Unternehmensfinanzierung im Wettbewerb: Die Braunschweigische Staatsbank von 1919 bis 1969 9783110697100, 9783110697223, 9783110697278, 2020939687

An examination of the Braunschweigische Staatsbank’s corporate finance activities yields useful information for further

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen
1. Einleitung
2. Die Geschichte des Staatlichen Kreditwesens im Herzogtum Braunschweig und seine Reform (1765–1919)
3. Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung in der Weimarer Republik (1919–1933)
4. Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit (1933–1948
5. Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)
6. Zusammenfassung und Ausblick
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Personen- und Ortsverzeichnis
Firmenverzeichnis
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Unternehmensfinanzierung im Wettbewerb: Die Braunschweigische Staatsbank von 1919 bis 1969
 9783110697100, 9783110697223, 9783110697278, 2020939687

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Sebastian Knake Unternehmensfinanzierung im Wettbewerb

Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte

 Im Auftrag der Herausgeber des Jahrbuchs für Wirtschaftsgeschichte herausgegeben von Alexander Nützenadel und Jochen Streb

Beiheft 28

Sebastian Knake

Unternehmensfinanzierung im Wettbewerb



Die Braunschweigische Staatsbank von 1919 bis 1969

Von der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth zur Erlangung des Doktorgrades (Dr. Phil.) angenommene Dissertation

ISBN 978-3-11-069710-0 e-ISBN (PDF) ISBN 978-3-11-069722-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-069727-8 Library of Congress Control Number: 2020939687 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Coverabbildung: Original ursprünglich im Werksarchiv Schmalbach-Lubeca, heute verschollen. Abzug: Arbeitskreis Andere Geschichte/Frank Ehrhardt (Hrsg.): Zwischen Madamenweg und Frankfurter Straße, ein Kalender zur Stadtteilgeschichte für das Jahr 1995, Braunschweig 1994, Fundort: Stadtarchiv Braunschweig. Satz: bsix information exchange GmbH, Braunschweig Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

 Für meine Großmutter

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis eines Promotionsvorhabens, das vom Verfasser zwischen 2012 und 2017 an den Universitäten Bielefeld und Bayreuth durchgeführt wurde. Sie wurde von Prof. Dr. Jan-Otmar Hesse (Bayreuth) und apl. Prof. Dr. Christopher Kopper (Bielefeld) begutachtet und am 24. Mai 2017 von der Promotionskommission der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation angenommen. Die Idee zur Erforschung des Aufstiegs der öffentlich-rechtlichen Bankinstitute in Deutschland von 1919 bis 1969 am Beispiel der Braunschweigischen Staatsbank entstand infolge der Sichtung der Archivbestände dieser Bank im Niedersächsischen Wirtschaftsarchiv in Wolfenbüttel. Die Norddeutsche Landesbank und insbesondere die Braunschweigische Landessparkasse haben durch die Übergabe ihrer Archivbestände an ein öffentliches Archiv sowie durch ihre Einwilligung, dass diese Bestände der wirtschaftshistorischen Forschung zugänglich gemacht werden, diese Untersuchung erst ermöglicht. Dabei konnte der Verfasser nicht nur auf einen sehr umfangreichen, sondern auch auf einen außergewöhnlich tiefgehenden Quellenbestand zurückgreifen. Eine Untersuchung der Unternehmensfinanzierung von und durch Banken ist auf die Analyse von Kreditfällen angewiesen und die Einsichtnahme in die Protokolle des Kreditausschusses der Braunschweigischen Staatsbank hat eine solche Analyse ermöglicht. Es wäre zu wünschen, dass diese Offenheit und Transparenz auch andere staatliche Bankinstitute inspirieren würde, sodass die hier begonnene Untersuchung eine Fortsetzung finden kann. Wissenschaftlich betreut wurde die Promotion von Prof. Dr. Jan-Otmar Hesse und apl. Prof. Dr. Christopher Kopper. Jan Hesse hat zunächst entscheidend daran mitgewirkt, dass die Aufarbeitung der Geschichte der Braunschweigischen Staatsbank in Form einer wissenschaftlichen Promotion durchgeführt werden konnte. Er hat daraufhin meine Promotion über die gesamte Bearbeitungszeit hinweg mit wissenschaftlichem Rat und wissenschaftspraktischer Hilfe sowie einem von Zeit zu Zeit notwendigen konstruktiv kritischen Feedback unterstützt und insgesamt entscheidenden Anteil am erfolgreichen Abschluss dieses Vorhabens. Christopher Kopper hat diese Arbeit ebenfalls eng und konstruktiv begleitet und in diesem Zusammenhang seine große Expertise im Bereich der bankhistorischen Forschung in dieses Vorhaben eingebracht. Beiden Gutachtern sei an dieser Stelle ganz herzlich für ihre Hilfe und Unterstützung gedankt. Einen großen Anteil an der erfolgreichen Durchführung dieses Forschungsvorhabens hat das Niedersächsische Wirtschaftsarchiv, das nicht nur bei der Sichtung der Archivbestände äußerst hilfreich war, sondern das Promotionsvorhaben mithilfe eines Stipendiums finanziell unterstützt hat. Dem Leiter des Archivs Brage Bei der Wieden und dem gesamten Team gebührt daher ebenfalls ein herzliches Dankeschön. Ebenso ist der Braunschweigischen Stiftung und dort insbesondere Axel

https://doi.org/10.1515/9783110697223-201

VIII  Vorwort

Richter und Friedemann Schnur zu danken, die dieses Projekt durch Zuwendungen an das Wirtschaftsarchiv finanziell möglich gemacht haben. Sebastian Teupe und Tristan Graefen haben die Arbeit vor der Einreichung kritisch gelesen und kommentiert. Meine Mutter Angelika Knake hat sie korrigiert. Allen dreien ist hier ebenfalls zu danken. Den Herausgebern der Beihefte des Jahrbuchs für Wirtschaftsgeschichte Alexander Nützenadel und Jochen Streb sei dafür gedankt, dass sie diese Untersuchung in ihre Reihe aufgenommen haben. Dem De Gruyter Verlag ist zu danken für das umfangreiche Lektorat. Mein größter Dank gilt jedoch meiner Frau Anjana und meinen Kindern Ronja, Mila und Aaron, ohne deren unendliche Geduld, Unterstützung und Zuspruch dieses Promotionsvorhaben nicht zu seinem hier nun vorliegenden Abschluss gebracht worden wäre.

Inhaltsverzeichnis Vorwort  VII Abkürzungen  XI 1

Einleitung  1

2

Die Geschichte des Staatlichen Kreditwesens im Herzogtum Braunschweig und seine Reform (1765–1919)  17

3

Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung in der Weimarer Republik (1919–1933)  42 „Für den Mittelstand!“ Der Beginn der Unternehmensfinanzierung der Braunschweigischen Staatsbank in der Inflationszeit  43 „Regionale Champions“: die Entwicklung einer wirtschaftspolitischen Industriestrategie der Staatsbank und ihr Scheitern 1924–1929  77 „Die Geister, die ich rief…“: die Staatsbank in der Wirtschaftskrise 1929–1933  131 Zwischenfazit: die Expansion der Unternehmensfinanzierung der Staatsbank in der Weimarer Republik  162

3.1 3.2 3.3 3.4

4 4.1

4.2

4.3

4.4

5 5.1

Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit (1933–1948)  165 Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der „Ostfalenplan“: die Unternehmensfinanzierung der Staatsbank unter der Herrschaft von Dietrich Klagges 1933–1935  166 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“ und der Durchbruch der Staatsbank bei der Industriefinanzierung 1934–1939  206 „Geräuschlose Kriegsfinanzierung?“ Die Unternehmensfinanzierung der Staatsbank im Zweiten Weltkrieg und der unmittelbaren Nachkriegszeit 1939–1948  243 Zwischenfazit: der Aufstieg der Braunschweigischen Staatsbank zum Industriefinanzier im Dritten Reich  264 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)  268 „Auf dem Weg zur Großbank“: die wirtschaftliche und organisatorische Expansion der Braunschweigischen Staatsbank in der Bundesrepublik  269

X  Inhaltsverzeichnis 5.2

5.6

Der Wandel der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank im Spiegel der Kreditausschussprotokolle 1948–1961  287 „Am Zonenrand“: die Kreditexpansion innerhalb des alten Landes Braunschweigs  306 „Banque d’Affaires“: von der Sanierungs- zur Beteiligungspolitik  342 „Hecht im Karpfenteich?“ Der Durchbruch im überregionalen Kreditgeschäft  369 Zwischenfazit: die Staatsbank als „Banque d’Affaires“  396

6

Zusammenfassung und Ausblick  398

5.3 5.4 5.5

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis  410 Quellen- und Literaturverzeichnis:  411 A Quellen  411 B Literatur  416 Personen- und Ortsverzeichnis  429 Firmenverzeichnis  433

Abkürzungsverzeichnis ADCA AGK AKA BdL BFB BfG BKB BMA DAF Danat-Bank DASAG DDP DNVP DSGV DVP ERP EWG EZU FAKA FAMAS GATT GEG IHB IHK IKB LWV IMNOS KfW KGG KWG MeFo MIAG MSPD NAG NIEMO NKK NIÖ Nord/LB NSDAP Öffa

Allgemeine Deutsche Creditanstalt Amme, Giesecke & Konegen Ausfuhr Kredit Aktiengesellschaft Bank deutscher Länder Braunschweigische Finanzierungs-Gesellschaft Bank für Gemeinwirtschaft Braunschweigische Kohlebergwerk AG Braunschweigische Maschinenbauanstalt Deutsche Arbeitsfront Darmstädter und Nationalbank Deutsche Asphalt AG Deutsche Demokratische Partei Deutschnationale Volkspartei Deutscher Sparkassen- und Giroverband Deutsche Volkspartei European Reconstruction Program Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäische Zahlungsunion Fahrzeugwerk Kannenberg Fahrzeug und Maschinenbau Watenstedt GmbH General Agreement on Tariffs and Trade Großeinkaufs-Gesellschaft deutscher Konsumgesellschaften Investitions- und Handelsbank Industrie- und Handelskammer Industriekreditbank Landeswahlverband (Bündnis der bürgerlichen Parteien) Innenministerieller Ausschuss für Notstandsgebietsfragen Kreditanstalt für Wiederaufbau Kreditgarantiegesellschaft Kreditwesengesetz Metallurgische Forschungsgesellschaft Mühlenbau – Industrie AG Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands Nationale Automobil-Gesellschaft Niedersächsische Motorenwerke Norddeutsche Kundenkreditbank Neue Institutionenökonomie Norddeutsche Landesbank Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG

https://doi.org/10.1515/9783110697223-203

XII  Abkürzungsverzeichnis

RKA RLM RWM USPD VEE VeKo VöB

Reichskreditgesellschaft Reichsluftfahrtministerium Reichswirtschaftsministerium Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Vorwohle-Emmertaler-Eisenbahngesellschaft Vereinigte Konservenfabriken Verband öffentlich – rechtlicher Kreditinstitute

1 Einleitung Im Jahr 1968 nannte die „Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen“ in einer Bilanzbesprechung als eine der größten Herausforderungen, denen sich die privaten Großbanken im Wettbewerb mit den öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten gegenübersahen, das Geschäftsmodell der Braunschweigischen Staatsbank: „Auf Grund der besonderen Konstellation der Braunschweigischen Staatsbank […] verdient eine Konzentration im niedersächsischen Raum vermehrte Beachtung, da sie eher als das neu entstehende Mammut-Institut in Nordrhein-Westfalen eine intensivere Konkurrenz für das private Kreditgewerbe darstellen könnte.“1 Diese Erwartungshaltung an die 1970 gegründete Norddeutsche Landesbank erstaunt angesichts der Tatsache, dass die Gründung der Westdeutschen Landesbank ein Jahr zuvor, auf die sich das Zitat bezieht, als eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der deutschen Landesbanken gilt. Die West LB war bei ihrer Gründung die größte Bank Deutschlands. Ihr Gründer Ludwig Poullain gilt bis heute als die zentrale und durchaus umstrittene Figur bei dem Versuch des öffentlichen Kreditwesens Ende der 1960er Jahre in den Wettbewerb mit den privaten Großbanken zu treten.2 Die Zeitschrift hatte allerdings gute Gründe für ihre Einschätzung. Die Braunschweigische Staatsbank besaß auf allen Feldern, in denen die staatlichen Kreditinstitute ab Mitte der 1960er Jahre expandierten, einen großen Erfahrungsvorsprung. Sie stieg bereits in den 1920er Jahren ins Industriekreditgeschäft ein und stand seitdem im Wettbewerb mit den privaten Großbanken. Spätestens seit 1948 war die Staatsbank der größte Industriefinanzier in der Wirtschaftsregion Braunschweig. Zudem hatte das Institut bereits in den 1920er Jahren und verstärkt seit Mitte der 1950er Jahre Anteile an Industrieunternehmen gehalten. 1968 gehörten ihr mehrheitlich etwa ein Dutzend Unternehmen aus Industrie und Handel und zudem sieben weitere Banken, die zum Teil in ganz Deutschland und im Ausland Industrieunternehmen finanzierten. Das Industriekreditgeschäft baute dabei auf einem sehr breiten mittelständischen Kundenstamm auf. Die Staatsbank hatte im Bereich der privaten Unternehmen 1966 fast 20.000 kurzfristige Barkredite mit einem Durchschnittsvolumen von 25.000 DM in ihren Büchern.3 Sie war zudem außerordentlich stabil. Die Bank ist selbst in der Bankenkrise 1931 nicht in Liquiditätsschwierigkeiten gekommen und hat in jedem Jahr ihrer Existenz von 1919 bis 1970 Gewinne ausgewiesen.

1 Braunschweigische Staatsbank – Bilanzbesprechung, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Jg. 1968, Heft 14, S. 33. 2 Steiner, Jürgen, Die geschichtliche Entwicklung der Landesbanken/Girozentralen von 1945 bis zur Gegenwart, in: Mura, Jürgen (Hg.), Die Landesbanken/Girozentralen – historische Entwicklung und Zukunftsperspektiven, Stuttgart 1991, S. 71–96, S. 80 f. 3 Protokoll der 85. Beiratssitzung am 11. Juli 1966, S. 3, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 113. https://doi.org/10.1515/9783110697223-001

2  1 Einleitung

Dass die Braunschweigische Staatsbank ein so großes, diversifiziertes und profitables Geschäft im Bereich der Unternehmensfinanzierung aufbauen konnte, war bei ihrer Gründung im Jahr 1919 noch nicht abzusehen. Die Staatsbank war als Kreditinstitut des Freistaates Braunschweig gegründet worden, der mit etwa 500.000 Einwohnern zu den deutschen Kleinstaaten zählte. Sie folgte der Herzoglichen Leihhausanstalt nach, deren Geschichte bereits 1765 begann. Das Leihhaus war 1914 eine auf landwirtschaftliche Kunden ausgerichtete Hypothekenbank. Die Finanzierung der braunschweigischen Industrie lag dagegen in den Händen regionaler Aktienbanken und Privatbanken. Deshalb hatte auch die Staatsbank zu Beginn ihrer Geschichte weder eine nennenswerte Zahl von Unternehmen als Kunden noch die Strukturen oder das notwendige Personal für eine Forcierung dieses Geschäftsbereiches. Auf die Entwicklung zu einem Herausforderer der Großbanken hatte im Jahr der Gründung des Institutes 1919 noch nichts hingedeutet. Der Aufstieg der Braunschweigischen Staatsbank ist ein interessantes Fallbeispiel, um eine These Knut Borchardts zum Bankwesen auf den Wettbewerb um die Unternehmensfinanzierung anzuwenden. Borchardt hatte in einem Aufsatz mit dem vielsagenden Titel „Das hat historische Gründe…“4 festgestellt, dass die große Vielfalt nationaler Bankensysteme nicht mithilfe ökonomischer Effizienzannahmen zu erklären ist. Am Beispiel der deutschen Sparkassen seit dem 19. Jahrhundert demonstrierte er vielmehr, dass deren Aufstieg durch spezifische historische Konstellationen und Pfadabhängigkeiten bedingt war, deren Untersuchung zur Erklärung des deutschen Bankensystems daher unabdingbar ist. Die Grundannahme, dass sich die Entwicklung nationaler Bankensysteme nur historisch erklären lässt, gilt auch für die Unternehmensfinanzierung durch Banken. Seit Alexander Gerschenkron5 den Banken eine prominente Rolle bei der aufholenden Industrialisierung Deutschlands zugeschrieben hat, gehört die kreditbasierte Unternehmensfinanzierung zu den intensiv untersuchten und kontrovers diskutierten Themen innerhalb der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Dabei haben geschichtswissenschaftliche Untersuchungen in den letzten Jahrzehnten die Thesen Gerschenkrons deutlich relativiert und gezeigt, dass eine allzu deterministische, modellhafte Sichtweise einer historischen Überprüfung nicht standhält.6

4 Borchardt, Knut, „Das hat historische Gründe.“ Zu Determinanten der Struktur des deutschen Kreditwesens unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Sparkassen, in: Henning, Hansjoachim u. a. (Hg.), Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Forschungen und Probleme. Karl Erich Born zur Vollendung des 65. Lebensjahres, St. Katharinen 1987, S. 270–287. 5 Gerschenkron, Alexander, Economic Backwardness in historical Perspective, in: ders. (Hg.), Economic Backwardness in Historical Perspective. A Book of Essays, Cambridge, Mass. u. a. 1962, S. 5– 30. 6 Fohlin, Caroline, Asymmetric Information, Market Power, and the Underpricing of New Stock Issues in Germany 1882–1892, in: Journal of Economic History, Jg. 70 (2010), S. 630–656; Lehmann-Hasemeyer, Sibylle; Streb, Jochen, The Berlin Stock Exchange in Imperial Germany – a Market for New Technology? American Economic Review, Jg. 106 (2016), Nr. 11, S. 3558–3576.

