1 . ] Der Schwerpunkt der Gemeindetätigkeit liegt wie die der Kommunaiverbände überhaupt, auf dem Gebiete der inneren und der Finanzverwaltung. Auf dem Gebiete der i n n e r e n V e r w a l t u n g kommt namentlich die O r t s p o l i z e i in Betracht. Sie w i r d regelmäßig von Gemeindeorganen ausgeübt. Die rechtliche Auffassung dieses Verhältnisses ist allerdings verschieden. Nach den Anschauungen einiger Gesetzgebungen steht die Ortspolizeigewalt der Gemeinde als solcher z u 2 . I n anderen Gesetzgebungen, namentlich i n der preußischen, w i r d dagegen die Polizei als ein ausschließliches Recht des Staates aufgefaßt; die Ausübung der Ortspolizei erfolgt meistens auch hier durch Gemeindeorgane, aber diese Ausübung geschieht im Namen und kraft Auftrages des Staates 8 [ „ i m Namen des Königs" wie die preußischen Gesetze sagen]. Übrigens haben sich fast alle Staaten vorbehalten, in größeren Städten besondere staatliche 1 Anschütz i n der Berliner Festschrift für H . Brunner (1914) S. 351. Übereinstimmend E. v. Meier, Enzykl. 6. Aufl. S. 643, Schoen, das. 7. Aufl. 4 248. Über den Begriff und das Wesen der G-emeinde, ihre Stellung zum Staat, und die Grenzen des staatlichen Aufsichtsrechts vgl. bes. Preuß, Das städtische Amtsrecht i n Preußen. 2 Württemb. GO vom 28. J u l i 1906, A r t . 8; Badische StO § 5 Abs. 2 und GO § 6 Abs. 2; S.-Weimar. GO A r t 6; Braunschweig. StO § 1, L G O § 3. 3 [Dieser Grundsatz, das Prinzip der Staatlichkeit aller Polizei, ist i n das preußische Recht durch die StO vom 19. November 1808, § 166 eingeführt und allgemein durch das Gesetz über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850, § 1, die V . über die Polizeiverwaltung i n den neuen Provinzen vom 20. September 1867, § 1 sowie die Kreisordnungen — vgl. K r O für die östl. Provinzen vom 13. Dezember 1872, § 46 ausgesprochen. Vgl. Schulze, Preuß. StR 1 452, 2 310, Rosin, PolVerordnR 233, E. v. Meier, Enzykl. (6. Aufl.) 649 ff, Schoen, das. (7. Aufl.) 4 249, Anschütz, Polizei, Staat und Gemeinde i n Preußen, i n der Berliner Brunner - Festschrift von 1914, S. 339 ff. Das preußische System w i r d de lege ferenda verteidigt von E. v. Meier a. a. O., angegriffen von Schulze, Anschütz und von Preuß, Städtewesen 1 248ff, Zur preußischen Verwaltungsreform (1910) 27, 97 ff.].
D i e Organe.
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Polizeiverwaltungen einzurichten 4 . D a , wo die Gemeinden für die Ausübung der örtlichen Polizeiverwaltung zu k l e i n oder wo i n denselben geeignete Organe dafür nicht vorhanden sind, w i r d die Ortspolizei für eine Reihe von Gemeinden einem staatlichen Beamten übertragen 5 . [Den Gemeinden steht ferner auf dem Gebiete des öffentlichen S c h u l w e s e n s die Tragung der Schullasten und die Verwaltung der sogenannten äußeren Schulangelegenheiten (d. h. die Herstellung der für die Lehr- und Lerntätigkeit i n der Schule erforderlichen Vorbedingungen und M i t t e l ) a , i n kleineren Orten die des Elementar-, in größeren Städten auch die des höheren Schulwesens zu.] A u f den Gemeinden liegt ein großer Teil der W e g e b a u l a s t e n ; insbesondere sind sie zur Unterhaltung der öffentlichen Wege innerhalb des Gemeindebezirks (Ortsstraßen) verpflichtet. D i e Gemeinden sind das hauptsächlichste Organ der A r m e n p f l e g e und haben wichtige Funktionen auf dem Gebiete des K r a n k e n V e r s i c h e r u n g s w e s e n s , sowie die Sorge für die S t a n d e s b e a m t u n g . F ü r das M i l i t ä r w e s e n haben die Gemeinden namentlich insofern eine Bedeutung, als ihnen die Beschaffung von Quartier für die bewaffnete Macht in Friedenszeiten und ein großer T e i l der Kriegsleistungen obliegt. B e i der F i n a n z v e r w a l t u n g sind sie nicht nur dadurch beteiligt, daß ihnen die Verwaltung ihrer eigenen Finanzen zusteht, sondern sie werden auch für die Veranlagung und Erhebung von Staatssteuern i n umfassender Weise herangezogen. Die Gemeinden entwickeln außerdem eine umfangreiche Tätigkeit auf dem Gebiete der l o k a l e n W o h l f a h r t s p f l e g e , wie sie sich i n der 4 Preuß. G. über die Polizei Verwaltung vom 11. März 1850 § 2, Preuß. V. über die Polizeiverwaltung i n den neu erworbenen Landesteilen vom 20. September 1867. V g l . v. Rönne, PrStR 1 § 112 und 113 S. 571 ff... Preuß. Polizeikostengesetz vom 3. J u n i 1908 (dazu Anschütz i m JahrbÖffentlR 3 455 ff , Art. Polizeikosten i n v. Bitters Wörterbuch der preußischen Verwaltung. Bayr. G. vom 15. September 1818, Sächs. rev. StO § 101, Bad. V . vom 15. J u n i 1876, Hess. StO A r t . 129 a, 129 c (anders A r t . 128 a, 128b LGO), Reuß ä. L . GO A r t . 9, Schaumburg-Lippe StO § 51. 5 So i n den östlichen Provinzen Preußens und i n Schleswig-Holstein den Amtsvorstehern (KrO f. d. östl. Prov. vom 13. Dezember 1872 § 59, K r O für Schleswig-Holstein vom 26. Mai 1888 § 51), i n Posen den Distriktskommissarien [v. Rönne, PrStR 1 § 112 S. 577; Entsch. des preuß. O V G 36 153 ff.l, i n Hannover den Landräten (KrO vom 6. M a i 1884 8 24, i n Westfalen den Amtmännern (KrO vom 31. J u l i 1886 § 29), i n der Rheinprovinz den Bürgermeistern (KrO vom 30. Mai 1887 § 28), i n S.-Altenburg den Amtsvorstehern (G. vom 13. Juni 1876), in A n h a l t den Amtsvorstehern (G. vom 7. A p r i l 1878). I n Hessen-Nassau ist die B i l d u n g gemeinsamer Ortspolizeibezirke aus mehreren Gemeinden zulässig, i n denen einer der Bürgermeister die Ortspolizei ausübt (LGO § 64; vgl. E. v . Meier, Enzykl. S. 651). » V g l . preußische Verfassung Art. 24 Abs. 3: „Die L e i t u n g der äußeren Angelegenheiten der Volksschule steht der Gemeinde zu." Anschütz, Kommentar zur preußischen Verfassung 1 411 ff, 457 ff. M i t dem preußischen stimmt das bayerische Recht überein: v. Seydel - Graßmann, Bayerisches Staatsrecht 2 566 ff.
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Sorge für Straßenpflasterung, Straßenbeleuchtung, Kanalisation, Anlage v o n Wasserleitungen, Gasanstalten, Elektrizitätswerken, Straßenbahnen, M a r k t h a l l e n , Schlachthäusern u n d dergleichen äußert. D i e G e m e i n d e n b e s i t z e n e n d l i c h eine R e i h e v o n B e f u g n i s s e n , w e l c h e s i c h a u f i h r e e i g e n e O r g a n i s a t i o n beziehen. Sie h a b e n das R e c h t , i n n e r h a l b des R a h m e n s d e r Staatsgesetzgebung d u r c h autonomische Bestimmungen (Ortsstatuten) ihre Verfassung z u regeln u n d unter staatlicher Bestätigung ihre O b r i g k e i t e n zu bestellen. 3. D i e G e m e i n d e n k ö n n e n e n t w e d e r m i t d e n O r t s c h a f t e n i d e n t i s c h s e i n o d e r aus m e h r e r e n O r t s c h a f t e n bestehen. I n l e t z t e r e m F a l l e besorgen d i e O r t s c h a f t e n i n d e r R e g e l gewisse untergeordnete F u n k t i o n e n selbständig u n t e r eigenen Organen. Dieses System k o m m t namentlich i n Süddeutschland v o r 6 . Wo die Gemeinden n u r e i n e Ortschaft umfassen, reichen häufig die M i t t e l der einzelnen Gemeinde z u r E r f ü l l u n g gewisser A u f g a b e n n i c h t a u s t [ I n diesem F a l l e k ö n n e n f ü r e i n z e l n e Z w e c k e , z. B . Armenpflege, U n t e r h a l t u n g der Volksschule, Wegeunterhaltung, Festsetzung der F l u c h t l i n i e n , Wasserversorgung, Beschaffung v o n Feuerlöschgerätschaften, mehrere benachbarte Gemeinden zu Verbänden (in der Sprache der preußischen Gesetzgebung „ Z w e c k v e r b ä n d e " g e n a n n t 7 ) vereinigt werden.] 6 Bayr. GO A r t . 153, GO für die Pfalz Art. 82—84, Württemb GO A r t . 168ff., Bad. GO §§ 167ff. und StO §§ 144ff., Hess. L G O Art. 12. Außerdem i n Oldenburg, Oldenb. GO vom 15. A p r i l 1873, A r t . 1 und 2, G. vom 29. Dezember 1896. 7 [Preußisches Zweckverbandsgesetz vom 19. J u l i 1911 und Zweckverb anasgesetz für Groß-Berlin vom gleichen Datum. Vgl. dazu Genzmer, Kommentar zur L G O von 1891 245ff., Art. Zweckverbände i n v . Bitters Wörterbuch der preußischen Verwaltung, Matthias, A r t . Zweckverbände i m W S t V R 3 1030 tt. (mit Literaturangaben). Denselben Charakter wie die Zweckverbände des preußischen haben die „Gemeindeverbände" des württembergischen Rechts: Württemb. GO Art. 184ff., ebenso oder ähnlich Hessen, L G O A r t . 95ff., Sächs. L G O §§ 89ff., RevStO § 7 Abs. 2, Anhalt. GO §§ 229ff. — I n den früheren Auflagen wurden die Zweckverbände als „ S a m t g e m e i n d e n „ bezeichnet. Diese Bezeichnung ist nicht zutreffend. Die im Text gemeinten Verbände übertragen der Verbandstätigkeit, also dem Zusammenwirken der verbundenen Gemeinden, nur e i n z e l n e kommunale Angelegenheiten, während den Einzelgemeinden, jeder für sich, die Gesamtheit dieser Angelegenheiten verbleibt. Unter einer „Samtgemeinde" versteht der herrschende Sprachgebrauch aber gerade das umgekehrte Verhältnis: mehrere Einzelgemeinden sind zu einem verband („Samtgemeinde") vereinigt, welcher die Totalität des kommunalen Wirkungskreises beherrscht, indes die Einzelgemeinden auf einzelne, für sie ausgesonderte Stücke dieses Wirkungskreises beschränkt sind. V g l . die vorige N., K e i l , Kommentar zur L G O von 1891 355 ff., E. v. Meier. Enzykl. (6. Aufl.) 712, Schoen, das. (7. Aufl.) 4 250. Echte Samtgemeinden sind die rheinischen Landbürgermeistereien und westfälischen Amter (letztere, soweit sie zu Kommunalverbänden erklärt sind), ferner die Kirchspielsgemeinden i n Schleswig-Holstein (vgl. den A r t i k e l Samtgemeinden i n v. Bitters Wörterbuch der preußischen Verwaltung) und die württembergischen zusammengesetzten Gemeinden („Gesamtgemeinden"): Württemb. GO A r t . 168ff., endlich die „zu einer Gemeinde vereinigten Ortschaften" des bayrischen
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4. Da, wo die Gemeinden die örtliche Gliederung des Staates für die Durchführung seiner Aufgaben darstellen, muß notwendig das ganze Staatsgebiet i n Gemeindeverbände zerfallen. Dies ist die Bedeutung der Bestimmung der neueren Gemeindeordnungen, daß jedes Grundstück i m Staate einer Gemeinde angehören müsse. Doch werden größere zusammenhängende Güter von vielen Gesetzgebungen [namentlich in Preußen] 8 den Gemeinden gleichgestellt. Der Gutsbezirk vertritt die Stelle der Gemeinde, der Gutsbesitzer übernimmt die Rechte und Pflichten derselben und er oder sein Stellvertreter übt die Funktionen des Gemeindevorstehers aus. Dagegen ist die Gewalt, welche früher den Rittergütern über die abhängigen Bauerngemeinden zustand, namentlich die gutsherrliche Polizei, durch die neuere Gesetzgebung beseitigt worden 9 . 5. Das Gebiet der Gemeinde w i r d als G e m a r k u n g bezeichnet. Z u Veränderungen i n den Grenzen der Gemeinden ist ein Beschluß der Staatsbehörden und entweder Zustimmung oder wenigstens gutachtliche Äußerung der beteiligten Gemeinden erforderlich. F ü r Auflösung und Neubildung bestehender Gemeinden w i r d sogar häufig ein A k t der gesetzgebenden Organe verlangt10.
§ 112. 1. Die G e m e i n d e m i t g l i e d s c h a f t 1 war i n früherer Zeit i n den Städten häufig an die Angehörigkeit zu einer Z u n f t , i n und badischen Rechts (Bayer. GO A r t . 153, Bad. GO §§ 167 ff, vgl. oben, im Text und N. 6), diese jedoch nur dann, wenn und soweit die einzelnen Ortschaften die Eigenschaft von Gemeinden im Rechtssinne, d. h. von kommunalen Verbänden mit dem Recht zur Selbstverwaltung ihrer besonderen Angelegenheiten innewohnt.] 8 [Aus der reichhaltigen Literatur über das Recht der selbständigen Gutsbezirke i n Preußen ist nervorzuheben: Keil, Kommentar zur L G O vom 3. J u l i 1891, 1 ff., 318 ff.; Genzmer, Entstehung und Rechtsverhältnisse der Gutsbezirke; derselbe, Kommentar zur L G O §12ff.; Loening i n den Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik 3. Folge 3 161 flf; E. v. Meier, Enzykl. (6. Aufl.) 710ff; Schoen, das. (7. Aufl.) 249; derselbe, Recht der Kommunalverbände 339 ff. Art. Gutsbezirk „im W S t V R und in Bitters Wörterbuch der preußischen Verwaltung. — Über ähnliche Verhältnisse i n andern deutschen Einzelstaaten vgl. v. Seydel-Piloty, Bayer. StR 1 539 ff., O. Mayer, Sächs. StR 294 ff, Walz, Bad. StR 191.] 9 S. hierüber die i n Note 8 angegebene Literatur. 10 Brockhausen, Vereinigung und Trennung von Gemeinden, W i e n 1893. A u f Grundlage des österreichischen Rechts kommt der Verf. zu dem Ergebnis, daß die Veränderungen i n dem Bestände der Gemeinden durch den W i l l e n der Gemeinden erfolgen (a. a. 0 . 32, 119). [ I n Deutschland g i l t dies nur in Württemberg, Württemb. GO A r t . 2; im übrigen ist Regel, daß Veränderungen im Bestände der kommunalen Gebiete nur durch den Staatsw i l l e n bewirkt werden können (vgl. 0 . Mayer, Deutsches V e r w R (1. Aufl.) 1 450), wenn sich auch die Frage bestimmt nur vom Standpunkte einer einzelnen Gesetzgebung beantworten läßt. Vgl. Art. Gemeinde im W S t V R , 2 43 ff. Stephan im VerwArch 11 S. 317 ff.]. 1 Loening, V R 157 ff.; Schoen, Kommunalverbände 80 ff., i n der Enzykl. (7. Aufl.) 4 244 ff; Art, Gemeinde i m W S t V R 112, 2 47 ff; Wielandt, Handb.
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den Landgemeinden i n der Regel an den Besitz eines bäuerlichen Grundstückes geknüpft. Das Erfordernis des Grundbesitzes ist für die Landgemeinden auch noch i n einzelnen neueren Gemeindeordnungen festgehalten worden. Dagegen ist die Bedingung der Zugehörigkeit zu einer Z u n f t m i t Einführung der Gewerbefreiheit allgemein aufgegeben. Die Gemeindemitglieder zerfielen noch i m neunzehnten Jahrhundert nach den Gesetzgebungen der meisten deutschen Staaten (ausgenommen Preußen, vgl. unten 2) in zwei Klassen: die G e meindeangehörigen (Heimatsberechtigten) und die G e meindebürger. D i e G e m e i n d e a n g e h ö r i g k e i t oder das H e i m a t r e c h t gewährte die Befugnis, sich dauernd in der Gemeinde aufzuhalten, Grundbesitz i n ihrem Gebiete zu erwerben, sich daselbst zu verheiraten und einen Hausstand zu begründen, die Gemeindeanstalten zu benutzen, Gewerbe zu betreiben, ferner den Anspruch, von der Gemeinde i m F a l l der Verarmung unterstützt zu w e r d e n 2 . M i t ihm war die Pflicht verbunden, zu den Gemeindelasten beizutragen 8 . Das Heimatsrecht wurde erworben durch Geburt (Abstammung von einem Gemeindeangehörigen), Anstellung, Verheiratung, Zuweisung durch die Regierung, welche bei heimatlosen Personen erfolgte, und Aufnahme seitens der Gem e i n d e 4 . Die Aufnahme war an gewisse Erfordernisse geknüpft, deren Vorhandensein aber auch dem Nachsuchenden in der Regel einen Rechtsanspruch auf Aufnahme gewährte. Verloren wurde das Heimatsrecht durch Erwerb eines andern Heimatsrechtes, durch Verlust der Staatsangehörigkeit und durch Aufgabe des Wohnsitzes, wenn es nicht speziell vorbehalten w a r 5 . des badischen Gemeinderechts 1 673 ff.; W a l z , Bad. StR 177 ff; Jebens i m P r V B l 22 37 ff., 49 ff.; Stier-Somlo, Der verwaltungsgerichtliche Schutz des Bürger- und Einwohnerrechts i n Preußen (VerwArch 12 354, auch i m Sonderab d ru ck) 2 Hann. StO § 36, Kurhess. GO vom 23. Okt. 1834 §§ 9 und 10 vgl. mit V . vom 29. Nov. 1823, Bayr. G. vom 16. A p r i l 1868 A r t . 13, W ü r t t . G. vom 4. Dez. 1833 Art. 2 - 5 , Bad. G B R G § 1, S.-Mein. G. vom 11. März 1848 A r t . 31, S.-Alt. G. vom 9. Aug. 1833 § 5, S.-Goth. GG § 5, S.-Kob. G G A r t . 26, Anh.-Dess. GO vom 1. März 1852 § 8, Anh.-Bernburg GO vom 12. A p r i l 1855 § 8, L i p p . V . vom 2. März 1841 §§ 15, 16, 50. Schaumb.-Lipp. L G O § 4, StO § 6. 8 Hann. StO § 13, W ü r t t . G. vom 4. Dez. 1833 A r t . 63 und 64, Verw. Ed. § 25, G. vom 15. J u n i 1853, S.-Goth. GG §§ 186 und 187, S.-Kob. GG A r t . 27 und 149, Anh.-Dess. GO §§ 9 und 25, Anh.-Bernb. GO §§ 9 und 25, Wald. GO § 14. * K u r h . GO §§ 10—16, Nass. GO vom 26. J u l i 1854 §§ 70 ff, Bayr. G. vom 16. A p r i l 1868 A r t l f f . , G. vom 17. J u n i 1896 §S 1 - 4 , G. vom 23. Dez. 1873, W ü r t t . G. vom 4. Dez. 1833 Art. 13 ff, Bad. B R G §§ 4 ff., S.-Mein. G. vom 11. März 1848 Art. 32ff., S.-Alt. G. vom 9. Aug. 1833 §§ 9 ff, S -Goth. G G §§ 7 ff., S.-Kob. GG §§ 7 ff., S.-Kob. H G A r t . 8 ff, Anh.-Bernb. GO § 19, Lipp. V . vom 2. März 1841 §§ 4ff., Schaumb.-Lipp. L G O § 3, StO § 6. — I n Hannover erfolgte der Erwerb des Heimatrechtes durch Erwerb des Wohnrechtes, Hann. StO § 12. ß Kurhess. GO §§ 11—13, 16—18, Nass. GO § 89, Bayr. G. vom 16. A p r i l
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D i e G e m e i n d e b ü r g e r besaßen alle Rechte der. Heimatberechtigten, außerdem aber noch das Wahlrecht und die W ä h l barkeit zu den Gemeindeämtern 6 . Nach einigen Gemeindeordnungen war die Befugnis zur Verehelich ung, das Recht, Grundeigentum zu erwerben oder ein Gewerbe zu betreiben, nicht an den Besitz des bloßen Heimatrechtes, sondern an den des aktiven Bürgerrechtes geknüpft. Auch die Teilnahme an den Gemeindenutzungen war da, wo sich nicht eine besondere Real- oder Nutzungsgemeinde erhalten hatte, Ausfluß nicht des Heimat-, sondern des Gemeindebürgerrechtes. Die Gemeindebürger hatten die Pflicht, die ihnen übertragenen Gemeindeämter zu übernehmen 7 . D i e Erwerbung des Bürgerrechtes erfolgte nach diesem System nirgends von selbst kraft Gesetzes als unmittelbare Rechtsfolge des Vorliegens gewisser Tatsachen und E r fordernisse, sondern stets durch besonderen Rechtsakt: durch Verleihung seitens der Gemeinde8. [Man nennt dieses System das der g e s c h l o s s e n e n Bürgergemeinde (Ortsbürgergemeinde), im Gegensatz zu dem der Einwohnergemeinde, s. u. N r . 2.] Die Verleihung war auf solche Personen beschränkt, welche die gesetzlich vorgeschriebenen Erfordernisse besaßen. Die Staatsangehörigen hatten unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf den Erwerb des Gemeindebürgerrechtes. Andrerseits durfte die Gemeinde von gewissen Personen, namentlich solchen, die i n ihr Grundeigentum erwarben oder Gewerbe betrieben, den Erwerb des Gemeindebürgerrechtes fordern. D i e Heimatsberechtigten konnten das Gemeindebürgerrecht i n der Regel unter erleichterten Bedingungen erlangen 9 . Das Gemeindebürgerrecht ging verloren durch Verlust der zum Erwerb des Bürgerrechtes erforderlichen Eigenschaften, durch Verlegung des Wohnsitzes außerhalb der Gemeinde oder Erwerb eines anderen Bürgerrechtes, wenn es nicht besonders vorbehalten wurde, und durch Verzicht, der jedoch nur dann zulässig 1868 Art. 14, W ü r t t . G. vom 4. Dez. 1833 § 66, Bad. B R G §§ 70 und 71, S.-Alt. G. vom 9. Aug. 1833 § 46, S.-Goth. GG § 45, S.-Kob. H G Art. 26, Lipp. V . vom 2. März 1841 § 22, Schaumb.-Lipp. L G O § 3. 6 Hann. StO § 19, Kurhess. GO §§ 20 und 21, Bayr. GO A r t . 19, GO für die Pfalz Art. 6, S.-Mein. G. vom 11. März 1848 A r t . 19, S.-Kob. GG Art. 29, Anh. - Dess. StO §§ 3—5, Anh.-Bernb. StO vom 12. A p r i l 1855 ^ 3 — 5 , ^ Schaumb.-Lipp. StO § 6, L i p p . StO vom 16. Mai 1843 § 10, Wald. ^ Bayr. GO A r t . 19, S.-Kob. GG A r t . 47, Anh.-Dess. StO § 6, Anh.-Bernb. StO § 6. 8 Hann. StO §§ 21—26, Kurhess. GO §§ 2 7 - 3 0 , Bayr. GO Art. 10—17, S.-Mein. G. vom 11. März 1848 Art. 14, 26, G. vom 15. A p r i l 1868 A r t . 26 und 28, S.-Kob. G G A r t . 31—33, 43, Anh.-Dess. GO § 6 ff., Anh.-Bernb. GO §6ff., Lipp. StO vom 16. Mai 1843 §§ 12—14, Schaumb.-Lipp. StO §§ 15—22, Wald. GG § 16. 9 Kurhess. GO §§ 26 und 27, S.-Mein. G. vom 11. März 1848 A r t , 31, S.-Kob. G G A r t . 40, Anh.-Dess. StO § 14, Anh.-Bernb. StO § 14, Schaumb.Lipp. StO § 22.
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w a r , wenn keine Verpflichtung zum Erwerb des Bürgerrechtes existierte 1 0 . F ü r den Erwerb der Gemeindeangehörigkeit oder des Bürgerrechtes mußte i n der Regel eine Gebühr ( A u f n a h m e g e b ü h r , E i n z u g s g e l d , B ü r g e r g e w i n n g e l d ) entrichtet werden. W o l l t e der Aufgenommene an den Gemeindenutzungen teilnehmen, so war dazu oft die Erlegung eines besonderen Einkaufsgeldes erforderlich n . V o n den Gemeindeangehörigen wurden noch unterschieden die S c h u t z g e n o s s e n (Schutz verwandte) u n d F l u r g e n o s s e n . S c h u t z g e n o s s e n hießen diejenigen Personen, welche, ohne heimatsberechtigt zu sein, das Recht hatten, i n einer Gemeinde zu wohnen und die Gemeindeanstalten zu benutzen. Dieses Recht wurde durch provisorische Anstellung oder besondere Erlaubnis des Gemeindevorstandes erworben. M i t ihm war die Verpflichtung verbunden, gewisse Abgaben zur Gemeindekasse zu z a h l e n 1 2 . F l u r g e n o s s e n (Forensen, Ausmärker) hießen solche Personen, welche, ohne Gemeindeangehörige zu sein, Grundstücke i n einer Gemeinde besaßen. Sie mußten diejenigen Abgaben m i t entrichten, welche auf den Grundbesitz umgelegt waren, und hatten das Recht, für ihre Grundstücke die Gemeindeanstalten zu benutzen. D a m i t verband sich häufig die Befugnis, an der Fassung der Gemeindebeschlüsse teilzunehmen, namentlich wenn diese sich auf Abgaben von Grundeigentum bezogen 1 3 . 2. Nach allen diesen Gesetzgebungen war der Anspruch auf Armenunterstützung von der ausdrücklichen Verleihung des Heimatsrechtes oder der Gemeindeangehörigkeit seitens der Gemeinde abhängig. Anders nach der p r e u ß i s c h e n Gesetzgebung. Schon das Allgemeine L a n d r e c h t 1 4 bestimmte, daß von den Gemeinden außer ihren Mitgliedern auch diejenigen Personen im Falle der Hilfsbedürftigkeit unterstützt werden sollten, welche, 10 Hann. StO §§ 3 2 - 3 8 , Kurhess. GO § 30, Bayr. GO Art. 18, S.-Mein. G. vom 15. Aug. 1840 A r t . 28, S.-Kob. G G A r t , 46, Anh.-Dess. StO §§20—21, Anh.-Bernb. StO §8 20—21, L i p p . StO vom 16. Mai 1843 §§ 23—28, Schaumb.Lipp. StO § 26, Wald. GO §§ 17—19. 11 Hann. StO §§ 28 und 37, Kurhess. GO §§ 23—24, 31, Bayr. G. vom 16. A p r i l 1868 A r t . 8ff., G. vom 17. Juni 1896 § 5, GO A r t . 2 0 f f , W ü r t t . G. vom 4. Dez 1833 A r t . 29—31, Bad. B R G §§ 33 ff, S.-Mein. G. vom 11. März 1848 Art. 19, S . - A l t . G. vom 3. Aug. 1833 § 3 , S.-Goth. GG S§ 31 ff., S.-Kob. G G A r t . 3 7 f f , L i p p . V. vom 2. März 1841 § 12, StO vom 16. Mai 1843 § 13, Schaumb.-Lipp. GO §§ 23 und 55, W a l d . GO § 112. 12 Kurhess. GO § 35, W ü r t t . G. vom 4. Dez. 1833 A r t . 10—12, S.-Goth. GG §§ 59—61, 186, S.-Kob. G G A r t . 48—51, 149, L i p p . StO vom 16. Mai 1843 §§ 2 9 - 3 0 . Hann. StO § 13, L G O § 6 5 , G. vom 5. Sept. 1848 § 13, Hess., G., die M i t w i r k u n g der Forensen bei Festsetzung der Gemeindevoranschläge betr., vom 22. Nov. 1872, S.-Mein. G. vom 11. März 1848 Art. 39—40, G. vom 15. A p r i l 1868 Art. 30, S.-Goth. GG §§ 63—65, 186, S.-Kob. G G A r t . 54, 149, Lipp. StO vom 16. Mai 1843 § 9, W a l d . GO § 119. " A L R H 19 §§ 11, 12.
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ohne Mitglieder zu sein, zu den öffentlichen Lasten derselben beigetragen hatten. I n Fortbildung dieser Grundsätze regelte ein Gesetz vom 31. Dezember 1842 die Verpflichtung zur Armenpflege, Nach diesem sollte zur Unterstützung eines Armen diejenige Gemeinde verpflichtet sein, i n welcher derselbe: 1. als Mitglied ausdrücklich aufgenommen war, 2. unter Beobachtung der Vorschriften des angeführten Gesetzes vom 31. Dezember 1842 einen Wohnsitz erworben oder 3. nach erlangter Großjährigkeit während der drei letzten Jahre vor dem Z e i t p u n k t e , wo seine Hilfsbedürftigkeit hervortrat, seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hatte. [Durch ein Gesetz gleichen Datums — Gesetz vom 31. Dezember 1842 über die Aufnahme neu anziehender Personen — wurde Freizügigk e i t i m ganzen Gebiete des Staates gewährt und dadurch nun auch das Recht der Aufenthalts- und Wohnsitznahme, sowie des Grunderwerbes aus dem Zusammenhange m i t der Gemeindeangehörigkeit gelöst, nachdem die Befugnis zum Gewerbebetrieb schon durch die Einführung der Gewerbefreiheit in den Jahren 1810 und 1 8 1 1 a von dem Besitz des Heimats- oder Bürgerrechts unabhängig gemacht worden war. A u c h die Verehelichungsfreiheit war in Preußen früher als anderwärts anerkannt, schon die StO von 1808 weiß nichts mehr davon, daß das Recht, sich zu verheiraten, nur dem Gemeindeangehörigen oder -bürger i n seiner Heimatgemeinde zusteht. Das Ergebnis dieser E n t w i c k l u n g ist, daß diejenigen Rechte und Vorteile, welche in den Mittel- und Kleinstaaten den Hauptinhalt der Gemeindemitgliedschaft bildeten (Recht auf Niederlassung und Grunderwerb, Verehelichung, Gewerbebetrieb und Armen Unterstützung), in Preußen schon i n der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts aus Rechten des Gemeindeangehörigen zu Rechten jedes S t a a t s a n g e h ö r i g e n geworden waren. Damit hatte der gemeindeutsche Begriff des Heimatsrechtes für Preußen alle Bedeutung verloren. D i e Gemeindemitgliedschaft erscheint seit der revidierten StO vom 17. März 1831 b als ein ausschließlich p o l i t i s c h e s Recht, dessen Inhalt darin besteht, daß es denjenigen, der es besitzt, zur Anteilnahme an der B i l d u n g des Gemeindewillens berechtigt u n d , unter gewissen Voraussetzungen, verpflichtet. Gemeindemitglieder i m vollen Sinne dieses Wortes — G e m e i n d e b ü r g e r — sind nach preußischem Recht diejenigen, welche zur Gemeindevertretung wahlberechtigt und wählbar, sowie zur Übernahme unbesoldeter Ä m t e r in der Gemeindeverwaltung befähigt und verpflichtet s i n d c . Neben diesen volla Gewerbesteueredikt vom 9. Nov. 1810 und G. über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe vom 7. Sept. 1811. * RevStO von 1831 § 11. Die StO vom 19. Nov. 1808 zählt (§ 15) unter den spezifischen Vorrechten des Bürgers noch auf das Recht, städtische Gewerbe zu treiben und Grundstücke i m Stadtbezirk zu besitzen. c StO für die östlichen Provinzen vom 30. Mai 1853, § 5, L G O für die östlichen Provinzen vom 3. J u l i 1891, § 40 und die entsprechenden Bestimmungen der i n den westlichen und neuen Provinzen geltenden Gemeindeverfassun gsgesetze.
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berechtigten Gemeindemitgliedern stehen i n den älteren preußischen Gemeindeverfassungsgesetzen (noch in der revidierten StO von 1831) die „Schutzverwandten" — i n den späteren Gesetzen d „Gemeindeangehörige" genannt — , das sind diejenigen, welche i m Gemeindegebiet wohnen und zur Benutzung der öffentlichen Gemeindeanstalten befugt sind. Seit der (als Gesetz publizierten, aber nicht in K r a f t getretenen 0 ) Gemeindeordnung vom 11. März 1850 w i r d das Gemeindemitgliedschaftsrecht i. e. S. — Bürgerrecht — nicht mehr, wie anderwärts in Deutschland und früher auch i n Preußen, durch den konstitutiven Verwaltungsakt der Verleihung, sondern unmittelbar kraft Gesetzes, ohne und gegen den W i l l e n des Erwerbenden und der Gemeinde von jedem erworben , welcher und sobald er gewisse im Gesetz angegebene Eigenschaften (Staatsangehörigkeit, Selbständigkeit, Vollbesitz der bürgerlichen Ehre, Verfügung über ein gewisses Mindesteinkommen oder -vermögen usw.) aufweist bezw. seit einer gewissen Zeit (Jahresfrist) besitzt. Dieses, zuerst und für einen großen T e i l Deutschlands vorbildlich i n Preußen entwickelte System des Gemeindemitgliedschaftsrechts heißt das System der E i n w o h n e r gemeindet] 3. D u r c h die Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches sind die Grundsätze des preußischen Niederlassungs- und Armenrechtes auf ganz Deutschland ausgedehnt worden. Das R G über die F r e i z ü g i g k e i t 1 5 gewährt jedem Reichsangehörigen die Befugnis, innerhalb des Reichsgebietes an jedem Orte sich aufzuhalten oder niederzulassen, wo er eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen sich zu verschaffen imstande ist, und an jedem Orte Grundeigentum aller A r t zu erwerben. Andrerseits erklärt es die Gemeinden für berechtigt, diejenigen Personen welche sich i n ihrem Gebiete niedergelassen haben, nach Ablauf von drei Monaten zu den Gemeindelasten heranzuziehen. Das RG ü b e r die A u f h e b u n g der p o l i z e i l i c h e n B e s c h r ä n k u n g e n d e r E h e s c h l i e ß u n g 1 6 bestimmt, daß zur Verehelichung der Erwerb oder Besitz einer Gemeindeangehörigkeit nicht * Östl. StO § ö, östl. L G O § 7. e Oben § 107, S. 400/401. f Schoen, Recht der Kommunalverbände 80ff, Enzykl. 7. Aufl. 244ff.; Jolly, Art. Gemeindemitgliedschaft i n Stengels Wörterbuch (1. Aufl.); Walz, Bad. Staatsr. 175 ff — Eine eigenartige Mittelstellung zwischen dem älteren System der geschlossenen Ortsbürgergemeinde und dem neueren der Einwohnergemeinde nimmt das -Ortsbürgerrecht" der hess. GO vom 80. Juni 1821 ein; näheres bei Waldecter, Das Ortsbürgerrecht i n Hessen (1911). 15 R G über die Freizügigkeit vom 1. Nov. 1867, eingeführt i n Baden und Südhessen durch Art. 80 der Verf. vom 15. Nov. 1870, i n Württemberg durch Vertr. vom 25. Nov. 1870 Art. 2, i n Bayern durch RG vom 22. A p r i l 1871 i n Elßaß-Lothringen durch G. vom 8. Jan. 1873. 16 R G über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Eheschließung vom 4. Mai 1868, eingeführt i n Baden und Südhessen durch A r t . 80 der Verf. vom 15. Nov. 1870, i n Württemberg durch Vertrag vom 25. Nov. 1870 Art. 2.
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mehr erforderlich ist. Die R . - G e w e r b e o r d n u n g 1 7 erklärt die Befugnis zum Gewerbebetrieb für unabhängig vom Besitz des Bürgerrechtes. Der Gewerbetreibende muß jedoch nach A b l a u f von drei Jahren auf Verlangen der Gemeinde das Bürgerrecht erwerben , es darf aber in diesem Falle ein Bürgerrechtsgeld (Aufnahmegebühr) von ihm nicht gefordert werden. Das R G ü b e r d e n U n t e r s t ü t z u n g s w o h n s i t z 1 8 regelt die Verpflichtung zur Armenpflege. Die hauptsächlichsten Organe derselben sind die Ortsarmenverbände, welche aus einer oder mehreren Gemeinden bestehen. D i e Pflicht der Ortsarmenverbände zur Unterstützung eines Hilfsbedürftigen bestimmt sich nicht durch die Gemeindeangehörigkeit, sondern durch den Unterstützungswohnsitz desselben. Dieser w i r d erworben durch Abstammung, Verehelichung und einj ä h r i g e n ununterbrochenen Aufenthalt in einem Ortsarmenverbande nach zurückgelegtem sechzehnten Lebensjahre. E r geht verloren durch Erwerbung eines anderweitigen Unterstützungswohnsitzes und einjährige ununterbrochene Abwesenheit nach zurückgelegtem sechzehnten Lebensjahre. Diese reichsgesetzlichen Vorschriften haben außerordentlich tief i n die bisher bestehenden Grundsätze des Landesrechts über die Zugehörigkeit zur Gemeinde eingegriffen. Das H e i m a t s r e c h t hat dadurch fast alle Bedeutung verloren. Namentlich ist ihm diejenige W i r k u n g entzogen, auf welche früher das Hauptgewicht gelegt w u r d e : der Anspruch auf Armenunterstützung. Unabhängig vom Erwerb des Heimatsrechtes sind ferner das Recht zum Aufenthalt und zur Verehelichung i n einer Gemeinde, die Befugnis zum Grundstückserwerb und Gewerbebetrieb. Bestehen geblieben ist nur der Anspruch, das Ortsbürgerrecht unter erleichterten Bedingungen zu erwerben, und das Recht der Benutzung der Gern eindeanstalten. Letzteres hat jedoch keine erhebliche praktische Bedeutung. D i e meisten derartigen Anstalten (Wege, Straßen, Brücken, Beleuchtungs- und Löschanstalten, Wasserleitungen usw.) sind derart, daß ihre Benutzung niemandem verweigert werden k a n n , der in der Gemeinde seinen Wohnsitz hat. F ü r die Teilnahme an den Armenanstalten ist nicht mehr das Heimatsrecht, sondern der Unterstützungswohnsitz maßgebend. So bleiben nur etwa gewisse örtliche Stiftungen übrig, deren Genuß den Gemeinde17 RGO vom 21. Juni 1869, eingeführt i n Südhessen durch A r t . 80 der Verf. vom 15. Nov. 1870, in Württemberg und Baden durch R G vom 10. Nov. 1871, i n Bayern durch R G vom 12. J u n i 1872, i n Els.-Lothr. durch R G vom 27. Febr. 1888. 18 R G über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870, eingeführt i n Südhessen durch A r t . 80 der Verf. vom 15. Nov. 1870, i ü Württemberg und Baden durch R G vom 8. Nov. 1871, i n Elsaß-Lothringen durch R G vom 30. M a i 1908. I n Gestalt der neueren Fassung, welche aas Unterstützungswohnsitzgesetz durch das R G vom 30. Mai 1908 erhalten hat, ist es i n Bayern (vom 1. Jan. 1916 ab, vgl. Kaiserl. V. vom 4. A p r i l 1915, R G B l 221) ein-* geführt worden durch R G vom 30. J u n i 1913. Es g i l t jetzt also i m ganzen Reichsgebiet.
G. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
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angehörigen speziell vorbehalten ist. A u c h die Verpflichtung, zu den Gemeindelasten beizutragen, erscheint nicht mehr als Folge der Gemeindeangehörigkeit, sondern als Folge eines einigermaßen dauernden (mehr als dreimonatlichen) Aufenthaltes i n der Gemeinde. Dagegen hat das G e m e i n d e b ü r g e r r e c h t seine Bedeutung i m wesentlichen bewahrt. N u r fiir Grundstückserwerb und Gewerbebetrieb ist es nicht mehr erforderlich. Aktives und passives Wahlrecht aber und die Verpflichtung zur Übernahme von Gemeindeämtern sind auch ferner an dasselbe geknüpft. Die Klasse der S c h u t z g e n o s s e n (Schutzverwandten) ist infolge der Reichsgesetzgebung vollständig verschwunden, da niemand mehr einer besonderen Erlaubnis zur Niederlassung i n einer Gemeinde bedarf, und alle W i r k u n g e n der früheren Schutzgenossenschaft jetzt einfache W i r k u n g e n der Niederlassung sind. Unverändert erhalten hat sich die Klasse der F o r e n s e n , j a infolge des Umstandes, daß der Erwerb von Grundstücken von dem Besitz des Gemeindebürgerrechtes durchaus unabhängig ist, sogar eine erhöhte praktische Bedeutung gewonnen. Nach Lage der reichsgesetzlichen Vorschriften über Niederlassungs- und Armenrecht besteht keinerlei Bedürfnis mehr, den Erwerb des Heimatsrechtes an einen speziellen A k t der Aufnahme oder Verleihung zu knüpfen. Deshalb sind die meisten neueren Gemeindegesetzgebungen dem Vorbilde des preußischen Rechtes gefolgt und haben für G e m e i n d e a n g e h ö r i g e alle diejenigen Personen erklärt, w e l c h e i n d e r G e m e i n d e i h r e n W o h n s i t z h a b e n 1 9 . Diese sind zur Benutzung der Gemeindeanstalten befugt und nach A b l a u f von drei Monaten zur Teilnahme an den Gemeindelasten verpflichtet. Unter ihnen treten die G e m e i n d e b ü r g e r ( G e m e i n d e m i t g l i e d e r i. e. S.) als bevorrechtigte Klasse hervor, d. h. diejenigen Personen, welche dss aktive und passive Wahlrecht zu den Gemeindeämtern sowie die Fähigkeit und Pflicht zur Übernahme derselben besitzen, wofür ihnen andrerseits mitunter gewisse Nutzungsrechte am Gemeindevermögen zustehen. [Bezüglich des Erwerbs des Bürgerrechts verhalten sich die deutschen Gesetzgebungen verschieden. D i e einen halten an dem älteren System der geschlossenen Bürgergemeinde (oben 425) fest und lassen 39 Sächs. rev. StO § 14, L G O §§ 15 und 16, W ü r t t . G. vom 16. Juni 1885 Art. 46, Bad. StO §7. Auch die bad. GO §10 und 11 knüpft das aktive und passive Wahlrecht jetzt an den Wohnsitz, so daß das Gemeindebürgerrecht wesentlich nur für die Allmendnutzungen von Bedeutung ist. Ebenso Hess. StO A r t , 16, L G O A r t . 16, S.-Weim. GO A r t . 1, S.-Mein. GO A r t . 12, 18, S.-Alt. StO § 8, D O § 4, Braunschw. StO § 10, L G O § 12, Old. GO Art. 3, Anh. GO § 16, Schw.-Sondersh. GO 5 25, Schw.-Rud. GO Art. 2, 19, Reuß ä. L . GO A r t . 20, Reuß j . L . GO Art. 17, L i p p . StO § 2, DGO § 2. A u f demselben Standpunkte stehen natürlich auch die neueren preußischen Gemeindeesetze: Hess.-Nass. StO § 3 L G O § 7, L G O für die östlichen Provinzen 7, für Schleswig-Holstein § 7, für Hohenzollern (vom 2. J u l i 1900) § 7.
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demzufolge das Bürgerrecht grundsätzlich nur durch einen besonderen, konstitutiven Verwaltungsakt der Gemeinde — V e r l e i h u n g — entsteheng, während nach den andern das Bürgerrecht, dem Prinzip der Einwohnergemeinde entsprechend, jedem anfällt, der u n d sobald er gewisse im Gesetz bezeichnete Eigenschaften aufweist 1 1 und demzufolge erlischt, wenn eine dieser Eigenschaften wegfällt*.] A u c h nach diesen j e t z t geltenden Gesetzen ist mitunter die Zahlung eines besonderen Bürgerrechtsgeldes für die Aufnahme i n den Bürgerverband oder die Erlegung eines Einkaufsgeldes für die Teilnahme an den Bürgernutzungen vorgeschrieben 2 0 . Dagegen darf wegen der bloßen Niederlassung reichsgesetzlich eine Abgabe nicht erhoben w e r d e n 2 1 . W o die geschlossene Bürgergemeinde festgehalten ist, findet sich auch wohl ein Zwang zum Erwerb des Bürgerrechtes 11 . § 113. I . I n bezug auf die G e m e i n d e v e r f a s s u n g bestehen i n Deutschland zwei Systeme. Nach dem einen ist die Verfassung für S t ä d t e und L a n d g e m e i n d e n eine verschiedene, das zweite kennt dagegen nur eine e i n z i g e F o r m der Gemeindeverfassung, welche für a l l e Gemeinden gilt. Da, wo eine Verschiedenheit der städtischen und ländlichen V e r fassung existiert, ist für die Frage, ob eine Gemeinde als Stadtoder Landgemeinde anzusehen sei, meist der historische Charakter derselben maßgebend; seltener a hat man die Scheidung i n rein g Hierher gehören insbesondere die Gesetze des rechtsrheinischen Bayerns und Württembergs (bayer. GO für die Landesteile diesseits des Rheins vom 29. A p r i l 1869 A r t . 10, württ. G. betr. die Gemeindeangehörigkeit vom 16. J u n i 1885 A r t . 6), die sächsische rev. StO § 17 (vgl. 0 . Mayer, sächs. StR 283) und — als einziges von den preußischen Gemeindeverfas6ungsesetzen, welches das System der Bürgergemeinde beibehalten hat — die annöv. StO vom 24. J u n i 1858, § 21. h So nach allen preußischen Gemeinde Verfassungsgesetzen m i t Ausnahme der hannoverschen StO. Typisch: östl. StO § 5, östl. L G O § 41. Dasselbe System haben: die bad. StO (Fassung vom 18. Okt. 1910) § 7, der Sache nach auch die bad. GO (Fassung vom 18. Okt. 1910), § 10 (die dort genannten „wahlberechtigten Einwohner" sind nur dem Namen nach nicht Gemeindebürger, der Sache nach sind sie es), die Gemeindeverfassungsgesetze Hessens, der bayerischen Pfalz, Oldenburgs, Elsaß-Lothringens (vgl. hess. StO und L G O A r t . 16, 23 ff.; pfälz. GO Art. 10; Schücking, Oldenburgisches Staatsrecht 204 und die sächs. L G O (§ 15). i Preuß. östl. StO § 7 Abs. 3, bad. StO § 11. 20 Preuß. G. vom 14. M a i 1860, 24. Juni 1861 und 2. März 1867, Hess.Nass. StO § 58, L G O § 42, L G O für die östl. Provinzen § 72, für SchleswigHolstein 8 72, Sächs. rev. StO § 21, Württemb. G. vom 16. J u n i 1886 A r t . 9, 22 ff., Hess. StO A r t . 30, L G O Art. 30, S.-Weim. GO Art. 23, Braunschw. StO § 20, Reuß ä. L . GO Art. 23—34, Reuß j . L . GO Art. 28—32, L i p p . StO § 5, DGO § 5, Schw.-Sondersh. GO § 33. 21 R G über die Freizügigkeit vom 1. Nov. 1867 § 8. k Vgl.z.B. Sachsen rev. StO § 17, Hann. StO §22, Bayern diesseit. GO Art.17. a So z.B. i n Hessen; vgl. van Calker, hess. StR 116. 28*
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mechanischer Weise lediglich nach der Einwohnerzahl vorgenommen. 1. Das e r s t e S y s t e m ist namentlich i m Norden und Osten Deutschlands verbreitet. Es besteht in den östlichen Provinzen Preußens, den Provinzen Hannover, Westfalen, Schleswig-Holstein u n d Hessen - Nassau, i m Königreich Sachsen, i m Herzogtum Sachsen-Altenburg, in Oldenburg, Braunschweig, Sachsen-KoburgGotha, Anhalt, L i p p e und Schaumburg-Lippe. V o n süddeutschen Staaten haben das Königreich Bayern fur seine rechtsrheinischen Provinzen dasselbe angenommen. Nach diesem System sind i n denjenigen O r t e n , welche eine s t ä d t i s c h e Verfassung besitzen, folgende Hauptorgane vorhanden: 1. ein kollegialischer M a g i s t r a t oder S t a d t r a t , bestehend aus einem Bürgermeister, dessen Stellvertreter (zweiten Bürgermeister, Beigeordneten) und einer Anzahl von Stadträten; 2. das K o l l e g i u m d e r S t a d t v e r o r d n e t e n (Bürgervorsteher, Gemeindebevollmächtigte, städtischer Ausschuß) 1 . [Letzteres ist das beschließende und kontrollierende, der Magistrat das ausführende Organ, gewissermaßen die Regierung der Stadtgemeinde, wogegen man die Stadtverordnetenversammlung als die Volksvertretung bezeichnen kann. D i e Stadtverordneten haben über die Angelegenheiten der Gemeinde zu beschließen, und zwar nach einigen Gesetzgebungen — wie insbesondere i n Preußen — über alle Gemeindeangelegenheiten, welche nicht durch das Gesetz ausschließlich dem Magistrat überwiesen sindh, nach andern — Bayern, Sachsen 0 — über diejenigen Angelegenheiten, welche das Gesetz ausdrücklich als solche bezeichnet (z. B . Aufstellung des städtischen Haushaltsetats, Veräußerung von Gemeindevermögen, Aufnahmen von Anleihen, Einführung neuer oder Veränderung bestehender Gemeindeabgaben, Ortsstatuten, W a h l des Bürgermeisters und der anderen Magistratsmitglieder usw.). D e r Magistrat hat die Beschlüsse der Stadtverordneten vorzubereiten und (sofern er dieselben nicht beanstandet) auszuführen; er hat alle Angelegenheiten der Stadt, insbesondere das Gemeindevermögen und die Gemeindeanstalten zu verwalten und die Stadtgemeinde nach außen zu vertreten. E r untersteht in seiner gesamten Amtsführung der Kontrolle der Stadtverordnetenversammlung.] Z u r Beseitigung von Differenzen zwischen beiden Kollegien sind gemeinsame Sitzungen 1 Preuß. StO für die östl. Provinzen §§ 10, 12 ff., für Westfalen §§ 10 12 ff., G V G für Frankfurt a. M. §§ 2, 23 ff., StO für Hessen-Nassau §§ 14 ff., 32 ff., für Schleswig-Holstein §§ 1, 28 ff., G. vom 31. März 1890 § 2, Hann. StO §§ 38, 80, Bayr. GO A r t . 71 und 108, Sächs. rev. StO § 37, S.-Alt. StO § 26 ff., S.-Goth. GG §§ 73 und 101, StO für Koburg § 5, Braunschw. StO | § 44 ff., 95 ff., Old. GO A r t . 10 und 30, Anh. GO §§ 54 ff., L i p p . StO _§§ 21 ff., öchaumb.-Lipp. StO § 4. t> Preuß. östl. StO § 35. Vgl. Preuss, A r t . „Bürgermeisterei- und Ratsverfassung" i m Handwörterbuch der Kommunal Wissenschaften. c Bayer, rechtsrhein. GO A r t 112, sächs. rev. StO §§ 39 ff. Vgl. den in voriger Anm. zit, A r t i k e l von Preuss.
D i e Organe.
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zulässig; führt dieser W e g nicht zum Z i e l , so w i r d die Streitigk e i t , falls ihr Gegenstand nicht auf sich beruhen k a n n , von der Staatsaufsichtsbehörde (unten § 114) entschieden. I n kleineren Städten hat die Verfassung vielfach eine Vereinfachung erfahren, insofern an die Stelle des kollegialischen Magistrats der Bürgermeister als Einzelbeamter tritt. Diese Einrichtung ist für kleinere Städte entweder gesetzlich vorgeschrieben oder es steht denselben frei, sie auf dem Wege statutarischer Festsetzung bei sich einzuführen 2 . — F ü r eine allgemeine Versammlung der Gemeindebürger ist in der städtischen Gemeinde Verfassung kein Platz, obwohl einzelne Gemeindeordnungen die Berufung einer solchen i n außerordentlichen Fällen zulassen 8 . Einfacher gestaltet sich die Verfassung der L a n d g e m e i n den. Hier steht kein kollegialischer Magistrat, sondern ein einzelner G e m e i n d e v o r s t e h e r (Bürgermeister, Schulze) an der Spitze 4 , welcher alle Verwaltungsbefugnisse besitzt. E r w i r d i n Ausübung seiner Funktionen von einem oder einigen Gehilfen [Schöffen, Beigeordneter, A d j u n k t ] unterstützt, welche auch i m Falle der Verhinderung seine Stelle vertreten. D i e F u n k t i o n e n der Stadtverordneten liegen entweder in den Händen einer gewählten G e m e i n d e v e r t r e t u n g (Gemeindeausschuß) oder, namentlich i n kleineren Gemeinden, in denen der G e m e i n d e v e r s a m m l u n g 6 . A u c h da, wo eine Gemeindevertretung besteht, w i r d für wichtigere Angelegenheiten häufig ein Beschluß der Gemeindeversammlung gefordert 6 . Etwas abweichend ist die Gemeindeverfassung im rechtsrheinischen B a y e r n , wo ein kollegialisch organisierter Gemeindeausschuß wesentlich i n der Stellung eines städtischen Magistrats die Verwaltung führt, neben welchem für Angelegenheiten, die i n den Städten zum Geschäftskreis der Gemeindebevollmächtigten gehören, eine Gemeindeversammlung fungieren k a n n 7 , und in Hessen - Nassau, wo in 2 Diese Form der Verfassung ist für kleinere Städte gesetzlich eingeführt i n Sachsen (StO für mittlere und kleinere Städte, A r t . I I und IV) und Schleswig - Holstein (StO §§ 94 ff.), kann hier jedoch statutarisch auch auf größere Städte ausgedehnt werden (Sachs, rev. StO §§ 37, 114—116, StO für Schleswig-Holstein § 94). Die statutarische Einführung ist außerdem i n der Provinz Westfalen, i n kleineren Städten der östlichen Provinzen Preußens und i n der Provinz Hessen-Nassau zulässig (StO für Westfalen §§ 72 und 73, für die östlichen Provinzen §§ 72 und 73, für HessenNassau § 83). 8 Bayr. GO A r t . 122, S.-Goth. G G § 171. * Preuß. L G O vom 3. J u l i 1891 §§ 74 ff. 6 Preuß. L G O vom 3. J u l i 1891 §§ 40 ff., 49 ff, L G O für Westfalen §§ 23 ff., L G O für Schleswig-Holstein §§ 12ff., L G O für Hessen-Nassau §§ 20 ff., 45 ff., 66 ff, Hann. L G O §§ 22, 41, 51, S.-Alt. DO §§ 11 ff.. S.-Goth. G G A r t . 70 und 101, S.-Kob. GG A r t . 70, Braunschw. LGO §§ 19 ff., Old. GO A r t 10 und 31, Anh. GO § § 5 4 ff., Schw.-Rud. GO Art. 134 ff., Lipp. DGO §§ 17 ff., Schaumb.-Lipp. L G O § 23. « S.-Alt. DO § 3», S.-Kob. GG A r t 75. 7 Bayr. GO Art. 123, 124, 147.
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Landgemeinden m i t mehr als 500 Einwohnern ein kollegialer Gemeindevorstand (Gemeinderat) besteht 8 . 2. Das z w e i t e S y s t e m kommt i n einer doppelten Gestaltung vor. a) Nach der einen Gestaltung ist die einheitliche [äußerlich allerdings mitunter (so i n der Rheinprovinz und i n Hessen) nach Stadt- und Landgemeinden verschiedene] Gemeindeverfassung wesentlich gleichartig m i t der soeben geschilderten L a n d g e m e i n d e v e r f a s s u n g [zeigt also einen nicht kollegialisch, sondern monokratisch formierten Gemeindevorstand: Gemeindevorstand ist nicht ein Magistratskollegium, sondern der B ü r g e r m e i s t e r (Bürgermeister- im Gegensatz zur Magistrats Verfassung)]. Diese F o r m der Verfassung hat sich unter dem Einfluß der f r a n z ö s i s c h e n Gesetzgebung verbreitet. Sie besteht i n der preußischen Rheinprovinz d , in der bayerischen Pfalz i m Großherzogtum Hessen d , in dem größten T e i l der thüringischen Staaten, namentlich in dem Großherzogtum Sachsen-Weimar, dem Herzogtum Sachsen-Meiningen, in den reußischen und schwarzburgischen Fürstentümern und i m Fürstentum Waldeck. Die Verwaltungsgeschäfte werden vom B ü r g e r m e i s t e r m i t Hilfe eines oder mehrerer B e i g e o r d n e t e n geführt. Als zweites Organ neben ihm besteht eine gewählte Gemeindevertretung in den Städten der preußischen Rheinprovinz und Hessens S t a d t v e r o r d n e t e n v e r s a m m l u n g , sonst vielfach G e m e i n d e r a t genannt, die entweder unter dem Vorsitz des Bürgermeisters oder unter dem eines selbstgewählten Vorsitzenden tagt und die Befugnisse der Stadtverordneten in den Städten m i t Magistratsverfassung (s. o. N r . 1) besitzt 9 . b) Nach der zweiten Gestaltung, welche i m Königreich Württemberg und i m Großherzogtum Baden besteht, entspricht die Organisation der Gemeinden der oben geschilderten s t ä d t i s c h e n V e r f a s s u n g (d. h. der Magistratsverfassung). Es bestehen als Organe der Gemeinde: 1. der G e m e i n d e r a t (Stadtrat), ein Kollegium mit einem Bürgermeister (Schultheiß) an der Spitze für die F ü h r u n g 8
L G O für Hessen-Nassau § 45. d Die Einheitlichkeit der Gemeindeverfassung auf Grund des Bürgermeistersystems g i l t i n allen diesen Rechtsgebieten nicht unbedingt; vielmehr können in der preußischen Rheinprovinz und i n der bayerischen Pfalz alle Städte (alle Gemeinden, welche irgendwie berechtigt sind, den Namen Stadt zu führen), i n Hessen alle Gemeinden m i t mehr als 15000 Einwohnern mit Staatsgenehmigung die Magistratsverfassung einführen. Preuß. StO für die Rheinprovinz vom 15. Mai 1856 §§ 66ff., Bayer. G. (Pfälz. Städteverf. G.) vom 15. August 1908Jvgl. Piloty, JahrbÖffentlR 8 473 ff.), hess. StO A r t . 202 ff. (oben 431 Anm. a). Über den Typus „Bürgermeisterverfassung" vgl. den oben Anm. b zit. A r t i k e l von Preuss. 9 Rhein. StO §§ 9, 11 ff., LGO §§ 44 ff., GO für die Pfalz A r t . 7 und 46, Hess. StO A r t . 2, 35 ff., L G O Art. 2, 35 ff., S.-Weim. GO A r t . 7, 42 ff, S.-Mein. GO A r t . 21 ff, Anh. GO §§ 5 4 f f , Schw.-Sondersh. GO § 67ff., Schw.-Rud. GO A r t . 38 ff, 120 ff., Reuß ä. L . GO Art. 19 und 59, Reuß j . L . GO Art. 7 und 61, W a l d . GO 9 ff.
Die Organe.
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der Verwaltung, 2. der B ü r g e r a u s s c h u ß , dem die Befugnis zur Kontrolle, die Feststellung des Etats und die M i t w i r k u n g bei wichtigeren A k t e n der Vermögensverwaltung sowie beim Erlaß von Ortsstatuten zusteht 1 0 . I n kleineren Gemeinden fungiert statt des Bürgerausschusses die Gemeindeversammlung. 3. Neben den genannten Organen der Gemeinde kommen A u s s c h ü s s e , oft „ D e p u t a t i o n e n " genannt, zur Verwaltung gewisser Gemeindeanstalten und einzelner Spezialzweige des Gemeindewesens (Armenwesen, Schulwesen, Hoch- und Tiefbauverwaltung, Gas- und Wasserwerke usw.) vor. Dieselben setzen sich aus Mitgliedern der Gemeindebehörden und anderen Gemeindebürgern zusammen n . Die Städte, namentlich die größeren, sind i n Bezirke ( D i s t r i k t e , Quartiere) geteilt, an deren Spitze B e z i r k s v o r s t e h e r stehen, welche den Bürgermeister oder Magistrat i n Ausübung seiner Funktionen zu unterstützen haben. Neben den unmittelbaren Gemeindeorganen, welche ihre Stellung durch den staatsrechtlichen A k t der W a h l erlangen, fungieren i n vielen, namentlich den größeren Gemeinden, noch G e m e i n d e b e a m t e i m e n g e r e n S i n n e , welche vom Magistrat oder Gemeindevorstand angestellt w e r d e n 1 2 . [Diese an sich nur mittelbaren Organe haben mitunter eine gewisse selbständige Bedeutung erlangt, insofern sie notwendige Organe der Gemeinde geworden sind e . ] I I . D i e Gemeindeverwaltung ist i n weitem Umfange auf die ehrenamtliche, also unbesoldete Tätigkeit unbeamteter Gemeindemitglieder basiert. I n kleineren Orten w i r d sogar das A m t des Gemeindevorstehers (Bürgermeisters, Ortsvorstehers, Schultheißen) von einem Gemeindebürger i m Nebenamt neben anderen Berufsgeschäften verwaltet, es hat dann entweder den Charakter des reinen Ehrenamtes oder es wird dem Betreffenden dafür eine mäßige Entschädigung ausgeworfen. D i e Stellen i m Magistrat werden regelmäßig, die Stellen in den Stadtverordnetenversammlungen, Bürgerausschüssen, Gemeindeausschüssen und Deputationen ausnahmslos 10 W ü r t t . GO A r t . 9ff., 44ff, Bad. GO §§ 14ff, 43ff., StO 17ff, 43ff.» Obgleich Baden eine besondere StO besitzt, so ist doch auch hier die Verfassung in ihren Grundzügen für alle Gemeinden gleichartig. 11 Preuß. StO für die östlichen Provinzen § 59, für die Provinz Westfalen § 59, für die Rheinprovinz §§ 59, 77, für Schleswig-Holstein § 66, für Hessen-Nassau § 64, G V G , für Frankfurt § 66, Hann. StO §77, Bayr. GO A r t . 106, Sächs. rev. StO §§ 122—123, Bad. StO § 27 ff, GO § 28, Hess. StO A r t . 130ff., LGO A r t . 129ff., S.-Goth. GG § 133, Braunschw. StO § 111, Anh. GO § 95 ff., Reuß ä. L . GO A r t . 129, Lipp. StO § 77, Schaumb.-Lipp. StO § 57. 12 Bemerkenswert die Regelung des p r e u ß i s c h e n Gemeindebeamtenrechts : G. betr. die Anstellung und Versorgung der Kommunalbeamten vom 30. J u l i 1899. e So z. B. der Gemeinderechner i n Baden (GO § 162, StO § 136) und Hessen StO A r t . 161 ff., LGO A r t . 155 ff.), sowie der Ortsschreiber i n Baden (GO §§ 8, 23, 63, StO §§ 15, 23, 63); der Ortsschreiber i n Württemberg ist dagegen fakultatives Gemeindeorgan (GO A r t . 67).
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als Neben- und Ehrenämter verwaltet. Besoldete Berufsbeamte sind nur die Bürgermeister der größeren Orte und eine Anzahl von Beigeordneten oder Stadträten (Magistratsräten) i n großen Städten Nach allen deutschen Gesetzgebungen ist die Ü b e r n a h m e d e r u n b e s o l d e t e n G e m e i n d e ä m t e r eine P f l i c h t für die dazu befähigten Gemeindebürger, denen nicht besondere Entschuldigungs* oder Ablehnungsgründe (z. B. K r a n k h e i t , höheres Alter, meist 60 Jahre, Staatsdienst, ärztliche Praxis, Bekleidung eines Gemeindeamtes während bestimmter Zeit, dauernde Abwesenheit) zur Seite stehen 1 8 . Die Folgen der Ablehnung sind Verlust des Stimmrechtes während einer bestimmten Zeit u n d Geldstrafen, welche in der Regel i n der Form erhöhter Steuerbeträge erhoben werden. D i e Niederlegung eines Gemeindeamtes ist n u r unter denselben Voraussetzungen wie die Ablehnung gestattet. D i e Berufsämter können auch von Gemeindebürgern abgelehnt werden, ohne daß besondere Ablehnungsgründe vorhanden sind. — Diesen Grundsätzen steht das Prinzip des f r a n z ö s i s c h e n R e c h t e s gegenüber, wonach der einzelne völlige F r e i h e i t hinsichtlich der A n nahme und Ablehnung von Gemeindeämtern besitzt. Dasselbe hat jedoch innerhalb der deutschen Einzelstaaten (über Elsaß-Lothringen vgl. unten § 140) nur in der bayerischen P f a l z 1 4 Eingang gefunden. I I I . D i e Besetzung der Gemeindeämter findet durch W a h l e n statt. D i e W a h l der Gemeindevertreter (Stadtverordneten, Bürgervorsteher, Gemeindebevollmächtigten) erfolgt überall unmittelbar durch die Bürgerschaft; Bürgermeister, Beigeordnete und Magistratsmitglieder (Gemeinderäte, Stadträte) werden entweder (in den kleineren Gemeinden Württembergs und Badens) von der Bürgerschaft oder (in allen größeren Gemeinden) von der Gemeindevertretung, die Bürgermeister auch wohl von einem durch Magistrat f — sowie regelmäßig das gesamte dem Magistrat (Bürgermeister) unterstellte Gemeindebeamtenpersonal, insbesondere die i n voriger Anm. erwähnten Funktionäre. 18 Preuß. StO für die östlichen Provinzen § 74, für Westfalen § 74, für die Rheinprovinz § 79, G Y G für Frankfurt a. M. §§ 17 und 18, StO für Schleswig-Holstein §§ 9 und 10, für Hessen-Nassau § 85, L G O für Westfalen S 78, K r O vom 13. Dez. 1872 § 25, L G O für die östlichen Provinzen § 65, für Schleswig-Holstein § 65, für Hessen-Nassau § 36, Hann. StO §§ 31, 43, 89, L G O §§ 31, 32, 57, 66, KrO für Hannover § 33, für Hessen-Nassau § 36, für Schleswig-Holstein § 25, Bayr. GO Art. 174, Sächs. rev. StO §§ 47, 48, 85, 127, StO für mittlere und kleine Städte § 5 , L G O §§ 26, 27, W ü r t t . G. vom 16. J u n i 1885 A r t . 15—19, Bad. GO §§ 23 und 49, StO J 9, Hess. StO Art. 18, L G O A r t . 18, S.-Weim. GO Art. 61, 62, 75, S.-Mein. GO Art. 93, S -Alt. DO § 18, StO §§ 35, 36, S.-Goth. GG §§ 93 und 112, S.-Kob. G G A r t 95 und 112, Nachtrag zur StO für Koburg vom 6. Febr. 1875 § 31, Braunschw. StO § 22 und 23, L G O §§ 35 und 36, Old. GO A r t . 7, A n h . GO § 21, Schw.-Sondh. GO § 34, Schw.-Rud. GO A r t 37, 76 und 142, Reuß ä. L . GO A r t . 75, 88 (G. vom 6. M a i 1884), Reuß j . L . GO A r t . 78, 89, L i p p . StO § 14, DGO §§ 13, 14, Schaumb.-Lipp. StO § 25, L G O § 64, W a l d . GO § 21. " GO für die Pfalz A r t . 58, 118, 121, G. vom 17. J u n i 1896 A r t I I I .
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und Stadtverordneten gebildeten Wahlkollegium gewählt. Die Wahlperiode beträgt für die Gemeindevertretung 3—6 Jahre, für die Bürgermeister und Magistratsmitglieder 6, 9, 12 Jahre. Besoldete Berufsbeamte, insbesondere Bürgermeister können nach manchen Gesetzgebungen auch auf Lebenszeit gewählt werden. Die Bestimmungen über das W a h l r e c h t und W a h l v e r f a h r e n sind außerordentlich verschieden. Das a k t i v e W a h l recht steht den Gemeindebtirgern oder, wo ein spezifischer Unterschied zwischen Gemeindebürgerrecht und Gemeindeangehörigkeit nicht besteht, denjenigen Gemeindeangehörigen zu, welche gewisse, gesetzlich vorgeschriebene Eigenschaften besitzen. Voraussetzungen der Ausübung des Stimmrechtes sind: männliches Geschlecht — doch w i r d bisweilen auch Bürgerwitwen und Hauseigentümerinnen ein Stimmrecht eingeräumt — , ein gewisses Alter, Vollbesitz der bürgerlichen Ehrenrechte, Selbständigkeit, Zahlung eines bestimmten Steuerbetrages, in den Landgemeinden Besitz von Grundstücken. Ausgeschlossen sind Personen, die sich i n K o n k u r s oder unter Vormundschaft befinden oder Armenunterstützungen erhalten. Außer den eigentlichen Gemeindebürgern werden auch Forensen und juristische Personen, die in der Gemeinde ihr Domizil haben, zur W a h l zugelassen, bisweilen unter der Voraussetzung, daß sie einen bestimmten Steuerbetrag entrichten. Z u m Zweck der W a h l werden die Wahlberechtigten häufig i n Steuerklassen g e t e i l t 1 6 ; außerdem kommen Abstufungen des Stimmrechtes nach Maßgabe der Steuerzahlung und in den Landgemeinden auch nach A r t und Maß des Grundbesitzes vor. Das p a s s i v e W a h l r e c h t ist an ähnliche Bedingungen wie das aktive geknüpft. Ausgeschlossen von Gemeindeämtern sind die Mitglieder der staatlichen Aufsichtsbehörden, mitunter auch Geistliche und L e h r e r , Polizeibeamte, Staatsanwälte usw. Die andern Staatsdiener bedürfen zur Übernahme von Gemeindestellen nach einzelnen Gesetzgebungen der Genehmigung ihrer vorgesetzten Behörde. Nahe verwandte oder verschwägerte Personen sollen nicht zu gleicher Zeit Mitglieder des Magistrates oder Gemeinderates sein. Die größeren Städte sind zum Zweck der Wahlen für den Gemeinderat oder die Stadtverordnetenversammlung i n Bezirke geteilt. Selbstverständlich gelten die i n einem Bezirke gewählten Mitglieder nicht als Vertreter des betreffenden Bezirkes, sondern als Organe der gesamten Gemeinde. D i e Wahlen erfolgen teils mit absoluter, teils m i t relativer Majorität. D i e Abstimmung ist nach einzelnen Gemeindeordnungen öffentlich, nach anderen geheim. Die Wahlprüfungen geschehen entweder durch die Gemeindeorgane selbst, vorbehaltlich der Nachprüfung durch 16 So insbesondere i n Preußen und Baden. I n beiden Staaten (in Preußen jedoch mit Ausnahme von Hannover, den Städten Schleswig-Holsteins und Frankfurts a. M.) herrscht das sog. Dreiklassensystem. Über Preußen vgL E. v. Meier, Enzykl. (6. Aufl.) 705ff.; über die neueste Gestaltung des badischen Gemeindewahlrechts: W a l z i m JahrbÖffentlR 5 518ff., W S t V R 2 91.
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die Verwaltungsgerichte oder durch die staatlichen Aufsichtsbehörden. I n neuester Zeit ist i n manchen Staaten — Bayern, Württemberg, Baden — für größere Gemeinden der Grundsatz der Verhältniswahl eingeführt w o r d e n 1 6 . N u r ganz ausnahmsweise ist von dem Grundsatz der W a h l abgegangen und die Bestellung der Gemeindebeamten staatlichen Organen übertragen worden 1 7 . D i e Bestellung des ländlichen Gemeindevorstehers (Schulzen) durch die Gutsherrschaft oder die V e r b i n d u n g des Schulzenamtes m i t gewissen Gütern (deren Besitzer „ E r b - " oder „Lehnsschulzen" hießen) ist durch die Gesetzgebung des neunzehnten Jahrhunderts völlig beseitigt w o r d e n 1 8 . § 114. Die A u f s i c h t s b e f u g n i s s e , welche dem Staate über die Gemeinden zustehen 1 , haben den Z w e c k , die Gemeindetätigkeit m i t den staatlichen Gesetzen und den Forderungen des Staatslebens i m E i n k l a n g zu erhalten 8 . Die Handhabung der staatlichen Aufsicht liegt i n den Händen der Staats Verwaltungsbehörden. A n diese Aufsichtsbehörden gehen alle Beschwerden einzelner gegen Beschlüsse und Verfügungen der Gemeindebehörden. Dieselben können aber gegen gesetzwidrige Beschlüsse der Gemeindeorgane auch von Amts wegen einschreiten, i n einzelnen Gesetz16
Vgl. bayer. Gemeindewahlgesetz vom 15. Aug. 1908; württ. GO A r t . 73ff.; bad. GO §§19, 46, StO § 46. Y g l . P i l o t y im JahrbÖffentlR 3 475ff, W a l z das. o 520 ff. 17 I n Frankfurt a. M. w i r d der erste Bürgermeister aus drei von der Stadtverordnetenversammlung präsentierten Kandidaten vom Könige auf 12 Jahre ernannt (GVG § 40). I n der Rheinprovinz w i r d das A m t des Gemeindevorstehers letzt durch W a h l besetzt, doch fungiert, wenn die Gemeinde für sich allein einen Bürgermeistereibezirk bildet, der Bürgermeister auch als Gemeindevorsteher (KrO § 23); i n den Landbürgermeistereien w i r d der Bürgermeister stets (vom Oberpräsidenten der betreffenden Provinz) ernannt. 18 I n den östlichen Provinzen Preußens allerdings erst durch die K r O vom 13. Dez. 1872 §§ 36 ff., i n Posen sogar erst durch L G O §§ 82 ff. 1 Literatur: Loening, V R §§ 40, 46; Schoen, Enzjykl. (7.1ufl.) 4 255 ff.; O. Mayer, Y R 2 § 59; Preuß, Städt. Amtsrecht 296 ff., A r t . Bestätigung i m Handwörterb. d. Kommunalwiss.; Fleiner, Institut. (3. Aufl.) 116 ff.; Markull i m W S t V R 2 155ff.; A . W . Jebens, Yerwaltungsrechtl. Aufsätze 1 ff., 28ff.; v. Buchka, Die Staatsaufsicht über die Kommunalangelegenheiten der Städte i n Preußen, P r V B l 37 Nr. 4, 5, 6. 2 [Mustergültig sind Umfang und Zweck der Staatsaufsicht über die Gemeinden umgrenzt durch die württembergische GO von 1906, A r t . 186 (übereinstimmend Bad. StO von 1910 § 157, GO § 181): „ D i e . . . Aufsicht der Staatsbehörden über die Gemeindeverwaltung beschränkt sich . . . darauf, daß 1. die gesetzlich den Gemeinden zustehenden Befugnisse nicht überschritten, 2. die gesetzlich den Gemeinden obliegenden öffentlichen Verbindlichkeiten erfüllt und 3. die gesetzlichen Vorschriften über die Geschäftsführung bei der Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten . . . beobachtet werden". Ganz ähnlich auch bayer. GO A r t . 157.]
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gebungen ist dem Gemeindevorstand (Magistrat, Bürgermeister, Gemeindevorsteher) die Verpflichtung auferlegt, wenn er Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit eines Beschlusses der Gemeindevertretung hat, den Beschluß zu beanstanden, d. h. die Ausführung zu verweigern 8 . E i n Ausfluß der staatlichen Aufsicht über die Gemeinden ist die B e s t ä t i g u n g d e r G e m e i n d e b e a m t e n . Eine solche Bestätigung ist entweder nur für die Bürgermeister 4 oder auch für die anderen Magistratsmitglieder, namentlich die besoldeten erforderlich. Die Verweigerung der Bestätigung kann entweder nach freiem Ermessen oder darf nur aus gesetzlich bestimmten Gründen (Mangel an den gesetzlich vorgeschriebenen Eigenschaften oder Verlust der allgemeinen A c h t u n g ) 5 erfolgen. Die Folge der Nichtbestätigung ist die Vornahme einer Neuwahl. Bei wiederholter Nichtbestätigung t r i t t die Verwaltung der Stelle durch einen staatlichen Kommissar e i n 6 . Außerdem steht der Regierung die G e n e h m i g u n g d e r O r t s s t a t u t e n und der w i c h t i g e r e n A k t e der F i n a n z v e r w a l t u n g (Aufnahme von Anleihen, Veräußerung von Gemeindevermögen, Einführung von neuen Steuern oder Änderung 3 I n Preußen unterliegen diese Fragen der Entscheidung der Verwaltungsgerichte (ZustG vom 1. Aug. 1883 §§ 15, 29, Hess.-Nass. StO § 8t V g l . oben 268. Hier und da werden die Hansestädte als A r i s t o k r a t i e n Dezeichnet: so Hamburg von Seelig, W S t V R 2 328. Hamburg und Lübeck von Rehm, A r c h ö f f R 25 393. Das wäre nur zutreffend, wenn ein «hervorragender T e i l des Volkes" (oben 33), d. h. ein herrschender Stand (Stadtadel, Patriziat) oder ein denselben repräsentierender Personenkreis den obersten Verfassungsfaktor darstellte, was aber nicht der F a l l i s t R i c h t i g W a l t h e r , das Staatshaupt i n den Republiken 60. Seelig, a. a. 0 . , widerspricht sich zudem selbst, wenn er meint, Hamburg billige das Prinzip der Volkssouveränetät;— Volkssouveränetät und Aristokratie sind unvereinbare •Gegensätze. Der von Rehm a a. 0 . 393, 394 konstruierte Gegensatz zwischen Lübeck und Hamburg einerseits, Bremen andererseits (erstere beide seien Aristokratien, Bremen eine Demokratie) findet weder i m Recht noch i m Leben und der Praxis der drei Staaten einen A n h a l t ; die Begründung („die Untertanen i n Bremen werden nicht, wie i n Hamburg und Lübeck, von der Verfassung S t a a t s a n g e h ö r i g e , sondern Staats g e n o s s e n genannt") entbehrt jeder Überzeugungskraft. Gegen Rehm treffend Lüders A n n D R 1912 8 Anm. 24. 1 L ü b . Verf. A r t 4, Hamb. Verf. A r t . 6, Brem. Verf. § 56. Dementsprechend die herrschende Mehrheit i n der Literatur; vgl. Schulze, D S t R 1 503 ff., v . Melle, Hamb. StR 39 ff., Wolffson, Hamb. StR 11, Hanfft, Das Verordnungsrecht des Hamburger Senats (1900) 51; Sievers, Brem. StR 71, Bollmann, Brem. StR und V R 18 ff., Klüßmann^Lüb. StR 44. — Es besteht nicht nur kein Bedürfnis, einen besonderen Träger der Staatsgewalt i n der Gesamtheit des Volkes zu konstruieren, wie Grotefend §§ 724 und 725 tut, sondern eine derartige Auffassung würde sowohl den ausdrücklichen Bestimmungen .. der Verfassungen als der historischen Entwicklung widersprechen. [Ähnlich wie Grotefend Seelig, Hamburgisches Staatsrecht auf geschichtlicher Grundlage (1902), 49, 50: „Inhaber der Staatsgewalt" i n . Hamburg sei der m i t dem Bürgerrecht ausgestattete Bruchteil des Staatsvolkes u n d sei Hamburg demgemäß den Staaten der Volkssouveränität zuzurechnen. „ P r a k t i s c h " aber (a. a. 0 . 60) habe der S e n a t die Stellung «ines nur durch die konstitutionellen Rechte der Bürgerschaft gefesselten Monarchen, der i m konstitutioneilen Alleinbesitz der Staatsgewalt sei. V g L auch Seelig i m W S t V R 2 328. Nicht nur für Hamburg, sondern für alle drei Hansestädte w i r d die Ansicht, daß das V o l k , d. h. die Gesamtheit der i m Besitze der politischen Rechte befindlichen Bürger, Träger der Staatsgewalt sei, vertreten von Lüders A n n D R 1912 7 ff. c A . M. Gotthard B . Brandis, Das K j r i o n i n der Hamburger Verfassungsgeschichte (1911).
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eine bestimmte Anzahl von Kaufleuten sich befinden m u ß 2 . D i e W a h l der Senatsmitglieder erfolgt auf Lebenszeit durch ein besonderes W a h l k o l l e g i u m , das aus einer gleichen Z a h l v o n M i t gliedern des Senates und der Bürgerschaft besteht, i n einem sehr komplizierten Verfahren 8 . D i e Verpflichtung zur Annahme einer W a h l i n den Senat, welche früher in allen Freien Städten ei» Grundsatz des Verfassungsrechtes war, hat sich nur i n Hamburg erhalten 4 , während i n Bremen u n d Lübeck völlige Freiheit hinsichtlich der Annahme, Ablehnung und Amtsniederlegung existiert 6 . D e r Senat wählt aus seiner Mitte einen (Lübeck) oder zwei (Bremen und Hamburg) Bürgermeister, denen der Vorsitz und die L e i t u n g der Geschäfte zusteht 6 . Die B ü r g e r s c h a f t geht aus Wahlen der Bevölkerung hervor. I n Lübeck erfolgen diese Wahlen auf Grundlage des allgemeinen Stimmrechtes nach B e z i r k e n 7 . I n Bremen zerfallen die Wähler i n folgende acht Klassen, von denen jede eine bestimmte Anzahl Abgeordneter w ä h l t : 1. die i n der Stadt Bremen wohnenden Staatsbürger, welche auf einer Universität gelehrte B i l d u n g erworben haben, 2. die Teilnehmer des Kaufmannskonventes (d. l u die Großkaufleute), 3. die Teilnehmer des Gewerbekonventes> 4. die übrigen i n der Stadt Bremen wohnenden Staatsbürger, 5. die in der Stadt Vegesack wohnenden Staatsbürger, 6. die i n der Stadt Bremerhaven wohnenden Staatsbürger, 7. die i m Landgebiet wohnenden Staatsbürger, welche wahlberechtigt für die Kammer für Landwirtschaft sind, 8. die übrigen i m Landgebiet wohnenden Staatsbürger 8 . D i e Hamburger Bürgerschaft besteht: 1. aus 80 Mitgliedern, welche aus allgemeinen und direkten Wahlen hervorgehen, 2. aus 40 Abgeordneten, welche v o n denjenigen Bürgern, die Eigentümer städtischer Grundstücke sind, gewählt werden, 3. aus 40 Abgeordneten, welche von denjenigen Bürgern gewählt werden, welche Mitglieder des Senats oder der der Bürgerschaft, Richter, Handelsrichter, Mitglieder der V o r 2 L ü h . Verf. A r t . 5, Brem. Verf. § 21, G. vom 1. J u n i 1884, abgeändert durch Gr. vom 4. Nov. 1909, Hamb. Verf. A r t . 7. * Lüh. Verf. A r t . 7, Brem. Verf. §§ 22—23, GL, den Senat betr., vom 1. Jan. 1894, Abänd. G. vom 9. Nov. 1898, Hamb. Verf. A r t . 9, G., betr., die Organisation des Senates, vom 28. Sept 1860 §§ 2 und 3, Abänd. GG v o m 23. Jan. 1889, 8. J u l i 1898. D i e „Quintessenz dieses Verfahrens i s t : der Senat hat ein V e t o , die Bürgerschaft den positiven Einfluß bei der W a h l , wobei allerdings der W i l l e i h r e i Mehrheit sich keineswegs immer durchzusetzen vermag 5 ^ (Bollmann i m W S t V R 1 525). 4 Hamb. Verf. A r t 9. Jeder Senator kann jedoch nach A b l a u f von sechs Jahren seine Entlassung verlangen (Art. 10). 5 Lüb. Verf. A r t . 9, Brem. Verf. § 24. • L ü b . Verf. A r t 14, Brem. Verf. § 30, Hamb. Verf. A r t . 17, G., betr. die Organisation des Senates, vom 28. Sept. 1860 § 13. 7 X ü b . Verf. A r t . 20—33, G., das Verfahren bei der W a h l der M i t glieder der Bürgerschaft beb:., vom 3. Nov. 1884. 8 Brem. G., die Bürgerschaft betr. vom 1. Jan. 1894, als Anhang dazu die Wahlordnung. Abänderung der letzteren durch G. vom 12. A p r ü 1896.
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mundschaftsbehörde, bürgerliche Mitglieder der Verwaltungsbehörde, der Handels- oder Gewerbekammern sind oder gewesen sind 9 . D i e Mitglieder der Bürgerschaft sind Vertreter des gesamten Volkes, nicht Repräsentanten ihrer speziellen Wahlbezirke. Sie stimmen nach freier Überzeugung und können von ihren Wählern keinerlei Instruktionen oder Aufträge e r h a l t e n 1 0 . D i e Stellung von Senat und Bürgerschaft ist i n manchen Beziehungen d der von Regierung u n d Volksvertretung in der konstitutionellen Monarchie zu vergleichen. D i e Gesetzgebung w i r d von Senat und Bürgerschaft gemeinschaftlich ausgeübt, während die Regierungs- und Verwaltungsbefugnisse, einschließlich der Vertretung des Staates nach außen, dem Senat zustehen. Doch findet auch i n einzelnen Verwaltungszweigen, namentlich bei der Finanzverwaltung, eine M i t w i r k u n g der Bürgerschaft statt, die sich i n der Feststellung des Budgets, der Genehmigung von D e r Senat wichtigen Veräußerungen, Anleihen usw. ä u ß e r t 1 1 . ist jedoch n i c h t , wie der Monarch, der alleinige Träger der Staatsgewalt, die Bürgerschaft kein bloß beschränkendes Element®. Es streitet daher keinerlei Vermutung für die Berechtigung des Senates, vielmehr ist zu einem staatlichen A k t e i m Zweifel die M i t w i r k u n g beider Organe erforderlich 1 2 . Die Bürgerschaft t r i t t i n Hamburg beim Beginn der Legislaturperiode a u f Berufung des Senates zusammen, später hat sie ein Selbstversammlungsrecht. I n Bremen und Lübeck findet auch beim Beginn der Legislaturperiode keine Berufung durch den Senat 9 Hamb. Verf. A r t . 28—43. Abänd. G. vom 2. Nov. 1896 § 1. W a h l gesetz für die Wahlen zur Bürgerschaft vom 5. März 1906, abgeändert durch G. vom 25. Jan. 1909. Vgl. Seelig im JahrbÖffR 2 132 ff., 154 ff., 4 462 ff. D i e Wahlen erfolgen nach dem Grundsatz der Verhältniswahl. 10 Lüb. Verf. A r t . 26, Brem. Verf. § 44, Hamb. Verf. A r t . 33. * Nicht i n allen Beziehungen! Bei manchen Ähnlichkeiten besteht doch ein tiefgehender Unterschied zwischen den Hauptorganen der Stadtrepublik und der konstitutionellen Monarchie. Der Senat ist staatsrechtlich wie politisch weniger als ein deutscher Landesherr, die Bürgerschaft mehr als der Landtag. Durchaus zutreffend Lüders A n n D K 1912 16 ff. V g l . auch Anm. e. 11 L ü b . Verf. A r t . 18, 50, 51, Brem. Verf. §§ 56, 58, Hamb. Verf. A r t .
6, 61, 62.
« Diese Meinung vertritt Brandis i n der oben Anm. c bezeichneten Abhandlung, S. 40. A u c h Seelig, W S t V K 2 328 neigt ihr zu (der Senat ist i m konstitutionellen „Alleinbesitz der Staatsgewalt, durch die Bürgerschaft nur beschränkt"). Ä h n l i c h für Lübeck, Brückner, Lüb. StR 7, 15. D i e Stellung des Senats ist damit staatsrechtlich wie politisch überschätzt. Gleicher Meinung Lüders a. a. O. 13 ff. 12 Nur i n Lübeck hat kraft der Bestimmungen i n A r t . 18 der Verf. der Senat die Präsumtion der Berechtigung für sich. A u c h i n Hamburg und Bremen ist der Grundsatz, daß die Vermutung für gemeinsame Kompetenz von Senat undBürgerschaft spricht, bei der genauen Feststellung des Wirkungskreises beider Organe kaum von praktischer Bedeutung. Vgl. v. Melle a. a. 0 . 43 ff. und Seelig, Hamb. StR 60 ff., 68 ff.
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s t a t t 1 8 . D e r Senat hat nicht das Recht, die Bürgerschaft aufzulösen. Die Senatsmitglieder haben die Stellung von republikanischen Beamten. Sie sind fttr die Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit ihrer Handlungen verantwortlich u , unterliegen einer zwangsweisen Versetzung i n den Ruhestand und disziplinarischer Entfernung v o m A m t e 1 5 . A u c h dürfen die Senatsmitglieder, oder wenigstens die dem Gelehrtenstande angehörenden keinerlei Nebenbeschäftigung treiben16. M e i n u n g s v e r s c h i e d e n h e i t e n z w i s c h e n .Senat u n d B ü r g e r s c h a f t wurden, wenn sie lediglich die Auslegung von Gesetzen, namentlich der Verfassung, betrafen, früher nach einem vorgängigen Vermittlungsversuche v o n dem Oberappellationsgericht A n seine der Freien Hansestädte zu L ü b e c k entschieden 1 7 . Stelle ist jetzt teils das gemeinschaftliche Oberlandesgericht zu Hinsichtlich der H a m b u r g , teils das Reichsgericht g e t r e t e n 1 8 . Differenzen, bei denen es sich um bloße Zweckmäßigkeitsfragen handelt, verweist die Bremer Verfassung lediglich auf den W e g der V e r s t ä n d i g u n g 1 9 . Dagegen werden dieselben in Hamburg und L ü b e c k , wenn die Beschlußnahme nach übereinstimmender Ansicht des Senats und der Bürgerschaft ohne wesentlichen Nachteil für das Gemeinwesen nicht aufgeschoben werden kann, durch eine Entscheidungskommission erledigt, welche sich aus M i t gliedern des Senats und der Bürgerschaft zu gleichen Teilen zusammensetzt 2 0 . D e r B ü r g e r a u s s c h u ß , in Bremen B ü r g e r a m t genannt, ist ein Ausschuß, den die Bürgerschaft aus ihrer Mitte wählt. I n Bremen ist das Bürgeramt auf die formellen Befugnisse der Geschäftsleitung der Bürgerschaft und die Vermittelung des Ver18 L ü b . Verf. Art. 37, Brem. Verf. § 49, Hamb. Verf. A r t . 41, 50. V g l . Melle a a 0 45 u Hamb. Verf. A r t . 27 (vgl. dazu Westphal, A n n D R 1910 18 ff.), ähnlich Brem. Verf. von 1849 § 124. 16 L ü b . Gr., die Versetzung der Mitglieder des Senates i n Ruhestand betr. (Anh. I I zur Verf.). Nachtrag vom 21. J u l i 1879. G., den Austritt aus dem Senat betr. (Anh. I I I zur Verf.). Brem. Verf. § 25. G. über den Senat vom 1. Jan. 1894 §§ 20ff., Beamtengesetz vom 1. Febr. 1894 §§ 134, 135, Hamb. Verf. A r t . 10,11, G>, betr. die Organisation des Senates, vom 28. Sept. 1869 §§ 6 - 9 . 16 Lüb. Verf. Art. 13, Brem. Verf. § 29, B G vom 1. Febr. 1894 § 28, 135, Hamb. Verf. A r t . 11. 17 L ü b . Verf. A r t . 74 und Anh. V I I , Brem. Verf. §66, G. die Erledigung der Meinungsverschiedenheiten zwischen Senat und Bürgerschaft betr., vom 17. Nov. 1575, Hamb. Verf. A r t . 71. 18 Ersteres ist i n Bremen und Lübeck, letzteres i n Hamburg der Fall. Brem. G., die Erledigung von Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Senat und der Bürgerschaft betr., vom 1. Jan. 1894, L ü b . Bek. vom 21. J u l i 1879. Hamb. Verf. A r t . 71, R G vom 14. März 1881. 19 Brem. Verf. § 66. 20 L ü b . Verf. A r t . 75—85, Hamb. Verf. A r t . 71, 75.
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kehrs m i t dem Senat beschränkt. I n Hamburg und Lübeck erledigt er außerdem an Stelle der Bürgerschaft i n Gemeinschaft m i t dem Senat gewisse minder wichtige Angelegenheiten, namentlich auf dem Gebiete der Vermögensverwaltung, und der Besetzung einzelner Beamtenstellen. I n L ü b e c k hat er weiter die Funktionen einer vorbereitenden Instanz für alle Vorlagen des Senats an die Bürgerschaft. Überall ist er selbständiges, auch der Bürgerschaft gegenüber unabhängiges Staatsorgan 2 1 . 2. A n der Spitze der einzelnen V e r w a l t u n g s z w e i g e stehen Senatsmitglieder. Dieselben werden i n Ausübung ihrer Funktionen unterstützt: 1. von D e p u t a t i o n e n , welche sich aus Mitgliedern des Senats und Mitgliedern der Bürgerschaft oder sonstigen Bürgern zusammensetzen 2 2 ; 2. von B e h ö r d e n , die aus besoldeten Berufsbeamten bestehen. D i e Ausübung der Rechtspflege liegt i n den Händen der G e r i c h t e , für deren Organisation die Bestimmungen des R G V G maßgebend sind. [ D i e drei Staaten haben ein gemeinsames Oberlandesgericht; das (an die Stelle des vormaligen Oberappellationsgerichts zu L ü b e c k getretene) Hanseatische Oberlandesgericht i n Hamburg. D i e Besetzung u n d Finanzierung dieses Gerichtshofes ist durch Staatsvertrag geregelt^] 3. D i e Freien Städte sind k e i n e b l o ß e n S t a d t g e m e i n d e n , sondern umfassen außer der eigentlichen Stadt noch ein umliegendes L a n d g e b i e t . I n früheren Zeiten war die Stadtgemeinde das herrschende S u b j e k t , welchem die Bewohner des Landgebietes als bloße Untertanen ohne politische Rechte gegenüberstanden. Seit den Verfassungsreformen des neunzehnten Jahrhundèrts haben aber die Landbewohner an der B i l d u n g der Staatsorgane ebensogroßen A n t e i l wie die städtischen Bürger. Die Stadt bildet jetzt nur ein engeres, kommunales Gemeinwesen innerhalb des größeren Staatsorganismus. D i e Besorgung der speziellen Angelegenheiten der Stadt liegt i n den Händen der staatlichen Organe: Senat und Bürgerschaft. N u r i n Bremen t r i t t für diese an die Stelle der gesamten Bürgerschaft die sogenannte Stadtbürgerschaft, welche aus den von den Bewohnern der Stadt in die Bürgerschaft gewählten Mitgliedern besteht 2 8 . D i e Verwalt u n g des Landgebietes w i r d von Beamten unter Beteiligung der Gemeindeorgane geführt. Die Gemeindeverfassungen der kleineren Städte des Landgebietes beruhen meist auf besonderen Statuten, 31 L ü b . Verf. A r t . 58—72, Brem. Verf. §§ 46—47, G., die Bürgerschaft betr., vom 1. Jan. 1894 §§ 17, 18, Hamb. Verf. A r t . 54—60. 22 Brem. Verf. §§ 59, 60, G., die Deputationen betr., vom 1. Jan. 1894 Abänderung durch G G vom 27. Sept. 1895, 11. Febr. 1896, 26. Jan. 1897, Hamb. Verf. A r t . 80—87, Abänd. G. vom 2. Nov. 1896. R e v G über Organisation der Verwaltung vom 2. Nov. 1896. f Übereinkunft der drei Freien Städte vom 22. M a i 1908. V g l Seweloh i m JahrbOffR 4 446 ff. 28 L ü b . Verf. A r t . 18, Hamb. Verf. Art. 97, Brem. Verf. §§ 76 und 77.
4
Zweiter Teil.
Zweites Buch.
§
1 .
für die Landgemeinden bestehen allgemeine Gemeindeordnungen 2 4 . I n Bremen ist für das Landgebiet eine Kreisverfassung nach dem Vorbilde der preußischen Kreisordnung geschaffen worden. Das gesamte Landgebiet bildet einen K r e i s , der den Charakter eines Kommunalverbandes hat und innerhalb dessen ein Kreistag und ein Kreisausschuß als Organe f u n g i e r e n 2 6 . Zweiter Abschnitt.
Die Organisation des Deutschen Reiches und der reichsunmittelbaren Gebiete. Erstes
Kapitel.
Die Organisation des Deutschen Reiches. 1. Subjekt und Träger der Reichsgewalt; Organe des Reiches.
§ 120. [Das Deutsche Reich nennt sich i n seiner Verfassung einen „ewigen B u n d " a . E i n solcher ist es auch, aber, wie bereits hervorgehoben nicht sowohl ein Bund von Staaten, als ein B u n d des V o l k e s in dem Sinne wie jeder neuzeitliche Staat die bündische, das heißt korporative Einheit eines Volkes darstellt. Unser Reich ist das korporative Gemeinwesen des gesamten deutschen Volkes und seiner Staaten. Dieses Gemeinwesen ist ein Staat 0 , und zwar ein zusammengesetzter Staat vom Typus des Bundesstaates^ D e r W i l l e dieses Gemeinwesens, die Reichsgewalt, ist sowohl nach ihrem Inhalt wie nach den Zwecken und Zielen, die sie sich setzt wie nach den Formen, i n denen sie sich äußert, eine wahre Staatsgewalt. Sie beherrscht nicht nur die Einzelstaaten, sondern auch, i n unmittelbarer Wirksamkeit, deren Untertanen, das V o l k , hiermit ein zwar nicht begriffsnotwendiges, aber regelmäßiges Merkmal des Bundesstaates 0 erfüllend. 24 L ü h . L G O vom 11. Febr. 1878, Brem. L G O vom 28. J u l i 1888, G. v o m 18. Dez. 1888, Hamb. Verf. A r t . 98—100, L G O vom 12. J u l i 1881. 25 Brem. G., betr. die Verwaltung des Landgebietes, vom 23. J u n i 1878, Abänderung vom 24. Febr. 1881, G., betr. die Beihülfe des Staates zur Verwaltung des Landgebietes, vom 11. Oktober 1878, Abänderung vom 20. Nov. 1879. a R V , Einleitungsworte. * Oben 224. c Oben 224, 48 ff. D i e Staatlichkeit des Reiches gehört zu den obersten Leitsätzen des deutschen Staatsrechts. Bestritten w i r d dieser Leitsatz nur von Seydel und etwa noch von Otto Mayer (vgl. oben § 71, N. 2); sein stärkster Apologet ist Haenel, DStR Bd. 1. ä Oben 48 ff., 224 ff. • Oben 50.
Die Organe.
§
1 .
4
W i e jeder S t a a t f , so ist auch das Reich als solches, als rechtsfähiges Gemeinwesen, Subjekt seiner Gewalt: die Reichsgewalt gehört dem Reiche, niemand sonst. W e r aber ist T r ä g e r ff der Reichsgewalt? Träger ist soviel wie oberstes Organ. A l s ursprüngliche (primäre) 1 1 Organe des Reichs sind zunächst zu bezeichnen die drei großen politischen Machtfaktoren, welchen dieses Reich sein Dasein d a n k t : die Gesamtheit der Einzelstaaten, unter ihnen i n seiner Sonder- und potenzierten Machtstellung der preußische Staat, endlich das deutsche V o l k als Ganzes, geeint u n d erstarkt zur Nation. Diese lebendigen Kraftquellen der Reichsgewalt reden und handeln nun nicht unmittelbar selbst, sondern durch weitere (sekundäre*) Willensträger: die Staatengesamtheit durch den B u n d e s r a t , Preußen durch das K a i s e r t u m , die Nation durch den R e i c h s t a g . A u f diese drei Verfassungseinrichtungen w i r d die Bezeichnung „oberste Reichsorgane a i m engeren u n d eigentlichen Sinne angewendet. Das oberste der drei Organe ist, nach dem ganzen A u f b a u und nach der Absicht der Gründer des Reichs die G e s a m t h e i t d e r S t a a t e n . B e i dieser und der sie verkörpernden Versammlung, dem B u n d e s r a t , ruht die höchste Gewalt i m Reiche; sie hat i m Zweifelsfalle die Vermutung der Zuständigkeit für sich, s i e i s t d e r T r ä g e r d e r R e i c h s g e w a l t 1 . Bedenkt man, daß der Bundesrat von den Regierungen der Einzelstaaten beschickt w i r d , daß das Recht jedes Staates auf Sitz und Stimme i m Bundesrat ausschließlich und allein von seiner Regierung ausgeübt w i r d k , daß die Mitglieder des Bundesrates nichts anderes sind als der M u n d der sie entsendenden Regierungen, so ist es, jedenfalls i m Effekt, nicht unrichtig, wenn man den Inbegriff der Staatenregierungen einerseits der Staatengesamtheit, andererseits dem sie darstellenden Bundesrat substituiert und so zu dem, von dem amtlichen wie von dem wissenschaftlichen Sprachgebrauch adoptierten Satze gelangt: T r ä g e r der R e i c h s g e w a l t ist die Gesamtheit der verb ü n d e t e n R e g i e r u n g e n 2 . N u r muß man sich dann darüber i m Klaren bleiben, daß dieses „Verbündungs Verhältnis" unter den Regierungen kein besonderes, von dem Bunde, als welchen das Reich darstellt, verschiedenes Rechtsverhältnis ist, (kein f Oben 14; v. Gerber, Grundzüge des DStR 251, Anschütz, Enzykl. 25, 93. g Oben § 5 Anm. a. Anschütz, Enzykl. 25 ff. * Jellinek, Staatsl. 546 ff. i Jellinek a a 0 1 Anschütz, Enzykl. 93, 94; Hubrich im H b d P 1 85. k Unten § 123, S. 483 N. 3, 485. 2 So ist insbesondere der bekannte Ausspruch Bismarcks gemeint: „ D i e Souveränetät ruht*nicht beim Kaiser, sie ruht bei der Gesamtheit der verbündeten Regierungen" (vgl. unten Anm. 8). Übereinstimmend G. Meyer i n der Vorauflage § 120 Nr. 2 (und schon i n seinen Grundzügen des Norddeutschen
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Zweiter Teil.
Zweites Buch.
§
1 .
Sonderbund der Regierungen außer u n d neben d e m Reich!), u n d daß das R e c h t d e r R e g i e r u n g e n — also d e r F ü r s t e n d e r 2 2 m o n a r c h i s c h e n E i n z e l s t a a t e n u n d d e r Senate d e r d r e i H a n s e städte — , d e n B u n d e s r a t z u b e s c h i c k e n , k e i n i h n e n eigenes p e r s ö n l i c h e s , s o n d e r n e i n R e c h t ist, welches l e d i g l i c h i h r e n S t a a t e n z u s t e h t u n d v o n i h n e n n a m e n s dieser S t a a t e n a u s g e ü b t w i r d (das R e i c h ist k e i n B u n d v o n F ü r s t e n u n d Senaten, sondern ein aus Staaten zusammengesetzter Bundesstaat). „ V e r b ü n d e t e R e g i e r u n g e n " bedeutet somit eine Gesamtheit d e r S t a a t e n , j e d e r v e r t r e t e n d u r c h seine R e g i e r u n g . W i e diese G e s a m t h e i t k e i n (besonderes) B u n d e s v e r h ä l t n i s d a r s t e l l t , so erst recht keine korporative Einheit. D e r Träger der Reichsgewalt ist k e i n e v o m Reiche verschiedene K o r p o r a t i o n 8 , k e i n e Personene i n h e i t , s o n d e r n eine M e h r h e i t v o n Personen, das R e i c h also a u c h i n diesem S i n n e ( g a n z abgesehen d a v o n , daß d e r K a i s e r n i c h t als M o n a r c h des R e i c h s b e z e i c h n e t w e r d e n d a r f ) k e i n e E i n h e r r s c h a f t , s o n d e r n eine M e h r - oder V i e l h e r r s c h a f t ( P l e o n a r c h i e , P l e o n o k r a t i e und zwar v o m T y p u s der konstitutionellen aristokratischen Republik m . ] Bundesrechts 60, Staatsrechte Erörterungen über die K V 43); v. Martitz, Betrachtungen über die Verfassung des norddeutschen Bundes 45; Grotefend § 751; 0 . Gierke i n Schmollers Jahrb. Bd. V I I 1145ff., v. Rönne, Preuß. StR Bd. I I § 175 S. 516; v. Sarwey, W ü r t t . StR Bd. I I 77; Rümelin i n der Zeitschr. f. d. ges. Staatswissensch. B d X L 644 und 645 N. 1; 0 . Mejer, Einleitung 280, 340; Brie, Theorie der Staatenverbindungen 126; v. Kirchenheim, Lehrb. d. deutsch. StR 280; Triepel, Interregnum 98ff.; Zorn, StR Bd. I 90; Bornhak, A l l g . Staatsl. 241; Binding, Die rechtliche Stellung des deutschen Kaisers 9, 11; H ü b l e r , Organisation der Verwaltung 74; Arndt, StR 114; v. Jagemann, D i e deutsche R V e r f (1904), 48ff., 80ff.; Rehm, A l l g . Staatsl. 100, 134 (^Subjekt" der Reichsgewalt seien die verbündeten Staaten, Träger" der Reichsgewalt die Fürsten und Senate); van Calker im H b d P 1 134. Abweichend vom Text insbes. Loening, Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches 50 ff., der (vom Standpunkt seiner Konstruktion des Staates als „Rechtsverhältnis", vgl. oben § 3 N. 10, aus) das Subjekt der Herrschergewalt des Reichs einerseits in dem Kaiser, andererseits i n den im Bundesrat organisierten Staaten erblickt. 8 Dies ist die Ansicht von Geffcken; vgl. die Zitate oben § 5 Anm. b. Gegen Geffcken: Jellinek, Staatsl. 553 Anm. 1; Loening, Grundzüge der R V 49, 50; Kulisch, ArchÖffR 16 152. l So Zorn, StR 1 und die deutsche R V 51, Gareis, A l l g S t R 38, van Calker, HbdP 1 134. Die Anwendung des Wortes R e p u b l i k auf das Reich wollen diese Schriftsteller vermeiden, da Republik i m modernen Sprachgebrauch gleichbedeutend sei m i t Demokratie. Demgegenüber trägt Jellinek, Staatsl. 712, kein Bedenken, das Reich dem Typus Republik zu unterstellen. Er kann sich nicht nur auf Bismarck berufen, der bei der Beratung der nordd. B V den Bundesrat die „republikanische Spitze" des Bundes nannte (Reichstag, 28. März 1867), sondern hat auch sachlich Recht. Schon bei Machiavell bezeichnet „Republik" nicht nur den demokratischen sondern auch den aristokratischen Gegensatz zur Monarchie (oben 33) und dabei ist es bis heute verblieben. W i e Jellinek und, i m Sinne des Textes, das aristokratische Moment betonend: Hubrich, H b d P 1 85, 86. m Anschütz, Enzykl. 94. Ebenso oder doch ähnlich Hubrich, a. a. O., Geffcken, Verfassung des deutschen Reiches 17 und das Gesamtinteresse 15.
Die Organe.
§ 1 .
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Der Gedanke, daß die Gesamtheit der Einzelstaaten, jeder voll repräsentiert durch seine Regierung, — daß also der Inbegriff der „verbündeten Regierungen" Träger der Reichsgewalt sei, ist bei Beratung der norddeutschen Bundesverfassung von autoritativer Seite mit Entschiedenheit hervorgehoben worden 4 . Auch in den 4 Yon dem Vorsitzenden der Bundeskommissarien, Grafen von Bismarck. Zuerst bemerkte dieser gegenüber dem Antrag auf Einsetzung eines verantwortlichan Bundesministeriums folgendes (Sten. Ber. S. 186): „Wer sollte dieses Ministerium ernennen? Einem Konsortium von 22 Regierungen ist diese Aufgabe nicht zuzumuten; es würde sie nicht erfüllen können. Ausschließen Können Sie aber 21 von 22 Regierungen von der Teilnahme an der Exekutive ebensowenig. Es wäre der Anforderung nur dadurch zu genügen gewesen, daß eine einheitliche Spitze mit monarchischem Charakter geschaffen wäre. Dann aber, meine Heiren, haben Sie k e i n B u n d e s v e r h ä l t n i s m e h r , dann haben Sie e i n e M e d i a t i s i e r u n g d e r e r , d e n e n d i e m o n a r c h i s c h e G e w a l t n i c h t ü b e r t r a g e n w i r d . Diese Mediatisierung ist von unseren Bundesgenossen weder bewilligt noch von uns erstrebt worden. Es ist hier angedeutet worden , man könne sie mit Gewalt erzwingen; yon anderen: sie werde sich zum Teil von selbst ergeben, und letzteres von einer mir nahestehenden Seite. W i r erwarten dies nicht in dem Maße und glauben nicht, daß deutsche Fürsten in größerer Anzahl bereit sein werden, i h r e j e t z i g e S t e l l u n g m i t d e r e i n e s e n g l i s c h e n F a i r s z u v e r t a u s c h e n . Wir haben ihnen diese Zumutung niemals gemacht und beabsichtigen nicht, sie ihnen zu machen." Ferner sagt er bei Gelegenheit der Debatte über Bennigsens Amendement, das auf die Einsetzung verantwortlicher Vorstände der einzelnen Verwaltungszweige neben dem Bundeskanzler gerichtet war (Sten. Ber. S. 388): „Sie schaffen eine den Ministern und höchsten Regierungen der einzelnen Bundesländer vorgesetzte Spitze außerhalb des Bundesrates. I n n e r h a l b des B u n d e s r a t e s f i n d e t die S o u v e r ä n i t ä t einer j e d e n R e g i e r u n g ihren u n b e s t r i t t e n e n A u s d r u c k . Dort hat jede ihren Anteil an der Ernennung des gewissermaßen gemeinschaftlichen Ministeriums, welches neben anderen Funktionen auch der Bundesrat bildet. D i e s e s G e f ü h l d e r u n v e r l e t z t e n S o u v e r ä n i t ä t , welches dort seine Anerkennung findet, k a n n n i c h t m e h r b e s t e h e n neben einer k o n t r a s i g n i e r e n d e n Bundesbehörde, die a u ß e r h a l b des B u n d e s r a t e s aus p r e u ß i s c h e n o d e r a n d e r e n B e a m t e n e r n a n n t w i r d u n d es i s t u n d b l e i b t e i n e c a p i t i s d e m i n u t i o f ü r die höchsten B e h ö r d e n der ü b r i g e n R e g i e r u n g e n , w e n n sie sich als O r g a n e , g e h o r s a m l e i s t e n d e O r g a n e einer vom P r ä s i d i u m a u ß e r h a l b des B u n d e s r a t e s e r n a n n t e n hoch s t e n B e h ö r d e i n Z u k u n f t a n s e h e n s o l l t e n . Glauben Sie nicht, daß wir diese Frage nicht erwogen haben, ob die übrigen Regierungen diesen Anflug von einer Verminderung ihrer Souveränität auf sich nehmen wollen. W i r naben über die Frage, ob die Ministerien der Einzelstaaten, namentlich die Kriegs- und Finanzministerien usw., bleiben würden, wochenlang verhandelt. Unsere Arbeit ist keine leichte gewesen, und Sie können ermessen, mit welchem Eindruck wir nach unseren schweren und erschöpfenden Aibeiten hier Amendements hören, die von allem, was wir getan und geleistet haben, abstrahieren, von dem in der Geschichte unerhörten Fall, daß die Regierungen von 30 Millionen Deutschen sich nicht bloß dem Wortlaute nach, wie oei der alten Bundesakte, sondern auch dem Geiste nach über einen solchen Entwurf geeinigt haben, keine Notiz nehmen." Endlich äußert er sich über den Antrag auf Einsetzung eines Oberhauses folgendermaßen (Sten. Ber. S. 430): „Es ist mir an und für sich nicht leicht, mir ein deutsches Oberhaus zu denken, das man einschieben könnte zwischen den B u n d e s r a t , d e r , ich wiederhole es, v o l l k o m m e n u n e n t b e h r l i c h i s t a l s d i e j e n i g e S t e l l e , in der die S o u v e r ä n i t ä t der E i n z e l s t a a t e n f o r t f ä h r t ,
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§
1 .
späteren Entwicklungsstadien hat derselbe Gedanke zu wiederholten Malen Ausdruck gefunden 6. i h r e n A u s d r u c k zu finden — das man also einschieben könnte zwischen diesen Bundesrat und diesen Reichstag, ein Mittelglied, welches dem Reichstage in seiner Bedeutung auf der sozialen Stufenleiter einigermaßen überlegen wäre und dem Bundesrate und dessen Vollmachtgebern hinreichend nachstände, um diese Klassifikation zu rechtfertigen. Wir würden in der Versammlung nichtsouveräne Pairs, Mitglieder haben, die ihrerseits geneigt sind zu rivalisieren mit den mindermäcntigen Souveränen in ihrer sozialen Stellung. D e r B u n d e s r a t r e p r ä s e n t i e r t b i s z u e i n e m g e w i s s e n G r a d e ein O b e r h a u s , i n w e l c h e m Se. M a j e s t ä t v o n P r e u ß e n p r i m u s i n t e r p a r e s i s t u n d i n w e l c h e m d e r j e n i g e Ü b e r r e s t des hohen deutschen A d e l s , der seine L a n d e s h o h e i t b e w a h r t hat, s e i n e n P l a t z f i n d e t . Dieses Oberhaus nun dadurch zu vervollständigen, daß man ihm nichtsouveräne Mitglieder beifugt, halte ich praktisch für zu schwierig, um die Ausführung zu versuchen. D i e s e s s o u v e r ä n e O b e r h a u s a b e r i n s e i n e n B e s t a n d t e i l e n so w e i t h e r a b z u d r ü c k e n , daß es e i n e r P a i r s k a m m e r ä h n l i c h w ü r d e , d i e v o n u n t e n v e r v o l l s t ä n d i g t w e r d e n k ö n n t e , h a l t e i c h f ü r u n m ö g l i c h , und ich würde niemals wagen, das einem Herrn gegenüber, wie der König von Sachsen ist, auch nur anzudeuten. [Über B i s m a r c k s Ansichten vom Wesen und der Verfassung des Reichs vgl. Anschütz, Bismarck und die Reichsverfassung 20 ff., 25 ff, v. Roell und Epstein, Bismarcks Staatsrecht 110 ff.] 5 I n dem Schreiben des Königs von Bayern, welches Prinz Luitpold am 3. Dez. 1870 dem Könige von Preußen überreichte, heißt es folgendermaßen: „Ich habe mich zu deren (der Präsidialrechte) Vereinigung in einer Hand in dei Überzeugung bereit erklärt, daß dadurch den G-esamtinteressen des deutschen Vaterlandes und seiner verbündeten Fürsten entsprochen werde, zugleich aber in dem Vertrauen, daß die dem Bundespräsidium nach der Verfassung zustehenden Rechte durch Wiederherstellung eines Deutschen Reiches und der deutschen Kaiserwürde als Rechte bezeichnet werden, welche Eure Majestät i m N a m e n des g e s a m t e n d e u t s c h e n V a t e r l a n d e s a u f G r u n d der E i n i g u n g s e i n e r F ü r s t e n ausüben." Auch Fürst v. Bismarck hat nach Annahme des Kaisertitels seine früher ausgesprochene Ansicht mit großer Entschiedenheit aufrecht erhalten. „Ich glaube," sagt er, „daß der Bundesrat eine große Zukunft hat, indem er zum erstenmal den Versuch macht der monarchischen Spitze, ohne die Wohltaten der monarchischen Gewalt — oder der hergebrachten republikanischen Obrigkeit — dem Einzelstaat zu nehmen, und in seiner höchsten Spitze als föderatives Kollegium sich einigt, um die S o u v e r ä n i t ä t des g e s a m t e n R e i c h e s zu üben, d e n n d i e S o u v e r ä n i t ä t r u h t n i c h t b e i m K a i s e r , sie r u h t b e i d e r G e s a m t h e i t der v e r b ü n d e t e n R e g i e r u n g e n " (Sten. Ber. des Deutschen Reichstages I . Legislaturper. 1. Sitzungsper. 1871 S. 298 u. 299}. I n demselben Sinne äußerte er sich in der Reichstagssitzung vom 9. Juli 1879: Können nun die verbündeten Regierungen gegen sich selbst den Verdacht hegen, daß sie ihren Bundespflichten gegen das Reich nicht nachkämen? — gegen das Reich, was wiederum genau dasselbe ist wie die Gesamtheit der verbündeten Regierungen: diese sind das Reich und das Reich besteht aus den gesamten verbündeten Regierungen (Sten. Ber» I V . Legislaturper. 2. Sess. 1879, Bd. I I I S. 2197). [Weiterhin: Reichstagssitzung vom 27. März 1879 (Sten. Ber. S. 669): der Bundesrat sei -die Gesamtvertretung des w i r k l i c h e n S o u v e r ä n s im Bunde"; Gedanken und Erinnerungen I I S. 190; „der Bundesrat repräsentiert „die Gesamt-Souveränität von Deutschland." Noch andere einschlägige Äußerungen Bismarcks vgl. bei Anschütz, Bismarck und die Reichsverfassung, 28 ff, Kuhlenbeck, Otto v. Bismarck; Reden und Aussprüche zur deutschen Reichsverfassung, 15 ff.]
Die Organe.
§
1 .
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§ 121. [Die Organe des Reiches sind: 1. der B u n d e s r a t . Er „besteht aus den Vertretern der Mitglieder des Bandes" ( R V A r t . 6), d. h. der deutschen Staaten, repräsentiert durch ihre Regierungen. Er verkörpert also die Staatengesamtheit1, den Träger der Reichsgewalt2. 2. der K a i s e r . Er erscheint nicht als Monarch oder Souverän des Reiches, sondern als ein bevorrechtetes Mitglied, welchem ein ideeller Anteil an der Reichsgewalt zusteht, als Inhaber einer exekutivischen und repräsentativen Organschaft eigener A r t , die zwar weit mehr bedeutet als jede Art von Beamtentum, aber weniger als Monarchie 8 . Er übt die ihm übertragenen Befugnisse nicht im eigenen Namen, auch nicht im Namen Preußens, sondern im N a m e n d e s R e i c h e s aus a ]. 1
Vgl. § 120 und die Zitate Anm. 1 und 2 daselbst. Über den rechtlichen Charakter des Bundesrates vgl. auch: Entscheidungen des Reichsgerichtes in Strafsachen 7 382 ff. 8 Lab and, StR des Deutschen Reiches 1 211 ff.; Seydel, Kommentar 126; Zorn, a. a. 0 . 91. Die Bezeichnung des Kaisers als staatsrechtlichen Hauptes •des deutschen Volkes (Gierke i n Schmollers Jahrb. 7 1137) ist ohne juristische Bedeutung, ebenso die Behauptung Bornhaks (ArchÖffR 2 9, 10), •das Kaisertum sei auf dem Wege der Entwicklung vom Bundespräsidium zur Souveränetät begriffen. Später hat Bornhak, Die verfassungsrechtliche Stellung des deutschen Kaisers, ArchÖffR 8 425ff., die Ansicht aufgestellt, der Kaiser sei Monarch zwar nicht im Sinne des deutschen Landesstaatsrechtes, wohl aber im Sinne der auf dem Prinzip der Volkssouveränetät und den Grundsätzen parlamentarischer Regierung beruhenden Verfassungen. Der Kaiser besitzt aber im Reiche bei weitem nicht die Befugnisse, welche nach derartigen Verfassungen, z. B. der belgischen, dem Monarchen zustehen; es fehlt ihm namentlich die entscheidende Stimme, j a auch ein nur suspensives Veto bei der Gesetzgebung. Von einer monarchischen Stellung des Kaisers spricht auch Preuß, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 45 442, 448. [ G e g e n die Berechtigung, die staatsrechtliche Stellung des Kaisers als eine monarchische zu bezeichnen, wenden sich noch: Loening a. a. 0 . 53, Binding a. a. 0 . 24ff, Anschütz, Bismarck und die Reichsverfassung 32 und Enzykl. 104, 105. Zweifelnd, aber der Bejahung des monarchischen Charakters des Kaisertums zuneigend: v. Jagemann, a. a. 0 . 101, 102.1 * R V A r t . 17. „Im Namen des Reichs" heißt: es steht niemand zwischen Kaiser und Reich, das kaiserliche Amt ist eine u n m i t t e l b a r e Reichs•organschaft. Der Kaiser hat kein noch höheres Organ über sich, er ist keines anderen Organes Delegatar, auch nicht Delegatar des Trägers der Reichsgewalt, der „verbündeten Regierungen". Allerdings übt er, wenn er seines Amtes waltet, kein ihm eigenes, sondern fremdes Recht aus (wie der Monarch im Einzelstaate, s. o. § 84 S. 272), aber dieses Recht gehört dem Reiche, d. h. der nationalen korporativen Staatspersönlichkeit, dem („gesamten deutschen Vaterlande" im Sinne des oben § 120 N. 5 erwähnten Schreibens des Königs von Bayern) nicht einer von dieser verschiedenen Organpersönlichkeit, insbesondere nicht dem Träger der Reichsgewalt (der Staatengesamtheit, verkörpert im Bundesrat, s. o. § 120). Das „im Namen des Reicns" bedeutet n i c h t „im Namen der verbündeten Regierungen"; der Kaiser ist unmittelbarer Repräsentant des Reichs (hierin einem Monarchen gleichend), 8
Gr. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
II.
7. Aufl.
478
Zweiter Teil.
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§ 11.
3. der R e i c h s t a g . Er ist weder Träger noch Mitträger der Reichsgewalt, sondern, entsprechend dem Begriff der Volksvertretung nach deutschem Staatsrecht und analog den deutschen Landtagen, ein beschränkendes Element, an dessen Mitwirkung die verbündeten Regierungen bei Ausübung gewisser Funktionen gebunden sind 4 . Unter diesen drei obersten Organen verteilen sich die Befugnisse in der A r t , daß der R e i c h s t a g alle diejenigen Rechte besitzt, welche den Volksvertretungen in konstitutionellen Staaten und namentlich in Deutschland zuzustehen pflegen, also das Recht der Mitwirkung bei der Gesetzgebung und Feststellung des Haushaltplans, das Recht der Genehmigung gewisser völkerrechtlicher Verträge und ein Recht der Kontrolle hinsichtlich der Verwaltung. Die Verteilung der Befugnisse zwischen B u n d e s r a t und K a i s e r ist so geregelt, daß die gesetzgeberischen Funktionen [abgesehen von den mehr formalen Kompetenzen der Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze] als die höchsten und obersten lediglich dem Bundesrate übertragen sind. Die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse von Bundesrat und Reichstag ist zu einem Reichsgesetz „erforderlich und ausreichend" (RVArt. 5). Dagegen liegen die Regierung- und Verwaltungsbefugnisse des Reiches zum großen Teil in den Händen des Kaisers. Der Kaiser hat das Reich völkerrechtlich zu vertreten, im Namen des Reiches Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, Gesandte zu beglaubigen und zu empfangen. Ihm steht die Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze und die Überwachung der Ausführung derselben zu. Er hat die obere Leitung der eigenen und unmittelbaren Reichsverwaltung (d.h. der Verwaltung, welche durch eigene Bericht Delegatar der verbündeten Regierungen oder des Bundesrates: Anschütz, Enzykl. 103, 104, auch Rehm, Staatsl. 100, 177 N. 3. A. M. Jellinek, Staatsl. 554, 555 Anm. 1, Seydel, Komm. 126, sowie G* Meyer in der Vorauf!. § 121 4. Er sagt dort: „Der Kaiser leitet seine Rechte allerdings nicht vom Bundesrate (Haenel, AnnDR 1877, 91), wohl aber von der Gesamtheit der verbündeten Regierungen ab. Es ist demnach nicht richtig, ihn n e b e n der Gesamtheit der verbündeten Regierungen als selbständigen Träger der Reichsgewalt zu betrachten, wie von Haenel a. a. 0 . ; H. Schulze, Preuß. StR § 263, Lehrb. d. deutsch. StR 2 § 252 S. 28ff., j 253 S. 32ff.; Brie r Theorie der Staatenverbindungen 127; Fischer, Das Recht des deutschen Kaisers 19 ff., Loening a. a. 0 . geschieht." — M. E. haben Haenel, Schulze,. Brie, Fischer und Loening, indem sie für die Unmittelbarkeit der dem Kaiser zustehenden Organschaft eintreten, recht. — Binding, Die rechtliche Stellung des Kaisers (1898), 14 ff., 24 ff. will „Regentenrechte" und „Monarchenrechte" des Kaisers unterscheiden: jene übe er als Delegatar des „Kollektivsouveräns" d. h. der verbündeten Regierungen aus, diese kraft eigenen Rechts. Diese Unterscheidung erscheint mir unbegründet;- richtig Rehm, Staatsl. 177 Anm. 3. Vgl. zu allem vorstehenden unten § 127. 4 Übereinstimmend: v. Martitz 82ff.; Laband, StR 1 § 32, S. 269 ^ Haenel a. a. 0 . 89; M. Seydel, AnnDR 1880 , 352; v. Rönne, Preuß. StR 2 § 175 S. 515: Brie a. a. 0 . 127. — Dagegen bezeichnen Thudichum, Verf R 101 und K. v. Mohl, Reichsstaatsrecht 49 und 59, den Reichstag neben Kaiser und Bundesrat als Träger der Reichsgewalt
D i e Organe.
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hörden und Beamte des Reichs geführt wird). Er führt den Oberbefehl über das Heer und die Marine. Er ernennt die Reichsbeamten und verfügt erforderlichenfalls deren Entlassung. Er vollstreckt die Reichsexekutionen. Er hat das Recht, den Bundesrat und Reichstag zu berufen, zu eröffnen, zu vertagen und zu schließen. [In den reichsunmittelbaren Gebieten (Reichsland, Schutzgebiete) steht ihm nicht nur die Verwaltungshoheit, sondern die Ausübung der gesamten Staatsgewalt in monarchischer Machtvollkommenheit zu.] Aber auch dem Bundesrate stehen auf dem Gebiete der Verwaltung wichtige Funktionen zu. Allerdings äußern diese sich nur in der Fassung allgemeiner Beschlüsse, nicht in unmittelbarer Ausführung derselben. Der Bundesrat ist das allgemeine V e r o r d n u n g s organ des Reiches. Die Zustimmung des Bundesrats ist erforderlich zur Erklärung eines Krieges im Namen des Reiches, mit Ausnahme des Falles, wo ein Angriff auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt. Dem Bundesrat steht eine weitgehende Beteiligung bei der Verwaltung der Finanzen, des Eisenbahnwesens, Geld- und Bankwesens zu. Der Bundesrat besitzt ein Wahl- und Vorschlagsrecht in bezug auf gewisse Beamtenstellen und hat in einzelnen Fällen über die Entlassung von Beamten zu entscheiden. Der Bundesrat beschließt über die Ver1 * "rVl 1 *1 Bundesrate hängung der Reichse 1 diejenigen als Repräsentanten Befugnisse zu, welch teiches ausw drücklich überwiesen sind. Er besitzt Präsumtion der Kompetenz wie der Monarch im Einzelstaat 6 . Bei allen denjenigen Angelegenheiten, welche zum Geschäftskreise des Bundesrates gehören, wird der Kaiser nicht als solcher, als besonderer Faktor, sondern nur in der Eigenschaft des Königs von Preußen als Glied der Gesamtheit tätig. Selbst die der Präsidialmacht eingeräumte Befugnis, bei der Gesetzgebung über Militärwesen, Kriegsmarine, Zölle und Verbrauchssteuern durch ihren Widerspruch die Abänderung oder Aufhebung bestehender Einrichtungen zu hindern 7 , ist ihr nicht in der Form eines selb6
I n der Verfassung des norddeutschen Bundes war eine zusammen. fassende Feststellung der Befugnisse des Bundesrates nicht enthalten; die Verfassung des Deutschen Reiches hat eine solche versucht, indem sie im Art. 7 dem Bundesrate die Beschlußfassung über folgende Gegenstände zuweist: 1. die dem Reichstage zu machenden Vorlagen und die von demselben gefaßten Beschlüsse; 2. die zur Ausführung aer Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen VerwaltungsVorschriften und Einrichtungen, sofern nicht durch Reichsgesetz etwas anderes bestimmt ist: 3. die Mängel, welche bei Ausführung der Reichsgesetze oder der vorstehend erwähnten Vorschriften oder Einrichtungen hervortreten. 8 Seydel in v. Holtzendorffs und Brentanos Jahrbuch a. a. O. 284 und Komm. 141, 232; Laband im HbÖffR 46; Zorn a. a. 0 . 169, 184; Hübler, Organisation der Verwaltung I b j Anschütz, JEnzjkl. 94, 97, v. Jagemann, ss., 1902),
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ständigen Vetos gegenüber Bundesrat und Reichstag zugestanden; es ist kein kaiserliches, sondern ein p r e u ß i s c h e s Vetorecht. Die Differenz wird demgemäß als ein Internum des Bundesrates behandelt und lediglich innerhalb dieser Körperschaft zum Austrag gebracht. Dem R e i c h s t a g e g e g e n ü b e r nimmt der B u n d e s r a t nicht die Stelle eines zweiten Faktors der Repräsentation (einer ersten Kammer oder eines Oberhauses), sondern diejenige Stellung ein, welche im konstitutionellen Staate die R e g i e r u n g besitzt. Der Reichstag kann niemals ohne den Bundesrat, wohl aber der Bundesrat ohne den Reichstag berufen werden. Die Vorlagen gehen vom Bundesrat an den Reichstag, die Einbringung geschieht allerdings im Namen des Kaisers, aber nach Maßgabe der Beschlüsse des Bundesrates. Die Vertretung derselben erfolgt durch Mitglieder des Bundesrates oder durch Kommissare, welche von diesem ernannt werden. Zur Auflösung des Reichstages ist ein Beschluß des Bundesrates unter Zustimmung des Kaisers erforderlich. 4. die R e i c h s b e h ö r d e n und R e i c h s b e a m t e n . Ihre Stellung ist analog der der Behörden und Beamten der Einzelstaaten. Sie leiten ihre Befugnisse von einem anderen Organ des Reiches ab und sind nur innerhalb eines begrenzten Kreises von Angelegenheiten, namentlich auf dem Gebiete der Justiz und Verwaltung tätig.
§ 122. Die Verfassung des Deutschen Reiches ist durchaus eigenartig. Sie kann weder mit dem Maßstabe gemessen werden, welchen die bundesstaatlich - republikanischen Verfassungen der Schweiz und der Vereinigten Staaten von Amerika an die Hand geben 1 , noch darf sie nach Analogie des alten deutschen Reiches oder des Deutschen Bundes 2 beurteilt werden 8 . Ebensowenig 1 Zu den Schriftstellern, welche sich bei Beurteilung der R V in zu hohem Grade von nordamerikanischen Analogieen leiten lassen, gehört namentlich Westerkamp. Auch Le Für, Etat föderal 623ff., irrt, wenn er den Bundesrat dem Senat der Vereinigten Staaten und dem Ständerat der Schweiz völlig gleichstellt. Das Verdienst einer kräftigen Reaktion gegen solche unzutreffenden Gleichstellungen hat sich 0 . Mayer, ArchÖfffe 18 337 ff. erworben. 2 — wie Arndt, StR des Deutschen Reiches 88 ff. will. Er glaubt sogar sagen zu dürfen, daß die Absicht der R V , „ein novum gegenüber dem Rechte des deutschen Bundes" einzuführen, „nicht zu vermuten, sondern klar zu erweisen" sei (a. a. 0 . 93, 94). Diese Anschauung ist vollkommen willkürlich. 3 Auch die Vergleichung des Bundesrates mit dem alten deutschen Reichstage (R.v, Mohl230; L a b a n d l § 27 S. 216, Reincke, Der alte Reichstag und der neue Bundesrat [19061) hat nur eine beschränkte Berechtigung. Gleichartig sind beide Körperschaften hinsichtlich ihrer Zusammensetzung, indem beide aus Vertretern der deutschen Landesherren und Freien Städte bestehen. Dagegen war die Stellung des früheren Reichstages gegenüber dem Kaiser eine andere als die des jetzigen Bundesrates ist. ün alten deutschen Reiche
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finden auf sie die Grundgedanken der konstitutionellen Monarchie Anwendung 4 . Die letztere Verfassungsform war der Frankfurter Reichsverfassung zugrunde gelegt worden, welche den Kaiser als Träger der Reichsgewalt behandelte und ihm Staatenhaus und Volkshaus als beschränkende Elemente zur Seite setzte6. Mit vollem Rechte ist bei Feststellung der Verfassung des norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches ein anderer Weg eingeschlagen worden. Hätte man in dem fast ausschließlich aus Monarchien bestehenden Bundesstaate die Zentralgewalt ebenfalls monarchisch konstruiert, so wäre bei den einzelnen Gliedern stets das Gefühl der verminderten Souveränetät zurückgeblieben, und sie würden sich nur mit Unlust und Widerstreben den Anordnungen des Reiches gefügt haben 6 . Ein solcher Zustand wäre aber im Deutschen Reiche geradezu unerträglich gewesen, da bei der umfassenden gesetzgeberischen Kompetenz desselben die Ausführung der Reichsgesetze notwendig in die Hände der Einzelstaaten gelegt werden mußte. Dagegen hat man, indem man die Gesamtheit der verbündeten Regierungen als Träger der Reichsgewalt hinstellte und in dem Bundesrat ein Organ zur Vertretung derselben schuf, ihnen für die verlorene Souveränetät im Einzelstaat einen Ersatz in der Teilnahme an der Souveränetät über das ganze Reich gegeben. Der Bundesrat ist kein bloßer Gesandtenkongreß wie der alte Bundestag. I n ihm sitzen teils die leitenden Staatsmänner der Einzelstaaten, teils erfahrene Beamte aus den verschiedenen Zweigen der Verwaltung. Dadurch sind aber besaß der Kaiser eine vollkommen selbständige Stellung außerhalb des Reichstages, so daß zu allen wichtigen Akten der Reichsregierung eine Zustimmung von Kaiser u n d Reichstag erforderlich war. Dagegen wird im jetzigen Reiche in denjenigen Fragen, welche der Entscheidung des Bundesrates unterliegen, der Kaiser nicht als solcher, sondern nur als Landesherr, als König von Preußen, durch seine Vertreter im Bundesrate tätig. Vollkommen originell ist außerdem bei dem jetzigen Bundesrate die regierungsähnliche Stellung, welche er gegenüber dem Reichstage einnimmt. [Vom historisch-politischen Standpunkt aus ist aber gar nichtDestreitbar, daß der Bundesrat die geschichtliche Fortsetzung des alten Reichstages darstellt. Das vermittelnde Glied ist die Bundesversammlung des deutschen Bundes. Vgl. Anschütz, Enzykl. 95, 196.J 4 Die bei einzelnen Schriftstellern vertretene Auffassung, daß die Reichsverfassung unfertig und widerspruchsvoll sei, erklärt sich meist aus dem Umstände, daß sie unrichtigerweise die Grundsätze der konstitutionellen Monarchie auf das Deutsche Reich anwenden. Dies gilt von Held, Die Verfassung des Deutschen Reiches, von den beiden Schriften des Grafen Münster, Der norddeutsche Bund und dessen Übergang zu einem Deutschen Reiche, Leipzig 1868; Deutschlands Zukunft das Deutsche Reich, Berlin 1879, und A. W i n t e r , Der Bundesrat und die Reichsoberhausfrage, Tübingen 1872. 6 Frankf. Reichsverf. Abschn. I I I Art. 3 § 84. 6 Dieser Gedanke ist namentlich in den § 120 N. 5 angeführten Äußerungen Bismarcks ausgesprochen. Vgl. Anschütz, Bismarck und die Reichsverfassung 25ff., Enzykl. 94, 95-, Rehm, Unitarismus und Föderalismus in der deutschen Reichsverfassung; 0 . Mayer im ArchOffR 18 861ff.f; Triepel, Unitarismus und Föderalismus im Deutschen Reiche (1907).
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auch die notwendigen Beziehungen zwischen Gesetzgebung und Verwaltung hergestellt worden, ohne welche eine gedeihliche Wirksamkeit beider nicht denkbar ist Dieselben Männer, welche im Bundesrat beim Erlaß der Reichsgesetze mitwirken, haben die Ausführung derselben in den Einzelstaaten zu leiten. Andererseits sind sie in der Lage, die gelegentlich der Ausführung gemachten Erfahrungen bei der Feststellung neuer zu verwerten. Überhaupt hat der Bundesrat vor allen politischen Versammlungen, welche in anderen Staaten vorkommen, den Vorzug, daß in ihm ausschließlich Männer sitzen, welche inmitten der Geschäfte stehen 7 . Trotz der kollegialischen Organisation der Reichsgewalt ist jedoch eine kräftige Exekutive im Reiche nicht ausgeschlossen. Alle Befugnisse, bei denen es auf eine energische und einheitliche Handhabung ankommt, namentlich die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten, des Miltärwesens und der Marine liegen in den Händen des Kaisers. Während die Stellung desselben formellrechtlich als eine bescheidene, und er selbst im Verhältnis zu den anderen verbündeten Fürsten nur als primus inter pares erscheint, besitzt er eine Reihe von Befugnissen, welche materiell außerordentlich schwer in das Gewicht fallen. I n seinen Händen liegt die Verfügung über die Machtmittel des Reiches. Das jetzige Deutsche Reich bildet in dieser Beziehung den geraden Gegensatz zum früheren deutschen Reiche. 2. Der Bundesrat 1.
§ 123. [„Der B u n d e s r a t besteht aus den Vertretern der Mitglieder des Bundes 2 / Als „Mitglieder des Bundes", d. h. des Reiches, zählt Art. 6 RV die 25 Staaten auf. Die im Bundesrate ver7
Vgl. Bosenthal, Die Reichsregierung (1911) 53, 54. Diese Seite der Formation des Bundesrates schwebt wohl B i s m a r c k vor, wenn er, Gedanken und Erinnerungen 2 190 den Bundesrat mit dem S t a a t s r a t anderer Länder vergleicht. 1 Vgl. außer den auf den Bundesrat bezüglichen Partieen der systematischen Darstellungen des Reichsstaatsrecht (insb. Laband, Zorn, Schulze, Arndt) und der Kommentare zur R V (v. Seydel, Arndt, Dambitsch, Zorn): M. Seydel, Der deutsche Bundesrat in v. Holtzendorffs und Brentanos Jahrbuch für Gesetzgebung usw. im Deutschen Reiche, N F 8 273ff. (auch: Staatsrecht! und polit; Abhandlungen, N F 90ff.); Laband, Art. -Bundesrat" im W S t V R ; derselbe JahrbOffR 1 18ff., D J Z 10 lff.; E. Kliemke, Die staatsrechtliche Natur und Stellung des Bundesrates, Berlin 1894: Loening, Grundzüge der Verfassung des Deutschen Reiches 59ff.; Anschütz, Enzykl. 95 ff.; v. Jagemann, Die deutsche Reichsverfassung 80 ff.; Herwegen. Reichs Verfassung und Bundesrat (Bonner Diss. 1902). Reincke, Der alte Keichstag und der neue Bundesrat (1906); Rosenthal, Die Reichsregierung (1911); Fera. Müller, Begriff und Rechte des Bundesrats (Heidelb. Diss. 1908). 2 RVerf Art. 6.
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tretenen Reichsmitglieder sind also die S t a a t e n , nicht ihre Regierungen, die Landesherrn und Senate der freien Städte als solche. Das Reich ist kein Fürstenbund, sondern ein aus Staaten zusammengesetzter Bundesstaat8.] Die S t i m m v e r t e i l u n g im Bundesrate des norddeutschen Bundes war nach Maßgabe der Bestimmungen für das Plenum •des früheren deutschen Bundes geregelt, jedoch so, daß Preußen «die ehemaligen Stimmen von Hannover, Kurhessen, Holstein, Nassau und Frankfurt zugerechnet wurden 4 . Von dieser Grundlage wich jedoch bereits der Zollvereinsvertrag vom 8. Juli 1867 insofern ab, als Bayern im Zollbundesrat sechs Stimmen statt vier beigelegt wurden 6 . Diese Bestimmungen sind in die deutsche üeichsverfassung übergegangen 6. Demgemäß führt Preußen im Bundesrat 17, Bayern 6, Sachsen und Württemberg je 4, Baden 8 [Vgl. oben § 120 S. 473. A. M. war G. Meyer; vgl. die Voraufl. § 123 S. 430 und Anm. 3. Er meint: „Im Bundesrate sind nicht die Staaten als solche, sondern die Monarchen und Senate als Repräsentanten ihrer Staaten vertreten," und führt hierzu an: „1. Nach Art. 6 besteht der Bundesrat aus den Vertretern der Mitglieder des Bundes, im Eingang der norddeutschen Bundesverfassung und der jetzigen Reichsverfassung werden aber als vertragschließende Kontrahenten, also als Mitglieder nicht die Staaten sondern die Monarchen und Senate aufgeführt. 2. I m Art. 9 der Reichsverfassung werden die Bundesratsmitglieder als Vertreter der Regierungen bezeichnet. 3. Wären im Bundesrate die Staaten vertreten, so hätte Lauenburg einen besonderen Vertreter haben müssen. Der Umstand, daß im Plenum des deutschen Bundes die holsteinische Stimme sich pro indiviso mit auf Lauenburg erstreckte, hätte ein Zusammenfassen der preußischen und lauenburgischen Stimme nicht rechtfertigen können, wenn ein solches mit dem Grundprinzip des Bundes nicht vereinbar gewesen wäre. 4. I m Art. 7 des Zollvereinsvertrages vom 8. Juli 1867 wird der dem Bundesrat des Deutschen Reiches durchaus analoge Zollbundesrat als „gemeinschaftliches Organ der R e g i e r u n g e n " bezeichnet. 5. Auch in Nr. I X des Schlußprotokolls vom 23. Nov. 1870 ist von dem Vertreter der bayrischen R e g i e r u n g im Bundesrate die Rede." G. Meyer verwechselt die Inhaberschaft des Rechts auf Vertretung im Bundesrat und die Ausübung dieses Rechts. Inhaber ist der Staat als solcher, die Ausübung steht der Regierung, und zwar allein und ausschließlich zu. Wie der jetzige Text: Laoand, StR 1 97 ff. und D J Z 16 1; Jellinek, System 301 N. 1; Zorn StR 1 148; Held 104, 193; Anschütz, Enzykl. 95, 96; Kliemke 14 ff. Daß auch Bismarck den Bundesrat als Vertretung nicht sowohl der Regierungen als der S t a a t e n auffaßte, ergibt sich klar aus der Reichstagsrede vom 19. April 1871. Er nennt dort den Bundesrat nicht einen Fürstenrat oder Fürstentag, sondern „ein S t a a t e n h a u s im vollsten Sinne des Wortes". „Da — d. h. im Bundesr a t — stimmt nicht der Frhr. v. Friesen, sondern das K ö n i g r e i c h S a c h s e n stimmt durch ihn . . . . es ist so recht eigentlich das Votum eines S t a a t e s , ein Votum in einem Staatenhaus."] 4 Verf. des nordd. Bundes Art. 6. * Z W Art. 8 | 1. 6 RVerf Art. 6. — Die Verfassung des norddeutschen Bundes enthielt eine ausdrückliche Hinweisung darauf, daß die Verteilung der Stimmführung nach Maßgabe der Vorschriften für das Plenum des ehemaligen deutschen Bundes erfolgt sei. M i t Rücksicht auf die eben erwähnte Abweichung von der ursprünglichen Grundlage ist in der jetzigen Redaktion der Reichsverfassung auch die Verweisung auf dieselbe weggelassen worden.
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und Hessen je 3, Mecklenburg-Schwerin und Braunschweig j e 2 Stimmen, alle anderen Staaten j e eine Stimme. [Nach dem Prinzip, welches die Formation des Bundesrates bestimmt, können Mitglieder des Bundesrates nur die deutschen Einzelstaaten sein,, repräsentiert durch die Bevollmächtigten ihrer Regierungen. Für eine Vertretung des Kaisers oder der reichsunmittelbaren Länder (Reichsland, Schutzgebiete) bietet der Bundesrat in seiner ursprünglichen verfassungsmäßigen Gestalt keinen Raum. Erst durch die letzte elsaß-lothringische Verfassungsreform (RG vom 31. Mai 1911} ist, unter Durchbrechung jenes Prinzips, dem Reichslande, obgleich es auch heute noch kein selbständiges Staatswesen, kein „Mitglied des Bundes" im Sinne des Art. 6 RV darstellt, Sitz und Stimme im Bundesrate verliehen worden a : Elsaß - Lothringen führt drei Stimmen im Bundesrate. Um die hierin liegende Regelwidrigkeit äußerlich zu verwischen, griff der Gesetzgeber zu einer Fiktion: er bestimmt h: n Elsaß-Lothringen gilt im Sinne des Art. 6 Abs. 2 und der Art. 7 und 8 der RVals Bundesstaat". Wohlverstanden: im Sinne dieser Verfassungsartikel und auch nur in deren Sinne g i l t das Reichsland als Staat des Deutschen Reichs („Bundesstaat nach dem amtlichen Sprachgebrauch). Das heißt: es ist kein Staat, wird aber in den durch jene Artikel geregelten Beziehungen so behandelt, als wäre es ein Staat 0 . Zusammen mit den drei reichsländischen Stimmen beträgt die Gesamtzahl der Stimmen im Bundesrate 61.] Jedes Mitglied des Bundes kann soviel Bevollmächtigte zum Bundesrate ernennen, wie es Stimmen hat, außerdem stellvertretende Bevollmächtigte in beliebiger A n z a h l D a die » K V Art. 6 a, in den Text der R V eingestellt durch R G über die Verf» Elsaß-Lothringens vom 31. Mai 1911. Vgl. unten § 138 S. 545. t> Art. I Abs. 4 des zit. R G vom 31. Mai 1911. c Laband 2 235ff.; Anschüte, Enzykl. 96; A. Schulze, Die Verf. und das W G für Elsaß-Lothringen (1911) 13, 21; Rehm, Das Reichsland ElsaßLothringen (1912) 4 ff., 12 ff. d Die RVerf kennt das Institut der stellvertretenden Bundesratsbevollmächtigten nicht. Man wird es nicht, wie meistens geschieht, ohne weiteres, auch nicht schon deshalb, weil die GO des Bundesrates (Fassung vom 26. April 1880, 5 1) es anerkennt, sondern nur insoweit für rechtsbeständig halten dürfen, als ein Gewohnheitsrecht ihm zur Seite steht. A n dem Dasein eines solchen Gewohnheitsrechtes ist indessen, wie Perels, stellvertr. Bevollmächtigte z. Bundesrat, Kieler Festgabe für Haenel (1907) 255ff., nachgewiesen hat, nicht zu zweifeln. Die stellvertretenden Bevollmächtigten werden nach der angegebenen Bestimmung der GO für den Bundesrat nicht für einzelne Hauptbevollmächtigte für den Fall von deren Verhinderung bestellt, sondern es wird außer den Hauptbevollmächtigten, deren Zahl nach Art. 6 R V begrenzt ist, eine zweite Reihe von ständigen Bevollmächtigten ernannt, deren Zahl unbegrenzt ist (Laband D JZ16 8). Diese stellvertretenden Bevollmächtigten, -Nebenbevollmächtigten" (Laband) sind nicht Vertreter der Hauptbevollmächtigten, sondern, wie diese, Vertreter der Staaten; ihre Teilnahme an den Geschäften des Bundesrates ist nicht bedingt durch die Verhinderung eines bestimmten Bevollmächtigten. Vgl. im übrigen Perels und Laband a. a. 0., auch Rosenthal, Reichsregierung 54. Wohl zu unterscheiden von den seitens der R e g i e r u n g ernannten stellvertretenden oder
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Stimmen nicht Stimmen der einzelnen Bevollmächtigten, sondern der Mitglieder des Bundes sind, so darf die Gesamtheit der zuständigen Stimmen nur einheitlich abgegeben werden 7 . Es besteht keinerlei Pflicht zur Ausübung des Stimmrechtes 8. Die Vertretung im Bundesrat geschieht durch i n s t r u i e r t e B e v o l l m ä c h t i g t e . Die Ernennung und Instruktion derselben geht von der Regierung, d. h. in den monarchisch regierten Staaten vom Monarchen, in den Freien Städten von den Senaten, in ElsaßLothringen vom dem kaiserlichen Statthalter © aus. Da Monarchen und Senate dabei als Vertreter ihrer Staaten handeln, so sind für die näheren Modalitäten der Instruktionserteilung die Vorschriften des Landesrechtes über Regierungshandlungen maßgebend. Dieselben kommen namentlich in Betracht hinsichtlich der Vorberatung der Instruktionen im Ministerium, der Kontrasignatur derselben 9 , der Delegation des Instruktionsrechtes an das Ministerium. [Ein Anspruch der L a n d t a g e auf Beteiligung an der Ausübung des Rechts der Regierung auf Ernennung und Instruierung der Bundesratsbevollmächtigten ist in den Reichsgesetzen nicht begründet, darf auch durch Landesgesetz nicht zugelassen werden. Ein Landesgesetz, welches dem Landtage die Wahl der Bundesratsvertreter überträgt oder die Instruktion an die Genehmigung des Landtags bindet, wäre dem Reiche gegenüber ohne rechtliche Nebenbevollmächtigten sind die Substitutionsbevollmächtigten, d. h. Bundesratsmitglieder, welcne von a n d e r e n B u n d e s r a t s m i t g l i e d e r n p e r s ö n l i c h zur Führung der Stimme der letzteren in einzelnen Fällen bevollmächtigt worden sind. Der Unterschied ist übersehen von Arndt, StR des Deutschen Reichs 93, dagegen erkannt von Pereis a. a. 0 . 264 N. 1 sowie D L i t Z 1911 1776, ferner von Schoenborn, ZtschfPol 7 304, und näher erörtert von Vogels im ArchOffR 27 69 ff. Vgl. auch Vogels, Die staatsrechtliche Stellung der Bundesratsbevollmächtigten (1911) und Pohl, Der Bundesratsbevollmächtigte im Reichstage, Zitelmann-Festschrift von 1913 4, 5. 7 RVerf Art. 6. 8 Dies ergibt sich schon aus der Bestimmung in Art. 7 der RVerf über nichtvertretene Stimmen. Übereinstimmend: Laband, StR 1 § 28 S. 219ff., im HbÖffR 44 und Seydel im Jahrb. 280. — Anderer Ansicht: Zorn, StR 1 157; Herwegen, RVerf und Bundesrat 44, 45. e Vgl. unten § 138 S. 545, § 139 S. 550. 9 Eine solche ist selbstverständlich erforderlich, wenn die Erteilung der Instruktion durch eine unmittelbare Verfügung des Monarchen erfolgt. Doch wird dies nur selten der Fall sein, vielmehr wird regelmäßig die Mitteilung der Instruktion durch einen Ministerialerlaß geschehen, der auf Grund eines Vortrages an den Monarchen ergeht. [Daß der betreffende Minister für diesen seinen „Erlaß" ebenso wie für den voraufgehenden „Vortrag" dem Monarchen wie dem Landtage gegenüber verantwortlich ist, und zwar, je nach Lage der einschlägigen landesstaatsrechtlichen Normen, nicht nur p o l i t i s c h , sondern auch r e c h t l i c h , ist nicht unbestritten — vgl. unten | 186 — aber nicht zu bezweifeln. Vgl. Laband, StR 1 99ff.^Dambitsch, K V 244 ff. Letzterer behauptet (245, 246) ganz grundlos und im Widerspruch mit den Prinzipien des Landesstaatsrechts über die Ministerverantwortlichkeit (oben §84 S. 276 ff.), daß die Minister nur für die Rechtsgültigkeit, nicht auch für die Zweckmäßigkeit der Bundesratsinstruktionen verantwortlich seien.]
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Wirkung. Für die verfassungsmäßige Vertretung des Einzelstaates im Bundesrate ist die Tatsache, daß der Vertreter die Vollmacht der R e g i e r u n g dieses Staates besitzt, ebenso erforderlich wie ausreichend 10 .] Der Bundesrat hat die L e g i t i m a t i o n der Bevollmächtigten, dagegen nicht ihre Instruktion, zu prüfen 11 . Für die Übereinstimmung des Votums mit der Instruktion trägt der Bevollmächtigte lediglich seiner heimatlichen Regierung gegenüber die Verantwortung. Im Verhältnis zum Reiche wird diese durch die Abstimmung ihres Bevollmächtigten unbedingt gebunden 12 . § 124. Für die G e s c h ä f t s b e h a n d l u n g im Bundesrate sind in erster Linie die Bestimmungen der Verfassung, innerhalb der durch die Verfassung gezogenen Schranken die Vorschriften der G e s c h ä f t s o r d n u n g maßgebend\ welche auf autonomischer Festsetzung des Bundesrates beruht 1 . Die B e r u f u n g , V e r t a g u n g und S c h l i e ß u n g des Bundesrates steht nach der Verfassung 2 dem Kaiser zu. Die Berufung muß erfolgen: 1. mindestens alljährlich, 2. wenn sie von einem Drittel der Stimmenzahl verlangt wird, 3. wenn eine Berufung des Reichstages stattfindet 8 . Der Bundesrat kann aber auch ohne den Reichstag berufen werden 4 . Die Vertagung und 10 Anderer Ansicht: Laband 1 247, 248; Zorn, StR 1 182, 168ff.; Herwegen a. a. 0 . 48, 44; v. Kirchenheim, Lehrbuch des deutschen StR 299; Pistorius, Staatsgerichtshöfe und Minister Verantwortlichkeit 198 ff.; Kaiisch, D i e Landtage und die Instruierung der Bundesratsbevollmächtigten (1913), insbes. S. 82. Übereinstimmend: Seydel, Komm, zu Art. 6 Nr. 1, im Jahrb. a. a. 0 . 5; v. Rönne, Preuß. StR 2 § 157 S. 360; v. Sarwey, Württ. StR 2 78ff.; H. Schulze, Lehrbuch des deutschen StR 2 § 256 S. 52; Ruhland in den Historisch - politischen Blättern 101 S. 166 ff.; Haenel, Deutsches StR 1 785; Loening. Grundzüge 61; Anschütz, Enzykl. 97; Dambitsch, R V 239 ff. [Die Verantwortlichkeit der Einzelstaatsregierungen gegenüber ihren Landtagen für die Instruierung der Bundesratsbevollmächtigten und das Verhalten dieser Bevollmächtigten im Bundesrat ist natürlich eine Frage für sich; vgl. die vorige Note und unten § 186 N. 3.] 11 Eine Ausnahme will Zorn, StR 1 158, 159 bei Abstimmungen über Aufhebung von Sonderrechten machen. Für diese Ansicht bietet die Verfassung keinerlei Anhalt. 12 Vgl. Anschütz, Enzykl. 97. 1 Die jetzige GO datiert vom 27. Febr. 1871. Sie ist gedruckt Berlin 1871. Eine Revision derselben hat am 26. April 1880 stattgefunden. Die revidieite GO ist abgedruckt bei Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat 4 205 ff. und bei Triepel, Quellensammlung z. deutschen RStR (1901), 227 ff. Eine weitere Abänderung hat am 31. Jan. 1895 stattgefunden (Seydel, Komm. 150). 2 R V Art. 12. 8 R V Art. 13 und 14. 4 Die R V Art. 13 fügt dieser Bestimmung allerdings die Worte „zur Vorbereitung der Arbeiten" hinzu. Dieselben sollen jedoch nur den Hauptanwendungsfall der separaten Berufung beispielsweise erwähnen, keineswegs
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1 .
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Schließung der Bundesratssession ist f o r m e l l nur insoweit beschränkt, als sie nicht während der Dauer der Reichstagssession erfolgen darf, m a t e r i e l l auch dadurch, daß, wenn ein Drittel der Stimmen mit derselben nicht einverstanden ist, es sich in der Lage befindet, eine sofortige neue Berufung zu verlangen. [Nach der Verfassung ist also der Bundesrat keine permanente, sondern eine periodisch zusammentretende Versammlung. T a t s ä c h l i c h ist er aber, da der Kaiser von seinem Schließungsrecht seit 1883 a keinen Gebrauch mehr gemacht hat, längst zu einem permanent tätigen Kollegium geworden, dessen zeitweise eintretende Geschäftsunterbrechungen den Charakter von Ferien habend] Der V o r s i t z im Bundesrate und die Leitung der Geschäfte steht dem Reichskanzler zu, welchen der Kaiser ernennt 5 . Da der Vorsitz im Bundesrate ein Ausfluß der Preußen als Präsidialmacht zustehenden Befugnisse ist 6 , der Kaiser außerdem im die Zulässigkeit derselben lediglich auf diesen beschränken. Vgl. auch Seydel im Jahrb. a. a. 0 . 293 N. 2. a Die letzte formelle Einberufung des Bundesrats durch den Kaiser erfolgte durch V . vom 21. Aug. 1883, R G B l 285. t> Nicht selten wird behauptet, daß dieser tatsächliche Zustand der Verf. widerspreche; dieser Widerspruch wird dann wieder geheilt durch die Behauptung einer „VerfassungsWandlung" (so Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung [1906] 22 ff.) oder eines verfassungändernden Gewohnheitsrechts (Perels in der Kieler Festgabe für Haenel [1907J 273 N. 4). I n Wahrheit ist ein Widerspruch und daher auch das Bedürfnis einer besonderen Rechtfertigung eines solchen nicht vorhanden. Vorhanden wäre es nur dann, wenn der Bundesrat sich ohne kaiserliche Berufung versammelt. Das ist aber nicht der Fall. Alle Sitzungen des Bundesrats seit 1883 sind durch die seither durch keinen actus contrarius (Schließung) aufgehobene, daher noch heute in Kraft stehende und fortwirkende Berufungsverordnung vom 21. Aug. jenes Jahres (s. d. vor. Anm.) legitimiert. Der Vorschrift, daß der Bundesrat nicht ohne den Willen des Kaisers zusammentreten darf, ist also nicht zuwidergehandelt. Andererseits hat auch der Kaiser die Verfassung nicht verletzt, wenn er es jahrzehntelang unterließ, den Bundesrat periodisch nach Hause zu schicken und wiederzuberufen, denn Art. 12 verbietet ihm wohl, gebietet ihm aber nicht, die Schließung unter bestimmten Voraussetzungen auszusprechen; die R V kennt keine Höchstdauer für die Zessionen des Bundesrats. Es liegt mithin weder eine Verletzung noch eine Änderung des bestehenden VerfR vor, eine Änderung auch insofern nicht, als der Kaiser das Recht, den Bundesrat zu schließen, nicht durch Nichtgebrauch verloren hat. A. M. Jellinek a. a. 0 . 23; gegen ihn Triepel, Unitarismus und Föderalismus 41, 42, 50. Richtig auch Zorn, StR 1160, Dambitsch, R V 309, Herwegen, Bundesrat 48. » R V Art. 15. 6 Vgl. Laband, StR 1 278. Anderer Ansicht: Haenel, Organisatorische Entwicklung der R V 25 N. 1 und F . Hensel, Die Stellung des Reichskanzlers nach dem StR des Deutschen Reiches, in AnnDR 1882 23 und 24, welche der Meinung sind, daß der Vorsitz dem Reichskanzler nicht als Vertreter Preußens, sondern als kaiserlichem Beamten zustehe. Diese Auffassung befindet sich zwar mit dem Wortlaut des Art. 15 der R V im Einklang, derselben steht aber die Entwicklungsgeschichte des Amtes des Reichskanzlers entgegen. Letzterer sollte nach dem Entwürfe der norddeutschen Bundesverfassung lediglich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrat sein und etwa die Stellung eines Bundespräsidialgesandten haben. Durch die Amen-
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Zweiter Teil.
Zweites Buch.
§ 14.
Bundesrate nur in seiner Eigenschaft als König von Preußen durch die preußischen Bevollmächtigten vertreten ist, so ergibt sich, daß der Reichskanzler preußischer Bevollmächtigter sein muß 7 . [Ist der Reichskanzler verhindert und ein allgemeiner Stellvertreter (Generalstellvertreter, Vizekanzler, vgl. unten § 135a) für ihn bestellt, so steht diesem das Recht des Vorsitzes nicht dierungen des verfassungberatenden Reichstages ist ihm allerdings außerdem die Funktion eines obersten Ver waltungsbeamten des Reiches beigelegt, in seiner ursprünglichen Stellung und den Rechten der Präsidialmacht aber durchaus nichts verändert worden. Ebensowenig hat bei der Gründung des Deutschen Reiches und der Abfassung der jetzigen R V die Absicht bestanden, in bezug auf das Amt des Reichskanzlers und die Stellung Preußens als Präsidialmacht irgend eine Veränderung vorzunehmen. Auch die Bestimmung des Schlußprotokolls vom 23. Nov. 1870 Nr. I X , wonach im Falle der Verhinderung Preußens der Vorsitz im Bundesrat von dem bayrischen Vertreter geführt werden soll, deutet darauf hin, daß der Vorsitz grundsätzlich Preußen zustehen soll. Es ist unmöglich, diese Festsetzung, wie Haenel a. a. 0 . w i l l , so zu verstehen, daß Preußen dadurch nur ein Recht auf Substitution im Falle der Verhinderung des Reichskanzlers beigelegt werden solle. 7 Die Meinung, daß der Reichskanzler Bevollmächtigter und zwar preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrat sein müsse, wird fast von allen Schriftstellern geteilt: Laband, StR 1; Haenel, Organisatorische Entwicklung der R V 26ff.; Zorn, StR 1 160ff., 252; v. Rönne, Preuß. StR 2 § 175 S. 517; Zorn in der 5. Aufl. dess. 1 § 6 S. 123; H . Schulze, Lehrbuch des deutschen StR 2 § 268 S. 91; v. Kirchenheim, Lehrbuch des deutschen StR 312; Proebst, Verf. des Deutschen Reiches, zu Art. 15 Nr. 3; Rosenberg, Die staatsrechtliche Stellung des Reichskanzlers 9, 11 ff.; Preuß in ZStW 45 433, 445, 446; Zorn, Komm, zur R V zu A r t 15 Nr. 1; Arndt, Komm. z. R V , z. Art. 15 S. 132 u. RStR 97; Fischer, Das Recht des deutschen Kaisers 143 ff.; Seydel, Komm, zu Art. 15; Graßmann im Ar.chÖffR 11 331 ff.; Loening, Grundzüge 63; Anschütz, Enzykl. 98, 99; Herwegen a. a. 0 . 49; Kliemke a. a. 0. 22 ff. fordert wenigstens, daß der Reichskanzler Bundesratsmitglied sei. Dagegen hat B i s m a r c k gelegentlich die Ansicht ausgesprochen, daß der Reicnskanzler gar nicht Mitglied des Bundesrats zu sein brauche (Reichstagssitzung vom 18. März 1877, Sten. Ber. 1 127, und vom 24. Jan. 1883, Sten. Ber. 893, Gedanken und Erinnerungen 2 397 ff.). Dieselbe wird in der Wissenschaft von P. Hensel a. a. 0 . 10 ff. vertreten* Gegen diese Ansicht spricht aber der Umstand, daß der Vorsitz im Bundesrat ein Recht der Präsidialmacht Preußen ist, das nur durch einen Bevollmächtigten dieser Macht ausgeübt werden kann, sowie die geschichtliche Entwicklung des Amtes des Reichskanzlers, der ursprünglich sogar lediglich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrat sein sollte (vgl. N. 6). Außerdem zeigt Art. 15 der R V , welcher dem Reichskanzler die Befugnis beilegt, sich durch Jedes a n d e r e Mitglied des Bundesrates" vermöge schriftlicher Substitution vertreten zu lassen, deutlich genug, daß nach Absicht der R V der Reichskanzler ebenfalls Mitglied des Bundesrates sein soll. Der Vorgang aus dem Jahre 1867 endlich, auf den sich Hensel a. a. 0 . 12 beruft, beweist nicht g e g e n , sondern f ü r die hier vertretene Meinung. I n dem Verzeichnis der Bundesratsbevollmächtigten vom 10. Aug. 1867 findet sich der Name des damaligen Bundeskanzlers Grafen v. Bismarck allerdings nicht. Daraus folgt aber nicht, daß er zu jener Zeit nicht Bundesratsbevollmächtigter war. Er war dies vielmehr unzweifelhaft, denn er hat damals sogar die preußische Stimme im Bundesrate geführt. Die Veröffentlichung seiner Eigenschaft als Vertreter im Bundesrate wurde nur deshalb nicht für nötig gehalten, weil man annahm, daß diese sich wegen seiner Ernennung zum Bundeskanzler von selbst verstehe. Vgl. auch. Seydel, KritVJSchr 273.
Die Organe.
§
1 .