1 Einleitung 

3

Allerdings konzentrierte sich die historische Forschung bisher nahezu ausschließlich auf die großen Aktienbanken, während vor allem die Rolle der öffentlich-rechtlichen Institute und Sparkassen innerhalb der Unternehmensfinanzierung weitgehend im Dunkeln liegt.7 Dies ist umso bemerkenswerter, als dass Sparkassen und Landesbanken heute zusammen fast die Hälfte des Marktes für Unternehmenskredite beherrschen.8 Diese Marktstellung, soviel ist sicher, ist das Ergebnis eines langfristigen historischen Entwicklungsprozesses.9 Zu dessen Erklärung wurden zumindest für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bisher analog zur Gerschenkron-These lediglich allgemeine, teils theoretisch-fundierte Erklärungen herangezogen. Die liberale Position, wie Hans-Werner Sinn10 sie vertritt, erklärt den Aufstieg der staatlichen Banken mit bestimmten Privilegien dieser Institute wie Steuererleichterungen oder der staatlichen Haftung. Die Expansion war demnach das Ergebnis einer politisch gestützten Wettbewerbsverzerrung. Eine zweite Erklärung, die Kontinuitätshypothese, könnte man auch als Gegenposition zum liberalen Standpunkt verstehen. Sie besagt, dass die Expansion vor allem der Sparkassen lediglich eine entsprechende Entwicklung ihrer Kundschaft spiegelte, deren Nachfrage nach Finanzierungen stärker gestiegen ist als die der Kundschaft anderer Banken. Dabei konnten die Sparkassen auch aufgrund ihrer genaueren Ortskenntnis ihre Position als Finanziers dieser Unternehmen verteidigen.11 Ein dritter Ansatz ist die sogenannte Safe-Haven-These, wonach die öffentlichen Banken in Krisen im Unterschied zur Konkurrenz handlungsfähig blieben und daher hauptsächlich in Krisenzeiten ex-

7 Ahrens, Ralf, Kreditwirtschaft im „Wirtschaftswunder“ – Strukturen und Verflechtungen, in: Hockerts, Hans Günter; Schulz, Günther (Hg.), Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer, Paderborn 2016, S. 121–142, S. 125. Diese Diskrepanz wird durch die neuesten Festschriften zum 150jährigen Bestehen der beiden noch existierenden Großbanken weiter verschärft. Vgl. Plumpe, Werner; Nützenadel, Alexander; Schenk, Catherine R., Deutsche Bank. Die globale Hausbank 1870– 2020, Berlin 2020; Ziegler, Dieter; Sattler, Friederike; Paul, Stephan, Hundertfünfzig Jahre Commerzbank 1870–2020, München 2020. 8 Die Sparkassen-Finanzgruppe gibt in einer Veröffentlichung für das Jahr 2018 einen Marktanteil von 41 % am Unternehmenskredit an. Finanzgruppe Deutscher Sparkassen- und Giroverband (Hrsg.), Geschäftszahlen. Zahlen und Fakten 2018, Berlin 2019. Online-Ressource, URL: https:// www.dsgv.de (zuletzt besucht am 13. Mai 2020) 9 So konnte Thorsten Proettel zeigen, dass die württembergischen Sparkassen bereits vor 1914 substantiell zur Finanzierung lokaler industrieller Betriebe beigetragen haben. Proettel, Thorsten, Die Stellung der Sparkassen im Markt für gewerbliche Finanzierungen. Untersuchungen über das Kreditgeschäft der Sparkassen während der Industrialisierung, Stuttgarter historische Studien zur Landes- und Wirtschaftsgeschichte Nr. 29, Ostfildern 2020. 10 Sinn, Hans-Werner, Der Staat im Bankwesen. Zur Rolle der Landesbanken in Deutschland, München 1997. 11 Herrigel, Gary, Industrial Constructions. The Sources of German Industrial Power, Cambridge 1996; Mura, Jürgen, Entwicklungslinien der Sparkassengeschichte, Stuttgart, 1987, S. 34; Schulz, Günther, Die Sparkassen vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Wiedervereinigung, in: Pohl, Hans; Rudolph, Bernd; Schulz, Günther, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Sparkassen im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2005, S. 249–428, S. 366.

4  1 Einleitung

pandierten. Die zusätzliche Handlungsfähigkeit wird von Paul Thomes mit dem bei staatlichen Instituten fehlenden Zwang zur Gewinnerzielung begründet. Dieser Zwang führe bei privaten Instituten in Boomphasen zu einer erhöhten Risikoneigung, die ihnen dann in der Krise Handlungsspielräume nehme. Das Fehlen dieses Zwangs im Zusammenspiel mit der Gemeinwohlorientierung öffentlich-rechtlicher Banken wirkten dagegen restriktiv auf die Risikoneigung öffentlicher Banken.12 Eine historisch-empirische Untersuchung der Unternehmensfinanzierung öffentlich-rechtlicher Banken im 20. Jahrhundert, die diese Thesen verifizieren oder widerlegen könnte, steht bisher noch aus. Dies liegt hauptsächlich daran, dass sich wesentliche Aspekte der genannten Erklärungsansätze nur überprüfen lassen, wenn die Praxis der Kreditvergabe untersucht wird, also die konkreten Kreditbeziehungen zwischen der Bank und ihren Kunden. Eine solche Rekonstruktion von Kreditbeziehungen scheiterte jedoch bisher an der restriktiven Politik der Bankarchive.13 Die Einsicht in die entscheidenden Kreditakten wird in der Regel grundsätzlich verweigert. Ein zweites Problem betrifft die Struktur des öffentlich-rechtlichen Bankwesens. Es gab und gibt noch hunderte von selbstständigen Einzelinstituten mit sehr unterschiedlicher Größe und Geschäftstätigkeit. Zusätzlich ist für die Untersuchung der Kreditbeziehungen auch die Zusammenarbeit zwischen Sparkassen und Landesbanken zu beachten, was das Quellenproblem noch einmal multipliziert. Um trotz dieser Probleme eine historische Untersuchung der Praxis der Unternehmensfinanzierung staatlicher Banken durchführen zu können, bietet sich die Braunschweigische Staatsbank aus drei Gründen besonders an. Erstens reichte der vorgefundene Quellenbestand zu diesem Institut aus, um die Entwicklung der Beziehungen zwischen der Staatsbank und ihren Unternehmenskunden auch in der Praxis zu rekonstruieren. Zweitens kam die Struktur des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens in Braunschweig dem Untersuchungsziel entgegen. Denn es gab im Land Braunschweig keine kommunalen Sparkassen, nur eine Landessparkasse. Diese besaß zudem kein eigenes Kreditgeschäft, sondern überwies die Spareinlagen an die Staatsbank. Somit reichte die Untersuchung der Kreditvergabe der Staatsbank aus, um auf regionaler Ebene die Expansion des gesamten öffentlich-rechtlichen Kreditwesens beobachten zu können. Drittens gehörte die Staatsbank, wie anfangs beschrieben, unter den öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten zu den Pionieren der Unternehmensfinanzierung. Daher konnte für die Untersuchung davon ausgegangen werden, dass die Expansion der Staatsbank nicht lediglich auf Nachahmungseffekten beruhte.

12 Thomes, Paul, The Impact of Crises on the Savings Banks Institutions in Germany, in: Perspectives – The Aftermaths of Crises Savings and Savings Banks. Elements of Stability in Times of Crises?, Bd. 66 (2013), S. 47–61. 13 Ahrens, Ralf, Diskussionsforum: Wege aus der Nische? Die deutsche Bankengeschichte und die Forschungskonjunktur der 1970er Jahre, in: Geld und Kapital Jg. 10 (2007/08): Strukturwandel und Internationalisierung im Bankwesen seit den 1950er Jahren, S. 199–213.

Forschungsstand und historiographische Relevanz der Arbeit 

5

Die Untersuchung der Unternehmensfinanzierung der Staatsbank erscheint deshalb grundsätzlich geeignet, die drei oben genannten Erklärungsansätze für die Expansion des öffentlich-rechtlichen Bankwesens empirisch zu überprüfen. Sie ist zudem von der Hoffnung getragen, Ergebnisse zu generieren, die für die weitere Erforschung der Expansion der Sparkassen und Landesbanken in der Unternehmensfinanzierung hilfreich sind. In einer grundsätzlicheren Perspektive sollen zudem allgemeine Erkenntnisse über die Praxis der Unternehmensfinanzierung durch Banken gewonnen werden, insbesondere in Bezug auf die Frage des Wettbewerbs zwischen Kreditinstituten. Nicht zuletzt bietet die Arbeit tiefgehende und weitreichende Einblicke in die Unternehmensgeschichte der Braunschweigischen Staatsbank und die Wirtschaftsgeschichte des ehemaligen Landes und der Region Braunschweig. Der Aufbau der Arbeit ist chronologisch gehalten. Der Einleitung folgt zunächst eine Übersicht über die Geschichte der Unternehmensfinanzierung im Herzogtum Braunschweig vor dem Ersten Weltkrieg. Das zweite Kapitel behandelt den Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung in der Zeit der Weimarer Republik. Im Mittelpunkt dieses Kapitels steht dabei der Zielkonflikt zwischen Unternehmensund Staatsfinanzierung sowie zwischen der Kreditversorgung des gewerblichen Mittelstandes und dem Industriekredit. Das dritte Kapitel zeichnet den konfliktreichen Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank im Nationalsozialismus nach. Dabei werden die schwerwiegenden politischen Auseinandersetzungen rund um die Staatsbank mit der Ausweitung ihrer Geschäftstätigkeit in Beziehung gesetzt. Im vierten Kapitel werden die Gründe für die nahezu beispiellose Expansion der Staatsbank nach dem Zweiten Weltkrieg eruiert. Dabei spielt die besondere Stellung des Geschäftsgebietes der Staatsbank als Zonenrandgebiet eine Schlüsselrolle. Am Ende werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengefasst und mit den Annahmen der drei oben genannten Thesen verglichen.

Forschungsstand und historiographische Relevanz der Arbeit Der Wert von Untersuchungen historischer Fallbeispiele für die Erklärung der Entwicklung der Unternehmensfinanzierung in Deutschland wurde bereits bei der geschichtswissenschaftlichen Überprüfung mehrerer sozialwissenschaftlicher Großthesen unter Beweis gestellt. So konnten Rudolf Hilferdings14 und Andrew Shonfields15 Thesen von der großen Macht deutscher Aktienbanken durch mehrere unternehmenshistorische Untersuchungen deutlich relativiert und teilweise widerlegt werden. Volker Wellhörner und Harald Wixforth konnten für das Kaiserreich und die Weimarer Republik zeigen, dass die Industrie aufgrund des intensiven Wett14 Hilferding, Rudolf, Das Finanzkapital. Eine Studie über die jüngste Entwicklung des Kapitalismus, Berlin 1910. 15 Shonfield, Andrew, Modern Capitalism. The Changing Balance of Public and Private Power, London; New York 1965.

6  1 Einleitung

bewerbs unter den Großbanken keinesfalls von diesen dominiert wurde.16 Auch Wolfgang Streecks und Martin Höpners17 These, dass die Mitglieder der unter dem Begriff „Deutschland AG“ gefassten Verflechtungsstruktur als „quasi-öffentliche Einrichtungen“ zu verstehen sind, wurde inzwischen größtenteils widerlegt. So konnte ein von Ralf Ahrens, Boris Gehlen und Alfred Reckendrees herausgegebener Sammelband anhand einer Vielzahl von Fallbeispielen zeigen, dass die Entstehung der Deutschland AG wie auch ihrer Vorläufer aus einer betriebswirtschaftlichen Logik heraus sowie mit vielfältigen unternehmensbezogenen historischen Pfadabhängigkeiten erklärt werden kann.18 Außerhalb der finanziell verflochtenen Großunternehmen der „Deutschland AG“ und ihrer Vorgänger gibt es bisher nur wenige empirische Erkenntnisse zur Unternehmensfinanzierung in Deutschland. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass die deutsche Wirtschaft nie großindustriell dominiert war. Vielmehr beschäftigten kleine und mittlere Unternehmen den Großteil der Arbeitnehmer und trugen auch den Großteil der Wertschöpfung.19 Empirische Untersuchungen zur Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen existieren bisher jedoch kaum, weshalb über die historische Praxis der Unternehmensfinanzierung eines Großteils der deutschen Wirtschaft kaum empirisch gestützte Erkenntnisse existieren.20 Im Bereich der Genossenschaften und Sparkassen gibt es unternehmenshistorisch orientierte Untersuchungen zur Unternehmensfinanzierung nur für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Für die ländlichen Genossenschaften haben Timothy W. Guinnane und Frauke Schlütz einige grundlegende Untersuchungen veröffentlicht.21 16 Wellhörner, Volker, Großbanken und Großindustrie im Kaiserreich, Göttingen 1989; Wellhörner, Volker; Wixforth, Harald, Unternehmensfinanzierung durch Banken – Ein Hebel zur Etablierung der Bankenherrschaft? Ein Beitrag zum Verhältnis von Banken und Schwerindustrie in Deutschland während des Kaiserreiches und der Weimarer Republik, in: Petzina, Dietmar (Hg.), Zur Geschichte der Unternehmensfinanzierung, Berlin 1990, S. 11–35; Wixforth, Harald, Banken und Schwerindustrie in der Weimarer Republik, Köln 1995; ders., Industriekredit und Kapitalmarktfinanzierung zwischen Reichsgründung und Weltwirtschaftskrise, in: Bankkredit und Kapitalmarkt: Alternativen der Industriefinanzierung in Deutschland, Bankhistorisches Archiv, Beiheft 40, Stuttgart 2002, S. 15–38. 17 Streeck, Wolfgang; Höpner, Martin, Einleitung: Alle Macht dem Markt, in: dies. (Hg.), Alle Macht dem Markt? Fallstudien zur Abwicklung der Deutschland AG, Frankfurt am Main; New York 2003, S. 11–59, S. 11. 18 Vgl. dazu die Beiträge in diesem Sammelband: Ahrens, Ralf; Gehlen, Boris; Reckendrees, Alfred (Hg.), Die „Deutschland AG“. Historische Annäherungen an den bundesdeutschen Kapitalismus, Essen 2013. 19 Ahrens, Ralf; Gehlen, Boris; Reckendrees, Alfred, Die Deutschland AG als historischer Forschungsgegenstand, in: dies. (Hg.), Die „Deutschland AG“, S. 7–30, S. 9 f. 20 Ahrens, Ralf, Kreditwirtschaft im „Wirtschaftswunder“ – Strukturen und Verflechtungen, in: Hockerts, Hans Günter; Schulz, Günther (Hg.), Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer, Paderborn 2016, S. 121–142, S. 125. 21 Guinnane, Timothy W., Cooperatives as Information Machines: German Rural Credit Cooperatives, 1883–1914, in: Journal of Economic History, Bd. 61, Nr. 2 (2001), S. 366–389; Schlütz, Frauke, Ländlicher Kredit. Kreditgenossenschaften in der Rheinprovinz (1889–1914), Stuttgart 2013.

Forschungsstand und historiographische Relevanz der Arbeit 

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Guinnane erkannte in der räumlichen Nähe und den sozialen Beziehungen zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer eine entscheidende Variable bei der Kreditvergabe. In ländlichen Genossenschaften wurde beispielsweise auch bei mittel- und langfristigen Krediten auf dingliche Sicherheiten in der Regel verzichtet, wenn der Kreditnehmer aus demselben Dorf stammte. Insofern versteht Guinanne die ländlichen Genossenschaften eher als Institutionalisierung eines Teils der sozialen Beziehungen im ländlichen Raum, wobei soziales Kapital in wirtschaftliches Kapital umgesetzt wurde und umgekehrt.22 Frauke Schlütz ergänzte diese Erkenntnisse um den Gedanken, dass auch die Sanktionen bei Zahlungsausfällen über die eigentliche Genossenschaft hinaus in den Bereich der sozialen Beziehungen hineinwirkten. Das lokal gebundene öffentliche Wissen über einen Zahlungsausfall hatte nicht nur finanzielle Konsequenzen. Es bedrohte die soziale Stellung der zahlungsunfähigen Schuldner.23 Sowohl Guinanne als auch Schlütz betonen jedoch, dass ihre Ergebnisse nur für sehr kleine ländliche Kreditgenossenschaften gelten. Die städtischen Schulze-Delischen Volksbanken hatten bereits so viele Mitglieder, dass die Einbettung der Kreditvergabe und Kontrolle in die sozialen Beziehungen nicht mehr praktikabel war.24 Dieser Umstand muss auch bei den ebenfalls im städtischen Umfeld angesiedelten Sparkassen mitbedacht werden. Im Bereich dieser Institute sind in den letzten Jahren ebenfalls zwei Studien für die Zeit vor 1914 erschienen, die ihren Fokus auf die Praxis der Kreditvergabe legen. Johannes Bracht hat die Kreditvergabepraxis der Sparkasse Soest im Ort Borgeln in der Zeit zwischen 1830 und 1866 untersucht.25 Er fand unter anderem heraus, dass die Frage, ob dingliche Sicherheiten für Kredite verlangt wurden, im Wesentlichen von zwei Voraussetzungen abhing. Erstens kam es auf den Rendanten und seine berufliche Einstellung an, andererseits auf die Dauer der Kreditbeziehungen zwischen Sparkasse und Kreditnehmer. Thorsten Proettel hat die Kreditvergabe von württembergischen Sparkassen vor dem Ersten Weltkrieg untersucht. Er konnte dabei eine Annahme widerlegen, die in der Sparkassenhistoriographie meistens unreflektiert übernommen wurde. Er fand heraus, dass Hypothekarkredite oft zur Finanzierung gewerblicher Investitionen genutzt wurden und somit die von ihm untersuchten württembergischen Sparkassen sich bereits vor 1914 substantiell an der Finanzierung der Industrialisierung beteiligt haben.26 Für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg existieren dagegen keine weiteren unternehmenshistorischen Untersuchungen zur Praxis der Unternehmensfinanzierung 22 Guinanne, Information Machines, S. 387. 23 Ebenda, S. 370 f. 24 Guinnane, Timothy W., Delegated Monitors, Large and Small. Germany’s Banking System 1800– 1914, in: Journal of Economic Literature, Bd. 40 (2002), Nr. 1, S. 73–124, S. 91; Schlütz, Ländlicher Kredit, S. 381. Schlütz differenziert noch weiter und weist auf starke Unterschiede auch innerhalb der ländlichen Genossenschaften in diesem Zeitraum hin. Ebenda, S. 411 f. 25 Bracht, Johannes, Mit institutionellem Wissen gegen private Konkurrenz. Zur Kreditvergabe einer deutschen Kleinstadt-Sparkasse, 1830–1866, in: VSWG, Jg. 101 (2014), Nr. 2, S. 139–153. 26 Proettel, Stellung der Sparkassen.