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ohne weiteres, sondern nur dann zu, wenn der Vorsitz ihm gemäß Art. 15 Abs. 2 RV vom Reichskanzler durch Substitutionsvollmacht für den einzelnen Fall oder ein für allemal übertragen worden ist c .] Der Reichskanzler kann sich außerdem im Vorsitz durch jedes andere Mitglied des Bundesrates vermöge schriftlicher Substitution vertreten lassen8. I m Fall der Verhinderung Preußens ist es als ein Recht der bayerischen Regierung anerkannt, daß ihr Vertreter den Vorsitz im Bundesrate führt 9 . Der bayerische Vorsitz soll nicht etwa schon eintreten, wenn nur der Reichskanzler verhindert, sondern erst dann, wenn P r e u ß e n , d. h. wenn j e d e s der preußischen Bundesratsmitglieder d verhindert ist. Die Bedeutung der Bestimmung liegt darin, daß der Reichskanzler, wenn er sich nicht einen preußischen Bevollmächtigten substituiert, den Vorsitz nur einem bayerischen Bevollmächtigten, nicht dem eines anderen Staates, übertragen darf 1 0 . A n t r ä g e können im Bundesrate von den Mitgliedern des Bundes, also von den Einzelstaaten durch ihre Bevollmächtigten eingebracht werden. [Durch das Gesetz vom 31. Mai 1911 (oben 484) ist das Recht der Stellung von Anträgen im Bundesrate auch dem Reichslande Elsaß-Lothringen verliehen worden. Das Präsidium ist verpflichtet, die Anträge der Staaten und Elsaß-Lothringens der Beratung zu übergeben. Ihm selbst — d. h. dem c Denn das Gr., betr. die Stellvertretung des Reichskanzlers vom 17. März 1878 (vgl. unten § 135.a), bezieht sich nur auf die Geschäfte des Reichskanzlers als Minister des Kaisers (RY Art. 17) , nicht auf die als Vorsitzenden des Bundesrats (Art. 15); diese letztere Seite des Amtes des Reichskanzlers hat das Stell Vertretungsgesetz, wie es selbst — § 4 — sagt, nicht berührt. W i e der Text: Zorn, StR 1 162, Seydel, Komm. 170; a. M. die Voraufl. 434, 462 sowie Laband, 1 279, 280, Hensel, a. a. 0 . 59, Dambitsch, R V 323, 374, Rosenthal, Reichsregierung 36. Smend, AnnDR 1906 329 läßt die Frage unentschieden. — Die Übertragung des Vorsitzes an den Generalstellvertreter setzt natürlich, nach Art. 15 Abs. 2, voraus, daß dieser selbst Mitglied des Bundesrates ist, was an und für sich nicht der Fall zu sein braucht (vgl. unten § 135 a). 8 R V Art. 15. Abs. 2; RG., betr. die Stellvertretung des Reichskanzlers vom 17. März 1878 § 4. 9 Schlußprot. vom 24. Nov. 1870 Nr. I X . [Auch der bayerische Bundesratsbevollmacntigte bedarf, um den Vorsitz fuhren zu können, der schriftlichen Substitutionsvollmacht des Reichskanzlers. A. M. Seydel, Komm. 169, der behauptet, daß, wenn der Reichskanzler verhindert und ein formgerecht substituierter preußischer Bevollmächtigter nicht anwesend ist, der Vorsitz ipso jure auf den Vertreter Bayerns übergehe. Dagegen zutreffend Smend, AnnDR 1906 327 N. 1.] d Es ist jedoch, wie v. Jagemann, R V 84 aus der Praxis berichtet, üblich, dem bayerischen Bevollmächtigten den Vorsitz schon dann zu übertragen, wenn der Reichskanzler und sein nächster Stellvertreter (herkömmt lieh der Staatssekretär des Innern) verhindert sind. 10 Thudichum im JbDR a. a. 0 . 26 N. 2; Seydel, Komm, zu Art. 15, im Jahrb. 294; Laband, StR 1 279, Kl. A. 70; v. Rönne, StR des Deutschen Reiches 1 § 22 S. 207; H. Schulze, Lehrbuch des deutschen StR 2 § 258 S. 64; Proebst a.a.O. Art. 15 Nr. 4; Kittel, Die bayerischen Reservatrechte 49.
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Zweiter T e i l
Zweites Buch.
§ 14.
Kaiser — steht nach dem Wortlaut der RV (Art. 7) eine Initiative im Bundesrat nicht zu. Eine solche hat sich jedoch gewohnheitsrechtlich entwickelt 1 1 . Sie wird durch den Reichskanzler ausgeübt]. Für die verschiedenen Sitzungsperioden des Bundesrate» gilt das Prinzip der K o n t i n u i t ä t , so daß Geschäfte, welche in der einen nicht erledigt sind, in der folgenden an demselben Punkte, an welchem sie stehen geblieben, wieder aufgenommen werden. Eine bestimmte Zahl für die B e s c h l u ß f ä h i g k e i t des Bundesrates schreibt die Reichsverfassung nicht vor. Es ist also jede erschienene Zahl von Vertretern beschlußfähig. Jeder Bevollmächtigte kann sich für die Abstimmung den Bevollmächtigten eines anderen Staates substituieren 12 . Nicht vertretene oder nicht instruierte Stimmen werden nicht gezählt 18 . Die B e s c h l u ß f a s s u n g erfolgt mit einfacher Stimmenmehrheit, bei Stimmengleichheit gibt die Präsidialstimme, d. h. die Stimme Preußens, den Ausschlag u . [Die elsaß-lothringischen Stimmen werden nicht gezählt, wenn Preußen nur durch den Hinzutritt dieser Stimmen die Mehrheit für sich erlangen oder den Ausschlag geben würde 16 .} 11 D i e R V , Art. 7, kennt nur eine Initiative der „Mitglieder des Bundes". Für völkerrechtliche Verträge und Rechnungsangelegenheiten ist die kaiserliche Initiative durch die Stellung des Kaisers notwendig gegeben. Dieselbe hat sich aber auch für Gesetzentwürfe ausgebildet (Haenel, Organisatorische Entwicklung 42; G. Meyer, Anteil der Reichsorgane 98; Frormann im ArchOffR 14 80ff. Vgl. auch Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat 4 36. W i e im Text fernere Jellinek, Staatsl. 536, 537, Loening, Grundzüge 63, Anschütz, Enzykl. 99, Bornhak, ArchOffR 26 385, Triepel, Unitarismus und Föderalismus 63, Pereis in der Haenel - Festschrift von 1907, 255, Rosenthalr Reichsregierung 73. Neuerdings erkennt auch Laband das kaiserliche Initiativrecht an: StR 1(5. Aufl.) 238, 239 und J b Ö f f R l 16, 17 (vgl. dagegen StR 1, 4. Aufl., 217). — Gegen die kaiserliche Initiative Seydel, Komm, zu Art. 7 N . V I , v. Jagemann, R V 8 7 , 88 und Graßmann im ArchOffR 11 338ff. r deren Ausführungen sich zwar mit den Bestimmungen der R V in Einklang befinden, welche aber die inzwischen eingetretene gewohnheitsrechtliche Entwicklung übersehen. RevGO § 2. 18 R V Art. 7 Abs. 3 Satz 2. Vgl. dazu v. Jagemann a. a. 0 . 83, 84, Anschütz, Enzykl. 99. 14 R V Art. 7 Abs. 3 Satz 3. — Das Recht, bei Stimmengleichheit den Ausschlag zu geben, ist ein spezielles Vorrecht Preußens und geht nicht auf den jeweiligen Vorsitzenden, z. B. den den Reichskanzler vertretenden bayerischen Bevollmächtigten, über. Vgl. Laband 1 283 N. 3; Seydel im Jahrb. a. a. O. 281, Komm, zu Art. 7 Nr. V I I ; H . Schulze a. a. 0. 66, Westerkamp, Staatenbund und Bundesstaat 289; Frormann a. a. 0 . 40 ff. Anderer Ansicht: R. v. Mohl 236. 16 R V Art. 6 a Abs. 2. Vgl. dazu Laband 2 237 ff.; Rehm, Das Reichsland Elsaß-Lothringen (1912) 33, 34. [Der Zweck der Bestimmung ist, zu verhindern, daß die Einrichtung der elsaß-lothringischen (vom Statthalter, einem Untergebenen des Kaisers instruierten 1) Bundesratsatimmen faktisch als Verstärkung der Stellung Preußens im Bundesrat wirkt.]
Die Organe.
§ 15.
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Von dem Majoritätsprinzip bestehen jedoch zwei Ausnahmen: 1. Abänderungen der Reichsverfassung gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrate 14 Stimmen gegen sich haben 16 . [Die elsaßlothringischen Stimmen werden nicht gezählt, wenn sie gegen und die Stimmen Preußens für die Verfassungsänderung abgegeben werden 17 .] 2. In bezug auf einzelne Gegenstände gibt bei Meinungsverschiedenheiten die Stimme des Präsidiums stets den Ausschlag, wenn sie sich für Aufrechterhaltung der bestehenden Einrichtungen ausspricht. Diese Gegenstände sind: Gesetze über Militärwesen, Kriegsmarine, Zölle und Verbrauchssteuern von dem im Bundesgebiete gewonnenen Salz, Tabak, Branntwein, Bier> Zucker und Sirup, sowie Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, welche zur Ausführung der angeführten Zoll- und Steuergesetze dienen 18 . Bei der Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche nach den Bestimmungen der Verfassung n i c h t d e m g a n z e n R e i c h e g e m e i n s c h a f t l i c h i s t , werden die Stimmen nur derjenigen Bundesstaaten gezählt, welchen die Angelegenheit gemeinschaftlich i s t 1 9 . Diese Vorschrift bezieht sich, wie der Zusatz „nach den Bestimmungen dieser Verfassung" deutlich anzeigt, nur auf solche Gegenstände, hinsichtlich deren einzelne Staaten von der Kompetenz des Reiches eximiert sind. Ausgeschlossen ist demnach das Stimmrecht Bayerns, Württembergs und Badens hinsichtlich der Bierbesteuerung, das Stimmrecht Bayerns und Württembergs hinsichtlich der auf sie nicht anwendbaren Postund Telegraphengesetze 20, das Stimmrecht Bayerns in bezug auf Heimats- und Niederlassungsverhältnisse und die dem Reiche in Art. 42—46 Abs. 1 der Reichsverfassung eingeräumten Hoheitsrechte über das Eisenbahnwesen. Dagegen bezieht sich die Beschränkung des Stimmrechtes nicht auf solche Maßregeln, für welche die allgemeine Kompetenz des Reiches grundsätzlich anerkannt ist, welche sich jedoch tatsächlich nur auf einen Teil des Reichsgebietes erstrecken 21 , oder an denen nur ein Teil dea Reiches interessiert ist. R V Art. 78. Vgl. unten § 164 [RV Art. 6a Abs. 2 Satz 2. Vgl. Laband a. a. O. 2 238. Sinn: eine von Preußen beantragte oder gutgeheißene Änderung der R V soll-glicht an dem Widerstande Elsaß-Lothringens scheitern.] »« R V Art. 5 und 37. » R V Art. 7. 20 Auch bei der P o s t v e r w a l t u n g würde das Stimmrecht Bayerns und Württembergs ausgeschlossen sein. Der Bundesrat wird aber kaum in die Lage kommen, hierüber Beschlüsse zu fassen, da die Post- und Telegraphenverwaltung nach Art. 50 der R V Sache des Kaisers ist. 21 Laband, StR 1 § 28 S. 251; v. Rönne, StR des Deutschen Reiches 2 S 22 S. 206; Westerkamp 100; Thudichum im Jahrbuch des Deutschen Reiches 23 N. 1; Seydel im Jahrb. 282 und 283, Komm, zu A r t 7 Nr. V I I I ; Zorn, StR 1 151, 435; H . Schulze, Lehrbuch des deutschen StR 2 § 256 S. 53;. v. Jagemann, R V 85. 17
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§ 15.
§ 125. Der Bundesrat bildet aus seiner Mitte A u s s c h ü s s e 1 . Ein Teil dieser Ausschüsse ist durch die Verfassung angeordnet und hat den Charakter von d a u e r n d e n , d. h. fortwährend existierenden, nicht fortwährend versammelten Ausschüssen. Dies sind die Ausschüsse: 1. für Landheer und Festungen, 2. für Seewesen, d. h. für die Kriegsmarine, 3. für Zoll- und Steuerwesen, 4. für Handel und Verkehr, 5. für Eisenbahnen, Post- und Telegraphen-, 6. für Justizwesen, 7. für Rechnungswesen, 8. für die auswärtigen Angelegenheiten. Außer diesen kann aber der Bundesrat nach seinem Ermessen noch weitere Ausschüsse, und zwar sowohl dauernde als außerordentliche bilden. I n der Verfassung nicht erwähnte, aber durch die Geschäftsordnung festgestellte, dauernde Ausschüsse sind die für Elsaß - Lothringen, für die Verfassung und die Geschäftsordnung 2. Später ist auch ein Ausschuß für das Eisenbahngütertarifwesen hinzugekommen 8 . Über die Z u s a m m e n s e t z u n g der Ausschüsse gelten — abgesehen von dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten — folgende Grundsätze. In jedem Ausschuß müssen außer Preußen mindestens vier Bundesstaaten vertreten sein, innerhalb desselben führt jeder Staat nur eine Stimme. In dem Ausschuß für das Landheer und die Festungen hat Bayern kraft der Verfassung, Württemberg und Sachsen kraft der Militärkonventionen einen ständigen S i t z 4 ; die übrigen Mitglieder desselben, sowie die Mitglieder des Ausschusses für Seewesen ernennt der Kaiser. Die Mitglieder der anderen Ausschüsse werden von dem Bundesrate gewählt. Die Ernennung oder Wahl erfolgt in der Weise, daß der Kaiser oder Bundesrat die Staaten bezeichnet, welche in dem Ausschuß vertreten sein sollen 6 . Die Wahl erfolgt 1
R V Art. 8. RevGrO § 17. 8 Seydel, Komm. 150. 4 Uber die Konventionen und namentlich über die Rechtsgultigkeit der Bestimmung der Sächsischen Militärkonvention vgl. § 100. — Die Behauptung Labands a. a. 0 . 3. Aufl. 252, daß der Kaiser die speziellen Bevollmäcntifften Württembergs und Sachsens, welche Mitglieder des Ausschusses sein sollen, zu bezeichnen habe, trifft nicht zu. Vielmehr ist die bestehende Praxis, wonach der Kaiser nur die Staaten bezeichnet, der R V durchaus entsprechend. Demgemäß haben die Bestimmungen der Konventionen über Sachsen und Württemberg materiell dieselbe Bedeutung wie die der Verf. über Bayern. Formell besteht der Unterschied, daß der Kaiser Sachsen und Württemberg ausdrücklich als Mitglieder des Ausschusses bezeichnet, während dies bei Bayern nicht der Fall ist. [In den späteren Auflagen seines. StR hat Laband seine Ansicht modifiziert; vgl. 5. Aufl. 1 287 und N. 7]. Übereinstimmend : Seydel im Jahrb. 278 und 279; Westerkamp, Staatenbund und Bundesstaat 290 N. 7; v. Jagemann a. a. O. 86. 5 RevGO § 18. Dieses Verfahren steht in vollem Einklang mit den Bestimmungen des Art. 8 der R V . Übereinstimmend: Seydel a. a. 0. und 2
Die Organe.
§
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1 .
durch geheime Abstimmung 6 . Die Zusammensetzung der Ausschüsse ist für jede Session des Bundesrates bzw. mit jedem Jahre zu erneuern, wobei die ausscheidenden Mitglieder wieder wählbar sind. Diese Ausschüsse entwickeln k e i n e r l e i s e l b s t ä n d i g e T ä t i g k e i t . Sie haben in erster Linie die Aufgabe, die Beschlüsse für den Bundesrat vorzubereiten; außerdem unterstützen sie den Kaiser und die von ihm bestellten Behörden in Ausübung ihrer Punktionen, indem sie entweder zwischen ihnen und den Einzelregierungen vermitteln oder bei der Vornahme gewisser Verwaltungshandlungen ihr Gutachten oder ihre Zustimmung erteilen 7 . Eine besondere Stellung nimmt der Bundesratsausschuß für die a u s w ä r t i g e n A n g e l e g e n h e i t e n 8 ein. Er dient, nicht zur Vorbereitung von Bundesratsbeschlüssen (hierzu würde es an der nötigen Voraussetzung fehlen, denn die auswärtige Politik ist nicht Sache des Bundesrates, sondern des Kaisers 9), sondern — im wesentlichen — nur zur Entgegennahme von Mitteilungen der Reichsregierung (d. h. des Kaisers) über die auswärtige Politik. Deshalb ist Preußen in ihm nicht vertreten; er besteht aus den Bevollmächtigten der Königreiche Bayern, Sachsen und Württemberg, und zwei vom Bundesrate alljährlich zu wählenden Bevollmächtigten anderer Bundesstaaten. Bayern führt den Vorsitz; der bayerischen Regierung steht es demgemäß zu, den Ausschuß einzuberufen. Den Ausschüssen werden die zu ihren Arbeiten nötigen Beamten zur Verfügung gestellt.
§ 126.
Die M i t g l i e d e r d e s B u n d e s r a t e s 1 haben nicht den Charakter von Beamten des Reiches, sondern den von B e v o l l m ä c h t i g t e n d e r e i n z e l n e n R e g i e r u n g e n . Sie sind an die Instruktionen ihrer Regierung gebunden und für die ErKomm. zu Art. 8 Nr. I I . Anderer Ansicht: Laband, StR a. a. 0 . 3. Aufl. 250; vgl. aber 5. Aufl. 1 287; Haenel, Organisatorische Entwicklung der deutschen R V 30 N. 1; Westerkamp a. a. 0. 290 N. 8 ; Binding in der D J Z 4 72. 6 RevGrO § 18. 7 Uber die Praxis unterrichtet gut v. Jagemann a. a. O. 85 ff. 8 Vgl. unten § 190. Zur Entstehungsgeschichte dieses, der nordd. B Y unbekannten, erst durch die Novemberverträge von 1870 eingeführten Ausschusses: Busch, Die Kämpfe um Reichsverfissung und Kaisertum 1870/71. , dessen Art. 13 lautet: „Das Präsidium ernennt den Bundeskanzler, welcher im Bundesrate den Vorsitz führt und die Geschäfte leitet." Der Bundeskanzler ist hiernach der stimmfuhrende Bundesratsbevollmächtigte Preußens, der, vergleichbar dem Präsidialesandten im alten Bundestage c, als erster Vertreter der Vormacht deren timme und den Vorsitz führen sollte. Er war also kein Bundesbeamter, am wenigsten ein selbständiger und verantwortlicher B u n d e s m i n i s t e r , sondern ein abhängiges Organ der preußischen Staatsregjerung d, dazu bestimmt, nach den Anweisungen dieser Regierung die Mitgliedschafts- und Präsidialrechte Preußens im Bundesrate auszuüben. An dieser Stellung wurde dadurch nichts geändert, daß die verbündeten Regierungen dem Art. 19 des Entwurfs — „Dem Präsidium steht die Ausfertigung und Verkündigung der Bundesgesetze und die Überwachung der Ausfunrung derselben zu" — den Satz anfügten: „Die hiernach von dem Präsidium ausgehenden Anordnungen werden im Namen des Bundes erlassen und von dem Bundeskanzler mitunterzeichnet."« Denn die hier dem Bundeskanzler zur Pflicht gemachte Mitunterzeichnung ist nur Beglaubigung, keine verantwortliche Gegenzeichnung,. sie macht den Kanzler nicht zum Minister des Präsidiums^ Der Bundeskanzler der Entwürfe der nordd. B V w a r also dem Reichstage nicht verantwortlich. Aber auch sonst fehlte es an einem dem Reichstage verantwortlichen ministeriellen Organ. Der als oberster regierender Faktor des Bundes gedachte Bundesrat war niemandem, und die preußische Regierung, welche in weitem sachlichen Umfange den Bund hegemonisch beherrschen sollte», war hierfür lediglich ihrem Landtage verantwortlich. Es fehlte mithin überhaupt an einer den konstitutionellen Grundsätzen entsprechenden, d. h. dem Bundesparlament gegenübergestellten, ihm verantwortlichen Bundesregierung. Infolgedessen war das Panament, also der Reichstag nach den Entwürfen auf die Mitwirkung bei der Gesetzgebung beschränkt, auf die vollziehende Gewalt des Bundes dagegen ohne Einfluß. Begreiflicherweise sah der verfassungberatende Reichstag hierin einen Mangel. Das Bestreben, diesem Mangel abzuhelfen, führte zu lebhaften Auseinander-
f
t> Oben § 64 Anm. b, c. c Oben § 42 S. 125. Bismarck im Reichstage, 5. März 1878 (Sten. Ben 1, 342): „Als der Verfassungsentwurf für den Norddeutschen Bund zuerst zur Revision gelangte, da war der Reichskanzler durchaus nicht mit den bedeutenden Attributionen ausgestattet, die ihm durch den einfachen Satz, der sich heute in Art. 17 der Verfassung befindet, zugeschoben sind. Er ist damals durch e i n e Abstimmung in das jetzige Maß hineingewachsen, während er vorher einfach das war, was man in Frankfurt in oundestäglichen Zeiten einen Präsidialgesandten nannte, der seine Instruktionen, von dem preußischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten zu empfangen hatte und der nebenher das Präsidium im Bundesrat hatte." d „Unterstaatssekretär für deutsche Angelegenheiten im auswärtigen reußischen Ministerium" wie Bismarck in der vorstehend Anm. c zitierten tede sagt. e Oben § 127 S. 497 Anm. h. f Haenel, Studien 2 19; Preuß, ZStW 45 431; Rosenthal, Die Reichsregierung 12. s Oben § 127 S. 494 ff.
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Zweiter Teil.
Zweites Buch.
§ 135.
Setzungen zwischen dem Reichstage und den verbündeten Regierungen in deren v erlaufe zunächst Anträge, welche die Übertragung der gesamten vollziehenden Gewalt des Bundes auf das Präsidium und die Einsetzung eines verantwortlichen Bundesministeriums bezweckten, abgelehnt wurden, schließlich aber (27. März 1867) ein sachlich verwandter Vorschlag des Abgeordneten v. Bennigsen angenommen wurde, dahingehend, dem Art. 18 Satz 2 des Verfassungsentwurfe ( = R V Art. 17 Satz 2) die Fassung zu geben: «Die Anordnungen und Verfugungen des Bundespräsidiums werden im Namen des Bundes erlassen und bedürfen zu ihrer Gültigkeit der G e g e n z e i c h n u n g des B u n d e s k a n z l e r s , w e l c h e r d a d u r c h d i e V e r a n t w o r t l i c h k e i t ü b e r n i m m t . " Der Antrag Bennigsen fand die Zustimmung der Regierungen und ging in den Text der Verfassung über. Seine Bedeutung für die Entwicklungsgeschichte der Präsidialgewalt ist bereits in anderem Zusammenhange (oben 496) gewürdigt^ worden. Der Bundeskanzler ist durch die Annahme des Antrags Bennigsen aus dem Verhältnis der Abhängigkeit, in dem er nach Absicht des Entwurfs zu dem preußischen Minister des Auswärtigen stehen sollte, losgelöst und zum selbständigen, verantwortlichen Leiter der Bundesregierung, soweit sie dem Präsidium zustand, zum Bundesminister erhoben worden. Es wurde, wie Bismarck in der oben Anm. c angeführten Reichstagsrede ausführte „durch den Art. 17 R V die Bedeutung des Kanzlers plötzlich zu der eines kontrasignierenden Ministers und nach der ganzen Stellung nicht mehr eines Unterstaatssekretärs für deutsche Angelegenheiten im auswärtigen preußischen Ministerium, wie es ursprünglich die Meinung war, sondern zu der eines leitenden Reichsministers hinaufgeschoben." — Die nächste praktische Folge des Antrags Bennigsen war, daß Bismarck, der für den Posten des Bundeskanzlers bis dahin einen seiner Untergebenen in Aussicht genommen hatte, nun selbst Bundeskanzler wurde. So entstand die ministerielle Seite des Kanzleramtes: der Bundes— seit 1871 R e i c h s - — kanzler des Art. 17 R V , und damit zugleich die Grundlage der Stellung des Reichskanzlers als Leiter der Reichs Verwaltung (vgl. unten § 136). Die Eigenschaft des Kanzlers als Vorsitzender des Bundesrates, der Kanzler des Art. 15 R V , blieb von der lex Bennigsen unberührt.
1. D e r R e i c h s k a n z l e r i m B u n d e s r a t (Art. 15 RV). — Diese Seite des Kanzleramts ist bereits oben § 124 S. 487 besprochen worden. Art. 15 RV sagt ausdrücklich nur, daß der Reichskanzler V o r s i t z e n d e r des Bundesrates sei und dessen Geschäfte (mit „Geschäfte" meint Art. 15 Abs. 1 nicht etwa die Reichsgeschäfte überhaupt, sondern die inneren Angelegenheiten des B u n d e s r a t s ) leite. Es ist dabei aber als selbstverständlich vorausgesetzt, daß er auch M i t g l i e d des Bundesrates sein muß, und zwar stimmführender Bevollmächtigter Preußens i. Über das Verhältnis des Reichskanzlers in dieser letzteren Eigenschaft zur preußischen Staatsregierung sagt die Verfassung nichts. Nach den oben § 123 dargelegten allgemeinen Grundsätzen ist dies Verhältnis ein einseitiges Abhängigkeitsverhältnis, kraft dessen der Bevollmächtigte im Bundesrate, insbesondere bei Abstimmungen, h Vgl. Haenel, a. a. 0 . 16 ff.; Preuß, a. a. 0. 430ff.; Grassmann im ArchOffR 11 314ff.; Rosenthal, a. a. 0. 8 ff. i Vgl. oben § 124 N. 7. Der verfassungsmäßige Vorsitzende des Bundesrates und der Vertreter der „Stimme des Präsidiums", der „Präsidialstimme" (RV Art. 5 Abs. 2, Art. 6 a) sind also eine und dieselbe Person.
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die inm erteilten Instruktionen zu befolgen hat und seiner Regierung für diese Befolgung verantwortlich i s t Der einfachen Anwendung dieses Grundsatzes auf den Reichskanzler steht jedoch dessen Eigenschaft als Reichsminister (unten Nr. 2) entgegen. Solange diese Eigenschaft dem Kanzler noch nicht zugedacht war, also im Stadium der Entwürfe der Nordd. BV, vor Annahme der lex Bennigsen (s. oben), konnte es allerdings, wie das ja auch tatsächlich der Fall war, im Plane liegen, den Kanzler der preußischen Staatsregierung, insonderheit dem für die Instruierung der preußischen Bundesratsstimme zuständigen Ressortminister, dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten, unterzuordnen. Nachdem aber der Kanzler in die Stellung eines verantwortlich leitenden und kontrasignierenden Bundesministers erhoben worden war, konnte es bei der ursprünglich beabsichtigten Abhängigkeit von einer preußischen Ministerialinstanz nicht verbleiben. Der Minister des Deutschen Kaisers kann der Regierung .des Königs von Preußen nicht untergeordnet, sondern muß deren Haupt und Leiter sein. Wer im Reiche Minister, und zwar nach der Verfassung oberster, führender Minister ist (s. u. 526), kann in Preußen nicht lediglich „Unterstaatssekretär für deutsche Angelegenheiten" (Ausdruck Bismarcks s. o. 523 Anm. d), sondern muß M i n i s t e r dieser Angelegenheiten und damit befugt und berufen sein zur Wahrnehmung der Beziehungen Preußens zum Reich, insbesondere zur Erteilung bzw. verantwortlichen Gegenzeichnung der preußischen Bundesratsinstruktionen. Er muß — dieses „Muß" ist wie das soeben ausgesprochene als eine nicht zwar staatsrechtliche, wohl aber politische Notwendigkeit aufzufassen — darüber hinaus überhaupt eine maß- und ausschlaggebende Stellung innerhalb der preußischen Staatsregierung einnehmen. Denn nur dann ist gesichert, was im Reichsinteresse nicht entbehrt werden kann: die stete Einheitlichkeit der kaiserlichen und der preußischen Politik. Die von der Verfassung vorgeschriebene Identität des Kaisers und des Königs von Preußen kann ihren Zweck nur dann voll erreichen, wenn sie ihre Ergänzung und Stütze findet in der personellen Union des Reichskanzlerpostens mit der Stelle des in Preußen leitenden und insbesondere für die Haltung Preußens im Bundesrat verantwortlichen Ministers. Die Forderung geht dahin: der Reichskanzler muß jedenfalls und stets zugleich preußischer Minister der auswärtigen Angelegenheiten sein. Alsdann fällt die Bestimmung über das Verhalten Preußens im Bundesrate in sein Ressort; e r ist es, nicht ein von ihm verschiedener oder gar ihm übergeordneter Dritter, der die preußischen Bundesratsstimmen instruiert, er empfängt als Vertreter Preußens im Bundesrate seine Instruktionen „nicht unter fremder Verantwortlichkeit, sondern nur unter der eigenen als preußischen Ministers ¿es Auswärtigen" K k So, durchaus zutreffend, Bornhak im ArchÖffR 26 383. Für den Gedanken, daß der Reichskanzler stets zugleich preußischer Minister des Auswärtigen sein müsse, hat sich a u c h Bismarck wiederholt eingesetzt: vgl. die G. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht. I I .
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§ 15.
Dieser Forderung ist bisher ununterbrochen genügt worden. Weitergehend muß verlangt werden, daß der Reichskanzler nicht bloß auf die bundesrätliche Tätigkeit, sondern auch auf die gesamte übrige Politik Preußens einen maßgebenden Einfluß auszuüben imstande seil. Unter diesem Gesichtspunkt ist dem Reichskanzler bisher fast immer ® das Amt des Präsidenten des preußischen Staatsministeriums (Ministerpräsidenten) übertragen worden. Docn genügt diese Ämter Vereinigung dem bezeichneten Bedürfnis nur unvollkommen. Denn die Organisation der preußischen Staatsregierung beruht auf dem Grundsatz der Alleinherrschaft jedes Ministers innerhalb seines Ressorts. Diese Alleinherrschaft wird — staatsrechtlich — weder durch das Staatsministeriums noch durch den Ministeroräsidenten beeinträchtigt. Die Prärogativen des letzteren sind wesentlich formaler Natur: Vorsitz und Geschäftsleitung in den Versammlungen des Staatsministeriums. Das preußische Ministerpräsidium ist weniger ein Amt als eine Würde, deren faktische Bedeutung lediglich von der Persönlichkeit abhängt, der sie übertragen ist. Ein R e c h t , seinen Willen den einzelnen Ressorts gegenüber zur Geltung zu bringen, hat der Ministerpräsident nicht. W i l l man seinen und damit des Reichskanzlers Einfluß auf das Ganze der preußischen Staatspolitik in dem wünschenswerten Maße steigern, so wird man nicht umhin können, ihm dieses Recht zu verleihen, m. a. W . die preußischen Ressortminister zu dem Ministerpräsidenten in das gleiche Verhältnis zu setzen, wie es im Reiche zwischen den einzelnen Ressortchefs (den Vorständen der obersten Reichsämter, s. u. § 136) und dem Reichskanzler schon jetzt besteht: das Verhältnis dienstlicher Unterordnungo.
Reden im verfassungsberatenden Reichstage vom 26. und 27. März 1867^ und später u. a. in einem von ihm veranlaßten Artikel der „Hamburger Nachrichten", März 1892, mitgeteilt von v. Roell und Epstein, Bismarcks StR, 65 ff., 66, 68. Vgl. auch Anschütz, Enzykl. 110, 111 und in der Voraufl. 459, 460. Meine dort ausgesprochene, mit dem Text übereinstimmende Ansicht findet Rosenthal a. a. 0 . 31 Anm. 8, 57 „zu formalistisch". „Die Instruktion der preußischen Bundesratsbevollmächtigten erfolgt in allen wichtigen Fragen nur auf Grund eines Beschlusses des Staatsministeriums." Hier wird zunächst übersehen, daß die behauptete Behandlung der Bundesratsinstruktionen im Staatsministerium durch keine gesetzliche oder anderweite Vorschrift geboten ist. Allerdings ist sie üblich, aber nicht im Sinne einer Beschlußfassung, sondern nur als B e r a t u n g . Rosenthal verkennt die rechtliche Natur des preußischen Staatsministeriums und seiner „Beschlüsse". Vgl. hierüber oben § 108 S. 402. Das Staatsministerium ist ein beratendes Kollegium, seine „Beschlüsse" wollen und können lediglich feststellen, was die Meinung der Mehrheit des Kollegiums ist. Diese Mehrheit ist keine dem einzelnen Ressortminister übergeordnete Instanz. Sie kann ihm nichts vorschreiben und seiner alleinigen Verantwortlichkeit für die Angelegenheiten seines Wirkungskreises keinen Abbruch tun. 1 Gleicher Meinung H a e n e l , Studien 2 60: „Denn allerdings nur im Einklänge der wesentlichen, der leitenden Gesichtspunkte der deutschen und preußischen Politik innerhalb und außerhalb der verfassungsmäßig abgegrenzten Kompetenzen kann das Reich nicht nur die Kraft fördersamer Entwicklung, sondern selbst die Bedingungen seiner Aufrechterhaltung gewinnen." „ m Getrennt waren die beiden Amter des Reichskanzlers und des preußischen Ministerpräsidenten bisher nur zweimal: 1873, als Bismarck, und 1892—1894, als Caprivi zeitweilig vom Ministerpräsidium zurücktrat. Vgl. Rosenthal, a. a. O. 31 Anm. 1, 2. n Vgl. oben Anm. k. o Dieser Gedanke ist in der Literatur zuerst von Preuß a. a. O. 446, 447 ausgesprochen worden. Anschütz in: Die Arbeiterschaft im neuen Deutschland (herausg. vom Thimme und Legien, 1915), 51, 52.
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§
1 .
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2. D e r R e i c h s k a n z l e r als k a i s e r l i c h e r M i n i s t e r . — I n dieser Eigenschaft (geschaffen durch die lex Bennigsen, vgl. oben 524) ist der Reichskanzler zunächst R e i c h s b e a m t e r (vgl. unten § 144). Er ist ferner M i n i s t e r . Das heißt: auf sein Verhältnis einerseits zum Kaiser, andrerseits zum Bundesrat und zum Reichstag finden die Grundsätze Anwendung, welche die Stellung der Minister in den deutschen Einzelstaaten regeln (vgl. oben § 84 S. 276 ff.). Der Kaiser erscheint i n d i e s e m B e tracht als der Monarch, der Reichskanzler als Minister einer konstitutionellen Einherrschaft, deren Volksvertretung durch Bundesrat und Reichstag gebildet wird. Wie jeder Minister, so ist auch der Reichskanzler dem Monarchen unmittelbar untergeordnet. Wie die Minister der Einzelstaaten von ihrem Monarchen, so wird der Reichskanzler vom Kaiser ernannt und entlassen. Was in den Einzelstaaten auf Grund allgemeiner konstitutioneller Prinzipien kraft ungeschriebenen Rechts gilt, ist im Reich für den Reichskanzler und seine Stellvertreter, die Staatssekretäre (unten § 135 a) ausdrücklich vorgeschrieben: Reichskanzler und Staatssekretäre können ihre Entlassung jederzeit erhalten und fordern P. Der Einfluß des Reichstags auf die Ernennung und Entlassung des Reichskanzlers ist nicht größer als der analoge Einfluß der Landtage, d. h. er ist staatsrechtlich überhaupt nicht vorhanden, das System der parlamentarischen Regierung (oben § 96 S. 335) gilt im Reiche sowenig wie in den Einzelstaaten. Der Satz der RV, Art. 17: „Die Anordnungen und Verfügungen des Kaisers bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt" ist ebenso auszulegen wie die Parallelstellen der Landesverfassungen, denen er nachgebildet ist (vgl. insbesondere preußische V U Art. 44). „Gültigkeit" bedeutet soviel wie Vollziehbarkeit. Der Wille des Kaisers wird erst dadurch vollziehbar, daß der Wille des Kanzlers sich ihm anschließt. Regelmäßig wird der Anschluß bekundet durch Gegenzeichnung (Kontrasignatur) des kaiserlichen Akts. Die Gegenzeichnung wirkt jedoch nur deklaratorisch, nicht konstitutiv: was die Verantwortlichkeit erzeugt, ist nicht die Gegenzeichnung, vielmehr die durch sie (unwiderleglich) bezeugte B i l l i g u n g des kaiserlichen Willens ['" f I . Alsbald nach Gründung des norddeutschen Bundes wurde eine Behörde für die Bearbeitung der dem Bundeskanzler überwiesenen Gegenstände der Bundesverwaltung errichtet, welche den Namen B u n d e s k a n z l e r a m t führte 1 . Die erste und zweite Abteilung derselben bildeten das Generalpostamt und die Generaldirektion der Telegraphen des norddeutschen Bundes 2 . Zur Bearbeitung der dem Bunde zugewiesenen Militärangelegenheiten diente das p r e u ß i s c h e Kriegs ministerium, zur Verwaltung der Marineangelegenheiten das preußische M a r i n e m i n i s t e r i u m , zur Besorgung der Geschäfte der auswärtigen Politik das p r e u ß i s c h e M i n i s t e r i u m d e r a u s w ä r t i g e n A n g e l e g e n h e i t e n . Letzteres wurde jedoch seit dem 1. Januar 1870 auf den Etat des norddeutschen Bundes übernommen und führte seitdem den Namen A u s w ä r t i g e s A m t des n o r d d e u t s c h e n B u n d e s . Durch die Erweiterung des norddeutschen Bundes zum Deutschen Reiche erlitt die Behördenorganisation zunächst keinerlei Veränderungen. Nur die Bezeichnungen wurden andere, das Bundeskanzleramt erhielt den Namen R e i c h s k a n z l e r a m t a und das Auswärtige Amt des norddeutschen Bundes ging in das A u s w ä r t i g e A m t des D e u t s c h e n R e i c h e s 4 über. Bald aber begann auch eine weitere Ausbildung der Behördenorganisation. Dem Marineministerium wurde, nachdem mit ihm das frühere Oberkommando der Marine verbunden war, die Bezeichnung K a i s e r l i c h e A d m i r a l i t ä t beigelegt und ein besonderer Chef vorgesetzt, welcher die Verwaltung unter Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, den Oberbefehl nach den Anordnungen des Kaisers führen sollte 5 . Infolge besonderer Gesetze traten die V e r w a l t u n g des R e i c h s i n v a l i d e n f o n d s 6 , das R e i c h s e i s e n b a h r a m t 7 und die R e i c h s b a n k b e h ö r d e n 8 in das Leben. Mit dem Erwerb des Reichslandes Elsaß*Lothringen war für die Bearbeitung der auf dasselbe bezüglichen Angelegenheiten eine spezielle Abteilung des Reichskanzleramtes errichtet worden. Dieser trat seit 1875 das Reichsjustizamt 9 als eine weitere Abteilung hinzu, welche die dem Reiche obliegenden Geschäfte der 1 PrE vom 12. Aug. 1867. Vgl. hierzu und zum folgenden Rosenthal a. a. 0 . 15 ff. * P r E vom 18. Dez. 1867. 8 A H E vom 12. Mai 1871. 4 Rosenthal, a. a. 0 . 22. 8 A E E e vom 15. Juni 1871 und 1. Jan. 1872. Rosenthal 22, 23. 6 G., betr. die Gründung und Verwaltung des Reichsinvalidenfonds, vom 23. Mai 1873. 7 G., betr. die Errichtung eines Reichseisenbahnamtes, vom 27. Juni 1873. 8 Reichsbankgesetz vom 14. März 1875. • Laband 1 399; Rosenthal 25.
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§ 13.
Justizverwaltung zu besorgen hatte. Die einzelnen Abteilungen des Reichskanzleramtes lösten sich jedoch im Laufe der Zeit von der Zentralbehörde los und nahmen den Charakter selbständiger Ämter an. Dies geschah zunächst hinsichtlich der Abteilungen für Post und Telegraphen Verwaltung, welche der Leitung des G e n e r a l p o s t m e i s t e r s unterstellt wurden 1 0 . Vom 1. Januar 1877 an erhielten auch die A b t e i l u n g f ü r E l s a ß - L o t h r i n g e n und das R e i c h s j u s t i z a m t eine selbständige Stellung 11 , so daß seit dieser Zeit das Reichskanzleramt nur noch aus einer Zentralabteilung und einer Finanzabteilung bestand. Letztere erhielt im Jahre 1879 gleichfalls den Charakter einer besonderen Behörde unter der Bezeichnung R e i c h s S c h a t z a m t 1 2 . Das Reichskanzleramt für Elsaß - Lothringen ist infolge der Umgestaltung, welche die Verfassung und Verwaltung Elsaß-Lothringens durch das Reichsgesetz vom 4. Juli 1879 erhalten hat, wieder aufgehoben worden 1 8 ; für die V e r w a l t u n g der R e i c h s e i s e n b a h n e n wurde gleichzeitig ein besonderes R e i c h s a m t errichtet 14 . So blieb vom Reichskanzleramt nur noch die Zentralabteilung übrig. Dasselbe hat seit dem Jahre 1879 die Bezeichnung R e i c h s a m t des I n n e r n 1 5 und die oberste Postbehörde seit 1880 die Bezeichnung R e i c h s p o s t a m t angenommen 16 . Im Jahre 1889 wurde das Oberkommando der Marine wieder von der Verwaltung derselben getrennt und die für letztere bestellte Behörde erhielt die Bezeichnung R e i c h s marineamt17. [Endlich wurde 1907 die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts (nebst dem Oberkommando der Schutztruppen) von diesem Amte getrennt und zu einer selbständigen Reichsbehörde mit dem Namen „ R e i c h s - K o l o n i a l a m t a erhoben 18 .] — Dem Reichskanzler ist für die von ihm persönlich bearbeiteten Angelegenheiten eine Anzahl von Beamten beigegeben worden, welche unter der Bezeichnung R e i c h s k a n z l e i zusammengefaßt werden. [Alle vorstehend (S. 533, 534) bezeichneten 10
KaisV vom 22. Dez. 1875. Denkschrift über die Organisation des Reichskanzleramtes, dem Entwurf des Reichshaushaltsetats fur das erste Quartal 1877 beigegeben. Abgedruckt in den AnnDR 1S77 335 ff. 12 A H E , betr. die Errichtung des Reichsschatzamtes, vom 14. Juli 1879. Die Verselbständigung dieser Abteilung des ehemaligen Reichskanzleramtes vollzog sich nient so einfach wie die der anderen Abteilungen; vgl. Rosenthal 26 ff. 18 RGr, betr. die Verf. und Verw. von Elsaß - Lothringen, vom 4. Juli 1879. V g l . J 138. 14 A H E , betr. die Errichtung des Reichsamtes fur die Verw. deT Reichseisenbahnen, vom 27. Mai 1878. 15 A H E , betr. die Benennung des Reichskanzleramtes und den Titel des Vorstandes dieser Behörde, vom 24. Dez. 1879. 16 A H E , betr. die Benennung der obersten Reichspostbehörde, vom 23. Febr. 1880. « A H E vom 30. März 1889. 18 A H E vom 17. Mai 1907. 11
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organisatorischen Veränderungen sind, soweit sie der Zeit des Norddeutschen Bundes angehören, durch Verordnungen des Bundespräsidiums, nachher durch Kaiserliche Verordnungen (Erlasse) bewirkt worden, nachdem jeweils vorher Bundesrat und Reichstag die erforderlichen Mittel in den Etat eingestellt oder außerordentlich bewilligt hatten. Die betreffenden Verordnungen (Erlasse) sind sämtlich im BGBl bzw. RGBl publiziert.] I I . Die dem R e i c h s k a n z l e r untergeordneten o b e r s t e n R e i c h s b e h ö r d e n , deren Vorstände meist 1 9 den Titel S t a a t s s e k r e t ä r führen, sind folgende: 1. das R e i c h s a m t d e s I n n e r n als Behörde für alle diejenigen Reichsangelegenheiten, deren Bearbeitung nicht anderen Reichsbehörden ausdrücklich zugewiesen ist. Ihm sind einzelne Spezialbehörden für besondere, namentlich technische Zweige der Verwaltung untergeben, z. B. die Normaleichungskommission, das Statistische Amt, das Reichsgesundheitsamt, die Kommissare für Auswanderungswesen, ferner das später zu erwähnende Bundesamt für Heimatwesen, Patentamt, Reichsversicherungsamt und Aufsichtsamt für Privatversicherung, sowie das Oberschiedsgericht für die Angestelltenversicherung; 2. das A u s w ä r t i g e A m t . Dasselbe zerfällt in die politische Abteilung, die Abteilung für Handels- und Verkehrsangelegenheiten und die Abteilung fitr die staats- und zivilrechtlichen Geschäfte (Rechtsabteilung). Unter dem Auswärtigen Amte stehen die Gesandten und Konsuln des Deutschen Reiches; 3. das R e i c h s m a r i n e a m t 2 0 . Von ihm ressortieren sämtliche Marinebehörden, sowie einzelne wissenschaftliche Anstalten namentlich die Seewarte. Ihm liegt die Verwaltung des Schutzgebietes Kiautschou ob. 4. das R e i c h s e i s e n b a h n a m t für die Wahrnehmung des Aufsichtsrechtes des Reiches über sämtliche deutschen Staats- und Privateisenbahnen (mit Ausnahme der bayerischen). Es führt seine Geschäfte unter Verantwortlichkeit und nach den Anweisungen des Reichskanzlers. Wird jedoch gegen eine von dem Reichseisenbahnamte verfügte Maßregel Gegenvorstellung erhoben auf Grund der Behauptung, daß jene Maßregel in den Gesetzen und rechtsgültigen Vorschriften nicht begründet sei, so hat das durch Zuziehung von richterlichen Beamten zu verstärkende Reichseisenbahnamt über die Gegenvorstellung selbständig und unter eigener Verantwortlichkeit in kollegialer Beratung und Beschlußfassung zu befinden 21 ; 19 [Zur Zeit (1916) alle mit Ausnahme der Vorstände des Reichseisenbahnamtes und des Reichsamtes für die Verw. der Reichseisenbahnen.] 20 Vgl. Frhr. Marschall v. Bieberstein, Verantwortlichkeit und Gegenzeichnung 179 ft. 21 Gr., betr. die Einsetzung eines Reichseisenbahnamts vom 27. Juni 1873 §§ 3 und 5.
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5. die R e i c h s b a n k b e h ö r d e n , nämlich das R e i c h s b a n k d i r e k t o r i u m , "welches die Verwaltung der Reichsbank unter Leitung des Reichskanzlers führt, und das R e i c h s b a n k k u r a t o r i u m , das aus dem Reichskanzler und vier Mitgliedern besteht und unter dem Vorsitz des ersteren die dem Reiche zustehende Aufsicht über die Reichsbank ausübt 2 2 ; 6. das R e i c h s p o s t a m t als Zentralbehörde für die Postund Telegraphenverwaltung. Dasselbe zerfällt in drei Abteilungen, von denen die eine die allgemeinen Angelegenheiten, insbesondere die Personalien, die beiden anderen die Angelegenheiten der Post und der Telegraphie bearbeiten. Die lokale Verwaltung liegt in den Händen der Oberpostdirektionen und Postämter, welche, wo das Bedürfnis es erfordert, auch getrennt als Postund Telegraphenämter vorkommen; 7. das R e i c h s j u s t i z am t für die dem Reiche obliegenden Geschäfte der Justizverwaltung; 8. das R e i c h s a m t f ü r d i e V e r w a l t u n g d e r R e i c h s e i s e n b a h n e n (in Elsaß-Lothringen und Luxemburg); 9. das R e i c h s s c h a t z a m t für die Finanzverwaltung des Reiches; 10. das R e i c h s k o l o n i a l a m t für die Verwaltung der Schutzgebiete des Reichs mit Ausnahme von Kiautschou 2 8 ; i n . Neben den dem Reichskanzler untergeordneten Ämtern besitzt das Reich noch eine Anzahl von Verwaltungsbehörden, welche die ihnen übertragenen Gegenstände in richterlicher Unabhängigkeit ohne Einfluß des Reichskanzlers entscheiden. Es sind: 1. das B u n d e s a m t f ü r H e i m a t w e s e n . Dasselbe entscheidet Streitigkeiten zwischen mehreren Armenverbänden über die Unterstützung Hilfsbedürftiger, vorausgesetzt, daß a) die Armenverbände verschiedenen Bundesstaaten angehören und b) nicht bloß die Organisation und örtliche Abgrenzung der Armenverbände Gegenstand des Streites i s t 2 4 . Die Landesgesetzgebung ist befugt, die Kompetenz des Bundesamtes auch auf Streitsachen zwischen Armenverbänden desselben Bundesstaates auszudehnen 2 5 . 22
Reichsbankgesetz vom 14. März 1875 §§ 25 und 26. V g l oben 535 und Anm. 17. G. über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870 bez. 80. Mai 1908 §§ 41 ff. Ausgedehnt auf Südhessen durch Art. 80 der Verf. vom 15. Nov. 1870, auf Württemberg und Baden durch R G vom 8. Nov. 1871, auf Elsaß-Lothringen durch R G vom 80. Mai 1908 Art. 5, auf Bayern durch R G vom 30. Juni 1918 § 1 (vgl. oben 429 Anm. 18). 25 Dies ist geschehen in Preußen (AusfG vom 8. März 1871 §§ 57 und 59), Hessen (G. vom 11. Juli 1871 Art. 9 und 17), S.-Weimar (G. vom 28. Febr. 1872 § 10), S.-Altenburg (G. vom 8. Juni 1871 §§ 11 und 12), S.-Kob.-Gotha (G. vom 31. Mai 1871 §§ 32 und 34), Oldenburg (G. vom 28. Jan. 1882 Art. 28
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§ 1 .
2. das d u r c h R i c h t e r v e r s t ä r k t e R e i c h s e i s e n bahnamt26; 3. die R e i c h s r a y o n k o m m i s s i o n , eine ständige Militärkommission zur Entscheidung von Rekursen in Rayonangelegenheiten 2 7 ; 4. das R e i c h s p a t e n t a m t 2 8 ; 5. das R e i c h s o b e r s e e a m t , eine kollegiale Behörde, die über Beschwerden gegen solche Entscheidungen der Seeämter urteilt, welche einem Schiffer oder Steuermann die Befugnis zur Ausübung des Gewerbes entzogen oder einem hierauf gerichteten Antrage des Kommissars keine Folge gegeben haben 2 9 ; 6. das R e i c h s v e r s i c h e r u n g s a m t , die Behörde flir die obere Leitung der Unfallversicherung und Invalidenversicherung 8 0 ; 6. das K a i s e r l i c h e A u f s i c h t s a m t f ü r P r i v a t versicherung 81 ; 8. das O b e r s c h i e d s g e r i c h t f ü r d i e A n g e s t e l l t e n versicherung82; 9. die D i s z i p l i n a r b e h ö r d e n für Reichsbeamte 88 ; I V . Außerdem bedient sich das Reich zur Besorgung von Reichsangelegenheiten folgender preußischer Behörden: 1. des p r e u ß i s c h e n K r i e g s m i n i s t e r i u m s. Dasselbe ist zunächst als preußische Behörde zur Besorgung der Angelegenheiten des preußischen Kontingentes berufen. Außerdem bearbeitet dasselbe aber auch diejenigen Gegenstände der Militärverwaltung, welche Ausfluß der dem Reiche zustehenden Oberaufsichtsbefugnisse über das Militärwesen sind; 17), Braunschweig (G. vom 5. Juni 1871 § 27), Anhalt (G. vom 29. Juni 1871 §§ 46 und 48), Schw.-Sondershausen (Nachtrag zum Gr. vom 25. Jan. 1872, vom 28. Okt. 1872 §§ 5 und 6), Schw.-Rudolstadt (G. vom 23. Juni 1871 §§ 16 und 18), Reuß j . L . (G-. vom 21. Juni 1871 §§ 30 und 32), Lippe (Gr. vom 12. Sept. 1877 §§ 25 und 27), Schaumburg-Lippe (V. vom 10. März 1898). Waldeck (G. vom 21. Juni 1871 §§ 21 und 23), Lübeck (V. vom 30. März 1871 § 3), Bremen (Gr., betr. die Berufung in Sachen der Armenverbände, vom 18. Nov. 1877). 26 G. vom 27. Juni 1873 § 5. Vgl. oben 535 und Anm. 19. 27 Gr., betr. die Beschränkungen des Grundeigentums in Festungen, vom 21. Dez. 1871 §§ 29 und 31. 28 Reichspatentgesetz vom 7. April 1891. 29 R G , betr. die Untersuchung von Seeunfällen, vom 27. Juli 1877 §§ 27 ff. 80 RVO vom 19. Juli 1911, §§ 83 ff. 81 R G , betr. die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai 1901, §§ 70 ff. 82 VersG für Angestellte vom 20. Dez. 1911, §§ 162 ff. 88 Vgl. unten § 153.
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§ 13.
2. der p r e u ß i s c h e n H a u p t v e r w a l t u n g d e r S t a a t s s c h u l d e n zür Verwaltung der Reichsschuld 84 ; 3. der p r e u ß i s c h e n Oberrechnungskammer als Rechnungshof des Deutschen Reiches 85 . § 137. Die J u s t i z b e h ö r d e n des Reiches sind: 1. das R e i c h s g e r i c h t . Im Jahre 1869 wurde ein oberster Gerichtshof mit dem Sitz in Leipzig für die letztinstanzliche Entscheidung von Streitigkeiten auf dem Gebiete des Handelsrechtes errichtet, dessen Kompetenz später auch auf andere Gebiete gemeinschaftlicher Gesetzgebung ausgedehnt wurde 1 . Dieses Reichsoberhandelsgericht hat mit dem 1. Oktober 1879 aufgehört zu bestehen. An seine Stelle ist das R e i c h s g e r i c h t getreten 2 , welches ebenfalls seinen Sitz in Leipzig hat 8 . Das Reichsgericht ist z u s t ä n d i g : a) in b ü r g e r l i c h e n R e c h t s s t r e i t i g k e i t e n für Verhandlung und Entscheidung über die Rechtsmittel der Revision gegen die Endurteile und der Beschwerde gegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte 4,, b) in S t r a f s a c h e n : a) für die Untersuchung und Entscheidung in erster und letzter Instanz in den Fällen des Hochverrats und Landesverrats, insofern diese Verbrechen gegen den Kaiser oder gegen das Reich gerichtet sind und des militärischen Verrats 6 , ß) für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Revision gegen Urteile der Strafkammern in erster Instanz, insoweit nicht die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte begründet ist und gegen die Urteile der Schwurgerichte, y) für die Verhandlung und Entscheidung über das RechtsM
Vgl. § 208. Vgl. § 209. Gr., betr. die Errichtung eines obersten Gerichtshofes für Handelssachen, vom 12. Juni 1869. Ausgedehnt auf Baden und Südhessen durch Art. 80 der Verf. vom 15. Nov. 1870, auf Württemberg durch Vertr. vom 25. Nov. 1870 Art. 2 Nr. 6, auf Bayern durch G. vom 22. April 1871. 2 R G V G §§ 125—141. Abänderung des § 136 durch R G vom 17. März 1886. 3 R G über den Sitz des Reichsgerichtes vom 11. April 1877. 1 R G V G § 135. Über die Befugnis der Landesgesetzgebung zur Errichtung oberster Landesgerichte für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten vgL § 118 a S. 465. 5 R G V G § 136. R G gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juli 1893 § 12. Die Entscheidungen über Hochverrat und Landesverrat gegen Kaiser und Reich waren durch Art. 75 der R V dem Oberappellationsgericht zu Lübeck übertragen. Die näheren Bestimmungen über die Zuständigkeit und das Verfahren des Oberappellationsgerichtes sollten im Wege der Reichsgesetzgebung erfolgen; bis zum Erlaß eines Reichsgesetzes sollte es bei der seitherigen Zuständigkeit der Gerichte in den einzelnen Bundesstaaten sein Bewenden haben. D a die betreffenden Bestimmungen niemals erlassen sind, so ist Art, 75 der R V tatsächlich nicht in Wirksamkeit getreten. 85
1
Die Organe.
§
1 .
5
mittel der Revision gegen Urteile der Strafkammern in der Berufungsinstanz, wenn es sich um Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften über Erhebung öffentlicher in die Reichskasse fließender Abgaben und Gefälle handelt und die Staatsanwaltschaft die Entscheidung des Reichsgerichtes beantragt % c) bei Berufungen gegen E n t s c h e i d u n g e n des R e i c h s a t e n t a m t e s 7 , d) bei Berufungen und Beschwerden gegen ^ n t sc h e i d u n g en der K o n s u l n und Konsularg e r i c h t e 8 , e) in einer Reihe von Angelegenheiten auf Grund landesgesetzlicher Vorschriften, welche dem Reichsgericht meist auf Antrag der Einzelstaaten durch Reichsgesetze oder kaiserliche Verordnung übertragen sind 9 . Das Amt der S t a a t s anwaltschaft wird beim Reichsgericht ausgeübt durch einen Oberreichsanwalt und durch einen oder mehrere Reichsanwälte 1 0 ; 2. die K o n s u l n und K o n s u l a r g e r i c h t e 1 1 in den'enigen außereuropäischen Ländern, in welchen dem Deutschen leiche kraft völkerrechtlicher Verträge oder Herkommens eine Gerichtsbarkeit über seine Angehörigen zusteht. Die Ausübung der Gerichtsbarkeit findet teils durch den Konsul als Einzelrichter, teils durch das Konsulargericht statt, das aus dem Konsul und zwei oder vier Beisitzern besteht, welche dieser aus den achtbaren Gerichtseingesessenen oder in Ermangelung solcher aus sonstigen achtbaren Einwohnern seines Bezirkes ernennt. Die Zuständigkeit des Konsuls umfaßt die den Amtsgerichten, die des Konsulargerichtes die den Schöffengerichten und Landgerichten zugewiesenen Sachen. Auf die vor die Schwurgerichte oder in erster Instanz vor das Reichsgericht gehörigen Strafsachen
i
6 R G V G § 136. ' RPatG vom 7. April 1891 8 88. 8 R G über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900 § 14. 9 Die dem Reichsgericht hierdurch übertragenen Geschäfte sind, abgesehen von den Urteilen in den am 1. Okt. 1879 anhängigen Prozessen (EG zum R G V G § 15, KaisV vom 26. Sept. 1879), namentlich die letztinstanzlichen Erkenntnisse in Ablösungs- und Auseinandersetzungssachen für Preußen und diejenigen Staaten, in denen die hierauf bezüglichen Funktionen preußischen Behörden übertragen sind (EG zum R G V G § 8, KaisV vom 26. Sept. 1879), die Entscheidung über die Rechtsmittel der Revision und Beschwerde in Streitigkeiten gegen den Landesherrn und seine Familie für Preußen, Hessen und Waldeck (EG zum R G V G § 3, KaisV vom 26. Sept. 1879), die Entscheidung der Kompetenzkonflikte in der Freien und Hansestaat Bremen (EG zum R G V G § 17, KaisV vom 26. Sept. 1879), und die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Senat und Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg (RG vom 14. März 1881). Dazu kommen die Vorentscheidungen über Rechtsverfolgung von Beamten in den Staaten, die keinen obersten Verwaltungsgerichtshof besitzen, nach Maßgabe des § 11 des E G zum RGVG. i® R G V G § 143. 11 R G über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900. Vgl. G. MeyerDochow, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechtes. 4. Aufl. § 114.
Zweiter Teil.
54
Zweites Buch.
§ 138.
erstreckt sich die Konsulargerichtsbarkeit überhaupt nicht, dieselben sind vielmehr dem zuständigen inländischen Gericht zu überweisen ; 3. das R e i c h s m i l i t ä r g e r i c h t 1 2 und die M a r i n e strafgerichte 18. Zweites
Kapitel.
Das Reichsland Elsafo-Lothringen a . § 138.
[Der Erwerb der das Reichsland Elsaß-Lothringen bildenden Gebietsteile vollzog sich in folgenden Vorgängen und Formen Nach den ersten großen Schlachten des Deutsch-Französischen Krieges, August 1870, wurden diese Gebiete von den verbündeten deutschen Heeren besetzt, und zwar, im Gegensatz zu den weiterhin noch okkupierten Teilen Frankreichs, besetzt in der Absicht, sie zu behalten. Elsaß und Lothringen wurden also e r o b e r t , und damit zunächst unter die Gesamtherrschaft der den Krieg gegen Frankreich führenden Staaten — des Norddeutschen Bundes, Bayerns, Württembergs, Badens, Hessens, — sodann aber, seit 12
RMilStrGO vom 1. Dez. 1898, §§ 71 ff. Vgl. die RMilStrGR, Erster Teil (Gerichtsverfassung), soweit auf die "Marine bezüglich. a Literatur: Zusammenfassende Darstellungen des in Elsaß-Lothringen geltenden Staats- und Verwaltungsrechts finden sich in allen Lehr- und .Handbüchern des Reichsstaatsrechts; hervorzuheben insbesondere Laband 2 211 ff.; Zorn 1 517ff. Monographische Sonderdarstellungen geben: Leoni, Das ÖffRdReichsl. Elsaß-Lothringens, 1. Teil, VerfR (1892), 2. Teil, VerwR {mitverfaßt von Mandel, 1895); Bruck, Verf- und VerwR von Elsaß-Lothringen, 3 Bde (1908—1910); Fischbach. Das ÖffRdReichsl. Elsaß-Lothringen olitischen Gemeinwesen. Hier handelt es sich lediglich um ! etztere, um die Beamten im engeren und eigentlichen Sinne, also um R e i c h s - , S t a a t s - und K o m m u n a l b e a m t e a . 11 I m Anschluß an diese ist außerdem ein besonderes E G , betr. die Dienstvergehen der richterlichen Militärjustizbeamten und die unfreiwillige Versetzung derselben in eine andere Stelle oder in den Ruhestand, vom 1. Dez. 1898 erlassen worden. a Außer Betraeht bleiben demnach insbesondere: 1. Die Hofbeamten, richtiger Hofbediensteten. Ihr Dienstverhältnis ist von dem echten (d. h. S t a a t s - ) BeamtenVerhältnis schon darin völlig verschieden, daß es ein Verhältnis nicht des öffentlichen, sondern des Privatrechts ist, vor allem aber darin, daß als Dienstberechtigter nicht das Gemeinwesen, sondern die Person des Monarchen erscheint. Der Beamtendienst ist Staatsorganschaft, der Hofdienst ist es nicht. So auch die herrsch. M. Vgl. Perthes, Der Staatsdienst in Preußen 29; Zachariae, DStR 2 17; Schulze, PrStR 1 165; v. Roenne-Zorn, PrStR 1 421 Anm. 1; Bornhak, PrStR 1 155; Brand, BR 13 Anm. 5 ; Rehm, AnnDR 1900 387; v. Seydel-Piloty, BayrStR 1 82; Reindl, Komm, zum bayr. B G 10; v. Mohl, WürttStR 1 249; v.Sarwey, WürttStR 1 86, 87; Göz, WürttStR 76 ; 0 . Mayer, SächStR69; Walz, BadStR 36; Schücking, OldStR 165. Das R G hat sich in dem Urteil vom 13. Jan. 1891 (Strafs. 21 381 ff.) der herrsch. M. angeschlossen; es spricht den Hofbeamten der deutschen Fürsten, sofern nicht Staatsfunktionen mit ihrer Stellung verbunden oder sie durch das Gesetz den Staatsbeamten ausdrücklich gleichgestellt sind, die Eigenschaft von Beamten im Sinne der Reichsund Landesgesetze, z. B. des StrGB §§ 196, 359, ab. Ebenso zahlreiche Entscheidungen unterer Gerichte. Vereinzelt ist auch ausdrücklich bestimmt, daß die Beamtengesetze aufHofbeamte keine Anwendung finden, vgl. z. B. Schw.-Sondh. B G vom 19. März 1900 § 3. Dagegen vertritt das preußische O V G i n feststehender Rechtsprechung die Anschauung, daß die Hofbeamten, „da die von ihnen bearbeiteten Angelegenheiten wegen der fundamentalen Verbindung des Königs und seines Hauses mit dem Staate als S t a a t s a n g e l e g e n h e i t e n anzusehen sind," Beamte im Sinne der Staatsbeamtengesetze seien. Diese Anschauung sucht eine beachtenswerte Denkschrift des preußischen Ministeriums des Königl. Hauses, „betr. die Rechtsstellung der Beamten des Königl. Hauses und Hofes", veröffentlicht im VerwArch 20 295 ff. eingehend zu begründen, ders. Ans. auch Eckstein ArchÖffR 27 527. Der herrsch. M. und dem R G ist beizupflichten. Der Hofdienst ist kein Staatsdienst. Die fürstlichen Hofhaltungen sind heute nicht mehr Einrichtungen des öffentlichen, sondern des Privatrecnts. Insbesondere stellt der „Hof" nicht mehr, wie in alter Zeit, die Gesamtheit der Personen dar, welche dem Herrscher regieren helfen. Der Beruf zu solcher Hilfe ist auf das Staatsbeamtentum, an oberster Stelle auf die Staatsminister, übergegangen, zu denen,^ in der Folgerichtigkeit der Entwicklung der oberste Hoffunktionär, der „Minister" des Königlicnen Hauses, nicht gehört. Der Hof
Die Organe.
§ 14.
57
1. Jede Person, welche einem politischen Gemeinwesen gegenüber zu Diensten verpflichtet ist, tritt dadurch in ein speziellem Rechtsverhältnis zu demselben. Sie hat neben den a l l g e m e i n e n Rechten und Pflichten, welche a l l e n Angehörigen des Gemeinwesens zustehen, eine Reihe b e s o n d e r e r Rechte und Verbindlichkeiten. Selbst die bloße Übernahme einzelner öffentlicher erscheint heute nur mehr als ein Personenkreis, der seinen Daseinszweck darin findet, den Privathaushalt des Fürsten und seiner Familie zu führen und — durch die Zahl und soziale Stellung derer, die zu ihm gehören — die Würde und den Glanz der monarchischen Einrichtungen äußerlich zur Darstellung zu bringen. Wohl liegt die Entfaltung solchen Glanzes im staatlichen Interesse (wie ja auch die Erfüllung sogenannter Repräsentationspflichten seitens hochgestellter Beamten im Staatsinteresse geboten sein mag), aber die Entfaltung als solche ist keine Staatstätigkeit und die dabei geleistete helfende Mitwirkung folglich keine Arbeit für den Staat, kein Staatsdienst, sondern ein dem Monarchenindividuum persönlich geleisteter Dienst. Das Recht des Fürsten, einen Hof zu halten, ist kein sogenanntes Regierungsrecht, sondern ein persönliches Ehrenrecht (oben § 84 S. 273). Öffentlichrechtlicher Natur ist am Hofe nur der staatliche Schutz, welcher die Hofeinrichtungen umgibt (indem die Anmaßung oder Nachahmung dieser Einrichtungen und ihrer äußeren Kennzeichen bei Strafe verboten ist; vgL v. Seydel-Piloty, a. a. 0 . 82; Jellinek, System 151 Anm. 1). Unrichtig ist es auch, wenn v. Rheinbaben, DiszG 58, 59, die Hofbeamten wenigstens als „mittelbare Staatsbeamte" gelten lassen will. Mittelbare Staatsbeamte sind nach dem Sprachgebrauche des preußischen Rechts die Angestellten der dem Staate untergeordneten und organschaftlich eingegliederten Korporationen des öffentlichen Rechts, vor allem der Gemeinden und anderer Selbstverwaltungskörper (vgl. Preuß, Städtisches Amtsrecht 118 ff.; Anschütz, Komm. z. pieuß. Verf. 1 312, 313). W o ist aber der Selbstverwaltungskörper, in dessen Diensten die Hofangestellten stehen sollen? Dienstberecntigt ist ihnen gegenüber keine Korporation, keine juristische, sondern, wie oben hervorgehoben, eine natürliche Person: der Landesherr, bzw. ein Mitglied seines Hauses (nicht das Haus, die Dynastie als solche, die übrigens, obgleich Korporation, keineswegs unter den Begriff des Selbstverwaltungskörpers fallt). 2. Die Geistlichen und sonstigen Funktionäre der Kirchen und anderer Religionsgesellschaften. Die staatsrechtliche Natur des Kirchendienst.es hängt von der Stellung ab, welche die Kirche im Staate einnimmt. Diese Stellung kann die eines unselbständigen Bestandteils deB Staatsganzen, einer Staatsanstalt in diesem Sinne („Staatskirchentum"), oder die eines selbständigen, eigenberechtigten Gemeinwesens sein („Trennung von Staat und Kirche"); im ersteren Falle erscheinen die Kiichendiener als Staatsdiener, im anderen Falle nicht. Das in Deutschland geltende kirchenpolitische System entspricht nun aber nicht dem ersten, sondern dem zweiten Typus (vgl. unten §§ 233 ff; Anschütz, Komm. 1 296 ff.). Ist auch die Trennung von Staat und Kirche keine vollkommene und reine, so reicht sie doch weit genug, um jede Berechtigung der Behauptung, der Kirchendienst sei ein dem Staate, sei es auch nur mittelbar (hierzu Anschütz, a. a. 0 . 312, 318), geleisteter Dienst, von vornherein auszuschließen. 3. diejenigen Personen, welche, ohne in einem Dienstverhältnis zum Staate zu stehen, dem Staate kraft öffentlichen Rechts für die Ausübung ihres Berufes verantwortlich sind. Hierher gehören insbesondere die Rechtsanwälte, Patentanwälte, Arzte, Privatdozenten, gewisse öffentlich angestellte Gewerbetreibende (GewO §36). Die Rechtsverhältnisse dieser Personengruppen, sind eingehend dargestellt von Triepel, Staatsdienst und staatlich gebundener Beruf (1911).
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Zweiter Teil.
Zweites Buch.
§ 13.
Funktionen, wie sie z. B. bei Geschworenen und Schöffen vorkommt, begründet ein spezielles Rechtsverhältnis: auf der Seite des Inhabers der Funktionen die Pflicht zur Ausübung derselben, oft auch die Pflicht zur Verschwiegenheit, auf der Seite des Gemeinwesens die Pflicht zum Schutz bei dieser Ausübung. Die Übertragung einzelner öffentlicher Funktionen hat jedoch noch kein Beamtenverhältnis zur Folge; ein solches entsteht erst mit der Verpflichtung zu d a u e r n d e n oder b e s t ä n d i g e n Dienstleistungen gegenüber dem Gemeinwesen1. Diese Verpflichtung zu dauernden und beständigen Diensten gegenüber einem politischen Gemeinwesen kann aber entweder .auf einem p r i v a t r e c h t l i c h e n V e r t r a g e oder auf einem s t a a t s r e c h t l i c h e n A k t e beruhen. Das durch ersteren begründete Verhältnis ist ein privatrechtliches und bleibt für die staatsrechtliche Behandlung außer Betracht 2 . Der staatsrechtliche Akt, durch welchen das Beamtenverhältnis begründet wird, ist regelmäßig die Anstellung durch ein anderes staatliches bezw. kommunales Organ. I n absoluten Monarchieen kann das übertragende Organ nur der Monarch oder ein Beamter bezw. «ine Behörde sein, welcher der Monarch sein Anstellungsrecht delegiert hat. Auch in konstitutionellen Monarchieen ist die Ernennung der Beamten durch den Monarchen oder die von ihm delegierten Behörden die Regel; es kommen aber außerdem Beamte vor, welche von der Volksvertretung bestellt werden 3 . 1 Dagegen ist nicht erforderlich,.daß dem Betreffenden ein b e s t i m m t e s A m t dauernd übertragen wird. Übereinstimmend Laband, StR1430ff.; Relim, AnnDR 1885 160ff.; Triepel, Staatsdienst und staatlich gebundener Beruf (1911), 13; nur das D i e n s t v e r h ä l t n i s ü b e r h a u p t muß ein dauerndes sein. 2 Vgl. RGZ 28 80ff. Die Frage, ob auf diese Personen die Bezeichnung Beamte anzuwenden ist (dafür: Loening, V R 115; dagegen: Laband, »3tR 1 432 N. 2), läuft auf einen Wortstreit hinaus. Es ist .möglich, daß Personen, welche kraft privatrechtlichen Vertrages sich im Dienstverhältnisse zum Staate befinden, öffentliche Befugnisse übertragen werden. Denn eine solche Übertragung kann auch gegenüber Privatbeamten, z. B. Eisenbahnbeamten, Forstbeamten vorkommen. Das Beamtenverhältnis wird aber dadurch kein staatsrechtliches. Vgl. 0 . Mayer, V R 2 199, 216 N. 20. 8 Einer Auffassung, welche Landesherrn und Landstände als zwei völlig getrennte Rechtssubjekte ansah, entsprach es, die ständischen Beamten gegenüber den landesherrlichen als eine durchaus andere Kategorie von Personen zu behandeln. Daher beschränken die Staatsdienergesetze den Begriff des Beamten häufig auf solche Personen, welchen vom Monarchen einStäatsamt übertragen ist, z. B. Sächs. StDG § 1, Württ. B G § 1, Bad. B G § 1, S.-Weim. StDG § 1, S.-Mein. S t B G § l , S.-Alt. StDG § 1, S.-Kob.-Goth. StDG § 1, Braunschw. StDG § 5, Anh. StDG § 1, Schw.-Rud. StDG § 1, Schw.Sondh. StDG § 1, Reuß ä. L . Nachtr. vom 9. April 1862, Reuß j. L . StDG § 1, Lipp. StDG § 1, R B G § 1. Sie legen aber in der Regel den Landtagsbeamten dieselben Rechte und Pflichten wie den Staatsbeamten bei, Sachs. L O S 36, Württ. B G § 1, Bad. B G § 129, S.-Weim. GO 14 und 15. Ähnlich drückt sich auch das R B G § 156 über die Stellung der Reichstagsbeamten aus. Bei der heutigen Staatsanschauung ist zu einer derartigen Trennung
Die Organe.
§ 14.
57
Neben der Anstellung kommt als Entstehungsgrund des Beamtenverhältnisses auch die Wahl durch eine kommunale Vertretung oder durch die Angehörigen eines Kommunalverbandes in Betracht. 2. Beamte sind demnach diejenigen Personen, welche einem politischen Gemeinwesen (Reich, Staat,. Kommunal verband) kraft eines besonderen staatsrechtlichen Aktes zur Leistung von dauernden Diensten in Unterordnung unter ein vorgesetztes Organ verpflichtet sind. Zum Begriff des Beamten wird nicht erfordert, daß er Hoheitsrechte des Staates ausübt 4 ; zu den Beamten gehören auch die Verwalter staatlicher Vermögensobjekte und die Lehrer an den öffentlichen Unterrichtsanstalten 6. Ebensowenig kommt es für den Begriff des Beamten in Betracht, ob die Dienste höherer Art sind, d. h. eine wissenschaftliche Ausbildung und eine selbständige geistige Tätigkeit voraussetzen, oder ob sie den Charakter von niederen, d. h. mechanischen Diensten haben. Auch Personen, keinerlei Veranlassung. Die Beamten des Reichstags und der Landtage sind ebensogut Staatsdiener wie die vom Kaiser bezw. Landesherrn ernannten Beamten. [Sie sind Reichs- bezw. Staatsbeamte (so richtig das Württ. StDG- vom 28. Juni 1821 § 1, das das ständische Personal den StD zurechnete), und zwar „unmittelbare", nicht „mittelbare" im Sinne der unten § 144 Anm a angegebenen Unterscheidung (übereinstimmend Pereis und Spilling 279, unrichtig v. Rheinbaben, DiszG 48).] Die Ernennung durch den Monarchen ist daher für den Begriff des Beamten kein wesentliches Erfordernis, wie viele Schriftsteller annehmen (Goenner § 11; V.Gerber 113; H . A. Zachariä 2 18; Zöpfl 2 778; Held 2 326; Zorn, StR 1 298. 4 Dies behaupten Zo.rn, StR 1 287; Gareis, AllgStR in Marquardsens Handb 160, Eckstein ArchOffR 27 501 ff. Vgl. dagegen die herrsch. M., insbes. Lab and, StR 1 435, 436; Seydel-Piloty, Bayer. StR 1 673; H. Schulze, Preuß. StR §58; Bornhak, Preuß. StR 2 24, 25; RGSt2 23; Arndt, RStR634; Brand, BR 18, 19. 8 Von den Gesetzgebungen erklären einzelne entweder die Lehrer überhaupt oder die Lehrer an den höheren Unterrichtsanstalten ausdrücklich für Beamte, P r A L R 2 12 §§ 65 und 73, Preuß. Verf Urk Art. 23, Württ. B G § 1, Bad. BG §§ 1, 120, S.-Weim. StDG § 1, Old. UnterrG vom 3. April 1855 Art. 19, Braunschw. StDG § 1, Schw.-Sondh. StDG § 1, Reuß j. L StDG § 2, Schaumb.-Lipp. StDG § 1, G. vom 7. Febr. 1876 $ 2, Lipp. VSchG vom 11. Dez. 1849 § 39, Wald. StDG § 1. G. für Elsaß-Lothringen vom 28. Dez. 1873 A r t . l . Wenn in andern Staaten die Lehrer nicht zu denStaat6dienern gerechnet werden, so hat das lediglich die Bedeutung, daß auf sie die gewöhnliche Staatsdienergesetzgebung keine Anwendung finden soll, sondern eine spezielle Regelung ihrer Rechtsverhältnisse vorbehalten bleibt. Vgl. G. Meyer-Dochow, L e h r b D V R (3. Aufl.) § 86 S. 222, § S. 225, § 90 S. 228. [In Preußen sind die Lehrer an allen öffentlichen Unterrichtsanstalten —Volksschulen, höhere Lehranstalten, insbesondere Gymnasien, Universitäten — nach der richtigen, freilich vielfach bestrittenen Auffassung u n m i t t e l b a r e Staatsbeamte; vgl. Anschütz, Komm, zur preuß. V. 1 418 ff, 429 ff.; Giese, Der Beamtencharakter der preußischen Volksschullehrer (in der Festschrift für Zitelmann); Derselbe, Der Beamtencharakter der Direktoren und Oberlehrer an den . . . Lehranstalten in Preußen (2. Aufl. 1912); Derselbe im Volksschularchiv 12 1 ff. Über die einschlägigen Rechtsverhältnisse in Bayern vgl. Sevdel-Graßmann. Bayer. StR 2 566, 580ff.; Reindl, Bayer. B G 15 (will die Volksschullehrer, nur als mittelbare Staatsbeamte gelten lassen), — in Baden: Walz, JahrbÖffR 5 539 ff.] Gr. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
II.
7. Aufl.
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Zweiter Teil.
Zweites Buch.
§ 13.
welche Dienste der letzteren Art leisten, gehören zu den Beamten im staatsrechtlichen Sinne, wenn sie förmlich angestellt sind und mit ihnen nicht etwa ein bloßer privatrechtlicher Dienstvertrag abgeschlossen ist 6 . Alle Beamten haben die Pflicht zur Ausübung ihrer Amtsfunktionen, die Pflicht des Gehorsams gegenüber den Anordnungen ihrer Vorgesetzten, die Pflicht zur Beobachtung eines achtungswürdigen Verhaltens. Sie genießen alle einen umfassenden strafrechtlichen Schutz. Im übrigen sind hinsichtlich der Beamten zwei Hauptgruppen von Personen zu unterscheiden: a) die B e r u f s b e a m t e n , d.h. diejenigen Personen, welche aus dem öffentlichen Dienste ihren Lebensberuf machen 7 . Nur bei diesen ist das v o l l e Beamten- oder Staatsdienerverhältnis vorhanden, nur sie haben die Verpflichtung, keinerlei Nebengeschäfte zu treiben, nur sie besitzen Anspruch auf Gehalt und Pension. Bei ihnen hört sogar das besondere Verhältnis zum Staate nicht unbedingt auf, wenn die Verwaltung des Amtes ihr Ende erreicht. Sie können zur Disposition gestellt werden; dann erscheinen sie trotz ihrer Inaktivität fortdauernd als Beamte und haben die Verpflichtung, jederzeit wieder in den Dienst einzutreten. Der Staat gewährt ihnen in diesem Falle fortdauernde Mittel zum Unterhalt und legt ihnen ähnliche Verpflichtungen wie den aktiven Staats.. 8 Dies hebt mit Becht Laband, StR 1 432 N. 1, 436 N. 1 und 2, sowie HbÖffR 71, hervor; ebenso H. Schulze, Lehrb. des deutschen StR 1 319; Opitz, Sächs. StR 1 242 N. 1; Seydel-Piloty, Bayer. StR 1 673; Bornhak a. a. 0 . 24; Brand a. a. 0. 18, 19. — Die älteren Schriftsteller sind meist entgegengesetzter Ansicht: H . A. Zachariä a. a. 0 . 19; v. Gerber a. a. 0 . 114; Foezl, Bayer. V R § 180; wie diese neuerdings Eckstein a. a. 0. 7 Fast alle älteren und manche neuere Schriftsteller haben bei Bestimmung des Beamtenbegriffes auf die Berufsmäßigkeit ein entscheidendes Gewicht gelegt v. Gerber 115; Zöpfl 778; Held 326; Poezl § 198; H. Schulze, Preuß. StR § 98, LehrbDStR 1 317; Perthes 44; L. v. Stein, V L T. 1 Abt. 1 S. 223ff, H b V L 1 55; Ulbrich, Österr StR 2 180; v. Rönne, Preuß. StR 2 409; v. Rönne-Zom 1 421; Loening, V R § 116; Gierke, Art. „Gemeindebeamte" n v. HoltzendorÖs Rechtslexikon 2 50; Harseim, Art. Besoldung im W S t V R 137. Demgegenüber heben Laband, StR 1 437, 438, K l A. 101, und im Anschluß an ihn Zorn, StR 1 297; Seydel a. a. O. 189; Bornhak a. a. 0 . 24 ff.: Anschütz a. a. 0 . 148 hervor, daß es auch Beamte gibt, welche ihr Staatsamt nur als Nebenbeschäftigung verwalten. Aber bei diesen Personen besteht auch nur ein Teil der Eichte und Pflichten der Beamten, nicht das volle Beamtenverhältnis. Auch einige Staatsdienergesetze betonen die berufsmäßige Tätigkeit, indem sie festsetzen, daß ihre Bestimmungen auf Personen, denen amtliche Dienste auf bestimmte Zeit oder neben landwirtschaftlichen oder bürgerlichen Gewerben übertragen seien, entweder k^ine oder nur eine beschränkte Anwendung finden. S.-Weim. StDG § 2, S.-Alt. StDG § 2, S. Kob.-Goth. StDG § 2, Old. StDG Art. 1 § 2, Schw.-Sondh StDG § 3, Schw.-Rudolst. StDG | 2, Lüb. B G § 2 , Brem. B G § 2, R B G § 38. — Die berufsmäßige Vorbildung bildet zwar bei Berufsbeamten die Regel, sie ist aber nicht, wie Rosin Ann DR (1883) annimmt, ein unerläßliches Erfordernis für den Begriff des Berufsbeamten.
Die Organe.
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dienern auf. Freilich beziehen sich diese Verpflichtungen nicht auf die Ausübung irgend welcher Amtsfunktionen, sondern nur auf die Beobachtung eines achtungswürdigen Verhaltens; b) diejenigen Personen, welche die Tätigkeit im öffentlichen Dienste nur als N e b e n b e s c h ä f t i g u n g neben anderen Berufsgeschäften überDommen haben (Ehrenbeamte) 8. Auch diese Personen befinden sich in einem Beamtenverhältnis, aber dieses Beamtenverhältnis ist in der Regel kein volles in dem Sinne, daß auf sie a l l e Bestimmungen der Beamtengesetze Anwendung finden. Es steht ihnen nur ein T e i l derjenigen Rechte und Pflichten zu, welche diese den Beamten beilegen. Das Bestehen eines B e a m t e n v e r h ä l t n i s s e s und die B e k l e i d u n g eines b e s t i m m t e n A m t e s sind nicht identisch; „Beamter" ist nicht dasselbe, wie „Amtsinhaber 0 Bei denjenigen Personen, welche den öffentlichen Dienst als Nebenberuf oder als Nebenbeschäftigung betreiben, kann allerdings von einem Beamtenverhältnis nur solange die Rede sein, als sie ein Amt innehaben. Berufsbeamte dagegen können sich im Beamtenverhältnis befinden, ohne zeitweilig ein Amt #> zu bekleiden, z.B. wenn sie zur Disposition gestellt sind. In den Amtern, welche ein Staatsdiener verwaltet, kann ein vielfacher Wechsel eintreten, ohne daß sein Beamtenverhältnis dadurch berührt wird. Ein Dienstverhältnis, aber kein Amt liegt auch bei denjenigen Personen vor, welche sich im Vorbereitungsdienste befinden 10 . 3. Das Beamtenverhältnis wurde in früherer Zeit als auf einem privatrechtlichen Vertrage beruhend angesehen. Man stritt darüber, ob dasselbe ein precarium, eine locatio conductio operarum, ein Mandat oder ein Innominatkontrakt nach der Formel „do ut facias" sei. Später nahm man einen besonderen Dienstvertrag an, welcher aus einem Hauptvertrage, der die Übertragung des Amtes, und einem Nebenvertrage, der die Besoldung zum Gegenstande hatte, bestehen sollte 11 . Erst im achtzehnten Jahrhundert 8 Beispiele: Handelsrichter (GVG §§ 111 ff.), Wahlkonsuln (RG betr. die Bundeskonsulate vom 8. Nov. 1867 §§ 9, 10), preußische Amtsvorsteher (oben § 116 S. 450), Rechtsanwälte, die als Notare, Geistliche, die als Schulinspektoren angestellt sind. 9 Dies heben mit Recht hervor Laband, StR 1 430; Rehm, AnnDR 1885 160ff.; Binding, Lehrb. des StrR 2 381 ff.; Triepel, Staatsdienst und staatlich gebundener Beruf 13; Anschütz, Enzykl. 148; Brand, a. a. 0 . 19, 20. Ablehnend gegen diese herrsch. M. verhält sich Preuß, Städt. Amtsrecht 74 ff. 10 Vgl. O. Mayer, V R 2 232 ff. [Die Bemerkung dieses Schriftstellers, a. a. 0 . 232 Anm. 30: „Es ist nur gesellschaftliche Rücksichtnahme, wenn man den Referendaren eine Art von Beamteneigenschaft zuerkennt" verrät geringe Neigung zur Rücksichtnahme auf das positive Recht. Nach diesem ist den Referendaren die Beamteneigenschaft unbedingt zuzusprechen. Ebenso Triepel, a. a. 0 . 37; Eckstein, ArchÖffR 27 52y. A. M. Binding. a. a. 0 . 387.] . 11 Einen Überblick über diese Ansichten geben Goenner a. a. 0 . § 5 ff.; H. A. Zachariä § 135; Rehm, a. a. O. 582ff.; Laband, StR 1 438ff. 37*
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wurde die privatrechtliche Anschauung mit Erfolg bekämpft und der Grundsatz aufgestellt, daß das Beamtenverhältnis nicht auf einem Vertrage, sondern auf einem e i n s e i t i g e n S t a a t s i i k t e b e r u h e 1 3 . Diese Auffassung erwarb sich bald eine fast allgemeine Anerkennung. Nur wenige Schriftsteller blieben auf dem Standpunkte der Vertragstheorie stehen 1 8 . I n neuerer Zeit ist jedoch die Ansicht von der vertragsmäßigen Begründung des Beamtenverhältnisses wieder aufgenommen worden 14 . Freilich in modifizierter Form. Es wird anerkannt, daß der Vertrag kein bloßes Obligationsverhältnis zwischen Staat und Beamten, sondern ein Gewaltverhältnis des ersteren über den letzteren begründet. Der Staatsdienst soll ein Analogon in der Vassallität finden 15. Eine vertragsmäßige Begründung des Beamtenverhältnisses muß nach dieser Ansicht deshalb angenommen werden, weil der Eintritt in den Staatsdienst freiwillig ist, zu demselben also Willensübereinstimmung zwischen dem Staate und dem Beamten erfordert wird. Schon diese Voraussetzung trifft nur bei einem Teil der Beamten, nämlich bei denjenigen Personen zu, welche aus der amtlichen Tätigkeit ihren Lebensberuf machen. Dagegen finden sich unter denjenigen Personen, welche amtliche Funktionen neben anderen Berufsgeschäften besitzen, sowohl solche, welche dieselben freiwillig, als solche, welche sie kraft eines gesetzlichen Zwanges übernommen haben. Trotzdem unterscheiden sich ihre Rechtsverhältnisse in keinem wesentlichen Punkte voneinander 16 . Auch die besonderen Rechte und Pflichten der Berufsbeamten sind keine 12 Zuerst von G-oenner in der § 142 Anm. a angeführten Schrift über den Staatsdienst. 18 Klüber § 492; Schmitthenner, Grundlinien des idealen oder allgemeinen .StR 509. 14 [Über diese Wiederaufnahme vgl. Preuß, Städt. Amtsrecht 77 ff. Führer der neuen Vertragstheorie ist Laband, StR 1 430ff., Kl. A. 101. ArchÖffR 18 75 ffJ Weitere (z. T. selbständige) Vertreter sind Seydel, Allg. StL 59 ff., Bayer. StR (2. Aufl.) 2 184ff.; Seydel-Piloty, Bayer. StR 1 670ff; Piloty im JahrbOffR 190» 240; v. Stengel, Das ÖffR und die VerwGbk in Elsaß-Lothringen, AnnDR 1876 897 ff.; Derselbe im HbÖffR 137; E.Loening, Die Haftung des Staates aus rechtswidrigen Handlungen seiner Beamten (1879) 131, V R 119; v. Sarwey; Württ. StR 2 276; Göz, Württ. StR 176; Gareis, AllgStR in Marquardsens Handb 164; E. Mayer, Kirchenhoheitsrechte des Königs von Bayern 196ff.; Rehm a. a. O. 116ff.; Derselbe, AllgStL 137 Anni. 4; Freund im ArchÖffR 1 115 N. 2; Jellinek, System der subjektiven OfrR 177 ff, 209 ff., sowie Ausgewählte Schriften und Reden 2 302; Reindl, Bayer. BG 9, 10; Hatschek, SelbstV 98; Affolter, AllgStR 38 N. 34, der sogar wieder auf die Kategorie des Mandates zurückgreift. 15 Laband a. a. O. 434. Gegen diese [vor Laband schon von Schmitthenner und Gerber vertretene] Auffassung Seydel, Bayer. StR (2. Aufl.) 187 ff.; Preuß, Städt. Amtsrecht 80 ff. Übrigens stellt Laband StR 1 433 N. 2 fest, daß er „weit davon entfernt sei, das Beamtenverhältnis der Gegenwart mit der Vassallität oder Ministerialität zu i d e n t i f i z i e r e n " . 16 Vgl. die zutreffenden Bemerkungen von Preuß, Städt. Amtsrecht 82, 83.
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Folgen der Freiwilligkeit des Verhältnisses. Man kann sich flir die vertragsmäßige Entstehung ferner nicht auf die ethische Seite des Staatsdienerverhältnisses, die Treue und Hingebung, welche vom Beamten gegenüber dem Staate gefordert wird, berufen. Denn derjenige Dienst, welcher die größte Hingebung des einzelnen für den Staat verlangt, der Militärdienst, wird kraft gesetzlicher Verpflichtung geleistet. Endlich ist die Freiwilligkeit des Eintrittes in den Staatsdienst nicht identisch mit der vertragsmäßigen Entstehung des Staatsdienerverhältnisses. Da Staat und einzelner sich nicht als gleichberechtigte Subjekte gegenüberstehen, so findet die Begründung von Rechtsverhältnissen unter denselben selbst im Fall der Willensübereinstimmung nicht in der Form eines Vertrages, sondern in der eines einseitigen Staatsaktes statt, [dessen Zulässigkeit und Gültigkeit freilich — hierdurch entsteht der Schein eines Vertrags Verhältnisses — durch die Einwilligung des Beteiligten bedingt i s t ] 1 7 . Dagegen läßt sich auch nicht einwenden, daß Standesherren und Privatgesellschaften ihre Beamten in derselben Form wie der Staat ernennen. Zunächst ist dies keineswegs überall der Fall, und selbst wo es so sein sollte, kann bei der Verschiedenheit der beteiligten Subjekte und der zwischen diesen stattfindenden Vorverhandlungen aus der übereinstimmenden Form nicht auf völlige Gleichheit des Verhältnisses geschlossen werden l ö . Das Beamtenverhältnis ist seiner Natur nach ein s t a a t s r e c h t l i c h e s Rechtsverhältnis. Aus demselben geht der Anspruch des Beamten auf seine B e s o l d u n g hervor, der ebenso wie das Beamtenverhältnis selbst öffentlichrechtlicher Natur ist 1 9 . § 144. [1. Man unterscheidet R e i c h s - , S t a a t s - und K o m m u n a l b e a m t e , und zwar je nachdem der betreffende Beamte zum 57
Preuß a. a. 0 , 97; Ansehütz, Enzykl. 149. Die Ansicht, daß die Entstehung des Beamtenverhältnisses auf einem einseitigen Staatsakte beruhe, wird vertreten von Heffter 127—130; v. Gerber 121; H . A . Zachariä § 135; Zöpfl 787; Grotefend § 673; Bluntschli AllgStL 503 und 604; v. Rönne-Zorn, PrStR 1 426; v. Rönne, StRDR § 53; H. Schulze, PrStR § 99, LehrbDStR 1 321; Poezl § 181 N. 1; Gierke, ZStW 8JHS1, in v. Holtzendorffs Rechtslex. 153, in Schmollers Jbch. 7 1156; Zorn, StR 1 305ff.; Ulbrich, österrStR 89ff.; Meves in v. Holtzendorffs Rechtslex. 2 32, 8 747; v. Kirchenheim, LehrbDStR 213; Haelschner a. a. 0 . 1032; 0 . Mayer im ArchÖffR 3 42, V R 2 221, SächsStR 234; Dänischer v. Kollesberg, Die politischen Rechte der Untertanen 1. Lief. 54, 3. Lief. 84ff N. 24; Bornhak a. a. 0 . 29 ff. ; Harseim a. a. 0. 138 ; Radnitzky, Parteiwillkür im ÖffR 72 ff; Grotefend, P r V B U 4 1 7 ; Preuß, Städt. Amtsrecht 77 ff, 392, 393; Leoni, ÖffR von Elsaß-Lothringen 1 130ff.; Hübler, Organisation der Verw. 4; Ansehütz, Enzykl. 148, 149; v. Rheinbaben, PrDiszG 18; Brand, B R 47; Fleiner, Institut 182, 183; Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte 37; Walz, BadStR 142; Schücking, OldStR 169. i® Vgl. unten § 150 Anm. d. 18
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1 .
Reiche, zu einem Einzelstaate, oder zu einem Kommunalverbande (Gemeinde oder höherem Kommunal verbände a) in einem unmittelbaren beamtenmäßigen Dienstverhältnis steht. Die Frage, welchem Gemeinwesen — Reich, Staat, Gemeinde — ein Beamter dient, kann im Einzelfalle zweifelhaft sein; für ihre Beantwortung sind verschiedene Grundsätze angegeben worden. V e r e i n z e l t b findet sich die Meinung, daß es auf die Kasse ankomme, aus welcher der Beamte besoldet wird. Sie hat keinen Beifall gefunden 6, da sie einem rechtlich unwesentlichen Moment, der Quelle des Diensteinkommens, entscheidende Bedeutung beilegt und überdies bei unbesoldeten Beamten völlig versagt. Besser begründet ist die Ansicht, wonach der Beamte zu dem Gemeinwesen gehört, dessen Amt (Organschaft) er ausübt d : Reichsbeamte sind die, welche Reichs-, Staatsbeamte die, welche Staats-, Gemeindebeamte die, welche Gemeindefunktionen wahrnehmen. Doch ist sie nicht restlos richtig. Es entspricht der Regel, ist aber nicht notwendig, daß die Organperson, welche die Kompetenz (Gewalt) eines Gea Oben § § 1 1 1 , 115. Den Beamten der Kommunalverbände stehen gleich die im Dienste anderer Selbstverwaltungsträger (Selbstverwaltungsträger oder Selbstverwaltungskörper sind dem Staate untergeordnete und organisch eingegliederte, gleichwohl ihm gegenüber selbständige, körperschaftliche oder anstaltliche Verbände, welche staatliche Funktionen unter staatlicher Aufsicht pflichtmäßig als ihr Recht ausüben) angestellten Personen, z. B. die Beamten der Deichverbände, öffentlichen Feuerversicherungsanstalten, Versicherungsanstalten der Invaliden- und Hinterbliebenen Versicherung, Handels-, Landwirtschafts-, Handwerkskammern usw. Sie bilden zusammen mit den Kommunalbeamten die Kategorie der im Sprachgebrauch der preußischen Verwaltungspraxis sogenannten „ m i t t e l b a r e n Staatsbeamten" (ein irreleitender Ausdruck, da diese Beamten zum Staate nicht in einem „mittelbaren", sondern in keinem Dienstverhältnis stehen; vgl. Preuß, Stadt. Amtsrecht 118 ff, 151). Über diese Kategorie: Brand, B R 23 ff.; v. Rheinbaben, DiszG 25 ff; Anschütz, P r V 312, 313, 425 ff. und besonders Preuß a. a. O. b Loening, V R 117 Anm. 2. c Geeen sie: v. Seydel, BayStR (2. Aufl.) 2 191 N. 40; Preuß a. a. 0 . 207; Anschütz a. a. O. 426. Der Offizier des Landheeres ist, obgleich aus der Reichskasse besoldet, trotzdem nicht Reichsbeamter; die Reichsbankbeamten sind, weil im Reichsdienst angestellt, Reichsbeamte (RBkG vom 14. März 1875 § 28), nicht Beamte der juristischen Person „Reichsbank" (so, richtig, dieVoraufl. § 144 N . 3; Pereis und Spilling, R B G 11 und das RGer: R G Z 15 230 , 86 141, 45 123; a. M. Laband 1 404; Zorn, StR 1 299); die preußischen Volksschullehrer sind nach richtiger, wiewohl bestrittener Ansicht, oben § 143 N . 5, Staatsbeamte, obgleich ihr Gehalt aus der Gemeindekasse gezahlt wird. — A u f Grund positiver Gesetzesvorschriften ist der Charakter der Kasse aus welcher der Gehalt bezahlt wird, maßgebend für die Unterscheidung der elsaß-lothringischen Landesbeamten (oben §§ 138 ff., unten 580) und der Kolonialbeamten (oben § 141a) von den übrigen Reichsbeamten : elsaß-lothringische Landesbeamte sind Beamte, welche aus Mitteln des elsaß-lothringischen Landesfiskus (oben 547) Kolonialbeamte solche, die aus den Fonds eines Schutzgebietes besoldet werden. d Preuß a. a. O. 257: „Der Beamte ist Organ desjenigen Gemeinwesens, in dessen Kompetenz seine Amtsfunktionen wurzeln". Ebenso Giese, Der Beamtencharakter der Direktoren und Oberlehrer . . . (2. Aufl. 1909) 103.
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meinwesens handhabt, zu diesem Gemeinwesen im Beamtenverhältnis steht 6 ; es kommen Beamte vor, welche die Kompetenz eines andern Gemeinwesens ausüben als desjenigen, in dessen Dienst sie stehen f. Was die in Rede stehende Theorie als entscheidendes Merkmal (essentiale) ansieht, ist in Wahrheit nur ein regelmäßig zutreffendes Moment (naturale). Das Gleiche gilt von einer sehr verbreiteten Meinung, welche dahin geht: entscheidend für die Zuweisung eines Beamten in eine der drei Kategorien Reichs-, Staats-, Kommunalbeamte sei das Subjekt nicht der Amtskompetenz sondern des Anstellungsrechts; der Beamte sei desjenigen Gemeinwesens Diener, dessen Oberhaupt oder sonstiges Organ ihn anstellte. Auch diese Theorie verwechselt, wie die vorhergehend erwähnte, das Regelmäßige mit dem Begriffsnotwendigen. Daß das Dienstverhältnis der Beamten eines Gemeinwesens durch die Organe eben dieses Gemeinwesens begründet wird, ist die Regel, aber eine Regel, die Ausnahmen duldet 11 ; es gibt Beamte, welche von den Organen nicht ihres, sondern eines andern Gemeinwesens, Reichsbeamte, welche von Landes-, Gemeindebeamte, welche von Staatsorganen ernannt werdenK Doch handelt es sich hier, wie bemerkt, um Ausnahmeerscheinungen, ebenso wie es eine Ausnahme ist, wenn derjenige, der im Dienste des einen Gemeinwesens steht, das Amt eines andern Gemeinwesens wahrnimmt. Deshalb begründet sowohl der Charakter des Anstellungsorgans wie die rechtliche Natur der von dem Angestellten ausgeübten Amtskompetenz eine V e r m u t u n g für die Art des Dienstverhältnisses. Die Beweiskraft dieser Vermutung wird verstärkt, wenn sie sich nicht nur auf eines der beiden Momente, sondern auf « Anschütz, PrVerf 1 328 , 427; Triepel, Staatsdienst und staatlich gebundener Beruf 15. f Beispiele: Der (preußische) Landrat ist Leiter der Kreiskommunalverwaltung (oben § 116 S. 449), führt also die Geschäfte des Kreises als Selbstverwaltungskörper, ist aber Beamter des Staates; die Mitglieder des Vorstands der Versicherungsanstalten (RVO § 1348) sind nicht Beamte der Anstalt, sondern Beamte des Gemeindeverbandes oder Staates, für den die Anstalt errichtet ist; der mit der kommissarischen Verwaltung einer städtischen Magistratsstelle beauftragte Staatsbeamte (PrStO vom 30. Mai 1853 § 33 Abs. 4—6) bleibt auch in dieser seiner kommunalen Stellung Staatsbeamter; die Mitglieder der höheren Behörden der evangelischen Landeskirche (Oberkirchenrat, Konsistorien) sind in Preußen unmittelbare Staatsbeamte (Anschütz, PrVerf 1322 ff.), obwohl ihr Amt kein staatliches, sondern ein kirchliches ist. g So: Laband 1 443, die Voraufl. 502 Anm. 1. k Darauf ist hingewiesen bei Anschütz, PrVerf 1 427; Preuß, Städt. Amtsrecht 208ff.; Brand, B R 25, 26; v. Rheinbaben a. a. 0 . 27. i Reichsbeamte, die von den Landesregierungen angestellt werden: die in Art. 50 Abs. 5 R V bezeichneten Post- und Telegraphenbeamten (Pereis und Spilling a. a. 0.8ff., a. M. Laband 1445), die Mitglieder des bayerischen Senates des Reichsmilitärgerichts (so auch Laband 443 N. 2). Gemeindebeamte, die vom Staate ernannt werden: die Landbürgermeister in der Rheinprovinz (RheinKrO vom 30. Mai 1887 § 24), der Erste Bürgermeister von Frankfurt a. M. (GVG für Frankfurt a. M. vom 25. März 1867 § 40).
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beide zugleich stützen kann (das anstellende Gemeinwesen ist identisch mit dem, dessen Kompetenz die Amtsfunktionen angehören), andererseits wird sie abgeschwächt durch die Tatsache, daß das Gemeinwesen, dem das Anstellungsorgan angehört, ein anderes ist als das, dessen Funktionen der Beamte ausübt. — Reichsbeamter im Sinne des Reichsbeamtengesetzes ist jeder Beamte, welcher entweder vom Kaiser angestellt oder nach Vorschrift der Reichsverfassung den Anordnungen des Kaisers Folge zu leisten verpflichtet i s t k . Reichsbeamte sind auch die für den Staatsdienst im Reichslande Elsaß-Lothringen angestellten Beamten („elsaß-lothringische Landesbeamte") und die Beamten der Schutzgebiete (Kolonialbeamte) 1 : ihr Dienstherr ist der Kaiser, von dem oder in dessen Namen sie angestellt werden, die Dienstgewalt, der sie unterworfen sind, ist Reichsgewalt. Die Rechtsverhältnisse der elsaß-lothringischen Landesbeamten sind durch das Reichsbeamtengesetz, welches insoweit (nebst den dazugehörigen Abänderungsund Ergänzungsgesetzen) als elsaß-lothringisches „Landesgesetz" (s. unten § 166) gilt, die der Kolonialbeamten durch ein besonderes Reichsgesetz, das Kolonialbeamtengesetz vom 8. Juni 1910 (oben § 141a) geregelt.] Die Rechtsverhältnisse der Reichs-, Staats- und Kommunalbeamten sind in ihren wesentlichen Grundzügen übereinstimmend. Namentlich stehen die letzteren fast in allen Punkten den Staatsbeamten des betreffenden Staates gleich 1 . Sie haben dieselben k R B G § 1. 1 Betreffs der elsaß-lothringischen Landesbeamten gleicher Ansicht Laband 2 219 ff.; Haenel, StR 1 831; Fischbach, ÖffR von Elsaß-Lothringen 85 ff. A . M . Thudichum, AnnDR 1876 269; Rehm, AnnDR 1885 71; Schulze, DStR 2 872. Die letzteren haben Unrecht. Allerdings ist das R B G in Elsaß-Lothringen erst durch einen besonderen gesetzgeberischen Akt (s oben § 142 N. 9) eingeführt worden. Aber diese Einführung war nicht deshalb notwendig, weil die reichsländisehen Beamten nicht unter den Begriff der Reichsbeamten fielen, sondern weil zu der Zeit, als das Reichsbeamtengesetz erging, die R Y in Elsaß-Lothringen noch nicht in Kraft getreten war, dasselbe also durch Publikation im R G B l dort keine Gültigkeit erlangte. Auch die Bezeichnung der elsaß-lothringischen Beamten als Landesbeamte in einigen Gesetzen (G., betr. die Rechtsverhältnisse der Beamten und Lehrer, vom 28. Dez. 1878, G., betr. die Verf. und Verw. Elsaß-Lothringens, vom 4. Juli 1879 § 6) beweist nichts gegen die hier vertretene Ansicht, da beim Gebrauch dieser Bezeichnung die Absicht, die staatsrechtliche Frage, um welche es sich hier handelt, zu entscheiden, ganz fern gelegen hat. Entscheidend ist, daß die betreffenden Beamten von Organen des Reiches angestellt werden und dem Reich gegenüber zu Diensten verpflichtet sind. Die Zusammenfassung dieser Klasse von Reichsbeamten uDter der besonderen Bezeichnung elsaß-lothringischer Landesbeamten ist namentlich deshalb erfolgt, weü ihnen die Ansprüche auf Besoldung bezw. Wartegeld und Pension nicht gegenüber dem Keichsfiskus, sondern gegenüber dem elsaß-lothringischen Landesfiskus zustehen. Über die Kolonialbeamten vgl. Laband 2 31 Off. und die oben § 142 Anm. a angegebene Literatur. 1 I n den älteren Bearbeitungen des Staatsdienerrechts wird in der Regel hervorgehoben, daß die Gemeindebeamten nicht zu den Staatsdienem
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Rechte und Pflichten, unterliegen wie diese einer speziellen Disziplin, in bezug auf ihre Entlassung und Suspension gelten die nämlichen Grundsätze. Auch sind den besoldeten Berufsbeamten der Kommunal verbände regelmäßig ähnliche Pensionsansprüche wie den Staatsdienern beigelegt 2 . Dagegen ist das Verhältnis der Kommunalbeamten zum Staate durchaus anders gestaltet als das der Staatsbeamten zum Reiche. Während die Kommunal verbände der Staatsherrschaft in allen Beziehungen unterworfen und in ihrer Organisation vom Staate abhängig sind, steht dem Reiche nur eine beschränkte Macht über die Staaten zu, und diese regeln ihre Organisation in selbständiger Weise. Deshalb können die sämtlichen Rechtsverhältnisse der Kommunalbeamten durch die Staatsgesetzgebung geregelt werden, während das Reich nur insoweit eine Kompetenz besitzt, diejenigen der Staatsbeamten festzustellen, als ihm eine solche durch ausdrückliche Bestimmungen der Reichsverfassung beigelegt ist, wie dies z. B. hinsichtlich der Richter durch die Bestimmungen über die Reichskompetenz hinsichtlich der Gerichtsverfassung und des gerichtlichen Verfahrens der Fall ist. Deshalb besteht eine allgemeine Unterordnung der Kommunalbeamten unter die Staatsbehörden, welchen auch die Ausübung der Disziplin über dieselben übertragen ist. Dagegen findet eine gleiche Unterordnung der Staatsbeamten unter die Reichsbehörden nicht statt. Auf den Gebieten der Staatskompetenz sind die Kommunalbeamten lediglich den Befehlen der höheren Staatsbehörden unterworfen. Auf den Gebieten der Reichskompetenz können allerdings direkte Weisungen der Reichsorgane an die Behörden der Einzelstaaten vorkommen, obwohl auch diese in der Regel durch Vermittlung der Ministerien ergehen. Keinesfalls aber besitzen die Reichsbehörden, wenn eine derartige Weisung unbeachtet bleibt, die Befugnis zu einem disziplinarischen Einschreiten gegenüber den Staatsbeamten. 2. Die Beamten sind teils M i l i t ä r p e r s o n e n , teils Z i v i l b e a m t e . Obwohl die dauernd angestellten Militärpersonen, also Offiziere, Unteroffiziere usw. begrifflich zu den Beamten gehören, so finden doch kraft gesetzlicher Bestimmungen die Vorschriften ehören. Dies ist unzweifelhaft richtig, aber andrerseits darf man nicht verennen, daß die Rechts Verhältnisse der Gemeindebeamten denen der Staats dien er fdurchaus analog sind und daher am besten in Verbindung mit ihnen zur
Darstellung gelangen. Dies erkennen auch 0 . Gierke in v. Holtzendorffs Rechtslex. 2 51; Loening, V R 117; Seydel a. a. 0 . 182; Zorn a. a. 0. 300, an. 2 Die näheren Bestimmungen darüber finden sich entweder in den Gemeinde-, Kreis- und Provinzialordnungen oder in besonderen für die Kommunalbeamten erlassenen Gesetzen (Preußen: G. über die Anstellung und Versorgung der Kommunalbeamten vom 30. Juli 1899; Bayern; GemeindebeamtenG vom 15. Juli 1916). V^l. § 110 Anmerkung S. 417ff., und für Elsaß-Lothringen GO vom 6. Juni 1895. — Über die Rechtsverhältnisse der preußischen Kommunalbeamten unterrichtet am besten das oben oft zitierte Werk von H. Preuß, Das städtische Amtsrecht in Preußen. Vgl. außerdem Freytag, Das G. über die Anstellung und Versorgung der Kommunalbeamten vom 30. Juli 1899, mit Erläuterungen (1900).
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über Beamte auf sie keine Anwendung 8 , ihre Rechtsverhältnisse siüd vielmehr einer speziellen Regelung vorbehalten. Dagegen gehören die in der M i l i t ä r v e r w a l t u n g beschäftigten Personen zu den Beamten. 3. Die Zivilbeamten sind teils r i c h t e r l i c h e , teils n i c h t r i c h t e r l i c h e ( V e r w a l t u n g s - ) B e a m t e . Der Unterschied zwischen richterlichen und Verwaltungsbeamten ist namentlich in bezug auf die Rechtsgrundsätze über Disziplin, Entlassung und Versetzung von Wichtigkeit. Das Personal der Staatsanwaltschaft gehört zu den Verwaltungsbeamten 4. 2. Begründung des Beamtenyer}iältnisses.
§ 145. 1. [Die Begründung des Beamten Verhältnisses erfolgt durch den Akt der A n s t e l l u n g . Diese ist ihrer rechtlichen Natur nach nicht, wie vielfach angenommen w i r d a , ein Vertrag zwischen Staat und Anzustellendem, sondern ein einseitiger Akt des ersteren, ein V e r w a l t u n g s a k t , der freilich nur auf Einwilligung des andern ergehen darf. Die Einwilligung ist nicht Bestandteil des Anstellungsaktes, sondern Bedingung seiner Zulässigkeit und Gültigkeit, der A k t selbst also nicht ein zweiseitiges, vielmehr ein einseitiges Geschäft des öffentlichen Rechts, ein Verwaltungsakt vom Typus nicht des Vertrages sondern der Verfügung*>.] Diese Auffassung wird auch durch die Form der Anstellungsurkunden (Bestallungen, Anstellungsdekrete, Patente) bestätigt. Der Anstellung können vertragsmäßige Vereinbarungen (Reverse) vorhergegangen sein, durch welche die Rechte und Pflichten des Angestellten wenigstens teilweise bestimmt werden. [Die Anstellung bewirkt den Eintritt in das Beamtenverhältnis; sie begründet die Eigenschaft als Beamter, nicht dagegen die Über8 R B G § 157. — Eine Ausnahme machen die Festsetzungen über das Verfahren bei Defekten. I m Sinne des RStrGB sind jedoch die Offiziere als Beamte anzusehen. Vgl. RGSt 24 17 ff. Vgl. W . Lehmann, Rechtliche Natur des Offiziersdienstes, entwickelt aus der Geschichte und dem geltenden Rechte, AnnDR 1907 541 ff, 618 ff, 722 ff. 4 I n bezug auf die Reichsanwaltschaft spricht diesen Grundsatz aus das R G V G § 149 in bezug auf die Staatsanwaltschaft im engeren Sinne die Ausführungsgesetze der Einzelstaaten. a Vgl. Sie oben § 148 N. 14 angegebene Literatur. * So die heute vorherrschende Meinung; vgl. Literaturangaben oben § 143 N. 18. Der Fall, daß ein Staatshoheitsakt nur auf Einwilligung oder Antrag des Beteiligten vorgenommen werden darf, kommt auch sonst vor: die Verleihung der Staatsangehörigkeit durch Aufnahme oder Einbürgerung (oben 247, 24b), die Erhebung der öffentlichen Klage bei Antragsdelikten. — Unzutreffend ist die Bezeichnung der Anstellung als Privilegium oder lex specialis (so insbesondere ein Teil der älteren Literatur: Zachariae a. a. O. § 135 S. 27; Gerber a. a. O. § 37; v. Roenne-Zorn, PrStR 1 426. Dagegen mit Recht Laband 1 447; Bornhak, PrStR 2 31.
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tragung eines Amtes; letztere ist, wenn sie auch (was regelmäßig der Fall) äußerlich in einem Akte mit der Anstellung erfolgt, rechtlich doch Gegenstand und Wirkung einer besonderen Staatswillenserklärung c .] Die Anstellung der S t a a t s b e a m t e n geschieht entweder durch den Monarchen oder durch eine von ihm beauftragte Staatsbehörde. Nur die Landtagsbeamten werden vom Landtage, bezw. von dem Präsidenten desselben oder der betreffenden Kammer angestellt. Präsentationsrechte für Anstellungen bestehen nicht mehr 1 . Bei der Anstellung der R e i c h s b e a m t e n sind Kaiser, Bundesrat und Reichstag beteiligt. Der letztere nur insoweit, als seinem Präsidenten das Recht der Ernennung der Reichstagsbeamten zusteht 2 . Die Anstellung der übrigen Reichsbeamten erfolgt f o r m e l l stets durch den Kaiser oder eine von ihm beauftragte R e i c h s b e h ö r d e A u f die m a t e r i e l l e Bezeichnung der betreffenden Person übt bei einzelnen Stellen der Bundesrat oder einer seiner Ausschüsse eine Einwirkung aus. In dieser Beziehung sind drei Abstufungen zu unterscheiden. Eine bloß be-g u t a c h t e n d e Tätigkeit steht dem Bundesratsausschuß für Zoll- und Steuerwesen bei der Anstellung der kontrollierenden Zoll- und Steuerbeamten und dem Bundesratsausschuß für Handel und Verkehr bei der Anstellung der Konsuln z u 4 . Ein V o r s c h l a g s r e c h t besitzt der Bundesrat bei Ernennung der Mitglieder des Reichsgerichtes, bei Ernennung des Oberreichsanwaltes und der Reichsanwälte, bei Ernennung der Mitglieder des Bundesamtes für Heimatwesen, des Präsidenten und der Mitglieder des Reichsbankdirektoriums, des Präsidenten des Reichspatentamtes, des Präsidenten und der ständigen Mitglieder des Reichsversicherungsamtes, der Senatspräsidenten und Räte des Reichsmilitärgerichtes 6 . Diese Ämter kann der Kaiser nicht gegen den Willen des Bundesrates besetzen. Aber es besteht auch für ihn keine Verpflichtung, die Vorschläge des Bundesrates anzunehmen. Für jede Ernennung wird also eine Willenseinigung zwischen Kaiser und Bundesrat erfordert. Die Mitglieder des Rechnungsc Laband 1 430 ; 0 . Mayer, V R 2 200; Seydel-Piloty Bay. StR 1 683; Anschütz, Enzykl. 149. Jellinek, System 212 meint: „in ihr — der Anstellung — sind notwendig die zwei geschiedenen Elemente: Staatsdienervertrag und Übertragung eines Amtes, Anstellung und Ernennung zu unterscheiden." Das ist insofern unzutreffend, als die Übertragung des Amtes nicht „in ihr" (der Anstellung), sondern selbständig neben ihr steht. 1 Für Anstellungen bei Gerichten sind sie durch R G V G § 15, für andere Anstellungen durch die Landesgesetzgebung aufgehoben. 2 R B G § 156. 8 R V Art. 18, R B G § 1, V . vom 23. Nov. 1874. * R V Art. 36, 56. 5 R G über den Unterstützungswohnsitz vom 30. Mai 1908 § 42, RBkG vom 14. März 1875 § 27, R G V G §§ 127 und 150, RPatG vom 7. April 1891 § 13, RVersichO vom 19. Juli 1911 § 86, RMilStrGO § 80.
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hofes, der Disziplinarkammer und des Disziplinarhofes, der Verwaltung des Reichsinvalidenfonds und des Reichsbankkuratoriums endlich werden vom Bundesrate g e w ä h l t oder e r n a n n t 6 . Hier liegt die materielle Bezeichnung der betreffenden Person lediglich in den Händen des Bundesrates. Die Erteilung der Bestallungsurkunde durch den Kaiser hat nur den Charakter der formellen Vollziehung des Bundesratsbeschlusses7. [Der das Dienstverhältnis der K o m m u n a l b e a m t e n begründende A k t — die Anstellung der Kommunalbeamten — geht entweder von dem Gemeindevorstande (Magistrat, Stadtrat, Bürgermeister, Gemeindevorsteher) 8 oder von der Gemeindevertretung (Stadtverordnetenversammlung usw.), seltener von der Gesamtheit der Gemeindemitglieder aus. Ersteres ist der Fall bei den Kommunalbeamten i. e. S., d. h. den dem Gemeindevorstand untergeordneten Beamten-, diese werden von dem Gemeindevorstand angestellt. Letzteres trifft zu bei den Vorstehern der Gemeinde bzw. Mitgliedern des Gemeindevorstandes, welche von der Gemeindevertretung, bisweilen unmittelbar von den Gemeindemitgliedern gewählt werden. Die Wahlen bedürfen nach den Gesetzen der meisten Staaten staatlicher Bestätigung 9 .] 2. Eine allgemeine gesetzliche P f l i c h t zum Eintritt in das Beamtenverhältnis besteht nach deutschem Staatsrecht nicht. Ebensowenig wie eine Pflicht, Beamter zu werden, ist ein R e c h t hierauf anerkannt, auch nicht für diejenigen Personen, welche die sogenannte Vorbereitungszeit durchgemacht und die Prüfungen bestanden haben. A n w a r t s c h a f t e n auf Staatsämter wurden in früherer Zeit, wo man das Beamten Verhältnis als ein privatrechtliches behandelte, für zulässig erachtet. Mit der öffentlichrechtlichen Natur des modernen Staatsdienstes sind sie dagegen nicht vereinbar. 3. Die E r f o r d e r n i s s e für die Anstellung im öffentlichen Dienste sind: [a) E i n w i l l i g u n g des A n z u s t e l l e n d e n . Eine allgemeine gesetzliche Pflicht, Beamter zu werden, besteht, wie oben bemerkt, nicht, das Beamtenverhältnis kann nur für den begründet werden, der will. Vgl. oben 582. Die Einwilligung ist an keine bestimmte Form gebunden d , sie kann ausdrücklich erklärt (z. B. durch ein Gesuch, in dem der Gesuchsteller sich um die Anstellung bewirbt) oder durch schlüssige Handlungen (z. B. Ablegung der für die betreffende Beamtenlaufbahn vorgeschriebenen Prüfung) betätigt 6 RG, betr. die Kontrolle des Bundeshaushaltes vom 4. Juli 1868 § 2, R B G § 93, RBkG § 25. 7 v. Rönne, StRDR 1 345, unterscheidet den ersten und zweiten, Laband, StR 1 263, 234, den zweiten und dritten Fall nicht hinreichend. s Oben § 113 S. 435. 5 Oben § 114 S. 439. ä 0. Mayer, V R 2 221; Anschütz, Enzykl. 149.
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werden. Die Einwilligung ist Voraussetzung nicht sowohl der Zulässigkeit als der G ü l t i g k e i t des Anstellungsaktes: die ohne oder gegen den Willen des Beteiligten vollzogene Anstellung ist ungültig. Die Ungültigkeit wird geheilt durch nachträgliche Einwilligung, welche wiederum sowohl ausdrücklich als auch stillschweigend erklärt werden kann. Die Ungültigkeit ist nicht absolute Nichtigkeit®, sondern V e r n i c h t b a r k e i t : der ohne seine Einwilligung Angestellte ist trotzdem Beamter geworden und bleibt es bis zur Vernichtung der Anstellung. Die Vernichtung ist ein Widerruf mit Wirkung ex tunc, zu dessen Vornahme die zuständige Stelle auf Antrag des Angestellten, wie auch von Amtswegen berechtigt und verpflichtet ist.] b) V o l l b e s i t z d e r b ü r g e r l i c h e n E h r e . Reichsgesetzlich ausgeschlossen ist die Anstellung solcher Personen, welche mit Zuchthaus bestraft, und denen zur Zeit die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen sind 1 0 . Aber auch bloß bescholtene Personen werden nach den in allen deutschen Staaten übereinstimmend angenommenen Grundsätzen zur Bekleidung öffentlicher Ämter nicht zugelassen c) N a c h w e i s d e r e r f o r d e r l i c h e n B e f ä h i g u n g . Ein solcher wird von allen denjenigen Beamten gefordert, deren Tätigkeit eine höhere wissenschaftliche Bildung voraussetzt. Die Vorbedingungen ihrer Anstellung sind: Universitätsstudium, Bestehen gewisser Staatsprüfungen und Vorbereitung im praktischen Dienste. Für die r i c h t e r l i c h e n B e a m t e n , die Reichs- und Staatsanwälte hat das RGVG gemeinrechtliche Vorschriften aufgestellt 11 . Die Bestimmungen über die Vorbildung der V e r « 0 . Mayer a. a. 0 . 222; Preuß, Städt. Amtsrecht 97; Bornhak, PrStR 2 33, 34; Kormaun, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakten 314ff. i J0 RStGB §§ 31 und 34. f Doch ist „Bescholtenheit" in diesem Sinne kein Anstellungshindernis. 11 R G V G §§ 2 - 5 u n d l 4 9 . Erfordert wird: 1. ein dreijähriges Studium der Rechtswissenschaft, von welcher Zeit drei Semester auf einer deutschen Universität zuzubringen sind; 2. eine erste Staatsprüfung; 3. eine praktische Vorbereitungszeit von drei Jahren, welche im Dienste bei Rechtsanwälten und Gerichten zu verwenden ist, auch zum Teil bei der Staatsanwaltschaft verwendet werden kann; 4. eine zweite Staatsprüfung. Durch Landesgesetzgebung kann der für das Universitätsstudium oder für den Vorbereitungsdienst bestimmte Zeitraum verlängert oder bestimmt werden, daß ein Teil der Vorbereitungszeit, jedoch höchstens ein Jahr, im Dienste bei Verwaltungsbehörden verwendet werden muß oder darf. Das Reichsgesetz stellt also nicht Minimalforderungen für die Vorbildung der Richter auf, sondern nimmt eine vollständige Regelung derselben vor; es Destimmt ausdrücklich, wie weit die Einzelstaaten von den Vorschriften desselben abweichen dürfen. Demnach ist die Landesgesetzgebung nicht berechtigt, eine Zwischenprüfung während der Studienzeit einzuführen, und die bayrische V. vom 3. Mai 1897, welche dies tut, befindet sich mit dem Reichsrecht nicht im Einklang. [Die Zwischenprüfung ist ietzt geregelt durch die A H V vom 4. Juli 1899, dazu Min.-Bek. vom 6. Juli 1899. Vgl. Kipp, D J Z 1901 103.] — Das R G V G bestimmt ferner, daß, wer in einem Bundesstaate die erste Prüfung bestanden hat, in iedem andern Bundesstaate zur Vorbereitung und zur zweiten Prüfung zugelassen werden
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w a l t u n g s b e a m t e n sind Gegenstand landesrechtlicher Regelung 1 2 . I n den meisten Staaten bestehen, abgesehen von den darf, daß die in einem Bundesstaate auf die Vorbereitung verwendete Zeit in jedem andern Bundesstaate angerechnet werden kann, und daß, wer in einem Bundesstaate die Fähigkeit zum ßichteramte erlangt hat, zu jedem Richteramte im Deutschen Reiche befähigt ist. Außerdem besitzen die Befähigung zum Richteramte die ordentlichen öffentlichen Lehrer des Rechtes an deutschen Universitäten. Für die Mitglieder des Reichsgerichtes, sowie die Senatspräsidenten und Räte des Reichsmilitärgerichtes ist außerdem die Vollendung des fünfunddreißigsten Lebensjahres erforderlich (RGVG- § 127, RMilStrGO § 81). Die landesgesetzlichen Bestimmungen über die Befähigung zur zeitweiligen Wahrnehmung richterlicher Geschäfte sind unberührt geblieben ( R G V G § 10). 12 Vgl. v. Kirchenheim, Art. Verwaltungsdienst im W S t V R 3 732ff. (vergleichende Darstellung des Rechts der größeren deutschen Staaten). Insbesondere für Preußen: Art. Verwaltungsdienst (Befähigung und Vorbereitung zum höheren) in v. Bitters, HdwPrV 2 861 ff; Anscnütz im JbÖffR 1 206 ff.; Stier-Somlo, die Ausbildung der höheren Verwaltungsbeamten (1906); v. Schwerin, Die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst (1906). — Einzelne Länder fordern von den Verwaltungsbeamten dieselben Prüfungen wie von den Richtern, so B a y e r n ( V V vom 6. März 1830, 25. April 1880, 3. Mai 1897, jetzt geltende Vorschriften: V. vom 4. Juli 1899, neue Fassung vom 1. Aug. 1912 und vom 20. Mai 1904, dazu Min.-Bek. vom 25. Okt. 1910, 1. Aug. 1912). B a d e n (V. vom 15. Mai 1907), H e s s e n (V. vom 30. April 1879, 12. Dez. 1884, 15. Sept. 1U04, 17. Dez. 1910, dazu Bekanntmachungen vom 17. Jan. 1880, 13. Aug. 1*97, 12. Nov. 1903), E l s a ß - L o t h r i n g e n (G., betr. die Einrichtung der Verwaltung, vom 30. Dez. 1871 § 21. Regulativ des Statthalters vom 24. März 1900), die meisten kleineren Staaten. In Baden und Hessen bestehen jedoch besondere Bestimmungen über den Dienst in der Finanzverwaltung. Andere haben ein verschiedenes Prüfungssystem für Richter und Verwaltungsbeamte, so namentlich P r e u ß e n . [Das preuß. G. über die Befähigung für den höheren Verwaltungsdienst vom 10. Aug. 1906 nebst Ausführungsanweisung vom 12. Aug. 1906 (MinBl der inneren Verw. 231) verlangt von dem künftigen Verwaltungsbeamten, welcher eiDe der in § 10 des G. bezeichneten Stellen erlangen will, das Bestehen der ersten juristischen (Referendar-)Prüfung, (der ein mindestens dreijähriges Studium der Rechte und der Staatswissenschaften auf einer Universität voranzugehen hat!, die Zurücklegung eines vierjährigen Vorbereitungsdienstes (9 Monate bei Gerichtsbehörden [§ 4 des G , § 2 Nr. 2 der Ausführungsanweisung], 3 Vi Jahre bei Verwaltungsbehörden [Ausführungsanweisung § 4 Abs. 1], wovon ^ M o nate bei einem Landrat, 3 Monate bei einer Gemeinde- oder sonstigen Selbstverwaltungsbehörde, im übrigen, mindestens aber 15 Monate bei einer Regierung und einem Bezirksausschusse) und das Bestehen einer zweiten Prüfung. Diese zweite Prüfung wird von der Prüfungskommission für höhere Verwaltungsbeamte abgenommen; sie erstreckt sich auf das in Preußen geltende öffentliche und Privatrecht, sowie auf die Volks- und Staatswirtschaftslehre. Die Minister der Finanzen und des Innern sind (G. § 13) ermächtigt, Personen, welche diese Vorbildung nicht aufzuweisen haben, nämlich 1. Personen, welche zum Richteramt befähigt und mindestens ein Jahr bei einer Verwaltungsbehörde beschäftigt worden sind; 2. Landräte (vgl. oben $ 116 S. 449), die eine mindestens fünfjährige Dienstzeit in ihrer Stellung zurückgelegt haben, als befähigt zum höheren Verwaltungsdienste zu erklaren. Inzwischen ist das preußische System, beruhend auf dem Gedanken der nicht vollständigen, sondern nur teilweisen Gemeinsamkeit der Ausbildung der künftigen Justiz- und Verwaltungsbeamten, teils einfach, teils mit Modifikationen in andern Staaten eingeführt worden. Einfach sind die preußischen Bestimmungen eingeführt worden in A n h a l t : Staats vertrag
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a l l g e m e i n e n Grundsätzen über Vorbildung der Verwaltungsbeamten , besondere Vorschriften über die Vorbildung solcher Personen, welche sich gewissen S p e z i a l z w e i g e n der Verwaltung (z. B. dem Finanz-, Forst-, Bau-, Bergfach) widmen wollen; d) die B e s t e l l u n g e i n e r K a u t i o n für diejenigen Beamten, welche Vermögensobjekte des Staates verwalten, sofern für sie die Kautionsbestellung ausdrücklich durch Gesetz oder Verordnung vorgeschrieben i s t 1 8 . Die Kautionsbestellung hat nicht den Charakter einer Verpflichtung, welche den Beamten infolge der Anstellung erwächst, sondern ist eine Vorbedingung für die Erlangung des Amtes 1 4 . Durch sie wird für den Staat an denjenigen Gegenständen, mit welchen die Kaution geleistet ist, ein Faustpfand begründet 16 . zwischen Preußen und Anhalt betr. die Vorbereitung Anhaltischer Referendare für den höheren Verwaltungsdienst vom 11. Dez. 1899 (PrGS 1900 S. 33). In allen wesentlichen Punkten adoptiert ferner die V. des Königl. Sächs. Ministerium des Innern vom 22. Dez. 1902 daB preußische System, indem sie von den Anwärtern für den höheren Dienst im Geschäftsbereich des Ministerium des Innern verlangt: die erste juristische Prüfung, 4 Jahre Vorbereitungsdienst (21/» Jahre bei der Justiz, IVa Jahr bei der Verwaltung), das Bestehen der Prüfung für den höheren Verwaltungsdienst. Vgl. Fischer in DJZ 8 65ff., welcher auch den früheren, mit dem bayrisch-badischreichsländisehen System übereinstimmenden Rechtszustand im Kgr. Sachsen darstellt. Auch W ü r t t e m b e r g , wo bis in die neueste Zeit die Vorbereitung, Ausbildung, erste und zweite Prüfung für Richter, Verwaltungs- und Finanzbeamte vollständig getrennt war, hat jetzt die Prinzipien des preuß. G. vom 11. März 1879 angenommen. Vgl. Königl. V . betr. die Befähigung für den höheren Justizdienst, für den höheren Verwaltungsdienst, für den höheren Finanzdienst, alle drei vom 7. Dez. 1903. Durch diese V . ist ein für die drei Staatsaienstfacher einheitliches, vorzugsweise juristisches Studium eingeführt und für die Anwärter des Verwaltungs- und Finanzdienstes das Bestehen der ersten Justizdienstprüfung sowie ferner die Zurücklegung eines zwölf- (Verwaltungsdienst) bzw. neunmonatlichen (Finanzdienst) Vorbereitungsdienstes bei den Justizbehörden obligatorisch gemacht worden. Die zweite Prüfung ist für jeden der drei Dienstzweige eine verschiedene 1 18 Bad. B G § 7, S.-Weim. StDG § 8, S.-Alt. StDG § 7, S.-Kob.-Goth. StDG § 9, G. vom 14. Juli 1887, Braunschw. StDG § 8, Old. StDG Art. 12, Anh. StDG § 12, Schw.-Rud. StDG § 8, G., die Kautionen der StD betr., vom 8. Okt. 1869, Abänd. vom 11. Nov. 1875, Reuß ä. L. StDG § 9, Reuß j. L. StDG § 8, Brem. B G §§ 7 - 1 3 , G. vom 26. Jan. 1899, Lüb. B G §§ 7 - 9 , E l s a ß - L o t h r . G G vom 15. Okt. 1873, 30. Jan. 1882, 9. April 1888, 17. April 1895, AusfG zum BGB vom 22. Dez 1899 § 42. ("Das Kechtsinstitut der Kaution (AmtsbürgschaftJ ist nach dem Vorgang der Keichsgesetzgebung (RG vom 20. Febr. 1898) in allen größeren und den meisten kleineren Einzelstaaten aufgehoben worden: vgl. z. B. Preuß. G. vom 7. März 1898, Sächs. G. vom 8. Juni 1898, Bayer. V . vom 11. Dez. 1848, Württ. G. vom 28. März 1844, Bad. V . vom 15. Sept. 1900, Hess V. vom 25. April 1904, Oldenb. G. vom 21 Jan. 1909, Schw.-Sondh. G. vom 30. Dez. 1899. Hamb. Bek. vom 22. April 1901, Lüb. G. vom 26. Juni 1907, 13. Juli 1912, Wald. G. vom 29. Dez. 1913 Vgl. Bertoldi, Die Aufhebung der Kautionspflicht der Staatsbeamten in Deutschland, Berlin 1904.] " Laband, StR 3. Aufl. 1 409; O. Mayer, V R 2 262; v. Rönne-Zorn, PrStR 1 442. * 15 Vgl. über die dadurch entstehenden Rechtsverhältnisse Laband a. a.
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(Die Erfüllung der Voraussetzungen und Erfordernisse der Anstellung bewirkt, wie bereits hervorgehoben (oben 584) nur die Fähigkeit, nicht aber ein subjektives Recht angestellt zu werden.] 4. Die Anstellung der Beamten erfolgt in der Regel auf Lebenszeitg. Von diesem Grundsatz findet jedoch eine doppelte Ausnahme statt: a) Nach einzelnen Staatsdienergesetzen ist die Anstellung eines Beamten zunächst eine widerrufliche [d.h. sie ist entweder während einer gesetzlich bestimmten Zeit oder dauernd widerruflich, ohne daß es eines dahingehenden Vorbehaltes bedarf], so daß der Betreffende jederzeit wieder entlassen werden kann 1 6 . Erst nach Ablauf einer bestimmten Wartezeit wird sie endgültig (unwiderruflich), mit Ausnahme derjenigen Beamten, deren Dienstverhältnis durch das Gesetz als dauernd widerruflich bezeichnet ist. Bei Richtern war eine derartige widerrufliche Anstellung meist schon nach den Landesgesetzen nicht zulässig, sie ist außerdem auch durch das RGVG verboten O. [3. Aufl.] 410ft. [in den späteren Auflagen sind diese Ausführungen, da sie nach Aufhebung der Kautionen (s. oben Anm. 13) des praktischen Interesses entbehren, weggelassen]; Bornhak, PrStR239; Harseim Art. „Kautionen" in v. Stengels W D V R 1 722 ff. s So insbesondere nach Reichs- und preußischem Recht. Vgl. R B G § 2: „Soweit die Anstellung der Reichsbeamten nicht unter dem ausdrücklichen Vorbehalt des Widerrufs oder der Kündigung erfolgt, gelten dieselben als auf Lebenszeit angestellt." Darüber, ob ein solcher Vorbehalt auszusprechen sei, entscheidet die Anstellungsbehörde nach freiem Ermessen, wie es auch ihrem Ermessen überlassen bleibt, die anfängliche Widerruflichkeit des Dienstverhältnisses später in Unwiderruflichkeit umzuwandeln (vgl. Pereis und Spilling 12, 13). üblich ist die widerrufliche Anstellung wesentlich nur bei solchen Beamten, die zunächst zur Probe, zur Aushilfe oder behufs ihrer eigenen Vorbereitung beschäftigt werden sollen, sowie bei solchen, die zu rein mechanischen Verrichtungen bestimmt sind (s. oben im Text). Diese Vorschriften und Grundsätze entsprechen der preußischen — bisher gesetzlich nicht geregelten — Praxis: vgl. Brand, PrBR29ff. Gesetzlich festgelegt ist der Grundsatz der sofortigen Unwiderruflichkeit, also der Lebenslänglichkeit der Anstellung in Preußen nur für die Hauptkategorien der Kommunalbeamten: die Beamten der Städte, Kreise und Provinzen; vgl. KommBG vom 30. Juli 1899 8—10, 21 (die Anstellung dieser Beamten erfolgt auf Lebenszeit; Abweichungen können durch Ortsstatut oder in einzelnen Fällen mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde festgesetzt werden). Gesetzliche Normen, wonach die Anstellung der oder gewisser Beamten zunächst notwendig widerruflich ist, nach Ablauf einer bestimmten Frist aber von selbst unwiderruflich wird (vgl. die Zitate der nächsten Anm.), kennt das Reichsbeamtenrecht und preußische Beamtenrecht nicht. Auch nach dem WürttBG Art. 2 (Fassung der Novelle vom 1. Aug. 1907) ist die Lebenslänglichkeit (Unwiderruffichkeit) der Anstellung die (faktische) Regel. Die sofort unwiderruflich anzustellenden Beamtenkategorien sind im Gesetz (Anlage zu der angeführten Bestimmung des BG) erschöpfend aufgeführt: es sind die meisten und wichtigsten Kategorien. Die dort nicht angegebenen Beamten dürfen nur auf vierteljährige Kündigung angestellt werden. 16 [BayBG Art. 6, 7. Danach ist zu unterscheiden zwischen etatmäßigen und nicht etatmäßigen Beamten. Die Anstellung der etatmäßigen Beamten ist bei einigen Kategorien (Richter, Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofs,
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worden 17 , b) Personen, deren Dienstverrichtungen eine wissenschaftliche Ausbildung nicht voraussetzen, werden in der Regel nur auf Kündigung oder Widerruf angestellt (vgl. Anm. g und 16). 5. Nach den Bestimmungen der Landesgesetze war die Anstellung von A u s l ä n d e r n im Staatsdienste entweder ausgeschlossen oder die Inländer sollten ihnen gegenüber wenigstens bevorzugt sein 1 8 . Für die Angehörigen anderer deutschen Staaten haben diese Vorschriften ihre Geltung verloren, da sie nach Artikel 3 der Reichsverfassung in bezug auf die Zulassung zu öffentlichen Ämtern den Inländern gleichstehen. Gegenüber den Angehörigen außerdeutscher Staaten sind die Vorzugsrechte der Inländer bestehen geblieben. Doch müssen diejenigen Vorschriften der Landesgesetze für beseitigt erachtet werden, welche vor der Anstellung den Erwerb der Staatsangehörigkeit forderten. Nach der jetzt maßgebenden Reichsgesetzgebung hat vielmehr umgekehrt die Anstellung den Erwerb der Staatsangehörigkeit zur Folge 1 9 . 6. [Das Beamtenverhältnis b e g i n n t mit dem Eintritt der Rechtswirksamkeit des Aktes, der es begründet. Dieser Akt, die Anstellung, ist, wie oben 582 dargelegt, ein einseitiger Verwaltungsakt, eine Verfügung. Die Wirksamkeit solcher Akte tritt ein mit ihrer Bekanntgabe (Zustellung, mündliche Eröffnung) an den Beteiligten. Das Beamtenverhältnis beginnt also, falls die Anstellung — wie dies durch manche Gesetze als notwendig vorgeschrieben 11 und auch sonst die überwiegende Regel ist — in des obersten Rechnungshofs u. a.) sofort, bei andern (a. a. 0 . Art. 6 Nr. 2, 3) nach Ablauf einer gesetzlieb bestimmten Wartezeit (drei oder zehn Jahre) unwiderruflich. Das Dienstverhältnis der nicht etatmäßigen Beamten ist dauernd widerruflich; das Gleiche gilt aus staatsrechtlichen Gründen für die Minister. Vgl. Reindl,,Komm. zu den angeführten Artikeln des BayBG: Piloty im JahrbÖffR 3 242 ff.] Vgl. ferner Sächs. StDG § 4, Bad. B G § 4, Hess. G. vom 21. März 1914 Art. 1, S.-Alt. StDG _§8 3 und 4, Braunschw. StDG § 111, Old. StDG Art. 7 und 8, GG vom 28. Febr. 1876 Art. 1, 22. Jan. 1894 Art. 1, Anh. StDG § 3 , Schw.-Sondersh. B G § 5, Reuß ä. L. G. vom 3. März 1883 Art. 1, Wald. StDG § 9 , Hamb, DiszG und PensG § 31, Lüb. BG § 4. Über die Anstellung der Beamten in Bayern während der Regentschaft vgl. G. vom 26. Okt. 1887, abg. durch B G Art. 225 (vgl. Reindl a. a. 0. 920 ff). 17 R G V G S 6. 18 Vgl. z. B. Württ. V U § 4 4 , wonach Landeseingeborene bei gleicher Tüchtigkeit vorzugsweise vor Fremden zu berücksichtigen sind. Diese Vorschrift ist den landesfremden Deutschen gegenüber durch Art. 3 R V beseitigt: Göz, Württ. StR 177. Der Einwand v. Sarweys, Württ. StR 2 267, 270, 275, daß § 44 a. a. 0 . „bloß eine, durch Art. 3 R V nicht berührte Verwaltungsmaxime" enthalte, geht fehl, da, wie bei Göz a. a. 0 . Anm. 3 richtig hervorgehoben, gerade solche gesetzlich ausgesprochenen Verwaltungsmaximen durch Art. 3 getroffen werden wollten. 19 Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913, §§ 14, 15 (vgl. oben § 76, S. 251). fc So: R B G § 4 Abs. 1; PrKommBG vom 30. Juli 1899 § 1 Satz 2 (für die unmittelbaren Staatsbeamten Preußens ist die Schriftform der Anstellung G. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
II.
7. Aufl.
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Schriftform erscheint, mit der Zustellung der darüber ausgefertigten Urkunde an den Anzustellenden*, falls nicht in der Urkunde ein anderer Zeitpunkt des Inkrafttretens angegebenk oder durch gesetzliche Vorschrift das Wirksamwerden einzelner Seiten des Beamtenverhältnisses (z. B. des Anspruchs auf Besoldung) an andere Tatsachen (z. B. den Antritt des dem Angestellten übertragenen Amts) geknüpft ist 1 .] Dem Amtsantritt der Beamten geht die B e e i d i g u n g derselben vorher. Die Leistung des Diensteides ist eine Dienstpflicht, deren Verweigerung ein Dienstvergehen (unten § 148) darstellt. Der Diensteid enthält nur eine feierliche Bekräftigung bereits vorhandener Pflichten, eine Unterlassung der Beeidigung nicht obligatorisch, vgl. Brand, a. a. 0 . 51, 52); BayBG Art. 5, W ü r t t B G Art. 10. i Nicht schon mit der Ausfertigung, also dem Datum der Anstellungsverfügung. A. M. einige ältere Schriftsteller (Zachariae, a. a. 0 . 2 33 ff.; v. G-erber, a. a. 0 . 122), die ihre Ansicht unter Berufung auf die gemeinrechtlichen Regeln über rescripta gratiae begründen. Dagegen mit Recht die Vorauf!. § 145 Anm. 21. Wenn aber dort (und bei Bornhak, Preuß. StR 2 34) behauptet wird, die Zachariae-G erb ersehe Ansicht habe im P r A L R 2 10 § 84 gesetzlichen Ausdruck gefunden, so ist dies nicht richtig. I m § 84 a. a. 0 . heißt es: „Titel und Rang, welche mit einem Amte verbunden sind, werden . . . . schon durch die darüber ausgefertigte Bestallung verliehen." Das soll heißen: nicht erst mit dem Amtsantritt (womit das Kecht auf die Besoldung beginnt), sondern schon durch die das Dienstverhältnis begründende Verfügung, die „Bestallung". Der Ton liegt auf dem letzteren Worte, nicht auf „ausgefertigte"; aus § 84 läßt sich nichts anderes herauslesen, als daß die dort bezeichneten Rechte der Beamten „mit der Bestallung" entstehen. Die Bestallung wird aber nach allgemeinen Grundsätzen rechtswirksam mit Zustellung; hätte das Gesetz hier anders gewollt, so hätte es sagen müssen: „durch die Ausfertigung der Bestallung" Die Ansicht, daß das Beamtenvernältnis im Zweifel mit der Zustellung (Aushändigung) der Anstellungsurkunde entsteht, ist heute heirschend (vgl. z.B. O. Mayer, V R 2 221 ff.; Preuß, Städt. Amtsrecht 97; Anschütz, Enzvkl. 149; v. Roenne-Zorn, PrStR1435; Brand, BR 54), sie wird auch von solchen geteilt, welche in der Anstellung keine Verfügung sondern einen Vertrag erblicken (Laband 1 452; v. Seydel-Piloty 1 684; Rehm, a. a. 0. 142 u. a.), nur daß diese, in der Folgerichtigkeit ihres Grundsatzes, die Entgegennahme der Anstellungsurkunde als Annahme eines Vertragsangebotes auffassen. k Vgl. BayBG Art. 5 Nr. 1 und 2. 1 Daß die Besoldung nicht schon mit der Anstellung, sondern erst mit dem A m t s a n t r i t t beginnt, ist in mehreren Beamtengesetzen bestimmt: R B G § 4 Abs. 2, Württ. BG § 10 Abs. 2, Bad. B G § 16, S.-Alt. B G § 9, Braunschw. StDG § 9, Anh StDG § 7, Schw.-Sondh. StDG § 3, Schaumb.-Lipp. StDG § 5, Brem. B G § 17, Lüb. B G § 13, Hamb. G. vom 4. Mai 18*7 Art. I § 21. Andere Gesetze haben abweichende Vorschri ten und lassen den Anspruch auf Besoldung mit dem Ersten des Monats, in welchem die Anstellung erfolgt, oder mit dem Ersten des folgenden Monats entstehen, so: Sächs. StDG $ 11, S.-Weim. StDG § 11, S-Alt. G. vom 8. Okt. 1 ^ 1 § 20, S.-Kob.-Goth. StDG § 12, Old. StDG §18, Schw.-Rud. StDG §11, Reuß j . L . StDG § 11. Wenn die Voraufl. (510) nicht nur den Besoldungsanspruch, sondern überhaupt das Beamtenverhältnis mit dem Amtsantritt beginnen lassen will, so ist dies eine fehlerhafte Verallgemeinerung.
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hat daher auf die Entstehung des Beamtenverhältnisses und die Rechtsverhältnisse der Beamten keinen Einfluß 20 , [—es sei denn, daß das Gesetz ein anderes bestimmt, d. h. die Entstehung einzelner Rechte des Beamten an die Leistung des Diensteides k n ü p f t m ] . Früher wurden allerdings Handlungen eines nicht beeidigten richterlichen Beamten für nichtig gehalten, die Reichsjustizgesetze bieten dagegen für diese Auffassung keinen Anhalt 2 1 . 3. Rechte und Pflichten der Beamten. § 146. 1
Die P f l i c h t e n des Beamten sind: 1. die E r f ü l l u n g s e i n e r A m t s o b l i e g e n h e i t e n . Der Beamte kann von der Erfüllung seiner Amtsgeschäfte zeitweilig befreit werden. Eine solche Befreiung heißt U r l a u b . 20 Vgl. auch RStGB § 359. [Danach ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Beamten von aer Vereidigung unabhängig.] Übereinstimmend: Zorn, StR 1 310; H. Schulze, LehrbDStR 323; F. Brockhaus, Art. „Verfassungseid" in v. HoltzendorfFs Rechtslex. 8 1025; v. Rheinbaben, Art. „Diensteid" im W S t V R 1561 ff. [Der im Text angegebene Grundsatz kommt am klarsten zum Ausdruck im Bay. BG Art. 23 Abs. 3: „Ist die eidliche Verpflichtung unterblieben, so ist dies auf die Gültigkeit der Amtshandlungen und auf die Verantwortlichkeit für Pflichtverletzungen ohne Einfluß, soweit nicht durch besondere Gesetze für die Übernahme gewisser Amter die Ableistung eines Diensteides ausdrücklich vorgeschrieben ist." — Abweichend von der im Text vertretenen herrsch. M.: Everling, Der preußische Beamteneid (1915).] m So wird nach mehreren Beamtengesetzen bei Festsetzungdes Ruhegehalts die Dienstzeit vom Tage der ersten eidlichen Verpflichtung für den Staatsdienst an gerechnet (vgl. unten § 152 S. 624 Anm. f). So R B G § 45, Preuß. PensG vom 27. März 1872 § 13, Bay. B G Art. 53, Bad. B G § 37 Abs. 2. 21 So die jetzt herrsch M. Vgl. Schulze, PrStR 1312; v. Roenne-Zorn, PrStR 1 436 N. 1; Bornhak, PrStR 2 38 N. 20; Loening, V R 121; Zorn, StR 1310; Brand, B R 6 0 : v. Rheinbaben im W S t V R 1563, die Komm, zum R B G von Pieper, 22 und Pereis und Spilling, 14; Reindl, Bayr. BG 146. Auch Laband, der früher a. M. war (StR 4. Aufl. 1 425), hat sich jetzt, StR 5. Aufl. 1 453, der herrsch. Ans. angeschlossen. A. M. jetzt noch v. Seydel-Piloty 1 704; Planck, ZPR 1 115. 1 Mit Unrecht wird von den meisten der bisherigen Schriftsteller eine besondere Pflicht der T r eue angenommen(z. B. v. Gerber 117; Zöpfl 789; Bluntschli, a. a. O. 620; fl. Schulze, PrStR § 100, LehrbDStR 827: Laband 1459; v. Kirchen-, heim, LehrbDStR 217 ff.; Zorn, a a. O. 314; 0. Mayer, a a. 0.195ff.; W . van Calker in der Festgabe für 0 . Maver (1916) 137 ff. Die Treue hat nicht den Charakter einer spezifischen Pflicht, sondern ist ein allgemeiner Ausdruck für die Verbindlichkeit, alle aus dem Verhältnis sich ergebenden Pflichten gewissenhaft zu erfüllen. Übereinstimmend: Seydel, Bay. StR (2. Aufl.) 2 221 — anders aber Seydel-Piloty 2 706 — Rehm, a. a. 0 . 86 ff.; Jellinek, a. a. 0. 187, 192; Reindl, Bay. B G 145. Die Behauptung, daß die Treupflicht einen vorzugsweise ethischen Charakter habe (Laband, a. a. 0. 459; O. Mayer, a. a. 0 . 195), oder die Bezeichnung derselben als einer Gewissenspflicht zeigen, daß es sich bei derselben um eine Rechtspflicht nicht handelt. Namentlich kann man aus der Treue nicht die Verpflichtung der Beamten ableiten, sich jeder politischen Tätigkeit gegen die jeweilige Re38*
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Zweiter Teil.
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§
1 .
Der Urlaub wird dem Beamten auf sein Ansuchen von der vorgesetzten Behörde erteilt. Eine Urlaubserteilung ist nicht erforderlich, sondern die bloße Anzeige an die vorgesetzte Behörde genügt, wenn der Beamte an der Erfüllung seiner Dienstobliegenheiten verhindert ist: a) durch Erfüllung einer staatsbürgerlichen Pflicht (Ablegung von Zeugnis, Schöffen- und Geschworenendienst, Militärpflicht), b) durch Krankheit, c) durch Eintritt in den Reichstag 3 und für Landesbeamte nach den meisten Verfassungen durch Eintritt in den Landtag 8 . Die allgemeine Pflicht zur Erfüllung der Amtsobliegenheiten enthält die besondere, den dienstlichen Wohnsitz nicht ohne Genehmigung des zuständigen Vorgesetzten zu verlassen (Residenzpflicht)* 1. Der Beamte verpflichtet sich nicht bloß zu einer Reihe spezieller Tätigkeiten; seine ganze Arbeitskraft soll dem öffentlichen Dienste gewidmet sein. Deshalb ist er verbunden, außer seinen regelmäßigen Amtsgeschäften N e b e n a u f t r ä g e zu übernehmen. 2. A u f r e c h t e r h a l t u n g des D i e n s t g e h e i m n i s s e s 1 » . Die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung des Dienstgeheimnisses besteht jedoch keineswegs in bezug auf alle Gegenstände, welche in amtlicher Eigenschaft zur Kenntnis der Beamten gelangen. Sie beschränkt sich auf diejenigen, welche ihrer Natur nach Geheimhaltung erfordern oder durch eine zuständige Autorität (Gesetz, gierung zu enthalten, eine Verpflichtung, welche v. Kirchenheim a. a. 0 . 218 und Bornhak, a. a. 0 . (1. Aufl.) 55 behaupten. [In der 2. Aufl. des Bornhakschen Staatsrechts sind die zitierten Ausführungen wesentlich gemildert. Danach darf der Beamte sich auch gegen die „derzeit herrschende Richtung" betätigen, freilich nur „in der gehörigen sachlichen Form". Ausgeschlossen sei jedoch pjede offene Betätigung der Beamten für grundsätzlich staatsfeindliche Parteien".] Solange den Beamten durch Einräumung des aktiven und passiven Wahlrechtes die Befugnis beigelegt ist, an dem politischen Leben des Volkes sich zu beteiligen, solange muß es ihnen auch freistehen, bei dieser Gelegenheit ihre individuelle Überzeugung zum Ausdruck zu bringen. Jedoch kann gegen einen Beamten dann vorgegangen werden, wenn seine politische Tätigkeit derart war, daß dadurch die Pflicht zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten verletzt wird (Entscheidungen des preußischen Oberverwaltungsgerichtes 14 404 ff., 65 467 ff. [Sehr beachtenswerte Kodifikation betr. Beamtenpüichten: badische landesherrliche V . vom 27. Dez. 1889, die Pflichten der Beamten betr. Zur Frage der Beschränkungen der Beamten auf dem Gebiete der politischen Betätigung vgl. noch v. RoenneZorn StR 1 459, 460 Anm. 4; v. Rheinbaben, DiszG 82 ff.; v. Seydel-Piloty, Bay. StR 1 706 Anm. 36; Piloty in den Bayerischen Verkehrsbfättern 1911 365ff.; Piloty, ArchOffR 88 3ff.; Reindl, Bay. B G 65ff. Vgl. auch unten § 147 S. 597 Anm 1, S. 599 Anm. b.] 2 R V Art. 21. — Selbstverständlich hat der Beamte keinen Rechtsanspruch auf Urlaub für politische Tätigkeit. Vgl. van Calker in D J Z 3 219 ff., sowie unten § 150 N. 11 (Vertretungskosten). » Vgl. § 99 S. 350. a A L R 2 10 § 92, Bay. BG Art. 21. Vgl. Plumeyer, Die Residenzpflicht der Reichs- und preußischen Beamten, ZStW 1914, 592ff.; Brand, BR 519ff.; Reindl, Bay. BG, zu Art. 21. t> Vgl. W . van Calker in der Festgabe für O. Mayer (1916) 119 ff.
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vorgesetzte Behörde) als solche bezeichnet sind, deren Geheimhaltung notwendig erscheint 4. Über Tatsachen, auf welche sich die Verpflichtung zum Amtsgeheimnis bezieht, können Beamte im Prozeß nur mit Genehmigung ihrer vorgesetzten Behörde als Zeugen vernommen werden. Ihre Vernehmung als Sachverständige kann durch den Widerspruch der vorgesetzten Behörde verhindert werden 6 ; 3. G e h o r s a m g e g e n ü b e r d e n B e f e h l e n d e r V o r gesetzten und B e o b a c h t u n g der V e r f a s s u n g u n d d e r G e s e t z e 6 . Ein Widerstreit dieser beiden Pflichten konnte zur Zeit des absoluten Staates nicht vorkommen, da der Monarch gleichzeitig Gesetzgeber und Haupt der Verwaltung war. Dadurch erklärt es sich, daß in dieser Zeit die Theorie vom unbedingten Gehorsam der Beamten aufgestellt wurde 7 . Mit der Einfuhrung konstitutioneller Verfassungen entstand dagegen die Möglichkeit, daß die Verfügungen der vorgesetzten Behörden mit der Verfassung öder den Gesetzen in Widerspruch traten. In bezug auf diesen Punkt ist die Stellung des Richters eine andere als die des Verwaltungsbeamten. Der R i c h t e r hat bei Ausübung seiner richterlichen Tätigkeit lediglich das bestehende Recht anzuwenden, er steht nur unter der Autorität des Gesetzes8. 4 Ausdrücklich spricht dies aus das RBG§11, Bay. B G Art. 14, Württ. B G § 5, Bad. BG § 9, S.-Mein. StBG Art. 4, S.-Alt. StDG § 17, Braunschw. StDG § 20, Reuß j. L. StDG § 15, Schaumb.-Lipp. StDG § 13, Lüh. BG § 22, Brem. B G § 26. Tin Preußen ist durch die KabO vom 21. Nov. 1835 (GS 237) lediglich das Frinzip der Amtsverschwiegenheit, nicht aber ausgesprochen, auf welcne Gegenstände sich das Schweiggebot bezieht. Verwaltungspraxis und Rechtsprechung legen aber diese Vorschrift ganz im Sinne der zitierten Gesetzesbestimmungen, insbesondere des R B G aus; vgl. v. Rheinbaben, DiszG 72, 73; Brand, B R 495, 496, RGStr 2S 426, 85 403, 41 4. Über die einschlägigen bayerischen Normen: Reindl, B G 86 ff.; Piloty, ArchOff R 38 29 ff.T. 6 RZPrO §§ 376 und 408, RStPrO §§ 53 und 76. 6 [Literatur: Perthes, Staatsdienst 126; Bluntschli, AllgStR 2 138; v.Gerber, Grundzüge 113; Loening, V R 122; v. Stengel, PrStR 146; Laband, StR 1 460 ff.; Freund, ArchOffR 1 115 ff.; v. Roenne-Zorn, PrStR 1 462; Bornhak, PrStR 2 49 ff; O. Mayer, V R 2 236 ff.; Derselbe, ArchOff R 28 354 ff; die Vorauf!, dieses Buches 513, 514; Seydel, Bay. StR (2. Aufl.) 2 223ff.; v. Seydel-Piloty 1 716 ff.; van Calker, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für auf Befehl begangene Handlungen (1891); Frh. Marschall v. Bieberstein, Verantwortlichkeit und Gegenzeichnung 378 ff.; Bauer in AnnDR 1902 8*6 ff.; Reindl, Bay. B G 71 ff.; MT E. Mayer, Der rechtswidrige Befehl des Vorgesetzten, in der Festschrift für Laband (1908) 137 ff.; Anschütz, Enzykl. 150; v. Rheinbaben, DiszG 25 ff; Brand, B R 543 ff; Heilborn, Die Pflicht des preußischen und des Reichsbeamten zur Befolgung rechtswidriger Dienstbefehle, in der Festschrift für Gierke 1911 125 ff.]. 7 Goenner §§ 79—80. 8 RGVG § 1 [Diese Stellung kommt nicht nur den ordentlichen Richtern, sondern allen Beamten zu, die und soweit sie mit der Ausübung richterlicher Funktionen betraut sind, also auch den Verwaltungsbeamten als Mitgliedern der Verwaltungs- und Disziplinargerichte, den Kolonialbeamten, soweit sie im Richteramte tätig sind (KolBG vom 8. Juni 1910 § 48, s. oben § 141 a). Den richtigen Grundsatz spricht das Bay. BG, Art. 12
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§
1 .
Das Wesen des V e r w a l t u n g s d i e n s t e s dagegen fordert eine Unterordnung der niederen Beamten unter die Befehle der höheren. Nach einigen Staatsdienergesetzen ist die Gehorsamspflicht der Verwaltungsbeamten eine unbedingte; der Beamte hat, wenn ihm die Verfassungsmäßigkeit des Befehls zweifelhaft erscheint, nur die Befugnis, seine Bedenken bei der vorgesetzten Behörde geltend zu machen 9 . Andere Gesetzgebungen beschränken die Pflicht des Gehorsams auf solche Verfügungen, welche innerhalb der amtlichen Zuständigkeit und in den gesetzlich vorgeschriebenen Formen erlassen sind 1 0 . Da, wo ausdrückliche Bestimmungen fehlen 11 , darf weder eine unbedingte Gehorsamspflicht des Beamten, noch ein allgemeines Prüfungsrecht desselben in bezug auf alle Befehle seiner Vorgesetzten angenommen werden. Erstere würde mit der Pflicht, Verfassung und Gesetze zu beobachten, im Widerspruch stehen, letzteres eine geordnete Staatsverwaltung unmöglich machen. [Wollte man das Prüfungsrecht des Untergebenen darauf erstrecken, ob in dem ihm erteilten Dienstbefehl die bestehenden Gesetze richtig ausgelegt sind, so würde die auf der Über- und Unterordnung beruhende Behördenorganisation geradezu auf den Kopf gestellt; „nicht das Reichsgericht, sondern der Gerichtsvollzieher, nicht das Finanzministerium, sondern der Zolleinnehmer würde in Wahrheit die letzte Instanz sein" c . Unrichtig ist es ferner, eine in mehreren älteren Landesgesetzen d enthaltene und von da in die ReichsmilitärstrafgerichtsAbs. 3 aus: p D i e dienstliche Gehorsamspflicht gilt für Beamte soweit nicht, als sie die richterliche Gewalt ausüben. 9 Sachs. StDG § 7, Württ. Verf. Art. 53 Abs. 2, Hess. Verf. Art. 109, Schb.Lipp. Verf. Art. 63. 10 * Württ. Verf. §§ 52 und 53, B G Art. 4, S.-Weim. StDG § 14, S.-Mein. StBG Art. 12, S.-Alt. StDG §19, Braunschw. StDG §19, Old. StDG Art. 35, S.-Kob.-Goth. StDG § 15. Schw.-Sondh. StDG § 8, Schw.-Eud. StDG § 14, Lipp. StDG § 15, Wald. StDG § 20, Lüb. BG § 21, Brem. B G § 25. 11 Zu den Gesetzen dieser Art gehören auch diejenigen, welche, wie z. B. das R B G § 10, sieh begnügen, den selbstverständlichen Grundsatz auszusprechen, daß der Beamte das ihm übertragene Amt der Verfassung und den Gesetzen entsprechend wahrzunehmen habe. [Auch aus § 13 R B G („Jeder Reichsbeamte ist für die Gesetzmäßigkeit seiner amtlichen Handlungen verantwortlich") ist bezüglich der Grenzen der Gehorsamspflicht nichts zu entnehmeu; keinesfalls verleiht diese Bestimmung dem unterebenen Beamten das Recht, die materielle Gesetzmäßigkeit der ihm erteilten lefehle zu prüfen. A. M. Loening, V R 122.] c So Laband 1462. Nur eine — in sich unfolgerichtige — Abschwächung der hiermit zurückgewiesenen Lehre ist es, wenn G. Meyer, Vorauf!. 514, (und ihm folgend Brand, BR 546) die Pflicht zur Gehorsamsverweigerung statuieren will, gegenüber „Verfügungen, welche dem klaren Wortlaut einesGesetzes widersprechen". Auch diese Meinung läuft darauf hinaus, den Untergebenen zum Richter des Vorgesetzten zu machen, denn — so ist es doch gemeint — darüber, was der „klare" Wortlaut des Gesetzes besagt, soll nicht der Dienstbefehl des Vorgesetzen, sondern die Ansicht des Untergebenen entscheiden. Gegen G. Meyer Seydel, a. a. 0 . (2. Aufl.) 2 224 N. 14, O. Mayer, V R 2 237, 238 N. 10; Heilborn, a. a. O. 126. d Württ. Verf. § 53 Abs. 2, Sächs. ZStDG vom 7. März 1835 § 7.
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Ordnung vom 1. Dezember 1898 e übergegangene Vorschrift, wonach der Beamte, dem ein seiner Ansicht nach gesetzwidriger Befehl erteilt worden ist, dem Vorgesetzten seine Bedenken vortragen („remonstrieren"), wenn aber seine Bedenken verworfen werden, den Befehl ausführen muß, für einen gemeingültigen Rechtsgrundsatz auszugeben f Endlich kann auch der weitverbreiteten Lehre, welche die Prüfungspflicht des Beamten zwar nicht auf die materielle, wohl aber auf die f o r m e l l e Rechtsgültigkeit der ihm erteilten Dienstbefehle erstrecken und der Prüfung insbesondere die drei Fragen unterwerfen will: Ist die befehlende Behörde zuständig, den Befehl zu erlassen? Ist der beauftragte Beamte zuständig, die ihm aufgetragene Handlung vorzunehmen ? Ist der Befehl in der vorschriftsmäßigen Form erteilt worden — nicht durchaus beigetreten werden. Denn diese Ansicht unterliegt, wenn sie auch die Prüfungspflicht auf formelle Zuständigkeitsfragen beschränken will, den gleichen Bedenken wie jene weitergehende, wonach der Beamte auch die materielle Rechtsgültigkeit der ihm erteilten Dienstbefehle zu untersuchen hat; auch hier wird, dem Grundprinzip der Behördeneinrichtung zuwider, der Untergebene über den Vorgesetzten erhöhtK Es gelten, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, folgende Grundsätze. Die Rechtswirksamkeit eines kraft der Überordnung des Vorgesetzten über den Untergebenen ( D i e n s t g e w a l t ) erlassenen Befehls ( D i e n s t b e f e h l s ) ist in der Regel nicht davon abhängig, ob der Empfänger des Befehls die Handlung oder Unterlassung, die den Gegenstand des Befehls bildet (Dritten gegenüber) für rechtlich zulässig hält. Die dienstliche Pflicht zur Ausführung dessen, was befohlen ist, erstreckt sich mithin auch auf solche Handlungen, die objektiv oder nach dem Dafürhalten des Untergebenen mit den Gesetzen in Widerspruch stehen; es geht den Vollziehungsbeamten, den Schutzmann nichts an, ob die ihm zur zwangsweisen Vollstreckung übergebenen Verwaltungsakte e Das. § 97 Abs. 3. Vgl. dazu Marschall v. Bieberstein, Verantwortung und Gegenzeichnung, 410. f — wie dies besonders in der älteren Literatur häufig geschieht: Goenner, a. a. 0 . 202; Bluntschli, AllgStR a. a. 0 . 620; v. Gerber, a. a. O. 118 N. 6; vgl. aber auch noch Schulze, PrStR 1316; v. Roenne-Zorn, PrStR 1 462. Gegen die Verallgemeinerung dieser „Remonstrationstheorie" mit Recht Laband 1 461 N. 1; Freund, ArchÖffR 1 124ff.; Bornhak, PrStR 2 49; Seydel, Bav. StR (2. Aufl.) 2 224. g So die heute herrsch. M., geführt von Laband, StR 1 462 ff., vertreten u. a. von Seydel, Piloty, Freund, van Calker, Bauer, Reindl, Marschall v. Bieberstein, M. E. Mayer (Zitate oben N. 6), ferner von Binding, HbStR 1 «05ff; Rehm, AnnDR 1885 83ff.; Arndt, RStR 643; Pereis und Spilling, R B G 36, 37, ähnlich Preuß, Städt. Amtsrecht 298—302. h Zutreffend Bornhak, PrStR 2 50: „Mit der Anerkennung des unbedingten formellen Prüfungsrechts kommt man mit Notwendigkeit dahin, diese Rechtsfragen (d. h. Zuständigkeitsfragen) der Entscheidung des Vollstreckungsbeamten als höchsten Kompetenzgerichtshofes anheimzustellen." Ähnlich 0 . Mayer und Heilborn.
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(Steuerforderung, Polizeiverfügung) gesetzlich gerechtfertigt sind oder nicht. Die Verantwortlichkeit für letzteres trifft nicht den, der die Verfügung zu vollziehen, sondern allein den, der sie erlassen hat, also nicht den Untergebenen, sondern den Vorgesetzten. Der Untergebene hat hiernach, wenn er seinerseits von Verantwortlichkeit frei bleiben will, einfach und pünktlich zu gehorchen i. Gewisse Punkte hat er jedoch zu „prüfen", d. h. unter eigener Verantwortlichkeit zu untersuchen und festzustellen. Nämlich: — 1. ob das, was sich als Dienstbefehl gibt, wirklich ein solcher ist und als solcher gemeint ist. Was der Vorgesetzte als Privatmann sagt, ist kein Dienstbefehl, Erfüllung von Privatwünschen des Vorgesetzten nicht Dienstsache; — 2. ob der Befehl von dem dazu Befugten, von dem Vorgesetzten ausgeht. Jeder Beamte ist verpflichtet und dafür verantwortlich, zu wissen, wer sein Vorgesetzter ist; — 3. ob im gegebenen Falle ein Dienstbefehl überhaupt erteilt werden durfte. Soweit das Gesetz (oder ein höherer Dienstbefehl) den Beamten in bezug auf gewisse Feststellungen und Entscheidungen s e l b s t ä n d i g u n d u n a b h ä n g i g stellt, legt es ihm auch eine eigene Verantwortlichkeit auf, der er durch Berufung auf geleisteten Dienstgehorsam nicht entgehen k a n n k . Am weitesten reicht die dienstliche Selbständigkeit bei den Ministern (sie umfaßt hier den ganzen amtlichen Wirkungskreis) demnächst bei den richterlichen Beamten: dem Richter kann kein Vorgesetzter befehlen, wie er zu urteilen hat. Andere Beispiele: die Prüfungskommission entscheidet unter eigener Verantwortlichkeit über den Ausfall der Prüfung, die Ersatzkommission über die Tauglichkeit des Militärpflichtigen; die Vollziehungsbeamten des Justiz- und Verwaltungsdienstes sind dienstlich selbständig in bezug auf die Feststellung, ob die ihnen zur Vollstreckung übergebenen Titel (Gerichtsurteil, Zahlungsbefehl, Haftbefehl, Steuerzettel) die gesetzlich vorgeschriebenen Formen aufweisen ; — 4. ob die Handlung oder Unterlassung, welche den Gegenstand des Befehls bildet, nicht einem S t r a f g e s e t z 1, oder auch nur einem einfachen V e r b o t s g e s e t z " 1 ohne Strafdrohung, zui Yon allen deutschen Beamtengesetzen spricht diesen einfachen Grundsatz am klarsten aus das bayerische, Art. 12 Abs. 1: „Der Beamte hat den Dienstbefehlen seiner Vorgesetzten zu gehorchen. Soweit er im Vollzug eines Dienstbefehles handelt, trifft die dienstliche Verantwortung den anordnenden Vorgesetzten." k Dieses Moment ist am besten zum Ausdruck gebracht bei 0. Mayer, V ß 2 2M9 ff. Übereinstimmend mit ihm Anschütz, Enzykl. 150. 1 Gehorsam gegen den erteilten Dienstbefehl ist also kein Strafausschließungsgrund. Nicht oder doch nicht restlos gilt dies für M i l i t ä r personen, vgl. RMilStrGB § 47. Vgl. 0 . Mayer, a. a. 0 . 237 N. 8. m So insbesondere, in Anlehnung an A L R 1, 6 § 45 („Wer den Befehl dessen, dem er zu gehorchen schuldig ist, vollzieht, kann in der Regel zu
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widerläuft. Die Dienstpflicht kann nicht gebieten, was das Straßgesetz Verbietet.] 4. B e o b a c h t u n g e i n e s a c h t u n g s - u n d v e r trauenswürdigen Verhaltens12. § 147. Neben den eigentlichen Pflichten sind den Beamten gewisse B e s c h r ä n k u n g e n auferlegt, um zu verhindern, daß die Führung ihres Privatlebens mit ihren Dienst- und Amtspflichten in Widerstreit gerät. 1. Der B e t r i e b v o n b ü r g e r l i c h e n G e w e r b e n , die Ü b e r n a h m e von N e b e n ä m t e r n oder Nebenbeschäftig u n g e n , namentlich solchen, mit denen eine Entlohnung verbunden ist, wird den Beamten entweder gar nicht oder nur mit Genehmigung der vorgesetzten Behörde gestattet 1 . Eine gleiche keinem Schadensersatz angehalten werden"), die preußische Praxis (OVG 12 426, 23 422, 28 408, weitere Angaben bei v. Rheinbaben, DiszG 75 ff.) und Bornhak, PrStR 51. Für die Polizeibeamten leitet das PrOVG aus A L R 1, 6 § 47 eine unbeschränkte Gehorsamspflicht her; vgl. die Zitate und die Widerlegung bei Heilbom 145 f. 12 R B G §10, preuß. G. betr. die Dienstvergehen vom 21. Juli 1852 § 2 Nr. 2, Bay. B G Art. 11; ähnliche Bestimmungen in fast allen andern partikularen Beamtengesetzen. Der Streit, ob diese Verpflichtung eine Standespflicht (L. v. Stein, a. a. 0 . 235) oder eine Dienstpflicht (Laband 1 466; Seydel, a. a. 0 . 225) sei, hat keinerlei praktische Bedeutung. 1 R B G § 16, els.-loth. G. vom 18. Juni 1890 §§ 3, 4, PrKO vom 13. Juli 1839, GewO vom 17. Jan. 1845 5 19. Bay. B G Art 18, Sachs. G. vom 23. Juni 1876 §§ 2 und 3, Württ. B G Art. 8, Bad. B G § 12, Hess. Ed. Art. 7, Hess. G. vom 4. Jan. 1875, G. vom 31. Mai 1879 Art. 1, S.-Weim. StDG § 16, S.-Mein. StBG Art. 5, 7, S.-Alt. StDG § 22, S.-Kob.-G StDG § 17, Braunschw. StDG § 22, Old. StDG § 18, Anh. StDG § 18, Schw-Sondh. StDG § 23, Schw.-Rud. StDG § 16, G. vom 10. Mai 1858 § 6, Reuß ä. L . StDG $ 10, Reuß j. L . StDG § 20, Lipp. StDG § 17, Schaumb.-Lipp. StDG § 15, Wald. StDG § 21, Lüb. BG § 23, Brem. B G § 28, AusfG zum R G V G § 32, Hamb. AusfG zum R G V G § 16, Vertr. der Hansestädte vom 28. Febr. 1879 Art. 20. [Der Begriff des Nebenamtes im Sinne dieser Bestimmungen ist streitig. Auch bei weiterer Auslegung wird man aber immer nur an ö f f e n t l i c h e Organschaften, also unmittelbare und mittelbare Staatsämter (Ämter des Staates und der Selbstverwaltungskörper, insbesondere der Gemeinden) denken dürfen, nicht aber an privatrechtliche Vertretungen und Tätigkeiten wie an das „Amt" des Vormundes, Pflegers, Testamentsvollstreckers (a. M. Reindl, Bay. B G 110; vgl. aber auch unten 598). Ob das Amt, worauf manche Wert legen wollen (Pereis und Spilling, R B G 55, Brand, BR 509, 510) ein „verwaltendes" — im Gegensatz zu der beratschlagenden und beschließenden Tätigkeit z. B. einer kommunalen Vertretung — ist, ist gleichgültig; das Amt eines Stadtverordneten ist nicht minder als das eines Magistratsmitgliedes „Nebenamt" in dem hier erörterten Sinne. (Ob in Preußen Beamte zur Annahme der W a h l als Gemeindevertreter der Genehmigung ihrer vorgesetzten Behörde bedürfen, soll damit nicht entschieden werden, vgl. darüber die Äußerungen von Bornhak, Preuß, Jebens im PrVB125387). Der Genehmigung bedarf es nicht zum Eintritt in den Reichstag oder einen Landtag, soweit liierfür nach Vorschrift der Gesetze Urlaub nicht erforderlich ist oder nicht verweigert werden darf (vgl. oben 592 Anm. 2,3). Denn der
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§
1 .
Genehmigung ist nach mehreren Gesetzgebungen zum Eintritt in den Vorstand, Verwaltungs- oder Aufsichtsrat einer Erwerbsgesellschaft erforderlich, und diese muß regelmäßig verweigert werden, wenn mit der Stelle eine Entlohnung verbunden ist 2 . Weitergehende Beschränkungen sind oft für einzelne Beamtenklassen getroffen 8. Mitunter wird auch zur Übernahme von Vormundschaften (vrgl. §§ 1784, 1888 BGB), von Kommunalämtern usw. eine Genehmigung verlangt. Alle derartigen Beschränkungen beziehen sich jedoch nur auf Berufsbeamte. Beamte, welche den öffentlichen Dienst nur als Nebenbeschäftigung übernommen haben, sind der Natur der Sache nach von der Betreibung eines anderen Berufes nicht ausgeschlossen. 2. Die Beamten dürfen T i t e l , E h r e n z e i c h e n , Geh a l t s b e z ü g e , G e s c h e n k e und B e l o h n u n g e n von a n d e r e n S t a a t e n nur mit Genehmigung des Monarchen, die Reichsbeamten nur mit Genehmigung des Kaisers annehmen4. Diese Beschränkung besteht für die Beamten der deutschen Staaten auch gegenüber anderen deutschen Staaten und für die Reichsbeamten gegenüber den Einzelstaaten. Auch ist den Beamten mitunter die Annahme von G e s c h e n k e n i n b e z u g a u f das A m t ohne Genehmigung der vorgesetzten Behörde 6 oder dre Annahme von Geschenken seitens der Amtsuntergebenen 6 verboten. Sinn dieser Vorschriften ist doch der, daß der Beamte an der Ausübung seines parlamentarischen Mandats durch die vorgesetzte Behörde nicht gehindert werden darf. A. M. Pieper, R B G N. 4 zu § 16; Reindl, Bay. B G 110 N. 1, richtig dagegen Piloty, ArchÖffR 83 21, 28, auch Rehm, AllgStL — zu unterscheiden von der e i n s t w e i l i g e n Versetzung in den Ruhestand oder Stellung zur Disposition (vgl. unten § 154), welche dem Beamten lediglich das ihm übertragene Amt, nicht aber die Beamteneigenschaft entzieht. c Über Wesen und Wirkungen der Pensionierung vgl. Laband 1 526ff.; v. Seydel-Piloty 1 696ff.; Reindl, Bay. BG 253, 277ff; Brand, Art. Pension im W S t V R , derselbe, B R 27^ ff. Die jetzt geltenden gesetzlichen Bestimmungen über die Pensionierung der Beamten sind folgende: R B G |§ 34—71 (für Kolonialbeamte §§ 14—31 KolBG vom 8. Juni 1910); R G V G § 130; Preuß. G. von* 27. März 1872 betr. die Pensionierung der unmittelbaren StB usw., mit Änderungen vom 31 März 1882, 30. April 1884, 20. März 1890, 25. April 1896, 31. März 1905, 27. Mai 1907, Bay. B G Art 47—71, Sächs. ZStDG §§_32 ff. in Verb, mit G. vom 3. Juni 187«, 1. Febr. 1890, 16. April 1902, 24. Dez. 1908, Württ. BG. Art. 29—53, Bad. B G §§ 2 9 - 5 4 , Hess. G. vom 21. März 1914, Braunschw. StDG §§ 134—141 mit And. vom 20. Febr. 1899, 14. Jan. 1901, Old. StDG Art. 57—64, G. vom 12. Jan. 1894, 14. März 1908, 24. Dez. 1908, Anh. StDG §§ 40—50, G. vom 16. April 1887, 15. März 1892, 15. März 1894, S.-Weim, StDG §§ 37—39 mit Nachtrag vom 29. März 1873, 6. März 1886, S.-Mein. StBG Art. 32—35, S.-Altenb. StDG §§ 37—43, S -Kob.-Goth. StDG §§ 3 8 - 4 0 , Schw.-Rud. StDG §§ 37, 50, Schw.Sondh. StDG §§ 39—49, Reuß ä. L . StDG § 21, Reuß j. L. StDG §§ 30—47, Lipp. StDG §§ 35, 36, G. vom 12. Sept. 1877, 16. April 1907, 22. Dez. 1913, Schaumb.-Lipp. StDG §§ 39—42, Wald. StDG §50, Brem. BG §§ 40—55, G. vom 14. März 1901, 23. März 1909, Lüb. PensG vom 28. Jan. 1914, Hamb. Disz- und PensG §§ 35—40, Vera, der Hansestädte vom 28. Febr. 1879 Art. 4 §. 4, Els.-Loth. B G §§ 35 ff. d Dies ist jetzt unbestritten, vgl. z. B. Laband 526; Seydel-Pilotv 696; Reindl 253; nunmehr auch Bornhak, PrStR 2. Aufl. 2 93, der früher in der Pensionierung keine Beendigung des Beamtenverhältnisses erblicken wollte. *
624
Zweiter Teil.
Zweites B u c .
§ 15.
läßt (Recht auf Weiterführung des letzten Amtstitels mit dem Zusatz ,außer Dienst" [a. D . ] , Pflicht zur Wahrung des Amtsgeheimnisses), sodann dadurch, daß der zur Ruhe gesetzte Beamte einen gesetzlich bestimmten Teil des zuletzt empfangenen Diensteinkommens als R u h e g e h a l t oder P e n s i o n weiter bezieht. Die Versetzung in den Ruhestand findet also nur Anwendung auf besoldete Berufsbeamte. Sie kann, sofern nicht die Voraussetzungen der Pensionierung wider Willen vorliegen (s. unten 630), nur auf Antrag des Beamten erfolgen; der Antrag ist insoweit Vorbedingung der Gültigkeit des Pensionierungsaktes. Dem Antrag muß stattgegeben werden, wenn der Beamte ein bestimmtes Lebensalter (nach den meisten Gesetzgebungen das 65. Jahr) erreicht hat oder nach einer Dienstzeit von gewisser Mindestdauer (meist 10 Jahre) infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen Schwäche seiner körperlichen und geistigen Kräfte dienstunfähig geworden ist e . Unter diesen, im gegebenen Falle nachzuweisenden, Umständen hat der Beamte mithin einen — freilich nicht zivilgerichtlich verfolgbaren — Rechtsanspruch auf die Versetzung in den Ruhestand. Die Versetzung in den Ruhestand wird, soweit das Gesetz nicht ein anderes bestimmt, von demjenigen Staatsorgan ausgesprochen, welches dem Beamten das von ihm zuletzt bekleidete Amt tibertragen hatte; dieselbe Instanz setzt in der Regel auch den Betrag des Ruhegehalts fest. Letzterer, die Pension, bemißt sich nach der Höhe der zuletzt bezogenen festen Besoldung und nach der Dauer der zurückgelegten Dienstzeit f . Der Mindestbetrag der Pension beläuft sich nach den meisten Gesetzgebungen auf SS^s—^O vom Hundert, der Höchstbetrag auf 75 vom Hundert des letzten Gehalts; in einzelnen Ländern? ist ein Aufsteigen bis zur vollen Höhe des letzten Gehalts möglich. Der Anspruch auf den Ruhegehalt ist im ordentlichen Rechtswege verfolgbar, wie der Besoldüngsanspruch. Der Anspruch erlischt, wenn der e R B G §§ 34, 34 a, Preuß. G. vom 27. März 1872 § 1, Bay. BG Art. 47, Sächs. StDG § 18, G. vom 3. Juni 1876 §§ 6, 10, Württ. B G Art. 29, Bad. B G § 29, Hess. G. vom 21. März 1914 Art. 7, S.-Weim StDG §34, S.-Mein. StBG Art. 25, S.-Alt. StDG §§ 34—36, S.-Kob.-Goth. StDG § 35, Braunschw. StDG §§ 114, 115, Schw.-Sondh. StDG §39, G. vom 22. Dez. 1891, Schw.-Rud. StDG §34, G. vom 10. Mai 1858 § 48, Old. StDG Art. 55, Anh. StDG § 36, Reuß ä. L. G. vom 3. März 1883 Art. I I , Reuß j. L. StDG § 33, Lipp. StDG § 33. Schaumb.-Lipp. StDG § 35, Brem. B G § 40, Lüb. PensG § 2, 3, Hamb. Diszund PensG § 32, R B G §§ 34, 34 a, G. vom 21. April 1886 Art. 1, Els.-Lothr. B G §§ 35, 36. * Uber die Berechnung dieser Dienstzeit enthalten die einschlägigen Gesetze genaue Bestimmungen. Der Lauf der Dienstzeit beginnt mit der Rechtswirksamkeit der Anstellung, wofern das Gesetz nicht einen andern Zeitpunkt maßgebend sein läßt (z. B. die Leistung des Beamteneides: R B G § 45, Preuß. G. vom 27. März 1872 § 13, Bay. B G Art. 53, Bad. BG § 37 Abs. 2). e 7j. B. in Hessen nach dem G. vom 27. Nov. 1874 nach 50 Dienstjahren (durch das G. vom 21. März 1914 für die Zukunft beseitigt).
Die Organe.
§ 1 .
625
Pensionierte im Staatsdienst wieder angestellt wird, nach manchen Gesetzgebungen auch, wenn er zu einer Strafe verurteilt wird, die, wenn er noch im Dienste gewesen wäre, kraft Gesetzes den Verlust der Beamteneigenschaft zur Folge gehabt hätte (s. unten 627), oder wenn ihm der Anspruch auf die Pension im Disziplinarverfahren aberkannt w i r d h . Der Anspruch ruht nach den meisten Gesetzen, wenn der Pensionierte die deutsche Reichsangehörigkeit verlier^ bis zur Wiedererlangung derselben, nach manchen auch, wenn der Pensionierte seinen Wohnsitz außerhalb des Reichsgebietes verlegt]. Diejenigen Beamten, welche an der Spitze einzelner Verwaltungszweige stehen, also die M i n i s t e r und die ihnen gleichstehenden Departementschefs, haben das Recht, jederzeit ihre Entlassung zu fordern, ohne daß ihre Pensionsansprüche oder die Beibehaltung von Rang und Titel an den Ablauf der gewöhnlichen Dienstzeit geknüpft wären 8 . Vielfach wird übrigens das Verhältnis der abtretenden Minister nicht als das eines pensionierten, sondern als das eines zur Disposition gestellten (in den einstweiligen Ruhestand versetzten, vgl. unten § 154 Anm. 9) Beamten angesehen. Diese besonderen Bestimmungen sind die Folge der eigentümlichen Stellung der Minister, welche auch bei voller Dienstfähigkeit aus politischen Gründen, entweder wegen mangelnder Übereinstimmung mit dem Monarchen oder wegen Meinungsverschiedenheiten mit der Volksvertretung zum Rücktritt veranlaßt werden können. § 153. Das Beamten Verhältnis kann auch g e g e n den Willen des Beamten beendet werden. Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen eine solche Entlassung zulässig sei, ist der Punkt, um welchen sich die geschichtliche Entwicklung der Rechtsgrundsätze über das deutsche Beamtentum im wesentlichen bewegt hat. * Vgl. Bay. B G Art. 65, Sachs. G. vom 3. Juni 1876 § 47, Württ. B G Art. 80 Abs. 2, Bad. B G § 50. Das R B G und das preußische Recht kennen den Verlust der Pension zur Strafe und die Aberkennung derselben im Disziplinarverfahren nicht; vgl. Pereis und Spilling 162; Brand, B R 345if. 3 Preuß. G. vom 27. März 1872 § 1, Bay. G. die Ministerverantwortlichkeit betr. vom 4. Juni 1848 Art. I , I i i , in der Fassung des Art. 221 B G ; Württ BG Art. 48, Bad. B G § 32, Braunschw. StDG § 110, Anh. StDG § 27, R B G § 35. [Nach letzterer Bestimmung können der Reichskanzler und die Staatssekretäre ihre Entlassung jederzeit erhalten und fordern. Sie erhalten auch ohne eingetretene Dienstunfall gkeit Pension, wenn sie entweder ihr Amt mindestens zwei Jahre bekleidet oder sich mindestens zehn Jahre im Dienste befunden haben Diese Vorschriften finden nach dem G. vom 28. April 1886 und § 6 des G. betr. die Verfassung und Verwaltung Elsaß-Lothringens vom 4. Juli 1879 auch auf den Statthalter von Elsaß-Lothringen sowie auf den Staatssekretär und die Unterstaatssekretäre der Verwaltung von Elsaß-Lothringen Anwendung.]
626
Zweiter Teil.
Zweites Bucli.
§ 153.
I . Unzweifelhaft war immer, daß eine Entziehung des Amtes durch strafgerichtliche Verurteilung (sogenannte Kassation) stattfinden könne. Im achtzehnten Jahrhundert fand dieser Grundsatz durch zahlreiche strafgesetzliche Bestimmungen eine ausdrückliche Anerkennung K Im übrigen bestand unter den Juristen eine große Meinungsverschiedenheit 2. In früherer Zeit wurde ein willkürliches Entlassungsrecht des Dienstherrn angenommen und tatsächlich häufig ausgeübt. Nur für die Mitglieder des Reichskammergerichtes galt schon im siebzehnten Jahrhundert der Grundsatz, daß sie nur durch richterliches Urteil ihres Amtes entsetzt werden könnten. Erst später gelangte derselbe auch hinsichtlich der Mitglieder des Reichshofrates zur Anerkennung 8 . Im achtzehnten Jahrhundert bildete sich, namentlich unter dem Einflüsse des Freiherrn Job. Ulrich von Cramer, die Theorie aus, daß jeder Beamte ein festes Recht auf sein Amt habe, welches ihm nur durch richterliches Urteil entzogen werden könne. Diese kam auch in der Praxis der höchsten Reichsgerichte zur Geltung. Dagegen wurde sie von den Landesgesetzgebungen nur in beschränkter Weise, z. B. von der preußischen lediglich für Richter, akzeptiert 4 . Nichtrichterliche Beamte konnten in Preußen durch einen Beschluß des Staatsrates entlassen werden, welcher bei denjenigen Beamten, deren Ernennung vom Landesherrn ausging, der landesherrlichen Bestätigung bedurfte 6 . Im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts entstand eine neue Theorie, als deren Hauptvertreter Gönner erscheint. Nach derselben besitzt der Staatsdiener zwar einen festen Anspruch auf seine B e s o l d u n g , nicht aber auf sein A m t . Die Entlassung mit Entziehung des. Gehaltes ist nur auf Grund eines richterlichen Urteils zulässig. Dagegen kann eine Entlassung mit Belassung des Gehaltes oder einer Pension ohne weiteres durch administrative Verfügung erfolgen 6. Diese Theorie fand ihren Ausdruck in der bayerischen Gesetzgebung von 1805 und 1818 7 . Demgegenüber haben andere deutsche Gesetzgebungen, narnent1 Vgl. z. B. P r A L R T. 11 Tit. I I 20. 2 Vgl. darüber H. A. Zachariä § 143; Relim, AnnDR 1884 576 tf.; Labes ebenda 1 & 9 217 ff. » W . C. von 1792 Art. X X I V § 10. 4 P r A L R I I 17 § 99. Vgl. Bornhak, PrStR 2 11, 12. 6 P r A L R I I 10 §§ 98—101. Bornhak, a. a. O. 6 Gönner §§ 107—110. — Ihm schließt sich an Pfeiffer, Praktische Ausführungen 1 281 ff. und Heffter, Beiträge 141 ff. Als gemeines deutsches Recht wird die Gönnersche Theorie vom Reichsgericht (RGZ 10182 ff., J W 87 22 ff.) behandelt. Dieser Anschauung liegt aber eine in der Praxis nicht selten vorkommende Verwechslung von Dogma und Rechtssatz zugrunde. Vgl. 0. Wendt, Rechtssatz und Dogma, in Jherings Jahrbüchern für Dogmatik 22 299 ff. 7 Bayerische Hauptlandespragmatik vom 1. Jan. 1805 Art. 8—12; Edikt über die Verhältnisse der Staatsdiener (9. Verfassungs-Beilage) vom 26. Mai 1818, § 19. Vgl. Rehm, AnnDR 1885 208, 0 . Mayer, V R 2 230 "N. 25.
Die Organe. % 158.
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lieh die preußische 8 , im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts den Grundsatz zur Durchführung gebracht, daß Entlassungen der Beamten überhaupt, einerlei, ob mit oder ohne Gehalt (Ruhegehalt), nur aus bestimmten gesetzlichen Gründen stattfinden können. II. Demnach gelten über die Entlassung der Beamten in Deutschland jetzt folgende Grundsätze. Eine Entlassung durch einfache Verwaltungsverfügung ohne Angabe von Gründen ist nur bei den p r o v i s o r i s c h , a u f W i d e r r u f o d e r K ü n d i g u n g a n g e s t e l l t e n B e a m t e n und bei den Personen, welche sich noch im V o r b e r e i t u n g s d i e n s t befinden, zulässig. [Dasselbe gilt bezüglich der M i n i s t e r und der ihnen gleichgestellten obersten Staats- und Reichsbeamten (Reichskanzler, Staatssekretäre, Statthalter von Elsaß-Lothringen), welche, wie bereits hervorgehoben 9, ihre Entlassung jederzeit fordern, aber auch jederzeit erhalten können.] Die Entlassung der endgültig (unwiderruflich) angestellten Beamten kann entweder z u r S t r a f e o d e r aus a n d e r e n U r s a c h e n erfolgen. 1. Die Entlassung z u r S t r a f e findet entweder kraft eines s t r a f g e r i c h t l i c h e n U r t e i l s , welches im ordentlichen Gerichtsverfahren erlassen wird, oder auf dem D i s z i p l i n a r w e g e statt. Die Entziehung öffentlicher Ämter durch strafgerichtliches Urteil, die sogenannte D i e n s t e n t s e t z u n g oder K a s s a t i o n , kommt schon in den älteren Landesstrafgesetzbüchern vor-, mit ihm war regelmäßig die Unfähigkeit verbunden, ein öffentliches Amt wieder zu erlangen. Das RStrGB kennt ebenfalls in einzelnen Fällen Erkenntnisse auf den Verlust der öffentlichen Ä m t e r 1 0 ; außerdem kommt die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter, welche den Verlust der bekleideten Ämter einschließt, als Folge anderer Strafen vor. Sie tritt ein bei Zuchthausstrafe, Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte und Aberkennung der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter 1 1 . 8 Gr., das gerichtliche und Disziplinarverfahren gegen Beamte betr., vom 29. März 1844, V . , die Dienstvergehen der Richter und die unfreiwillige Versetzung derselben auf eine andere Stelle und in Ruhestand betr., vom 10. Juli 1849, V . , die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten und die Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in den Ruhestand betr., vom 11. Juli 1849, Gr, die Dienstvergehen der Richter usw. betr., vom 7. Mai 1851, G., die Dienstvergehen der nichtrichterlichen Beamten usw. betr.. vom 21. Juli 1852. Vgl. Stoelzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung 2 2*4, 300 ff., 816ff., 397, 404, 496 ff, 510 ff, 557 ff., 593 ff., 616, 670, 683 ff. 9 § 152 N. 3. 10 RStGB §§ 81, 83, 87—90, 94, 95 (vgl. G. gegen den Verrat militärischer Geheimnisse vom 3. Juli 1893 § 11). 11 RStGB §§ 31, 33, 35. [Was in diesen Fällen, sowie bei Verurteilungen auf Grund der in voriger Anmerkung angegebenen Bestimmungen verloren geht, ist nicht sowohl das A m t als das B e a m t e n v e r h ä l t n i s :
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Zweiter Teil.
Zweites B u c .
§ 153.
Die Entziehung des Amtes und Aufhebung des Beamtenverhältnisses im Wege des D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n s wird in den Staatsdienergesetzen als D i e n s t e n t l a s s u n g bezeichnet. Sie hat Verlust des Amtes, Titels, Ranges, der Ansprüche auf Gehalt, Ruhegehalt und Hinterbliebenenfürsorge zur Folge, während die Wiederanstellung dadurch nicht ausgeschlossen wird. Auch kann dem Entlassenen vermöge eines besonderen Ausspruches der Disziplinar- oder Anstellungsbehörde ein Teil seiner Pension belassen werden, wenn mildernde Umstände vorliegen oder besondere Dürftigkeit dazu Veranlassung gibt. Nach einzelnen neueren Gesetzen kann die Dienstentlassung gegenüber den Mitgliedern gewisser hoher richterlicher Behörden, welche sonst, im Interesse der Unabhängigkeit ihrer Stellung und Tätigkeit einem Disziplinarverfahren nicht unterliegen (Reichsgericht, oberste Verwaltungsgerichtshöfe, Kompetenzgerichtsböfe), durch Plenarbeschluß ausgesprochen werden, wenn dieselben wegen einer entehrenden Handlung zu einer Freiheitsstrafe von bestimmter Dauer verurteilt sind 1 2 . Der Dienstentlassung geht ein kontradiktorisches Verfahren mit mündlicher Schluß Verhandlung voraus. Die E n t s c h e i d u n g über die Entlassung war, soweit richterliche Beamte in Betracht kamen, schon durch die früheren Landesgesetze meist den Gerichten bzw. Behörden, die nur mit richterlichen Beamten besetzt waren, übertragen worden. Das Reichsgerichtsverfaesungsgesetz hat diesen Grundsatz zu einem gemeinrechtlichen erhoben. Demnach kann jetzt im ganzen Deutschen Reiche die Dienstentlassung der R i c h t e r nur durch „richterliche Entscheidung" [d.h. durch Urteil eines ordentlichen Gerichts oder einer ausschließlich mit Richtern besetzten besonderen Disziplinarbehörde] ausgesprochen werden 18 . Die Entscheidung über die Dienstentlassung der der zu Zuchthausstrafe usw. Verurteilte hört auf, Beamter zu sein. — Die hier und in der vorigen Anmerkung bezeichneten Vorschriften des StrGB wollen nicht sagen, daß n u r in ihren Fällen die Kriminalstrafe das Beamtenverhältnis zerstört, stehen also Bestimmungen der Beamtengesetze, welche diese Rechtsfolge krimineller Bestrafung auch noch in andern Fällen eintreten lassen, nicht entgegen. Solche Bestimmungen enthalten keine Verschärfung von Strafen, die im RStrGB angedroht sind, sie sind überhaupt nicht straf-, sondern beamtenrechtlicher Natur, greifen mithin in den Herrschaftsbereich des StrGB nicht ein. Hierher gehören z. B. § 7 des Preuß. DiszG vom 21. Juli 1852 und § 6 des Preuß. RichterDiszG vom 7. Mai 1851, wonach die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von längerer als einjähriger Dauer den Verlust des „Amtes" (gemeint ist wiederum die Beamteneigenschaft) von selbst nach sich zieht. Diese §§ sind durch das StrGB nicht aufgehoben. Übereinstimmend von Rheinbaben, DiszG 118, 119; Brand, B R 734, 735, RGZ 17 240; a. M. das vormalige Reichsoberhandelsgericht, En'tsch. 13 38* 39 und die Voraufl. 541.] 12 Vgl. oben § 148 Anm. 10. 18 Vgl. oben § 148 bei Anm. 1. R G V G § 8 (vgl. E G § 11), Preuß. G. vom 7. Mai 1851 §§ 18ff., G vom 9. April 1879 2ff., Bay. DiszG für richterliche Beamte Art. 14—23, Sachs. G. vom 20. März 1880 § 26, Württ.
Die Organe.
§ 1 .
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n i c h t r i c h t e r l i c h e n (Ver w a l t u n g s - ) B e a m t e n ist dagegen teils den Gerichten u , teils den Verwaltungsgerichten lß , teils Verwaltungsbehörden 1 6 , gegen deren Entscheidung aber mitunter die Beschreitung des Rechtsweges nachgelassen i s t n , teils besonderen Disziplinarbehörden, welche sich meist aus richterlichen und Verwaltungsbeamten zusammensetzen 1 8 , übertragen. B G Ait. 85, Bad. B G §§ 88 ff., Hess. G. vom 31. Mai 1879 Art. 16 und 17, S.-Weim. A G zum R G V G § 44, S -Mein. G. vom 11. Juli 1879 § 13, S -Alt. A G zum R G V G § 54, StDG §S 132, 138, S.-Kob.-Goth. A G zum R G V G § 48, Braunschw. StDG §§ 46—48, Anh. StDG §§ 126—128, G. vom 10. Juli 1879 Art. I V §§ 6 und 7, Schw.-Sondh. G. vom 27. Mai 1879 §§ 11—13, Schw.-Rud. G. vom 1. Mai 1879 § 15, Reuß ä. L . G. vom 3. März 1883 § 10 Reuß j. L . StDG S§ 121, 127, Lipp. StDG §§ 56—58, Schaumb.-Lipp': StDG § 64, A G zum R G V G § 33, L ü h G. vom 21. April 1879 § 5, Brem. A G zum R G V G § 58, Hamb. A G zum R G V G § 41, Vertrag der Hansestädte vom 28. Febr. 1879 Art.. 7 §§ 5, 6, Els.-Lothr. G. vom 13. Febr. 1899 §§ 10—12. Auch für die richterlichen Militärjustizbeamten fungieren Disziplinargerichte, welche lediglich aus richterlichen Militärjustizbeamten bestehen (KG vom 1. Dez. 1898 §§ 7—11; s. u. N. 18). 14 Lipp. G. vom 6. Jan. 1887. 15 Vgl. oben § 148 N. 8—10. Preuß. G. über die allgemeine Landesverwaltung §§ 32 und 39 (gewählte Mitglieder der Bezirks- und Kreisausschüsse), ZustG vom 1. Aug. 1883 §§ 20 und 36 (Gemeindebeamte) Kreisordnung vom 13. Dez. 1872 (19. März 1881) § 68 (Amtsvorsteher), Provinzialordnung vom 29. Juni 1875 § 98 (Beamte der Provinzialverbände). Hess. G. vom 21. April 1880 Art. 16ff.. G. vom 8. Juli 1911 Art. 113, 118 (Verwaltungsgerichtshof), S.-Mein. StBG Art. 60. 16 Preuß. G. vom 21. Juli 1852 § 24, S.-Weim. StDG § 46, S.-Alt. StDG §§ 73—75, S.-Kob.-Goth. StDG § 47, Lüb. B G §§ 52—54, PensG § 14, Brem. B G §§ 48 ff. 17 S.-Weim. StDG § 46, S.-Kob.-Goth. StDG § 47. 18 Preuß. G. vom 21. Juli 1852 §§ 24 ff. (Disziplinarhof für solche Beamte, deren Anstellung entweder vom König oder von den Ministern genehmigt oder bestätigt wird, die Berufung von demselben geht an das Staatsministerium). Bay. BG Art. 119 ff. (Disziplinarkammern und Disziplinarhof für nichtrichterliche Beamte); Sächs. G. vom 3. Juni 1876 §§ 19, 24, 28, G. vom 23. August 1878, Württ. B G Art.. 86—102, 119, Bad. B G §§ 88 ff., Old. StDG Art. 70—79, G. vom 9. Jan. 1897, 26. März 1906, Braunschw. StDG § 97, G. vom 1. April 1890 § 5, Anh. StDG §§ 75, 7(5, Schw.-Sondh. G. vom 23. Jan. 1*80 §§ 13 und 14, Reuß ä. L. G. vom 3. März 1883 §§ 9—11, Reuß j. L. StDG §§ 62—64, Schaumb.-Lipp. StDG § 64, Hamb. Disz. und PensG § 10. — Das R B G überweist die Entscheidung über Dienstentlassung an Disziplinarkammern, welche aus sieben Mitgliedern bestehen, von denen der Präsident und drei Mitglieder sich in einer richterlichen Stellung befinden müssen (§§86—89). Die Berufung geht an den Disziplinarhof, welcher aus elf Mitgliedern besteht, von denen der Präsident und fünf Mitglieder dem Reichsgericht, vier Mitglieder dem Bundesrate angehören müssen (§ 91 RBG). Für die Militärbeamten, welche nur einen Militärvorgesetzten haben, werden besondere Disziplinarkommissionen gebildet (S§ 121—123); für die Kolonialbeamten (oben § 141 a, 142 Anm. lu) bestehen als entscheidende Disziplinarinstanzen eine Disziplinarkammer und Disziplinarhof, beide mit dem Sitz in Berlin, deren Mitglieder vom Kaiser ernannt werden (KolBG vom 8. Juni 1910 § 42). Besondere Bestimmungen über das Disziplinarverfahren gegen Professoren der Universität Straßburg (G. vom 18. Juni 1899 §§ 6, 7). Für die Disziplinierung der richterlichen Militärjustizbeamten sind durch das R G vom 1. Dez. 1898 (RGBl. 1297) besondere Disziplinarkammern (je eine für
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Zweiter Teil.
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§ 153.
[2. A u s a n d e r e n G r ü n d e n — d.h. außer und abgesehen von der Dienstentlassung zur Strafe durch straf- oder disziplinargerichtliches Urteil — kann die Verabschiedung eines endgültig (unwiderruflich) angestellten Beamten wider seinen Willen gegenwärtig 51 ) nur mehr im Wege der u n f r e i w i l l i g e n V e r s e t z u n g i n d e n R u h e s t a n d ( Z w a n g s p e n s i o n i e r u n g ) stattfinden. Die Voraussetzungen, unter denen diese Maßregel gestattet und die Formen, in denen sie vorzunehmen ist, sind gesetzlich geregelt. Zulässig ist die unfreiwillige Versetzung in den Ruhestand überall, wenn der Beamte infolge eines körperlichen Gebrechens öder Schwäche seiner Körper-(oder Geisteskräfte zur Erfüllung seiner Amtspflichten unfähig ist*», nach den meisten Gesetzen auch schon, wenn er ein bestimmtes Lebens- oder Dienstalter erreicht 0 . Vereinzelt finden sich Vorschriften wie die, daß der Beamte auch dann wider seinen Willen pensioniert werden kann, wenn durch sein Verschulden Umstände vorliegen, durch die seine amtliche Wirksamkeit auch auf einer anderen als der von ihm zur Zeit bekleideten Stelle nicht bloß vorübergehend gestört wäre, ein Disziplinarverfahren aber wegen Verjährung ausgeschlossen ist d , oder daß die Zwangspensionierung von der Staatsregierung nach freiem Ermessen verfügt Wörden kann e . Auf Ruhegehalt (Pension) hat der zwangsweise in Ruhestand versetzte Beamte unter denselben Voraussetzungen und in derselben Höhe Anspruch wie derjenige, welcher auf seinen Antrag pensioniert worden ist.] Zur
den Bereich eines oder mehrerer Armeekorps sowie für die Marine) und ein besonderer Disziplinarhof geschaffen worden; vgl. §§ 7 ff., 11 ff. des angeführten Gesetzes. a Ein älteres, auf die Theorien Gönners (s. oben 626, 627) zurückgehendes System, wonach der Beamte jederzeit aus Gründen administrativer Zweckmäßigkeit (oder auch ohne jeden Grund) unter Belassung seines Gehalts oder eines Teiles desselben entlassen werden konnte, galt bis in die neueste Zeit in B a y e r n , wo es erst durch das BGvom 16.Aug. 1908 beseitigt und durch die im übrigen Deutschland geltenden Grundsätze ersetzt worden ist (vgl. Bein dl, B G 2 ® ; Piloty, JahrbÖffR 3 258). Ein dem älteren bayerischen Recht t a t s ä c h l i c h gleichartiger Zustand besteht noch gegenwärtig in H e s s e n ^ indem dort jeder (nichtrichterliche) Beamte wider seinen Willen von der Staatsregierung selbst nach definitiver Anstellung nach Gutdünken, wenngleich nicht entlassen, so doch in den Ruhestand versetzt werden kann (vgl. van Calker, Hess. S t R 1 0 6 A n m 2, 108). Die Ausführungen der Vorauf!. (543 und Anm. 19) treffen für Bayern nicht mehr zu, für Hessen sind sie ungenau. t R B G § 61, Preuß. RichtDiszG vom 7. Mai 1851 § 56, Bay. B G Art. 48 Nr. 2, Bay. RichtDiszG vom 26. März 1881 Art. 71, Sächs. G. vom 3. Juni 1876 §§ 6, 7, 11, Württ. BG Art. 29, Bad. B G §§ 29, 31; Braunschw. StDG §§ 116, 126ff., Schaumb.-Lipp. Verf. Art. 65, Wald. StDG § 47, Brem. B G §§ 44 ff., Lüb. PensG § 17, Hamb. Disz- und PensG § 32. c So nach allen den in vorstehender Anmerkung zitierten Gesetzen (mit Ausnahme des preußischen Richterdisziplinargesetzes und des Bad. BG), Old. StDG Art. 55, S.-Weim. StDG § 35, S.-Mein. StBG Art. 26, 29, S.-Alt. StDG Art 51—57. * Bay. B G Art. 48 Nr. 3. © So in Hessen; vgl. oben Anm. a. a. E.
Die Organe.
631
§ 14.
Feststellung der Dienstunfilhigkeit und der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen der Zwangspensionierung findet ein besonderes Verfahren statt. Die r i c h t e r l i c h e n B e a m t e n können in allen deutschen Staaten nur aus den gesetzlich bestimmten Gründen unter Wahrung der gesetzlich vorgeschriebenen Formen kraft richterlicher Entscheidung in Ruhestand versetzt werden. Dieser Grundsatz, der schon früher durch die meisten Landesgesetzgebungen aufgestellt war, ist durch das RGVG zu einem gemeinrechtlichen erhoben worden 19 . Nur bei einer Veränderung in der Organisation der Gerichte oder ihrer Bezirke können unfreiwillige Entfernungen vom Amte unter Belas/sung des vollen Gehaltes durch die Landesjustiz Verwaltung verfügt werden 20 . Das freie Entlassungsrecht des Monarchen hinsichtlich der M i n i s t e r ist überall anerkannt, sei es nun, daß sie bei ihrer Entlassung als in Ruhestand tretend oder nur als zur Disposition stehend angesehen werden 21 . 5. Stellung zur Disposition. Versetzung,
Suspension.
§ 154. • 1. Die S t e l l u n g z u r D i s p o s i t i o n ( e i n s t w e i l i g e Vers e t z u n g i n d e n R u h e s t a n d 1 , Q u i e s z i e r u n g 2 ) unterscheidet sich von der dauernden Versetzung in Ruhestand (Pensionierung 8 ) dadurch, daß mit derselben zwar das Amt, welches der Beamte bekleidet, für ihn aufhört, nicht aber das Beamtenverhältnis überhaupt. [Die Stellung zur Disposition nimmt dem Beamten sein Amt, nicht aber seine Beamteneigenschaft 4.] Der zur Disposition gestellte Beamte hat die Verpflichtung, jederzeit wieder ein Amt zu übernehmen, er behält alle Pflichten des Beamten, welche nicht mit der aktiven Dienstführung zusammenhängen, und unterliegt der Beamtendisziplin. Der Staat gewährt ihm fortdauernd seinen Lebensunterhalt, nicht in der Form des Ruhegehaltes (der Pension), sondern in der des Wartegeldes. Das Wartegeld ist in der Regel 6 höher beinessen als die Pension; die Beamten jedoch, welche als Pension einen höheren Betrag 19
R G V G §§ 8 und 131. Vgl. auch RMilStrGO §§ 81, 96. R G V G §§ 8 und 131. Vgl. oben 625. 1 [Sprachgebrauch der Reichs-, preußischen, bayerischen und badischen Gesetzgebung: R B G § 24, Preuß. DiszG vom 21. Juli 1852 § 87, Bay. B G Art.. 38, Bad. BG § 33]. 2 [Sprachgebrauch der sächsischen und württembergischen Gesetzgebung: Sächs. StDG § 19 (vgl. dazu 0 . Mayer, Sachs. StR 244 , 250), Württ. B G Art. 22 ff.] 3 [Vgl. oben § 152 S. 623.1 * [Vgl. v. Seydel-Piloty, Bay. StR 1 696, 697; Reindl, Bay. B G 253; O. Mayer, Sächs. StR 250.] 5 [— nicht überall, z. B. nicht in Preußen; vgl. Brand, BR 271.] 20
21
Zweiter Teil.
632
Zweites B u c .
§ 15.
beanspruchen könnten, erhalten mindestens denselben Betrag als Wartegeld. Nicht alle Gesetzgebungen kennen den Unterschied zwischen Versetzung in Ruhestand und Stellung zur Disposition. Diejenigen, welche ihn nicht kennen, betrachten mitunter auch die pensionierten Beamten fortdauernd als Beamte und legen ihnen die Verpflichtung auf, jederzeit wieder in den Dienst einzutreten 6 . Die Stellung zur Disposition erfolgt durch Verfügung des Landesherrn oder der höheren Verwaltungsbehörden. Nach einigen Gesetzgebungen liegt sie ganz in deren Ermessen 7, nach anderen darf sie nur aus gesetzlich bestimmten Gründen und gegenüber gewissen Kategorieen von Beamten in Anwendung gebracht werden 8 . In einigen Staaten wird das Verhältnis der entlassenen Minister als ein Stehen zur Disposition aufgefaßt, oft mit der Verpflichtung, auch eine dem Ministerposten zunächst stehende Stellung zu übernehmen 9. « Z. B. Braunscliw. StDG § 131. Ganz unbeschränkt ist die Befugnis des .Landesherrn zur Dispositionsstellung in S.-Altenburg (StDG § 30) und Reuß ä. L . (StDG § 25), doch behalten im ersten Staate die zur Disposition gestellten Staatsdiener mit Ausnahme der Minister ihren vollen Gehalt. — Tatsächlich unbeschränkt erscheint die Befugnis aber auch da, wo in den Gesetzen zwar bestimmte Gründe aufgestellt sind, außer diesen aber auch die Rücksicht auf die Verwaltung für genügend erachtet wird, um eine Stellung zur Disposition zu rechtfertigen. Sachs. StDG § 19 (vgl. dazu 0 . Mayer, a. a. 0. 250, 251), S.-Weim. StDG § 25, S.-Mein. StBG Art, 19, S.-Kob.-Goth. StDG § 26, Old. StDG Art. 47, Anh. StDG § 28, Schw.-Sondh. StDG § 81, Schw.-Rud. StDG § 25, Lipp. StDG § 20, Schaumb.-Linp. StDG § 27. 8 [In allen Ländern, wo der Stellung zur Disposition überhaupt bestimmte gesetzliche Schranken gezogen sind, ist die Stellung zur Disposition allgemein (d. Ii. gegenüber allen, oder doch allen nichtrichterlichen Beamten) zulässig, wenn zur Verwendung des betreffenden Beamten im Staatsdienst infolge einer Änderung in der Einrichtung der Behörden keine Gelegenheit mehr gegeben ist. So insbesondere das R B G § 24, preuß. V . vom 14. Juni 1848 (aufrechterhalten durch G. vom 21. Juli 1852 § 87 Nr. 2), Bay. B G Art. 38 (hiernach kann jeder Beamte außerdem noch einstweilig in den Ruhestand versetzt werden, wenn ohne sein Verschulden Umstände vorliegen, durch die seine amtliche Wirksamkeit auch auf einer andern Stelle nicht bloß vorübergehend gestört wäre), Württ. BG Art. 22, Bad. B G § 33, StDG von Reuß j. L. § 25, Brem B G § 3 4 , Lüh. B G § 29, Hamb. Disz und PensG § 41. Abgesehen von diesem Falle können nach dem R B G § 25, dem Preuß. DiszG vom 21. Juli 1852 § 87 Nr 2, dem bad. B G § 33, dem els.-lothr. B G § 25 und den Gesetzen für Elsaß-Lothringen vom 23. Dez. 1873 Art. I I , vom 4. Juli 1879 § 6 gewisse ausdrücklich bezeichnete Beamte, bei denen die fortdauernde Übereinstimmung ihrer politischen Ansichten mit denen der leitenden Stellen erforderlich erscheint, jederzeit nach Ermessen zur Disposition gestellt werden.] » Sächs. StDG § 9, Bad. B G § 32, S.-Weim. StDG § 32, S.-Mein. StBG Art. 19, S.-Alt. StDG § 33. S.-Kob.-Goth. G. vom 29. A^ril 1865, Old. StDG Art. 51, Schw.-Sondh. StDG § 37, Schw.-Rud. StDG § 32, Schaumb.-Lipp. StDG § 34. 7
Die Organe.
§ 14.
633
Richter können in vielen Staaten überhaupt nicht zur Disposition gestellt werden. I n denjenigen, in welchen eine Dispositionsstellung derselben zulässig ist, darf sie nach den Bestimmungen des RGVG nur aus gesetzlich bestimmten Gründen durch richterliche Entscheidung erfolgen 10 . [Die Stellung zur Disposition ist keine Strafe im Rechtssinne, auch keine strafartige, insbesondere keine disziplinare Maßregel. Sie fällt daher auch nicht unter den Begriff des „Ziehens zur Verantwortung" nach StrGB § 11 und RV Art. 3 0 " . ] Da der zur Disposition gestellte Beamte nicht aufhört, Beamter zu sein, also auch fortdauernd der Disziplinargewalt unterworfen bleibt, so kann auf disziplinarem Wege auf Verlust des Titels, Wartegeldes und Pensionsanspruches gegen ihn erkannt werden. Außerdem tritt ein Verlust dieser Ansprüche infolge gewisser Handlungen ein, welche ihm entweder den Wiedereintritt in den Dienst unmöglich machen oder seine Absicht anzeigen, nicht wieder einzutreten. Solche Handlungen sind die ausdrückliche Weigerung, ein ihm angetragenes Amt zu übernehmen, die Annahme einer Anstellung oder eines Auftrages seitens einer auswärtigen Regierung, die Verlegung des Wohnsitzes außerhalb des Reichsgebietes oder die Aufgabe der deutschen Staatsangehörigkeit. 2. Die V e r s e t z u n g 1 2 eines Beamten in ein anderes Amt erfolgt entweder m i t oder g e g e n seinen Willen. Eine u n f r e i w i l l i g e V e r s e t z u n g kann den Charakter der Strafversetzung haben, d. h. eine Versetzung in ein Amt mit niedrigerem Range oder geringerem Gehalte sein. Eine solche ist nur im Wege des Disziplinarverfahrens möglich und an dieselben Bedingungen und Formen geknüpft wie die Dienstentlassung18. Im übrigen dürfen bei nichtrichterlichen (Verwaltungs-) Beamten Versetzungen in ein Amt von gleichem Range und Gehalt aus Rücksichten des Dienstes stattfinden 14 , [sofern dieses Amt der Berufsbildung des Beamten entspricht 16 ]. Richter dagegen können nach dem Reichsgerichtsverfassungsgesetz nur aus gesetzlich bestimmten Gründen unter Wahrung der gesetzlich vorgeschriebenen Formen kraft richterlicher Entscheidung versetzt werden 16 . Durch Landesgesetze sind 10
R G V G § 8. [Vgl. oben § 105 S. :J>74 N. 15.] Meves, Art. „Versetzung" in v. Holtzendorffi? Rechtslcxikon 3 1077 ff. 18 Vgl. oben § 153 S. 627 fc " Preuß. G. vom 21. Juli 1852 § 87, Bay. B G Art. 8, 9, Sächs. StDG § 9, Württ. B G Art. 19, Bad. B G § 5, Hess. Ed. Art. 16, S.-Weim. StDG | 23, S.-Mein. StBG Art. 17, S.-Alt. StDG § 27, S.-Kob.-Goth. StDG § 24, Braunschw. StDG § 27, Old. StDG Art. 44, Anh. StDG § 23, Schw.-Sondh. StDG § 29, G. vom 13. Febr. 1860 § 47, Schw.-Rud. StDG § 23, Reuß ä. L . StDG § 8, Reuß j. L . StDG § 23, Lipp StDG § 23, Schaumb.-Lipp. StDG § 24, Wald; StDG § 29, Lüh. B G § 28, Brem. B G § 23. — R B G § 23. " Bay. B G Art. 8, 9, Württ. B G Art. 19, Bad. B G § 5. 36 R G V G § 8. Vgl. auch RMilStrGR §§ 81, 96, R G vom 1. Dez. 1898 11
12
634
Zweiter Teil.
Zweites B u c .
§ 15.
die Formen, die Gründe der Versetzung und die zur Entscheidung kompetenten Behörden näher bestimmt worden 17 . Die Gründe, aus denen eine Versetzung von Richtern stattfinden darf, sind namentlich: Veränderungen in der Organisation der Gerichte, die Entstehung eines nahen Schwägerschaftsverhältnisses zu einem anderen Mitgliede desselben Gerichtes, das Interesse der Rechtspflege, namentlich das Vorhandensein von Umständen, welche eine gedeihliche Wirksamkeit des Richters an dem betreffenden Orte als unmöglich erscheinen lassen. Bei Organisationsveränderungen dürfen Versetzungen von Richtern auch durch die Landesjustizverwaltung verfügt werden 18 . Der versetzte Beamte hat Anspruch auf Vergütung der Umzugskosten; in der Regel jedoch nur in dem Falle unfreiwilliger Versetzung, also dann nicht, wenn die Versetzung auf seinen eigenen Antrag erfolgt. Außerdem kommt häufig die Bestimmung vor, daß der Beamte, wenn er in eine besser dotierte Stelle versetzt wird, sich die Besoldungserhöhung des ersten Jahres oder Halbjahres auf die Umzugskosten muß anrechnen lassen. Bei der Strafversetzung findet oft kein Ersatz der Umzugskosten statt. 3. S u s p e n s i o n ( v o r l ä u f i g e D i e n s t e n t h e b u n g ) ist der zeitweilige Ausschluß eines Beamten von der Ausübung seiner amtlichen Funktionen. [Die Suspension unterscheidet sich von den vorstehend unter 1 und 2 besprochenen Rechtsinstituten dadurch, daß sie die Verbindung des Beamten mit dem ihm übertragenen Amte nicht löst. Der suspendierte Beamte bleibt sowohl Beamter als auch Inhaber seines bisherigen Amts, nur wird ihm die Ausübung des letzteren bis auf weiteres untersagt.] Die Suspension kommt in drei verschiedenen Formen vor: a) als S t r a f e , welche im Disziplinarverfahren ausgesprochen werden kann 1 9 . In diesem Falle ist mit derselben in der Regel eine völlige Entziehung des Gehaltes für die Dauer der Suspension verbunden; b) als p r o v i s o r i s c h e M a ß r e g e l , welche gegen einen Beamten verhängt wird, der sich in einer gerichtlichen oder disziplinarischen Untersuchung befindet. Diese Suspension tritt entweder k r a f t G e s e t z e s ein, namentlich wenn eine Untersuchungsoder Strafhaft gegen den Beamten ausgesprochen ist oder wenn betr. die Dienstvergehen der richterlichen Militärjustizbeämten und die unfreiwillige Versetzung derselben in eine andere Stelle oder in den Ruhestand, §§ 32, 3& 17 Eine vergleichende Darstellung des Inhalts dieser Landesgesetze gibt Werle, Die unfreiwillige Versetzung der Richter auf andere Stellen usw., im ArehÖffR 17 1 ff. i« R G V G § 8, E G § 21. 19 Hess Ed vom 12. April 1820 Art. 24 und 25, S.-Weim. StDG § 22, S.-Kob.-Goth. StDG § 23, Schw.-Rud. G. vom 10. Mai 1858 § 18, R e u ß ä . L . G. vom 3. März 1883 Art. I I I § 4, Reuß j . L . StDG § 22, Wald. StDG § 73.
Die Organe.
§ 14.
635
ein nicht rechtskräftiges Erkenntnis auf Amtsverlust oder Dienstentlassung vorliegt 2 0 . Oder sie muß durch eine besondere Verfügung ausgesprochen werden, welche in den eben erwähnten Fällen in der Regel obligatorisch, bei Einleitung eines gerichtlichen oder Disziplinarverfahrens dagegen meist fakultativ i s t 2 1 . Nach dem RGVG können derartige Beschlüsse über Richter nur durch die Gerichte gefaßt werden, dagegen wird die Suspension kraft Gesetzes durch dasselbe nicht berührt 2 2 . Bei der Suspension als provisorischer Maßregel wird ein Teil des Gehaltes vorläufig zurückbehalten und bei einer etwaigen Freisprechung nachgezahlt. Nur die Stellvertretungs- und Gerichtskosten dürfen von diesem Betrage abgezogen werden, wenn der Beamte zwar nicht zum Amtsverlust oder zur Dienstentlassung verurteilt, aber doch auch nicht völlig freigesprochen wird. I n einigen Ländern bzw. bei einzelnen Behörden äußert die Suspension keinen Einfluß auf die Gehaltsverhältnisse 2 8 . Wenn Gefahr im Verzuge ist, so kann auch schon vor erfolgter Suspension Beamten, namentlich Verwaltungsbeamten, die Ausübung der Amtsfunktionen seitens des Vorgesetzten untersagt 20 Preuß. G. vom 7. Mai 1851 § 44, vom 21. Juli 1852 § 48, Gr. vom 3. Juli 1875 § 22, Bay. B G Art. 171, Bay. DiszG für richterliche Beamte Art. 78, Sachs. G. vom 20. März 1880 §47, Württ. B G Art. 108 ff., Hess. G. vom 31. Mai 1879 Art. 58, G. vom 21. April 1880 Art. 89, S.-Alt. StDG §§ 104, 105, Braunschw. StDG §§ 81, 106, Old. StDG § 81, Anh. StDG § 98, G. vom 10. Juli 1879 Art. V § 1, Schw.-Sondh. G. vom 27. Mai 1879 § 3 2 , G. vom 23. Jan. 1880 § 3 8 , Schw.-Rud. G. vom 10. Mai 1858 § 41 r Reuß j. L. StDG § 93, Lipp. StDG § 75, Schaumb.-Lipp. StDG § 81, Brem. B G §§ 126, 127, Lüh. B G §§ 80 und 81, G. vom 21. April 1879 § 25, Hamb. A G zum R G V G § 61, Disz und PensG § 29, Vertrag der Hansestädte vom 28 Febr. 1879 Art. 7 § 25. — R B G § 125, R G vom 1. Dez. 1898 § 30, Els.Loth. G. vom 13. Febr. 1899 § 30. 21 Preuß. G. vom 7. Mai 1851 § 46, vom 21. Juli 1852 §50, vom 3. Juli 1875 § 22, Bay. B G Art. 172, Bay. DiszG für richterliche Beamte Art. 60y Sachs. G. vom 3. Juni 1876 § 37, W ü r t t B G Art. 110, Bad. B G § 112, Hess. G. vom 31. Mai 1879 Art. 58, G. vom 21 April 1880 Art. 39, S.Weim. Nachtr. zum StDG vom 9 Nov. 1870, vom 27. Febr. 1872 § 2, S.-Mein. StBG Art. 81—84, S.-Alt. StDG §§ 106, 139, 140, S.-Kob.-Goth. StDG § 50, Anh. G. vom 10. Juli 1879 Art. V § 2 , Schw.-Sondh. G. vom 27. Mai 1879 § 34, G. vom 23. Jan. 1880 § 40, Schw.-Rud. G. vom 10. Mai 1858, § 41, G. vom 1. Mai 1879 30 und 31, Reuß ä. L. G. vom 3. März 1883 Art. I I I 2, Reuß j. L. StDG § 95, Anh. StDG § 100, Braunschw. StDG §§ 83, 106, ld. StDG Art. 80 und 82, Schaumb.-Lipp. StDG § 82, Brem. B G § 106, Wald. StDG §§ 32 und 33, Lüb B G § 82, G. vom 21. April 1879 § 25, Brem. B G § 128, Hamb. A G zum R G V G § 61, Disz und PensG § 29. Vertrag der Hansestädte vom 28. Febr. 1879 Art. 7 8 25. — R B G § 127, R G vom 1. Dez. 1898 § 30, Els.-Loth. G. vom 13. Febr. 1899 §S 31, 32. & R G V G § 8. 28 Preuß. G. vom 3. Juli 1875 bzw. 2. Aug. 1880 § 2, Hess. G. vom 31. Mai 1879 Art. 60, Hamb. Disz- und PensG § 29, R G vom 12. Juni 1869 § 25, R G vom 6. Juni 1870 § 43, R G V G § 129, R G vom 1. Dez. 1898 § 30.
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Zweiter Teil.
Zweites B u c .
§ 15.
werden. Auf den Bezug des Gehaltes hat eine derartige Maßregel keinen Einfluß 24 . [c) Außerhalb des Disziplinarverfahrens kann die Suspension vorkommen als u n f r e i w i l l i g e B e u r l a u b u n g * . Das Wesen dieser Maßregel besteht darin, daß dem Beamten durch die ihm vorgesetzte Behörde die Weiterführung seiner amtlichen Funktionen im Interesse des Dienstes untersagt wird. Sie findet Anwendung namentlich bei unerwartet eintretender Dienstunfähigkeit (z. B. wegen plötzlich ausbrechender Geisteskrankheit), bei Eröffnung des Konkurses über das Vermögen des Beamten, überhaupt in allen Fällen, wo die Wahrnehmung eines Amtes durch seinen dermaligen Inhaber mit dem öffentlichen Interesse in Widerspruch steht und eine anderweite, die Entziehung des Amtes bewirkende Maßnahme — Versetzung, Stellung zur Disposition, Zwangsensionierung, Dienstentlassung im Disziplinarverfahren oder ohne Disziplinarverfahren — nicht oder nicht ohne weiteres und nicht sofort statthaft ist. Die unfreiwillige Beurlaubung erfolgt stets unter Wahrung aller Rechte des Beamten, insbesondere des Rechts auf Titel und Diensteinkommen. Sie darf nicht dazu benutzt werden, um zwingende Vorschriften des öffentlichen Rechts, wie insbesondere über die Garantieen der richterlichen Unabhängigkeit (Verbot der unfreiwilligen Entlassung und Versetzung von richterlichen Beamten), über die einstweilige und dauernde Versetzung in den Ruhestand, zu umgehen h. Mit dieser Maßgabe ist die unfreiwillige Beurlaubung auch in den Staaten zulässig, deren Beamtengesetze sie nicht ausdrücklich erwähnen und regeln c , — weil und insoweit der Beamte kein Recht auf sein Amt hat d .]
E
2 * Preuß. G. vom 31. Juli 1852 § 54, Württ. B G Art. 114, S.-Mein. StBG A r t 86, S.-Alt. StDG § 110, Braunschw. StDG § 106, Anh. StDG § 104, Lüb. B G § 86, Brem. B G § 132. — R B G § 131, E G vom 1. Dez. 1898 § 30. a Der Ausdruck stammt von Seydel (Bay. StR 2. Aufl. 2 219), er ist von Piloty (v. Seydel-Piloty, Bay. StR 1 711) beibehalten, b Piloty im JahrbOffR 3 251. c Ausdrücklich anerkannt ist das Recht zur unfreiwilligen Beurlaubung in Bayern; vgl. schon V U Beil. I X § 19 Abs. 1 (v. Seydel, a. a. 0. 219) und nunmehr B G Art. 170 (dazu Reindl 705 ff.), sowie Bay. RichtDiszG vom 26. März 1881, 5. Dez. 1908 Art. 79 Nr. 3 - 6 . Die übrigen Beamtengesetze erwähnen die hier in Rede stehende Form der Suspension in der Regel nur als einstweilige Sicherungsmaßregel im Zwangspensionierungsverfahren, vgl. insbesondere JRBG § 66 Abs. 2 Satz 3, Preuß. DiszG vom 21. Juli 1852 §90 Abs. 3. Wie der Text anscheinend auch Brand, BR 838 Anm. 1. d Seydel und Seydel-Piloty, a. a. O. Vgl. auch oben 626 (Der Beamte hat kein Recht auf sein Amt).
Die Funktionen.
§ 155.
637
Drittes Buch.
Die
Funktionen. Erster Abschnitt.
Die Gesetzgebung. I . Begriff und Wesen der Gesetzgebung 1 . § 155. I . Die staatlichen Funktionen scheiden sich ihrem m a t e r i e l l e n Gehalte nach in G e s e t z g e b u n g (d. h. R e c h t s P I m Sinne des Textes, oder doch in den wesentlichen Punkten, insbesondere hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Gesetzen im materiellen und formellen Sinne, sowie des Verhältnisses der gesetzgebenden zur Verordnungsgewalt mit den in den §§ 155 ff. enthaltenen Ausführungen übereinstimmend (herrschende Meinung): Laband, StR 2 1 ff.; E. A . Chr. (v. Stockmar), Studien über das preußische Staatsrecht, in Aegidis ZDStR 1 201 ff.; Fricker, Gesetz und Budget, in .der ZStW 60 381 ff.; Pra2dk, Beiträge zum Budgetrecht usw. im ArchOffR 2 441 ff.; Jellinek, Gesetz und Verordnung; G. Meyers Abhandlung: Der Begriff des Gesetzes und die rechtliche Natur des Staatshaushaltsetatis, in Grünhuts Z. f. das Privat- und öffentl. Recht 8 1 ff.; v.Sevdel, Bay. StR (2. Aufl.) 2 308 ff.; v. Seydel-Piloty 1837ff.; Schulze, Deutsch. StR 1 528 ff., Preuß. StR 2 18 ff.; Rosin, Das Polizei verordnungsrecht in Preußen 32 ff.; Seligmann, Beiträge zur Lehre von Staatsgesetz und Staatsvertrag: 1. Der Begriff des Gesetzes im materiellen und formellen Sinne, Berlin und Leipzig 1886; Brie, Zur Theorie des konstitutionellen Staatsrecht, im ArchÖffB 4 l t f . ; Otto Mayer, Deutsch. V R (2. Aufl.) 1 65ffl, 83ff. ; Sächs. StR 156ff.; Rehm, Allg. StL 296, 297; Anschütz, Kritische Studien zur Lehre vom Rechtssatz und formellen Gesetz (Qallesche Dissertation, Leipzig 1891, Neudruck Berlin 1913, Die gegenwärtigen Theorien über den Begriff der gesetzgebenden Gewalt und den Umfang des königlichen Veroranungsrechts nach Preußischem Staatsrecht, 2. Aufl. Tübingen und Leipzig 1901, in der Enzykl. 151 ff., Art. Gesetz im W S t V R ; Preuß, Über den konstitutionellen Gesetzesbegriff, in den AnnDR 1903 522 ff.; van Calker, Hess. StR 151 ff., Hess. VerfG 82ff., 106, in der KritVJSchr. N. F. 10 116 ff.; R. Smend, Die Preußische Verfassungsurkunde im Vergleich mit der Belgischen (Göttinger Preisschrift, 1904), 31 ff.; Hubrich, Die reichsgerichtliche Judikatur über den Gesetzes- und Verordnungsbegriff nach Preuß. Staatsrecht, in den AnnDR 1904 770ff., 801 ff., Das Reichsgericht über den Gesetzes- und Verordnungsbegriff nach Reichsrecht (1905); Fleiner, Institut. 68ff.; Fleischmann im HbaP 1269ff. (die materielle Gesetzgebung), Schoen, das. 284ff. (die formellen Gesetze); Franz Rosin, Gesetz und Verordnung nach badischem Staatsrecht (1911). — Die Unterscheidung von Gesetzen im materiellen und im formeUen Sinne erkennt auch Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre (1911) 538 ff. an, der indessen in manchen Punkten von grundsätzlicher Bedeutung seine eigenen Wege geht und nicht schlechtweg als Anhänger der herrschenden Lehre (Laband, Jellinek usw.) angesehen werden darf. — Vgl. weiterhin N. 3. Abweichende Anschauungen vertreten: v. Martitz, Über den konstitutionellen Begriff des Gesetzes nach deutschem Staatsrecht, in der ZStW 86 G. H e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht, n .
7. Aufl.
41
638
Zweiter T e i l
Drittes Buch.
§ 155.
s e t z u n g ) , R e c h t s p f l e g e (Justiz) und V e r w a l t u n g 2 . I m konstitutionellen Staate sind für die Ausübung jeder dieser Funktionen besondere O r g a n e berufen. Die gesetzgeberischen Befugnisse werden von der Regierung im verfassungsmäßigen Zusammenwirken mit der Volksvertretung ausgeübt, die Verwaltungsfunktionen von der Regierung, den ihr unterstellten Verwaltungsbehörden sowie den Kommunalverbänden, die richterlichen Tätigkeiten von den Gerichten. Die Verteilung der Befugnisse unter die gedachten Organe hat aber tatsächlich nicht in der prinzipiellen Weise stattgefunden, wie sie bei der Begründung der konstitutionellen Verfassungen in Aussicht genommen war. Das Prinzip ist aus praktischen Gründen vielfach durchbrochen worden. Die gesetzgebenden Organe üben gewisse Funktionen aus, welche sich ihrem materiellen Gehalte nach nicht als rechtssetzende, sondern als Verwaltungstätigkeiten, die Verwaltungsorgane solche, welche sich ihrem materiellen Gehalte nach als gesetzgeberische charakterisieren. Den Gerichten sind gewisse Verwaltungsgeschäfte, den Verwaltungsorganen zahlreiche Befugnisse der Rechtsprechung übertragen. So haben sich neben den materiellen Begriffen der Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtspflege noch f o r m e l l e Begriffe entwickelt. Bei ihnen kommt es nicht auf den sachlichen Inhalt der betreffenden Tätigkeiten, sondern auf die Formen an, in denen sie auftreten, insbesondere auf die Organe, von denen sie vollzogen werden. G e s e t z i m f o r m e l l e n S i n n e bedeutet jede Anordnung, welche von den gesetzgebenden Organen (der Legislative) ausgeht, in den Formen der Gesetze zustande kommt und in der Gesetzsammlung verkündigt w i r d 3 . V e r w a l t u n g s 241 ff.; Zorn in den AnnDR 1886 301 ff., 1889 344ff., RStR 1 401 ff, 481 ff; bei v. Roenne-Zorn, Preuß. StR 3 (1915) 2, 20, 21; Haenel, Studien zum deutschen Staatsrecht I I : Das Gesetz im formellen und materiellen Sinne; Bornhak, Preuß. StR 1 503 ff; AllgStL 158 ff; Arndt, Das Verordnungsrecht des Deutschen Reichs (1884), Komm, zur preuß. V U (7. Aufl) 242 ff, Das selbständige Verordnungsrecht (1902), RStR 156 ff; vgl. ferner desselben Verfassers Komm, zur Rverf., Staats- und Verwaltungsrecht in Birkmeyers Enzykl. der Rechtswissenschaft (2. Aufl. 1902), Abhandlungen im ArchÖffentlR 15 336 ff, IG 192 ff, 18 156 ff, Z. f. d. ges...Strafrechtswissenschaft 21 259 ff; VerwArch 13 207 ff; 17 351 ff; Zolger, Österreichisches Verordnungsrecht (Innsbruck 1898); v. Roenne-Zorn, Preuß. StR (5. Aufl.) 8 1 ff] 2 Über diese Begriffe vgl. § 8 S. 27 ff. 8 Der Unterschied von Gesetzen im formellen und im materiellen Sinne war schon im römischen Recht von Bedeutung. Vgl. A. Perniee, Formelle Gesetze im römischen Recht, in den Festgaben für Gneist 99ff. Über die Entwicklung des Gesetzesbegriffes im modernen europäischen Staatsrecht vgl. Jellinek, a. a. O. 1 ff. [Über den materiellen Gesetzesbegriff im vorkonstitutionellen preußischen Staatsrecht vgl. Anschütz, Gegenwärtige Theorien 160 ff., namentlich aber Hubrich in den AnnDR 1904 775 ff. Der Unterschied der beiden Bedeutungen des Wortes Gesetz ist in Deutschland seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts hervorgehoben worden, so insbesondere von Paul Pfizer (1836, vgl. Jellinek, a. a. O. 113), v. Rotteck, Linde u. a. (vgl. F. Rosin, Gesetz und Verordnung nach badischem^ Staatsrecht 5 Anm. 5?) Auf die neuere deutsche Staatsrechtswissenschaft sind von
Die Funktionen.
§ 155.
639
a k t i m f o r m e l l e n S i n n e jeden staatlichen Akt, der von den Verwaltungsorganen vorgenommen wird, J u s t i z a k t jeden A k t der Gerichte. I I . [ G e s e t z i m m a t e r i e l l e n S i n n e ist jede Rechtsnorm, jeder Rechtssatz, and gesetzgebende Gewalt in diesem Sinne daher gleichbedeutend mit rechtssetzender Gewalt. Die hierin enthaltene Begriffsbestimmung sieht nur auf den Inhalt, nicht aber auf den Ursprung (die Quelle) und die Form des „Gesetzes". Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob die Rechtsnorm eine geschriebene (ius scriptum), oder eine ungeschriebene (ius non scriptum, Gewohnheitsrecht), und wenn eine geschriebene, ob sie das Erzeugnis der Tätigkeit eines bestimmten Staatsorgans (der Legislative, Gesetz im formellen Sinne, s. oben), überhaupt des Staates ist. Gesetz im formellen Sinne ist jeder Rechtssatz, einerlei woher er
entscheidendem Einfluß gewesen die Ausführungen von v. Stockmar (vgl. oben N. 1) und von Laband, Das Budgetrecht der preußischen Verfassungsurkunde, Berlin 1871, 5 ff., vgl. auch Staatsrecht 2 l f f , 4 577 ff, Kl. A. 114 ff. Nach seinem Vorgange ist die Unterscheidung der Gesetze im materiellen und im formellen Sinne von dem größten Teil der Schriftsteller anerkannt worden. Vgl. Jellinek, a. a. 0 . 226 ff.; H. Schulze, Preuß. StR 2 § 169 S. 9ff., LehrbDStR 1 § 184 S. 519; E. Meier in der Enzykl. (6. Aufl.) 2 639ff.; Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechtes 1124; Ulbrich, Österreichisches Staatsrecht § 144 S. 379 ff.; Proebst, AnnDR 1882 287 ff.; v. Stengel, Organisation der preußischen Verwaltung 7 ff.; v. Sarwey, Allgemeines Verwaltungsrecht in Marquardsens Handbuch 25; G. Meyers Abhandlung über den Seriff des Gesetzes 10ff.; Seligmann, a. a. 0 . lff.; Seydel. Bay. StR 2. Aufl., 306ft., Seydel-Piloty 1 834ff; PraZâk, a. a. 0 . 441 ff; Brie, a. a. 0 . 11 ff.; Dyroff, AnnI)R188J)2; Trieps, Reich und Bundesstaaten 188; O.Mayer, Deutsch. VerwR 1 4; Anschütz, Kritische Studien, sowie die anderen, oben N. 1 zitierten Schriften; Affolter, Allg. StR 70ff, der allerdings den Begriff des formellen Gesetzes weit enger faßt, als dies von der herrschenden Lehre eschieht. Vgl. ferner die oben N. 1 angegebenen Schriften von Fleiner, leischmann, van Calker, Schoen, Kelsen, sowie, als Belege dafür, daß die Unterscheidung zwischen materiellen und formellen Gesetzen auch von der ausländischen Wissenschaft angenommen worden ist: Donati, i caratteri della legge in senso materiale (Camerino 1910); Oreste Ranelletti, principii di diritto amministrativo (Napoli 1912) 1 296 ff. (näheres über die italienische Wissenschaft siehe bei Gmelin, Über den Umfang des Königl. VeroTdnungsrechts und das Recht zur Verhängung des Belagerungszustandes in Italien [1907]), G. Cahen, la Loi et le règlement (Paris 190H), dazu Laband ArchÖffR 18 288; Giron, le droit public de la Belgique (1884), dazu Hubrich A n n D R 1*J04 833N. 3. Auch in der Literatur des rrivatreehts ist die Unterscheidung angenommen worden; vgl. z.B. Gierke, Deutsches Privatrecht 1 129; Dernburç, Preuß. Privatrecht 1 § 15; Endemann, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts 1 § 8 ; Enneccerus-Kipp-Wolff, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts 1 § 32. Gegen die Unterscheidung haben sich erklärt: v.Martitz in der N. 1 angeführten Abhandlung über den Begriff des Gesetzes; Zorn, Staatsrecht 1 404ff.*, ZStWBÖ 11, AnnDR 1S85 304ff., 1889 349 ff.; Kloeppel in d. Preuß. Jahrb. 52 180, Gesetz und Obrigkeit, Leipzig 1891, 88ff.; A. Arndt, Das Verordnungsrecht des Deutschen Reiches, 13; vgl. ferner die in N. 1 angegebenen neueren Schriften dieses Verfassers ; Haenel, a.a.O. 275 ff; Opitz, Çâchs. StR 2 81 N. 5 ; Bornhak, Preuß. StR 1503 ff, Allg. StL 165 ; Gumplowicz, Österr. StR 16. 41 *
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Zweiter Teil.
Drittes Buch.
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stammt, auf welcher Autorität seine Geltung beruht, welches Gewand er trägt Rechtssatz (Rechtsnorm) aber ist jede Vorschrift, welche die Willensmacht mehrerer Willensträger (Personen) wechselseitig abgrenzt, vorausgesetzt, daß ihre Befolgung durch staatlichen Zwang gesichert ist. Gesetz und (objektives) Recht sind demnach, wenn man „Gesetz" im materiellen Sinne versteht, Wechselbegriffe a. Das Gesetz im materiellen Sinne ist ein Begriff nicht eigentlich des Staatsrechts, vielmehr der allgemeinen Rechtslehre, deren Aufgabe es ist, ihn zu fundamentieren und im einzelnen dogmatisch zu entwickeln, insbesondere zu zeigen, worin das Wesen der Rechtsnorm im Unterschied von Normen anderer Art (z. B. den Geboten der Ethik, der Sitte, des Anstandes) beruht. I n der Regel wird das Gesetz im materiellen Sinne sich auf eine unbestimmte Vielzahl von Fällen, nämlich auf alle beziehen, in denen der von ihm abstrakt bestimmte Tatbestand zutrifft, es wird, anders ausgedrückt, a l l g e m e i n gefaßt sein. Doch duldet diese Regel Ausnahmen, die Allgemeinheit ist kein n o t w e n d i g e s Merkmal des materiellen Gesetzesbegriffes. Es kommen legislative Akte vor, welche lediglich ein einzelnes Rechtsverhältnis, einen individuellen Fall ordnen und ihre Kraft an diesem Falle erschöpfen: I n d i v i d u a l g e s e t z e (z. B. Änderung des Thronfolgerechts für einen einzelnen Fall, einmalige Verlängerung der Legislaturperiode eines Parlaments). Sie sind Gesetze in jedem, nicht sowohl im formellen als im materiellen Sinne: R e c h t s n o r m e n .k] a Der materielle Gesetzesbegriff ist erhaben über den Wandel der Staatsformen und Staatsverfassungen, er ist auch unabhängig von dem Wechsel der Auffassungen über das Verhältnis des Rechtes zum Staat. Er ist ein Erzeugnis des Denkens nicht über den Staat, sondern über das Recht Gesetze im materiellen Sinne hat es immer gegeben, wie auch jene Formen, Verfassungen und Auffassungen beschaffen waren. Ebendeshalb zieht sich denn auch der materielle Gesetzesbegriff, die Gleichsetzung von „Gesetz" und „Recht" durch alte und neue Zeiten hindurch. Sie spricht aus der Begriffsbestimmung der Digesten 1. 7 D. 1, 3 legis virtus haec est: imperare, vetare, permittere, punire"; — diese vier Zeitwörter umschreiben das Wesen der Rechtsnorm) wie aus den Quellen des alten deutschen Rechts („Leges": lex ist das R e c h t , nach dem das Volk lebt), sie kommt aber ebenso, vielmehr noch schärfer und klarer zum Ausdruck in dem Sprachgebrauch unserer modernen Gesetzbücher, wonach „Gesetz im Sinne dieses Gesetzes j e d e R e c h t s n o r m ist": vgl. E G zum BGB Art. 2, zur ZPO Art. 12. * A. M. G. Meyer in den Vorauflagen (6. Aufl. 551, 554) und Z. f. d. Privat- und öffentl. Recht 8 1 ff.; er sah in den Individualgesetzen unterschiedslos „Verfügungen" (d. h. Verwaltungsakte) in Gesetzesform, Gesetze im rein formellen, nicht im materiellen Sinne. Ebenso 0 . Mayer, V R 1. Aufl, 1 91 und (nicht so entschieden) 2. Aufl. 1 75; Piloty bei Seydel-Piloty 1838 N. 7 (abweichend von Seydel). Die im Text vertretene Ansicht ist heute herrschend. Vgl. Laband 2 2, 3; Jellinek, Ges. und Verordn. 236 ff.; Rosin, PolVR 4 ff.; Gierke, D P r i v R 1128; Seydel, Bay. StR (2. Aufl.) 2 309; Anschütz, Krit. Studien 22 ff.; Fleischmann im HdbP 1 271 u. a.
Die Funktionen.
§ 155.
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Die Gesetzgebung betätigt sich teils im Erlaß neuer, teils in der Abänderung und Aufhebung bestehender Rechtsnormen c, ferner in der authentischen Interpretation. Letztere erscheint zwar formell als die Auslegung eines Gesetzes, aber sie ist nicht wie die doktrinelle Interpretation an logische Schlußfolgerungen gebunden und daher imstande, neues Recht zu schaffen. Bei der Betrachtung der Gesetzgebung sind verschiedene Arten derselben zu unterscheiden. 1. Unter G e s e t z g e b u n g i m w e i t e r e n S i n n e versteht man die rechtserzeugende Tätigkeit jedes Gemeinwesens. I m e n g e r e n S i n n e bezeichnet man mit G e s e t z g e b u n g nur die rechtserzeugende Tätigkeit des S t a a t e s , [während die der innerstaatlichen Verbände (z. B. der Selbstverwaltungskörper, insbesondere der Gemeinden und anderer Kommunal verbände, ferner der regierenden Häuser und der standesherrlichen Familien) und K o r p o r a t i o n e n im Staate A u t o n o m i e ( S e l b s t g e s e t z g e b u n g ) genannt wird]. Die Autonomie ist demnach eine A r t der materiellen Gesetzgebung. Während die Autonomie in früherer Zeit für die Rechtserzeugung von großer Bedeutung war, ist sie neuerdings hinter der gesetzgeberischen Tätigkeit des Staates mehr und mehr zurückgetreten. Sie beschränkt sich auf die Regelung der inneren Organisation der autonomen Verbände sowie der rechtlichen Stellung der Mitglieder zu denselben. Die Ordnung der Rechtsverhältnisse der einzelnen Privaten zueinander ist dagegen ausschließlich Sache des Staates geworden. Die Staatsgesetzgebung ist der Autonomie ü b e r g e o r d n e t , letztere darf sich nur innerhalb der von der ersteren gezogenen Schranken bewegen. Die K i r c h e stand im Mittelalter dem Staate als gleichberechtigtes Gemeinwesen zur Seite und nahm auch hinsichtlich der Rechtserzeugung eine ihm durchaus ebenbürtige Stellung ein. Dieses Verhältnis hat sich in neuerer Zeit vollständig geändert, die Kirchen sind der Hoheit des Staates ebenso wie andere Korporationen unterworfen worden. Auch die rechtserzeugende Tätigkeit der Kirchen muß die von der Staatsgesetzgebung gezogenen Schranken beobachten. Sie hat den Charakter der Autonomie. Trotzdem bezeichnet man sie in Berücksichtigung der hervorragenden Bedeutung der Kirchen und der in ihnen bestehenden ausgebildeteren Herrschaftsverhältnisse häufig d eben« — einschließlich der Abänderung oder Aufhebung und Norm für den einzelnen Fall durch Statuierung von Ausnahmen in Gestalt von Privilegien oder Dispensationen; vgl. unten 645, §178. Privileg und Dispensation befreien von der Herrschaft einer allgemeinen Norm und setzen ein Sonderrecht für den einzelnen Fall bezw. eine einzelne Person. Befugt hierzu ist nur der, welcher die Norm erlassen hat, der Geber des Gesetzes, oder der, den er dazu ausdrücklich ermächtigt h a t d A m t l i c h angenommen ist der Ausdruck -Gesetz" nur im evangelischen Kirchenrecht (vgl. Schoen, Evangelisches Kirchenrecht in Preußen 2 248 ff., das katholische kennt ihn nicht.
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Drittes Buch.
§ 155.
falls mit dem Ausdruck „Gesetzgebung" und versteht unter Autonomie nur die Rechtserzeugung der engeren Korporationen und Verbände innerhalb der Kirche (Gemeinden, Kapitel, Klöster usw.). 2. I n b u n d e s s t a a t l i c h e n Verhältnissen besteht ein Unterschied zwischen Bundes- (Reichs-) und Staats - (Landes-) gesetzgebung. Die Gesetze der Einzelstaaten sind den Bundesgesetzen untergeordnet; da aber der Bund nur eine beschränkte Herrschaft besitzt, so bezieht sich die Unterordnung lediglich auf die Gebiete der Bundeskompetenz. Auch im deutschen Staatsrecht ist zwischen Reichsgesetzgebung und Landesgesetzgebung zu unterscheiden 4 . 3. Im k o n s t i t u t i o n e l l e n S t a a t e unterscheidet man Gesetze und V e r o r d n u n g e n . G e s e t z e (im formellen Sinne) sind diejenigen allgemeinen Anordnungen, welche unter Mitwirkung der Volksvertretung erlassen werden. Unter diesen Gesetzen nehmen die G r u n d g e s e t z e oder V e r f a s s u n g e n eine besonders hervorragende Stellung ein. Grundgesetz oder Verfassung heißt diejenige Urkunde, welche die Grundzüge der öffentlichen Rechtsordnung enthält und für deren Abänderung erschwerende Formen bestehen. Ihr gegenüber werden alle anderen Gesetze als einfache Gesetze bezeichnet. V e r o r d n u n g e n dagegen sind diejenigen allgemeinen Anordnungen, welche, ohne daß dabei eine Mitwirkung der Volksvertretung stattfindet, lediglich von den Organen der Regierung ausgehen. Die Verfassungen bilden eine Schranke für die Ausübung der Gesetzgebung, die Gesetze für die Ausübung der Verordnungsgewalt. Einfache Gesetze dürfen der Verfassung, Verordnungen den Gesetzen nicht widersprechen. [ I I I . Neben den m a t e r i e l l e n Gesetzesbegriff (oben 639) hat die moderne Staatsentwicklung einen f o r m e l l e n gestellt: Gesetz g l e i c h A k t der L e g i s l a t i v e . „Legislative" aber 4 Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches 1 § 54 S. 11 bezeichnet auch die Staatsgesetzgebung der Einzelstaaten im Bundesstaate als Autonomie. Ihm schließen sich Zorn, StR 1 111 und P. Hensel, AnnDR 1882 22 an. Diese Bezeichnung widerspricht jedoch einem hergebrachten Sprachebrauch. Auch darf nicht übersehen werden 2 daß die Landesgesetzgebung er deutschen Einzelstaaten bedeutende Verschiedenheiten von der Autonomie der Kommunal verbände aufweist. Während diese der Staatsgesetzgebung unbedingt untergeordnet ist, besteht die Unterordnung der Landesgesetzebung unter die Reichsgesetzgebung nur auf den Gebieten der Keichsompetenz. Während die autonomische Tätigkeit der Kommunalverbände sich ausschließlich auf die Regelung der eigenen Verhältnisse der betreffenden Gemeinwesen erstreckt, kann Gegenstand der Landesgesetzgebung auch die Ordnung der Rechtsbeziehungen der einzelnen Individuen zueinander sein. Die übliche Bezeichnung der rechtserzeugenden Tätigkeit der Staaten als Gesetzgebung erscheint demnach auch innerlich gerechtfertigt. Ubereinstimmend: H . Schulze, LehrbDStR 1 516, Preuß. StR 2 6; Rosin, Das Polizeiverordnungsrecht in Preußen 68 N. 1; Jellinek, a.a.O. 259ff.; Gierke, Deutsch. PrivR 1 143.
§
f
Die Funktionen.
§ 155.
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ist das zur Schaffung von Gesetzen im materiellen Sinne (also zur Rechtssetzung) spezifisch, wenn auch nicht ausschließlich berufene Staatsorgan: in der konstitutionellen Monarchie der Monarch im verfassungsmäßigen Zusammenwirken mit der Volksvertretung. Voraussetzung dieses Begriffes des Gesetzes im formellen Sinne ist erstens, daß der Staat die Befugnis y Gesetze im materiellen Sinne zu geben, Recht zu setzen, an sich gezogen hat und zweitens, daß zur Ausübung dieser Befugnis ein besonderes selbständiges Organ besteht. Diese beiden Voraussetzungen sind nicht selbstverständlich, auch nicht immer verwirklicht gewesen. Die erste der beiden bedeutet, daß die rechtssetzende Gewalt als Funktion der Staatsgewalt, das Recht somit als Staatswille erscheint; ein Verhältnis zwischen Staat und Recht, welches nicht überall und stets bestanden hat. Der altgermanische und frühmittelalterliche Staat hat nichts davon gewußt; damals — und in gewissem Sinne das ganze Mittelalter hindurch — »war die gesetzgebende Gewalt in der Staatsgewalt noch nicht enthalten" e . Erst der nach dem Ende des Mittelalters emporkommende monarchische Absolutismus nimmt, mit festem Willen zur Macht und auf römische Anschauungen zurückgreifend, das Recht zur Gesetzgebung im materiellen Sinne für die Staatsgewalt in Anspruch. Bildet so die erste der beiden Voraussetzungen des hier erörterten Gesetzesbegriffes eine Errungenschaft des A b s o l u t i s m u s , so ist die andere — die Verselbständigung der Legislative als eines besonderen, zur Ausübung der rechtssetzenden Macht berufenen Staatsorganes — erst dem K o n s t i t u t i o n a l i s m u s zu danken. Das Grundprinzip des konstitutionellen Staates fordert die organische Trennung der rechtssetzenden (gesetzgebenden) von der rechtsanwendenden (richterlichen und vollziehenden) Gewalt. Der den Absolutismus kennzeichnenden Vereinigung der beiden Gewalten in der Hand des Herrschers wird, mit der Begründung, daß solche Vereinigung die Freiheit vernichte (Montesquieu) f , „daß eine Regierung, welche zugleich Gesetze gibt, despotisch zu nennen wäre" (Kant) die Forderung der Teilung der Gewalten entgegengesetzt: eine Opposition mit zunächst wissenschaftlichem, schließlich praktischem Erfolg. Der absolute Staat wird nach dem Richtmaß der Gewaltenteilung umgestaltet, der Monarch beim Erlaß von Gesetzen im materiellen Sinne, also bei Ausübung der rechtssetzenden Gewalt an die Zustimmung einer Volksvertretung gebunden und so für diese oberste der Staatsfunktionen ein besonderes Organ, die L e g i s l a t i v e , geschaffen, ein Organ, dessen Willen für Alle im Staat, das Volk wie den Monarchen, gleicherweise verbindlich und unverbrüchlich ist. Damit war erst die Möglichkeit von ® Sohm, Fränkische Reichs- und Eechtsgeschichte 1 102. * Oben § 8 Anm. e, § 54.
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Zweiter T e i l
Drittes Buch.
§ 155.
„Gesetzen im formellen Sinne" gegfeben: Gesetze im formellen Sinne sind alle von der konstitutionellen Legislative — in Deutschland von dem Träger der Staatsgewalt im verfassungsmäßigen Zusammenwirken mit der Volksvertretung — ausgehenden, in dem für die Legislative verfassungsmäßig vorgeschriebenen Verfahren erlassenen Staatsakte. Diese Akte, sie alle und nur sie, sind und heißen „ G e s e t z e " , d.h. Gesetze im formellen Sinne. Sie führen diesen Namen lediglich um ihres Ursprungs und ihrer Form willen, ohne Rücksicht auf ihren Inhalt, der aus Gesetzen im materiellen Sinne, Rechtsnormen, bestehen kann, in der Regel bestehen wird, aber nicht bestehen muß. Das Gesetz im formellen Sinne ist der oberste Wille im Staat, in ihm zeigt die Staatsgewalt die höchste Steigerung ihres Könnens. Hieraus ergeben sich mehrere Folgerungen. 1. Rechtliche Schranken bestehen für die formelle Gesetzgebung nur insofern, als die Staatsgewalt überhaupt rechtlich beschränkt ist. Letzteres trifft zu für die Gliedstaaten eines Bundesstaates, mithin auch für die deutschen Einzelstaaten und die ihnen zustehende gesetzgebende Gewalt, welch1 letztere durch die Reichsgesetze und die Pflichten des Einzelstaats gegenüber dem Reich beschränkt ist g, während die Gesetzgebungshoheit des Reichs als Betätigung einer souveränen 11 Gewalt keiner rechtlichen Beschränkung unterliegt i. Nicht dasselbe Verhältnis wie zwischen Landes- und Reichsgesetzgebung herrscht zwischen den einfachen formellen Gesetzen eines staatlichen Gemeinwesens (Land, Reich) und der V e r f a s s u n g desselben Gemeinwesens: es besteht bei u n s k keine besondere, von der gesetzgebenden Gewalt getrennte, ihr rechtlich übergeordnete verfassunggebende Gewalt. Verfassungsund einfaches Gesetz verhalten sich zu einander nicht wie das Reichs- zum Landesgesetz oder wie das Gesetz zur Verordnung 1 . Verfassungsgesetz und einfaches Gesetz gelten im Reich wie in den Einzelstaaten als Äußerungen e i n e r u n d d e r s e l b e n Gewalt: der Legislative; die Verfassung steht demnach nicht über der Legislative, sondern zur Disposition derselben 311. Freilich müssen die als „Legislative" zusammenwirkenden staatlichen Willensträger, Regierung und Parlament, die in der Verfassung enthaltenen Formvorschriften, namentlich auch, gegebenenfalls, g "Vgl. unten § 167. t Oben § 14 S. 50. i Es ist nur die Rede von staatsrechtlichen Beschränkungen; die auf dem V ö l k e r r e c h t beruhenden Schranken der Staats- und damit auch der gesetzgehenden Gewalt bleiben hier unerörtert. Vgl. dazu Triepel, Völkerrecht und Landesrecht 268 ff. k — im Gegensatz zu manchen fremden Staaten, z. B. Nordamerika; vgl. unten § 173. 1 Unten § 159. m Vgl. unten § 158, S. 662; Anschütz, Enzykl. 166, Kommentar zur preuß. V Ü 1 66.
Die Funktionen.
§ 155.
645
die für Verfassungsänderungen geltenden besonderen Vorschriften beachten, wobei es dann wieder eine Frage für sich ist, wer die behauptete Nichtbeachtung nachzuprüfen hat und ob die Nichtbeachtung Ungültigkeit des betreffenden legislativen Aktes bewirkt n . Die früher vielfach aufgestellten Grundsätze, daß der Gesetzgeber nicht in „wohlerworbene Rechte" eingreifen und seinen Anordnungen keine rückwirkende Kraft beilegen dürfe, sind keine Rechtsschranken der Legislative, sondern lediglich Forderungen der Gesetzgebungspolitik, und zwar solche, die keineswegs immer und unter allen Umständen berechtigt sind 0 . 2. Die Form des Gesetzes bewirkt den V o r r a n g P der in ihr Gewand gekleideten Staats Willensäußerungen vor allen andern; der Wille der Legislative geht jedem andern innerstaatlichen Willen, sei es, daß dieser von Privatpersonen oder Staatsorganen, Einzelnen oder Gesamtheiten ausgeht, unbedingt vor. Insbesondere gilt dies im Verhältnis des Gesetzes im formellen Sinne zu den Anordnungen der Verwaltungsorgane (Verordnungen und Verfügungen). 3. Ein formelles Gesetz kann nur von dem, der es erlassen hat, also der Legislative, durch ein neues formelles Gesetz aufgehoben, abgeändert, authentisch ausgelegt und durch Ausnahmen (Privilegien, Dispensationen Vgl. oben § 146 S. 595. 43*
67
Zweiter Teil.
anweisung den gegeben Originals, drucks,
Stellen,
wird,
sei
durch
welche
die
der verordnenden
Zustellung
oder
einer andern
sich
nicht
sondern
der Untertanen setzungen
(§
verhältnisse der
innerhalb
in
der Untertanen erlassen
grundsätzlich
für
Ermächtigung
mächtigung
kann
Fällen
durch durch
Allgemeine bezug
auf:
ein
Stellen
zufolge
Ab-
Druck-
Anweisung halten
entweder
diejenigen
Da
Eigentum nach
der
Verordnungen, Verwaltung
(„den
den früheren
Vorschriften,
Auseinander-
welche
die
Rechts-
z u m Gegenstande haben, n u r i m werden
können,
ausgeschlossen für in
zulässig
zu
so s i n d und
oder
für
Wege
Rechtsverord-
nur
auf
erachten6.
Grund
Diese
bezug a u f einen einzelnen
spezielles Gesetz
be-
Rechtsstand")
Er-
Gegen-
gewisse Klassen
von
eine allgemeine gesetzliche V o r s c h r i f t erteilt werden gesetzliche a)
Verordnungen, und
eines
vorgesetzten Stelle z u
heißen
und
allgemeine
gesetzlicher stand
oder
in den periodischen
des O r g a n i s m u s
Freiheit
eingreifen.
157)
Gesetzgebung
nungen
bekannt-
handschriftlichen
einer Abschrift
nachgeordneten
2. R e c h t s v e r o r d n u n g e n wegen,
amtlich
des
sind0.]
verpflichtet welche
Vorlegung
s e i es d u r c h V e r ö f f e n t l i c h u n g
schriften,
§ 159.
a n d i e sie s i c h r i c h t e t ,
es
s e i es d u r c h
Drittes Buch.
Ermächtigungen
bestehen
namentlich
A u s f ü h r u n g s v e r o r d n u n g e n , welche
Handhabung
nähere
v o n Gesetzen
Vorschriften enthalten8;
über b)
d. die
h.
7
.
in
solche
Vollziehung
P o l i z e i v e r o r d -
c Schoen, HdbPol 296, 297; Fleiner 64; v. Seydel-Piloty, Bayr. StR 1 858. 6 Anderer Ansicht die § 157 Anm. a (S. 653) erwähnten Schriftsteller, insbesondere Arndt, Bornhak, Zorn. Übereinstimmend: v. Holtzendorff in EnzyklRWiss (5. Aufl.) 1122; Rosin, a. a. 0 . 3 2 ff. ; v. Sarwey, Württ. StR 2 10; P. Roth, Deutsches PrivR 1 252 und 253; Haenel, Organisatorische Entwicklung 64; H. Schulze, Preuß. StR 2 27; Seligmann, Begriff des Gesetzes 113 ff; Seydel-Piloty, Bayr. StR 1853if.; Anschütz, Krit, Stud. 88, Gegenw. Theorieen 19, Enzykl. 162; 0 . Mayer, V R (2. Aufl.) 1 85; Meiner, a. a. 0 . 72 ff.; Schoen, HdbPol 1 294; und die § 155 N. 1 Abs. 1, § 157 N . a zitierten Schriftsteller. 7 Völlig unbegründet ist die Behauptung v. Rönnes, Preuß. StR 1 § 89 S. 356, StRÖR 2 § 65 S. 13, daß eine derartige Ermächtigung verfassungsmäßig unzulässig sei. Vgl. dagegen auch Laband, StR 2 96; Rosin, a. a. 0 . 32 N. 1; Arndt, VerordR 16 ff.; Jellinek, Gesetz und Verordnung 333; Haenel, Deutsches StR 1 297; Schwartz, a. a. O. 199 ff; Anschütz, Gegenwärt. Theorieen 17; Fleiner, a. a. 0 . 71. [Die Ermächtigung kann auch in allgemeinen Rechtsvorschriften aus der Zeit vor der Verfassung — vorkonstitutionellen Gesetzen — enthalten sein. Vgl. Anschütz, Gegenw. Theor. 69, 70, 174, 175 und die dort, 174 N. 173 zitierten; dazu Hubrich, AnnDR 1907 82, v. Martitz in der Berliner Festgabe für Gierke (1910) 1 202.1 8 Preuß. Verf. Art. 45, Sächs. Verf. § 87, Württ. Verf. § 89, Bad. Verf. 66, Hess. Verf. Art. 73, S.-Kob.-Goth. StGG § 128, Braunschw. NLO § 101, ld StGG Art. 5, Reuß ä. L. Verf. § 67, Reuß j . L . StGG § 42, Schaumb.Lipn. Verf. Art. 7, Wald. Verf. § 8. Diese Bestimmungen sind in der ersten Auflage des vorliegenden Werkes lediglich auf VerwaltungsVerordnungen bezogen worden. Tatsächlich werden die Ausführungsverordnungen allerdings überwiegend den Charakter von Verwaltungsverordnungen besitzen. Aber nach dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der betreffenden
Die Funktione. n u n g e n
(§160);
verordnungen tanen
haben
c) N o t v e r o r d n u n g e n
bedürfen,
mit
begrifflicher
wie
die Publikation
seiner zu
Notwendigkeit
in
Kraft
[Die für
Rechts-
die
Unter-
welche indessen
nicht
derselben Weise erfolgen
muß,
der formellen Gesetze (oben 665).
Soweit
die
der Rechtsverordnungen nicht durch Gesetz oder d u r c h
Verordnung ordnenden
(§161).
d a sie v e r b i n d l i c h e
sollen, d e r V e r k ü n d i g u n g ,
Publikation
7
§ 16.
einer Organ
höheren frei,
Verordnungen
Stelle
über
geregelt
Ort
allgemein
und
oder
im
ist,
Art
s t e h t es d e m der
Einzelfalle
ver-
Verkündigung Bestimmung
t r e f f e n d.]
§ 160. P o l i z e i v e r o r d n u n g e n der Polizeibehörden, Personen
unter
welche
Androhung
1
den von
sind
allgemeine
Anordnungen
ihrer
Herrschaft
unterworfenen
Strafen
gewisse H a n d l u n g e n
ge-
Verfassungsvorschriften ist es nicht möglich, sie darauf zu beschränken. [Die Ausführungsverordnung kann auch Rechts Verordnung sein: sie darf sich nicht nur instruktionsmäßig an die Staatsorgane, sondern auch rechtssatzmäßig an die Individuen wenden. Dabei sind indessen die aus ihrem Wesen folgenden Schranken innezuhalten: die Ausführungsverordnung darf immer nur wollen, was das sie veranlassende Gesetz w i l l , alles das, aber nichts anderes und nicht mehr.] Vgl. auch Rosin, a. a. 0 . 35 N. 5; Arndt, a.a.O. 76ff., Komm. z. preuß. Verf. (7. Aufl.) 188ö.: H. Schulze, Preuß. StR 2 28: O.Mayer, V R 1 (2. Aufl.) 85; Schwartz, a. a. O. 131; Anschüte, Gegenwärtige Theorien 17ff., Enzykl. 165; van Calker, KrVJSchr a. a. 0 . 103, 104; Schoen, HdbPol 1 299, 300; v. Roenne-Zorn, Preuß. StR 3 20. Dieser Meinung neigen wohl auch Jellinek, VerwArch 12 266ff., sowie (mit Vorbehalten) Bornhak, Preuß. StR 1 476 , 477 zu. Dagegen verlangen für den Erlaß von Rechtssätzen in Ausführungsverordnungen eine speziell gesetzliche Delegation: Haenel, Gesetz 283; Jellinek, a. a. O. 379ff d A. M. G. Meyer in der Vorauflage (574); danach sind alle Rechtsverordnungen, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich ein anderes vorschreibt, ebenso zu verkündigen wie die formellen Gesetze: durch Abdruck in dem für die Publikation der letzteren bestehenden Organ (Gesetzsammlung, Gesetzblatt usw.). Diese Ansicht unterstellt, daß in den Gesetzen, welche die Verkündigung der v Gesetze" im Gesetzblatt anordnen, das Wort „Gesetz" im m a t e r i e l l e n Sinne gemeint sei (vgl. oben § 155 S. 673ff.), eine Unterstellung, die mit dem Willen des Gesetzgebers nicht im Einklang steht. Hauptvertreter dieser, außer von G. Meyer u. a. noch von Haenel, Organisatorische Entwickl. 65, 77 ff; Binding, StrR 1 207; Jellinek, Ges. und Verord. 394; Gierke, DPrivR 1 133; Piloty (bei v. Seydel-Piloty), Bayr. StR 1 867 Anm. 15 geteilten Auffassung ist Laband, StR 2 108 ff., ArchÖffR 18 305 ff. Dagegen wie jetzt im Text: Loening, V R 239 Anm. 1; Arndt, VerordR 182 ff, Komm. z. preuß. Verf. (7. Aufl.) 364, 365, RStR 206; Rosin, Recht der Arbeiterversicherung 1 104 N. 9; Seydel, Bayr. StR (2. Aufl.) 2 345, Komm, z. R V , zu Art 2 N. I I I ; Schwartz, Preuß. Verf. 335; Anschütz, W S t V R 3 675; Schoen, HdbPol 1 296; das R e i c h s g e r i c h t , R G Z 40 68ff, 48 84ff. (beide Entscheidungen betreffen Verordnungen des B u n d e s r a t e s : deren JPublikation im „Zentralblatt für das Deutsche Reich" wird für ausreichend, die — von Laband geforderte — Verkündigung im R G B l nicht für erforderlich erachtet; gegen die Entscheidungen richtet sich die oben zit. Abhandlung Labands, ArchÖffR IS 305 ff). 1 Rosin, Das Polizei verordnungsrecht in Preußen (2. Aufl. 1895), W S t V R 3 119 ff, VerwArch 8 249 ff; Gneist, Art. Polizeiverordnungen in v. Holtzen-
Zweiter Teil.
67 bieten
oder verbieten.
recht in der
Form
Ein
in
strafrecht
entwickelt.
Rechtsordnung öffentlichen
aufrechtzuerhalten,
Sicherheit
und
Verschiedenheiten
auf.
Institutionen
das
trat
Dies
code pénal,
Vertretungs-
Strafandrohung
des n e u n z e h n t e n
zu2.
geschah
sollte dieses d e n
Wohlfahrt
beruhend, Mit
der
dienen.
wies
„Polizei-
hervor,
in Frankreich
die
Zwecken
der
Erlassen
der
Auf
es d i e g r ö ß t e n
Einführung
Bestreben
in Deutschland
teils d u r c h
Jahr-
Infolgedessen hatte sich
W ä h r e n d jenes m e h r die A u f g a b e hatte,
einzelnen Polizeibehörden
bücher8,
bis z u m B e g i n n
und
mit
„peinlichen R e c h t " ein besonderes sogenanntes
41
fixieren.
1 .
Anordnungen
sehr umfassendem M a ß e
neben dem
§
solches Gebietungs-
allgemeiner
stand den Polizeibehörden hunderts
Drittes Buch.
örtlichen
verfassungsmäßiger
dasselbe
durch
gesetzlich
das v i e r t e B u c h
zu des
teils d u r c h besondere Polizeistrafgesetz-
bestimmte
Abschnitte
der allgemeinen
Straf-
gesetzbücher4. Die weil
gesetzlichen Vorschriften
die Verschiedenheit
dürfnis ließ.
der
besonderer Bestimmungen
Deshalb
ist i n
beigelegt,
auftrags
a
allgemeine
für
innerhalb
und der
zu
nirgends
aus,
ü b e r a l l das Behervortreten
der meisten Staaten
den
höheren Verwaltungsbehörden
das
Grenzen
ihres
die ihnen unterstellten Bezirke
Vorschriften
jedoch
mit lokaler Geltung
den Gesetzgebungen
O r t s p o l i z e i b e h ö r d e n Recht
reichten
örtlichen Verhältnisse
erlassen5.
[Der
polizeilichen oder Teile
Umfang
der
Amts-
derselben den
zu-
dorffs R L e x ; Meyer-Dochow, V E (4. Aufl.) 1 19ff; Fleiner, lnstit. 75 ff.; v. Roenne-Zorn, lrreuß. StR 3 32 ff.; Thoma, Der Polizeibefehl im badischen. Recht, insbesondere 325 ff.; Schoen in derEnzykl. 4 261 ff., HdbPol 1300ff.; Julius Friedrich, Das Recht der Polizeiverordnung und der Polizeiverfiigung, im Handbuch des kommunalen Verfassungs- und Verwaltungsrechts in Preußen; Friedrichs, Das Polizeigesetz (Komm. z. preuß. G. über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850), insbesondere 72 ff;, Komm, z. LandesverwG (1910) 324 ff.; W . Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung (1913). — Literatur über das Polizeiverordnungsrecht der deutschen Mittelstaaten gibt Rosin, W S t V R 8 123; dazu noch v. Seydel-Piloty, Bayr. StR 1 854 ff. 2 L . v . Stein, V e r w L T . I V 36 ff.; Gneist, Rechtsstaat 113ff.: Rosin, a. a. O. 37 ff. 8 So in den süddeutschen Staaten. Bayr. PolizeiStrGB vom 26. Dez. 1871. Ergänzung durch G. vom 12. Mai 1898. Württ. PolizeiStrGB vom 2. Okt. 1839, AbändGG vom 27. Dez. 1871, 4. Juli 1898, Bad. PolizeiStrGB vom 31. Okt. 1863 mit zahlreichen späteren Abänderungen, Hess. PolizeiStrGB vom 10. Okt. 1871, Nachtr. vom 27. Nov. 1872, Ergänzung durch G G vom 21. Dez. 1881, 26. Juni 1889, 25. Febr. 1895. * Preuß. StrGB vom 14. April 1851 §§ 332 ff. a Über den Begriff der Polizei vgl. unten §§ 176, 178. 6 P r e u ß . G. über die Polizeiverwaltung vom 11. März. 1850 §§ 5, 6, 11, V . über die Polizeiverwaltung in den neu erworbenen Landesteilen vom 20. Sept. 1867 §§ 5—17, KrO vom 19. März 1881 § 62, Preuß. G. über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 §§ 136—145, G. vom 12. Juni 1889 § 3; L a u e n b . G. über die PolizeiVerwaltung vom 7. Jan. 1870 §§ 6, 8 , 11; B a y r . PolStrGB vom 26. Dez. 1871 Art. 1—15; Sächs. G. votn 28. Jan. 1835 § 2. StO §§ 101, 102, StO für mittlere und kleinere Städte A r t I V § 8 , L G O § 72; W ü r t t . G. vom 27. Dez. 1871 Art. 51—57; B a d .
Die Funktione. ständigen schieden.
Behörden
übertragenen
Nach manchen
mächtigung
zum Erlaß
Angelegenheiten
und
§ 16.
7
Verordnungsgewalt
Gesetzgebungen1»
erstreckt
ist
v o n Polizeiverordnungen nur auf
Tatbestände,
welche
Nahrungsmitteln,
der
S p e z i a l d e l e g a t i o n e n ) c,
das ermächtigende
liche Beschränkung licher
Regelung
delegation)6. nach
spruch
des
Gesetz
delegation feststellung
unterliegt
waltet
für
Ge-
(System
bezw. Verbots
den Übertretungsfall
enthalten),
während
verordnungsberechtigten
auch die A n d r o h u n g
lich bestimmten
(System
gegenständ-
Grenzen
der
der
General-
eine Verschiedenheit folgenden
sich auf die Normfeststellung,
selbst den
Sonntagsruhe ohne solche
der Spezialdelegationen
polizeilichen
(die Strafdrohung den
Fürsorge insofern
Prinzip
die Verordnung
d
Ge-
Handel
a u f a l l e s , w a s ü b e r h a u p t u n d s o w e i t es p o l i z e i -
und
Auch
den dem
Theateraufführungen, nach a n d e r n
Er-
bestimmte
setz e i n z e l n u n d n a m e n t l i c h a u f z ä h l t , z. B . S t r a ß e n v e r k e h r , mit
ver-
sich die
d.h. zu
auf den
das
System
Strafe
als
Aus-
beschränken
ist in dem
Stellen
ob,
Gesetzen hat
ermächtigender
General-
außer
der
Norm-
innerhalb
der
gesetz-
überläßt*.
PolStrGB vom 31. Okt. 1863 §§ 23—29; Hess. KrO und PrO vom 8. Juli 1911 Art. 64, 65, 93, 117, StO Art. 126 b; S . - W e i m . Gr. über das Strafandrohungsrecht der Polizeibehörden vom 7. Januar 1854, Nachtrag vom 7. April 1869; S . - M e i n . G 0 vom 10. März 1897 Art. 8; S.-Alt. V , die Erweiterung des Geschäftskreises und der Kompetenzen der Kreishauptleute betr., vom 17. Okt. 1865, G., die Organisation der Verwaltung in den unteren Instanzen betr., vom 13. Juni 1876 § 5, G.. betr. die Einführung des Instituts der Amts Vorsteher, vom 13. Juni 1876 § 10, StO vom 10. Juni 1897 § 6 2 , 5 . - G o t h . G. über die Organisation der Verwaltungsbehörden vom 11. Juni 1858 §§ 8, 28, 31, 34; S.-Kob. G. über die Organisation der Verwaltungsbehörden vom 17. Juni 1858 §§ 8, 27, 30, 33; B r a u n s c h w . KrO § 7, StO §§ 2, 100, LGO §§ 4, 74; O l d . G., die Organisation des Staatsministeriums uud einiger demselben untergeordneten Behörden betr., vom 5. Dez. 1868, G., betr. die Einrichtung der Ämter, vom 7. Jan. 1879 Art 4, GO Art. 35; A n h . G. über die Polizeiverwaltung vom 1. Juli 1864 ߧ 10, 18, 22, 23, G., die Bildung von Amtsbezirken betr., vom 7. April 1878 § 8 ; S c h w . - S o n d h . V., betr. die Befugnis der Polizeibehörden, allgemeine Strafandrohungen zu erlassen, vom 29. März 1854; S c h w . - R u d . G., betr. das Strafandrohungsrecht der Polizeibehörden und den Erlaß polizeilicher Verordnungen, vom 6. Dez. 1892 §§ 3—10; R e u ß j. L . G. betr. das polizeiliche Verordnungsrecht. vom 7. Jan. 1902; S c h a u m b . - L i p n . StO § 52, G. vom 18. Dez. 1873, G. über die Polizeiverwaltung vom 22. Mai 1882 §§ 1—5; L i p p . StO § 73; W a l d . KrO §§ 29, 88, 89, G., Detr. die Befugnisse der Landespolizeibehörden zum Erlaß von Polizeiverordnungen, vom 13. Jan. 1875. * So insbesondere nach den Polizeistrafgesetzbüchern Bayerns, Württembergs, Badens; vgl. die Angaben in Anm. 5. c Vgl. Rosin PolVR § 16 S. 82 ff. d So namentlich in Preußen und Sachsen. VgL Anm. 5. e Rosin, a. a. O. 84 ff. * Rosin, a. a. O. 74ff.; Fleiner, Instit. 76ff. — Beispiel: Preuß. G. über die Polizeiverwaltung vom 11. März 1850, § 5: „Die mit der örtlichen Polizeiverwaltung beauftragten Behörden sind b e f u g t . . . Vorschriften zu erlassen und gegen die Nichtbefolgung derselben Geldstrafen bis zum Betrage von 9 Mark anzudrohen".
67
Zweiter Teil. In
den
Recht
zum
behörden
mittleren Erlaß
und
und
von
dem
D r i t t e s Buch.
kleineren
sehr
Monarchen
zu.
ordnungsrecbt Die
des K ö n i g s
was
Nach
den
an
es i n
einem
widerspricht.
Kenntnisnahme
gebungen Behörde
oder
ganz.] dürfen
werden.
Nach
einzelnen
erst v o l l s t r e c k b a r ,
bestimmter Zeit
sie a u s d r ü c k l i c h
entweder
bestätigt
wenn
Kraft
Durch
zu
d e u t u n g
hat
Überall
besitzen
und
hat der U n t e r s c h i e d
p o l i z e i l i c h e m
nicht
v e r l o r e n g .
Charakter7.
Das Reichsstrafgesetzbuch Durch
bloß* H a n d l u n g e n ,
Sicherheit enthalten, verletzungen ordnungen
sind,
dieser
Art
Strafe
eine
enthält
Verordnungen
Gefahr
bedroht.
liegt lediglich und
besteht, nicht
derselben,
Stellen
alle
für
die
in der
in
Höhe
Die der
Schranke
örtlichen
polizeiwerden Rechts-
für
Ver-
Ausdehnung
des Strafmaßes.
Ebenso
welches für die A b u r t e i l u n g gewisser
d u r c h die besondere materielle
sondern
Beneben
öffentliche
sondern a u c h solche, w e l c h e w i r k l i c h e mit
des Geltungsbereiches
heit
polizeiliche
welche
ist das abgekürzte Verfahren, Vergehen
erdie
zwischen
S t r a f r e c h t
den strafrechtlichen B e s t i m m u n g e n solche v o n unzweifelhaft lichem
höhere
keinen Widerspruch
setzen.
diese Gesetzgebungen
k r i m i n e l l e m
nichts
Gesetz-
die
höheren Behörden die Befugnis, Verordnungen der niederen außer
der Ver-
Sie müssen den höheren B e h ö r d e n
vorgelegt
s i n d sie ü b e r h a u p t binnen
Gesetz-
(d. h.
polizeilichen
Preußen
das
Zentral-
der preußischen
der Zentralbehörden
und
fehlt
Staaten steht
auch
den bestehenden Gesetzen oder den V e r o r d n u n g e n
höherer Behörden
hoben
deutschen
orts- b z w . bezirkspolizeilichen V e r o r d n u n g e n
bestimmen, zur
begrenzt6
eng
1 .
Polizeiverordnungen
g e b u n g ist das einschlägige R e c h t Minister
§
lediglich
durch
die
Höhe
Beschaffender
Strafe
bedingt.
§ 161. [ N o t v e r o r d n u n g e n
1
sind Verordnungen
m i t formeller
Ge-
setzeskraft (gesetzvertretende Verordnungen), welche v o m Monarchen erlassen w e r d e n ,
6
wenn
ein dringender
N o t s t a n d das
Tätigwerden
L V G v o m 30. J u l i 1883, § 136-, v g l . Rosin, a. a. 0 . 188 ff. g V g l . Rosin, A r t . Polizeistrafrecht i m W S t V R 3 112 ff. ( L i t e r a t u r das. 118). — J . Goldschmidt, D a s Verwaltungsstrafrecht, 1902, vgl. auch desselben Verfassers B e i t r a g z u r Festgabe der B e r l i n e r J u r i s t e n - G e s e l l s c h a f t für D r . R i c h a r d K o c h , 1903 [weitere Schriften Goldschmidts siehe b e i Rosin, a. a. 0 . 128] h a t den V e r s u c h unternommen, die herrschende T h e o r i e über die rechtliche N a t u r des sogenannten Polizeiunrechts z u w i d e r l e g e n u n d den sonst fast allgemein geleugneten begrifflichen Gegensatz zwischen „Justiz-" u n d „Verwaltungsstrafrecht" a u f neuer G r u n d l a g e z u rekonstruieren. Vgl. h i n g e g e n aber die schwerwiegenden kritischen B e d e n k e n 0 . Mayers, V e r w A r c h 1 1 3 4 8 f f . ; L a m p s , A r c h O f f R 18 104ff.; Fleiners, I n s t i t . 206; Schultzensteins, V e r w A r c h 1 1 149; T h o m a , Polizeibefehl i m badischen R e c h t 1 85. 7 N a m e n t l i c h i m A b s c h n i t t 27 r / gemeingefährliche Verbrechen u n d V e r gehen" u n d i m A b s c h n i t t 29 „Übertretungen". 1 Bischof, D a s N o t r e c h t der Staatsgewalt i n Gesetzgebung u n d R e g i e -
Die Funktione. der daß
Legislative die
gebietet,
Legislative
arbeiten
würde.]
Monarchen fast
überall aber in Zeiten ist
dahin beschränkt
erlassen
und
daß
Genehmigung
dürfen
in
die K r a f t
von
ändernden
sie
Gefahr der
dem
Gesetzen
und [Der
wo
sind2.
werden
läßt
—
Gesetzgebung
der
zu
daß
Die
ist d e m
beigelegt, nicht
zur
Notverordnungen als
p r o v i s o r i s c h e Umfang
verschieden.
des Als
im
gewöhnlichen Verlauf
setzes b e d ü r f e n .
—
nicht
verfassung-
sonach bei sonst
und
Sachsen
8
.
ändernde
W e i t e r B a d e n
Bestimmungen können4
—
im
enger
reicht und
werden
der F o r m
So das geltende R e c h t
W ü r t t e m b e r g , werden
erlassen
der D i n g e
zutreffen-
das der
können,
durch welche
des ( e i n f a c h e n )
insbesondere
in
wo
auch
in
verfassung-
Notverordnung
i s t es b e g r e n z t
Ge-
Preußen
Notverordnungsrecht
Hessen,
Wege
Not-
Durch-
daß das N o t v e r o r d n u n g s r e c h t
einfachen
erstreckt,
alle Vorschriften
be-
Sie haben
den Voraussetzungen (Notstand, nicht versammelter Landtag) Notverordnung
ver-
nachträg-
aller Minister.
auch
ist,
langsam
Notverordnungen
der Landtag
gegenständliche
sich bezeichnen,
Gegenstände
Verzuge
z u erlassen,
nächsten Landtage
ist partikularrechtlich
alle
im
Lage
ausdrücklich
worden,
dürfen,
vorzulegen
bezeichnet.
schnittszustand auf
werden
der Regel der Gegenzeichnung
verordnungsrechts sich
derart
Bedürfnisse
die meisten Verfassungen
lichen
Gesetze
die
Das Recht Notverordnungen
durch
nur
sammelt
indessen
für
77
§ 16.
getroffen
in B a y e r n ,
wo
es
rung, historisch und dogmatisch dargestellt (1860); L. Spiegel, Die kaiserlichen Verordnungen mit provisorischer Gesetzeskraft nach österreichischem Staatsrecht (1893); F. Glatzer, Das Recht der provisorischen Gesetzgebung, insonderheit nach preußischem Staatsrecht (1899); Hatschek, Der Ursprung der Notverordnung. Ein Beitrag zur Rezeptionsgeschichte des englischen Staatsrechts, in Grünhuts Ztschr., 27 1 ff.; Friedmann, Geschichte und Struktur der Notstands Verordnungen, unter besonderer Berücksichtigung des Kirchenrechts. (1903); Hansel, Die Notverordnung nach deutschem Staatsrecht (Rostocker rechtswissenschaftliche Studien, I I , 2,1904); Schoen im HdbPol 1302ff.; Menzel in der Festgabe £ Laband (190*), 1367ff., v. Roenne-Zorn, Preuß. StR 3 21ff.; Neubürger, Die Notverordnung nach bavr. StR (1905); Rob. Held, Das württembergische Notverordnungsrecht unter Vergleich mit dem Notverordnungsrecht anderer Staaten (Diss. Tübingen, 1905); Glockner, Über provisorische Gesetze (Notverordnungen), Ztschr. für badische V . 1916, Nr. 18—16 (auch besonders erschienen). * Preuß Verf. Art. 63, Bayr. PolStrGB vom 21. Dez. 1871 Art. 9, Sächs. Verf. § 88, Württ. Verf. § 89, Bad. Verf. § 66, Hess. Verf. Art. 73, S.-Weim. R G B § 61, S.-Kob.-Goth. StGG $ 130, Old. StGG Art. 137, Braunschw. N L O § 120, Anh. LO § 20, Schw.-Sondh. L G G § 39, Schw.-Rud. G G § 25, Reuß ä. L . Verf. § 67, Reuß j. L . StGG § § 6 6 und 67, Lipp. G. vom 8. Dez. 1867 § 3, Schaumb.-Lipp. Verf. Art. 31, Wald. Verf. § 7. 8 Preuß. Verf. Art. 63, Sächs. Verf. § 88. — I n Preußen nimmt die herrschende Meinung an, daß der W e g der Notverordnung in den Fällen ausgeschlossen sei, wo die Verfassung ausdrücklich ein „mit vorheriger Zustimmung der Kammern zu erlassendes Gesetz" fordert, wie z. B. in den Art. 94, 95. Vgl. unten N. 6. * Württ. Verf. § &9, Bad. Verf. § 66, Hess. Verf. Art. 73. Vgl. Göz, Württ. StR 218; a. M. Glatzer, a. a O. 30 Anm. 5; Wielandt, Bad. StR 168 trägt in den § 66 der Bad. Verf. Unterschiede hinein, welche dieser Gesetzestext nicht kennt. Richtig Walz, Bad. StR 216; Glockner, a.a.O. (Sonderabdruck) 17 ff.
67
Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§
1 .
nicht mehr und nichts anderes darstellt als ein qualifiziertes Polizeiverordnungsrecht, der A r t , daß die Notverordnung nur polizeiliche Vorschriften mit Strafandrohung, nicht aber z. B. privatrechtliche Normen enthalten darf 6 . Das Verordnungsrecht erstreckt sich auch auf solche Gegenstände, welche die Verfassung ausdrücklich der Regelung „durch Gesetz" oder „im Wege der Gesetzgebung" überweist; es ist in dieser Beziehung staatsrechtlich gleichgültig, ob der Vorbehalt des Gesetzes auf allgemeinen Grundsätzen (oben § 157) oder auf speziellen Vorschriften der Verfassung beruht 6 . Die Notverordnungen sind unter Kenntlichmachung ihrer Eigenschaft als Notverordnung, z. B. unter Bezugnahme auf die zum Erlaß solcher Verordnungen ermächtigende Verfassungsbestimmung, wie formelle Gesetze zu verkündigen. Sie sind dem Landtage bei seinem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung vorzulegen». Erteilt der Landtag die Genehmigung, so bleibt die Verordnung als ein nunmehr vollwertiges, von der Volksvertretung gutgeheißenes formelles Gesetz in Kraft. Wird die Genehmigung vom Landtag, in den Ländern mit Zweikammersystem auch nur von einer Kammer, verweigert, so tritt nach einigen Verfassungen h die Verordnung von selbst außer Kraft, während andere 0 die Regierung verpflichten, die Verordnung unverzüglich aufzuheben, sie aber bis zur erfolgten Aufhebung in Kraft belassen. Letzteres Prinzip gilt, schon aus Gründen der Rechtssicherheit, auch in den e Bayr. PolStrGB Art. 9. Vgl. v. Seydel-Piloty, Bayr. StR 1 855 ff. 6 [Für das preußische Staatsrecht ist dies bestritten, v. Roenne, Preuß. StR (4. Aufl.) 1 371 ff.; Schulze, Preuß. StR 2 35, 36; Schwartz, Komm, zur reuß. Verf. 208 ff. nehmen an, daß in den (sehr zahlreichen) Fällen, in denen Le preuß. Verfassung ein Gesetz vorbehält bzw. verheißt (z. B. Art. 5, 6, 8, 9, 13, 17, 19, 27, 30, usw.) der Notverordnungsweg unzulässig sei. Gegen diese, von der Staatspraxis niemals anerkannte nna offensichtlich unrichtige, Meinung mit Rechts v. Gerber, Grundz. 153 N. 3, G. Meyer in der Voraufl. 578, v. Roenne-Zorn, Preuß. StR 3 24 ff; Arndt, ArchÖflR 4 438 ff. und Komm. z. preuß. Verf. (7. Aufl.) 264; Bornhak, Preuß. StR 1 540 ff; Glatzer, a. a. 0 . 34 ff. — Die Notverordnung ist auch da nicht ausgeschlossen, wo die Verfassung den Weg der „ordentlichen Gesetzgebung" oder ein „mit vorheriger Zustimmung aer Kammern zu erlassendes Gesetz" fordert, denn auch diese Ausdrücke umschreiben lediglich den Vorbehalt des (einfachen) Gesetzes. A. M. in diesem Punkte die Voraufl., 578; Arndt, Glatzer, Bornhak, a. a. O. (544); übereinstimmend (anscheinend) v. Roenne-Zorn, StR 3 25 Anm. 1J a Dieses Erfordernis besteht nicht in Württemberg und Baden. Vgl. für Württemberg Göz, a. a. 0.218 (a.M. v. Mohl, Württ. StR §33; v. Sarwey Württ. StR 2 19 ff), für Baden Walz, a. a. 0. 216; Thoma, Ztsch. bad. V . 1906,96 (a. M. Wielandt, Bad. StR 168; Glockner, a. a. O. 30 ff und Bad. VerfR 150). I n Hessen bedarf es der Vorlage an den Landtag nur, wenn die NotV nach Ablauf eines Jahres noch für längere Zeit oder bleibend in Wirksamkeit erhalten werden soll: G. vom 15. Juli 1862 Art. 1; vgl. van Calker, Hess. VerfG 136. * — Braunschweig, S.-Weimar, S.-Koburg und Gotha; vgl. die Zitate oben N. 2. So auch das Bayr. PolStrGB Art. 9. c Hess. G. vom 15. Juli 1862 (s. o. Anm. a); Oldenburg, Schw.-Sondershausen, Lippe, Waldeck; vgl. die Zitate oben N. 2.
S
Die Funktione.
§ 16.
7
Staaten, deren Verfassung über die Wirkungen der Verweigerung der Genehmigung seitens des Landtags keine Bestimmungen enthält d. Dadurch, daß die Notverordnung ihre Geltung — sei es ipso iure, sei es zufolge Außerkraftsetzung durch die Regierung — verliert, treten die Gesetze, welche durch sie aufgehoben oder abgeändert waren, von selbst wieder in Geltung 0 . Im übrigen aber hat die Beseitigung der Notverordnung k e i n e rückwirkende Kraft, dieselbe ist vielmehr bis zu dem Momente, in welchem ihre Verbindlichkeit aufhört, als ein gültiges Gesetz zu behandeln: Rechtsverhältnisse, welche auf Grund der Notverordnung während der Zeit ihrer Geltung entstanden, bleiben von der Aufhebung der Verordnung unberührt.] 2. In den Freien Städten.
§ 162. I n den F r e i e n S t ä d t e n ist zu einem Gesetze ein übereinstimmender Beschluß von Senat und Bürgerschaft erforderlich 1 . Der Senat erscheint jedoch nicht, wie der Monarch, als der eigentliche Inhaber der Gesetzgebungsgewalt, sondern als ein der Bürgerschaft gleichstehendes Kollegium. Ein von demselben ausgegangener Gesetzentwurf wird daher durch Annahme seitens der Bürgerschaft definitiv Gesetz. V e r f a s s u n g s ä n d e r u n g e n erfolgen in Lübeck im gewöhnlichen Wege der Gesetzgebung. In Bremen 2 müssen sie von Senat und Bürgerschaft in zweimaliger Abstimmung, und zwar in beiden Körperschaften von der Mehrheit der gesetzlichen Zahl der Mitglieder angenommen sein. I n Hamburg 8 wird eine zweid So also insbesondere in.Preußen und Sachsen. Die Frage ist jedoch in beiden Staaten bestritten. Über Sachsen vgl. 0 . Mayer, Sächs. StR 183 und Anm. 17. Für Preußen behaupten v. Gerber, Grundz. 154; v. Roenne, StR (4. Aufl.) 1 375ff.; Gierke, DPrivR 1 130 N 10 und die Voraufl. 579 N. 10, daß die NotV durch die Verweigerung der Genehmigung ipso iure außer Kraft trete. Dagegen wie jetzt der Text die herrsch. MT: Schulze, Preuß. StR 2 38, 39; E. A. Chr., a. a. 0 . 227; Dernburg, Preuß. PrivR 1 31, 32: v. Roenne-Zorn, a . a . O . 3 28ff.; Arndt, Komm. (7. Aufl.) 265, 266; Bornh a k ; Preuß. StR 1 546; Glatzer, a. a. 0 . 85 ff.; Schwartz, Komm. 210ff.; Rosin, PolVR 252 u. a. Dieser Ansicht — im Hinblick auf Art. 106 Abs. 2 Preuß. Verf. — auch Schoen, HdbPol 1 303. e Denn die beabsichtigte Wirkung der Nichtgenehmigung durch den Landtag ist die Wiedereinsetzung des durch die NotV geänderten objektiven Rechts in seinen vorigen Stand. Übereinstimmend die Voraufl.; v. RoenneZorn, a. a. 0 . 8 30; Glatzer, a. a. 0 . 93ff.; Bomhak, Preuß. StR 1 547 (unrichtige Verallgemeinerung!); Schoen, HdbPol 1 303. — A. M. nur Held a. a. 0 . 2 90. 1 Brem. Verf. §§ 56 und 58, Hamb. Verf. Art. 61, Lüb. Verf. Art. 50. [Vgl. auch G. Seelig, Hamb. StR 106 ff.] 2 Brem. Verf. § 67. » Hamb. Verf A r t 61.
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Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§
1 .
malige Abstimmung nur seitens der Bürgerschaft erfordert, bei dieser müssen jedesmal B U der gesetzlichen Zahl der Mitglieder anwesend gewesen sein und von diesen S U für die Änderung gestimmt haben. Sowohl Senat als Bürgerschaft besitzen das Recht der I n i tiative4. Die P u b l i k a t i o n der Gesetze steht dem Senat zu 5 . Da dieser ein dem Monarchen analoges Recht der Sanktion nicht besitzt, so ist er zur Publikation verpflichtet, wenn zwischen ihm und der Bürgerschaft eine Übereinstimmung hinsichtlich des Gesetzentwurfes erzielt worden ist. Das V e r o r d n u n g s r e c h t wird vom Senate ausgeübt6. Zum Erlaß von Rechtsverordnungen bedarf es einer gesetzlichen Ermächtigung 7 . Ein Notverordnungsrecht besitzt er nicht. Die Ortspolizeibehörden sind befugt, Polizeiverordnungen mit Strafandrohungen zu erlassen 8. m .
Die
Beichsgesetzgebung12.
1. Einfache (formelle)» Reichsgesetze.
§ 163. 1. Die R e i c h s g e s e t z g e b u n g wird nach der Reichsyerfassung ausgeübt durch B u n d e s r a t und R e i c h s t a g . Die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen 4
Lüh. Verf. Art. 44, Brem. Verf. § 61, Hamb. Verf. Art. 61. Lüb. Verf. Art. 49, Brem. Verf. § 57, Hamb. Verf. Art. 61. « Lüb. Verf. Art. 50, Brem. Verf. § 57, Hamb. Verf. Art. 61. — V g l Hanfft, Das Verordnungsrecht des Hamb. Senats. 1900. Gegen ihn Seelig, a. a. 0 . 107, 108. 7 Eine solche besteht für Ausführungsverordnungen. Vgl. W . v. Melle, Hamb StR 89 Nr. 4. 8 Brem. LGO § 111, Hamb. LGO Art. 3, G. über die Organisation der Verwaltung § 9. 1 Die Behauptungen Böhlaus, Meckl. L R 1 (1871) § 46; Seydel, Komm, z. R V , Einleitung 19 und zu Art. 2 I , Bayr. StR (2. Aufl.) 2 352 ff (in der 3., von Piloty bearbeiteten, Aufl. sind diese Ausführungen weggelassen); Rehm in AnnDR 1885 67, 68, daß das Reich keine eigene gesetzgebende Gewalt habe, sondern nur die gesetzgebende Gewalt der Einzelstaaten ausübe, daß daher die Reichsgesetze in iedem einzelnen Staate als Landesgesetze gelten, beruhen auf der bereits früher zurückgewiesenen Anschauung, daß das Reich kein selbständiges Rechtssubjekt des öffentlichen Rechtes, sondern ein bloßes vertragsmäßiges Verhältnis unter den Einzelstaaten sei. Auch stehen denselben die unzweideutigen Aussprüche der A r t 2 und 4 der Reichsverfassung entgegen. Vgl. Haenel, Vertragsmäßige Elemente 51 ff 2 Vgl. Laband, StR 2 I f f ; Seydel, Komm. z. R V , zu Art. 2, 4, 5, 7, 16, 17, 78; V. Fricker, Die Verpflichtung des Kaisers zur Verkündigung der Reichsgesetze, Leipziger Dekanatsprogramm 1885 ; G. Meyer, Der Anteil der Reichsorgane an der Reichsgesetzgebung (Festgabe der Jenaer juristischen Fakultät, für Gneist, Jena 1888), F. Kolbow, Das Veto des Deutschen Kaisers, im ArchÖffR 5 73ff; W . Frormann, Die Beteiligung des Kaisers an der 6
Die Funktione.
§ 16.
1
ist zu einem Reichsgesetz erforderlich und ausreichend 8. [Das Wort „ausreichend 44 will der staatenbündischen Vorstellung (oben § 13, § 46) entgegentreten, als bedürfte es zum Zustandekommen eines Reichsgesetzes noch einer irgendwie gearteten sanktionierenden oder verkündigenden Tätigkeit der Einzelstaatsgewalten. Die bundesstaatliche Unmittelbarkeit (oben § 14 S. 50) wollte durch Art. 5 RV betont, nicht aber gesagt sein, daß das Reichsgesetz schon dann fertig sei, wenn über seinen Inhalt Einigkeit zwischen Bundesrat und Reichstag hergestellt ist. Zum Abschluß des GesetzgebungsVerfahrens bedarf es nach der Feststellung des Gesetzesinhaltes erst noch der S a n k t i o n durch den Bundesrat (RV Art. 7 Nr. 1), der A u s f e r t i g u n g durch den Kaiser (Art. 17) und der V e r k ü n d i g u n g (Art. 2). Die Gliederung des Gesetzgebungsverfahrens ist dieselbe wie bei der Landesgesetzgebung (oben § 158); es sind also auch hier zu unterscheiden: Initiative (Gesetzvorschlag), Peststellung des Gesetzesinhalts, Sanktion, Ausfertigung, Publikation (Verkündigung); nur daß der A k t der Ausfertigung, welcher dort (oben § 158 S. 665) mit der Sanktion äußerlich ununterscheidbar zusammenfällt, hier durch Übertragung an ein besonderes Organ, den Kaiser, selbständige Gestaltung gewinnt.] Wie im Einzelstaat der Monarch als Träger der Staatsgewalt, so erscheint im Reiche die Gesamtheit der verbündeten Regierungen als Träger der Reichsgewalt. Sie ist als der Inhaber der gesetzgebenden Befugnisse anzusehen, ihre Sanktion verleiht einer Norm den Charakter des Gesetzes. Die Gesamtheit der verbündeten Regierungen wird aber repräsentiert durch den Bundesrat. Die S a n k t i o n d e r G e s e t z e e r f o l g t demnach durch einen B e s c h l u ß des B u n d e s r a t e s 4 . Die Zustimmung des Reichstages Reichsgesetzgebung, ebenda 14 31 ff.; Laband, Berichtigung von Reichsgesetzen, in der D J Z 1903 301 ff. a siehe Seite 679. Die oben § 155 dargelegte Unterscheidung zwischen Gesetzen im materiellen und im formellen Sinne gilt wie für das deutsche Landes-, so auch für das Reichsstaatsrecht. Vgl. statt aller: Laband, StR 2 1 ff. Auch das Verhältnis der beiden Gesetzesbegriffe zu einander (oben 639ff.) ist im Reiche dasselbe wie in den Einzelstaaten; auch nach Reichsrecht gilt der Satz, daß Gesetze im materiellen Sinne (Rechtssätze) grundsätzlich im Wege der form eilen Gesetzgebung zu erlassen sind und auf einem andern (dem Yerordnungs-) Wege nur kraft formellgesetzlicher Ermächtigung erlassen werden dürfen (vgl. auch unten § 165 ö. 706, 707). 8 RVerf Art 5. 4 Laband. StR*2 29 ff., Kl. A. 122 ff.; v. Rönne, StRDR 2 1 § 66 S. 48ff.; Seydel, Komm. z. Art. 5 Nr 1, Art. 7 Nr. I I , Art. 17 Nr. I , in v. Holtzendorffs und Brentanos Jahrbuch für Gesetzgebung usw. des Deutschen Reiches, N. F., 3 2s5; H . Schulze, LehrbDStR 2 § 285 S. 118; Haenel, Organisatorische Entwicklung der RVerf 52; Zorn, StR 1 413; Binding in Schmollers J. 5 379; Trieps, Reich und Bundesstaaten 192; Arndt, Komm, z. RVerf, zu Art. 17 Nr. 1, RStR 180; Binding, Rechtliche Stellung des Kaisers 14; Frormann, a.a.O. 65, 89; Kliemke, Staatsrechtliche Stellung des Bundesrates 40; Anschütz, Enzykl. 158; Abg. Dr. Windthorst in der Reichs-
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Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§
1 .
ist nur eine Vorbedingung, welche erfüllt sein muß, damit die Sanktion stattfinden kann. Auch ein vom Bundesrate an den Reichstag gelangter Gesetzentwurf, welcher von diesem unverändert genehmigt ist, bedarf, um Gesetz zu werden, einer nochmaligen Annahme seitens des Bundesrates. Der K a i s e r ist weder bei der Feststellung des Gesetzesinhalts noch bei der Sanktion beteiligt und insoweit kein selbständiger Faktor der Gesetzgebung; seine Mitwirkung bei der letzteren beschränkt sich auf die mehr formalen Tätigkeiten der Ausfertigung und Verkündigung der Gesetze. Er hat das Recht u n d d i e P f l i c h t , die vom Bundesrat und Reichstag verfassungsmäßig zustandegebrachten Gesetze auszufertigen und zu publizieren 6 . tagssitzung vom 12. Jan. 1882 (StenBer 592); Schoen im HdbPol 1 290. Die Anwendbarkeit des Begriffes der Sanktion auf das deutsche Reichsstaatsrecht bestreiten: Gierke in Grünhts Ztschr. für d. Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 6 230, DPrivR 1 1815 Kolbow, a. a. 0 . 88ff.; Affolter, Allg. StR 69; Rosenberg, in den AnnDR 19^0 577 ff. Vgl. gegen die in dieser Hinsicht erhobenen Bedenken die N. 2 zitierte Schrift G. Meyers, 47 ff. [Nach Laband, a. a. 0 . ist der Reichstag wohl an der Feststellung des Gesetzesinhaltes, nicht aber an dem Erlaß des Gesetzesbefehls beteiligt, welcher letztere, als Sanktion, dem Bundesrate allein zustehe. Diese Ansicht ist die heute herrschende, vgl. oben § 158 S. 665 Anm. e. Gegen sie Lukas in der dort angef. Schrift, auch Rauechenberger, Der Anteil des Bundesrates an der Reichsgesetzgebung (Heidelberger Biss., 1906), 12 ff. Ein Sanktionsrecht des Kaisers behauptet Bornhak im ArchÖffR 8 460 ff. unter Berufung auf die Anm. 14 dieses Paragraphen erwähnte Publikationsformel. Letztere Kann aber gegenüber den Bestimmungen der Verfassung nicht maßgebend sein und die Bildung eines Gewohnheitsrechts ist in dem Gebrauche derselben nicht enthalten. Vgl. Laband, StR 2 36 N. 2, Kl. A. 123,124; Seydel, Komm, zu Art. 17 Nr. I : Frormann, a. a 0. 76 ff. B Diese Ansicht ist die communis opinio der staatsrechtlichen Schriftsteller, sie wurde auch von Fürst Bismarck geteilt (Gedauk. und Erinner. 2 306). Vgl. hierzu Anschütz, Bismarck u.d. RVerf 32. Die Ansicht Bismarcks ist adoptiert in der kaiserlichen Thronrede vom 27. Juni 1888 (v. Seydel, Komm. 173). Übereinstimmend: Hiersemenzel zu Art. 17, I I ; Thudichum, VerfR 88; Riedel zu Ait. 17 1; Westerkamp 130 ff; Seydel, Komm. z.Art. 2 Nr. V I und 17 Nr. I ; R. v. Mohl, DRStR 291; Laband, StR 2 42 ff, K l . A. 124ff.; v. Rönne, a. a. 0 . § 66 S. 49; Haenel, a. a. 0 . ; Proebst, VerfDR zu Art. 5 Nr. 2; H . Schulze, LehrbDStR2 118; v. Kirchenheim, LehrbDStR 115; Kolbow, a. a. 0 . 7 3 f f ; Zorn, a. a. 0 . 416; Fischer, Recht des deutschen Kaisers 156; Binding, Rechtliche Stellung des Kaisers 15; Rehm, Unitarismus und Föderalismus in der deutschen RVerf 16; Froimann, a. a. 0 . 54 ff.; Anschütz, Enzykl. 158, im W S t V R 2 216; Schoen, HdbPol 290, 291.—Anderer Ansicht: v. Martitz, Betrachtungen 53 und Dernburg, Pandekten 1 55, welche behaupten, daß die Verkündigung der vom Bundesrat und Reichstag beschlossenen Gesetze im Belieben des Kaisers stehe. Dieser Ansicht steht jedoch die Bestimmung des Art. 5 der Reichs Verfassung entgegen, wonach zu einem Reichsgesetze die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse beider Versammlungen erforderlich und a u s r e i c h e n d ist. Auch würde die dem „Präsidium" (d. h. Preußen) im Art. 5 der RVerf eingeräumte Befugnis, auf. aem Gebiete des Zoll-, Miliräi> und Marinewesens gegen die Abänderung der bestehenden Einrichtungen Widerspruch zu erheben, völlig überflüssig sein, wenn der König von Preußen als Kaiser die Befugnis hätte, den Erlaß
Die Funktione.
§ 16.
[2. Der Grundsatz, daß zu einem Reichsgesetze die Übereinstimmung der e i n f a c h e n Mehrheiten des Bundesrates und des Reichstages genüge, gilt für den Reichstag unbedingt. Auch die Sanktionsbeschlüsse des Bundesrates werden, nach der allgemeinen Regel des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 RV (oben 490) mit einfacher Majorität gefaßt. Das Erfordernis qualifizierter Mehrheit bei Verfassungsänderungen ist dem Reichsstaatsrecht unbekannt. Dagegen steht in gewissen Fällen der Minderheit des Bundesrates gegen die von der Mehrheit beabsichtigte Sanktionierung von Gesetzentwürfen ein Widerspruchsrecht ( V e t o ) zu. Diese Fälle sind: a) Ä n d e r u n g e n d e r R e i c h s v e r f a s s u n g „gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrate 14 Stimmen gegen sich haben" 6 . b) „Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur Gesamtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abgeändert werden." 7 c) Gesetzentwürfe, welche das bestehende Recht auf dem Gebiete des Militärwesens, der Kriegsmarine, der Zölle und der im Art. 35 RV bezeichneten Abgaben (Verbrauchssteuern) abändern, können gegen den Widerspruch Preußens im Bundesrat nicht sanktioniert werden. Dies folgt aus RV Art. 5 Abs. 2 8 . ] d) Gewisse Bestimmungen des B r a n n t w e i n s t e u e r g e s e t z e s können gegenüber den nach dem Erlaß desselben in die Branntweinsteuergemeinschaft eingetretenen Staaten (Bayern, Württemberg, Baden) nur mit deren Zustimmung abgeändert werden 9 . Die Frage, ob einer der angegebenen vier Fälle vorliegt, ist als eine Frage geschäftlicher Behandlung vom Bundesrate mit einfacher Majorität zu entscheiden 1 0 . jedes ihm nicht genehmen Gesetzes durch Verweigerung der Publikation zu verhindern. Auen Fricker in der N. 2 zitierten Schrift erklärt die Verpflichtung des Kaisers zur Publikation für zweifelhaft. Vgl. gegen seine feedenken G. Meyers Schrift über den Anteil der Reichsorgane 59 ff. ßomhak, a. a. 0 . 467 behandelt die Frage gleichfalls als eine offene. 6 RVerf Art. 78 Abs. 1. Vgl. § 164, sowie oben § 124 491. 7 Vgl. hierüber unten § 164 S. 698. 8 [Durch Art. 5 Abs. 2 ist nicht dem Kaiser als solchem, sondern dem preußischen Staate ein Veto gegen die Abänderung des bestehenden Zustandes eingeräumt. Die Handhabung dieses Vetorechts fällt daher auch an sich nicht in den Verantwortlichkeitsbereich des Reichskanzlers, sondern in den der preußischen Staatsregierung. Vgl. oben § 123 N. 9, § 124 S. 491, § 135 S. 524 ff.; v. Seydel, Komm. z. Art. 5 Nr. I I ; Anschütz, Enzykl. 100,110,115 J 9 R G , betr. die Besteuerung des Branntweins, vom 15. Juli 1909 §§ 26, 154. Die Aufhebung dieser Paragraphen kann, wenn dieselben auch Kein verfassungsmäßiges Sonderrecht im Sinne des Art. 78 Abs. 2 der RVerf begründen, doch nur mit Zustimmung der betreffenden Staaten erfolgen, weil sonst das denselben eingeräumte Recht völlig illusorisch sein würde. Vgl. darüber.auch Seidel, Komm. z. Art. 35 Nr. I I I . 10 Übereinstimmend: Westerkamp 130 u. 131; Proebst, Reichs Verfassung, zu
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Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§
1 .
Betrifft das Gesetz eine Angelegenheit, welche im Sinne des Art. 7 Abs. 4 RV nicht dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist, so werden bei jedem dieses Gesetz betreffenden Bundesratsbeschlusse, also auch bei dem Sanktionsbeschluß, die Stimmen nur derjenigen Staaten gezählt, welchen die Angelegenheit gemeinschaftlich ist (oben § 124 S. 491). 3. Sowohl Bundesrat als Reichstag besitzen das Recht des G e s e t z v o r s c h l a g s (der I n i t i a t i v e ) 1 1 . Art. Nr. 5; Haenel, Vertragsmäßige Elemente 258ff.; Laband, StR 1 284; Zorn, StR 1431; Rinding, in der D J Z 4 71, die vier letzten wenigstens hinsichtlich der Verfassungsänderungen, während sie sich über die anderen Punkte nicht äußern, wie es scheint, auch R. v. Mohl 290 und 291 Nr. 2. [Übereinstimmend ferner Rehm, Allg. StL 145, 146, der auch die streitig gewordene Frage, ob ein Sonderrecht vorliege, d. h. Art. 78 Abs. 2 KVerf. Anwendung zu finden habe, im Bundesrate mit einfacher Mehrheit entschieden wissen will ] Dieser Auffassung entspricht auch die Praxis. Vgl. Haenel, DStR 1 588 ff. — Anderer Ansicht: Hiersemenzel zu Art. 2 I I und Seydel, Komm. z. Art. 7 Nr. V I I . Letzterer gelangt zu keinem bestimmten Ergebnis und meint nur, am einfachsten erledige sich die Sache durch Anwendung der Formen der Verfassungsänderungen (Art. 78 Abs. 1). Hier handelt es sich aber nicht um Verfassungsänderungen, bei denen doch auch der Reichstag mitwirken muß, sondern um einen bloßen Beschluß des Bundesrates, welcher die V o r f r a g e , ob eine Verfassungsänderung vorzunehmen sei, entscheidet. Hiersemenzel behauptet, daß die Frage, ob eine Verfassungsänderung vorliege, nicht durch einfache Majorität erledigt werden dürfe, weil sonst die Majorität imstande sei, die Vorschriften der Verfassung über Verfassungsänderungen illusorisch zu machen. Er übersieht aber, d a l bei der entgegengesetzten Auffassung die Minorität sich in der Lage befindet, die Vorschriften der Verfassung über einfache Reichsgesetze illusorisch zu machen, indem sie die Anwendung der für die Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Formen fordert — v. Rönne stimmt hinsichtlich der Verfassungsänderungen ebenfalls mit der hier vertretenen Ansicht überein (StRDK § 65 2 1 S. 35), ist dagegen anderer Ansicht hinsichtlich derjenigen Gegenstände, in bezug auf welche dem Präsidium ein Widerspruchsrecht zusteht. Er meint, der Kaiser müsse, wenn er hinsichtlich der geschäftlichen Behandlung derselben im Bundesrate überstimmt sei, zwar die Vorlage des Bundesrates an den Reichstag bringen (§ 27 1 230), könne aber nachher die Publikation des Gesetzes verweigern (§ 66 2 1 S. 50). Für die Verweisung der Sache an ein Austi'ägalgericht, welche Oppenheimer in der DJZ 2 491 vorschlägt, fehlt in der Keichs Verfassung jeder Anhalt. ' [Beschließt der Bundesrat, daß einer der im Text bezeichneten Fälle nicht vorliege, also ein von irgend einer Seite beanspruchtes Vetorecht nicht gegeben sei, und sanktioniert daraufhin das betreffende Gesetz mit einfacher Stimmenmehrheit, so sind diese Beschlüsse wohl für die unterlegene Minderheit, nicht aber für den Kaiser maßgebend, welcher vor der ihm obliegenden Ausfertigung des Gesetzes frei zu prüfen und selbständig darüber zu entscheiden hat, ob die Auffassung der Bundesratsmehrheit mit der Reichsverfassung im Einklang steht: Dejahendenfalls ist die Ausfertigung zu erteilen, andernfalls ^ abzulehnen (vgl. oben im Text unter Nr. 4). Den Ausführungen von Trier, Verfassungswidrige Reichsgesetze (Marburger Diss. 1907) 66, 67 kann beigetreten werden, mit dem Vorbehalt, daß ein gemäß Art. 17, 2 R V ausgefertigtes und verkündigtes Reichsgesetz niemals „nichtig" ist.] 11 Nach Art. 23 der Reichsverfassung besitzt der Reichstag das Recht, Gesetze vorzuschlagen nur „ i n n e r h a l b d e r K o m p e t e n z des R e i c h e s " . Wenn letztere Bestimmung überhaupt eine Bedeutung haben soll, so kann
Die Funktione.
§ 16.
Innerhalb des Bundesrats kann der Antrag auf Fassung eines gesetzgeberischen Initiativbeschlusses gemäß RV Art. 7 Abs. 2 von Jedem Bundesglied", d. h. jedem Einzelstaate sowie (RV Art. 6a) von Elsaß-Lothringen, ferner, kraft Gewohnheitsrechts, auch vom K a i s e r gestellt werden 12 . Tatsächlich werden die weitaus meisten Reichsgesetzentwürfe in den Reichsämtern ausgearbeitet und gelangen von da nicht als einzelstaatliche (preußische), sondern als kaiserliche („Präsidial-") Vorlagen an den Bundesrat. — Dem R e i c h s t a g e gegenüber ist das Initiativrecht des Kaisers durch Art. 7 Nr. 1 und 16 RV ausgeschlossen.] Der Reichstag hat das Recht, die ihm vorgelegten Gesetzentwürfe a b z u ä n d e r n (zu a m e n d i e r e n ) und seine Zustimmung zu dem Entwurf von der Annahme der Abänderungsvorschläge (Amendements) abhängig zu machen. [Die F e s t s t e l l u n g des G e s e t z e s i n h a l t e s erfolgt durch Vereinbarung zwischen Bundesrat und Reichstag. Der Kaiser ist in diesem Stadium des legislativen Verfahrens nicht beteiligt. Die Vertretung der Gesetzvorlagen des Bundesrates vor dem Reichstag und die Beteiligung des Bundesrates an Verhandlungen des Reichstags über Initiativanträge des letzteren geschieht „durch Mitglieder des Bundesrates oder durch besondere von letzterem b zu ernennende Kommissarien" (RV Art. 16). es nur die sein, daß dem Reichstage die Befugnis, Gesetzentwürfe auf Kompetenzerweiterung einzubringen, nicht zustehen soll. Dieselbe ist jedoch meistens so aufgefaßt worden, daß zur Kompetenz des Reiches auch das Recht gehöre, Verfassungsänderungen und Kompetenzerweiterungen vorzunehmen, daß daher auch m dieser Beziehung dem Reichstage eine Initiative zustehe (Thudichum, VerfR 215 und 216; v. Rönne, StRDR 1 266; Westerkamp 110 und 111; Seydel zu Art. 231; R. v. Mohl 334; Laband, StR 2 25, 26; H. Schulze, LehrbDStR 2 116; Zorn, a. a. 0 . 409, Komm, zur R V , zu Art. 23 Nr. 1; Arndt, Komm, zur R V , zu Art. 23 Nr. 1; Anschütz, Enzykl. 158. Vgl. auch die Verhandlungen in der Reichstagssitzung vom 13. Febr. 1895, namentlich die Äußerungen der Abgeordneten Dr. Lieber und Dr. von Marquardsen (Sten. Ber. 1 861, 863). [Bemerkenswert ist, daß eine der wichtigsten Kompetenzerweiterungen, nämlich die Ausdehnung der im Art. 4 Nr. 13 vorgesehenen Gesetzgebungskompetenz des Reichs auf das Gebiet des gesamten bürgerlichen Rechts, R G vom 20. Dez. 1873, auf einem Initiativantrag des Reichstags beruht.] 12 [Vgl. oben § 124 S. 490 Anm. 11. Übereinstimmend Haenel, Studien 2 42; G. Meyer in der Voraufl. 584; Anschütz, Enzykl. 99, 158; Triepel, Unitarismus und Föderalismus 63. Jedes Initiativrecht des Kaisers als Kaiser leugnen Laband, StR 2 24 Anm. 3; Seydel, Komm. 138, 145, 171; Schoen im HdbPol 1298, sie fassen die „Präsidialanträge 14 als p r e u ß i s c h e Anträge auf (vgl. wiederum oben § 124 a. a. 0.). Übungsgemäß werden die in den Reichsämtern vorbereiteten Präsidial vorlagen vom Reichskanzler nicht zwar als Anträge der preußischen Staatsregierung, wohl aber im Einvernehmen mit ihr, d. h. nach eingeholter Zustimmung des Staatsministeriums, an den Bundesrat gebracht. Rechtlich notwendig ist diese Zustimmung nicht, und keinesfalls brauchte es (wie Seydel, a. a. 0 . 145 zutreffend bemerkt) den Bundesrat zu kümmern, wenn es unterlassen sein sollte, sie einzuholen.] t> Also nicht vom Kaiser oder Reichskanzler. Vgl. übrigens auch R V A r t 9 Satz 1. Tatsächlich erfolgt die Beteiligung des Bundesrats an den G. M e y e r - A n s o h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
II.
7. Aufl.
44
6
Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§
1 .
4. Nach erfolgter Einiguüg des Bundesrates und des Reichstags über den Inhalt des zu erlassenden Gesetzes gelangt das letztere — jetzt noch immer ein Entwurf, kein fertiges Gesetz — an den Bundesrat, der nun gemäß RV Art. 7 Abs. 1 Ziff 1 „über die von dem Reichstage gefaßten Beschlüsse44 zu beschließen, d. h. sich darüber schlüssig zu machen hat, ob er dem vereinbarten Gesetzesentwurf seine S a n k t i o n erteilen will. I n bezug auf die Fragen, ob die Sanktion nur ganz oder auch teilweise gegeben, verweigert, mit Bedingungen verbunden, verschoben, zurückgenommen werden kann, gelten dieselben Grundsätze, welche oben § 158 S. 663 über das Sanktionsrecht des Monarchen in den Einzelstaaten entwickelt worden sind: der Bundesrat ist in dieser Hinsicht so gestellt wie der Monarch im Prozesse der Landesgesetzgebungc. Insbesondere steht es dem Bundesrate zu, die Sanktion zu verweigern und den Entschluß darüber, ob er sie verweigern oder erteilen will, beliebig lange — auch über den Schluß der Sitzungs-, j a der Legislaturperiode des Reichstags hinaus — aufzuschieben d.
Reichstagsverhandlungen jetzt stets durch den Reichskanzler oder — die überwiegende Regel! — den Staatssekretär, in dessen Ressort der Verhandlungsgegenstand fällt. Vgl. oben § 132 S. 514 Anm. 14. c Ein staatsrechtlich wie politisch wichtiger Unterschied zwischen der gesetzgeberischen Tätigkeit des Bundesrates und der des einzelstaatlichen Monarchen besteht jedoch darin, daß die letztere (vgl. Oben § 158 S. 665), nicht aber die erstere ministerieller Verantwortlichkeit unterstellt ist (vgl. oben § 135 S. 528). Der Reichskanzler kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, daß der Bundesrat die Sanktion eines Gesetzes erteilt oaer verweigert, aufschiebt oder zurücknimmt. Rauschenberger, ArchOffR 81 254 erklärt ohne einleuchtende Begründung den Sanktionsbeschluß des Bundesrats für unwiderruflich. Nach Schoen, Hdb. d. Pol. 1 290, ist er widerruflich, aber nur solange, ^als das Gesetz noch nicht an den Kaiser (zur Ausfertigung) weitergegeben ist". Auch das ist unzutreffend. Die Sanktion kann widerrufen werden, solange das Gesetz noch nicht für den Sanktionierenden selbst verbindlich, d. h. solange es nicht v e r k ü n d i g t ist (vgl. oben § 158 S. 664i. d Vgl. oben § 158 S. 6fi3 Anm. c und die dort angeführte Literatur, dazu noch Laband, D J Z 1904 321 ff. G. Meyer vertrat seine Ansicht, daß die Sanktion spätestens bis zum Beginn der neuen Legislaturperiode des Parlaments erfolgen müsse (oben a. a. 0 . Anm. c), folgerichtigerweise auch für das Reichsrecht. Dagegen Laband, a. a. O. StR 2 35, 36 und die übrigen Vertreter der herrsch. M. (oben a. a. 0 . Anm. c). Wenn Laband, a. a. 0 . 326 hervorhebt, daß der Bundesrat das Recht, die Sanktion aufzuschieben, „nur nach Treu und Glauben, rebus sie stantibus und nicht intempestive" ausüben dürfe, so will er hiermit wohl nur eine Regel politischer Ethik und keine R e c h t s pflicht aussprechen. Die Staatspraxis steht auf dem Standpunkte unbeschränkter Zulässigkeit des Sanktionsaufschubs. Nach Beginn einer neuen Sitzungsperiode ist publiziert das Reichsgesetz, betr. die Stimmzettel fur öffentliche Wahlen, vom 12. März 1884; nach Beginn einer neuen Legislaturperiode das Reichsgesetz wegen Ergänzung des § 100 e der Gewerbeordnung vom 8. Dez. 1884, das Reichsgesetz über Aufhebung des Gesetzes, betr. die unbefugte Ausübung von Kirchenämtern, vom 6. Mai 1890, die Militärstrafgerichtsordnung vom
Die
unktionen.