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von Genossenschaften und Sparkassen. Lediglich die Expansion des öffentlichrechtlichen Bankwesens in der Unternehmensfinanzierung selbst wurde durch die Auswertung aggregierter Bankenstatistiken nachvollzogen. Immerhin ließen sich aus diesen Analysen einige überprüfbare Thesen ableiten. So vermutete Margarete Wagner-Braun, dass die Sparkassen mittelständische Kunden in den 1920er Jahren von den Privatbanken und in den 1930er Jahren von den Genossenschaften übernahmen.27 Oliver Konrads stellte für die langen 1950er Jahre fest, dass die Sparkassen durch ihr Beharren auf materieller Sicherung von Krediten ihr Potential für die Finanzierung des Mittelstandes nicht ausgeschöpft hätten.28 In diesem Zusammenhang stellte Hans Pohl die These auf, dass die Expansion der Sparkassen in der Unternehmensfinanzierung in den 1960er Jahren mit einem Wandel in der Bewertung der Kreditwürdigkeit von Unternehmen zusammenhing. Anstatt allein auf materielle Sicherungen zu setzen, bezogen die Institute zunehmend die langfristige Ertragskraft ihrer Unternehmenskunden mit ein.29 Für die Landesbanken ist die empirische Basis noch weitaus schmaler als für die Sparkassen. Es gab bisher nur zwei relevante Arbeiten zu dieser Institutsgruppe, die jedoch die Unternehmensfinanzierung nur am Rande betrachten.30 Immerhin konnte eine der Arbeiten die bis dahin angenommene Chronologie der Unternehmensfinanzierung erweitern. Für gewöhnlich wird der Einstieg der Landesbanken in die Unternehmensfinanzierung ab Mitte der 1960er Jahre angenommen.31 Die Aufnahme dieses Geschäftes wird dabei hauptsächlich als Folge eines zunehmenden Anlageund Renditedrucks verstanden. Die Sparkassen legten demnach immer größere Liquiditätsguthaben bei den Landesbanken an, was zu einem zunehmenden Anlagedruck führte. Es gab also ein Missverhältnis zwischen den Einlagenbeständen und den Anlagemöglichkeiten innerhalb der Sparkassenorganisation. Hinzu kam ein 27 Wagner-Braun, Margarete, Kreditgenossenschaften und Sparkassen im Wettbewerb während der Weimarer Republik, in: Beiträge zur Genossenschaftsgeschichte Teil 1: Genossenschaften und Sparkassen aus historischer Sicht – Ursprünge, Entwicklungen, Perspektiven, hrsg. vom Historischen Verein bayerischer Genossenschaften e. V. München 2003, (Schriftenreihe zur Genossenschaftsgeschichte Bd. 6), S. 18–37; dies., Grundlinien der Mittelstandsfinanzierung 1870 bis 1945, in: Bankhistorisches Archiv, Jg. 29 (2003), S. 75–98. 28 Konrads, Oliver, Die Mittelstandsförderung der Sparkassenorganisation – Anspruch und Wirklichkeit. Eine Analyse der Jahre 1948–1963 unter Beachtung von Wettbewerbsaspekten, Frankfurt a. M. u. a. 2007. 29 Pohl, Hans, Die Sparkassen und die mittelständische Wirtschaft seit dem 19. Jahrhundert, in: Vorträge zur Sparkassengeschichte, hrsg. von der Gesellschaft für westfälische Wirtschaftsgeschichte, Dortmund 1994, S. 21–42, S. 34 f. 30 Bähr, Johannes; Decroll, Axel; Gotto, Bernhard, Die Geschichte der Bayern LB, München; Zürich 2009; Fischer, Albert, Die Landesbank der Rheinprovinz. Aufstieg und Fall zwischen Wirtschaft und Politik, Köln u. a. 1997. 31 Ahrens, Kreditwirtschaft, S. 125; Decroll, Axel, Die 1960er Jahre, die Fusion und die Entwicklung der Bayerischen Landesbank 1960–2005, in: Bähr; Decroll; Gotto, Die Geschichte der Bayern LB, S. 242f; Pohl, Hans, West LB. Von der Hülfskasse von 1832 zur Landesbank, Düsseldorf; Münster 1982, S. 229; Steiner, Landesbanken S. 79.

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Rückgang der Zinsspanne durch den intensiveren Wettbewerb seit der Freigabe der Zinsen 1967.32 In diesem Zusammenhang zeigte jedoch die Untersuchung der Bayern LB, dass eine ihrer Vorgängerinnen bereits in den frühen 1920er Jahren Unternehmen finanziert hatte. Die kürzlich erschienene Geschichte des öffentlichen Bankwesens im braunschweigischen Land, zu dem der Verfasser der vorliegenden Untersuchung die Geschichte der Braunschweigischen Staatsbank beigetragen hat, konnte die Vorstellung des späten Einstiegs noch deutlicher revidieren.33 Die vorliegende Arbeit ist für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sowohl im Bereich der Sparkassen als auch der Landesbanken die erste Arbeit, die die Praxis der Unternehmensfinanzierung dieser Institute untersucht. Sie leistet daher auf diesem Gebiet Pionierarbeit. Nicht zuletzt soll diese Arbeit über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitragen, die Praxis der Kreditvergabe öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute und ihre politischen Bedingungen besser zu verstehen.

Theorie, Methodik und Quellen Die drei am Anfang genannten Erklärungsansätze zur Expansion der öffentlichen Kreditinstitute in der Unternehmensfinanzierung sind auf unterschiedliche Weise wirtschaftstheoretisch fundiert. Die Thesen Hans-Werner Sinns und der Monopolkommission der Bundesregierung34 zur wettbewerbsverzerrenden Wirkung staatlicher Privilegien basieren direkt auf den Grundannahmen der neoklassisch-liberalen Wirtschaftstheorie. Danach ermöglicht die staatliche Haftung den öffentlichen Kreditinstituten, trotz geringem Eigenkapital eine hohe Bonität und damit geringe Refinanzierungskosten zu erzielen.35 Dadurch sind die Institute in die Lage versetzt, vergleichsweise günstigere Kreditkonditionen anzubieten. Gleichzeitig ermöglicht die staatliche Haftung auch das Eingehen höherer Risiken. Beide Faktoren zusammen führten letztlich zu einer Verdrängung privater durch staatliche Kreditinstitute. Dieser „Crowding Out“-Effekt ist mit volkswirtschaftlichen Wohlfahrtsverlusten verbunden.36 32 Decroll, Die 1960er Jahre, S. 242. Steiner, Landesbanken, S. 80 f. 33 Vgl. dazu: Knake, Sebastian, Zwischen Ideologie und regionaler Verantwortung. Die Entwicklung der Braunschweigischen Staatsbank und der Braunschweigischen Landessparkasse unter dem Staatsbankgesetz (1919–1970), in: Hagebölling, Lothar (Hg.), Vom Leyhaus zur Sparkasse. Das öffentliche Bankwesen im Braunschweigischen Land (1765–2015), S. 511–830. 34 IX. Hauptgutachten der Monopolkommission 1990/1991, Drucksache 12/3031, Deutscher Bundestag, 12. Wahlperiode, Bonn 1992, S. 26. 35 Vgl. Sinn, Staat im Bankwesen, S. 34–58. 36 Hans-Werner Sinn selbst weist den volkswirtschaftlichen Effizienzverlust mithilfe eines ökonomischen Modells nach: ebenda, S. 99–104. Inzwischen wurde der Verdrängungseffekt durch öffentliche Unternehmen auch empirisch untersucht, allerdings überwiegend in Schwellenländern. Vgl. etwa Cevik, Serhan, You are suffocating me! Firm-Level Evidence on Crowding-Out, IMF Working Paper No. 19/80, April 2019 und die dort angegebene Literatur.

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Der zweite Ansatz erklärt die Expansion öffentlicher Banken mit dem Wachstum der von ihnen finanzierten Unternehmen. Er wird seit einigen Jahren zunehmend institutionenökonomisch fundiert. Die Grundannahme der institutionenökonomischen Bankentheorie ist die Existenz von Informationsasymmetrien zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer. Douglass Diamond erklärt die Existenz von Finanzintermediären damit, dass es für die Besitzer von Kapital in bestimmten Fällen effizienter ist, die Vergabe und Überwachung von Krediten an spezialisierte Organisationen zu delegieren. Dies gilt in der Theorie immer dann, wenn die dadurch eingesparten Transaktionskosten höher liegen als der durch die Delegation entgangene Gewinn. Dieser besteht aus der Differenz zwischen dem von der Bank erzielten Kreditzins und dem an den Kapitalgeber gezahlten Einlagenzins.37 Wie Joseph Stiglitz und Andrew Weiss theoretisch bewiesen haben, kann Marktversagen jedoch auch dann auftreten, wenn ausschließlich Finanzintermediäre Kredite vergeben.38 Dies liegt an der doppelten Funktion des Zinssatzes. Mit der Höhe des Zinses steigen einerseits die Einnahmen, andererseits signalisiert ein hoher Zins jedoch auch ein erhöhtes Kreditrisiko. Die Profitabilität einer Kreditbeziehung steigt also nicht proportional zum Zinssatz, sondern erreicht an einem bestimmten Punkt ein Maximum, ab dem der Nutzen für den Finanzintermediär wieder sinkt. Die Folge ist eine adverse Selektion seitens des Kreditinstitutes, die die Wirksamkeit des Marktmechanismus behindert.39 Wenn die Nachfrage nach Krediten steigt und damit der Preis, den die Kreditnehmer bereit sind zu zahlen, führt dies nicht notwendigerweise zu einer Ausweitung der Kreditvergabe, sondern kann im Gegenteil zu einer Kreditrationierung führen, die Wohlfahrtsverluste zur Folge hat. Die adverse Selektion kann einerseits über die Verschärfung der Sicherungsanforderungen erfolgen. Hier nehmen Stiglitz und Weiss an, dass wohlhabende Marktteilnehmer in Bezug auf den einzelnen Kredit risikoaffiner sind als weniger wohlhabende, weil sie im Falle des Scheiterns nicht ihr gesamtes Vermögen verlieren. Anstatt das Risiko zu verringern, kann eine Verschärfung der Sicherungsvorschriften daher das Risiko für die Bank sogar erhöhen.40 Der zweite adverse Selektionsmechanismus bezieht sich auf die Verfügbarkeit von Informationen. Finanzintermediäre vergeben Kredite demnach bevorzugt an Kreditnehmer, bei denen die Kosten der Beschaffung von kreditrelevanten Informationen am geringsten sind. Diese Selektion führt zu Wohlstandsverlusten, wenn die Investitionen, die durch hohe Informati-

37 Diamond, Douglas W.; Financial Intermediation and delegated Monitoring, in: Review of Economic Studies, Bd. 51 (1984), Nr. 3, S. 393–414. 38 Stiglitz, Joseph E.; Weiss, Andrew, Credit Rationing in Markets with imperfect information, in: American Economic Review, Bd. 71 (1981), Nr. 3, S. 393–410. 39 Vgl. zur adversen Selektion: Akerlof, George A., The Market for „Lemons“. Quality Uncertainty and the Market Mechanism, in: The Quarterly Journal of Economics, Bd. 84, (1970), Nr. 3. S. 488– 500. 40 Stiglitz; Weiss, Credit Rationing, S. 393.

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onsasymmetrien verhindert wurden, profitabler gewesen wären als die tatsächlich finanzierten.41 Überträgt man diese Erkenntnisse auf die Frage des Wettbewerbs zwischen Kreditinstituten, so wird der Konkurrenzkampf auch über den Zugang zu kreditrelevanten Informationen entschieden. Und hier lassen sich unternehmerische Strategien entwickeln, die der neoklassischen Rationalität durchaus entgegenstehen. Eine dieser Strategien ist in der Literatur unter dem Begriff „Relationship Lending“ bekannt. Diese Strategie basiert auf der Annahme, dass das Eingehen langfristiger und umfassender Geschäftsbeziehungen die zentrale Grundlage zum Abbau hoher Informationsasymmetrien bildet. Mitchell Petersen und Raghuram Rajan konnten empirisch nachweisen, dass in Regionen, in denen nur wenige Banken aktiv waren, die Versorgung von kleinen und mittleren Unternehmen zu vergleichbaren Konditionen besser war als in Regionen, in denen der Wettbewerb zwischen Banken besonders intensiv ausgetragen wurde. Sie erklärten dies mit den unterschiedlichen Möglichkeiten zur Realisierung des sogenannten „intertemporalen Margenausgleichs“ also der Möglichkeit, die anfangs hohen Transaktionskosten durch die Einnahmen im Laufe einer langfristigen Kreditbeziehung zu kompensieren.42 In Regionen mit hoher Wettbewerbsintensität wäre dieser Margenausgleich nicht möglich, weil die erfolgreiche Kreditvergabe die Kredithistorie des betreffenden Unternehmens erhöhen würde, womit die Transaktionskosten für alle Wettbewerber sinken würden. Das zentrale Problem ist hier also die Nichtausschließbarkeit von Wettbewerbern und damit die Unmöglichkeit zur Erzielung von Monopolrenten. Deshalb werden zumindest in regionaler Perspektive Monopol- oder Oligopolstrukturen im Bankwesen als Voraussetzung für den Abbau hoher Informationsasymmetrien angesehen.43 Eine Alternative dazu ist die Existenz von Instituten, die dem Zwang zum intertemporalen Margenausgleich teilweise entzogen sind. Insofern bieten die hier im Überblick dargestellten Überlegungen eine theoretische Basis zur Rechtfertigung von Staatseingriffen in das Kreditwesen, mithin der Existenz öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute. Der Relationship-Lending-Ansatz wurde daher in den letzten Jahren verstärkt zur Erklärung der großen Bedeutung der deutschen Sparkassen für die Unternehmensfinanzierung herangezogen.44 41 Ebenda, 402–205. 42 Petersen, Mitchell A.; Rajan, Raghuram G.; The Benefits of Lending Relationships. Evidence from Small Business Data, in: The Journal of Finance, Bd. 49 (1994), Nr. 1, S. 3–37; dies., The Effect of Credit Market Competition on Lending Relationships, in: The Quarterly Journal of Economics, Bd. 110 (1995), Nr. 2, S. 407–433. 43 Chang, Yoonhee Tina, Relationship Banking in Bilateral Oligopoly and Asymmetric Information, in: CCR, Norwich 2004, S. 14. 44 Baas, Timo; Schrooten, Mechthild, Theoretische Analyse der Gewinnsituation im deutschen Bankensektor. Kreditvergabestrategie sichert Sparkassen und Kreditgenossenschaften Vorteile, DIW Discussion Papers Nr. 502, Berlin 2005; Gärtner, Stefan, Sparkassen als Akteure der regionalen Strukturpolitik. Sind sie in strukturschwachen Gegenden hinreichend erfolgreich?, in: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie, Jg. 53 (2009), Nr. 1–2, S. 14–27.

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Auch für die Safe-Haven-These lassen sich Anknüpfungspunkte innerhalb der institutionenökonomischen Bankentheorie finden. Dies gilt insbesondere für den Zusammenhang zwischen Kreditgeschäft und Einlagengeschäft. Douglas Diamond und Philip Dybvig erklären die Existenz von Banken hauptsächlich mit der von diesen Instituten geleisteten Fristentransformation. Indem sie langfristige Anlagen in kurzfristige Einlagen umwandeln, verringern sie das Liquiditätsrisiko ihrer Kunden, allerdings auf Kosten eines erhöhten Liquiditätsrisikos bei den Banken selbst.45 Als Lösung dieses Problems werden neben und in Konkurrenz zu institutionellen Eingriffen wie der staatlichen Einlagensicherung auch unmittelbar ökonomische Anreize diskutiert, die Banken davon abhalten, zu hohe Risiken einzugehen. Ein zentraler Aspekt ist dabei die Reputation der Bank. Aus der Perspektive des Besitzers von Bankeinlagen dient die Reputation als Ersatz für die fehlende Möglichkeit, das Risiko des Kreditportfolios einer Bank einschätzen zu können. Die Bank wiederum profitiert von einer hohen Reputation in Form geringerer Refinanzierungskosten. Um diesen Vorteil nicht zu verlieren, wird die Bank ihr Kreditportfolio so wählen, dass die Risiken ihre Reputation nicht gefährden. Eine hohe Reputation wirkt dadurch dem Anreiz entgegen, die geringeren Refinanzierungskosten zur kurzfristigen Gewinnmaximierung zu nutzen.46 Paul Thomes erklärt die Entwicklung der deutschen Sparkassen zu sicheren Häfen privater Geldanlagen analog dazu mit dem historischen Aufbau einer entsprechenden Reputation. Systematisch begünstigt wurde diese Entwicklung Thomes zufolge durch den fehlenden Zwang zur Gewinnmaximierung, der sich aus der Gemeinwohlorientierung der Institute ergibt. Dieses Prinzip erleichterte den Sparkassendirektoren die Entscheidung, die reputationsbedingten Vorteile bei den Refinanzierungskosten zu nutzen, um die Kreditrisiken weiter zu senken und damit in den weiteren Ausbau der Reputation zu investieren.47 Diese Vorstellung wird zumindest vordergründig gestützt durch die Theorie der öffentlichen Unternehmung48 und auch von geschichtswissenschaftlichen Erkenntnissen49 über diese Unternehmens45 Diamond, Douglas W.; Dybvig, Philip H., Bank runs, deposit insurance and liquidity, Journal of Political Economy Bd. 91 (1983), Nr. 3, S. 401–419. 46 Boot, Arnout W.; Greenbaum, Stuart, Bank regulation, reputation and rents: theory and policy implications, in: Mayer, Colin; Vives, Xavier (Hg.), Capital markets and Financial Intermediation, Cambridge 1993, S. 262–291. 47 Thomes, Impact of Crises. 48 Vgl. dazu Thiemeyer, Theo, Gemeinwirtschaftlichkeit als Ordnungsprinzip. Grundlegung einer Theorie gemeinnütziger Unternehmen, Volkswirtschaftliche Schriften, Nr. 146, Berlin 1970 sowie die folgenden beiden Sammelbände: Eichhorn, Peter; Engelhardt, Werner Wilhelm (Hg.), Standortbestimmung öffentlicher Unternehmen in der Sozialen Marktwirtschaft, Schriftenreihe der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft, Nr. 35, Baden-Baden 1994; Friedrichs, Peter (Hrsg.), Beiträge zur Theorie öffentlicher Unternehmen, Beihefte zur Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Nr. 14, Baden-Baden 1992. 49 Ambrosius, Gerold, Der Staat als Unternehmer. Öffentliche Wirtschaft und Kapitalismus seit dem 19. Jahrhundert, Göttingen 1984; ders., Hybride Eigentums- und Verfügungsrechte. Öffent-

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gruppe. Diesen Untersuchungen zufolge lassen sich öffentliche Unternehmen nicht auf betriebswirtschaftliche Ziele reduzieren. Vielmehr sind sie durch besondere Zielkonflikte gekennzeichnet, die zwischen betriebswirtschaftlichen und gemeinnützigen Zielen, aber auch zwischen einzelnen gemeinwirtschaftlichen Zielen auftreten können.50 Welche gemeinnützigen Ziele öffentliche Unternehmen generell verfolgen und welche Ziele in der unternehmerischen Praxis dominieren, ist dabei vom konkreten unternehmenshistorischen Kontext abhängig. Die historische Rekonstruktion des politischen Aushandlungsprozesses der Unternehmensziele ist deshalb die Voraussetzung dafür, das Handeln und die Entscheidungen öffentlicher Unternehmen generell zu verstehen. Gerold Ambrosius nimmt zwar an, dass die konkreten politisch-historischen Zielbildungsprozesse in öffentlichen Unternehmen durch die allgemeinen Wert- und Ordnungsvorstellungen geprägt wurden, die zu dieser Zeit dominierten. Sie determinierten diesen Prozess jedoch nicht, weshalb eine dogmenhistorische Perspektive zur Bestimmung gemeinnütziger Unternehmensziele nicht ausreicht.51 Ein weiteres grundlegendes Problem ist die Übersetzung formaler Unternehmensziele in die unternehmerische Praxis. Formale gemeinnützige Ziele wie zum Beispiel die Mittelstandsförderung wirken auf konkrete unternehmerische Entscheidungen ähnlich wie ordnungspolitische Dogmen auf die Formulierung von Unternehmenszielen. Sie beeinflussen den Entscheidungsprozess, determinieren ihn jedoch nicht. Dabei gilt: Je abstrakter ein Ziel formuliert wird, desto geringer ist seine Wirkung auf konkrete Entscheidungsprozesse. Bereits Renate Mayntz hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die tatsächlichen Organisationsziele nicht mit den formal in Satzungen oder Statuten festgelegten übereinstimmen müssen.52 Der Prozess der Aushandlung von Unternehmenszielen ist in diesem Sinne kein Prozess, der mit ihrer formalen Formulierung abgeschlossen ist. Er ist vielmehr dynamisch zu verstehen. Zudem determiniert er die unternehmerischen Entscheidungen nicht, sondern steht vielmehr mit diesen in Wechselwirkung. Die Ziele des Unternehmens können sich also durch die unternehmerische Praxis verändern. Anders als bei den ersten beiden Ansätzen lassen sich allein aus der Gemeinwohlorientierung öffentlicher Banken daher keine allgemeinen Annahmen über die Praxis der Unternehmensfinanzierung ableiten. In diesem Sinne sind Erklärungsansätze, die die Gemeinwohlorientierung allgemein als Ursache für den Aufstieg der öffentlichen Banken in Deutschland in den Mittelpunkt stellen, kritisch zu betrachten. Dazu gehören auch die Thesen von Paul Thomes. Thomes erklärt die Expansion lich-private Kooperationen in systematisch-theoretischer und historisch-empirischer Perspektive, Berlin 2012. 50 Thiemeyer, Gemeinwirtschaftlichkeit, S. 201. 51 Ambrosius, Gerold, Die historisch wirksamen Kräfte bei der Entwicklung öffentlicher Unternehmen. Deutschland im internationalen Vergleich, in: Eichhorn; Engelhardt (Hg.): Standortbestimmung, S. 199–216. 52 Mayntz, Renate, Soziologie der Organisation, Reinbek 1963, S. 58.

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öffentlicher Banken mit ihrer vergleichsweise größeren Handlungsfähigkeit in Krisensituationen. Die Handlungsfähigkeit wird wiederum durch einen Verzicht auf gewinnmaximierendes Verhalten abseits von Krisen erzielt.53 Es lassen sich jedoch auch Konstellationen vorstellen, in denen riskante Kreditentscheidungen gerade im öffentlichen Interesse getätigt werden. Insofern ist es nicht der bloße Verzicht auf eine gewinnmaximierende Geschäftsstrategie, der zu einer risikoarmen Kreditvergabe führt. Es ist vielmehr die Dominanz der Einlagensicherheit über alle anderen – auch gemeinnützigen – Ziele, die eine solche Strategie erklären könnte. In dieser Untersuchung wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass die Braunschweigische Staatsbank neben einem Rentabilitätsziel auch gemeinnützige Ziele verfolgt hat. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die ersten beiden Erklärungsansätze irrelevant sind. Vielmehr wird hier die historische Bedingtheit der Erklärungskraft aller drei aufgeführten Erklärungsansätze betont. Es wird demnach nicht davon ausgegangen, dass einer dieser Ansätze die Praxis der Unternehmensfinanzierung der Braunschweigischen Staatsbank über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg allein erklären kann. Die Untersuchung der Unternehmensfinanzierung der Braunschweigischen Staatsbank soll dazu beitragen, die drei Erklärungsansätze empirisch zu überprüfen. Dazu werden im Folgenden Überlegungen angestellt, wie sich die theoretisch fundierten Erklärungsansätze zu einer – idealtypischen – Praxis der Kreditvergabe operationalisieren lassen. Im neoklassisch-liberalen Ansatz würde eine öffentliche Bank ihre finanziellen Vorteile gewinnmaximierend einsetzen. Sie würde dabei um die lukrativsten Kreditengagements konkurrieren und dank ihrer Privilegien günstigere Konditionen anbieten als ihre privaten Wettbewerber. Im Sinne von betriebswirtschaftlichen „Produktionskosten“ sind Großkredite deutlich lukrativer als Kleinkredite, die damit zusammenhängenden größeren Risiken würden zudem aufgrund der staatlichen Haftung weniger ins Gewicht fallen. Daher wäre zu erwarten, dass eine öffentliche Bank in erster Linie auf diesem Gebiet ihre finanziellen Vorteile ausspielen würde. Gleichzeitig würde sie die Opportunitätskosten existierender Kreditengagements laufend überprüfen und weniger rentable Kreditverbindungen regelmäßig kündigen. In der Praxis der Kreditvergabe würden sich diese Annahmen in einem intensiven Konditionenwettbewerb um Großkredite, einer relativen Vernachlässigung von Kleinkrediten sowie einer relativ hohen Rate von Kreditkündigungen niederschlagen. Eine regionale Beschränkung der Geschäftstätigkeit der Bank würde lediglich den Einsatz ihrer Privilegien regional beschränken und ihre Gewinne mindern. Gemäß dem Relationship-Lending-Ansatz würden öffentliche Banken dagegen die ihnen auferlegten Beschränkungen dazu nutzen, ihre Informationsakquise auf den Bereich zu konzentrieren, der keinen Beschränkungen unterliegt. Dadurch erreichen sie einen Informationsvorsprung gegenüber unbeschränkt agierenden Banken und können diesen einsetzen, um Unternehmen bei Wahrung ihrer Profitabilität zu 53 Thomes, Impact of Crises, S. 59.

Theorie, Methodik und Quellen

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finanzieren, die sonst keine Finanzierung bekommen hätten. Von der Akquise neuer Kreditbeziehungen dürften daher tendenziell Unternehmen profitieren, deren finanzielle Lage nicht einfach zu ermitteln ist und die nur vergleichsweise geringe materielle Sicherheiten stellen können. Dies gilt einerseits für kleine und auch für junge Unternehmen, andererseits für Unternehmen, die sich in einer Krise befinden. Da die Banken bei der Neuakquise weitgehend konkurrenzlos sind, würde eine gewinnorientiert arbeitende Bank in diesen Fällen Konditionen anbieten, die über den marktüblichen liegen. Bei einer erfolgreichen Entwicklung der finanzierten Unternehmen dagegen verlieren die betreffenden Banken langsam ihren Informationsvorsprung. Sie müssen daher marktübliche Konditionen anbieten. Zu erwarten ist deshalb eine passive Stellung der öffentlichen Banken im Wettbewerb, in dem sie ihre Konditionen an die der Konkurrenz anpassen. Die Übersetzung von Thomes Safe-Haven-These in die Praxis der Unternehmensfinanzierung führt zu einer Kreditvergabe, bei der öffentliche Banken im Wettbewerb mit den privaten Banken ihre Kreditkonditionen nicht anpassen und dabei in Kauf nehmen, Unternehmen als Kunden zu verlieren. Diese Zurückhaltung macht sie in Wirtschaftskrisen weniger anfällig für Kreditausfälle. In der Krise fließen ihr deshalb Einlagen zu, die von den anfälligeren privaten Banken abgezogen wurden. Die zusätzliche Liquidität können die öffentlichen Banken dann einsetzen, um den krisenbedingten Ausfall der privaten Banken als Unternehmensfinanziers teilweise zu kompensieren. Demnach expandieren öffentliche Banken hauptsächlich in Krisen. Insofern sind die Geschäftsstrategien öffentlicher Banken je nach Erklärungsansatz nahezu gegensätzlich. Im ersten Fall würde eine öffentliche Bank ihre staatlichen Privilegien einsetzen, um in einen aktiven Konditionenwettbewerb um die lukrativsten Kunden einzusteigen. Sie würde also in der Tendenz große, etablierte und profitable Unternehmen als Neukunden gewinnen. Kleine, junge oder kriselnde Unternehmen würde sie dagegen eher abstoßen. Im zweiten Fall würde sie umgekehrt eher kleine, junge oder in die Krise geratene Unternehmen akquirieren. Große, etablierte und profitable Unternehmen würde sie dagegen lediglich versuchen zu halten. Im dritten Fall sollte sie auf die Anpassung an die Marktbedingungen weitgehend verzichten, sodass sich die Kreditvergabe hier tendenziell außerhalb des Wettbewerbs vollziehen würde. Diese idealtypischen Annahmen zeigen bereits, dass es für die empirische Überprüfung der drei Erklärungsansätze unabdingbar ist, die Praxis der Kreditvergabe der Braunschweigischen Staatsbank im Einzelfall zu untersuchen. Erstens ist es nur so möglich, die Dauer von Kreditbeziehungen zu ermitteln. Außerdem ist nur so zu überprüfen, bei welchen Kreditverhältnissen die Staatsbank im Wettbewerb mit anderen Banken stand und ob eine Wettbewerbssituation Einfluss auf die Konditionen der Kreditvergabe hatte. Hat die Staatsbank aktiv Unternehmen durch günstige Konditionen von privaten Konkurrenten abgeworben, hat sie lediglich defensiv ihre Konditionen an die ihrer Wettbewerber angepasst, um ihre Kunden zu halten, oder

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hat sie diese gar nicht angepasst und die Abwanderung von Unternehmen in Kauf genommen? Um diese Fragen für die Braunschweigische Staatsbank zu beantworten, steht ein für den untersuchten Zeitraum bisher einzigartiger Quellenkorpus zur Verfügung. Dessen Entstehung hängt mit den 1919 festgelegten, sehr restriktiv gefassten formalen Grundsätzen der Kreditvergabe der Staatsbank zusammen. Um überhaupt Unternehmensfinanzierung betreiben zu können, wurden diese Kriterien von Beginn an umgangen, wozu eigens eine legale Möglichkeit zur Abweichung von diesen Grundsätzen geschaffen wurde. Seit 1936 musste jede von den Grundsätzen abweichende Kreditvergabe einzeln vom zentralen Aufsichtsgremium – dem Beirat – genehmigt werden. Aufgrund der Vielzahl von Fällen delegierte der Beirat diese Aufgabe 1948 an einen Kreditausschuss. Die Protokolle dieser beiden Gremien sowie ihrer Vorgängerinstitutionen sind deshalb so wertvoll für die vorliegende Untersuchung, weil die Abweichung von den formalen Grundsätzen von der Unternehmensleitung erläutert werden musste. Diese Begründungen lassen sich daher zusammen mit den Kreditkonditionen systematisch analysieren. Ergänzt werden die Quellenbestände durch die Auswertung von Korrespondenzen insbesondere zwischen der Staatsbankführung und der jeweiligen Aufsichtsbehörde sowie interne Quellen auf beiden Seiten. Dazu wurden neben den Beständen der Braunschweigischen Staatsbank auch Archivmaterialien des Braunschweigischen Staatsministeriums, des Berliner Reichswirtschaftsministeriums und des Niedersächsischen Finanzministeriums ausgewertet. Diese Zusammenstellung des Quellenmaterials ermöglicht neben der genannten systematischen Analyse der genehmigungspflichtigen Kredite auch die Untersuchung aller Kapitalbeteiligungen der Staatsbank. Vor allem jedoch wird dadurch die Analyse der Wechselwirkung zwischen der Praxis der Unternehmensfinanzierung und dem politischen Zielbildungsprozess möglich. Dieser vollzieht sich im Spannungsfeld zwischen den formalen Grundsätzen der Kreditvergabe, der Praxis der Unternehmensfinanzierung und den Interessen der zum jeweiligen Zeitpunkt relevanten politischen Akteure. Rückgebunden wird die Analyse des politischen Zielbildungsprozesses durch die Einbeziehung einer dogmenhistorischen Perspektive. Mithilfe dieser Perspektive soll überprüft werden, welche historischen Ordnungs- und Wertvorstellungen in den politischen Auseinandersetzungen um die Ziele der Staatsbank in der Unternehmensfinanzierung wirksam waren. Die relevanten ordnungspolitischen Dogmen werden dabei überwiegend über die vorhandene Sekundärliteratur erschlossen. Diese umfangreiche Quellen- und Literaturbasis ermöglicht die historische Analyse der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank unter den Bedingungen veränderter politischer Anforderungen an das Institut und eines sich wandelnden Wettbewerbs um die Finanzierung von Unternehmen. Die Ergebnisse dieser Analyse werden im Folgenden vorgestellt.

2 Die Geschichte des Staatlichen Kreditwesens im Herzogtum Braunschweig und seine Reform (1765–1919) Die Braunschweigische Staatsbank war 1919 nicht neu gegründet worden, sondern baute auf einem Bankhaus auf, das viel älter war. Das Herzogliche Leihhaus zu Braunschweig entstand bereits 1765. Auch die Braunschweigische Landessparkasse hatte mit den 1834 gegründeten Herzoglichen Sparkassen einen direkten Vorgänger. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg fiel dieses traditionsreiche staatliche Bankwesen des Herzogtums Braunschweig bei wichtigen Indikatoren im Vergleich zu dem öffentlich-rechtlichen Kreditwesen in anderen Regionen jedoch immer weiter zurück. Die Kommunen, denen im Herzogtum Braunschweig die Errichtung eigener Sparkassen untersagt worden war, nutzten die zunehmende Rückständigkeit zu einer grundsätzlichen Kritik am bestehenden staatlichen System. Um dieser Kritik zu begegnen, wurde 1914 ein Reformprozess in Gang gesetzt, der mit der Verabschiedung des Staatsbankgesetzes 1919 vollendet wurde. Die mit diesem Gesetz gegründeten Institute Braunschweigische Staatsbank und Braunschweigische Landessparkasse übernahmen von ihren Vorgängern einige zentrale Merkmale, ohne die die Geschichte der Staatsbank in Bezug auf die Unternehmensfinanzierung nach 1919 vermutlich anders verlaufen wäre. Diese Merkmale und die Geschichte der Vorgängerinstitute werden im Folgenden kurz vorgestellt. Darauf folgen eine Beschreibung der wichtigsten Reformmaßnahmen und eine Erläuterung der Gründe für den Widerstand der privaten Banken im Herzogtum gegen das Reformwerk. Am Ende des Kapitels werden das Staatsbankgesetz von 1919 und die wichtigsten darin enthaltenen Neuerungen vorgestellt.