§ 16.
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5. Das vom Bundesräte sanktionierte Gesetz ist gemäß Art. 17 RV zunächst vom Kaiser a u s z u f e r t i g e n . Ausfertigen heißt beurkunden. Was der Kaiser hier, unter verantwortlicher Gegenzeichnung des Reichskanzlers, beurkundet, ist einerseits die Echtheit des Gesetzestextes, insbesondere die Übereinstimmung des vom Bundesrate sanktionierten Gesetzesinhalts mit den Beschlüssen des Reichstags, andererseits die Legalität des Gesetzgebungsverfahrens 6. Diese Punkte sind vor der Ausfertigung zu prüfen. Finden sich Mängel, so ist die Ausfertigung bis zu deren Beseitigung zu verweigern*. Andernfalls darf die Ausfertigung nicht verweigert werden, denn ein Veto gegen die Beschlüsse von Bundesrat und Reichstag hat dem Kaiser durch RVArt. 17 nicht beigelegt werden wollen (oben 500,682 Anm. 5, unten 688). Die in der kaiserlichen Ausfertigung liegende Beurkundung der Echtheit und Gültigkeit des Gesetzes kann von keinem, der das Gesetz zu befolgen bzw. anzuwenden hat (Behörden und Individuen) einer Nachprüfung
1. Dezember 1898 und das G. betr. Aufhebung des § 2 des Jesuitengesetzes v. 4. Juli 1872, vom 8. März 1904. Letzteres beruht auf einem Initiativbeschlusse des Reichstags vom 25. Jan. 1899, dem der Bundesrat unter dem 8. März 1904 seine Zustimmung und Sanktion gab, worauf die kaiserliche Ausfertigung am gleichen Tage erfolgte. Vgl. dazu Laband, a. a. 0 . 821 ff. und die oben § 158 Anm. c angeführten Schriften von Laband, Kahl, Arndt, Anschütz, Müller, Rauschenoerger. Letzterer führt, 44 ff. seiner zit. Schrift, noch weitere Präzedenzfälle an. Bemerkenswert die Äußerung des Staatssekretärs des Reichsjustizamts, Dr. Nieberding, im Reichstage, 14. April 1904 (Sten. Ber. 1903/04 8 2082, 2083): „Seit der Errichtung des Reichs steht die Reichsverwaltung nnd stehen die verbündeten Regierungen, und ich darf wohl sagen, auch der Reichstag auf dem Standpunkte, daß ein Beschluß des Reichstags solange eine reale politische und rechtliche Potenz ist, mit welcher der Bundesrat zu rechnen hat, als der Reichstag nicht selbst dem Bundesrat erklärt, daß er auf seinen Beschluß verzichte." Danach kann der Reichstag von ihm früher gefaßte sanktionsfahige Beschlüsse, insbes. Initiativbeschlüsse, bis zur erteilten Sanktion zurücknehmen. Übereinstimmend Laband, a. a. 0.323; Rauschenberger, a. a. 0 . 47 ff. Der Reichstag hat in einer Resolution v. 16. April 1904 verlangt, daß ein Reichsgesetz die Zeitgrenze der Sanktionserteilung auf das Ende der Legislaturperiode festsetze. Ein solches Reichsgesetz ist nicht ergangen. o Dem Wortlaut des Art. 17 R V gegenüber, wonach dem Kaiser nicht nur die „Verkündigung", sondern neben und vor derselben auch die „ A u s f e r t i g u n g " der Keichsgesetze zusteht, erscheinen die in der Voraufl., §158 N. 8, erhobenen Bedenken gegen den Begriff der Ausfertigung nicht stichhaltig. Wesen nnd Inhalt des Begriffs sind allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu entnehmen. Vorbildlich : Laband 2 42 ff. Die oben § 158 Anm. e zurückgewiesene Behauptung Fleischmanns, daß die Ausfertigung der Sanktion vorausgehe, ist auch für das Reichsstaatsrecht völlig unnaltbar. * Damit ist, indem der Kaiser aus formellen Gründen die Ausfertigung eines Gesetzes ablehnt, t a t s ä c h l i c h die Möglichkeit gegeben, daß er ein ihm staatsrechtlich nicht zustehendes Vetorecht ausübt; richtig Schoen, a; a. 0 . 291. Darüber, ob ein der Ausfertigung entgegenstehender Mangel vorhanden oder behoben ist, entscheidet der Kaiser — immer unter Verantwortlichkeit des Reichskanzlers — frei und selbständig; die Meinungen des Bundesrats und des Reichstags sind für ihn in dieser Hinsicht nicht maßgebend. Vgl. oben Anm. 10 und Anschütz, Enzykl. 158 Anm. 1. 44*
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Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§
1 .
unterzogen werden g. Unberührt aber bleibt das Recht des Bundesrates und des Reichstages, den Reichskanzler wegen einer rechtswidrigen Gesetzesausfertigung zur Verantwortung zu ziehen.] Auf die Ausfertigung des Reichsgesetzes erfolgt 6. die V e r k ü n d i g u n g ( P u b l i k a t i o n ) desselben von Reichs wegen 1 8 . Die Anordnung derselben geschieht durch den Kaiser 1 4 , der Vollzug dieser Anordnung durch den Reichskanzler. Die Verkündigung steht aber nicht im Belieben des Kaisers, sondern muß erfolgen, wenn ein übereinstimmender, sanktionierter Beschluß von Bundesrat und Reichstag vorliegt 1 5 . I n der Publikationsformel wird die Zustimmung von Bundesrat und Reichstag erwähnt 1 6 . Die Verkündigung erfolgt vermittelst eines Reichsgesetzblattes, welches im Reichsamt des Innern herausgegeben w i r d 1 7 . Sofern nicht in einem publizierten Reichsgesetze ein anderer Anfangstermin seiner verbindlichen Kraft bestimmt ist, beginnt die letztere mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf desjenigen Tages, an welchem das betreffende Stück des Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben i s t 1 8 . I n den Konsulargerichtsbarkeitsbezirken erlangen neue Gesetze, soweit nicht reichsgesetzlich ein anderes bestimmt ist, verbindliche Kraft: in den g Insbesondere ist das sog. richterliche Prüfungsrecht dadurch ausgeschlossen. Vgl. unten § 173. » RVerf Art. 2. " RVerf Art. 17. 15 [Diese Übereinstimmung, sowie überhaupt das verfassungsmäßige Zustandekommen des G-esetzes festzustellen und zu beurkunden, ist der Zweck der Ausfertigung. Vgl. oben im Text.] 16 Die übliche Publikationsformel: „Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden, Deutscher Kaiser, König von Preußen usw. verordnen im Namen des Deutschen Reiches nach erfolgter Z u s t i m m u n g des Bundesrats und des Reichstags", ist nicht korrekt. Denn Bundesrat und Reichstag haben einem Reichsgesetze nicht bloß zuzustimmen, sondern dasselbe festzustellen, und der Bundesrat hat das Gesetz zu sanktionieren. [Der Kaiser hat nacn seiner Stellung im Gesetzgebungsprozeß nichts zu „verordnen", d. h. zu sanktionieren, sondern nur zu prüfen, zu beurkunden („auszufertigen") und zu verkündigen. Gleicher Meinung über die Publikationsformel wie hier: Laband 2 36, 37 Anm. 2, kl. A . 123, 124; Seydel, Komm. 172, 173; beide wenden sich mit Recht gegen Bornhak, der in der steten Anwendung dieser Formel ein Gewohnheitsrecht erblicken will, wonach dem Kaiser Sanktion und Veto zustehe. Bornhak übersieht, daß es hier an einem wesentlichen Erfordernisse der .Gewohnheitsrechtsbildung fehlt, nämlich an der Uberzeugung der Übenden von der rechtlichen Notwendigkeit ihres Tuns. Die Publikationsformel der Reichsgesetze ist „ohne viel Nachdenken" (Seydel, a. a. 0 . 172) den landesrechtlichen Formeln nachgebildet und seither, gleichfalls ohne viel Nachdenken, also nicht opinione necessitatis, beibehalten worden. Gesetzlich vorgeschrieben oder festgelegt ist sie nirgends. W i e im Text auch Schoen, Handb. d. Pol. 291. Dagegen wird die staatsrechtliche Korrektheit der Formel verteidigt von Dambitsch, Komm. z. R V 49, 50.] 17 R V Art. 2, V. betr. die Einführung des Bundesgesetzblattes für den norddeutschen Bund, vom 26. Juli 1867. w R V Art. 2.
Die Funktione.
§ 16.
Bezirken, welche in Europa, in Ägypten oder an der asiatischen Küste des Schwarzen oder des Mittelländischen Meeres liegen, mit dem Ablauf von zwei Monaten, in den übrigen Bezirken mit dem Ablaufe von vier Monaten nach dem Tage, in dem das betreffende Stück des RGBl bezw. der Preuß. GS (vgl. § 19 zu 1 des Reichsgesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900) ausgegeben worden ist 1 9 . [Eine Frist, während welcher ein vom Bundesrate sanktioniertes Gesetz vom Kaiser ausgefertigt und verkündigt werden müßte, besteht ebensowenig wie für die Sanktion (vgl. oben 686 und § 158 S. 663). Für grundlose Verzögerung der Ausfertigung und Verkündigung ist der Reichskanzler verantwortlich. Betreffs der Authentizität des publizierten Gesetzestextes und der Zulässigkeit von Berichtigungen desselben gelten die oben § 158 S. 667 entwickelten Grundsätze.] 2. Änderungen der ReichSYerfassung 1.
§ 164. Abänderungen der Reichsverfassung a erfolgen im W e g e d e r R e i c h s g e s e t z g e b u n g , also durch übereinstimmende Beschlüsse von Bundesrat und Reichstag. Sie gelten als abgelehnt, wenn sie im Bundesrat 14 Stimmen gegen sich haben 2 . Streng genommen sollte jedem Akte der Gesetzgebung, welcher mit einer Bestimmung der Verfassung im Widerspruch steht, die Abänderung der betreffenden Verfassungsbestimmung vorausgehen, oder diese Abänderung mindestens gleichzeitig erfolgen. Diese Form wird jedoch im Deutschen Reiche tatsächlich nicht beobachtet. Es sind vielfach einfache Gesetze erlassen worden, 19 R G über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900 § 80. Diese Vorschriften gelten auch für die S c h u t z g e b i e t e : SchGG § 3. Es fehlt an einer Bestimmung darüber, in welchem Momente die Reichsgesetze in denjenigen Gebieten des Auslandes in Kraft treten, welche nicht deutsche Ronsulaijurisdiktionsbezirke sind. Unter diesen Umstanden bleibt nichts anderes übrig, als die Bestimmung des Art. 2 der R V in Anwendung zu bringen (Seyael, Kommentar zu A r t 2 Nr. V,*Binding, Handb. des deutsch. Strafrechts 1 259ff.) And. Ans.: Laband, Staatsr. 2 88, 77, kl. A. 184, der zu den in Art. 2 vorgeschriebenen 14 Tagen noch den Zeitraum hinzurechnen will, welcher erforderlich ist, damit das betreffende Stück des Gesetzblattes nach dem in Frage stehenden ausländischen Gebiete gelangen kann. 1 Laband, StR 2 38 ff; Seydel, Komm. 411 ff, 418 ff; Haenel, Studien 1 255ff; Zorn, StR 1 431 ff.; Arndt und Dambitsch, Komm, zur R V , zu Art. 78 Abs. 1. a D . h. der durch das Reichsgesetz vom 16. April 1871 gegebenen Verfassungsurkunde. Nur auf diese bezieht sich Art. 78 Abs. 1 R V , nicht auf die „Reichsverfassung" im weiteren und materiellen Sinne (Inbegriff aller Normen über die Organisation und die Einrichtungen des Reichs). Übereinstimmend Laband, a. a. O. 38. 2 R V A r t 78 Abs. 1. Vgl. oben § 163 S. 683.
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Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§
1 .
welche Verfassungsbestimmungen nicht ausdrücklich, aber stillschweigend aufgehoben, modifiziert oder für den betreffenden Fall außer Anwendung gesetzt haben: Gesetze, welche das Verfassungsr e c h t , nicht aber den Verfassungstext ändern. Angesichts der stetigen Praxis, welche diesem Verfahren zur Seite steht, muß dasselbe als durch Gewohnheitsrecht anerkannt betrachtet werden 8 . Dies gilt auch für solche einfache Gesetze, welche die Zuständigkeit des Reiches (oben § 80) überschreiten, indem sie Angelegenheiten regeln, welche der Gesetzgebungshoheit des Reiches nicht unterliegen Auch in diesem Falle ist nur erforderlich, daß das Gesetz im Bundesrate nicht gegen 14 Stimmen beschlossen, nicht aber, daß es äußerlich (in seiner Überschrift oder den einzelnen Bestimmungen) ausdrücklich als verfassungsänderndes Gesetz gekennzeichnet wird. Geschieht letzteres, so wird dadurch das Gesetz zum Bestandteil des Verfassungstextes, will man es abändern, so findet Art. 78 Abs. 1 RV Anwendung 0 . Geschieht es nicht, so hat das Gesetz lediglich die Kraft und Bedeutung eines einfachen Gesetzes, welches im gewöhnlichen Wege der Reichsgesetzgebung abgeändert werden kann, und zwar auch dann, wenn durch die Abänderung noch weitergehende Wandlungen des ursprünglichen Verfassungsrechts bewirkt werden«3.] [Die dem Reiche zustehende verfassungsändernde Gewalt ist rechtlich unbeschränkt, die Reichsgewalt ist auch, und namentlich, in dieser Hinsicht eine S o u v e r ä n e 0 Gewalt. Darin liegt: 1. Das Reich ist zur Abänderung seiner Verfassung nicht sowohl zuständig als a u s s c h l i e ß l i c h zuständig. Niemand außer den in Gemäßheit der Reichsverfassung — Art. 5, 7 \ 17, 2, 78 — zusammenwirkenden Gesetzgebungsorganen des Reiches kann die 8 So die herrschende Meinung. Vgl. Laband, a. a. 0 . 39ff. und JahrbÖffR 1 27; Haenel, a. a. 0 . 1 258; Seydel, 418; Zorn 432; R.Schmidt, Ztschr. für Politik 2 203, 204 Anm.; Bähr, Die Reichstagskompetenz, Preuß. Jahrb. 28 72 ff. ; Arndt, Dambitsch, a. a. 0 . ; Triepel, Unitarismus und Föderalismus 37 und in der Festgabe (1908) für Laband 2 278. — A . M. v. Roenne, StRDR 2 1, 31 ff. ; Zachariae, Zur Frage der Reichskompetenz gegenüber dem Unfehlbarkeitsdogma (1871), 46.. t> Beispiele: G. betr. das Oberhandelsgericht vom 12. Juni 1869; Jesuitengesetz vom 4. Juli 1872, § 1; Gr., betr. Einführung einer einheitlichen Zeitbestimmung vom 12. März 1893. c So auch Thudichum, VerfR 84. d Laband, a. a. 0 . 41, 42. A. M. Haenel, a. a. 0 . 1 255 Anm. 6. Seydel, a. a. O. 419 will unterscheiden: „Soll durch das beabsichtigte neue Gesetz der Umfang der Zuständigkeitserweiterung noch mehr ausgedehnt werden, so bedarf es abermals der Form der Verfassungsänderung ; wenn nicht, dann nicht." Danach hätten z. B. die Bestimmungen des G v G über das Reichsgericht als verfassungändernde Gesetze erlassen werden müssen, denn sie dehnen die dem Reiche zustehende eigene und unmittelbare Gerichtsbarkeit noch weiter aus als dies durch das G. über das Oberhandelsgericht vom 12. Juni 1869 geschehen war. Vgl. Haenel, StR 1 743 fl. « Oben § 14 S. 50ff. Anm. g, n; § 71 S. 227 Anm. 6.
Die Funktione.
§ 16.
1
Reichsverfassung ändern f , niemand eine solche Änderung fordern, verbieten oder von seiner Zustimmung abhängig machen. Insbesondere steht den Gliedern des Reichs, den Einzelstaaten als solchen, außerhalb des zur Geltendmachung ihrer Interessen bestimmten Reichsorganes, des Bundesrates, ein Recht des Widerspruchs (Veto) gegen Reichsverfassungsänderungen nicht zu. Dies gilt auch für Verfassungsänderungen, welche unter Art. 78 Abs. 2 RV fallen (vgl. unten 692 Anm. h, 698). 2. Die verfassungändernde Gewalt des Reiches ist auch gegenständlich unbeschränkt. Auf dem durch Art. 78 bezeichneten Wege und nur auf diesem Wege können alle denkbaren und f
Wenn schon die Abänderung der R V nur durch die gesetzgebenden Faktoren des Reichs gemäß Art. 7ö erfolgen kann, so ist ihre vollständige Aufhebung durch andere als diese Faktoren erst recht nicht möglich. Die in gewissen Kreisen anscheinend nicht unbeliebte und unter Ausschluß der Öffentlichkeit gepflegte Ansicht, wonach die verbündeten Regierungen durch Einstimmigkeitserklärung (durch einen „neuen Bundesvertrag", wie man es nennt) das bestehende Reich auflösen und durch ein neues mit einer anderen Verfassung zu ersetzen befugt seien, ist von v. Jagemann, R V 80, an das literarische Tageslicht gebracht und verteidigt worden. Außer ihm bekennt kein Schriftsteller sich zu ihr. Seydel, zu dessen extrem föderalistischen Grundanschauungen (vgl. oben 199, 225) sie eigentlich passen würde, hat sie abgelehnt (Komm, zur R V 38, AnnDR 1900 184; dazu 0 . Mayer, ArchÖffR I S §44—346). Laband bezeichnet sie, als ,,wertlose Gedankenspielerei" (DJZ 9 563). Sie steht in unversöhnlichem Widerspruch mit R V Art. 78, mit der selbständigen Staatlichkeit und Souveränetät des Reiches. Politisch ist sie verwerflich als ein Unternehmen, welches geeignet ist, das Vertrauen in die Festigkeit des Reichs Verbandes und in die Verfassungstreue der verbündeten Regierungen zu erschüttern. Die Wissenschaft hat sich einstimmig gegen sie erklärt: vgl. Laband, a. a. O. und StR 1 91 Anm. 1, Kl. A. 24 Anm. 1; Seydel, 0 . Mayer, a. a. 0 . ; Zorn, Reich und Reichsverfassung (1895) 3; Jellinek und Anschütz in der „Frankfurter Zeitung", 20. Mai 1904; Anschütz in der „Täglichen Rundschau" vom 20. und 29. Mai 1904; Strantz, DJZ 9 534; Triepel, Unitarismus und Föderalismus 31, 32. Ebenso die Reichsregierung: Erklärung des Staatssekretärs Graf Posado wskv im Reichstage, 24. Jan. 1905. Daß B i s m a r c k sie für richtig gehalten habe — so Hans Delbrück, Regierung und Volkswille (1914), 63 — ist eine unbewiesene Behauptung. Das Dokument, worauf Delbrück sich bezieht, ist ein Bundesratsbeschluß vom 5. April 1884 (Reichsanzeiger 1884 Nr. 83, auch abgedruckt in den AnnDR 1886 350 ff). Daß dieser Beschluß (eine Erklärung der preußischen Regierung, der sich die übrigen verbündeten Regierungen im Bundesrate angeschlossen haben) nicht sowohl die Meinung des Bundesrates als die Überzeugungen seines damaligen Vorsitzenden wiederspiegelt, ist zuzugeben, nicht aber, daß er das enthält, was Delbrück hineinlegt. Der Beschluß ist im wesentlichen eine amtliche Erklärung zugunsten der Lehre von den „vertragsmäßigen Grundlagen der Reichsverfassung", wonach gewisse Verfassungsänderungen — solche nämlich, welche „die Bedürfnisgrenze in unitarischer Richtung überschreiten" — durch die „fortdauernden Verträge, auf denen das Reich beruht" ausgeschlossen sein sollen. Diese Lehre ist unhaltbar (vgl. unten 694). W i e man sich aber auch zu ihr stellen will, jedenfalls läßt sich mit ihr immer nur die Aufrechterhaltung des bestehenden Verfassungsrechtes, sein Schutz vor (angeblich unzulässigen) Änderungen, niemals sein Umsturz rechtfertigen. Sevdel, Komm. 185 ff. legt den Beschluß vom 5. April 1884 zu partikularistisch aus; richtig dagegen Rehm, StL 93-95.
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Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§
1 .
möglichen Verfassungsänderungen bewirkt werden, also nicht nur solche, welche die Organisation, sondern auch solche, welche die Zuständigkeit des Reiches, und nicht minder solche, welche die Stellung der Einzelstaaten im Reiche und zum Reiche ändern, wobei es überall keinen Unterschied macht, ob die dadurch herbeigeführten Rechts- und Machtverschiebungen politisch unbedeutend oder bedeutend sind. Keine Veränderung des durch die Reichsverfassung geschaffenen Rechtszustandes ist so groß, daß sie der durch Art. 78 bezeichneten Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung entrückt wäre. Es kann demnach durch verfassungänderndes Reichsgesetz, ohne daß den Einzelstaaten als s o l c h e n ein Recht des Widerspruchs (Veto) dagegen zustände, a) die bestehende Machtverteilung zwischen den obersten Reichsorganen abgeändert, z. B. durch Verstärkung der kaiserlichen Gewalt das Reich in eine Einherrschaft verwandelte, durch Schwächung der Stellung des Bundesrates der unitarische Charakter des Reiches schärfer betont, durch Vergrößerung der Macht des Reichstags die Reichsverfassung unter Zurückdrängung ihrer föderalistischen und monarchischen Grundgedanken demokratisiert werden ; b) die Zuständigkeit des Reiches auf Kosten der einzelstaatlichen Zuständigkeit erweitert w e r d e n i n d e m dem Reiche solche Tätigkeitsgebiete („Angelegenheitenu im Sinne des Art. 4 RV 1 ), die seiner Kompetenz bis dahin völlig entzogen waren, zugewiesenk, oder ihm in solchen Angelegenheiten, die bisher nur seiner Gesetzgebung und Beaufsichtigung unterstanden, unmittelbar volls Vgl. oben 474, 477, 499, 500. k Diese Betätigungsmöglichkeit der verfassungsändernden Gewalt nennt man „ K o m p e t e n z - K o m p e t e n z " . Die Kompetenz-Kompetenz ist ein unmittelbarer Ausdruck und Ausfluß der dem Reiche zustehenden S o u v e r ä n e t ä t : vgl. oben § 14 S. 52 Anm. n, § 6. Zur Zeit des Norddeutschen Bundes war die Frage, ob eine Ausdehnung der Bundeskompetenz auf dem Wege der Verfassungsänderung zulässig oder ob dazu die Zustimmung aller Bundesglieder erforderlich sei, bestritten. Nach dem Wortlaut des Abs. 2 Art. 78 der Reichs Verfassung kann es keinem Zweifel unterliegen, daß solche Kompetenzerweiterungen durch bloße Verfassungsänderungen zulässig sind. Dieses Resultat wird auch durch die Vorgänge oei Gründung des Reiches, gelegentlich welcher eine Erweiterung der Kompetenz im Wege der Bundesgesetzgebung erfolgte, und durch die spätere Praxis bestätig. Ebenso besteht unter den Schriftstellern über diesen Punkt jetzt völlige Einstimmigkeit: vgl. G. Meyer, Staatsrecht. Erört. 74ff., 78 N. 1; Haenel, Studien 1 156ff., StR 1 771 ff.; Laband, StR 1 105; Seydel, Komm 413ff.; Loening, Grundzüge der R V (2. Aufl.) 28, 103; Anschütz, Enzykl. 66, 71; Zorn, StR 1 77ff.; Arndt, RStR 186fl.; Dambitsch, R V 679. i Vgl. oben § 80 S. 260ff.; Anschütz, Enzykl. 70, 71. k Beispiel: Ausdehnung der Gesetzgebungshoheit des Reiches auf das „gesamte bürgerliche Recht" durch R G vom 20. Dez. 1873 (Änderung des Art. 4 Nr. 13 RV). — Das Reich könnte sich durch Handhabung seiner Kompetenz-Kompetenz das Recht beilegen, die Verfassung der Einzelstaaten, oder ihr Steuerwesen gesetzlich zu regeln, indem durch Reichsgesetz etwa gewisse Normativbestimmungen für die einzelstaatlichen Verfassungen (vgl.
Die Funktione.
§ 16.
ziehende — administrative, oder richterliche — Befugnisse beigelegt werden 1 ; c) die rechtliche Natur der Einzelstaaten verändert, ihr Status herabgemindert werden. Es liegt nicht außerhalb, sondern innerhalb der rechtlichen Möglichkeit, in den Grenzen des dem Reiche durch Art. 78 seiner Verfassung übertragenen Könnens und Dürfens, die Einzelstaaten unter Aufhebung ihrer Staatlichkeit in autonome Verbände oder Selbstverwaltungskörper ohne Staatseigenschaft und damit das Reich aus einem Bundesstaat in einen Einheitsstaat zu verwandeln m . Frankf. R V von 1849 §§ 186, 187) erlassen werden oder eine Verteilung der Steuerquellen zwischen Reich und Einzelstaat vorgenommen wird. 1 Jede Erweiterung des Wirkungskreises der eigenen und unmittelbaren Verwaltung des Reichs bezüglich der im Art. 4 R V bezeichneten Angelegenheiten bedeutet und erfordert eine Verfassungsänderung. A. M. die Vorauf!. 235, 600, 601. Vgl. dagegen oben § 80 S. 262 Anm. 11 und Anschütz, Enzykl. 71. m Hiergegen läßt sich nicht einwenden, daß das Reich nach seiner Verfassung ein Bundesstaat sei, denn „es ist in der Verfassung nirgends ausgesprochen, daß das Reich für alle Zeit ein Bundesstaat sein und bleiben müsse. Die Verfassung gestattet ebensowohl die Fortentwicklung in dezentralisierender, föderalistischer Richtung als die Konsolidierung zum Einheitsstaat" (Laband 1 129). »Da der Bundesstaat souverän ist, so gibt es für die Ausdehnung seiner Zuständigkeit gegenüber den Gliedstaaten keine Grenze: sie kann Dis zur Vernichtung ihres staatlichen Charakters gehen und der Bundesstaat sich demgemäß in einen Einheitsstaat verwandeln" (Jellinek, StL 783). „Von dem souveränen Urteile des Reichs über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Zentralisation und Dezentralisation der staatlichen Aufgaben, über die Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit der Einzelstaaten hängt es ab, ob der verfassungsmäßige Gesamtplan der Änderung bedürftig ist oder nicht, ob die Zuständigkeit und die K e c h t s s t e l l u n g , die zur Zeit den Einzelstaaten gewährt sind, beizubehalten sind oder nicht" . . . „Es ist wesentlich nur die Organisationsweise der gesetzgebenden Körperschaften und insbesondere des Bundesrates, welche den Einzelstaaten Bürgschaften für die Aufrechterhaltung des deutschen Bundesstaates und damit ihres eigenen Daseins . . . gewähren kann (Haenel, StR 797, 793). I m Gegensatz zu diesen Schriftstellern will eine weit verbreitete Meinung eine unbedingte Garantie für das Dasein und die Erhaltung der Einzelstaaten aus der Bundesnatur des Reiches oder aus dessen „vertragsmäßigen Grundlagen" (s. oben im Text) ableiten: vgl. die Voraufl. 590ff.; Seydel, Komm. 421, 422; Otto Mayer, ArchÖffR 18 357 ff, 363 ff.; Dambitsch, Komm, zur R V 680. — Zorn, StR 1 78 ff. verneint das Dasein rechtlicher Schranken der dem Reiche zustehenden verfassungändernden Gewalt und schließt daraus (136) richtig, daß das Reich mittelst dieser Gewalt „die eigene Staatstätigkeit der Einzelstaaten zum nudum ius entleeren könne"; vor diesem nudum ius aber müsse das Reich haltmachen, die „Existenz" der Staaten könne es nicht aufheben, denn diese Existenz gehöre den „tatsächlichen Unterlagen" des Reiches. Das ist unfolgerichtig und auch sonst nicht überzeugend; „tatsächliche Unterlage" des Reiches ist z. B. auch das Reichsgebiet, welcnes doch unbestritten ermaßen durch Reichsverfassungsgesetz abgeändert werden kann (oben 240). Gegen Zorn richtig Rehm, StL 179 Anm. 4. Rehm begeht indessen eine ähnliche Inkonsequenz wie Zorn: a. a. O. 145 bemerkt er richtig, daß sich ein Recht des Einzelstaates auf Existenz aus dem Bundescharakter des zusammengesetzten Staates nicht ableiten lasse, — gelangt aber dann doch wieder dazu, ein solches Recht auf Existenz zu behaupten, indem (179,
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Drittes Buch.
§
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Ob die Reichsverfassung nach einer der vorstehend bezeichneten oder einer anderen Richtung hin abzuändern ist und inwieweit, ist niemals eine Rechtsfrage, sondern eine Frage der rechtlich unbeschränkten Gesetzgebungspolitik des Reiches. Ein Veto gegen die Betätigung der Kompeteüz-Kompetenz des Reiches steht den Einzelstaaten als solchen in keinem Falle zu; es läßt sich weder aus der Verfassung, noch aus der rechtlichen Natur des Reiches, noch aus „ v e r t r a g s m ä ß i g e n G r u n d l a g e n " des Reiches herleiten. „Vertragsmäßige Grundlagen a besitzt das Reich nur im Sinne der Geschichte, nicht im Rechtssinne. Das heißt 11 : das Deutsche Reich oder vielmehr der Norddeutsche Bund, dessen Erweiterung es lediglich darstellt, ist durch eine vertragsförmige Einstimmigkeitserklärung seiner Glieder, der deutschen Einzelstaaten, geschaffen worden, es beruht insoweit, h i s t o r i s c h , auf „Vertrag" —richtiger: auf Vereinbarung oder Gesamtakt 0 —, es ist aber nicht selbst ein Vertragsverhältnis, noch hat seine Verfassung die rechtliche Natur eines Vertrages. Das Reich ist kein Vertrag, auch nicht Vertrag und Staat zugleich, sondern nur Staat, und zwar ein souveräner Staat, seine Verfassung gleichfalls kein Vertrag, noch auch Vertrag und Gesetz zugleich, sondern nur Gesetz, und zwar Gesetz des Staates, dem sie dient: Reichsgesetz, nur Reichsgesetz. „Die vertragsmäßigen Grundlagen des Norddeutschen Bundes erloschen, indem der Bund ins Leben trat; dieser Bund, der nicht sowohl ein Bund als ein S t a a t war, v e r z e h r t e das V e r t r a g s b a n d , welches ihn vorbereitet und lediglich zu dem Zwecke dieser Vorbereitung sich um die Einzelstaaten geschlungen hatte" P* Es entstand damals ein neuer Staat, ein souveräner Staat, der Herr seiner selbst und seiner Verfassung war, nicht beschränkt durch fortdauernde Verträge seiner Gründer. Das Gleiche gilt wie vom Norddeutschen Bund, so vom Deutschen Reich. Denn das Reich ist j a im Verhältnis zum Norddeutschen Bunde keine neue und andere, sondern dieselbe Staatsindividualität q, es ist lediglich der vergrößerte Norddeutsche Bund, nicht sein Rechtsnachfolger, sondern (als Subjekt) mit ihm identisch. Auch das Reich ist nicht Staat und Vertrag zugleich, sondern nur Staat, seine Verfassung nicht Gesetz und Vertrag zugleich, sondern nur Gesetz. Daß sich die Gegenmeinung, wonach die Reichsverfassung „in der Form eines Vertrages auftrete", auch nicht mit 132) die Bundesnatur des Reiches und damit die Fortexistenz der Einzelstaaten. zu den „fundamentalsten Grundlagen der Reichsverfassung gehöre, deren Änderung auf dem durch Art. 78 R V bezeichneten Wege nicht möglich sei. n Vgl. zum Folgenden oben 194 ff. o Oben 194—196, 200, 201; dazu noch Rehm, Staatslehre 93, 94. p Oben 195. Gleichartig in der Grundanschauung: Haenel, StR 34, 49ff.; Rehm, a. a. 0 . 93, 94, 129, 136, 179 Anm. 4; Triepel, Unitarismus und Föderalismus 24 ff. * Oben 207; Haenel, StR 51.
Die Funktione.
§ 16.
der Gestaltung der Eingangsworte („Präambel") . . . „schließen einen ewigen Bund" begründen läßt, ist bereits in anderem Zusammenhange dargelegt worden1". Mithin sind „vertragsmäßige Grundlagen* der Reichsverfassung i m R e c h t s s i n n e , , d. h. im Sinne von rechtlich wirksamen Schranken der verfassungändernden Gewalt des Reichs, im Sinne fundamentaler Normen und Einrichtungen, welche nicht durch Reichsgesetz gemäß RV Art. 78, sondern nur so, wie der deutsche Bundesstaat einst geschaffen wurde, durch Gesamtakt der verbündeten Regierungen, abgeändert werden könnten, n i c h t v o r h a n d e n . Das Dasein „vertragsmäßiger Grundlagen 44 in der vorstehend gekennzeichneten Bedeutung wird gleichfalls g e l e u g n e t von Haenel, Studien 1 177 ff., StR 1 771 ff.; Laband, StR 1 129; v. Roenne, StR d D R § 65 S. 27 ff; Jellinek, Lehre v. d. Staatenverbindungen 301 ff., Staatsl 783ff; Schulze, Deutsches StR 1 165, 2 1, 2; Anschütz, Enzykl. 58, 59, 63, 66, 67; Arndt, Reichsstaatsr 194; Triepel, Unitarismus u. Föderalismus; Rosenthal, Reichsregierung 48; Affolter, AnnDR 1908 847; auch von Zorn und Rehm (welche inaessen mit der hier und auch von ihnen bekämpften Lehre im Ergebnis in wesentlichen Punkten zusammentreffen; vgl. oben Anm. m); — b e h a u p t e t dagegen von Seydel, Komm. 13 ff, 419 ff.; 0 . Mayer, ArchÖffR 18 3o8 f., 363 ff.; v. Jagemann, Reichs verfass. 27 ff, 37 ff.; Dambitsch, Komm. z. R Y 8 ff, 679 ff.; Bähr, PreußJahrbb. 28 72 ff; Smend in der Festgabe f. Otto Mayer (1916), 258 ff; namentlich auch von G. Meyer in derYoraufl. 588 ff. G.Meyer rechnet zu den vertragsmäßigen Grundlagen: die Existenz der Einzelstaaten als Glieder des Bundes, das Bestehen eines Bundes Verhältnisses und die (durch die Eingangsworte der R Y festgestellten) Bundeszwecke. A u f die Erhaltung dieser Grundlagen habe jeder Einzelstaat dem Reiche (nicht den einzelnen übrigen Staaten) gegenüber ein vertragsmäßiges Recht, die Änderung und Aufhebung der Grundlagen könne daher nur unter Zustimmung beider Teile: des Reiches (zu erteilen m der Form des verfassungändernden Reichsgesetzes) und des beteiligten Einzelstaates bzw. der beteiligten Einzelstaaten, erfolgen ß.
i Oben 195 und Anm. 1, m. A. M. G. Meyer, Voraufl. 175, 588 N. 6 und Staatsrechtl. Erört. 58 ff I m Sinne des Textes jetzt insbes. Rehm, a. a. 0 . 136, 179; vgl. Yoraufl. 590 Anm. 9. s ) Gestützt auf seine Theorie von den vertragsmäßigen Grundlagen behauptet G. Meyer (Vorauf!. 591, 592), daß „eine Abänderung der Rv unter Zustimmung des betreffenden Einzelstaates" erforderlich sei, insbesondere zur Abtretung einzelstaatlichen (Gegensatz: reichsunmittelbaren) Gebietes an das Ausland, wofern dieselbe nicht in einem Friedens vertrage erfolgt, und ebenso zur Vereinigung eines deutschen Staates mit einem andern deutschen Staate. Dagegen seien (a. a. O. 593) teilweise Abtretungen an andere deutsche Staaten durch bloße Vereinbarung der beteiligten Staaten (ohne Zustimmung der Reichsgewalt) für zulässig zu erachten, weil dadurch weder die Mitgliedschaft am Reiche noch irgendeine Bestimmung der R V berührt werde. Dasselbe gelte von der Vereinigung mehrerer deutscher Staaten in der Form der Personal- oder Realunion. Daß das Reich Gebietsteile, die einem seiner Einzelstaaten angehören, nur in einem Friedens vertrage, sonst aber nicht ohne und wider den Willen des betreffenden Einzelstaates abtreten darf, ist, wie bereits oben S. 242 anerkannt, richtig. Es folgt dies aber nicht aus „vertragsmäßigen Grundlagen", sondern daraus, daß das Reich über das Gebiet seiner Staaten nur verfügen darf in Handhabung einer verfassungsmäßigen Zuständigkeit, welche das Recht zur Vornahme von Gebietsabtretungen einschließt bzw. notwendigerweise mit sich bringt. Das dem Reiche durch Art. 11 R V verliehene Recht über Krieg und Frieden ist nach geltendem Verfassungsrecht
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Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§
1 .
Zur Begründung seiner Ansicht beruft G. Meyer (ebenso auch Bahr) sich auf die Entstehungsgeschichte des Norddeutschen Bundes und auf die Eingangsworte der R V, auf beides, wie oben und S. 195 ff. gezeigt, mit Unrecht. Bei Seydel und 0 . Mayer erscheint die Lehre von den vertragsmäßigen Grundlagen als einfacher Ausdruck ihrer Anschauungen über die rechtliche Natur des Reiches als eines Vertragsverhältnisses (vgl. oben § 71 Anm. 2). die einzige Zuständigkeit dieser Art; die Machtbefugnis, das Gebiet seiner Einzelstaaten auch noch in anderen Fällen, zu anderem Zwecke als zu dem eines Friedenschlusses, an das Ausland abzutreten, besitzt das Reich dermalen nicht, es würde sie sich freilich jederzeit durch einen A k t der KompetenzKompetenz, im Wege des Art. 78 Abs. 1 zusprechen können. Solange als dies nicht geschehen, kann sich die Abtretung nicht reichsunmittelbaren Gebietes an das Ausland, den Fall des Friedensschlusses immer ausgenommen, korrekterweise nur so vollziehen, daß der betreffende Einzelstaat mit dem ausländischen Staate einen entsprechenden Vertrag abschließt, dem dann das Reich — unter Beobachtung der Formen der Verfassungsänderung (wegen Art. 1 R V ) — genehmigend beitritt. So auch die Staatspraxis: die zwischen Baden und der Schweiz abgeschlossenen Verträge, betreffend Grenzregulierungen am Bodensee (bei Konstanz) und bei Basel vom 28. April 1878 und 21. Dezember 1906 sind durch Verträge des Reiches mit der Schweiz vom 24. Juni 1879 und 29. Oktober 1907 „für das Reich als rechtsgültig anerkannt" worden. Die beiden Reichs Verträge wurden von den gesetzgebenden Faktoren, Bundesrat und Reichstag, genehmigt; es muß vorausgesetzt werden, daß der Bundesrat hierbei Art. 78 Abs. 1 nicht außer acht gelassen hat (vgl. auch RGes v. 31. Juli 1908, R G B l 497). Ebenso hat das Reich durch die — materiell verfassungändernden — Gesetze vom 22. Januar 1902 (RGBl 31, 32) seine „Zustimmung" dazu erteilt, daß Preußen gewisse Gebietsparzellen an Österreich und Dänemark abtrete (vgl. Anschütz, Enzykl. 79, 80). Was G. Meyer über Veränderung der Binnen- (Gegensatz: Auslands-) Grenzen der Einzelstaaten und über die Begründung von Personal- und Realunionen zwischen deutschen Einzelstaaten sagt, ist unzweifelhaft zutreffend. Gibt man aber zu, daß die Einzelstaaten sich, ohne der Erlaubnis des Reichs zu bedürfen, mit anderen Einzelstaaten personell oder real unieren können (Präzedenzfall hierfür: die Union zwischen den beiden Schwarzburg, vgl. oben 43 Anm. d), so erscheint es nur folgerichtig, den Staaten auch das Recht zuzugestehen, die Realunion zur vollständigen Verschmelzung (Fusion, Inkorporation) zu steigern. W i e in solchem Falle die Zustimmung des Reiches nicht erforderlich wäre, so auch nicht dann, wenn ein Einzelstaat, auf sein weiteres Dasein verzichtend, sich in einen anderen Einzelstaat einverleiben läßt. Als das bis 1876 mit Preußen in Personalunion stehende Herzogtum Lauenburg durch preuß. Ges. v. 23. Juni 1876 mit Preußen vereinigt wurde, ist die Erlaubnis des Reiches nicht für nötig erachtet worden, wie es auch nicht in der Absicht zu liegen scheint, diese Erlaubnis einzuholen zu der (Zeitungsnachrichten zufolge) bevorstehenden Fusion der beiden, z. Z. real unierten Fürstentümer Schwarzburg (vgl. Francke, ArchÖffR 85 462). Übereinstimmend in der Grundanschauung Laband, StR 1 130 ff.; Anschütz, Enzykl. 80, 81 Anm. 1. Darüber, welche Rückwirkungen die Verschmelzung z vveier Einzelstaaten oder die Vereinigung eines Einzelstaates mit einem anderen auf die Reichsverfassung, insbesondere auf die Stimmenverteilung im Bundesrate 2 äußert, können die beteiligten Einzelstaaten nichts bestimmen, denn es steht insoweit nicht ihr Recht, sondern das Recht des Reiches in Frage. Die Entscheidung hierüber ist zunächst Sache des Bundesrats, welcher — vorbehaltlich der endgültigen Ordnung der Angelegenheit durch ein verfassungänderndes Reichsgesetz — zu beschließen haben würde, ob die Stimme des durch Fusion oder Inkorporation untergegangenen Staates als erloschen zu behandeln oder dem inkorporierenden Staate zugewachsen ist. Vgl. Schulze, deutsch. StR 2 8 ff.; Anschütz, Enzykl 80, 81 Anm.
Die Funktione.
§ 16.
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Dambit ach und v. Jagemann berufen sich für die Richtigkeit der Lehre in erster Linie auf die „Praxis", worunter sie gelegentliche Erklärungen des Bundesrats, der Reichsleitung und der preußischen Staatsregierung verstehen. Es fragt sich doch aber gerade, ob diese Praxis (vgl. weiter unten) im Recht ist. Endlich hält Smend es (anscheinend) nicht für erforderlich, die Lehre aus irgendwelchen Tatsachen oder Rechtssätzen logisch abzuleiten, da sie g e w o n n h e i t s r e c h t l i c h feststehe: „Die föderativen Grundlagen der R Y geben nicht nur den geschriebenen Sätzen der R V eine gewisse politische Farbe und Wirkungskraft, sondern sie bedeuten ihre Bereicherung um wichtige u n g e s c h r i e b e n e . " „Die Mehrheit in der staatsrechtlichen Theorie hat das Stück des Reichsstaatsrechts ebenso vernachlässigt, wie die kleine föderalistische Minderheit (Seydel) es übertrieben hat: erst mit seiner Anerkennung erhalten einige magere Abschnitte der R V ihr eigentliches Leben und tritt neben das System der Über- und Unterordnung im Reich das ebenfalls grundlegende der bundesmäßigen Gleichordnung aller Einzelstaaten, auch des hegemonisch verstärkten Preußen" (a. a. 0 . 261, 262). Auch Smend läßt sich offensichtlich von der Vorstellung leiten, daß gewisse grundlegende Normen und Einrichtungen unseres Reichsrechts dem normalen Verfassungsänderungsverfahren entzogen seien, daß die Änderung dieser „Grundlagen" nur in vertragsmäßiger Weise, also nicht ohne die Zustimmung der bzw. der beteiligten Einzelstaaten erfolgen könne. Also ein Vetorecht der oder einzelner Staaten gegen Änderungen der R V noch in anderen Fällen als da, wo die R V ein solches Recht verleiht (Art. 5 Abs. 2, 78 Abs. 2). Diese Fälle sollen durch „ungeschriebenes" Recht, also durch Gewohnheitsrecht, bestimmt sein, welches neben der R V hergehe. Ich möchte beides leugnen, das Bestimmtsein wie das Gewohnheitsrecht. W i e die anderen Vertreter dieses „entschiedenen Föderalismus", so gibt auch Smend keine klare und erschöpfende Auskunft darüber, was er sich unter den dem verfassungsmäßigen Walten des Mehrheitswillens entzogenen „Grundlagen" eigentlich denkt. Soll etwa jede Reichsreform an dem Veto jedes Einzelstaates scheitern dürfen, weil dessen Regierung in ihr.— frei nach Bismarcks Erklärung vom 5. April 1884, s.o. Anm.f — eine „Überschreitung der Bedürfnisgrenze in unitarischer Richtung" erblickt? Was dann das Dasein eines Gewohnheitsrechtssatzes anlangt, so setzt dies eine dauernde, a l l g e m e i n e Überzeugung von der rechtlichen Notwendigkeit gewisser Handlungen oder Unterlassungen voraus. I n welchen Tatsachen oder Vorfallen soll sich eine derartige Überzeugung bekunden? Daß die verbündeten Regierungen, einzeln und zusammen, sich wiederholt zu der Lehre von den vertragsmäßigen Grundlagen bekannt haben, reicht nicht aus, um darauf die Behauptung eines Reichsgewohnheitsrechts zu stützen, denn das Reich und sein Recht ruhen doch nicnt allein auf dem Willen der Regierungen, sondern auf dem einmütigen Willen der Regierungen und des deutschen Volkes. -Als ob es lediglich die Regierungen gewesen wären, die dem Reiche seine Form gegeben haben! . . . Die Verfassung ist nicht nur zwischen den Regierungen, sondern sie ist auch zwischen Regierungen und Reichstag vereinbart worden; sie ist in doppeltem Sinne eine .paktierte 4 Verfassung" (Triepel, a. a. 0 . 81). Demgemäß kann sich Gewohnheitsrecht, welches diese Verfassung ergänzt oder abändert, nur bilden auf Grund der gemeinsamen Überzeugung beider Teile, der verbündeten Regierungen als Bundesrat und des deutschen Volkes als Reichstag. Die traditionellen Anschauungen des Bundesrats über die hier besprochene Frage ist nur die Überzeugung der e i n e n Seite; es wäre — abgesehen von anderen und weiteren — vorerst zu untersuchen, ob die andere Seite, der Reichstag, jene Anschauungen teilt. Zu untersuchen wäre übrigens auch, ob die geschilderte Regierungsansicht, wie sie sich insbesondere in dem Bundesratsbeschluß vom 5. April 1884 (oben Anm. f) widerspiegelt t , eine R e c h t s Überzeugung, ein opinio t Vgl. weitere Belege bei 0. Mayer, a. a. 0 . 364, 365; Dambitsch, a. a. 0 . 11, 680.
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§
1 .
necessitatis et iuris ist. M. E. ist das nicht der Fall. Die Bedeutung der Tatsache, daß die Regierungen sich wiederholt im Sinne der „vertragsmäßigen Grundlagen" ausgesprochen haben, liegt nicht auf staatsrechtlichem, sondern auf p o l i t i s c h e m Gebiet*. Sie hat die Tragweite einer stillschweigenden Übereinkunft unter den verbündeten Regierungen, wonach sie bei Verfassungsänderungen, welche die Macht und die unitarische Gestaltung des Reiches auf Kosten der Einzelstaaten und ihrer Rechte verstärken, nicht nur solche Majorisierungen, welche die R V verbietet (Art. 78 Abs. 1 und 2), sondern auch - grundsätzlich und tunlichst-verfassungsmäßig erlaubte Majorisierungen im Bun desrate unterlassen wollen: eine Regel, an welche die Regierungen sich durch „Bundestreue": durch ein e t h i s c h e s Gebot gebunden fühlen, ein Gebot, welches sie zu mehr und noch anderem verpflichtet als zur Befolgung dessen, was in der Verfassung steht. Als Hauntträger dieser Treimflicht erscheint (worauf zuerst Kloeppelv hingewiesen nat) der politisch führende Einzelstaat: Preußen. Preußen hat den anderen deutschen Staaten bei der Gründung des Reiches und später wiederholt versprochen, seine überragende Macht im Reiche nicht rücksichtslos einzusetzen und auszunutzen nur um den Unitarismus zu stärken, den Föderalismus zu schwächen; die Anderen verlassen sich darauf, daß das Versprechen gehalten werde. Das alles ist aber Ethik und Politik, kein Staatsrecht. Wird dem Versprechen zuwidergehandelt, so liegt darin keine Rechtsverletzung, am wenigsten ein Bruch der Reichsverfassung. Eine interne ..Übereinkunft der verbündeten Regierungen kann dem Grundsatz, wonach Änderungen der R V ohne Ausnahme nur auf dem durch Art. 78 Abs. 1 oder 2 vorgeschriebenen Wege erfolgen können, und daß j e d e d e n k b a r e Verfassungsänderung auf diesem Wege bewirkt werden kann, keinen Abbruch tun — so wenig wie etwa die ausschließliche und unbeschränkte Zuständigkeit der Staatsgesetzgebung zur Abänderung des Thronfolgerechts (oben § 86 S. 283 ff.) dadurch geschmälert werden kann, daß der Monarch des betreffenden Staates seinen Agnaten zusichert, solche Änderung niemals ohne ihre Einwilligung zu sanktionieren. —
Besonders erschwert ist die Änderung solcher Bestimmungen der Reichsverfassung, auf welchen g e w i s s e A u s n a h m e - o d e r S o n d e r r e c h t e e i n z e l n e r S t a a t e n des R e i c h e s beruhen. Die hierauf bezügliche Vorschrift der RV, Art. 78 Abs. 2, lautet: „Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur Gesamtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abgeändert werden." Gesetzentwürfe, welche die hier gemeinten Vorschriften der RV abändern wollen, sind also — dies ergibt sich aus dem Zusammenhang des Art. 78 Abs. 2 mit dem voraufgehenden Abs. 1 — nicht erst dann, wenn sie im Bundesrate 14 Stimmen (s. oben 689), sondern schon dann abgelehnt, wenn sie nur die Stimme des „berechtigten", d. h. des oder eines Einzelstaates gegen sich haben, der aus der abzuändernden Vorschrift Rechte der im Art. 78 Abs. 2 bezeichneten Art herleiten kann. G. Meyer (vgl. schon seine Staatsrechte Erörterungen, 71 ff., dann die früheren Auflagen dieses Lehrbuches: Voraufl. S. 594 ff.) wollte in Art. 78 Abs. 2, ebenso wie in den von ihm angenommenen „vertragsmäßigen Grundu) Übereinstimmend Triepel, a. a. 0 . 25, 29; Rehm, a. a. 0 . 131. v Dreißig Jahre deutscher Verfassungsgeschichte, 209. Vgl. sodann Triepel, a. a. O. 30; Smend, a. a. 0 . 261.
Die Funktione.
§ 16.
lagen der Reichsverfassung", eine rechtliche Beschränkung der verfassungändernden Gewalt des Reiches erblicken. Wäre diese Behauptung richtig, so ließe sich die gerade von G. Meyer (oben § 14 Anm. g , § 71 S. 195) immer mit besonderer Energie vertretene Auffassung des Reiches als eines s o u v e r ä n e n Staates nicht aufrechterhalten; Art. 78 Abs. 2 wäre eine Klippe, an der die Lehre vou der Souveränetät des Reiches scheitert (so, von seinem bekannten Standpunkte aus folgerichtig und begreiflich, Seyael, Komm. z. R Y 419). Die Behauptung ist aber nicht richtig. Art. 78 Abs. 2 beschränkt nicht die Reichsgewalt durch eine andere, ihr gleichgeordnete Gewalt (die des privilegierten Einzelstaates), sondern grenzt die Kompetenzen der bei der verfassungändernden Gewalt des ^Reiches beteiligten Organe gegeneinander ab: die hier privilegierten Einzelstaaten erscheinen als außerordentliche Organe jener Gewalt. Art. 78 Abs. 2 „enthält einen Rechtssatz über die Ausübung der souveränen Reichsgewalt" (Loening, Grundzüge der Verf. d. deutsch. Reichs, 46). Er bedeutet keine dem Reich als solchem von außen- und obenher auferlegte Rechtsschranke, sondern lediglich eine Hemmungsvorrichtung i n n e r h a l b des Reichsorganismus, welche, wie andere, gleichartige Vorrichtungen Änderungen der Verfassung erschweren und Rechte von Minderheiten schützen will. Das Wesen dieser Hemmungsvorrichtung besteht darin, daß einzelnen Mitgliedern einer souveränen Gesamtheit für gewisse Fälle das Recht beigelegt ist, Mehrheitsbeschlüsse der Gesamtheit durch ihren Widerspruch zu Falle zu bringen. Was Art. 78 Abs. 2 enthält und gewährt, ist m. a. W . ein gesetzgeberisches V e t o r e c h t , sonst nichts, — ein Veto, nur dem Grade nach, nicnt im Wesen verschieden von dem Vierzehnstimmenveto des Art. 78 Abs. 1 (oben 689) und ganz gleichartig mit dem Veto Preußens gemäß Art. 5 Abs. 2 R V (oben 491). Stünde Art. 78 Abs. 2 mit der Souveränetät des Reiches im Widerspruch, so müßte das leiche für jeden souveränen Staat gelten, dessen Verfassung irgendeiner [inorität ein Veto gegen Eingriffe der Gesetzgebung in ihre Rechte verleiht. Durchaus zutreffend bemerkt Loening, a. a. O. 46: „Auch im souveränen Einheitsstaate würde es nicht in Widerspruch mit dem Begriffe der souveränen Staatsgewalt stehen, wenn die Verfassung bestimmte, daß Rechtssätze, durch welche einzelnen Personen Privilegien verliehen werden, nur mit deren Zustimmung abgeändert werden können." Wer behauptet, daß Art. 78 Abs. 2 die Souveränetät des Reiches negiere, behauptet und beweist zuviel, mithin nichts. —
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Die Frage, auf welche Vorschriften Art. 78 Abs. 2 sich bezieht, was insbesondere unter „bestimmten Rechten einzelner Bundesstaaten in dem Verhältnis zur Gesamtheit zu verstehen ist, ist bestritten 4 5 .] 4 Gute Literaturübersicht bei Nirrnheim, die Begriffe ges Reservatrechts im Sinne der Verfassung des Deutschen Reiches, ArchOffR 25 596 ff. 6 Während die meisten Schriftsteller bei der Interpretation dieser Bestimmung sich streng an den Wortlaut des Art. 78 halten und dieselbe, dem Wortlaut entsprechend, ausschließlich auf Vorschriften der Reichsverfassung beschränken, ist zuerst von dem sächsischen Minister, Freiherrn v. Friesen, in der Sitzung der Zweiten sächsischen Kammer vom 23. Febr. 1872 (AnnDR 1872 1616ff.) behauptet worden, daß sie sich auf alle diejenigen Rechte beziehe, welche den Charakter von „iura singulorum" besäßen; Art. 78 Abs. 2 enthalte eine Selbstverständlichkeit, die in der R V auszusprechen, eigentlich unnötig sei. Ihm hat sich Seydel, Kommentar zu Art. 78 Nr. V , S. 421 ff. angeschlossen. I n eingehender Weise versucht Laband (Der Begriff der Sonderrechte nach deutschem Reichsrecht, AnnDR 1874 1487 ff., StR 1117 ff., kl. A. 32 ff.) die Ansicht zu begründen, Art. 78 Abs. 2 enthalte keine singulare Vorschrift über Abänderung der Reichsverfassung, sondern die Anwendung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, daß iura singularia ohne Zustimmung
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Zweiter Teil.
Drittes Buch.
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1 .
Art. 78 Abs. 2 war in der Verfassung des Norddeutschen Bundes nicht enthalten. Er findet sich zuerst in dem Schlußprotokoll betr. die Vereinbarung zwischen dem Norddeutschen Bunde, Baden und Hessen über Gründung des Deutschen Bundes vom 15. November 1870 (oben 206) und ist von da in den Vertrag mit Bayern vom 23. November 1870 unter Nr. V übergegangen. I n letzterem werden die Worte: „diejenigen Vorschriften der Verfassung, durch welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältnis zur Gesamtheit festgestellt sind" durch den erläuternden Zusatz erklärt: „ i n s b e s o n d e r e , soviel B a y e r n angeht, die u n t e r Z i f f e r I I I dieses V e r t r a g e s a u f g e f ü h r t e n B e s t i m m u n g e n " . Die Bestimmungen unter Ziffer I I I enthalten nicht die Mitgliedschaftsrechte Bayerns, z. B. sein Recht auf sechs Stimmen im Bundesrate, auf Vertretung im Heeresausschuß, auf Vorsitz im auswärtigen Ausschuß des Bundesrates (diese „Organisationsprivilegien* w sind in Ziffer I I derVerder Berechtigten nicht aufgehoben werden könnten. Iura singularia oder Sonderrechte der Einzelstaaten sind aber nach ihm alle diejenigen Rechte derselben, welche eine Abweichung von der allgemeinen Regel enthalten, einerlei , ob sie auf der Verfassung oder auf speziellen Gesetzen beruhen. Ihrem Inhalte nach erscheinen sie teils als Beschränkungen der Kompetenz des Reiches, teils als Rechte in bezug auf die Organisation der Reichsgewalt, teils als finanzielle Begünstigungen. Der Grundsatz der Unentziehbarkeit der iura singularia wird einmal durch Analogien begründet, welche der Theorie der privatrechtlichen Korporationen entnommen sind, andrerseits durch Rechtsanschauungen, die im alten deutschen Reiche und im früheren deutschen Bunde herrschend waren. Aber privatrechtliche Grundsätze können für die staatsrechtlichen Verhältnisse des Reiches nicht maßgebend sein und die Verfassung des alten deutschen Reiches und des deutschen Bundes waren von der des jetzigen Reiches so verschieden, daß aus denselben keine Schlüsse auf den heutigen Rechtszustand gezogen werden dürfen. Die Reichsverfassuug endlich bietet für eine so weit gehende Ausdehnung des Begriffes der Sonderrechte (iura singularia), wie Laband sie vertritt, keinen Anhalt, sondern spricht nur von denjenigen Rechten einzelner [„einzelner", nicht „der einzelnen", woraus zu schließen, daß Rechte gemeint sind, die nicht a e n , d. h. a l l e n einzelnen, sondern solche, die nur wenigen Staaten zustehen] Bundesstaaten, welche auf „ V o r s c h r i f t e n d e r R e i c h s V e r f a s s u n g " beruhen. Den Ausführungen Labands stimmen zu: Delbrück, Art. 40 der Reichsverfassung S. 1, 2; im wesentlichen Gierke in Schmollers Jahrbuch, a. a. O. 1171; Kittel, Die bayrischen Reservatrechte 16; Arndt, Reichsstaatsr. 197ff, Komm. z. R V (4. Aufl.) 403ff; v. Jagemann, a. a. O. 231ff. ; Dambitsch, a. a. O. 684, 685 ; dagegen nicht unbedingt Mejer, Einleitung 342 ff, obwohl Laband, StR 1 122 Anm. 2 sich auf ihn beruft. — Gegen Laband vgl. Haenel, Vertragsmäßige Elemente 183 ff., Deutsches Staatsrecht 1 811, 820 ff; Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte 304, 305 ; Loening, Die Sonderrechte der deutschen Staaten und die Reichsverfassung, AnnDR IST5 337 ff. und Grundzüge der R V 44; v. Martitz, ZStaatsW 82 569 ff; Anschütz, Enzvkl. 75 ff; Zorn, StR. 1 127 ff, Komm, zu Art. 78 Nr. 5; v. Kirchenheim, Lenrbuch des deutschen Staatsrechtes 284; B. Schmidt, a. a. 0 . 77; Nirrnheim, ArchÖffR25603ff, 610 ff, 629; Auerbach, Das neue Deutsche Reich u. seine Verfassung (1871) 35 ff.; Erwin Loewenfeld, Bereich u. Anwendung des Art. 78 Abs. 2 R V (Breslauer Diss., 1914). w Ausdruck Loenings, Grundzüge 44.
D i e Funktione.
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träges geregelt), sondern die Exemtionen Bayerns von der Reichskompetenz auf dem Gebiete des Heimats- und Niederlassungswesens, des Eisenbahn-, Post und Telegraphenwesens und des Militärwesens („Exemtionsprivilegien" w ). Daraus ergibt sich, daß unter den „ b e s t i m m t e n R e c h t e n e i n z e l n e r B u n d e s s t a a t e n " diejenigen E x e m t i o n e n d e r s e l b e n v o n d e r R e i c h s k o m p e t e n z zu verstehen sind, welche ihnen auf Grund bestimmter Vorschriften der Reichsverfassung zustehen6. Die Verfassungsvorschriften, zu deren Änderung hiernach die Zustimmung des berechtigten Bundesstaates erforderlich ist, waren daher ursprünglich folgende: die Bestimmung des Art. 4 Nr. 1, daß die Reichsgesetzgebung in Bayern sich nicht auf die Heimats- und Niederlassungsverhältnisse erstreckt; die Bestimmung des Artikel 34, daß die Hansestädte Bremen und Hamburg mit einem dem Zweck entsprechenden Bezirke ihres oder des umliegenden Gebietes außerhalb der gemeinschaftlichen Zollgrenze bleiben, bis sie ihren Einschluß in dieselbe beantragen 7 ; die Bestimmung des Artikel 35, daß in Bayern, Württemberg und Baden die Besteuerung des inländischen Branntweins und Bieres der Landesgesetzgebung vorbehalten bleibt; die Bestimmung des Artikel 46, daß die Vorschriften der Artikel 42—45 über Eisenbahnen auf Bayern nicht anwendbar sind; die Bestimmung des Artikel 52, daß die Vorschriften der Artikel 48—52 auf Bayern und Württemberg keine Anwendung finden 6 Gegen die Verwendung des angeführten Zusatzes aus dem Vertrage mit Bayern zur Interpretation des Art. 78 Abs. 2 hat Haenel, Vertragsmäßige Elemente 207 N. 100 Einwendungen erhoben, weil Ziffer I I I keine vollständige Aufzählung der Exemtionen Bayerns enthalte; die Befreiung von der Gesetzgebung über Bier- und Branntweinsteuer vielmehr unter Ziffer TI stehe. Dagegen ist jedoch zu bemerken, daß Ziffer I I I allerdings alle diejenigen Exemtionen aufzählt, welche s p e z i e l l B a y e r n in dem Vertrage vom 23. Nov. eingeräumt sind, während die unter I I aufgeführten bereits Baden und Hessen in dem Vertrage vom 15. Nov. zugestanden waren. [Übereinstimmend in der Bewertung des Versailier Vertrages Ziff. V als Material zur Auslegung des Art. 78 Abs. 2 R V : Thudichum in Holtzendorffs Handb. f. Gesetzgebung 1 48; v. Kirchenheim, a. a. 0 . 284; Anschütz, Enzykl. 76, 77 ; E. Loewenfeld, a. a. O. 41. 7 Haenel, Vertragsmäßige Elemente 200ff., will auf das Privileg der Hansestädte die Vorschrift des Art. 78 Abs. 2 nicht angewendet wissen, weil zum Eintritt der Hansestädte in die Zollgrenze eine Verfassungsänderung nicht notwendig sei, vielmehr ein einfacher Beschluß des Bundesrates genüge. Hier handelt es sich aber nicht um den Fall, wo eine der Hansestädte sich bereit erklärt, freiwillig in die Zollgrenze einzutreten, sondern um die Frage, ob ihnen das Privileg, gegen ihren Willen nicht eintreten zu brauchen, ohne ihre Zustimmung genommen werden kann. Mit der hier entwickelten Ansicht stimmen fast alle Schriftsteller und Redner im Reichstage über den Gegenstand überein. Vgl. die Nachweisungen bei G. Meyer, Deutsches VerwaltR (2. Aufl.) 2 324 N. 9.
G. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht. I I .
7. Aufl.
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Zweiter Teil.
Drittes Buch.
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1 .
die Schlußbestimmung zum X I . Abschnitt über die Ordnung des bayrischen und württembergischen Militärwesens; die Schlußbestimmung zum X I I . Abschnitt, betreffend die Ausgaben für das bayrische Heer 8 . Von diesen Verfassungsvorschriften hat die Bestimmung über die Exemtion Bayerns, Württembergs und Badens von der Branntweinbesteuerung mit dem am 1. Oktober 1887 erfolgten Eintritt der betreffenden Staaten in die Branntweinsteuergemeinschaft des Reiches ihre ursprüngliche Bedeutung verloren 1 . [Sehr verringert ist ferner die Exemtion Bayerns von der Gesetzgebungshoheit des Reiches in Sachen der Heimats- und Niederlassungsverhältnissey.l Das im Art. 34 der Verfassung festgesetzte Privileg Bremens und Hamburgs hat auch nach dem Einschluß beider Städte in das Zollgebiet insofern noch praktische Wichtigkeit, als denselben beim Zollanschluß ein kleines Freihafengebiet belassen und der Grundsatz, daß dieses ohne ihre Zustimmung dem Zollgebiet nicht angeschlossen werden kann, unverändert bestehen geblieben ist 9 . Unter die beschränkende Vorschrift des Abs. 2 von Art. 78 fallen nur Exemtionen von der gemeingültigen Reichskompetenz, nicht "Organisationsprivilegien" (s. oben), — also n i c h t die besondere Vertretung, welche einzelnen Bundesregierungen in bestimmten Bundesratsausschüssen zugestanden i s t 1 0 , n i c h t die 8 I n der elften Sitzung der ordentlichen Reichstagssession von 1871 hatte der Abgeordnete Haenel beantragt, an Stelle der allgemeinen Bestimmung des zweiten Absatzes des Art. 78 folgende Fassung anzunehmen: „die Bestimmungen der Reichsverfassung, nämlich des Art. 4 Nr. 1, des Art. 85 Alinea 2, des Art. 46 Alinea 2, des Art. 52, der Schlußbestimmung zum X I . Abschnitt und der Schlußbestimmung zum X I I . Abschnitt, durch welche bestimmte Rechte Bayerns und beziehentlich Württembergs und Badens in deren Verhältnis zur Gesamtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung des berechtigten Einzelstaates abgeändert werden." Dieses Amendement ist vom Reichstage abgelehnt worden, jedoch, wie die Verhandlungen ergeben, ohne die Absicht, dadurch über seine materielle Richtigkeit ein Urteil fällen zu wollen (Sten. Ber. 159—162). * Vgl. R G über die Besteuerung des Branntweins v. 15. Juli 1909 §§ 26, 154; oben $ 168 S. 683 Anm. 9. y Es ist dies dadurch geschehen, daß die einschlägigen Bundes- bzw. Reichsgesetze in Bayern mit dessen Zustimmung eingeführt worden sind: so das FreizügigkeitsG v. 1. Nov. 1867 schon durch den Bündnisvertrag v. 23. Nov. 1870, neuerdings nun auch das R G über den Unterstützungswohnsitz v. 6. Juni 1870 durch R G v. 30. Juni 1913; vgl. oben § 112 S. 429 Anm. 18 sowie § 1 des G. v. 30. Juni 1913, wonach die §§ 37, 56 Abs. 2 Satz 2 im Verhältnis zum Königreich Bayern nur mit dessen Zustimmung geändert werden können. 9 Für Hamburg ist der Grundsatz durch das R G v. 16. Febr. 1882 § 1 ausdrücklich ausgesprochen; derselbe findet aber auch auf Bremen Anwendung. Übereinstimmen^: Laband, StR 4 398 Anm. 2; Haenel, StR 1 674 Anm. 7; Thümmel im ArchOff R K 406. 10 Anderer Ansicht: Haenel, Vertragsmäßige Elemente 199ff.; H. Schulze, Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes 2 18; v. Kirchenheim, Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes 284, und die Anm. 11 zitierten Schriftsteller. M i t dem Wortlaut des Abs. 2 von Art. 78 ist diese Auffassung allerdings ver-
Die Punktionen.
§ 164.
703
Stimmen der einzelnen Regierungen im Bundesrat 11 und ebenso nicht die Präsidialrechte Preußens 12 1 8 . Die Z u s t i m m u n g des b e r e c h t i g t e n B u n d e s s t a a t e s kann dem Reiche gegenüber nur durch den Vertreter des Staates im Bundesrate erklärt werden, und diese Erklärung ist für das Reich ausreichend. [Eine Verpflichtung der betreffenden Regierung, einbar, dagegen nicht mit der Entstehungsgeschichte desselben. Namentlich steht der erläuternde Zusatz im Vertrage mit Bayern [oben N. 6] entgegen. 11 Die Ansicht, daß nicht bloß die besondere Vertretung in den Bundesratsausschüssen, sondern auch die Stimmenzahl im Bundesrat unter die Bestimmungen des Abs. 2 Art. 78 falle, vertreten: Seydel, Komm, zu Art. 6 Nr. I I I und Kontroversen des Reichsverfassungsreohtes, Zeitschrift für die deutsche Gesetzgebung und einheitliches deutsches Recht 7 621 ff.; Loening, a. a. 0 . 867 und Grundzüge der R V 44, 45; v. Rönne §§ 22 u. 65; L. A. Müller, Reichsrecht und Landesrecht in Bayern, AnnDR 1876 848; Trieps, a. a. O. 130 ff; v. Jagemann, Die deutsche R V 230 ff; Rosenberg im ArchÖffR 14 342. Diese Ansicht ist aber mit dem Wortlaut des Art. 78 nicht vereinbar, da die betreffenden Rechte keine „bestimmten Rechte e i n z e l n e r " [d. h. einiger wenigen, sondern aller] Bundesstaaten sind. Auch die bisherige Praxis steht derselben entgegen. Bei der Erneuerung des Zollvereins (ZVV v. 8. Juli 1867) und der Gründung des Deutschen Reiches hat eine Veränderung zwar nicht der absoluten Zahl, wohl aber des prozentualen Anteils an der Gesamtheit der Stimmen, worauf es allein ankommt, ohne Zustimmung der Einzelstaaten stattgefunden (Haenel, Studien 1 204, 205). Andere Schriftsteller, namentlich Laband, H . Schulze und Kittel wollen die Bestimmungen des Art. 78 Abs. 2 wenigstens auf die Bayern im Bundesrat eingeräumten sechs Stimmen in Anwendung bringen. [Art. 78 Abs. 2 R V w i l l und soll nur wirkliche Sonderrechte, d. h. solche Rechte schützen, welche A u s n a h m e n v o n e i n e r R e g e l darstellen; besonderer Schutz für besondere Rechte. Besondere Rechte in diesem Sinne sind allerdings die Exemtionen von der gemeingültigen Reichskompetenz 2 nicht aber die Ansprüche der größeren Einzelstaaten auf verstärkte Beteiligung bei der Bildung des Reichswillens. Die Reichsverfassung beruht, was die Beteiligung der Staaten bei der Bildung des Reichswillens, insbesondere die Verteilung der Stimmenzahl im Bundesrate anlangt, nicht auf dem Prinzip der Gleichheit, sondern umgekehrt auf dem Prinzip der Ungleichheit: der Abstufung des Stimmgewichts nach der Größe und politischen Bedeutung der Einzelstaaten. Es ist eine vollkommen willkürliche Unterstellung, wenn v. Jagemann, R V 232 von einem „regelmäßigen Einstimmenrecht im Bundesrate" redet. Eine solche „Regel" existiert nicht. Die Vorschrift, daß Bayern sechs Stimmen im Bundesrat hat, Lippe oder Lübeck dagegen nur eine, ist nicht Ausnahme von einer Regel, vielmehr Ausdruck einer solchen; daß die Präsidialrechte an Preußen und nicht an irgendeinen Mittel- oder Kleinstaat übertragen sind, ist nicht Privileg, sondern Prinzip.] 12 Die Meinung, daß die Präsidialrechte Preußens unter die Vorschrift des Art. 78 Abs. 2 fallen, vertreten: H. Schulze, a. a. O.; v. Kirchenheim, a. a. 0 . ; Seydel, Komm, zu Art. 78 Nr. I V ; Loening ; a. a. 0 . 365, Grundzüge 45; Trieps, a. a. 0 . Die Frage hat jedoch keinerlei praktische Bedeutung, da Preußen imstande ist, durch Abgabe der ihm zustehenden Stimmen jede Verfassungsänderung zu hindern. 18 Übereinstimmend mit den nier vertretenen Ansichten: Zorn, StR 1 129 ff. und Art. „Reservatrechte" in v. Holtzendorffs Rechtslexikon 3 450 ff; Jellinek, Staatsverbindungen 272 Nr. 19, System 304, 305; Brie, Theorie der Staatenverbindungen 105 N. 7; Anschütz, Enzykl. 76, 77; Nirrnheim, a. a. O. 614 ff., 629 und — abgesehen von den N. 7 u. 10 erörterten Punkten — Haenel, a. a. 0 . 45*
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Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§
1 .
vor Abgabe der Erklärung die Zustimmung ihres Landtags einzuholen und die Erklärung zu unterlassen, wenn der Landtag dem Verzicht auf das Sonderrecht widerspricht, läßt sich weder aus der Reichsverfassung noch aus allgemeinen staatsrechtlichen Grundsätzen herleiten 25. Der Satz, daß der Einzelstaat dem Reiche gegenüber ausschließlich durch seine R e g i e r u n g vertreten wird, welche demzufolge auch die Mitwirkung des Staates bei der Reichsgesetzgebung allein, durch den oder die von ihr instruierten Bundesratsbevollmächtigten ausübt*"1, gilt auch für den Fall des Art. 78 Abs. 2. Durch Landesgesetz könnte eine Verpflichtung des angegebenen Inhalts allerdings begründet werden, jedoch nur gegenüber dem Landtage, nicht mit Wirksamkeit gegenüber dem R e i c h t Ein solches Landesgesetz ist bisher noch in keinem deutschen Staate erlassen worden.] [Neben den durch Art. 78 Abs. 2 geschützten Sonderrechtein bestehen noch einige andere Sonderrechte einzelner Staaten, Rechte, die man v e r t r a g s m ä ß i g e Sonderrechte nennen kann, weil sie nicht, wie die Rechte des Art. 78 Abs. 2, auf Verfassungsvorschriften, sondern auf Verträgen, auf besonderen Verabredungen der Novemberverträge mit den süddeutschen Staaten (oben 205, 206) beruhen, die durch das RG betr. die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 in Geltung erhalten, nicht aber in die RV aufgenommen, auch nicht zu Bestandteilen der Verfassung erklärt worden sind: auf den Schlußprotokollen vom 15., 23. und 25. November 1870 zu den Novemberverträgen (oben 208). Die betreffenden Bestimmungen der Schlußprotokolle beziehen sich auf den Anteil Badens an den Postüberschüssen, auf gewisse Sonderrechte Württembergs hinsichtlich des Post- und Eisenbahnwesens, auf die Exemtion Bayerns von der Immobiliarversicherungsgesetzgebung des Reiches, auf die Vergütungen, welche Bayern für den diplomatischen Dienst gezahlt werden, auf die Vertretung des Reichsgesandten durch den bayrischen Gesandten und auf den stellvertretenden Vorsitz Bayerns im Bundesrat 14 . Wenngleich z A. M. die Vorauf!. S. 598, mit der Begründung, „der Akt" (d. h. die Aufhebung des Sonderrechts ^ gemäß Art. 78 Abs. 2) habe „den Charakter einer allgemeinen gesetzgeberischen Maßregel". Es handelt sich doch aber nicht um eine Maßregel der Landesgesetzgebung, wobei der Landtag mitzuwirken hat, sondern um einen A k t der Reichsgesetzgebung, welche ausschließlich durch Bundesrat und Reichstag ausgeübt wird. Wie G. Meyer auch v. Mohl, Reichsstaatsr 64, 65; Zorn, StR 1 131 ff. u. a. Vgl. dagegen die zutreffenden Ausführungen Seydels, Komm. z. R V 425 ff., wiederholt bei Seydel-Piloty, Bayer. StR 1 78, 74. aa Oben § 128 S. 485. V g l oben § 128 S. 485, 486; Anschütz, Enzykl. 97; Laband, StR 1 125, 126: Westerkamp 81; v. Rönne, § 65 S. 41 ff.; Dambitsch, a. a. O. 289, 685. — Seydel, a. a. O.; Loening, Grundzüge 43; v. Jagemann, a. a 0 . 2 3 6 ; Kittel, a. a. O. 24 ff. halten ein solches Landesgesetz für reichsrechtlich unzulässig. 14 Vgl. Haenel, Vertragsmäßige Elemente 232ff.; Anschütz, EnzykL 77,78.
Die Funktione.
§ 16.
7
Art. 78 Abs. 2, da er sich nur auf V o r s c h r i f t e n d e r R e i c h s verfassung bezieht, auf diese Verabredungen und die in ihnen festgestellten Sonderrechte nicht anwendbar ist, so gilt doch für die letzteren der gleiche Grundsatz wie für die verfassungsmäßigen Sonderrechte: auch sie können nur mit Zustimmung des berechtigten Staates geschmälert oder beseitigt werden cc .] Doch bedarf es dazu nicht notwendig der Form des Vertrages; es genügt ein (einfaches nicht verfassungänderndes) Reichsgesetz, welches mit Zustimmung des beteiligten Staates erlassen wird, unter Umständen sogar die bloße Erklärung des letzteren im Bundesrate 16 . 3. Reichsyerordnungen
§ 165. Auch im Reiche ist zwischen R e c h t s v e r Ordnungen und V e r w a l t u n g s v e r o r d n u n g e n zu unterscheiden 2. I . Das Recht zum Erlaß von V e r w a l t u n g s v e r o r d n u n g e n steht auf den Gebieten der R e i c h s v e r w a l t u n g allen höheren Verwaltungsorganen als Ausfluß ihrer Verwaltungsbefugnisse zu, also dem Bundesrat, soweit seine Verwaltungskompetenz reicht, z. B. auf dem Gebiete des Zollwesens8; dem Kaiser hinsichtlich der seiner Leitung unterstellten Verwaltungsangelegenheiten, z.B. hinsichtlich des Militärwesens 4 , der Kriegsmarine 6 , der Post und Telegraphie 6 ; dem Reichskanzler 7; den höheren Reichsbehörden, z. B. dem Reichspostamt8. [Kraft Gewohnheitsrechts hat der Kaiser auch das Recht, die Organisation der Reichsbehörden im Verordnungswege zu regeln 9 , — vorbehaltlich des dem Bundesrat cc Denn sie beruhen, wie im Text hervorgehoben, auf Verträgen. Vgl. Haenel, Stud. 1 236ff.; Loening, a. a. 0 . 347; Kittel, a. a. O. 20ff.; Zorn, StR 1 1 2 5 ; Anschütz, Enzykl. 78. 1 Vgl. die Literatur zu § 159, namentlich die dort Anm. 1, 3 und 4 angeführten Bücher und Schriften von Laband, Jellinek, Haenel, Seydel, Zorn, Arndt, Hubrich. Dazu noch Seydel, AnnDR 1874 1143ff., 1876 U f f ; J. Kahn, Die Abgrenzung des Gesetzgebungs- und Verordnungsrechts nach deutschem Reichsstaatsrecht (1912). 2 Vgl. oben j 159 S. 668 und Anm. 4. 3 G. Meyer-Dochow, Deutsches V R (3. Aufl.) § 226 S. 657. 4 Vgl. G. Meyer-Dochow, a. a. 0 . 498; Anschütz, Enzykl. 178, 179. 6 Vgl. G. Meyer-Dochow, a. a. 0. 517. 6 G. Meyer-Dochow, a. a. 0 . (4. Aufl.) 365 ff. 7 Vgl. P. Hensel, AnnDR 1872 30 ff. 8 Vgl. G. Meyer-Dochow, a. a. 0 . (4. Aufl.) 365. 9 Übereinstimmend die Staatspraxis; vgl. oben § 136 S. 534 , 535. Literatur: oben § 159 N. 5, sowie besonders die Voraufl. 603; E. Loening, Deutsches V R § 11 S. 56; v. Stengel, Lehrbuch des deutschen V R 157; Anschütz, Enzykl. 163, W S t V R 3 675. Diese stimmen im Ergebnis mit dem Text überein. Andere Schriftsteller (Zorn, StR 1 291; Seydel, Komm, zu Art. 7 Nr. I V : Hübler, Organisation der Verwaltung 6; Giese. AnnDR 1907 552 ff.; Florack [das. S- 553 zitiert]) sehen als Inhaber der Organisationsgewalt den Bundesrat an. [Diese Ansicht beruht auf einer richtigen Anschauung 16
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Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§ 15.
und Reichstag zustehenden Ausgabebewilligungsrechts, welches hier wie überall eine Schranke der Organisationsgewalt bildet.] — Eine bestimmte Publikationsform ist für die Verwaltungsverordnungen des Reiches nicht allgemein vorgeschrieben. Zur Veröffentlichung derselben dienen teils das RGBl, teils das Zentralblatt für das Deutsche Reich, teils Verordnungsblätter für einzelne Spezialzweige der Verwaltung (Marineverordnungsblatt, Amtsblatt der Post- und Telegraphenverwaltung). I I . R e c h t s v e r o r d n u n g e n , d. h. Verordnungen, welche verbindliche Rechtsvorschriften für die einzelnen Untertanen enthalten, können auch im Reiche nur auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassen werden 10 . Das Reichsgesetz, welches eine über die staatsrechtliche Stellung des Bundesrates, übersieht aber, daß die dem Bundesrate kraft dieser Stellung zustehende Organisationsgewalt gewohnheitsrechtlich auf den Kaiser übergegangen ist.J A. Arndt, a. a. 0 . 152 ff. fordert grundsätzlich für jede Organisation ein Gesetz; ebenso Laband, StR 1 371, 372, 2 184, kl. A. 87. 10 I n der Vorschrift des Art. 5 der R V , daß zu einem Reichsgesetz die Übereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse von Bundesrat und Reichstag erforderlich und ausreichend ist, kann das Wort R e i c h s g e s e t z ebenso wie in den entsprechenden Bestimmungen der Landesverfassungen (oben § 157 S. 652 Anm. a, § 163 S. 681 Anm. a nur im m a t e r i e l l e n Sinne gebraucht sein. Vgl. Laband. StR 2 §58 S. 89 ff., kl. A . 137; Haenel. Organisatorische Entwicklung der R V 64, Deutsches StR 1 276, 284ff.; Seydel, Komm. 140; Hensel in den AnnDR 1888 26; Seligmann, Begriff des Gesetzes 120ff.; Trieps, a. a. 0 . 194; Schollen, Die Recntsungültigkeit der Straf drohung in § 62 der Betriebsordnung für die Haupteisenbahnen Deutschlands, Bonn 1897, 14 ff.; Kahn, a. a. 0 . (oben N. 1) 60 ff. (vgl. auch die Besprechungen dieses Buches von Rosin, VerwArch 21 347 ff. und Radnitzky, ArchOffR 81 450ff.V, Bäseler, Die rechtliche Natur der Eisenbahnverkehrsordnung (1912). [Auch Dambitsch, Komm. z. R V 184, 185, 228 nimmt an, daß, gleichwie nach Landes-, so auch nach Reichsstaatsrecht alle Rechtsnormen (S. 228: „alle Anordnungen, durch die für die Untertanen unmittelbar Rechte und Pflichten begründet werden") grundsätzlich nur im Wege der Gesetzgebung erlassen werden dürfen, will dieses Prinzip jedoch nicht aus Art. 5 Abs. 1, sondern aus „staatsrechtlichen Grundanschauungen" herleiten, die der R V unausgesprochen zugrunde liegen. Damit kann man sich einverstanden erklären.] I m Gegensatz zu dieser Auffassung nehmen Zorn, StR 1 486, AnnDR 1885 309 ff. und Kloeppel, Preuß. Jahrbücher 52 173 ff., an, daß der Bundesrat ein selbständiges Verordnungsrecht habe, d. h. kraft seiner allgemeinen Rechtsstellung im Reiche die Befugnis besitze, innerhalb der Scnranken der Reichsgesetze verbindliche Rechtsvorschriften aufzustellen. Dagegen erklärt sich außer Laband, Seydel, Haenel, Hubrich, Dambitsch (a. a. O. 227), insbesondere auch Arndt, AnnDR a. a. 0 . 701 ff. und Reichsstaatsrecht 199, 200, der hinsichtlich der Bedeutung des Art. 5 der R V . für die vorliegende Frage eine von der obigen abweichende Ansicht vertritt (Verordnungsrecht 26ff.). [Vgl. ferner geeren Zorn: Rosenberg, AnnDR 1902 15; Bornhak im Preuß. Verwaltungsblatt 22 188 und besonders Kahn, a. a. O. 69ff., 78ff., 90ff. W i e Zorn gegenwärtig nur Herwegen, a. a. 0., und zwar (S. 64) mit Bezugnahme auf die „Praxis". Dagegen bezeugt ein wirklicher Praktiker, v. Jagemann, a. a. O. 94 auf Grund langer Berufserfahrung, daß die Praxis des Bundesrates ein selbständiges Verordnungsrecht nicht kenne und sich der „strengeren Ansicht" (Laband, G. Meyer, Seydel usw.), welche für jede Rechtsverordnung eine s p e z i e l l e reichsgesetzliche Ermächtigung fordern, angepaßt habe. Auf die Wichtigkeit dieses Zeugnisses macht auch Hubrich, Reichsgericht 32, 62 aufmerksam.
Die Funktione.
§ 16.
77
derartige Ermächtigung erteilt, wird in der Regel auch das zum Erlaß der Verordnungen kompetente Organ bestimmen. Dies kann sein: der Bundesrat, der Kaiser (allein oder mit Zustimmung des Bundesrates), der Reichskanzler oder eine andere Reichsbehörde, die Landesregierungen. In Ermangelung besonderer Festsetzungen ist der Bundesrat, kraft der allgemeinen staatsrechtlichen Stellung, welche er im Reiche einnimmt, befugt, derartige Verordnungen zu erlassen 11. Wenn die Befugnis zum Erlaß von Verordnungen den Landesregierungen übertragen ist, so richtet sich der materielle Umfang des Verordnungsrechtes lediglich nach den Bestimmungen des betreffenden Reichsgesetzes. Für die Form der Verordnungen sind dagegen, soweit es an einer speziellen reichsgesetzlichen Vorschrift fehlt, die Grundsätze des Landesrechtes maßgebend12. Die reichsgesetzlichen E r m ä c h t i g u n g e n zum Erlaß von Rechtsverordnungen sind teils a l l g e m e i n e , teils s p e z i e l l e . 1. A l l g e m e i n e gesetzliche Ermächtigungen bestehen in bezug auf: a) A u s f ü h r u n g s v e r o r d n u n g e n (d. h. Verordnungen zur Ausführung von Reichsgesetzen). Das Recht, diese zu erlassen, steht dem Bundesrat zu, soweit nicht durch Reichsgesetze etwas anderes bestimmt i s t 1 8 . Das Recht des Bundesrates, AusAus der neuesten Rechtsprechung vgl. die Nachweisungen bei Kahn, a. a. 0 . 158 und.RGEntsch v. 6. April 1911, J W 40 514. 11 Übereinstimmend: Laband, StR 2 97 N. 8; Seydel, Komm, zu Art. 7 Nr. I I I ; Anschütz, Enzykl. 97, 163; Schoen, Handb. d. Politik 1 296, 300. 12 Vgl. Seydel, Die Landesverordnungen zum Vollzüge von Reichsgesetzen, AnnDR 1*74 1143 ff.; Laband, StR 2 102 ff.; Rosin, Polizeiverordnungsrecht in Preußen 67 ff. 18 R V Art. 7 Abs. 1 Ziff. 2. Die Bestimmungen dieses Artikels können, trotzdem ihr Wortlaut ( „ V e r w a l t u n g s Vorschriften") dafür zu sprechen scheint, nicht bloß anf VerwaltungsVerordnungen im modern-wissenschaftlichen Sinne., bezogen werden, wie Laband, StR 2 91 ff, kl. A. 137, D J Z 1;>00 509ff, ArchOffR 18 307; Seydel, Komm, zu Art 7 Nr. I I I ; O. Mayer, Deutsch. Verwaltungsr (2. Aufl.) 1 86 N. 6; Schoen, Hdb. d. Politik 1 295; Schulze, Preuß. StR 2 29 behaupten und wie auch in der ersten Auflage dieses Lehrbuches angenommen ist. Mit Laband (jedenfalls im Ergebnis) übereinstimmend auch Haenel, Studien 2 62 ff., 79 ff, Deutsch. StR 1 283, 285 ff; ferner Kahn, a. a. O. 7 8 f f , 90ff — [Wie die landesrechtlichen, so werden auch diese reichsrechtlichen Ausführungsverordnungen in der Regel und zum größten Teile ihres Inhalts V e r w a l t u n g s v e r o r d n u n g e n sein, d. h. aus Vorschriften organisatorischen und instruktionellen Charakters bestehen; sie können sich aber — natürlich immer nur im Rahmen des Gesetzes, dessen Vollzug sie regeln und sichern sollen — auch rechtssatzmäßig an die Untertanen wenden. R V Art. 7 Nr. 2 ist m. a. W . ebenso auszulegen wie die Bestimmungen der Landesverfassungen, welche, wie preuß. V U Art. 45, dem Monarchen das Recht übertragen, die zur Ausführung der Gesetze erforderlichen Verordnungen zu erlassen. Vgl. oben § 159 S. 672 und Anm. 8. Mit dieser Grundanschauung übereinstimmend: Loening, Deutsches Verwaltungsrecht § 49 S. 229; Arndt, a. a. 0 . 35 ff, in der Zeitschrift für Bergrecht 24 38 ff. Komm. z. R V zu Art. 7 Nr. 8, Reichsstaatsrecht 200 ff, 207; Harburger in der D J Z 1901 59, 60; Rosenberg in den AnnDR ltf02 16; Herwegen, a. a. 0 .
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Zweiter T e i l
Drittes Buch.
§ 165.
führungsverordnungen zu erlassen, besteht sowohl in bezug auf solche Gegenstände, welche der Gesetzgebung und der Verwaltung des Reiches unterliegen, als in bezug auf solche, welche zwar reichsgesetzlich geregelt sind, hinsichtlich deren aber die Verwaltung den Einzelstaaten vorbehalten ist. Über letztere dürfen allerdings auch die höheren Verwaltungsorgane der Einzelstaaten kraft ihrer Verwaltungsbefugnisse Ausführungsverordnungen erlassen, aber nur solche, welche den Charakter von Verwaltungsverordnungen haben. Bei Beschlußfassungen des Bundesrates, welche sich auf Verordnungen über Zölle und Verbrauchssteuern beziehen, gibt die Stimme des Präsidiums den Ausschlag, wenn sie sich für Aufrechterhaltung der bestehenden Vorschriften und Einrichtungen ausspricht 14 ; b) P o l i z e i V e r o r d n u n g e n . Die Befugnis zum Erlaß von Verordnungen, welche unter Androhung von Strafe gewisse Handlungen gebieten oder verbieten, steht den mit Gerichtsbarkeit ausgestatteten Konsuln 1 6 und die Befugnis zum Erlaß seepolizeilicher Verordnungen über Beschaffenheit des Fahrwassers und das Verhalten der Schiffe in den Kriegshäfen den Marinestationscbefs 1 6 zu. Eine allgemeine Befugnis zum Erlaß von N o t v e r o r d n u n g e n a kennt die Reichsverfassung nicht 1 7 . [Für die Dauer 68; Anschütz in der Enzykl. 165; Dambitsch, Komm. 221 ff. — Die Praxis des Bundesrates und des Reichsgerichts neigt in neuester Zeit mehr der strengeren Auslegung des Art. 7 Ziff. 2 zu, wonach es „zur gültigen Erlassung von Rechtsverordnungen a u c h a n g e s i c h t s des A r t . 7 Z i f f . 2 R V einer besonderen reichsgesetzlichen Ermächtigung bedürfe": R G , I V . Zivilsenat, Entsch. vom 25. Nov. 1897, RGZ 40 63, dazu Hubrich in den AnnDR 1904 733 N. 1, Reichsgericht 16ff., 24ff., 60ff., 76ff. und, betr. der Bundesratspraxis, v. Jagemann, a. a. 0 . 94; weitere Nach Weisungen bei Kahn, a. a. 0 . (oben Anm. 10 a. E.)l. " R V Art. 37. 16 R G über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900 § 51. Vgl. Rosin, Polizeiverordnungsrecht 220 ff; Laband 2 101. 16 R G , betr. die fieichskriegshäfen, vom 19. Juni 1883 § 2. Rosin, a. a. 0 . 225. a Vgl. oben § 161. 17 [Vgl. z. B. Laband 2 90, 91; Arndt, Reichsstaatsr. 200. — Über diesen Punkt herrschte bisher völlige Einigkeit, bis v. Jagemann, a. a. 0 . 96 ff. die Behauptung aufstellte, auch nach Reichsstaatsrecht sei der Erlaß von Not-; Verordnungen mit provisorischer Gesetzeskraft, und zwar durch den Kaiser unter Zustimmung des Bundesrates zulässig, insbesondere in dem Falle, wenn der Reichstag durch Obstruktion seiner jeweiligen Minorität „handlungsunfähig" werde. Die Begründung dieser These ist zunächst insofern lückenhaft, als nicht gesagt ist, warum das behauptete Verordnungsrecht gerade dem Kaiser und Bundesrat gemeinsam und nicht z. B. dem Bundesrat allein zustehen soll. Abgesehen hiervon erscheinen die Ausführungen v. Jagemanns, a. a. O. 98 als politische Erwägungen, die der lex ferenda gegenüber allenfalls am Platze sein möchten, für das Verständnis der lex lata aber ohne Belang sind. Die Teilung der gesetzgebenden Gewalt zwischen Regierung und Parlament sei, so meint v. Jagemann, „nicht Selbstzweck". Gewiß nicht: diese Teilung, d. h. die Übertragung der gesetzgebenden Ge-
Die Funktione.
§ 16.
7
des gegenwärtigen Weltkrieges ist eine weitreichende Befugnis dieser Art dem Bundesrate übertragen worden. Es ist dies geschehen durch § 3 des RG über die Ermächtigung des Bundesrates zu wirtschaftlichen Maßnahmen vom 4. August 1914 (RGBl 327). Die Ermächtigung lautet: „Der Bundesrat wird ermächtigt, während der Zeit des Krieges diejenigen gesetzlichen Maßnahmen anzuordnen, welche sich zur Abhilfe wirtschaftlicher Schädigungen als notwendig erweisen. Diese Maßnahmen sind dem Reichstag bei seinem nächsten Zusammentritt zur Kenntnis zu bringen und auf sein Verlangen aufzuheben." Auf Grund dieser Bestimmung sind außerordentlich zahlreiche Verordnungen des verschiedensten Inhaltes erlassen worden. Sie sind durch den Reichskanzler oder seinen Stellvertreter im RGBl publiziert worden h.] 2. S p e z i e l l e gesetzliche Ermächtigungen kommen in einer großen Zahl von Reichsgesetzen vor. Ein Teil der auf Grund solcher Ermächtigungen erlassenen Verordnungen muß später dem Reichstag vorgelegt werden. Die Vorlegung hat jedoch eine doppelte Bedeutung. a) Die erste Gruppe der fraglichen Verordnungen bilden diejenigen, welche dem Reichstag zur G e n e h m i g u n g vorzulegen sind 1 8 . Die betreffenden Angelegenheiten werden grundsätzlich walt an das Zusammenwirken zweier untereinander unabhängiger Organe ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, zu dem Zwecke nämlich, das Volk in Gestalt seiner Vertreter bei der Gesetzgebung zu beteiligen. Dieser Zweck soll aber u n t e r a l l e n U m s t ä n d e n erreicht und gesichert werden, selbst auf die Gefahr hin, daß durch das Nichtzustandekommen einer Einigung zwischen den gesetzgebenden Faktoren die Staatsbedürfhisse Schaden leiden. Die Besorgnisse v. Jagemanns sind nichts anderes als Bedenken der absolutistischen gegen die konstitutionelle Staatsanschauung, welche seinerzeit bei der Annahme des konstitutionellen Systems nirgends übersehen, sondern überall erwogen wurden. Inwieweit man geneigt war, diesen Bedenken Rechnung zu tragen, ist in jeder Verfassung ausdrucklich bestimmt. Wenn eine Verfassung, wie die Reichsverfassung, über das Institut des Notverordnungsrechts s c h w e i g t , so ist damit gesagt, daß sie diese Einrichtung hat v e r w e r f e n wollen; die möglichen Schattenseiten der Nichtzulässigkeit von Notverordnungen sind hierbei bewußtermaßen mit in Kauf genommen. — Das Notverordnungsrecht in Elsaß - Lothringen ist natürlich eine Sache für sich, vgl. darüber unten § 166.J Über dieses Notverordnungsrecht des Bundesrates vgl. Waldecker iu AnnDRli)14 658ff, 15)15 328 Anm. 24; Schmidt, Zur Theorie der Kriegsnotgesetze, Ztsch.f.d.ges. Strafrechtswiss.8769ff; Schiffer in der DJZ 20 746,1158ff.; Laband, Das. 838 ff; Levin, Das. 966 ff, Entsch. des R G v. 21. Mai 1915, das. 1033. 18 Beispiele: Verordnungen des Bundesrates über konzessionspflichtige gewerbliche Anlagen (RGewO § 16); kaiserliche Verordnungen, durch welche bestimmt wird, daß die Verletzung von Gesetzen, obgleich deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichtes hinaus erstreckt, die Revision nicht begründet oder daß die Verletzung von Gesetzen, obgleich deren Geltungsbereich sich nicht über den Bezirk des Berufungsgerichtes
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Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§ 15.
als Gegenstände der Gesetzgebung angesehen; das zum Erlaß der Verordnung berechtigte Organ besitzt nur die Befugnis, provisorische Anordnungen zu treffen. Dagegen haben die Verordnungen nicht den Charakter von Notverordnungen, d. h. der Erlaß derselben ist nicht durch das Vorhandensein eines Notstandes bedingt. Versagt der Reichstag die Genehmigung, so verlieren die Verordnungen ihre verbindliche Kraft. Sie treten entweder mit der Versagung von selbst außer K r a f t 1 9 oder dasjenige Organ, welches sie erlassen hat, ist verpflichtet, sie außer Kraft zu setzen 20 . Erteilt der Reichstag dagegen die Genehmigung, so haben sie eine der formellen Gesetzeskraft in der Wirkung gleichstehende Geltung erlangt und können fernerhin nur im Wege der Gesetzgebung wieder aufgehoben oder abgeändert werden 21 . b) Eine zweite Gruppe der Verordnungen bilden diejenigen, welche dem Reichstage lediglich zur K e n n t n i s n a h m e vorzulegen sind, hinsichtlich deren der Reichstag aber die Befugnis besitzt, i h r e A u ß e r k r a f t s e t z u n g z u v e r l a n g e n 2 2 . Die Gegenstände, auf welche sich diese Verordnungen beziehen, werden grundsätzlich als Gegenstände des Verordnungsrechts behandelt; die Verordnungen enthalten keine provisorischen, sondern definitive Anordnungen. Ein Beschluß des Reichstages über dieselben ist gar nicht erforderlich; der Reichstag besitzt nur die Befugnis, sich mit denselben zu beschäftigen und von dem die Verordnung erlassenden Organ zu fordern, daß es dieselben wieder außer Kraft
hinaus erstreckt, die Revision begründet (EG- zur ZPO § 6); Anordnungen des Bundesrates oder des Reichskanzlers, durch welche gewisse Gegenstände und Leistungen zeitweilig vom Gewerbebetrieb im Umherziehen ausgeschlossen werden (RGewO § 56 b); kaiserliche Verordnungen, durch welche fremden Staaten gegenüber als Retorsionsmaßregel Zuschlagszölle eingeführt werden (Zolltarifgesetz vom 25. Dez. 1902, § 10) und kaiserliche Verordnungen, durch welche die Italien und Spanien zugestandenen Zollermäßigungen auf andere Staaten ausgedehnt werden (RG vom 10. Sept. 1883 § 2). 19 Dies ist in allen denjenigen Fällen, für weiche anderweite Bestimmungen nicht gegeben sind, anzunehmen; ausdrücklich ausgesprochen ist es im E G zur ZPO § 6. 20 RGewO § 56 b, Zolltarifgesetz vom 25. Dez. 1902 § 10, R G vom 10. Sept. 1883 § 2. Ausdrücklich ausgesprochen ist dieser Grundsatz in dem E G zur ZPO § 6; er gilt aber, weil er sich aus der Natur der betreffenden Verordnungen und der staatsrechtlichen Bedeutung der Genehmigung des Reichstages er'bt, auch ohne positive Festsetzungen. Vgl. die Verhandlungen m der eichstagssitzung vom 1. Sept. 1883 (Sten. Ber. 127 ff.) 22 Verordnungen des Bundesrates über die Art der Beschäftigung vou Arbeitern in gewissen Fabrikationszweigen (RGewO § 139 a.), kaiserliche Verordnungen auf Grund des Nahrungsmittelgesetzes (RG vom 14. Mai 1879 § 7), Verordnungen des Bundesrates über die Verwendung von Surrogaten bei der Tabaksfabrikation (RG., betr. die Besteuerung des Tabaks, vom 16. Juni 1879 § 27), Verordnungen des Bundesrates über Ausdehnung der Zuckersteuer auf Abläufe von der Zuckerfabrikation und über Außerkraftsetzung und Ermäßigung der Ausfuhrzuschüsse für Zucker (Zuckersteuergesetz vom 28. Mai 1896 §§ 2, 79).
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Die Funktione.
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setzt. Die betreffenden Erlasse behalten daher auch nach einer etwaigen Beschlußfassung des Reichstages den Charakter von Verordnungen und können jederzeit auf dem Verordnungswege wieder abgeändert oder beseitigt werden. Abänderungen sind dem Reichstag gleichfalls vorzulegen, dagegen ist bei einer Aufhebung derselben eine Mitteilung an den Reichstag nicht notwendig, da diese Mitteilung j a nur erfolgt, um dem Reichstag die Möglichkeit zu geben, die Aufhebung seinerseits zu verlangen. [Betreffs der V e r k ü n d i g u n g der kraft reichsgesetzlicher Ermächtigung erlassenen Rechtsverordnungen gelten die oben § 159 S. 673 dargelegten allgemeinen Grundsätze (vgl. auch die dort, Anm. d angegebene Literatur). Eine rechtliche Notwendigkeit, solche Verordnungen im RGBl zu verkündigen, besteht nur insoweit, als dies ausdrücklich durch Gesetz und Verordnung vorgeschrieben ist. Das ist geschehen bezüglich der „Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidiums", durch die Verordnung des Präsidiums des Norddeutschen Bundes vom 26. Juli 1867 (BGBl 24). Diese Vorschrift, unter welche selbstverständlich auch — und in erster Linie — ReehtsVerordnungen fallen, bedeutet seit Gründung des Reiches, daß im RGBl zu publizieren sind sämtliche Rechtsverordnungen des Kaisers, welche von ihm innerhalb des Zuständigkeitsbereichs des ehemaligen Bundespräsidiums (im Gegensatz zu der Sphäre, welche im Norddeutschen Bunde dem König von Preußen als Bundesfeldherr und als Oberbefehlshaber der Marine zugewiesen war« 5 ) erlassen werden. Dagegen bedürfen die vom B u n d e s r a t e , insbesondere auf Grund des Art. 7 Abs. 1 Ziff. 2 R V 2 8 , sowie die von den Reichsbehörden c Vgl. oben § 127 S. 495-497. I n bezug auf diese Ausführungsverordnungen des Bundesrates w i l l Haenel, StR 1 289 ff. dem Bundesrat nur ein m i t t e l b a r e s Verordnungsrecht zugestehen. Der Bundesrat hat nach seiner Ansicht die Verordnungen lediglich festzustellen, die verbindliche Einführung derselben muß durch die Regierungen der Einzelstaaten erfolgen. Er beruft sich dafür auf den Wortlaut des Art. 7 der R V , nach welchem der Bundesrat über diese Verordnungen nur „beschließt", auf die Bestimmungen des Zollvereinsvertrages vom 16. Mai 1865 und auf den Grundsatz, daß bei denjenigen Gegenständen, welche nur der Gesetzgebung und Aufsicht des Reiches unterliegen, die Vollziehung den Einzelstaaten als verfassungsmäßiges Recht zusteht. Der Ausdruck „beschließt" in Art. 7 der R V beweist aber durchaus nichts und erscheint auch bei entgegengesetzter Auffassung völlig korrekt. Als Kollegium ist der Bundesrat nur imstande, Beschlüsse zufassen. Zur Verkünduug derselben bedarf es stets noch der Tätigkeit eines anderen Organs. Diese Tätigkeit braucht aber nicht notwendig in den Händen der Einzelregierungen, sondern kann ebensowohl in denen eines Reichsorgans (Kaiser, Reichskanzler) liegen. Die Bestimmungen des Zollvereinsvertrages vom 16. Mai 1865 sind bei der völligen Umgestaltung, welche die Organisation des Zollwesens seit dieser Zeit erfahren hat, für die Beurteilung des jetzigen Rechtszustandes nicht als maßgebend zu erachten Auch die Praxis, auf welche Haenel, a. a. 0 . 292 sich Deruft, steht ihm nicht zur Seite. Wiederholt sind Verordnungen, die auf Grund des Art. 7 der R V erlassen wurden, im Reichsgesetzblatt publiziert worden. So die von ihm selbst erwähnte V . 28
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Zweiter Teil.
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§
1 .
erlassenen Rechtsverordnungen der Verkündigung im RGBl nicht d. Die Verkündigung der auf reichsgesetzlicher Grundlage von e i n z e l s t a a t l i c h e n O r g a n e n (Landesregierungen, Landesbehörden) erlassenen Verordnungen richtet sich nach landesrechtlichen Grundsätzen (oben § 159 a. a. O).] 4• Landesgesetze für Elsaß-Lothringen.
§ 166. 1. I n der Zeit von der Vereinigung Elsaß-Lothringens mit dem Deutschen Reiche bis zum Eintritt der Wirksamkeit der Reichsverfassung war die A u s ü b u n g d e r g e s e t z g e b e n d e n G e w a l t in allen Angelegenheiten des Landes dem Kaiser übertragen, welcher dazu der Zustimmung des Bundesrates bedurfte. Eine Mitwirkung des Reichstages sollte nur in zwei Fällen stattfinden: a) bei Abänderungen und Ergänzungen der Reichsverfassung, welche gelegentlich der Einführung einzelner Teile derselben in Elsaß-Lothringen erforderlich wurden, b) bei Aufnahme von Anleihen und Übernahme von Garantieen für Elsaß - Lothringen, welche eine Belastung des Reiches herbeiführten Nach Einführung der Verfassung wurde die Gesetzgebung für Elsaß Lothringen sowohl auf den Gebieten der Reichs- als auf denen der Landeszuständigkeit von den Faktoren der Reichsgesetzgebung, also durch Bundesrat, Reichstag und Kaiser in dem durch die RV, Art. 5, 7 1 , 17, 2 geordneten Zusammenwirken (oben § 163) ausgeübt 2 . Dagegen ist durch das RG vom 2. Mai 1877 für die L a n d e s g e s e t z g e b u n g , [d. h. für den Erlaß solcher Reichsgesetze, welche nach Geltungsbereich und Inhalt in die Zuständigkeit der Landesgesetzgebung von Elsaß-Lothringen fallen würden, wenn Elsaß-Lothringen ein „Land" im staatsrechtlichen Sinne: ein S t a a t des Deutschen Reiches wäre,] eine zweifache Form eingeführt worden: 1. als die normale Form der Erlaß durch den Kaiser unter Zustimmung des Bundesrates und Landesausschusses, 2. subsidiär kraft eines besonderen Vorbehaltes der Erlaß im Wege der gemeingültigen Reichsgesetzgebung, also durch Bundesrat, Reichstag und Kaiser 3 . vom 13. Nov. 1873 (RGBl 367), die Abänderungsverordnung dazu vom 1. Sept. 1892 (RGBl 787), die V . zur Ausführung des R G vom 10. Mai 1892 über die Unterstützung von Familien der zu Friedensübüngen einberufenen Mannschaften (S. 668). d A. M. die Voraufl. 607. Vgl. dagegen oben § 159 a. a. 0 . 1 RG, betr. die Vereinigung von Elsaß-Lothringen mit dem Deutschen Reiche, vom 9. Juni 1871 §§ 2 und 3. Vgl. oben § 138 S. 541. 2 R G vom 9. Juni 1871 § 3. Vgl. oben 543. 8 R G , betr. die Landesgesetzgebung in Elsaß-Lothringen vom 2. Mai
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§ 16.
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Bei der ersten Klasse von Gesetzen erschien als Hauptfaktor der Gesetzgebung der K a i s e r , welcher die Staatsgewalt in ElsaßLothringen ausübt. Die Sanktion des Kaisers verlieh der betreffenden Norm die Eigenschaft als Gesetz. Bundesrat und Landesausschuß waren beschränkende Elemente, an deren Mitwirkung der Kaiser bei der Ausübung seiner gesetzgeberischen Befugnisse gebunden war. Bei der zweiten Klasse von Gesetzen war dagegen die Stellung des Kaisers genau dieselbe, welche er überhaupt in der Reichsgesetzgebung einnimmt 4 . Der Landesausschuß hatte das Recht der I n i t i a t i v e 6 und das R e c h t d e r A m e n d i e r u n g . Die vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesrates und Landesausschusses erlassenen Landesgesetze wurden im G e s e t z b l a t t f ü r E l s a ß - L o t h r i n g e n , die im gemeingültigen Wege der Reichsgesetzgebung erlassenen Landesgesetze im RGBl verkündigt 6 . [Das Verfassungsgesetz vom 31. Mai 1911 a hat den Landesausschuß durch einen aus zwei Kammern bestehenden Landtag ersetzt, es hat ferner die Möglichkeit, Landesgesetze für ElsaßLothringen im gemeingültigen Wege der Reichsgesetzgebung zu erlassen, beseitigt und dadurch die Faktoren dieser Gesetzgebung, Bundesrat und Reichstag für das Reichsland ausgeschaltet. Landesgesetze für Elsaß-Lothringen können nunmehr nur noch auf dem im Verfassungsgesetz, §§ 5, 16, geregelten Wege zustande gebracht werden. Dieser Weg ist dem Gesetzgebungsverfahren in den Einzelstaatent> genau nachgebildet, so zwar, daß dem Kaiser die Rechte des Monarchen übertragen sind. Demgemäß steht dem Kaiser die Initiative (das Recht des Gesetzvorschlags) in Konkurrenz mit den beiden Kammern des Landtags, die Feststellung des Gesetzesinhaltes zusammen mit dem Landtage, die Sanktion, Ausfertigung und Verkündigung der Gesetze allein zu. Sowohl der Kaiser, wie jede der beiden Kammern, hat das Recht, Gesetze vorzuschlagen. Gesetzvorschläge, welche durch einen der drei Faktoren verworfen worden sind, können in derselben Sitzungsperiode des Landtags nicht wieder vorgebracht werden 0 . Der Kaiser („die Landesregierung") hat die Wahl, welcher der beiden Kammern er einen Gesetzentwurf zuerst vorlegen will. Doch müssen die Entwürfe über die Feststellung des jährlichen Landeshaushaltsetats zuerst der Zweiten Kammer vor1877: RG, betr. die Verfassung und die Verwaltung Elsaß-Lothringens, vom 4. Juli 1879 § 21. Vgl. oben 543, 544. • Vgl. § 163 S. 682. * R G vom 4. Juli 1879 § 21. 6 G, betr. die Verkündung der Gesetze und Verordnungen, vom 3. Juli 1871; R G , betr. die Verfassung und Verwaltung Elsaß-Lothringens, vom 4. Juli 1879 § 22. » Oben 544. l> Oben § 158. c V G vom 31. Mai 1911 § 16.
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§
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gelegt werden; der Ersten Kammer steht hinsichtlich dieser Entwürfe nicht das Amendierungsrecht, sondern nur die Befugnis zu, sie im ganzen anzunehmen oder abzulehnen. Die Zweite Kammer kann die Ausgabeposten des Etatsentwurfs nicht erhöhen, noch Ausgabeposten, die im Etat nicht vorgesehen sind, einsetzend. Sanktion und Ausfertigung fließen, wie im Verfahren der einzelstaatlichen Gesetzgebung, in einen A k t zusammen, sind jedoch staatsrechtlich wie dort so auch hier wohl zu unterscheiden 0. Eine Frist, binnen welcher die Sanktion (Ausfertigung) vorzunehmen ist, der Art, daß sie nach Ablauf derselben als verweigert gilt, besteht in Elsaß Lothringen so wenig wie in den meisten Einzelstaaten und dem Reiche f. Die Verkündung der elsaß - lothringischen Landesgesetze erfolgt wie bisher (vgl, oben) im Gesetzblatt für Elsaß-LothringenS. Diese Gesetze treten, soweit nicht in dem Gesetze selbst ein anderer Anfangstermin bestimmt ist, mit dem vierzehnten Tage nach Ablauf desjenigen Tages in Kraft, an welchem das betreffende Stück des Gesetzblattes in Straßburg ausgegeben worden istg.] 2. Der Erlaß von V e r o r d n u n g e n , welche Rechtsvorschriften enthalten, kann auch in Elsaß - Lothringen nur auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung stattfinden. Das Recht, Ausführungsverordnungen zu den Landesgesetzen zu erlassen, hat der Kaiser 7 . Die Befugnis zum Erlaß von Polizeiverordnungen steht dem Kaiser, den Bezirkspräsidenten und den Bürgermeistern zu 8 . [Der Kaiser kann, während der Landtag nicht versammelt ist, Verordnungen mit Gesetzeskraft (Notverordnungen, vgl. oben § 161) erlassen, wenn die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder die Beseitigung eines ungewöhnlichen Notstandes es dringend erfordert h. Die Verordnungen dürfen nichts bea V G § 5 Abs. 3. • Vgl. oben § 158 S 665. Das Verfassungsgesetz unterscheidet, wenngleich es das W o r t „Sanktion" nicht kennt, die beiden Akte sehr deutlich. I m § 5 Abs. 1 das. heißt es: „Landesgesetze für Elsaß-Lothringen werden vom Kaiser mit Zustimmung des . . .Landtags e r l a s s e n " ; Abs. 2 fahrt dann fort: „Der Kaiser f e r t i g t d i e G e s e t z e aus und ordnet ihre Verkündung an." „Erlaß" und „Ausfertigung" des Gesetzes sind also hiernach verschiedene Dinge. „Erlaß" ist, was der Sprachgebrauch der Wissenschaft „Sanktion" nennt. V g l Laband, StR 2 261. f Oben § 158 S. 663, § 163 S. 686 ff. g G vom 3. Juli 1871 § 2, R G vom 4. Juli 1879 § 22, V G § 5 Abs. 2 Satz 2. 7 Laband (4. Aufl) 2 259 (mit Bezugnahme auf § 3 Abs. 1 des R G vom 9. Juni 1871), 5. Auti. 2 265; Leoni, Öffentliches Recht 1 165; Fischbach, Das öffentliche Recht des Reichslandes E.-L. 141 (mit Bezugnahme auf die frühere Gesetzgebung). 8 Für die Befugnisse des Kaisers und der Bezirkspräsidenten ist die frühere französische Gesetzgebung maßgebend, für die der Bürgermeister jetzt die GemeindeO vom 6. Juni 1895 § 16. Vgl. Leoni und Mandel, Öfl R 2105 ff^ Fischbach, a. a. 0 . 141; Bruck, Verfassungs- u. Verwaltungsr. des Reichslandes E.-L. 1 240. * V G § 23 Abs. 1.
Die Funktione.
§ 16.
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stimmen, was der Reichs Verfassung oder den in Elsaß-Lothringen geltenden Reichsgesetzen zuwider ist*. Sie sind dem Landtage bei seinem nächsten Zusammentreten zur Genehmigung vorzulegen. Sie treten nach ausdrücklicher Bestimmung des Gesetzes k außer Kraft, sobald die Genehmigung versagt wird. Die Versagung der Genehmigung hat keine rückwirkende Kraft; es gelten in dieser Beziehung die Grundsätze des Landesstaatsrechtes (oben § 161 S. 679).] I T . Das V e r h ä l t n i s von Beichs- und Landesgesetzgebung \
§ 167. 1. Auf denjenigen Gebieten, auf welchen das Reich das auss c h l i e ß l i c h e R e c h t d e r G e s e t z g e b u n g besitzt 2 , muß sich die G e s e t z g e b u n g d e r E i n z e l s t a a t e n jeder Tätigkeit enthalten. Ein auf einen solchen Gegenstand bezügliches Landesgesetz ist ungültig. 2. Auf denjenigen Gebieten, auf welchen eine k o n k u r r i e r e n d e B e f u g n i s v o n R e i c h s - u n d Landesgesetzgebung besteht, gilt der Grundsatz, daß Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen 8 . Die Landesgesetzgebung bleibt hinsichtlich dieser Gegenstände unbeschränkt, solange die Reichsgesetzgebung sich mit denselben nicht beschäftigt hat 4 . Dagegen treten infolge des Erlasses eines Reichsgesetzes alle auf denselben Gegenstand bezüglichen Vorschriften des Landesrechtes außer Kraft*, einerlei i Laband 2 263 , 264; Fischbach, a. a. 0 . 142. Daher kann auch das Verfassungsgesetz nicht durch Notverordnung abgeändert werden, denn es ist ein Reichsgesetz; vgl. seinen Art. I I I Satz 2 und oben 545. k V G § 23 Abs. 2. 1 Laband, StR 2113 ff.; Haenel, StR 1238 ff, 248 ff: Seydel, Komm, zur R V , Art. 2; Anschütz, Enzykl. 159 ff., W S t V R Art. Gesetz", 217; Zorn, StR 1 421 ff.; P.Posener, Das Deutsche Reichsrecht im Verhältnis zum Landesrecht (Abhandlungen aus dem StR und V R , herausgegeben von Brie, Heft 3), Breslau 1900.8 Vgl. Haenel, StR 259ff.; Anschütz in der Enzykl. 159,160, im W S t V R 2 217; oben § 80 S. 261. 8 RVerf Art. 2. 4 Ausdrücklich anerkannt im Schlußprotokoll vom 23. Nov. 1870 Nr. V I . » „Reichsrecht bricht Landesrecht 4 . Das Reichsgesetz hebt, indem es ergeht, und ohne daß es noch einer besonderen Erklärung bedarf, das seine Materie betreffende Landesrecht auf, d. h. es beseitigt nicht bloß dessen bindende Kraft, sondern dessen Dasein. W i r d das Reichsgesetz später selbst wieder aufgehoben, so leben die einst von ihm aufgehobenen Landesgesetze nicht wieder auf, sondern es erwacht höchstens die Zuständigkeit der Landesgesetzgebung, sie neuerdings zu erlassen. So die überwiegend herrschende Meinung: Laband 2 115, 116; Haenel, StR 249; Seydel, Komm. 42; Heinze, a. a. O. 21 ff.: Anschütz, Enzykl. 160; Zorn, StR 1 424; O. Mayer im ArchOffR 81 568. I m Gegensatz hierzu meinen Bornhak, Preuß. StR 1559 und v. Bonin, Reichsrecht und Landesrecht in der Jesuitenfrage (1913) 4 ff., daß „vorgehen" im Sinne des Art. 2 R V keine Aufhebung sondern nur eine Suspension (auflösend bedingte Außerkraftsetzung) bedeute, der Art, daß mit Aufhebung
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§
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ob sie den Bestimmungen des Reichsgesetzes widersprechen oder mit denselben übereinstimmen 6. Die vollständige Ordnung (Kodifikation) eines Rechtsgebietes durch die Reichsgesetzgebung hebt also das gesamte darauf bezügliche Landesrecht auf und schließt alle fernere Tätigkeit der Landesgesetzgebung auf diesem Gebiete aus: Landesgesetze, welche in dieses Gebiet eingreifen, sind nichtig. Bezieht sich dagegen das Reichsgesetz nur auf einzelne Punkte eines Rechtsgebietes, so bleibt auch künftighin eine landesgesetzliche Tätigkeit innerhalb der reichsgesetzlichen Schranken möglich 6 . Alle Arten gesetzgeberischer Anordnungen des Reiches gehen a l l e n landesgesetzlichen Vorschriften vor. Es können daher nicht nur einfache Landesgesetze, sondern auch Bestimmungen der Landesverfassung durch einfache Reichsgesetze und selbst durch Reichsverordnungen aufgehoben werden 7 . Nicht minder werden des „vorgehenden" Reichsgesetzes die betreffenden Landesgesetze von selbst wieder in Kraft treten. Diese Ansicht (der sich auch der Präsident des württembergischen Staatsministeriums Dr. v. Weizsäcker angeschlossen hat; vgl. Erklärung desselben in der württembergischen Zweiten Kammer, 17. Jan. 1913) ist zu einem bestimmten politischen Zwecke aufgestellt worden: um im Falle der Aufhebung des Reichs-Jesuitengesetzes vom 4. Juli 1872 behaupten zu können, daß dann die früheren, seiner Zeit durch dieses Gesetz suitenorden wieder aufleben. Daß sondern Vernichtung des Landesb, ergibt sich schon daraus, daß das Reichsgesetz dem Landesgesetz — nicht n u r , aber jedenfalls a u c h — die Stellung eines den gleichen Gegenstand betrefienden späteren Gesetzes, der lex posterior, hat. Lex posterior derogat priori: derogare aber heißt nicht suspendieren, sondern aufheben, abschaffen. Selbst Seydel, der in dem Reichsgesetz nur ein Erzeugnis übereinstimmender, gemeinsamer Landesgesetzgebung erblickt (a. a. 0 . 41), muß zugeben — und gibt das auch zu, vgl. a. a. O. 42 — , daß das Reichsgesetz aas von ihm vorgefundene Landesgesetz restlos beseitigt. Dies muß um so mehr gelten, wenn man I n dem Reichsgesetz nicht sowohl das spätere als das s t ä r k e r e Gesetz, eine Rechtscjuelle höherer Ordnung sieht, welche sich zu dem Landesgesetz verhält, wie dieses zur Verordnung oder zu der Satzung eines innerstaatlichen Verbandes. Es ist bisher noch niemals behauptet worden und wird füglich auch nicht behauptet werden können, daß das Gesetz, welches eine vorher durch Verordnung, etwa durch Polizei Verordnung, geregelte Materie neu ordnet, diese Verordnungen lediglich in ihrer Wirksamkeit und nicht in ihrem ganzen Dasein aufhebe. 6 v gl. Heinze, Das Verhältnis des Reichsstrafrechtes und Landesstrafrechtes (1871), 21 ff.; Laband, StR 2 115; H. Schulze, LehrbDStR 2 127ff.; Binding, HdbDStrR 1 282; Anschütz, Enzykl. 160. 6 Laband 2 122; Haenel, StR 1 249; Heinze, a. a. 0 . 22; Anschütz, Enzykl. 160. 7 Seydel, Komm, zu Art. 2 Nr. I I ; Riedel 41; R. v. Mohl 168; Haenel, Vertragsmäßige Elemente 263 N. 16, Deutsch. StR 1 249; Laband, StR 2 115; v. Rönne, StRDR a. a. 0 . 7; Arndt, Das Verordnungsrecht des Deutschen Reiches 184, Komm, zur R V 61, 62; Jellinek, Gesetz und Verordnung 261; Posener, a. a. O. 50 ff.; Anschütz in der Enzykl. 160. Anderer Ansicht: Heinze, a. a. 0 . 24. Rosenberg, a. a. 0 . 368, 369 will den Vorrang der Reichsgesetze gegenüber Landes Verfassungsgesetzen nicht anerkennen: „Die Landesverfassung kann durch Reichsgesetz nicht geändert werden."
Die Funktionell.
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durch Akte der Reichsgesetzgebung das innerhalb eines Landes bestehende Gewohnheitsrecht, etwaige statutarische Vorschriften, sowie Verträge unter den einzelnen Bundesstaaten beseitigt 8 . Auch kann ein älteres Landesgesetz nicht etwa wegen seines Charakters als Spezialgesetz gegenüber einem späteren Reichsgesetz fortdauernde Geltung beanspruchen 9.
§ 168. Ein anderes Verhältnis als zwischen Reichsgesetzgebung und Gesetzgebung der Einzelstaaten besteht zwischen R e i c h s - u n d Landesgesetzgebung in Elsaß-Lothringen. [Die elsaß - lothringischen Landesgesetze sind L a n d e s g e s e t z e in dem einen Sinne, daß sich ihre Wirksamkeit auf den U m f a n g des Landes beschränkt, und in dem andern, daß sie Angelegenheiten regeln, welche, wenn Elsaß-Lothringen ein „Land 44 in der staatsrechtlichen Bedeutung dieses Wortes, d. h. ein Einzelstaat des Reiches wäre, in den Zuständigkeitsbereich der Gesetzgebung dieses Einzelstaates fallen würden.] Ihrer E n t s t e h u n g nach erscheinen sie a l s R e i c h s g e s e t z e , obgleich ihr Erlaß unter Beteiligung des Landtages erfolgt. Gesetzgeber ist das Reich, welches seine Befugnisse durch den Kaiser unter Zustimmung des Landtages ausübt 1 . Vor Einführung der Reichsverfassung war eine Kollision zwischen Reichs- und Landesgesetzgebung nicht möglich, da die ganze Gesetzgebungsgewalt in den Händen von Kaiser und Dies ist vollkommen haltlos und willkürlich, findet auch in der Praxis der Reichsgesetzgebung nicht den geringsten Anhalt. VgL auch Bornhak, D J Z 11 725 ff. 8 v. Rönne, S t R D R a.a.O. 6: Riedel zu Art. 2 Nr. V ; Seydel zu A r t . 2 Nr. I I ; Hiersemenzel zu A r t 2 Nr. I I 1; Laband, StR 2 115 Auch die Bildung partikulären Gewohnheitsrechts gegenüber einem Reichsgesetz ist ausgeschlossen. Anderer Ansicht: Haenel, StR 1250; Bornhak, im VerwArch 8 5. I n der zivilrechtlichen Literatur wird diese Ansicht insbesondere von Cosack, Lehrbuch des deutschen bürgerlichen Rechts 1 § 10 vertreten. Übereinstimmend: Zorn, StR 1424 N . 4 9 ; Gierkc, DPrivR 1184 Nr. 6; Endemann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, 8. Aufl., 1 § 9 N. 17; Posener, a. a. O. 57ff.; Anschütz, E n z y k l 160. 9 Dies behauptet Hiersemenzel, a. a. 0 . im Hinblick auf den Grundsatz: „lex posterior generalis non derogat legi priori specialis Aber dieser Satz, der überhaupt Keine durchgreifende Geltung besitzt, sondern lediglich eine Präsumtion hinsichtlich der Absicht des Gesetzgebers ausspricht, kann jedenfalls nur in bezug auf solche Vorschriften, welche einander gleichwertig sind, dagegen nicht bei einer höheren Gattung von Gesetzen gegenüber einer niederen zur Anwendung gebracht werden. Vielmehr muß, wenn bei Regelung eines Gegenstandes durch die Reichsgesetzgebung ältere Spezialbestimmungen des Landesrechtes aufrecht erhalten werden sollen, dies ausdrücklich im Reichsgesetze ausgesprochen sein. Dem entspricht auch die Praxis der Reichsgesetzgebung. 1 Anschütz, Enzykl. 161; Fischbach, Öffentliches Recht des Reichslandes 252 („Provinzialgesetze des Reichs für Elsaß-Lothringen"). Gr. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht. U . 7. Aufl.
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§
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Bundesrat ruhte. Als Schranke für dieselbe bestand nur die Reichsverfassung und die Notwendigkeit der Zustimmung des Reichstages bei der Aufnahme von Anleihen und Übernahme von Garantieen zu Lasten des Reiches. Dagegen waren Bundesrat und Kaiser nicht gehindert, bei der Einführung von einfachen Reichsgesetzen Abänderungen an denselben vorzunehmen» I n der Zeit von Einführung der Verfassung bis zum Erlaß des Gesetzes vom 2. Mai 1877 (vgl. oben 543) lag ebenfalls die Möglichkeit einer Kollision nicht vor, da für die gesetzgebenden Organe des Reiches die Reichsgesetze keine Schranken bildeten» Anders gestalteten sich diese Verhältnisse seit dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 2. Mai 1877. Die durch dieses Gesetz (vgl. oben 543 f.) eingeführte Form der Landesgesetzgebung war auf den Gebieten der R e i c h s k o m p e t e n z nur unter denselben Voraussetzungen zulässig, wie die Staatsgesetzgebung der Einzelstaaten, also auf den Gebieten der a u s s c h l i e ß l i c h e n Reichskompetenz gar nicht, auf denen der k o n k u r r i e r e n d e n Kompetenz innerhalb der Schranken der Reichsgesetze. Aber auch auf dem Gebiete der L a n d e s k o m p e t e n z war sie der Reichsgesetzgebung u n t e r g e o r d n e t . Diejenigen Gesetze, welche kraft des in dem Gesetze vom 2. Mai 1877, § 2 , enthaltenen Vorbehaltes im Wege der Reichsgesetzgebung erlassen wurden, gingen den vom Kaiser mit Zustimmung des Bundesrates und Landesausschusses erlassenen Gesetzen vor und konnten nur im Wege der Reichsgesetzgebung abgeändert werden. Es bestand also zwischen diesen beiden Arten der Gesetzgebung ein analoges Verhältnis, wie es zwischen Reichs- und Staatsgesetzgebung auf den Gebieten der konkurrierenden Reichs- und Staatskompetenz gilt. Die v o r dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 2. Mai 1877 in Elsaß Lothringen erlassenen Gesetze unterlagen der Abänderung in den Formen der Landesgesetzgebung, sofern sie Landesgesetze im materiellen Sinne waren, d. h. innerhalb der Landeskompetenz lagen und lediglich für Elsaß-Lothringen Gültigkeit besaßen. [Durch das Verfassungsgesetz vom 31. Mai 1911 ist der Weg der gemeingültigen Reichsgesetzgebung in elsaß-lothringischen Landesangelegenheiten ausgeschlossen und es reicht demnach die Zuständigkeit der reichsländischen Landeslegislative (Kaiser im verfassungsmäßigen Zusammenwirken mit dem Landtag) jetzt ebensoweit wie die der gesetzgebenden Gewalt der Einzelstaaten. Ausgenommen hiervon ist allein die V e r f a s s u n g des Reichslandes, soweit sie in dem Verfassungsgesetz vom 31. Mai 1911 geregelt ist, denn dieses Gesetz gilt, wie erwähnt (oben § 138 S. 545 und § 166 Anm. i) als Reichsgesetz und kann infolgedessen nur durch Reichsgesetz abgeändert werden. § 2 Abs. 2 des Gesetzes vom 2. Mai 1877 ist aufgehoben. Es können jetzt also nicht nur die von dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 2. Mai 1877 sondern auch die später in Landes-
Die Fünktionen.
§ 169.
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angelegenheiten erlassenen Reichsgesetzea durch Landesgesetze geändert und aufgehoben werden, außer denen, die sich die Kraft eines gemeingültigen Reichsgesetzes a u s d r ü c k l i c h beilegend V . D i e Gesetzgebung für die Schutzgebiete 1 .
§ 169. Das Recht der Gesetzgebung für die Schutzgebiete steht dem K a i s e r kraft seiner Schutzgewalt zu. In Ausübung dieser Befugnis unterliegt der Kaiser nur denjenigen Beschränkungen, welche ihm durch ausdrückliche Vorschriften der Reichsgesetze gezogen sind. Die wesentlichste Beschränkung ist, daß das b ü r g e r l i c h e R e c h t , das S t r a f r e c h t und das g e r i c h t l i c h e V e r f a h r e n , einschließlich der G e r i c h t s v e r f a s s u n g , sich in den Schutzgebieten nach den Vorschriften des Konsulargerichtsbarkeitsgesetzes vom 7. April 1900 bestimmen2. Auf denjenigen Gebieten, welche durch diese Bestimmung nicht berührt worden sind, also namentlich auf dem Gebiete der Verwaltung, besitzt dagegen der Kaiser das unbeschränkte Gesetzgebungsrecht. Doch bleibt es der Reichsgesetzgebung unbenommen, die kaiserlichen Gesetzgebungsbefugnisse im einzelnen Falle außer Anwendung zu setzen und unmittelbar regelnd in die Rechtsverhältnisse der Schutzgebiete einzugreifen 8. Das ältere K o n s u l a r g e r i c h t s b ä r k e i t s g e s e t z vom 10. Juli 1879 ist seiner Zeit in den Schutzgebieten nicht kraft unmittelbarer gesetzlicher Anordnung in Wirksamkeit getreten, sondern bedurfte für jedes Schutzgebiet einer besonderen Einführung durch kaiserliche Verordnung. Es fand an und für sich auch in den Schutzgebieten nur auf Deutsche und auf Schutzgenossen im Sinne der Konsulargesetze, d. h. auf Angehörige solcher fremden Staaten Anwendung, welchen deutscher konsularischer Schutz für den Fall zugesichert ist, daß sich ein Konsularbeamter ihres Staates in dem betreffenden Bezirk nicht & Beispiel: das Gesetz über die Wahlen zur zweiten Kammer des Landtages für Elsaß-Lothringen vom 31. Mai 1911; vgl. oben 545; Laband, StR 2 252; Alfred Schulze, Verfassung und Wahlgesetz für Elsaß - Lothringen 65, 146. fc Das bisher einzige Beispiel für diese Kategorie bildet das Verfassungsgesetz; vgl. oben im Text. 1 Laband, StR 2 290ff., 294ff.; Sassen, Das Gesetzgebungs- und Verordnungsrecht in den deutschen Kolonien (1909); Backhaus, Das Verordnungsrecht ^ in den deutschen Kolonien (Heidelb. Diss. 1908, auch besonders erschienen, 1909); v. Hoffmann, Einführung in das deutsche Kolonialrecht 31 ff. 2 SchGG § 8: „In den Schutzgebieten gelten die im 8 19 des Gesetzes über die Konsulargerichtsbarkeit bezeichneten Vorschriften der Reichsgesetze und preußischen Gesetze." Vgl. oben § 141 a S. 560 und Anm. g. 8 G. Meyer, Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete, 190; v. Stengel in den AnnDR 1895 657; Laband, StR 2 293. 46*
7 0
Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§ 19.
befindet (Österreicher, Schweizer, Luxemburger) 4 . Weil das Deutsche Reich aber in den Schutzgebieten keine persönliche, sondern eine territoriale Herrschaft ausübt, so wurde dem Kaiser vorbehalten, die Bestimmungen des Konsulargerichtsbarkeitsgesetzes auch auf andere Personen auszudehnen5. Eine solche Ausdehnung hat für das Neu-Guineagebiet nebst den Salomoninseln, die Marschall-, Brown- und Providenceinseln, das Kamerunund Togogebiet in der Art stattgefunden, daß dasselbe auf alle Personen Anwendung fand, welche daselbst wohnen oder sich aufhalten, mit Ausnahme der Eingeborenen; die Regelung der Rechtsverhältnisse der Eingeborenen war demnach hier der kaiserlichen Verordnungsgewalt vorbehalten 6 . I n Ostafrika unterlagen auch die Eingeborenen zum Teil der nach Maßgabe des Konsulargerichtsbarkeitsgesetzes auszuübenden Gerichtsbarkeit 7 . I n Kiautschou galt das Konsulargerichtsbarkeitsgesetz für alle daselbst wohnhaften oder sich aufhaltenden Personen, für die Chinesen jedoch nur soweit sie der nach Maßgabe desselben auszuübenden Gerichtsbarkeit unterstellt werden. Die darauf bezüglichen Bestimmungen traf der Gouverneur. Dieser konnte auch Angehörige farbiger Volksstämme von der Gerichtsbarkeit ausschließen8. [Durch die vorstehend bezeichneten Verordnungen wurde die t e r r i t o r i a l e Geltung und Herrschaft der deutschen Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit in den Schutzgebieten, wenn auch noch nicht durchgeführt, so doch angebahnt, derart, daß beides, Gesetzgebung wie Justiz, regelmäßig alle Personen, Sachen, Rechtsverhältnisse innerhalb der Schutzgebiete erfaßte und nur die eingeborene Bevölkerung davon ausgenommen blieb. Den Abschluß dieser Entwicklung vollzog das Schutzgebietsgesetz vom 25. Juli bzw. 10. September 1900 (vgl. oben § 69 a S. 218 N. 13), dessen §§ 2 bis 4 und 7 mit dem konsularrechtlichen Personalitätsprinzip nicht nur tatsächlich, sondern grundsätzlich brechen und statt dessen das Territorialprinzip einführen, mit der Maßgabe, daß die Eingeborenen der durch aas SchGG geregelten Gerichtsbarkeit und dem von dieser Gerichtsbarkeit anzuwendenden deutschen Recht nur insoweit unterliegen sollen, als dies durch kaiserliche Verordnung bestimmt wird (SchGG § 4.) Die Nichtanwendbarkeit des deutschen Privat-, Straf- und Prozeßrechts auf die Eingeborenen ist mithin jetzt nicht mehr, wie ehedem, Folge, sondern Modifikation des Prinzips, während eine solche Modifikation zugunsten der in den Schutzgebieten wohnenden bezw. sich * K G G vom 10. Juli 1879, § 1. Älteres SchGG vom 15. März 1888 § 3 Nr 1. • V...vom 5. Juni 1886 § 2 , V . vom 13. Sept. 1886 § 2, V . vom 2. Juli 1888 § 2. Über den Begriff der Eingeborenen vgl. Georg Meyer, Staatsrechtliche Stellung der deutschen Schutzgebiete 176 ff. 7 Nämlich insoweit, als sie nach der bisherigen Übung der Gerichtsbarkeit des Reichskommissars unterstellt waren (V. vom 1. Jan. 1891 § 2). » V. 27. April 1898 § 2. 5
Die Funktionen.
§ 169.
721
aufhaltenden Angehörigen anderer zivilisierter Staaten nicht vorgesehen, diese Personenkategorie also dem deutschen Gesetz und Gericht schlechthin unterworfen und der frühere Unterschied zwischen ihr und den „Schutzgenossen" im Sinne der Konsulargesetze nunmehr beseitigt ist 9 .] A b ä n d e r u n g e n des Konsulargerichtsbarkeitsg e s e t z e s und der durch Vermittlung desselben [oder selbständig] in den Schutzgebieten eingeführten Reichsgesetze können nur im Wege der Reichsgesetzgebung erfolgen; [ein Beispiel bildet das Reichsgesetz über die Ausgabe kleiner Aktien in den Konsulargerichtsbezirken in China u n d i m S c h u t z g e b i e t e K i a u t schou vom 23. Dezember 1911.] Doch sind gewisse Abänderungen des in den Schutzgebieten geltenden Privat-, Straf- und Prozeßrechtes durch kaiserliche Verordnungen zulässig, namentlich in bezug auf Formen der Eheschließung, Immobiliarsachenrecht, Vollstreckung der Todesstrafe, Verlängerung von Fristen und gerichtliches Verfahren 10 . Außerdem besitzt der Kaiser die Befugnis, Strafbestimmungen über Materien zu erlassen, welche nicht Gegenstand des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich sind, und dabei Gefängnis bis zu einem Jahre, Haft, Geldstrafe und Einziehung einzelner Gegenstände anzudrohen 11 . Ferner ist der Reichskanzler berechtigt, für die Schutzgebiete oder einzelne Teile derselben polizeiliche und sonstige die Verwaltung betreffende Vorschriften zu erlassen und gegen die Nichtbefolgung derselben Gefängnis bis zu drei Monaten, Haft, Geldstrafe und Einziehung einzelner Gegenstände anzudrohen; er kann dieses Verordnungsrecht der mit einem kaiserlichen Schutzbriefe für das betreffende Schutzgebiet versehenen Kolonialgesellschaft, sowie den Beamten des Schutzgebietes übertragen 12 . Die P u b l i k a t i o n der Reichsgesetze, welche Abänderungen des Konsulargerichtsbarkeitsgesetzes oder der durch Vermittlung desselben eingeführten Gesetze zum Gegenstande haben, muß durch das Reichsgesetzblatt erfolgen. Dieselben erlangen, soweit nicht reichsgesetzlich etwas anderes bestimmt ist, nach Ablauf von vier Monaten, von dem Tage an gerechnet, an welchem das betreffende Stück des Reichsgesetzblattes in Berlin ausgegeben ist, verbindliche K r a f t 1 8 . Über die Publikation der für die Schutz9 Vgl. Laband 2 287; Koebner in der Enzykl. (6. Aufl.) 1087ff.; v. Stengel, Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, 138. 10 SchGG § 6. 11 SchGG g 6 Nr. 1. 19 SchGG § 15. 18 K G G § 30 in Verbindung mit SchGG § 3. — I n den Konsularjurisdiktionsbezirken und demgemäß in den Schutzgebieten gilt aber auch preußisches Recht, nach dem Inkrafttreten des BGB freilich nur noch in sehr beschränktem Maße. Vgl. Radlauer, Über den Umfang der Geltung des preußischen Rechts in den deutschen Schutzgebieten (1911). Die Abänderung dieser preußischen Gesetze geschieht natürlich im Wege der
7
Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§ 19.
gebiete erlassenen Verordnungen sind gesetzliche Vorschriften nicht vorhanden. Es steht daher dem Kaiser die Befugnis zu, sowohl über die Form der Verkündigung als über den Zeitpunkt des Inkrafttretens nähere Bestimmungen zu erlassen 14. Die für die Schutzgebiete erlassenen Gesetze gelten nur innerhalb der eigentlichen Schutzgebiete, nicht innerhalb der bloßen Interessensphäre. Mit der Ausdehnung des Schutzgebietes, d. h. der Erklärung weiterer Teile der Interessensphäre zum Bestandteil desselben tritt das allgemeine Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Schutzgebiete in den hinzutretenden Gebietsteilen ohne weiteres in Kraft, die speziell für das Schutzgebiet erlassenen Anordnungen bedürfen dagegen einer besonderen Einführung 15 . preußischen Gesetzgebung und der Termin des Inkrafttretens bestimmt sich nach der Ausgabe der betreffenden Nummer der preußischen Gesetzsammlung. 14 Die Verkündigung der Verordnungen des Reichskanzlers erfolgt für die afrikanischen und Südsee-Schutzgebiete im ^Deutschen Kolonialblatt", für Kiautschou im „Verordnungsblatt für das Kiautschougebiet". Für die Verkündigung der Verordnungen der lokalen Instanzen, vor allem der der Gouverneure, besteht für jedes Schutzgebiet ein besonderes „Amtsblatt" (das samoanische Publikationsorgan führt die Bezeichnung „Gouvernementsblatt"). Laband, StR 2 293 N. 4 fordert für alle kaiserlichen Rechtsverordnungen Publikation im Reichsgesetzblatt. Wie im Text: Koebner in der Enzykl. (6. Aufl.) 1101 Anm. 1; v. Stengel, Rechtsverhältnisse 55. 15 Anderer Ansicnt: v. Stengel, Der geographische Geltungsbereich der für die Schutzgebiete erlassenen Gesetze und Verordnungen in der Deutschen Kolonialzeitung, N. F. Bd. V I S. 13ff., AnnDR 1895 668ff. und RechtsVerhältnisse 56, welcher annimmt, daß mit Ausdehnung des Schutzgebietes alle für dasselbe erlassenen Verordnungen ohne weiteres auf den hinzuetretenen Teil Anwendung finden. Vgl. dagegen auch die Ausführungen es Wirkl. Geh. Legationsrats Kayser in der Reichstagssitzung vom 1. März 1893 (Sten.Ber. 2 1361 ff.). Der hier vertretenen Auffassung entspricht auch die Kaiserl. V . vom 2. M a i 1894 (KolBl 5 265). [Über den Einfluß der Gebietserwerbung auf den Rechtszustand des erworbenen Gebietes im allgemeinen, vgl. Anschütz, Komm. z. preuß. Verf. 1 83 ff.]
f
Die Funktione.
Z w e i t e r
§
1 .
7
A b s c h n i t t .
Die Justiz. 1. Begriff und Arten der Justiz 1 .
§ 170. [Die mit den Worten „Rechtspflege" und „Justiz" bezeichneten Begriffe decken sich nicht. „Rechtspflege" ist eine materielle, „Justiz" eine formelle Kategorie. Der Unterschied ist dem zwischen Gesetzgebung im materiellen und formellen Sinne (oben § 155) analog. Unter Rechtspflege (gleichbedeutende Ausdrücke: Rechtsprechung, Jurisdiktion) versteht man eine nicht durch ihre Formen, sondern durch ihren Inhalt und Zweck gekennzeichnete Betätigungsmöglichkeit der Staatsgewalt: Rechtspflege ist der Inbegriff der auf die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung gerichteten Tätigkeiten]. Rechtspflege ist auf den verschiedensten Rechtsgebieten möglich: auf dem des Völkerrechtes, Staats- (Verfassungsund Verwaltungs-)rechtes, Privatrechtes und Strafrechtes. Von diesen verschiedenen Arten der Rechtspflege steht zunächst die v ö l k e r r e c h t l i c h e allen übrigen gegenüber, welche man unter der Bezeichnung der s t a a t l i c h e n Rechtspflege zusammenfassen kann. Die v ö l k e r r e c h t l i c h e Jurisdiktion ist eine schiedsrichterliche, sie beruht nicht auf einer den streitenden Teilen übergeordneten Autorität, sondern auf einer Vereinbarung der Parteien. Sie ist daher auch nicht mit Zwangsgewalt ausgerüstet. Eine Ausnahme tritt nur dann ein, wenn völkerrechtliche Subjekte (Staaten) zu einem höheren staatlichen Verbände (staatsrechtliche Staaten Verbindung, s. o. § 12 S. 44), insbesondere zu einem Bundesstaate (oben § 14) vereinigt sind und diesem eine Gerichtsbarkeit zur Entscheidung von Streitigkeiten seiner Glieder eingeräumt ist 2 . Die s t a a t l i c h e Rechtspflege ist dagegen Ausfluß der staatlichen Autorität. Innerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit besteht nun aber wieder ein Gegensatz zwischen der p r i v a t und s t r a f r e c h t I i ch en Jurisdiktion einerseits und der s t a a t s r e c h t l i c h e n anderseits. Die privat- und strafrechtliche Jurisdiktion ist Ausfluß der allgemeinen Überordnung des Staates über die seiner Herrschaft unterworfenen Personen, die staatsrechtliche dagegen Ausfluß des besonderen Verhältnisses, in welchem die staatlichen Organe untereinander und zum Staate stehen. Die privat- und strafrechtliche Rechtspflege hat die Aufgabe, bei Störungen der Rechtsordnung durch Privatpersonen einzuschreiten 8. 1 Vgl. Anschütz, Enzykl. § 43 und in der „Kultur der Gegenwart", Systemat. Rechtswissenschaft (2. Aufl.) S. 374 ff. 2 So: R V Art. 76 Abs. 1. 8 Diese Person kann bei der Strafrechtspflege nur eine physische, bei der Privatrechtspflege sowohl eine physische als eine juristische sein. Auch
G. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
III.
7. Aufl.
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7
Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§
1 .
Die staatsrechtliche Rechtspflege dient dagegen dem Zwecke, Rechtskontrollen für die amtliche Tätigkeit der staatlichen Organe zu schaffen. Als sich in Deutschland die Funktionen der Justiz und Verwaltung zu scheiden begannen, bestand eine Gerichtsbarkeit lediglich auf dem Gebiete des Privatrechtes- und des Strafrechtes. Verfassungsstreitigkeiten im modernen Sinne gab es damals überhaupt nicht 5 auf dem Gebiete der Verwaltung fehlte die gesetzliche Regelung und die scharfe Scheidung der Gesichtspunkte des Rechtes und der Zweckmäßigkeit, welche die unerläßliche Voraussetzung für die Entwicklung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit bildet. So fand sich für die Gerichte, als die Organe der Justiz, zunächst gar kein anderes Gebiet der Tätigkeit als das des Privatrechtes und des Strafrechtes. Neben ihren richterlichen Funktionen wurden ihnen aber noch andere Geschäfte übertragen, welche materiell den Charakter von Verwaltungshandlungen hatten: die sogenannte freiwillige Gerichtsbarkeit. Erst im neunzehnten Jahrhundert entstand mit der Entwicklung des konstitutionellen Staatslebens auch eine umfassendere Rechtsprechung auf dem Gebiete des Staatsrechtes. Es trat das Bedürfnis einer Entscheidung von Verfassungsstreitigkeiten zwischen Regierung und Landtag hervor; die Einführung der Ministerverantwortlichkeit ließ das Dasein eines Gerichtshofes für die Aburteilung der Ministeranklagen als notwendig oder doch als wünschenswert erscheinen; die rechtlich gesicherte Stellung, welche den Staatsdienern eingeräumt wurde, hatte die Entstehung einer Disziplinargerichtsbarkeit über dieselben zur Folge; die gesetzliche Regelung des Verwaltungsrechtes führte zur Ausbildung einer Rechtsprechung in Streitsachen über den Umfang der Verwaltungsbefugnisse. Diese richterlichen Zuständigkeiten wurden aber nicht den bestehenden Gerichten, sondern neu gebildeten besonderen Behörden übertragen. Ersteren blieb, wie bisher, lediglich die Ausübung der Privat- und Strafgerichtsbarkeit. Im Gegensatz zu den neu entstandenen Sondergerichtshöfen für staatsrechtliche Streitigkeiten wurden sie nunmehr als o r d e n t l i c h e G e r i c h t e bezeichnet. Im Anschluß an diese Behördenorganisation hat sich der Begriff der J u s t i z entwickelt. [„Justiz" ist, im Gegensatz zu „Rechtspflege" ein f o r m e l l e r Begriff; man versteht darunter die Tätigkeit der ordentlichen Gerichte]. Diese Tätigkeit umfaßt einerseits nicht die gesamte Rechtspflege (namentlich nicht die Pflege des Staats- und Verwaltungsrechts, s. o.), anderseits sind in derselben Funktionen enthalten, welche nicht unter den Begriff der Rechtspflege fallen. Die Justiz in diesem Sinne zerfällt in: der Staat in vermögensrechtlicher Beziehung (Fiskus) wird nach Maßgabe unseres Rechtes als Privatperson behandelt, welche den Vorschriften des Privatrechtes und demnach der Jurisdiktion der ordentlichen Gerichte unterworfen ist.
Die Funktionen.
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§ 170.
1. die s t r e i t i g e G e r i c h t s b a r k e i t , d. h. der Inbegriff derjenigen Tätigkeiten, welche ihrem materiellen Gehalte nach den Charakter r i c h t e r l i c h e r F u n k t i o n e n besitzen. Die streitige Gerichtsbarkeit scheidet sich in: a) die Z i v i l r e c h t s p f l e g e , deren Gegenstand die Wiederherstellung des durch Privatpersonen gestörten individuellen Rechtskreises ist, b) die S t r a f r e c h t s p f l e g e , welche die Bestrafung des schuldigen Verbrechers bei Störung der öffentlichen Rechtsordnung bezweckt. In der Ausübung der streitigen Gerichtsbarkeit ist eine zweifache Funktion enthalten: die F e s t s t e l l u n g des in Frage stehenden Rechtsverhältnisses durch die logische Subsumtion des einzelnen Falles unter die allgemeine Regel (Gesetz, Gewohnheitsrecht) und die V e r w i r k l i c h u n g desselben .durch die Mittel staatlicher Herrschaftsmacht. Die Anwendung staatlichen Zwanges ist ein w e s e n t l i c h e s , wenn auch nicht das ausschlaggebende Merkmal dieser Art von Gerichtsbarkeit 4 ; 2. die f r e i w i l l i g e ( n i c h t s t r e i t i g e ) G e r i c h t s b a r k e i t , d. h. der Inbegriff solcher Tätigkeiten, welche als Ausfluß der Fürsorge des Staates für die Privatrechtsverhältnisse seiner Angehörigen erscheinen 6. Diese haben ihrem materiellen Gehalte nach nicht den Charakter von r i c h t e r l i c h e n F u n k t i o n e n , sondern von V e r w a l t u n g s h a n d l u n g e n . Sie bestehen teils in einer Mitwirkung bei Begründung von Privatrechtsverhältnissen, teils in einer Beurkundung derselben, teils in der Aufsicht über Personen, welche fremdes Vermögen verwalten, teils in der Verwahrung von Urkunden und Wertgegenständen. Die bei Ausübung derselben maßgebenden Grundsätze sind in einer Reihe einzelner Gesetze zerstreut; überhaupt bietet die freiwillige Gerichtsbarkeit mehr privatrechtliches als staatsrechtliches Interesse dar, so daß eine ausführliche Behandlung derselben an dieser Stelle nicht notwendig erscheint. Die nachfolgende Darstellung wird sich daher auf eine Entwicklung der für die streitige Gerichtsbarkeit maßgebenden staatsrechtlichen Rechtssätze beschränken. 4 Im Gegensatz zu dieser Auffassung behauptet A. S. Schulze, Privatrecht und Prozeß in ihrer Wechselbeziehung (1888) 1 582, daß der Befehl stets im Gesetz enthalten, das Urteil dagegen lediglich ein A k t der Feststellung sei. Diese Auffassung verkennt den Unterschied zwischen dem allgemeinen Befehl im Gesetze und dem speziellen Befehl im Urteil, der eine Anwendung des allgemeinen Befehls auf einen konkreten Fall enthält. Vgl. auch Laband, Staatsrecht 3 375 und Anm. 3; Wach, Handbuch des deutschen Zivilprozeßrechtes 1 13 ff. 5 Zum Begriff der freiwill. Gerichtsbarkeit: Hellwig, System des deutschen Zivilprozeßrechts 1 54 ff.
47*
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Zweiter Teil.
Drittes Buch.
§ 171.
2. Verteilung der Funktionen der Justiz unter die einzelnen Organe.
§ 171. I. Die Gerichte, welche in Deutschland ursprünglich den Charakter königlicher Gerichte besaßen, waren mit der Ausbildung der Landeshoheit L a n d e s g e r i c h t e geworden (s. o. § 24). Der König übte nur in dem von ihm selbst oder einem Stellvertreter geleiteten k ö n i g l i c h e n G e r i c h t e (Reichshofgericht, Kammergericht) die oberste Gerichtsbarkeit aus, und dieses besaß konkurrierende Zuständigkeit mit den Landesgerichten. Letztere wurde aber mit der Gründung des Reichskammergerichtes (s. o. § 25) definitiv beseitigt, nachdem sie schon vorher durch zahlreiche privilegia de non evocando durchbrochen war. In der Zeit vom sechzehnten bis achtzehnten Jahrhundert besaßen die R e i c h s g e r i c h t e .teils eine Jurisdiktion gegenüber Reichsunmittelbaren, teils eine Appellationsgerichtsbarkeit gegenüber den Entscheidungen der Landesgerichte. Doch war letztere für viele Territorien durch besondere privilegia de non appellando ausgeschlossen. Mit dem Untergange des deutschen Reiches kam auch seine Gerichtsbarkeit in Wegfall und die gesamte Rechtspflege gelangte in die Hände der L a n d e s g e r i c h t e . Insonderheit stand dem deutschen Bunde keinerlei Gerichtsbarkeit zu (s. o. § 48). Die Grundverträge desselben trafen nur einige Bestimmungen über die Bildung gemeinsamer oberster Gerichte für die kleineren Bundesstaaten. Dagegen legte sich der N o r d d e u t s c h e B u n d schon bald nach seiner Gründung eine Reihe von Funktionen auf dem Gebiete der Justiz bei, welche später auf das D e u t s c h e R e i c h übergingen. Zu diesen gehörte die Konsulargerichtsbarkeit über Bundes- bzw. Reichsangehörige in gewissen außereuropäischen Ländern, die Marinestrafrechts pflege, vor allem aber die Jurisdiktion des Bundes-, nachmals Reichsoberhandelsgerichtes. Diese umfaßte die letztinstanzliche Entscheidung über folgende Gegenstände: 1. bürgerliche Rechtsstreitigkeiten in Handelssachen1: 2. Entschädigungsansprüche gegen den Reichstiskus wegen Aufhebung der Abgaben von der Flößerei 2 ; 3. zivil- und strafprozessuale Sachen auf Grund der Reichsgesetze über das Urheberrecht an Schriftwerken, Werken der bildenden Künste und Photographien 8 ; 1 Der Begriff der Handelssache war festgestellt durch § 13 des G. vom 12. Juni 1869. Später wurden lür Handelssachen erklärt: Streitigkeiten, welche sich auf die Rechtsverhältnisse von Aktiengesellschaften uinl Kommanditgesellschaften auf Aktien beziehen (G. vom I I . Juni 1^70 Art. 174 u. 208), Streitigkeiten über Markenschutz (G. vom 80. Nov. 1874 § 19), Streitigkeiten über die Entziehung der Befugnis einer Privatbank zur Ausgabe von Noten (Keichsbankgesetz vom 14. März 1875 § 50). Streitigkeiten über Musterschutz (G. vom 11. Jan. 1876 § 15). 2 R G über die Abgaben von der Flößerei vom 1. Juni 1870. 3 R G G vom 11. Juni 1870, 9 u. 10. Jan. 1876.
Die Funktione.
§
1 .
77
4. die zur Kompetenz der Konsuln gehörenden Streitsachen 4 ; 5. Rechtsstreitigkeiten über Schadenersatz infolge des Betriebs von Eisenbahnen, Bergwerken usw. 5 ; 6. vermögensrechtliche Ansprüche der Reichsbeamten gegen den Reich8fisku8 und vermögensrechtliche Ansprüche gegen Reichsbeamte wegen Defekte und pflichtwidrigen Verhaltens im A m t e 6 ; 7. Reichsstreitigkeiten über Ansprüche aus Bergung im Falle der Seenot 7 ; 8. bürgerliche Rechtsstreitigkeiten auf Grund des Reichspatentgesetzes8. — Außerdem war das Reichsoberhandelsgericht Berufungsinstanz für Entscheidungen des Reichspatentamtes über Nichtigkeitserklärungen und Zurücknahme von Patenten9. Nach der Vereinigung Elsaß Lothringens mit dem Deutschen Reiche fungierte das Reichsoberhandelsgericht auch als oberster Gerichtshof (Kassationshof) für das Reichsland 10 . Endlich war dem Reiche die Jurisdiktion über die gegen dasselbe gerichteten Verbrechen des Hoch- und Landesverrates übertragen und für die Ausübung derselben das Ober-Appellationsgericht zu Lübeck bestimmt 11 . Da aber das durch RV Art. 75 in Aussicht gestellte Reichsgesetz über die Zuständigkeit und das Verfahren des Ober Appellationsgerichtes niemals erlassen ist, so hat die Vorschrift keine praktische Geltung erlangt; [sie wurde überholt und aufgehoben durch RGVG § 13(3 Nr. 1 (Zuständigkeit des Reichsgerichts, s. unten)]. Die Abgrenzung der richterlichen Befugnisse zwischen Reich und Einzelstaaten hat mit der Einführung der Reichsjustizgesetze, also mit dem 1. Oktober 1879 eine wesentliche Umgestaltung erfahren. Seit dieser Zeit ist eine viel umfassendere Tätigkeit des Reiches auf dem Gebiete der Justiz eingetreten. H. Die jetzt maßgebenden Vorschriften über die Verteilung der richterlichen Befugnisse beruhen auf dem Reichsgerichtsverfassungsgesetz-vom 27. Januar 1877 in der Fassung der Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 20. Mai 1898 und der Gesetze vom 20. März und 1. Juni 1905, 1. Juni 1909 und 22. Mai 1910. I. Als o r d e n t l i c h e G e r i c h t e bestehen im Deutschen Reiche Amtsgerichte,: Landgerichte, Oberlandesgerichte und das Reichsgericht mit den im Anschluß an diese Gerichte gebildeten Schöffengerichten, Kammern für Handelssachen und Schwurgerichten. Die Kompetenz der ordentlichen Gerichte erstreckt 4 G., betr. die Einführung norddeutscher Gesetze in Bayern, vom 22. April 1871 § 3. ® RG, betr. die Verbindlichkeit zum Schadenersatz usw. vom 7. Juni 1871. • R B G vom 81. März 1873 §§ 152 u 154. 1 Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 § 44. 8 RPatentgesetz vom 25. Mai 1877 § 37. • RPatentgesetz § 32. 10 RG, betr. die Bestellung des Bundesoberhandelsgerichtes zum obersten Gerichtshof für Elsaß-Lothringen, vom 14. Juni 1871. " RVerf Art. 75.
Zweiter T e i l
72
Drittes Buch.
§ 171.
sich auf alle Privatrechtsstreitigkeiten und Strafsachen, für welche nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten reichs- oder landesgesetzlich begründet ist oder reichsgesetzlich besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind 1 2 . - Den ordentlichen Gerichten stehen gegenüber einmal die Gerichtshöfe für die Entscheidung staatsrechtlicher Streitigkeiten, welche an anderen Stellen dieses Buches ihre Behandlung finden, anderseits die besonderen Gerichte für Privat- und Strafrechtspflege, welche an dieser Stelle weiter unten den Gegenstand der Erörterung bilden werden. Unter den ordentlichen Gerichten verteilt sich die Gerichtsbarkeit folgendermaßen: D i e e r s t i n s t a n z l i c h e J u r i s d i k t i o n in Z i v i l s a c h e n steht den Amtsgerichten, Landgerichten und Kammern für Handelssachen zu. Die A m t s g e r i c h t e sind zuständig in Streitigkeiten, deren Gegenstand den Wert von 600 Mark nicht übersteigt und — ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes — in gewissen, ihnen besonders überwiesenen Angelegenheiten18. Die Zivilkammern der L a n d g e r i c h t e entscheiden über alle den Amtsgerichten nicht zugewiesenen Gegenstände. Auch sind ihnen bestimmte Angelegenheiten ohne Rücksicht auf den Wert teils direkt durch die Reichsgesetzgebung überwiesen, teils ist die Überweisung der Landesgesetzgebung vorbehalten 14 . Die K a m m e r n f ü r H a n d e l s s a c h e n , wo solche bestehen, haben Jurisdiktion in handelsrechtlichen Streitigkeiten, welche sonst zur Kompetenz der Landgerichte gehören würden. Welche Streitigkeiten als handelsrechtliche in diesem Sinne zu betrachten sind, ist durch das Gesetz näher bestimmt worden 16 . B e r u f u n g s - und B e s c h w e r d e i n s t a n z für die Amtsgerichte sind die Landgerichte 16 , für die Landgerichte, einschließlich der Kammern für Handelssachen, die Oberlandesgerichte 17. Die R e v i s i o n s - und B e s c h w e r d e i n s t a n z für die Oberlandesgerichte bildet das Reichsgericht 18 . — Auf dem Gebiete d e r S t r a f r e c h t s p f l e g e urteilen die S c h ö f f e n g e r i c h t e über leichtere 19 , die S t r a f k a m m e r n d e r L a n d g e r i c h t e über mittlere 20 , die S c h w u r g e r i c h t e über schwere Straffälle 21 . Die Verbrechen des L a n d e s v e r r a t e s und H o c h v e r r a t e s , insofern dieselben gegen den Kaiser und das Reich gerichtet sind, und das Verbrechen des Verrates militärischer Geheimnisse werden " R G V G § 18. RGrVG § 23. R G V G § 70. M R G V G § 101. i« R G V G § 71. « R G V G § 123. " R G V G § 135, RZPrO § 568, E G § 6, Y. vom 28. Sept. 1879, R G vom 15. März 1881, R G vom 24. Juni 1886, G. vom 30. März 1893. w RGVG 27 u. 29. so R G V G §§ 73—75. » RGVG § 80. 14
Die Funktione.