Die Gründung und Entwicklung der Herzoglichen Leihhausanstalt Die Geschichte der Herzoglichen Leihhausanstalt zu Braunschweig begann mit ihrer Gründung durch Herzog Carl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel im Jahr 1765. Sie war nicht das erste Leihhaus im Herzogtum. Die Stadt Holzminden hatte bereits 1754 ein Leihhaus gegründet, das ebenso als Vorbild für das Herzogliche Leihhaus in Braunschweig diente wie das bereits 1722 gegründete Hamburger Leihhaus.54 Alle drei gehörten zur zweiten Gründungswelle öffentlicher Banken nördlich der Alpen.55 54 Albrecht, Peter, Leihhäuser im Braunschweigischen. Von den Anfängen bis 1832, in: Hagebölling, Lothar (Hg.), Vom Leyhaus zur Sparkasse. Das öffentliche Bankwesen im Braunschweigischen Land 1765–2015, Braunschweig 2018, S. 39–238, S. 39–42. 55 Vgl. zur Geschichte der öffentlichen Banken in der frühen Neuzeit: Denzel, Markus A., Der Nürnberger Banco Publico, seine Kaufleute und ihr Zahlungsverkehr (1621–1827), Stuttgart 2012, Kapitel 1, S. 29–73. https://doi.org/10.1515/9783110697223-002

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Das Leihhaus in Braunschweig war anders als die bereits länger existierenden Leihhäuser italienischer Stadtstaaten nicht nur zur Bekämpfung des Wuchers gegründet worden. Das Institut war stattdessen Teil einer Politik der gesamtwirtschaftlichen Belebung des Herzogtums nach dem Siebenjährigen Krieg. In der Präambel des Gesetzes wurde die Gewerbeförderung explizit als Grund für die Errichtung des Leihhauses genannt.56 In den folgenden Jahrzehnten wurde das Leihhaus wiederholt zur Finanzierung protoindustrieller Betriebe eingesetzt.57 Vom Volumen her wurde das Kreditgeschäft mit Privatpersonen jedoch bereits früh von der Aufgabe der Finanzierung des herzoglichen Staates überflügelt.58 Dies änderte sich in den 1830er Jahren, als im Herzogtum Braunschweig Agrarreformen durchgeführt wurden, mit denen die Erblasten der Bauern abgeschafft werden sollten. Die Leihhausanstalt war ein zentraler Bestandteil der Reformpläne, weil sie die Ablösungszahlungen, die die Bauern an die Grundbesitzer als Entschädigung für den Wegfall ihrer Abgaben und Dienste zu zahlen hatten, durch die Vergabe von Hypothekendarlehen finanzierte. Obwohl kein Zwang zur Annahme der Hypothekendarlehen seitens der Bauern bestand, finanzierte das Institut den Löwenanteil der Ablösungszahlungen.59 Um näher an die Kunden heranzurücken, wurden die bis dahin weitgehend unabhängigen staatlichen Leihhäuser in Holzminden, Helmstedt und Blankenburg in die Strukturen des Leihhauses in Braunschweig integriert und neue Zweigkassen entstanden in Gandersheim und Wolfenbüttel.60 Das Leihhaus selbst wandelte sich durch die Beteiligung an der Finanzierung zu einer Bank des ländlichen Grundkredites. Diese Entwicklung wurde allerdings durch die Beteiligung des Institutes an der Finanzierung des Eisenbahnbaus im Herzogtum unterbrochen. Bereits die 1838 eröffnete erste Strecke zwischen Braunschweig und Wolfenbüttel wurde vom Herzogtum selbst betrieben. Die Braunschweigische Eisenbahngesellschaft war die erste staatliche Eisenbahngesellschaft in Deutschland.61 Durch den frühen Baubeginn

56 „Serenissimi gnädigste Verordnung die Errichtung eines Leyhauses betreffend“, Braunschweig, den 9. März 1765, abgedruckt in: Achterberg, Erich, Braunschweigische Staatsbank. Zwei Jahrhunderte Zeitgeschichte, Braunschweig 1965, S. 14–29, S. 15. 57 Albrecht, Leihhäuser, S. 176–178. 58 Achterberg, Braunschweigische Staatsbank, S. 62. 59 Ebenda, S. 74. 60 Vgl. zur Beteiligung des Leihhauses an den Agrarreformen: Kulhawy, Andreas, Das Braunschweigische Leihhaus als Instrument der Modernisierung (1830–1918), Braunschweig 2012, Kapitel 3, S. 53–231. 61 Kaufhold, Karl Heinrich, Wirtschaft und Gesellschaft vor der Industrialisierung, in: Kaufhold, Schild (Hg.), Braunschweigische Landesgeschichte, S. 713–750, S. 730. Der Grund für den frühen Zeitpunkt des Baus war die Befürchtung in Braunschweig, bei der Planung überregionaler Eisenbahnstrecken und insbesondere der Ost-West-Verbindung durch Hannover und Preußen außen vor zu bleiben. Kulhawy, Leihhaus, S. 247 f.

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konnte das Herzogtum erreichen, dass die eigene Bahnstrecke Teil der 1847 fertiggestellten zentralen Ost-West-Achse von Köln nach Berlin wurde.62 Ermöglicht wurde der Erfolg auch durch die Finanzierungsleistung des Leihhauses. Für den Bau des braunschweigischen Abschnittes auf der Ost-West-Achse sowie für die Fertigstellung der in den 1850er und 1860er Jahren finanzierten Strecken beschaffte das Leihhaus für den Eisenbahnbau insgesamt knapp 14 Millionen Reichstaler.63 Diese Leistungen überforderten das Institut jedoch finanziell. In den 1850er Jahren musste sich das Leihhaus wiederholt Geld von den privaten Banken in Braunschweig leihen, um die Kredite an den Staat refinanzieren zu können.64 Um die Finanzierung des Eisenbahnbaus sicherzustellen, schränkte die Regierung des Herzogtums die Vergabe von Hypothekenkrediten durch das Leihhaus stark ein. Doch auch diese Maßnahmen halfen nur temporär, weil die strukturellen Probleme nicht gelöst wurden. Das Leihhaus war seit 1850 ein Teil der Ministerialverwaltung. Es war also kein Regiebetrieb, sondern rechtlich und organisatorisch eine Abteilung im Ministerium.65 Die Schwierigkeiten des Leihhauses waren deshalb nur ein Symptom der finanziellen Überforderung des Herzogtums, das sich durch den Eisenbahnbau hoch verschuldet hatte.66 1870 zog die Regierung die Konsequenz und verkaufte die Staatsbahn an die Darmstädter Bank.67

62 Nachdem das Herzogtum Braunschweig 1841 dem Zollverein beigetreten war, konnte die Regierung des Herzogtums noch im gleichen Jahr einen Vertrag zur Weiterführung der Strecke von Wolfenbüttel bis Magdeburg abschließen. Von Magdeburg führte die Strecke weiter bis nach Berlin. Ein Jahr später wurde ein entsprechender Vertrag mit dem Königreich Hannover abgeschlossen, der eine Verbindung von Braunschweig nach Hannover beinhaltete. Von Hannover aus wurde die Strecke bis Minden weitergebaut, wo sie Anschluss an die Cöln-Mindener Eisenbahn erhielt. Ebenda, S. 252f 63 Die Finanzierung erfolgte zunächst durch die Gewährung kurzfristiger Kredite, die dann durch die Einreichung von Staatsanleihen an das Leihhaus abgelöst wurden. Der Verkauf der Anleihen oblag dem Institut, es musste auch kurzfristig auch das Kursrisiko tragen. Verluste beim Verkauf wurden dem Leihhaus oft erst Jahre später erstattet. Ebenda, S. 258 f. 64 Ebenda, S. 252. 65 Achterberg, Braunschweigische Staatsbank, S. 42. 66 Die Staatsanleihen des Herzogtums konnten in den 1860er Jahren nur noch mit hohen Kursabschlägen verkauft werden, weil der Staat als überschuldet galt. Braunschweig hatte allein für den Eisenbahnbau 1867 zehn Millionen Reichstaler Schulden angehäuft. Die gesamten übrigen Schulden betrugen nur 3,5 Millionen Reichstaler. Kybitz, (Vorname unbekannt), Der Staatshaushalt des Herzogtums Braunschweig in den Jahren 1833/1886, in: Finanzstatistik/Finanzarchiv, Bd. 5 (1888), S. 187–233, S. 206 f. 67 Diese hatte für den Kauf ein Konsortium aus zwei Eisenbahngesellschaften und sieben Banken gegründet. Darunter waren die Disconto-Gesellschaft, die Berliner Handelsgesellschaft und Rothschild in Frankfurt am Main. Der Kaufpreis betrug elf Millionen Reichstaler und eine über 64 Jahre zu zahlende Annuität von 850.000 Reichstalern. Kulhawy, Leihhaus, S. 264.

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Bereits 1867 wurden auch die Weichen beim Leihhaus neu gestellt. Die wichtigste Neuerung war die Erlaubnis zur Emission von Pfandbriefen. Dies war eine von mehreren Richtungsentscheidungen zugunsten des Realkredites.68 Nach dem Verkauf der Eisenbahn wurden die in den 1850er Jahren eingeführten administrativen Beschränkungen des Hypothekengeschäftes wieder aufgehoben. Die Folge dessen war, dass das Leihhaus sich wieder zu einer Hypothekenbank entwickelte. 1875 lag der Anteil der Hypothekarkredite an der Bilanzsumme bei 50 %, 1913 war er auf über 80 % gestiegen.69 Bis zur Jahrhundertwende beschränkte sich die Kreditvergabe dabei fast ausschließlich auf die Landwirtschaft, erst danach nahm die Bedeutung der städtischen Kreditnehmer zu. In der Folge stieg das Leihhaus im Bereich des Hypothekarkredites innerhalb Braunschweigs zum führenden Institut auf und beherrschte kurz vor dem ersten Weltkrieg fast die Hälfte des Marktes.70 Das Hypothekengeschäft war zusammen mit dem ebenfalls aufstrebenden Kommunalkreditgeschäft allein für das Wachstum des Institutes verantwortlich. Die anderen Bankgeschäfte stagnierten oder gingen zurück.71 Die Konzentration auf den Realkredit ist allerdings kein eindeutiger Hinweis dafür, dass sich das Leihhaus nicht an der Finanzierung der Industrialisierung im Herzogtum beteiligt hat. Wie Thorsten Proettel in seiner Dissertation zeigt, haben die Sparkassen in Südwestdeutschland industrielle Betriebe mithilfe der Vergabe von Hypothekarkrediten finanziert.72 Diese Art der Industriefinanzierung ist zumindest in Ansätzen auch für das Herzogliche Leihhaus in Braunschweig belegt und zwar für die dort entstehende Zuckerindustrie. Die Zuckerfabriken im Herzogtum wurden fast ausschließlich von Bauern gegründet und finanziert, die sich dadurch einen festen Abnehmer für ihre Rübenernte sicherten. Um das notwendige Kapital aufzubringen, nahmen einige Landwirte Darlehen beim Leihhaus auf. Wie Andreas Kulhavy exemplarisch zeigt, waren allerdings weniger als ein Fünftel der Bauern für den Kauf der Anteile auf eine Finanzierung durch das Leihhaus angewiesen.73 Die laufende Finanzierung der Zuckerfabriken, vor allem der jährlichen Rübenkampagnen, übernahmen dagegen die in Braunschweig ansässigen privaten Ban68 1881 wurde die Auszahlung der Hypothekarkredite wieder auf Barzahlung umgestellt, nachdem man 1867 eine Auszahlung in Pfandbriefen eingeführt hatte. 1892 wurden die Beleihungsgrenzen für Grundstücke in Städten deutlich angehoben. 69 Ebenda, S. 47 f. 70 Der Anteil des ländlichen Kredites am Gesamtkreditvolumen lag 1897 bei 88 %, sank in den folgenden Jahren allerdings deutlich ab, während der städtische Realkredit erstmals überhaupt eine größere Bedeutung gewann. Eigene Berechnungen nach Bahnemann, Georg, Die Braunschweigische Staatsbank in ihrer Entwicklung von 1867 bis 1922, Diss., Hamburg 1922, S. 97. 71 Ein Grund für diese schwache Entwicklung war die restriktive Behandlung von Aktien. Es durften nur Aktien einiger weniger braunschweigischer Gesellschaften lombardiert werden. Die Folge davon war, dass fast ausschließlich Staatsanleihen und Bankschuldverschreibungen angenommen wurden. 72 Vgl. Proettel, Stellung der Sparkassen. 73 Kulhavy, Der öffentliche Finanzsektor, S. 355.

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ken.74 Insgesamt wurde die Industrialisierung Braunschweigs zumindest nach der Reichsgründung überwiegend von den Privatbanken finanziert, die für diesen Zweck eigens Aktienbanken gründeten. Diese Trennung zwischen staatlichen und privaten Aufgaben im Bankgeschäft erfolgte bereits recht früh. Im Vorfeld der 1853 erfolgten Gründung der ersten Aktienbank in Braunschweig, der Braunschweigischen Bank AG, hatte es in Regierungskreisen Überlegungen gegeben, das neue Institut als Tochter der Leihhausanstalt aufzubauen. Diese Idee wurde jedoch verworfen. Das Leihhaus hielt letztlich nur eine Minderheitsbeteiligung, während das Privatbankhaus Gebr. Löbbecke aus Braunschweig im Verein mit dem Bankhaus Mendelssohn aus Berlin den Ton angaben.75 Die Braunschweigische Bank AG war eine der Keimzellen der Industriefinanzierung in Braunschweig. Weil sie als Notenbank in ihrer Geschäftstätigkeit jedoch beschränkt war, gründete sie 1871 die Braunschweigische Creditanstalt, die ausschließlich als Finanzier der braunschweigischen Industrie tätig war. An diesem Institut beteiligte sich auch die Privatbank Seeliger aus Wolfenbüttel.76 Für die Zurückhaltung des Staates bei der Gründung der ersten Aktienbanken in Braunschweig gibt es zwei wesentliche Gründe. Erstens waren die Leihhausanstalt und auch ihr Gewährträger bis Ende der 1860er Jahre finanziell durch den Eisenbahnbau voll ausgelastet. Das Herzogtum konnte neben den Eisenbahnen nicht auch noch die Industrie finanzieren. Zweitens war der Ausbau des staatlichen Kreditwesens gegen den Widerstand des Landtages, in dem die liberale Partei seit der Revolution 1848 die Mehrheit stellte, schwer durchzusetzen.77 In der Literatur wird der Verzicht auf eine Mehrheitsbeteiligung bei der Braunschweigischen Bank AG als Grundsatzentscheidung gegen eine Beteiligung des Staates an der Industriefinanzierung gedeutet.78 In der Folge privatisierte der Staat neben der Eisenbahn auch alle staatseigenen Eisenhütten im Harz und im Leinebergland sowie die Braunkohletagebauanlagen in Helmstedt.79 Die Industrialisierung Braunschweigs lag damit spätestens ab 1870 überwiegend in den Händen privater Investoren.

74 Ebenda, S. 356. 75 Waschkuhn, Franz, Bankhaus Löbbecke AG 1761–2011. Ein Gang durch 250 Jahre Wirtschaftsgeschichte, Braunschweig 2011, S. 105. 76 Biegel, Gerd, Bankhaus C. L. Seeliger, 1794–1994. 200 Jahre Bank- und Regionalgeschichte in Wolfenbüttel, Wolfenbüttel 1994, S. 117. 77 Schildt, Gerhard, Von der Restauration zur Reichsgründungszeit, in: Kaufhold, Karl Heinrich; Leuschner, Jörg; Märtl, Claudia (Hg.), Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Braunschweigischen Landes vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Bd. 3: Neuzeit, S. 751–786, S. 777 f. 78 Erich Achterberg sah hinter der Ablehnung dieses Vorschlags den Versuch, eine scharfe Abgrenzung zwischen öffentlicher und privater Finanzierungstätigkeit durchzusetzen. Achterberg, Erich, Braunschweigische Staatsbank. Zwei Jahrhunderte Zeitgeschichte, Braunschweig 1965, S. 110. 79 Wolff, Ursula, Wirtschaft und soziale Lage im Herzogtum Braunschweig, in: Kaufhold; Leuschner; Märtl, (Hg.), Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Braunschweigischen Landes, S. 166–253, S. 172 f.

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Die Rückständigkeit und Reform des Sparkassenwesens im Herzogtum Braunschweig Die braunschweigische Sparkasse unterschied sich grundsätzlich von den Instituten in anderen deutschen Ländern, weil sie vom Staat gegründet und betrieben wurde. Die herzoglichen Sparkassen wurden 1834 per Gesetz ins Leben gerufen, zunächst als kleine Abteilungen an den Standorten der Leihhäuser. Gleichzeitig wurde die Gründung kommunaler Sparkassen im Herzogtum verboten.80 Die Regierung des Herzogtums hatte die Sparkassen mit dem Ziel gegründet, die bisher nicht beim Leihhaus angelegten kleinen Einlagen für die Finanzierung der Agrarreformen einzuwerben. Zu diesem Zweck wurden in den folgenden Jahren eine Reihe von Zweigstellen eröffnet.81 Um dem Leihhaus keine Mittel zu entziehen, besaßen die Sparkassen kein eigenes Kreditgeschäft, sondern stellten die eingesammelten Einlagen dem Leihhaus zur Verfügung. Aus dem gleichen Grund verhinderte die Regierung auch die Gründung kommunaler Sparkassen. Sie fürchtete, dass solche Institute dem Leihhaus Einlagen entziehen könnten, die sie dringend für die ihr obliegenden Aufgaben brauchte. Die Gründung von Sparkassen durch Staaten ist in Deutschland relativ selten gewesen und nur in zwei anderen Fällen wurde eine staatliche Gründung organisatorisch und wirtschaftlich fest mit einer staatlichen Bank verbunden: in Oldenburg und in Detmold.82 Die Gründung der herzoglichen Sparkassen 1834 stand daher am Beginn eines „Sonderwegs“ des öffentlichen Bankwesens im braunschweigischen Land, der im Grunde bis heute andauert.83 Allerdings war dies 1834 noch keineswegs ersichtlich. In den einzelnen Ländern des Deutschen Bundes hatte sich ein sehr facettenreiches und heterogenes Sparkassenwesen herausgebildet, sowohl was die Gründer anbelangt als auch was den angesprochenen Kundenkreis und die Gewichtung von Einlagen- und Kreditgeschäft betrifft.84 Bei ihrer Gründung waren die herzoglichen Sparkassen deshalb kein Sonderfall, weil es keinen Regelfall gab. Die Vereinheitlichung der Sparkassenstrukturen entwickelte sich erst allmählich im 19. Jahrhundert.85 Eine deutliche Beschleunigung dieser Tendenz wurde in den 1880er Jahren durch die Gründung der regionalen Sparkassenverbände und des Deutschen Sparkassenverbandes ausgelöst. Hauptgrund für die Verbandsbildung 80 Achterberg, Braunschweigische Staatsbank, S. 81. 81 Bahnemann, Staatsbank, S. 68. 82 Ashauer, Günter, Von der Ersparungscasse zur Sparkassen-Finanzgruppe. Die deutsche Sparkassenorganisation in Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 1991, S. 90. 83 Ebenda, S. 83. 84 Trende, Adolf, Geschichte der deutschen Sparkassen bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts, Vollständiger Nachdruck der Originalausgabe von 1957 mit einer Einführung von Josef Wysocki, Stuttgart 1993, S. 81. 85 Dies ist etwa in Baden der Fall. Vgl. Ebenda, S. 309. In Baden wurde erst 1880 ein Sparkassengesetz erlassen. Ebenda, S. 312.

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war die Herausforderung des Sparkassenwesens durch die Pläne der Reichsregierung zur Gründung einer Postsparkasse, die seit der Reichsgründung 1871 kolportiert und 1885 durch die Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs konkretisiert wurden.86 Die drohende reichsweite Konkurrenz stärkte innerhalb der Sparkassenbewegung die Kräfte, die für eine Reform des Sparkassenwesens eintraten. Mit Unterstützung der neu gegründeten Sparkassenverbände verbesserten viele Sparkassen ihren Kundenservice. Die Zahl der Zweigstellen verdoppelte sich, bei den meisten Sparkassen wurden die Öffnungszeiten verlängert und ein reichsweiter Übertragbarkeitsverkehr eingerichtet, an dem 1907 allerdings erst 20 % der Sparkassen teilnahmen. Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurden die ersten verbandsweit einheitlichen Mustersatzungen herausgegeben.87 Die eingeleiteten Modernisierungsschritte im kommunalen Sparkassenwesen hatten in Braunschweig den Druck erhöht, auch die herzoglichen Sparkassen zu reformieren. Die Reformbedürftigkeit zeigte sich besonders an der schwachen Einlagenentwicklung. Gemessen an den Spareinlagen der Sparkassen pro Kopf der Bevölkerung lag das Herzogtum 1890 abgeschlagen auf dem letzten Platz aller Länder und preußischen Provinzen.88 Umso erstaunlicher ist es, dass Braunschweig bei der Reform des herzoglichen Sparkassenwesens 1892 nicht den Weg der kommunalen Sparkassen ging, sondern sich im Gegenteil weiter davon entfernte. Bei der Reform entstand aus der Zusammenführung der einzelnen Sparkassen die landesweite Herzogliche Sparkasse. Gleichzeitig wurde in Form von Sparmarken und Sparkarten, die auf den Inhaber lauteten, ein neues System der Geldanlage etabliert, dass eher einem Rabattmarkensystem glich als einem Sparbuch.89 Dieses System, das in der Geschichte der deutschen Sparkassen wohl einzigartig war, hatte einen wichtigen Vorteil: Die neue Sparkasse musste keine individuellen Kundenkonten führen. Dies machte die Handhabung der Sparmarken und Sparkarten für die Ausgabestellen so einfach, dass sie auch außerhalb der Niederlassungen der Sparkasse ausgegeben 86 Ashauer, Ersparungscasse, S. 160. 87 Im Jahr 1906 waren in allen preußischen Provinzen außer in Hessen-Kassel Mustersatzungen erlassen worden. In Hessen wurde 1904 eine Mustersatzung genehmigt, in Württemberg 1908. Trende, Sparkassen, S. 305, 319, 505. 88 Pro Kopf der Bevölkerung lag der durchschnittliche Sparbetrag in Braunschweig bei sechs Mark. Dies war ein geradezu lächerlicher Betrag im Vergleich zu den umgebenden Staaten. In Preußen lag der durchschnittliche Betrag 1890 bei 110 Mark, im benachbarten Hessen bei 119 Mark und in Sachsen sogar bei 167 Mark. Selbst wenn man die Obergrenze von 100 Mark und die Umwandlung von Spareinlagen in Depositen der Leihhausanstalt mitbedenkt, kommen zeitgenössische Schätzungen auf etwa 36 Mark, die ihrer Natur nach Spareinlagen darstellten. Lediglich in Bayern lag der Wert mit 33 Mark ähnlich niedrig wie in Braunschweig. Bahnemann, Staatsbank, S. 68; Ashauer, Ersparungscasse, S. 121. 89 Sparmarken wurden in Stückelung bis hinunter zu zehn Pfennig angeboten und konnten gesammelt und gegen Sparkarten für mindestens zwei Mark oder einem Vielfachen davon bis maximal 200 Mark eingetauscht werden. Die Zinsen wurden in Marken und Karten ausgezahlt und mussten für jede Karte einzeln eingefordert werden.

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werden konnten, etwa im Lebensmitteleinzelhandel.90 Die Sparkasse richtete kurz nach der Reform 60 neue private Sparstellen ein. Damit sah die Regierung des Herzogtums die Forderungen als erfüllt an.91 Die Reform von 1892 führte jedoch in eine Sackgasse. Zwar gelang es der Sparkasse, kurzfristig ihre Einlagen zu erhöhen. Der Abstand zu den anderen Ländern wurde jedoch bis zum Ersten Weltkrieg immer größer. Dies lag an den großen Nachteilen des Kartensystems. Es war umständlich, nicht vor Diebstahl geschützt und inkompatibel mit dem übrigen Sparkassenwesen im Reich. Das dort vorherrschende Sparbuch auf den Namen war für den Kunden viel bequemer und sicherer als das braunschweigische System. Die allgemeine Unzufriedenheit mit der Herzoglichen Sparkasse führte dazu, dass die Vertreter der Kommunen bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs in zunehmender Vehemenz die Zulassung kommunaler Sparkassen forderten.92 Die Regierung des Herzogtums Braunschweig hatte naturgemäß ein großes Interesse daran, das bestehende System zu erhalten. Das Herzogliche Leihhaus war für seine Geschäftstätigkeit auf die Spargelder angewiesen. Sie machten vor dem Ersten Weltkrieg mehr als die Hälfte der privaten Einlagen der Leihhausanstalt aus.93 Die Spareinlagen waren aufgrund ihres niedrigeren Zinssatzes zudem weitaus günstiger als Depositen oder gar der Verkauf von Pfandbriefen. Indem die Leihhausanstalt die Spargelder mit dem Kapital aus Pfandbriefemissionen mischte, refinanzierte sie sich günstiger als die Hypothekenbanken und konnte gleichzeitig dank des Rückgriffs auf Kapitalmarktmittel potentiell mehr Kapital akquirieren als Sparkassen. So konnte das Institut die Preise für Hypothekarkredite senken, ohne das Angebot dem lokalen Sparaufkommen anpassen zu müssen. Die Spargelder hatten deshalb dem damaligen Staatsminister von Otto zufolge eine wichtige öffentliche Funktion als „Ventil für unseren Hypothekenzinsfuß“.94 Wer die Herzogliche Sparkasse abschaffen wollte, gefährdete gleichzeitig unmittelbar den Fortbestand der Leihhausanstalt und gab damit den Vorteil des bestehenden Systems im Bereich der Kreditkosten auf.95 Mit diesem Argument konnte die Regierung die Ansprüche der Kommunen auf eigene Sparkassen immer wieder abwehren.

90 Bahnemann, Staatsbank, S. 68. 91 Das Konzept der Sparmarken wurde bereits vorher in Burgstädt in Sachsen sowie in Frankfurt am Main angewendet. Hier wurden die gesammelten Marken jedoch für Guthaben auf gewöhnlichen Namenssparbüchern eingelöst. Der Unterschied besteht also nicht in den Marken, sondern in den Sparkarten. Trende, Sparkassen, S. 393 f. 92 Vgl. zu den Auseinandersetzungen um kommunale Sparkassen im Herzogtum Braunschweig zwischen 1892 und 1914: Kulhavy, der öffentliche Finanzsektor, S. 372–387. 93 Achterberg, Braunschweigische Staatsbank, S. 167. 94 Braunschweigischer Landtag, 28. Sitzungsbericht vom 23. November 1910, S. 780, in: NLA WO 23 Neu 1629. 95 Braunschweigischer Landtag, 28. Sitzungsbericht vom 23. November 1910, in: NLA WO 23 Neu 1629.

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Obwohl die Kommunalisierung des Sparkassensystems von der Staatsregierung verhindert werden konnte, hatte die Forderung der Kommunen nach eigenen Sparkassen weitreichende Folgen für das staatliche Kreditwesen im Herzogtum Braunschweig. Die Notwendigkeit einer erneuten Reform des Sparkassenwesens wurde in den Diskussionen nach 1892 überdeutlich. Der Entschluss zur Reform fiel jedoch erst 1914 im Kontext des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs. Mit der Durchführung der Reform wurde der Präsident des Herzoglichen Finanzkollegiums Emil Bartels beauftragt. Um die Herzogliche Sparkasse auf das Niveau der fortschrittlichsten Sparkassen zu heben, wollte Bartels vor allem das Sparbuch auf den Namen einführen. Den zentralen Vorteil einer landesweiten „Einheitssparkasse“ sah Bartels in der Möglichkeit der Freizügigkeit von Sparkonten. Der Sparer sollte bei jeder Sparstelle im Herzogtum auf sein Sparbuch Geld einzahlen oder von diesem abheben können. Zusätzlich sollte es vor allem den Kunden auf dem Lande ermöglicht werden, Überweisungen vom Sparbuch zu tätigen und damit am bargeldlosen Zahlungsverkehr teilzunehmen.96 Vorbild für die Reform war die Nassauische Sparkasse.97 Diese war die einzige Sparkasse im Deutschen Reich, die mit der Herzoglichen Sparkasse in Braunschweig vergleichbar war. Auch in der preußischen Provinz Hessen-Nassau gab es keine städtischen oder Kreissparkassen, sondern nur ein Landesinstitut. Bartels übernahm aus Wiesbaden insbesondere die Idee der Konzentration der Kontenführung auf eine Zentralkasse, die in Braunschweig Hauptsparamt genannt wurde.98 Die Zentralisierung der Kontenführung war der wohl wichtigste Aspekt, um die Freizügigkeit der Sparbücher auch bei den kleinsten Sparstellen anbieten zu können. Ein standardisiertes Übermittlungssystem ermöglichte die Zentralisierung aller Buchungen, der Zinsberechnung sowie des unbaren Überweisungsverkehrs zwischen Sparkonten. Bartels gelang es dadurch, das System der privaten Sparstellen zu erhalten und auszubauen. Die durch die Zentralisierung ermöglichte Expansion der Sparkasse verlief erstaunlich schnell. Die Sparkasse erhöhte die Zahl ihrer Sparstellen von 38 im Jahr 1914 auf 130 (!) im Jahr 1919.99 Sie war damit überall im Herzogtum präsent.

96 Bartels betonte dabei die Pionierfunktion der Herzoglichen Sparkasse bei der Bereitstellung moderner Finanzdienstleistungen außerhalb der Städte auf dem Land. Ebenda, S. 6. 97 Aus einem Schreiben an das Staatsministerium vom 16. November 1917 geht hervor, dass er sich vier Wochen Urlaub nahm, um für diese Zeit bei der Nassauischen Sparkasse zu hospitieren. Der Finanzpräsident Emil Bartels an das Herzogliche Staatsministerium, Braunschweig den 16. November 1917, in: NLA WO 12 Neu 6, Nr. 40. 98 Geleitwort zur Reform der Herzoglichen Sparkasse, S. 9, Fußnote. 99 Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 237 vom 23. Oktober 1919, in: Verhandlungen der Landesversammlung des Freistaates Braunschweig. Drucksachen, Bd. 1, 1919/20, Braunschweig 1922, S. 1; Jahresberichte der Herzoglichen Leihhausanstalt, verschiedene Jahrgänge. Realwerte sind eigene Berechnungen auf der Grundlage der Großhandelspreise des statistischen Amtes des Reiches, Indices übernommen von Carl-Ludwig Holtfrerich, Die Deutsche Inflation 1914–1923. Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive, Berlin [u. a.] 1980, S. 15.

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Bartels Antwort auf die Kritik an der bürokratischen Schwerfälligkeit der Herzoglichen Sparkasse war eine substantielle Investition in Techniken zur Effizienzsteigerung des Buchungsverkehrs. Der Erfolg gab ihm Recht: Die Spareinlagen stiegen nach der Reform stark an.100 Mit der erfolgreichen Reform verstummte auch die Kritik der Kommunen an der Sparkasse für lange Zeit. Dennoch spielte die besondere Struktur des Sparkassenwesens in Braunschweig auch später eine zentrale Rolle bei der politischen Auseinandersetzung um die Ziele der Braunschweigischen Staatsbank. Kritik an der landeseigenen Sparkasse nahm oft die Form einer Systemkritik an, mit der das gesamte öffentlich-rechtliche Kreditwesen in Frage gestellt wurde. Der beste Schutz gegen diese Form von Kritik war die Herausstellung der Leistungsfähigkeit des braunschweigischen öffentlich-rechtlichen Kreditwesens, weshalb die entscheidenden Akteure in Bank und Staat immer darauf bedacht waren, den Kommunen hier keine Angriffsfläche zu bieten. Die Reform der Herzoglichen Sparkasse war nur ein Teil der weitreichenden Umgestaltung des gesamten öffentlich-rechtlichen Kreditwesens im Herzogtum. Für das Ziel, zu den fortschrittlichsten Sparkassen im Reich aufzuschließen, reichte die Neugestaltung der Herzoglichen Sparkasse nicht aus, weil diese nur für die Einwerbung von Spareinlagen zuständig war. Alle anderen Bankgeschäfte waren beim Leihhaus konzentriert. Um die „bankmäßige“ Entwicklung der Sparkassen nachzuvollziehen, war deshalb auch die Reform des Leihhauses notwendig.

Die Leihhausreform während des Ersten Weltkriegs Die Leihhausreform begann kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und wurde durch den Krieg maßgeblich beeinflusst und beschleunigt. Die neue Verwaltung der Leihhausanstalt unter Emil Bartels wurde von den Entwicklungen im Krieg teils getrieben, teils nutzte sie jedoch die durch den Krieg entstandenen neuen Spielräume für öffentliche Banken und Sparkassen geschickt aus. Einer dieser Spielräume betraf den bargeldlosen Zahlungsverkehr. Zu den Kriegsvorbereitungen gehörte die zunehmende Hortung von Gold durch Reich und Reichsbank. Seit 1905 stieg der Goldbesitz der Reichsbank stark an. Im Gegenzug wurde der innerdeutsche Zahlungsverkehr „entgoldet“. In diesem Kontext wurde den Sparkassen 1908 die passive Scheckfähigkeit zuerkannt.101 Dies erlaubte den Instituten, den bargeldlosen Zahlungsverkehr einzuführen. Die Sparkassen setzten al100 Die Spareinlagen stiegen vom Herbst 1914 bis zum März 1919 nominell um das Dreifache, was sich real allerdings lediglich als leichter Anstieg um acht Prozent herausstellte. Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 237, S. 1; Jahresberichte der Herzoglichen Leihhausanstalt, verschiedene Jahrgänge. Realwerte sind eigene Berechnungen auf der Grundlage der Großhandelspreise des statistischen Amtes des Reiches, Indices übernommen von Holtfrerich, Inflation, S. 15. 101 In den ersten Entwürfen des Gesetzes waren die Sparkassen noch außen vor geblieben. Ashauer, Ersparungscasse, S. 161.

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lerdings auf den Giroverkehr statt auf Schecks, weil Girokonten sich besser für die Kreditvergabe in laufender Rechnung eigneten. Der Aufbau der Infrastruktur für den bargeldlosen Zahlungsverkehr nahm erst im Krieg wirklich Fahrt auf. Dabei konzentrierte sich die Sparkassenorganisation auf die „Entgoldung“ des Zahlungsverkehrs der Kommunen und des gewerblichen Mittelstandes.102 Die Kosten des Krieges konnten mit dem Gold der Reichsbank jedoch nur zu einem Bruchteil beglichen werden. Um den Krieg zu finanzieren, musste der Staat Schulden bei der Bevölkerung in Form von Kriegsanleihen aufnehmen.103 Die wichtigste Aufgabe der Kreditinstitute während des Krieges war daher die Aufnahme und Vermittlung dieser Wertpapiere. Hier tat sich vor allem für die Sparkassen ein neues Betätigungsfeld auf. Sie sollten vor allem die Kriegsanleihen mit geringem Nominalwert zwischen 100 und 1.000 DM verkaufen.104 Trotz der niedrigen Stückelungen konnten die Sparkassen etwa ein Viertel der insgesamt ausgegebenen Kriegsanleihen absetzen.105 Der Einbindung der Institute in den Verkauf der Kriegsanleihen wird in der sparkassenhistorischen Forschung ein großer Stellenwert bei der bankmäßigen Entwicklung der Sparkassen zugemessen.106 Der Verkauf der Anleihen bedeutete den Einstieg der Sparkassen in das Wertpapierkommissionsgeschäft sowie in die Depotverwaltung. Rechtlich wurden diese Geschäfte in Preußen erst 1915 vollständig erlaubt.107 Für das Leihhaus kam der Ausbruch des Krieges zur Unzeit. Kurz zuvor hatte das Institut sich zu einer Konvertierung aller ihrer mit 3 % verzinsten Leihhausschuldverschreibungen im Gesamtwert von knapp 20 Millionen Mark auf 3,5 % entschieden. Dazu hatte es alle Papiere zum Februar 1915 gekündigt. Als der Krieg ausbrach, war aufgrund der unsicheren Lage am Kapitalmarkt nicht absehbar, ob die Besitzer der Papiere weiterhin auf das Angebot eingehen würden. Damit stand für das Leihhaus ein bedeutender Teil seiner Einlagen in Frage.108 Zusätzlich musste 102 Dirninger, Christian, Der Bargeldlose Zahlungsverkehr der Sparkassen 1908, in: Lindenlaub, Dieter; Burhop, Carsten; Scholtyseck, Joachim (Hg.), Schlüsselereignisse der deutschen Bankengeschichte, Stuttgart 2013, S. 216–228, S. 218 f. 103 Gegen Ende des Krieges konnten aber auch die Kriegsanleihen den Finanzbedarf des Reiches nicht mehr decken. Die schwebende Schuld des Reiches in Form unverzinslicher Schatzanweisungen und verzinslicher Reichsschatzwechsel lag bei Kriegsende bei 51 Milliarden Mark. Born, Karl Erich, Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zum Ende der Weimarer Republik (1914–1933), in: ders. u. a. (Hg.), Deutsche Bankengeschichte, Bd. 3: Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main 1983, S. 17–147, S. 22–24. 104 Dies korrespondiert mit den durchschnittlichen Sparbeträgen pro Sparbuch, die in Preußen 1915 bei 863 Mark lagen. Ashauer, Ersparungscasse, S. 233. 105 Pohl, Hans, Die Sparkassen vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, in: Pohl, Hans; Rudolph, Bernd; Schulz, Günther, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der deutschen Sparkassen im 20. Jahrhundert, Stuttgart 2005, S. 74. 106 Ebenda, S. 75; Mura, Jürgen, Entwicklungslinien der deutschen Sparkassengeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1995, S. 216 f. 107 Pohl, Die Sparkassen vom Ausgang des 19. Jahrhunderts, S. 74. 108 Braunschweigischer Landtag, 9. Sitzungsbericht vom 2.3.1916, S. 152.