§ 171
in erster und letzter Instanz vom Reichsgericht abgeurteilt 22 . Eine B e r u f u n g in Strafsachen ist nur gegen die Urteile der Schöffengerichte zulässig und geht an die Strafkammern der Landgerichte 2 8 . R e v i s i o n e n gegen die U r t e i l e d e r S t r a f k a m m e r n i n e r s t e r I n s t a n z sind von den Oberlandesgerichten zu entscheiden, sofern sie ausschließlich auf die Verletzung einer in den Landesgesetzen enthaltenen Rechtsnorm gestützt werden 24 , sonst vom Reichsgericht 25 . Revisionen gegen U r t e i l e d e r S t r a f k a m m e r n i n der Berufungsinstanz gehören vor die Oberlandesgerichte 26; nur in Strafsachen wegen Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher, in die Reichskasse fließender Abgaben und Gefälle ist das Reichsgericht zuständig, wenn die Entscheidung desselben von der Staatsanwaltschaft beantragt w i r d 2 7 . Revisionen gegen die U r t e i l e d e r S c h w u r g e r i c h t e gehen an das Reichsgericht 28 . B e s c h w e r d e n über die Verfügungen der Amtsrichter und Untersuchungsrichter, sowie über die Entscheidungen der Schöffengerichte sind an die Strafkammern der Landgerichte, Beschwerden über anderweite erstinstanzliche Entscheidungen, sowie über Entscheidungen der Strafkammern in der Beschwerde- und Berufungsinstanz an die Oberlandesgerichte zu richten 2 9 . Die Verteilung der Zuständigkeit unter Reich und Einzelstaaten findet also in der Weise statt, daß ersteres die oberinstanzliche Jurisdiktion ausübt, die letzteren dagegen die Gerichtsbarkeit in den unteren und mittleren Instanzen behalten haben. Diese Gliederung der Justiz hat jedoch insofern eine Durchbrechung erfahren, als den Landesgesetzgebungen derjenigen Einzelstaaten, in welchen mehrere Oberlandesgerichte bestehen, nachgelassen worden ist, einen o b e r s t e n L a n d e s g e r i c h t s h o f zu errichten. Die Kompetenz desselben umfaßt diejenigen Revisionen und Beschwerden in b ü r g e r l i c h e n Rechtsstreitigkeiten, welche sonst zur Zuständigkeit des Reichsgerichtes gehören, mit Ausnahme derjenigen Sachen, welche früher dem Oberhandelsgericht zugewiesen waren oder durch besondere Gesetze dem Reichsgericht zugewiesen sind. Eine solche Zuweisung ist insbesondere erfolgt hinsichtlich der Streitigkeiten aus dem bürgerlichen Gesetzbuch 8 0 . Die Befugnis zur Errichtung eines obersten Landesgerichtshofes steht demjenigen Einzelstaate, in dessen Gebiet das 22
RGVG 136, R G vom 3. Juli 1893 § 12. R G V G § 76. 84 R G V G § 123. 28 R G V G § 136. 2« R G V G § 128. 27 R G V G § 136. 2» R G V G § 136. 2 ® R G V G §§ 72 u. 123. 80 EG zum R G V G § 8, E G zum BGB Art. 6. Von der Befugnis, einen obersten Landesgerichtshof zu errichten, hat nur Bayern Gebrauch gemacht (Ausf. G. zum R G V G vom 23. Febr. 1879 Art. 42). 28
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Reichsgericht seinen Sitz hat, also dem Königreich Sachsen nicht z u 8 1 . Die nach den Bestimmungen des Reichsgerichtsverfassungsgesetzes zur Kompetenz der ordentlichen Gerichte gehörenden Rechtssachen werden als o r d e n t l i c h e s t r e i t i g e R e c h t s s a c h e n , die Befugnis, dieselben zu entscheiden, wird als o r d e n t l i c h e s t r e i t i g e G e r i c h t s b a r k e i t bezeichnet Die für die Ausübung dieser ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit maßgebenden Grundsätze sind durch die Reichsjustizgesetze (Gerichtsverfassungsgesetz, Zivilprozeßordnung, Strafprozeßordnung) festgesetzt worden. Den ordentlichen Gerichten dürfen aber neben der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit noch andere Befugnisse übertragen werden. Eine solche Übertragung kann nicht nur, selbstverständlich, im Wege der Reichsgesetzgebung, sondern auch auf dem der Landesgesetzgebung geschehen. Durch die Reichsgesetzgebung kann eine solche Übertragung in unbeschränkter Weise stattfinden, da dieselbe in der Lage ist, die Vorschriften des Reichsgerichtsverfassungsgesetzes, auf welchem die jetzige Kompetenz beruht, abzuändern. Durch die Reichsgesetzgebung kann die Übertragung ferner sowohl gegenüber den Landesgerichten als gegenüber dem Reichsgericht erfolgen 82 . Die Landesgesetzgebung ist dagegen nur berechtigt, derartige Übertragungen gegenüber den Landesgerichten auszusprechen, und unterliegt auch in dieser Beziehung reichsgesetzlichen Beschränkungen. Die Übertragung kann nämlich umfassen; 1. jede Art von Gerichtsbarkeit, insbesondere: a) diejenige bürgerliche und Strafgerichtsbarkeit, für welche reichsgesetzlich besondere Gerichte zugelassen sind, 81
R G über den Sitz des Reichsgerichtes vom 11. April 1877 § 1. Dem Reichsgerichte sind bereits durch eine Reihe reichsgesetzlicher Bestimmungen verschiedene Geschäfte übertragen worden, welche dem Bereiche der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit nicht augehören, namentlich die Entscheidung von Berufungen gegen das Reichspatentamt (RPatentgesetz vom 7. April 1891 § 33), die Entscheidung der Vorfrage über die Verletzung der Amtspflicht bei Verfolgung von Beamten (EG zum R G V G § 11), die Entscheidung der Kompetenzkonflikte in der Freien Stadt Bremen (EG zum R G V G § 17, Kais. V . vom 26. Sept. 1879), die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Senat und Bürgerschaft der Freien Stadt Hamburg (RG vom 14. März 1881), der Erlaß letztinstanzlicher Erkenntnisse in Ablösungs- und Auseinandersetzungssachen in Preußen und denjenigen Staaten, wo die betreffenden Funktionen von preußischen Behörden wahrgenommen werden (EG zum R G V G § 3, Kais. V. vom 26. Sept. 1879), die Entscheidung der Rechtsmittel der Revision und Beschwerde bei Streitigkeiten gegen den Landesherrn und seine Familie in Preußen, Hessen und Waldeck (EG zum R G V G § 3, Kais. V. vom 26. Sept. 1879). — In Konsequenz seiner allgemeinen Anschauungen über die Abgrenzung der Kompetenzsphäre zwischen Reich und Einzelstaaten behauptet H a e n e l , Staatsr. 1 745 ff., 755, v e r f a s s u n g s m ä ß i g sei die Gerichtsbarkeit des Reiches darauf beschränkt, die Einheitlichkeit des gemeinen Privat-, Straf- und Prozeßrechtes in der durch die Einzelstaaten zu vollziehenden Rechtspflege aufrecht zu erhalten. Jede Erweiterung der Befugnisse des Reichsgerichtes enthalte also eine Verfassungsänderung. Die allgemeine Grundlage dieser Ansicht hat bereits an anderer Stelle ihre Behandlung gefunden (vgl. § 80 S. 262 N. 11). 82
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§ 1 .
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b) Gerichtsbarkeit in staatsrechtlichen Streitigkeiten, namentlich auch Verwaltungsgerichtsbarkeit, c) freiwillige Gerichtsbarkeit; 2. Geschäfte der Justizverwaltung. Dagegen ist die Übertragung anderweiter Verwaltungsgeschäfte an die ordentlichen Gerichte nicht gestattet 88 . Fiir die außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit liegenden Geschäfte sind die Vorschriften der Reichsjustizgesetze nicht maßgebend. Für die staatsrechtliche Jurisdiktion, die freiwillige Gerichtsbarkeit und die Geschäfte der Justizverwaltung versteht sich dies von selbst, da diese überhaupt nicht Gegenstand der Reichsjustizgesetze bilden. Auf diejenigen bürgerlichen Streitigkeiten und Strafsachen dagegen, für welche reichsgesetzlich besondere Gerichte zugelassen, welche aber durch Landesgesetzgebung den ordentlichen Gerichten übertragen sind, finden in Ermangelung anderweiter Bestimmungen die Grundsätze der Reichsjustizgesetze Anwendung; der Landesgesetzgebung steht aber die Befugnis zu, abweichende Bestimmungen über die Zuständigkeit und ein abweichendes Verfahren einzuführen 24 . 2. Die b e s o n d e r e n Gerichte für bürgerliche Streitigkeiten und Strafsachen zerfallen in solche, welche durch Reichsgesetz errichtet, und solche, welche reichsgesetzlich zugelassen sind. Auf u n m i t t e l b a r e n r e i c h s g e s e t z l i c h e n Anordnungen beruht 1. die Gerichtsbarkeit der Konsuln 8 5 in gewissen außereuropäischen Ländern, welche teils vom Konsul als Einzelrichter, teils vom Konsulargerichte ausgeübt wird. Die Rechtsprechung dieser Gerichte umfaßt die privatrechtliche und strafrechtliche Zuständigkeit der Amtsgerichte, Schöffengerichte und Landgerichte; die Berufung geht an das Reichsgericht. Für das Verfahren sind die Vorschriften der Reichszivilprozeß- und Reichsstrafprozeßordnung mit gewissen Modifikationen maßgebend. Die Gerichte haben den Charakter von Reichsgerichten. 2. die M i l i t ä r g e r i c h tsb a r k e i t , beruhend auf der Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898 86 . Die Militärgerichtsbarkeit ist ausschließlich Strafgerichtsbarkeit. Ihr sind unterworfen: die aktiven Militärpersonen, die zur Disposition* gestellten Offiziere, in beschränktem Umfange (bezüglich gewisser, im Gesetz bezeichneter Straftaten) die Personen des Beurlaubtenstandes und die in Ruhestand getretenen Offiziere, endlich auch Zivilpersonen wegen der in den §§ 160, 161 MilStrGO bezeichneten strafbaren Handlungen 87 . Die Militärgerichtsbarkeit wird ausgeübt durch die Gerichtsherren und die erkennenden Gerichte 88 . Sie zerfällt in eine niedere und eine « EG zum R G V G §§ 3, 4. 84 EG zum R G V G § 3, E G zur RZPrO § 3, E G zur RStrPrO § 3. SB R G über die Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900. v. Liszt, Völkerrecht (10. Aufl.) 143 ff. 86 In Kraft getreten am 1. Oktober 1900: Kaiserl. V. vom 28. Dezember 1899, erlassen auf Grund des E G zur MilStrGO vom 1. Dezember 1898, § 1. MilStrGO p 1—11.^ 88 MilStrGO | 12. —- Uber die rechtliche Stellung und Zuständigkeit des Gerichtsherrn, diese „das Militärstrafverfahren am meisten kennzeichnende
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höhere 89 . Die niedere Gerichtsbarkeit erstreckt sich nur auf Personen, welche nicht Offizierrang haben; sie umfaßt: 1. die nur mit Arrest bedrohten militärischen Vergehen, 2. die Übertretungen, 3. die in § 16 MilStrGO angeführten Vergehen unter den dort näher bezeichneten Maßgaben. Die höhere Gerichtsbarkeit erstreckt sich auf alle der Militärstrafgerichtsbarkeit unterworfenen Personen und umfaßt alle strafbaren Handlungen 40 . Die erkennenden Gerichte (sämtlich kollegialisch organisiert, die der niederen Gerichtsbarkeit ausschließlich mit Offizieren, die der höheren mit Offizieren und richterlichen Militärjustizbeamten besetzt) sind die Standgerichte, Kriegsgerichte, Oberkriegsgerichte und das Reichsmilitärgericht. Die ersteren drei Arten von Gerichten haben beim Landheer den Charakter von Landesgerichten, bei der Marine den von Reichsgerichten; sie treten nur auf Anordnung des Gerichtsherrn für den einzelnen Fall zusammen. Das Reichsmilitärgericht, welches die höchste Revisionsinstanz bildet, ist ein Reichsgericht und ein ständiger Gerichtshof. 3. D i e G e r i c h t s b a r k e i t i n den S c h u t z g e b i e t e n 4 1 , welche nach den für die Konsulargerichtsbarkeit geltenden Grundsätzen mit der Maßgabe ausgeübt wird, daß an die Stelle des Konsuls der vom Reichskanzler zur Ausübung der Gerichtsbarkeit ermächtigte Beamte und an Stelle des Konsulargerichtes das nach Maßgabe der Bestimmungen über letzteres gebildete Gericht des Schutzgebietes (Bezirksgericht) tritt. Durch kaiserliche Verordnung kann diesen Gerichten die Zuständigkeit der Schwurgerichte übertragen und als Berufungsgericht ein deutsches Konsulargericht oder ein Gerichtshof im Schutzgebiete (Obergericht) bestimmt, auch das Verfahren in manchen Beziehungen abweichend geregelt werden. Die Gerichte der Schutzgebiete haben den Charakter von Reichsgerichten. Neben diesen reichsgesetzlich angeordneten bestehen noch reichsgesetzlich z u g e l a s s e n e Gerichte, für deren Errichtung also noch ein besonderer Akt der L a n d e s g e s e t z g e b u n g erforderlich wird. Dies sind: 1. die Rheinschiffahrts- und Elbzollgerichte, welche auf Staatsverträgen beruhen 4 2 ; 2. die* Gerichte zur Entscheidung von bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bei Ablösungen und Separationen 4 8 , insbesondere die preußischen Generalkommissionen; Gestalt": v. Lilienthal, Das Militärstrafgerichtsverfahren, in Birkmeyers Enzykl., 2. Aufl., § 7; Laband, Staatsr. 4 115 ff. MilStrGO §§ 14—16, 17. MilStrGO § 17. 41 SchGG §§ 2—4. Vgl. oben 563 und: Koebner, Die Organisation der Rechtspflege in den Kolonien (1903); Ders. in der Enzykl. (6. Aufl.) 2 1111 ff.; JrauT Bauer, Die Strafrechtspflege über die Eingeborenen der deutschen Schutzgebiete im ArchÖffR 19 32 ff. 42 R G V G § 14 Nr. 1. Vgl. Mallinkrodt, Art. Rheinschiffahrt im W S t V R 3 317 ff.; Gerlach, Art. Elbschiffahrt im W S t V R 1 708 ff. « R G V G § 14 Nr. 2. Vgl. Meyer-Dochow, VerwR (3. Aufl.) 382, 383, Art. Agrargesetzgebung, Auseinandersetzungen, Feldbereinigung, Gemeinheitsteilung im W S t V R .
Die Funktione.
§ 1 .
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3. Gemeindegerichte zur Entscheidung über vermögensrechtliche Ansprüche, welche den Betrag von sechzig Mark nicht übersteigen, unter Vorbehalt des ordentlichen Rechtsweges44. Für das Verfahren in diesen Gerichten sind nicht die Vorschriften der Reichjustizgesetze, sondern die der betreffenden Landesgesetze maßgebend 46 . Zu den besonderen Gerichten gehören ferner die durch Ortsstatut oder Anordnung der Landeszentralbehörde zu errichtenden Gewerbegerichte und Kaufmannsgerichte 46. — Außerdem sind als spezielle, von den ordentlichen Gerichten abweichende Gestaltungen die besonderen, auf Haus- oder Landesgesetzen beruhenden Gerichte für die Mitglieder der landesherrlichen Familien und des fürstlichen Hauses Hohenzollern, sowie die den Standesherren landesgesetzlich gewährten Austräge in Strafsachen vorbehalten worden 47 . 3. Ausübung der Justiz durch die Gerichte.
§ 172. Im Mittelalter fand eine scharfe Sonderung zwischen den Funktionen der G e r i c h t s g e w a l t oder G e r i c h t s h e r r l i c h k e i t und denen der R e c h t s p r e c h u n g oder U r t e i l s f i n d u n g statt. Erstere umfaßte das Recht, für die Abhaltung und Besetzung der Gerichte zu sorgen, den Vorsitz in denselben und die Ausübung des prozessualischen Zwanges, insbesondere die Vollstreckung der Urteile; sie stand dem Könige bzw. den Landesherren zu, und die in ihr enthaltenen Befugnisse wurden entweder von dem Gerichtsherrn persönlich oder von dessen Beamten ausgeübt. Letztere dagegen war Sache des Volkes, die Ausübung derselben erfolgte entweder durch die gesamte Gerichtsgemeinde oder durch die Schöffen. Mit dem Untergange der Schöffenverfassung ging auch die Funktion der Rechtsprechung auf den Gerichtsherrn und dessen Beamte über. Gleichzeitig machte sich aber das Bestreben geltend, jeden persönlichen Einfluß des Gerichtsherrn auf die Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten auszuschließen und diese unabhängigen Behörden zu übertragen Die Unabhängigkeit der Reichsgerichte von der Einwirkung des Kaisers wurde schon im sechzehnten Jahrhundert von der Reichgesetzgebung wiederholt anerkannt 2 . 44
R G V G § 1 4 Nr. 3. « E G zur RCPrO § 3, zur RStrPrO § 3. 46 RG, betr. die Gewerbegerichte, vom 29. September 1901. R G betr., Kaufmannsgerichte vom 6. Juli 1904. Vgl. oben § 118a, Nr. 14, 15. 7 * E G zur R G V G §§ 5 u. 7. Vgl. Loening, Die Autonomie der standesherrlichen Häuser Deutschlands (Denkschrift, verfaßt im Auftrage des Vereins der deutschen Standesherren), 1905, S. 149, 150. 1 Siegel, Zur Entwicklung der Unabhängigkeit der Rechtsprechung, in den AnnDR 1894 221 ff. 2 R A zu Augsburg von 1510 § 14, KGO von 1521 Tit. 27, R A zu Augsburg von 1548 § 24, KGO. von 1555 Einl. § 2 T . I I Tit. 35, JRA § 166, W K Art. 16 §§ 7 u. 8, Art. 17 § 1
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Drittes Buch.
§ 17.
Im siebzehnten Jahrhundert bestimmten die Reichsgesetze, daß auch in den einzelnen Territorien die Ausübung der Rechtspflege durch besondere Landesgerichte geschehen sollte 8 . Seit dieser Zeit bildete sich allmählich der Grundsatz aus, daß persönliche Eingriffe der Landesherren in den Gang der Prozesse, sogenannte Akte der Kabinettsjustiz, unerlaubt seien. In dem Bereiche der Zivilrechtspflege wurde das Prinzip der Unabhängigkeit der Gerichte schon im achtzehnten Jahrhundert regelmäßig, wenn auch nicht ganz ausnahmslos, beobachtet. Dagegen kamen in dem Bereiche der Strafrechtspflege noch in dieser Zeit häufig persönliche Einmischungen der Landesherren in den Gang der Prozesse vor; dieselben nahmen das Recht in Anspruch, nicht nur Milderungen, sondern auch Schärfungen der Strafurteile auszusprechen. Dies war insbesondere in Preußen der F a l l 4 . Auch im neunzehnten Jahrhundert behielten sich die Landesherren in manchen Staaten, namentlich in Preußen, das Recht vor, Todesurteile und Urteile, welche auf schwere Freiheitsstrafe lauteten, zu bestätigen. Doch fing man allmählich an, in der Bestätigung nur einen Ausspruch des Landesherrn über die Ausübung des ihm zustehenden Begnadigungsrechtes zu erblicken 6 . Mit der Einführung konstitutioneller Verfassungen ist der Grundsatz der Unabhängigkeit der Gerichte zur vollen Geltung gelangt; durch die Reichsjustizgesetze hat er eine reichsgesetzliche Anerkennung erhalten. Nach dem Staatsrechte der deutschen Einzelstaaten gilt der Monarch als I n h a b e r d e r G e r i c h t s b a r k e i t und ihre Ausübung findet in seinem Namen statt. Aber jede persönliche Einwirkung desselben auf ihren Gang ist ausgeschlossen. Den Grundsatz, daß die Justiz durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte gehandhabt werden muß, hat das RGVG ausdrücklich ausgesprochen6. Der Monarch und die Verwaltungsbehörden dürfen weder Befehle in bezug auf die Entscheidung der Prozesse erlassen, noch ein gerichtliches Verfahren hemmen, noch endlich den Gerichten Interpretationen der anzuwendenden Rechtsnormen vorschreiben 7 . Die Einsetzung von Ausnahmes R A zu Spei er von 1600 § 15, J R A § 108. Hälschner, Das preußische Strafrecht (1855) 1 183ff.; A. Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung 2 139, 212 ff., 263ff., 272ff., 299ff., 311 ff, 317ff, 324ff, 359; Bornhak, Preußische Staatsund Rechtsgeschichte 251 ff. 267 ff. Ähnlich war es im Kurfürstentum Hannover: E. v. Meier, Hannoversche Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 1 155, 156. ® Stölzel a. a. 0 . 404, 469 ff., 522 ff, 697 ff. 6 R G V G § 1. — Ebenso für die Militärgerichte RMilStrGO § 18. [Doch wird, solange das Institut des Gerichtsherrn in seiner gegenwärtigen Gestaltung beibehalten wird, der Grundsatz der Unabhängigkeit der Justiz in der Militärgerichtsbarkeit nur eine beschränkte Geltung behaupten können. Vgl. die im vorigen § N. 38 angeführten Äußerungen v. Lilienthais und Labands.] 7 Eine Ausnahme von diesem Grundsatze enthielt die preuß. V. vom 25. Jan. 1823. Dieselbe setzte fest, daß, wenn bei einer gerichtlichen Ent4
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§
1 .
7
gerichten ist, abgesehen von den im Falle der Verkündigung des Kriegszustandes zu errichtenden Kriegsgerichten, unstatthaft 8 . Eine Bestätigung der Todesurteile findet nicht mehr statt 9 . Das Prinzip der Unabhängigkeit der Gerichte kommt auch in einer Reihe von Bestimmungen zum Ausdruck, welche den Zweck haben, j e d e m i t t e l b a r e Einwirkung des Monarchen und der Verwaltungsorgane auf die Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten zu verhindern, nämlich: 1. in den Bestimmungen über die r e c h t l i c h e S t e l l u n g d e r R i c h t e r in ihrer Eigenschaft als Staatsbeamte, insbesondere darin, daß die Richter wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in Ruhestand versetzt werden dürfen 1 0 ; 2. in den Vorschriften über d i e B i l d u n g d e r S e n a t e u n d K a m m e r n bei den Kollegialgerichten. Nach dem RGVG erfolgt die Bestimmung der ständigen Mitglieder der einzelnen Kammern bzw. Senate und ihrer regelmäßigen Vertreter für den Fall der Verhinderung, sowie die Verteilung der Geschäfte unter dieselben vor Beginn des Geschäftsjahres für die Dauer desselben. Die getroffene Anordnung kann im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen eingetretener Überlastung eines Senats (Kammer) oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Mitglieder des Gerichtes erforderlich wird. Alle diese Anordnungen gehen vom Präsidium aus. Dasselbe besteht aus dem Präsidenten des Gerichtes, den Senatspräsidenten (Kammerdirektoren) und dem oder den ältesten Mitgliedern (bei den Landgerichten dem ältesten, bei den Oberlandesgerichten den zwei und beim Reichsgericht den vier ältesten Mitgliedern) 1 1 ; 3. in den Vorschriften über die V e r t r e t u n g der R i c h t e r und die Z u z i e h u n g von H i l f s r i c h t e r n . Das RGVG bestimmt darüber folgendes: Bei den L a n d g e r i c h t e n erfolgt die Anordnung einer Vertretung, soweit sie nicht durch ein Mitglied desselben Gerichts möglich ist, auf den Antrag des Präsidiums durch die Landesjustizverwaltung. Die Beiordnung eines nicht ständigen Richters darf jedoch, wenn sie auf eine bestimmte Zeit erfolgt, vor Ablauf dieser Zeit, wenn sie auf unbestimmte Zeit erfolgt, solange das Bedürfnis, durch welches scbeidung die Bestimmung eines Staatsvertrages in Betracht komme, die Gerichte über deren Gültigkeit, Anwendbarkeit und Bedeutung die Äußerung des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten einholen und sich danach bei der Entscheidung richten sollten. Durch V. vom 24. Nov. 1834 ist sie jedoch wieder aufgehoben worden. Vgl. Loening, im VcrwArch 3 107 ff. • R G V G § 16. • RStPrO § 485. R G V G § 8, RMilStrGO §§ 81, 96. — Vgl. oben §§ 150, 153 u. 154, S. 618 ff., 625 ff. 11 R G V G §§ 62 u. 63, 121, 133. Ahnliche Bestimmungen bestehen auch für das Reichsmilitärgericht. Hier erfolgt die Anordnung durch den Präsidenten nach Anhörung der Senatspräsidenten (RMilStrGO §§ 88, 89).
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Drittes Buch.
§17.
sie veranlaßt wurde, fortdauert, nicht widerrufen werden. Ist mit der Vertretung eine Entschädigung verbunden, so muß diese für die ganze Dauer im voraus festgestellt werden. Wo jedoch in einem Staate landesgesetzliche Vorschriften bestehen, nach welchen richterliche Geschäfte nur von ständig angestellten Richtern wahrgenommen werden können, bleiben dieselben in K r a f t 1 2 . Bei den O b e r l a n d e s g e r i c h t e n dürfen zu Hilfsrichtern nur ständig angestellte Richter berufen werden 18 . Bei dem R e i c h s g e r i c h t ist die Zuziehung von Hilfsrichtern unzulässig 14 , ebenso beim Reichsmilitärgericht lß . § 173. Aus dem Grundsatz, daß die Gerichte in der Rechtsprechung unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind, ergibt sich, daß sie selbständig zu p r ü f e n haben, ob d i e v o m S t a a t s oberhaupt erlassenen allgemeinen A n o r d n u n g e n (Verordnungen) gesetzmäßig sind1. 1. Die Reichsgerichte des alten deutschen Reiches besaßen unbestrittenerweise das Recht, sowohl Landesgesetze als kaiserliche Verordnungen daraufhin zu prüfen, ob sie mit den Reichsgesetzen übereinstimmen. I n bezug auf die kaiserlichen Verordnungen war das Prüfungsrecht sogar reichsgrundgesetzlich anerkannt 2 . Dagegen stand den Landesgerichten nur die Befugnis zu, die richtige Veröffentlichung der vom Landesherrn ausgehenden Normen ihrer Kognition zu unterziehen; ein Prüfungsrecht hinsieht ich des verfassungsmäßigen Zustandekommens konnte sich nicht ausbilden, weil eine regelmäßige Teilnahme der Landstände bei der Gesetzgebung in den meisten Territorien nicht bestand. 2. Erst als mit Einführung des konstitutionellen Systems der Gegensatz von Gesetz und Verordnung entstand, wurde die Frage über das Prlifungsrecht der Landesgerichte praktisch und Gegenstand lebhafter Streitigkeiten 8 . Während ein Teil der älteren SchriftR G V G § 69. 1 8 R G V G § 122. " R G V G § 134. 1 5 RMilStrGO § 78. [Über das Prüfungsrecht in bezug auf die Authentizität und Korrektheit des Gesetzestextes (Redaktions- und Publikationsversehen) s. oben §158 S. 667 und Note h. Neueste zusammenfassende Darstellung der im Text behandelten Materie: F. Schack, Die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Gesetz und Verordnung (1918)1. 2 W K . Art. 16 § 11. 3 [In England ist die Befugnis der Gerichte, über die Gesetzmäßigkeit königlicher Verordnungen zu entscheiden, stets unbestritten gewesen: ob den Gerichten dort aucn das Prüfungsrecht bezüglich de3 verfassungsmäßigen Zustandekommens der G e s e t z e zusteht, ist bestritten: bejahend Gneist, Gutachten für den I V . Deutschen Juristentag, M Verhdlgn. 1 219, verneinend Jellinek, Ges. u. Vorordn. 404, 405, Freund, Öffentl. Recht der Vereinigten Staaten von Amerika 84 (im Gegensatz zur amerikan. Auffassung) und besonders Hatschek, Engl. Staatsrecht 1 138: „Prinzipiell gilt heute der Satz, daß der englische Richter unbedingt die Gesetze anwenden muß, daß er k e i n Prüfungsrecht derselben hat, ausgenommen die Prüfung der Formerfordernisse des Gesetzes, wozu er auf die Originalurkunden des Gesetzes zurückgehen kann. Hierbei muß er sich beruhigen und zufriedengeben, 1
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steller dem Richter nur das Recht zusprach, zu untersuchen, ob die formellen Erfordernisse der Publikation erfüllt'seien 4 , behauptet die Mehrzahl derselben und ein Teil der neueren, daß er auch das verfassungsmäßige Zustandekommen der Gesetze und die materielle Gesetzmäßigkeit der Verordnungen zu prüfen habe 5 . wenn das verfassungsmäßige Zustandekommen des Gesetzes authentisch durch den Clerk des Parlaments bezeugt ist". Danach sei die Stellung des Richters zum Gesetz nicht wesentlich verschieden von derjenigen, die Laband, Staatsr. 2 44 ff. dem deutschen Richter anweise. I n den kontinentalen Verfassungen war die Frage meist nicht ausdrücklich entschieden. Doch legten sich die französischen Gerichte, namentlich seit der Julirevolution, die Befugnis bei, über die Recht.6gültigkeit königlicher Verordnungen zu urteilen (vgl. K. S. Zachariä, Archiv für zivilistische Praxis 16 155 ff.; H. Bischof, Zeitschrift für Zivilrecht und Prozeß, neue Folge, 16 291 ff. Ein Recht der Gerichte, G e s e t z e auf ihre Gültigkeit zu prüfen, ist in Frankreich nicht anerkannt; vgl. E. v. Meier, Franz. Einflüsse 1 146 ff. Die belgische Verfassung Art. 107 spricht den Gerichten ein Prüfungsrecht gegenüber Verordnungen (nicht Gesetzen) zu]. * Linde, Archiv für zivil. Praxis 16 305ff.; Stahl, Philosophie des Rechtes 2 Abt. 2 § 180; Zöpfl 2 § 451 S. 576 ff.; Held 2 § 254 S. 95 ff.; H. Bischof, Zeitschrift für Zivilrecht und Prozeß. N. F. 16 235 ff., 385 ff., 17 104ff., 253ff., 448ff.; 18 129ff., 302ff, 393ff., Böhlau, Mecklenburgisches Landrecht 1 § 50; Ulmann, Zur Frage des richterlichen Prüfungsrechtes hinsichtlich der inneren Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Verordnungen, Zeitschrift für Staatswissenschaft 24 333 ff. Vgl. Schack a. a. O. 89 ff, 156 ff. 8 K . S. Zachariä, Archiv für zivil. Praxis 16 142 ff.; Wächter, Hand-' buch des im Königreich Württemberg geltenden Privatrechtes 2 § 7; I i . A. Zachariä 2 § 175 S. 243ff.; v. Gerber § 49 S. 161: Poezl § 161 N. 5; Puchta, Pandekten § 15; Windscheid, Lehrbuch der Pandekten 1 § 14; Stobbe, Handbuch des deutschen Privatrechtes 1 § 18; Beseler, System des gemeinen deutschen Privatrechtes 1 § 19; Vollert, Zeitschrift lür die gesamte Staatswisseiischaft 10 586 ff.; P. v. Roth, Deutsches Privatrecht 1 271; E. Meier, Art. „Prüfungsrecht" in v. Holtzendorffs Rechtslexikon 3 225 ff.; H. Schulze, Preußisches Staatsrecht 2 43 ff., Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes 1 562ff.: Rosin, Polizeiverordnungsrecht in Preußen 283ff.; v. Sarwey, Württembergisches Staatsrecht 2 99ff.; Göz, Württemb. StR 215; Wielandt, Badisches StR 171 (anders Walz, Bad. StR 220); Arndt, Verordnungsrecht des Deutschen Reiches S. 215ff. [anders aber: Komm. z. Preuß. V U , zu Art. 106 Anm. 10. Unentschieden äußert sich A r n d t über die Frage des Prüfungsrechts in seinem Reichsstaatsrecht, 185]; Gierke in Schmollers Jahrbuch 7 1187, Deutsch. PrivR 1 136; Brie im ArchÖftR 4 53ff.; Franken, Deutsches Privatrecht 39; Gneist, Gutachten für den vierten deutschen Juridtentag (Verh. 1 212 ff); v, Roenne, Preuß. StR 4. Aufl. 1 407 ff (anders Zorn in der 5. Aufl. 8 59ff.); G. Meyer in der Voraufl. 632 ff.; Schoen im Handb. d. Politik 1 292; Kahn in den AnnDR 1907 481 ff., 603ff. I n demselben Sinne hat sich der deutsche Juristentag bei seiner dritten (Verh. 2 62) und vierten Versammlung (Verh. 2 68) ausgesprochen. Gegen die Beschlüsse desselben richtet sich die Schrilt von Martin, Der Umfang des landesrichterlichen Prüfungsrechtes hinsichtlich des Entstehens gültiger Gesetze und Verordnungen in den konstitutionellen deutschen Bundesstaaten, 1865. Eine Widerlegung derselben enthält G. Planck, Die verbindliche Kraft der auf nicht verfassungsmäßigem Wege entstandenen Gesetze und Verordnungen, Jahrb. für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechtes 9 288ff. — Eine Kritik der älteren Literatur über den Gegenstand geben: E. v. Stockmar, Zeitschrift für Zivilrecht und Prozeß, N. F. 10 18ff, 213ff., Kahn in AnnDR 1907 481 ff. Auch die neuere und neueste Literatur ist ausführlich besprochen bei Schack a. a. O. 135 ff.
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Drittes Buch.
§ 17.
[I. I n mehreren deutschen Einzelstaaten ist das richterliche Prüfungsrecht durch ausdrückliche Verfassungsbestimmungen geregelt. Diese Bestimmungen beschränken die Prüfung bei Ges e t z e n auf die Frage der ordnungsmäßig erfolgten Verkündigung und schließen sie im übrigen aus a , während sie bei V e r o r d n u n g e n die Prüfung des gesetzmäßigen Zustandekommens und der materiellen Rechtsgtiltigkeit entweder allgemein b oder doch dann gestatten, wenn die Verordnung nicht vom Landesherrn, sondern von einer Behörde erlassen worden ist c . I n diese Staatengruppe gehört vor allem P r e u ß e n , dessen Verfassungsurkunde — Art. 106 Abs. 1 u. 2 — bestimmt: „Gesetze und Verordnungen sind verbindlich, wenn sie in der vom Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt gemacht worden sind. Die Prüfung der Rechtsgültigkeit gehörig verkündeter K ö n i g l i c h e r Verordnungen steht nicht den Behörden, sondern nur den Kammern zu" Hiernach ist die Frage der Rechtsgültigkeit einer vom König erlassenen und gehörig verkündeten Verordnung eine Frage ausschließlich zwischen der Staatsregierung und dem Landtage („den Kammern"). Nur der Landtag kann die Rechtsgültigkeit einer königl. Verordnung beanstanden, nicht diejenigen, welche die Verordnung zu befolgen bzw. anzuwenden haben: Behörden und Untertanen. Damit ist auch das Prüfungsrecht des Richters auf die Frage beschränkt, ob die Erfordernisse der Publikation © * Preuß. Verf. Art. 106 (s. weiter unten im Text), Braunschweig. N L O § 100, Old. StGG Art. 141, Schw.-Rud. GG § 26, Schw.-Sond. L G G § 41, Reuß j. L . L G G § 107, Wald. Verf. § 94. t> So Braunschweig und die beiden Schwarzburg; s. die yorstehenden (Anm. ») Zitate. c So Preußen (s. d. Text) und Reuß j. L . § 107 Abs. 3. In Oldenburg ist durch das StGG Art. 141 § 2 die Prüfung der materiellen Rechtsgültigkeit nicht nur bei landesherrlichen, sondern bei allen Verordnungen ausgeschlossen; vgl. Schücking, Oldenb. StR 239. Über die Frage, ob zu den Verordnungen m diesem Sinne auch Hausgesetze gehören, vgl. die bei Saxl, Materialien und Gesetz (1907) 122ff., 137 abgedruckten Entscheidungen des oldenburgischen O L G und des RG, sowie Schücking a. a. O. N. 1. d Über Art. 106, insbes. Abs. 2: E. A. Chr. (v. Stockmar), Studien z. preuß. Staatsrecht, in der Ztschr. f. deutsches StR 1 179 ff.; John, ebenda244ff.; v. Roenne ebenda 385ff.; v. Roenne, Preuß. Staatsr. (4. Aufl.) 1 4ü7ff. (abweichend die Ausführungen Zorns in der 5. Aufl. des Roenneschen Werkes 8 59ff.); Bornhak, Preuß. StR 1 551 ff.- r Arndt Komm, zu Art. 106 N. 8—10; Smend, Die Preuß. Verf. im Vgl. mit der Belgischen 55 ff.; Schack a. a.O. 214ff. ® Über die Publikation von Verordnungen vgl. oben § 159 S. 671, 673. Die Prüfung des Richters erstreckt sich auch darauf, ob die betr. Verordnung überhaupt der Publikation bedurfte (oben a. a. 0 ). Daß königliche Verordnungen unter allen Umständen in der G.-S. zu verkündigen seien (Vorauf!. 635), ist ein Irrtum. Nur bei Gesetzen gehört der Abdruck in der G.-S. zu den Erfordernissen einer „gehörigen Verkündigung". Ob di 324 u. a. fc Vgl. oben 753 und den in Anm. 6 zitierten Ausspruch Pütters, dazu Anschütz a. a. O. 7 ff. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
III.
7. Aufl.
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satz zur Wohlfahrtspflege. Sodann ist das Recht zur Anwendung von Zwang ein Attribut der Rechtsgewalt überhaupt, nicht nur der Polizei: es kommt mancherlei Zwang im Rechtsleben vor r der mit Polizei nichts zu tun hat (Unterrichtszwang, Versicherungszwang , Beamtendisziplin, Anstaltsdisziplin), andererseits betätigt sich die Polizei nicht immer und nicht notwendig in der Anwendung von Zwang (pflegliche Polizeitätigkeit, polizeilicherseits erteilte Ratschläge, Warnungen u. dgl., Überwachungsmaßregeln, die dem Überwachten nicht zur Kenntnis kommen). Es gibt mithin staatlichen, insbesondere administrativen Zwang, der nicht Polizei und Polizei, die nicht Zwang ist; die Begriffe Zwang und Polizei decken sich nicht, schneiden sich vielmehr]. Die Polizei ist keine abgeschlossene und selbständige Funktion der inneren Verwaltung, sondern durchdringt das ganze Gebiet derselben. Jeder Verwaltungszweig hat eine polizeiliche Seite (Unterrichtspolizei, Gewerbepolizei, Forstpolizei, Gesundheitspolizei* Wege-, Wasserpolizei usw.). Die Gesamtheit dieser polizeilichen Tätigkeiten pflegt man als V e r w a l t u n g s p o l i z e i zu bezeichnen. Den Gegensatz dazu bildet die S i c h e r h e i t s p o l i z e i , d. h. diejenige polizeiliche Tätigkeit, welche nicht im Interesse eines speziellen Verwaltungsgebietes entwickelt wird, sondern lediglich den Schutz des Gemeinwesens und der Rechtsordnung gegen verbrecherische Angriffe von Personen zum Gegenstande hat 1 . Die Organe der Polizei haben außer ihrer Verwaltungstätigkeit die Verpflichtung, der Strafrechtspflege bei der Verfolgung begangener Verbrechen Hilfe zu leisten. Map stellt diese polizeiliche Tätigkeit als g e r i c h t l i c h e Polizei der a d m i n i s t r a t i v e n Polizei gegenüber. Im französischen Recht hat sich die gerichtliche Polizei als ein eigener Zweig der Polizei entwickelt, welcher der Autorität der Gerichtshöfe unterstellt i s t k . Aber auch nach denjenigen Gesetzgebungen, welche die gerichtliche Polizei nicht zu einem besonderen Institute ausgebildet haben, nehmen die Polizeiorgane bei der Verfolgung begangener Verbrechen die i Der Ausdruck Sicherheitspolizei wird hier in einem engeren und spezifischen Sinne gebucht, denn im weiteren Sinne ist alle Polizei Sicherheitspolizei: „cura avertendi mala futura" im Gegensatz für „cura promovendae salutis" {oben Anm. 6). Sicherheitspolizei im Sinne des Textes ist ein besonderer Verwaltungszweig, richtiger ein Inbegriff mehrerer Verwaltungszweige, und zwar solcher, in denen die Verwaltungstätigkeit ausschließlich in polizeilicher Weise — nicht* in positiver Förderung des Nützlichen, sondern in der Fernhaltung des Schädlichen — sich äußert: Verwaltungszweige, „welche die Polizeigewalt allein ausfüllt" (0. Mayer, V R 1 220); z. B. die pog. politische Polizei, Vereins- und Versammlungspolizei, Preßpolizei, Fremdenpolizei. Der hier vorschwebende Begriff der Sicherheitsolizei ist sehr streitig, so streitig, daß man kaum von einer herrschenden leinung reden kann. Vgl. außer 0. Mayer a. a. O. etwa noch Rosin, PolVerordnß 246 ff.; Loening, Handwörterb. d. Staatswiss. 6 1065; Friedrichs, Polizeigesetz 225, 226 (gute Übersicht der verschiedenen Meinungen); Thoma, Polizeibefehl 80. k 0 . Mayer, V R 1 218, 219.
S
Die Funktione.
§
1 .
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Stellung von Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft und der Gerichte ein 3. Die Verwaltungsfunktionen verteilen sich zwischen R e i c h und E i n z e l s t a a t e n . Das Reich besitzt alle wesentlichen Verwaltungsbefugnisse auf dem Gebiete der auswärtigen Angelegenheiten, die ausschließliche Verwaltung der Kriegsmarine, die obere Leitung des Landheeres, die Verwaltung seiner eigenen Finanzen und eine Reihe gesetzlich bestimmter Befugnisse der inneren Verwaltung. Der Schwerpunkt der verwaltenden Tätigkeit der Einzelstaaten liegt auf dem Gebiete der inneren Verwaltung, auf welchem sie alle Befugnisse besitzen, die nicht dem Reiche übertragen sind, und in der Verwaltung ihrer eigenen Finanzen. Außerdem sind sie an der Heeresverwaltung beteiligt, und es stehen ihnen gewisse Befugnisse auf dem Gebiete der auswärtigen Angelegenheiten zu. II« D i e rechtliche N a t u r der V e r w a l t u n g s a k t e
§ 177. V e r w a l t u n g s a k t e heißen die von den Verwaltungsorganen in Ausübung ihrer Zuständigkeit vorgenommenen Handlungen 2 . Die Verwaltungsakte zerfallen in solche, welche sich innerhalb des Organismus der Verwaltung bewegen, und solche, durch welche die Verwaltung zu anderen Rechtssubjekten in Beziehung tritt. I. I n n e r h a l b des O r g a n i s m u s d e r V e r w a l t u n g besteht ein Verhältnis der Ü b e r - und U n t e r o r d n u n g . Die höheren Organe besitzen das Recht, die Tätigkeiten der niederen zu leiten und ihnen Befehle zu erteilen, sowohl in der Form allgemeiner Verordnungen (Dienstanweisungen, Instruktionen oben 671) als in der Form konkreter Verfügungen. Die niederen Organe sind verpflichtet, diesen Befehlen Folge zu leisten, sofern sich dieselben innerhalb der gesetzlichen Kompetenz bewegen, den vorgeschriebenen Formen entsprechen und nicht mit dem klaren Wortlaut eines Gesetzes in Widerspruch stehen. Die höheren Verwaltungsorgane haben gegenüber den niederen ferner c&s Recht der Dienstaufsicht, d. h. die Befugnis, von der Tätigkeit derselben Kenntnis zu nehmen und im Falle eines unangemessenen oder pflichtwidrigen Verhaltens derselben die erforderlichen Maßregeln zu ergreifen. I I . A u ß e r h a l b des O r g a n i s m u s d e r V e r w a l t u n g lassen sich drei Gruppen von Verwaltungstätigkeiten unterscheiden : 1. der Verkehr mit anderen Staaten, 2. der vermögensrechtliche Verkehr mit Privatpersonen, 3. die Ausübung obrigkeitlicher Befugnisse gegenüber den Untertanen. 1. Diejenigen Verwaltungshandlungen, welche den V e r k e h r m i t a n d e r e n S t a a t e n zum Gegenstande haben, bewegen sich i R G V G § 158, RStrPrO §§ 159, 161, 187. Laband, StR 2 § 65; Gr. Meyer-Dochow § 11; 0 . Mayer, V R 1 § 9; Fleiner, Instit. 175 ff.; Kormann, System der rechtsgeschäftl. Staatsakte (1910). 49* 1
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in den Formen des V ö l k e r r e c h t s , also in denen der Mitteilung, Unterhandlung, Vertragschließung. Sie kommen allein auf dem Gebiete der auswärtigen Verwaltung vor. Von allen Verwaltungstätigkeiten entziehen sie sich am meisten einer gesetzlichen Regelung. Für die Ausübung derselben sind teils die Grundsätze des Völkerrechts, teils die den Organen der auswärtigen Verwaltung erteilten Instruktionen ihrer Vorgesetzten maßgebend. 2. Die Verwaltungstätigkeiten, weiche den v e r m ö g e n s r e c h t l i c h e n V e r k e h r m i t P r i v a t p e r s o n e n betreffen, vollziehen sich, da der Staat in vermögensrechtlicher Beziehung als Privatperson behandelt wird, in den Formen des P r i v a t r e c h t s . Sie können im Abschluß von Privatrechtsgeschäften, namentlich von Verträgen, in Gewährung und Empfangnahme von Leistungen aus denselben, in gerichtlicher Verfolgung der vermögensrechtlichen Ansprüche bestehen. Derartige Tätigkeiten kommen namentlich auf dem Gebiete der inneren und Finanzverwaltung vor. Für die Ausübung derselben sind, soweit nicht Sonderbestimmungen über einzelne Verwaltungszweige bestehen, die Grundsätze des Privatrechts maßgebend. 3. Die Verwaltungsakte, durch welche die Ausübung o b r i g k e i t l i c h e r Befugnisse stattfindet, bewegen sich in den Formen des öffentlichen Rechts. Sie treten teils als V e r o r d n u n g e n , teils als V e r f ü g u n g e n auf. Die Verordnungen haben bereits an einer früheren Stelle ihre Erörterung gefunden 2, so daß hier nur noch die Verfügungen in Betracht zu ziehen sind. Derartige Verfügungen kommen sowohl auf dem Gebiete der inneren als auf dem der Militär- und Finanzverwaltung vor. Ihrem Inhalte nach zerfallen sie in folgende Gruppen: a) B e f e h l e , also G e b o t e und V e r b o t e . Beispiele derartiger Gebote sind: das Gebot der Steuerzahlung, des Eintrittes in den Militärdienst, der Hilfeleistung in Fällen gemeiner Not, des Auseinandergehens einer Versammlung (Auflösung;, der Tötung von Vieh bei Viehseuchen; Beispiele von Verboten: das Verbot des Aufenthaltes an einen* Orte (Ausweisung), der Verbreitung eines Preßerzeugnisses (Beschlagnahme), der Abhaltung einer Versammlung unter freiem Himmel, des Betriebs von geräuschvollen Gewerbeanlagen in der Nähe von Kirchen, Schulen und öffentlichen Gebäuden; b> E r l a u b n i s s e . Beispiele: die Gewerbekonzession, die Baugenehmigung, die Erlaubnis zur Abhaltung einer öffentlichen Versammlung, die Erteilung eines Jagdscheines, die Genehmigung zur Benutzung eines öffentlichen Gewässersc) Akte, welche die B e g r ü n d u n g oder A u f h e b u n g von % Rechten zum Gegenstande haben. Durch derartige Akte können Rechte von einzelnen Personen begründet oder aufgehoben werden; dies ist z. B. der Fall bei der Verleihung der Staatsangehörigkeit 2
Vgl. § 159 S. 668 ff., § 165 S. 705 ff., § 166 S. 714.
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und der Entlassung aus dem Staatsverbande, der Anstellung und Entlassung von Beamten, der Gehaltsfestsetzung (oben § 150 S. 619), der Erteilung und Entziehung von Patenten, der Verleihung und Entziehung des Bergbaurechtes (Bergwerkseigentums), der Enteignung, der wasserrechtlichen Verleihung (preuß. Wassergesetz v. 7. April 1913 §§ 46 ff.), der Volljährigkeitserklärung (BGB. S 3), der Legitimation durch Verfügung der Staatsgewalt (BGB. § 1723), [nicht aber bei der Eheschließung *]. Es können aber durch derartige Akte auch neue Rechtssubjekte geschaffen oder .bestehende vernichtet werden. (Erteilung der Korporationsrechte, Verleihung der Stiftungsqualität, Schließung von Innungen oder von eingeschriebenen Hilfskassen.) Als P r i v i l e g bezeichnet man den ein konkretes Rechtsverhältnis begründenden Verwaltungsakt, wenn durch denselben einem einzelnen Rechtssubjekt eine bevorrechtigte Stellung gewährt wird 8 . d) [ E n t s c h e i d u n g e n von Streitigkeiten, insbesondere von Rechtsstreitigkeiten, durch Verwaltungsorgane. Hierher gehören z. B. die Bescheide, welche die höhere Verwaltungsbehörde auf Beschwerden erteilt, welche bei ihr gegen Anordnungen der ihr nachgeordneten Stellen eingelegt sind, die Disziplinarentscheidungen (oben 628), die Urteile der Verwaltungsgerichte (unten § 182)]. e) F e s t s t e l l u n g e n v o n T a t s a c h e n u n d B e u r k u n d u n g e n . Die Vornahme von tatsächlichen Feststellungen ist beispielsweise eine Aufgabe der amtlichen Statistik; demselben Zwecke dient die untersuchende Tätigkeit der Seeämter. Beurkundungen sind in der Führung der Standesregister, der Führung der Schiffsregister und Ausstellung von Schiffszertifikaten, der Aufstellung der Rayonpläne und Rayonkataster, der Führung der Grundsteuerkataster, aber auch in der Eichung der Maße und Gewichte und in der Prägung der Münzen enthalten. I I I . V e r h ä l t n i s der V e r w a l t u n g zur Gesetzgebung.
§ 178. [Die Verwaltung ist die h a n d e l n d e Staatsgewalt. Gesetz ist Wille, Verwaltung Tat. Das heißt nicht, daß der Gesetzgeber immer erst von Fall zu Fall wollen muß, damit die Verwaltung etwas tun darf* sondern es bedeutet, daß das Tun der Verwaltung a A . M. die Voraufl. 648. Die Ansicht Gr. Meyers, daß die Ehe durch den Standesbeamten geschlossen werde, läßt sich angesichts des § 1317 BGB nicht aufrechterhalten. Richtig Endemann, Familienrecht § 155 Anm. 4. 9 Das Wort P r i v i l e g wird außerdem allerdings auch gebraucht, um Vorrechte ganzer Klassen und Stände zu bezeichnen. Privilegien in diesem Sinne sind selbstverständlich keine Verwaltungshandlungen. Vgl. über Privilegien oben 641 Anm. c und unten S. 762, 768. * l)ie Verwaltung wird im Sprachgehrauch der konstitutionellen Theorie (seit Locke und Montesquieu) als „Exekutive" oder „vollziehende Gewalt" bezeichnet, und die Verfassungsurkunden (vgl. z.B. preuß. V U Art. 45) haben diesen Sprachgebrauch übernommen. Diese Bezeichnung ist unrichtig und
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durch den Willen des Gesetzes b e s c h r ä n k t ist. Das Gesetz ist — regelmäßig — nicht Grund (veranlassende Ursache), noch Zweck, sondern S c h r a n k e der Verwaltung. Hierin liegt ein Zweifaches: 1. Das Gesetz ist der Verwaltung gegenüber immer der rechtlich höhere Wille; die Verwaltung darf also niemals etwas tun, was das Gesetz verbietet, niemals contra legem handeln. 2. Die Verwaltung hat den Untertanen gegenüber nur diejenigen Machtbefugnisse, welche das Gesetz ihr verleiht. Nur innerhalb der Schranken des Gesetzes, d. h. nur auf Grund gesetzlicher Ermächtigung kann die Verwaltung das Vermögen oder die Anteils» kraft der Individuen in Anspruch nehmen oder eine Duldung oder Unterlassung von ihnen fordern. Versteht man unter dem „Dürfen" der Verwaltung die rechtliche Fähigkeit zu Befehl und Zwang, zum Eingreifen in Freiheit und Eigentum der Untertanen, so gilt der Satz: Die Verwaltung darf nicht alles, was kein Gesetz ihr verbietet, sondern sie d a r f n u r , was das G e s e t z i h r erl a u b t b . Dieser Satz, „das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der richtig, je nachdem wie man sie versteht. Sie ist unrichtig, wenn sie ausdrücken soll, das Wesen der Verwaltung bestehe lediglich im Vollziehen der Befehle des Gesetzgebers. Die Verwaltung ist in der Regel nicht bloßer Gesetzesvollzug. Wenn der Staat zum Beispiel Verträge schließt (mit Privatpersonen der anderen Staaten), wenn er gewerbliche Konzessionen erteilt oder Patente verleiht, wenn er Behörden organisiert, Beamte ein- und absetzt, Festungen und Kriegsschiffe baut, Gemeinden miteinander vereinigt, Kolonien erwirbt, Teile seines Gebietes abtritt, so sind das alles Verwaltungshandlungen, aber solche, vermöge deren die Verwaltung nicht den Willen der Legislative, sondern ihren eigenen Willen vollzieht. Richtig ist die Bezeichnung „vollziehende Gewalt" nur dann, wenn man die Vorstellung fernhält, als müsse der Gegenstand des Vollziehens stets in einem in Gesetzesform ergehenden Befehl, die veranlassende Ursache des Vollziehens in einem vom Gesetzgeber ausgehenden Willensimpuls liegen; sie ist richtig, wenn man dem Zeitwort „vollziehen" hier den einfachen Sinn gibt: h a n d e l n . Vgl. An schütz in der „Kultur der Gegenwart", Systematische Rechtswissenschaft 881. b Diese Grundauffassung über das Verhältnis der Verwaltung einerseits zum Gesetz, anderseits zu der Freiheit der Untertanen steht in der Wissenschaft gegenwärtig nahezu unbestritten da. Vgl. Laband 2 193; Loening, V E 241; Lcuthold, Ann D R 1884 888 ff.; Rosin, Pol V R 11 ff., VerwArch. 8 255, Schmollers J. i) 1003; Zorn, StR 1 276; v. Seydel-Piloty, Bayer. StR 1 168, 846, 869; Jellinek, System 102 ff.; Arndt, VerordnR 225; Ö. Mayer, V R 1 (2. Aufl.) 56 ff., 65 ff., 237; derselbe im ArchöffR 17 464ff., 1« 96ff.; Kahl im W S t V R 8 198; Anschütz, VArch 6 23, 406, 14 324ff., P r V B l 22 84ff;, Enzykl. 29, 170, Komm. z. preuß! Verf. 1 97 ff., 134, 141, 157, 162, Kultur der Gegenwart a. a. O. 381, 382, die Polizei (Vorträge der Gehe-Stiftung zu Dresden, 2) 10, 25; Fleiner, Instit. 121 ff.; Thoma, Polizeibefehl 98ff ; Freudental, Die staatsrechtl. Stellung der Gefangenen (Akademische Rede, Frankfurt a. M. 1909) 8ff.; Wolzendorff, VArch 20 280, P r V B l 82 371; Schade im ArchöffR 25 296 ff.; W . Jellinek, ArchöffR 82 585 ff. Sie hat auch die Rechtsprechung der meisten deutschen Verwaltungsgerichtshöfe hinter sich, vor allem die des preußischen und des sächsisSien O V G (über die einschlägigen Urteile des preuß. OVG vgl. Anschütz, PrVBl. 22 84, 85 und Bühler, Die subj. öff. Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung [1914] 81 ff., — über das sächs. O V G Bühler a a. O. 99 ff.
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Verwaltung", folgt aus den oben § 157 S. 652 entwickelten Normen über den Vorbehalt des Gesetzes. Ist es nämlich, wie das dargelegt, richtig, daß die Inanspruchnahme von Freiheit und Eigentum der Einzelnen wider deren Willen dem Gesetz ausschließlich vorbehalten ist, so ergibt sich, daß andere außer dem Gesetzgeber Eingriffe in Freiheit und Eigentum nur vornehmen dürfen kraft gesetzlicher Ermächtigung. „Gesetz" im Sinne vorstehender Ausführungen ist jede Rechtsnorm. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung unterstellt den m a t e r i e l l e n Sinn des Gesetzesbegriffes (oben 539, 654). Er fordert nicht, daß jedem administrativen Eingriff in Freiheit und die oben zit. Arbeit von Schade, 364 ff.), denen des thüring. OVG in Jena in der oben S. 752 Anm. 5 a. E. zit. Entsch. folgt. Abweichende Anschauungen, wonach administrative Eingriffe auch ohne gesetzliche Grundlage zulässig sein sollen, sind mit fortschreitender Zeit immer seltener geworden; sie beruhen zum Teil auf dem Mißverständnis, als müsse nach aem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung jeder Verwaltungsakt auf einer ausdrücklichen formellgesetzlichen Ermächtigung beruhen (s. darüber oben im Text). Namhafte Vertreter solcher Anschauungen waren v. Sarwey, Allgemeines Verwaltungsrecht 86ff. (gegen ihn: Rosin in Schmollers J. 9 1003 und Laband 2 193 N. 1) und G. Meyer, AnnDR 1878 383 und in den Vorauflagen dieses Lehrbuchs, vgl. noch 6. Aufl. 649: „Die Verwaltung darf nicht bloß dasjenige tun, wozu sie durch Gesetz ausdrücklich ermächtigt ist, pondern alles, was ihr nicht durch Gesetz untersagt ist" (hiergegen 0 V G 12 400 und meine Bemerkungen in der '6. Aufl. 650 Anm. 3, 4 sowie P r V B l 22 84 N. 3). Gegenwärtig wird der Standpunkt Sarweys und G, Meyers für die preußische Polizei (ganz sicher mit Unrecht, völlig zutreffend Wolzendorff, PrVBl 82 370, 371 und VArchiv 20 280) noch von Friedrichs, Polizeigesetz S. 236 ff. und für die württembergische Verwaltungspraxis (anscheinend) in einigen Entscheidungen des württemb. Verwaltungsgerichtshofes (vgl. Bühler a a. O. 112 ff.) festgehalten. Bühler a. a. O. 71 ff. meint, daß das Prinzip der gesetzmäßigen Verwaltung nicht durch die konstitutionelle Gewaltenteilung bedingt und auch sonst nicht durch die konstitutionellen Verfassungen eingeführt sei, e3 beruhe vielmehr auf einem selbständigen Gewohnheitsrechtssatz, der sich nicht vor den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts ausgebildet habe. I n der Rechtsprechung sei das Prinzip zuerst von dem preuß. OVG, in der Literatur nicht vor Laband und Leuthold (s. oben) vertreten worden. Diese Behauptungen sind von W . Jellinek, ArchöffR 82 585 ff. schlagend widerlegt worden. Insbesondere weist Jellinek nach, daß der Grundsatz, wonach jeder administrative Eingriff auf Gesetz beruhen muß, nicht erst in der 1. Aufl. von Labands Staatsrecht (1878) aufgestellt worden ist, sondern in der staatsrechtlichen Literatur schon Jahrzehnte vorher (z. B. bei Maurenbrecher, 1837, und K. E. Weiß, 1843) auftritt, und daß vor allem (was übrigens schon large bekannt war; vgl. die von Jellinek S. 589 zit. Schriften von Loening und Rosin, sowie Anschütz, Gegenwärt. Theorien über den liegrifF der gesetzgeb. Gewalt 129) das preuß. A L R das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht sowohl kennt als ausdrücklich ausspricht ( A L K Einl. § 87, I 8 § 32). Was Bühler zugegeben werden kann, ist, daß das mit der Umwandlung des absoluten (Polizei-) Staates in den konstitutionellen (Rechts-) Staat in Kraft getretene Prinzip der gesetzmäßigen Verwaltung weder der Praxis noch der Wissenschaft überall sogleich in seiner vollen Tragweite zum Bewußtsein gekommen und von der Praxis (d. h. der Verwaltungspraxis) oft nur zögernd und widerwillig anerkannt worden ist. Das ist aber nichts Neues. Gegen Bühler auch Waldecker, Krit. Vierteljahresschrift 3. Folge 17 118 ff. und Wolzendorff im VerwArch 28 126, 127.
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und Eigentum ein formelles, konstitutionelles Gesetz zugrunde liege. Auch vorkonstitutionelle Rechtsnormen — vorausgesetzt natürlich, daß sie nach dem Staatsrecht ihrer Zeit gültig zustande gekommen und verkündigt sind c , Rechtsverordnungen (oben § 159, S. 672), autonomische Satzungen (oben 641,642), Gewohnheitsrechtssätze d , durch juristische Abstraktion gewonnene allgemeine Rechtsgrundsätze können in dieser Beziehung eine ausreichende Grundlage abgeben. Insbesondere widerspricht es dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht, wenn die Polizeibehörden ihre Verfügungen anstatt auf ein formelles Spezialgesetz auf die „allgemeine staatsrechtliche Stellung der Polizei" (so die Vorauf!. S. 649, 650), oder auf die „hergebrachten Befugnisse der Polizeibehörden" (das 651) stützen, — falls nur die „Stellung" auf einem Inbegriff von positiv geltenden, wenngleich ungeschriebenen Rechtssätzen beruht und die „Befugnisse" der Art „hergebracht" sind, daß sie sich auf ein wirkliches Gewohnheitsrecht berufen können. Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung findet selbstverständlich auch auf p r i v i l e g i e r e n d e Verwaltungsakte (Verwaltungsakte, welche die Natur von P r i v i l e g i e n haben«) Anwendung. Die Privilegien f waren zur Zeit des* alten Deutschen Reiches eine wichtige Art der Rechtsbegründung, indem ein großer Teil der öffentlichen und privatrechtlichen Befugnisse auf Privilegien beruhte. Das Recht zur Erteilung derselben stand- den Landesherren zu, soweit es nicht hinsichtlich einzelner Gegenstände dem Kaiser reserviert war. Im modernen Verfassungsstaate ist an Stelle der Privilegien die Herrschaft des Gesetzes getreten. Wenn ein Gegenstand in einer für alle Untertanen gleichartigen Weise gesetzlich geregelt und dabei dem Ermessen der Verwaltungsorgane kein Spielraum gelassen ist, kann eine Erteilung von Privilegien nicht stattfinden. Sie erscheint nur zulässig in bezug auf solche Gegenstände, hinsichtlich welcher ein bestehender Rechtssatz der Verwaltung ausdrücklich die Ermächtigung zur Privilegienerteilung verleiht g. c Ein Hauptbeispiel: Die oben § 176 S. 758, 754 besprochene Fundamentalbestimmung des preuß. A L E I I 17 § 10, über Begriff und Grenzen der Polizeigewalt. I m allgemeinen vgl. Anschütz, Komm. z. preuß. Verf. 1140. * Anschütz a. a. 0 . 141; derselbe im VerwA 5 392 , 6 594, PrVBl. 22 85 ff. (über die Bedeutung des Gewohnheitsrechts nach der Rechtsprechung des OVG). Schade im ArchOffR 25 300 ff. © Vgl. oben 759 sowie 641 Anm. c, 645. f v. Gerber, Privilegienhoheit. und Dispensationsgewalt im modernen Staate, Ztschr. f. Staatswiss. 27 430 ff., Ges. jurist. Abhandl. 470 ff.; Binschius, Art. Privileg in v Stengels Wörterb. 1. Aufl.; Hinschius-Kahl, Art. Privilegium im W S t V R 3 196 ff. (umfassende Umarbeitung des Hinschiusschen Artikels von Kahl): Stammler, Privilegien u. Vorrechte (Rekt.-Rede 1903); Gierke, Deutsches PrivR 1 § 34; Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte (1910) 120 ff. Weitere Angaben, insbesondere aus der (eehr reichhaltigen) kanonistischen Literatur s. bei Hinschius-Kahl a. a. 0 . 201. e v. Gerber a. a. O.; H. A. Zachariae 2 § 164 S. 187ff.; v. Sarwey, Württembergisches Staatsrecht 2 68ff.; Schwartz, Preuß. Verfassungsurkunae
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§ 18.
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Vom Privileg unterscheidet sich die D i s p e n s a t i o n 1 1 dadurch, daß jenes positiv wirkt — es schafft ein Vorrecht für eine einzelne Person —, diese aber negativ, indem sie lediglich die Wirksamkeit einer allgemeinen Norm für den einzelnen Fall ausschließt. Die rechtliche Natur der Dispensation ist, wie die des Privilegs, bestritten. Für einige i ist die Dispensation stets und notwendigerweise ein gesetzgeberischer A k t , ein Spezialgesetz, während andere k in ihr eine Verwaltungshandlung erblicken. Die Wahrheit liegt, wie beim Privileg (s. oben), in der Mitte: Privileg und Dispensation können legislative, können aber auch administrative Akte sein. Als Gesetzgebungsakt erscheint insbesondere die Dispensation dann, wenn der Gesetzgeber selbst — wozu er stets und ohne weiteres befugt ist — sein Gesetz für einen Einzelfall oder für eine bestimmte Anzahl von Einzelfällen außer Kraft setzt 1 ; als Verwaltungsakt dagegen dann, wenn die singulare Außerkraftsetzung durch ein Verwaltungsorgan bewirkt wird. Ob letzteres ohne besondere gesetzliche Ermächtigung zulässig ist, entscheidet sich nach der Art und Wirkungskraft der Norm, von welcher dispensiert werden soll. Ist diese Norm ein formelles Gesetz, so kann — schon wegen der formellen Gesetzeskraft (oben 645) — Dispensation im Verwaltungswege nur erteilt werden, wenn und soweit das Gesetz dies ausdrücklich zuläßt m . Im übrigen gilt die 201; Zöpfl, 2 § 4 8 1 S. 673 erwähnt als Schranke der Privilegienerteilung nur die erworbenen Rechte dritter Personen; Hinschius a. a. O. 311 sieht dieselben als einen A k t der Gesetzgebung an, ebenso Gierke, Deutsches Privatrecht 1 804; dagegen mehr wie oben im Text Hinschius-Kahl a. a. O. 198. k Hinschius, Art. Dispensation in v. Stengels Wörterb. 1 277ff.; der Art. ist umgearbeitet und ergänzt von Kahl im W S t V R 1 568 ff. (im folgenden zitiert: Hinschius-Kahl). Vgl. ferner die oben Anm. f angegebene Schrift von v. Gerber, sowie E Meier in Holtzendorffs Rechtslex. 1 540 ff.; Steinitz, Dispensati onsbegriff u. Disp.-Gewalt auf dem Gebiete des deutschen Staatsrechts (1901). Weitere Literaturnachweise bei Hinschius-Kahl a. a. 0 572. 1 v. Gerber, Hinschius, E. Meier, Kahl, Steinitz; vgl. Hinschius-Kahl 569. * G. Mejer, Vorauf!. 652, Friedberg, Lehrb. d. Kirchenrechts 275. Gegen beide Hinschius-Kahl 569. 1 In diesem Sinne ist oben S. 641 Anm. c und 645 von Privilegien und Dispensationen gesprochen worden. ufc Die älteren Schriftsteller hielten allerdings noch vielfach an dem Grundsatz fest, daß dem Monarchen auch ohne gesetzliche Ermächtigung das Recht zustehe, von bestehenden Gesetzen, z. B. Steuergesetzen, zu dispensieren, so namentlich H. A. Zachariae 1 § 163 S. 184 und R. v. Mohl, Württemb. Staatsrecht § 34. I n diesen Anschauungen hat sich aber, namentlich unter dem Einfluß der Anm. f erwähnten Abhandlung v. Gerbers ein vollständiger Umschwung vollzogen. Vgl. über diese Entwicklung G. Meyer, Die Verhandlungen des preußischen Abgeordnetenhauses über den Erlaß von Stempelsteuern für Fideikommisse in den Neuen Heidelberger Jahrbüchern 1 336 ff.; Steinitz a. a. 0. 47 ff. Gegenwärtig wird der Grundsatz, daß der Monarch nur auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung dispensieren könne, von fast allen staatsrechtlichtn Schriftstellern aufgestellt: v. Gerber a. a. 0 . ; H. Schulze, Preußisches Staatsrecht e 61, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts 1 § 190 S. 536; Ulbrich in Grünhuts Zeitschrift 9 28, Österreichisches Staatsrecht § 160 S. 430; v. Sarwey, Württembergisches Staatsrecht 2 68 ff.; E. Loening, Deutsches Verwaltungsrecht 227 ff.; A. Arndt,
764
Zweiter Teil. Drittes Bucli. § 179.
Regel, daß Ausnahmen von einem Grundsatz nur der vorschreiben oder zulassen kann, welcher zuständig ist, den Grundsatz als solchen zu ändern. So kann Dispensation von den Vorschriften einer Polizei Verordnung, zum Beispiel eine Baupolizeiordnung, nur diejenige Instanz erteilen, welche die Polizeiverordnung erlassen hat, — es sei denn, daß das Gesetz ein anderes bestimmt], § 179. [Die Verwaltungsorgane sind nicht, wie die Gerichte, lediglich dem Gesetz, sondern auch der Dienstgewalt der ihnen vorgesetzten Organe unterworfen. Daraus folgt, daß die oben § 173, S. 736 ff. Verordnungsrecht des Deutschen Reiches 231; Komm. z. Preuß. Verf. 256, 257; v. Seydel-Piloty, Grassmann, Bayer. Staatsr. 1 844 , 2 107: HinschiusKahl im W S t V R 1 569; Bornhak, Preuß. StR 1 560, 561; Joël in den AnnDR l^S'8 817; v. Roenne, Preußisches Staatsrecht 4. Aufl. 1 § 101 S. 453; v. Roenne-Zorn, Preuß. StR 8 7 ; Cosack in Marquardsens Handb. 56 ; GauppGöz a. a. 0 . 186, 187 ; Schwartz, Preuß. Verfassungsurkunde 323 ff. ; Steinitz a. a. 0 . 73ff., 82ff. Nur v. Kirchenheim, Lehrb. des deutschen Staatsrechts S. 116 vertritt noch die alte Ansicht von der unumschränkten Dispensationsgewalt des Monarchen. Dagegen hat Laband, Das Gnadenrecht in Finanzsachen nach preußischem Recht, im Archiv für öffentliches Recht 7 169 ff. für den Monarchen das Recht in Anspruch genommen, i m W e g e d e r G n a d e bestehende Gesetze außer Anwendung zu lassen. Der Gnadenakt soll sich von der Dispensation dadurch unterscheiden, daß er kein das objektive Recht ändernder A k t , kein Gesetzgebungsakt ist (a. a. 0 . S. 192, 193). Was Laband Gnade nennt, ist in Wahrheit nichts anderes als Dispensation, seine Gnadentheorie lediglich eine Wiederaufnahme der alten Lehre von der unbeschränkten Dispensationsgewalt des Monarchen. Das Institut der Begnadigung, welches seine anerkannte Stellung in der Strafrechtspflege — und nur dort — hat (vgl. oben § 175), kann nicht beliebig auf andere Gebiete des Staatslebens übertragen werden. Nach Labands Anschauung ist die Gnade „gesetzesfreies Gebiet" ; der Monarch kann „in einer ihm vorbehaltenen Sphäre staatlichen Wollens, bis zu welcher die Funktionen der Gesetzgebung nicht heranreichen, innerhalb der aus dem Begriff der Gnade sich ergebenden Schranken der Gunsterweisung ohne Verletzung der Rechte Dritter die suprema potestas des Staates ausüben" (a. a. O. 195). Auf Grund dieser Behauptungen läßt sich last jede Durchbrechung der Verwaltungsgesetze dnreh einen Akt des Monarchen rechtfertigen; wo sie zur Anerkennung gelangten, würde nicht mehr das Gesetz, sondern die Willkür herrschen. Übereinstimmend mit Vorstehendem Bornhak, Preuß. StR 1 561 und Steinitz a. a. O. S. 33ff., welcher letztere auch die Gegenansichten (Laband, Joël, Arndt, Curtius) eingehend erörtert und widerlegt Wie Steinitz auch Bellardi, Die staatsrechtliche Entlastung (1910), 58 ff. Die Spezialfrage der königlichen Steuererlasse in Preußen, welche den Anlaß zu diesen Erörterungen gegeben hatte, ist übrigens außer Streit gestellt, indem das — weder aus dem Begnadigungsrecht noch aus allgemeinen staatsrechtlichen Grundsätzen ableitbare — Recht der preußischen Krone zum Verzicht auf Steuerforderunpen durch das G. betr. den Staatshaushalt vom 11. Mai 1898, § 18 ausdrücklich zugestanden wurde. {Ahnliche Ermächtigungen kennt die sächsische und badische Gesetzgebung, vgl. unten § 206 N. 2) Gegen Laband vom Standpunkt des bayerischen Rechts aus: v. Seydel-Grassmann, Bayer. StR 2 107. Die in Rede stehenden Ausführungen Labands beziehen sich übrigens nur auf das p r e u ß i s c h e Recht. Die Anwendbarkeit derselben auf das R e i c h s recht lehnt Laband selbst (StR 4 571) ausdrücklich ab; für dieses Recht entwickelt er eine Auffassung, die sich mit der vorstehend und oben im Text vertretenen völlig deckt.
Die Funktione.
§
1 .
7
dargestellten Grundsätze über das Recht der Gerichte zur Prüfung der Gültigkeit von Gesetzen und Verordnungen nicht ohne weiteres auf die Verwaltungsorgane übertragen werden können. 1. Gleichgestellt sind die Verwaltungsorgane den Gerichten in bezug auf das Prüfungsrecht gegenüber G e s e t z e n , indem dieses Recht, sofern man darunter (im Sinne der früher vorherrschenden Lehre) die Befugnis versteht, vorschriftsmäßig verkündigte formelle Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen, den Verwaltungsorganen ebenso wenig zusteht wie den Gerichten. Es gelten in dieser Hinsicht durchweg die oben 739 ff. entwickelten Sätze. 2. Das*Recht, V e r o r d n u n g e n auf ihre Gültigkeit zu prüfen, steht den Verwaltungsorganen nicht in demselben Umfange zu, wie den Gerichten. Wenn nämlich die Verordnung von einer dem betreffenden Verwaltungsorgan vorgesetzten Behörde erlassen ist, hat sie jenem gegenüber die Eigenschaft eines Dienstbefehls, dem die nachgeordnete Stelle ebenso zum Gehorsam verpflichtet ist, wie anderen Dienstbefehlen. Wie sonst, so gilt auch hier für das Verhältnis des Untergebenen zum Vorgesetzten als Regel nicht das Recht der Kritik, sondern die Pflicht des Gehorsams. Die Grenzen der Gehorsamspflicht sind die allgemeingültigen, wie sie oben § 146 S. 593—597 dargelegt worden sind]. 3. Auch hinsichtlich des V e r h ä l t n i s s e s v o n R e i c h s u n d L a n d e s r e c h t bestehen für die Verwaltungsbehörden andere Grundsätze als für die Gerichte. In dieser Beziehung ist aber zwischen Reichs- und Landesbeamten zu unterscheiden. Die L a n d e s b e a m t e n haben zwar das Recht, im einzelnen Falle zu prüfen, ob eine reichs- oder landesrechtliche Norm Anwendung findet. Sie sind also namentlich in der Lage, darüber zu entscheiden, ob die Vorschrift eines älteren Landesgesetzes durch ein späteres Reichsgesetz aufgehoben ist. Aber sie müssen wegen ihrer Unterordnung unter die Landesgesetzgebung und die höheren Verwaltungsorgane des Landes deren Entscheidungen als für sich bindeud a n e r k e n n e n E i n e solche Entscheidung liegt zum Beispiel dann vor, wenn Landesgesetze und Landesverordnungen ältere Vorschriften des Landesrechtes gegenüber später erschienenen Reichsgesetzen aufrechterhalten. Ebenso ergibt sich aus dem Umstände, daß ein Landesgesetz oder eine Landesverordnung später aIs ein denselben Gegenstand behandelndes Reichsgesetz erlassen ist, die Absicht der Landesgesetzgebung bzw. Regierung, die Vorschriften desselben auch gegenüber dem früheren Reichsgesetz als maßgebend erscheinen zu lassen. Für die Überschreitung der Befugnisse der Landesgesetzgebung oder Landesverordnungsgewalt trägt die Regierung gegenüber dem Reiche die Verantwortung. R e i c h s b e a m t e dagegen stehen weder zur Landesgesetzi Vgl. Laband, StR 2 § 59 S. 128, 124; v. Seydel, Komm. z. RV, Art. 2 zu I I I .
76
Zweiter Teil. Drittes Buc. § 1 .
gebung noch zur Landes Verordnungsgewalt im Verhältnis der Unterordnung. Beim Widerspruch von Reichs- und Landesrecht haben sie daher lediglich das erstere anzuwenden. I V . V e r h ä l t n i s der V e r w a l t u n g der Justiz. 1. Abgrenzung des Gebietes1.
§ 180. V e r w a l t u n g s s a c h e n heißen alle diejenigen Angelegenheiten, welche von den Verwaltungsorganen, J u s t i z s a c h e n alle diejenigen, welche von den Gerichten erledigt werden. 1. Der Unterschied von Justiz- und Verwaltungssachen ist dem älteren Recht unbekannt, da für die Ausübung beider Funktionen im wesentlichen dieselben Organe bestanden. Sowohl die Kanzleien und Regierungen als die landesherrlichen Amtmänner (oben § 107 S. 393 ff.) waren gleichzeitig auf dem Gebiete der Justiz und auf dem der Verwaltung tätig. Diejenigen Behörden, aus welchen die späteren Verwaltungsorgane hervorgegangen sind, namentlich die preußischen Kriegs- und Domänenkammern, hatten ursprünglich vielfach den Charakter von Spezialbehörden. Auf den Gebieten ihrer Kompetenz besaßen sie ein Entscheidungsrecht (Jurisdiktion), welches sich nicht nur auf Fragen der Zweckmäßigkeit und allgemeinen Wohlfahrt sondern auch auf Rechtsfragen erstreckte. Ja, sie entschieden regelmäßig sogar diejenigen privatrechtlichen Streitigkeiten, welche mit ihrem Ressort im Zusammenhange standen 2 . Infolge der Unterordnung der Territorialgewalten unter das Reich konnte wegen jeder Rechtsverletzung, welche ein einzelner durch Verfügungen des Landesherrn oder 1 Über die allmähliche Ausscheidung von Justiz- und Verwaltungssachen in P r e u ß e n vgl. E. L o e n i n g , Gerichts-und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen, VArch 2 217 ff., 487 ff., 8 94 ff., 510 ff. [Diese Aufsätze sind zusammengefaßt und neu herausgegeben in dem BucheE. Loenings: „Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen" (Abhandlungen und Aufsätze Bd. 1), 1914. Grundlegend für Preußen ferner die Einleitungen v. Schmollers und Hintzes zu Bd. 1 und 6 der Acta Borussica (v. Schmoller a. a. 0 . 1 109 ff., Hintze a. a. O. 6 227 ff.); Bornhak, Preuß. StR 1 §§ 85, 86, 2 § 187, preuß. Staats- und Rechtsgeschichte 168 ff., 208 ff. Über die Verhältnisse in den einzelnen deutschen Ländern vgl. die Artikel Rechtsweg und Kompetenzkonflikt, im W S t V R 3 227 ff., dazu noch für Württemberg O. Bühler, Die Zuständigkeit der Zivilgerichte gegenüber der Verwaltung im württemb. Recht (Tüb. Diss., 1911). — Im allgemeinen: O. Mayer, vR 1 § 17: derselbe, Justiz und Verwaltung (Straßb. Rektoratsrede, 1902); Fleiner, lnstit. §§ 2, 16; Anschütz, Justiz und Verwaltung, in der Kultur der Gegenwart 874 ff.; Stein, Grenzen und Beziehungen zwischen Justiz und Verwaltung (1912); Vierhaus im VerwArch 11 228 ff.: Kormann im JahrbÖffR 7 1 ff.]. 2 Über Preußen: Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden 80ff.; Ähnliche Verhältnisse herrschten während des 17. und 18. Jahrhunderts in Hannover: E. v. Meier, Hannoversche Verfassungs- u. Verwaltungsgeschichte 2 241 ff. und in manchen anderen deutschen Territorien, vgl. das. 248 f£
Die Funktione.
§ 180.
7 7
seiner Behörden erlitt, K l a g e b e i d e n R e i c h s g e r i c h t e n erhoben werden 8 . Eine solche erschien auch dann als zulässig, wenn die betreffende Verfügung Ausfluß eines landesherrlichen Hoheitsrechtes war. Aber damit war keineswegs eine Kontrolle der Justiz über die Verwaltnng begründet. Denn auf Reichsregierungssachen erstreckte sich die Zuständigkeit der Reichsgerichte nicht, und bei Beurteilung der Regierungshandlungen der Landesherren und landesherrlichen Behörden waren die Reichsgerichte nicht an eine Entscheidung nach Rechtsgrundsätzen gebunden, sondern urteilten gleichzeitig auch nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit. Dieser Rekurs an die Reichsgerichte blieb bis zur Auflösung des Reiches grundsätzlich bestehen, wenn auch die Landesherren sich fortdauernd bemühten, ihm reichsgesetzliche Schranken zu z i e h e n T a t s ä c h l i c h war er jedoch den größeren Territorialgewalten gegenüber nicht durchführbar*. I n einzelnen Ländern wurde die Entscheidung über Rekurse wegen mißbräuchlicher Ausübung der Hoheitsrechte auf die obersten Landesgerichte (Tribunale, Oberappellationsgerichte) übertragen; dadurch bildete sich dort eine gewisse Kontrolle des obersten Gerichtshofes über die Verwaltung aus 6 Dagegen wurde in den meisten Territorien der Grundsatz ausgesprochen, daß die Entscheidungen der Landesgerichte sich auf die Ausübung von Regierungsrechten nicht zu erstrecken hätten 6 . Eine p r i n z i p i e l l e S c h e i d u n g zwischen J u s t i z und V e r w a l t u n g nahm zuerst das französische Dekret vom 16./24. August 1790 7 vor, indem es [der Lehre Montesquieus entsprechend] 8 B ä h r , Rechtsstaat 110ff.; E. Meier, Zeitschrift für deutsches Staatsrecht 279; Gneist, Rechtsstaat 81 ff.; E. Loening, Deutsches Wrwaltungsrecht § 199 S. 773ff, derselbe, Gerichte und Verwaltungsbehörden 1—18; Bornhak, Preuß. StR 2 481 ff. * R. A. von 1594 §§ 94, 95, RHO von 1654 Tit. I I § 2, J R A §§ 105 u. 106, W K Art. 15, Art. 19 § 6. » Vgl. Loening, Gerichte u. Verwaltungsbehörden 15ff. — Rechtlich ist aber die Klage bei den Reichsgerichten wegen Mißbrauchs der Landeshoheit bis zum Untergang des alten Reiches überall zulässig gewesen. Daß diese Klage durch die privilegia de non appellando (oben § 24 S. 84, § 25 S. 87) ausgeschlossen gewesen sei, wie die Vorauf. S. 656 meint, ist ein Irrtum; vgl. oben S. 87, Loening a. a. O. 4, Born hak, Preuß. StR 2 483. * Namentlich in H e s s e n - K a s s e l (Bahr a. a. O. S. 135 ff.) und S c h w e d i s c h - P o m m e r n (E. Meier a. a O. & 281). 6 Namentlich geschah dies in P r e u ß e n durch zahlreiche Reskripte der Könige Friedrich I , Friedrich Wilhelm I. und Friedrich I I . Reskript vom 28 Dezember 1695 (Mylius, corpus constitutionum Marchicarum, 1,1, 205), vom 16. Oktober 1706 (a. a. 0. I I 4, 28), vom 6. April 1709 (a. a. 0 . I I 4, 41), vom 18. April 1709 (a. a. 0 . I I 4, 48), Allgemeine Ordnung, betr. die Verbesserung des Justizwesens, vom 21. Juni 1713 (a. a. 0 I I 1, 517). Konstitution, wie es mit Expedition der Justizsachen bei den General- und Provinzialkommissariaten zu halten, vom 25. April 1715 (a. a. 0. I I 1, 563), Ressortreglement vom 19. Juni 1749 (a. a. O. I V 163). Näheres hierüber in der obeu N. 1 angegebenen preußisch-rechtlichen Literatur. 7 Decret sur l'organi sation iudiciaire du 16./24. aoüt 1790. Über dieses Gesetz: E. v. Meier, Franz. Einflüsse 1 142ff.
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Zweiter Teil. Drittes Buc. § 1 .
jener das ganze Gebiet der Zivil- und Strafrechtspflege zuwies, alle anderen öffentlichen Funktionen dagegen der Verwaltung vorbehielt. Nach dem Muster desselben hat im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts auch in den deutschen Staaten die Abgrenzung von Justiz und Verwaltung stattgefunden 8. [In Preußen geschah dies durch die Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-Polizei und Finanzbehörden vom 26. Dezember 1808, §§ 34—48, Bestimmungen, welche noch heute die Grundlage der preußischen Kompetenzordnung bilden 9 . I n den deutschen Mittelund Kleinstaaten ist eine grundsätzliche Kompetenzabgrenzung, überhaupt eine Trennung von Justiz und Verwaltung durchweg erst später erfolgt]. I I . Die Zuständigkeit der G e r i c h t e erstreckt sich auf P r i v a t r e c h t s s t r e i t i g k e i t e n u n d S t r a f s a c h e n , während die Entscheidung der V e r w a l t u n g s s a c h e n einschließlich der dabei auftretenden R e c h t s f r a g e n in den Händen der V e r w a l t u n g s o r g a n e liegt 1 0 . Doch ist dieser Standpunkt nicht 8 Vgl. G. P r a z & k , Die prinzipielle Abgrenzung der Kompetenz der Gerichte und Verwaltungsbehörden im ArchÖffR 4 241 ff. und die daselbst zitierte Literatur, außerdem Wach, Handbuch des Zivilproze-ses 1 77 ff.; ßornhak, Art. „Rechtsweg" in v. Stengels Wörterb. (1. Aufl) 2 831 ff.; Erg. Bd. 2 S. 188 ff; die Artikel „Rechtsweg u. Kompetenzkonflikt" im WStVR. 9 Kommentar dazu bei Oppenhoff, Die Gesetze über die Ressortverhältnisse zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden in Preußen, 2. Aufl., 1904, S. 1 ff. Daselbst S. 1 auch die reichhaltige Literatur über die geltende Kompetenzabgrenzung; zu vgl. insbes. die Schriften und Werke von Sydow, Loening, Droop, Srölzel. K g i ferner Vierhaus im Verwaltungsarchiv a. a. O. S. 222 ff. und Stölzel im W S t V R 3 227 ff. 10 Die Abgronzung der Strafsachen von den Verwaltungsangelegenheiten macht keine Schwierigkeiten. Um so streitiger ist dagegen die Abgrenzung der Zivilprozeß-achen von den Verwaltungssachen. Hier ist daran festzuhalten, daß für die Bestimmung der Zuständigkeit nicht die Entscheidungsnorm (Prazäk a. a. 0 . S. 274), sondern die Natur des Rechtsverhältnisses (Wach a. a. 0. S. 86, 98) maßgebend ist. Die Zuständigkeit erstreckt sich nach deutschem — im Gegensatz zum französischen — Recht auch auf die für die Entscheidung in Betracht kommenden Präjudizialfragen, selbst wenn dieselben grundsätzlich dem Bereiche des anderen Ressorts angehören. — Die Abgrenzung des Wirkungskreises der Justiz von dem der Verwaltung jeruht in Deutschland heute teils auf Reichs- teils auf Landesrecht. G V G § 13 stellt als allgemeine Regel den Satz hin: „Vor die ordentlichen Gerichte gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, für welche nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder reichsgesetzlich besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind." „Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten sind Streitigkeiten über Rechtsverhältnisse des ^bürgerlichen 4, also des P r i v a t r e c h t s " (so die herrschende Auslegung des § 13 G V G : vgl. Stein, Zivilprozeßordn. (10. Aufl.) 1 4ff.; Hellwig, System des ZivProzR 1 43, 47; Loening a. a. 0 . 296; 0 . Mayer, V R (2. Aufl.) 1 178ff; Haenel, StR 1 733; Anschütz in der Kultur der Gegenwart a. a. 0 . 378, 379, Enzykl. 167; Hartmann, DJZ 15 (1910) 1259ff.; — a. M. Laband, StR 8 380ff. und namentlich Wach, Zivilprozeßr. 1 79 ff. Das Reichsgericht hat sich der herrschenden Meinung angeschlossen und die Ansicht Wachs verworfen, vgl. Hartmann a. a. 0 . 1259). — Hiernach sind „Justizsachen" alle Zivil- und alle Strafsachen, nicht weniger noch mehr. Dieser Satz gilt aber nur als subsidiär-gemeines Recht,
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Die Funktione.
§ 180.
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ausnahmelos durchgeführt worden. Den Verwaltungsbehörden sind einzelne Zivilstreitigkeiten und Strafsachen zur Aburteilung überwiesen, während anderseits gegenüber gewissen Verwaltungsverfügungen die Beschreitung des Rechtsweges gestattet ist. 1. Auf dem Gebiete der P r i v a t r e c h t s p f l e g e war der privilegierte Gerichtsstand, welchen der Fiskus früher bei gewissen Verwaltungsbehörden hatte, schon durch die früheren Landesgesetze beseitigt worden. Es ist aber auch reichsgesetzlich bestimmt, daß in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten der Rechtsweg aus dem Grunde nicht ausgeschlossen werden darf, weil als Partei der Fiskus, eine Gemeinde oder eine andere öffentliche Korporation beteiligt i s t 1 1 . — Dagegen stehen landesrechtlich den Verwaltungsbehörden Entscheidungsbefugnisse in privatrechtlichen Streitigkeiten über solche Rechtsverhältnisse zu, "welche zugleich eine privatrechtliche und eine öffentlichrechtliche Seite haben (Rechtsverhältnisse bei Auseinandersetzungen, Zusammenlegungen und GemeinheitsteHungen), Jagdrecht, Fischereirecht, Wasserrecht usw.). Außerdem ist den Verwaltungsbehörden in einzelnen Fällen die Befugnis zur provisorischen Entscheidung von Privatrechtsstreitigkeiten vorbehaltlich der späteren Beschreitung des Rechtsweges beigelegt worden, so nach den partikulären Gesindeordnungen den Polizeibehörden die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Dienstherrschaft und Gesinde, nach der Reichsgewerbeordnung da es (nach dem mit „für welche nicht entweder" beginnenden Satzteil des 18) der Landesgesetzgebung überlassen bleibt, einzelne Kategorien von ä r g e r l i c h e n R e c h t s t r e i t i g k e i t e n auf den Verwaltungsweg (vor die Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichte) zu verweisen, — während die Übertragung s t r a f r i c h t e r l i c h e r Tätigkeit an die Verwaltungsbehörden durch §§ 458 ff., 459 ff. StrPrO nur innerhalb des eng begrenzten Rahmens der polizeilichen Strafverfügungen und Strafbescheide der Finanzbehörden (vgl. hierüber unten N. 15, 16 und Hartmann, DJZ 1*12 682 ff.) gestattet ist. Unter Hinzunahme des § 4 E G z. G V G ergeben sich über die Abgrenzung des Wirkungskreises der ordentlichen Gerichte (des Inbegriffs der Justizsachen) folgende reichsrechtlichen Grundsätze: 1. Vor die ordentl. Gerichte gehören a) alle S t r a f s a c h e n , vorbehaltlich der landesrechtiich etwa eingeführten Strafgerichtsbarkeit aer Polizei- und Finanzbehörden, b) alle b ü r g e r l i c h e n ßechtsstreitigkeiten, welche der Justiz nicht durch die Reichs- oder Landesgesetzgebung entzogen sind, c) diejenigen Streitigkeiten über Fragen des ö f f e n t l i c h e n R e c h t s , abgesehen vom Strafrecht, welche der Justiz durch die Reichs- oder Landesgesetzgebung zugewiesen sind. 2. Verwaltungsangelegenheiten, außer Geschäften der Justizverwaltung und der „freiwilligen Gerichtsbarkeit", welche letztere materiell als Verwaltung aufzufassen ist (vgl. oben § 170 S. 725), dürfen den Gerichten nicht tibertragen werdm. — Vgl. zu dem Vorstehenden oben § 171, sowie die oben angeführten Schriften von Haenel, Loening, 0 . Mayer, Hellwig, Hartmann, Anschütz]. 11 E G zur RGPrO § 4. — Dieser Grundsatz gilt weder in England noch in Frankreich. I n England ist die Einleitung eines Prozesses gegen den Fiskus formell von der Genehmigung des Kronanwaltes abhängig, wenn auch materiell der Rechtsweg nicht leicht versagt wird. In Frankreich untersteht ein großer Teil der fiskalischen Streitigkeiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit (dem sogenannten contentieux): vgl. unten § 182 S. 782.
7
Zweiter Teil. Drittes Buc. § 1 .
den Polizeibehörden die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Wirten und Reisenden über die Preise 12 , den Gemeindebehörden die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und ihren Arbeitern 1 8 , nach der Reichsseemannsordnung den Seemannsämtern die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Schiffsführer und Schiffsmannschaft 14. 2. Auf dem Gebiete der S t r a f r e c h t s p f l e g e stand nach älteren landesgesetzlichen Vorschriften den Polizeibehörden vielfach die Befugnis zu, Strafen für geringere Vergehen zu verhängen, und den Finanzbehörden die Befugnis, Strafen für Übertretung der auf die Erhebung öffentlicher Abgaben bezüglichen Vorschriften festzusetzen. Diese Befugnisse wurden aber schon durch die Landesgesetzgebung der meisten Staaten dahin eingeschränkt, daß die betreffenden Behörden nur das Recht provisorischer Straffestsetzung behielten, gegen ihre Verfügungen daher die Beschreitung des Rechtsweges zulässig war. Die Reichsstrafprozeßordnung gestattet der Landesgesetzgebung, den Polizei- und Finanzbehörden auch künftighin derartige Befugnisse einzuräumen, und trifft über Umfang und Ausdehnung derselben nähere Bestimmungen. Sie enthält aber lediglich eine Ermächtigung für die Landesgesetzgebung. Wo diese von der Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht hat, gilt der Grundsatz, daß die betreffenden Strafen nur durch die Gerichte ausgesprochen werden dürfen. Die Straffestsetzungen der P o l i z e i b e h ö r d e n unterliegen nach der Reichsstrafprozeßordnung einer dreifachen Beschränkung 15 : a) Sie haben einen bloß provisorischen Charakter. Dem davon Betroffenen steht binnen einer Woche der Antrag auf gerichtliche Entscheidung [oder, sofern die Landesgesetze dieses zulassen, die Beschwerde^ die höhere Polizeibehörde] zu; b) sie sind nur in bezug auf Übertretungen zulässig; c) die Strafen, welche durch dieselben verhängt werden dürfen, sind Haft im Höchstbetrage von vierzehn Tagen, Geldstrafe oder Haft, welche an deren Stelle tritt, und Einziehung verwirkter Gegenstände16. 12 18
§§ 71 ff u
RGewO § 75. RGewO § 120a.
R G betr. die Gewerbegerichte, vom 29. Juli 1890
RSeemannsordnung vom 2. Juni 1902, §§ 5, 122 ff. « RStrPrO §§ 458—58, E G § 6. 16 Landesgesetzlich besteht ein Recht der provisorischen Straffestsetzung für Polizeibehörden in P r e u ß e n , (G., betr. den Erlaß polizeilicher S t r a f Verfügungen wegen Übertretungen, vom 23. April 1883, G. über Erlaß polizeilicher Straf Verfügungen wegen Übertretung ström- und schiffahrtspolizeilicher Vorschriften a u f der Elbe und dem Rhein, vom 26. Juli 1897); S a c h n e n ( G m das Verfahren in Verwaltungsstrafsachen betr., vom 8. März 1879); W ü r t t e m b e r g (G., betr. Änderungen des Landespolizeistrafgesetzes, vom 12. August 1879 Art. 9 ff., G., betr. Abänderung des rolizeistraigesetzbuches, vom 4. Juli 1898 Art. I I I ) ; B a d e n (G., betr. Einführung der Reichsjustizgesetze, vom 3. März 1879 §§ 124ff.); S a c h s e n - W e i m a r (G. über die polizeiliche Straffestsetfcung vom 12. April 1879): S a c h s e n - M e i n i n g e n (Ausf.G z. RStPrO vom 17. Juni 1879 §§ lff., Abänderungsgesetz vom
Die Funktionell.
§ 180.
771
• Straf Festsetzungen der F i n a n z b e h ö r d e n 1 7 sind nur in bezug auf Geldstrafen zulässig. Der durch die Verfügung Betroffene kann binnen einer Woche auf gerichtliche Entscheidung antragen, wenn er nicht eine landesgesetzlich etwa zulässige Beschwerde an die höhere Verwaltungsbehörde ergreifen will. Ist die Geldstrafe nicht beizutreiben und daher eine Verwandlung in Freiheitsstrafe erforderlich, so geschieht dies durch gerichtliche Entscheidung 1 8 . 1. J uli 1885 Art. 7—18); S a c h s e n - A l t e n b u r g (Gr., die polizeilichen Strafverfügungen betr., vom 8. Mai 1879); S a c h s e n - K o b u r g - G o t h a (Gr., die Straffestsetzung durch Verfugung der Polizeibehörden betr., vom 8. Mai 1879); O l d e n b u r g (G., betr. die Befugnis der Polizeibehörden zum Erlaß von Strafverfügungen vom 25. März 1879); B r a u n s c h w e i g (Ausf.G zu den Prozeßordnungen vom 1. April 1879 § 12); A n h a l t (G., betr. die anderweite Einschränkung der Kompetenzen der Geschworenengerichte, vom 28. März 1877 §§ 4ff.); S c h w a r z b u r g - S o n d e r s h a u s e n (G., das den Verwaltungsbehörden zustehende Straffestsetzungsrecht betr., vom 17. Mai 1879 §§ 1—6); S c h w a r z b u r g - R u d o l s t a d t (G., die polizeiliche Straffestsetzung und Strafanforderung betr., vom 28. März 1879, G. vom 2. Dezember 1886); R e u ß ä. L. (G., die Zulässigkeit des gerichtlichen Strafverfahrens inbezug auf polizeilich bestrafte Handlungen betr., vom 4. Juli 1879); R e u ß j. L. (G., aas polizeiliche Straffestsetzungsrecht und Strafanforderungsrecht betr., vom 22. Febr. 1879, Nachtragsgesetz vom 25. Juni 1885); L ü b e c k (G., die Strafbefugnisse der Polizei- und Verwaltungsbehörden betr., vom 16. Juni 1879 § 1); H a m b u r g (G., betr. das Verhältnis der Verwaltung zur Rechtspflege, vom 23. April 1879 § 4). Eine ähnliche Befugnis zur provisorischen Straffestsetzung besitzen kraft reich3gesetzlicher Ermächtigung die Seemannsämter (RSeemannsordnung vom 2. Juni 1902, § 123, R G , betr. die Verpflichtung deutscher Kauffahrteischiffe zur Mitnahme hülfsbedürftiger Seeleute, vom 2. Juni 1902 § 8). — Vgl. Rosin, Art. „Polizeiliche Strafverfügungen* im W S t V R 8 123 ff. 17 RStrPrO §§ 459—69. 18 Ein Straffestsetzungsrecht der Finanzbehörden besteht kraft landesesetzlicher Vorschrift in P r e u ß e n (G., das Verwaltungsstrafverfahren bei uwiderhandlungen gegen die Zollgesetze uud die sonstigen Vorschriften über indirekte Seichs- und Landesabgaben, sowie die Bestimmungen über die Schlacht- und Wildpretsteuer, vom 26. Juli 1897, Stempelsteuergesetz vom 31. Juli 1895 § 21, G. über das Verwaltungsstrafverfahren gegen Hinterziehung von Verkehrsabgaben v. 2. Mai 1900); in W ü r t t e m b e r g (G., betr. das Verfahren der Verwaltungsbehörden bei Zuwiderhandlungen gegen die Zoll- und Steuergesetze, vom 25. August 1879); in B a d e n (G., betr. die Einführung der Reichsjustizgesetze, vom 3. März 1879 §§ 136ff.); in H e s s e n (G., die Einführung der Verwaltungsstrafbescheide bei Zuwiderhandlungen egen die Vorschriften über Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle etr., vom 20. Sept. 1890); in S a c h s e n - M e i n i n g e n (AusfG zur RStrPrO vom 17. Juni 1879 §§ 8 u. 9); in S a c h s e n - A l t e n b u r g (G., betr. die Einführung des Submissionsverfahrens in Untersuchungen wegen Zuwiderhandlungen gegen die Gesetze über Zölle und indirekte Steuern, vom 10. Febr. 1874); in O l d e n b u r g (G., betr. das Strafverfahren im Verwaltungswege bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über Erhebung der Zölle und der dem Reiche zufließenden indirekten Steuern, vom 4. Jan. 1879); S c h w a r z b u r g - S o n d e r s h a u s e n (G., das den Verwaltungsbehörden zustehende Straffestsetzungsrecht betr., vom 17. Mai 1879 7—9); R e u ß ä. L . (G. vom 4. Juli 1879); L ü b e c k (G., die Strafbefugnisse der Polizei- und Verwaltungsbehörden betr., vom 16. Juni 1879 §6); H a m b u r g (G., betr. das Verhältnis der Verwaltung zur Rechtspflege, vom 23. April 1879 §5); B r e m e n (G., betr.
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G. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
III.
7. Aufl.
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Zweiter Teil. Drittes Buc. § 1 .
Die B e s c h r e i t u n g des R e c h t s w e g e s gegenüber Verfügungen der Verwaltungsbehörden ist nur zulässig, wo sie vom Gesetze ausdrücklich gestattet w i r d 1 9 . Nach den Gesetzgebungen der deutschen Staaten können die Gerichte angerufen werden, um individuelle Ansprüche auf Entschädigung bei Eingriffen des Staates in Vermögensrechte geltend zu machen, meist auch wegen vermögensrechtlicher Ansprüche der Staatsdiener 2 0 . Die preußische und sächsische Gesetzgebung lassen den Rechtsweg überhaupt dann zu, wenn sich jemand bei Streitigkeiten über öffentliche Rechte und namentlich bei der Befreiung von einer öffentlichen Pflicht auf ein besonderes Gesetz oder einen speziellen Rechtstitel beruft 2 1 . Diese Bestimmungen haben in Preußen durch spätere das Strafverfahren im Verwaltungswege in Zoll- und Reichssteuersachen, vom 12. August 1888); E l s a ß - L o t h r i n g e n (G., betr. die Strafsachen der Enregistrementsverwaltung, vom 28. Mai 1888). Es besteht ferner kraft reichsgesetzlicher Vorschrift für die Postbehörden (RG über das Postwesen vom 28. Oktober 1871 §§ 34 ff.). 19 And. Ans.: das Reichsgericht, welches in Ermangelung entgegenesetzter Bestimmungen den Rechtsweg über die Frage, ob bei polizeilichen erfügungen die objektiven Grenzen der Amtsbefugnisse einzuhalten sind und ob eine öffentliche Abirabe rechtmäßig erhoben wird, für zulässig erachtet (Entscheidungen in Zivilsachen 6 204ff., o 34ff.). Vgl. Gierke, Genossen 8chaftstheorie und Rechtsprechung S. 179 N. 2. 20 Vgl. § 150 S. 619 N. f. 21 I n P r e u ß e n setzte die V. wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-Polizei- und Finanzbehörden vom 26. Dezember 1808 §§ 36 ff. fest, daß über wirkliche Majestäts- und Hoheitsrechte, über allgemeine in Gegenständen der Regierungsgewalt ergangene Verordnungen und über die Verbindlichkeit zur Entrichtung allgemeiner Anlagen und Abgaben kein Prozeß zugelassen werde. Dagegen sollte inbezug auf polizeiliche Verfügungen der Regierungen der Weg Rechtens unbedingt offen stehen, sobald entweder die Verfügung einer a u s d r ü c k l i c h e n D i s p o s i t i o n d e r G e s e t z e e n t g e g e n l i e f oder die Klage auf einen speziellen Rechtstitel gegründet wurde. [Vgl. Oppenhoff a. a. 0 . l f f . , 127, 128] Die Gesetzgebung der folgenden Jahrzehnte hat unter dem Einfluß französischer Anschauungen den Rechtsweg sowohl auf dem Gebiete der Finanz- als auf dem der inneren Verwaltung wesentlich eingeschränkt (Loening a. a. O. 148 ff.). Insbesondere bestimmte das G. über die Zulässigkeit des Rechtsweges inbezug auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842, daß Beschwerden über polizeiliche Verfügungen jeder Art vor die vorgesetzte Dienstbehörde gehörten. Eine Beschreitung des Rechtsweges wurde nur zugelassen: 1. wenn jemand die Befreiung von einer Verpflichtung auf Grund einer besonderen gesetzlichen Vorschrift oder eines speziellen Rechtstitels behauptet, 2. wenn durch die Verfügung ein Eingriff in die Privatrechte stattgefunden hat, für «.welchen nach den gesetzlichen Vorschriften Entschädigung gewährt werden muß, über die Notwendigkeit und den Betrag dieser Entschädigung, 3. wenn Privatpersonen untereinander darüber streiten, wem von ihnen eine Verpflichtung obliegt. Diese Vorschriften sind bis jetzt in Kraft geblieben [mit der Maßgabe, daß die Kognition über den vorstehend zu 1 angegebenen Fall durch das L V G vom 30. Juli 1883 § 127 den Verwaltungsgerichten übertragen worden ist. (Vgl. über das G. vom 11. Mai 1842 Loening a. a. O. 176 ff. und den ausführlichen Kommentar von Oppenhoff a. a. O. 315 ff.]. Die für S a c h s e n maßgebenden Grundsätze enthält das G. über die Kompetenz Verhältnisse zwischen Justiz- und Verwaltungsbehörden vom 28. Januar 1835 §§ 7 u. 10. Vgl. dazu v. d. Decken im W S t V R 8 237, 238.
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Die Funktionen.
§ 181.
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Gesetze noch eine Erweiterung erfahren 22 . In ausgedehntem Umfange findet die Beschreitung des Rechtsweges in Bremen statt 2 8 . Auch in Braunschweig hatte sich gewohnheitsreclitlich eine Befugnis der Gerichte ausgebildet, solche Verwaltungsakte, welche in Privatrechte eingriffen, auf ihre Gesetzmäßigkeit zu prüfen 24 . Am weitesten ging hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtsweges die frühere kurhessische Gesetzgebung. Nach dieser waren die Gerichte befugt, jeden unberechtigten Eingriff der Regierungsgewalt in die natürliche Freiheit oder das Eigentum der Privatpersonen zurückzuweisen 25. Mit der Einverleibung des Kurfürstentums in Preußen haben jedoch die betreffenden Bestimmungen ihre Geltung verloren. 2. Die Kompetenzkonfltkte.
§ 181. 1. Der Streit, ob eine Angelegenheit Justiz- oder Verwaltungssache ist, also zur Kompetenz der Gerichte oder Verwaltungsbehörden gehört, heißt K o m p e t e n z k o n f l i k t 1 . Derartige 22 G. vom 24. Mai 1861, betr. die Erweiterung des Rechtsweges. Über dieses Gesetz: Loening a. a. 0 . 262ff.; Kommentar bei Oppenhoff. Nach demselben findet der Rechtsweg, abgesehen von den im G. vom 11. Mai 1842 festgestellten Fällen, statt: 1. hinsichtlich vermögensrechtlicher Ansprüche der Staatsbeamten aus ihrem Dienstverhältnis, namentlich der Ansprüche auf Besoldung, Pension und Wartegeld, 2. hinsichtlich öffentlicher Abgaben bei Rückforderung des Gezahlten auf Grund der Behauptung, daß die einzelne Forderung getilgt oder bezahlt sei; 3. bei der Behauptung, daß die Abgabe keine öffentliche sei, sondern auf einem privatrechtlichen Titel beruhe, 4. bei Stempel abgaben, wenn der Betreffende zur Zahlung entweder überhaupt nicht oder nicht in dem verlangten Betrage verpflichtet zu sein glaubt, 5. bei Kirchen- und Schulabgabcn, wenn dieselben auf einer notorischen Orts- und Bezirksverfassung beruhen, sowie hinsichtlich der Schul- und Pensionsgelder. Die Preußische Gesetzgebung über die Zulässigkeit des Rechtsweges ist durch V. vom 16. September 1867 auf die neuen Provinzen, durch G. vom 25. Februar 1875 § 3 auf Lauenburg ausgedehnt worden. 28 Nach der Bremer Verf. § 15 steht der Rechtsweg jedem offen, der sich durch eine Verwaltungsmaßregel in seinen Privatrechten gekränkt glaubt. 24 R. Mansfeld, Der publizistische Reaktionsanspruch und sein Rechtsschutz im Herzogtum Braunschweig. Braunschweig 1895, S. 59 ff. 25 Diese Befugnis knüpft an das oben S. 767 N. 5 erwähnte Recht des Oberappellationsgerichtes an, auch in Regierungs- und Verwaltungssachen Rechtsprechung zu üben. Seit 1817 trat au Stelle der bisher üblichen Extrajudizialappellation von den Akten der Administrativbehörden die selbständige Beschreitung des Rechtsweges in der Form der Klage. Diese Praxis erhielt durch die Bestimmungen des Organisationsediktes vom 29. Juni 1821 § 60, der V U vom 5. Januar 1881 §§ 35, 113, 123, und des Gesetzes vom 11. Juli 1832 über den Geschäftskreis der Staatsanwälte ihre gesetzliche Bestätigung und Fortbildung. Vgl. Bähr a. a, 0 . 135 ff; E. Meier a. a. 0 . 295 ff. 1 Vgl. Naabyl, Art. „Kompetenzkonflikt 44 in v. Stengels Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechtes 1 808 ff, Artikel Rechtsweg u. Kompetenzkonflikt im W S t V R 3 227 ff.; Loening, Gerichte u. Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen 81 ff, 213 ff; 302 ff.; E. v. Meier, Enzykl. (6. Aufl.) 755 ff.; Stölzel, (Otto), Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte (1897), Rechtsweg u Kompetenzkonflikt in Preußen (1901): Droop, Der Rechtsweg in Preußen (1899); Öppenhoff, a. a. O. 462ff.; 50*
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Zweiter Teil. Drittes Buc. § 1 .
Kompetenzkonflikte können nur da entstehen, wo eine organische Trennung von Justiz und Verwaltung stattgefunden hat. Über die Erledigung derselben bestanden in älterer Zeit verschiedene .Meinungen. Ein Teil der Schriftsteller vertrat den Grundsatz, daß die Gerichte selbständig über ihre Kompetenz zu entscheiden hätten, und daß ihre desfallsigen Urteile auch für die Verwaltungsbehörden maßgebend seien. Andere stellten die Ansicht auf, daß die Entscheidung zur Kompetenz des Landesherrn gehöre 2 . I n Preußen wurde schon unter Friedrich dem Großen eine besondere Kommission [„Jurisdiktionskommission"] zur Erledigung der Kompetenzkonflikte eingesetzt, welche äus Mitgliedern des Generaldirektoriums (oben 398, 399) und des höchsten Gerichtshofes bestand 8 . Diese Einrichtung wurde jedoch bei Gelegenheit der Reorganisation der preußischen Verwaltung im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts wieder beseitigt und die Erledigung der Kompetenzkonflikte dem Könige vorbehalten 4. Auch in andern deutschen Staaten wurde die Entscheidung derselben durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmung für ein Recht des Monarchen erklärt 5 . Seine Ausbildung hat das Institut der Kompetenzkonflikte hauptsächlich im f r a n z ö s i s c h e n Recht erfahren. Namentlich ist das Recht der Verwaltung, den Kompetenzkonflikt zu erheben, durch die französische Gesetzgebung genau geregelt worden. Die Entscheidung der Kompetenzkonflikte erfolgte nach den im Jahre V I I I erlassenen und nach kurzer Unterbrechung im Jahre 1852 wieder in Kraft getretenen Bestimmungen6 durch das Staatsoberhaupt auf Grund eines Gutachtens des Staatsrates, 0 . Mayer, V R (2. Aufl.) 1 186 ff.; Fleiner, Instit. 25 ff.; Anschütz in der Kultur der Gegenwart, Systemat. Rechtswissenschaft 418 ff. — I m Gegensatz zu K o m p e t e n z k o n f l i k t spricht man von K o m p e t e n z s t r e i t , wenn die Zuständigkeit zwischen mehreren Behörden desselben Ressorts (Gerichten oder Verwaltungsbehörden) streitig ist. Ein solcher Kompetenzstreit wird im Instanzenzuge der Gerichte oder Verwaltungsbehörden erledigt. 2 Vgl. H. A. Zachariä 2 § 177 S. 258 ff.; Loening, Deutsches Verwaltungsrecht 790. 8 Instruktion vom 10. Febr. 1756 (Novum corpus constitutionum Marchicarum I I 519). [Vgl Bornhak, Preuß. Staats- und Rechtsgeschichte 208, 209: Loening im VerwArch 2 266, 267 N. 96, 97; Gerichte und Verwaltungsbehörden 81, 82 ] 4 V. wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanzbehörden vom 26. Dezember 1808 § 51. Nach der Kabinettsorder vom 80 Juni 1828 sollte bei Kompetenzkonflikten entweder eine Vereinigung des Justizministers mit dem betreffenden Fachminister stattfinden oder (Tie Sache beim Staatsministerium geprüft und an den König berichtet werden, welcher entweder selbst entscheiden oder die Entscheidung dem Obertribunal (oder rheinischen Revisionshofe) übertragen konnte. Näheres bei Loening, Gerichte u. Verwaltungsbehörden 213 ff. * Württ. Verf. § 59 Ziff. 3 [Beratung im Geheimen Rate obligatorisch]; S.-Mein. Ed. vom 21. Januar 1829 Art. 15; S.-Alt. G G § 46. 6 Reglement vom 5. nivose des J. V I I I . Dekret vom 25. Januar 1852. Art. 1.
Die Funktionen.
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der darüber in den Formen des contentieux (d. h. des Verfahrens in streitigen Verwaltungssachen) beriet. In der Zeit von 1848—1852 bestand für die Entscheidungen der Kompetenzkonflikte ein besonderer Gerichtshof, der sich aus hohen richterlichen und Verwaltungsbeamten zusammensetzte, unter dem Vorsitz des Justizministers. Eine ähnliche Einrichtung ist wieder durch das G. vom 24. Mai 1872 in das Leben gerufen worden. Im Anschluß an die französischen Einrichtungen hat auch in den d e u t s c h e n S t a a t e n seit den vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts eine eingehendere Regelung der Kompetenzkonflikte stattgefunden. Die Erhebung des Kompetenzkonflikts wurde auch hier für eine Sache der Verwaltung erklärt, zur Entscheidung derselben wurden jedoch vielfach besondere Gerichtshöfe eingesetzt, welche zum Teil aus richterlichen, zum Teil aus Verwaltungsbeamten bestanden7. Dieselben hatten jedoch meist nicht den Charakter von ständigen Behörden, sondern den von wechselnden Kommissionen, deren Mitglieder nur auf Zeit ernannt wurden. Das R e i c h s g e r i c h t s v e r f a s s u n g s g e s e t z 8 hat den Grundsatz aufgestellt, daß die Gerichte über die Zulässigkeit des Rechtsweges, also über ihre eigene Kompetenz entscheiden. Jedoch bleibt der Landesgesetzgebung das Recht vorbehalten, die Entscheidung der Kompetenzkonflikte besonderen Behörden zu übertragen, mit der Maßgabe, daß bei der Regelung der Organisation und des Verfahrens dieser besonderen Behörden (Kompetenzgerichtshöfe) die durch § 17 GVG gegebenen Bestimmungen zu berücksichtigen sind. 2. Nach den Bestimmungen des Reichsgerichtsverfassungsgesetzes und der auf Grund desselben erlassenen Landesgesetze gelten über die Kompetenzkonflikte jetzt in Deutschland folgende Grundsätze: a) I n denjenigen Ländern, in welchen besondere landesgesetzliche Vorschriften n i c h t bestehen, steht die reichsgesetzliche Vorschrift in Kraft, nach welcher die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges den G e r i c h t e n zusteht. Hier besitzt also die Verwaltung keinerlei Befugnis zur Erhebung des Kom7 Preuß. G-. über das Verfahren bei Kompetenzkonflikten vom 8. April 1847, durch V. vom 16. September 1867 auf die neuen Provinzen, durch Gr. vom 25. Februar 1878 § 3 auf Lauenburg ausgedehnt. B a y r . G., die Kompetenzkonflikte betr., vom 28. Mai 1850. Sachs. G., die Behörden für Entscheidung über Kompetenzzweifel betr., vom 13. Juni 1840. B r a u n s c h w . G . , die Errichtung eines Gerichtshofes zur Entscheidung von Kompetenzstreitigkeiten betr., vom 19. Mai 1851, Abänderungsgesetz vom 9. Febr. 1865. O l d e n b . G. vom 24. März 1870, betr. die Kompetenzkonflikte, ß e u ß j. L. V. über das Verfahren bei Entscheidung der Kompetenzkonflikte vom 17. März 1860. W a l d . G., die Kompetenzkonflikte betr., vom 9. Mai 1854. B r e m . G., die Entscheidung der Kompetenzkonflikte betr. (Nr. V I der Verfassungs-
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Zweiter Teil. Drittes Buc. § 1 .
petenzkonfliktes. Ebensowenig sind die Reichsverwaltungsbehörden zur Erhebung des Kompetenzkonfliktes berechtigt, da eine darauf bezügliche reichsgesetzliche Vorschrift nicht existiert, die landesgesetzlichen Bestimmungen aber auf sie keine Anwendung finden. b) Für diejenigen Länder, welche die Entscheidung der Kompetenzkonflikte durch Landesgesetzgebung b e s o n d e r e n B e h ö r d e n übertragen haben, enthält das Reichsgerichtsverfassungsgesetz folgende N o r m a t i v b e s t i m m u n g e n . Die Mitglieder der betreffenden Behörden müssen für die Dauer des zur Zeit ihrer Ernennung von ihnen bekleideten Amtes oder, falls sie zu dieser Zeit ein Amt nicht bekleiden, auf Lebenszeit ernannt werden. Eine Enthebung vom Amte darf nur unter denselben Voraussetzungen wie bei den Mitgliedern des Reichsgerichtes stattfinden. Mindestens die Hälfte der Mitglieder muß dem Reichsgerichte oder dem obersten Landesgerichte oder einem Oberlandesgerichte angehören. Bei Entscheidungen dürfen Mitglieder nur in der gesetzlich bestimmten Anzahl mitwirken. Diese Anzahl muß eine ungerade sein und mindestens fünf betragen. Das Verfahren ist gesetzlich zu regeln. Die Entscheidung erfolgt in öffentlicher Sitzung nach Ladung der Parteien. Sofern die Zulässigkeit des Rechtsweges durch rechtskräftiges Urteil des Gerichtes feststeht, ohne daß zuvor auf die Entscheidung der besonderen Behörde angetragen war, bleibt die Entscheidung des Gerichts maßgebend. Die Entscheidung der Kompetenzkonflikte kann auf Antrag eines Bundesstaates und mit Zustimmung des Bundesrates durch kaiserliche Verordnung dem Reichsgericht überwiesen werden 9 . — Auf Grund dieser Bestimmungen haben verschiedene deutsche Staaten die Entscheidung der Kompetenzkonflikte b e s o n d e r e n K o m p e t e n z g e r i c h t s h ö f e n übertragen, welche nach Maßgabe der reichsgesetzlichen Vorschriften gebildet sind 1 0 . Vereinzelt kommt 9
R G V G § 17, E G § 17. P r e u ß . V., betr. den Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden, vom 1. August 1879. [Verordnungsweg trotz Art. 96 der Preuß. Verf. zulässig im Hinblick auf EG z. G V G § 17-1 Die gesamte preußische Gesetzgebung über Kompetenzkonflikte ist durch V. vom 22. März 1891 § 1 I I 1 auf Helgoland ausgedehnt. B a y r . G., betr. die Entscheidungen von Kompetenzkonflikten zwischen den Gerichten uud den Verwaltungsbehörden oder dem Verwaltungsgerichtshofe, vom 18. August 1879, Sächs. G., die Entscheidung über Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden betr., vom 8. März 1879, W ü r t t e m b . G., betr. die Entscheidung von Kompetenzkonflikten, vom 25. August 1879, B a d . G., die Entscheidung der Kompetenzkonflikte betr , vom 80. Januar 1879, M e c k l e n b . - S c h w e r , und M e c k l e n h . - S t r e l . V. zur Ausführung des £ 17 des G V G vom 19. Mai 1879, S . - K o b - G o t h . G., betr. die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden über die Zulassung des Rechtsweges, vom 8. April 1879, O l d e i i b . G M betr. die Einführung des Gerichtsverfassungsgesetzes für das Deutsche Reich, vom 10. April 1879 Art. 54, 60, B r a u n scliw. G> die Bildung des Gerichtshofes zur Entscheidung der Kompetenzstreitigkeiten und das verfahren vor demselben betr., vom 1. April 1879, W a l d . V . . betr. die Kompetenzkonflikte, vom 21. Sept. 1879. 10
Die Funktionen.
§ 181.
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auch eine Entscheidung durch den obersten Verwaltungsgerichtsh o f 1 1 oder durch das Reichsgericht 12 vor. Man unterscheidet p o s i t i v e n und n e g a t i v e n Kompetenzkonflikt und spricht von ersterem da, wo sowohl Gerichte als Verwaltungsbehörden die Kompeteuz für sich in Anspruch nehmen, von letzterem da, wo beide dieselbe ablehnen. Ein p o s i t i v e r Kompetenzkonflikt entsteht, wenn jemand eine Sache bei Gericht anhängig macht und die Verwaltung der Ansicht ist, daß dieselbe zu ihrem Ressort gehöre. Sie erklärt dies durch „Erhebung des Kompetenzkonfliktes", wozu regelmäßig nur die zentralen und höheren Verwaltungsbehörden befugt sind. Auf geschehene Anzeige hin hat das Gericht das Verfahren einzustellen und die Entscheidung des Kompetenzgerichtshofes abzuwarten. Die Erhebung des Kompetenzkonfliktes ist ausgeschlossen, wenn ein Gericht sich rechtskräftig für zuständig erklärt hat. Beim n e g a t i v e n Kompetenzkonflikt erfolgt die Entscheidung des Kompetenzgerichtshofes auf Anrufen der beteiligten Partei. Die Bestimmungen der Landesgesetzgebungen über die Entscheidung der Kompetenzkonflikte finden auch gegenüber dem Reichsgericht Anwendung 18 [soweit nicht die Landesgesetze ein anderes bestimmen u ] . 11
Hess. AusfG. zum R G V G vom 3. September 1878 Art. 8. Brem. G., betr. die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen den Gerichten und den Verwaltungsbehörden über die Zulässigkeit des Rechtsweges, vom 25. Juni 1879. Kais. V. vom 26. Sept. 1879 (vgl. oben Anm. 9). 18 Dies bestreitet Wach, Handbuch des Zivilprozesses 1 102 ff. mit Rücksicht auf die allgemein in der gesamten Reichsjustizgesetzgebung festgehaltene Stellung des obersten Gerichtshofes. [Ebenso Rassow in den Beiträgen zur Erläuterung des Deutschen Rechts 48 796ff.; Laband, StR, 4. Aufl. 8 364 Anm. 1, ö. Aufl. 3 387 Anm. 1. Arndt, Komm. z. Preuß. Verf. S. 307. — diese alle im Anschluß an die Judikatur des R e i c h s g e r i c h t s , bes. den Plenarbeschluß vom 22. Mai 1901. Entsch. in Zivils. 48 195; vgl. aber auch schon Entsch. in Zivils. 44 4,# 878.1 Da aber nach § 17 des R G V G die Entscheidung der Komprttenzgerichtshöfe nur ausgeschlossen ist, wenn durch r e c h t s k r ä f t i g e s Urteil die Z u l ä s s i g k e i t des Rechtsweges feststeht, so muß sowohl der p o s i t i v e Kompetenzkonflikt bei Verhandlungen in der R e v i s i o n s i n s t a n z , als der n e g a t i v e bei rechtskräftigem Urteil auf I ] n z u l ä s s i g k e i t des Rechtsweges für anwendbar erachtet werden. Übereinstimmend mit der hier vertretenen Ansicht: Loening im VerwArcli > 162 ff.; Lukas in der DJZ 1901 53 ff.; Stölzel, Rechtsweg und Kompetenzkonflikt in Preußen 355ff., 387 ff. und im PrVerwBl 23 449; 0 . Mayer, V R (2. Aufl.) 1 187 Anm. 19. Das R e i c h s g e r i c h t stützt seine abweichende, mit besonderer Schärfe in dem oben angezogenen Plenarbeschluß vom 22. Mai 1901 vertretene Meinung, wonach weder der negative noch der positive Kompetenzkonflikt erhoben werden darf, wenn die Unzulässigkeit des Rechtswegs durch das Reichsgericht ausgesprochen bzw. der Rechtsstreit bei dem Reichsgerichte anhängig ist, im wesentlichen darauf, daß zu den im § 17 Abs. 2 genannten „Gerichten", worunter nur die Landesgerichte zu verstehen seien, das Reichsgericht nicht gehöre, daß die Rechtsprechung des Reichsgerichts Ausfluß einer den Einzelstaaten übergeordneten Justizhoheit sei und daß daher eine das Reichsgericht hemmende oder bindende Entscheidung von einer Landesinstanz (d. h. von partikularen Kompetenzgerichtshöfen) nicht erlassen werden könne. Mit diesem Urteil trat das Reichs12
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Zweiter Teil. Drittes Buc. § 1 . V . Di© ßechtskontrollen der V e r w a l t u n g . 1. Die Yerwaltungsgerichtsbarkeit».
§ 182. [ V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t ist — in der weitesten* Bedeutung des Wortes — jede Gerichtsbarkeit, bei welcher die Verwaltung entweder als Partei oder als Richter erscheint. Vergericht dem preuß. Gerichtshof zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte entgegen, welcher (vgl. Stölzel a. a. 0., Oppenhoff a. a. 0 . 468 N 80, 492, 497 ff.) in ständiger Rechtsprechung von jeher auf dem Boden der hier von Loening, Lukas, Stölzel u. a. verteidigten Ansicht gestanden hatte. Die zu faktischer Rechtsverweigerung führende Meinungsverschiedenheit der beiden obersten Gerichtshöfe wurde durch das preuß. Gesetz vom 22. Mai 1902 (vgl. darüber Stölzel im PrVerwBl a. a. 0., Lövinson in der D J Z 1902 S. 885, Oppenhoff a. a. 0 . 468, 492, 497 ff.; Loening, Gerichte u. Verwaltungsbehörden 805 ff.) nach dem Vorbilde der bayer, und württemb. Gesetzgebung im Sinne des R e i c h s g e r i c h t s entschieden und die Streitfrage für Preußen damit erledigt. Vgl. auch die folg. N. 14 [Solche Bestimmungen bestehen namentlich in P r e u ß e n : G. vom 22. Mai 1902, B a y e r n : G. vom 18. August 1879, Art. 22 Abs. 2, W ü r t t e m b e r g : G. vom 25. August 1879. Nach den beiden letzten Gesetzen ist die Erhebung des Kompetenzkonflikts dem Reichsgericht gegenüber ausgeschlossen ; das württ. G. verbietet die Konfliktserhebung auch schon dann, wenn das Gerichtsurteil im Wege der Revision anfechtbar ist oder war. Der gleichen Grundanschauung Rechnung tragend bestimmt das p r e u ß i s c h e G. vom 22. Mai 1902, daß der p o s i t i v e Kompetenzkonflikt nicht mehr erhoben werden darf, wenn ein mit der Revision anfechtbares Urteil des Gerichts ergangen ist, und der n e g a t i v e nicht mehr, sobald die Unzuständigkeit der Gerichte von dem Reichsgericht ausgesprochen ist.J a Literatur (Auswahl): Gneist, Verwaltung, Justiz, Rechtsweg (1869); derselbe, Die preuß. Kreisordnung (1870); derselbe, Der Rechtsstaat, 2. Aufl. (1879); derselbe, Art. Verwaltungsjurisdiktion im R.-Lex.j Bähr, Der Rechtsstaat (1864); v. Sarwey, Das öffentl. Recht und die Verwaltungsrechtspflege (1880); Loening, V R 771 ff; derselbe, Gerichte und Verwaltungsbehörden 287ff.; derselbe, Die deutsche Verwaltungsrechtspflege. Schmollers Jahrb. J> 801 ff.; derselbe, Die französische VerwaltungsgerichtsDarkeit, Hartmanns Ztschr. Bd. 5 u. 6; derselbe, Über Verwaltungsgerichtsbarkeit, Ztschr. f. Praxis u. Gesetzgebung auf dem Gebiete der Verwaltung (Sachsen) Bd. 14; v. Stengel, Die preuß Verwaltungsreform und die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Schmollers Jahrb 7 378ff.; derselbe, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die öff. Rechte. VerwArch 8 177 ff ; E. v. Meier, Enzykl. (6. Aufl.) 729 ff; Schoen, Enzykl. (7. Aufl.) 291ff. ; Otto Mayer, VR (2. Aufl.) 1 133ff. ; Fleiner, Instit. 227ff.; Anschütz in der Kultur der Gegenwart, Systemat. Rechtswissenschaft 382 ff.; derselbe, Art. Verwaltungsgerichtsbarkeit im Handb. d. Politik 1 und im Handwörterb. der Kommunal Wissenschaften ; die Artikelfolge „Verwaltungsgerichtsbarkeit" im W S t V R B 741 ff; Lemayer, Apologetische Studien zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, GrünhutsZ. 2*2 353ff.; derselbe, Grünhuts Z. 29 1 ff.; Zorn, Kritische Studien zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, VerwArch 2 74ff.; Leuthold, AnnDR 18S4 321 ff.; Tezner, Die deutschen Theorien der Verwaltungsrechtspflege, VerwArch 8 220 ff., 475 ff , 0 159 ff., 515 ff; Göz, Die Verwaltungsrechtspflege in Württemberg (1902); Thoma, Rechtsstaatsidee und Verwaltungsrechtswissenschaft, JahrbÖffR 4 (1910) 196 ff.; v. Laun, Übersicht über wichtige Einrichtungen des Auslandes auf d. Gebiet d. Verwaltungsrechtspflege (1918); Mueller, Begriff d. Verwaltungsrechtspflege u. d. \ erwaltungsstreitverfahrens (1895); Tezner, Das détournement de pouvoir u. die deutsche Rechtsbeschwerde, JahrbÖffR o 67ff.; Bühler,
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waltungsgerichtsbarkeit im ersteren Sinne ist jede streitentscheidende Tätigkeit in Verwaltungssachen, insbesondere jede Schlichtung von Streitigkeiten zwischen der Verwaltung und den Untertanen über die beiderseitigen Rechte und Pflichten, einerlei wer diese streitentscheidende Tätigkeit handhabt, also jede, gleichviel von wem, ü b e r d i e V e r w a l t u n g ausgeübte Gerichtsbarkeit (zum Beispiel die Kognition des Zivilrichters über die Stempelpflichtigkeit einer Urkunde, über die Haftung des Staates wegen Amtspflichtverletzungen seiner Beamten, über Besoldungs- und Pensionsansprüche der Beamten ; die Entscheidung des Strafrichters über die Gültigkeit einer Polizei Verordnung, über die Rechtmäßigkeit der Amtsgebarung eines Beamten, dem Widerstand [StrGB. § 113] geleistet worden ist). In dem anderen Sinne bedeutet Verwaltungsgerichtsbarkeit so viel wie Gerichtsbarkeit der (d. h. d u r c h die) V e r w a l t u n g , wobei es nicht auf die Beschaffenheit des Streitgegenstandes, sondern eben nur auf die Eigenschaft des die Gerichtsbarkeit ausübenden Organes als Verwaltungsorgan ankommt. Verwaltungsgerichtsbarkeit in diesem Sinne ist zum Beispiel die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde über eine gegen die Tätigkeit der ihr nachgeordneten Stellen eingelegte Beschwerde, aber auch die den Polizei- und Finanzbehörden zustehende Strafrechtspflege (oben § 180 S. 770, 771). Der an die positivrechtliche Gestaltung der Dinge sich anlehnende technische Sprachgebrauch deckt sich jedoch weder mit der einen noch mit der anderen Begriffsbestimmung. Er lehnt es ab, alle Fälle, in denen über die Verwaltung und ihre Tätigkeit gerichtet wird, ohne Unterschied des richtenden Organes, etwa auch dann, wenn letzteres der Zivilrichter ist, als Verwaltungsgerichtsbarkeit zu bezeichnen. Er läßt diese Bezeichnung nur für solche Tätigkeiten zu, welche als Gerichtsbarkeit durch die Verwaltung erscheinen. Er schließt sich also an die zweite der oben angegebenen Wortbedeutungen an, ist jedoch enger als diese. Verwaltungsgerichtsbarkeit im sprachgebräuchlichen Sinne ist die v o n d e r V e r w a l t u n g a u s g e ü b t e G e r i c h t s b a r k e i t , soweit die ausübenden Organe den Zwecken dieser im Wesen nicht administrativen sondern richterlichen Tätigkeit entsprechend eingerichtet, nach Organisation, Rechtsstellung, Verfahren den ordentlichen Gerichten angeglichen sind. Der Grundgedanke der Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht darin, daß die Verwaltungstätigkeit, soweit sie die Entscheidung von Streitigkeiten zum Gegenstande hat, materiell also Gerichtsbarkeit ist, nicht durch die ordentlichen und gewöhnlichen, sondern durch besondere, eigens auf das Streitentscheiden eingerichtete (insbesondere kollegial formierte, unDie subj. off. Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung (1914); Kommentare zu partikularrechtlichen Verwaltungsgerichts' gesetzen: zum preuß. L V G von Friedrichs, zum bayer. Verwaltungsgerichtsesetz von Reger-Dyroff, zum sächs. G. über Verwaltungsrechtspflege von .pelt — Weitere Lit. bei Meyer-Dochow (4. Aufl.) 67.
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abhängig gestellte) Verwaltungsorgane gehandhabt wird: Trennung der streitentscheidenden von der sonstigen (reinen, tätigen) Verwaltung. V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t ist eine s t r e i t e n t s c h e i d e n d e T ä t i g k e i t der V e r w a l t u n g , ausgeübt durch gerichtsähnliche Behörden (Verwaltungsgerichte) in einem prozeßähnlichen Verfahren (Verwaltungsstreitverfahren)]. I. Die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Hauptländern Europas ist in ihren Grundzügen folgende: 1. I n E n g l a n d ist eine Verwaltungsgerichtsbarkeit in dem angegebenen Sinne unbekannt b . I n der älteren Gestaltung der englischen Verwaltung war die Ausübung der lokalen Verwaltungsbefugnisse von dem Einfluß der jeweiligen Ministerialverwaltung unabhängig. Eine Trennung der Justiz und Verwaltung im kontinentalen Sinne bestand nicht Die Friedensrichter vereinigten in ihren Händen zahlreiche Verwaltungsfunktionen mit der niederen mittleren und der Strafgerichtsbarkeit. Bei der genauen Fixierung aller Verwaltungsbefugnisse durch Gesetze blieb für eine Verordnungsgewalt der höheren Behörden kein Kaum. Ebensowenig besaßen dieselben irgend welche Jurisdiktion in Verwaltungsangelegenheiten. Die Aufrechterhaltung der gesetzlichen Vorschriften geschah im Streitfalle durch die Gerichtsbarkeit der obersten Reichsgerichte. Doch übten diese ihre kontrollierenden Befugnisse nicht in den gewöhnlichen Formen des Zivilprozesses, sondern vermittelst gewisser außerordentlicher Rechtsmittel aus. Hierin hat sich auch dadurch nichts geändert, daß infolge der Gesetzgebung des Jahres 1888 ein großer Teil der Verwaltungsbefugnisse der Friedensrichter auf die Grafschaftsräte übergegangen ist. — Dagegen hat sich in der neueren Verwaltungsorganisation, welche seit der ersten Reformbill auf dem Gebiete des Armen-, Bau-, Gesundheits-, Schulwesens usw. entstanden ist, eine ausgedehnte Verordnungsgewalt und Jurisdiktion der Zentralbehörden, (vornehmlich des Ministeriums für Selbstverwaltung [local government board]) durchaus analog der der Ministerien des Kontinents, entwickelt, ohne daß es aber zur Entwicklung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit in unserem Sinne gekommen wäre c . t> Vgl. die oben § 53 N. 2 angegebene Literatur, vor allem die Arbeiten Gneists, die indessen die neuesten Wandlungen der englischen Verwaltungsund Gerichtsorganisation nicht mehr berücksichtigen. Zur Ergänzung und Berichtigung Gneists: Hatschek, Engl. Staatsrecht 2 609 ff., derselbe, Das Staatsrecht des Verein. Königreichs Großbritannien-Irland (1914), 214ff., 270ff.; Redlich, Englische Lokalverwaltung (1901) 630 ff., 641 ff; Koellreutter, Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtsprechung im modernen England (1912) 109 ff. Die einschlägige englische Literatur ist m allen diesen Werken zitiert. c Vgl. hierüber insbesondere die Darstellungen Redlichs u. Koellreutters, oben Anin. b. Einen Überblick gibt Anschütz, Justiz und Verwaltung, in der Kultur der Gegenwart a. a. O. 413 ff.
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2. I n F r a n k r e i c h 1 wurde unter dem Einfluß der Lehre von der Gewaltenteilung durch die Gesetzgebung der Revolution die Trennung zwischen Justiz und Verwaltung in strengster Weise zur Durchführung gebracht und der Grundsatz aufgestellt, daß die Tätigkeit der Verwaltungsorgane in keiner Weise der Kontrolle der ordentlichen Gerichte unterworfen werden dürfe 2 . Die Entscheidung aller Verwaltungsangelegenheiten, einschließlich der dabei auftretenden Rechtsfragen, blieb lediglich dem Instanzenzuge der Verwaltungsbehörden überlassen. Erst das Organisationsgesetz Napoleons I . vom 28. pluviôse des Jahres V I I I führte in das französische Verwaltungsrecht den Unterschied zwischen reinen Verwaltungssachen und Verwaltungsstreitsachen ein. Erstere werden im Instanzenzuge der Verwaltungshierarchie (sogenannte voie gracieuse, administration pure), letztere von besonderen Organen erledigt (sogenanntes contentieux administratif). Als die ordentliche Behörde zur Handhabung des „contentieux" erscheinen nach dem Pluviosegesetz die Präfekturräte (conseils de préfecture). Diese besitzen allerdings keine allgemeine Jurisdiktion, sondern nur die ihnen durch spezielle Gesetze übertragenen Funktionen. Aber die Bemessung ihrer Kompetenz hat in so umfassendem Maße stattgefunden, daß sie fast alle Befugnisse des contentieux in sich vereinigen, und die daneben bestehende Jurisdiktion der Minister, Präfekten, Unterpräfekten, Maires, Spezialkommissionen und des Rechnungshofes als Ausnahme erscheint. Die Präfekturräte ermangeln jedoch, da sie aus frei entlaßbaren Beamten bestehen, gegenüber der herrschenden Ministerialverwaltung jeder richterlichen Unabhängigkeit. Die Rekursinstanz bildete nach der napoleonischen Gesetzgebung das Staatsoberhaupt, welches auf Grund eines Gutachtens des Staatsrates entschied8. Durch G. vom 3. März 1849 war dem letzteren die alleinige und endgültige Aburteilung der Verwaltungsstreitigkeiten übertragen worden, durch Dekret vom 25. Januar 1852 wurde aber der alte Zustand wieder 1 Vgl. Gneist, Verwaltung, Justiz, Rechtsweg 182ff.; L. v. Stein, Verwaltungslehre T . 1 Abt. 1 S. I l 9 f f . ; E. v. Meier, (6. Aufl.) 742ff.; derselbe, Französische Einflüsse auf die Staats- und Rechtsentwicklung Preußens 1 142 ff.; K. v. Stengel, Das öffentliche Recht und die Ver waltungsgerichtsbarkeit in Elsaß-Lothringen, Ann DR 1876 808 ff., 897 ff. ; Dareste, L a justice administrative en France, 2. édit. Paris 1902; Laferrière, Cours de droit politique et administratif, 5ème édition, Tome I I p. 505ss.fc Hauriou, Droit administratif (7. éd.) 931 ss.; Berthélemy, Droit administratif (7. éd) 916 ss.; E. Loening, Die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit, Zeitschrift für Gesetzgebung und Praxis auf dem Gebiete aes deutschen öffentlichen Rechtes, 6 837 ff., 6 12ff., 181 ff., 308ff.; 0 . Mayer, Theorie des französischen Verwaltungsrechtes 87 g. ; derselbe im W S t V R 8 786ff. ; Hagens, Die M Verwaltungsgerichtsbarkeit in Frankreich und der Conseil d'Etat, im ArchÖffR 17 373ff.: Anschütz, Justiz und Verwaltung a. a. 0 . 408ff.; F. Wodtke, Der recours pour excès de pouvoir (Abhandlungen, herausg. von Zorn u. Stier-Somlo X I 8). « Dekret vom 16./24. August 1790 Tit. I I Art. 13; vgl. E. v. Meier, Französ. Einflüsse 1 148 ff. 8 Reglement vom 5. nivôse des J. V I I I . Reglement vom 11. Juni 1806.
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hergestellt. Dagegen hat das G. vom 24. Mai 1872 dem Staatsrat die Stellung eines selbständig entscheidenden Verwaltungsgerichtshofes zurückgegeben. In dieser Eigenschaft besitzt der Staatsrat jetzt eine dreifache Kompetenz: er entscheidet über die Berufungen gegen Entscheidungen der Präfekturräte ; er erledigt eine Reihe von Verwaltungsstreitsachen in erster und letzter Instanz ; er ist Kassationshof für alle Entscheidungen und Verfügungen der Verwaltungsbehörden, welche er wegen Überschreitung der Amtsgewalt (excès de pouvoir) aufheben kann. Die letztere Befugnis ist dem Staatsrat durch das erwähnte Gesetz vom 24. Mai 1872 ausdrücklich beigelegt worden, nachdem sie bereits Jahrzehnte hindurch tatsächlich in unbestrittener Übung bestanden hatte. Der richterlichen Selbständigkeit entbehrt der Staatsrat de jure auch heute noch, da die Mitglieder desselben durch Dekret des Staatsoberhauptes abberufen werden können. Das französische contentieux umfaßt übrigens nicht bloß die eigentliche Verwaltungsjurisdiktion, sondern auch eine Reihe von fiskalischen Streitigkeiten und Strafsachen, welche in Deutschland vor die ordentlichen Gerichte gehören. Die Verwaltungsentscheidungen der Präfekturräte und des Staatsrates beschränken sich nicht auf Rechtsfragen, sondern erstrecken sich auch auf Gegenstände wie Steuereinschätzungen und Gewerbeanlagen, bei denen es lediglich auf die Würdigung tatsächlicher Verhältnisse ankommt. 3. I n D e u t s c h l a n d haben die Verwaltungsbehörden, solange solche als getrennte Behörden bestehen, stets ein Entscheidungsrecht in allen Verwaltungssachen, einschließlich der dabei in Betracht kommenden Rechtsfragen besessen. Die Garantie für eine unparteiische Rechtsprechung in Verwaltungssachen und eine maßvolle Handhabung der Verwaltungsfunktionen lag in älterer Zeit in der kollegialischen Organisation der höheren Verwaltungsbehörden und der rechtlich geschützten Stellung ihrer Mitglieder. Dies änderte sich, als mit Einführung der konstitutionellen Staatsform eine parteimäßigere Stellung der Minister eintrat, die Organisation der Behörden eine mehr bureaumäßige Gestalt annahm und die Abhängigkeit der unteren Verwaltungsorgane von den Ministern größer wurde. Es entstand dadurch die Gefahr einer parteilichen Handhabung der Verwaltungsbefugnisse. Trotzdem blieb auch jetzt die Erledigung der Verwaltungssachen einschließlich der dabei auftretenden Rechtsfragen dem Instanzenzuge der Verwaltungsbehörden überlassen 4. Nur 4 Die Frage der sogenannten V e r w a l t u n g s j u s t i z wurde schon in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhundeiiis lebhaft erörtert. F ü r dieselbe sprachen sich aus: K. v. P f i z e r , Über die Grenzen zwischen Verwaltungs- und Ziviljustiz, Stuttgart 1828, Prüfung der neuesten Einwendungen gegjen die Verwaltungsjustiz (1885): Funke, Die Verwaltung in ihrem Verhältnis zur Justiz (1888). Dagegen: Mittermaier, Beiträge zu der Lehre von den Gegenständen des bürgerlichen Prozesses, Archiv für zivilistische Praxis 4 105 ff. Was hat der deutsche Prozeß durch die neuere
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für solche zum Ressort derselben gehörigen Sachen, bei welchen mehrere Privatpersonen oder Korporationen (einschließlich der Gemeinden) sich als Beteiligte gegenüberstanden, waren mitunter besondere Entscheidungsorgane eingesetzt oder wenigstens besondere Vorschriften über das Verfahren gegeben 6 . Diese Streitigkeiten umfaßten jedoch nicht bloß Angelegenheiten verwaltungsrechtlicher, sondern meist euch Angelegenheiten privatrechtlicher Natur. Die Gefahr einer parteimäßigen Handhabung der Verwaltungs : befugnisse glaubte man vielfach am sichersten durch eine Unterordnung der Verwaltung unter die Kontrolle der Gerichte beseitigen zu können. Gegen Rechtsverletzungen durch die Verwaltung sollte dem Einzelnen eine Klage bei den Gerichten, gegen bloße Interessen Verletzungen eine Beschwerde bei den höheren Verwaltungsbehörden zustehen 6 . Eine derartige Aufsicht der Justiz doktrinelle und legislative Behandlung gewonnen? Ebendaselbst 12 898 ff., 18 95 ff; Pfeiffer, Praktische Ausführungen 8 208ff.; H. A. Zachariä § 149. (Über vorstehende Schrif steller vgl. auch Fleiner, Institut. 229, 230). I n diesem Streite dringen jedoch die Schriftsteller meist nicht zu völliger Klarheit durch, weil sie 1. zum Teil von der Ansicht ausgehen, die Verwaltung werde nur nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit geführt, 2. nicht gehörig scheiden zwischen der Rechtsprechung in eigentlichen Verwaltungssachen und der Rechtsprechung der Verwaltungsbehörden in gewissen Zivilstreitigkeiten. Unter dem Einfluß dieses Meinungsstreites kam § 182 der Reichsverfassung von 1849 zustande, welcher lautet: „Die Verwaltungsrechtspflege hört auf, über alle Rechtsverletzungen jentscheiden die Gerichte". Auch bei dieser Bestimmung hatte man vorzugsweise die Jurisdiktion der Verwaltungsbehörden in Zivilsachen im Auge. Vgl. Fleiner a. a. 0. 230; Anschütz, Justiz und Verwaltung a. a. 0 . 389. 6 Auf diesem Standpunkte stand bis in die neueste Zeit noch die Gesetzgebung des Königreichs Sachsen. Hier wurden die streitigen Verwaltungssachen in erster Instanz teils von den Amtshauptmannschaften, teils von den Kreishauptmannschaften entschieden, in der Rekursinstanz von einem Kollegium, das aus dem Vorstand des betreffenden Ministeriums, zwei bei demselben angestellten Räten und zwei Räten der oberen Justizstellen, welche für diese Sachen fortdauernd deputiert sind, bestand (G., das Verfahren in Administrativjustizsachen betr., vom 30. Januar 1835, G. die Verminderung der Instanzen in Administrativgesetzsachen betr. vom 5. Januar 1870, G., betr. die Organisation der Behörden für die innere Verwaltung, vom 21. April 1873 §§ 6, 23, 31). [Diese Einrichtungen sind seit 1901 größtenteils beseitigt und durch eine modern gestaltete Verwaltungsgerichtsbarkeit nach dem Muster der übrigen größeren deutschen Einzelstaaten ersetzt worden: Sachs. G. über die Verwaltungsrechtspflege vom 19. Juli 1900. Über dieses Gesetz und seinen Inhalt: Schulzenstein im VerwArch 9 307 ff.; Wengler im ArchÖffR 17 277 ff. Kommentar zu dem Gesetz von A p e l t (Leipzig 1901). — Das Administrativiustizverfahren findet ietzt nur noch in einigen wenigen besonderen Verwaltungsangelegenheiten Auwendung, vgl. Apelt a. a. O. 78. 6 Die flauptvertreter dieser Ansicht sind: Bahr, Der Rechtsstaat; L . v. Stein, Die Verwaltungplehre T. I Abs. 1 S. 867 ff., 409 ff.; Seydel, Allgemeine Staatslehre 83ff.; Gierke, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 80 197; v. Stengel, Die Übertragung der Verwaltungsrechtsprechung an die ordentlichen Gerichte, AnnDR 1876 1814ff., Das öffentliche Recht und die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Elsaß-Lothringen, ebendas.l876808 ff.; 832 ff.; K . J. Schmitt, Die Grundlagen der Verwaltungsrechtspflege im konstitutionell-monarchischen Staate, (1878). [Weitere Vertreter dieser Gedankenrichtung führt Loening im VerwArch 3 549, 550, 556 an. Zu ihnen gesellt
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über die Verwaltung würde jedoch nicht nur auf die Tätigkeit der letzteren außerordentlich lähmend gewirkt haben, sondern auch bei der tiberwiegend privat- und strafrechtlichen Bildung der deutschen Richter die notwendige Einsicht in die Fragen des Verwaltungsrechtes häufig haben vermissen lassen7. Praktische Verwirklichung hat eine derartige Kontrolle der Justiz über die Verwaltung, abgesehen von den früheren kurhessischen Einrichtungen 8 , in den deutschen Staaten (mit Ausnahme etwa der Hansastädte9) niemals gefunden. Dagegen sind durch die neuere Verwaltungsgesetzgebung in den weitaus meisten deutschen Staaten b e s o n d e r e B e h ö r d e n für die Ausübung der Rechtsprechung in Verwaltungsangelegenheiten, sogenannte V e r w a l t u n g s g e r i c h t e , geschaffen worden. Die Möglichkeit einer Verwaltungsgerichtsbarkeit lag erst vor, nachdem mit dem Übergang aus der absoluten in die konstitutionelle Staatsordnung eine gesetzliche Regelung und Beschränkung der Verwaltungsbefugnisse eingetreten war. Den Verwaltungsgerichten liegt in erster Linie die Aufgabe ob, d i e E i n h a l t u n g d i e s e r g e s e t z l i c h e n V o r s c h r i f t e n zu s i c h e r n ; ihre Tätigkeit beschränkt sich daher grundsätzlich auf solche Angelegenheiten, hinsichtlich deren die Befugnisse der Verwaltungsorgane durch obj e k t i v e R e c h t s v o r s c h r i f t e n begrenzt sind. Diejenigen Verwaltungsakte dagegen, welche die Verwaltungsbehörden nach sich noch Preuss, Zur preußischen Verwaltungsreform (1910) S. 63 ff]. — Dagegen: Gneist, Rechtsstaat 262 ff. und Verhandlungen des 12. deutschen Juristen tags, Sten. Bericht 231 ff.; Bluntschli, Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtspflege, Kritische Vierteljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 10 257 ff.; E. v. Meier in der Enzykl. (6. Aufl.) 781 ff.; H. Schulze, Preuß. Staatsrecht § 276, Der Rechtsschutz auf dem Gebiete des öffentlichen Rechtes, Leipzig 1873; Ulbrich, Über öffentliche Rechte und Verwaltungsgerichtsbarkeit 78; H. Rößler, Der österreichische Verwaltungserichtshoi nach dem Gesetze vom 22. Oktober 1875, Zeitschrift für aas rivat- und öffentliche Recht der Gegenwart 4 201 ff.; v. Sarwev a. a. 0 . 81 ff.; Anschütz a. a. 0 . 389—392. Zum Vorstehenden vgl. auch Fleiner a. a. 0 . 228 ff. 7 Die Auseinandersetzungen im Eingang des gegenwärtigen Paragraphen genügen, um darzutun, daß man sich für den Vorschlag, die Verwaltung der Justiz unterzuordnen, weder auf e n g l i s c h e noch auf f r a n z ö s i s c h e Einrichtungen berufen kann. Dagegen ist der Grundsatz, daß über alle durch die Verwaltung begangenen Rechtsverletzungen die Gerichte zu urteilen haben, durch das i t a l i e n i s c h e Gesetz vom 20. März 1865 aufgestellt, wenn auch nicht ganz konsequent durchgeführt worden. Vgl. E. v. Meier a. a. 0 . 738 ff.; Heimburger in Grünhuts Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart 13 314ff.; v. Sarwey, Allgemeines Verwaltungsrecht, in Marquardsens Handbuch 168; Anschütz a. a. 0 . 416ff.; Fleiner a. a. 0. 231 Anm. 12. Prinzipiell steht auf diesem Standpunkte auch das belgische Recht. Doch ist der Grundsatz in demselben durch viele Ausnahmen durchbrochen. 8 Vgl. § 180 S. 767 Anm. 5. 9 [Vgl. zur Orientierung über die dortigen Verhältnisse: Fleiner a. a. 0 . 231 N. 12, nebst Quellen- und Literaturangaben. I n Lübeck ist seither — G. vom 12 Dez. 1916 — Verwaltungsgerichtsbarkeit nach dem Vorbild der anderen deutschen Staaten eingeführt worden; s. unten S. 786].
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f r e i e m E r m e s s e n vorzunehmen haben, eignen sich nicht dazu, zum Gegenstand richterlicher Kognition gemacht zu werden 10 . Sie finden ihre Erledigung im Instanzenzuge der Verwaltungsbehörden. Die Gefahr einer parteilichen Handhabung der Verwaltungsbefugnisse wird freilich durch die Errichtung bloßer Rechtskontrollen nicht beseitigt, da es in der Verwaltung bei vollkommener Einhaltung der gesetzlichen Schranken möglich ist, verschiedene Personen mit verschiedenem Maße zu messen. Die Garantie hiergegen kann nur in einer entsprechenden Gestaltung der Verwaltungsbehörden gefunden werden. Aus diesem Grunde haben einige der vorher erwähnten Gesetzgebungen zugleich mit der Errichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit das Ziel verfolgt, durch eine anderweite Organisation der Verwaltungsbehörden, namentlich durch die Einführung von Elementen der Selbstverwaltung in die sogenannten Beschlußbehörden: die preußischen Kreis- und Bezirksausschüsse, Provinzialräte, badischen Bezirksräte usw. 11 , die Handhabung der durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht berührten Verwaltungsbefugnisse von der Ministerialinstanz unabhängiger zu machen. Diese Unabhängigkeit ist noch dadurch verstärkt worden, daß den so gebildeten Organen für viele Angelegenheiten ein definitives Entscheidungsrecht beigelegt ist. I I . Die Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht bis jetzt in Deutschland in folgendem Umfange: 1. Von den deutschen Einzelstaaten haben bisher P r e u ß e n 1 2 , B a y e r n 1 8 , S a c h s e n 1 4 W ü r t t e m b e r g 1 6 , B a d e n 1 6 , Hessen 1 7 , 10 [In Abweichung von dieser These sind durch die p r e u ß i s c h e Gesetzgebung den Verwallungsgerichten nicht wenige Angelegenheiten überwiesen worden, in denen es sich keineswegs um Recntsstreitigkeiten, sondern um Ermessensfragen handelt. Vgl. E. v. Meier, Enzykl. (6. Aufl.) 750 ; Schoen, das. (7. Aufl) 294; Anschütz a. a. 0 . 402, 408 und unten N. 28]. 11 [Vgl. oben § 116 S. 448 ff., § 117 S. 456 ff.] 12 G., betr. die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren, vom 8. Juli 1875, Abänderung durch G. vom 2. Aug. 1880. Neue Redaktion vom 2. August 1880, Abänderung durch G. vom 27. Mai 1888, G. vom 8. Mai 1889, G. vom 26. März 1898; G. über die allgemeine Land es Verwaltung (LVG) vom 30. Juli 1883, G. über die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichtsbehörden (ZG) vom 1. Aug. 1883, Einführung in Helgoland durch G. vom 18. Febr. 1891 § 1. — W S t V R 3 753 ff. 18 G., betr. die Errichtung eines Verwaltungsgerichtshofes und das Verfahren in Verwaltungsrechtssachen, vom 8. Aug. 1878. Deklaration dazu vom 15. Juni 1898. — W S t V R 3 764ff. 14 G. über die Verwaltungsrechtspflege vom 19. Juli 1900; G., einige Änderungen des Einkommensteuergesetzes vom 2. Juli 1878 betr., vom 20. Juli 1900; G., die Zuständigkeit des Oberverwaltungsgerichts bei Streitigkeifen über die Hesteuerung der Wanderlager betr., vom 21. Juli 1900. Vgl. oben N. 7. — W S t V R 3 768 ff. 15 ' G. über die Verwaltungsrechtspflege vom 16. Dez. 1876. — W S t V R 3 772 ff. 16 G., die Organisation der inneren Verwaltung betr., vom 5. Okt. 1863, G., den Verwaltungsgerichtshof und das verwaltungsgerichtliche Verfahren betr., vom 24. Jan. 1880, G., das verwaltungsgerichtliche Verfahren betr.,
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O l d e n b u r g 1 8 , B r a u n s c h w e i g 1 9 , die t h ü r i n g i s c h e n S t a a t e n 2 0 , A n h a l t 2 1 , L i p p e 2 2 und L ü b e c k 2 8 eine Verwaltungsgerichtsbarkeit eingerichtet, (über die eigene und unmittelbare Verwaltungsgerichtsbarkeit des Reichs sowie über Elsaß-Lothringen s. u. 790, 791). In bezug auf die O r g a n i s a t i o n der V e r w a l t u n g s g e r i c h t e bestand anfänglich eine wesentliche Verschiedenheit zwischen Preußen einer-, Bayern,- Württemberg, Baden und Hessen anderseits. I n den genannten Mittelstaaten war nur ein oberster Verwaltungsgerichtshof vorhanden, während in Preußen die Scheidung von Verwaltungsbehörden und Verwaltungsgerichten bereits in mittlerer Instanz stattfand, für reine Verwaltungssachen der Bezirksrat, für Verwaltungsstreitigkeiten das Bezirksverwaltungsgericht fungierte. Diese Verschiedenheit wurde aber dadurch beseitigt, daß man später in Preußen Bezirksrat und Bezirksverwaltungsgericht zu einer einzigen Behörde, dem Bezirksausschuß, vereinigte 24 . Demnach besteht jetzt in diesen Ländern als besonderes Organ der Verwaltungsgerichtsbarkeit lediglich der oberste Verwaltungsgerichtshof oder das Oberverwaltungsgericht. Ebenso ist es in Braunschweig und in einigen andern Ländern. I n der unteren und mittleren Instanz werden die Funktionen der reinen Verwaltung und der Verwaltungsgerichtsbarkeit von denselben Organen ausgeübt; der Unterschied zwischen Verwaltungssachen und Verwaltungsstreitsachen tritt hier nur in der Form des Verfahrens hervor. Die mit der Ausübung der Verwaltungsgerichtsbarkeit betrauten Behörden sind in der Regel kollegialisch orgavom 12. April 1882, G , die Verwaltungsrechtspflege betr., vom 14. Juni 1884. Abänderung vom 30. Mai 1899. — W S t V R 8 779 ff. 17 G. über die innere Verwaltung vom 12. Juni 1874, G., betr. das oberste Verwaltui'gsgericht, vom 11. Jan. 1875, G., die Bildung und Zuständigkeit des obersten Verwaltungsgerichtes betr., vom 16. April 1879, G., betr. die Verwaltungsrechtspflege vom 8. Juli 1911. - W S t V R 8 783 ff. 38 G. vom 9. Mai 1906. W S t V R 3 20, 790; Schultzenstein im VerwArch 13 329 ff; 14 439ff. > " G. vom 5. März 1895 W S t V R 1 520, Radkau im VerwArch 4 421 ff. 20 [Sachsen-Weimar, S.-Koburg und Gotha, S.-Altenburg und die beiden Schwarzburg haben durch Staatsvertrag vom 15. Dez. 1910 ein gemeinsames Verwaltungsrecht mit dem Namen „Thüringisches Oberverwaltungsgericht" und dem Sitz in Jena errichtet, welches über die nach Maßgabe der Landesgesetze der Vertragsstaaten zulässigen Rechtsmittel der Revision und Anfechtungsklage entscheidet ( W S t V R 8 790, Bühler, subj-öff. Rechte 499 ff., Wernick im VerwArch 21 201 ff.). Sachsen-Meiningen ist dieser Vertragsgemeinschaft nicht. beigetreten und hat seine eigene Verwaltungsgerichtsbarkeit (G. vom 15. März 1897, W S t V R 8 599) beha lten. Die beiden Reuß haben sich (Staatsvertrag v. 22. Jan. 1911) der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Königreichs Sachsen (s. o. N. 14) angeschlossen, derart, daß das sächs. OVGericht über die nach den reußischen Gesetzen zulässige Anfechtungsklage entscheidet. — W S t V R 3 790, 608J. G. vom '¿7. März 1888. W S t V R 1 127. 22 G. vom 9. Febr. 1898. W S t V R 2 782. ** G. vom 12. Dezember 1916. Hartmann im P r V B l 8S 867; Friedrichs im VerwArch 25 333 ff. 2 * Oben § 116 S. 446, 447. Anschütz a. a. O. 395.
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nisiert, eine Ausnahme machen nur die mit Einzelbeamten besetzten bayrischen Bezirksämter. Die obersten Verwaltungsgerichte bestehen in den größeren Staaten 25 lediglich aus Berulsbeamten. Die zur Ausübung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in der unteren und mittleren Instanz berufenen Verwaltungsbehörden setzen sich in Bayern und Württemberg ebenfalls lediglich aus Berufsbeamten zusammen (bayerische Bezirksämter und Kreisregierungen, württembergische Kreisregierungen, sächsische Kreishauptmannschaften). In den übrigen Staaten bestehen sie dagegen in ihrer Mehrheit aus Mitgliedern ohne Beamteneigenschaft, „Laien" (preußische Kreis- bezw. Stadt- und Bezirksausschüsse, badische Bezirksräte, hessische Kreis- und Provinzialausschüsse, braunschweigische Kreisausschüsse). Dagegen besteht gerade in kleineren Staaten, zum Beispiel Oldenburg, Anhalt, Sachsen-Meiningen und Lippe eine kompliziertere Organisation mit Unterscheidung von Kreis-, Landesund Oberverwaltungsgericht 26 . Die Verwaltungsgerichte, vor allem die obersten sind mit den Garantien richterlicher Unabhängigkeit ausgestattet; die Mitglieder derselben genießen in bezug auf ihre rechtliche Stellung denselben Schutz, welchen die Richter besitzen 2 7 . Die zur Z u s t ä n d i g k e i t der Verwaltungsgerichte gehörenden Angelegenheiten werden [insbesondere in der Sprache der preußischen Gesetze] als V e r w a l t u n g s s t r e i t s a c h e n im Gegensatz zu den r e i n e n V e r w a l t u n g s s a c h e n oder B e s c h l u ß s a c h e n bezeichnet. Grundsätzlich erstreckt sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit nur auf solche Fragen, bei denen es sich um eine Ent25 Wegen der Kleineren vgl. die folgende Anmerkung. C8 I n A n h a l t fungieren als Verwiutungsgerichte unterer Instanz die Kreis- und Stadtausschüsse, als mittlere Instanz das Landesverwaltungsgericht, als höchste das Oberverwaltungsgericht. Die beiden letzteren setzen sich aus Berufsbeamten und vom Landtag gewählten Mitgliedern zusammen. In S . - M e i n i n g e n bestehen die Kreisverwaltungsgerichte aus dem Kreisvorstand und zwei vom Kreisausschuß gewählten Mitgliedern, das Landesverwaltungsgericht aus dem Vorstand der Ministerialabteilung des Innern und je einem richterlichen und Verwaltungsbeamten, die vom Herzog ernannt werden, das Oberverwaltungsgericht aus dem Staatsminister, zwei stimmführenden Mitgliedern des Staatsministeriums und zwei richterlichen Beisitzern, deren Ernennung ebenfalls durch den Herzog erfolgt. [In O l d e n b u r g gibt es Verwaltungsgerichte unterer Instanz, angelehnt an die Amter und die Magistrate der größeren Städte, darüber ein Oberverwaltungsgericht, bestehend aus drei beamteten und drei unbeamteten Mitgliedern, welche letzteren vom Landtag gewählt werden]. In L i p p e fungieren in unterer Instanz die Kreisverwaltungsgerichte, in höherer das Oberverwaltungsgericht. Erstere bestehen aus einem vom Landesherrn ernannten Vorsitzenden und vier durch Abgeordnete der Städte und Amtsgemeinden erwählten Beisitzern, letztere aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, welche vom Landesherrn ernannt, sowie zwei weiteren, welche von den Abgeordneten der Städte und Amtsgemeinden gewählt werden. 21 Preuß. VerwGG §§ 21—25, Bayer. G. Art. 2, 3, 53, BG. vom 16. Aug. 1908 Art. 183, Württ. G. Art. 4 , Bad. G. vom 24. Febr. 1880 Art. 4, 5, Hess. G. vom 16. April 1879 Art. 1, 1, Anh. G. §§ 20—25, Braunschw. G. §§ 2, 3, G. vom 12. April 1898 § 2, Lipp. G. § 12. G. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsohes Staatsrecht.
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§
1 .