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das Kreditinstitut 1915 vier Millionen Mark aus einer im Jahr 1913 aufgenommenen Anleihe zurückzahlen, mithilfe derer sie ihre Liquiditätsschwierigkeiten zu vermindern versucht hatte. Zusammen standen für das Leihhaus gut 20 % der Passiva in Frage.109 Das Institut brauchte also schnell sehr viel Geld, um die Risiken abzufedern. Die Reformen zielten also auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen zunächst auf die Einlagenseite. Als ersten Schritt erhöhte das Leihhaus die Zinsen für Depositen für halbjährig kündbare Gelder, wofür es von den privaten Banken heftig kritisiert wurde. 110 Der Schwerpunkt der Reformen lag jedoch auf der Ebene der Organisation des Zahlungsverkehrs. Die Leihhausanstalt führte im Herzogtum ein umfangreiches bargeldloses Zahlungssystem ein. Dieses wurde am 23. Februar 1916 in den „Braunschweigischen Anzeigen“, dem offiziellen Anzeigeblatt der Regierung des Herzogtums, öffentlich bekanntgemacht.111 In diesem Artikel wurden die wichtigsten Reformen der Geschäftstätigkeit der Leihhausanstalt vorgestellt. Mit der ersten Maßnahme wurden die Staats- und Kommunalkassen im Herzogtum in die Lage versetzt, den internen Zahlungsverkehr über das leihhauseigene Girosystem zu buchen, anstatt den Ausgleich in Form von Barzahlungen zu erledigen. Das Leihhaus war seinerseits an den Reichsbankgiroverkehr angeschlossen, sodass im öffentlichen Bereich alle Zahlungen über die Zentrale der Leihhausanstalt gebucht werden konnten. Als Vorbild wurden von Bartels der sächsische sowie der kurz zuvor gegründete hannoversche Giroverband genannt.112 Der Verkehr zwischen dem Leihhaus und den privaten Banken wurde ebenfalls reformiert. Hier gab es zwar bereits seit langem Geschäftsverbindungen in laufender Rechnung. Diese dienten jedoch ausschließlich dem Kredit des Leihhauses an die Banken. Guthaben konnten die privaten Kreditinstitute beim Leihhaus nicht anlegen, sie mussten im Gegenteil immer ein gewisses Defizit vorhalten. Diese Regel war Teil der funktionalen Trennung zwischen Privatbanken und dem Leihhaus in Braunschweig, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts existierte. Sie konnte nur zusammen mit einer anderen Regelung abgeschafft werden, die das Leihhaus auf der Aktivseite beschränkt hatte. Das Leihhaus hatte Kontokorrentkonten bis 1914 fast ausschließlich an Banken, Kommunen und Berufsvertretungen vergeben. Unternehmen und Privatpersonen hatten nur in Ausnahmefällen Zugang zu einem Leihhauskonto in laufender Rechnung.113 Dies wurde sofort nach Kriegsausbruch geändert. Der Kontokorrentverkehr wurde für das Privatpublikum geöffnet. In der Förderung von Kontokorrentkonten erkannte Bartels auch ein öffentliches Interesse, weil nur durch eine hinreichende Verbreitung dieser Konten ihre Vorteile voll wirksam wurden: „Je 109 Vgl. dazu die Bilanzzahlen vom 1.10.1914 in Achterberg, Braunschweigische Staatsbank, S. 167. 110 Achterberg, Braunschweigische Staatsbank, S. 155, 159. 111 „Der bargeldlose Zahlungsverkehr bei den braunschweigischen Kassen,“ Braunschweigische Anzeigen Nr. 45, vom 23. Februar 1916, S. 282 f. 112 Ebenda. 113 Kulhavy, Der öffentliche Finanzsektor, S. 357.

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mehr sich die Geschäftswelt und die Privaten daran gewöhnen, sich ein laufendes Konto, sei es bei einer Bank oder beim Leihhause, zu halten, desto umfangreicher kann der Zahlungsverkehr durch reine Gut- und Lastschrift erledigt werden. Es geht wie beim Fernsprechverkehr: Je mehr Anschlüsse, desto nützlicher sind die Anschlüsse.“114 Bartels handelte jedoch bei der Einführung des bargeldlosen Überweisungsverkehrs keineswegs selbstlos. Für die Leihhausanstalt brachte die neue Einrichtung einen erheblichen Gewinn an Liquidität. Durch die Umstellung auf Buchgeld der staatlichen Kassen, der Gemeinden und zunehmend auch der Privatpersonen sank der Bargeldbedarf vor Ort und damit das Volumen, das die einzelnen Zweigkassen des Leihhauses vorhalten mussten. Der sinkende Bargeldbedarf in der Provinz kam hauptsächlich der Zentrale in Braunschweig zugute, die nun eine wesentlich höhere Barliquidität aufwies als vor der Einführung des Überweisungsverkehrs.115 Da die liquiden Einlagen im Kontokorrentkredit an Kommunen und Privatpersonen nun auch verzinslich angelegt werden konnten, erhöhte das Reformwerk auch die Rentabilität. Die Umstellung auf den bargeldlosen Überweisungsverkehr machte auch die Einführung der doppelten Buchführung innerhalb der Leihhausorganisation dringend erforderlich, weil über die bisherige weitgehend kameralistische Buchführung die stark steigenden Buchungsvorgänge nicht mehr bewältigt werden konnten. Das Leihhaus hatte auch vor den Reformen einzelne Elemente der doppelten Buchführung in ihrem Rechnungswesen besessen. Es hatte auch seit 1813 Bilanzen aufgestellt. Dennoch dominierte die Kameralistik das Rechnungswesen. Georg Bahnemann sah darin den Grund für die allgemein mangelnde wirtschaftliche Entfaltung der Leihhausanstalt vor 1914 und konkret für den weitgehenden Verzicht des Leihhauses auf den Einstieg in die Unternehmensfinanzierung.116 Mit Einführung der doppelten Buchführung konnte dagegen auf die Aufstellung von Planvorgaben verzichtet werden und die Geschäftsführung damit im Prinzip unabhängig von politischen Vorgaben erfolgen. Stattdessen setzte die Bilanztechnik selbst durch die Herstellung des Zusammenhangs zwischen Gewinnen und Verlusten auf der einen Seite und dem Zuwachs bzw. dem Verlust von Vermögen auf der anderen Seite Anreize zur Gewinnerzielung. Mit der Einführung der doppelten Buchführung wurde das Vermögen des Leihhauses erstmals wirtschaftlich erfasst und bewertet. Dabei spielte vor allem die Unterscheidung zwischen dem Eigenkapital der Bank und dem bei der Bank dauerhaft angelegten Staatskapital eine zentrale Rolle. Das Eigenkapital konnte durch die Erzielung von Gewinnen prinzipiell gesteigert werden, was wiederum den Wert des Institutes steigerte.

114 Braunschweigische Anzeigen Nr. 45, vom 23. Februar 1916, S. 283. 115 Bahnemann, Staatsbank, S. 108. 116 Ebenda, S. 50.

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Die doppelte Buchführung wurde im Bankbereich der Zweigkassen und in der Zentrale in Braunschweig zusammen mit der Einführung des Überweisungsverkehrs eingerichtet.117 Dazu wurde innerhalb der Zweigkassen das Bankgeschäft organisatorisch von dem Staatskassengeschäft abgekoppelt. Das Bankgeschäft wurde fortan in doppelter Buchführung festgehalten, das Staatskassengeschäft weiterhin in kameralistischer Form.118 Durch die Trennung der Rechnungslegung und die Feststellung eines veränderbaren Betriebsvermögens entstand eine kognitive Grenze zwischen der Bank und dem Staat. Diese Trennung bereitete die später folgende rechtliche Trennung zwischen Staat und Institut vor. Mit der Einführung der doppelten Buchführung wurde das Leihhaus zum Unternehmen.119

Der Widerstand der privaten Banken gegen die Leihhausreform Bartels Reformen zielten auf die Steigerung der Einlagen der Bank. Die neuen Geschäfte auf der Aktivseite wie der Kontokorrentkredit an private Unternehmen waren lediglich eine Folge davon. In seinem Bestreben, die Bankeinlagen des Leihhauses zu erhöhen, stieß Bartels jedoch unmittelbar mit den Interessen der privaten Banken im Herzogtum Braunschweig zusammen. Solche Interessenkonflikte hatte es im Herzogtum Braunschweig auch zuvor schon gegeben. Bereits kurz nach der Gründung des Leihhauses hatten sich die privaten Geldverleiher und Kaufleute beim Herzog über das Eindringen des Staates in ihr Geschäft massiv beschwert.120 Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte allerdings zwischen dem Leihhaus und den privaten Banken eine inoffizielle Aufgabenteilung geherrscht. Das Leihhaus finanzierte überwiegend den Staat und die Kommunen sowie die ländlichen und städtischen Grundbesitzer. Die privaten Banken dagegen finanzierten den Großteil der Unternehmen und verwalteten das Vermögen wohlhabender Privatpersonen. Diese Arbeitsteilung drohte durch die Reform aufgehoben zu werden. Der Widerstand dagegen formierte sich deshalb blitzschnell. Nur gut eine Woche nach der Veröffentlichung der ersten Reformschritte wurde am 2. März 1916 im braunschweigischen Landtag über eine 117 Die Einführung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs hatte bei den Sparkassen im ganzen Reich die Einführung der doppelten Buchführung beschleunigt. Sie war somit auch in der Buchhaltung ein Motor der bankmäßigen Entwicklung der öffentlich-rechtlichen Kreditanstalten. Ebenda, S. 53. 118 Ebenda, S. 110. 119 Der enge Zusammenhang zwischen der Form der Rechnungslegung und der Frage der Entstehung von Unternehmen wurde unter anderem von dem französischen Soziologen Eve Chiapello belegt. Chiapello, Eve, Die Konstruktion der Wirtschaft durch das Rechnungswesen, in: DiazBone, Rainer; Krell, Gertraude (Hg.), Diskurs und Ökonomie. Diskursanalytische Perspektiven auf Märkte und Organisationen, 2. Auflage, Wiesbaden 2015, S. 149–176, S. 153f, 160. Analog dazu definiert Theo Thiemeyer öffentliche Unternehmen in Abgrenzung zu anderen öffentlich-rechtlichen Rechtsformen durch die Befolgung der Regeln der Wirtschaftlichkeit. Thiemeyer, Theo, Grenzkostenpreise bei öffentlichen Unternehmen, Köln, Opladen 1964, S. 19. 120 Vgl. dazu: Albrecht, Leihhäuser im Braunschweigischen, S. 127–135.

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„Bittschrift von Inhabern und Direktoren von Bankgeschäften im Herzogtum wegen der beabsichtigten Reform der hiesigen Herzoglichen Leihhausanstalt“ debattiert, in der die Bankiers ihre strikte und grundsätzliche Ablehnung der Reform zum Ausdruck brachten.121 Auslöser des Handelns der Banken war dabei nicht die Einführung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, sondern die Aufnahme des Wertpapierkommissionsgeschäftes durch das Leihhaus im Rahmen der Emission von Kriegsanleihen. Das Leihhaus hatte sich bereits früh an diesem Geschäft beteiligt.122 Bartels hatte jedoch geplant, die Kriegsanleihen nicht nur zu verkaufen, sondern den Kunden auch die Verwaltung von Wertpapierdepots anzubieten. In dem Zeitungsartikel, mit dem Bartels Teile der Reform veröffentlichte, hatte er dieses neue Geschäft des Leihhauses allerdings mit keinem Wort erwähnt. Die privaten Bankiers hatten davon nur durch eigene Nachforschung erfahren.123 Aufgrund dieser Erkenntnis zweifelten sie die offizielle Darstellung der Reform an. Der Abgeordnete und Prokurist der Braunschweigischen Privatbank Emil Glaser bezichtigte Bartels, unter dem Deckmantel der politisch geforderten Einführung des unbaren Zahlungsverkehrs durch die Leihhausreform eine Geschäftsbank erschaffen zu haben, die in Konkurrenz zu den privaten Banken im Herzogtum treten würde. „Stattdessen ist […] unter der Bezeichnung Reform die Umwandlung des Leihhauses in ein Bankinstitut erfolgt. Nach meiner Auffassung ist sie bereits erfolgt, denn ich wüsste keine Branche des Bankgeschäftes, der sich das Leihhaus nicht widmen wollte.“124 Das zentrale Anliegen der Bankiers lag darin, die Ausweitung der Geschäftstätigkeit des Leihhauses zu unterbinden.125 Bartels versuchte zunächst, die Kritiker der Reform zu beschwichtigen, indem er einen Plan zum Ausbau des Leihhauses zu einem Bankinstitut verneinte. Dazu zählte er Bankgeschäfte auf, die zum Kern des Geschäftsmodells der Privatbanken zählten, dem Leihhaus aber ausdrücklich nicht erlaubt waren, unter anderem das Aktienemissionsgeschäft.126 Emil Glaser bestritt jedoch, dass das Gründungsgeschäft 121 9. Sitzungsbericht vom 2.3.1916, S. 145–164. 122 Bereits bei der zweiten Kriegsanleihe vom März 1915 hatte das Leihhaus fünf Millionen Mark auf fremde Rechnung vermittelt. Bahnemann, Staatsbank, S. 112. Bis 1918 hatte das Institut Papiere dieses Typs im nominellen Wert von 115 Millionen Mark abgesetzt. Achterberg, Braunschweigische Staatsbank, S. 149. 123 Im Staatshaushalt für das Fiskaljahr 1916 war ein Posten für die Einrichtung von Stahlkammern und Schrankfächern beim Leihhaus eingestellt worden. Dies war für Bartels Gegner ein eindeutiges Zeichen dafür, dass Bartels die Verwaltung von Wertpapierdepots als reguläres Geschäft des Leihhauses einführen wollte. 124 Braunschweigischer Landtag, 9. Sitzungsbericht vom 2.3.1916, S. 154. 125 Ebenda, S. 145 f. 126 Schreiben des Herzoglichen Staatsministeriums an den Finanzausschuss der Landesversammlung vom 28. Januar 1916, zit. von Emil Bartels in: Braunschweigischer Landtag, 9. Sitzungsbericht vom 2.3.1916, S. 151.

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den Kern der Geschäftstätigkeit der privaten braunschweigischen Kreditinstitute ausmachte. „Ich glaube sagen zu dürfen, das ist eine irrige Auffassung, denn wenn irgend ein Bankinstitut in Braunschweig, und zwar im ganzen Lande, von dem Ertrage der Gründungen leben soll, die es vorgenommen hat oder bewirken kann, so werden voraussichtlich die Aktionäre auch nicht einen Pfennig kriegen können.“127 Die Vertreter der Banken bekamen in der Landtagsdebatte Unterstützung von der Handelskammer in Form ihres Präsidenten Schmidt. Dieser ergänzte Glasers Kritik, indem er vor einem Übergriff der Staatstätigkeit in die Privatwirtschaft warnte: „Es ist nicht Aufgabe des Staates, in so weitgehendem Maße das Bankgeschäft zu betreiben. […] der Beweis ist doch wahrlich erbracht, daß die wirtschaftlich freie Tätigkeit durch Staatsbeamte leiten zu wollen, unmöglich ist.“128 Mit diesem Argument begründete er seine Forderung, die Geschäftstätigkeit des Leihhauses formal zu beschränken. Bartels versuchte mit allen Mitteln, eine grundsätzliche Beschränkung der Geschäftstätigkeit zu verhindern. Dazu nutzte er eine interessante Strategie, indem er die Geschichte des Kreditwesens im Herzogtum als Argument heranzog: „Wir könnten ja umgekehrt sagen, wir sind ein 150jähriges Institut. Wir bestanden bereits 60–70 Jahre, ehe noch eine größere Bank im Herzogtume existierte, und wenn wir uns schon früher mit den jetzigen Reformen gerührt hätten, so wären vielleicht die Banken in ihrer Entwicklung nicht so weit gekommen, wie sie gekommen sind. Wir können sagen, zum Teil haben sie sich tatsächlich auf Kosten unserer Anstalt entwickeln können.“129 Mit diesem historischen Argument hatte Bartels allerdings keinen Erfolg. Der Vorsitzende der Finanzkommission des Landtags Hugo Retemeyer stimmte den Vertretern der privaten Banken im Grundsatz zu, indem er einem grundlosen Eingriff des Leihhauses in den privaten Wettbewerb eine klare Absage erteilte. Die Fälle, in denen das Leihhaus in den Wettbewerb eingreifen durfte, mussten mit Bezug auf das „öffentliche Wohl“ begründet sein. Ein Recht auf freie wirtschaftliche Entfaltung lehnte Retemeyer für das Leihhaus ab. „Das Leihhaus kann segensreich wirken und gute Erträge abliefern, auch wenn es nicht alle Geschäfte des Bankwesens pflegt.“130 Die Debatte im Landtag endete mit einem Aufschub der Entscheidung über den Kreis legitimer Geschäfte des Leihhauses auf den Zeitpunkt, zu dem der gesamte Reformplan schriftlich vorlag. Als Richtlinie führte der Antrag jedoch ein, dem Leihhaus Geschäfte zu verbieten, die erstens gesetzlich nicht ausdrücklich zugelassen waren, zweitens lediglich auf Gewinnerzielung abzielten und drittens die Interessen 127 Ebenda, S. 154. Wie im vorherigen Kapitel berichtet, hat die Industrialisierung in Braunschweig keine Großkonzerne hervorgebracht, mit deren Bedarf an Aktienkapital sich ein profitables Gründungsgeschäft hätte aufbauen lassen. 128 Ebenda, S. 151. 129 Braunschweigischer Landtag, 9. Sitzungsbericht vom 2.3.1916, S. 152. 130 Ebenda, S. 149.