Scheidung nach Rechtsgrundsätzen handelt. Aber die Schwierigkeit, in Ausübung der Verwaltungsjurisdiktion Rechts- und Tatfrage zu trennen, hat zur Folge gehabt, daß das Prinzip nicht immer streng durchgeführt ist und die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte auch solche Gegenstände umfassen, bei denen es sich bloß um die Würdigung tatsächlicher Verhältnisse und um Fragen der Zweckmäßigkeit oder Billigkeit handelt. Dies gilt namentlich von der preußischen Gesetzgebung28. Diese Angelegenheiten werden dann ebenfalls in den gerichtlichen Formen erledigt, welche für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten vorgeschrieben sind. Nach der Gesetzgebung des betreffenden Staates umfaßt also c(ie Verwaltungsgerichtsbarkeit auch diese Angelegenheiten; es entsteht, entsprechend dem formellen Begriff der Verwaltung, auch ein f o r m e l l e r B e g r i f f d e r V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t , welcher die gesamte Tätigkeit der Verwaltungsgerichte bezeichnet. Die A u f g a b e d e r V e r w a l t u n g s g e r i c h t s b a r k e i t ist sowohl die Aufrechterhaltung der für die Verwaltung maßgebenden G r u n d s ä t z e des o b j e k t i v e n R e c h t e s , als der S c h u t z d e r s u b j e k t i v e n R e c h t e des Einzelnen gegenüber Eingriffen der Verwaltungsorgane 29 . Beides wird in der Regel zusammen28 [So haben in Preußen die Verwaltungsgerichte beispielsweise zu entscheiden: über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit von Schulbauten (ZG § 47\ über die Frage der Erhaltung oder Einziehung eines öffentlichen Weges (ZG § 57), über die Bedürfnisfrage bei Erteilung gewerblicher Konzessionen, über die Frage, ob das von der zuständigen Behörde bemängelte Statut einer Innung zu bestätigen sei pder nicht, — alles keine Rechtsfragen oder doch nicht notwendig solche. Über noch andere ähnliche Fälle, in denen der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen nicht nur die Rechts-, sondern auch die Z w e c k m ä ß i g k e i t s k o n t r o l l e administrativer Tätigkeit zusteht, vgl. 0 . M u e 11 e r , Begriffe der Verwaltungsrechtspflege 11 ff., dessen Ausführungen von W . Jellinek, Gesetz, Gesetzanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung 197 ff. angefochten, von Bühler, subj. öffentl. Rechte 277 ff. in wesentlichen Punkten als richtig anerkannt werden. Vgl. weiterhin Anschütz a. a. 0 . 402, 403 und im VerwArch 5 425, 6 623. Die Aufgabe der preußischen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist niemals darauf beschränkt gewesen, lediglich Gesetzwidrigkeiten oder gar nur Eingriffe in subjektive öffentliche Rechte (s. die nächste Anm.) abzustellen, sondern erstreckt sich hierüber hinaus, in vielen Fällen auch auf den Schutz gegen willkürliche, sachlich ungerechtfertigte, unbillige Verwaltungsakte. I m Gegensatz hierzu sind nach der bayerischen, sächsischen, württembergischen, badischen Gesetzgebung alle Ermessensfragen von der verwaltungsgerichtlichen Kognition ausgeschlossen; der Beruf des Verwaltungsrichters besteht in diesen Staaten wesentlich nur in der Entscheidung von Streitigkeiten über subjektive öffentliche Rechte. Der Gegensatz ist gut erkannt und ausführlich dargestellt bei Bübler a. a. O. 261 ff. und im W S t V R 8 744 ff.]. 29 [Die herrschende Meinung geht von der Ansicht aus% daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit lediglich zum Schutz subjektiver Rechte berufen sei (0. Baehr a. a. 0 . S. 54; L . v. Stein, Verwaltungslehre T. 1 Abt. 1. S. 871 ff.; v. Sarwey a. a. 0 . S. 65, 73, 76; H. Schulze, Lenrbuch des deutschen Staatsrechtes 1 646; E. Loening, Deutsches Verwaltungsrecht 797ff.; v. Stengel, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechtes 220ff., im VerwArch 8 182ff. r 207; v. Seydel-Piloty, Bayer. Staatsr. 1 420ff.; Lemayer a. a. 0 . S. 425ff.).
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fallen, da in der Verletzung eines subjektiven Rechtes stets auch eine Verletzung objektiver Rechtsvorschriften enthalten ist. Es kommen jedoch in der Verwaltungsgerichtsbarkeit auch Fälle vor, in denen es sich gar nicht um den Schutz subjektiver Rechte, sondern lediglich um die Aufrechterhaltung objektiver Rechtsvorschriften handelt; diese sind namentlich in der preußischen Gesetzgebung ausgebildet worden 80 . Den größeren Teil der Verwaltungsstreitsachen bilden . allerdings solche, bei welchen der Schutz eines individuellen Rechtakreises gegenüber Eingriffen der Verwaltungsorgane in Frage steht. In dieser Hinsicht ist aber die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte in den verschiedenen Staaten verschieden gestaltet. Am engstea begrenzt erscheint sie in der älteren Gesetzgebung Badens 81 und Hessens82. Hier kommen zur Entscheidung der Verwaltungsgerichte regelmäßig nur solche Angelegenheiten, in welchen sich mehrere individuell berechtigte Subjekte (Privatpersonen, Gemeinden usw.) als streitende Teile gegenüberstehen; außerdem sind ihm einzelne anderweite Gegenstände durch spezielle gesetzliche Anordnung überwiesen. Dagegen tritt nach der neueren Gesetzgebung dieser Staaten 88 und in den übrigen Staaten die Verwaltungsgerichtsbarkeit auch dann in Wirksamkeit, wenn ein Einzelner und ein staatliches Organ sich gegenüberstehen. Gegenstand der Verwaltungsgerichtsbarkeit bilden hier obrigkeitliche Verfügungen, durch welche der Einzelne in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte über diese Angelegenheiten beruht in Preußen, Bayern, Baden, Oldenburg, Anhalt, Braunschweig) SachsenMeiningen und Lippe auf einer gesetzlichen Aufzählung der einzelnen Gegenstände, in Württemberg und Sachsen auf einer generellen Klausel 84 . Doch ist in Preußen, Baden, Oldenburg, Braunschweig, Anhalt, den Staaten des thüringischen Oberverwaltungsgerichts Dagegen leugnet Gneist, Rechtsstaat 270 ff. und an anderen Orten, die Existenz individueller Rechte im Verwaltungsrecht gänzlich und erklärt das Parteirecht im Verwaltungsstreitverfahren für etwas aus dem objektiven Rechte Abgeleitetes. Beide Anschauungen sind einseitig. Vgl. G. Meyer-Dochow, VR 79; G. Jellinek, System 358; Anschütz a. a. 0. 402; Fleiner, Instit. 342, 343. Vgl. auch die vorige Anm. über den Unterschied zwischen Preußen und den Mittelstaaten; dort ist nachgewiesen, daß die Verwaltungsrechtspflege nicht nur dem Rechtsschutz, sondern darüber hinaus in Preußen auch aem reinen Interessenschutz dienen kann und dientl. 80 Vgl. Anschütz a. a 0. 402. 81 Bad. Organis.G. vom 5. Okt. 1863, §§ 5, 15. 82 Hess. Ges. über die innere Verwaltung vom 12. Juni 1874 Art. 48, 67, G., betr. das oberste Verwaltungsgericht vom 11. Jan. 1875. 58 Bad. VRechtspfl.G. vom 14. Juni 1864, Hess. G., betr. die Verwaltungsrechtspflege vom 8. Juli 1911. 84 Wurtt. G. vom 16. Dez. 1876 Art. 13; dazu Bühler, subj. öffentl. Rechte 823 ff.; Sächs. G. vom 19. Juli 1900, §§ 73 ff. Die Bestimmungen des § 73 über die Zulässigkeit der Anfechtungsklage haben die Bedeutung einer allgemeinen Zuständigkeitsformel, wonach der Verwaltungsrechtsweg schlechthin gegen alle Verfugungen der inneren Verwaltung beschritten werden kann. vgl. Apelt a. a. 0 . 44, 55ff.; Bühler a. a. 0 . 418 ff. 51*
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(oben N. 20) und Lippe dasjenige Gebiet, welches für die Verwaltungsgerichtsbarkeit praktisch die größte Bedeutung hat, das der polizeilichen Verfügungen, ebenfalls durch eine Generalklausel gedeckt worden 86 . — In denjenigen Ländern, in welchen den Verwaltungsbehörden ein Entscheidungsrecht in bezug auf gewisse privatrechtliche Streitigkeiten zustand, sind die betreffenden Befugnisse mit der Errichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zum größten Teil auf die Verwaltungsgerichte übergegangen. Aus Wesen und Zweck der Verwaltungsgerichtsbarkeit und aus der Aufgabe der Verwaltungsgerichte, die Rechtsschranken der Verwaltung aufrecht zu erhalten, ergibt sich, daß dieselben den Befehlen der höheren Verwaltungsbehörden n i c h t unterworfen sind. Das P r ü f u n g s r e c h t in bezug auf die Rechtsgliltigkeit von Gesetzen und Verordnungen steht ihnen in demselben Umfange wie den ordentlichen Gerichten z u 8 6 . Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen den V e r * w a l t u n g s g e r i c h t e n und den o r d e n t l i c h e n G e r i c h t e n werden nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze entschieden, welche über Kompetenzkonflikte zwischen Justiz und Verwaltung bestehen 8 7 , wobei die Verwaltungsgerichte als Verwaltungsbehörden gelten. Für die Entscheidung von Kompetenzstreitigkeiten zwischen den V e r w a l t u n g s g e r i c h t e n und a n d e r e n V e r w a l t u n g s b e h ö r d e n ist entweder der oberste Verwaltungsgerichtshof 88 oder der für die Entscheidung von Kompetenzkonflikten zwischen Justiz und Verwaltung eingesetzte Kompetenzgerichtshof 89 oder ein besonderer Senat des obersten Verwaltungsgerichtshofes zuständig, der sich aus höheren Verwaltungsbeamten und Mitgliedern des Verwaltungsgerichtshofes zusammensetzt40. 2. I n E l s a ß - L o t h r i n g e n sind die Einrichtungen der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit (oben 781, 782) bestehen geblieben 41 . Die Zuständigkeit dieser Gerichtsbarkeit hat jedoch insofern eine starke Einschränkung erfahren, als bei Gelegenheit der Einführung des Strafgesetzbuches die dem französischen contentieux unterliegenden Strafsachen und bei Gelegenheit der Einführung des w Preuß. LVGr vom 30. Juli 1883 §§ 127, 128, 130; Bad. G. vom 14. Juni 1884 § 4 Nr. 1; Oldenb. G. vom 9. Mai 1906, § 14; Braunsch. G. vom 5. März 1895 § 49; Anhalt. G, vom 26. März 1908 § 1; Lipp. Zust.G. § 1 Nr. X I V . Über die Zuständigkeit des thüringischen O V G vgl. die Nachweise bei Bühler a. a. O. 499 ff. 86 Vgl. Entsch. des preuß. Oberverwaltungsgerichts 9 363 ff. 87 Vgl. § 181 S. 773 ff. 38 Preuß. L V G vom 30. Juli 1883 § 113. Dieser Grundsatz ist auch da als maßgebend anzusehen, wo eine besondere Bestimmung nicht existiert. 89 Württemb. G. betr. die Entscheidung von Kompetenzkonflikten, vom 25. Aug. 1879. 40 Bayr. G. über Kompetenzkonflikte vom 18. Aug. 1879 Art. 29. 41 Otto Mayer, Theorie des französ. V R 87 ff., derselbe im WStVR 8 786 ff.; Leoni, Öffentl. Recht v. Els.-Lothr. 1 118 ff.: Rosenberg, Ann DR 1906 810 ff.; Bruck, Verf. u. VerwR v. Els.-Lothr. 1 158 ff, 8 284 ff.; Fischbach, Das öffentl. Recht des Reichsl. Els.-Lothr., § 19.
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Gerichtsverfassungsgesetzes die fiskalischen Streitigkeiten den ordentlichen Gerichten überwiesen wurden 42 . An die Stelle der Präfekturräte sind kollegialische Behörden unter dem Namen B e z i r k s r ä t e getreten, welche aus dem Bezirkspräsidenten und den ihm beigegebenen Räten, (ohne Laienbeteiligung) bestehen. Als Rekursinstanz für die Bezirksräte, sowie in einzelnen Fällen als Verwaltung8gericht erster und letzter Instanz 4 8 fungiert der K a i s e r l i c h e R a t i n E l s a ß - L o t h r i n g e n , ein Kollegium, an dessen Spitze ein vom Kaiser ernaunter Präsident steht und dessen Mitglieder in der Zahl von zehn ebenfalls durch den Kaiser ernannt werden. (Sie werden stets den Räten des Ministeriums für Elsaß-Lothringen entnommen). Die Entscheidungen desselben sind endgültig und bedürfen im Gegensatz zu dem früheren französischen Rechte keiner Bestätigung durch den Kaiser 4 4 . 3. [Auch außer und abgesehen von diesen elsaß lothringischen Einrichtungen besteht eine e i g e n e u n d u n m i t t e l b a r e V e r waltungsgerichtsbarkeit des D e u t s c h e n Reichs46. Freilich ist diese Verwaltungsgerichtsbarkeit an oberster Stelle nicht, wie in den Einzelstaaten, einem einheitlichen Verwaltungsgerichtshof, sondern mehreren selbständigen Spezialbehörden übertragen, welche den Verwaltungsgerichten der Einzelstaaten gleichen, sofern sie, wiewohl ihrem Wesen und ihrer dienstlichen Stellung nach Verwaltungsbehörden, doch in ihrer streitentscheidenden Tätigkeit von der obersten Leitung der Reichsverwaltung, dem Reichskanzler, unabhängig sind, und auch sonst, vermöge ihrer kollegialen Formation und des ihnen vorgeschriebenen prozeß42 E G zum RStGB vom 30. August 1871 Art. X I I , AusfG. zum R G V G vom 4. November 1878 § 8. Vgl. oben § 180 N. 11, § 182 S. 782. 48 O. Mayer im W S t V R 3 789. Das G. vom 13. Juni 1898 ermächtigt den Kaiser, die Zuständigkeit des kaiserl. Rats im Verordnungawege zu erweitern; die betreffenden kaiserlichen Verordnungen können nur durch Gesetz abgeändert werden. Daraufhin ist die V. vom 92. September 1902 ergangen; vgl. 0 . Mayer a. a. 0 . — Die Zuständigkeit des französischen Staatsrats zur Entscheidung in erster und letzter Instanz über Rekurse wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt (oben 782) ist auf den kaiserl. Rat nicht übergegangen. * 4 G., betr. die Einrichtung der Verwaltung vom 30. Dez. 1871 §§ 8 u. 13, G., betr. die Verfassung und die Verwaltung Elsaß-Lothringens, vom 4. Juli 1879 § 11, G. betr. den kaiserl. Rat, vom 13. Juni 1898. — Das Verfahren vor den Bezirksräten und dem kaiserl. Rate ist durch V. vom 23. März 1889 geregelt worden. « [Anschütz a. a. 0 . 398, 399; Fleischmann im W S t V R 8 749 ff.; Fleiner, Instit. 234 ff. Bei diesen Schriftstellern finden sich auch nähere Angaben über die schwebenden Reformfragen auf dem Gebiete der Reichs Verwaltungsgerichtsbarkeit, insbesondere den — namentlich auf dem deutschen Juristentage von 1910 erörterten — Gedanken der Schaffung eines einheitlichen Reichsverwaltungsgerichtshofes, dem geeignetenfalls auch die Rechtskontrolle über den Vollzug der Verwaltungsgesetze des Reichs durch die einzelstaatlichen Behörden zu übertragen wäre. Dieser Gedanke hat auch den Reichstag wiederholt beschäftigt, so z. B. bei der Beratung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913: Sten. Ber. 1912/13 S. 5340].
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ähnlichen Verfahrens, die Garantien eines Gerichtshofes darbieten. Diese Reichsverwaltungsgerichte sind: a) das B u n d e s a m t f ü r H e i m a t w e s e n für die Entscheidung von Streitigkeiten zwischen Armen verbänden 4 6 ; b) das durch R i c h t e r v e r s t ä r k t e Eisenbahnamt zur Entscheidung über Maßregeln des Reichseisenbahnamtes, deren Nichtübereinstimmung mit den bestehenden Gesetzen behauptet w i r d 4 7 . c) das K a i s e r l i c h e P a t e n t a m t , insofern dasselbe zur Entscheidung über Nichtigkeiten der Patente berufen i s t 4 8 ; d) das R e i c h s v e r s i c h e r u n g s a m t , insofern demselben die Entscheidung von Streitigkeiten auf dem Gebiete der Arbeiterversicherung übertragen i s t 4 9 ; e) das k a i s e r l i c h e A u f s i c h t s a m t für P r i v a t v e r s i c h e r u n g als entscheidende und Rekursinstanz in Angelegenheiten der Beaufsichtigung privater Versicherungsunternehmungen 50; f) d i e S c h i e d s g e r i c h t e u n d das Oberschiedsgericht f ü r S t r e i t s a c h e n a er A n g e s t e l l t e n V e r s i c h e r u n g 5 1 . g) D e r R e i c h s f i n a n z h o f , als oberste Spruchbehörde in Reichsabgabensachen]62. 2. Die Verantwortlichkeit der Terwaltungsbeamten, a) I m a l l g e m e i n e n 1 .
§ 183. Während die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Aufgabe hat, die Rechtssphäre des Individuums gegenüber dem Staate zu schützen und die Verwaltungsstreitigkeiten daher als ein Prozeß zwischen demselben und dem Staate erscheinen, handelt es sich bei der V e r a n t w o r t l i c h k e i t um ein Verfahren gegen den e i n z e l n e n B e a m t e n , durch welches derselbe für ein rechtswidriges Verhalten haftbar gemacht wird. Das Verfahren kann entweder ein S t r a f v e r f a h r e n sein, dessen Ziel die Verurteilung des Beamten zu einer öffentlichen Strafe ist, oder ein Z i v i l p r o z e ß , welcher auf die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruches wegen eines vermögensrechtlichen Nachteils hinausgeht. Außer Betracht bleibt hier die disziplinare Verantwortlichkeit, welche lediglich 46
R G über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870 (30. Mai 1908)
§§ 424 7ff. 80
R G betr. Errichtung eines Reichseisenbahnamtes vom 27. Juni 1878 § 5. RPatentG vom 7. April 1891 §§ 10, 13 ff. RVO vom 19. Juli 1911 §§ 83 ff. R G über die privaten Versicherungsunternehmungen vom 12. Mai
herungsgesetz f. Angestellte vom 20. Dezember 1911 §§ 156 ff. R G vom 26. Juli 1918, R G B l 959. 1 F. W . F r e u n d , Die Verantwortlichkeit der Beamten für die Gesetzmäßigkeit ihrer Amtshandlungen, im ArchÖffR 1 108 fl., 355 ff.: O. Mayer, V R (1. Aufl.) 1 226ff. (2 Aufl.) 1 189ff.; Nadbyl, Art. „Konflikte« in v. Stengels Wörterbuch (1. Aufl.) 1 818 ff.; Grevenhorst, Der sog. Konflikt bei gerichtl. Verfolgung von Beamten (1908); derselbe im W S t V R 2 607ff.; Loening, 62
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Sache des Dienstes ist und das Verhältnis des Beamten zum Publikum nicht berührt (oben § 148). Die Verfolgung der Beamten, namentlich der Verwaltungsbeamten, ist jedoch vielfach besonderen Beschränkungen unterworfen, welche teils materieller, teils formeller (prozessualer) Natur sind. 1. I n E n g l a n d 2 sind Verfolgungen der Beamten durch Private nur in sehr begrenztem Umfange zugelassen. Eine strafrechtliche Verfolgung ist gegenüber dem bona fide handelnden Beamten überhaupt ausgeschlossen und nur wegen vorsätzlicher Verletzung der Amtspflicht gestattet. Zur Erhebung der Anklage erscheint nach dem in England herrschenden System der Privatanklage jeder Privatmann befugt. Der Kronanwalt besitzt aber das Recht, durch „nolle prosequi" die Anklage niederzuschlagen. Eine Zivilklage wird nur bei Kompetenzüberschreitungen und Verletzung wesentlicher Formen gestattet, in welchem Falle der Beamte als außerhalb des Amtes handelnd angesehen und demgemäß einem Privatmann gleich behandelt wird. 2. Im Gegensatz zu den wesentlich materiellen Begrenzungen des englischen Rechtes hat man auf dem Kontinent die Verfolgung der Beamten durch f o r m e l l e Erfordernisse, namentlich dadurch beschränkt, daß man sie von der Vorentscheidung einer besonderen Behörde abhängig gemacht hat. Dies ist zuerst in F r a n k r e i c h geschehen. Hier war schon unter dem ancien régime der Grundsatz zur Geltung gelangt, daß die gerichtliche Verfolgung eines Verwaltungsbeamten nur mit Genehmigung der höchsten Verwaltungsbehörde, also des Staatsrates, stattfinden könne. Auch nachdem infolge der Einführung des modernen Anklageprozesses durch das Institut der Staatsanwaltschaft die Verfolgung zur Disposition des jeweiligen Ministeriums gestellt war, behielt man die Genehmigung der Strafverfolgung durch den Staatsrat bei, um eine gleichförmigere Behandlung der einzelnen Fälle zu erzielen. Namentlich wurde durch Art. 75 der Verfassung vom 22. frimaire des Jahres V I I I festgesetzt, daß die Verfolgung der Verwaltungsbeamten („agents du gouvernement") wegen ihrer Amtshandlungen nur auf Grund einer Entscheidung („autorisation préalable") des Staatsrates erfolgen könne, ein Grundsatz (garantie constitutionelle"), der durch verschiedene spätere Gesetze8 ausdrücklich aufrecht erhalten und erst durch Dekret vom 19. September 1870 beseitigt ist. 3. I n D e u t s c h l a n d war die Verfolgung von Beamten nach g e m e i n e m R e c h t an besondere Voraussetzungen nicht gebunden. Gerichte und Verwaltungsbehörden 233 ff., 307 ff. ; v. Seydel-Piloty, Bayer. StR 1 426 ff.; 0. Bühl er, D i e Zuständigkeit der Zivilgerichte gegenüber der Verwaltung im württemb. Recht (1911) 167 ff. Vgl auch oben §§ 148, 149. 2 Gneist, Englisches Verwaltungsrecht 1 339ff., 376 ff., 381 ff., Verwaltung, Just-iz, Rechtsweg 154ff., Selfgovemment, Kommunalverfassung und Verwaltungsgerichte 497 ff., Gesetz und Budget 98. 8 Regl. vom 11. Juni 1806, Dekret vom 25. Jan. 1852 § 16. Über den Begriff des „agent du gouvernement" vgl. Freund a. a. 0. 400ff.; 0. Mayer, Theorie des französischen. Verwaltungsrechtes 99.
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§
1 .
Dieser Grundsatz des gemeinen Rechtes gilt auch jetzt noch in den meisten (freilich nicht den größten) deutschen Staaten. Das strafrechtliche Verfahren kann allerdings nach heutigem Prozeßrecht nur von der Staatsanwaltschaft eingeleitet werden und ist insofern von dem jeweiligen Ministerium abhängig. Doch steht den Bestimmungen der R. St. Pr. O. (§§ 169 ff) gemäß dem Verletzten die Befugnis zu, gegen die Ablehnung der Erhebung der Anklage seitens der Staatsanwaltschaft an das Gericht zu rekurrieren. Dagegen ist jeder Private, welcher sich durch gesetzwidrige Handlungen eines Beamten in seinen Vermögensrechten verletzt glaubt, befugt, eine zivilrechtliche Klage auf Schadensersatz gegen denselben anzustellen (vgl. oben § 149). Im Gegensatz zu diesen Grundsätzen des gemeinen Rechtes hatte aber eine Reihe von L a n d e s g e s e t z g e b u n g e n die Verfolgung von Beamten, namentlich von Verwaltungsbeamten nur unter Beschränkungen zugelassen. Die Beschränkungen waren in selteneren Fällen m a t e r i e l l e r 4 , in der Regel f o r m e l l e r Natur. Die letzteren schlossen sich an das französische Recht an; sie machten die gerichtliche Verfolgung entweder von einer Ermächtigung der vorgesetzten Behörde (oder des Staatsrates) abhängig 5 oder sie legten derselben die Befugnis bei, im Falle eines gerichtlichen Verfahrens gegen einen Beamten den Kompetenzkonflikt zu erheben und die Frage dadurch zur Entscheidung des Kompetenzgerichtshofes zu bringen 6 . 4 Materieller Natur ist die Bestimmung des preußischen Rechts, nach welcher wegen einer polizeilichen Verfügung der Rechtsweg behufs Geltendmachung der zivilrechtlichen Verantwortlichkeit des betreffenden Beamten vom Einzelnen erst dann beschritten werden darf, wenn die Verfügung im Wege der Beschwerde als gesetzwidrig oder unzulässig aufgehoben ist (G. über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842 § 6; Wortlaut: „Wird eine polizeiliche Verfügung im Wege der Beschwerde als gesetzwidrig oder unzulässig aufgehoben, so bleiben dem Beteiligten seine Gerechtsame nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen über die Vertretungsverbindlichkeit der Beamten vorbehalten." Dazu L V G § 131: „Der § 6 des Gesetzes vom 11. Mai 1842 findet auch Anwendung, wenn eine polizeiliche Verfügung im Verwaltungsstreitverfahren durch rechtskräftiges Endurteil aufgehoben worden ist.") 5 Dahingehende Vorschriften bestanden insbesondere in der bayerischen Pfalz; vgl. v. Seyclel-Pilotv, Bayer. StR 1 428, 429. 6 Diese Einrichtung bestand in Preußen. Hier sollten nach § 47 der V. vom 26. Dez. 1808 Untersuchungen gegen Verwaltungsbeamte („Regierun^soffiziantcn") wegen Amtsvergehen nur auf Antrag der Regierung eingeleitet werden (vgl. Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden 238). Denselben Grundsatz in Ausdehnung auf alle Beamten sprach das G. vom 29. März 1844 aus (Loening 240 ff.). Nachdem durch Art. 97 der Verf. die vorgängige Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehörde bei Verfolgung von Beamten auageschlossen war, wurde durch G. vom 13. Febr. 1854 das jetzige Verfahren eingeführt, das zwar mit dem Wortlaut, aber nicht mit der gesetzgeberischen Absicht des Art. 97 der Verf. vereinbar ist. Die Vorschriften des Gesetzes beziehen sich, wie es selbst (§ 7 Nr. 1) ausdrücklich bestimmt, nur auf Verwaltungsbeamte. Über das G. vom 13. Febr. 1854 vgl. Loening a. a. 0 . 242 ff, die oben N. 1 angegebenen Schriften von
Die Funktionen.
§ 18.
7
[Die R e i c h s j us t i z g e s e t z g e b u n g (Einführungsges. z. RGVG. § 11 Abs. 1 setzte die landesgesetzlichen Bestimmungen, durch welche die straf- oder zivilrechtliche Verfolgung öffentlicher Beamten wegen der in Ausübung ihres Amts vorgenommenen Handlungen an besondere Voraussetzungen gebunden ist, außer Kraft, ließ jedoch — a. a. 0 . Abs. 2 — „unberührt die landesgesetzlichen Vorschriften, durch welche die Verfolgung der Beamten entweder im Falle des Verlangens einer vorgesetzten Behörde oder unbedingt an die Vorentscheidung einer besonderen Behörde gebunden ist, mit der Maßgabe, 1. daß die Vorentscheidung auf die Feststellung beschränkt ist, ob der Beamte sich einer Überschreitung seiner Amtsbefugnisse oder der Unterlassung einer ihm obliegenden Amtshandlung schuldig gemacht habe; 2. daß in den Bundesstaaten, in welchen ein oberster Verwaltungsgerichtshof besteht, die Vorentscheidung diesem, in den anderen Bundesstaaten dem Reichsgerichte zusteht." Von der vorstehenden reichsgesetzlichen Ermächtigung haben Gebrauch gemacht die Landesgesetzgebungen Preußens Bayerns Badens c , H e s s e n s d e r beiden Mecklenburg« und Elsaß LothGravenhorst und den Kommentar bei Oppenhoff, Ressortverhältnisse (2. Aufl.) 395 ff. a G. betr. die Konflikte bei gerichtl. Verfolgungen wegen Amts- und Diensthandlungen vom 19. Febr. 1854, dazu der zur Ausführung von E G V G § 11 Abs. 2 ergangene § 114 L V G . Danach kann, wenn gegen einen (nichtrichterlichen) Beamten aus Anlaß seiner dienstlichen Tätigkeit eine gerichtliche Verfolgung im Wege des Zivil- oder Strafprozesses eingeleitet worden ist, die vorgesetzte Zentral- oder Provinzialbehörde des Beamten „den Konflikt erheben", d. h. die Vorentscheidung des OVG gemäß E G V G § 11 Abs. 2 verlangen. Kommentar zu dem G. vom 13. Febr. 1854 bei Oppenhoff, Reäsortverhältnisse 395 ff.; im übrigen vgl. die oben Anm. 1 angegebenen Schriften von Nadbyl, Gravenhorst, Loening. — Das G. vom 13. Febr. 1854 findet auch auf Personen des Soldatenstandes Anwendung, falls diese aus Anlaß ihrer dienstlichen Tätigkeit bei anderen als Militärgerichten belangt werden. Die Vorentscheidung steht nach § 6 des Gesetzes in diesem Falle dem Militärjustizdepartement zu. Die Staatsregierung hält diese Bestimmung auch angesichts des § 11 Abs. 2 E G V G noch für geltend; sicher mit Unrecht, denn unter „Beamten" im Sinne des § 11 E G V G (wie auch schon im Sinne von Art. 97 preuß. Verf.) sind auch alle Militärpersonen zu verstehen. Auch in Soldatenprozessen steht in Preußen die Vorentscheidung gemäß § 11 E G V G dem O V G zu. Diese richtige Ansicht ist ausführlich begründet von Jastrow, VerwArch 4 336 ff., dem Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden 317, 318 zustimmt. A. M. Stölzel, Förster-Eccius, Mügel, Loewe u. a. (vgl. nähere Angaben bei Loening a. a. O. 318 Anm. 1). l) VerwGerG vom 8. August 1878, Art. 7 in der Fassung des Art. 165, AusfG z. BGB vom 9. Juni 1899. Die Vorentscheidung findet hier nur in Zivilprozessen gegen Beamte (oder gegen das Gemeinwesen, dem der Beamte dient, vgl. S. 796 Anm. g) wegen Amtspflichtvcrletzung statt, und zwar ist sie — abweichend vom preuß. Recht — nicht von der vorgesetzten Behörde des Beklagten, sondern vom Kläger herbeizuführen. Vgl. v. SeydelPiloty a. a. 0 . 436 ff. c G. vom 24. Febr. 1880 Art. 9 - 1 1 , G. vom 14. Juni 1884 § 46. Die Vorentscheidung ist nur auf Verlangen des vorgesetzten Ministeriums erforderlich. Die Bestimmung findet bei strafrechtlicher Verfolgung auf alle
6
Zweiter
ringensf.
In
bezeichneten gerichtlich
Drittes
Teil.
diesen L ä n d e r n
können
Beamtenkategorien
nur
Buch.
§
also die i n
aus A n l a ß
verfolgt werden,
1 . ihren
amtlicher
Gesetzen
Handlungen
wenn die gesetzlich geregelte
Vor-
e n t s c h e i d u n g die F r a g e , ob der Betreffende sich einer Ü b e r s c h r e i t u n g seiner Amtsbefugnisse Amtshandlung scheidung
oder der Unterlassung einer i h m
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steht
in
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dem
Ober-
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dort
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nur auf
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oben
und
§ 149
der
in
oben
Verwaltungsgerichtshof
des § 1 1 A b s . 2 E G V G . n i c h t g l a u b t
kommt
besteht)
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0
im
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Vorentscheidung
auch
dem
S. 612
Staate
ff.
zu,
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ist. das
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und
die Pflichtverletzung
welche
nach
sich
Klassen von Beamten Anwendung, bei zivilrechtlichen Klagen dagegen nicht auf Richter und gewisse näher bezeichnete Gruppen der Verwaltungsbeamten, z. B. Grundbuchbeamte, Standesbeamte usw. Auch die durch das Bad. AusfG. vom 17 Juni 1899, Art. 5 Abs. 1 zugelassene „Verfolgung des Staates" aus Anlaß der Pflichtverletzung eines Beamten ist, soweit Verwaltungsbeamte in Frage kommen und ein dahingehendes Verlangen von dem zuständigen Ministerium gestellt wird, von der Vorentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes abhängig: a. a. 0 . § 5 Abs. 2, 3. d AusfG z. BGB vom 17. Juli 1899, Art. 77. Danach können Beamte wegen Amtsverletzung straf- oder zivilrechtlich nur verfolgt werden, wenn entweder die Vorentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs eingeholt worden ist oder das dem Beamten vorgesetzte Ministerium erklärt hat, daß die Vorentscheidung nicht verlangt werde. Es gilt als Verzicht des Ministeriums, wenn das Ministerium nicht innerhalb eines Monats, nachdem ihm ein darauf gerichteter Antrag des Beschädigten zugegangen ist, die Entscheidung beantragt. e Vgl. W S t V R 2 612. f AusfG. z. BGB vom 17. April 1899, § 39; vgl. W S t V R 2 612. g Vgl. preuß. G. vom 1. August 1909 § 2; bayer. A G z. BGB vom 9. Juni 1899, Art. 165; bad. G. vom 24. Febr. 1880 § 9 und A G z. BGB vom 17. Juli 1899 § 5. * Vgl. preuß. G. vom 13. Febr. 1854, § 3 Satz 2: „Ein Urteil der letzteren Art (nämlich eine das Dasein einer Amtspflichtverletzung bejahende Vorentscheidung) präjudiziert weder dem Beamten in seiner
Die Funktionen.
§ 18.
7 7
Die hier besprochene reichsgesetzliche Bestimmung, EGVG. § 11, richtet sich in erster Linie gegen die f o r m e l l e n Beschränkungen des Rechtswegs gegen pflichtwidrig handelnde Beamte. Sie verbietet insbesondere den Fortbestand des französischen Systems der „autorisation préalable" (oben 793) und der Bestimmung des preußischen Gesetzes vom 13. Februar 1854, wonach die gerichtliche Verfolgung von Beamten nur zulässig ist, wenn der Kompetenzgerichtshof auf Betreiben („Erhebung des Konflikts") der vorgesetzten Behörde erklärt hat, daß dem Beamten eine „zur gerichtlichen Verfolgung geeignete" Handlung zur Last falle. Aber EGVG. § 11 trifft weitergehend auch die m a t e r i e l l e n Beschränkungen. Er hebt in seinem Abs. 1 die „ b e s o n d e r e n V o r a u s s e t z u n g e n " auf, welche den Rechtsweg gegen Beamte einschränken, mit alleiniger Ausnahme der in Abs. 2 bezeichneten Bestimmungen über die Vorentscheidung des obersten Verwaltungsgerichtshofes bzw. Reichsgerichts. Unter den Begriff dieser „besonderen Voraussetzungen" fallen alle landesgesetzlichen Vorschriften, welche die zivil- oder strafrechtliche Verfolgung eines Beamten aus Anlaß seiner amtlichen Tätigkeit irgendwie erschweren oder an besondere, für andere Zivil- und Strafprozesse nicht bestehende Bedingungen knüpfen. Eine landesgesetzliche Vorschrift dieser Art ist insbesondere auch in dem oben Anm. 4 angeführten § 6 des preußischen Gesetzes vom 11. Mai 1842 zu erblicken und dieser § 6 daher, wenngleich der preußische Gesetzgeber zu verschiedenen Malen * seine Fortgeltung behauptet hat, für aufgehoben zu erachten weiteren Verteidigung vor dem Gerichte, nach dem Gerichte in seiner rechtlichen Entscheidung der Sache." Ebenso das bad. G. betr. d. Verwaltungsgerichtshof vom 24. Febr. 1880, Art. 11 Abs. 3. Dagegen ist nach bayer. Recht (Verwaltungsgerichtsgesetz vom 8. August 1878, Art, 7 Abs. 3) die Vorentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs m allen Fällen für das Gericht bindend. 0 . Mayer, V R (2. Aufl) 1 206 Anm. 32 und Fleiner, Institut. 270 N. 22 halten diese Bestimmung wegen Widerspruchs mit § 11 E G V G für ungültig, die herrschende Meinung in Bayern erachtet sie für gültig (Lit. bei Flemer a. a. O.). Wenn man sie so, wie v. Seydel-Piloty, Bayer. StR 1 487 tut, auslegt, ist gegen die Gültigkeit nichts einzuwenden. i Vgl. L V G § 131 (oben Anm. 4); G. vom 1. August 1909 (oben § 149 S. 612 Anm. § 5. k Gleiche Ansicht: O. Mayer, VR 1. Aufl. 1 237, 238, 2. Aufl. 1 203, 204 N. 27; Fleiner, Instit. 270 N. 22; Thoma im Jahrb^jftR 4 208 ST. 1; v. Roenne, StR (4. Aufl.) 1 509 Anm. 2 (hält den § 6 schon durch die preuß. Verfassung, Art. 97, für aufgehoben); Jastrow bei Gruchot 30 332ff. Für die Fortgeltung des § 6, die in Preußen herrschende Meinung (vgl. z. B. Stoelzel, Rechtsweg und Komp.-Konflikt 226; Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden 315; Oppenhoff, Ressortverhältnisse, 2. Aufl., 343), die Gerichtspraxis (RGZ 18 123, 20 295, 51 329; Gruchot, 39 1028, 46 1103; OVGEntsch. 57 480) und auch die Voraufl. dieses Buches S. 681 N. 7. Zum Beweise der Fortgeltung beruft man sich gern auf § 13 G V G , wonach die .Landesgesetzgebung den Wirkungskreis der ordentlichen Gerichte abzugrenzen habe (oben § 180 Anm. 10). Könne sonach durch Landesgesetz die Scnadensersatzklage dem Rechtswege im ganzen entzogen werden, so könne dies auch teil- und bedingungsweise geschehen, indem durch das Landesgesetz
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Zweiter
Teil.
Drittes
Buch.
§
1 .
Die gerichtliche Verfolgung von Reichsbeamten ist weder an das Erfordernis einer Vorentscheidung über die Frage der Amtspflichtverletzung noch an sonstige „besondere Voraussetzungen" gebunden1]. b) D i e V e r a n t w o r t l i c h k e i t d e r o b e r s t e n Y e r w a l t u n g s b e a m t e n (Minister)1.
§ 184. Die M i n i s t e r , d. h. diejenigen höchsten Beamten, welche an der Spitze eines Verwaltungszweiges stehen und mit dem Recht der Kontrasignatur ausgestattet sind (vgl. oben S. 276—278, 527 ff.) werden durch die neueren Verfassungen einer besonderen Verantwortlichkeit unterworfen, zu deren Geltendmachung die Volksvertretung berufen ist. Man unterscheidet r e c h t l i c h e und p o l i t i s c h e (parlamenbestimmt wird, daß bei dem Gericht erst dann geklagt werden kann, wenn der schadenstiftende Verwaltungsakt im Verwaltungswege aufgehoben worden ist. Allein diese Beweisführung geht fehl. Allerdings ist (vgl oben § 180 Anm. 10) die Landesgesetzgebung berechtigt, in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten den Rechtsweg auszuschließen, aber nur, soweit nicht zwingende Vorschriften des Reichsrechts entgegenstehen. Eine solche zwingende Vorschrift ist § 11 EGVG. Wenn diese Vorschrift schon nicht gestattet, die Beschreitung des Rechtswegs gegen Beamte von der vorgängigen Erlaubnis einer Verwaltungsinstanz abhängig zu machen, so verbietet er erst recht, den Rechtsweg schlechthin und bedingungslos zu sperren (übereinstimmend Piloty bei v. Seydel-Piloty, Bayer. StR 1 437). Den Rechtsweg für Schadensersatzklagen aus § 839 BGB gegen den S t a a t auszuschließen, wäre die Landesgesetzgebung übrigens auch durch § 4 E G z. ZPO (oben § 180 S. 769 und Anm. 11) das. gehindert. Vgl. O. Mayer, V R (2. Aufl,) 1 207. 1 Freund a. a. 0. 391 ff.; Grevenhorst in W S t V R 2 608; OVG 11 403ff.; A. M. Thudichum, Ann DR 18 *5 640. 1 B e n j a m i n C o n s t a n t , D e l a resjjonsabilité des ministres, Paris 1815; B u d d e u s , Die Ministerverantwortlichkeit in konstitutionellen Monarchien, Leipzig 18äB; R. Mohl, Die Verantwortlichkeit der Minister in Einherrschaften mit Volksvertretung, Tübingen 1837 (das. S. 88 ff. auch die ältere Literatur); H. Bischof, Ministerverantwortlichkeit und Staatsgerichtshöfe in Deutschland, Archiv für öffentliches Recht des deutschen Bundes 3 H. 2 S. l f f . ; Kerchovc de Denterghem, De la responsabilité des ministres dans le droit public beige, 2. édit., Bruxelleá 1847; A. Samuelyj Das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit in der konstitutionellen Monarchie; Konst. Rößler, Studien zur Fortbildung der preußischen Verfassung Abt. I I S. 36 ff.; (Geffcken), Die Reform der preußischen Verfassung 230ff.; Fr. Oetker, Rechtsstaat und Ministerverantwortlichkeit, Augsburger Allgemeine Zeitung 1872 Beilage Nr. 33; F. Hauke, Die Lehre von der Ministerverantwortlichkeit, Wien 1880; John, Art. „Ministerverantwortlichkeit" in v. Holtzendorffs Rechtslexikon 2 776 ff'.; F. Thudichum, Die Ministeranklage nach geltendem deutschen Recht, Ann DR 1*85 637 ff.; Brie im W S t V R 2 884 ff.; v. Seydel-Piioty, Bayer. StR 1 §§ 71—74; Th. Pistorius, Die Staatsgerichtshöfe und die Ministerverantwortlichkeit nach heutigem deutschen Staatsrecht, Tübingen 1891; A. Lucz, Ministerverantwortlichkeit und Staatsgerichtshöfe; Rehm, Staatslehre 325 ff., 344 ff.; v. Frisch, Die Verantwortlichkeit des Monarchen und höchsten Magistrate (1904): R. Passow, Das Wesen der Ministerverantwortlichkeit in Deutschland (1904); Frhr. Marschall v. Bieberstein, Verantwortlichkeit n. Gegenzeichnung bei Anordnungen des obersten Kriegsherrn (1911).
Die Funktionen.
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7
tarische) V e r a n t w o r t l i c h k e i t . Unter letzterer versteht man die Pflicht des Ministers, die politische Zweckmäßigkeit seiner Maßregeln dem Parlamente gegenüber zu vertreten 2 . Die politische Verantwortlichkeit erstreckt sich auf die gesamte Tätigkeit des Ministers, namentlich auch auf die von ihm eingebrachten Gesetzesvorlagen, ist eine notwendige Konsequenz konstitutioneller Staatseinrichtungen und von hoher politischer Bedeutung. Aber sie bildet keinen Gegenstand staatsrechtlicher Betrachtung, sondern erscheint als eine Sache politischer und parlamentarischer Praxis 8 . Für das S t a a t s r e c h t hat nur die r e c h 11 i c h e Verantwortlichkeit Bedeutung. Rechtlich ist der Minister dafür verantwortlich, daß seine eigenen Handlungen und die von ihm kontrasignierten Akte des Monarchen sich innerhalb der gesetzlichen Schranken bewegen. Die Mitwirkung des Ministers bei der Gesetzgebung fällt daher nicht unter den Gesichtspunkt der rechtlichen Verantwortlichkeit. Diese beschränkt sich auf Verwaltungsakte aller Art, insbesondere auch auf Verordnungen 4 . In den deutschen Ländern kamen schon in älterer Zeit Bestrafungen hoher Landesbeamten infolge von Anregungen der Landstände vor. Diese Vorgänge sind jedoch auf die moderne Ministeranklage ohne Einfluß geblieben. Dieselbe hat sich erst mit der Einführung der konstitutionellen Verfassungen in Anlehnung an ausländische Vorbilder entwickelt. 2 [Politische Verantwortlichkeit im Sinne des Textes besagt das Gegenteil von r e c h t l i c h e r Verantwortlichkeit; die „politische" Verantwortlichkeit soll eine nicht-rechtliche, eine nur tatsächliche sein. Hiergegen läßt sich einwenden, daß die als Inhalt dieses Verantwortlichkeit^ Verhältnisses bezeichnete „Pflicht, die Zweckmäßigkeit der Maßregeln dem Parlamente gegenüber zu vertreten" auf R e c h t s sätzen beruht, also eine nicht moralische oder tatsächliche, sondern eine R e c h t s pflicht darstellt, deren Erfüllung auch durch R e c h t s m i t t e l — wenn auch nicht überall durch da» besondere Institut der Ministeranklage — gesichert ist. I n diesem Sinne: R e h m, Staatsl. 822 , 328 , 329 , 337, 338 (der indessen S. 341, 343 zugibt, daß jene Pflicht, je nach Lage des positiven Rechts auch als eine reine „tatsächliche" erscheinen k ö n n e ) ; v. Frisch a. a. 0 . 156, 157, 316; Anschütz, Enzykl. 112, 113, 127. — Unzutreffend ist die Behauptung G. Meyers (s. oben im Text), daß die Pflicht des Ministers, dem Parlamente Rede und Antwort zu stehen, nur auf die Frage der Z w e c k m ä ß i g k e i t der Regierungshandlungen und nicht auch auf die der Rechtsgültigkeit (Verfassungsmäßigkeit) sich erstrecke. Vgl. hiergegen Rehm a. a. O. 833 ff., 3:37, a38, 343.] 8 Pistorius a. a. 0. 2 ff. sieht die parlamentarische Verantwortlichkeit nur als eine engere Art der politischen an und meint, letztere bestehe darin, daß der Minister hinsichtlich seines politischen Verhaltens der öffentlichen Beurteilung und Kritik unterworfen sei. Einer derartigen Verantwortlichkeit unterliegen aber nicht bloß Minister, sondern alle Beamte, überhaupt jeder, der sich am öffentlichen und politischen Leben beteiligt. Spezifisch für die Minister ist lediglich die Vertretung der Rtgierungsmaßregeln vor dem Parlamente * Zu eng faßt L . v. Stein, Verwaltungslehre T . I, Abt. 1 S. 349, die rechtliche Verantwortlichkeit, wenn er sie als die Gesamtheit von Grundsätzen und Maßregeln bezeichnet, welche die Übereinstimmung der ministeriellen V e r o r d n u n g e n mit den bestehenden Gesetzen herzustellen bestimmt ist.
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1 .
I n E n g l a n d 6 ging aus der Befugnis der Commons, hohe Staatsbeamte vor dem König im Großen Rat zur Verantwortung zu ziehen, das Recht der Anklage (impeachment) des Unterhauses hervor. In den Zeiten der Verfassungskämpfe diente dasselbe namentlich dazu, unerlaubte Eingriffe in den verfassungsmäßigen Rechtszustand zu verfolgen. Unter Karl I I . wurde zuerst die Ansicht aufgestellt, daß die Minister auch für honesty, justice und utility ihrer Maßregeln verantwortlich seien, eine Auffassung, welche noch in der heutigen staatsrechtlichen Doktrin Englands Billigung findet. Mit Ausbildung der parlamentarischen Regierung trat aber, soweit die politische Zweckmäßigkeit ministerieller Maßregeln in Betracht kam, an Stelle der förmlichen Anklage das Mißtrauensvotum des Unterhauses. Die Eingriffe in die verfassungsmäßigen Rechte hörten seit dieser Zeit auf. Das impeachment nahm daher, den Charakter einer gewöhnlichen Kriminalanklage an, welche bei Veruntreuungen und ähnlichen Verbrechen in Anwendung gebracht wurde. Bei dem in England geltenden System der Privatanklage gewährt das impeachment den Ministern sogar eine im Vergleich mit anderen rechtlich geschütztere Stellung, indem nach Ansicht der englischen Jurisprudenz die demselben unterworfenen Personen der gewöhnlichen Privatanklage nicht unterliegen. Das Richteramt steht dem Oberhause zu, welches den Angeklagten nicht nur seines Amtes entsetzen, sondern auch zu gewöhnlichen Kriminalstrafen verurteilen kann. 2. Einen anderen Charakter besitzt das Anklagerecht der Volksvertretung in den V e r e i n i g t e n S t a a t e n v o n A m e r i k a 6 . Auch hier ist dem Repräsentanten hause die Anklägerrolle, dem Senat das Richteramt übertragen 7. Aber das Urteil des Senates erstreckt sich nur auf Amtsentsetzung und Unfähigkeitserklärung, in den Vereinigten Staaten ein besoldetes oder Ehrenamt zu bekleiden. Eine etwa sich daranschließende Verurteilung muß durch die ordentlichen Gerichte erfolgen 8 . Durch diese Bestimmungen hat das impeachment gegen den Präsidenten, Vizepräsidenten und die Zivilbeamten der Union, wenn es auch in den Formen eines gerichtlichen Verfahrens und Urteils auftritt, materiell den Charakter 6 Gneist, Englisches Verwaltungsrecht 1 346 ff., 435 ff., Verwaltung, Justiz und Rechtsweg 157ff.; Th. Erskine May, Treatise on the law of parliament, chap. 23; v. Frisch a. a. 0. §§ 5, 12, 33, 55. Vgl. auch Rehm, a. a. 0. 385; Hatschek, engl. StR 1 531 ff., engl. Verfassungsgeschichte 402ff., Staatsrecht des Vereinigten Kgr. Großbritannien-Irland (1914) 83 ff., 115 ff. 6 The Federalist Nr. 65 (Hamilton); Tocqueville, L a démocratie en Amérique L . I . chap. 7; Story, Commentaries on the constitution of the United States, 4. edit., Boston 1873, §§ 743ff.; Rüttimann, Das nordamerikanische Bundesstaatsrecht T . I S. 219 ff.; E. Schlief, Die Verfassung der nordamerikanischen Union 165ff.; v. Holst, Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Amerika, in Marquardsens Handbuch des öffentlichen Rechtes S. 86ff.; Freund, Öffentl. Recht der Verein. Staaten v. Amerika 167ff. 7 Verf. der Verein. Staaten Art. 1 Sect. 2 6 5, Sect. 3 § 6. 8 Verf. der Verein. Staaten Art. 1 Sect. 3 § 6. Freund a. a O. 169.
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einer politischen Maßregel 9 angenommen. Dem entspricht die sachliche Behandlung der Anklagen. Obwohl dieselben in der Verfassung als Hochverrat, Bestechung und andere schwere Verbrechen und Vergehen (treason, bribery or other high crimes and misdemeanors) 10 beschränkt werden, sind sie in der Praxis auch auf Handlungen ausgedehnt worden, welche nicht den Charakter von Rechtsverletzungen besitzen. So gestaltet sich das Verfahren tatsächlich zu einem Urteil des Kongresses über die gesamte politische Richtung eines hohen Beamten der Union n . 3. Die Verfassungen der d e u t s c h e n E i n z e l s t a a t e n haben fast ausnahmslos das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit ausgesprochen und den Landtagen die Befugnis zur Ministeranklage beigelegt. Doch fehlt es in einzelnen Staaten an Ausführungsbestimmungen, so daß die prinzipiellen Festsetzungen der Verfassung praktisch ohne Bedeutung bleiben 1 2 . Die Ministerverantwortlichkeit hat in Deutschland eine wenig klare Ausbildung gefunden. Als Gegenstand der Ministeranklage werden lediglich Rechtsverletzungen betrachtet, namentlich Verfassungsverletzungen und außerdem oft einzelne speziell benannte Verbrechen 18 , in einigen Verfassungen überhaupt Verletzungen der Staatsgesetze14. I n bezug auf den Inhalt der verfolgbaren Handlungen hat daher die deutsche Ministeranklage einen v o r w i e g e n d s t r a f r e c h t l i c h e n C h a r a k t e r 1 6 und erinnert an 9 [Nach Rehin, Staatsl. 335 und N. 3 ist das impeachment in Nordamerika „von Haus aus eine reine Strafklage"; die Ministeranklage habe aber hier wie anderwärts ihre rechtliche Natur geändert: „sie ist teils kriminelle, teils politische Verantwortlichkeit".] ™ Verf. der Verein. Staaten Art, 2 Sect. 4. 11 Story a. a. 0. §§ 796 ff. 12 Namentlich in Preußen, wo das durch Art. 61 der Verf. in Aussicht gestellte Gesetz nicht zustande gekommen ist. 18 Preuß. Verf. Art. 61, Sächs. Verf. § 141, Württ. Verf. § 195, S.-Weim. Rev. GG § 49, S.-Mein. GG § 88, S.-Alt. ÖG. § 36, S -Kob. Goth. StGG § 163, Braunschw. NLO § 108, Old. StGG Art. 200, G. vom 24. März 1855, betr. die Anklage der Mitglieder des Staatsministeriums durch den Landtag, Art. 1, Schw.-Sondh. L G G § 57, Schw.-Rud GG § 6, Reuß j . L. StGG § 107, Wald. Verf. § 66, G., betr. die Verantwortlichkeit der Mitglieder der Staatsregierung wegen Verfassungsverletzung, vom 4. Juni 1850, Art. 1 u. 2. Unter Verfassungsverletzung sind m diesen Bestimmungen Verletzungen der Landesverfassung verstanden. Die betreffenden Vorschriften finden daher bei Verletzung der Reichsverfassung keine Anwendung. Hier tritt nur das Aufsichtsrecht des Reiches [RV Art. 17, 7 Ziff. 3, 19J ein. Vgl. Pistorius a. a. O. S. 190 ff. u Bayer. G , die Verantwortlichkeit der Minister betr. vom 4. Juni 1848 Art 9, Hess. G. über die Verantwortlichkeit der Minister vom 5. Juli 1821 Art. 1, Schaumb.-Lippe Verf. Art. 43, G. die Verantwortlichkeit der Regierungsmitglieder betr., vom 2. Jan. 1849 Art. 1. 16 Diese Auffassung tritt auch in der Theorie hervor, v. Gerber § 58 * S. 193 ff.; H. A.Zachariä 1 § 59 S. 311 ff.; Zöpfl 2 §403 S. 410 ff.; Grotefend § 701; Held 2 § 383 S. 367 ff; R. v. Mohl, Württembergisches Staatsrecht §§ 129ff, Ministerverantwortlichkeit 28ff.; K. Rößler a. a. O. 63; Bischof a. a. 0 . 15; Hauke a. a. 0 . 18ff.; Ulbrich, österreichisches Staatsrecht § 310 S. 729; Pistorius a. a. 0 . 179. [Weitere Vertreter führt an v. Frisch a. a. O.
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das englische impeachment. Dagegen nähert sie sich in bezug auf den Inhalt des Urteils dem amerikanischen System. Das Urteil darf nach den meisten Verfassungen nur auf Amtsverlust und Unfähigkeit zur Bekleidung anderweiter Ämter lauten. Die Verhängung einer Strafe bleibt dem ordentlichen Gerichtsverfahren vorbehalten 16 . Von diesen Grundsätzen ist nur die badische Gesetzgebung abgewichen 17 , nach welcher die Ministeranklage nicht bloß wegen Verletzung der Verfassung oder anerkannter verfassungsmäßiger Rechte, sondern auch wegen schwerer Gefährdungen der Sicherheit und Wohlfahrt des Staates zulässig ist. Das Urteil geht auf Verlust des Amtes und Unfähigkeit zur Bekleidung weiterer Ämter. Die Unklarheiten, an welchen das deutsche System der Ministeranklage leidet, sind dadurch verstärkt worden, daß man die Frage der Ministerverantwortlichkeit getrennt von den übrigen Rechtskontrollen der Verwaltung behandelte. Man sah in derselben nicht bloß ein Mittel zur Aufrechterhaltung des objektiven Verfassungszustandes, sondern auch ein solches z u m S c h u t z der verfassungsmäßigen Individualrechte 18. Gegen die Entscheidungen, welche der Minister als oberster Interpret des Verfassungsrechtes gab, glaubte man ein außerordentliches Rechtsmittel in den Formen eines Strafverfahrens gefunden zu haben. Diesen Zwecken zu dienen ist jedoch die Minisleranklage völlig ungeeignet; die Garantie für die Aufrechterhaltung der Individualrechte vermag nur eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit zu gewähren. Noch weniger darf die Ministeranklage, wie es durch das badische G. vom 20. Februar 1$68 geschehen ist, als ein Mittel betrachtet werden, um ein Urteil ü b e r das p o l i t i s c h e V e r h a l t e n des M i n i s t e r s herbeizuführen 19 . Politisch unzweckmäßige oder gefährliche Handlungen eines Ministers können politische Maßregeln der Volksvertretung gegen ihn zur Folge haben, 176 ff., der selbst nicht dieser Meinung ist. Gegen die strafrechtliche Auffassung auch Rehm a. a. 0 . 328 ff.] 10 Bayer. G. vom 4. Juni 1848 Art. 9, Sachs. Verf. § 148, Württ. Verf. § 203, Braunschw. N L O § 110, S -Kob.-Goth. StGG § 164. — Dagegen kann nach den Bestimmungen des S.-Weim. R G G § 58, des Reuß j. L. StGG § 114 und des Old. G. vom 24. Marz 1855 Art. 23 neben der Dienstentlassung die Verurteilung zu einer Kriminalstrafe erfolgen. Die Württ. Verf. § 203 und das S.-Kob.-Goth. StGG § 164 gestatten neben der Amtsentsetzung und Suspension die Verhängung von Verweisen, erstere auch die von Geldstrafen, ebenso das Schaumb.-Lipp. G. vom 2. Jan. 1849 Art. 7. 17 Bad. G., die Abänderung des § 67 der Verf.-Urk. bezüglich der Verantwortlichkeit der Minister betr., vom 20. Febr. 1868 Art. I V § 67 a. 18 R. Mohl, Ministerverantwortlichkeit 5, 227 und 228. 19 Dieser Standpunkt wird allerdings von vielen Schriftstellern vertreten. Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht 257; Samuely a. a. O. 76ff.; H. Schulze, Preußisches Staatsrecht § 281; K . Rößler 72 ff.; iGeffcken) 231; Opitz, Sächsisches Staatsrecht 2 243. Vgl. dagegen auch Hauke a. a. O. 15 ff.; Thudichum a. a. 0. 684 ff.; Pistorius a. a. 0 . 182 ff.
Die Funktionen.
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aber sie eignen sich nicht dazu, zürn Gegenstande eines gerichtlichen Verfahrens und einer Aburteilung durch einen Staatsgerichtshof gemacht zu werden. Es kann auch das amerikanische Beispiel in dieser Beziehung nichts entscheiden, da die staatsrechtliche Stellung des Kongresses zum Präsidenten und den ihm untergeordneten Beamten eine ganz andere ist als die der deutschen Landtage und Staatsgerichtshöfe zu den Ministern. Die Ministeranklags ist endlich auch nicht als ein D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n gegen den Minister aufzufassen 20. Das Disziplinarverfahren gegen Staatsdiener wird von der vorgesetzten Behörde eingeleitet, während die Volksvertretung im Verhältnis zum Minister nicht als vorgesetzte Behörde erscheint. Der Kreis von Handlungen, welche zur Erhebung einer Ministeranklage Veranlassung geben können, ist ein viel engerer als derjenige, welcher der disziplinaren Aburteilung unterliegt; gerade die praktisch wichtigsten Anwendungsfälle der Disziplinargerichtsbarkeit funordentliche Geschäftsführung, unwürdiges Verhalten im Amt) fallen nicht in den Bereich der Ministeranklage. Für diejenigen Zwecke, welchen die Beamtendisziplin dient, wird bei den Ministern in der Regel schon die freie Entlassungsbefugnis des Monarchen ausreichen. Die Ministeranklage ist eine außerordentliche Maßregel, welche die Aufgabe hat, die Minister wegen vorsätzlicher widerrechtlicher Eingriffe i n d e n o b j e k t i v e n R e c h t s z u s t a n d 2 1 zur Verantwortung zu ziehen. Sie tritt ein bei Verfassungsverletzungen und Gesetzesverletzungen, welche die Minister in Ausübung von Verwaltungsbefugnissen oder der Verordnungsgewalt begehen. Sie hat den Charakter eines S t r a f v e r f a h r e n s , aber nicht den eines ordentlichen Strafverfahrens zur Verfolgung gemeiner Verbrechen, sondern den eines besonderen, außerordentlichen, staatsrechtlichen Strafverfahrens, das der Aufrechterhaltung des bestehenden Rechtszustandes zu dienen bestimmt ist. Demgemäß lautet auch das Urteil auf Strafe, aber nicht auf eine Strafe, welche dem gewöhnlichen Strafensystem angehört, sondern auf eine, welche in der besonderen staatsrechtlichen Stellung des Ministers ihre Begründung findet 22. Diese staatsrechtliche Seite der Ministeranklage ist durch die R e i c h s j u s t i z g e s e t z e nicht berührt Samuely a. a. 0 . S. 40 ff., 87 ff.; H. Schulze, Preußisches Staatsrecht § 280, Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes 1 801; v. Sarwey, Württembergisches Staatsrecht 2 248; Seydel, Bayerisches Staatsrecht (2. Aufl.) 1 520ff.; v. Seydel-Piloty a. a. O. 1 §42ff.; Hübler, Organisation der Verwaltung S. 12; Otto Mayer im ArchOffR 19 424; Derselbe, Sächs. StR 220 ; Anschütz, Enzykl. 127, 128. — Vgl. dagegen auch Hauke a. a. 0 . 21 ff.; Ulbrich a, a. 0 . ; Pistorius a. a. 0 . 52 ff., 94 ff.; Rehm a. a. 0 . 828 ff.; Passow, Das Wesen der Ministeryerantwortlichkeit in Deutschland 17ff.; v. Fritsch a. a. 0...171 ff. 21 Ubereinstimmend: Pistorius a. a. 0 . 178; Lucz a. a. 0 88, 39. 28 Vgl. auch Pistorius a. a. 0 . 179; v. Frisch a. a. 0 . 178. Übereinstimmend mit dem Text auch van Calker, Hess. StR 69, 76 und Anm. 5. G. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
III.
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worden. Nur soweit dieselbe ausnahmsweise den Zwecken einer strafprozessualischen Verfolgung, nämlich der Bestrafung von Amtsund gemeinen Verbrechen dient, hat eine Einwirkung stattgefunden. Insbesondere ist die diesbezügliche Zuständigkeit der Staatsgerichts, höfe auf die ordentlichen Gerichte [und das Anklagerecht der Volksvertretung auf die Staatsanwaltschaft] übergegangen 28. § 185. Die n ä h e r e n B e s t i m m u n g e n der deutschen Verfassungen und Gesetze über die Ministeranklage sind folgende: Der Anklage unterliegen regelmäßig nur die M i n i s t e r , d. h. diejenigen höchsten Staatsbeamten, welche an der Spitze eines Verwaltungszweiges stehen und mit dem Amt der Gegenzeichnung betraut sind, einerlei ob sie den Titel „Minister" führen oder nicht 1 . Mitunter ist die Möglichkeit, angeklagt zu werden, auch auf andere Beamte ausgedehnt, welche durch eine selbständige Verfügung Bestimmungen der Verfassung verletzt haben 2 . A n k l ä g e r ist da, wo Einkammersystem besteht, der Landtag. I n den Staaten mit Zweikammersystem wird zu einer Anklage entweder ein übereinstimmender Beschluß beider Kammern gefordert 8 oder das Recht derselben steht jeder der beiden Kammern z u 4 oder es ist lediglich der zweiten vorbehalten 5 . Vereinzelt ist auch dem Monarchen das Recht eingeräumt worden, aus eigenem Antrieb eine Untersuchung gegen einen Minister beim Staatsgerichtshofe anzuordnen 6. Als R i c h t e r fungiert in einigen Staaten das O b e r l a n d e s g e r i c h t 7 , in anderen ein besonderer S t a a t s g e r i c h t s h o f , 23
Vgl. darüber Thudichum a. a. 0 . 648ff. s Pistorius a. a. 0 . 155 ff. Preuß. Verf. Art. 61, Bayer. G. vom 4. Juni 1848 Art. 9, Sachs. Verf. § 141, Bad. G. vom 20. Febr. 1868 Art, I V § 67 a, S.-Weim. RGG § 51, Schw.-Sondh. L G G § 572 Schw.-Rud. GG § 6. Reuß j. L. StGG §§ 107 und 108. I n Schaumburg-Lippe, wo ein eigentliches Ministerialsystem nicht existiert, erfolgt die Kontrasignatur durch ein Mitglied der Regierung. Dieses übernimmt damit die Verantwortlichkeit und unterliegt der Anklage durch den Landtag (G. vom 2. Jan. 1849 Art. 2, 3). s Württ. Verf. §§ 53 u. 199, S.-Mein. G G § 88, S.-Kob.-Gotha StGG § 163, Braunschw. N L O £ 108, Old. StGG Art. 208. 8 Bayer. Verf. Tit. X § 6, Sachs. Verf. § 141, Hess. G. über die Verantwortlichkeit der Minister und obersten Staatsbeamten vom 5. Juli 1821 Art. 4. [Die von den beiden Kammern des hessischen Landtags zu erhebende Ministeranklage ist keine Anklage im strengen prozessualen Sinne, vielmehr nur ein an den Landesherrn gerichteter Antrag, den betreffenden Minister „in Anklagezustand zu versetzen", vgl. van Calker, Hess. StR 74. Allerdings ist der Landesherr rechtlich verpflichtet, dem Antrage, falls er formgerecht gestellt wird, zu entsprechen, und zwar „möglichst bald" (Min. Verantw. Ges. vom 5. Juli 1821, Art. 4 Abs. 2), indessen ist ihm hierfür keine bestimmte Frist gesetzt worden]. * Preuß. Verf. Art. 61, Württ. Verf. § 179. » Bad. G. vom 20. Febr. 1868 Art. I V § 67 a. 6 Hess. G. vom 5. Juli 1821 Art. 4, Wald. G. vom 4. Juni 1850 Art, 8. 7 Hess. G. vom 5. Juli 1821 Art, 3 u. 5, G. vom 8. Jan. 1824, AusfG. 1
Die Funktionen.
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welcher unter vorzugsweiser Berücksichtigung des höheren richterlichen Elementes zur Hälfte vom Monarchen, zur anderen Hälfte vom Landtage besetzt w i r d 8 . I n Baden setzt sich der Staatsgerichtshof aus den Mitgliedern der ersten Kammer und höheren richterlichen Beamten zusammen, aus denen er unter Einräumung eines ausgedehnten Ablehnungsrechtes an die Parteien durch das Los gebildet w i r d 9 . Das V e r f a h r e n ist regelmäßig ein öffentlich-mündliches und kontradiktorisches, in welchem die Anklage durch besondere Bevollmächtigte des Landtages oder der anklagenden Kammer vertreten w i r d 1 0 . R e c h t s m i t t e l gegen das Urteil sind entweder ganz ausgeschlossen oder es werden höchstens Revision, d. h. Antrag auf nochmalige Untersuchung durch dasselbe Gericht, oder Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zugelassen. Nur sehr vereinzelt sind alle Rechtsmittel des Strafprozesses vorbehalten 11 . Das B e g n a d i g u n g s r e c h t des Monarchen darf gegenüber einem verurteilten Staatsminister nach den meisten Verfassungen entweder gar nicht oder nur mit Zustimmung des Landtages bzw. zum R G V G vom 3. Sept. 1878 Art. 6, S.-Mein. GG § 88, AusfG. zum R G V G vom 16. Dez. 1878 § 31, S.-Alt. GG. § 37, AusfG. zum R G V G vom 22. März 1879 § 6, S.-Kob.-Gotha StGG § 171, AusfG. zum R G V G vom 7. April 1879 § 2 8 , Reuß j. L . G. vom 12. Sept. 1879, Schw.-Rud. GG § 66, AusfG. zum R G V G vom 1. März 1879 § 6. — I n Preußen sollte als Gericht der oberste Gerichtshof fungieren (Verf. Art. 61), eine Bestimmung, welche bei der jetzigen Gerichtsorganisation nicht mehr anwendbar ist. Dasselbe gilt von einer ähnlichen Bestimmung in Waldeck nach dem G. vom 8. Mai 1875 und Schaumburg-Lippe nach dem G. vom 2. Jan. 1849 Art. 3. 8 Sachs. Verf. §§ 112 und 143, Württ. Verf. §§ 195 und 196, S.-Weim. R G G §§ 51—53, G. vom 27. März 1878, Braunschw. G. vom 19. März 1850 § 2, Old. StGG Art. 201 Ani. I I I , G. vom 24. März 1855 Art. 5. — I n ßayern wird der Staatsgerichtshof aus dem Präsidenten, den sechs ältesten nicht abgelehnten Räten des obersten Gerichtshofes und zwölf Geschworenen gebildet (G. vom 30. März 1850). 9 Bad. G. vom 20. Febr. 1868 Art. I V § 67 b, G., das Verfahren bei Ministeranklagen betr., vom 11. Dez. 1769 §§ 7—15, EinfG. zu den Reichsjustizgesetzen vom 3. März 1879 § 7. 10 Bayer. G. vom 4. Juni 1848 Art. 11, G. vom 30. März 1850, Sächs. Verf. §§ 146 u. 147, G., das Verfahren in den an den Staatsgerichtshof gelangenden Sachen betr., vom 3. Febr. 1838, Württ. Verf. §§ 199—202. Bad. G. vom 11. Dez. 1869 SS 16 ff., G. vom 3. März 1879 § 71, S.-Weim. G. über die Erhebung von Anklagen gegen Minister und das dabei einzuhaltende Verfahren vom 22. Okt. 1850, S.-Kob.-Gotha StGG § 171, Braunschw. N L O § 110, Old. G. vom 24. März 1855 Art. 8—16. 11 Gar keine Rechtsmittel gestatten: das Bayer. G. vom 30. März 1850 Art. 20, Bad. G. vom 11. Dez. 1869 § 23, S.-Weim. G. vom 22. Okt. 1850 § 23, Revision: die Sächs. Verf. § 149 und das Old. StGG Anl. I I I §§ 20 u. 21, weitere Verteidigung mit Versendung der Akten an eine Juristenfakultät das Schaumb.-Lipp. G. vom 2. Jan. 1849 Art. 6, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: die Braunschw. N L O § 110, Revision und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: die Württ. Verf. § 204 und das Hess. G. vom 5. Juni 1821 Art. o u. 7, alle strafprozessualischen Rechtsmittel: das Schw.-Rud. G G § 8 und Reuß j. L. StGG § 114. 52*
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§
1 .
der anklagenden Kammer in Anwendung gebracht werden 12 . Insoweit das Urteil auf Amtsverlust und Unfähigkeit zur Wiederanstellung lautet, hat die Begnadigung die Bedeutung, eine Wiederanstellung zu ermöglichen. Eine solche ist jedoch in einzelnen Staaten auch dann gestattet, wenn das verurteilende Erkenntnis einen ausdrücklichen Vorbehalt in dieser Beziehung enthält 18 .
§ 186. I m D e u t s c h e n R e i c h e ist nach der R. V. (Art. 17) der R e i c h s k a n z l e r der einzige Beamte, welcher eine den Ministern der Einzelstaaten analoge Stellung einnimmt und einer entsprechenden Verantwortlichkeit «unterliegt. [Diese Verantwortlichkeit hat in bezug auf die von ihm gegengezeichneten kaiserlichen Anordnungen und Verfügungen eine ausdrückliche reichsverfassungsmäßige Anerkennung gefunden 1, umfaßt jedoch auch diejenigen Akte des Kaisers, welche der Reichskanzler, ohne sie kontrasigniert zu haben, ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt hat, sowie, selbstverständlich auch die eigenen Handlungen des Reichskanzlers. Dem Reichskanzler stehen die auf Grund des Reichsgesetzes vom 17. März 1878 für ihn ernannten Stellvertreter gleich. Die Verantwortlichkeit ist grundsätzlich als eine r e c h t l i c h e anzusehen. Sie erstreckt sich nicht nur darauf, daß die vom Reichskanzler ausgehenden oder kontrasignierten Akte der Reichsverfassung, den Reichsgesetzen und auf den Gebieten, auf welchen der Bundesrat Kompetenz besitzt, den Verordnungen und Beschlüssen des Bundesrates entsprechen, sondern auch auf die Zweckmäßigkeit der A k t e 2 . Mittel, um die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers und seiner Stellvertreter geltend zu machen, gewährt zunächst das Z i v i l - , Straf- und Disziplinarrecht. In Zivil- und Strafsachen gegen den Reichskanzler und seine Stellvertreter sind, gemäß den allgemeinen Bestimmungen und im gewöhnlichen Verfahren, die ordentlichen Gerichte zuständig; die Ausübung der Disziplinargewalt gegenüber den obersten Beamten ist allein Sache des Kaisers a . Weiterhin fehlt es aber auch nicht an Mitteln, vermöge deren Bundesrat und Reichstag den Reichskanzler und seine Stellvertreter zur Rechenschaft ziehen können. Zwar die Einrichtung der Ministeranklage (oben §§ 184, 185) kennt das Reichsstaatsrecht nicht. Aber andere Möglichkeiten kommen in Betracht. Es ist Rechtspflicht des Reichskanzlers, die kaiserliche Politik als 12 Preuß. Verf. Art. 49, Bayr. G. vom 4. Juni 1848 Art. 12, Bad. G. vom 20. Febr. 1868 Art. I I § 67 a, S.-Weim. R G G § 59, S.-Kob.-Goth. StGG § 176, Braunschw. N L O § 111, Schw.-Sondh. L G G § 57, Reuß j . L. StGG § 116, Schaumb.-Lipp. G. vom 2. Jan. 1849 Art. 8, Wald. Verf. § 12, G. vom 4. Juni 1850 Art. 16. Sachs. Verf. § 150, Württ. Verf. § 205, Reuß j. L. StGG § 116. 1 RVerf. Art. 17. Vgl. oben § 135 S. 527. 2 Vgl. oben § 135 S. 528; Anschütz, Enzvkl. 112. » Vgl. oben § 153 S. 627 (Entlassungsrecht).
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die seinige vor dem Reichstag und Bundesrat, soweit er kann, zu vertreten, Rechtspflicht, auf Interpellationen und kurze Anfragen J> im Reichstage zu antworten; ein Rechtsmittel, nicht nur ein politisches Machtmittel liegt in der Befugnis des Reichstags, seine von der des Kanzlers abweichende Ansicht in Form einer Resolution0 oder Adresse oder durch Handhabung des Ausgabenverweigerungsrechts oder durch Versagung der Entlastung (RV. Art. 72) kund zu tun d . Auf die Beschlüsse des B u n d e s r a t e s erstreckt sich, wie in anderem Zusammenhange bereits erwähnt (oben S. 528), die Verantwortlichkeit des Kanzlers und seiner Stellvertreter nicht. Es kann aber für diese Beschlüsse auch sonst niemand rechtlich verantwortlich gemacht werden: die Mitglieder des Bundesrates schon deshalb nicht, weil sie nicht nach ihrer Überzeugung, sondern nach der Instruktion ihrer Regierungen abstimmen. Für die Befolgung der Instruktion ist das Bundesratsmitglied lediglich seinem Auftraggeber, also seiner Regierung, für den Inhalt der Instruktion ist die Regierung ihrem Landtage — nach Maßgabe des Landesstaatsrechts — verantwortlich 3 ] * Oben § 128 S. 502, 503 und Anm. 6. c Oben § 128 S. 503 Anm. 8.
3 G. Meyer bemerkte hierzu in der Vorauf!. (S. 753 N. 3): And. Ansicht : Haenel a. a. 0 . S. 292, der sogar behauptet, „nur die kompendiarische Gedankenlosigkeit könne es unternehmen, das Budgetrecht beider Typen auf einen una denselben juristischen Leisten zu schlagen". W e r allerdings wie Haenel annimmt, das in Form des Gesetzes aufgestellte Budget enthalte ausnahmslos Rechtssätze, der muß auch notwendig für beide Fälle der Etatsfestsetzung verschiedene Grundsätze aufstellen. Anders liegt die Sache dagegen für diejenigen, welche den Etat als Gesetz im formellen Sinne an-
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§
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Die Feststellung des Etats muß sich i n n e r h a l b d e r ges e t z l i c h e n S c h r a n k e n bewegen. Die englische Einrichtung der f o r m e l l e n Teilung des Budgets in einen gesetzlich feststehenden und einen beweglichen Teil hat in Deutschland keinen Eingang gefunden. M a t e r i e l l besteht aber auch in den deutschen Staaten diese Unterscheidung. Die deutschen Landtage besitzen kraft ihres Etatsrechts kein unbeschränktes Einnahme- und Ausgabebewilligungsrecht. Da sie die bestehenden Gesetze nicht einseitig aufheben können, so sind sie verpflichtet, die gesetzlich feststehenden Einnahmen und Ausgaben in den Etat aufzunehmen; sehen. Denn von dem Standpunkt dieser aus haben die Etatsfestsetzungen über die gesetzlich feststehenden Einnahmen und Ausgaben auch bei dem in. Gesetzesform auftretenden Etat nur den Charakter von Deklarationen bez. Veranschlagungen; andererseits ist aber der ohne Gesetzesform zwischen Regierung und Landtag vereinbarte Etat für die Finanz Verwaltung ebenso bindend wie der durch Gesetz festgestellte. [Der Unterschied zwischen den beiden ("„Typen" des deutschen Budgetrechts, dem preußischen, von der Reichsverfassung übernommenen und dem mittelstaatlichen (insbesondere bayerisch-sächsischen) System ist namentlich von Seydel in seinen Arbeiten über bayerisches Budgetrecht (s. oben § 204 N. 1 und § 204 a N. 8, 12) klarestellt worden. Es kann zugestanden werden, daß b e i r i c h t i g e r A u f a s s u n g der rechtlichen Natur des Budgets, welches auch dann, wenn es im Gewände des formellen Gesetzes erscheint, ein Verwaltungsakt ist und bleibt, der Unterschied der beiden Typen im praktischen Effekt gering erscheint. Insbesondere ist die Bindung der Regierung an das zustandegekommene Budget in Bayern und Sachsen nicht schwächer als in Preußen, andererseits die budgetrecntliche Macht des preußischen Landtages, welche über den Staatshaushalt in legislativen Formen b e s c h l i e ß t , nicht stärker als der entsprechende Einfluß der bayrischen oder sächsischen Volksvertretung, denen nach der Verfassung nur das Recht zusteht, das Budget zu „prüfen" (oben 882). Es ist weiterhin zuzugeben, daß die neuere Rechtsentwicklung und die Praxis der Mittelstaaten, insbesondere in Württemberg, Baden und Hessen (oben S. 884, 885) vieles dazugetan hat, um den Unterschied der beiden Budgetrechtssysteme zu verwischen. Trotzdem aber besteht dieser Unterschied, und zwar mit einer im juristischen Sinne g r u n d s ä t z l i c h e n Bedeutung auch heute noch. So die herrsch. M.; vgl. außer v. Seydel und Haenel a. a. 0 . : Laband 4 578; Jellinek im Handwörterb. a. a. 0 . 815; Zorn, A n n D R 1889 867ff.; van Calker, Das Bad. Budgetrecht 1 4ff.; Anschütz, Enzykl. 187ff.; — Die Seydelsche Grundauffassung des bayrischen Budgetrechtes ist auch von Graßmann in seiner Bearbeitung der 8. Aufl. des Seydelschen Staatsrechts, 2 95ff. gegen die inzwischen erfolgten Angriffe Rehms, AnnDR 1901 641 ff. aufrechterhalten worden. Eine ausführliche Widerlegung Rehms gibt Piloty in den Blättern f. admin. Praxis, zunächst in Bayern 62 1 ff. Ähnlich wie Rehm dagegen Geßler, Die budgetrechtliche Bedeutung der Staatsausgaben nach bayer. Staatsrecht (Erlanger Diss. 1900). Die Ausführungen Rehms scheitern jedenfalls an dem klaren Wortlaute der bayrischen Verfassung, dem eine „Feststellung des Budgets in Gesetzesform" unbekannt ist und demzufolge das Budget, insbesondere also auch der Ausgabebedarf den Ständen nur zur „ P r ü f u n g " vorzulegen ist. Die Worte „Prüfung" und „prüfen" kann Rehm aus der genannten und anderen Verfassungen (vgl. Bayr. Verf. T i t V I I § 4, Württ. Verf. § 111) nicht wegschaffen. Vgl. weitere Literaturan gaben bei Seydel-Graßmann a. a. 0 . 2 95, 96 Anm. 1. Die g r u n d s ä t z l i c h e Bedeutung des in Rede stehenden Unterschiedes wird außer von Rehm noch geleugnet von 0 . Mayer, Deutsches V.-R. (1. Aufl.) 1 384 N. 14 und Sachs. StR 200 Anm. 20].
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nur hinsichtlich der rechtlich nicht notwendigen (beweglichen) Einnahmen und Ausgaben ist die Bewilligung ihrem freien Ermessen überlassen 4 . I n den A u s g a b e e t a t müssen alle r e c h t l i c h n o t w e n d i g e n A u s g a b e n eingestellt werden. Die Aufnahme enthält keine Be4 Die Behauptung eines unbeschränkten Steuerverweigerungsrechtes ist für Württemberg namentlich aufgestellt worden von P. A. Pfizer, Das Hecht der Steuerbewilligung nach den Grundsätzen der württembergischen Verfassung (1836). Für Preußen hat die Frage, da Art. 109 der Verfassung die Forterhebung aller bestehenden Steuern und Abgaben, bis sie durch ein Gesetz abgeändert sind, anordnet (oben 887, 888), nur für das Ausgabenbewilligungsrecht Bedeutung. I n bezug auf dieses behaupten ein unbedingtes Bewilligungs- und Verweigerungsrecht: E. Lasker, Zur Verfassungsgeschichte Preußens 335 ff.; v. Roenne, Preußisches Staatsrecht, 3. Aufl. 1 415 (anders 4. Aufl. 1 602, 603 und v. Roenne-Zorn, 5 102, 103, vgl oben § 204* N. 29) 415; Zorn, StR 1 450 ff. und AnnDR 1889 371; Arndt im Archiv für öffentl. R-echt B 558 ff., Annalen a. a. O. S. 231, [auch Reichsstaatsrecht S. 328, wogegen er im Komm, zur Preuß. Verf. 337, 342 zugibt, daß der Landtag zur Bewilligung der „gesetzlich vorgeschriebenen und unbedingt notwendigen" Ausgaben v e r p f l i c h t e t sei]. Dagegen wird der Grundsatz, daß die Aufstellung des Etats in Preußen wie anderwärts sich innerhalb der gesetzlichen Schranken bewegen müsse, von den meisten neueren Schriftstellern anerkannt, namentlich von Gneist, der denselben zuerst hervorgehoben hat, in den § 204 S. 747 N. 1 erwähnten Schriften, ferner von Laband und Fricker in den eben daselbst zitierten Abbandlungen; außerdem von Laband, Staatsrecht 4 522ff.; Fricker, Sächsisches Staatsrecht 230; H . Schulzc, Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes 1 588, Preußisches Staatsrecht 2 209; Ulbrich, Österreichisches Staatsrecht § 270 S. 659; v. Sarwey, Württembergisches Staatsrecht 2 515 u. 516 M. 7, 518, 525; Jellinek a. a. O. 286 ff. und in dem mehrfach zit. Artikel „Budgetrecht"; Seligmann, Begriff des Gesetzes 83ff.; Seydel-Graßmann, Bayer. Staatsr. 2 95ff.; Seidler a. a. 0 . 233, 236; Bornhak, Preußisches Staatsrecht 3 581 ff.; Loebe a. a. 0 . 13ff; W . v. Melle, Harnburgisches Staatsrecht 136; in neuerer Zeit v. Rönne, Preußisches Staatsrecht (4. Aufl.) 1 602, 603, v. Roenne-Zorn a. a. O. 8 102,103; 1 § 116 S. 60% Rehm, Staats! 297 ff. (auf allgemein-staatsrechtlicher Grundlage) und AnnDR 19Dl 541 ff. (für Bayern); van Calker, Bad. Budgetrecht, insbes. 242ff.; Anschütz, Enzykl. 155, 189, 190 und auch von einem Teil derjenigen Schriftsteller, welche die Bezeichnung des Etats als eines Gesetzes im formellen Sinne verwerfen, namentlich von v. Martitz a. a. 0 . 272; Haenel a. a. 0 . 299; Arndt, Komm. z. preuß. Verf. 337, 342; Schwartz a. a. 0 . 300. [Eine amtliche, oft zitierte (Laband, Staatsr. 4 529 N. 2; Seydel, Komm. 395, Rehm, Staatsl. 298 N. 2; Arndt, Reichsstaatsr. 333) Anerkennung der Richtigkeit des im Text vertretenen Standpunktes enthält die Erklärung des Reichsschatzsekretärs G r a f e n v. P o s a d o w s k y im Reichstage vom 20. März 1896 (Sten. Ber. S 1611): „Ich habe . . . namens der verbündeten Regierungen zu erklären, daß sie eine Abänderung bestehender Gesetze in Verbindung mit dem Etatsentwurfe nicht akzeptieren können. Nach den Überweisungsgesetzen wie nach den Zolltarifgesetzen haben die Regierungen Anspruch auf den vollen Betrag der Überweisungssummen, bzw. den vollen Ertrag der Zölle, soweit sie die Summe von 130 Mill. Mark übersteigen. Die verbündeten Regierungen glauben es als staatsrechtlich nicht zulässig erachten zu müssen, daß ein bestehendes Gesetz in Verbindung mit dem Etatgesetz abgeändert wird und würden eine solche Form des Etatsgesetzes nicht akzeptieren können." — Mit dieser Erklärung wollte gesagt sein: die Regierung braucht sich nicht gefallen zu lassen, daß die Volksvertretung das Budget mit Bestimmungen „bepackt", die eine Abänderung oder Auihebung bestehender Gesetze oder gesetzlicher Einrichtungen in sich schließen.]
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willigung, sondern nur eine Anerkennung derselben 5. Zu diesen rechtlich notwendigen Ausgaben gehören die an das Reich zu zahlenden Matrikularbei träge, die Dotation der Krone, die Aufwendungen für die kraft gesetzlicher Anordnung bestehenden Behörden und Anstalten, die auf Gesetz oder rechtsverbindlichen Zusicherungen beruhenden Dienstbezüge der Beamten, sowie alle Leistungen des Staates an Dritte, welche auf einem privatrechtlichen Titel beruhen, z. B. die Zinsen der Staatsschulden. Für die Leistung von rechtlich nicht notwendigen („willkürlichen") Ausgaben bedarf die Regierung der Bewilligung des Landtages. Neue Ämter, mit denen ein Gehalt verbunden ist, können daher ohne Genehmigung desselben nicht errichtet werden 6 . Der Umstand, daß eine Ausgabeposition in einen früheren Etat aufgenommen ist, verpflichtet den Landtag nicht, sie in den künftigen aufzunehmen, sofern ein gesetzlicher Titel für die Ausgabe nicht besteht 7 . Ebenso sind in den E i n n a h m e e t a t alle g e s e t z l i c h f e s t s t e h e n d e n E i n n a h m e n aufzunehmen. Diese Aufnahme hat nicht den Charakter einer Bewilligung, sondern den einer Veranschlagung oder Deklaration 8 . Gesetzlich feststehend ist der weitaus größte Teil der Staatseinnahmen; namentlich 1. der privatrechtliche Erwerb des Staates, dessen Ergebnisse wesentlich von geschäftlichen Konjunkturen abhängen; 2. die Gebühren; in den 5 I m Gegensatz zu der hier vertretenen Auffassung behauptet Haenel a. a. 0 . 828, durch die Aufnahme in das Budget würden die Ausgaben in Beziehung zu einem Gesamtplan gebracht und erhielten dadurch eine neue und spezifische rechtliche Qualifikation. M i t dieser Behauptung wird aber eine besondere Rechtswirkung des Etats für die gesetzlich bestehenden Ausgaben nicht nachgewiesen; ihre Aufnahme in den Gesamtplan hat keine andere Bedeutung, als der Gesamtplan überhaupt besitzt. Über letztere vgl. § 206 N. 1. 6 Überhaupt können Organisationen, die mit Ausgaben verbunden sind, nicht in Vollzug gesetzt werden, bevor diese Ausgaben vom Landtage bewilligt sind. Die Organisationsgewalt der Regierung (oben § 159, S. 670, 671) ist durch das Budgetrecht des Landtags beschränkt, nicht umgekehrt. Vgl. die gesetzliche Festlegung dieses Grundsatzes in Baden (Etatsgesetz vom 24. Juli 1888 Art. 14, 38), Hessen (G. vom 14. Juni 1879, Art. 14). Übereinstimmend: v. Rönne, Preuß. Staatsr. (4. Aufl.) 1 424; Arndt, Komm. z. Verf. 194; Bornhak, Preuß. StR (2. Aufl.) 1 486 (anders 1. Aufl. 1 460 ff.); v. SeydelPiloty, Bayer. StR 1 321, 322; v. Sarwey, Württ. StR 2 521 ff. I m Sinne des Textes hat sich auch die preuß Staatsregierung im Jahre 1869 im Herrenhause ausgesprochen; vgl. oben § 159 S. 670 Anm. 5. 7 - Eine entgegengesetzte Bestimmung enthält das S.-Alt. G G § 203. 8 Haenel a. a. 0 . 317 behauptet, in bezug auf die gesetzlich feststehenden Einnahmen enthalte das Budget eine A p p r o p r i a t i o n , d. h. die Finanzverwaltung empfange dadurch das Recht, über diese Einnahme für Zwecke der Ausgaben zu verfügen, sowie die Pflicht, sie dafür bereit zu halten. Aber dieses Recht und diese Pflicht beruhen nicht auf dem E i n n a h m e - , sondern auf dem Ausgabebudget. Der Ausdruck Appropriation ist dem englischen Staatsrecht entnommen, er bedeutet auch dort nicht Bewilligung von E i n n a h m e n , sondern Festsetzung der A u s g a b e n , für welche die bewilligten Einnahmen verwendet werden sollen.
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meisten Staaten ferner 3. die indirekten Steuern; 4. die Verkehrssteuern; 5. ein Teil der Einkommen- und Ertrags steuern, nämlich: a) diejenigen, für welche die jährlich aufzubringende Steuersumme durch Gesetz fixiert ist (sogenannte kontingentierte Steuern), und b) diejenigen, bei welchen der Betrag, den der einzelne Steuerzahler nach Maßgabe seiner Leistungsfähigkeit zu zahlen hat, auf allgemeinen gesetzlichen Vorschriften beruht. — B e w e g l i c h dagegen ist ein anderer Teil der Einkommen- und Ertragssteuern j die beweglichen Steuern bedürfen der periodischen Bewilligung durch den Landtag. Diese kann entweder so erfolgen, daß die Gesamtsumme der im Staate aufzubringenden Steuer in den Etat eingesetzt und nach Maßgabe der Leistungsfähigkeit auf die einzelnen Bezirke und Gemeinden, innerhalb dieser auf die einzelnen Steuerpflichtigen verteilt wird (Repartitionssteuern), oder so, daß der Etat den Steuerfuß, d. h. den vom einzelnen Steuerpflichtigen nach Maßgabe seines Einkommens zu entrichtenden Steuerbetrag festsetzt (quotisierte Steuern) 9 . Aber auch in bezug auf die Bewilligung der beweglichen Steuern ist der Landtag nicht unbeschränkt. Es besteht für ihn die Rechtspflicht, denjenigen Betrag an beweglichen Steuern zu bewilligen, der neben den gesetzlichen Einnahmen erforderlich ist, um die gesetzlich feststehenden und die zwischen Regierung und Landtag vereinbarten Staatsausgaben zu bewilligen (vgl. oben 883, 884). [ A u ß e r o r d e n t l i c h e E i n n a h m e n des Staates können erzielt werden einmal durch V e r ä u ß e r u n g v o n G e g e n s t ä n d e n des S t a a t s Vermögens, sodann durch I n a n s p r u c h n a h m e u n d V e r w e r t u n g des S t a a t s k r e d i t s . 1. V e r ä u ß e r u n g v o n S t a a t s v e r m ö g e n . Die Frage, ob die Regierung zu derartigen Veräußerungsakten der Zustimmung des Landtags bedarf, ist grundsätzlich zu verneinen. Dies folgt aus den allgemeinen Grundsätzen über die Zuständigkeit der Volksvertretung nach deutschem Landesstaatsrecht. Allgemein ist die Zustimmung der Volksvertretung nur erforderlich bei Ausübung der gesetzgebenden Gewalt; die Veräußerung von Staatsgut ist aber kein A k t der gesetzgebenden, sondern der vollziehenden Gewalt. Es handelt sich da nicht um rechtssatzmäßige Vorschriften, welche in Freiheit und Eigentum der Untertanen eingreifen, sondern um Verwaltungsakte, und noch dazu um rein privatrechtliche, nicht obrigkeitliche Verwaltungsakte. Die Vornahme solcher Verwaltungsakte fällt nach der den Verfassungen zugrundeliegenden Gewaltenteilung in dem von parlamentarischer Mitwirkung grund9 Einzelne Staaten kennen gar keine beweglichen Steuern, so namentlich Preußen. I n andern gibt es dagegen fast nur bewegliche Steuern, so namentlich in Baden, wo bisher selbst die Verkehrsteuern und indirekten Steuern in ihrer Höhe durch den Etat festgestellt wurden. Doch besteht hier die Tendenz, diese Steuern zu gesetzlich feststehenden zu machen, was für die Biersteuer, die Erbschaftssteuer und die Veräußerungsabgabe bereits geschehen ist.
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sätzlicli freien Bereich der vollziehenden Gewalt, sie gehört zur Prärogative der Regierung — unbeschadet der Normen des Budgetrechts, wonach die Regierung 1. verpflichtet ist, alle Einnahmen, mithin auch solche aus der Veräußerung von Staatsgut, soweit vorhersehbar, in den Staatshaushaltsplan einzustellen, und 2. nicht berechtigt ist, über irgendwelche Staatseinnahmen anders als nach Maßgabe des Staatshaushaltsplanes, also zur Bestreitung budgetmäßiger Ausgaben, zu verfügen. Die Meinung, wonach aus dem Budgetrecht noch mehr, nämlich eben der Satz folge, daß Staatsgut nur mit Zustimmung des Landtags veräußert werden darf f t , ist unrichtig. Unrichtig zunächst und jedenfalls für die deutschen Mittel- und Kleinstaaten, welche zwar ein Steuer-, nicht aber ein weitgehendes und allgemeines Einnahmebewilligungsrecht kennen (oben 881 ff.), unrichtig aber auch für Preußen. Die Einnahmeositionen auch des preußischen Staatshaushaltsplanes sind nicht Irmächtigungen, deren die Regierung alljährlich bedarf, um die bestehenden Gesetze zu vollziehen und die Eigentumsrechte des Staates auszuüben, sondern Veranschlagungen der finanziellen Wirkung von Gesetzen und Rechten, deren Ausführung bzw. Ausübung nicht durch die Bewilligung des Landtags bedingt ist. Die Befugnis der Staatsregierung zur Verwaltung des Staatsvermögens, einschließlich des in diesem Verwaltungsrecht enthaltenen Veräußerungsrechts beruht nicht auf dem Etat, sondern auf Verfassung und Dauergesetzen; sie kann durch einseitige Verweigerungen oder Budgetabstriche des Landtags nicht geschmälert oder gar aufgehoben werden (oben 888, 889). Aus Vorstehendem folgt: die Veräußerung von Staatsvermögen bedarf der Zustimmung des Landtags nur insoweit, als es für einzelne Kategorien von Gegenständen dieses Vermögens durch Verfassung oder Gesetz aus-
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» So: v. Roenne, preuß. StR (4. Aufl.) 4 763ff.; Schulze, preuß. StR 2 272 ff; Deutsches StR 1 605 ff.; E. Meier, Abschluß von Staats Verträgen 55 ff., in v. Holtzendorffs Rechtslexikon 1557; ein von Lasker verfaßter Kommissionsbericht des preuß. Abg.-Hauses vom 14. Febr. 1866 (Sten. Ber. 1866 Anl.-Bd. 162 ff.); Rehm in Stengels Wörterb. (1. Aufl.), Ergänz.-Bd. 3 S. 60; sodann — in Abweichung früher von ihm vorgetragener Ansichten (Das Budgetrecht nach den Bestimmungen der preuß. Vert.-Urk., 26, 27) — Laband in der J W 89 919 ff., 996, 997 sowie auch G. Meyer in der Voraufl. 757, letzterer mit Beschränkung auf Gegenstände des staatlichen F i n a n z Vermögens (werbenden Vermögens), während er Veräußerungen von V e r w a l t u n g s vermögen ohne parlamentarische Genehmigung für zulässig hält. Die Unterscheidung von Finanz- und Verwaltungevermögen ist aber dem positiven Recht in dieser Beziehung fremd. Und. als „Konsequenz des dem Landtage zustehenden Budgetrechts" ergibt sich nicht, wie G. Meyer meint, ein allemeines Mitwirkungsrecht des Landtags bei Veräußerungen staatlichen inanzvermögens, sondern, daß — wie im Text bemerkt — die Regierung alle Einnahmen aus der Veräußerung von Staatsvermögen (nicht nur von Finanzvermögen), soweit vorhersehbar, in den Etat einstellen, daß sie dieselben, soweit nicht vorhersehbar, als über- bzw. außeretatsmäßige Einnahmeposten verrechnen muß und daß sie sie nicht ohne Zustimmung des Landtags verausgaben darf.
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drücklich bestimmt i s t b . Das Erfordernis der Zustimmung bezieht sich, wenn sich aus dem Gesetz nicht ein anderes ergibt, nicht auf die privatrechtliche Gültigkeit des Veräußerungsgeschäfts, sondern nur auf dessen staatsrechtliche Zulässigkeit: die verbotswidrig ohne Zustimmung des Landtags vorgenommene Veräußerung belastet die Regierung mit Verantwortlichkeit, ist aber dem Erwerber gegenüber gültige 2. D i e I n a n s p r u c h n a h m e des S t a a t s k r e d i t s ist von der vorgängigen Zustimmung des Landtags nach den übereinstimmenden Grundsätzen des Landesstaatsrechts nur —- dann aber auch stets und unbedingt — abhängig, wenn die Geldbeschaffung in der Rechtsform der A u f n a h m e e i n e r A n l e i h e vorgenommen werden w i l l d . Ebenso pflegt vorgeschrieben zu sein, daß die Übernahme einer Bürgschaft (Garantie) zu Lasten der Staatskasse * Übereinstimmend: Laband, Budgetrecht 25ff. (vgl. Anm. a); v. SeydelGraßmann, Bayer. StR 2 13; Anschütz, Enzykl. 184, 185 und J W 89 990ff.; Arndt, ArchÖffR 8 549ff., AnnDR 1S91 233, Komm. z. preuß. Verf. 352; Bornhak, Preuß. StR 8 500 ff.; Schwartz, Komm. z. preuß. Verf. 318; Kommissionsbericht des preuß. Hauses der Abg. über den Entw. des Ges. über den Staatshaushalt v. 11. Mai 1898 (Sten. Ber. 1898, Drucks. Nr. 102), zu § 2 des Entw. Ausdrücklich vorgeschrieben ist die Einholung der Zustimmung des Landtags: 1. in Preußen nur für die Veräußerung der S t a a t s e i s e n b a h n e n ; vgl. die einzelnen Gesetze, auf denen der Erwerb von Privatbahnen durch den Staat beruht, z. B. G. v. 7. Juni 1876 (G. S. 154), G. v. 20. Dez. 1879 (G. S. 635). Domänen, Staatsforsten und andern Grundstücken des Staates; 2. in den Mittel- und Kleinstaaten insbesondere für die Veräußerung von D o m ä n e n i. e. S. (vgl. oben 320ff), vielfach aber auch weitergehend für die Veräußerung von unbeweglichem Staatsgut. Vgl. die Einzel Vorschriften: Bayer. Verf. Tit. V I I § 18, Sachs. Verf. § 18. (Dazu: sächs. G. betr. den Staatshaushalt vom 1. Juli 1904, § 18, wonach die Zustimmung der Stände zu Veräußerung von Grundstücken, welche zum Staatsvermögen, aber nicht zum Staatsgute (§§ 16—17 der Säcns. Verf.) gehören, nur für aen Fall erfordert, daß die Grundstücke von „erheblichem Umfange oder erheblichem Werte" sind. Württemb. Verf. § 107, Bad. Verf. § 58, Hess. G., die Abänderung des Art. 10 der Verf.-Urk. betr., vom 1. August 1878, S.-Weim. R G G §§ 4, 39, 40, S.-Mein. G. über die Veräußerung und Erwerbung von Bestandteilen des Landesvermögens vom 26. März 1889, S.-Kob.-Goth. StGG § 117, Braunschw. N L O § 189, Old. StGG Art. 181, Anh. StGG §§ 19 u. 31, G., die Auseinandersetzung des herzoglichen Hauses und des Landes bzw. der Domänen betr., vom 28. Juni 1869 Art. X V I , Schw.-Sondh. L G G § 53, Schw.-Rud. GG §§ 10, 31, Reuß j. L. G., die Veräußerung ^ von Staatsgut betr., vom 31. März 1866. Besondere Bestimmungen über die Veräußerung von Wertpapieren enthält die braunschw. Anlage B zum Land tagsabschied vom 11.„bis 12. Juni 2874. c Übereinstimmend: Seydel-Graßmann, Arndt, Bornhak, Schwartz, Anschütz (8. o. Anm. b), sowie in diesem Punkte auch die Vorauf!., 757 N. 11, und Renm (oben Anm. a). A. M. Laband in der J W 89 915ff; gegen ihn Anschütz das. 994 ff. Abweichend von dem im Text ausgesprochenen Grundsatz machen die preußischen Eisenbahnverstaatlichungsgesetze (oben Anm. b) nicht nur die Zulässigkeit, sondern auch die Gültigkeit der Veräußerung von der Zustimmung des Landtags abhängig: vgl. z. B. G. v. 20. Dez. 1879 (G. S. 635), § 7. d I n Preußen war die Zustimmung der künftigen reichsständischen Versammlungen zur Aufnahme von Staatsanleihen sogar schon vor dem Erlaß
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nur mit Genehmigung des Landtags erfolgen darf. Wie bei der Aufnahme, so ist die Regierung auch bei der Verwaltung der Anleihen (Ausgabe der Schuldverschreibungen, Führung des Verzinsungs- und Tilgungsgeschäfts) durch eine aufsichtliche oder mitwirkende Beteiligung des Landtags beschränkt e . Kreditoperationen, welche keine Anleihen sind, kann die Regierung ohne Zustimmung des Landtags vornehmen. Das Budgetrecht des letzteren bleibt auch hier unberührt (vgl. oben 895 und Anm. a).] I n denjenigen Ländern, in welchen eine gesetzliche Regelung der Verhältnisse des K a m m e r g u t e s nicht stattgefunden hat, sind die Rechte des Landtages, bei Veräußerungen und zu Belastungen desselben beschließend mitzuwirken, meist beibehalten worden 10 . Selbst da, wo eine förmliche Trennung zwischen Staatsgut und Fideikommißvermögen der regierenden Familie besteht, ist dem Landtage in bezug auf letzteres meist ein ähnlicher Einfluß eingeräumt worden 11 . I n einzelnen Staaten wird sogar ein vollständiger Etat über das Domanium mit dem Landtage vereinbart 1 2 .
§ 206. Der zwischen Regierung haushaltsplan (Etat) ist keine Führung der Finanzverwaltung sitzt die Regierung kraft der
und Landtag vereinbarte StaatsVollmacht für die Regierung zur überhaupt 1 . Diese Vollmacht beVerfassung, und dieselbe besteht
der Verfassung durch die V. wegen der künftigen Behandlung des gesamten Staatsschuldenwesens vom 17. Januar 1820 für notwendig erklärt worden. Die Verf. Art. 103 wiederholte diesen Grundsatz, Bayer. Verf. Tit. V I I §§ 11 u. 12, Sachs. Verf. § 105, Württ. Verf. § 107, Bad. Verf. § 57, Hess. Verf. Art. 71, S.-Weim. R G G § 4, S.-Mein. GG § 42, S.-Kob.-Goth. StGG § 122 bis 124, Braunschw. N L O § 188, Old. StGG Art. 196, Anh. LO § 31, Schw.Sond. L G G §§ 76—78, Schw.-Rud. G. vom 22. März 1861 § 3, Reuß ä. L . Verf. § 71, Reuß j . L . StGG § 60, V . vom 15. März 1860 § 1 f Schaumb.Lipp. Verf. Art. 41, Wald. Verf. § 91, Akzessionsvertr. vom 24. Nov. 1877 Art. 10 und 11. e Unten 901, 902. 10 S.-Weim. RGG- § 39 vgl. mit G. vom 4. Mai 1854, Braunschw. N L O § 164, G. vom 20. Dez. 1834 § 2, G. vom 26. Mai 1896. 11 Sächs. Verf. § 20, Württ. Verf. § 108, Hess. Verf. Art. 7 u. 9, S.-Mein. G. vom 20. Juli 1871 Art. 4 u. 5, S.-Alt. G. vom 29. April 1874 §§ 18 u. 19 S.-Kob.-Goth. StGG § 117, Vertr. vom 1. März 1855 § 7, Old. Anl. I zum, StGG § 11, Anh. G. vom 28. Juni 1869 Art. I I I , G. vom 27. Juni 1879, Schw.-Sondh. G. vom 14. Juni 1881 § 4, Schw.-Rud. G. G. §§ 10 u. 31, Lipp. G. vom 10. Febr. 1869 §§ 3, 4, 8, 10, G. vom 28. März 1879, Wald. Anl. A zur Verf. § 3. — Die Hausgesetze erfordern zu derartigen Akten häufig außerdem noch die Zustimmung der Agnaten, z. B. S.-Kob.-Gotha. Hausges. A r t 25. 12 S.-Mein. G. vom 6. Juli 1871 Art. 6, S.-Kob.-Goth. Vertr. vom 1. März 1855 S 2, Wald. Anl. A § 3. * Die Meinung, daß erst durch den Etat die Regierung die Ermächtigung zur Fünrung der Finanz Verwaltung erlange, wird namentlich für solche Staaten aufgestellt, in welchen die Feststellung des Etats in Gesetzesform erfolgt. Die Hauptvertreter derselben sind: Lasker a. a. O.
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auch dann, wenn eine Vereinbarung über den Staatshaushaltsplan nicht zustande kommt. Dagegen gewährt der Staatshaushaltsplan der Regierung die Ermächtigung, gewisse gesetzlich nicht feststehende Einnahmen zu erheben, gewisse gesetzlich nicht feststehende Ausgaben zu leisten. Insofern enthält der Etat verbindliche Vorschriften, nach deren Maßgabe die Finanz Verwaltung der betreffenden Finanzperiode zu führen ist. Aber die für die Finanzverwaltung maßgebenden Grundsätze sind nicht in dem Etat allein, sondern auch in den allgemeinen Gesetzen enthalten. Die E i n n a h m e n des Staates müssen, soweit sie auf allgemeinen Gesetzen beruhen, nach den Vorschriften dieser Gesetze, soweit sie durch den Etat zur Verfügung gestellt sind, gemäß den Festsetzungen des Etats erhoben werden. Ein Erlaß von Zahlungen, welche dem Staat kraft öffentlichrechtlicher Verpflichtungen geschuldet werden, insbesondere von öffentlichen Abgaben, darf durch die Regierung nur dann bewilligt werden, wenn dieselbe zu einem solchen Erlaß durch die Gesetze oder durch den Etat ermächtigt ist 2 . Dagegen besitzt die Regierung kraft ihrer Verwaltungsbefugnisse das Recht, auf solche vermögensrechtliche Ansprüche zu verzichten, welche dem Staate aus besonderen privatrechtlichen Titeln zustehen, sie kann beispielsweise Pachtgelder nachlassen, auf die Geltendmachung von Schadensersatz- und Regreßansprüchen verzichten, angefallene Erbschaften ausschlagen und dergleichen. Die A u s g a b e n sind ebenfalls nach den Bestimmungen der allgemeinen Gesetze und des Etats zu leisten. Die Zahlungen, zu welchen der Staat durch Gesetze oder sonst (z. B. durch Verträge) rechtlich verpflichtet ist, müssen von der Regierung bewirkt werden. S. 844ff., 355ff.; v. Rönne, Preußisches Staatsrecht (4. Aufl.) 1 634ff., 635 (unverändert wiederholt bei v. Roenne-Zorn a. a. 0 . 3 134, 135), Staatsrecht des Deutschen Reiches 2 Abt. 1170 ff.; Zorn, Staatsrecht 1 449 ff.; v. Martitz, a. a. 0 . 271; Haenel a. a. 0 . 338. Nach dieser Ansicht werden die Gesetze, auf welchen die Einnahmen und Ausgaben beruhen, erst durch das Etatsgesetz vollziehbaT. Vgl. dagegen insbesondere Laband 4 583—600, auch Kehm, Staatsl. 297 ff. 9 Die Befugnis des Monarchen zu Steuererlassen nehmen diejenigen Schriftsteller an, welche demselben ein unbedingtes Dispensations- oder Gnadenrecht auf dem Gebiete der Verwaltung zusprechen. Die betreffenden Ausführungen sind bereits an einer früheren Stelle dieses Werkes widerlegt worden (§ 178 S. 763 Anm. m). Ein Gnadenrecht des Königs in Steuersachen behauptet für Preußen auch Schwartz a. a. O. 323 ff. I n Preußen besteht eine gesetzliche Ermächtigung zu Steuererlassen (G., betr. den Staatshaushalt vom 11. Mai 1898 § 18), ebenso in Baden (G. über den Staatsvoranschlag vom 24. Juli 1888 Art. 37) und in Sachsen (G. betr. den Staatshaushalt vom 1. Juli 1904, § 11). — Soweit es an solchen besonderen Bestimmungen fehlt, entscheiden die allgemeinen staatsrechtlichen Grundsätze über das Dispensationsrecht, s. oben § 178 S. 763, 764. Mit dem Einnahmebewilligungsrecht der Volksvertretung hat die Frage der Steuererlasse nichts zu tun; sie ist überhaupt keine budgetrechtliche Frage. Richtig v. SeydelGraßmann, Bayer. StR. 2 107, unrichtig Arndt, DJZtg 1900 351 und an den dort angeführten Stellen seiner Schriften.
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Im übrigen bildet der Etat in der Regel nur eine Schranke, so daß die Regierung in der Lage ist, weniger Ausgaben zu machen, als der Etat festsetzt. Es kann jedoch die Einsetzung einer Ausgabeposition in den Etat auch die Bedeutung haben, daß der Regierung dadurch die Verpflichtung auferlegt wird, die betreffende Ausgabe zu machen. Welcher dieser beiden Fälle vorliegt, ist eine Auslegungsfrage, die nach Maßgabe des einzelnen Falles entschieden werden muß 8 . Übertragungen, d. h. Verwendungen solcher Summen, welche bei einer Etatposition oder in einer Etatsperiode erspart sind, für die Zwecke einer andern Position oder in einer späteren Etatsperiode, sind nur zulässig, wenn die Übertragbarkeit durch Gesetz oder Etat ausdrücklich ausgesprochen ist 4 . Die Festsetzungen des Etats sind nur maßgebend für das V e r h ä l t n i s d e r R e g i e r u n g z u r V o l k s v e r t r e t u n g . Rechtsansprüche Dritter alif vermögensrechtliche Zuwendungen werden durch den Etat nicht begründet. Auch wenn die Einstellung einer Ausgabeposition in den Etat nicht bloß die Ermächtigung, sondern die Verpflichtung der Regierung bedeuten soll, die betreffende Ausgabe zu leisten, so besteht doch diese Verpflichtung lediglich dem Landtage, nicht auch derjenigen Person gegenüber, für welche die Zuwendung bestimmt ist®. Dem Landtage steht die Befugnis zu, die S t a a t s r e c h n u n g e n z u p r ü f e n 6 . Die Prüfung hat sich darauf zu erstrecken, ob die Finanzverwaltung nach Maßgabe der Gesetze und des Etats geführt worden ist. I n Ausübung seines Prüfungsrechtes hat der Landtag Abweichungen vom Etat zu genehmigen und die Ent8
And, Ansicht: Laband 4 544, 545, welcher annimmt, daß die Regierung s t a a t s r e c h t l i c h durch den Etat immer nur ermächtigt, nieht verpflichtet werde. Regelmäßig wird dies allerdings der Fall sein, aber die Möglichkeit einer anderweiten Bedeutung der etatsmäßigen Festsetzung ist doch nicht völlig ausgeschlossen. * Preuß. G. vom 11. Mai 1898 § 44 (eine a l l g e m e i n e Festlegung des im Text bezeichneten Grundsatzes enthält diese Vorschrift nicht: vgl. Schwarz, Formelle Finanzverwaltung in Preußen und im Reich 74), Sächs. G. vom 1. Juli 1904. §§ 5ff., Bad. G. vom 24. Juli 1888 Art. 13, Hess. G. vom 14. Juni 1879 Art. 4, S.-Mein. G. vom 9. Juli 1879 Art. 11. 8 Daß durch den Etat Privatrechte und Privatpflichten weder begründet noch aufgehoben werden, ist ausdrücklich ausgesprochen im preuß. G. vom 11. Mai 1898 § 8 und im Sächs. G. vom 1. Juli 1904, § 19. Vgl. auch O. Mayer, Sächs. Staatsr. 200, Rehm, Staatsl. 299. [Dieser Satz ist übrigens, wie Laband 4 584 gegen Arndt mit Recht hervorhebt, von jeher als richtig anerkannt worden. Sicherlich hat ihn Arndt nicht erst entdeckt,] 6 Preuß. Verf. A r t 104, Bayr. Verf. Tit. V I I § 10, Verfassungsverständnis von 1843 §§ V u. V I , Württ. Verf. §118, Bad. Verf. §55, Hess. Verf. Art. 68, S.-Weim. R G G § 4, S.-Mein. G G § 47 u. 81, S.-Kob.-Gotha StGG §§ 122 u. 124, Braunschw. N L O § 188, Old. StGG Art. 196, Anh. L O § 31, Schw.-Sondersh. L G G §§ 76—78, Schw.-Rud. G. vom 22. März 1861 § 3, Reuß ä. L . Verf. § 71, Keuß j . L. StGG § 60, V . vom 15. März 1860 § 1, Schaumb.-Lipp. Verf. Art. 41, Wald. Verf. § 91, Lüb. Verf. Art. 81, Hamb. Verf. Art. 63. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
III.
7. Aufl.
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Drittes Buch.
§
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lastung 7 der Regierung auszusprechen. Abweichungen in den E i n n a h m e n bedürfen der nachträglichen Genehmigung nur, soweit sie Abweichungen von den Vorschriften der Gesetze oder des Etats, dagegen nicht, soweit sie Resultate tatsächlicher Verhältnisse, also durch unrichtige Voranschläge veranlaßt oder durch Verzichte auf vermögensrechtliche Ansprüche, welche die Regierung kraft ihrer Verwaltungsbefugnisse auszusprechen befugt war, herbeigeführt sind. Außeretatsmäßige A u s g a b e n , d. h. Ausgaben, welche im Etat nicht vorgesehen sind, sowie Überschreitungen der Ausgabepositionen des Etats bedürfen der nachträglichen Genehmigung des Landtages 8 . Doch ist der Landtag zur Erteilung der Genehmigung verpflichtet, wenn die betreffenden Ausgaben kraft eines Gesetzes oder in Erfüllung einer sonstigen rechtlichen Verpflichtung geleistet werden mußten. Eine Rechtfertigung („Justifikation") von Ausgabeüberschreitungen durch landesherrliche Eingriffe ist mit dem Recht des Landtages auf Rechnungslegung nicht vereinbar und muß daher für unzulässig erachtet werden 9 . Die von dem Landtage ausgesprochene Entlastung befreit die Regierung, d. h. die verantwortlichen Minister, von der Verantwortung für die Finanzverwaltung, hat aber keine Bedeutung für dritte Personen, auch nicht für anderweite Beamte, welche dem Staate wegen pflichtwidrigen Verhaltens zur Entschädigung verpflichtet sind 1 0 . Der Prüfung der Staatsrechnungen durch den Landtag geht eine V o r p r ü f u n g voraus. Diese ist meist in die Hände einer besonderen Behörde, des Rechnungshofes oder der Oberrechnungskammer gelegt 11 . I n kleineren Staaten wird sie auch wohl von 7
Vgl. W . Bellardi, Die staatsrechtliche Entlastung nach preußischem uud Reichsstaatsrecht (Zorn u. Stier-Somlo, Abhandlungen V I I , 3). 8 Über den Begriff der E t a t s ü b e r s c h r e i t u n g e n herrschte früher in P r e u ß e n ein lebhafter Streit. Die Regierung wollte als solche nur Abweichungen von dem in der Gesetzsammlung publizierten Auszuge des Etats anerkennen, das Abgeordnetenhaus begriff aarunter alle Abweichungen von den von ihm genehmigten Spezialtiteln. Durch Gr., betr. die Einrichtung und die Befugnisse der Oberrechnungskammer, vom 27. März 1872 §§ 18 u. 19 ist der Streit im letzteren Sinne entschieden worden. Vgl. v. RoenneZorn a. a. 0 . 3 115 ff., 121, 122,150ff.; Schwarz, Formelle Finanzverwaltung 71 ff. Ergänzende Vorschriften zu Art. 104 der Preuß. Verf. und § 19 des Ges. vom 27. März 1872 enthält § 47 des Ges. vom 11. Mai 1898. Vgl. darüber .Thrän, A n n D R 1902 108. 9 Über „justifizierenden Kabinettsordres" vgl. v. Roenne-Zorn a. a. O. 152; Haenel a. a. O. 343, 344; Joël, Die justinzierenden Kabinettsordres, AnnDR 1885 805ff; Laband 4 569; Arndt, Annalen a. a. 0 . 232; Triepel, Reichsaufsicht 316 n.; Bellardi a. a. 0. 58 ff. (Literaturübersicht 58 Anm. 4); Schwarz a. a. 0 . 62, 63. Vgl. auch oben § 178 Anm. m und unten § 209 Anm. 21. 10 So mit Recht ein Erkenntnis des Reichsgerichtes: R G Z 18 258 ff. Vgl. über die Wirkungen der Entlastung Bellardi a. a. 0. 20ff., de Jonge, ArchöffR 2 297 ff. (abweichend von der Ansicht des Reichsgerichts). 11 Die p r e u ß i s c h e Oberrechnungskammer wurde schon unter Friedrich Wilhelm I (im Jahre 1714, vgl. Acta Boruss., Behördenorganisation 2 57 ff), errichtet. Ihre Stellung und Befugnisse wurden durch die Instr. vom 18. De-
Die Funktionen.
§ 20.
einem Ausschuß des Landtages unter Zuziehung von Beamten des Finanzministeriums vorgenommen 12 . Eine besondere parlamentarische Kontrolle durch eine speziell zu diesem Zwecke erwählte Kommission findet häufig hinsichtlich der S t a a t s s c h u l d e n v e r w a l t u n g statt 1 8 . I n einzelnen Staaten ist sogar die ganze Verwaltung der Staatsschuld in die Hände des zember 1824 geregelt. Zur Zeit des absoluten Staates ein bloßes Organ des Königs, sollte sie nach Erlaß der Verfassung auch dazu dienen, die verfassungsmäßige Kontrolle des Landtages über die Staatsrechnungen zu unterstützen und vorzubereiten. D a aber das im Art. 104 in Aussicht gestellte Gesetz zunächst nicht zustande kam. so blieb im wesentlichen der alte Zustand bestehen. Erst am 27. März 1872 ist das Gesetz, betr. die Einrichtung und die Befugnisse der Oberrechnungskammer, erlassen worden. Nach demselben besitzt die Oberrechnungskammer eine von der zeitigen Ministerialverwaltung durchaus unabhängige Stellung. Die Mitglieder derselben stehen hinsichtlich ihrer rechtlichen Verhältnisse den richterlichen Beamten gleich und dürfen nicht Mitglieder des Landtages sein. Die dem Landtage mitzuteilenden Bemerkungen beziehen sich sowohl auf die Übereinstimmung der allgemeinen Staatsrechnung mit den speziellen Kassenrechnungen als auf die Abweichungen der Finanzverwaltung von den einzelnen Positionen des Etats, sowie darauf, ob und welche Etatsüberschreitungen (oben Anm. 8) stattgefunden haben. Der Geschäftsgang bei der Oberrechnungskammer ist durch ein Regulativ vom 22. September 1872 geregelt. Vgl. v. Rönne, Preuß. Staatsrecht (4. Aufl.) 1 648ff., v. Roenne-Zorn a. a. 0 . 3 144 ff.; Schwarz a. a. 0 . 129ff. und im W S t V R 8 488ff.; E. Meier, Art. „Oberrechnungskammer" in v. Holtzendorffs Rechtslexikon 2 928 ff. — I n ähnlicher Weise sind die Verhältnisse der Oberrechnungskammer in S a c h s e n durch G. vom 30. Juni 1904, B a d e n durch G. vom 25. Aug. 1876 und 29. Jan. 1882 und V. vom 14. Dez. 1878, der Oberrechnungskammer in Hessen durch Gr. vom 14. Juni 1879 und V . vom 9. Nov. 1881 und der Revisionsbehörde in S.-Meiningen durch G. vom 9. Juli 1879 Art. 19—27 geregelt worden. [In B a y e r n und W ü r t t e m b e r g dient die oberste Rechnungsbehörde (Bayern: -Oberster Rechnungshof", Württemberg: „Oberrechnungskammer") nur der administrativen, nicht der parlamentarischen Kontrolle der Finanzverwaltung. Doch wird in Bavern seit 1910 dem Landtage ein vom Obersten Rechnungshof verfaßter „Rechenschaftsbericht" vorgelegt, um dem Landtage die Kontrolle über die Budgetmäßigkeit der Finanz Verwaltung zu erleichtern. Vgl. v. Seydel-Graßmann a. a. 0. 124, 132 ff. Der bayer. Oberste Rechnungshof ist in seinen Entscheidungen von der Staatsfinanzverwaltung unabhängig (V. Seydel-Graßmann 133). Anders die württemb. Oberrechnungskammer, welche eine dem Finanzministerium untergeordnete Verwaltungsmittelstelle ist. „Eine von der Verwaltung unabhängige Kontrolle des gesamten Staatsrechnungswesens durch einen mit verfassungsmäßiger Garantie richterlicher Unabhängigkeit ausgestatteten Rechnungshof kennt das württ. Recht nicht" (Göz, Wurtt. StR 260). Vgl. im allgemeinen noch Vocke, Art. Rechnungskontrolle und Rechnungshof im Handwörterb. d. Staatswissenschaften, sowie Schwarz, im W S t V R 8 488 ff.]. 12 S.-Weim. R G G J 44, Braunschw. NLO § 1 8 9 , Schw.-Sondh. L G G 76—78, Schw.-Rud. G. vom 22. März 1861 § 3, Keuß j. L . V . vom 15. März
0 8 1.
18 Preuß. G.. betr. die Verwaltung des Staatsschuldenwesens, vom 24. Febr. 1850, Abänderungsgesetze vom 29. Jan. 1879 und 13. Febr. 1884, Bayr. Verf. Tit. V I I §§ 14—16, G., betr. den Geschäftsgang des Landtages, vom 19. Jan. 1872 §§ 35 u. 36, Bad. G. über die Verfassung und Verwaltung der Amortisationskasse vom 31. Dez. 1831, Abänderung durch G. vom 22. Juni 1837, Hess. G., die Organisation der Verwaltung der Staatsschuld betr. vom 31. März 1897. 58*
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Landtages gelegt und der Regierung nur die Beaufsichtigung dieser Verwaltung übertragen 1 4 . § 207. [Die von den Verfassungen geforderte Budgetmäßigkeit der Finanzverwaltung ist bedingt durch das rechtzeitige, d. h. vor dem Beginn der Haushaltsperiode erfolgende Zustandekommen einer Vereinbarung zwischen Regierung und Landtag über das Budget. Darüber, was zu geschehen hat, wenn die Vereinbarung nicht oder nicht rechtzeitig gelingt, enthalten die Verfassungen keine Vorschriften. Es ist zunächst zu unterscheiden zwischen dem Falle bloßer, durch technische Schwierigkeiten herbeigeführter V e r s p ä t u n g des Budgets und dem eines K o n f l i k t s zwischen Regierung und Volksvertretung, wobei die Ablehnung des Staatshaushaltsplanes oder einzelner Teile desselben als politisches Kampfmittel gebraucht wird. I n Fällen der ersteren Art (z. B. bei Verspätung infolge nicht rechtzeitiger Vorlegung des Etatentwurfs oder zu weitgehender Ausdehnung der Landtagsverhandlungen über denselben) werden sich, da ja die gesetzgebenden Faktoren keinen Krieg miteinander führen, unschwer Mittel und Wege finden lassen, um wenigstens eine vorläufige Einigung über den Haushaltsplan in Gestalt eines „Budgetprovisoriums" zu schaffen: z.B. so, daß man die Geltung des Haushaltsplanes der abgelaufenen Periode um einige Zeit, etwa einen Monat oder mehrere Monate, verlängert a . In dem andern Falle werden Aushilfsmittel dieser oder ähnlicher Art in der Regel versagen: die Faktoren der Etatsfeststellung können sich nicht einigen, weil sie sich nicht einigen w o l l e n , und wenn dem so ist, so wird auch ein Budgetprovisorium nicht zur Verabschiedung gelangen. Die in dem hiermit bezeichneten Falle eintretende Rechtslage gestaltet sich nach den Verfassungen, welche der Volksvertretung kein volles Budgetrecht, sondern nur ein Recht der Prüfung des Budgets zum Zwecke der Steuerbewilligung zuerkennen (oben 880 ff.), anders als nach denen, welche fordern, daß der Staatshaushaltsplan durch Gesetz, also unter voller beschließender Mitwirkung des Landtags, festgestellt werde (oben 885 ff.). I . Nach den Verfassungen der ersten Gruppe ist die Ver14 Sachs. Verf. § 107, G., die Einrichtung der Staatsschuldenkasse betr., vom 29. Sept. 1884, Nachtr. vom 3. Nov. 1848, Württ. Verf. §§ 119-123. Eevid. Staatsschuldenstatut vom 22. Febr. 1837, Abänderungen vom 4. Juli 1842 und 4. Sept. 1853, G., betr. die Staatsschuld vom 20. März 1881, Abänd. G. vom 19. Mai 1896, S.-Mein. GG. §57, Schuldentilgungsgesetz vom 30. April 1831, Nachtr. vom 15. März 1897, Keuß j. L . V . vom 15. März 1860, zu Abschnitt X , Anh. G., betr. die Verwaltung des Staatsschuldenwesens, vom 28. Jan. 1872, Abänderungsgesetze vom 8. Febr. 1877, 15. März 1883, 19. März 1896, Wald. G., die Verwandlung der unkündbaren Staatsschuld in eine kündbare und deren Tilgung betr., vom 14. Okt. 1854. a Beispiele (aus der Praxis des Reichs) bei Laband 4 551.
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pflichtung der Regierung, dem Landtage das Budget vorzulegen und es mit ihm gemeinsam festzustellen, keine unbedingte, sie tritt nur dann ein, wenn zur Deckung des Staatsbedarfs Steuern erforderlich sind. Diese Verpflichtung entfällt, wenn die Regierung keine Steuern braucnt oder will (ein tatsächlich unmöglicher Fall), desgleichen, wenn der Landtag die von ihr angeforderten Steuern verweigert. Kommt also das Finanz- oder Auflagengesetz nicht zustande, so kann die Regierung das Budget von sich aus, einseitig, feststellen und in dasselbe alle Ausgaben einstellen, die sie für nötig hält, aber nur die Einnahmen, welche ihr in dieser Lage zur Verfügung stehen, d. h. s o l c h e d i e der Bewilligung des Landtags nicht unterliegen I I . I n den Staaten, deren Verfassung die periodische Feststellung des Etats „durch ein Gesetz" vorschreiben, vor allem also in Preußen, ist die Pflicht der Regierung, vor Beginn jeder Finanzperiode dem Landtage den Entwurf des Etats vorzulegen, eine u n b e d i n g t e und ein Recht der Regierung, im Falle des Nichtzustan dekommens des Etatsgesetzes ohne Etat oder nach einem von ihr allein festgestellten Etat zu wirtschaften, aus der Verfassung nicht herzuleiten. Auch sonst gibt die Verfassung, wie erwähnt, keine Antwort auf die Frage, welche Rechtsfolgen eintreten, falls das Etatsgesetz scheitert. Die vielfach angestellten Versuche, gleichwohl zu einer Lösung, und zwar zu einer juristischen Lösung dieser Frage zu gelangen, haben zu sehr verschiedenartigen Ergebnissen geführt. 1. Eine früher nicht selten vertretene Meinung 0 geht dahin, daß der Staatshaushaltsplan der abgelaufenen Periode so lange in Kraft und maßgebend bleibt, bis er durch einen neuen ersetzt ist. Diese Meinung steht schon mit dem Wortlaut der Verfassungsurkunden, wonach der Etat jeweils nur für e i n e Finanzperiode (preuß. Verf. Art. 99: „für jedes Jahr") festgestellt wird, im Widerspruch. Sie ist heute allgemein aufgegeben. 2. Nach einer andern Ansicht ist durch das Scheitern des Etatsgesetzes die Verfassung „unvollziehbar" geworden, was zur Folge haben soll, daß insoweit die absolute Machtvollkommenheit des Monarchen, wie sie vor Erlaß der Verfassung bestand, wieder in Kraft tritt und auf Grund dieser Machtvollkommenheit die Regierung befugt ist, den Etat allein aufzustellenDiese Ansicht Vgl. oben 882. — Übereinstimmend: v. Seydel-Graßmann, Bayer. StR 2 113ff.; 0 . Mayer, Sachs. StR 206; v. Sarwey, Württ. StR 2 515 ff.; van Calker, Hess. StR 198. c Vgl. den Beschluß des preuß. Staatministeriums vom 16. Dez. 1850 nach v. Roenne-Zorn, Preuß. StR 3 124, 125; auch die dort 127 Anm. 2 angeführte Rede Bismarcks vom 24. Febr. 1851. I n der Literatur wurde diese Ansicht einstmals von Laband vertreten (Budgetrecht 81 ff.), der sie aber später aufgegeben hat (vgl. StR 4 528). Gegen die frühere Ansicht Labands z. B. Schulze, Preuß. StR 2 219. d Dies war die Ansicht der konservativen Partei des preuß. Landtages während des Budgetkonflikts 1862—1866; näheres bei Laband, Budgetrecht
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ist verfehlt. Die Prinzipien der absoluten Monarchie sind durch die Verfassung restlos und unwiderruflich aufgehoben, ihr Wiederaufleben oder eine rechtliche Möglichkeit, auf sie zurückzugreifen, ist ausgeschlossen. 3. Im Ergebnis -verwandt mit der vorstehend (zu 2) bezeichneten Lehre ist die, wonach bei eintretender Budgetlosigkeit die Finanzverwaltung von der Regierung „nach den Geboten des Notstandes" weiterzuführen sei©. Das heißt: an Stelle des nicht zustandegekommenen Etatsgesetzes tritt das freie Ermessen der Regierung. Dieser Ansicht steht entgegen, daß die Grundsätze über das Handeln im Notstande nur für das Privat- und Strafrecht gelten, auf das Staatsrecht aber nicht übertragen werden dürfen. Ein „ius eminens" der Staatsregierung, welches ihr erlaubt, sich in den Fällen, welche sie für Notstandsfälle hält, über die Schranken der Verfassung hinwegzusetzen, gibt es nicht, so wenig wie ein „Staatsnotrecht" überhaupt f . Auch kann nicht zugegeben werden, daß der Staatshaushaltsplan zu den Gegenständen gehöre, welche statt durch Gesetz zutreffendenfalls auch durch Notverordnung geregelt werden können g. Diese Ansicht ist, wenn auch vielleicht mit dem Wortlaut, so doch keinesfalls mit dem Sinn einer Vorschrift wie Art. 99 der preuß. Verf.-Urk. v e r e i n b a r 1 1 . 4. Wer in dem verfassungsmäßig vereinbarten Staatshaushaltsplan die durch nichts ersetzbare Ermächtigung zur Führung der Finanz Verwaltung erblickt 1 , wird nicht umhin können, zu folgern, daß mit eintretender Budgetlosigkeit die Regierung das Recht zur Führung der Finanzverwaltung verliert, daß also von da ab überhaupt keine Finanzverwaltung mehr stattfinden darf. Diese Folgerung ist politisch ebenso widersinnig — denn Stillstand der Finanzverwaltung ist gleichbedeutend mit Auflösung des Staates — wie ihr Vordersatz staatsrechtlich unrichtig i s t k . Das Gesetz über 80 Anm. 51. Gegen"diese Ansicht: v. Roenne-Zorn, a. a. O. 8 143 Anm. 2; G. MeyeT in der Voraufl. 763; dafür Seydel, Komm. z. RVerf. 396, 397. e Fricker, Gesetz u. Budget 405ff.; Schulze, Preuß. StR 2 222. Gegen letztere Laband 4 529, 530. — Die Notstandstheorie ist im Jahre 1862 auch von der preuß. Staatsregierung vertreten worden; vgl. die bei v. RoenneZom a. a. O. 127 Anm. 2 angerührte Rede Bismarcks. Gegen diese Theorie im Sinne des Textes v. Roenne-Zorn 143 Anm. 1. f Vgl. oben § 8 Anm. d. g Diese Ansicht ist für das preußische Recht aufgestellt worden von Bornhak, Preuß. StR 1 544, dem Zorn bei v. Roenne-Zorn a. a. O. 94 und (mit Vorbehalten) auch Arndt, Komm. 343 folgen. h Ebenso v. Roenne (4. Aufl.) 1 594; Laband, Budgetrecht 80ff., StR 4 553 Anm. 1; Schwartz, Komm. z. preuß. Veuf. 299. i So: Lasker, v. Roenne, v. Martitz, Haenel, Zorn; vgl. die Zitate oben § 206 Anm. 1. Dieser Ansicht folgte während der Konfliktsperiode 1862 bis 1866 die Mehrheit des preuß. .Hauses der Abgeordneten. Vgl. Lasker a. a. O. 344 ff., 355 ff., auch den Bericht der Budgetkommission des H. d. Abg. vom 11. Febr. 1863, bei v. Roenne-Zorn a. a. 0 . 129. Vgl. im übrigen auch oben § 204 a S. 888. k Oben § 204a S. 888, § 206 S. 897ff.; Laband 4 583ff.; Rehm, Allg. Stnatsl. 297 ff.; Anschütz, Enzvkl. 189, 190.
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den Staatshaushaltsplan ist nicht der Rechtsgrund, sondern eine Schranke der Finanzverwaltung; es ermächtigt die Regierung nicht, diese Verwaltung zu führen, sondern stellt eine Richtschnur dar, für deren Innehaltung die Regierung verantwortlich ist. 5. Eine weit verbreitete, durch die Autorität L a b a n d s herrschend gewordene Meinung 1 geht dahin: an Stelle der nicht zustande gekommenen besonderen Schranke der Finanz Verwaltung, des verfassungsmäßig vereinbarten Staatshaushaltsplans, treten a l l g e m e i n e , • aber nicht absolutistische, sondern konstitutionelle Grundsätze. Diesen zufolge bleibt die Regierung auch bei fehlendem Budget so berechtigt wie verpflichtet, die Gesetze zu vollziehen, die gesetzlich notwendigen Staatseinrichtungen aufrechtzuerhalten und alle rechtlichen Verpflichtungen des Staates zu erfüllen, mithin auch die gesetzlich angeordneten Abgaben zu erhebend und die zur Erfüllung ihrer Pflichten notwendigen Ausgaben (rechtlich notwendige Ausgaben n ) zu leisten, während freilich andere als rechtlich notwendige Ausgaben und Einnahmen ohne Etatsgesetz nicht gemacht werden dürfen. Auch dieser Meinung kann, soweit sie nicht etwa durch positivrechtliche Vorschriften rezipiert ist®, nicht beigetreten werdenP. Sie geht von richtigen Vordersätzen aus, zieht aber aus ihnen unrichtige Folgerungen. R i c h t i g istq, daß das Etatsgesetz des preußischen Staatsrechts ein rein formelles Gesetz, ein Verwaltungsakt in Gesetzesform ist, daß der Landtag der Vorlage dieses Gesetzes nicht in legislativer Freiheit, sondern in administrativer Gebundenheit gegenübersteht, daß der Landtag daher nur rechtlich willkürliche, nicht aber auch rechtlich notwendige Etatspositionen streichen darf, daß ihm m. a. W. die staatsrechtliche Pflicht obliegt, Ausgaben, deren rechtliche Notwendigkeit er anerkennt, zu bewilligen; — u n r i c h t i g aber, wenn behauptet wird, daß die Verletzung dieser Pflichten des Parlaments die Regierung berechtige, ohne ein verfassungsmäßig festgestelltes Budget zu regieren. Das Verfassungsgebot — preuß. Verf. Art. 99 —, welches ein alljährlich neu zu erlassendes Etatsgesetz als Richtschnur der Finanzverwaltung fordert, ist ein i Laband 4 549 ff., 577 ff. Nächst Laband selbst hat am meisten Gneist, Ges. u. Budget 184ff., 166ff. zur Befestigung dieser Meinung beigetragen, welcher u. a. v. Gerber, Seligmann, Gareis, Prazäk, Borahak, Zeller, Fricker, Seydel, v. Jagemann, Anschütz (vgl. aber unten 906), Dambitsch, in wesentlich en Punkten auch Schulze und Jellinek gefolgt sind. Vgl. die Zitate bei Laband 4 579,* 580, 581. Ganz in Labands Gedankenbahnen wandelte auch G. Meyer: Grünhuts Ztschr 8 43ff. und Voraufl. §§ 204ff. ® Diese letztere Pflicht folgt in Preußen schon aus Art. 109 der Verf. S. oben 887. * Oben 884. ° Dies ist in Elsaß-Lothringen geschehen; vgl. unten § 210 S. 928. P Treffende Ausführungen gegen Laband finden sich u. a. bei v. RoenneZorn a. a. O. 134 N. 2, 138^-144; Jellinek, im Handwörterb. d. Staatswiss., Art. Budgetrecht 3 321, 322. Gegen Laband auch Anschütz im VerwArch. 14 338 ff., Enzykl. 191 (früher, vgl. Enzvkl., 6. Aufl.. 634, 635, a. M.)
eine vollständige Klassifikation der Untertanenpnichten zu geben, sondern nur die wichtigsten derselben besonders hervorzuheben.
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Zweiter Teil.
Viertes Buch.
§ 22.
dienstes 2 . Zur Übernahme der ersteren Ämter sind lediglich Gemeindeangehörige bezw. Gemeindebürger, Kreis- und Provinzialangehörige verpflichtet. Die Last ruht also, da der Besitz der Staats- oder wenigstens Reichsangehörigkeit die Voraussetzung für den Erwerb der kommunalen Angehörigkeit ist, nur auf den Staats- bezw. Reichsangehörigen. Ebenso ist die Pflicht zum Schöffen- und Geschworenendienst nach dem Reichsgerichtsverfassungsgesetz an die Eigenschaft als Reichsangehöriger geknüpft 8 ; 2. der P f l i c h t z u r L e i s t u n g v o n G e m e i n d e d i e n s t e n niederer Art. Soweit derartige Gemeindedienste in der betreffenden Gemeinde überhaupt auferlegt Verden, sind dazu in der Regel alle Ortsbewohner verpflichtet. D i e Dienste können meist auch durch Stellvertreter geleistet und häufig durch Geldzahlungen abgekauft werden. Gewisse Kategorien von Personen, namentlich Beamte, pflegen von der Leistung derselben befreit zu sein; 3. der W e h r p f l i c h t . Eine Verpflichtung zum Heeresdienst für die einzelnen Landesangehörigen begann, als an die Stelle der Werbung die Aushebung und Konskription trat. Eine solche wurde zuerst in Preußen durch die Gesetze Friedrich Wilhelms I . aus den Jahren 1733 und 1735 angeordnet; die durch diese Einrichtungen, das sogenannte Kantonsystem, begründete Wehrpflicht war aber eine sehr beschränkte und lastete nur auf den unteren Klassen des Volkes. Zur Zeit der Befreiungskriege ging man in Preußen zu dem System der allgemeinen Wehrpflicht über, die Verpflichtung der Staatsangehörigen zur Ableistung derselben wurde durch ein spezielles Gesetz geregelt 4 . Die Reichsgesetzgebung hat die Grundsätze des preußischen Rechtes auf ganz Deutschland ausgedehnt 6 . fl Vgl. § 113 S. 436, § 118 S. 463, RGVG §§ 35, 85. Der Unterschied zwischen den angeführten Amtern und dem Schöffen- und Geschworenendienst liegt darin, daß es sich im ersten Falle um eine dauernde Stellung und einen ganzen Kreis von Geschäften, im letzteren nur um einzelne vorübergehende Dienstleistungen handelt. Dagegen ist auf den Umstand, daß das Ehrenamt einer Annahme bedürfe, die Dienstpflicht der Schöffen und Geschworenen dagegen einseitig auferlegt sei, den 0. Mayer, Deutsch. VerwR (2. Aufl.) 2 301, 302 N. 22, 310 N. 41 für den wesentlichen hält (ähnlich auch Loening, Deutsch. VerwR 138 N. 1), kein erhebliches Gewicht zu legen. Denn eine ausdrückliche Annahme wird, wie O. Mayer a. a. O. 310 N. 41 selbst zugibt, auch bei Ehrenämtern nicht erfordert, und wenn man in der tatsächlichen Leistung der Amtspflichten eine stillschweigende Annahme sieht, so kann auch in dem Erscheinen der Schöffen und Geschworenen bei der Sitzung eine stillschweigende Übernahme der Funksionen erblickt werden. 8 RGVG §§ 31, 84. 4 Preuß. G. über die Verpflichtung zum Kriegsdienste vom 3. Sept. 1814. 6 Preuß. Verf. Art. 34. RVerf. Art. 57, 59, RG, betr. die Verpflichtung zum Kriegsdienste, vom 9. Nov. 1867, ausgedehnt auf Baden durch Art. 80 der Verf. vom 15. Nov. 1870, auf Württemberg durch Vertr. vom 25. Nov. 1870, auf Bayern durch RG vom Nov. 1871, auf Elsaß-Lothringen durch RG vom 28. Jan. 1872, RG, betr. Änderungen der Wehrpflicht, vom 11. Febr. 1888; RG vom 15. April 1905 (RGBl 249), vom 22. Juli 1913, Art. I I (RGBl 596); Wehrges. f. d. Schutz-
Rechtsverhältnisse der Untertanen.
§ 22.
D a der Heeresdienst die volle Hingabe der Persönlichkeit an den Staat verlangt, so wird er nur von S t a a t s a n g e h ö r i g e n gefordert. Die Heranziehung der Angehörigen eines fremden Staates zur Militärpflicht würde völkerrechtswidrig sein. Gestattet ist dagegen die Auferlegung der Militärpflicht auf solche im Lande sich aufhaltende Personen, welche zwar nicht die i n l ä n d i s c h e Staatsangehörigkeit, aber auch k e i n e a u s w ä r t i g e besitzen. Diesen Grundsätzen entsprechend sind im Deutschen Reiche für militärpflichtig erklärt worden: a) alle Reichsangehörieen 6 ; b) Personen, welche das Reichsgebiet verlassen, die Reichsangehörigkeit verloren, eine andere Staatsangehörigkeit aber nicht erworben oder wieder verloren haben, wenn sie ihren dauernden Aufenthalt in Deutschland nehmen, ferner Söhne ausgewanderter und wieder in das Deutsche Reich zurückgekehrter Personen, sofern die Söhne keine andere Staatsangehörigkeit erworben haben 7 . Die Wehrpflicht wird nach der Verfassung nicht dem Reiche, sondern den E i n z e l s t a a t e n geleistet (vgl. oben § 196 S. 850)„ Die Grundsätze über die Wehrpflicht beruhen nicht auf Landes-, sondern auf Reichsgesetzen. Die Staatsangehörigkeit zum Einzelstaate bleibt bei der Wehrpflicht völlig außer Betracht, jeder Reichsangehörige wird in demjenigen Staate, in welchem er seinen Wohnsitz hat, zur Erfüllung derselben herangezogen. F ü r die Verteilung der Militärlasten auf die Einzelstaaten gibt nicht die Staatsangehörige, sondern die reichsangehörige Bevölkerung den Maßstab a b 8 . D i e Wehrpflicht ist eine a l l g e m e i n e ; es unterliegen ihr alle Reichsangenörigen und es bleibt jede Stellvertretung bei derselben ausgeschlossen. Befreit von der Leistung des Militärdienstes sind nur: 1. die Mitglieder regierender Häuser; 2. die Mitglieder der mediatisierten, vormals reichsständischen und derjenigen Häuser, welchen die Befreiung von der Wehrpflicht durch Verträge zugesichert ist oder auf Grund besonderer Rechtstitel zusteht 9 ; 3. die vor dem 11. August 1890 geborenen Helgoländer 1 0 : gebiete vom 22. Juli 1918 (RGBl 610). — Laband, Staatsr. 4 134 ff.; Fr. Oetker, Die Wehrpflicht im Deutschen Reiche und in Österreich-Ungarn, ArchöffR 6 7 8
RVerf Art. 57, RG, vom 9. Nov. 1867 § 1. RMilitärgesetz vom 2. Mai 1874 § 11. Übereinstimmend: Zorn, Staatsrecht 1 201; H. Schulze, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts 2 266ff.; v. Kirchenheim, Lehrb. des deutschen Staatsrechts 347; Brockhaus, Das deutsche Heer 112ff. Anderer Ansicht: Laband, der die Wehrpflicht als eine Pflicht betrachtet, welche die Angehörigen der einzelnen Staaten ihrem Landesherrn als Kontingentsherrn leisten (Staatsrecht 4 72 ff.; Seydel, Kommentar zu Art. 57 Nr. I ; flecker, Art. „Fahneneid" in v. Stengels Wörterbuch 1 (1. Aufl.) 375; Gümbel, Ann DR 1899 147 ff. Vgl. dagegen: G. Meyer, AnnDR 1880 344ff. • RVerf Art. 57, RG vom 9. Nov. 1867 § 1. RG. vom 15. Dez. 1890 § 3.
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§ 22.
Die Verpflichtung zum Dienste beginnt mit demjenigen Kalenderjahre, in welchem der Wehrpflichtige das zwanzigste Lebensjahr vollendet n . Die Gesamtdienstzeit beträgt regelmäßig achtzehn Jahre. [Jeder wehrfähige Deutsche gehört nach den Bestimmungen der RVerf sieben Jahre lang, in der Regel vom vollendeten 20. bis zum beginnenden 28. Lebensjahre dem stehenden Heere an. Während der Dauer der Dienstpflicht im stehenden Heere sind die Mannschaften der Kavallerie und reitenden Feldartillerie die ersten drei, alle übrigen Mannschaften die ersten zwei Jahre zum ununterbrochenen Dienste bei den Fahnen verpflichtet 12 . A u f die sieben Jahre der Zugehörigkeit zum stehenden Heere folgen fünf, in denen der Wehrpflichtige der Landwehr ersten Aufgebots angehört. Jedoch dienen die Mannschaften der Kavallerie und reitenden Feldartillerie, sowie diejenigen Mannschaften der Fußtruppen, der fahrenden Feldartillerie und des Trains, welche freiwillig noch ein drittes Jahr im aktiven Dienst bei den Fahnen verbleiben, in der Landwehr ersten Aufgebots nur drei Jahre 1 8 .] Nach der Beendigung des Dienstes in der Landwehr ersten Aufgebots folgt der in der Landwehr zweiten Aufgebots. Dieser dauert grundsätzlich bis zum 31. März desjenigen Kalenderjahres, in welchem der Wehrpflichtige das neunundreißigste Lebensjahr vollendet; jedoch beträgt er, wenn derselbe vor vollendetem zwanzigsten Lebensjahr in den Dienst eingetreten ist, höchstens sechs J a h r e 1 4 . Junge Leute von Bildung, welche die erforderlichen Kenntnisse in vorschriftsmäßigem Umfang dargelegt haben, sich freiwillig zum Dienste melden und sich selbst bekleiden, ausrüsten und verpflegen, brauchen nur ein Jahr bei den Fahnen zu dienen und werden nach Ablauf dieser Zeit zur Reserve beurlaubt (sogenannte E i n j ä h r i g f r e i w i l l i g e ) . Auch solche Personen, welche diese Berechtigung nicht besitzen, können, wenn sie die nötige moralische und körperliche Qualifikation nachweisen, schon nach vollendetem siebzehnten Lebensjahre freiwillig in den Militärdienst eintreten 1 5 . Die s e e m ä n n i s c h e B e v ö l k e r u n g des Reiches, einschließlich des Maschinenpersonals und der Schiffshandwerker, ist vom Dienste im Landheere befreit, dagegen zum Dienste in der Marine verpflichtet 16 . Die Bestimmungen über die Dienstpflicht und Dienstzeit dieser Personen weichen in einzelnen Beziehungen von den für das Landheer geltenden ab. [Reichs11 12
RG vom 9. Nov. 1867 § 6. „ RVerf Art. 59 Abs. 1 [in der Fassung des RG betr. Änderung der Wehrpflicht vom 15. April 1905, Art. IJ. RG vom 3. Aug. 1893 Art. I i §§ 1, 3. RG vom 25. März 1899 Art. II. — [RG betr. Änderung der Wehrpflicht vom 15. April 1905, Art, uI I j 2.] RVerf Art. 59 [in der Fassung des RG vom 15. April 1905, Art. I ; RG vom 11. Febr. 1888 Art, I I § 3]. RG vom 9. Nov. 1867 §§ 10 u. 11. 16 RVerf. Art. 53.
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§ 22.
angehörige, welche außerhalb Europas ihreu Wohnsitz haben, werden auf ihren Wunsch zur Ableistung der Dienstpflicht in die Schutztruppe für Südwestafrika eingestellt. Auch andere Wehrpflichtige können ihrer Dienstpflicht in dieser Schutztruppe genügen 1 7 .] Der L a n d s t u r m besteht aus allen Wehrpflichtigen vom vollendeten siebzehnten bis zum vollendeten fftnfundvierzigsten Lebensjahre, welche weder dem Heere noch der Marine angehören 1®.
§ 226. Die S a c h l e i s t u n g e n , welche dem Staate von den seiner Herrschaft unterworfenen Personen gewährt werden müssen, sind: 1. die Z a h l u n g v o n S t e u e r n (oben § 203 S. 874ff.). Die Verpflichtung der Steuerzahlung besteht gegenüber dem Reiche, gegenüber den Einzelstaaten und gegenüber den Kommunal verbänden. a) F ü r das R e i c h kommen in erster Linie indirekte und Verkehrssteuern in Betracht. Erstere werden von jedem gezahlt, der besteuerte Gegenstände produziert, einführt oder in freien Verkehr bringt, letztere von jedem, der Rechtsgeschäfte der betreffenden Art abschließt. b) Den E i n z e l s t a a t e n sind außerdem noch Grund-, Gewerbe-, Kapitalrenten-, Einkommen- und Vermögenssteuern zu entrichten. Zur Zahlung von Grundsteuer ist jeder verpflichtet, der Grundeigentum innerhalb des Staates besitzt, zur Zahlung von Gewerbesteuer jeder, der daselbst Gewerbe betreibt. Dagegen werden Einkommen- und Kapitalrentensteuer in vielen Staaten sowohl von den S t a a t s a n g e h ö r i g e n , auch wenn sie außerhalb des Staates wohnen, als von den im Staate wohnhaften oder daselbst sich aufhaltenden A u s l ä n d e r n erhoben. Dadurch wird leicht eine D o p p e l b e s t e u e r u n g solcher Personen veranlaßt, welche ihren Wohnsitz in einem anderen Staate als dem ihrer Staatsangehörigkeit haben. Für Reichsangehörige ist diese durch ein besonderes Reichsgesetz beseitigt worden 1 . Nach demselben erfolgt die Besteuerung der Reichsangehörigen in demjenigen Staate, in welchem sie ihren Wohnsitz oder in Ermangelung eines solchen ihren Aufenthalt haben, bei mehrfachem Wohnsitz in ihrem Heimatsstaate, d. h. in demjenigen Staate, in welchem sie Staatsangehörigkeit besitzen. Besitzt ein Reichsangehöriger in mehreren Staaten sowohl Wohnsitz als Aufenthalt, so ist allerdings 17
Wehrgesetz für die Schutzgebiete vom 22. Juli 1913 (RGBl 610). ™1 RG vom 9. Nov. 1867 § 3, RG vom 11. Febr. 1888 Art. I I § 24. RG wegen Beseitigung der Doppelbesteuerung vom 13. Mai 1870, ausgedehnt auf Baden und Südhessen durch Art. 80 der Verf. vom 15. Nov. 1870, auf Württemberg durch Vertr. vom 25. Nov. 1870, auf Bayern durch RG vom 22. April 1871 § 2, auf Elsaß-Lothringen durch RG vom 14. Jan. 1872. Durch RG vom 22. März 1909 wurde es abgeändert und in neuer Fassung als „Doppelsteuergesetz" im RGBl 332 verkündigt. Vgl. O. Schwärs im WStVR 1 608. G. M e v e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
III.
7. Aufl.
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die Möglichkeit einer Doppelbesteuerung gegeben; der Reichsangehörige kann derselben aber dadurch entgehen, daß er seine Staatsangehörigkeiten bis auf eine einzige aufgibt. Grundbesitz, Gewerbe und das aus denselben herrührende Einkommen darf nur von demjenigen Staate besteuert werden, in welchem der Grundbesitz liegt oder das Gewerbe betrieben wird, staatliche Gehalte, Pensionen und Wartegelder nur von demjenigen Staate, welcher die Zahlung zu leisten hat. Angehörige außerdeutscher Staaten, welche ihren Wohnsitz im Reiche haben, oder Reichsangehörige, welche im Ausland wohnen, können auch jetzt noch einer Doppelbesteuerung unterliegen. J u r i s t i s c h e P e r s o n e n , namentlich E r w e r b s g e s e l l s c h a f t e n (Aktiengesellschaften, Gewerkschaften, Genossenschaften usw.) sind, sofern sie Grundbesitz haben oder Gewerbe betreiben, überall verpflichtet, Grund- und Gewerbesteuern zu entrichtet». I n den meisten Staaten werden sie aber außerdem auch zur Zahlung von Einkommensteuern herangezogen. Für die Reichsbank und ihre Zweiganstalten ist eine derartige Besteuerung reichsgesetzlich ausgeschlossena. I n älterer Zeit stand den privilegierten Ständen, namentlich dem grundbesitzenden Adel (der Ritterschaft) eine ausgedehnte S t e u e r f r e i h e i t , d. h. Freiheit von der damals allein erhobenen G r u n d s t e u e r zu. Die Ritterschaft wußte ihre Stellung auf den Landtagen zu benutzen, um ihre Steuerfreiheit auch dann zu bewahren, als infolge der veränderten Heeresverfassung die persönlichen Lehnsdienste weggefallen waren. I n einzelnen Territorien gelang es allerdings, an Stelle derselben Geldzahlungen, sogenannte Lehnspferdsgelder, aufzuerlegen, welche aber meistens nicht im Verhältnis zum Wert oder Einkommen des Grundbesitzes standen. Die Steuerfreiheit verband sich allmählich in der Weise mit Grund und Boden, daß sie aus einer persönlichen Befreiung der Ritterschaft zu einem Realvorrecht der Rittergüter wurde. Durch die Steuergesetzgebung des neunzehnten Jahrhunderts sind die Steuerfreiheiten des Grundbesitzes überall beseitigt worden, in einzelnen Staaten, aber keineswegs in allen; gegen Gewährung einer entsprechenden Entschädigung. Eine Befreiung von der Grundsteuer kommt jetzt, abgesehen von den Grundstücken des Staates, nur noch denen der Kirchen, Schulen, milden Stiftungen und den zu öffentlichem Gebrauche bestimmten Grundstücken, mitunter auch denen der Standesherren zu. Das Domanialvermögen (Kammergut) ist da, wo es den Charakter eines Fideikommißgutes der regierenden Familie besitzt, grundsätzlich der Steuerpflicht unterworfen; es wird jedoch vielfach so lange frei gelassen, als es einen Beitrag zu den Staatslasten leistet oder die fürstliche Familie die Regierung des Landes führt. Von der Zahlung der E i n k o m m e n s t e u e r sind landesgesetzlich in der Regel der Landesherr und 2
Reichsbankgesetz vom 14. März 1875 § 21.
Rechtsverhältnisse der Untertanen.
§ 2 .
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sein Haus, sowie gewisse Kategorieen besonders dürftiger Personen b e f r e i t . Reichsgesetzlich ist bestimmt worden, daß das Militäreinkommen der Personen des Unteroffizier- und Gemeinenstandes, sowie für den Fall einer Mobilmachung das Militäreinkommen aller Angehörigen des aktiven Heeres bei Veranlagung und Erhebung von Staatssteuern außer Betracht gelassen werden muß. Weitergehende Befreiungen können den Militärpersonen durch Landesgesetze gewährt werden. c) Zur Zahlung von K o m m u n a l s t e u e r n sind nicht nur die Gemeindeangehörigen, sondern auch solche Personen verpflichtet, welche sich, ohne Gemeindeangehörige zu sein* in der Gemeinde aufhalten. Die Heranziehung derselben zu den Gemeindelasten ist auf Grund reichsgesetzlicher Vorschrift mit Ablauf eines Zeitraumes von drei Monaten nach der Niederlassung gestattet 8 . Steuern, welche auf Grundbesitz und Gewerbe lasten, sind von allen Personen zu zahlen, welche im Gemeindebezirk Grundbesitz haben oder Gewerbe betreiben. Eine Befreiung von Kommunalsteuern steht den servisberechtigten Militärpersonen im Gebiete des ehemaligen Norddeutschen Bundes, in Baden und Hessen hinsichtlich ihres dienstlichen Einkommens zu. Den Beamten ist in einzelnen Staaten insofern eine Begünstigung zugestanden, als ihr Diensteinkommen nicht mit dem vollen Betrage, sondern nur mit einer Quote (V2, 2 /s, 4 /ß) zu den Kommunalsteuern herangezogen werden darf. Juristische Personen, welche im Gemeindebezirk domiziliert sind, werden jedenfalls zur Grundund Gewerbesteuer, in vielen Staaten auch zur Einkommensteuer im Interesse der Kommune herangezogen. Auch der Staat ist, sofern er im Kommunalbezirk Grundeigentum besitzt und Gewerbe betreibt, nach einzelnen Gesetzgebungen verpflichtet, Grund- und Gewerbesteuer an die betreffende Gemeinde zu entrichten. Das R e i c h steht in bezug auf die k o m m u n a l e Besteuerung des Grundeigentums sowie des Erwerbs oder der Veräußerung von Grundstücken demjenigen Staate gleich, in dessen Gebiet sich der Grundbesitz desselben befindet Zur Zahlung von S taats steuern, insbesondere Einkommen- und anderen Personalsteuern ist das Reich nicht verbünden 6 . 2. Die A b t r e t u n g e i n z e l n e r V e r m ö g e n s o b j e k t e , welche für die Durchführung gewisser Staatszwecke, ffamentlich für die Ausführung gemeinnütziger Unternehmungen erforderlich erscheinen, gegen Entschädigung ( E n t e i g n u n g ) 6 . Als Gegenstände der Enteignung kommen vorzugsweise, jedoch nicht' aus8 Freizügigkeitsgesetz vom 1. Nov. 1867 § 8. * RGes. vom 15. April 1911 (RGBl. 187). Vgl. Laband 4 343, 344-, Ruck im JahrböffR 1912 180 ff. • RGes. vom 15. April 1911 (s. d. vor. AnmJ; Laband 4 343. Durch dieses Gesetz ist die früher streitige Frage, ob die Einzelstaaten dem Reichsfiskus Steuern auferlegen dürfen (vgl. Vorauf!. § 2%6 Anm. 11) im verneinenden Sinne entschieden. 6 G. Meyer-Dochow a. a. 0. 230ff.; O. Mayer, VR 2 2 lff.; Gierke, D. Pr. R. 2 469ff.; Waldecker, Die Kriegsenteignung (1919).
6*
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§ 22.
schließlich, Grundstücke in Betracht. Die Pflicht zur Abtretung besteht nicht bloß für Staatsangehörige, sondern auch für Ausländer, welche derartige Vermögensobjekte im Gebiet eines Staates besitzen. D i e Befugnis, Enteignungen vorzunehmen, steht in Deutschland sowohl den Einzelstaaten als dem Reiche zu. D i e Pflicht zur Abtretung ist durch Gesetze näher geregelt worden, welche entweder die Zwecke, für welche eine Enteignung zulässig ist, allgemein formulieren oder einem bestimmten Organe de» Staates die Befugnis übertragen, das Enteignungsrecht im einzelnen Falle zu verleihen. 3- Die G e w ä h r u n g g e w i s s e r N a t u r a l l e i s t u n g e n für die bewaffnete Macht im Kriege und im,Frieden, teils unentgeltlich, teils gegen Entschädigung 7 . Eine Verpflichtung des Staates zum Ersatz von Kriegsschäden, welche der Einzelne erleidet, besteht nur auf Grund ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmungen 8 , Nach reichsgesetzlicher Vorschrift soll Umfang und Höhe der Entschädigung, sowie das bei Feststellung derselben zu beobachtende Verfahren jedesmal durch ein Spezialgesetz geregelt werden 9 . Drittes Kapitel.
Rechtliche Stellung bevorrechtigter Stände. Einleitung. § 227. Die Ausbildung der Standesverhältnisse gelangte in Deutschland in den beiden letzten Jahrhunderten des Mittelalters zum Abschluß, und die Ständegliederung, welche sich damals gebildet hatte, erhielt sich im wesentlichen bis zum Untergange des alten Reiches. Die zur Reichszeit bestehenden Stände waren: 1. der F ü r s t e n s t a n d (hoher Adel), die Gesamtheit der Familien, welchen R e i c h s s t a n d s c h a f t , d. h. Sitz und Stimme auf dem Reichstage zustand; 2. der A d e l (Ritterschaft), welcher in die keiner Landeshoheit unterworfene R e i c h s r i t t e r s c h a f t und den l a n d s ä s s i g e n A d e l zerfiel; 3. der B ü r g e r s t a n d und 4. der B a u e r n s t a n d . Der Fürstenstand hielt sich nach Ausbildung des Ebenbürtigkeitsprinzips als regierende Aristokratie des Reiches von allen andern Ständen streng abgeschlossen. Aber auch innerhalb der einzelnen Territorien bestand eine scharfe Sonderung der Stände. Der Adel war im Besitz von weitgehenden Vorrechten, der Bürgerstand durch die persönliche Freiheit von dem fast überall in Hörigkeit herabgesunkenen Bauernstande geschieden. Jeder 7
Vgl. Laband 4 §§ 111, 112. « Vgl. oben § 222 a. E. — 0. Mayer, VR (2. Aufl.) 2 567, 568; A n schütz9 im VerwArch. 5 71 ff., 94, 95; Heilfron, Kriegsschäden. RGes. über die Kriegsleistungen vom 13. Juni 1873 § 85. [Zur Fest. Stellung von Schäden des gegenwärtigen Krieges erging das RGes. vom 15. Juli 1916 (RGBl 675)].
Rechtsverhältnisse der Untertanen.
§ 22.
Stand hatte sein eigenes Privatrecht. Der Übertritt aus einem Stande in einen andern war außerordentlich erschwert. Angehörige des einen Standes durften die Beschäftigungen des andern Standes in der Regel nur mit besonderer obrigkeitlicher Erlaubnis betreiben. Eine gleiche Erlaubnis war zum Erwerb von Grundbesitzungen eines andern Standes (z. B. von Rittergütern oder Bauerngütern durch Bürgerliche, Bauerngütern durch Adelige) erforderlich 1 . Diese Verhältnisse erfuhren im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts eine durchgreifende Umgestaltung. Bei der Auflösung des Reiches behauptete sich nur ein kleiner Teil der Fürstenhäuser im Besitz der Landeshoheit und bewahrte den Charakter regierender Familien. Die meisten dagegen wurden der Regierungsgewalt ihrer früheren Mitstände unterworfen, wenn auch Rheinbundsakte und Bundesakte bemüht waren, ihnen eine besonders privilegierte Stellung zu sichern. Der frühere Reichsadel verlor ebenfalls seine Unmittelbarkeit und trat in das Verhältnis von Landesuntertanen. Die Unfreiheit des Bauernstandes wurde aufgehoben, die scharfe Trennung der Stände voneinander beseitigt. Die Verfassungen sprachen meist den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz aus. Nichtsdestoweniger bewahrte der Adel noch längere Zeit eine Reihe wertvoller Vorrechte, insbesondere Vertretung in den Landtagen, Patrimonialgerichtsbarkeit und Patrimonialpolizei, privilegierten Gerichtsstand usw. Erst die neuere Gesetzgebung, namentlich seit dem Jahre 1848, hkt auch diese allmählich beseitigt und den Adel in fast allen Beziehungen den übrigen Staatsangehörigen gleichgestellt. Als bevorrechtigte Stände sind vom Standpunkte des heutigen Rechtes noch anzusehen: 1. die M i t g l i e d e r d e r r e g i e r e n d e n F ü r s t e n h ä u s e r ; 2. die s t a n d e s h e r r l i c h e n F a m i l i e n , d. h. diejenigen, welche im Deutschen Reiche Reichsunmittelbarkeit, Landeshoheit und Reichsstandschaft besaßen, jedoch zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts mediatisiert wurden; 3. in sehr beschränktem Umfange der A d e l . 1. Die Mitglieder der regierenden Fürstenhäuser \
§ 228.
Z u den M i t g l i e d e r n d e r r e g i e r e n d e n H ä u s e r gehören [ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit 2 ]: 1. die 1
Preuß. ALR T. I I Tit. 7—9. H. Schulze, Die Hausgesetze der regierenden deutschen Fürstenhäuser (1862— 88); Heffter, Die Sonderrechte der souveränen und der mediatisierten Häuser Deutschlands (1871); H. Schulze, Deutsches Fürstenrecht in der Enzykl., 5. Aufl., 1849ff.; Derselbe, Deutsches Staatsr. 1 §§ 154ff.; Rehm, Das landesherrliche Haus, sein Begriff und die Zugehörigkeit zu ihm (1901); Derselbe, Modernes Fürstenrecht (1904); Derselbe, Die überstaatliche Rechtsstellung der deutschen Dynastien (1907); Brie,'Art. Landesherrliches Haus, WStVR 2 718 ff.; Anschütz, Enzykl. 91, 92; Opet, DJZ 1908 139 ff., 189; 1
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§ 22.
Monarchen; 2. die Gemahlinnen und Witwen der Monarchen; 3. die aus einer hausgesetzlichen Ehe stammenden Prinzen, deren Gemahlinnen und Witwen; 4. die aus einer hausgesetzlichen Ehe stammenden Prinzessinnen bis zu ihrer Verheiratung mit dem Angehörigen eines anderen Hauses. Die Mitglieder der regierenden Häuser galten bis zum Untergange des Reiches als reichsunmittelbar. Sie waren daher nur Untertanen des Kaisers; dem Landesherrn stand über sie lediglich eine Familiengewalt zu. Seit dem Aufhören des Reiches dagegen sind sie Untertanen des betreffenden Staates geworden und daher auch der Regierungsgewalt des Monarchen unterworfen. I h r verwandtschaftliches Verhältnis zu dem letzteren und der Umstand, daß aus ihrem Kreise die künftigen Monarchen hervorgehen, bat aber zur Folge gehabt, daß ihnen in allen deutschen Staaten eine besonders bevorrechtigte Stellung eingeräumt ist. Diese findet auch in einzelnen Reichsgesetzen ihren Ausdruck. Die Vorrechte der Mitglieder der fürstlichen Häuser 8 sind: 1. Exemtion von dem gemeinen Privat-, Prozeß- nnd Gerichtsverfassungsrecht nach Maßgabe der Hausverfassungen und Landesgesetze 4 ; 2. B e f r e i u n g v o n d e r W e h r p f l i c h t 5 ; 3. B e f r e i u n g v o n d e r E i n q u a r t i e r u n g s l a s t i m F r i e d e n bezüglich der ihnen gehörigen Wohngebäude, B e f r e i u n g v o n d e r V o r s p a n n l e i s t u n g bezüglich der für ihren Hof halt bestimmten Pferde und Befreiung von der Lieferung von Fourage, soweit die vorhandenen Bestände für die eben genannten Pferde gebraucht w e r d e n 6 ; 3. B e f r e i u n g v o n g e w i s s e n S t e u e r n , namentlich Gebäude- und Einkommensteuern 7 ; 4. p r i v i l e g i e r t e r G e r i c h t s s t a n d , der, soweit er auf Haus- und Landesgesetzen beruht, auch durch die Reichsjustizgesetzgebung aufrecht erhalten i s t 8 ; Begünstigungen hinsichtlich der V e r n e h m u n g i m P r o z e ß Stoerk, Der Austritt aus dem landesherrl. Hause (1903); Triepel, Streit um die Thronfolge im Fürstentum Lippe (1903) 60 ff. — Partikularrechtliche Literatur: v. Roenne-Zorn, Preuß. StR 2 20ff.; H. Schulze, Preuß. StR 1 § 121; Bornhak, Preuß. StR 1 § 57; Anschütz, Komm. 1 116ff.; v. SeydelPiloty, Bayer. StR 1 103ff.; Göz, Württ. StR 49ff.; O. Mayer, Sachs. StR 90ff; 3 Walz, Bad. StR 49ff.; van Calker, Hess. StR 37ff. Rehm, Modernes FR 131, Triepel a. a. O. 85 ff. A. M. (unbegründet), Stoerk, Agnatische Thronfolge im Fürstentum Lippe 70. • Vgl. die ausführliche systematische Ubersicht bei Rehm, Modernes FR 126 fl. 4 EinfGes. z. BGB Art. 57, EinfGes. z. ZPO § 5 z. StrPO § 4, z. GVG § 5. — Thudichum in den AnnDR 1885 320ff.; Erhardt, Die privilegierte Stellung der Landesherren und hochadeligen Familien im Ziviiprozeßrecht (1912); IT. Waldeck, Die Exemtionen der Landesherren und der Mitglieder d. landesherrl! Familien im Zivilprozeß (Heidelb. Diss. 1918). 6 RG betr. die Verpflichtung zum Kriegsdienst, vom 9. Nov. 1867 § 1. 6 RG, betr die Quartierleistung für die bewaffnete Macht wahrend des Friedenszustandes, vom 25. Juni 1868 § 4, RG über die Naturalleistungen für die bewaffnete Macht im Frieden vom 24. Mai 1898 §§ 3 u. 5. 7 Vgl. die in Anm. 1 angegebene partikularrechtlicne Literatur. 8 Vgl. oben Anm. 4.
Rechtsverhältnisse der Untertanen.
§ 229.
und der E i d e s l e i s t u n g 9 ; 6. besonderer s t r a f r e c h t l i c h e r S c h u t z 1 0 ; 7. S i t z i n d e r e r s t e n K a m m e r des L a n d t a g e s 1 1 . D i e Mitglieder der fürstlichen Häuser sind einer besonderen familieiirechtlichen A u f s i c h t des M o n a r c h e n unterworfen 12 . I n Preußen ist den Mitgliedern des fürstlich hohenzollernschen Hauses eine ähnliche Stellung eingeräumt wie den Mitgliedern des Königshauses 18 . Einzelne Vorrechte der regierenden Dynastien sind auch den Mitgliedern der im Jahre 1866 depossedierten Fürstenhäuser durch die preußische Landes- und neuere Reichsgesetzgebung eingeräumt worden 1 4 . 2. Die standesherrlichen Familien, 's 229. 1. Die Rechtsverhältnisse der S t a n d e s h e r r e n 1 , d. h. derjenigen Reichsstände, welche bei der Gründung des Rheinbundes RStPrO §§ 71, 72, RZPrO §§ 219, 875, 482. RMilStrGO §§ 206, 208. RStGB §§ 96, 97, 100. Vgl. § 98 S. 838 ff. Bayr. Fam.-Stat. Tit. I §§ 2 u. 3, Württ. Hausges. Art. 9 u. 10 S.Kob.-Goth. Hausges. Art. 82—95, Old. Hausges. Art. 6. 7, 14, Wald. Hausges.^ 3 u. 4. [Diese Aufsichtsgewalt schließt nirgends die Machtbefugnis m sich, ein Mitglied des Hauses aus demselben auszuschließen: Rehm, Begriff des landesherrL Hauses 18ff., Modernes FR 297 ff., Triepel a. a. O. 87. A. M. Opet, D. Jur.-Ztg. 1903 S. 140.] 13 V ertr. vom 7. Dez. 1849, G. vom 12. März 1850, AHErlasse vom 14. Aug. 1852 und 2. Aug. 1875. Vgl. die N. 7 u. 8 angeführten Bestimmungen der Reichsgesetze, sowie die oben Anm. 1 angef. Werke über preuß. Staatsrecht. 14 Vgl. Bornhak, Preuß. Staatsr. 1 359ff.; Rehm, Modernes FR 457ff. — In bezug auf die Exemtion von dem BGB, dem GVG und den Prozeßordnungen sind die Mitglieder der vormals in Hannover, Kurhessen, Nassau herrschenden Häuser und der fürstlichen Familie Hohenzollern den regierenden Dynastien durch die Reichsjustizgesetze — EG z. BGB Art. 57, vgl. ferner die oben N. 4 allegierten Gesetzesstellen — gleichgestellt worden. Sodann sind alle reichsgesetzlichen Bestimmungen, welche zugunsten der Häuser Hannover, Kurhessen und Nassau Abweichungen von allgemeinen Reichsgesetzen zulassen oder vorsehen, auch auf die Mitglieder des Herzoglich Holsteinischen Fürstenhauses fur anwendbar erklärt worden: RG vom 25. März 1904]. 1 Vollgraff, Die teutschen Standesherren(1824); Berchthold, Art. „Standesherren", Staatswörterbuch 10 163 ff; A. W. Heffter, Die Sonderrechte der souveränen und der mediatisierten, vormals reichsständischen Häuser (1871); H. A. Zachariä, Denkschrift über den territorialen Umfang der standesherrlichen Vorrechte in Deutschland (1867); H. Zöpfl, Die neuesten Angriffe auf die staatsrechtliche Stellung der deutschen Standesherren (1867), Die Stellung der deutschen Standesherren seit 1866 (1870); H. Schulze, Das deutsche Fürstenrecht, in v. Holtzendorffs Enzyklopädie der Rechtswissenschaft (5. Aufl.) 1 1349ff. ; O. Hammann, Die deutschen Standesherren und ihre Sonderrechte (1888); Bornhak und Fleischmann, Art. Mediatisierte und Standesherren, im WStVR 2 825ff., 830ff.; Loening, Die Autonomie der standesherrlichen Häuser Deutschlands nach dem Hechte der Gegenwart (1905), derselbe, Die landesherrliche Schiedsgerichtsbarkeit u. das Urteil des Bayer. Obersten L G v. 24 Febr. 1913 (1917), derselbe, Das preuß. Gesetz, betr. die Deklaration der Verf.-Urk., vom 10. Juni 1854 (Hallische Festschrift fur W. v. Brünneck); Rehm, Die juristische Persönlichkeit der standesherr11 12
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§
2 .
und der Auflösung des Deutschen Reiches ihre Regierungsgewalt verloren hatten, waren schon durch die R h e i n b u n d s a k t e geregelt worden 2 . Diese hatten ihnen alle Rechte gelassen, welche nicht wesentlich mit der Souveränetät zusammenhingen. Die deutsche B u n d e s a k t e 8 suchte ihren Rechtszustand gleichmäßig zu ordnen und bestimmte: 1. daß die betreffenden fürstlichen und gräflichen Häuser auch ferner zum hohen Adel in Deutschland gehörten und ihnen das Recht der Ebenbürtigkeit in dem bisher damit verbundenen Begriffe verbliebe, 2. daß die Häupter dieser Häuser die ersten Standesherren in dem Staate, zu dem sie gehörten, und ihre Familien die privilegierteste Klasse in demselben, insbesondere in Ansehung der Besteuerung, sein sollten. 3. Überhaupt sollten ihnen in Rücksicht ihrer Personen, Familien und Besitzungen alle diejenigen Rechte und Vorzüge verbleiben, welche aus ihrem Eigentum und dessen ungestörtem Genüsse herrührten 4 und nicht zu der Staatsgewalt und den höheren Regierungsrechten gehörten. Unter diesen Rechten wurde namentlich begriffen: a) die unbeschränkte Freiheit, sich in jedem zu dem Bunde gehörenden .oder mit ihm im Frieden lebenden Staate aufzuhalten, b) der Fortbestand der früheren Familienverträge und die Befugnis der Familien, über ihre Güter und Familienverhältnisse verbindliche Verfügungen zu treffen, welche jedoch dem Souverän vorgelegt und bei der höchsten Landesstelle zur allgemeinen Kenntnis und Nachachtung gebracht werden mußten. Alle bisher dagegen erlassenen Verordnungen sollten für künftige Stellen nicht weiter anwendbar sein 5 , c) privilegierter Gerichtsstand und Befreiung von aller Militärpflicht, d) die Ausübung der bürgerlichen und peinlichen Gerechtigkeitspflege in erster und, wo die Besitzung liehen Familie (1911), derselbe, Prädikat- und Titelrecht der deutschen Standesherren; Derselbe, Die standesherrliche Schiedsgerichtsbarkeit, ihre Zuständigkeit und ihre Grenzen im heutigen Rechte (1912); Derselbe, Die Ebenbürtigkeitsfrage im Hause Croy (1916); K. Scholly, Das Autonomierecht des hohen Adels (1894); A. Diepolder, Umfang der Steuerfreiheit der Standesherren in Bayern (1894); D. Goldschmidt, Die Sonderstellung der Mediatisierten Preußens (Marburger Arbeiten, herausgeg. v. W. Schücking, Heft 8); L. Curtaz, Die Autonomie der standesherrl. Familien Badens (Heidelb. Diss., 1908); G. Heyer, Die Standesherren des Großherzogtums Hessen und ihre Rechtsverhältnisse (1897); Wehner, Die privatrechtßche Sonderstellung der hessischen Standesherren (1903). — Über die partikularrechtlichen Besonderheiten in Preußen, Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden, Hessen sind außerdem die oben § 228 Anm. 1 angegebenen Darstellungen des Staatsrechts dieser Länder zu vergleichen. 2 Rheinbundsakte vom 12. Juli 1806 Art. 27 u. 28. 8 Bundesakte vom 8. Juni 1815 Art. 14. 4 Dem Einflüsse der Landesgesetzgebung sollte das Eigentum dadurch nicht entzogen sein. Über die in dieser Beziehung in Württemberg und Hannover vorgekommenen Streitigkeiten vgl. H. A. Zachariä Bd. 1 § 97 S. 520B N. 7. Durch diese Bestimmung wurden die älteren Hausgesetze und Familienstatuten, welche in der Rheinbundszeit aufgehoben waren, wieder hergestellt. Vgl. H. A. Zachariä 1 523 N. 4 ; H. Schulze a. a. O. 1860.
Rechtsverhältnisse der Untertanen.
§ 229.
groß genug war, in zweiter Instanz, Forstgerichtsbarkeit, Ortspolizei, Aufsicht in Kirchen- und Schulsachen und über milde Stiftungen. Die Bestimmungen der Bundesakte erlangten durch deren Publikation in den Einzelstaaten gesetzliche Geltung. Meist aber fand noch eine besondere Regelung der Rechtsverhältnisse der Standesherren durch Gesetze, Verordnungen oder Verträge statt 6 . 6 In Preußen erfolgte diese Regelung durch V. vom 21. Juni 1815 und Instr. vom 30. Mai 1820. Durch die Verfassung und eine Reihe von Gesetzen aus der Zeit von 1848—1850 wurden die Vorrechte der Standesherren zum großen Teü beseitigt. Die sogenannte Deklaration der Verf.-Urk. vom 10. Juni 1854 (vgl. über sie die oben Anm. 1 angef. Schrift von Loening) erklärte jedoch, daß die Bestimmungen der Verfassung der Wiederherstellung der standesherrlichen Rechte nicht entgegenständen und daß diese Wiederherstellung durch königliche Verordnung erfolgen solle. Auf Grund dieses Gesetzes wurden jedoch zwei königliche Verordnungen vom 12. Nov. 1855 erlassen, von denen die erstere den privilegierten Gerichtsstand der Standesherren wieder einführte, die andere bestimmte, daß die Regelung der standesherrlichen Verhältnisse durch besondere Verträge mit den einzelnen Häusern erfolgen solle. Durch G. vom 15. März 1869 haben die daraufhin abgeschlossenen Verträge die Anerkennung der gesetzgebenden Faktoren namentlich hinsichtlich ihrer finanziellen Bestimmungen erhalten, es ist aber bestimmt, daß künftighin die Wiederherstellung nur durch G. erfolgen könne. Auf Grund dieser Bestimmungen sind die GG, betr. die Regulierung des standesherrlichen Rechtszustandes des fürstlichen Hauses zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg bezüglich der Grafschaft Wittgenstein-Berleburg und der Grafschaft Homburg an der Mark, und betr. die Regulierung des standesherrlichen Rechtszustandes des fürstlichen Hauses zu Bentheim-Tecklenburg bezüglich der Herrschaft Rheda und der Grafschaft Höhen-Limburg, vom 25. Okt. 1878 erlassen. In der Provinz Hannover sind nur zwei Standesherren: der Fürst von Bentheim, dessen Rechtszustand durch Vertr. mit Hannover vom 16. März 1823 und die hannov. VV vom 18. April 1823 und 21. Juli 1848 geregelt ist, und der Herzog von Aremberg, dessen Rechtsverhältnisse jetzt nach den Bestimmungen des preuß. G. vom 27. Juni 1875 zu beurteilen sind. Für das ehemalige Kurhessen kommen in Betracht das Ed. vom 25. Mai 1833 und G. vom 13. Nov. 1849. In Nassau ist die Regelung durch einzelne Rezesse erfolgt, welche nicht publiziert worden sind. B a y e r n : Verf.-Urk. Tit. V § 2. Beilage IV, Edikt, die staatsrechtlichen Verhältnisse der vormals reichsständischen Fürsten, Grafen und Herren betr. W ü r t t e m b e r g : Verträge mit einzelnen Standesherren (vgl. R. v. Mohl, Württemb. Staatsr. § 85; v. Sarwey, Württemb. Staatsr. 1 810 ff.)- In Baden wurden die Rechtsverhältnisse der Standesherren zunächst durch das Edikt vom 23. April 1818, die Rechtsverhältnisse der vormaligen Reichsstände und Reichsangehörigen betr., geregelt, doch gelangte dieses Edikt, ungeachtet es die Bad. Verf. im § 23 zu einem integrierenden Bestandteil ihres Textes erklärte, nicht zur Durchführung, nachdem die Standesherren dagegen Beschwerde bei dem Bundestage erhoben hatten. Ebensowenig wurde das hiernächst erlassene Edikt vom 16. April 1819, welches den Wünschen der Beschwerdeführer entgegenkommen wollte, in Vollzug gesetzt, da der inzwischen in Wirksamkeit getretene Landtag es als verfassungswidrig bezeichnete und gegen seine Ausführung Widerspruch einlegte. Schließlich wurden die Verhältnisse der Standesherren durch landesherrliche Verordnungen („Deklarationen") auf Grund von Vereinbarungen mit den einzelnen Familien geregelt. Vgl. Walz, Bad. StR 27ff. Hessen, Ed., die Rechtsverhältnisse der Standesherren betr., vom 18. Juli 1858 (van Calker, Hess. StR 18 ff.).
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Zweiter Teil.
Viertes B u c .
§
2 .
2. Die in der Bundesakte und den auf derselben beruhenden Landesgesetzen eingeräumten Vorrechte stehen allen denjenigen Häusern zu, welche im Deutschen Reiche R e i c h s s t a n d s c h a f t besaßen. Der Umstand, daß das Territorium schon vor Untergang des Reiches der Landeshoheit eines anderen Reichsstandes unterworfen war, bleibt ohne Einfluß, wenn nur die Familie ihre Reichsstandschaft bewahrt hatte 7 . Dagegen können weder die reichsständischen Personalisten, welche nur vorläufig unter Vorbehalt der nötigen „Realqualifikation" zum Reichstage zugelassen waren, noch diejenigen Familien, welche nur wegen eines Reichsamtes Sitz im Reichstage hatten, die von der Bundesakte den Standesherren zugesicherten Vorrechte für sich in Anspruch nehmen 8 . 3. Durch die A u f l ö s u n g des d e u t s c h e n B u n d e s im Jahre 1866 sind nur diejenigen in den Bundesgrundgesetzen ent^ haltenen Rechtssätze weggefallen, welche sich auf den Bund selbst und dessen Organisation bezogen, die Vorschriften über die Rechtsstellung der Standesherren also bestehen geblieben. Sie haben aber den Charakter als B u n d é s r e c h t , d. h. als höhere über den Landesgesetzen stehende Normen verloren. Es kann deshalb ihre Aufhebung auf dem Wege der Landesgesetzgebung 9 erfolgen. 7 Dies ist der Fall bei den Häusern S t o i b e r g , Schönburg, F u g g e r und Giech. Die Reichsstandschaft der Grafen von S t o l b e r g ruhte nicht nur auf ihren rheinischen Besitzungen, sondern auch auf den der brandenburgischen, kursächsischen und braunschweig-lüneburgischen Landeshoheit unterworfenen Grafschaften Stolberg, Wernigerode und Hohenstein (H. A. Zachariä, Rechtsgutachten, die staatsrechtlichen Verhältnisse des gräflichen Hauses und der Grafschaft Stolberg-Wernigerode zur preußischen Krone betr., Göttingen 1862). Bei Erlaß des preußischen G. vom 10. Juni 1854 bestand eine völlige Übereinstimmung der gesetzgebenden Faktoren darüber, daß dasselbe auf die gräflich Stolbergischen Häuser Anwendung finden sollte iv. Roenne, Preußisches Staatsrecht 2 § 152 S. 291 ff.; H. Schulze, Preußisches Staatsrecht § 124). Die Rechtsstellung des Hauses Schönburg im Königreich Sachsen ist durch eine Reihe von Rezessen geordnet (Leuthold, Sächsisches8 Staatsrecht, in Marquardsens Handbuch 189 N. 5). Zu den letzteren gehören die Grafen von Pappenheim, deren Haupt als Reichserbmarschall zu einem Sitz im Fürstenrate, aber nicht zu einer Stimme berechtigt war. Denselben sind jedoch in Bayern durch mehrere königliche Erlasse die Rechte der Standesherren und das Prädikat „Erlaucht" beigelegt und es ist eine entsprechende Anmeldung beim Bundestage gemacht worden.— Den hohen Adel der Familie Bentinck hat der Bundestag durch B. vom 12. Juni 1845 anerkannt, obgleich dieselbe die ihr vom Kaiser verliehene Reichsstandschaft niemals ausgeübt hat, ebenso den hohen Adel verschiedener reichsständischer Personalisten, z. B. der Grafen von S c h l i t z , genannt Goerz, der Grafen von P l a t e n - H a l l e r m u n d , der Grafen von Neipperg. 9 And. Ansicht: H. A. Zachariä in der N. 1 angeführten Denkschrift S. 82 ff., dem sich im wesentlichen H. Schulze, Lehrb. des deutschen Staatsrechts 1 401 ff. und Heyer a. a. O. 90 ff. angeschlossen haben, unter Berufung darauf, daß die Bestimmungen der Bundesakte den Charakter von vertragsmäßigen Verpflichtungen hätten, also ohne Zustimmung der Beteiligten, nämlich der Standesherren, nicht aufgehoben werden könnten. Aber die bei dem Vertrage Beteiligten sind nicht die Standesherren, sondern die
.Rechtsverhältnisse der Untertanen.
§ 229.
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Hicht minder ist die Reichsgesetzgebung befugt, diese Rechte zu beseitigen, soweit der betreffende Gegenstand in ihre Kompetenz einschlägt. I n der Tat sind auch, znm Teil schon während desBestehens des Bundes und ebenso nach Auflösung desselben, standesherrliche Rechte im Wege der Gesetzgebung aufgehoben worden. Die Patrimonialgerichtsbarkeit war vielfach schon durch Landesgesetze abgeschafft; durch die Reichsjustizgesetze ist sie definitiv flir ganz Deutschland beseitigt. Dasselbe gilt mit einer später zu erwähnenden Ausnahme von dem privilegierten Gerichtsstande. Die Patrimonialpolizei und die übrigen Verwaltungsbefugnisse sind in den meisten Ländern durch die neuere Verwaltungsgesetzgebung aufgehoben worden 1 0 . Die Freiheit des Aufenthalten ist in der allgemeinen Freizügigkeit aufgegangen n . Dagegen haben einzelne Vorrechte der Standesherren durch reichsgesetzliche Bestimmungen eine ausdrückliche Bestätigung gefunden. Als besondere Rechte der Standesherren bestehen demnach *noch folgende: 1. das Recht der E b e n b ü r t i g k e i t mit den regierenden deutschen Fürstenhäusern und der Anspruch der Häupter der standesherrlichen Familien auf die Prädikate „Durchlaucht" und „ E r l a u c h t " 1 2 ; 2. das Recht der A u t o n o m i e in bezug auf ihre Güter und Familienverhältnisse. Dieses Recht soll den standesherrlichen Häusern auch nach dem Inkrafttreten des bürgerlichen andern deutschen Staaten, und die vertragsmäßige Verpflichtung gegenüber diesen ist mit dem Aufhören des Bundes ninweggefallen. Auch Hammann a. a. O. 58ff. behauptet die Unentziehbarkeit der Rechte, weil sie den Charakter wohlerworbener Rechte hätten. Wohlerworbene Rechte sind aber keine Schranke für die Gesetzgebung (vgl § 155 S. 645). Übereinstimmend Thudichnm, Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes 7; Seydel, Kommentar zur Verfassungsurkunde für das Deutsche Reich, zu Art. 57 Nr. I I I ; P. v. Roth, Deutsches Privatrecht 1 § 48 N. 7; v. Sarwey, Württemb. Staatr. 1 814ff.: Loening, Die Autonomie der standesherrlichen Häuser 9, 23; Anschütz, Enzykl. 93; K. Scholly, Das Autonomierecht des hohen Adels 38ff. 'r G. Rohmer, Die rechtliche Natur des standesherrlichen Steuervorrechts und sein Umfang nach dem Staatsrecht Bayerns (1893) 5ff.; B. Schmidt, Der Staat, 89 ff. 10 Durch das preuß. G. vom 16. Juli 1876, welches die Kreisordnung vom 13. Dez. 1872 auf die stolbergischen Besitzungen ausdehnt, ist den Grafen von Stolberg als besonderes Vorrecht nur das Recht, bei den Anstellungen gewisser Beamten gehört zu werden, und die Ausübung des Wahlrechtes durch Stellvertreter zugesagt worden. Ahnliche Befugnisse stehen den Fürsten zu Sayn-Wittgenstein-Hohnstein und Sayn-Wittgenstein-Berleburg (KrO für Westf. § 99), den Fürsten zu Wied, Solms-Braunfels und Solms-Hohensolms-Lich (KrO für die Rheinprov. § 99) zu. Die Befugnis, das Wahlrecht durch Stellvertreter auszuüben, besitzen auch die .Standesherren in Hannover (KrO § 53) und Hessen-Nassau (KrO § 54). Über die Einführung der sächsiscnen Verwaltungsgesetze in den schönburgischen Rezeßherrschaften vgl. V. vom 19. Sept. 1874. 11 Daraus ergibt sich, daß die allgemeinen gesetzlichen Aufenthaltsbeschränkungen sich auch auf die Standesherren erstrecken. Vgl. Seydel, AnnDR 1876 159 N. 8; R. v. Mohl, Deutsches Reichsstaatsrecht 192; Dames, Freizügigkeit und Aufenthalt 21. 12 BB vom 18. Aug. 1825 und 13. Febr. 1829 (G. v. Meyer a. a. O. 2 177, 211).
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Zweiter Teil.
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§
2 .
Gesetzbuches für das Deutsche Reich zustehen, aber nur nach Maßgabe der Landesgesetze 18 . Die Landesgesetzgebung ist also in •der Lage, die bestehenden autonomischen Befugnisse zu erweitern, einzuschränken öder auch vollständig zu beseitigen. Vor dem bürgerlichen Gesetzbuche konnten auf Grund der standesherrlichen Autonomie Vorschriften erlassen werden, welche von den landesgesetzlichen abwichen; dagegen gingen reichsgesetzliche Normen den autonomischen unbedingt vor. Nachdem aber im Einführungsgesetz zum bürgerlichen Gesetzbuch die Autonomie ausdrücklich vorbehalten ist, können auch Bestimmungen dieses Gesetzbuches durch autonomische Satzungen geändert werden. Dagegen ist dies nicht möglich hinsichtlich der Vorschriften solcher Reichsgesetze, welche neben dem bürgerlichen Gesetzbuche in Kraft bleiben 1 4 . Weitere Rechte sind: 3. die F r e i h e i t v o m M i l i t ä r d i e n s t 1 5 ; 4. B e f r e i u n g der Wohngebäude v o n d e r E i n q u a r t i e r u n g s l a s t im F r i e d e n 1 6 ; 5. das Recht der A u s t r ä g e , d. h. eines Gerichtes von Standesgenossen in Kriminalsachen, soweit es bisher* durch Landesgesetze gewährt war, auch nach der Reichsjustizgesetzgebung 17 ; 6. p r i v i l e g i e r t e S t e l l u n g hinsichtlich der B e s t e u e r u n g 1 8 ; 7. das Recht der L a n d s t a n d s c h a f t 1 9 . « EG zum BGB Art. 58. 34 In den Materialien zum dritten Abschnitt des Entwurfes eines Einführungsgesetzes zum BGB werden als Reichsgesetze, durch welche der Autonomie der Mediatisierten bisher Schrankee gezogen waren, und welche neben dem BGB in Kraft bleiben, namentlich das G. über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung vom 6. Febr. 1875 und das G., betr. das Alter der Großjährigkeit, vom 17. Febr. 1875 angeführt. Nun ist aber der Volljährigkeitstermin durch das BGB § 2 geregelt, das G. vom 17. Febr. 1875 also hinfällig geworden, die Bestimmungen des G. vom 6. Febr. 1875 über die Form der Eheschließung sind ebenfalls aufgehoben und durch die Vorschriften des BGB ersetzt worden (EG Art. 46). Die Voraussetzung, daß diese Gesetze neben dem BGB in Kraft blieben, trifft also nicht zu. {AM betreffs des Personenstandsgesetzes: Schücking in der DJZ 1903 49.) Angesichts der vorhin erwähnten Äußerung der Motive, gegen die von keiner Seite Widerspruch erhoben ist, wird man jedoch annehmen dürfen, daß nach Absicht der gesetzgebenden Faktoren solche Schranken, welche der Autonomie der standesherrlichen Häuser in früheren Reichsgesetzen gezogen waren, durch Art. 58 des EG zum BGB nicht wieder beseitigt werden sollten (a. M. Sehücking a. a. 0.). Vgl. zu der Frage noch Loening, Die Autonomie usw. 100 ff. 16 RG, betr. die Verpflichtung zum Kriegsdienst, vom 9. Nov. 1867 § 1. 16 RG, betr. die Quartierleistung für die bewaffnete Macht während des Friedenszustandes vom 25. Juni 1868 § 4. "" EG zum RGVG § 7. 18 In Preußen sind die Standesherren für ihre Domanialgrundstücke von der Grundsteuer und für die zu ihren Standesherrschaften gehörigen Gebäude von der Gebäudesteuer befreit (G., betr. die anderweite Regelung der Grundsteuer, vom 21. Mai 1861 § 4, G., betr. die Einführung einer allgemeinen Gebäudesteuer, vom 12. Mai 1861 5 8, G., betr. die Regulierung des standesherrlichen Rechtszustandes des fürstlichen Hauses zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg bezüglich der Grafschaft Wittgenstein-Berleburg und der Herrschaft Homburg an der Mark, vom 25. Okt. 1878 § 11). In den neuen Provinzen gilt jedoch die Befreiung nur insoweit, als sie den Standesherren
Rechtsverhältnisse der Untertanen.
§ 229.
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4. Die Rechte der Standesherren sind teils p e r s ö n l i c h e , , teils s u b j e k t i v - d i n g l i c h e Rechte. Jene stehen den Standesherren in allen deutschen Staaten zu, diese nur in denjenigen, in welchen die standesherrschaftlichen Besitzungen gelegen sind. Z u den ersteren gehören die unter 1—5 aufgeführten Rechte und die Freiheit von Pefsonalsteuern, zu den letzteren die Landstandschaft und die Freiheit von Grund- und Gebäudesteuern. Durch Veräußerung der Standesherrschaft gehen die dinglichen, dagegen nicht die persönlichen Rechte verloren 2 0 . Übrigens können auch die dinglichen Rechte von jemand ausgeübt werden, der von den* reichsständischen Geschlechte abstammt, welchem die betreffenden Besitzungen zur Reichszeit gehörten 2 1 . 3« Der Adel 1 . § 229 a. Die bevorrechtigte Stellung des A d e l s ist durch die neuere Gesetzgebung beinahe völlig beseitigt worden. Erhalten haben bereits nach der früheren Gesetzgebung zugestanden hat (G. vom 11. Febr. 1870 § 3, G., betr. den standesherrlichen Rechtszustand des Herzogs von Aremberg, vom 27. Juni 1875 § 8). Die Freiheit von der Einkommensteuer ist gegen Entschädigung aufgehoben (Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891 § 4, G., betr. die Aufhebung der Befreiung von ordentlichen Personalsteuern gegen Entschädigung, vom 18. Juli 1892). In B a y e r n sind die Standesherren nach § 53 aes Ediktes von Personalsteuern befreit, eine Bestimmung, über deren Umfang Streit bestand (Poezl, Bayer. Verfassungsrecht § 77 N. 7. Seydel, Bayer. Staatsrecht (2. Aufl.) 1 221 N. 114; der Streit ist seither erledigt durch die Aufhebung sämtlicher standesherrlicher Steuerbefreiungen gegen Entschädigung: Bayr. G. vom 9. Juni 1899), ebenso von der Häusersteuer für ihre Schloßgebäude. Als Entschädigung für die Heranziehung zur Grundsteuer hat der Staat ihnen entweder eine besondere Rente gewährt oder einen Teil ihrer Schulden übernommen. Vgl. G. Rohm er,. Die rechtliche Natur des standesherrlichen Steuervorrechtes. Uber Württemberg vgl. R. v. Mohl § 87. Keine Steuerfreiheit der Standesherren besteht in Baden (Ed. vom 16. April 1819 § 31)und Hessen (G. vom 18. Juli 1858 § 36). Vgl. oben 338 ff *> H. A. Zachariä 1 518; Zöpfl 2 153 ff.; Berchthold a. a. 0. S. 195 N. 54-r v. Sarwey, Württemb. Staatsr. 1 317ff., 2 153ff.; Hammann a. a. 0. 36j. Scholly, Autonomierecht 24ff. — Golther, Über die staatsrechtlichen Folgen der Veräußerung einer Standesherrschaft, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 17 208ff., will als persönliche Rechte nur den hohen Adel und die Ebenbürtigkeit anerkennen. Nach dieser Ansicht wurden im Fall der Veräußerung einer Standesherrschaft nur diese Rechte bestehen bleiben, alle anderen verloren gehen. Vgl. dagegen H. A. Zachariä in der Nr. 1 angeführten Denkschrift. Im Gegensatz dazu ist Poezl, Bayerisches Verfas8ungsrecht § 78, der Ansicht, daß der Verlust der Standesherrschaft erade den Verlust der Ebenbürtigkeit, dagegen nicht den der anderen ersonalrechte zur Folge habe. Seydel, Bayerisches Staatsrecht (2. Aufl.) 1 325, behauptet, daß durch Veräußerung der Standesherrschaft alle standest herrlichen Rechte verloren gehen. « H. A. Zachariä 518; Berchthold a. a. 0. 195 N. 54; Seydel, Bayer. Staatsrecht (2. Aufl.) 1 614. — Anderer Ansicht: Zöpfl § 822 S. 155; Goeriz, Beitrag zur Lehre vom Landstandschaftsrecht der Stanaesherren, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 27 599ff.; Heyer a. a. O. 119. 1 vgl. Sächs. Adelsgesetz vom 19. September 1902. Bornhak, Preuß.
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Zweiter Teil.
Viertes Bucli.
§
2 .
sich nur noch in mehreren deutschen Staaten eine besondere Vertretung auf den Landtagen 2 und ganz vereinzelte privatrechtliche Vorrechte, z. B. das ausschließliche Recht, Familienfideikommisse z u besitzen 3 . Die deutsche Bundesakte 4 hatte dem ehemaligen Reichsadel {d. h. der Reichsritterschaft) einige besondere Rechte zugesichert, namentlich Freiheit des Aufenthaltes, Autonomie innerhalb der Schranken der Landesg^setzgebung, Anteil der Begüterten an der Landstandschaft, Patrimonial- und Forstgerichtsbarkeit, Ortspolizei, Kirchenpatronat und privilegierten Gerichtsstand. Diese Rechte sind jedoch teils durch die spätere Gesetzgebung beseitigt worden, teils haben sie durch dieselbe ihre Bedeutung verloren, so daß die ehemalige Reichsritterschaft jetzt in allen wesentlichen Punkten dem übrigen Adel gleichsteht. Die Autonomie -des vormaligen Reichsadels und des ihm in dieser Hinsicht vor Inkrafttreten des bürgerlichen Gesetzbuches gleichgestellten landsässigen Adels bleibt nach Maßgabe der Landesgesetze auch ferner in K r a f t 5 . Zweiter
Abschnitt.
Rechtsverhältnisse der Versammlungen, Vereine und Korporationen 1, § 230. V e r e i n ist eine dauernde freiwillige Verbindung mehrerer Personen zu einem bestimmten Zweck. K o r p o r a t i o n e n heißen diejenigen Vereine, denen Rechtsfähigkeit beigelegt ist. V e r s a m m l u n g e n sind Zusammenkünfte mehrerer Personen zum Zwecke gemeinsamer Erörterungen oder Kundgebungen. Die Versammlungen zerfallen in n i c h t ö f f e n t l i c h e , zu welchen nur individuell bestimmte Personen zugelassen werden, und öffentStR 1 307ff.; v. Roenne-Zorn, Preuß. StR 2 70ff.; Lebrecht, AnnDR 1906 415ff.; L. Hofimann, Das Adelsrecht in Bayern (1896); Walz, Bad. StR 23ff. 2 Vgl. §§ 98 u. 100 S. 838ff. u. 353. » Bayr. Verf. Beil. V I I § 1. Bad. LR S. 577cd. AusfG. zum BGB vom 417. Juni 1899 Art. 36 § 4. Bundesakte vom 8. Juni 1815 Art. 14. » EG zum BGB Art. 58. 1 [Literatur. I. Ältere: Gierke, GenossR 1 865ff., 8 769 ff.; L.v.Stein, Verwaltungslehre I V 107ff.; Brater, Art. Vereine und Versammlungen im Staatswörterbuch; Lewis, Art. Vereinsrecht im Rechtslexikon; Sohm, Über die Geschichte der Vereinsfreiheit, Schmollers Jahrb. 6 803ff.; Jolly, Art. Vereine und Versammlungen in v. Stengels Wörterb. (1. Aufl.) 2 666 ff. I I . Neuere: Mever-Dochow 160ff.; Stier-Somlo, Vereine u. Versammlungen, WStVR 8 650 ff. (Literatur S. 655, 656); Loening, Art. Vereins- u. Vers.-Freiheit, Handwörterb. d. Staatswiss. 8 152ff.; Anschütz, Komm. z. preuß. Verf. 1 513ff.; die Kommentare zum Reichsvereinsgesetz (RVG) vom 19. April 1908, von denen insbesondere Stier-Somlo, Delius, Friedenthal, Hieber-Bazule, Heine, Lindenberg zu nennen sind].
Rechtsverhältnisse der Untertanen.
§ 2 .
l i e h e , bei denen eine solche Beschränkung nicht stattfindet. Z u den nicht öffentlichen gehören auch die V e r e i n s v e r s a m m l u n g e n (Versammlungen der Mitglieder eines bestimmten Vereins). Während im Mittelalter und namentlich in den beiden letzten Jahrhunderten desselben der Assoziationstrieb außerordentlich rege war und dementsprechend eine beinahe völlige Assoziationsfreiheit bestand, verlor aas Vereinswesen seit der Reformationszeit mehr und mehr seine Bedeutung. Die Gesetzgebung hatte daher wenig Veranlassung, sich mit demselben zu beschäftigen; Die Reichsgesetze beschränkten sich darauf, Verbindungen zu rechtswidrigen und unerlaubten Zwecken zu verbieten 2 . Die Juristen gingen aber weiter, und im Anschluß an das römische Recht behaupteten sie, daß alle nicht ausdrücklich genehmigten Vereine unzulässig seien 8 . Doch wurde die stillschweigende Duldung in der Regel der ausdrücklichen Genehmigung gleichgestellt. Das preußische Allgemeine Landrecht ging grundsätzlich von der Freiheit der Vereine und Versammlungen aus, legte aber der Regierung die Befugnis bei, Vereine durch Verwaltungsverfügung zu verbieten; allgemein verboten waren solche Vereine, deren Zweck der gemeinen Ruhe, Sicherheit und Ordnung zuwiderlief, sowie alle geheimen Gesellschaften 4 . Später wurde dieses Verbot auf alle politischen Vereine ausgedehnt 5 . I m neunzehnten Jahrhundert hat in allen Teilen Deutschlands ein großartiger Aufschwung des Vereinslebens stattgefunden. Soweit die Vereine nur wirtschaftliche, gesellige, künstlerische, wissenschaftliche, überhaupt unpolitische Zwecke verfolgten, hat die Gesetzgebung ihnen meist keine besonderen Beschränkungen auferlegt, sondern sich begnügt, ihre privatrechtliche Stellung zu regeln. U m so ungünstiger waren dagegen in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts die politischen Vereine gestellt. I n Preußen behielt das Edikt vom 20. Oktober 1798 (Anm. 5) bis zum Jahre 1848 gesetzliche Geltung. Ein Beschluß des Deutschen Bundes vom 5. Juli 1832 6 verbot alle politischen Vereine. Volksversammlungen und Volksfeste sollten nur mit obrigkeitlicher Bewilligung stattfinden und bei denselben keine Reden politischen Inhaltes gehalten werden. Erst mit dem Jahre 1848 gelangte in Deutschland der Grundsatz der V e r e i n s f r e i h e i t zur Geltung. E r wurde sowohl in den Grundrechten des deutschen Volkes 7 als in den Verfassungen und zahlreichen Gesetzen der Einzelstaaten ausgesprochen. Ein Bundesbeschluß vom 13. Juli 1854 8 beabsichtigte gleichartige 2 3
RA von 1555 §§ 43 u. 44. Vgl, die bei Gierke a. a. 0. 1 873 N. 11 zitierten Schriftsteller. *5 Preuß. ALR T. I I Tit. 6 §§ 3 u. 4, Tit. 20 §§ 184 u. 185. Ed. vom 20. Okt. 1798. von neuem eingeschärft und auf die 1815 erworbenen Provinzen ausgedehnt durch V. vom 6. Jan. 1816. •7 G. v. Meyer a. a. O. 2 250 ff. RVerf von 1849 §§ 161 u. 162. 8 G. v. Meyer a. a. 0. 2 604 ff.
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Zweiter Teil.
Viertes B u c .
§ 21.
Normen über die Behandlung der Vereine für alle deutschen Staaten aufzustellen, ™ ' ' 1 1 vielen Ländern nicht eingeführt, in anderen deutschen Bundes wieder beseitigt worden. [In den meisten Staaten ergingen seit 1848 zur Regelung des Vereins- und Versammlungswesens Landesgesetze. Sie bezogen sich durchweg sowohl auf Vereine wie auf Versammlungen, erstreckten sich nur auf die öffentlichrechtliche, insbesondere polizeirechtliche Seite der Materie und ließen die privatrechtlichen Verhältnisse der Vereine unberührt 9 . An die Stelle dieser partikularen Vereinsgesetze sind reichsgesetzliche Namen getreten. Zunächst hat sich das Reich darauf beschränkt, das Vereins- undVersammlungswesen in einzelnen Richtungen und Beziehungen zu ordnen 1 0 ; im Jahre 1908 aber entschloß es sich zu einer zusammenfassenden Regelung der Materie: R e i c h s V e r e i n s g e s e t z v o m 19. A p r i l 1 9 0 8 n . Dieses Gesetz ( R V G ) ersetzt und beseitigt die erwähnten Landesgesetze. Es enthält die Anerkennung der Versammlungs- und Vereinsfreiheit und eine erschöpfende Ordnung der polizeirechtlichen Beschränkungen dieser Freiheit. D i e privatrechtlichen Verhältnisse der Vereine einschließlich der Frage des Erwerbs der Rechtsfähigkeit regeln sich nicht nach dem R V G , sondern nach dem B G B und den besonderen, auf Wirtschaftsgenossenschaften, Handelsgesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung bezüglichen Privatrechtsgesetzen des Reiches]. § 231. [Nach dem R V G unterliegen n i c h t p o l i t i s c h e V e r e i n e nur der Beschränkung, daß ihre Zwecke nicht den Strafgesetzen zuwiderlaufen dürfen ( R V G §§ 1, 2 1 . Die früher bestehenden Verbote gegen Arbeiterkoalitionen sind durch die GewO beseitigt worden 2 . Ebenso ist die für die Errichtung von Aktiengesellschaften erforderliche staatliche Genehmigung reichsgesetzlich aufgehoben 8 . Die R e c h t s f ä h i g k e i t (Eigenschaft als juristische 9 Ein Verzeichnis dieser Landesgesetze in der Vorauf!. § 280 Anm. 9 Literatur über sie dort Anm. 1. 10 [Vgl. Reichstagswahlges. vom 31. Mai 1869, § 17; GewO §§ 152,153; StrGB §§ 128, 129; MilStrGB § 101; RMilGes. § 49 Abs. 2; Ges. betr. das Vereinswesen vom 11. Dez. 1899 (RGBl 699). Diese Gesetze sind auch nach dem RVG in Kraft geblieben, soweit sie durch dessen § 23 nicht abgeändert oder 1aufgehoben worden sind]. 1 [Abgeändert durch RGfes. vom 26. Juni 1916, RGBl 635 (Bestimmungen zugunsten der Assoziationen von Arbeitgebern und Arbeitern, insbesondere der Gewerkschaften) und RGes. vom 19. April 1917, RGBl 361 (Aufhebung der Vorschrift, wonach Verhandlungen in öffentlichen Versammlungen in deutscher Sprache zu führen sind)]. 1 Ein Verein, dessen Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft, kann aufgelöst2 werden: RVG § 2. RGewO vom 1. Juli 1883 §§ 152—154. [§ 153 aufgehoben durch G. vom 22. Mai 1918, RGBl 423]. 8 RG, betr. die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaften, vom 11. Juni 1870 und 18. Juli 1884.
Rechtsverhältnisse der Untertanen.
§ 2 .
Person des Privatrechts, Korporationsqualität) erlangt ein Verein: 1. wenn er n i c h t a u f e i n e n w i r t s c h a f t l i c h e n G e s c h ä f t s b e t r i e b g e r i c h t e t i s t j durch Eintragung in das Vereinsregister des zuständigen Amtsgerichtes*; 2. wenn er a u f e i n e n wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, durch staatliche Verleihung 5 . Eine solche ist jedoch nicht notwendig, wo besondere reichsgesetzliche Vorschriften, wie bei Aktiengesellschaften, eingetragenen Genossenschaften usw. vorliegen oder wo kraft der im Einführungsgesetz enthaltenen Vorbehalte die Regelung der Rechtsverhältnisse durch die Landesgesetzgebung erfolgt ist, wie bei Gewerkschaften, Wassergenossenschaften, Waldgenossenschaften usw. Besonderen Beschränkungen unterliegen p o l i t i s c h e V e r e i n e , d. h. Vereine, die eine Einwirkung auf politische Angelegenheiten bezwecken. Politische Angelegenheiten sind Fragen, welche sich auf die Stellung des Staates zii irgend einem Vorgang oder einer Erscheinung des Lebens beziehen. Politische Vereine müssen einen Vorstand und eine Satzung haben 6 . Der Vorstand ist verfliehtet, der Polizeibehörde binnen zwei Wochen nach Gründung es Vereins die Satzung sowie das Verzeichnis der Mitglieder des Vorstandes (nicht auch der Vereinsmitglieder) einzureichen, sowie jede Änderung der Satzung oder der Zusammensetzung des Vorstandes binnen zwei Wochen nach Eintritt der Änderung anzuzeigen 7 . Politische Vereine dürfen keine Personen unter 18 Jahren als Mitglieder aufnehmen, auch solche Personen zu ihren Versammlungen, sofern es sich nicht um Veranstaltungen zu geselligen Zwecken handelt, nicht zulassen 8 . Den aktiven Militärpersonen ist die Teilnahme an politischen Vereinen und Versammlungen verboten 9 . Vereine jeder Art, auch politische, dürfen nach Belieben miteinander in Verbindung treten].
S
4 B
BGB § 21. BGB § 22. Gegen die Eintragung kann die Verwaltungsbehörde Einspruch erheben, wenn der Verein nach dem öffentlichen Vereinsrecht unerlaubt ist oder verboten werden kann oder wenn er einen politischen, sozialpolitischen oder religiösen Zweck verfolgt. Der Einspruch kann im Wege des Rekurses nach Maßgabe der S§ 20, 21 der GewG., d. h. im öffentlichen kontradiktorischen Verfahren und zweifachen Instanzenzuge der Behörden, von denen mindestens eine kollegialisch organisiert sein muß, angefochten werden (BGB §§ 61, 62). •7 RVG § 3 Abs. 1. RVG § 3 Abs. 2, 8. 8 RVG 17. — Die Vorschriften der § § 3 , 17 RVG sind auf Vereine von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen nicht aus dem Grunde anzuwenden, weil diese Vereine auf solche Angelegenheiten der Sozial- oder Wirtschaftspolitik einzuwirken bezwecken, die mit der Erlangung oder Erhaltung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen oder mit der Währung oder Forderung wirtschaftlicher oder gewerblicher Zwecke zugunsten ihrer Mitglieder oaer mit allgemeinen beruflichen Fragen im Zusammenhange stehen: RGes. vom 26. Juni 1916 (s. o. S. 994 Anm. Ii). 8 RMilGes. § 49 Abs. 2. G. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsche« Staatsrecht.
IIL
7. Aufl.
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§ 2
§ 232. [Versammlungen im Sinne des R V G sind Zusammenkünfte mehrerer Personen zum Zwecke gemeinsamer Erörterungen oder Kundgebungen. Durch ihren Zweck unterscheidet sich die Versammlung von anderen, ihr bisweilen Äußerlich ähnlichen, unverbundenen Personenmehrheiten. Ein Auflauf auf der Straße, das Gewimmel des Marktes, ein Theaterpublikum sind Ansammlungen von Menschen, aber keine Versammlungen, sie genießen nicht den Schutz des R V G , wie sie andererseits auch dessen beschränkenden Vorschriften nicht unterliegen. Die letzteren beziehen 6ich mit einer Ausnahme 1 nur auf ö f f e n t l i c h e Versammlungen (s. o. § 230 S. 993). Für a l l e öffentlichen Versammlungen gilt das Verbot des Waffentragens 2 . Gewisse Vorschriften des R V G betreffen nur öffentliche p o l i t i s c h e Versammlungen, andere nur solche Versammlungen, welche, gleichviel womit sie sich beschäftigen, unter freiem Himmel stattfinden, noch andere nur solche, welche einer Anzeige (Bekanntmachung) oder Genehmigung bedürfen. 1. Öffentliche Versammlungen zur Erörterung politischer Angelegenheiten 8 ( p o l i t i s c h e V e r s a m m l u n g e n ) sind der Polizeibehörde mindestens 24 Stunden vor ihrem Beginn a n z u z e i g e n 4 . Die Anzeige kann ersetzt werden durch ö f f e n t l i c h e B e k a n n t m a c h u n g nach Maßgabe des Gesetzes6. Jede öffentliche politische Versammlung muß einen Leiter haben 6 . Personen unter 18 Jahren und aktive Militärpersonen dürfen an politischen Versammlungen nicht teilnehmen 7 . 2. Öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge auf öffentlichen Straßen und Plätzen bedürfen der G e nehmigung der Polizeibehörde. Die Genehmigung ist von dem Veranstalter nachzusuchen und darf nur versagt werden, wenn aus der Abhaltung der Versammlung oder der Veranstaltung des Aufzugs Gefahr für die öffentliche Sicherheit zu befürchten ist 8 . 3. Versammlungen, welche der Anzeige (Bekanntmachung) oder Genehmigung bedürfen, d. h. politische Versammlungen, welche im geschlossenen Raum und alle Versammlungen, welche unter freiem Himmel stattfinden sollen, unterliegen dem Ü b e r w a c h u n g s z w a n g und dem A u f l ö s u n g s r e c h t . Das heißt: sie müssen sich die Überwachung durch einen oder zwei Beauf1 RVG § 1 Abs. 2: „Die allgemeinen sicherheitspolizeilichen Bestimmungen des Landesrechts finden Anwendung, soweit es sich um die Verhütung unmittelbarer Gefahr für Leben und Gesundheit der Teilnehmer an einer Versammlung handelt." Diese Bestimmung bezieht sich auch auf nichtöffentliche Versammlungen. Vgl. Anschütz, Komm. 523, 524; Wölzendorff 2im VerwArch 18 261 ff. RVG 8 11. 8 Über den Begriff der8 polit. Angelegenheiten6 s. o. § 231 S. 995. 4 RVG § 5. RVG § 6. RVG § 10. 7 8 RVG § 17. RMilGes. § 49 Abs. 2. RGV §§ 7—9.
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§ 2 .
tragte der Polizeibehörde, denen ein angemessener Platz einzuräumen ist, gefallen lassen 9 und können von diesen Beauftragten — jedoch nur aus den im § 14 R V G namentlich aufgezählten Gründen — aufgelöst werden 1 0 , mit der Wirkung, daß die Versammelten bei Strafe verpflichtet sind, sich sofort zu entfernen. Das Recht, an Versammlungen und Vereinen teilzunehmen, steht auch A u s l ä n d e r n zu, es unterliegt jedoch insoweit nicht nur den Beschränkungen des R V G , sondern auch darüber hinaus^ denjenigen, welche sich aus den allgemeinen Normen des Landesrechts über die P o l i z e i 1 1 ergeben. Das Einschreiten der Polizei gegen Versammlungen und Vereine, an denen neben Ausländern auch Inländer teilnehmen, darf stets nur so erfolgen, daß dadurch der durch das R V G geschützten Versammlungs- und Vereinsfreiheit der Inländer kein Abbruch geschieht 12 ]. Dritter
Abschnitt.
Rechtsverhältnisse der Religionsgesellschaften 1. Einleitung. . § 233. Während der Staat das gesamte äußere Leben des Menschen beherrscht, soll sich die Tätigkeit der Religionsgesellschaften aut • RVG § 18. Ob sich der Überwachungszwang und das Auflösungsrecht nur auf die im Text angegebenen Kategorien von Versammlungen oder auch auf andere beziehen, ist streitig, vgl. die Darstellung der Streitfrage bei Anschütz, Komm. 530, 531. 11 Vgl. oben § 176 S. 758 ff. 19 Vgl. Anschütz, Komm. 518—522. 1 [Die umfängliche Literatur über das Verhältnis der Religionsgesellschaften zum Staat kann hier nicht aufgezählt werden. Übersichten finden sich in den meisten Lehr- und Handbüchern des Kirchenrechts (vgl. etwa Friedberg, Lehrb. d. Kirchenr. 108, Kahl, Lehrsystem 249ff.) und des Staatsrechts der deutschen Einzelstaaten (vgl. z. B. v. JRoenne-Zorn, Preuß. Staatsrecht 8 166, 167 Anm. 1, auch die Voraufl. dieses Buches, § 233 Anm. 1, wo namentlich die ältere Literatur angegeben ist). Hervorgehoben seien hier folgende Werke: Herrmann, Über die Stellung der Religionsgesellschaften im Staate (1849); Friedberg, Grenzen zwischen Staat und Kirche (1872); Sohm, Das Verhältnis von Staat und Kirche (1873); Zeller, Staat und Kirche, Vorlesungen (1873); Hinschius, Staat und Kirche (in Marquardsens Handb. d. öff. R.): Kahl, Lehrsystem des Kirchenr. u. d. Kirchenpolitik 246ff.; K. Rotenbücher, Die Trennung von Staat u. Kirche (1908)« Derselbe, Wandlungen in dem Verhältnisse von Staat u. Kirche, JahrbÖffR 8 336ff.; Artikel Evangelische Kirche, Katholische Kirche, Kirche, Kirchenhoheit, Religionsgesellschaften im WStVR; Freisen, Verfassungsgeschichte der kathol. Kirche Deutschlands in der Neuzeit (1916), insbes. 74ff.; Schoen, Evangel. Kirchenrecht in Preußen, 1 154ff.; Anschütz, Komm, zur preuß. Verf. 1 183—359 ff., insbes. 282 ff. Dazu dann die Darstellungen des Verhältnisses von Staat u. Kirche in den Lehrbüchern des Kirchenrechts (soweit diese nicht im vorstehenden schon aufgeführt sind) und des deutschen parti64* 10
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§ 2 .
die gemeinsame Gottesverehrung, den Glauben und das sittliche: Handeln ihrer Mitglieder beschränken. Diese Schranken sind jedoch häufig nicht eingehalten worden. Die Kirche besaß im Mittelalter eine umfassende Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit über weltliche Dinge. Auch nach der Reformation blieb dieses Verhältnis im wesentlichen bestehen und zwar nicht bloß in den katholischen, sondern auch in den protestantischen Territorien r wegen der engen Verbindung, in welche die protestantische Kirche mit dem Staate getreten war. Namentlich in drei Beziehungen, erhielt sich eine Einwirkung der Kirche auf die bürgerlichen Ver- v hältnisse: 1. in der kirchlichen Form der Eheschließung, von welcher auch die bürgerliche Gültigkeit der Ehe abhing, 2, in der den kirchlichen Organen zustehenden Gerichtsbarkeit in Ehesachen, 3. in der Teilnahme der Kirche an der Verwaltung und Beaufsichtigung des Unterrichtswesens. Erst im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts ist auch auf diesen Gebieten die ausschließliche Herrschaft des Staates zur Anerkennung gelangt. Die Religionsgesellschaften sind, wie alle anderen menschlichen Vereinigungen, im Staatsgebiete der Herrschaft des Staates unterworfen. Den Inbegriff der Hoheitsrechte, welche dem Staate über die Religionsgesellschaften, insbesondere über die christlichen Kirchen zustehen, bezeichnet man als K i r c h e n h o h e i t (ius circa sacra). K i r c h e n g e w a l t (ius in sacra) bedeutet dagegen den Inbegriff der Rechte einer Kirchengemeinschaft über ihre Mitglieder» Die Kirchenhoheit des Staates äußert sich namentlich i n : 1. dem R e f o r m a t i o n s r e c h t , d. h. dem Recht, über die Zulassung einer Religionsgesellschaft im Staatsgebiet zu entscheiden und deren rechtliche Stellung zu regeln; 2. dem A u f s i c h t s r e c h t . Auf Grund desselben hat der Staat die "Befugnis, Normativbestimmungen zu erlassen, nach welchen die Kirchen sich bei Ausübung ihrer Gesetzgebungsgewalt zu richten haben, und die Vornahme gewisser kirchlicher Akte von seiner Genehmigung abhängig zu machen 2 . Der Staat gewährt anderseits den Religionsgesellschaften einen besonderen Schutz 8 , indem er Strafgesetze gegen Störungen des Gottesdienstes und Schmähung der religiösen Einrichtungen erläßt/ kularen Staatsrechts (Giese bei v. Roenne-Zorn 3 166 ff.; Bornhak, Preuß„ StR, 3. Aufl., 8 633 ff.; v. Seydel-Graßmann, Bayer. StR 2 444ff.; Göz, Württ. StR 487ff.; Walz, Bad. StR 458ff.; van Calker, Hess. StR 297ff.)]. 2 Wenn Friedberg, Die allgemeine rechtliche Stellung der evangelischen Kirche zum Staat, Leipziger Dekanatsprogramm 1887 und Verfassungsrecht evangelischer Landeskirchen (1888) S. 50ff., Reformationsrecht und Aufsichtsrecht nur als Ausflüsse der Vereinshoheit des Staates, bzw. seiner Aufsichtsgewalt über öffentliche Korporationen bezeichnet, so ist dagegen griindsätzlich nichts einzuwenden. Aber diese Befugnisse haben gegenüber den Religionsgeselkchaften eine so eigentümliche Gestaltung angenommen, daß eine gesonderte Behandlung derselben für die juristische Darstellung sich als notwendig erweist. 9 Vgl. Kahl, Lehrsystem 380ff.: Giese bei v. Roenne-Zorn a. a. 0 . 3 182ff.; Anschütz, Komm. z. preuß. Verf. 1 267ff., 281ff., 336ff.
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die Heilighaltung der wisse Verfügungen der Die Ausübung der Gründung des Reiches
§ 2 .
Sonn- und Feiertage vorschreibt und gekirchlichen Behörden vollstreckt. Kirchenhoheit ist in Deutschland auch nach Sache der Einzelstaaten geblieben.
1. Das Reformationsrecht 1 . § 234. 1. Ein staatliches R e f o r m a t i o n s r e c h t konnte sich während .des Mittelalters nicht ausbilden, da nur eine einzige christliche Kirche, die römisch-katholische, existierte und neben derselben lediglich die Juden eine eigentümliche, geduldete Stellung bewahrten. Erst nachdem die protestantische Kirche durch den Augsburger Religionsfrieden von 1555 eine gesicherte Existenz im Reiche erhalten hatte, legten sich die Landesherren die Befugnis bei, die Konfession, der sie selbst angehörten, ausschließlich in ihren Territorien zu dulden, die Angehörigen der anderen Konfession dagegen zur Auswanderung zu zwingen. So nahmen fast alle deutschen Territorien einen konfessionell - einseitigen Charakter an. Auch der W e s t f ä l i s c h e F r i e d e ließ als anerkannte Religionsparteien im Reiche nur die Katholiken und die Protestanten {Lutheraner und Reformierte) z u 2 . Durch denselben wurde die Befugnis der Landesherren, die konfessionellen Verhältnisse ihrer Länder nach ihrem Ermessen zu gestalten, aufrechterhalten und zum erstenmal als ius reformandi bezeichnet 8 . Dieses Reformationsrecht erfuhr jedoch im Verhältnis der Katholiken und Protestanten zueinander eine dreifache Beschränkung: 1. Jede der beiden Konfessionen sollte diejenige Religionsübung behalten, welche sie zu irgend einer Zeit des Jahres 1624 gehabt hatte 4 . 2. Bei gezwungener oder freiwilliger Auswanderung der Angehörigen einer Konfession sollte keine Vermögensentziehung stattfinden ö . 3. Wenn dieselben-nicht zur Auswanderung gezwungen wurden, so hatten sie Anspruch auf häusliche Andacht und Gleichberechtigung in bürgerlicher Beziehung 6 . Hinsichtlich der beiden protestantischen Konfessionen wurde bestimmt, daß der Landesherr, welcher zu einer anderen protestantischen Konfession überträte oder ein Territorium mit einer Bevölkerung anderer protestantischer Konfession erwürbe, einen Hofgottesdienst seiner Konfession einrichten und seinen Glaubensgenossen die Religionsübung unwiderruflich 1 Kahl, Lehr system 1 289ff., 315ff.; v. Bonin, Die praktische Bedeutung des ius reformandi (1902); Greiff, Das staatliche Reformationsrecht (Erlanger Diss. 1903); Giese, bei v. Roenne-Zorn a. a. 0. 3 171 ff.; Anschütz, Komm. 183 ff. 8 Instr. pac. Osnabr. Art. V I I § 2. 8 Instr. pac. Osnabr. Art. V § 80. 4 Instr. pac. Osnabr. Art. V §§ 31 u. 32. * Instr. pac. Osnabr. Art. V § 36. « Instr. pac. Osnabr. Art. V §§ 34 u. 35.
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§ 24.
gestatten, die bestehenden Kircheneinrichtungen dagegen nicht verändern dürfe 7 . Infolge dieser Bestimmungen blieb auch nach dem Westfälischen Frieden der konfessionelle Charakter der deutschen Territorien fortbestehen. Neben der herrschenden Konfession existierten einzelne Gemeinden, welche auf Grund der Bestimmungen des Friedens eine Religionsübung in.Anspruch nehmen konnten oder vom Landesherrn toleriert wurden. Vielfach legten sich die Landesherren die Befugnis bei, auch andere christliche Religionsgemeinschaften als die drei anerkannten Hauptkirchen zuzulassen, obwohl dies mit den Bestimmungen des Westfälischen Friedens nicht im Einklang stand. D i e Grundsätze der T o l e r a n z kamen im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts zuerst in P r e u ß e n in umfassender Weise zur Geltung 8 . Schon bei der Erwerbung Gelderns war der Fortbestand der katholischen Kirche zugesichert worden. Dasselbe geschah bei der Abtretung Schlesiens und der ersten polnischen Teilung. Auch alle anderen religiösen Gemeinschaften wurden geduldet, sofern ihre Lehren nicht unsittlich oder gesetzwidrig waren. Durch das Religionsedikt vom 9. Juli 1788 wurde die vollkommene Gleichberechtigung der drei christlichen Hauptkonfessionen ausgesprochen. Das Allgemeine Landrecht gewährt jedem Einwohner des Staates volle Glaubens- und Gewissensfreiheit, sowie das Recht des häuslichen Gottesdienstes9. Zur Bildung von Religionsgesellschaften erfordert es dagegen Genehmigung des Staates 10 . D i e Religionsgesellschaften zerfallen nach ihm in ö f f e n t l i c h a u f g e n o m m e n e und g e d u l d e t e . Erstere haben die Stellung bevorrechtigter Korporationen, ihre Gebäude heißen Kirchen und sind als privilegierte Gebäude des Staates zu betrachten, ihren Beamten stehen die Rechte der Staatsbeamten zu. Letztere besitzen das Recht des Privatgottesdienstes in besonderen Gebäuden, deren Eigentum sie aber nur mit Bewilligung des Staates erwerben können; sie dürfen sich weder der Glocken bedienen noch öffentliche Zusammenkünfte außerhalb der Mauern ihres Versammlungshauses veranstalten 11 . 7 8
Instr. pac. Osuabr. Art. V I I §§ 1 u. 2. Vgl. Zorn, Lehrb. d.Kirchenrechts 174ff.; Derselbe, Die Hohenzollern und die Religionsfreiheit (1896); Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit; Anschütz, Komm. 183 ff; y. Roenne-Zorn a. a. O. 8 171 ff. 9 ALR I I 11 §§ 1—6, 40. Vgl. den Kommentar zu diesen Bestimmungen bei Hinschius, Das preuß. Kirchenrecht im Gebiete des Allgem. Landrecnts. 10 Lehmann, Preußen und die kathol. Kirche seit 16401(1878); Schoen, Das Landeskirchentum in Preußen, Verwaltungsarchiv 6 101 ff., Evang. Kirchenrecht in Preußen 1 160 ff. 31 ALR T. I I Tit. 11 §§ 17 ff. Diese Vorschriften blieben bis zum Erlaß der Verf. in Kraft. Vgl. Patent, die Bildung neuer Kirchengesellschaften betr., vom 30. März 1847. Zwischen die öffentlich aufgenommenen und die geduldeten Religionsgesellschaften schob sich aber unter dem Einfluß der Praxis noch eine dritte Klasse, die sog. konzessionierten, ein. (Vgl. Jacobsohn in der Zeitschrift für Kirchenrecht 1 394 ff).
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§ 2 .
Der R D H S v o n 1 8 0 3 1 2 zog dadurch, daß er in den Entschädigungslanden die Aufrechterhaltung der bisherigen Religionsübung vorschrieb, dem Reformationsrecht eine weitere Schranke. Durch die Akzessionsurkunden zum R h e i n b u n d 1 8 versprachen viele deutsche Pürsten, dem katholischen Kultus gleiche Berechtigung mit dem protestantischen einzuräumen. Infolge dieser Bestimmungen und der im Anschluß an dieselben erlassenen Landesgesetze war im wesentlichen eine Gleichberechtigung der drei Hauptkirchen in Deutschland eingetreten. Die d e u t s c h e B A knüpfte an den so entstandenen Rechtszustand an und stellte in Art. 16 den Grundsatz auf, daß die Verschiedenheit der drei anerkannten christlichen Religionsparteien keinen Unterschied im Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte begründe; sie. schloß damit die Reprobation einer dieser . Religionsgemeinschaften aus. Dagegen enthielt sie keinerlei Zusicherung über eine Gleichheit der Religionsübung u . Doch wurde in den meisten deutschen Ländern auch diese entweder durch ausdrückliche landesgesetzliche Bestimmungen 16 oder doch wenigstens tatsächlich gewährt. Den anderen Konfessionen standen dagegen keine bündesverfassungsmäßigen Rechte zu und zur Bildung von neuen Religionsgesellschaften wurde nach den Staatsgesetzgebungen regelmäßig besondere obrigkeitliche Genehmigung erfordert. Erst die G e s e t z g e b u n g s e i t d e m J a h r e 1 8 4 8 gab die Bildung von Religionsvereinen teils durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen 1 6 , teils indirekt dadurch frei, daß sie ein allgemeines Vereinsrecht gewährte und für Religionsgemeinschaften keinerlei Ausnahme konstituierte. Die R e i c h s g e s e t z g e b u n g hat, indem sie allen Reichsangehörigen das Recht der freien Niederlassung im ganzen Reichsgebiete gewährleistet 17 und jede aus der Verschiedenheit der KonRDHS § 63. 18 G. v. Meyer a. a. O. 1 89 ff. Daß die Bestimmungen des Art. 16 auch diese umfaßt haben, behaupten v. Linde, Gleichberechtigung der Aügsburger Konfession mit der katholischen Religion (1853); v. Schulte, Lehrbuch § 19 N. 2, und H. A. Zachariä, Zeitschrift für deutsches Staatsrecht 1 25 ff. Der Beweis, den letzterer aus den Verhandlungen des Wiener Kongresses zu erbringen versucht hat, scheint jedoch nicht gelungen. Vgl. dagegen Richter-Dove, § 98 S. 818 N. 1; MeieT, Der 16. Artikel der deutschen Bundesakte und der Bundestag, in der Kirchlichen Zeitschrift 1 236ff., 2 575ff.; Fischer, Nation und Bundestag 51; Fürstenau a. a. 0. 115; Kahl a. a. 0. 320. 15 Bayr. Verf. Beil, I I , Edikt über die äußeren Rechtsverhältnisse der Einwohner des Königreiches Bayern in Beziehung auf Religion und kirchliche Gesellschaften §§ 24ff., Sächs. Verf. § 56, W ü r t t . Verf. § 70, Hess Verf.1 ÄArt, 21, Braunschw. NLO § 211, L i p p . Ed. vom 9. Mai 1854. Preuß. Verf. Art. 12, W ü r t t . G., betr. die religiösen Dissidentenvereine, vom 9. April 1872, Bad. G., die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate betr., vom 9. Okt. 1860 § 3, Hess. Ed. vom 6. März 1848, G., die rechtliche Stellung der Kirehen und Religionsemeinschaften im Staate betr., vom 23. April 1875 Art. 2, S.-Kob.-Goth. tGR1 7 §83. KG über die Freizügigkeit vom 1. Nov. 1867 § 1. 11
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fessionen fließende Ungleichheit der bürgerlichen und politischen Rechte ausschließt 18 , den Einzelstaaten die Befugnis entzogen, Angehörigen bestimmter Religionsgesellschaften die Aufnahme im Staatsgebiet zu verweigern. Die R e p r o b a t i o n einer Religionsgesellschaft in dem Sinne, daß den Angehörigen derselben der Aufenthalt im Staatsgebiete nicht gestattet wird, kann künftighin nur im Wege der R e i c h s g e s e t z g e b u n g stattfinden. Dagegen ist reichsgesetzlich weder eine allgemeine Freiheit der B i l d u n g v o n R e l i g i o n s v e r e i n e n noch eine Gleichheit der R e l i g i o n s ü b u n g für alle Konfessionen garantiert 1 9 . Vielmehr weisen in diesem Punkte die Landes gesetzgebungen große Verschiedenheiten auf. Einige geben die Bildung von Religionsgesellschaften unbedingt frei und gewähren allen volle häusliche und öffentliche Religionsübung 20 . Nach diesen äußert sich die Einwirkung des Staates auf die Rechtsstellung der Religionsgesellschaften nur noch in der Erteilung von Korporationsrechten und der Verleihung von Privilegien. Andere gewähren zwar das Recht der freien Vereinigung zu religiösen Gemeinschaften, dagegen keine Gleichheit der Religionsübung; die Art derselben richtet sich nach den besonderen Verwilligungen 2 K Noch andere endlich haben andern Erfordernis staatlicher Genehmigung für die Bildung von religiösen Gemeinschaften festgehalten 22 . Das R e f o r m a t i o n s r e c h t der deutschen Staaten hat demnach durch die neuere Entwicklung zwar eine erhebliche Einschränkung erfahren, ist aber keineswegs beseitigt worden 2 8 . Dagegen muß nach Durchführung der völligen Gleichberechtigung aller Konfessionen der Standpunkt des e h r i s t l i c h e n S t a a t e s , welchen die deutsche Gesetzgebung früher einnahm, als aufgegeben betrachtet werden 2 4 . 18 19
EG betr. die Gleichberechtigung der Konfessionen, vom 3. Juli 1869. Vgl. auch Hinschius, Staat u. Kirche (in Marquardsens Handbuch) 359 N. 5; Fürstenau a. a. O. 244; Kahl a. a. 0. 322; Anschütz, Komm. 1 226 2227 265 ff. 306. ' 0 Preuß.'Verf. Art. 12, W ü r t t . G. vom 9. April 1872, Hess. G. vom 23. April 1875 Art. 2 u. 3. S.-Kob.-Goth. StGG § 33, Old. StGG Art. 76. « Bad. G. vom 9. Okt. 1860 §§ 2 u. 3, Wald. Vers. §§ 40 u. 41. [Der katholischen Kirche ist die volle öffentliche Religionsübune in B r a u n schweig und M e c k l e n b u r g erst durch G. vom 29. Dezember 1902, bzw. V. vom 5. Januar 1903 zugestanden worden]. aa * B a y r . Ed. §§ 3, 26, Sächs. G., die Einführung der Zivilstandsregister für Personen, welche keiner im Königreich Sachsen anerkannten Religionsgesellschaft angehören, und einige damit zusammenhängende Bestimmungen betr., vom 20. Juni 1870 § 21, Braunschw. G., die Rechtsverhältnisse der Dissidenten betr., vom 25. März 1873 § 20. Derselbe Grundsatz gilt in E l s a ß - L o t h r i n g e n fur alle religiösen Vereinigungen über zwanzig Personen wegen der auf diese anwendbaren Vorschriften aes französischen Vereinsrechtes. S.-Mein. G,, die aus der Kirche Austretenden betr., vom 7. Dez. 1878 Art. 6. 28 Vgl. auch Rieker, Die rechtliche Stellung der evangelischen Kirche Deutschlands (1893), S. 387; Kahl a. a. O. S. 324; v. Bonin, Die praktische Bedeutung des jus reformandi (1902). 24 Übereinstimmend mit der Auffassung des Textes: Kahl, Lehrsystem 1 271ff., 301ff.; Anschütz, Komm. 1260ff., 267 ff. Anderer Ansicht Rieker a. a. O.
Rechtsverhältnisse der Untertanen.
§ 2
2. Die Rechtsstellung der einzelnen Religionsgesellschaften in Deutschland ist folgende: a) Die k a t h o l i s c h e und d i e e v a n g e l i s c h e ( l u t h e r i s c h e und r e f o r m i e r t e ) K i r c h e nehmen die Stellung privilegierter Religionsgemeinschaften ein und gelten in vielen (nicht allen) Beziehungen als öffentliche Korporationen 25 . Sie genießen einen besonderen strafrechtlichen Schutz, ihre Geistlichen sind in vielen Beziehungen den Staatsbeamten gleichgestellt, sie erhalten eine Dotation aus Staatsmitteln und ihre Abgaben können im Wege der Verwaltungsexekution beigetrieben werden. Den Katholiken stehen nach einigen Landesgesetzen die A l t k a t h o l i k e n gleich, welche vom Standpunkte der betreffenden Staaten als Katholiken betrachtet werden 2 6 . b) Unter den ü b r i g e n c h r i s t l i c h e n R e l i g i o n s g e s e l l e c h a f t e n 2 7 sind diejenigen besonders ausgezeichnet, welche sich 387ff., weil der deutsche Staat sich indirekt zum Christentum als der religiösen Grundlage des Volkstums bekenne, indem er die christlichen Kirchen als öffentliche Korporationen behandle und damit ihren Wert für seinen Bestand und seine Wohlfahrt anerkenne. Dieser Umstand berechtigt aber doch noch nicht, den Staat selbst für einen „christlichen" zu erklären. Noch weniger kann aus den Beziehungen des Staates zur Religion überhaupt, namentlich dem konfessionellen Charakter der Schulen oder der Erteilung von Religionsunterricht in denselben und dem Gebrauch des Eides, wie Kieker, Die Stellung des modernen Staates zu Religion und Kirche, Dresden 1895 behauptet, ein spezifisch christlicher Charakter des Staates hergeleitet werden. 25 Diese Charakterisierung ist in der Wissenschaft vielfach üblich und hat ihren Ausdruck auch in der Gesetzgebung gefunden (Preuß. ALR T. I I Tit. 11 §§ 17 ff., Bayr. Rel. Ed. § 28, Bad. G. vom 9. Okt. 1860 § 1). Widerspruch dagegen hat Kahl a. a. 0. 332ff. erhoben, weil das Wesen der öffentlichen Korporation streitig sei. Doch empfindet er selbst das Bedürfnis, die Kirchen von anderen Korporationen zu. unterscheiden, und will sie deshalb als „qualifizierte Korporationen" bezeichnen. Übereinstimmend: Schön im Verwaltungsarchiv 6 126, der aber der Bezeichnung der Kirchen als öffentliche .Korporationen nur politische, nicht rechtliche Bedeutung zuerkennt. [Ähnlich wie a. a. 0. spricht sich Schoen über die Frage in seinem Preuß. Kirchenrecht 1 172 aus: die Kirchen seien staatsrechtlich k e i n e öffentlichen Korporationen; sie „haben lediglich die private Korporationsqualität. die auch andere Religionsgesellschaften besitzen, sie unterscheiden sich jedoch von diesen . . . durch bestimmte Qualitäten, die ihnen eine hervorragende Stellung auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts einräumen."4 Wie Kahl und Schoen im wesentlichen auch Anschütz, Komm. 1 300, 301: „Das Kennzeichen der öffentlichrechtlichen Korporation, Selbständigkeit, verbunden mit Organschaft im Staat, ist bei den Gemeinden, weiteren Kommunalverbänden und anderen „weltlichen" Selbstverwaltungskörpern vorhanden, bei den Kirchen dagegen nicht. Deshalb sind Kirche und Gemeinde inkommensurabel. Nur diese, nicht auch jene läßt sich unter den Gattungsbegriff der öffentlichrechtlichen Korporation bringen; die..Gemeinde ist öffentlichrechtliche Korporation, die Kirche ist es nicht". Ahnlich sprechen sich auch Rosin, Recht der öffentl .Genossenschaft 17ff., 35ff., Bierling, ArchÖffR 7 224 und Haenel, Staatsr. 1 151 aus]. 26 Preuß. G. vom 4. Juli 1875, Bad. G. vom 15. Juni 1874. 87 Jacobson, Über die Arten der ReligionBgesellschaften und die religiösen Rechtsverhältnisse der Dissidenten in Preußen, Zeitschrift für Kirchenrecht 1 392 ft.; S t ä h l in, Geschichte der Rechtsverhältnisse der re-
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Zweiter Teil.
Viertes B u c .
§ 24.
im Besitz von Korporationsrechten befinden 28 . A n diesen Besitz ist nicht nur die Eigenschaft als privatrechtliches Vermögenssubjekt, sondern es sind an denselben auch noch anderweite Vorrechte geknüpft 2 9 . [Diejenigen Religionsgemeinschaften, welche Körporationsrechte nicht besitzen, haben den Charakter gewöhnlicher (nicht rechtsfähiger) Vereine. Als solche entbehren sie der Eigenschaft als selbständiges Privatrechtssubjekt; in öffentlichrechtlicher, insbesondere polizeilicher Beziehung unterstehen sie den Vorschriften des Reichsvereinsgesetzes vom 19. April 1908 (oben §§ 230—232), soweit nicht die Landesgesetze abweichende Bestimmungen enthalten 8 0 ]. c) Die Rechtsverhältnisse der j ü d i s c h e n Religionsg e s e l l s c h a f t e n sind in mehreren Staaten durch besondere Gesetze geregelt worden. Einige dieser Gesetze haben eine Gesamtorganisation der israelitischen Religionsgemeinschaft für das ganze Land mit einer Oberbehörde geschaffen, während andere sich auf eine Ordnung der Rechtsverhältnisse der einzelnen Gemeinden beschränken 8 1 . Den jüdischen Synagogen- oder Rabbinatsgemeinden stehen fast überall Korporationsrechte z u 8 2 . ligiösen Genossenschaften und der Dissidenten in Württemberg, ebenda 11 398 ff.; Hinschius in Marquardsens Handb. 359 ff. £8 In Preußen besitzen Korporationsrechte die Herrnliuter kraft älterer Konzessionen (Jacobson, Das evangelische Kirchenrecht des preußischen Staates 1, Halle 1864, § 26), die von der evangelischen Landeskirche sich getrennt haltenden Lutheraner (sogenannte Altlutheraner, Generalkonzession vom 23. Juli 1845) und die Reformierten niederländischer Konfession (Erlaß vom 24. November 1849, Jacobson a. a. 0. § 26, Zeitschrift für Kirchenrecht 3 358 ff). Nach Art. 13 der Verf. können die Religionsgesellschaften Korporation srechte nur durch besondere Gesetze erlangen. (Hierzu: Anschütz, Komm. 1 235 ff.). Eine gesetzliche Regelung der Voraussetzungen der Erteilung von Korporationsrechten hat stattgefunden für die Gemeinden der Mennoniten (G. vom 12. Juni 1874) und der Baptisten (G. vom 7. Juli 1875). In Sachsen sind die Deutschkatholikenden anerkannten christlichen Kirchen gleichgestellt (G. vom 2. Nov. 1848). In Bayern ist für die Angehörigen der griechischen Kirche die Gleichberechtigung in bürgerlicher und politischer Beziehung mit den anerkannten Hauptkirchen ausgesprochen (VerfG vom 1. Juli 1834), eine Verleihung von Korporationsrechten ist hierin jedoch nicht zu finden (Poezl, Bayerisches Verfassungsrecht § 87 N. 8; Roth, Bayerisches Zivilrecht 1 228 N. 4; anderer Ansicht: Thudichum, Deutsches Kirchenrecht2 9§ 71). RStGB § 166, R. Militärgesetz vom 2/Mai 1874 § 65, Preuß. Vereinsgesetz vom 11. März 1&50 § 2, Jrreuß. G., betr. den Austritt aus der Kirche, vom 814. Mai 1873 § 8. 0 [RVG vom 19. April 1908, § 24. Vgl. Anschütz, Komm. 1 208ff, 526.] 83 Der erster© Zustand besteht beispielsweise in Württemberg, Sachsen, Baden, Hannover, dem ehemaligen Kurhessen und Holstein, der letztere in den alten preußischen Provinzen und Bayern. Vgl. J. Heimberger, Die staatskirchliche Stellung der Israeliten in Bayern (1893) S. 48ff., Freund im WStVR 8 299 ff. 82 Vgl. z. B. preuß. G. über die Verhältnisse der Juden vom 23. Juli 1847 § 37 und für Bayern: Heimberger a. a. O 133, 170.
Rechtsverhältnisse der Untertanen.
§ 2 .
I I . Das Aufsichtsrecht 1. Die katholische Kirche. § 235. A n der Spitze des heiligen römischen Reiches deutscher Nation,, welches nach der Auffassung des Mittelalters die gesamte Christenheit umfaßte, stand der K a i s e r - als weltlicher, der P a p s t als geistlicher Herrscher. Während bis zum Tode Heinrichs I I I . (1056) die kaiserliche Autorität das Übergewicht behauptete, ging seit Gregor Y I I . das Streben der Päpste dahin, die Macht des Kaisers zu brechen und die geistliche Gewalt der weltlichen tiberzuordnen. I m Bunde mit den italienischen Städten und unterstützt durch die partikularistische Selbstsucht der deutschen Fürsten erreichten sie im zwölften und dreizehnten Jahrhundert ihr Ziel. Unter Innocenz I I I . ' befand sich die päpstliche Suprematie auf dem Höhepunkte. Aber die Übertreibung der päpstlichen Ansprüche bewirkte eine um so stärkere Reaktion der staatlichen Elemente, als deren Repräsentant gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts zunächst das französische Königtum auftrat. Seit Verlegung der päpstlichen Residenz nach Avignon ging das Papsttum immer mehr seinem Verfalle entgegen» I n den Kämpfen Ludwigs des Bayern mit dem Papst zeigten Kaiser und Kurfürsten das Streben, die Unabhängigkeit der Kaiserwahl gegenüber den Übergriffen des römischen Stuhles zu behaupten. I m fünfzehnten Jahrhundert traten auch die Territorialgewalten, sowohl Städte als Landesherren, den Anmaßungen der Kirche mit Erfolg entgegen, indem sie die übermäßig ausgedehnte kirchliche Gerichtsbarkeit beschränkten und die Publikation päpstlicher Erlasse von ihrer Zustimmung abhängig machten. Aus diesen Anfängen entwickelte sich seit der R e f o r m a t i o n in denjenigen weltlichen Territorien, welche katholisch geblieben waren, ein s t a a t l i c h e s A u f s i c h t s r e c h t ü b e r d i e k a t h o l i s c h e K i r c h e . Zur Ausübung desselben bestellten die Landesherren eigene Behörden nach dem Muster der protestantischen Konsistorien. Während des dreißigjährigen Krieges wurde die Handhabung der Staatshoheitsrechte über die Kirche meist unterbrochen. Nach Beendigung desselben kam sie aber bald wieder in Aufnahme. Während des achtzehnten Jahrhunderts bestand in den größeren katholischen Staaten, namentlich in Österreich, ein System starker Bevormundung der Kirche, das in Präventivmaßregeln der verschiedensten Art seinen Ausdruck fand. Eine ähnliche Regelung des Verhältnisses der Kirche zum Staat enthielt das Preußische Landrecht 2 . Durch die im R D H S von 1803 angeordneten Säkularisationen 1
Kahl, Lehrsystem 1 349ff.; Giese bei v. Roenne-Zorn 3 174ff.; Anschütz, Komm. 282 ff. » Preuß. ALR T. I I Tit. 11. Vgl. Schoen, Preuß. Kirchenrecht 1 65 ff.; Giese bei v. Roenne-Zorn 3 174.
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Zweiter Teil.
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§
2 .
wurde der kirchlichen Organisation Deutschlands der Boden entzogen. Das Bedürfnis einer neuen Regelung derselben machte sich geltend. Aber es führten weder die Unterhandlungen des Papstes mit dem deutschen Reiche zu einem Resultat, noch kam der Gedanke, ein Konkordat mit dem Rheinbund abzuschließen, zur Ausführung. Dagegen hatte Napoleon I . schon als erster Konsul im Jahre 1801 ein Konkordat mit dem Papste vereinbart, welches die Verhältnisse der französischen Kirche zu regeln bestimmt war. Ein Gesetz vom 18. germinal des Jahres X (8. April 1802) legte demselben die Geltung eines Staatsgesetzes der französischen Republik bei und ergänzte es durch die sogenannten Organischen A r t i k e l 8 , in denen die Hoheitsrechte des Staates über die Kirche eine genaue Fixierung erhielten. Diese Bestim, mungen behielten in Elsaß-Lothringen auch nach der Vereinigung mit dem Deutschen Reiche gesetzliche Gültigkeit 4 . N a c h G r ü n d u n g des D e u t s c h e n B u n d e s fanden neue Unterhandlungen zwischen der römischen Kurie und den einzelnen deutschen Staaten statt. M i t Bayern wurde am 5. Juni 1817 ein Konkordat vereinbart, das am 24. Oktober und 15. November desselben Jahres seine Ratifikation erhielt. Die Publikation desselben erfolgte gleichzeitig mit der Verfassung am 26. Mai 1818, und zwar als erster Anhang zur zweiten Verfassungsbeilage, dem sogenannten Religionsedikt. I n dem letzteren waren die staatlichen Aufsichtsrechte ausführlich geregelt. Die übrigen Staaten verzichteten entweder von vornherein auf den Abschluß von Korkordaten oder die darüber stattgehabten Verhandlungen führten zu keinem Resultat. Die kirchliche Organisation wurde hier auf Grund von Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche durch päpstliche Zirkumskriptionsbullen geregelt, welche der Staat als Statut der katholischen Kirche publizierte. Die Frage der Kirchenhoheit blieb damit der staatlichen Gesetzgebung vorbehalten 6 . 8 4
0. Mayer, Portalis und die Organischen Artikel (1902). Ein vertragsmäßiges Verhältnis mit der römischen Kurie besteht allerdings für das Deutsche Reich nicht, da vertragsmäßige Rechte und Verpflichtungen eines Staates mit der Abtretung einzelner Gebietsteile nicht übergehen. So wird auch übereinstimmend von der Kurie und der deutschen Reichsregierung angenommen (Dove, Zeitschrift für Kirchenrecht 11 91 ff.) ; Das Konkordat hatte aber für Frankreich nicht bloß die Kraft eines Staatsvertrages, sondern auch die eines Gesetzes. Als solches ist es trotz der Vereinigung Elsaß-Lothringens mit dem Deutschen Reiche in Kraft geblieben und bleibt es solange, bis es auf dem Wege der Gesetzgebung aufgehoben wird. Vgl. auch Hinschius in Marquardsens Handbuch des öffentlichen Rechtes 1 278 N. 4. 5 Für Preußen: Bulle De salute animarum vom 16. Juli 1821, publiziert am 23. August 1821; für H a n n o v e r : Bulle Impensa Romanorum pontificum vom 26. März 1824, publiziert am 20. Mai desselben Jahres; für die Staaten der o b e r r h e i n i s c h e n K i r c h e n p r o v i n z (Württemberg, Baden, beide Hessen, Nassau, Hohenzollern, Frankfurt): Bullen Provida sollersque vom 16. August 1821 und Ad dominici gregis custodiam vom 11. April 1827. Publikation unter Vorbehalt der landesherrlichen Rechte. Übereinstimmende Verordnung der beteiligten Regierungen, betr. die Ausübung der verfassungs-
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§ 2 .
Bis zum Ende des vierten Jahrzehntes des neunzehnten Jahrhunderts blieb liberall in Deutschland ein S y s t e m s t r e n g e r S t a a t s a u f s i c h t über die katholische Kirche bestehen. D e r W e n d e p u n k t trat mit der T h r o n b e s t e i g u n g F r i e d r i c h W i l h e l m s I V . öin 6 . Durch verschiedene Anordnungen wurde der Kirche in Preußen eine freiere Bewegung gestattet. Die Ereignisse des Jahres 1848, welche die Kirche selbst geschickt zu benutzen verstand, brachten den Grundsatz der Unabhängigkeit der Kirche vom Staate zur Geltung. Die Grundrechte des deutschen Volkes bestimmten, daß jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig ordne und verwalte 7 , eine Fassung, welche beinahe wörtlich in die p r e u ß i s c h e Verfassungsurkunde überging 8 . Die Art und Weise,% in welcher die Vorschriften der letzteren in Preußen praktisch gehandhabt wurden, führte schließlich zu einer fast vollständigen Vernichtung der Kirchenhoheit des Staates. Nachdem die Kirche auch in Ö s t e r r e i c h durch das K o n T kordat vom 18. August 1855 eine völlig unabhängige und dazu höchst privilegierte Stellung errungen hatte, versuchte sie, denselben Zustand in den süddeutschen Staaten'durch Vereinbarungen mit den betreffenden Regierungen herzustellen. Schon am 23. April 1854 hatte der Bischof von Mainz eine Übereinkunft mit der großherzoglich h e s s i s c h e n Regierung geschlossen, welche im Jahre 1856 durch fernere Zugeständnisse der letzteren erweitert wurde. A m 8. April 1857 kam ein Konkordat mit W ü r t t e m b e r g und am 28. Juni 1859 ein gleiches mit B a d e n zustande. Die Durchfuhrung des letzteren scheiterte jedoch am Widerstande des Landtages, dasselbe wurde wieder aufgehoben und das Verhältnis des Staates zur Kirche auf einer neuen gesetzlichen Basis geregelt 9 Auch die württembergische Regierung sah sich nunmehr gezwungen, das von ihr abgeschlossene Konkordat den Ständen vorzulegen, welche dasselbe ebenfalls verwarfen. Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche wurden auch hier Gegenstand gesetzlicher Feststellung 1 0 . Die hessische zweite Kammer erklärte im Jahre 186$ die Konvention mit dem Bischof von Mainz gleichfalls für ungültig; im Jahre 1866 wurde sie mit Übereinstimmung beider Kontrahenten aufgegeben. Z u einer gesetzlichen Regelung kam es jedoch hier vorläufig nicht und die im Einverständnis mit dem Bischof von Mainz festgestellte Verwaltungspraxis erhielt alle wesentlichen Bestimmungen der Konvention aufrecht. mäßigen Schutz- und Aufsichtsrechte des Staates über die katholische Landeskirche, vom 30. Januar 1830. Weitere Verordnung vom 1. März 1853. 6 v. Treitschke, Deutsche Geschichte 5 276 ff. Schoen, Preuß. Kircheu-^ recht 1 76 ff. * RVerf von 1849 § 47. 8 Preuß. Verf. Art. 15. Anschütz, Komm. 1 282 ff. * G m die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate betr., vom 9. Oktober 1860. 10 . G., betr. die Regelung des Verhältnisses der Staatsgewalt zur katholischen Kirche, vom 30. Januar 1862.
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§ 285.
Eine neue Entwicklungsperiode begann mit den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts. I n P r e u ß e n wurde in der Zeit von 1873 bis 1876 eine Reihe von Gesetzen erlassen, welche das Ziel verfolgten, die seit der Verfassung beinahe vollständig aufgegebenen Hoheitsrechte des Staates über die Kirche wieder herzustellen und letztere einer eingehenden Staatsaufsicht zu unterwerfen 1 1 . Der Erlaß dieser Gesetze führte zu einem heftigen Streit [„Kulturkampf"] zwischen dem Staate und der katholischen Kirche. Seit dem Jahre 1880 trat ein Rückschlag der preußischen Kirchenpolitik ein, und die Gesetzgebung der Jahre 1880 bis 1887 hat einen großen Teil der 1873 bis 1876 eingeführten gesetzlichen Vorschriften wieder beseitigt 12 . Unter dem Einfluß der preußischen Gesetzgebung wurde im G r o ß h e r z o g t u m H e s s e n eine völlige Neuordnung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat vorgenommen 1 8 . Der Umschlag in der preußischen Kirchenpolitik bewirkte aber, daß auch hier ein Teil der Bestimmungen wieder beseitigt w u r d e u . I n B a d e n haben die kirchenpolitischen Gesetze 11 Preuß. G., betr. die Abänderung der Art. 15 und 18 der Verf.Urk. vom 81. Januar 1850, vom 5. April 1873, G. über die Vorbildung und Anstellnng der Geistlichen vom 11. Mai 1878, G. über die kirchliche Disziplinargewalt und die Errichtung des königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten vom 12. Mai 1873, G. über die Grenzen des Rechtes zum Gebrauch kirchlicher Straf- und Zuchtmittel vom 13. Mai 1873, G. wegen Deklaration und Ergänzung des G. vom 11. Mai 1873 über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen vom 21. Mai 1874, G. über die Verwaltung erledigter katholischer Bistümer vom 20. Mai 1874, G., betr. die geistlichen Orden und ordensähnlichen Kongregationen der katholischen Kirche, vom 31. Mai 1875, G. über die Aufhebung der Art. 15, 16 und 18 der Verf.Urk. vom 31. Januar 1850, vom 18. Juni 1875, G. über die Vermögensverwaltung in den katholischen Kirchengemeinden vom 20. Juni 1875, G. über die Aursichtsrechte des Staates bei der Vermögensverwaltung in den katholischen Diözesen vom 7. Juni 1876; Hinschius, Die preußischen Kirchengesetze des Jahres 1878 (1873), Derselbe, Die preußischen Kirchengesetze der Jahre 1874 u. 1875, (1875); Kloeppel, Dreißig Jahre deutscher Verfassungsgeschichte 1 418 ff; Anschütz, Komm. 1 289 ff. 12 GG., betr. Abänderung der kirchenpolitischen Gesetze, vom 14. Juli 1880, 81. Mai 1882, 11. Juli 1883, 21. Mai 1886, 29. Anril 1887, G., betr. den Vorsitz im Kirchen vorstände der katholischen Kirchengemeinden in dem Geltungsgebiete des rheinischen Eechtes, vom 31. März 1893; Hinsehius, Das preußische Kirchengesetz vom 14. Jnli 1880 nebst den Gesetzen vom 7. Juni 1876 und 13. Februar 1878 (1881); Derselbe, Das preußische Gesetz, betr. Abänderung der kirchenpolitischen Gesetze, vom 31. Mai 1882 in seiner Einwirkung auf die bisherige staatskirchliche Gesetzgebung Preußens, Zeitschrift für Kirchenrecht 18 166 ff.; Derselbe, Das preußische Kirchengesetz Mai 1886 (1886), Das preußische Kirchengesetz vom 29. April 1887 (1887). vom 21. 18 Hess. GG., die rechtliche Stellung der Kirchen- und Religionsgemeinschaften im Staate betreffend, den Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt betreffend, die Vorbildung und Anstellung von Geistlichen betreffend, die religiösen Orden und ordensähnlichen Kongregationen betreffend, das Besteuerungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften betreffend, sämtlich 1vom 23. April 1875. 4 Hess. G., die Vorbildung und Anstellung von Geistlichen betreffend, vom -5. Juli 1887, G., die Abänderung des Gesetzes über den Mißbrauchder geistlichen Amtsgewalt betreffend, vom 7. September 1889, G., die Abändesung des G., die religiösen Orden und Kongregationen betreffend, vom 1. Juni 1895.
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§ 2 .
in den siebziger und achtziger Jahren ebenfalls verschiedene Modifikationen erfahren 1 5 . I m Königreich S a c h s e n ist im Jahre 1876 eine neue kirchenpolitische Gesetzgebung in Kraft getreten 1 6 . Die Kirchengesetze der kleineren deutschen Staaten sind von geringerer Bedeutung 1 7 . Als die hauptsächlichsten Hoheitsrechte des Staates über die katholische Kirche erscheinen: 1. das Placet, 2. der sogenannte recursus ab abusu, 3. die Mitwirkung bei der Errichtung, Besetzung und Erledigung von Kirchenämtern, 4. die Aufsicht über die Ausübung gewisser kirchlicher Befugnisse und die Überwachung gewisser kirchlicher Anstalten. § 236. 1
Das Placet (placetum regium) ist das Recht des Staates, von Erlassen der kirchlichen Organe Einsicht zu nehmen und ihre Veröffentlichung zu gestatten. Die rechtliche Bedeutung desselben besteht darin, daß nur diejenigen kirchlichen Erlasse, welche auf Grund des erlangten Placets veröffentlicht sind, verbindliche Kraft für den Staat besitzen. Diejenigen dagegen, deren Veröffentlichung ohne Placet stattgefunden hat, sind für den Staat rechtlich bedeutungslos. Das Placet hat sich seit dem fünfzehnten Jahrhundert in Frankreich und von deutschen Territorien namentlich in Bayern entwickelt. Eine allgemeine Verbreitung erlangte es in den katholischen Ländern Deutschlands seit dem siebzehnten Jahrhundert. 16 Bad. G., betr. die Änderung einiger Bestimmungen des Gesetzes vom 9. Okt. 1860, die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate betr., vom 19. Februar 1874, G.. die allgemeine wissenschaftliche Vorbildung der Kandidaten des geistlichen Standes betr., vom 5. März 1880. G., Änderung einiger gesetzlicher Bestimmungen über die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine im Staate betr., vom 5. Juli 1888. [Die neueste Novelle zu dem G. vom 9. Okt. 1860 ist vom 4. Juli 1918, auf Grund derselben ist das G. vom 9. Oktober 1860 als „Kirchengesetz" neu verkündigt worden: bad. G. u. VB1. 195]. 10 Sächs. G., die Ausübung des staatlichen Oberaufsichtsrechtes über die katholische Kirche im Königreich Sachsen betr., vom 23. August 1876. Die Bestimmungen über Anwendung desselben auf die Oberlausitz enthält die V. vom 13. Juli 1877. 17 Zu erwähnen sind: S.-Weim. G. vom 7. Okt. 1823, Abänderung vom 6. Mai 1857, Old. Vertr. vom 5. Januar 1830, Normativ vom 5. April 1831, Braunschw. G. vom 10. Mai 1867, Schw.-Rud„ V. vom 10. Nov. 1871, L i p p . Ed. vom 9. März 1854. [Eine vollständige Übersicht der deutschen Lanaesgesetze kirchenrechtlichen Inhalts gibt Kahl, Lehrsystem 1 191 ff. Zur Ergänzung vgl. die einschlägigen Mitteilungen in der Zeitschrift für Kirchenrecht.1 1 Vgl. darüber namentlich Friedberg, Grenzen zwischen Staat und Kirche; Hinschius, Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten 8 749ff., 838ff.; Hübler, Art. „Placet« im WStVR 8 80ff.; Kahl a. a. O. 377ff.
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§
2 .
I n Preußen wurde es 1754 eingeführt 2 . Bis zum Jahre 1840 bestand das Placet in allen deutschen Staaten, seit dieser Zeit ist es in den meisten aufgehoben oder beschränkt worden. I n alter Form existiert es noch in Bayern und Elsaß-Lothringen 8 . Dagegen ist es in Preußen völlig beseitigt 4 . Die anderen Gesetzgebungen nehmen einen vermittelnden Standpunkt ein: es sollen alle kirchlichen Erlasse der Regierung zur Einsicht vorgelegt werden, dagegen bedürfen einer ausdrücklichen Genehmigung nur solche, welche in die bürgerlichen Verhältnisse der Staatsangehörigen eingreifen 5 , § 237. Der Staat hat das Recht, B e s c h w e r d e w e g e n M i ß b r a u c h e s d e r g e i s t l i c h e n G e w a l t anzunehmen und denselben Abhilfe zu verschaffen 1. D i e Berufung des einzelnen, der sich in seinen Rechten durch Verfügungen der kirchlichen Organe beschwert fühlt, an den Staat wird als r e c u r s u s a b a b u s u bezeichnet. D e r recursus ab abusu (appel comme d'abus) hat sich bei den französischen Parlamenten ausgebildet, unter deren Schutz sowohl die pragmatische Sanktion von 1437 als auch das Konkordat von 1516 gestellt waren. Durch die Ordonnanz von Villers-Cotteret aus dem Jahre 1539 zuerst gesetzlich geregelt, erhielt er sich bis zur französischen Revolution. Eine Zeitlang außer Übung gekommen, wurde er durch die Organischen Artikel wieder hergestellt, die Entscheidung aber nunmehr dem Staatsrate übertragen. I m deutschen Reiche war wegen Mißbrauchs der geistlichen Amtsgewalt eine Beschwerde beim Kaiser zulässig, außerdem bestand beim Reichskammergericht und dem Reichshofrat ebenfalls ein recursus ab abusu, und zwar nicht bloß gegenüber der katholischen, sondern auch gegenüber der protestantischen Kirche. I n den einzelnen Ländern erfolgte die Abhilfe infolge von Beschwerden beim Landesherrn oder bei den höheren Verwaltungsbehörden ohne speziellere Regelung des Verfahrens. I n den meisten deutschen Ländern hat sich der recursus ab 2 Friedberg a. a. 0. 276; Hinschius a. a. 0. 759, ALR Teil I I Tit. 11 § 118. « Bayr. Verf. Tit. I V § 9, Rel. Ed. § 58. Organ. Art. 1—3. 4 Durch Kab.-O. vom 1. Januar 1841 für dogmatische Erlasse, durch Art. 16 der Verf. allgemein. Auch nach Aufhebung des letzteren hat eine Wiederherstellung nicht stattgefunden. Anschütz, Komm. 1 340 ff. ° Württ. G. vom 30. Jan. 1862 Art. 1, Bad. G. vom 9. Okt. 1860 §§ 15. u. 16, Hess. Gr. über die rechtliche Stellung der Kirchen Art. 5, Sächs. G. vom 23. Aug. 1866 §§ 2 u. 3, S.-Weim. G. vom 7. Okt. 1823 § 3, Braunschw. NLO J§ 2 1 5 . Vgl. Friedberg, Grenzen zwischen Staat und Kirche; Hübler, Art. „Staatskirchl. Gerichtsbarkeit" im WStVR8 494ff.; Hinschius, Kirchenrecht o 208ff.) 266ff.; E. Eichmann, der recursus ab abusu nach deutschem Recht (Gierkes Untersuchungen Heft 66).
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§ 2 .
abusu in dieser Form erhalten, so namentlich in Bayern 8 , Sachsen \ Württemberg 4 , Baden 5 , Hessen 6 , S.-Weimar 7 und Elsaß-Lothringen8. Gewisse Streitigkeiten über kirchliche Rechte und Verbindlichkeiten, namentlich vermögensrechtlicher Natur, sind in neuerer Zeit der Entscheidung der Verwaltungsgerichte überwiesen 0 . Einige Gesetze gestatten ein Einschreiten der Staatsbehörden von Amts wegen gegen den Mißbrauch der Kirchengewalt, wenn ein öffentliches Interesse vorliegt oder Staatsgesetze verletzt s i n d 1 0 . I n P r e u ß e n war der recursus ab abusu durch die an die Verfassung sich anknüpfende Verwaltungspraxis beseitigt worden. Durch die Gesetzgebung des Jahres 1873 fand eine Wiedereinführung desselben in beschränktem Umfange statt, indem bei kirchlichen Disziplinarentscheidungen das Rechtsmittel der Berufung an den Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten gegeben wurde n . I m Jahre 1886 ist aber der Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten aufgehoben und damit das Rechtsmittel wieder beseitigt worden. Nur bei Entlassung eines Kirchenvorstehers oder Gemeindevertreters kann eine Beschwerde an den Minister für geistich e Angelegenheiten ergriffen werden 1 2 . § 238. Eine Mitwirkung des Staates bei E r r i c h t u n g , B e s e t z u n g und E r l e d i g u n g v o n K i r c h e n ä m t e r n findet in folgendem Umfange statt: 1. Z u r E r r i c h t u n g u n d V e r ä n d e r u n g v o n K i r c h e n 2 8 4
Rel. Ed. §§ 52—54. Vgl. Seydel-Graßmann, Bayer. Staatsr. 2 508 ff. G. vom 23. August 1876 § 9. Oberrheinische V. v. 30. Januar 1830 § 36. Die Bestimmungen derselben sind, wie sich aus den Motiven des Gr. vom 30. Januar 1862 ergibt, auch nach Erlaß desselben als fortbestehend anzusehen. Vgl. Friedberga. a. O. 453; Golther a. a. O. 333ff.; v. Sarwey, Württembergisches Staatsrecht 52 429 ff. Auch hier sind die Bestimmungen der N. 4 angeführten oberrheinischen V. niemals aufgehoben und müssen daher als noch in Kraft befindlich angesehen werden. Hinschius, Zeitschrift für Gesetzgebung usw. des deutschen öffentlichen Rechtes a. a. O. 141 N. 1. Ana. Ansicht : Friedberg a. a. 6O. 465. G., den Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt betr., Art. 1. ' G. vom 7. Oktober 1823 § 5. ß Org.-Art. Art. 6—8. Die Entscheidung erfolgt durch den Bundesrat nach Vernehmung seines Ausschusses für Justizwesen (G., betr., die Einrichtung der Verwaltung, vom 30. Dezember 1871 § 9). • Bayr. G. vom 8. August 1878 Art. 8 Nr. 37, 39, Art. 10 N. 11-14, 22, 23, Württ. G. vom 16. Dez. 1876 Art. 10 Nr. 17, Bad. G. vom 14. Juli 18k § 2 Nr. 24, § 3 Nr. 7, G. vom 26. Juli 1888 Art. 38, Anh. ZustG. § 30. Vgl C. Sartorius, Die staatliche Verwaltungsgerichtsbarkeit auf dem Gebiete des'Kirchenrechtes, (1891); Kahl, Lehrsystem 1 368 ff. 10 Das angeführte hessische und sächsische Gesetz. 11 Preuß. G. vom 12. Mai 1873 §§ 10—23, 32-34. Preuß. G. vom 21. Mai 1886 Art. 9, 10. O. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
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ä m t e r n ist auch ohne besondere gesetzliche Vorschriften < eine Mitwirkung des Staates erforderlich, um für die betreffenden Ämter die Anerkennung desselben zu erlangen. Doch haben die Gesetze bei Veränderungen in der Organisation der Parochien die Staatsgenehmigung meist ausdrücklich vorgeschrieben 1 . 2. Auf die B e s e t z u n g der Kirchenämter übt der Staat in zweifacher Richtung einen Einfluß : a) indem er gewisse Vorbedingungen für die Übertragung derselben aufstellt. Diese sind : Besitz der Reichsangehörigkeit oder der Staatsangehörigkeit des betreffenden Staates), an deren Stelle jedoch nach Artikel 3 der RVerf. ebenfalls die Reichsangehörigkeit t r i t t 2 , und wissenschaftliche Vorbildung, b) indem er sich das Recht vorbehält, gegen die Anstellung gewisser Personen in Kirchenämtern Widerspruch zu erheben und zum Zwecke der Ausübung dieses Rechtes den geistlichen Obern die Verpflichtung auferlegt, die von ihnen angestellten Geistlichen der Regierung anzuzeigen 8 . Hinsichtlich der Besetzung der B i s c h o f s s t ü h l e bestehen besondere Bestimmungen 4 . I n Bayern steht dem Könige das i Bayr. Rel. Ed. §§ 76 und 77. Konk. Art. 12 Nr. f., Württ. Gr. vom 30. Januar 1862 Art. 17, Bad. Ortskirchensteuergesetz vom 20. Nov. 1906 (Fassung vom 8. Aug. 1910), Art. 1, 11, Hess. G. vom 5. Juli 1887 Art. 10, Sachs. G. vom 23. August 1876 § 19, S.-Weim. G. vom 7. Oktober 1823 § 17. Übereinstimmend: Bockshammer, Indigenat 51 und Hinschius, Kirchenrecht in v. Holtzendorffs Enzyklopädie, 5. Aufl. S. 873, entgegen der Kirchenrecht 2 504 vertretenen Meinung. And. Ans. auch v. Sar wey, Württemb. Staatsrecht 82 425 N. 27. Preuß. G. vom 11. Mai 1873 §§ 15 u. 16, G. vom 11. Juli 1883 Art. 1, G. vom 29. April 1887 Art. 1 §§ 1—3. Das Einspruchsrecht und die Anzeigeflicht besteht hier jetzt nur noch für dauernd übertragene Pfarrämter und as Amt des Bistumsverwesers (Anschütz, Komm. 1 357 ff.), Bayr. Konk. Art. 11, Württ. G. vom 30. Januar 1862 Art. 4, Bad. G. vom 9. Oktober 1860 9, Hass. G. vom 5. Juli 1887 Art. 9, Sachs. G. vom 23. August 1876 §§ 25 is 26, S -Weim. G. vom 7, Okt. 1823 § 17, Braunschw. G. vom 10. Mai 1867 § 22, Schw.-Rud. V. vom 10. November 1871 § 2, Lipp. Ed. vom 9. März 1854 4Art. 2, Franz. Konk. Art. 10, Org. Art. Art. 19. Mejer, Das Veto deutsch-protestantischer Staatsregierungen gegen katholische Bischofswahlen, Rostock 1868; v. Ketteler, Das Recht der Domkapitel und das Veto der Regierungen bei den Bischofswahlen in Preußen und der oberrheinischen Kirchenprovinz, Mainz 1868; Herrmann, Das staatliche Veto bei Bischofswahlen nach dem Recht der oberrheinischen Kirchenprovinz, Heidelberg 1869; Friedberg, Das Veto der Regierungen bei Bischofswahlen in Preußen und der oberrheinischen Kirchenprovinz, Halle 1869; Schulte, Die Rechtsfrage des Einflusses der Regierung bei den Bischofswahlen in Preußen mit Rücksicht auf die oberrheinische Kirchenprovinz, Gießen 1869; Hirschel, Das Recht der Regierungen bezüglich der Bischofswahlen in Preußen und der oberrheinischen Kirchenprovinz, Mainz 1870; F. v. Sybel, Das Recht des Staates bei Bischofswahlen in Preußen, Hannover und der oberrheinischen Kirchenprovinz, Bonn 1873; Friedberg, Der Staat und die Bischofswahlen in Deutschland, Leipzig 1874; Der Einfluß der deutschen protestantischen Regierungen bei den Bischofswahlen (von einem Juristenj im Archiv für katholisches Kirchenrecht 78 225 ff., 411ff., 605 ff.; Stutz, Der neueste Stand des deutschen Bischofswahlrechts (Kirchenrechtl. Abhandl. Heft 58), 1909; Rotenbücher, Über das deutsche Bischofswahlrecht, AnnDR ltflO 461 ff.
§
Rechtsverhältnisse der Untertanen.
§ 239.
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Nominationsrecht z u 6 , in den anderen Staaten wählen die Domkapitel, die Regierung hat aber die Befugnis, personae minus gratae von der Wahl auszuschließen6. Auch für die Stellen in den D o m k a p i t e l n sind den Regierungen gewisse Ernennungs-, Nominations- oder Ausschließungsrechte eingeräumt 7 . 3. Nach der Gesetzgebung der siebziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts hatten die Staaten das Recht, Kirchenbeamte wegen 6
Konk. Art. 9. Die gleichen Bestimmungen des französischen Konkordates Art. 17 haben für Elsaß-Lothringen keine Gültigkeit, da das Kominationsrecht nur dem katholischen Staatsoberhaupte eingeräumt ist. (Obereinstimmend: Stutz a. a. O. 38). Hier fehlt es zurzeit völlig an staatlichen Vorschriften über die Bestellung der Bischöfe (anderer Ansicht: Leoni in Marquardsens Handbuch S. 295 N. 3). In Kraft geblieben ist dagegen die Bestimmung der organischen Artikel (Art. 18), nach welcher jeder Bischof zur Ausübung seiner Funktionen einer Autorisation der Regierung bedarf. 6 Die Bestimmungen der Zirkumskriptionsbullen über diesen Gegenstand sind verschieden. Für die altpreußischen P r o v i n z e n enthält die Bulle De salute animarum (oben 1006 Anm. 5) keine näheren Bestimmungen über den Gegenstand. Dagegen verpflichtet das erläuternde Breve Quod de fidelium die Kapitel, sich vor der Wahl objektive Gewißheit darüber zu verschaffen, daß sie keine persona minus grata wählen. Die Vorlegung einer Liste zu diesem Zwecke ist zulässig, aber nicht notwendig. Wenn eine Liste eingereicht wird, so hat die Regierung, falls sich keine personae ratae auf derselben finden, das Recht, die ganze Liste zu verwerfen. Die estimmungen, welche sich anfangs nur auf die westlichen Provinzen und Breslau bezogen, sind durch eine Vereinbarung vom 23. bis 24. November 1841 auf den ganzen Staat in seinem damaligen Bestände ausgedehnt worden. In der Provinz Hannover hat nach der Bulle Impensa Romanorum pontificum das Kapitel der Regierung eine Liste einzureichen, aus welcher diese die Namen aller Kandidaten streichen kann, welche ihr nicht genehm sind; doch muß sie eine zur Auswahl hinreichende Zahl, also mindestens zwei, stehen lassen. Für die oberrheinische K i r c h e n p r o v i n z hat die Bulle Ad dominici gregis custodiam die Kapitel verpflichtet, eine Kandidatenliste einzureichen, aus welcher die Regierungen streichen können, jedoch so, daß eine hinreichende Zahl übrig bleibt. Das Breve Re sacra verbietet allgemein die Wahl von personae minus gratae. Dadurch ist jede Wahl einer der Regierung nicht genehmen Person ausgeschlossen. Für die Kapitel besteht zwar keine Verpflichtung, sich vor Aufstellung der Liste zu überzeugen, daß auf derselben personae gratae stehen, aber die Regierung hat, wenn sämtliche Kandidaten ihr minder genehm sind, das Recht, die ganze Liste zu verwerfen. — [Einheitliches Recht für die Besetzung aller preußischen (einschließlich der hannöverschen) und oberrheinischen Bischofsstühle ist geschaffen durch den auf Anordnung Papst Leos X I I I . an sämtliche preußische und oberrheinische Domkapitel gerichteten Erlaß des Kardinalstaatssekretärs Rampolla vom 20. Juli 1900 (ausführlich erörtert von Stutz a. a. O 13 ff.; Text des Erlasses S. 93 ff. das.), welcher für alle drei Rechts ebiete (Altpreußen, Hannover, Oberrhein) bezüglich der Genehmheit und irer Geltendmachung das vorschreibt, was — auf Grund des Breve Re sacra und der Praxis — in der oberrhein. Kirchenprovinz schon galt: Stutz 7 a. ä. O. 54 ff.]. In B a y e r n ernennt der König den Dechanten und besetzt die Kanonikate in den päpstlichen Monaten (Konk. Art. 9 und] 10), für die a l t P r o v i n z e n ist dem König bei Besetzungen in den päpst{preußischen ichen Monaten ein Nominationsrecht eingeräumt worden, in H a n n o v e r und der oberrheinischen Kirchenpro v i n z haben Bischof und Kapitel der Regierung vier Kandidaten vorzuschlagen, von welchen sie die ihr nicht genehmen streichen kann.
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Verletzungen der Staatsgesetze ihres Amtes zu entsetzen oder für unfähig zu erklären, dasselbe weiter auszuüben 8 . Durch die neuere Gesetzgebung sind diese Bestimmungen meist wieder beseitigt worden 9 . Dagegen hat die Verurteilung eines Kirchenbeamten zu Zuchthausstrafe, sowie die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte oder der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter die Unfähigkeit zur Ausübung des Kirchenamtes und den Verlust des Amtseinkommens zur F o l g e 1 0 . § 239. Die Aufsicht des Staates über k i r c h l i c h e H a n d l u n g e n u n d A n s t a l t e n umfaßt folgende Rechte: 1. B e s c h r ä n k u n g u n d Ü b e r w a c h u n g d e r k i r c h l i c h e n S t r a f - u n d D i s z i p l i n a r g e w a l t . Die allgemeinen kirchlichen Straf- und Zuchtmittel dürfen nur dem religiösen Gebiete angehören oder die Entziehung kirchlicher Rechte oder den Ausschluß aus der kirchlichen Gemeinschaft betreffen 1 . Als Disziplinarstrafen gegen K i r c h e n d i e n e r sind nur Geldstrafen, Freiheitsstrafen, welche in bestimmten unter Staatsaufsicht stehenden kirchlichen Anstalten (Demeritenanstalten) verbüßt werden müssen, beide bis zu einem gesetzlich bestimmten Maximalbetrage, und Entfernung aus dem Amte zulässig 2 . Den kirchlichen Disziplinarurteilen, namentlich den auf Entfernung aus dem Amt lautenden, welche einen Verlust oder eine Minderung des Diensteinkommens zur Folge haben, muß ein geordnetes prozessualisches Verfahren vorhergehen 8 . Kirchliche Straf- und Zuchtmittel sind unzulässig wegen solcher Handlungen und Unterlassungen, zu denen die « Preuß. G. vom 12. Mai 1873 §§ 24—36, G. vom 22. April 1375 § 12, G. vom 14. Juli 1880 § 1, G. vom 31. Mai 1882 Art, 2, Bad. G. vom 19. Febr. 1874 Art 3 § 16 d, Hees. G. betr. den Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt, Art. 13—24, Sächs. G. vom 23. August 1876 § 14. 9 In Preußen sind die betreffenden Vorschriften zwar nicht förmlich aufgehoben, haben aber durch Beseitigung des Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten (G. vom 21. Mai 1886 Art. 9) ihre Anwendbarkeit verloren, Bad. G. vom 5. Juli 1888 Art. I I , Hess. G. vom 7. September 1889 Art. 2. — Nur die N. 9 erwähnte Bestimmung des sächsischen Gesetzes ist bestehen geblieben, aber schwerlich von praktischer Bedeutung. w Preuß. G. vom 11. Mai 1873, G. vom 29. April 1887 Art. 2 § 4, Bad. G. vom 5. Juli 1888 Art. II, Hess. G. vom 5. Juli 1887 Art, 13, Sächs. G. vom 23. August 1876 § 13. 1 Preuß. G. vom 13. Mai 1873 § 1, G. vom 29. April 1887 Art. 4, Bad. G. vom 5. Juli 1888 Art. I I I ; Hess. G. vom 5. Juli 1887 Art. 2, G. vom 7. September 1889 Art. 2, Sächs. G. vom 23. August 1876 § 7. * Preuß. G. vom 12. Mai 1873 §§ 3—6, G. vom 21. Mai 1886 Art. 8y Württ. G. vom 30. Januar 1862 Art, 6, Hess. G., den Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt betr., Art. 6 u. 7. Nach der neueren preußischen Gesetzebung gelten als Kirchendiener nur solche Personen, weiche entweder geist^ che 8oder jurisdiktionelle Funktionen ausüben (G. vom 21. Mai 1886 Art, 6). Preuß. G. vom 12. Mai 1873 § 2, G. vom 21. Mai 1886 Art. 7, Württ, G. vom 30. Januar 1862 Art, 6, Hess. G. vom 7. September 1889 Art, 3.
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Staatsgesetze oder die von der Obrigkeit innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassenen Anordnungen verpflichten, und wegen Ausübung staatsbürgerlicher Rechte, namentlich öffentlicher Wahl- und Stimmrechte 4 . Eine Vollstreckung kirchlicher Entscheidungen durch staatliche Behörden darf nur auf Grund vorgängiger Prüfung stattfinden 6 6 . 2. Ü b e r w a c h u n g d e r k i r c h l i c h e n A n s t a l t e n z u r A u s b i l d u n g der K l e r i k e r 7 . 3. G e n e h m i g u n g v o n P r o z e s s i o n e n u n d W a l l f a h r t e n . [Diese fallen unter die Bestimmungen der Gesetze über Aufzüge auf öffentlichen Straßen und Plätzen, also des Reichsvereinsgesetzes (§ 7), soweit nicht die Landesgesetze (vgl. § 24 R V G ) abweichende Bestimmungen enthalten 8 . Meist ist durch die Landesgesetze gestattet, daß Prozessionen und Wallfahrten, wo und soweit sie herkömmlich sind, der für Aufzüge erforderlichen Polizeierlaubnis (§ 7 R V G ) nicht bedürfen 9 ]. 4. B e a u f s i c h t i g u n g d e r O r d e n . Einige Gesetzgebungen lassen Orden nur auf Grund einer besonderen Genehmigung der Staatsregierung z u 1 0 . Andere verbieten grundsätzlich alle Orden oder untersagen wenigstens die Errichtung neuer Niederlassungen und machen davon nur zugunsten gewisser Orden eine Ausnahme n . Noch andere lassen Orden, welche bestimmte, gesetzlich « Bad. G. vom 19. Februar 1874 Art. 3, §§ 16 b, 16 c, Hess. G., den Mißbrauch der geistlichen Amtsgewalt betr., vom 23. April 1875 Art. 9, 10, Sächs. G. vom 23. August 1876 Art. 8. Die gleichartigen Bestimmungen der preußischen GG. vom 12. Mai 1873 § 10 und 13. Mai 1873 §§ 2, 3 sind teils aufgehoben (G. vom 29. April 1887 Art. 4), teils durch Beseitigung des Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten (G. vom 21. Mai 1886 Art. 9) gegenstandslos geworden. * Preuß. G. vom 12. Mai 1873 § 9, Württ. G. vom 30. Januar 1862 Art, 7, Sächs. G. vom 23. August 1876 § 11. 6 Die bayrische Gesetzgebung enthält keine nähere Regelung der kirchlichen Gerichtsbarkeit, sondern bestimmt nur, daß keinem kirchlichen Zwangsmittel irgendein Einfluß auf das gesellschaftliche Leben und die bürgerlichen Verhältnisse ohne Einwilligung der Staatsgewalt gestattet ist (fiel. Ed. § 71). 7 Preuß. G. vom 21. Mai 1886 Art. 2—5, Württ. G. vom 30. Januar 1862 Art. 11 u. 12, Bad. G. vom 5. Juli 1888 Art. I , Hess. G. vorn 5. Juli 1887 Art 6—8, Org. Art. Art. 11, 23—25. « Vgl. § 232 S. 996. 9 Preuß. VG. .vom 11. März 1850 § 10, Bayr. G. vom 26. Febr. 1850 Art. 4. 1® Bayr. Rei Ed. §§ 76 c, 77, Württ. G. vom 30. Januar 1862 Art. 15, Bad.1 Kirchengesetz (vgl. oben 235 N. 15) 8 11. 1 In Hessen ist den Orden und ordensähnlichen Kongregationen die Errichtung neuer Niederlassungen und die Aufnahme neuer Mitglieder untersagt. Den weiblichen Orden und Kongregationen, welche sich ausschließlich dem Unterricht widmen und Privatunterrichtsanstalten besitzen, den Orden, welche Aushilfe in der Seelsorge leisten, den Orden zum guten Qirten und zur ewigen Anbetung in Mainz kann die Aufnahme neuer Mitglieder, denjenigen Orden und Kongregationen, welche sich ausschließlich der Krankenpflege widmen, auch die Errichtung neuer Niederlassungen und weiblicher Genossenschaften dieser Art die Unterweisung von noch nicht schulpflichtigen
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näher fixierte Zwecke verfolgen, zu und schließen die übrigen a u s 1 2 , [Der Jesuitenorden, die ihm verwandten Orden und ordensKindern gestattet werden. Die bestehenden Niederlassungen stehen unter Aufsicht des Staates (Gr., die religiösen Orden und ordensähnlichen Kongregationen betr., vom 23. April 1875, AbändG. vom 1 Juni 1895). In Sachsen dürfen weder neue Klöster errichtet noch geistliche Orden oder Brüderschaften, welche mit Orden oder ordensähnlichen Kongregationen in Verbindung stehen, aufgenommen werden. Mitglieder von Orden und ordensähnlichen Kongregationen dürfen auch als einzelne ihre Ordenstätigkeit innerhalb des Königreiches nicht ausüben. Nur reichsangehörigen Mitgliedern solcher Frauenkongregstionen, welche innerhalb des Deutschen Reiches ihre Niederlassung haben und sich ausschließlich der Kranken- und Kinderpflege widmen, kann eine solche Ausübung von der Staatsregierung widerruflich castattet werden (Verf. § 56, G. vom 23. August 1876 §§ 30 u. 31). Einige Ausnahmen bestehen für die Oberlausitz (V. vom 13. Juli 1877). 12 Dies ist der Standpunkt der preußischen Gesetzgebung. In Preußen wurden durch G. vom 81. Mai 1875 alle Orden und ordensähnlichen Kongregationen verboten. Orden, welche sich mit dem U n t e r r i c h t und der E r z i e h u n g der Jugend«beschäftigten, konnte vom Minister der geistlichen Angelegenheiten die Fortdauer ihrer Niederlassung innerhalb eines Zeitraumes von vier Jahren (bis 31. Mai 1879) gestattet werden, um für deren Ersatz durch anderweite Einrichtungen una Anstalten Zeit zu lassen. Zu gleichem Behufe durfte derselbe auch nach Ablauf dieses Zeitraumes einzelnen Mitgliedern von Orden und ordensähnlichen Kongregationen die Befugnis gewähren, Unterricht zu erteilen. Die Niederlassungen der Orden und ordensähnlichen Kongregationen, welche sich ausschließlich der Krankenp f l e g e widmeten, blieben bestehen, konnten jedoch jederzeit durch königliche v erördnung aufgehoben werden. Spater ist der Krankenpflege die Pflege und Unterweisung von Blinden, Tauben, Stummen und Idioten, sowie von gefallenen Frauenspersonen, ferner die Pflege und Leitung in "Waisenanstalten, Armen- und Pfründnerhäusern, Rettungsanstalten, Asylen und Schutzanstalten für sittlich gefährdete Personen, Arbeiterkolonien, Verpflegungsanstalten, Arbeiterherbergen, Mägdehäusern gleichgestellt; die Minister des Innern und der geistlichen Angelegenheiten sind ermächtigt worden, die Errichtung von neuen Niederlassungen der Kranke pflegenden und der ihnen gleichstehenden Genossenschaften zu genehmigen, auch zu gestatten, daß dieselben die Pflege und Unterweisung von Kindern in noch nicht schulpflichtigem Alter, sowie die Leitung und Unterweisung in Haushttltungs- und Handarbeitsschulen für derartige Kinder als Nebentätigkeit übernehmen (G. vom 14. Juli 1880 Art. 6, G. vom 21. Mai 1886 Art. 18). Schließlich sind wieder zugelassen worden diejenigen Orden und ordensähnlichen Kongregationen, welche sich der Aushilfe in der Seelsorge, der Übung der christlichen Nächstenliebe, dem Unterrichte und der Erziehung der weiblichen Jugend in höheren Mädchenschulen und gleichartigen Erziehungsanstalten widmen, oder deren Mitglieder ein beschauliches Leben führen (G. vom 29. April 1887 Art. 5 § 1). Auf die wieder zugelassenen Orden und Kongregationen finden die gesetzlichen Bestimmungen Anwendung, welche für die bestehenden Orden und Kongregationen galten (Art. 5 § 2). Dieselben bedürfen also zur Errichtung neuer Niederlassungen der Genehmigung der Minister des Innern und der geistlichen Angelegenheiten, die bestenenden Niederlassungen können jederzeit durch königliche Verordnung aufgehoben werden. Die Minister des Innern und der geistlichen Angelegenheiten sind ferner ermächtigt, den zugelassenen Orden und Kongregationen die Ausbildung von Missionaren für den Dienst im Auslande, sowie zu diesem Behuf die Errichtung von Niederlassungen zu gestatten (Art. 5 § 3). Der Grundsatz, daß Mitglieder von Orden und Kongregationen zur Erteilung von Unterricht der Genehmigung des Ministers der geistlichen Angelegenheiten bedürfen (G. vom 31. Mai 1875 § 1), ist durch die neuere
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ähnlichen Kongregationen waren vom Gebiete des Deutschen Reiches von 1872—1917 ausgeschlossene Seit dem Reichsgesetz vom 19. April 1 9 1 7 b unterliegt der Jesuitenorden den für alle Orden der katholischen Kirche geltenden Landesgesetzen e ]. 5. A u f s i c h t ü b e r d i e V e r m ö g e n s v e r w a l t u n g d e r K i r c h e . Dieselbe äußert sich in der Erteilung der staatlichen Genehmigung bei wichtigen Akten der Vermögensverwaltung, der Prüfung der Kirchenrechnungen und in der Entscheidung von Berufungen in finanziellen Angelegenheiten 13 . 2. Die evangelische Kirche 1 . § 240. Die e v a n g e l i s c h e K i r c h e hat sich in Deutschland in engster Anlehnung an den Staat entwickelt. D a der Landesherr die Eigenschaften des Staatsoberhauptes und des Trägers des Kirchenregimentes in sich vereinigte, so konnte sich ein staatliches Oberaufsichtsrecht über die evangelische Kirche nicht ausbilden. Weder für das Placet noch für den recursus ab abusu war ein Anwendungsfeld gegeben. I n den protestantischen Territorien wurde die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten geradezu als ein Teil der Staatsverwaltung behandelt. Erst im neunzehnten Jahrhundert ist eine Scheidung zwischen staatlicher und kirchlicher Sphäre eingetreten. Wenn auch beide noch fortdauernd in der Person des Monarchen zusammenfließen, so sind doch die zur Mitwirkung bei dessen Handlungen berufenen Organe für Staat und Kirche verschieden. Die Funktionen der K i r c h e n h o h e i t übt der Monarch unter Verantwortung und Gegenzeichnung des Kultusministers aus und bedarf beim Erlaß von Gesetzen der Zustimmung des Landtages. Z u den Akten der K i r c h e n g e w a l t bedient er sich der Mitwirkung der kirchlichen Behörden (KonGesetzgebung nicht berührt worden. |Vgl. zum Vorstehenden und über das Ordenswesen in Preußen überhaupt Giese, Das kathol. Ordenswesen nach preuß. Staatskirchenrecht, Ann DR 190$ 161ff., 278 ff., 889 fl'.l a RG betr. den Orden der Gesellschaft Jesu, vom 4. Juli 1872. Der 2 dieses Gesetzes wurde durch RG vom 8. März 1904, der Rest durch G vom 19. April 1917 aufgehoben. * Vgl. Anm. a. c Vgl. oben im Text und Anm. 10—12. 18 Preuß. G. vom 20. Juni 1875 §§ 49 , 50—55, G. vom 7. Juni 1876, Bayr. Rel. Ed. §§ 47, 75, Württ. G. vom 80. Januar 1862 Art. 19, Sächs. G. vom 23. August 1876 § 32. Bad. V., die Verwaltung des katholischen Kirchen* Vermögens betr., vom 20. November 1861, Landeskirchensteuergesetz vom 20. November 1906 (Fassung vom 8. August 1910); Ortskirchensteuergesetz vom 20. November 1906 (Fassung vom 8. August 1910), Hess. G., die rechtliche Stellung der Kirchen- und Religionsgemeinschaften im Staate betr., Art. 4. 1 E. Friedberg, Die allgemeine rechtliche Stellung der evangelischen Kirche zum Staat (Leipziger Dekanatsprogramm 1887); Schoen, Das evangelische Kirchenrecht in Preußen 1 154ff.; Zorn, Art. Evangelische Kirche im WStVR; Giese bei v. Roenne-Zorn, Preuß. StR 3 187 ff.
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sistorien und Oberkirchenrat), für Kirchengesetze wird da, wo synodale (d. h. repräsentative) Institutionen eingeführt sind, die Zustimmung der Synoden erfordert 8 . Trotzdem hat eine rechtliche Feststellung der Staatshoheitsrechte über die evangelische Kirche in den meisten deutschen Staaten nicht stattgefunden, weil man in der Person des Monarchen eine hinreichende Garantie gegen Übergriffe der kirchlichen Organe in die staatliche Sphäre zu besitzen glaubte. Nur die p r e u ß i s c h e Gesetzgebung hat bei Gelegenheit der Einführung der Synodalverfassung den Versuch gemacht, die Rechte des Staates gegenüber der evangelischen Kirche genauer zu fixieren 8. 2 Kieker a. a. 0. S. 471 ff. behauptet, das Kirchenregiment über die evangelische Kirche sei Staatsregiment, demnach habe der Unterschied von Kirchenhoheit und Kirchengewalt (Kirchenregiment) auf dem Gebiete des evangelischen Kirchenrechtes keine Berechtigung. Diese Auffassung findet allerdings in gewissen Äußerungen der Reformatoren eine Anknüpfung. Sie ignoriert aber die spätere Entwicklung und ist für die jetzigen Verhältnisse unhaltbar. Sie paßt nur für einen konfessionellen, nicht für einen paritätischen Staat, ist unvereinbar mit der allgemein anerkannten Eigenschaft der evangelischen Kirche als selbständiger Korporation und steht in Widerspruch mit der heutigen Verfassung der evangelischen Landeskirchen. Weitere Schriften Riekers über denselben Gegenstand: Das landesherrliche Kirchenregiment in Bayern (1913) und die Krisis des landesherrl.8 Kirchenregiments in Preußen, Ztschr. f. Kirchenrecht 82 48 ff. Preuß. G., betr. die evangelische Kirchengemeinde- und Synodalordnung, vom 25. Mai 1874, Abänderung vom 7. April 1891, G., betr. die evangelische Kirchenverfassung in den acht älteren Provinzen der Monarchie, vom 3. Juni 1876. Nachtrag vom 6. März 1882, Abänderung vom 21. Mai 1887, 19. Mai 1891, 30. August 1892, 28. Mai 1894 und 21. Sept. 1898. G. vom 8. März 1893, G., betr. die evangelische Kirchen Verfassung in der Provinz Schleswig-Holstein und in dem Amtsbezirke des Konsistoriums zu Wiesbaden, vom 6. April 1878, AbändG. vom 14. Juli 1895, G., betr. die Kirchenverfassung in der evangelisch-reformierten Kirche der Provinz Hannover, vom 6. August 1883, AbändG. vom 14. Juli 1895, G., betr. die Kirchen Verfassung der evangelischen Kirche im Bezirke des Konsistoriums zu Kassel, vom 19. März 1886, AbändG. vom 14. Juli 1895, G., betr. die Bildung von Parochialverbänden vom 22. Juni 1902, G., betr. Abänderungen der Kirchenverfassung der evangelisch-lutherischen Kirche der Provinz Hannover, vom 6. Mai 1885 [abgeändert und ergänzt durch die Kirchenesetze vom 24. Mai und 7. Juni 1900, Staatsgesetze vom 25. Mai und 8. Juni 9001, G., betr. die Kirchengemeindeoranung für die evangelischen Gemeinden der hohenzollernschen Lande vom 1. März 1897, G., betr. die Vertretung der Probstei-(Krei8)-Synodalverbände und des Gesamtverbandes der evangelischlutherischen Kirche in der Provinz Schleswig-Holstein und der Kreissynodalverbände des Konsistorialbezirks Wiesbaden in vermögensrechtlichen Angelegenheiten, vom 9. Juni 1898, G., betr. die Bildung von Parochialverbänden in der Provinz Schleswig-Holstein, vom 25. Juni 1898; Kirchengemeinde- und Synodalordnung für die evangelischen Kirchengemeinschaften des Konsistorialbezirkes Frankfurt a. MT (Kirchengesetz) vom 27. September 1899, dazu Staatsgesetz vom 28. September 1899, G., betr. die Kreissynodalordnung in den hohenzollernschen Landen, vom 2. Juli 1898, [ergänzt durch Kirchenesetz vom 19. September und Staatsgesetz vom 21. September 1898. Über ie gesamte vorstehend angeführte Gesetzgebung vgl. Schoen, Evang. Kirch.-R. in Preußen 1 §§ 7—10]. Ähnliche Bestimmungen wie in Preußen sind in Anhalt erlassen worden (G., die Synodalordnung betr., vom 24. März
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Rechtsverhältnisse der Untertanen.
§ 2 .
Die Stellung des Königs als Inhabers der evangelischen Kirchengewalt bedingte jedoch die Anwendung anderer Formen, als sie bei der Ausübung der Staatshoheitsrechte gegenüber der katholischen Kirche üblich sind. Akte des K ö n i g s konnten weder einer Aufsicht noch einer Bestätigung der Staatsbehörden unterworfen werden. Dagegen war es mit der staatsrechtlichen Stellung des Königs vollkommen vereinbar, gewisse kirchliche Handlungen desselben an eine Mitwirkung anderer staatlicher Organe zu binden. Diese staatlichen Organe sind der Kultusminister, das Staatsministerium und der Landtag. Die Kontrasignatur des K u l t u s m i n i s t e r s ist nach den für die alten Provinzen und Hohenzollern geltenden Vorschriften bei der Besetzung kirchenregimentlicher Ämter erforderlich 4 . I n SchleswigHolstein und den Konsistorialbezirken Wiesbaden und Kassel stehen in Ermangelung einer vom Staatsorganismus getrennten obersten Kirchenbehörde dem Kultusminister viel weitergehende Befugnisse, auch bei der Erledigung rein kirchlicher Angelegenheiten z u 6 . Eine Mitwirkung des S t a a t s m i n i s t e r i u m s tritt ein: 1. insofern dasselbe, bevor ein Kirchengesetz dem Könige zur Sanktion vorgelegt wird, durch eine Erklärung festzustellen hat, ob gegen das Gesetz von Staats wegen etwas zu erinnern i s t 6 ; 2. insofern gewisse auf die Erhebung von Abgaben bezügliche Kirchengesetze nicht ohne seine Zustimmung zur Sanktion vorgelegt % werden dürfen 7 . Eine Genehmigung des L a n d t a g e s wird erfordert zu der Aufhebung und Änderung gewisser Bestimmungen der kirchlichen Verfassungsgesetze 8, zu Veränderungen derkolleAußerdem ist noch zu erwähnen das sächs. Gr. zur Publikation des Rirchengesetzes wegen Errichtung eines evang.-luth. Landeskonsistoriums vom 16. April 1873, welches in § 2 den Kultusminister dafür verantwortlich macht, daß keinerlei kirchliche Akte in die staatliche Sphäre übergreifen. * Preuß. G. vom 8. Juni 1876 Art. 28, G. vom 1. März 1897 Art, 6. [Bei der Besetzung kirchenregimentlicher Ämter, insbes. der Stellen im Oberkirchenrat und den Konsistorien handelt der König, richtiger Ansicht zufolge, nicht als Träger des Kirchenregiments, sondern als Staatsoberhaupt. Dieser Umstand ist wichtig für die Entscheidung der Frage, ob die betreffenden Beamten Kirchen- oder Staatsbeamte sind. Vgl. die Darstellung dieser Streitfrage bei Anschütz, Komm. 1 822 ff.]. » Preuß. G. vom 6. April 1878 Art. 29, G. vom 19. März 1886 Art. 15. • Preuß. G. vom 3. Jnni 1876 Art. 13, G. vom 28. Mai 1894 § 2 (Anschütz, Komm. 1 345), 6. April 1878 Art, 23, G. vom 14. Juli 1895 für Schleswig-Holstein und Wiesbaden §§ 4, 5, G. vom 6. August 1883 Art. 12, G. vom 14. Juli 1895 für Hannover §§ 2, 3, G. vom 19. März 1886 Art. 10, G. vom 14. Juli 1895 für Kassel 2, 3, G. vom 28. September 1899 für Frankfurt a. M. Art. 15, Anh. G. Art. 8. 7 Preuß. G. vom 3. Juni 1876 Art-15 u. 17, G. vom 28. Mai 1894 §§3, 5, G. vom 6. April 1878 Art. 24, G. vom 6. August 1883 Art. 13, O. vom 19. März 1886 8Art. 11, G. vom 28. Sept. 1899 für Frankfurt a. M. Art. 16, 17. Preuß. G. vom 25. Mai 1874 Art. 1—4, G. vom 3. Juni 1876 Art. 1, 2, 5 - 8 , 10, 14, Nachtr. vom 6. März 1882, G. vom 28. Mai 1894 § 1, G. vom 21. Sept. 1898, G. vom 6. April 1878 Art, 1—4, 6, 7, 9, 11,12,13—16,18, 21, 1879).
1020
Zweiter Teil.
Viertes B u c .
§ 24.
gialen Verfassung des Oberkirchenrates, der Konsistorien und sonstigen Kirchenbehörden 9 und zu Kirchengesetzen, welche kirchliche Umlagen auflegen, wenn diese einen gewissen Prozentsatz der Einkommensteuer tibersteigen oder eine Belastung der Gemeinden zu Gemeindezwecken anordnen oder zur Folge haben 1 0 . Anders gestaltet sich die staatliche Mitwirkung bei solchen kirchlichen Akten, welche nicht vom König oder vom Landesherrn, sondern von den K i r c h e n b e h ö r d e n oder K i r c h e n v e r t r e t u n g e n ausgehen. Bei diesen findet eine A ufsicht der Staatsbehörden, analog der über die katholische Kirche , statt. Insbesondere steht den Staatsbehörden zu: 1. die Mitwirkung bei der Veränderung bestehender und Bildung neuer Pfarrbezirke 1 1 ; 2. die Bestätigung gewisser statutarischer Bestimmungen 1 2 ; 3. die Beaufsichtigung der kirchlichen Vermögensverwaltung 18 . Außerdem ist den Staatsbehörden verblieben: die Anordnung und Vollstreckung der zur Aufrechterhaltung der äußeren kirchlichen 22, 27, 28, G. vom 14. Juli 1895 für Schleswig-Holstein und Wiesbaden §§ 1 bis 3, G. vom 6. August 1883 Art. 1—4, 6, 7, 10, 11, G. vom 14. Juli 1895 für Hannover § 1, G. vom 19. März 1886 Art. 1—4, 6, 8, 9,14, G. vom 14. Juli 1895 für Kassel § 1, G. vom 2. Juni 1890 Art, 1—3, G. vom 9. Juni 1898 Art. 1, 3, G. vom 25. Juni 1898 §S 2, 3, G., betr. das Diensteinkommen evangelischer Pfarrer, vom 2. Juli 1898 Art. 1, 2, G. vom 1. März 1897 Art. 5, G. vom 2. Juli 1898 Art. 8, G. vom 28. Sept. 1899 für Frankfurt a. M. Art, 5, 6, 8, 9, 11, 19, 27, Anh. G. Art. 2, 7-10. • Preuß. G. vom 3. Juni 1876 Art. 21, G. vom 6. April 1878 Art. 29, G. vom 6. August 1883 Art. 18, G. vom 19. März 1886 Art. 15, G. vom 28. Sept. 1899 für Frankfurt a. M. Art. 20. 30 Preuß. G. vom 3. Juni 1876 Art. 16, G. vom 28. Mai 1894 § 5, G. vom 6. April 1878 Art. 26, G. vom 14. Juli 1895 für Schleswig-Holstein und Wiesbaden § 6, G. vom 6. August 1883 Art. 14, G. vom 14. Juli 1895 für Hannover §4, G. vom 19. März 1886 Art, 13, G. vom 14. Juli 1895 für Kassel § 4, G. vom 28. Sept. 1899 für Frankfort a. M. Art. 18, Anh. G. Art, 4 u. 5, Wald. G., betr. die Synodalordnung für die vereinigte evangelische Kirche, vom 31. Jan. 1873, AbändG. vom 9. Jan. 1899. 11 Preuß. G. vom 3. Juni 1876 Art. 23, G. vom 6. April 1878 Art. 31. G. vom 6. August 1883 Art. 20, G. vom 19. März 1886 Art. 17, G. vom 6. Mai 1885 § 2, G. vom 25. Juni 1898 § 4, G. vom 1. März 1897 Art, 6, G. vom 28. Sept. 1899 Art. 22. Eine Mitwirkung der Staatsbehörden bei Errichtung und Veränderung von Kirchenämtern findet auch noch in einzelnen anderen Staaten statt. Vgl. Hinschius in Marquardsens Handbuch S. 345 ff. 12 Preuß. G. vom 25. Mai 1874 Art. 5, G. vom 3. Juni 1876 Art. 4, 7, G. vom 6. April 1878 Art. 5, 10, 17, 20, 27, G. vom 6. August 1883 Art. 5, 9, G. vom 19. März 1886 Art. 5, 7, G. vom 2. Juni 1890 Art. 4, G. vom 8. Juli 1898 1Art. 3, G. vom 28. Sept. 1899 Art. 4, 7. 8 Preuß. G vom 25. Mai 1874 Art. 3, G. vom 3. Juni 1876 Art. 3, 11, 15, 17, 24, 27, G. vom 6. April 1878 Art. 3, 6, 8, 15, 19, 24, 25, 27, 31, 32, 35, G. vom 6. August 1883 Art. 3, 6, 8, 14, 16, 21—24, G. vom 19. März 1886 Art. 3, 12, 14, 18—21, G. vom 6. Mai 1885 §§ 3, 5, G. vom 2. Juni 1890 Art, 5—8, G. vom 1. März 1897 Art. 6, G. vom 9. Juni 1898 Art. 5, G. vom 25. Juni 1898 § 5, 6, G. betr. die Erhebung von Kirchensteuern vom 14. Juli 1905, Art. I—iV; badisches Landeskirchensteuergesetz vom 20. Nov. 1906, Art. 8, Ortskirchensteuergesetz vom 20. Nov. 1906, Art. 8; Anh. G. Art. 11, Wald. G., die Pfarrkassen betr., vom 9. Jan. 1899.
Rechtsverhältnisse der Untertanen.
§
2 .
Ordnung erforderlichen polizeilichen Vorschriften, die Regelung der streitigen Kirchen, Pfarr- und Küstereibausachen, sowie die Vollstreckung der einstweiligen Entscheidungen in diesen Sachen, die Beitreibung kirchlicher Abgaben, die Leitung der Kirchenbuchführung, soweit die Kirchenbücher noch zur Beurkundung des Personenstandes dienen, die Ausstellung von Attesten über das Vorhandensein derjenigen Tatsachen, welche den Anspruch auf Kostenfreiheit begründen 1 4 . Von den preußischen Gesetzen über das Verhältnis des Staates zur Kirche (oben lu08 undN. 11) finden auf die evangelische Kirche Anwendung: 1. die Bestimmungen über die V o r b i l d u n g u n d A n s t e l l u n g v o n G e i s t l i c h e n . Es besteht aber kein Einspruchsrecht der Staatsbehörden bei Anstellungen evangelischer Geistlichen 1 6 . 2. D i e Vorschriften über die Grenzen der k i r c h l i c h e n D i s z i p l i n a r - u n d S t r a f g e w a l t . — Ebenso wie die preußischen erstrecken sich die badischen und hessischen Gesetze über Vorbildung und Anstellung von Geistlichen und kirchliche Disziplinar- und Strafgewalt auf die evangelische K i r c h e 1 6 . Das in einzelnen Staaten (Bayern, Württemberg, Baden) für die evangelische Kirche festgehaltene Placet ist praktisch ohne Bedeutung 1 7 . Die verwaltungsgerichtliche Zuständigkeit in bezug auf Streitigkeiten über kirchliche Rechte und Verbindlichkeiten besteht auch für den Bereich der evangelischen K i r c h e 1 8 , I m Gegensatz zu Deutschland hat sich die protestantische Kirche F r a n k r e i c h s unabhängig vom Staate entwickelt. Infolgedessen besteht in E l s a ß - L o t h r i n g e n kein landesherrliches Kirchenregiment. Dagegen sind im französischen Rechte besondere Hoheitsrechte über die protestantische Kirche ähnlich denen über die katholische entwickelt 1 9 , welche auch im Reichslande Geltung besitzen. 8. Die übrigen Religionsgesellschaften. § 241. Für die k l e i n e r e n c h r i s t l i c h e n R e l i g i o n s g e s e l l s c h a f t e n hat sich das Bedürfnis einer besonderen staatlichen Aufsicht nicht herausgestellt, so daß es in dieser Beziehung an " Preuß. Gr. vom 8. Juni 1876 Art. 23, G. vom 6. April 1878 Art. 31, G. vom 6. August 1883 Art. 20, G. vom 19. März 1886 Art. 17, G. vom 1. März 1897 1Art. 6, G. vom 28. Sept. 1899 Art. g2. 5 G. vom 11. Mai 1873 § 28. Über einzelne Ausnahmefälle vgl. Hinschius, Kirchengesetze des Jahres 1873 S. 155 u. 156. 10 Besondere staatsgesetzliche Bestimmungen über das Disziplinarverfahren gegen evangelische Kirchendiener bestehen in Braunschweig (G. vom 115. Juni 1890). 7 Vgl. Hinschius in Marquardsens Handbuch 343 ff. 19
Vgl.
§ 2 3 7 S. 1011 N .
9.
Die organischen Artikel für die protestantische Kirche beruhen arif dem G. vom 18. germinal des Jahres X.
1022
Zweiter Teil.
Viertes Bucli.
§ 241.
gesetzlichen Vorschriften fehlt 1 . Auch die Bestimmungen der neueren Kirchengesetze finden auf sie keine Anwendung 2 . Dagegen besteht in den meisten Staaten eine geordnete Aufsicht der Staatsbehörden über die j ü d i s c h e n S y n a g o g e n g e m e i n d e n 8 . Diese äußert sich sowohl in einer Mitwirkung bei Bildung und Veränderung der Gemeinden als in der Bestätigung der Wahlen der Vorstände und Kultusbeamten, als endlich in einer Kontrolle der Vermögensverwaltung. Auch können Mitglieder der Synagogengemeinden wegen Verletzung der ihnen als solchen zustehenden Rechte einen Rekurs an den Staat ergreifen, über den in Preußen im Wßge des Verwaltungsstreitverfahrens entschieden wird4. 1 Eine Ausnahme machen die deutsch-katholischen Gemeinden in Sachsen, über welche eine ganz ähnliche Staatsaufsicht wie über die katholische Kirche besteht, G. über die Rechtsverhältnisse der deutsch-katholischen Glaubensgenossen vom 2. November 1848. 2 Nur die preußischen und hessischen Vorschriften über Straf- und Zuchtmittel beziehen sich auch auf die kleineren Religionsgesellschaften. 8 Preuß. G. über die Verhältnisse der Juden vom 28. Juli 1847, Bayr. Ed. vom 10. Juni 1818, Sächs. G. betr. die israelitischen Religionsgemeinden vom 10. Juni 1904; Württ. G. betr. die israelitische Religionsgemeinschaft vom 8. Juli 1912. Vgl. Freund, Art. Die israelit. Religionsgesellschaft im WStVR 3 299 ff.; S. Engelbert, Das Recht der israelit. Religionsgemeinschaft in Kurhessen (Arbeiten aus dem jurist.-staatswiss. Seminar a. d. Universität Marburg), Heft 17, 1918). 4 G., betr. die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden, vom 1. August 1883 § 54. Vermögensrechtliche Ansprüche und Verbindlichkeiten unterliegen auch in Baden '(G. vom 14. Juni 1884 § 2 Nr. 25) und Bayern (G. vom 8. August 1878 Art. 8 Nr. 36) der Entscheidung der Verwaltungsgerichte, in Baden außerdem Streitigkeiten über Wahlrecht und Wählbarkeit zu den Synagogen- und Schatzungsräten (G. vom 14. Juni 1884 § 3 N. 23).
Nachtrag. I. Staatsrechtliche Reformen und Reformbestrebungen während der Kriegszeit. Der Ausbruch des nicht von uns, sondern nur durch die Einkreisungspolitik unserer Feinde verschuldeten Weltkrieges hatte das ganze deutsche V o l k , ohne Unterschied der Parteistellung^ Klassenzugehörigkeit und Weltanschauung, zur Verteidigung des Vaterlandes bereit gefunden. Es war in jenen tiefbewegten und bewegenden Tagen, als gäbe es keine Parteien mehr, nur noch Deutsche; und der Erste der Nation, Kaiser Wilhelm I I . , war auch der Erste, der dies, in weithin hallenden Worten, aussprach* Es begab sich vor allem, daß die Arbeiterklasse und ihre politische Organisation, bis dahin nahezu ein Gegenstaat im Staate r sich entschloß, den Boden der grundsätzlichen Staatsfeindlichkeit zu verlassen. Die Sozialdemokratie hat diese innere Einkehr und Umkehr — zunächst einmütig, bald freilich nur mehr in ihrer Mehrheit, indes eine radikale Minderheit sich unter dem Namen der „Unabhängigen" nach links abtrennte, in die alte Oppositionsstellung zurückkehrte und in schneller Weiterentwicklung zu einer immer entschiedener revolutionären Partei wurde — auch äußerlich, insbesondere durch Bewilligung der Kriegskredite und durch vielfaches Zusammenarbeiten mit den bürgerlichen Parteien und der Regierung betätigt, und letztere zögerte nicht, diese Wandlung durch Gegenleistungen anzuerkennen: so wurden die Führer der sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaftsbewegung, zuerst mehr außeramtlich, dann auch amtlich, zu den Staatsgeschäften herangezogen und die Gewerkschaften durch eine Änderung des Vereinsgesetzes 1 von lästigen Beschränkungen befreit Aber nicht nur durch das veränderte Verhältnis zur Sozialdemokratie, auch sonst erwuchs aus dem Kriege die Notwendigkeit innerpolitischer Reformen. Schon in den ersten Kriegswochen hatte die Reichsleitung sich zu dieser Notwendigkeit bekannt, und der Staatssekretär des Innern, D r . Delbrück, hatte für die geplanten Reformen den zusammenfassenden Ausdruck „Neuorientierung* geprägt, ein W o r t , welches alsbald in aller Munde war und programmatische Bedeutung erlangte. Es handelte sich darum, in stärkerem Maße, als es bis dahin 1
RGes. vom 26. Juni 1916, oben § 230 N. 11.
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Nachtrag.
für nötig und nützlich erachtet worden war, d e m o k r a t i s c h e Gedanken in den Organismus unseres.Staatswesens einströmen zu lassen. Deutschlands Erneuerung sollte Demokratisierung bedeuten. Verstärkung der politischen Rechte in Reich, Staat und Gemeinde, volle Durchführung der Gleichberechtigung aller Staatsbürger, Verbreiterung insbesondere des Wahlrechts da, wo dies nötig war (namentlich in Preußen), Beseitigung aller unverdienten Bevorzugungen und aller Ausnahmegesetze, Herstellung der Einheit von Staat und Volk, das waren die neuen Richtlinien. Und das Bekenntnis zu ihnen entsprang der Einsicht, daß Ansehen und Festigkeit, j a letzten Endes das Dasein des Staates auf dem Vertrauen beruht, welches das Volk dem Staate entgegenbringt, daß dieses Vertrauen aber nicht allein durch gute Leistungen des Staates für das V o l k , durch eine fürsorgliche und lautere Gesetzgebung und Verwaltung, kurz, nicht bloß dadurch erworben wird, daß vieles für das Volk geschieht, sondern nur dadurch, daß, was immer f ü r das Volk getan wird, möglichst auch d u r c h das Volk geschieht. Und so erschien die Abkehr von der obrigkeitlich-autoritären zur demokratischen Staatsauffassung als ein Gebot nicht sowohl der Gerechtigkeit als der Staatsklugheit, j a der Staatsnotwendigkeit. Das ist, in mannigfacher Abwandlung des großen Grundgedankens, von politisch Einsichtigen, und keineswegs nur von solchen, die von vornherein auf den Boden der Demokratie standen, oftmals ausgesprochen worden, in der Literatur 2 , in der Tagespresse, in den Parlamenten und, wenn auch mit gewisser Zurückhaltung, von Männern der Regierung: so hat insbesondere der Reichskanzler D r . v. Bethmann-Hollweg sich zu öfteren Malen für die Notwendigkeit der Neuorientierung eingesetzt 8 . Die Reformbestrebungen richteten sich sowohl auf die Verhältnisse im Reich wie auf die in den Einzelstaaten, namentlich aber auf Preußen. Hier war es vor allem das Wahlrecht zum Abgeordnetenhause, was verbesserungsbedürftig erschien, während es sich im Reiche vorzugsweise um eine Erweiterung der Rechte des Reichstag^ im Sinne des parlamentarischen Regierungssystems, um die „Parlamentarisierung" der Reichsverfassung gehandelt hat. 2 Ich nenne, ohne im einzelnen zu zitieren, zunächst Namen wie Friedrich Naumann, Max Weber, Gans Delbrück, Friedrich Meinecke, Friedrich Thimme. Vgl. dann etwa folgende Bücher und Schriften: Thimme und Legien, Die Arbeiterschaft im neuen Deutschland (1915); Bozi und Heinemann, Recht, Verwaltung und Politik im neuen Deutschland (1916), beides Sammelwerke mit vielen Einzelbeiträgen; Hugo Preuß, Das deutsche Volk und die Politik (1915, dazu Anschütz m den Preuß. Jahrbüchern 164 339 ff.); F. Naumann, Der Kaiser im Volksstaat (1917); M. Weber, Wahlrecht und Demokratie in Deutschland (1917); Wolfgang Heine, Zu Deutschlands Erneuerung (1916); Gr. Anschütz, Zukunftsprobleme deutscher Staatskunst (1915) S. 27ff.: F. Stier-Somlo, Grund- und Zukunftsfragen deutscher Politik (1917); zahlreiche, hier nicht aufzählbare Artikel in der Zeitschrift „Die Hilfe", 1914—1918, von F. Naumann, W. Heile, Gertrud Bäumer und anderen. 8 Vgl. namentlich seine Reichstagsrede vom 27. Februar 1916.
I. Staatsrecht!. Reformen u. Reformbestrehungen während d. Kriegszeit. 1025 1. Das Ziel der p r e u ß i s c h e n W a h l r e f o r m 4 war die Beseitigung des auf der Verordnung vom 30. Mai 1849 beruhenden Wahlrechts (oben § 100 S. 352, § 101 S. 354), welches formell ein allgemeines, tatsächlich aber ein eng beschränktes war und für die den ärmeren und besitzlosen Volksklassen angehörigen, also die meisten Wähler nicht mehr bedeutete als ein wertloses Scheinrecht. Dieses Wahlsystem ( „ D r e i k l a s s e n s y s t e m " ) war, in schroffem Gegensatz zu den gleichen, direkten und geheimen Reichstagswahlrecht (oben § 129) weder gleich (denn es stufte das Stimmgewicht des Wählers nach Besitz und Einkommen, gemessen an der Höhe der von ihm gezahlten direkten Steuern ab), noch direkt (denn es ließ die Abgeordneten durch Wahlmänner wählen, die ihrerseits durch die „Urwähler" bezeichnet wurden), noch geheim (denn es schrieb öffentliche und mündliche Abstimmung sowohl bei den Ur- wie bei den Abgeordnetenwahlen vor). Es waren gewichtige Gründe, welche den Gegnern dieses Systems zur Seite standen. Man bekämpfte die roh materialistische Auffassung, welche den Umfang des wichtigsten der staatsbürgerlichen Rechte einseitig und ohne jedes Korrektiv nach der Wohlhabenheit bestimmt. Man wies darauf hin, wie das Dreiklassenwahlrecht, indem es die der dritten „Klasse" zugewiesenen, also die überwiegende Mehrzahl aller Wähler t a t s ä c h l i c h von der aktiven Teilnahme am Staate ausschloß, diese Massen dem Staate in gefährlicher Weise entfremdet. Man machte geltend, daß die Heterogenität des Wahlrechts im Reich und in Preußen, und damit die parteipolitische Zusammensetzung der beiden Parlamente, geeignet und erfahrungsgemäß auch vielfach schon imstande gewesen sei, die unentbehrliche Homogenität der preußischen Staatspolitik und der Politik der Reichsleitung (vgl. oben § 135 S. 525, 526) in Frage zu stellen. Den immer dringender erhobenen Forderungen der öffentlichen Meinung — insbesondere auch des Reichstags, der die Wahlreform für eine nicht nur preußische, sondern d e u t s c h e Frage erklärte und daraufhin für sich das Recht zum Mitreden in Anspruch nahm — folgend, entschloß sich die preußische Staatsregierung schon 1916 zu einem, vorerst freilich nur etwas unbestimmt gehaltenen, Bekenntnis zu den Ideen der Reform: Thronrede vom 13. Januar 1916. I m nächsten Jahre geschahen dann entscheidendere Schritte. Eine Botschaft des Kaisers und Königs vom 7. April 1917 sprach die Meinung der Krone dahin aus, daß „nach den gewaltigen Leistungen des ganzen Volkes in diesem furchtbaren Kriege für das Klassenwahlrecht in Preußen 4
Aus der Literatur: Meinecke, Die Reform des preuß. Wahlrechts, Annalen für soziale Pol. u. Gresetzgeb. 6 1 ff.; Anschütz, Die preuß. Wahlreform, das. 273 ff (auch besonders erschienen); Thimme, Dia Reform des reuß. Landtags, das. 519 ff.; Holtz, Zur Wahlreform in Preußen. Schmollers ahrbuch 41 338ff.; Damme in der DJZ 1917 353ff.; Laband, das. 449 ff.; E. Kautinann, das 1918 12 ff.
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Nachtrag.
kein Raum mehr sei", und verhieß zudem die Einführung der unmittelbaren und geheimen Wahl. Eine ergänzende Botschaft vom 11. Juli 1917 ordnete an, daß ein Gesetzentwurf über die Wahlen zum Hause der Abgeordneten auf der Grundlage des gleichen Wahlrechts aufzustellen sei. Und im Vollzug dieser Versprechungen wurde im November 1917 ein Gesetzentwurf des vorbezeichneten Inhalts (zusammen mit einem andern, welcher eine umfassende Reorganisation des Herrenhauses, und einem dritten, welcher gewisse Abänderungen des Budgetrechts brachte) dem Landtage vorgelegt 5 . E r war auf dem Grundsatz des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts aufgebaut und von einer Begründung begleitet, die in ihrer starken Überzeugungskraft, ihrem ruhigen Ernst und ihrem inneren Schwung zu dem besten gehört, was an amtlichen Denkschriften über innere Staatsreformen bisher bekannt geworden ist. Trotz seiner vorzüglichen Begründung war dem Reformentwurf kein Glück beschieden. E r ist nicht Gesetz geworden. Die Verantwortung für diesen Mißerfolg, der ein Unglück für ganz Deutschland bedeutete und unter den inneren Ursachen der Revolution nicht an letzter Stelle steht, trifft nicht die Regierung, sondern den Landtag, oder richtiger die rechtsstehenden Parteien des Abgeordnetenhauses, welche im Mai 1918 den Kern der Regierungsvorlage, das gleiche Wahlrecht, unter Annahme eines stark reaktionär gestalteten Mehrstimmenrechts ablehnten und dadurch die Wahlreform zu Falle brachten. Wohl hat sich dann das Herrenhaus noch lange mit der Reform beschäftigt, es hat sogar, als inmittelst die militärische und mit ihr die allgemeine politische Lage immer unheildrohender geworden war, das gleiche Wahlrecht,-zunächst noch mit einer Zusatzstimme für Wähler höheren Lebensalters, dann (11. Okt. 1918) ohne eine solche Zusatzstimme in die Vorlage wieder eingesetzt, und endlich hat dann auch die konservative Fraktion des Abgeordnetenhauses ihren Widerstand gegen die Gleichheit des Wahlrechts aufgegeben (15. Okt.); die Wahlreform schien gesichert. Allein es war zu spät. Das Rad der Bewegung, welche Preußen und ganz Deutschland umwälzen und damit auch die Reformbestrebungen der alten Gewalten überholen sollte, war bereits im Rollen. Das alte Preußen hat sein Dreiklassensystem mit sich ins Grab genommen. 2. Besser als in Preußen gelang, was im R e i c h e an verfassungspolitischen Reformen geplant war; doch kann, da alsbald nach dem Gelingen die Umwälzung auch über die Reichsverfassung hereinbrach, dieses Gelingen nur die Bedeutung einer kurzen Episode in Anspruch nehmen. Der Sitz der Reichsreformbestrebungen war der Reichstag, welcher (bei der Beratung des Haushaltplanes für 1917/18) zur Beratung der einschlägigen Fragen einen eigenen Ausschuß, den • Haus der Abg. 1916/18 Drucksache Nr. 698.
I. Staatsrecht. Reformen u. Reformbestreungen während d. Kriegszeit. 1027 „Verfassungsausschuß 0 eingesetzt hat. Dieser Ausschuß kam nach mehrmonatlichen Verhandlungen zu einer Reihe von Beschlüssen6, welche eine Abänderung bzw. Ergänzung der Reichsverfassung nach folgenden Richtungen forderten: Verstärkung der Immunität der Reichstagsmitglieder, Recht und Pflicht des Reichskanzlers sowie seiner Stellvertreter, als solche (nicht nur in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Bundesrates) im Reichstage jederzeit das Wort zu ergreifen, nähere Regelung der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, Erstreckung der ministeriellen Verantwortlichkeit auf militärische Angelegenheiten, insbesondere Notwendigkeit der Gegenzeichnung der Kriegsminister bzw. des Reichskanzlers bei Offiziersernennungen im Bereiche des Landheeres und der Marine, endlich Vermehrung der Mitgliederzahl des Reichstags unter vorzugsweiser Berücksichtigung der Wahlkreise mit starkem Bevölkerungszuwachs, insbesondere der Großstädte, und unter Einführung der Verhältniswahl für diese Wahlkreise. Neben den Arbeiten des Verfassungsausschusses her und teilweise über sie hinaus ging, mit stärkerem Druck seit Juli 1917 einsetzend, eine Bewegung, welche darauf abzielte, das p a r l a m e n t a r i s c h e R e g i e r u n g s s y s t e m in irgend einer Form im Deutschen Reiche einzuführen. Diese Bewegung ist nicht nur im Reichstage und seinen Parteien zum Ausdruck gekommen, sie hat auch in der Literatur lebhafte Erörterungen hervorgerufen 7 , wobei das Wesen des parlamentarischen Systems (Parlamentarismus) untersucht und die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit seiner Einführung im Deutschen Reich vielseitig und gründlich untersucht wurde. Was denen, welche die Parlamentarisierung befürworteten, vor allem verbesserungsbedürftig erschien, war die allzu dualistische, unverbundene Gegensätzlichkeit von Parlament und Regierung, wie sie dem deutschen Konstitutionalismus eigentümlich war. Man stellte die Frage: W i e kann der Regierungskörper des Reichs mit dem Reichstag in eine organische Verbindung gebracht werden, zu dem Zwecke, um unnötige Reibungen und Hemmungen zwischen Parlament und Regierung zu verhüten, um eine stetige Beeinflussung der Regierung durch das Parlament, aber auch des 6 Die Verhandlungen des Verfassungsausschusses sind in den Drucksachen des Reichstags veröffentlicht. Vgl. auch Schiffer, Der Verf.-Ausschuß und seine Arbeit (1917). 7 Max Weber, Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland (1918): Anschütz, Parlament und Regierung im Deutschen Reich (1918); Derselbe, D JZ 22 697 ff.; Arndt. DJZ 22 587ff., 769 ff.: Wittmayer, Deutscher Reichstag und Reichsregierung(1918); I i i . Heuß, Die Bundesstaaten und das Reich (1918); Gmelin, Zur Frage der Einfuhrung parlam. Regierung im Reiche, Ztschr. f. Politik 11 294 ff.; Piloty, Das parlam. System (1917); Löwenstein im ArchöffR 88 878ff.; R. Redslob, Die parlam. Regierung in ihrer wahren und unechten Form (1918). Die Vorstehenden alle der ParFamentarisierung mehr oder minder geneigt. Ein scharfer Gregner: E. Kaufmann, Bismarcks Erbe in der Reichsverfassung (1917). Über und gegen ihn: Rosenthal in der deutschen Literaturzeitung, 1918, Nr. 23 u. 24.
G. Ä e y e r - A n s o h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
III.
7. Aufl.
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Nachtrag.
Parlaments durch die Regierung zu ermöglichen und um die Voraussetzungen zu schaffen für ein auf gegenseitigem Verständnis, gegenseitigem Vertrauen beruhendes Zusammenarbeiten ? (Anschütz, Parlament und Regierung S. 31, 32.) Ein erster praktischer Erfolg der Parlamentarisierungsbestrebungen zeigte sich bei dem Regierungswechsel im Spätherbst 1917. Die leitenden Ministerposten im Reiche und in Preußen, die Ämter des Reichskanzlers und seiner beiden nächsten Stellvertreter im Reiche und in Preußen (Generalstellvertreter des Reichskanzlers, Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums) wurden damals mit Männern besetzt, die nicht als Beamte, sondern als Parlamentarier groß geworden waren und der zur Zeit im Reichstage herrschenden Parteienkoalition in führende Stellung angehörten (Graf Hertling, v. Payer, Friedberg). Und der Reichskanzler Graf Hertling hat sein Amt erst übernommen, nachdem er sich mit jener Parteikoalition über sein Regierungsprogramm verständigt und sich des Vertrauens der Reichstagsmehrheit versichert hatte. Viel stärker noch äußerte sich der Einfluß des parlamentarischen Systems, als am 30. Sept. 1918 Graf Hertling zurücktrat. Auf das Entlassungsgesuch des Zurücktretenden antwortete der Kaiser (Erlaß vom 30. Sept. 1918, gegengezeichnet: Graf Hertling): „Ich wünsche, daß das deutsche .Volk wirksamer als bisher an der Bestimmung der Geschicke des Vaterlandes mitarbeite. Es ist daher mein Wille, daß Männer, die vom Vertrauen des Volkes getragen sind, in weitem Umfange teilnehmen an den Rechten und Pflichten der Regierung. Ich bitte Sie, I h r W e r k damit abzuschließen, daß Sie die Geschäfte weiterführen und die von mir gewollten Maßnahmen in die Wege zu leiten." Der zum Nachfolger Hertlings in Aussicht genommene Prinz M a x von Baden trat zunächst mit den Führern der Mehrheitsparteien in Verbindung und wurde zum Reichskanzler ernannt, nachdem zwischen ihm und den Parteien ein Einverständnis über den Eintritt führender Mitglieder der Parteien in die Reichsleitung und über die Richtlinien der Reichspolitik erzielt war. Und der neue Reichskanzler eröffnete seine Amtstätigkeit mit einer Rede im Reichstag (5. Okt. 1918), worin er sein Programm entwickelte und die Vertrauensfrage stellte. Als sich dieser Kanzlerwechsel vollzog, lag eine Änderung im Verfassungsrecht des Reiches schon um einige Monate zurück, eine andere stand nahe bevor. I . Durch das Gesetz vom 24. August 1918 (RGBl 1079) wurde die Zahl der Mitglieder des Reichstags um 44, also von 397 (vgl. oben § 129 S. 506) auf 441 erhöht. Die neuen Mandate wurden, entsprechend den Anträgen des Verfassungsausschusses (oben 1027) durchweg dichtbevölkerten, bis dahin im Reichstage verhältnismäßig zu schwach vertretenen Orten, nämlich einerseits den größten Städten, andererseits gewissen Industriebezirken zugeteilt (worin zugleich, eingestandenermaßen, eine Begünstigung der linksstehenden
I . Staatsrecht!. Reformen u. Reformbestrebungen während d. Kriegszeit
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Parteien lag), so zwar, daß aus diesen Städten und Bezirken „große", durch eine Mehrzahl von Abgeordneten (2—10) zu repräsentierende Wahlkreise gebildet wurden, für welche, wiederum nach dem Antrage des Verfassungsausschusses, das System der Verhältniswahl eingeführt wurde. I I . Von viel einschneidenderer Bedeutung waren die Reformen, welche, unter der Kanzlerschaft des Prinzen Max von Baden, durch die beiden Gesetze vom 28. Oktober 1918 (RGBl. 1273, 1274) vorgenommen wurden 8 . Auch für diese Gesetze waren die Arbeiten des Verfassungsausschusses richtunggebend. » Das erste der beiden Gesetze hebt Art. 21 Abs. 2 RVerf, wonach Mitglieder des Reichstags, welche ein besoldetes Reichsoder Staatsamt übernehmen, Sitz und Stimme im Reichstag verlieren (oben § 130 S. 510), auf (um, im Sinne des parlamentarischen Systems, den Reichstagsmitgliedern den Eintritt in die Regierung ohne Preisgabe ihres Mandats zu ermöglichen). Etf schreibt ferner vor, daß nicht nur der Reichskanzler, sondern auch seine Stellvertreter im Reichstage auf Verlangen jederzeit gehört werden müssen (ausgehend von dem Gedanken, daß die Stellvertreter, auch wenn sie nicht Mitglieder des Bundesrates sind und als solche sich auf Art. 9 R V e r f berufen können, auf Grund ihrer ministeriellen Verantwortlichkeit gegenüber dem Reichstage so berechtigt wie, gegebenenfalls, verpflichtet sind, im Reichstage das Wort zu ergreifen). Das zweite Gesetz vom 28. Oktober 1918 bringt folgende Änderungen der RVerf: 1. I m Art. 11 werden Abs. 2, 3 durch folgende Bestimmungen ersetzt 9 : Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reiches ist die Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags erforderlich. Friedensverträge sowie diejenigen Verträge mit fremden Staaten, welche sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags. 2. Dem Art. 15 wird hinzugefügt: Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstags. Der Reichskanzler trägt die Verantwortung für alle Handlungen von politischer Bedeutung 1 0 , die der Kaiser in Ausübung der ihm nach der RVerf zustehenden Befugnisse vornimmt. Der Reichskanzler und seine Stellvertreter sind für ihre Amtsführung dem Bundesrat und dem Reichstag verantwortlich. 3. I m Art. 17 werden die Worte gestrichen: „welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt, tf • Über diese Reformen vgl. Püoty, DJZ 28 (1918), 649 ff., 716 ff. Vgl. oben § 190 S. 818. Einschließlich derer, welche als Ausübung der militärischen Kommandogewalt erscheinen. 9 10
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Nachtrag.
4. Dem Art. 53 Abs. 1 wird hinzugefügt: Die Ernennung, Versetzung, Beförderung lind Verabschiedung der Offiziere und Beamten der Marine erfolgt unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers 11 . 5. I m Art. 64 Abs. 2 werden im ersten Satze hinter „Kaiser" die Worte eingeschaltet: „unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers." 1 1 6. Dem Art. 66 wird beigefügt: Die Ernennung, Versetzung, Beförderung und Verabschiedung der Offiziere und Militärbeamten eines Kontingents erfolgt unter Gegenzeichnung des Kriegsministers des Kontingents. D i e Kriegsminister sind dem Bundesrat und dem Reichstag für die Verwaltung ihres Kontingents verantwortlich 1 1 Von diesen Verfassungsänderungen sind zwei Gruppen besonders wichtig, einmal die, welche sich auf Art. 15, soaann die, welche sich auf Art. 53, 64 und 66 beziehen. D i e erste Gruppe, vor allem der Satz, daß der Reichskanzler zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstags bedarf, bedeutet die Einführung der parlamentarischen Regierungsform. Die zweite aber bewirkt, indem sie das gesamte Kriegswesen, und zwar nicht nur die Militärverwaltung, soudern auch die Heeresleitung (oben 842, 847) ministerieller Verantwortlichkeit, und damit dem Einfluß des Reichstags, unterstellt, die Unterordnung der Militärgewalt unter die Zivilgewalt und beseitigt damit ein Stück „Militarismus", welches zu den Besonderheiten des preußisch-deutschen Staatsrechts gehört und mit den Grundsätzen des konstitutionellen Staates unzweifelhaft im Widerspruch gestanden hatte.
I L Ursachen und Ausbruch der Revolution. Eine eindringende Darstellung der Ursachen der deutschen Revolution von 1918 wird man in einem Lehrbuch des deutschen Staatsrechts nicht suchen wollen 1 2 , und um so weniger, wenn dieses sich planmäßig nur mit dem Rechtszustand vor der Umwälzung beschäftigt. Doch kann an den Hauptpunkten wenigstens hier nicht ganz vorbeigegangen werden. Es wäre einseitig und daher wahrheitswidrig, wenn man die Revolution allein aus der besonderen Struktur unseres bisherigen Staatswesens herleiten wollte. Der Aufbau dieses von Preußen geeinigten und geführten Deutschlands war, der geschichtlichen Prägung des Führerstaates entsprechend, im Vergleich mit anderen Ländern sehr autoritär, undemokratisch, militaristisch, er zeigte das Bild eines von einer starkem Monarchie und ihrem Beamten11 12
V g l oben § 196 Anm. 20 a. E. Die Literatur hierüber ist jetzt — Frühjahr 1919 — begreiflicherweise noch sehr spärlich. Zur ersten Orientierung vgl. etwa H. Delbrück, Preuß. Jahrb. 174 425 ff.; H. Oncken, Die inneren Ursachen der Revolution, Annalen für soziale Politik u. Gesetzgebung 6 228 ff.
I I . Ursachen und Ausbruch der Revolution.
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tum geleiteten, auf ein nicht minder starkes Heer als letzte Machtgrundlage gestützten Obrigkeitsstaates. Das ist zuzugeben, nicht aber, daß wir allein schon deshalb revolutionsreif gewesen wären. Richtig ist nur, daß diese Eigenart unseres Staatswesens dem Einswerden von Staat und Volk, welches Ausgangs- und Zielpunkt aller vorausschauenden Staatskunst sein muß, nachhaltig entgegenstand, daß sie Staat und Volk dauernd auseinanderhielt, die unteren Klassen und damit die Massen des Volkes dem Staate entfremdete. Richtig ist ferner, daß das von einem streng monarchistisch-aristokratischen Offizierkorps geführte Heer letztlich doch das nicht war, was es sein sollte und auch wollte, „das V o l k in Waffen", sondern eine selbständige Macht im Staate darstellte, die in sich — insbesondere in einem grundlegenden Punkte: der Gestaltung des Verhältnisses zwischen Offizier und Mannschaft — noch viel autoritärer, weit undemokratischer verfaßt war als das Staatsganze, und mit dieser ihrer altüberlieferten Heeresverfassung zu der nicht demokratischen, immerhin doch konstitutionellen Staatsverfassung in unverhülltem Gegensatz stand. Aber alle diese inneren Spannungen waren doch nur loca minoris resistentiae, schwache Stellen im Staatsorganismus, wo revolutionäre Infektionen leicht eindringen, der innere Feind Fuß fassen konnte. Die eigentlichen oder gar alleinigen Ursachen des Zusammenbruchs bedeuteten sie nicht. Was die Revolution erst ermöglicht, dann herbeigeführt hat, ist der Verlauf und Ausgang des Krieges. Das deutsche Volk ist einig, zuerst noch unbelastet durch umstürzlerische Bestrebungen auch nur einer Minderheit, in den Krieg gegangen, einig vor allem, weil es in dem Kriege eine Lebensnotwendigkeit, einen reinen Verteidigungskrieg sah. Keine Partei lehnte diesen Krieg oder gar die Staatsgewalt, die ihn führte, zunächst ab — zunächst. Es blieb nicht dabei. E i n kleiner, aber an Einfluß auf die Massen stetig wachsender Teil der Sozialdemokratie sonderte sich als „Unabhängige sozialdemokratische Partei" ab, verweigerte von da ab die Bewilligung der Kriegskredite und machte sich in ungehemmtem Radikalismus an sein W e r k , Volk und Heer zu revolutionieren. Und auch in anderen, an sich weder revolutionär noch antimilitaristisch gesinnten Kreisen wuchs, wenn nicht die Feindschaft gegen den Krieg, so doch die Unlust an ihm, als eine von der Reichsleitung nicht geförderte, aber geduldete und ihr deshalb vom Volke zur Last gelegte Propaganda auf den Plan trat, die, in ihren Zielen rein aggressiv und imperialistisch, in ihren Mitteln nicht immer wählerisch, den Verteidigungskrieg in einen Eroberungskrieg umwandeln wollte. Auch im Heer (nicht freilich bei den Offizieren, aber bei den Mannschaften) fand diese Stimmung allmählich Boden. Sie wurde — genährt durch das Bewußtsein, in einem ungleichen und, trotz aller glänzenden Einzelerfolge, doch ergebnis- und aussichtslosem Kampfe gegen eine wachsende Übermacht zu stehen — zur Kampfunfreudigkeit,
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Nachtrag.
zur Kriegsmüdigkeit, und drang langsam fressend vor an die Wurzeln der Disziplin und damit an die Grundlagen aller Leistungsfähigkeit, ja der Lebensfähigkeit des Heeres. D i e bereits angedeutete Gestaltung des Verhältnisses zwischen Offizierkorps und Mannschaft, die kastenmäßige Trennung zwischen jenem und dieser hat ihren Zweck, den Geist der Unterordnung und des Gehorsams wachzuhalten, nicht nur nicht erreicht, sondern sogar vereitelt. Solange das Heer siegreich war, blieb die Entfremdung zwischen Führern und Truppe noch im Verborgenen, als das Glück unsere Fahnen verließ, trat sie hervor. Die Entfremdung wurde zur Einflußlosigkeit der Führer, die Einflußlosigkeit zuletzt zur Ohnmacht. I n gleichem Schritt mit der Zersetzung des einst so festen Geftiges der Armee ging eine nicht minder verhängnisvolle Zermürbung der moralischen Widerstandskraft der „Heimat", des Volkes im Ganzen, verursacht durch den immer drückenderen Lebensmittelmangel und andere wirtschaftliche Nöte, Folgen der vom Feinde über unser Land verhängten Absperrung. Durch diese Zermürbung, nicht zu mindest auch durch innerpolitische Unzufriedenheit 18 und durch das aufreizende Treiben einer Händlerschaft, die sich an der Not des Vaterlandes und dem Hunger ihrer Mitbürger schranken- und straflos bereichem durfte, sind die Massen reif geworden zur Revolution, nicht so, daß sie sich einmütig zu einem gewaltsamen Angriff gegen die bestehende Staatsordnung entschlossen hätten, aber doch im Sinne einer steigenden Empfänglichkeit gegenüber revolutionären Einflüssen und Einflüsterungen. Und an solchen Einflüssen hat es nicht gefehlt. Namentlich nicht seit der Staatsumwälzung in Rußland (Frühjahr und Herbst 1917), welche die revolutionären Richtungen des deutschen Sozialismus ermutigte, sie über die Technik und Taktik des Umsturzes belehrte und bald auch als Spenderin reicher Geldmittel für die Propaganda des Wortes und der T a t auftrat. Die Ereignisse nahmen weiter ihren Lauf. W i r gewannen manche Schlacht, der Feind aber den Krieg. Einmal noch schien unsern Waffen Erfolg beschieden — Frühjahrsoffensive 1918 in Frankreich — , aber bald wendete sich auch dieses Blatt. Unser Angriff ward zur Abwehr, zum Rückzug, schließlich zur Niederlage. I m August und September 1918 entschieden sich auf den Schlachtfeldern Nordfrankreichs unsere Geschicke. Ende September gab die Heeresleitung, nachdem sie noch bis dahin immer wieder zum Glauben an den Sieg aufgerufen und den Sieg selbst als sicher hingestellt hatte, das Spiel verloren, erklärte plötzlich, daß die Front gegen feindliche Durchbrüche nicht mehr zu halten 13 — v o r allem über die mit dem Kriegszustand verbundenen Militärdiktatur, über zahlreiche Mißgriffe und Mißerfolge der Kriegswirtschaft, dann namentlich auch über das Scheitern versprochener Reformen, wie der preußischen Wahlreform.
II. Ursachen und Ausbruch der Revolution.
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sei und forderte von der politischen Leitung die sofortige Anbahnung eines Waffenstillstandes. Ob diese Erklärung tatsächlich begründet und politisch geboten war, darüber wird die Geschichte einst richten; sicher ist, daß sie den Zusammenbruch unseres Staates nach außen und — wie sich bald zeigen sollte — auch im Innern besiegelt hat. Der nach dem Rücktritt des Grafen Hertling (30. Sept. 1918, s. oben) zum Reichskanzler ernannte Prinz Max von Baden wurde sogleich bei seinem Amtsantritt von der Heeresleitung mit der Aufgabe belastet, unverzüglich (verlangt wurde: binnen 24 Stunden) bei den feindlichen Mächten Waffenstillstand nachzusuchen 1 4 ; er erfüllte diese Forderung durch eine an den Präsidenten der Vereinigten Staaten gerichtete Note. Das Waffenstillstandsangebot, welches von dem Präsidenten Wilson mit wohlberechnetem Zögern und zunächst nur ausweichend beantwortet wurde, hatte die schlimmsten Wirkungen. Es steigerte die Siegeszuversicht, den Übermut der Feinde ins Ungemessene. Unser Heer wollte, eine verlorene Sache und den Frieden um jeden Preis vor -Augen, nicht mehr kämpfen, auch nicht, als einige Tage nach dem Angebot die Heeresleitung erklärte, daß sie sich in ihrer pessimistischen Beurteilung der Lage an der Front getäuscht habe. Die Führer der revolutionären Aktion sahen ihre Zeit gekommen und rüsteten zum Losbruch. Und weite Kreise, welche die Revolution nicht wollten, unter ihnen die alte sozialdemokratische Partei (die in der Regierung des Prinzen Max durch mehrere ihrer Mitglieder vertreten war), forderten radikale Verfassungsreformen und verlangten — mit veranlaßt durch Kundgebungen des Präsidenten Wilson, wonach dieser zum Frieden mit dem deutschen Volke, nicht aber mit dem deutschen Kaiser bereit schien — die Abdankung des Kaisers sowie des Kronprinzen. Der Ruf nach Abdankung blieb vorerst erfolglos, im übrigen suchten die oben (S. 1029, 1030) geschilderten Reformgesetze vom 28. Oktober 1918 einen Teil der erhobenen Forderungen zu erfüllen. Wenige Tage nach der Verkündung dieser Gesetze brach der Aufruhr los. Zuerst (3. Nov.) in K i e l : nicht unter der Zivilbevölkerung, sondern unter dem Militär, der Bemannung der Kriegsschiffe. Dort erfolgreich, wanderte die Bewegung, durch revolutionäre Matrosen, Soldaten und Arbeiter getragen, nach Hamburg und viele andere Städte. I n München wurde am 8. November die Dynastie für abgesetzt und das Land zur Republik erklärt. Z u eigentlichen Kämpfen kam es nirgends. Die Mannschaften des Heeres und der Marine waren sich in dem Willen zur Revolution oder doch in der Nachgiebigkeit gegen sie schlechthin einig; damit hat die einzige Macht, welche stark genug war, die bestehenden Gewalten zu schützen, nicht sowohl versagt als sich u Vgl. die eigene Darstellung des Prinzen in den Preuß. Jahrb. 174 301ff. (Dezember 1918).
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Nachtrag.
in den Dienst der Revolution gestellt. Die deutsche Revolution von 1918 ist von einem meuternden Heer und einer radikalsozialistischen Arbeiterschaft gemacht worden; dementsprechend wuchsen, als Exponenten und örtliche Organisationen der siegreichen Klassen, allenthalben, in jeder Stadt, bei jedem größeren Truppenteil, „Arbeiter- und Soldatenräte (im Namen wie der Sache nach russischen Ursprungs) wie Pilze aus dem Boden. A m 9. November kam die Revolution nach Berlin. Hier war inzwischen die Frage der Abdankung des Kaisers brennend geworden. Die Führer der sozialdemokratischen Partei verlangten, gedrängt van den ihrer Leitung entgleitenden Massen, am 7. November von dem Reichskanzler Prinzen Max die Herbeiführung des Thronverzichts, auch seitens des Kronprinzen, binnen 24 Stunden, widrigenfalls sie sich von der Regierung trennen würden. Dies Ultimatum hatte, wenn auch nicht genau innerhalb der gestellten Frist, Erfolg, bewirkte freilich auch den Rücktritt des Kanzlers. A m 9. November entsagte der Deutsche Kaiser und König »von Preußen und auch — wie allgemein angenommen wurde — der Thronfolger der Krone. Letztere ging damit auf den ältesten, minderjährigen Sohn des Kronprinzen über. Aber diese Thronfolge trat tatsächlich nicht ein, auch nicht die mit ihr notwendig (oben § 92 S. 311) verbundene Regentschaft. Vielmehr verwandelten sich das Reich und Preußen (dem die übrigen Einzelstaaten in dieser Hinsicht teils schon vorangegangen waren, teils unmittelbar nachfolgten) in demokratische Republiken. Der am 9. November aus seinem Amte scheidende Reichskanzler Prinz M a x ließ unmittelbar vor seinem Rücktritt bekanntgeben, daß er beabsichtige, „dem Regenten die Ernennung des Abgeordneten Ebert zum Reichskanzler und die Vorlage eines Gesetzentwurfes wegen der sofortigen Ausschreibung allgemeiner Wahlen für eine verfassunggebende deutsche Nationalversammlung vorzuschlagen, der es obliegen würde, die künftige Staatsform des deutschen Volkes endgültig festzustellen". Noch am gleichen Tage setzte er aber selbst, ohne daß von der Einleitung einer Regentschaft die Rede war oder später noch die Rede gewesen wäre, den sozialdemokratischen Führer und Abgeordneten Ebert zu seinem Nachfolger ein. D e r so Eingesetzte betrachtete sich jedoch nicht als Reichskanzler im Sinne der RVerf, umgab sich vielmehr mit noch fünf Genossen im Besitz der Macht: zwei aus den Reihen seiner, der alten sozialdemokratischen Partei („Mehrheitssozialisten") und drei aus denen der „Unabhängigen", wodurch ein aus sechs Mitgliedern bestehender „ R a t d e r V o l k s b e a u f t r a g t e n " entstand, der, am nächsten Tage, dem 10. November, von der obersten revolutionären Instanz der Reichshauptstadt, dem Vollzugsausschuß des Berliner Arbeiter- und Soldatenrats, anerkannt und bestätigt, die oberste Regierungsgewalt des Reiches, einschließlich der gesetzgebenden Gewalt, bis auf weiteres an sich iiahm. Das
Kaisertum
war
zusammengebrochen,
zweiundzwanzig
I I I . Die Anfänge des neuen Staatsrechts.
1035
Dynastien waren vertrieben. Behörden, Beamtentum, Offizierkorps verzichteten auf jeden Widerstand gegen die neuen Gewalten. Die Revolution hatte wie in der Hauptstadt so überall sonst restlos und kampflos gesiegt.
HI. Die Anfänge des neuen Staatsrechts, Es können hier lediglich Tatsachen — die wichtigsten verfassungspolitischen Ereignisse und Wendungen ans der Zeit vom November 1918 bis März 1919 — aneinandergereiht werden. Die staatsrechtliche und politische Würdigung dieser Tatsachen muß künftiger wissenschaftlicher Arbeit vorbehalten bleiben 1 5 . 1. A m 12. November 1918 erließ der durch die Revolution an die Spitze des Deutschen Reichs gebrachte „Rat der Volksbeauftragten 0 (s. oben) einen Aufruf an das deutsche V o l k l e , der zugleich die Bedeutung eines Regierungsprogramms hat. E r beginnt mit der Feststellung des Sozialrevolutionären Ursprungs und im Zusammenhang damit, der Grundrichtung der neuen Regierung: „Die aus der Revolution hervorgegangene Regierung, deren politische Leitung rein sozialistisch ist, setzt sich die Aufgabe, das sozialistische Programm zu verwirklichen." A m Schluß des Aufrufs finden sich mehrere Erklärungen und Verheißungen (versprochen wird u. a. die Einführung des achtstündigen Arbeitstages, Fürsorge für Erwerbslose, Maßregeln gegen die Wohnungsnot, Sicherung der Volksernährung, radikale Demokratisierung des Wahlrechts zu allen öffentlichen Körperschäften). Zwischen Anfang und Schluß erscheinen dispositive Anordnungen, denen ausdrücklich „Gesetzeskraft" beigelegt wird, und die teils die Aufhebung der mit dem Kriegszustand verbundenen Freiheitsbeschränkungen bezwecken, teils weitergehende befreiende Maßnahmen (Koalitionsrecht der Beamten und Staatsarbeiter, Amnestie für alle politischen Straftaten, Aufhebung der Gesindeordnungen) zum Gegenstand haben. 2. A m 12. November übernahm ein von dem Vollzugsrat des Berliner Arbeiter- und Soldatenrats (s. oben) gewähltes Kollegium von fünf Mitgliedern der beiden sozialistischen Parteien als „Preußische Regierung" im Auftrage des Vollzugsrats die Geschäfte der obersten Staatsleitung in Preußen 1 7 und erließ in den nächstfolgenden Tagen eine Reihe eingreifender Anordnungen, von denen die über die Beschlagnahme des Vermögens des königlichen Hauses (13., 30. Nov., GS 189, 193) und über die Auflösung bezw. Beseitigung des Abgeordneten- und Herrenhauses (15. Nov., GS 191) zu erwähnen sind. 16
Vgl. einstweilen Waldecker, Zur augenblicklichen staatsrechtlichen Lage, JW 47 745ff., 48, 130 ff. 16 Verkündigt im RGBl 1803, besprochen von Anschütz, JW 47 751 ff. und Braun, das. 752 ff. " Preuß. G. S. 187.
1036
Nachtrag.
3. Eine Verordnung des Rates der Volksbeauftragten voml4. November (RGBl 1311) ermächtigte den Bundesrat, die ihm nach dem bisherigen Recht zustehenden V e r w a l t u n g s - (Gegensatz: Gesetzgebungs-) Befugnisse auch fernerhin auszuüben. I m Gegensatz zu dieser beschränkten Aufrechterhaltung der Stellung des Bundesrats wurde die Einberufung des Reichstags entgegen dem Verlangen des letzten Reichstagspräsidenten seitens der Reichsregierung (d. h. des Rates der Volksbeauftragten) verweigert mit der Begründung: „Infolge der politischen Umwälzung, die sowohl die Institution des Kaisertums als auch den Bundesrat in seiner Eigenschaft als gesetzgebende Körperschaft beseitigt hat, kann auch der 1912 gewählte Reichstag nicht mehr zusammentreten" 1 8 . 4. I m Gegensatz zu der Haltung der Reichsregierung, welche seit ihrem Antritt entschlossen an dem (aus der letzten Kundgebung der alten Regierung 1 9 übernommenen) Gedanken festhielt, so bald als möglich eine deutsche Nationalversammlung auf breitester demokratischer Grundlage wählen und die neue Verfassung des Reichs von ihr beschließen zu lassen, machte sich in den Arbeiter- und Soldatenräten, namentlich in dem Berliner A.und S.-Rat, der sich eigenmächtig die Stellung einer zentralen proletarischen Organisation für ganz Deutschland beigelegt hatte, eine Strömung geltend, welche darauf hinausging, den Gedanken der Nationalversammlung wenn nicht aufzugeben, so doch zurückzustellen und die oberste Entscheidungsgewalt den A.- und S.Räten bezw. einer von ihnen zu delegierenden Zentralinstanz zu übertragen ( „ R ä t e s y s t e m " ) , um auf diesem Wege die Diktatur des Proletariats institutionell zu sichern und das Bürgertum von der politischen Macht auszuschließen. I n diesem Sinne sprach sich der Berliner Vollzugsrat am 18. November dahin aus, daß eine Nationalversammlung nicht nötig sei, da die Räte allein das Recht der Entscheidung über die Zukunft Deutschlands hätten, und am folgenden Tage beschloß eine Vollversammlung des Berliner A.- und S.-Rats eine Resolution, in der es hieß: „Das Bestreben der bürgerlichen Kreise, so schnell als möglich eine Nationalversammlung einzuberufen, soll die Arbeiter um die Früchte der Revolution bringen. Der Vollzugsrat der A.- und S.-Räte Groß-Berlins verlangt daher die Einberufung einer Delegiertenversammlung der A.- und S.-Räte Deutschlands, Diese hat auf Grund eines von ihr aufzustellenden Wahlsystems einen Zentralrat der deutschen A.- und S.-Räte zu wählen, der eine neue, den Grundsätzen der proletarischen Demokratie entsprechende Verfassung zu entwerfen h a t 2 0 . " I n seiner Begründung dieser Resolution hatte der Vorsitzende der Versammlung u. a. das bezeichnende Schlagwort geprägt: „Wir wollen keine demokratische Republik, sondern eine proletarische." 18 19
Tageszeitungen vom 16. November. 80 Vgl. oben S. 1034. Der Tagespresse entnommen.
I I I . Die Anfänge des neuen Staatsrechts.
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5. Diese Beschlüsse „führten zwar nicht den beabsichtigten Rücktritt der Reichsregierung herbei, wohl aber deren Kapitulation" 2 1 . I n einer mit dem Berliner Vollzugsrat abgeschlossenen, am 22. November amtlich und durch die Tagespresse veröffentlichten „Vereinbarung" erklärte die Regierung sich mit folgenden Grundsätzen einverstanden: 1. „Die politische Gewalt liegt in den Händen der A.- und S.Räte der deutschen sozialistischen Republik. Ihre Aufgabe ist es, die Errungenschaften der Revolution zu behaupten und auszubauen sowie die Gegenrevolution niederzuhalten. 2. Bis eine Delegiertenversammlung der A.- und S.-Räte einen Vollzugsrat der deutschen Republik gewählt hat, übt der Berliner Vollzugsrat die Funktionen der A.- und S.-Räte der deutschen Republik im Einverständnis mit den A.- und S.-Räten von GroßBerlin aus. 3. Die Bestellung des Rates der Volksbeauftragten durch den A.- und S.-Rat von Groß Berlin bedeutet die Übertragung der Exekutive der Republik. 4. Die Berufung und Abberufung der Mitglieder des entscheidenden Kabinetts der Republik und — bis zur endgültigen Regelung der staatlichen Verhältnisse — auch Preußens erfolgt durch den zentralen Vollzugsrat, dem auch das Recht der Kontrolle zusteht. 5. Vor der Berufung der Fachminister durch das Kabinett ist der Vollzugsrat zu hören." Die Nationalversammlung ist in dieser Vereinbarung nirgends erwähnt. 6. Die Eigenmächtigkeit, mit der der Berliner A.- und S.-Rat sich, wenn auch nur provisorisch, zur obersten revolutionären Instanz für ganz Deutschland aufgeworfen hatte, rief in den preußischen Provinzen und mehr noch in den andern Einzelstaaten eine scharfe Opposition hervor, die sich in Süddeutschland, namentlich in Bayern, bis zu offen separatistischen Kundgebungen, j a bis zu Verhandlungen mit den feindlichen Mächten steigerte. U m dieser auf den Kampfruf „Los von Berlin" gestimmten Bewegung zu begegnen, veranlaßte die Reichsregierung eine Konferenz mit den Vertretern der einzelstaatlichen Regierungen. Diese Konferenz fand am 25. November in Berlin statt. I n Sachen der Frage, ob Nationalversammlung oder Rätesystem, einigte man sich dahin, daß an dem Plane, eine Nationalversammlung einzuberufen, festzuhalten sei, bis zum Zusammentritt der NatVers aber die A.- und S.-Räte, ihrem Machtanspruch gemäß, als Träger der Staatsgewalt anzuerkennen seien. 7. Der vorübergehend zurückgedrängte Nationalversammlungsgedanke begann wieder in den Vordergrund zu treten. A m 30. No21
Waldecker a. a. O. 750.
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Nachtrag.
vember beschloß und verkündigte der Rat der Volksbeauftragten (unter Gegenzeichnung des neuernannten Staatssekretärs des Innern D r . Preuß) eine Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung ( „ R e i c h s w a h l g e s e t z " ) , welcher eine vom Staatssekretär des Innern erlassenen Ausführungsverordnung („Wahlordnung") beigegeben w a r 2 2 . Danach werden die Mitglieder der Nationalversammlung in allgemeinen, unmittelbaren und geheimen Wahlen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt; wahlberechtigt sind alle deutschen Männer (einschließlich aller Personen des Soldatenstandes) und Frauen, die am Wahltag das 20. Lebensjahr vollendet haben, wählbar alle Wahlberechtigten, die am Wahltag seit mindestens einem Jahre Deutsche sind. 8. Die in der Vereinbarung vom 22. November (oben 1037) Nr. 2 vorgesehene allgemeine deutsche Delegiertenversammlung trat als „ R e i c h s k o n f e r e n z d e r A.- u n d S . - R ä t e " am 16. Dezember in Berlin zusammen und tagte bis zum 19. Dezember. Sie stand — im Gegensatz zu dem Standpunkt der lokalen Berliner Organisationen — durchaus unter dem Zeichen des Nationalversammlungsgedankens. Sie beschloß am 19. Dezember: 1. „Dem Rat der Volksbeauftragten wird bisizum Zusammentritt der Nationalversammlung die vollziehende u n d g e s e t z g e b e n d e Gewalt übertragen; 2. es wird ein Ausschuß der Reichskonferenz als „Zentralrat der A.- und S.-Räte" eingesetzt, dem die Ernennung und Entlassung der Mitglieder der Reichs- und der preußischen Regierung sowie die Kontrolle beider Regierungen zusteht; 3. die Wahlen zur Nationalversammlung sollen am 19. Januar 1919 stattfinden." Diese Beschlüsse wurden mit 400 gegen 50 Stimmen gefaßt. Durch die Einsetzung des Zentralrates wurde dem Berliner Vollzugsrat die ihm lediglich gebührende Stellung einer lokalen Instanz angewiesen. 9. Dem Beschluß der Reichskonferenz der Räte entsprechend bestimmte die Reichsregierung den 19. Januar als Wahltag: V . v. 19. Dezember 1918 (RGBl 1441). Am 21. Dezember erging für Preußen eine V . über die Wahlen zur verfassunggebenden preußischen Landesversammlung (GS 201), deren Bestimmungen sich eng an das Reichswahlgesetz vom 30. November (s. oben) anschließen. Auch die in den andern Einzelstaaten erlassenen Verordnungen für die Wahlen zu den dortigen verfassunggebenden Landesversammlungen folgen ohne wesentliche Abweichungen dem Vorbild des Reichswahlgesetzes. 10. A m 19. Januar 1919 wurde die verfassunggebende deutsche Nationalversammlung gewählt. Ihre 421 Mandate, welche nach dem Reichs Wahlgesetz in 37 Wahlkreisen zu besetzen sind, verteilten sich auf die einzelnen politischen Parteien wie folgt: Deutschnationale Volkspartei (aus den ehemaligen konservativen Parteien M
RGBl 1345, 1353.
I I I . Die A n f n g e des neuen Staatsrechts.
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hervorgegangen): 34, christliche Volkspartei (Zentrum): 88, deutsche Volkspartei (Nationalliberale): 23, deutsche demokratische Partei (bürgerliche Linke): 77, Mehrheitssozialdemokraten: 164, unabhängige Sozialdemokraten: 24, Fraktionslose: 11. Das politisch Wesentliche an diesem Wahlergebnis war, daß der gemäßigte Sozialismus sehr stark, der radikale auffallend schwach vertreten war, und daß beide sozialistische Parteien zusammengenommen nicht über die Mehrheit in der Versammlung verfügten: 188 sozialistische Abgeordnete gegenüber 233 Abgeordneten der bürgerlichen Parteien. 11. Kurz vor den Wahlen zur NatVers wurde ein erster Entwurf der künftigen Reichsverfassung, ausgearbeitet im Reichsamt des Innern unter persönlichster Leitung des Staatssekretärs D r . Preuß, veröffentlicht. E r ist, wie dies durch die politische Lage vorgezeichnet war, selbstverständlich rein demokratisch, im übrigen aber, in scharfer Stellungnahme gegen gewisse, sich „föderalistisch" nennende, in Wahrheit partikularistische Strömungen, welche seit der Revolution überhandnahmen, ausgeprägt u n i t a r i s c h angelegt. D i e gesetzgeberische, namentlich aber auch die verwaltende Zuständigkeit des Reichs erstreckt sich nach ihm viel weiter als nach dem bisherigen Recht. Die den Einzelstaaten belassene Tätigkeit bezeichnet die dem Entwurf beigegebene Denkschrift selbst als „höchstpotenzierte Selbstverwaltung". Der Entwurf sieht — ohne in dieser Richtung von Reichswegen zwangsweise eingreifen zu wollen — eine Neuordnung des partikularen Staatenbestandes vor, insbesondere die Zusammenlegung der kleinsten Einzelstaaten zu leistungsfähigeren Gebilden und die Zerlegung des für ein wirkliches Aufgehen in Deutschland zu großen Preußens in mehrere Staaten mittlerer Größe. Die Reichsgewalt soll ausgeübt werden als gesetzgebende durch einen aus zwei Kammern, Staatenhaus und Volkshaus nach dem Vorbilde der Frankfurter Verfassung von 1849 2 8 , zusammengesetzten Reichstag, als vollziehende durch ein als „Reichspräsident" bezeichnetes, unmittelbar vom Volke auf 7 Jahre gewähltes Oberhaupt, welches die ihm übertragenen Befugnisse unter Mitwirkung verantwortlicher Minister nach den Grundsätzen der parlamentarischen Regierungsform auübt 2 4 . 12. Die Nationalversammlung wurde vom Rate der Volksbeauftragten nach Weimar berufen und trat dort am 6. Februar 1919 zusammen. Der von der Reichskonferenz der deutschen A.und S.-Räte eingesetzte Zentralrat (s. o. 1038) sah hiermit seine » Oben § 59 S. 175. 24 Literatur zu diesem Entwurf: Aufsätze von Friedberg, Anschütz, Apelt im Märzheft 1919 der DJZ; Thoma, Deutsche Verfassungsproblerne, Annalen f. soz. Politik u. Gesetzgebung G 409ff.; Binding, Die staatsrechtliche Verwandlung des Deutschen Reichs 35ff.*, Meinecke, Bemerkungen zum Entwurf der RVerf., Februarhefte der „Deutschen Politik"; Gmelin, Warum ist der Reichsverfassungsentwurf für uns Süddeutsche unannehmbar?; Hübner, Was verlangt Deutschlands Zukunft von der neuen Reichsverfassung?
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Nachtrag".
Mission als beendet an. E r erließ einen Aufruf an die NatVers, dessen einschlägige Sätze folgendermaßen lauten: „Der Reichsnationalversammlung liegt es ob, den Neuaufbau Deutschlands in politischer und wirtschaftlicher Beziehung vorzubereiten sowie eine territoriale Neugliederung des Gebietes vorzunehmen. Sie darf darin von keiner anderen Körperschaft, insbesondere nicht von den Landesnationalversammlungen beschränkt werden. In der Erwartung, daß die NatVers ihre v o l l e S o u v e r ä n e t ä t durchführt, legt der Zentralrat die ihm vom Reichskongreß der A.- und S.-Räte übertragene Gewalt in die Hände der deutschen Nationalversammlung und wünscht ihren Arbeiten jeglichen Erfolg zum Glück und Heil des gesamten deutschen Volkes und aller im neuen Deutschen Reiche vereinigten Volksstämme." 13. A m 10. Februar 1919 beschloß die NatVers. ein G e s e t z ü b e r d i e v o r l ä u f i g e R e i c h s g e w a l t , welches am gleichen Tage von ihrem Präsidenten verkündigt w u r d e 2 5 . Danach hat die NatVers die Aufgabe, die künftige Reichsverfassung sowie auch sonstige dringende Reichsgesetze zu beschließen. Die Einbringung von Vorlagen der Reichsregierung an die NatVers. bedarf der Zustimmung eines Staatenausschusses, welcher, ähnlich dem bisherigen Bundesrate, aus Vertretern der Regierungen der Einzelstaaten zusammengesetzt ist. Über die Reichsverfassung beschließt die NatVers allein, andere Reichsgesetze bedürfen der Zustimmung des Staatenausschusses. Ist die Zustimmung nicht zu erzielen, so kann der Reichspräsident die Entscheidung durch Volksabstimmung herbeiführen. Dieser — einstweilige — Reichspräsident führt die Geschäfte des Reichs durch ein von ihm berufenes, der NatVers. verantwortliches Ministerium. E r wird von der NatVers gewählt; sein Amt dauert bis zum Amtsantritt des neuen Reichspräsidenten, der auf Grund der künftigen Reichsverfassung gewählt wird. 14. Auf Grund des Gesetzes über die vorläufige Reichsgewalt wurde der bisherige Volksbeauftragte Ebert zum Reichspräsidenten gewählt. E r bildete ein Reichsministerium, zusammengesetzt aus Mitgliedern der drei Mehrheitsparteien (Mehrheitssozialisten, Demokraten, Zentrum). Die einzelnen Fachministerien erscheinen mit wenigen utenden Ausnahmen als unveränderte Fortsetzungen der bisherigen obersten Reichsämter (oben § 136). 15. Unter dem 21. Februar 1918 legte die Reichsregierung der NatVers den E n t w u r f e i n e r V e r f a s s u n g des D e u t s c h e n R e i c h s vor, mit dem Bemerken, daß der Staatenausschuß diesem Entwürfe zugestimmt, jedoch zu einigen Artikeln abweichende Beschlüsse gefaßt h a b e 2 6 . Eine Denkschrift oder sonstige schrifts® RGBl 169. Die Einbringung des Entwurfs bei der NatVers. war trotz dieser Abweichungen gemäß § 2 Abs. 4 des Gesetzes über die vorläufige Reichsgewalt zulässig. Es heißt dort: „Kommt eine Übereinstimmung zwischen 26
I I I . Die Anfänge des neuen Staatsrechts.
1041
liehe Begründung ist diesem Entwurf nicht beigegeben, stattdessen wurde er von dem inzwischen zum Reichsminister des Innern ernannten vormaligen Staatssekretär D r . Preuß in der Sitzung der NatVers. vom 24. Februar 1919 in eingehenden Ausführungen mündlich begründet. Dieser Regierungsentwurf — die Geschichte der künftigen Reichsverfassung wird ihn, von dem Preußschen Entwurf (oben Nr. 11) als den Entwurf I ausgehend, einst als Entwurf I I der Verfassung zu bezeichnen haben — unterscheidet sich von seinem Vorgänger, auf dem er im allgemeinen aufgebaut ist, in nicht wenigen, zum Teil grundsätzlich bedeutsamen Punkten. E r ist vor allem, unter dem Einflüsse einer Gegnerschaft, die sich bei den Regierungen mancher Einzelstaaten, voran der süddeutschen, in der Literatur und in der Presse wider den Preußschen Entwurf erhoben hatte, weit föderalistischer, um nicht zu sagen partikularistischer, gestaltet als dieser Entwurf. E r gibt, was die Zuständigkeitsverteilung anlangt, dem Reiche weniger als der erste Entwurf. So sind nach dem letzteren das Militärwesen, das Zollwesen, das Eisenbahnwesen in bezug nicht nur auf die Gesetzgebung, sondern auch auf die Verwaltung Reichssache: alle Militärverwaltung ist Reichsverwaltung, die Zölle werden von Reichsbehörden erhoben, die Staatseisenbahnen von den Einzelstaaten auf das Reich übertragen. Dagegen geht der Entwurf I I , was das Militärwesen anlangt, im wesentlichen wieder auf die bisherige Kontingentsverfassung z u r ü c k 2 7 , er beläßt es im Zollwesen in einem großen Teile des Reichs (Bayern, Sachsen, Württemberg, Baden, Hessen, Bremen, Hamburg) bei dem System der Erhebung der Zölle durch die Landesbehörden 28 und bezeichnet es lediglich als „Aufgabe" des Reichs, die Eisenbahnen (im Wege des Vertrags gegen Entschädigung) in seine Verwaltung zu übernehmen 2 9 . Die Reservatrechte Bayerns, der andern süddeutschen Staaten, Bremen und Hamburgs (oben 701, 702), welche der erste Entwurf stillschweigend beseitigt hatte, stellt der zweite in vollem Umfange wieder her. Die Aufsichtsgewalt des Reichs gegenüber den Einzelstaaten ist abgeschwächt, dagegen die Beteiligung der Einzelstaaten (Entwurf H nennt sie „Gliedstaaten") bei der Bildung des Reichswillens erheblich verstärkt. Letzteres ist insbesondere dadurch geschehen, daß an Stelle des im Entwurf I vorgesehenen Staatenhauses ein den Willen und die Interessen der einzelnen Gliedstaaten stärker und sicherer zur Geltung bringendes föderalistisches Organ, ein R e i c h s r a t , gesetzt wurde, der, in seiner Formation den bisherigen Bundesrat bzw. Staatenausschuß (s. oben)
der Reichsregierung und dem Staatenausschusse nicht zustande, so darf jeder Teil seinen Entwurf der NatVers. zur Beschlußfassung vorlegen. Entw. I I Art. 5 Abs. 4. Vgl. oben § 195 a, 196. 2 8 Art. 115. Art. 90.
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Nachtrag.
nachgebildet, aus Vertretern der einzelnen Gliedstaatsregierungen besteht und nicht nur bei der Gesetzgebung, sondern auch bei der Verwaltung des Reiches beteiligt i s t 8 0 . D e r Entwurf wurde am 4. März 1919 einem Ausschuß von 28 Mitgliedern tiberwiesen, der zu der Zeit, da diese Zeilen geschrieben werden'(15. April), seine Arbeit noch nicht vollendet hat. 80 Der Entw. I I adoptiert also nicht das rStaatenhaussystema, sondern das „Bundesratssystem". Über den Unterschied der beiden Systeme vgl. Anschütz, DJZ 1919 118, 119. 202. 203 und Deutsche Politik, 1919 Heft 4 S. 111 ff.; Max Weber, Deutschlands künftige Staatsform (1919) 19 ff.; Thoma, Annalen für soziale Politik u. Gesetzgebung 6 423 ff. — Zum Entwurf EL im allgemeinen: Gmelin, Entspricht der zweite Reichs Verfassungsentwurf unseren Entartungen? (1919); E. Kaufmann, Grundfragen der künftigen RVerf (1919), Derselbe im „Tag« (Ausgabe B) 1919 Nr. 43, 49, 50.
Kleine Nachträge und Berichtigungen. Zu § 2 Anm. 2: Von Meineckes Werk erschien die 3. Aufl. 1915. Kjellen, Der Staat als Lebensform (1917); J. Seipel, Nation und Staat (1916). Zu 8 12 Anm. d (Schwarzburg): Francke, ArchÖffR 85 462 ff. Zu § 8 1 Anm. a: Tezner, Das ständisch-monarchische Staatsrecht, Grünhuts Ztschr. 41: v. Below, Der deutsche Staat des Mittelalters (1914). Zu S. 96 (Widerstandsrecht): Kern,Gottesgnadentum und Widerstandskraft im früheren Mittelalter (1914); Wolzendorff, Staatsrecht und Naturrecht in der Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes gegen rechtswidrige Ausübung der Staatsgewalt (1916). Zu § 58 Anm. 1 noch: Brandenburg, Die Reichsgründung, 2 Bde. (1916). Zu § 59 Anm. 10: Bergsträsser, Das schwarzrotgoldene Parlament 1848/49 und sein Verfassungswerk (1919). Zu § 59 S. 175, 176 (preußische Unionspolitik): F. Meinecke, Radowitz und die deutsche Revolution (1918). Zu § 74, 74 a: Giese, Verfugungen über deutsches Staatsgebiet, ArchÖffR . 37 165 ff. Zu § 75 S. 245 ff.: Kommentare zum Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913 sind verfaßt u. a. von v. Keller und Trautmann (1914), Magnus (1917). Zu S 80 Anm. 11: Triepel, Reichsaufsicht 173ff., 261 ff. Zu § 80 Anm. 32: Der Satz „In Bayern hat es keine Geltung erlangt" ist zu ersetzen durch: In Bayern ist es eingeführt durch RG vom 30. Juni 1913. Vgl. S. 265 Anm. 2 a. E., S. 429 Anm. 18. Zu § 84 Anm. a; R. Bezzenberger, Über die Verleihung und Entziehung von Orden und Ehrentiteln durch den König von Preußen (Breslauer Diss., 1914); Braun im ArchÖffR 84 287 ff. Zu § 89 S. 302. Zugehörigkeit zu einem fremden, insbes. feindlichen Staat ist kein Sukzessionshindernis: Schoen, DJZ 23 (1918) 209ff. Zu 6 97 Anm. 6, Zeile 5 v. u. Das Zitat muß lauten: WStVR 2 728ff. Zu | 99 S. 346, 347. Der Satz „Aufgehoben sind" bis „eintreten lassen" beruht auf einem Irrtum und entspricht nicht derAnsicht des Bearbeiters. StrGB § 34 sagt nicht, daß nur in dem von ihm bezeichneten Falle (Verlust der bürgerl. Ehrenrechte) die Unfähigkeit, zu wählen und gewählt zu werden als Straffolge eintreten soll, sondern nur, daß sie in diesem Falle eintreten soll. Die Anm. 6, 7 angegebenen Landesgesetze sind demnach nicht aufgehoben, sondern unberührt geblieben. S. 347 Z. 4 v. o. ist folgerichtig „dagegen" zu ersetzen durch „Ebenso". Zu § 99 S. 349. Die Fassung des Satzes „Die letztere Bestimmung" bis „angehört haben" beruht auf einem Versehen. Der Satz muß lauten: „Die letztere Bestimmung findet nicht nur Anwendung auf solche Personen, welche vor Erwerb der betreffenden Staatsangehörigkeif einem außerdeutschen, sondern auch auf solche, welche bisher einem deutschen Staat angehört haben." Zu § 101 S. 354 (geheime Wahl): J. Rosenthal, Über den reichsrechtlichen Schutz des Wahlgeheimnisses (Abhandlung von Zorn und Stier-Somlo, X I V 2, 1918). Zu § 102 S. 358 (Ausschluß zur Strafe): Loening, Die Ausschließung aus der Volksvertretung, VerwArch 28 367 ff. Zu §113 S. 437: F. X. Pfeiffer, Das kommunale Wahlrecht in den deutschen Bundesstaaten (1918). Zu § 120 S. 474 Z. 9 v. o. ist statt „eine Gesamtheit" zu setzen: „die Gesamtheit". Zu § 122 (allgemeine Charakteristik der Reichsverfassung): E. Kaufmann, Bismarcks Erbe in der RVerf. (1917). Q. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
III.
7. Aufl.
67
1044
Kleine Nachträge und Berichtigungen.
Zu § 129 S. 504: W. Kalischek, Der Ausschluß des Reichstags Wahlrechts (Frankfurter Diss. 1918). Zu § 129 S. 507, (Wahlgeheimnis): vgl. die oben zu § 101 S. 354 angeführte Schrift von Rosenthal. Zu § 135 S. 526 (Reichskanzler und preußische Regierung): Anschütz, Die reußische Wahlreform (1917) 8ft, 13ff.; E. Kaufmann a. a. 0. 85ff.; 'riepel, Reichsaufsicht 714. Zu § 136 S. 535. Vom Reichsamt des Innern wurde 1917 das R e i c h s w i r t schaftsamt und von diesem 1918 das Reichs arbeit samt abgetrennt: Kaiserl. Erlasse v. 21. Okt. 1917 (RGBl 963) und v. 4. Okt. 1918 (RGBl 1231). Zu § 148 S. 603. Die Arreststrafe ist in Preußen durch G. vom 25. März 1917 (G. S. 49) aufgehoben worden. Zu § 155 S. 639. In der letzten Zeile des Textes muß es statt „formellen" heißen: „materiellen". Zu § 158 Anm. 11: W. Hildesheimer, Über die Revision moderner Staatsverfassungen (Zorn u. Stier-Somlos Abhandlungen X I V 1, 1918). Zu § 164 S. 694 ff. („vertragsmäßige Grundlagen"): Wenzel, Zur Lehre der vertragsmäßigen Elemente der ReichsVerfassung (Zorn u. Stier-Somlos Abhandlungen, V 1, 1909); E. Kaufmann a. a. O. 30 ff. Zu § 164 S. 695 ff.: E. Jacobi, Der Rechtsbestand der deutschen Bundesstaaten (1917); Oeschey, Wandlungen der Bundesstaaten und Art. 6 der RVerf., ArchÖffR 88 185. Zu § 212 Anm. e: Durch das RGes. vom 26. Juli 1918 (RGBl 959) wurde eine oberste Spruch- und Beschlußbehörde für Reichsabgabensachen unter dem Namen „Reichsfinanzhof" errichtet. Der Sitz dieser Behörde ist in München. Der Reichsfinanzhof ist oberste Spruchbehörde zunächst für folgende Reichsabgaben: Wehrbeitrag, Besitzsteuer, Kriegsabgaben, Erbschaftssteuer, Umsatzsteuer, Reichsstempel abgaben, Wechselstempel, Abgaben von Personen- und Güterverkehr, Kohlensteuer. Der Reichsfinanzhof kann mittels Rechtsbeschwerde nach Erschöpfung des landesrechtlich geordneten Rechtsmittelzuges angerufen werden. Alsdann entscheidet der Reichsfinanzhof im „Spruchverfahren". Im „Beschlußverfahren" („als Beschlußibehörde") entscheidet der Reichsfinanzhof über Beschwerden nach § 6 des Doppelsteuergesetzes vom 22. März 1909 und über die Verteilung des Besteuerungsrechts zur Beseitigung einer durch das Doppelsteuergesetz nicht verwehrten Doppelbesteuerung bei der Heranziehung zu direkten Steuern in verschiedenen Bundesstaaten oder in Gemeinden verschiedener Bundesstaaten. Die Reichsregierung und die obersten Landesfinanzbehörden können Fragen der Auslegung von Vorschriften der Reichsabgabengesetze dem Heichsfinanzhof zur Begutachtung vorlegen.
P
Sachverzeichnis. D i e groSen Z a h l e n bezeichnen die Seiten, die k l e i n e n die N o t e n .
A b d a n k u n g des Kaisers im alten deutschen fieioh 77; des Monarchen im heutigen Staatsrecht 305. A b f a h r t s g e l d 959. A b g e o r d n e t e , rechtliche Stellung derselben. Landtagsabgeordnete 369ff.; Reichstagsabgeordnete 516 ff.; Abgeordnete zum elsaß-lothringischen Landtag 554. A b g e o r n e t e n , Kammer der, in Bayern 336 344 A b g e1o r d n e t e n h a u s , preußisches 336 ; Wahlen zu demselben 352 A b l ö s u n g e n der Reallasten 826; der Servituten 827. A b l ö s u n g s s t r e i t i g k e i t e n , Gerichte zur Entscheidung derselben 466. 732. A b o l i t i o n 747. A b s e t z u n g des Monarchen 305; der Beamten 626ff.; der Kirchendiener 1113. A b s t i m m u n g bei Landtagswahlen 354; bei Reichstagswahlen 507; bei Wahl en zum elsaß-lothringischen Landtag553; bei Gemeindewahlen 437; im Reichstage des ehemaligen deutschen Reiches 82; in den Landtagen 368; im Bundesrat 490; im jetzigen deutschen Reichstage 515. A b t e i l u n g e n der Landtage 364. 366; des Reichstages 512, 513; bei der Artillerie 860. A b t r e t u n g von Gebiet s. Gebietsabtretung. A b z u g s g e l d 959. A k z i s e 871, 872. A d e l 982, 991, 992. A d m i n i s t r a t i v s a c h e n s. Verwaltungssachen. A d m i r a l i t ä t , kaiserliche 533. A d m i r alstab 863. A d o p t i o n , Bedeutung für die Thronfolge 294. Adresse der Landtage 332, 364; des Reichstages 502. A g n a t e n , Zustimmung bei Änderungen der Thronfolge 283 ff., 288; bei Zulassung unebenbürtiger Des-
zendenz 300; Entscheidungen über Regentschaft 312; Führung der Regentschaft 312, 318. A k a d e m i e n der Wissenschaften und Künste 825. A k t i e n g e s e l l s c h a f t e n 995; Besteuerimg derselben s. Erwerbsgesellsohaften. A k t i v e F o r m a t i o n e n der Flotte 861 ff. A l l g e m e i n e s R e c h t 235. A l l g e m e i n e s S t a a t s r e c h t 60. A l l i a n c e n 41. A l l m e n d g u t 419. A l t e r s v e r s i c h e r u n g 834, 835. A l t k a t h o l i k e n 1003. A m e n d i e r ü n g der Gesetze im Landtag 661; im Reichstag 685; im elsaß-lothringischen Landesausschuß 713. Amnestie 747. A m t , Begriff 381; Amter als Verwaltungseinteilung in Westfalen 451; in Oldenburg 461; in Lippe und Schaumburg-Lippe 462; Amter mit Gehalt können nur auf Grund etatmäßiger BBewilligung errichtet werden 670 , 863, 893. A m t m ä n n e r , landesherrliche in älterer Zeit 393, 395; in Westfalen 451. Amtsausschuß in den östlichen preußischen Provinzen und Schleswig-Holstein 450; in Hohenzollern 456. A m t s b e z i r k , Begriff 382; als Verwaltungseinteilung in den östlichen preußischen Provinzen und Schleswig-Holstein 450. A m t s d e l i k t 601. A m t s g e h e i m n i s s. Dienstgeheimnis. A m t s g e m e i n d e r a t in Lippe 462. A m t s g e r i c h t 465. A m t s h a u p t m a n n in Sachsen 457; in Oldenburg 461; in Lippe und Schaumburg-Lippe 462. Amtskammer 394, 398. A m t s k ö r p e r s c h a f t in Württemberg 458. 67*
1046
Sacherzeichnis.
A m t s r a t in Oldenburg 461. A m t s v e r b r e c h e n s. Amtsdelikt. A m t s Versammlung in Westfalen 451; in Hohenzollern 456; in Württemberg 458; in Schaumburg-Lippe 462. A m t s v o r s t e h er in den östlichen Provinzen Preußens und Schleswig-Holstein 450; in Sachsen-Altenburg 460? in Anhalt 462. A n f a l l , Verzicht auf den ledigen Anfall 293. A n g e f ä l l e des Lehnsherrn 310. A n g e h ö r i e k e i t 242ff., 822; zu den Kommunalverbänden 384; zu einem Kommunalverbande höherer Ordnung 463; 8. außerdem Gemeindeangehörigkeit , Reichsangehörigkeit, Staatsangehörigkeit. A n h a l t , Mitglied des Rheinbundes * 107; des deutschen Bundes 119; des Deutschen Reiches 224; Verfassungsentwicklung 164; Verwaltungsorganisation 461. A n l e i h e n 896, 923, 926. A n n a h m e an Kindesstatt kein Erwerbsgrund der Staatsangehörigkeit 247; der Wahl zum Landtage 356; der Wahl zum Reichstage 509. A n o r d n u n g e n , gemeinnützige im deutschen Bunde 128. Anschläge 92. A n s t e l l u n g der Beamten 575ff.; 582 ff.; der Post- und Telegraphenbeamten 833; der Offiziere 842 ff.; Anstellung als Erwerbsgrund der Staatsangehörigkeit 251. A n t r ä g e im Bundesrat 489. A n w a r t s c h a f t e n für Ämter 584. A n z e i g e von Versammlungen 996; der Anstellung von Geistlichen 1012. A p a n a g e n 327ff. A p o t h e k e n 824. A p p e l comme d'abus 1010. Aj?proj>riationsklauseln inEngA r b e i t e r k o a l i t i o n e n 994. A r b e i t e r v e r s i c h e r u n g 265. A r e m b e r g , Herzog von, Mitglied des Rheinbundes 106 ¡„wird mediatisiert 108 und bleibt es bei Gründung des deutschen Bundes 117; jetziger Rechtszustand 987®. A r i s t o k r a t i e 33. A r m e e k o r p s 859, 860. A r m e e i n s p e k t i o n 860. A r m e n p f l e g e 421, 822. A r m e n u n1t e r s t ü t z u n g 822, 949, 951, 952 ; Einfluß auf das Wahl-
recht zum Landtag 347 u. Reichstag 504. A r m e n v e r b ä n d e 822; Streitigkeiten derselben 265 s. auch Bundesamt für Heimatwesen. A r r e s t bei Beamten 603. Arrondissements in Frankreich 390; in Elsaß-Lothringen 542, 554. A r t i l l e r i e 860. A r z t 824. A u f e n t h a l t im Staatsgebiet 948 ff. Auf e n t h a l t s b e s c h r ä n k u n g e n 961 ff. A u f l a u f 823. Auflösung der Landtage 357, 361; des Reichstages 509; des elsaß-lothringischen Landtages 553 ; der Gemeindevertretungen 440; der Vertretungen der Kommunalverbände höherer Ordnung 463 ; der Bezirkstage, Kreistage und Gemeinderäte in Elsaß-Lothringen 557. Aufnahme 249,823 ; in den Gemeindeverband 423ff.; neuer Gebietsteile in das Reich 241. 242. 695. 696. Aufnahmegebühr bei Gemeinden 426, 431. A u f s i c h t des Reiches über die Einzelstaaten 260, 265, 931, 938 ff., 941 ; des Staates über die Kommunalverbände höherer Ordnung 384,463; des Staates über die Gemeinden 384, 438; des Staates über die Kirche 998, 1005 ff.; über die Gerichte 746 ; in der Verwaltung 757. A u f w a n d s e n t s s c h ä d i g u n g der Reichstagsmitglieder 521. A u f z ü g e , öffentliche 996, 1015. A u g s b u r g bleibt nach dem Reichsdeputationshauptschluß Freie Stadt 100; wird später an Bayern abgetreten 108 A u s f e r t i g u n g der Gesetze 665 687. A u s f ü h r u n g s v e r o r d n u n g e n in den Einzelstaaten 672; im Reichè 707; in Elsaß-Lothringen 714. A u s f u h r v e r b o t e 831. Ausgaben im allgemeinen 870; der Einzelstaaten 877 ; des Reiches 907, 908. Ausgabenbewilligungsrecht der Landtage 891, 892 ; von Bundesrat und Reichstag 919 ff. Aushebung 835, 836. Ausländer, Rechtsstellung im allgemeinen 242, 947; Anstellung im Staatsdienst 589; Ausweisung und Auslieferung 949, 950; kein Anspruch derselben auf Völkerrecht-
Sacherzeichnis. lichen Schutz 952; Anspruch auf Rechtsschutz 953- Schutz gegen Verhaftung 957; Niederlassung 962; Gewerbebetrieb 962; Eheschließung 963; Recht der Petition und Beschwerde 973; Pflicht zum Gehorsam gegen Gesetze und Behörden 974; Heranziehung zum Militärdienst 976; Steuerpflicht 979. A u s m ä r k e r 426, 430. A u s n a h m e g e r i c h t e 734. Ausschluß von Landtagsmitgliedern 358. Ausschüsse des Bundesrates 492 ff.; der Landtage 362; städtische 432. Aussteuer der Prinzessinnen 328. A u s t r ä g e , Austrägalgerichte im ehemaligen deutschen Reiche 90; im deutschen Bunde 137 ff.; für Streitigkeiten der jetzigen Bundesstaaten 933; für die Standesherren 733 990. Auswanderung 254ff., 258 , 959; Kommissare für Auswanderungswesen 535. Auswärtige Angelegenheiten 262ff., 751, 809 ff.; Bundesratsausschuß für dieselben 493, 817. A u s w ä r t i g e s Amt des Deutschen Reiches 533, 535. Ausweisungen 822, 823, 948ff. A u t h e n t i s c h e Interpretation 641. A u t o n o m i e , Begriff und Wesen 235, 641; der Gemeinden 422, 431 ff., 439; der standesherrlichen Familien 986,989; der reichsritterschaf tlichen Familien 992. B a d e n , Kurwürde 100; Mitglied des Rheinbundes 106; des deutschen Bundes 119; Vertrag mit dem norddeutschen Bunde über militärische Freizügigkeit 204; Eintritt in den norddeutschen Bund 206; Mitglied des Deutschen Reiches 224; Verfassungsentwicklung 159; Verwaltungsorganisation 458; Bier- und Branntweinbesteuerung 267, 912, 916 ff.; Militärgesetzgebung 867. B a k e n 261. B a n k e n 831 ff. B a n k n o t e n 831, 832. B a n n r e c h t e 830. B a t a i l l o n e 860. B a t t e r i e n 860. B a u e r m e i s t e r , Bauerrichter 412. B a u e r n s t a n d 982. B a u p o l i z e i 824. B a y e r n , Kurwürde 79; Mitglied des Rheinbundes 106; des deutschen
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Bundes 119; Eintritt in den norddeutschen Bund 206; Mitglied des Deutschen Reiches224; Verfasaungßentwicklung 109,156 ; Verwaltungsorganisation 456,457; stellvertretender Vorsitz im Bundesrat 489 ; Vertretung im Bundesratsausschuß für Landheer 492 ; Vorsitz im Bundesratsausschuß für auswärtige Angelegenheiten 493; Vertretung der Ueichsgesandten 817; Sonderrechte 266 ff.; Gesetze über Unterstützungs-. Wohnsitz und Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Eheschließung 8haben daselbst keine Geltung822 ,963; selbständige Postund Telegraphenverwaltung 833 ; Besitz eigener Postwertzeichen 909; Selbständigkeit des Militärwesens 855; Militärgesetzgebung 867; Militärstrafgerichtsbarkeit 868 10 ; Bierund Branntweinsteuer 267, 916. B e a m t e , Begriff 384,573ff.; Rechtsverhältnisse derselben 563ff.; Wahl derselben zum Landtage 350 ; zum Reichstag 506; Kommunalbesteuerung 981. B e a u f s i c h t i g u n g 260 ff., 931, 938ff., 941. Beden 95. B e e n d i g u n g der Regierung 305 ff.; der Eigenschaft als Landtagsmitlied 357ff.; als Reichstagsmitglied 10 ff. ; des Beamtenverhältnisses 620 ff. • Befehle der Verwaltung 758. B e f e h l s g e w a l t 843, 847. B e g i n n der Eigenschaft als Landtagsmitglied 356; als Reichstagsmitgliea 509; des Beamtenverhältnisses 589. B e g n a d i g u n g 747ff.; bei Ministeranklagen 805; bei militärgerichtlichen Erkenntnissen 853; Verantwortlichkeit dafür 278 2 4 . B e g r ä b n i s p o l i z e i 824. B e h ö r d e n 269, 381 ff., 891 ft, 522 ff. B e i g e o r d n e t e r 434, 554. B e k e n n t n i s f r e i h e i t 131, 968ff., 1000 ff. Belagerungszustand 264,823,843. B e l g i e n , verfassungsentwicklung 149. B e n t in ck, Grafen von, Stellung im deutschen Bunde8 118; hoher Adel der Familie 988 . B e r g , Großherzogtum 106, 117. B e r g b a u 829. B e r i c h t e , wahrheitsgetreue über
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Sacherzeichnis.
Landtagsverhandlungen 376, über Reichstagsverhandlungen 517. B e r l i n , Stadt, Stellung außerhalb des Provinzialverbandes 448 , 454. B e r u f u n g der Landtage 359,. des Bundesrates 486; des Reichstages 511; des elsaß-lothringischen Landtages 553.—Berufung als prozessualisches Rechtsmittel 728 ff., 971 ff. B e s a t z u n g s s t ä m m e bei der Flotte 863. B e s a t z u n g s t r u p p e n 860. Beschlagnahme 959. B e s c h l u ß f ä h i g k e i t der Landtage 368, 661; des Bundesrates 490; des Reichstages 515. Beschlußfassung in den Landtagen 368, 661; im Bundesrate 490; im Reichstage 515. Beschlußsachen 787. Beschwerden 728ff., 947, 971; wegen Mißbrauchs der geistlichen Gewalt 1010. Besitzsteuer 912. B e s o l d u n g der Beamten 577, 614ff. Besonderes Staatsrecht 60. Bestätigung der Gemeindebeamten 439; der Statuten der Kommunalverbände höherer Ordnung 463; der Beamten der Kommunalverbände höherer Ordnung 464; der Todesurteile 734, 735; der militärgerichtlichen Erkenntnisse 853. Betriebsfonds der Reichskasse 907. B e t t l e r 824. . Beurkundungen 759. B e v o l l m ä c h t i g t e zum Bundesrat s. Bundesratsmitglieder. Bewässerungen 828. B e z i r k e des Staates 35, 440ff.; der Städte 437; in Preußen s. Regierungsbezirke; in Baden 459; in Sachsen-Weimar 460; in Schwarzburg-Sondershausen 462; in Reuß j. L. 462; in Elsaß-Lothringen 542, 554; in den Schutzgebieten 562. B e z i r k s a m t in Bayern 456; in : Baden 459. Bezirksausschuß in Preußen 449, 455 1 673; in Sachsen-Weimar 460; in Schwarzburg-Sondershausen 462; in Reuß j. L. 462. B e z i r k s d i r e k t o r in Sachsen-Weimar 462. B e z i r k s p r ä s i d e n t 542, 554. B e z i r k s r ä t e in der neuen preußischen Yerwaltungsorganisation 446, 447,786; in Baden 459, 674; in ElsaßLothringen 543, 554, 791; in den Schutzgebieten 562.
B e z i r k s r e g i e r u n g e n in Preußen 443, 449. Bezirkstage in Elsaß-Lothringen 544. B e z i r k s v e r b ä n d e der Regierungsbezirke Kassel und Wiesbaden 454. B e z i r k s v e r s a m m l u n g e n in der Provinz Hessen - Nassau 454; in Sachsen 458. B e z i r k s v e r w a l t u n g s ge r i c h t e in Preußen 446, 447. B e z i r k s v o r s t e h e r in den Städten 435. B i b l i o t h e k e n 825. B i e r s t e u e r 267. 876, 912. Bischöfe 1012 ff. B i s m a r c k - A r c h i p e l 211. Böhmen 79, 80, 93. Börsen 831. B r a n d e n b u r g , Kurwürde 79, 80. Braunschweig, Herzogtum, Eroberung durch Frankreich 107; Wiederherstellung und Mitglied des deutschen Bundes 117,119; Mitglied des Deutschen Reiches 224; Verfassungsentwicklung 163; Verwaltungsorganisation 461; Bestim-6 mungen über Regentschaft 310 . 312 s®. Brauns c h w e i g - L ü n e b u r g, Kurwürde 80. B r a n n t w e i n s t e u e r 267, 916ff., 912; Gesetzgebung über dieselbe 683. B r e m e n bleibt nach dem Reichsdeputationshauptschluß Freie Stadt 100; wird in der Rheinbundszeit Frankreich einverleibt 108; später wieder hergestellt und Mitglied des deutschen Bundes 117. 119; Mitlied des Deutschen Reiches 224; r erfassungsentwicklung 167; Zollverhältnisse 267, 701, 702, 909 ff. B r i g a d e 860. B r o w n - I n s e l n 211. B ü c h e r k o m m i s s a r i a t , kaiserliches in Frankfurt 91. Budget s. Etat. B u l l e , goldene, 69. Bund 45ff.; deutscher 113ff., 189; norddeutscher 189 ff. Bundesakte 116. Bundesamt für Heimatwesen 265, 535, 536, 6049, 792. Bundesangehörige desdeutschen Bundes 131. B u n d e s b e a m t e des deutschen Bundes 131. Bundesbeschlüsse des deutschen Bundes 116.
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S achVerzeichnis.
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B u n d e s e x e k u t i o n 142. B ü r g e r m e i s t e r e i 451. B u n d e s f e l d h e r r des norddeut- Bürgermeisfereiv er Sammlung schen Bundes 196, 203, 496. 451. Bundesfestungen 141, 202, B ü r g e r r e c h t s g e l d 426, 43L Bundesheer des deutschen Bundes Bürgerschaftin den Freien Städten 140. 468, 469. Bundeskanzleikasse 142. B ü r g e r s t a n d 982. B u n d e s k a n z l e r a m t des norddeut- B ü r g e r v o r s t e h e r 432. schen Bundes 533. Bundeskommissionen 130. C h a r t e , französische 148. Chausseegeld, Bestimmungen der Bundesmatrikularkasse 142. Zollvereinsverträge 911. Bundespräsidium im norddeutschen Bunde 196, 495. C h i n e s e n i n Kiautschou 720. B u n d e s p r o t o k o l l e 130. C o n t e n t i e u x in Frankreich 781; in B u n d e s r a t 447, 482ff.; Mitwirkung Elsaß-Lothringen 555. bei Anstellung von Beamten 583] bei der Gesetzgebung 680ff.; bei D ä n e m a r k 118, 119, 181. Ausübung des Verordnungsrechtes D é c h a r g e s. Entlastung. 705 ff.; bei der Kriegserklärung D e z e n t r a l i s i e r t e r Staat 35. 818; bei völkerrechtlichen Verträgen D e f e k t e 609. 818 ff.; bei Aufstellung des Reichs- D e i c h e 828. haushaltsetats 919 ff.; Entscheidung D e m o k r a t i e 33. von Streitigkeiten . der Bundes- D e p a r t e m e n t s in Frankreich 890; staaten untereinander 933 ff; Entin Elsaß-Lothringen 554. scheidung über recursus ab abusu D e p u t a t i o n e n , städtische 435; in 8 in Elsaß-Lothringen 1011 . den Freien Städten 471. Bundesratsaueschüsse 492 ff.; für Deutsches S t a a t s r e c h t 60. Landheer und Festungen 492, 854, D i ä t e n der Landtagsmitglieder 380 ; 855; für auswärtige Angelegender Reichstagsmitglieder 521; der heiten 493, 818. Mitglieder des elsaß-lothringischen B u n d e s r a t s m i t g l i e d e r . RechtLandtages 546, 554 2 . liche Stellung i493, 494; "Wählbar- D i e n s t a u f w a n d der Beamten 614, keit zum Reichstage 505; Recht 617. im Reichstag gehört zu werden D i e n s t e i d 590. 514. D i e n s t e n t l a s s u n g der Beamten Bundesschiedsgericht 136, 137. 605, 627. B u n d e s s t a a t 45, 48ff., 224. D i e n s t e n t s e t z u n g der Beamten B u n d e s s t a a t e n im Deutschen 627. Reiche 224; Streitigkeiten derselben D i e n s t g e h e i m n i s 592. untereinander 933. D i e n s t v e r g e h e n der Beamten B u n d e s t a g 125 ff. 601 ff. B'undestagskommissionen 130. D i e n s t w o h n u n g 616. B u n d e s t a g s g e s a n d t e 131. D i k t a t u r in Elsaß-Lothringen 542. Bundesverfas s un g, norddeutsche D i r e k t e S t e u e r n 874ff. 193 ff. D i r e k t e W a h l 353, 507. B u n d e s v e r h ä l t n i s s e 45ff. D i s z i p 1 i n über Beamte 600 ff., 627 ff.;, B u n d e s v e r s a m m l u n g 125 ff. über zur Disposition gestellte BeBündnisse des norddeutschen Bunamte 633 ; über pensionierte Beamte des mit den süddeutschen Staaten 600; über die Senatsmitglieder in 203 ff. den Freien Städten 470 ; in den B ü n d n i s v e r t r ä g e vom 18. und 21. Landtagen 367, 376; im Reichstage August 1866 187. 513, 514. B u r e a u k r a t i e 884. D i s z i p l i n a r b e h ö r d e n 537, 628. B ü r g e r s. Gemeindebürger. D i s z i p l i n a r g e w a l t , kirchliche B ü r g e r a m t 470. 1014, 1021. B ü r g e r a u s s c h u ß 435, 470. D i s z i p l i n a r v e r f a h r e n 628. B ü r g e r l i c h e Rechte 948ff. D i s k o n t i n u i t ä t der SitzungsB ü r g e r m e17i s t e r 433, 434, 435, 436, perioden in den Landtagen 360 ; im 437, 438 , 554; in den Freien Reichstage 511. Städten468; in der Rheinprovinz 451. D i s p e n s a t i o n 763.
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Sachverzeichnis.
Dispositionsstellung der Be- E i n w a n d e r u n g 247ff. amten 681. E i n z u g s g e l d 426, 431. D i s s i d e n t e n 1021. Eisenbahnen 261, 264, 266, 832, D i s t r i k t e in Bayern 456; in den 873. ' Städten 435; in England 390. E l b z o l l g e r i c h t e 466, 732. D i s t r i k t s a u s s c h u ß in Bayern 457. E l s a ß - L o t h r i n g e n , Vereinigung mit Deutschland 209; Stellung im D i s t r i k t s r a t in Bayern 457. Reiche 224 , 227 , 246; Verfassung D i v i s i o n 860; bei der Flotte 863. D o m ä n e n 319 ff., s. auch Kammergut. und Verwaltung 540ff.; Landtag 552ff.; Einführung der ReichsD o m ä n e n kämm er 394, 398. gesefze 231 ; Geltung der französiD o m k a p i s e l 1013. schen Gesetze und der VerordD o p p e l b e s t e u e r u n g 929. nungen des Generalgouverneurs D r e i K7 l a s s e n w a h l in Preußen 155, 232 ; Vertretung im Bundesrate 353 . 484; Beamte 580; Gesetzgebung D r e i k ö n i g s b ü n d n i s 175. 712ff.; Verwaltungsgerichtsbarkeit Droste 393. 790; Militärgesetzgebung 867; Finanzen 926 ff. ; Biersteuer 2675, E b e n b ü r t i g k e i t in den fürstlichen 928; evangelische Kirche 1021. Familien 296 ff.; der Standesherren 986. E n g e r e r R a t im deutschen Bunde E h e s c h l i e ß u n g e n der Mitglieder 126, 127 ff. fürstlicher Familien 295; der Be- E n g l a n d , Verfassungsentwicklung amten 599; der Reichsangehörigen 143 ff. ; Verwaltungsorganisation 428, 821, 822, 963. 389 ff. E h r e n ä m t e r 384«. E n q u e t e r e c h t 333 u . E h r e n r e c h t e des Monarchen 273; E n r e g i s t r e m e n t in Elsaß-Lothringen 928. des Kaisers 501. E h r e n r e c h t e , bürgerliche, Entzie- E n t e i g n u n g 826, 968ff., 981. hung derselben hat Verlust des E n t l a s s u n g der Beamten s. DienstWahlrechtes zur Folge 346, 505. entlassung. E h r e n z e i c h e n , Annahme durch E n t l a s t u n g 502, 807, 899. Beamte 598. E n t s a g u n g des Monarchen s. AbE i c h u n g 264, 831. dankung. E i d des Monarchen 308; des Re- E n t s c h ä d i g u n g s. Haftung, Verenten 316; der LandtagsmitgHeder mogensbeschädigungen. 64; der Beamten 590; der Unter- E n t s c h e i d u n g e n 759. tanen 975. E n t s e t z u n g der Beamten s. DienstE i g e n t u m , Unverletzlichkeit desentsetzung. selben 968 ff. E n t w ä h r u n g 826. E i n b ü r g e r u n g 248, 249. E n t w ä s s e r u n g e n 828. E i n f u h r v e r b o t e 831. E r b ä m t e r 80. Eingeborenein den Schutzgebieten E r b s c h a f t , privatrechtliche des 560, 561, 720. Monarchen 308. E i n h e i t s s t a a t 4, 11 ff. Erbschaftssteuer 874. E i n k a m m e r s y s t e m 336ff. E r b s c h u l z e 412, 438. E i n k a u f s g e l d 426, 431. E r b t o c h t e r 293. E i n k o m m e n s t e u e r 874. Erbschaftssteuer 913. Einnahmen im allgemeinen 869; E r b v e r b r ü d e r u n g e n , Erbverder Einzelstaaten 873ff.; des Reiträge 303. ches 908 ff.; Elsaß-Lothringen 926 ff.; E r l a u b n i s 758. der Gemeinden und höheren Kom- E r n e n n u n g der Beamten und Offimunalverbände 929 ff. ziere s. Anstellung. E i n n a h m e b e w i l l i g u n g s r e ch t E r ö f f n u n g der Landtage 364; des der Landtage 893; von Bundesrat Reichstags 511. und Reichstag 919 ff. E r s a t z a n s p r u c h aus VermögensE i n q u a r t i e r u n g s l a s t . Befreiung beschädigungen durch rechtmäßige der Mitglieder regierender FürstenHandhabung der Staatsgewalt häuser S)84; der Standesherren 990. 969 ff. E i n r i c h t u n g e n , organische, des E r s a t z t r u p p e n 860. deutschen Bundes 125 ff. E r s t g e b u r t s r e c h t 280, 290.
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Sacherzeichnis. E r t r a g s s t e u e r n 844. Erwerosgesellschaften. Eintritt von Beamten in den Vorstand oder Verwaltungsrat 598; Steuerpflicht derselben 980. E r w o r b e n e Rechte 645. E r z ä m t e r 80. Eskadrons 860. E t a t der Einzelstaaten 878ff.; des . Reiches 919 ff. ; Elsaß-Lothringens 928; der Gemeinden 980. Etatsüberschreituneen900,924 21 . E v a n g e l i s c h e K i r c h e 1003, 1017. E v e n t u a l b e l e h n u n g 804. E x e k u t i o n im deutschen Bunde 142; im Reiche 265, 937; in Verwaltungssachen s. Verwaltungsexekution. E x e m t i o n von der Reichskompetenz 266, 267. E x p r o p r i a t i o n s. Enteignung. E x t e r r i t o r i a l i t ä t 237; der Bundesratsmitglieder 494.
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F l u r p o l i z e i 828. Flüsse 828, 830. F l u ß Zölle 261. Forensen 426, 430. F o r m a t i o n e n des Landheeres 859, 860; der Flotte 861 ff. F o r s t w i r t s c h a f t 828. F r a n k f u r t am M a i n bleibt nach dem Reichsdeputationshauptschluß Freie Stadt 100; Stellung zur Rheinbundszeit 108; im Deutschen Bunde 117, 119, 125, 135; Verfassungsentwicklung 166; Einverleibung in Preußen 189; Stellung zur Provinz Hessen-Nassau 454; Bestellung des ersten Bürgermeisters 438 1T . F r a n k r e i c h , Verfassungsentwicklung 146ff,; Verwaltungsorganisation 390. F r e i e H e r r e n 65. F r e i e Städte 166ff., 466ff. F r e i h ä f e n 267. F r e i w i l l i g e , einjährig 978. Freiwillige Gerichtsbarkeit F ahneneid 843, 850, 853, 863. 725 731. F a m i l i e n f i d e i k o m m i s s e der re- F r e i z ü g i g k e i t 132, 260, 428, 961; gierenden Fürstenhäuser 323; Recht militärische zwischen dem Nordzur Errichtung derselben 992. deutschen Bunde und Baden 204. E e l d a r t i l l e r i e 860. F r e m d e n p o l i z e i 823. F e l d p o l i z e i 828. F r i e d e , westfälischer 70; Pariser F e l d t r u p p e n 860. 114, 117; Wiener 182; zu NikolsF e s t n a h m e , vorläufige 958. burg, Prag und Berlin 187 ff.; zu F e s t s t e l l u n g von Tatsachen 758. Versailles und Frankfurt 206. F e s t u n g e n des Deutschen Bundes s. F r i e d e n s f o r m a t i o n des Heeres Bundesfestungen; jetzige Festungen 859, 860. 850, 855; in Bayern 856. F r i e d e n s l e i s t u n g e n für die beF e s t u n g s k o m m a n d a n t e n , Erwaffnete Macht 982. nennungsrecht 850, in WürttemF r i e d e n s p r ä s e n z s t ä r k e 857 ff. 10 berg 855, in Bayern 855 . F r i e d e n s r i c h t e r in England 389. F e u e r p o l i z e i 823. F r i e d e n s v e r t r ä g e des Deutschen F i n a n z e n , Begriff und allgemeine Reiches 262, 819, 820; Mitwirkung Grundsätze 751, 869ff.: des ehevon Bundesrat und Reichstag 820. maligen Deutschen Reiches 91, 92 ; F u n k t i o n e n des Staates 27 ff. des Deutschen Bundes 142; der F ü r s t e n 64. Einzelstaaten 873ff.; des Reiches F ü r s t e n h ä u s e r , regierende 988ff. 906 ff. ; von Elsaß-Lothringen 926ff. ;F ü r s t e n r a t 80, 100. der Kommunalverbände 929 ff. F ü r s t P r i m a s 106, 108, 110. F i n a n z g e s e t z e 336, 660. F ü r s t e n t a g zu Frankfurt 180. F i n an zp er iode s. Etatsperiode. F u ß a r t i l l e r i e 860. F i n a n z s c h u l d e n 877, 878, 913. F i n a n z v e r m ö g e n 873, 907. G a b e l l a e m i g r a t i o n i s 959. F i n a n z v e r w a l t u n g 873ff., 906ff. G a r a n t i e n 331, 502, 878, 896. G a r n i s o n e n 843, 853. F i s c h e r e i 828. F i s k u s , fiskalische Rechte 870, 906. G a s t e i n e r Konvention 182. F l a g g e 261, 833, 952. Gebäudesteuer 8 7 6 8 7 4 . F l ö ß e r e i 261. Gebiet 11, 236 ff. F l o t t e 836, 860ff. G e b i e t s a b t r e t u n g e n an außerF l o t t e n f l a g g en schiff 861. deutsche und deutsche Staaten 239, F l u r b e r e i n i g u n g 827. 242, 816. Flurgenossen 426, 430. G e b i e t s h o h e i t 237.
1052
Sachverzeichnis.
G e b i e t s k ö r p e r s c h a f t e n 3. G e r i c h t s b a r k e i t 725ff., 733ff. G e b i e t s t e i l e , Aufnahme neuer in G e r i c h t s h o f für kirchliche Angeden Reichsverband 241, 242. legenheiten 1011. G e b i e t s v e r ä n d e r u n g e n 239 ff., Gerichtsstand, privilegierter, der 816. fürstlichen Familien 984; der StanGebote der Verwaltung 758. desherren 986, 990. G e b ü h r e n 869, 874, 877, 908. Gesamt belehnung 290 4 , 304. Geburten, Beurkundung 821. Gesandte 263, 535, 810, 817, 952. Gegenzeich nung s. Kontrasignatur. Geschäftsordnung des BundesG e h a l t e s. Besoldung. tages 129ff.; der Landtage 863ff.; G e h e i m e Räte 394. des Bundesrats 486; des ReichsG e h e i m e Sitzungen der Landtage tages 612. 369; des Reichstages 515. Geschenke, Annahme seitens der Gehorsam der Beamten 593; des Beamten 598. Militärs 843 , 853; der Untertanen Geschwader 862. 973 ff. Geschworene 466, 572, 5988, 601, G e l d 831. 975. G e l d s t r a f e n gegen Beamte 602 ff. Gesellschaft 12. G e m a r k u n g 423. Gemeinde 3 ff., 35, 408 ff., 419 ff., Gesetz, Begriff 27ff., 637ff.; Bedeutung als Rechtsquelle 58, 230ff,; 554,555. G e m e i n d e ä m t e r, Pflicht zur Über- im engeren Sinne 641; im formellen Sinne 638 , 642 ff.; im matenahme 436, 557, 975, 976; Überriellen Sinne 639 ff.; provisorisches nahme durch Beamte 598. 646 ff. G e m e i n d e a n g e h ö r i g k e i t 423 ff., G e s e t z b l a t t , Gesetzsammlung666, 557, 821. 688, 713. Gemeindeausschuß 433, 557. G e m e i n d e b e a m t e 436, 570, 577. Gesetzgebung im allgemeinen 27 ff., 637 ff.; des deutschen Bundes G e m e i n d e b ü r g e r 430 ff. 132 ff;; der Einzelstaaten 331,648ff.; G e m e i n d e d i e n s t e 975, 976. in den Freien Städten 469, 679; G e m e i n d e f i n a n z e n 929ff. des Deutschen Reiches 260 ff., 502, Gern ein d e g e r i c h t e 466, 733. 680 ff.; in Elsaß-Lothringen 544, G e m e i n d e h a u s h a l t s e t a t 931. 548, 553, 712 ff.; in den SchutzG e m e i n d e m i t g l i e d e r 430ff., 557, gebieten 719 ff. 821. G e s e t z m ä ß i g k e i t der BeamtenG e m e i n d e n u t z e n 419. handlungen 593 ff. G e m e i n d e o r d n u n g e n 414 ff. Gesindewesen 831. G e m e i n d e r a t 432, 554, 556. Gesundheitswesen 824. Gemeinderechnung 930. G e w a l t e n t e i l u n g 27, 146ff. G e m e i n d e s t e u e r n 930, 981. G e m e i n d e v e r f a s s u n g 431,554ff. Gewässer 824, 828. Gewerbebetrieb 425, 429, 829 ff., G e m e i n d e v e r m ö g e n 929 ff. 962; der Beamten 597. G e m e i n d e v e r s a m m l u n g 433. G e w e r b e f r e i h e i t 962. G e m e i n d e v o r s t e h e r 432 ff. G e w e r b e g e r i c h t e 466, 733. G e m e i n e r P f e n n i g 92. Gewerbesteuer 981. Gemeines R e c h t 230, 235. Gewerbewesen 829ff. G e m e i n h e i t s t e i l u n g 827. G e m e i n n ü t z i g e A n o r d n u n g e n Gewichtswesen 831. Gewissensfreiheit 963ff., 999ff. s. Anordnungen. G e w o h n h e i t s r e c h t 58, 117, 233. Gemeinwesen 3 ff., 13. Glaubensfreiheit 963ff., 1000ff. G e n e r a l d i r e k t o r i u m 398. G e n e r a l g o u v e r n e m e n t in Elsaß- G l e i c h h e i t vor dem Gesetz 983. • Gnade bei der Strafrechtspflege Lothringen 232, 540 827 ff.; im Gebiete der Verwaltung G e n e r a l r ä t e in Frankreich 390; in 763 m ; s. auch Begnadigung. Elsaß-Lothringen 556. G n a d e n v i e r t e l j a h r 6z0. Genossenschaftsrecht 49 ff. G e r i c h t e 382 , 464 ff., 726 ff.; Be- Goldene B u l l e 69. setzung derselben und Aufsicht G o t h a e r K o n v e n t i o n 949. 745 ff.; Gerichte in den Schutz- Gottesgnaden 10, 75. G o u v e r n e m e n t s r ä t e 561. gebieten 563, 732.
Sacherzeichnis. Gouverneure in den Schutzgebieten 561. Grafenbänke 80, 100. G r a f s c h a f t e n 62, 891 ff.; in England 889. Groß j ä h r i g k e i t s e r k l ä r u n g 8 2 1 . Grundbuchbeamte, Haftung des Staates für denselben 612. Grundeigentum,Erwerb desselben durch-Reichsangehörige 428, 962; durch Beamte 598 8 . G r u n d e n t l a s t u n g 826. G r u n d g e s e t z 29, 281, 642. 658. G r u n d r e c h t e , Begriff 946, 953ff.; des deutschen Volkes 178, 178. G r u n d s t e u e r 874, 980ff. G y m n a s i e n 825.
H e i l a n s t a l t e n , Heilpersonal 824. H e i l i g k e i t des Monarchen 274. H e i m a t s r e c h t 260, 266, 424, 822. H e i m a t w e s e n , Bundesamt für, s. Bundesamt. Helgoland, Vereinigung mit Deutschland 213; Gemeindeverfassung 417; Verwaltungsorganisation 447 , 450«, 451 3 8 , 452"; Wahlen zum Reichstage 507 n ; Zollverhältnisse 909. H e r r e n h a u s , preußisches 339ff. H e r r s c h a f t s b e r e i c h 236ff. H e r z o g t ü m e r 64. Hessen, Großherzogtum, Mitglied des Rheinbundes 106; des deutschen Bundes 117, 119; Verfassungsentwicklung 160; Verwaltungsorganisation 459; Militärgesetzgebung 866. H e s s e n - K a s s e l s. Kurhessen. H e s s e n - H o m b u r g , Mitglied des deutschen Bundes 119; Anfall an Darmstadt 129; Verfassungsentwicklung 166; Einverleibung in Preußen 189. Hessen-Nassau, Pro vinzialVerfassung 453, 454.
H ä f e n , Hafenpolizei 833. H a f t b e f e h l , richterlicher 958. H a f t u n g , vermögensrechtliche der Beamten 608 ff.; des Staates für die Beamten 609 ff. H a m b u r g bleibt nach dem Reichsdeputationshauptschluß Freie Stadt 100; wird während des Rheinbundes Frankreich einverleibt 108'; später wiederhergestellt und Mit- H i n t e r b l i e b e n e n y e r S i c h e r u n g 834; s. auch Arbeiterversicherung. glied des deutschen Bundes 117, 119; Mitglied des Deutschen Reiches H o c h s c h u l e n s. Universitäten; technische 825. 224; Verfassungsentwicklung 167; Zollverhältnisse 267, 701,702, 909 ff. H o c h v e r r a t u.Landesverrat gegen Kaiser und Reich, Jurisdiktion 538, H a n d e l 830, 831. 728. H a n d w e r k s k a m m e r n 830. in H a n n o v e r , zur Zeit des Rhein- H o f domänenk a m18m er g u t bundes 107; Mitglied des deutschen Württemberg 324 . Bundes 117, 118; Verfassungsent- H o f g e r i c h t , königliches 83; Hofwicklung 157; Einverleibung in und Landgerichte, königliche 91; Preußen 189. landesherrliche 893. H a n s e s t ä d t e , ZollVerhältnisse 701, H o f r a t , Reichshofrat 88; landesherrlicher 894. 702, 909; s. Bremen, Hamburg, H o f k a m m e r 394. Lübeck. H a u p t v e r w a l t u n g derpreußischen H o f r i c h t e r s. Hofgericht. H o f s t a a t des Monarchen 273. Staatsschulden 53o. Hausgesetze der regierenden Für- H o h e n z o l l e r n , Fürstentümer, Mitlieder des Rheinbundes 106; des stenhäuser 235, 281 ff. eutschen Bundes und Abtretung H a u s h a l t s e t a t s. Etat. an Preußen 120; VerfassungsentH a u s s u c h u n g 958. wicklung 166; VerwaltungsorganiH e b a m m e n 824. sation 456; Stellung des fürstlichen H e e r des alten deutschen Reiches Hauses in Preußen 985. 91; des deutschen Bundes 140 ff.; des ^jetzigen deutschen Reiches H o l l a n d , Mitglied des deutschen 835 ff.; Ausgaben für dasselbe Bundes 118, 119, 120. 929 ff. H o l s t e i n zur Zeit des Rheinbundes H e e r e s d i e n s t 976ff., 977; Befrei107; im deutschen Bunde 118, 119; ung der Mitglieder regierender Verfassungsentwicklung 160; EntFürstenhäuser 984; der Standeswicklung seit 1863 181 ff.; Einverherren 977, 990. leibung in Preußen 189. H e g e m o n i e 495ff. H o n i a g i u m , Homagialeid 975.
f
1054
Sachverzeichnis.
H u l d i g u n g , Huldigungseid 975. Ius eminens 30®, 904. H i l f s k a s s e n , eingeschriebene 834. Ius m a i e s t a t i c u m circa sacra und H i l f s r i c h t e r , Zulässigkeit 735,746. in sacra 998. Ius r e f o r m a n d i 964, 998ff. I d e o k r a t i e 34 8 . I m m o b i l i a r v e r s i c h e r u n g s - Jahdehafen ist Reichskriegshafen 863. wesen 267, 834. I m m u n i t ä t 63; der Landtagsab- Jahdegebiet, Abtretung anPreußen geordneten 371 ff.; der Reichstags- 120. abgeordneten 516 ff.; in Elsaß- J>gd, Jagdrecht, Jagdregal 828. Lothringen 554. J e s u i t e n o r d e n lOlo. Juden 994ff., 1004, 1022. I m p e a c h m e n t in England 800. J u n g h o l z , Gemeinde, gehört zum I m p f u n g 824. deutschen Zollgebiet 910. I n d i e n s t s t e l l u n g der Schiffe 862. I n d i g e n a t , gemeinsames im Deut- J u r i s t i s c h e Personen als Gegenstand der Verwaltung 821; Anschen Reiche 349 947; s. auch wendung des Art. 3 der RVerf auf Staatsangehörigkeit. dieselben 948; Steuerpflicht derI n d i r e k t e S t e u e r n 874ff., 909ff.; selben 980, 981. in den Gemeinden 929 ff. J ustif i k a t i o n der EtatsüberschreiI n d i r e k t e W a h l 353, 354. tungen in den Einzelstaaten 900; I n d i v i d u a l g e s e t z 640. im Reiche 924 2 l . I n d i v i d u a l s u k z e s s i o n 280, 289. J u s t i z , Begriff und Wesen 28 ff., I n d u s t r i e 830. 637 ff., 723ff.; Trennung von der I n f a n t e r i e 860. Verwaltung 399, 401, 766ff.; AusI n i t i a t i v e der Landtage 659; von übung durch die Gerichte 733ff. Senat und Bürgerschaft in den Freien Städten 679; von Bundesrat J u s t i z b e h ö r d e n 464, 726ff. und Reichstag 684; des elsaß-loth- Justizsache 766. ringischen Landesausschusses 713; J u s t i z v e r w a l t u n g 745ff. im Bundesrat 489. J u s t i z v e r w e i g e r u n g 135, 265, 746, 932. I n l ä n d e r , s. Reichsangehörige, Staatsangehörige. I n n e r e V e r w a l t u n g 751, 820ff. K a b i n e t t in England 146; landesI n n u n g e n 830. herrliches 395. Insig'nien des Monarchen 273. K a b i n e t t j u s t i z 733. I n s p e k t i o n , militärische 844; in K a i s e r , römisch- deutscher 74 ff.; ErBayern 856. richtung der jetzigen Kaiserwürde I n s t r u k t i o n e n für die Beamten 206; Rechtsstellung des Kaisers 477, 757; für Landtagsabgeordnete 370; 494ff.; Kaiser stellt Reichsbeamte für die Bundesratsmitglieder 485, an 494 ff.; publiziert Reichsgesetze 493, 525, 807; für Reichstagsab682, 687; hat völkerrechtliche Vergeordnete 516. tretung des Reiches 817: militärischen Oberbefehl über das LandI n t e g r a l e r n e u e r u n g 356. heer 839 ff. und die Kriegsmarine Interessensphäre 211, 229, 722. 860; ihm steht die Ausübung der I n t e r i m 177. Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen I n t e r p e l l a t i o n in den Landtagen zu 548, 549; Berufung, Eröffnung 333; im Reichstage 502. und Schließung des Bundesrats 486 I n t e r p r e t a t i o n der Gesetze 232; und Reichstags 511; Begnadigungsauthentische 641. recht 747; Rechte in aen SchutzI n v a l i d i t ä t s v e r s i c h e r u n g 835, gebieten 559. s. auch Arbeiterversicherung. I s e n b u r g - B i r s t e i n , Fürst von, K a i s e r - W i l h e l m s l a n d 211. Mitglied des Rheinbundes 106; K a m e r u n 210. später mediatisiert 117. K a m e r n als Abteilungen der LandI t i o i n partes im alten deutschen tage 335 ff. j Verhältnis beider KamReiche 82, 86. mern zueinander 335 ff.; ZusammenI u r a s i n g u l o r u m im alten deutsetzung der ersten Kammer 338 ff.; schen Reiche 82; im deutschen der zweiten Kammer 344ff.; BeBunde 128. hörden für die landesherrliche Do-
Sacherzeichnis. manialverwaltung 394; Abteilungen der Gerichte 465, 727 ff. K a m m e r n für H a n d e l s s a c h e n 465, 727. K ä m m e r e i v e r m ö g e n 419. K a m m e r ge rieht s.lleichskammergericht, Hofgericht. K a m m e r g e r i c h t , königliches 83. K am m er g u 1819 ff870,897; Steuerpflicht desselben 981. K a m m e r z i e l e r 85, 93. K a n ä l e 833. K a n t o n e in Elsaß-Lothringen 554. K a n t o n p f l i c h t in Preußen 836, 976. K a n z l e i e n 394. K a n z l e r 393; s. auch Reichskanzler. K a p i t a l s t e u e r 927. K a r o l i n e n 212. K a s s a t i o n der Beamten 626. Kassenscheine 831, 913. K a t h o l i s c h e K i r c h e 1003,1005 ff. K a u f m a n n s g e r i c h t e 466, 733. K a u t i o n e n der Beamten 587. K a v a l l e r i e 860. K e h l , Reichsfestung des ehemaligen deutschen Reiches 92. K i a u t s c h o u 212, 561, 562. K i e l , Reichskriegshafen 863. K i r c h e n 826, 997; Gesetzgebung derselben 641. K i r c h e n ä m t e r 1011 ff., 1017. K i r c h e n g e w a l t 998. K i r c h e n h o h e i t 998. K i r c h e n r e c h t 57. K n i p h a u s e n , Grafschaft 118. K o g n a t e n 292. K o k a r d e n 847. K o l l e g i a l b e h ö r d e n 381. K o l l e g i e n , reichsständische 79 ff. K ö l n , JErzbischof von 79, 80, 100. K o l o n i e n s. Schutzgebiete. K o l o n i a l b e a m t e n g e s e t z 560. K o m i t i a l r e c h t e 76. K o m m a n d o g e w a l t 497, 843, 847. K o m m i s s a r , Kommissariat 397; für Auswanderungswesen 535; Kommissarische Verwaltung der Gemeinden 440; s. auch Regierungskommissare. Kommissionen der Landtage 366; des Reichstages 513; zur Untersuchung von Tatsachen 333. K o m m u n a l ä m t e r , Pflicht zur Übernahme 436, 587. K o m m u n a l b e a m t e 570ff., 577ff., 584. K o m m u n a l f i n a n z e n 929ff. K o m m u n a l l a n d t a g 454. K o m m u n a l s t e u e r 929ff., 979; der
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Beamten 569 8,620,981; der Militärpersonen 867, 868, 981. K o m m u n a l v e r b ä n d e 3, 7ff., 35, 228, 383, 408; höherer Ordnung 440. K o m p a g n i e 860. K o m p e t e n z der Behörden 383; des Deutschen Reiches 260; Exemption v. d. Kompetenz 266; s. auch Zuständigkeit. K o m p e t e n z e r w e i t e r uun g des Deutschen Reiches 262 , 690 ff. K o m p e t e n z k o n f l i k t 773ff. K o n d o m i n a t e 273. K o n f e s s i o n e n , Gleichberechtigung derselben 963 ff. K o n f l i k t 613, 797. K o n g r e g a t i o n e n 1015 ff. K o n g r e ß zu Wien 114; Kongreßakte 114, 115. K ö n i g , deutscher 74. K o n k o r d a t e 1006, 1007. K o n s i s t o r i e n 394. K o n s k r i p t i o n , militärische 836y 976. Konsularg erichtsb arkeitsgesetz 539; Einführung in den Schutzgebieten 560, 719, 731. K o n s u l n , Konsulargerichte 264,265, 535, 731 ff., 817. K o n t i n g e n t e , Kontingentherrlichkeit 837, 839 ff. K o n t i n g e n t i e r t e Steuern 894. K o n t i n u i t ä t der Sitzungsperioden des Bundesrats 490. Kfontr a s i g n a t u r der Minister 276; des Reichskanzlers 500; 527 ff.; der Stellvertreter des Reichskanzlers 528 ff.; in elsaß-lothringischen Angelegenheiten 543. K o n t r i b u t i o n 872. K o n v e n t i o n e n s. Militärkonventionen. K o n z e s s i o n e n 758, 830. K o r p o r a t i o n , Korporationsrechte 992,995; der Religionsgesellschaften 1003. Krankenanstalten s. Heilanstalten. K r a n k e n v e r s i c h e r u n g 421, 834. K r e d i t w e s e n 832. K r e i s e des alten deutschen Reiches 93 ff., 99; als Einteilung d. Staaten 35, 443ff.; in Preußen 397, 440ff., 443 ff.; in Bayern 456 ff.; in Württemberg 458; in Baden 458; in Hessen 459, 460; in Sachsen-Meiningen 460; in Braunschweig 461; in Anhalt 461; in Waldeck 462; in Bremen 471; in Elsaß-Lothringen 442, 555.
1056
Sachverzeichnis.
.Kreisamtmänner in Waldeck 462. K r e i s ausschuß in Preußen 450, 452, 787; in Sachsen 457; in Baden 459; in Hessen 459; in SachsenMeiningen 460; in Braunschweig 461; in Aiihalt 461; in Bremen 471. K r e i s d e p u t i e r t e in Preußen 450. K r e i s d i r e k t o r in Braunschweig 461; in Anhalt 461; in Elsaß-Lothringen 554. K r e i s h a u p t m a n n , Kreishauptmannschaft in Sachsen 457. K r e i s k o m m i s s i o n e n in Preußen 452. K r e i s r a t in Hessen 459. K r e i s r e g i e r u n g in Bayern 456; in Württemberg 458. K r e i s s t ä n d e in Preußen 444. K r e i s t a g e in Preußen 451; in Hessen 459; in Anhalt 461: in Bremen 472; in Elsaß-Lothringen 543, 555. K r e i s v e r s a m m l u n g e n in Preussen 451; in Baden 459; in Braunschweig 461. Kreis ver waltungfcg e r i c h t e 787. K r e i s v o r s t a n d in Waldeck 468. K r e u z e r 861. K r i e g s e r k l ä r u n g des deutschen Bundes 139; des Deutschen Reiches
K u r i e n im Deutschen Reiche 80, 81; im Deutschen Bunde 126. K ü s t e n g e w ä s s e r 833. K ü s t e n p a n z e r s c h i f f e 861 ff. -
L a n d 12, 36V L a n d e s a n g e h ö r i g k e i t vonElsaßLothringen 246. L a n d a r m e n v e r b a n d 822. L an d es auss ch uß in Hessen-Nassau 454; in Hohenzollern 456; in Reuß ä. L. 462; in Elsaß-Lothringen 544ff. Landesfiskus 870; Elsaß-Lothringen 926. L a n d4e s direktor in Preußen 452, 464 . L a n d e s g e s e t z g e b u n g , Begriff 648; in den monarchisch regierten Einzelstaaten 648ff.; in den Freien Städten 679; in Elsaß-Lothringen 544ff., 712 ff.; Verhältnis zur Reichsgesetzgebung 415. Landesgesetze 231; s. auch Landesgesetzgebung. L a n d e s g e r i c h t e 465, 726, 727ff. L a n d e s g e r i c h t s h o f , oberster 465, 729. L a n d e s h a u s h a l t s e t a t s. Etat. L a n d e s h a u p t m a n n 393, 452; in den Schutzgebieten 454. L a n d e s h e r r e n 64ff., 94ff., 268ff. L a n d e s h o h e i t 65ff., 93ff., 268ff. 262, 818. K r i e g s f o r m a t i o n des Heeres 860. L a n d e s r a t 561. K r i e g s g e r i c h t e 731; in Straßburg Landesschulden 877. L a n d e s t r a u e r 273 w . 555® Landesverfassung 93ff. K r i e g s h ä f e n 863. K r i e g s l e i s t u n g e n für die bewaff- Landesvermögen 871. L a n d e s v e r r a t s. Hochverrat. nete Macht 982. K r i e g s m a r i n e 261, 264 . 860 ff.; L a n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t 787. Gesetzgebung über dieselbe 683. K r i e g s m i n i s t e r i e n 403, 537, 840, Land;esverWeisung 959ff. L a n d f r i e d e 649; ewiger 66, 69. 849, 853, 856. L a n d gebiet der Freien Städte 471, K r i e g s r ä t e 394. 472. Kriegsschäden 971, 982. K r i e g s - u. D o m ä n e n k a m m e r n L a n d g e m e i n den 411 ff.,434ff., 472. L a n d g e r i c h t e , königliche, 88, 91; 398. jetzige 465, 727 ff. K r i e g s s t e u e r n 913. L a n d h e e r 839ff.; Ausgaben für K r i e g s z u s t a n d 823, 843. dasselbe 921 ff. K r o n f i d e i k o m m i ß f o n d s , Kron10 fideikommißrente in Preußen 323 . L a n d r ä t e in Preußen 398, 400, 499; 18 in Bayern 457; in Sachsen-MeiK r o n t r e s o r in Preußen 324 . ningen 460; in Sachsen-Altenburg K r ö n u n g 74. 460; in Sachsen-Koburg-Gotha 460; K u r f ü r s t e n 74ff., 79ff., 100. K u r f ü r s t e n k o l l e g i u m 79ff., 100. in Schwarzburg-Sondershausen 462; in Schwarzburg-Rudolstadt 462; in Kurhessen, Kurwürde 100; VerReuß ä. L. 462; in Reuß j. L. 462. nichtung während des Rheinbundes 107; Wiederherstellung und Mit- L andratsausschuß in Bayern 457. lied des deutschen Sundes 117, L a n d s c h a f t s k o l l e g i u m 396. 18, 119; Verfassungsentwicklung L a n d s c h a f t e n in Hannover 453 159; Einverleibung in Preußen 172. Landstände s. Landtage.
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Sacherzeichnis.
1057
L a n d s t a n d s c h a f t der Mitglieder des Deutschen Reiches 224; Verder Fürstenhäuser 985; der Standesfassungsentwicklung 166; Verwalherren 990 ; des Adels 992. tungsorganisation 462. L a n d s t r a ß e n 882. L i t e r a t u r des deutschen Staatsrechtes 101 ff., 112, 214 ff._ L a n d s t r e i c h e r s. Bettler. L o h n - und Besoldungssteuer 927. L a n d s t u r m 836, 979. L o t s e n w e s e n 828. L a n d s y n d i k u s 366. L a n d t a g e 93ff., 268 , 329ftj Zu- L ü b e c k bleibt nach dem Reichsdeputationshauptschluß Freie Stadt sammensetzung 335ff.; Beteiligung 100; wird zur Zeit des Rheinbundes bei der Gesetzgebung 659ff.; EntFrankreich einverleibt 108; später scheidungen über die Regentschaft wieder hergestellt und Mitglied des 312; Ministeranklage 804ff.; GeDeutschen Bundes 117, 119; Mitnehmigung völkerrechtlicher Verglied des Deutschen Reiches 224; träge 813 ff.; Steuerbewilligung Verfassungsentwicklung 167; Zollund Budgetrecht 878ff., 897ff.; in anschluß 909 ff. Elsaß-Lothringen 552 ff.8 L u t h e r i s c h e K i r c h e 1003,1017ff. L a n d t a g s b e a m t e 572 , 583. Landtagsmitglieder, persön- L u x e m b u r g , Mitglied des Deutschen Bundes 118; Ordnung seiner liche Stellung 369 ff.; in ElsaßRechtsverhältnisse durch den LonLothringen 554. doner Vertrag 202; gehört zum L a n d v o g t 393. deutschen Zollgebiet 265, 909. L a n d w e h r 836, 978. L a n d w i r t s c h a f t 828. L a u e n b u r g , Stellung zur Zeit des M a g i s t r a t 432. * Rheinbundes 108; zur Zeit des M a i e s t ä t s r e c h t e 273, 501. Deutschen Bundes 118, 119; Ver- M a i n z , Erzbischof von 74, 76, 79, 80; Bundesfestung des Deutschen fassungsentwicklung 160; Abtretung Bundes 151; Besatzungsrecht Preuan Preußen 182; Vereinigung mit ßens 203. Preußen 189. M a j o r i t ä t bei Landtagswahlen 355; L e b e n s v e r s i c h e r u n g 834. bei Reichstagswahlen 507; im BunLegislaturperiode s. Wahldesrate 490 S.; im Landtage 368, periode. 661; im Reichstage 515. L e g i t i m a t i o n der Bundesratsvertreter 486; der Landtagsmitglieder M a i r e 390. 364; der Reichstagsmitglieder 512. M a k l e r 831. Legitimation u n e h e l i c h e r M a n d a t s n i e d e r l e g u n g der LandEll n d e r durch Verwaltungsakt tagsabgeordneten 357; der Reichs821; Einfluß auf Staatsangehörigtagsabgeordneten 510. keit 247, 253; Bedeutung für die M a n n s s t a m m 292. Thronfolge 294. M a n t e l k i n d2e r , SukzessionsberechL e g i t i m i t ä t 26. tigung 294 . L e n n s h e r r l i c h k e i t llOff., 304. M a r i n e 261, 264, 836, 860ff. Lehnsschulze 412, 438. M a r i n e a m t s. Reichsmarineamt. L e h n s w e s e n 63, 835. M a r i n e b e h ö r d e n 533, 534. Lehranstalten 824 ff.; Über- M a T i n e d i e n s t p f l i c h t 978, 979. wachung der kirchlichen durch M a r i n e s t r a f g e r i c h t e 732. den Staat 1015. M a r s c h a l l i n s e l n 211. L e h r e r , Rechtliche Stellung 5738, Maß und G e w i c h t 261, 264, 831. 824. M a t r i k u l a r bei t r ä g e 91, 92, 152, L e u c h t f e u e r 261. 914 ff. L e y e n , von der, Graf bzw. Fürst M e c k l e n b u r g , Großherzogtümer, 106, 117. Mitglieder des Rheinbundes 107; L i c h t e n b e r g 120. des Deutschen Bundes 119; des L i e c h t e n s t e i n im Rheinbunde und Deutschen Reiches 224; Verfassungsentwicklung 162. im Deutschen Bunde 106, 119. L i m b u r g im Deutschen Bunde 120. M e d i z i n a l w e s e n 824. L i n e a l e r b f o l g e 292. M e i n u n g s ä u ß e r u n g , freie, s. L i n i e n s c h i f f e 861 ff. Preßfremeit,Unyerantwortlichkeit. L i p p e , Mitglied des Rheinbundes M e l d e w e s e n 823. 107; des Deutschen Bundes 119; M e l i o r i s a t i o n 828.
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Sachverzeichnis.
Menschen- und B ü r g e r r e c h t e ' N a t u r a l l e i s t u n g e n für die be954. waffnete Macht 982, M i l i t ä r s. Heer. N e b e n a u f t r ä g e an Beamte 592. M i l i t ä r d i e n s t s. Heeresdienst. N e b e n b e s c h ä f t i g u n g von BeM i l i t ä r e t a t 929ff. amten 597; von Senatsmitgliedern M i l i t ä r g e r i c h t e 466, 731. in den Freien Städten 470. M i l i t ä r g e s e t z g e b u n g 683, 865 ff. N e u - G u i n e a 211. N i e d e r l a n d e s. Holland. M i l i t ä r K o n v e n t i o n 851 ff. M i l i t ä r p e r s o n e n . Wahlrecht der- Niederlassung 260, 266, 429, 821, 961 ff. selben zu den Landtagen 348; zum Reichstage 505; Verhältnis zu den N i e d e r l e g u n g eines LandtagsBeamten 581; Besteuerung 867, 868, mandates 357: eines Reichstags931; Teilnahme an den politischen mandates 510. Vereinen und Versammlungen 995, N i e d e r s c h l a g u n g 747. 996. N o r d d e u t s c h e r Bund s. Bund. M i l i t ä r S t r a f g e r i c h t so r d n u n g N o m i n a t i o n s r e c h t für Bischofsstühle 1012, 1018. 868. M i l i t ä r v e r w a l t u n g 751, 845ff., N o r m a l eichungsk o m m i s s i o n 264, 535. 853, 856. M i n i s t e r 402ff.; Kontrasignatur N o t e n b a n k e n 832. 276; Anwesenheit im Landtag und N o t v e r o r d n u n g e n in den Einzelstaaten 676ff.; im Reiche 708; in Recht gehört zu werden 367; EntElsaß-Lothringen 714. lassung und Pensionierung 625,631, N ü r n b e r g bleibt nach dem Reichs632. deputationshauptschluß Freie Stadt M i n i s t e r i e n 402ff., 544. 100; wird später an Bayern abgeM i n i s t e r v e r a n t w o r t l i c h k ei t treten 108. 798 ff. N u t z u n g s g e m e i n d e n 412, 413, M i ß h e i r a t 296ff. 419. M i t g l i e d e r des Rheinbundes 106ff.; des Deutschen Bundes 119; des Oberämter in Hohenzollern 456; Deutschen Reiches 224. in Württemberg 458. M i t r e g e n t s c h a f t 319. M i t t e f b e r g , Gemeinde,gehört zum O b e r a p p e l l a t i o n s g e r i c h t e 395; Jurisdiktion des Oberappellationsdeutschen Zollgebiet 910. erichtes zu Lübeck bei Hoch- und M o b i l i a r st euer in Elsaß-Lothlandesverrat gegen Kaiser und ringen 926. Reich 5385, 727. M o b i l m a c h u n g 141, 842, 855. M o n a r c h 268, 270 ff.; Staatsange- Oberaufsicht s. Aufsicht. Oberbefehl, militärischer, des K. hörigkeit desselben 252. 479; über das Landheer 843; in M o n a r c h i e 33. Bayern 855; über die Marine 860; Monopol 875, 912. Kontrasignatur 5284. Montesquieu 146 ff. O b e r h a n d e l s g e r i c h t s. ReichsM o r a t o r i e n 749, 750. ob erhandelsgericht. M o r g a n a t i s c h e Ehe 299, 301. Oberkommando der Marine 535. M u n i z i p a l r a t 390. O b e r k r i e g s g e r i c h t e 732. Münzwesen 260, 264, 831. O b e r l a n d e s g e r i c h t 465, 727ff., Museen 825. 804. O b e r p o s t d i r e k t i o n 536. Nachsteuer 132, 959. O b e r p r ä s i d e n t in Preußen 443, N a h r u n g s m i t t e l , Überwachung 448; in Elsaß-Lothringen 542. des Verkehrs mit denselben 824. 0berrechnungskammer538,900, N a m e n s ä n d e r u n g 821. 925. N a s s a u im Rheinbunde 106; Mitglied O b e r r e i c h s a n w a l t 539, 583. des Deutschen Bundes 119,120; v er- Oberseeamt 537. fassungsentwicklung 163; Einver- O b e r v e r w a l t u n g s g e r i c h t 405, leibung in Preußen 189. 6049, 786. O b j e k t e staatlicher Herrschaft 236. N a t i o n a l v e r e i n 179. N a t i o n a l v e r s a m m l u n g 171 ff." O c t r o i 930. N a t u r a l i s a t i o n s. Einbürgerung. ö f f e n t l i c h e s R e c h t 57.
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Sacherzeichnis.
1059
Ö f f e n t l i c h k e i t der Landtagsver- Personalsteuer 874, 926. handlungen 369; der Reichstags- P e r s o n a l u n i o n 42. * verhandlungen 515. P e r s o n a l v e r s i c h e r u n g 834. O f f i z i e r e , Ernennung 842, 843, 845, Personenstand 821. 853: Wahlrecht zum Landtage 348; P e t i t i o n e n an den Landtag 332; an den Reichstag 502. zum Reichstage 505; Notwendigkeit des Urlaubes zum Eintritt in den P e t i t i o n s r e c h t 332, 971. Landtag und Reichstag 351, 506. P f a l z 79, 80. Oldenburg, Mitglied des Rhein- P f e n n i g , gemeiner 92. bundes 107; Frankreich einverleibt P f l e g e r 393. 108; Mitglied des Deutschen Bundes P f l i c h t e n der Beamten 591; der 117,118,119; des Deutschen Reiches Untertanen 946, 973 ff. 224; Verfassungsentwicklung 163; P h i l i p p s b u r g 92. Verwaltungsorganisation 461; Be- P i o n i e r e 860. freiung von den Zollvereinsbestim- P l a c e t 1009, 1021. mungen über Chausseegeld 911. P l e n u m des Deutschen Bundes 126, Österreich, Stellung im Deutschen P o l i t i k 55. Reiche 93; im Deutschen Bunde P o l i t i s c h e Rechte 946. 119 ff., 125, 126; Ausscheiden aus P o l i t i s c h e V e r e i n e 995. Deutschland 187. Politische Versammlungen 996 ff. Orden 274; Annahme von fremden Regierungen durch Beamte 598; P o l i t i s c h e s Gemeinwesen 3ff. Orden der katholischen Kirche P o l i z e i 420, 446, 452ff., 759ff. 1015 ff. Polizeibehörden, Straff estO r d n u n g s r u f 376, 513. setzungsrecht 770 ff.; Zwangsmittel 809. Ordnungsstrafen gegen Beamte P o l i z e i s t r a f g e s e t z b ü c h e r 674. 602 ff. Organe der Staaten überhaupt 18ff.; P o l i z e i s t r a f r e c h t 676. der deutschen Einzelstaaten 268ff.; Polizeiverordnungen674ff.,708, 721. des Deutschen Reiches 447 ff. P o m m e r n 107, 118. Organisatio n s g e w a l t des MonP o sen, Verwaltungsorganisation455. archen 6705; des Kaisers 705. Post 91, 100, 132, 261, 264, 833, 834. O r g a n s c h a f t , Recht auf 269. P o s t ä m t e r 533, 536. O r t s a r m e n v e r b ä n d e 822. Posteinnahmen 908, 909. O r t s p o l i z e i 420, 446. O r t s s t a t u t e n 422 , 432; Bestäti- P o s t w e r t z e i c h e n 909. P r ä f e k t e n in Frankreich 390; in gung derselben 439. Elsaß-Lothringen 542. O s t a f r i k a 210, 562. P r ä l a t e n b ä n k e 80, 100. P a p i e r g e l d 260, 831, 913. P r ä g u n g der Münzen 264, 831. P a r a g i e n 327. Präsenzstand der Kontingente P a r l a m e n t , englisches 144ff. 844, 857 ff. P a r l a m e n t a r i s c h e R e g i e r u n g P r ä s i d e n t der Landtage 365, 367; 146, 335. des Reichstages 513, 515; des elsaßP a r t i a l erneu e r u n g der Landtage lothringischen Landtages 553. 356. P r ä s i d i u m im Deutschen Bunde P a r t i k u l a r r e c h t 230, 235. 125; im Norddeutschen Bunde 196; Paßwesen 260, 823. im Deutschen Reiche 494 ff.; im P a t e n t a m t 537, 539, 583, 792. Bundesrate 487. P a t e n t s t e u e r in Elsaß-Lothringen P r ä v e n t i y s y s t e m 967. 927. Presse 261, 823, 967ff. P a t e n t w e s e n 260, 264, 831. P r e ß f r e i h e i t 967ff. P a t r i m o n i a l g e r i c h t ' s b a r k e i t Preußen, Verhältnisse zur Rhein396, 400, 986, 989, 992. bundszeit 107; Mitglied des Deutschen Bundes 117, 119; Mitglied P a t r i m o n i a l p o l i z e i 396, 400, 989, des Deutschen Reiches 224; Ver992. fassungsentwicklung 153ff.; VerPauschsummen für das Heer 921. waltungsorganisation 396 ff., 414ff P e n s i o n e n 623, 626, 631 ff. 443ff.; Präsidialmacht des NordPersonal l i s t e n , reichsständische deutschen Bundes 196; des Deut79. G. M e y e r - A n s c h ü t z , Deutsches Staatsrecht.
III.
7. Aufl.
1060
Sachverzeichnis.
sehen Reiches 494 ff.; Präsidium R a b b i n a t s g e m e i n d e n 1004. im Bundesrate 487 ff.; Veto bei Ge- R a n g der Beamten 614; der pensiosetzen und Verordnungen über nierten Beamten 624. Militärwesen, Kriegsmarine, Zölle R a t , engerer, im deutschen Bunde und Verbrauchssteuern 683, 708; 126; der Landesherrn 892; städtiKontingent 851 ff. scher 409 ff.; kaiserlicher in ElsaßP r i m o g e n i t u r 280, 289ff. Lothringen 543, 555, 791. P r i v a t d o z e n t e n , Disziplin über R a y o n k o m m i s s i o n 587. dieselben 602. R e a l g e m e i n d e n 412, 413, 419. P r i v a t f ü r s t e n r e c h t 57. R e a l f a s t e n 826. P r i v a t p e r s o n e n , Befugnis der- R e a l s c h u l e n 825. selben zur Ausübung von Hoheits- R e a l u n i o n 42. rechten 270. R e a l v e r s i c h e r u n g 834. P r i v a t r e c h t 56. R e c h n u n g e n , Prüfung derselben, P r i v i l e g i e n 759, 762, 763. s. Prüfung. P r i v i l e g i a de non appellando 84, Rechnungshof 537, 583, 604, 899, 87, 726; de non evocando 84, 726. 924, 929. P r o h i b i t i v s y s t e m 967. Rechte, subjektive 37ff.; wohl erP r o v i d e n c e i n s e l n 211. worbene 645, 970; der Beamten P r o v i n z e n 35, 440ff.; in Preußen 614ff.; der Untertanen 946, 948ff. 443ff., 448ff.; in Hessen 453. R e c h t s k o n t r o l l e der Verwaltung Provinzialausschüss einPreußen 778 ff. 452; in Hessen 454, 459. Rechtspflege s. Justiz. 9 Pr ovinzialdirektor in Hessen 459. R e c h t s m i t t e l im gerichtliehen P r o v i n z i a l k o m m i s s i o n e n in Verfahren 971; bei MinisteranPreußen 453. klagen 805. P r o v i n z i a l l a n d t a g e in Preußen Rechtssachen, ordentliche strei446, 452. tige 730. P r o v i n z i a l r ä t e in Preußen 448. R e c h t s s t a a t 29. P r o v i n z i a l s t ä n d e s. Provinzial- Rechtsschutz 952, s. auch straflandtage. rechtlicher Schutz. P r o v i n z i a l t a g e in Hessen 453. R e c h t s w e g bei Zivilansprüchen Provisorische Gesetze s. Notgegen den Monarchen 275; hei ververordnungen. mögensrechtlichen Ansprüchen der Prozeß 57. Beamten 618; in VerwaltungsangePrüfung der R e c h n u n g e n in legenheiten 772. den Einzelstaaten 899 ff.; im Reiche R e c h t s w i s s e n s c h a f t 56ff. 924, 925; in Elsaß-Lothringen 929; Recursus ab abusu 1010, 1011. in den Gemeinden 930. R e d e f r e i h e i t s.UnverantwortlichP r ü f u n g e n der Staatsdiener 585ff. keit. P r ü f u n g s r e c h t in bezug auf Ge- R e f o r m a t i o n s r e c h t 964, 998, setze und Verordnungen seitens der 999 ff. Gerichte 593, 736ff.; der Verwal- R e f o r m b e s t r e b u n g e n im deuttungsbehörden 594, 764 ff.; der Verschen Bunde 168 ff. waltungsgerichte 790. R e f o r m i e r t e K i r c h e 1003,1017ff. P u b l i k a t i o n der Gesetze 665, 680, R e f o r m v e r e i n , großdeutscher 179. 688, 713; der Verordnungen 673; R e g a l i e n 871, 877. 711; der Gesetze und Verordnungen R e g e n t 309ff.; Dotation desselben in den Schutzgebieten 421; der 328; Regentschaft im Reiche 500. völkerrechtlichen Verträge 815,820. R e g e n t s c h a f t s r a t 315. R e g e n s b u r g 81, 100. uartiere der Städte 435. R e g i e r u n g , Begriff 29. u ä s t o r e n der Landtage 366; des R e g i e r u n g e n 394; in Preußen Reichstages 513. 443 ff.; in Bayern 456; in Württemberg 458; in Birkenfeld und Lübeck Q u e l l e n des Staatsrechtes 58; des 461. deutschen Staatsrechtes 230 ff. Q u i e s z i e r u3 n g der Beamten in R e g i e r u n g s b e z i r k e in Preußen 4ß, 448. Bayern 631 . R e g i e r u n g k o m m i s s a r e in den Q u o t i s i e r t e S t e u e r n 894. Landtagen 367; im Reichstage 513. Q u o t i t ä t s s t e u e r n 928.
S
Sacherzeichnis. R e g i e r u n g s p r ä s i d e n t inPreussen 443. B e g i e r u n g s r e c h t e des Monarchen 273. R e g i m e n t 860. R e g r e d i e n t e r b i n 293. R e i c h , deutsches, altes 61 ff. ; jetziges, Gründung 205 ff. ; staatsrechtlicher Charakter 224 ff.; Organisation 472 ff.: Kommunalsteuerpflicht 981. R e i c h s a b s c h i e d 82. R e i c h s a d e l 132, 983, 991. R e i c h s a m t des Innern 535; für Verwaltung der Reichseisenbahnen 534, 536. Reichsangehörige 242 , 947; haben Wahlrecht zum Reichstage 504ff.; können nicht ausgewiesen und ausgeliefert werden 950 ; haben das Recht der freien Niederlassung und des Erwerbes von Grundeigentum im Reiche 961; leisten den Heeresdienst 976ff.; unterliegen keiner Doppelbesteuerung 979; haben die Befugnis Kirchenämter zu bekleiden 1012. R e i c h s a n g e h ö r i g k e i t , Erwerb und Verlust 247 ff., 822, 961. R e i c h s a n l e i h e n 923. R e i c h s a n w ä l t e 539, 583. R e i c h s a u s g a b e n 907, 908; feststehende 920; für das Heer 921, 922: für die Schutzgebiete 926. R e i c n s b a n k 264, 832; Besteuerung derselben durch das Reich 913 ; durch die Einzelstaaten 980. R e i c h s b a n k b e h ö r d e n 536. R e i c h s b a n k b e a m t e sind Reichsbeamte 583; dürfen keine Anteilscheine der Reichsbank besitzen 598«. R e i c h s b e a m t e 480, 577, 583ff.; Anstellung 583; bedürfen Urlaubes zum Eintritt in einen Landtag 850; dagegen nicht zum Eintritt m den Reichstag 506. R e i c h s b e h ö r d e n 480, 533ff. R e i c h s d e p u t a t i o n 82. Reichsdeputationshauptschluß 99 ff., 132. R e i c h s d r u c k e r e i 908. R e i c h s e i n n a h m e n 908ff., 920. Reichseisenbahnamt584,537,832. R e i c h s e i s e n b a h n e n 832, 908. R e i c h s e r z k a n z l e r 76, 80. R e i c h s e x e k u t i o n 93, 265, 937. R e i c h s f i s k u s 905. R e i c h s f l a g g e 832, 952. R e i c h s g e b i e t 238.
1061
R e i c h s g e r i c h t 265,465, 538,727ff. R e i c h s g e s e t z e 231, 680ff. R e i c h s g e s e t z b l a t t 688. R e i c h s g e s e t z g e b u n g 260, 478, 680 ff., 931. R e i c h s g e s u n d h e i t s a m t 535. R e i c h s g e w a l t 472ff. R e i c h s g u t a c h t e n 81. R e i c h s n a u s h a l t s e t a t s. Etat. R e i c h s h e e r s. Heer. R e i c h s h o f r a t 88, 89. R e i c h s i n v a l i d e n f o n d s 533. R e i c h s j u s t i z 265, 727ff. R e i c h s i u s t i z a m t 533, 534, 536. R e i c h s K a m m e r g e r i c h t 83,84,93. R e i c h s k a n z l e i 534. R e i c h s k a n z l e r 487, 500, 522 ff., 543, 806 ff. R e i c h s k a n z l e r a m t 533, für ElsaßLothringen 543. Reichskassenscheine 831. R e i c h s k o l o n i a l a m t 534, 561. R e i c h s k r e i s e 93. R e i c h s k r i e g s h ä f e n 863. R e i c h s k r i e g s s c h a t z 923, 925. R e i c h s l a n d s. Elsaß-Lothringen. R e i c h s m a r i n e a m t 534, 585, 863. R e i c h s m a t r i k e l n 70, 92. R e i c h s m i l i t ä r g e r i c h t 265, 540, 627. R e i c h s m i t t e l b a r e 94, Reich soberhandelsgericht 538, 727. R e i c h s o b e r s e e a m t 537. R e i c h s p a t e n t a m t 537, 539, 803, 678. R e i c h s p o s t a m t 534, 536, 834. Reichsratskammer in Bayern 840. R e i c h s r a y o n k o m m i s s i o n 537« R e i c h s r e g i m e n t 82. R e i c h s r i t t e r s c h a f t 94, 108, 132. R e i c h s s c h a t z a m t 534, 536. Reichsschluß 81. R e i c h s s c h u l d 913, 914, 923, 924. R e i c h s s c h u 1 denkommission 925. R e i c h s s t ä d t e 81, 100. Reichsstände 78ff., 132. R e i c h s s t e m p e l a b g a b e n 912. R e i c h s s t e u e r n 92, 260, 267. 909ff. R e i c h s t a g , ehemaliger 78ff.; verfassungsberatender des norddeutschen Bundes 192, jetziger 478,501 ff; Zusammensetzung 503ff.; Mitwirkung bei der Gesetzgebung 680 ff.; Genehmigung völkerrechtlicher Verträge 0I81L; Budgetrecht 919 ff. R e i c h s t a g s b e a m t e 572®, 583. R e i c h s t a g s m i t g l i e d e r , persönliche Stellung derselben 516 ff.
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Sachverzeichnis.
R e i c h s u n m i t t e l b a r e 86, 94, 982, 985, 991. R e i c h s u n t e r g e r i c h t e 90. R e i c h s v e r f a s s u n g 208ff., 231; Abänderung 683, 689ff.; Frankfurter 174. R e i c h s v e r m ö g e n 907. R e i c h s v e r o r d n u n g e n 705ff. R e i c h s v e r s i c h e r u n g s a m t 535, 537, 583. R e i c h s v e r w a l t u n g 262ff. R e i c h s v e r w e s e r 173; s. auch Reichsvikarien. R e i c h s v i z e k a n z l e r 76. R e i c h s v i k a r i e n 77. Reisekostender Beamten 617; der Landtagsmitglieder 38C , der Mitglieder des Reichstags, s. Aufwandsentschädigung. R e l i g i o n s f r e i h e i t 963ff. R e l i g i o n s f r i e d e , Augsburger 70. R e l i g i o n s g e s e l l s c h a f t e n 997ff. R e n t k a m m e r n 394. R e p a r t i t i o n s s t e u e r n 894, 928. R e p r ä s e n t a t i v v e r f a s s u n g 35. R e p r e s s i v s y s t e m 967. R e p u b l i k 33. R e s e r v a t r e c h t e der Einzelstaaten im Deutschen Reiche 266ff., 698ff.; des Kaisers im ehemaligen deutschen Reiche 75, 76. Reserve 978. R e s e r v e f o r m a t i o n e n der Flotte
862.
R e s o l u t i o n e n der Landtage 332; des Reichstages 503. R e u ß , Fürstentümer ält. und jüng. Linie, Mitglieder des Rheinbundes 107; des deutschen Bundes 119; des DeutschenReiches224; V erf assungsentwicklung 165 ; Verwaltungsorganisation 462. R e v i s i o n , Rechtsmittel der,87,728, 971 ff. R h e i n b u n d 101, 106 ff. R h e i n s c h i f f a h r t s g e r i c h t e 466. 732. R h e i n s c h i f f ä h r t s o c t r o i 100, 132. R i c h t e r 585, 11 733ff.; Befähigungsnachweis 585 ; Verhältnis zur vorgesetzten Behörde 593 ff. ; Disziplin 600ff.; Entlassung im Disziplinarwege 628 ; Zwangsweise Versetzung in Ruhestand b31, Stellung zur Disposition 633; Versetzung 633; Suspension 635; Vertretung 735,746. R i t t e r s c h a f t 982, 991. R ö m e r m o n a t e 92. R ö m i s c h e r K ö n i g 77.
Römisches R e c h t in der Staatsrechtsliteratur 102. R ü b e n z u c k e r s t e u e r s. Zuckersteuer. R ü c k w i r k e n d e K r a f t der Gesetze 645. R u h e s t a n d , Versetzung in 470,630. Sachsen, Kurwürde 79,80; Mitglied des Rheinbundes 107; des deutschen Bundes 117, 118; des Deutschen Reiches 224; Verfassungsentwicklung 156; Verwaltungsorganisation 457; Vertretung in den Bundesratsausschüssen für Landheer und auswärtige Angelegenheiten 492, 493; Militärische Stellung 854. Sachsen-Altenburg, Mitglied des deutschen Bundes 119; des Deutschen Reiches 224; Verfassungsentwicklung 164; Verwaltungsorganisation 460. S a c h s e n - K o b u r g , Mitglied des Rheinbundes 107; des deutschen Bundes 118, 119; Vereinigung mit Gotha 120. S ach sen-Gotha-Altenburg, Mitlied des Rheinbundes 107; des eutschen Bundes 119; Aussterben des Fürstenhauses und Teilung 120. Sachsen-Hildburghausen,Mitlied des Rheinbundes 107; des eutschen Bundes 119; Vereinigung mit Mein in gen 120; Verfassungsentwicklung 164. S a c h s e n - K o b u r g - G o t h a , Mitlied des deutschen Bundes 119; es Deutschen Reiches 224; Verfassungsentwicklung 164; Verwaltungsorganisation 460. S a c h s e n - M e i n i n g e n , Mitglied des Rheinbundes 107; des deutschen Bundes 119; des Deutschen Reiches 224; Verfassungsentwicklung 164; Verwaltungsorganisation 460. S'achsen-Weimar, Mitglied des Rheinbundes 107; des deutschen Bundes 118, 119; des Deutschen Reiches 224; Verfassungsentwicklung 163; Verwaltungsorganisation 460. S a l m - K y r b u r g , Fürst v. 106, 117. S a l m - S a l m , Fürst v. 106, 117. S a l o m o n g r u p p e , Inseln der, 211. S a l z b u r g 81, 100, 106. S a l z s t e u e r 912. S a m o a - I n s e l n 212. S a m t g e m e i n d e n 4227. S a n i t ä t s w e s e n 824.
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Sacherzeichnis. S a n k t i o n der Landesgesetze 662; der Beichsgesetze 681; der elsaßlothringischen Gesetze 713. S c h a d e n e r s a t z s. Haftung, Vermögensbeschädigungen. S c h a t u l l g u t 321. S c h a t z a n w e i s u n g e n 878, 914. S c h a t z r a t 396. S c h a u m b u r g - L i p p e , Mitglied des Rheinbundes 107; des deutschen Bundes 119; des Deutschen Reiches 224; Verfassungsentwicklung 165; Verwaltungsorganisation 462; Befreiung von den Zollvereinsb©Stimmungen über Chausseegeld 911. S c h i f f a h r t 261, 832. S c h i f f a h r t s z e i c h e n 261, 833. Schiffszertifikate, Schiffsregister 833. S c h i f f e , S c h i f f s b e s t a n d 860ff. S c h i f f s p e r s o n a l 863. Schleswig-Holstein, Verfassungsentwicklung 160; neuere Entwicklung seit 18*)3 181 ff.; Einverleibung inu Preußen 189; Ftlrstenstand 985 . S c h l i e ß u n g des Landtages 359; des Bundesrates 486; des Reichstages 511. S c h l u ß s. Schließung. S c h l u ß a k t e , ®Wiener 116. Schöffen, Schöffengericht 433, 465, 466, 601S 729. S c h r i f t f ü h r e r der Landtage 366; des Reichstages 513. S c h u l d e n im allgemeinen 870; der Einzelstaaten 877, 878, 901; des Reiches 913, 914. S c h u l w e s e n 421, 824, 825. S c h u l t h e i ß 434. Schulze 433. S c h u t z g e g e n ü b e r dem Ausl a n d e 952; s. auch Rechtsschutz, strafrechtlicher Schutz. Schutzgebiete209ff.,238; Organisation 557ff.; sind Ausland 238; sind kein Ausland im Sinne des Staatsangehörigkeitsgesetzes 247; Naturalisation in denselben 253; Einfluß der Anstellung in denselben auf die Staatsangehörigkeit 252; Beamten in denselben 580; Gesetzgebung in denselben 719 ff.; Rechtspflege in denselben 732; Etats für dieselben 925, 926. Schutzgenossen 426, 430. S c h u t z g e w a l t 558. S c h u t z t r u p p e n der Schutzgebiete 863 ff. S c h u t z v e r w a n d t e 426, 428.
1063
S c h w a r z b u r g - R u d o l s t a d t und Schwarzburg-Sondershausen, Mitglieder des Rheinbundes 107; des deutschen Bundes 119; des Deutschen Reiches 224; Verfassungsentwicklung 165; Verwaltungsorganisation 462. S c h w u r g e r i c h t e 466, 728. S e e m a n n s ä m t e r 770. S e e s c h i f f a h r t 261, 833. See w a r t e 535, 833. S e e w e h r 836. Seewesen 838. S e k u n d o g e n i t u r 291«, 328. S e l b s t r e g i e r u n g 384. S e l b s t v e r w a l t u n g 384ff. Senate der Freien Städte 466ff.; der Gerichte 735; bayrischer Senat beim Reichsmilitärgericht 868 10 . S e p a r a t i o n e n 466, 732, 827. Seuchenwesen 824. S i c h e r h e i t s p o l i z e i 823. S i t t e n p o l i z e i 826. S i t z u n g s p e r i o d e n der Landtage 359 ff.; des Bundesrates 486 ff.; des Reichstages 511 ff.; des elsaß-lothringischen Landtages 553 S o l d a t e n s t a n d s . Militärpersonen. S o n d e r r e c h t e der Einzelstaaten im Deutschen Reiche 266 ff., 267, 698 ff. S o n d e r g e r i c h t e 781 ff. Souspräf e k t e n in Frankreich 390. S o u v e r ä n i t ä t 5ff., 21 ff.,48ff., 227. S p e z i a l l a n d t a g e für KoburgGotha und Waldeck-Pyrmont 338 S p i e l k a r t e n s t e u e r 913. S p r e n g s t o f f e 828. S t a a t , Begriff und Wesen 8ff.; Staaten des Deutschen Reiches 224. Kommunalsteuerpflicht der Staaten 981. S t a a t e n b u n d 48 . S t a a t e n s t a a t 73ff. Staatenverbindungen 3ff., 41 ff. S t a a t s a n g e h ö r i g k e i t 242, 822. S t a a t s a n l e i h e n 896, 923. S t a a t s a n w a l t s c h a f t 466,539,746. S t a a t s a u s g a b e n , Verweigerungsrecht des Landtags 883, 884ff.; Festsetzung im Etat 889 ff. S t a a t s b e h ö r d e n 269, 381 ff. S t a a t s b e z i r k e 35ff. S t a a t s b ü r g e r r e c h t 242ff., 260. S t a a t s d i e n e r 564ff. S t a a t s e i n n a h m e n , Festsetzung im Etat 889ff., außerordentliche Einnahmen 894 ff. S t a a t s f i s k u s 870. S t a a t s f o r m e n 32ff.
1064
Sachverzeichnis.
S t a a t s f r a g m e n t e 36*. S t a a t s g e b i e t 236ff. S t a a t s g e w a l t 18ff., 31, S t a a t s h a u s h a l t s e t a t s. Etat. S t a a t s l e h r e 55. S t a a t s m i n i s t e r i u m 402ff. S t a a t s n o t r e c h t 30 Anm. d. S t a a t s r a t 404, 544. S t a a t s r e c h t 55ff. Staatsschulden 877, 878, 901. S t a a t s s e k r e t ä r e in den Reichsämtern 535; in Elsaß-Lothringen 533, 534, 808. S t a a t s s e r v i t u t e n 237, 263 16 . Staatsvermögen319,873,907; Veräußerung 884 ff. Staatsverträge 59,263,810 ff., 818f f. S t a a t s w i s s e n s c h a f t 55ff. S t a a t s z w e c k 16 ff. S t ä d t e 65, 408ff., 432ff. S t ä d t e , F r e i e 466ff. Stadtausschuß 450. S t a d t r a t 409, 432. S t a d t v e r o r d n e t e 432. S t a m m s c h i f f e 862. S t a n d a r t e , kaiserliche 501. Stände 982ff. Standesbeamte 821; der fürstlichen Familien 295. S t a n d e s h e r r e n 110, 132, 733, 985; Kammer der Standesherren in Württemberg 341 ff. S t a n d g e r i c h t e 732. S t a t i s t i s c h e s A m t des Deutschen Reiches 535. S t a t t h a l t e r in Elsaß-Lothringen 544, 549 ff., 808. S t a u w e r k e 828. S t e l l v e r t r e t e r des Monarchen 309; der Beamten 615; der Landtagsmitglieder 355; des Reichskanzlers 528 ff., 806. S t e m p e l 877, 912. Steuer 869, 871, 874, 909 ff. S t e u e r b e w i l l i g u n g 880ff., 919ff. S t e u e r f r e i h e i t 981, 984, 991. S t e u e r k l a s s e n 352, 437. S t e u e r p f l i c h t 979 ff. S t e r b e ! ä l l e , Beurkundung derselben 821. S t i m m b e z i r k 352, 508. S t i m m v e r t e i l u n g im Bundesrat 483. S t i m m z e t t e l bei Wahlen 354, 508. S t r a f g e w a l t , kirchliche 1014,1021. S t r a f k a m m e r der Landgerichte 466, 728. S t r a f p r o z e ß 57. S t r a f r e c h t 57. S t r a f r e c h t l i c h e r S c h u t z des
Kaisers 275; des Monarchen 501; des Regenten 316; der Mitglieder von Fürstenhäusern 984; der Beamten 614; der Landtagsmitglieder 380; der Reichstagsmitglieder 522. Strafrechtliches V e r f a h r e n gegen Beamte 792 ff. S t r a f r e c h t s p f l e g e 725, 728ff. S t r a f v e r s e t z u n g 604, 630. S t r a ß e n p o l i z e i 824. S t r o m p o l i z e i 833; Regulierung 828. Streitigkeiten unter Staaten 136. 265, 933 ff. Süddeutsche S t a a t e n , Beziehungen zum Norddeutschen Bunde 203. S ü d w e s t - A f r i k a 210, 562. Sukzeessionsrecht 292. Suspension der Beamten 634. Sustentation der Prinzessinnen 328. S u z e r ä n i t ä t 45. Synagogengemeinden 1004, 1022. System des S t a a t s r e c h t s 59 T a b a k s t e u e r 912. T a g e g e l d e r der Beamten 617; der Landtagsmitglieder 380; der Mitglieder des elsaß-lothringischen Landtages 554. ^ T a g e s m a r k e n 261. T e i l u n g der Gewalten 31«, 146 ff. T e i l u n g e n der Länder 289. T e l e g r a p h e n ä m t e r 536. T - e l e g r a p h e n e i n n a h m e n 908. T e l e g r a p h e n w e s e n 261, 264,833, 834. Territorialrezeß, Frankfurter 117. T h e a t e r 825: T h e o k r a t i e 34. T r ä g e r der Staatsgewalt 19 ff., 272, 273, 473 ff., 548, 559. T h r o n f o l g e 279ff. T h r o n r e d e 364. T h r o n s t r e i t i g k e i t e n 312. T h r o n v e r z i c h t 305ff., 500. T h u m und T a x i s 91, 100, 132. T i t e l der Beamten 614; der pensionierten Beamten 624. Tod des Monarchen 805; der Landtagsmitglieder 357; der Reichstagsmitglieder 510; der Beamten. 620. T o d e s u r t e i l e 734, 735, 748. T o g o g e b i e t 210, 562. T o l e r a n z 963 ff. T o t a l e r n e u e r u n g 356. T r a i n 860. T r i b u n a l e 395. T r i e r , Erzbischof von 79, 80, 100.
Sacherzeichnis. T ü r - und F e n s t e r s t e u e r in Elsaß-Lothringen 927.
1065
für die Instruktionen der Bundesratsvertreter 806 ff.; des Reichskanzlers und seiner Stellvertreter 500, 522ff., 806 ff.; des Statthalters und Staatssekretärs von ElsaßLothringen 808; der Verwaltungsbeamten 792 ff. V e r ä u ß e r u n g des Kammergutes 871, 897; des Staatsvermögens 894; des Reichsvermögens 920, 928. V e r b o t e der Verwaltungsbehörden 758; von Vereinen 992, und Versammlungen 992 ff. V e r b r a u c h s s t e u e r n 876,912,930; Veto des Präsidiums bei Gesetzen und Verordnungen über dieselben 683, 708. V e r b r e c h e r , bestrafte 823, 962. V er eh el ich ungswesen 2662,822. V e r e i n e 388, 823, 992ff. Verfassung 29, 231, 658. V e r f assungsänderungenin den Einzelstaaten 661, 662, 716; im Reiche 688, 689 ff. Verfassungseid s. Eid. V e r f a s s u n g s r e c h t 57, 58. V e r f assungsstreitigkeiten265, 334, 470, 934 ff. V e r f ü g u n g 758. V e r h a f t u n g 823, 956; der Landtagsmitglieder 377ff.; der Reichstagsmitglieder 517 ff. V e r n a n a l u n g e n in den Landtagen 366ff.; im Reichstage 512 ff., V e r j ä h r u n g 39. V e r k e h r s a n s t a l t e n , Verkehrsmittel 832 ff. V e r k e h r s s t e u e r n 874, 875, 912. V e r k e h r s t r u p p e n 860. V e r k o p p e l u n g e n 827. V e r m ö g e n der Staaten 873; des Reiches 907; der Gemeinden 419, 929; des fürstlichen Hauses 319 ff.; Unverletzlichkeit des Vermögens 968. V e r m ö g e n s b e s c h ä d i g u n i en durch den Staat, Pflicht der I nt-
Ü b e r g a n g der Regierung 805ff. Ü b e r n a h m e Ausgewiesener 948ff. Ü b e r n a h m e gewisser Ämter 975, 976. Ü b e r w e i s u n g s s t e u e r n 919. U m z u g s k o s t e n versetzter Beamten 684. U n a b h ä n g i g k e i t der Gerichte 788 ff. U n e h e l i c h e Nachkommen der Fürstenhäuser 294. U n f a l l v e r s i c h e r u n g 884, s. Arbeiterversicherung. U n i o n e n 41 ff. U n i o n s v e r f a s s u n g , Erfurter 176. U n i v e r s i t ä t e n 825. Unschuldig Bestrafte, uns c h u l d i g V e r h a f t e t e , Entschädigung 971. U n t e r r i c h t s a n s t a l t e n 824 ff.; kirchliche 1015. U n t e r r i c h t s w e s e n 824ff.. 998. U n t e r s t ü t z u n g s w o h n s i t z 429, 822, 949, 962. U n t e r s u c h u n g s h a f t der Landtagsmitglieder 877 ff.; der Reichstagsmitglieder 517 ff. Untersuchungskommission 883. U n t e r t a n e n 244, 946ff. U n t e i l b a r k e i t der Staaten 289ff. U n v e r a n t w o r t l i c h k e i t des Kaisers 500; des Monarchen 275; des Regenten 816; der Landtagsmitglieder 870; der Reichstagsmitglieder 516; wahrheitsgetreuer Berichte über Verhandlungen in den Landtagen und im Reichstag 376, 517. U n v e r l e t z l i c h k e i t des Monarchen 275; der Person, der Wohnung und der Papiere 956; des Vermögens 968. U n v o r d e n k l i c h k e i t 39. U r l a u b der Landtagsmitglieder 370; Schädigung 969 ff. der Reichstagsmitglieder 517; der V e r m ö g e n s s t e u e r n 874, 979. Beamten 591, 615; zum Eintritt in V e r m ö g e n s v e r w a l t u n g der den Landtag 350; in den ReichsKirche 1017, 1020, 1021. tag 506. V e r n e h m u n g im Prozeß bei MitU r p r o d u k t i o n e n 828ff. liedern fürstlicher Familien 984; ei Landtagsmitgliedern 374; bei V a g a b u n d e n s. Bettler. Reichstagsmitgliedern 519; der BeVenia a e t a t i s ? Erteilung, s. Groß- amten 593. jährigkeit; bei Mitgliedern von V e r o r d n u n g e n , Begriff 668ff.; in Fürstenhäusern 811. den monarchisch regierten EinzelV e r a n t w o r t l i c h k e i t des Regenstaaten 668 ff.; in den Freien ten 316; der Minister 276, 798ff.; Städten 680; im Reiche 705ff.; in
f
1.066
Sachverzeichnis.
Elsaß-Lothringen 712 ff.; in Militär- V o l k 11. angelegenheiten 843, 848, 849. V ö l k e r r e c h t 57. V e r s a m m l u n g e n 823, 992, 993 ff. V o l k s s c h u l e 824. V e r s e t z u n g der Beamten 604, 633; V o l l j ä h r i g k e i t des Monarchen in Ruhestand 625 ff. 311. V e r s i c h e r u n g s w e s e n 260, 719, V o l l z i e h u n g 29. 720. V o r b e r e i t u n g s d i e n s t 575,585ff. V e r t a g u n g der Landtage 360; des V o r m u n d s c h a f t über den minBundesrates 486; des Reichstages derjährigen Monarchen 817. 511 ; des elsaß-lothringischen Land- V o r s i t z i m B u n d e s r a t 487ff. tages 553. V o t u m ad i m p e r a t o r e m beim V e r t r ä g e , völkerrechtliche 59, 233, Reichshofrat 89. 811, 817 ff. V e r t r a g s m ä ß i g e G r u n d l a g e n W a f f e n g e w a l t 809. des Deutschen Reiches 694 ff. W a f f e n p o l i z e i 823. V e r t r e t e r s. Stellvertreter. W a h l des deutschen Königs 74, 75. V e r w a l t u n g 27, 750ff. W a h l en zum Landtage 344ff.; zum Reichstage 503 ff.; zum elsaß-lothV e r w a l t u n g s a k t e 757ff. Verwaltungsbeamte, Begriff12 ringischen Landtag 553; zum Senat 582; Bef ähigungsnachweis585,586 ; und zur Bürgerschaft in den Freien Städten 468, 469; zu den GemeindeVerhältnis zum Vorgesetzten 513 ff.; Disziplin 601 ff.; Entlassung im organen 437 ff.; zu Bezirkstagen, Disziplinarwege 627 ; Versetzung in Kreistagen und Gemeinderäten in Elsaß-Lothringen 556. Ruhestand 630;. Stellung zur Disposition 631 ; Versetzung 633 ; Sus- W ä h l b a r k e i t , s. Wahlrecht, paspension 634 ; Untersagung der Aussives. übung der Amtsfunktionen 635; W a h l b e z i r k 352. 507. Verantwortlichkeit 792 ff. W a h l k a p i t u l a t i o n 69, 74. Verwaltungsbehörden381,393ff., W a h l k r e i s 352, 507. 522 ff., 766 ff. W a h l l i s t e 355, 508. V e r w a l t u n g s d i e n s t , Erforder- W a h l m ä n n e r "354. nisse 584, 585. W a h l p e r i o d e der Landtage 856; des Reichstages 509; des elsaßV e r w a l t u n g e x e k u t i o n 808, 809. lothringischen Landtages 553. Verwaltungsgerichte 400 ff., Wahlprüfungen in den Landtagen 778 ff. 365; im Reichstage 512. Verwaltungsgerichtsbarkeit 400, 555, 778 ff., 954; in kirchlichen W a h l r e c h t , a k t i v e s , für die Landtage 345 ff.; für den Reichstag Angelegenheiten 1011, 1021, 1022. 504ff.; für den elsaß-lothringischen V e r w a l t u n g s g e r i c h s d i r e k t or Landtag 553; für Gemeindewahlen in Preußen 449. 437; für Bezirkstage, Kreistage und V e r w a l t u n g s h o f in Baden 405. Gemeinderäte in Elsaß-Lothringen V e r w a l t u n g s r e c h t 57. 556. V e r w a l t u n g s s a c h e n 766, 782. V e r w a l t u n g s s c h u l d e n 877, 913. W a h l r e c h t , passives, für die Landtage 845 ff.; für den ReichsVerwaltungsstreitsachen tag 504 ff.; für den elsaß-lothringi766 ff. schen Landtag 553; für GemeindeVerwaltungsverordnungen wahlen 437'fürBezirkstage, Kreis668 ff., 705, 757. V e r w a l t u n g s v e r m ö g e n 843,907. tage und Gemeinderäte m ElsaßLothringen 556. V e r w e i s e als Strafe gegen Beamte W a h l v e r f a h r e n bei Landtags602. wahlen 353 ff.; bei ReichstagsV e r z i c h t auf die Regierung 305ff. wahlen 506 ff. V e r z i c h t e auf den ledigen Anfall W a 1 d e c k, Mitglied des Rheinbundes 293. 107; des deutschen Bundes 119; des V e t e r i n ä r w e s e n 828. DeutschenReiches224;VerfassungsV i c e p r ä s i d e n t der Landtage 365; entwicklung 165,166; Verwaltungsdes Reichstages 513. organisation 462, 463. V i e h z u c h t 828. W a l l f a h r t e n 1015. V i t z t u m 393. W a p p e n , kaiserliches 75, 501. V o g t 393.
Sacherzeichnis. W a r n u n g e n als Strafen gegen Beamte 602. W a r t e g e l d 615, 681. W a s s e r p o l i z e i 828, s. auch Strom* polizei. W a s s e r r e c h t 828. W a s s e r s t r a ß e n 261, 882. W e c h s e l s t e m p e l s t e u e r 912. W e h r p f l i c h t s. Heeresdienst. W e g e 421, 832. W e i b s s t a m m 292. W e i n s t e u e r 909 ia , 912, 913, 928. W e s t f a l e n , Königreich 107, 108, 117. W i d e r s t a n d gegen Beamte 614, 974. W i l h e l m s h a f e n als Reichskriegshafen 863. Wirtschaftliche Verwaltung 826 ff. W i t u 210. W i t w e n der Mitglieder deutscher Fürstenhäuser 328 , 984; der Beamten 620 ff. Witwenund Waisengeldb e i t r ä g e der Beamten 621, 622. W i t w e n k a s s e n 622. W o h l e r w o r b e n e R e c h t e 645, 970. W o h l f a h r t s p o l i z e i 758. W o h n u n g , eindringen in dieselbe 958, 959. W o h n u n g s g e l d z u s c h ü s s e der Beamten 616. W o h n u n g s s t e u e r 874, 927. W o h n r e c h t im Gebiet 951 ff. W ü r t t e m b e r g , Kurwürde 100; Mitglied des Rheinbundes 106; des deutschen Bundes 119; des Deutschen Reiches 224; Verfassungsentwicklung 158; Verwaltungsorganisation 458; Exemtionen von
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der Reichskompetenz 266. 267; Vertretung in den Bunaesratsausschü8sen für Landheer und auswärtige Angelegenheiten 492, 493; eigene Post- und Telegraphenverwaltung 883; und eigene Postwertzeichen 909; Bier- und Branntweinsteuer 916; militärische Stellung 855; Militärgesetzgebung 867; Militärfinanzverwaltung 922. W ü r z b u r g , Großherzogtum 106, 117. Zensur 823, 967. Z e n t r a l b e h ö r d e n 382 , 893 ff., 402 ff. Z e n t r a l g e w a l t , provisorische im Jahr 1848 173. Z e n t r a l i s i e r t e r Staat 35. Z e u g n i s p f 1 i c h t der Abgeordneten 374, 419. Z i g a r r e t t e n s t e u e r 912. Z i r k u m s k r i p t i o n s b u l l e n 1006. Z i v i l k a m m e r n der Landgerichte 465, 728. Z i v i l l i s t e 322. Z i v i l p r o z e ß 57. Z i v i l r e c h t s p f l e g e 725, 769, 770. Z i v i l s t a n d s r e g i s t e r 821. Z ö l l e 264 , 909ff.; Veto des Präsidiums bei Gesetzen und Verordnungen über dieselben 688, 708. Z o l l v e r e i n 170, 204, 205, 910, 911. Z u c k e r s t e u e r 913. Z u g e w a n d t e 94. Z ü n f t e 409, 410, 829, 830. Z u s a m m e n l e g u n g e n 466, 827. Z u s a m m e n r o t t u n g e n 823. Z w a n g s m i t t e l 600, 808, 809. Z w e c k v e r b ä n d e 422. Z w e i k a m m e r s y s t e m 335 ff. Z w i s c h e n h e r r s c h a f t 26.