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der Privatbanken schädigen könnten. Wenn alle drei Punkte erfüllt waren, sollte dem Leihhaus das Geschäft verboten werden.131 Diese Regel wurde noch in derselben Sitzung zum ersten Mal angewandt, als der Landtag die Haushaltsposten für den bereits begonnenen Bau von Stahlkammern in Holzminden und Wolfenbüttel unter Vorbehalt stellte. Diese standen im Verdacht, zur Aufbewahrung von Wertpapieren genutzt zu werden. Über ihre Verwendung sollte der Finanzausschuss des Landtages entscheiden.132 Die Debatte im Landtag kam für Emil Bartels äußerst ungelegen. Sein Ziel war es gewesen, die Reform in der Praxis bereits durchzuführen, um die Abgeordneten dann vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die privaten Banken hatten diese Taktik erahnt und durchkreuzt. Der Beschluss des Landtags hatte Emil Bartels die politische Macht der privaten Banken vor Augen geführt. Sie konnten durchsetzen, dass jedes vom Leihhaus neu aufgenommene Geschäftsfeld grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Landtags stand. Bartels musste also für jedes dieser Geschäftsfelder ein öffentliches Interesse nachweisen. Dadurch bestand die Gefahr, dass die Reformgegner den von ihm geplanten Umbau des Leihhauses zur universalen Geschäftsbank zum Scheitern brachten. Bartels hatte lediglich einen Aufschub bis zur Vorlage des Gesetzes aushandeln können. Dieser Aufschub war hauptsächlich den frühen Erfolgen der ersten Reformschritte im bargeldlosen Zahlungsverkehr zu verdanken. Die Kontokorrentguthaben waren innerhalb von nur zwei Jahren von einer Million auf 13 Millionen Mark gewachsen. Die gleiche Summe hatte das Leihhaus in laufender Rechnung verliehen.133 Auch verglichen mit anderen deutschen Banken im gleichen Zeitraum waren diese Zahlen beeindruckend. Die Kontokorrentkonten der Aktien-Kreditbanken wuchsen von 1913 bis 1916 nur um 25 %.134 Der Erfolg gab Bartels in den Augen der Finanzkommission vorläufig Recht, sowohl was die Frage der Kompetenz der Belegschaft der Leihhausanstalt zu Bankgeschäften anging als auch in der Frage des Bedarfs nach den neuen Angeboten des Leihhauses. Weil die Reformen bereits reale und sehr positive Auswirkungen gezeigt hatten, wollte man nicht „dem Prinzip zuliebe in den erfolgreichen Geschäftsbetrieb eingreifen“.135 Es war Bartels zumindest gelungen, dass die – grundsätzlich gerechtfertigte – Kritik der Privatbanken für einige Jahre ausgesetzt wurde. Um die privaten Banken zu beschwichtigen, trat das Leihhaus 1917 der „Vereinigung Braunschweigischer Banken und Bankiers“ bei, einem Konditionenkartell, in dem vor allem die Zinssätze abgesprochen wurden. Ähnliche Vereinigungen gab es 131 Ebenda, S. 149. 132 Ebenda, S. 164. 133 Braunschweigischer Landtag, 9. Sitzungsbericht vom 2.3.1916, S. 153. 134 Deutsche Bundesbank (Hg.), Deutsches Geld- und Bankwesen in Zahlen 1876–1975, hrsg. von der Deutschen Bundesbank, Frankfurt am Main 1976, S. 56. Es wurde hier das Jahr 1913 ausgewählt, um den Vorkriegszustand zu erfassen. Die Kreditbanken veröffentlichten ihre Bilanzen in der Regel am Ende des Kalenderjahres. Die Staatsbank dagegen Ende März. 135 Ebenda.

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in allen Regionen Deutschlands.136 Mit dem Beitritt der Leihhausanstalt konnten die privaten Banken Einfluss auf die Zinspolitik des Instituts nehmen. Damit wurde der zu Beginn des Ersten Weltkriegs von der Leihhausanstalt entfachte Konditionenwettbewerb entschärft. Der Aufschub der Entscheidung hatte für Emil Bartels Reformwerk weitaus größere Folgen, als dieser 1916 erwarten konnte. Noch bevor Bartels die Reform vollenden konnte, endete der Krieg und das Herzogtum Braunschweig mitsamt seinen Institutionen wurde in der Revolution 1918 abgeschafft.

Die Verabschiedung des Staatsbankgesetzes von 1919 Die Revolution 1918 verlief in Braunschweig anders als in Berlin. Hier hatten, ähnlich wie in Bremen und München, die Arbeiter- und Soldatenräte die Macht übernommen und am 10. November, also einen Tag nach der Ausrufung der Republik in Berlin, die „Sozialistische Republik Braunschweig“ ausgerufen.137 Wie auch in anderen Teilen Deutschlands rebellierten die Anhänger der Räterepublik im Frühjahr 1919 gegen die von der Berliner Regierung ausgehenden Bestrebungen zur Etablierung einer parlamentarischen Demokratie. In Braunschweig wurde am 9. April ein Generalstreik ausgerufen, mit dem Ziel der Errichtung einer Räterepublik. Am 11. April wurde daraufhin von der Reichsregierung beschlossen, in die Verhältnisse in Braunschweig militärisch einzugreifen. Am 17. April wurde die Stadt Braunschweig von Freikorpstruppen besetzt. Nach dem Einmarsch verlangte das Militär die Bildung einer neuen Regierung.138 Am 24. April 1919 trat die im Dezember 1918 erstmals gewählte Landesversammlung erneut zusammen. Die beiden regierenden sozialdemokratischen Parteien der MSPD und USPD stimmten unter dem Druck der Besatzung der Aufnahme eines Vertreters des Bürgertums in die Regierung zu. Dieser Vertreter war Emil Bartels, der einerseits als Fachmann für das Finanzressort bestens geeignet war und andererseits als parteiloser Beamter keine exponierte politische Stellung besaß. Er wurde am 30. April zum Finanzminister gewählt.139 Bartels blieb auch nach mehreren Regierungswechseln in der zweiten Jahreshälfte 1919

136 1913 hatten sie auf Betreiben des Reichsbankpräsidenten Rudolf Havenstein ein Konditionenkartell gegründet, das insbesondere die regionale Absprache von Zins- und Provisionssätzen vorschrieb. Mugler, Andreas, Das Deutsche Bankensystem im internationalen Vergleich. Vergleich der Bankensysteme Deutschlands, der USA, Japans und Großbritanniens, Hamburg 2014, S. 62. 137 Ludewig, Hans-Ulrich, Der Erste Weltkrieg und die Revolution (1914–1918/19), in: Jarck, HorstRüdiger; Schildt, Gerhard (Hg.), Die Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region, Braunschweig 2001, S. 915–944, S. 933 f. 138 Ludewig, Der Erste Weltkrieg, S. 940–942. 139 Grubert, Martin, Heinrich Jasper (1875–1945): Anwalt der Demokratie. Ein politisches Leben in Braunschweig, Braunschweig 2009, S. 247.

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im Amt und schied schließlich freiwillig Ende des Jahres 1919 aus, nachdem das Staatsbankgesetz von der Landesversammlung verabschiedet worden war.140 Als Finanzminister konnte Bartels mit größerer Autorität als zuvor die Reform der Leihhausanstalt und der Herzoglichen Sparkasse gesetzlich fixieren. Sein zentrales Anliegen war es, eine Unternehmensverfassung zu entwickeln, die dem von ihm befürchteten wie von seinen Kritikern erhofften Rückfall des Instituts in die bürokratische Behäbigkeit einer staatlichen Behörde entgegenwirken sollte. Er wollte deshalb so viele Wettbewerbselemente wie möglich einbauen, ohne jedoch den öffentlich-rechtlichen Charakter des Unternehmens ganz aufzugeben. Im Oktober 1919 erklärte Bartels in einem Schreiben an die braunschweigische Landesversammlung die Grundrichtung seiner Reform. Er ging dabei direkt auf die Kritik der Landtagsdebatte von 1916 ein, mit der die Gegner der Reformen diesen aufgrund der bürokratischen Struktur des Leihhauses die Möglichkeit eines dauerhaften Erfolges abgesprochen hatten: Der Gefahr, in eine bürokratische Behandlung der Geschäfte zu verfallen, ist ein Staatsunternehmen in besonderem Maße ausgesetzt, nicht weil seine Beamtenschaft interesseloser und engherziger wäre, sondern weil die Organisation, die in ihrer strengen, mehr schematischen Regelung auf reine Verwaltungsbezirke eingestellt ist, meistens auf Wirtschaftsbetriebe unverändert übertragen wird und jede freie Beweglichkeit erstickt. […] Wirtschaftsbetriebe müssen freier gestellt sein. Sie stehen im Konkurrenzkampf nicht mit Behörden, sondern mit freien Gewerbebetrieben. […] Preßt ein Staat seine Wirtschaftsbetriebe in die allgemeinen Behördengrundsätze ein, so ist zwar die Uniform gewahrt, aber die Rentabilität geht zum Teufel.141

Das von Bartels geschaffene öffentlich-rechtliche Kreditwesen in Braunschweig und seine Kodifikation im Staatsbankgesetz von 1919 wurde als Gegenentwurf zu der in diesem Zitat heraufbeschworenen Gefahr der Bürokratisierung der Geschäftsabläufe und der Begrenzung des Aktionsraumes auf ein staatliches Territorium konzipiert. Der von ihm erträumte staatliche Musterbetrieb sollte dem Gemeinwohl dienen, aber gleichzeitig im Wettbewerb mit privaten Banken bestehen können.142 Die Unternehmensverfassung wurde so konzipiert, dass sich beide Ziele ohne zusätzlichen bürokratischen Aufwand miteinander verbinden ließen. Der erste und wichtigste Schritt dazu war die Herauslösung der beiden Institute aus der Staatsver140 Werner Küchenthal, der spätere Ministerpräsident und Staatsbankpräsident hat geschrieben, dass Bartels die Reform des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens in Braunschweig als sein Lebenswerk betrachtet hat. Bericht von Dr. Werner Küchenthal, Staatsbankpräsident i. R. an den Herren Präsidenten Dr. Nickel und die Herren Mitglieder des Direktoriums der Braunschw. Staatsbank, Hedeper über Wolfenbüttel den 28. November 1966, S. 19f, in: NWA Zg. 6/2007, Nr. 139. Auch Ernst-August Roloff ist der Meinung, dass Bartels mit der Verabschiedung des Staatsbankgesetzes seine Aufgabe in der Braunschweiger Politik als erfüllt ansah. Roloff, Staat von Weimar, S. 67. 141 Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 237 vom 23. Oktober 1919, S. 1 f. 142 Braunschweigische Landesversammlung, 83. Sitzungsbericht am 27. November 1919, in: Verhandlungen der Landesversammlung des Freistaates Braunschweig 1919/20, Sitzungsberichte, 1. Wahlperiode, Braunschweig 1922, S. 3780.

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waltung. Mit dem Staatsbankgesetz wurden die Braunschweigische Staatsbank und die Braunschweigische Landessparkasse als Nachfolger von Leihhausanstalt und Herzoglicher Sparkasse neu geschaffen.143 Sie wurden beide als Anstalten öffentlichen Rechts mit eigener Rechtspersönlichkeit und eigenem Vermögen umgestaltet. Neben der rechtlichen Verselbstständigung erweiterte das Gesetz auch die wirtschaftliche Selbstständigkeit der Staatsbank. Ihr Grundvermögen wurde von 0,8 auf 20 Millionen Mark erhöht.144 Die Herrschafts- und Lenkungsverhältnisse innerhalb des Doppelinstituts wurden vollkommen neu geregelt. Staatsbank und Landessparkasse erhielten gemeinsame beschlussfähige Organe: das Direktorium, den Verwaltungsrat und den Aufsichtsrat. Die Beziehungen zwischen diesen Organen wichen von denen privater Aktiengesellschaften ab und ergaben sich eher aus dem Nebeneinander betriebswirtschaftlicher und gemeinnütziger Ziele. Der Staatsbankpräsident wurde als Vorsitzender des Direktoriums nicht vom Aufsichtsrat gewählt, sondern vom Staatsministerium bestimmt. Das Direktorium war laut Gesetz „in allen Angelegenheiten der Staatsbank und Landessparkasse zuständig, die in diesem Gesetze nicht anderen Organen vorbehalten sind“145. Diese Generalklausel hat dem Direktorium im Laufe der Zeit eine große Bewegungsfreiheit ermöglicht, weil es sich im Zweifelsfall immer für zuständig erklären konnte. Wollten die anderen Beschlussorgane ihre Zuständigkeit aufzeigen, trugen sie dafür die Beweispflicht. Der Aufsichtsrat war laut Aussage des Direktoriums dem 1920 gegründeten „Vorläufigen Reichswirtschaftsrat“ der neugegründeten Weimarer Republik nachempfunden.146 Wie dort und im Gegensatz zum parlamentarischen System saßen im Aufsichtsrat Vertreter von Korporationen wie berufsständischen Gruppen, Vertreter von Gebietskörperschaften und Verbänden. Das Mandat war nicht an die Person, sondern an die Korporation gebunden, die der Mandatsträger repräsentierte. Das Gesetz schrieb eine Zahl von 26 Mitgliedern vor.147 Der Aufsichtsrat führte die Oberauf143 Hier und im Folgenden: Staatsbankgesetz (StGB) vom 20. Dezember 1919, Gesetz- und Verordnungssammlung von 1920, Bd. 1, Braunschweig 1920. 144 Der Freistaat nutzte zur Aufstockung hauptsächlich Wertpapierbestände der Eisenbahnstiftung im Wert von 15 Millionen Mark. Diese Stiftung war aus den Erlösen aus dem Verkauf der staatlichen Eisenbahn gebildet worden. Dazu kamen noch der Betriebsfonds der Hauptfinanzkasse, die Überschreibung der Betriebsgebäude und eine Überweisung aus dem regulären Haushalt über 2,5 Millionen Mark. Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 237 vom 23. Oktober 1919, S. 4 f. Es wurden durch die Landesversammlung noch einige Änderungen vorgenommen. Vgl. Braunschweigische Landesversammlung, 89. Sitzungsbericht am 12. Dezember 1919, in: Verhandlungen der Landesversammlung des Freistaates Braunschweig 1919/20, Sitzungsberichte, S. 4133 f. 145 StBG von 1919, § 5, Abs. 3. 146 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1919/20, S. 4. 147 Dazu gehörten zwei Abgesandte des Staatsministeriums, acht aus der Landesversammlung, je einer aus der Handels- und Handwerkskammer, drei von den Städten (einer für Braunschweig und zwei für die übrigen), zwei aus den Landgemeinden, je einer von den städtischen und ländlichen Grundbesitzern sowie fünf Kunden der Staatsbank und zwei der Landessparkasse. Ausgeschlossen waren Bankiers und Vorstände von Banken, die ihren Sitz im Freistaat Braunschweig hatten. Dies

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sicht über die Geschäfte der Staatsbank und der Landessparkasse. In diesem Gremium hatte der Freistaat Braunschweig als Gewährträger der Staatsbank und der Landessparkasse lediglich zehn Stimmen. Acht davon wurden durch die Landesversammlung gestellt, was auch der Opposition eine Anzahl Mandate gestattete. Dadurch konnten die gewählten Organe des Freistaates nicht allein über die Entlastung des Direktoriums oder deren Vorenthalt bestimmen. Dies war eine deutliche Einschränkung der staatlichen Oberaufsicht über die Staatsbank. Die Aufsicht war auf so viele Köpfe verteilt, dass eine Vereinnahmung der Geschäftspolitik der Staatsbank durch die Regierung des Freistaates kaum zu bewerkstelligen war. Der Aufsichtsrat war zudem zur Kontrolle einzelner Entscheidungen nicht befugt, er konnte nur die Geschäftspolitik als Ganzes bewerten. Das Staatsministerium hatte zwar das Recht, jederzeit einzugreifen, jedoch nur auf der Grundlage eines klaren Verstoßes der Geschäftsführung gegen formale Beschlüsse der Landesversammlung. Eine Änderung der Geschäftspolitik war nur über eine Änderung des Staatsbankgesetzes und der dort spezifizierten Grundsätze der Kreditvergabe möglich. Diese Regelung war ein bewusster Verzicht der Politiker auf eine direkte Kontrolle ihrer Bank, die mit der Verabschiedung des Staatsbankgesetzes offenbar wurde. Dieser Verzicht folgte der Einsicht, dass ein zu starker Einfluss der Landespolitik auf die Geschäftsführung die Staatsbank in ihrer Entwicklung negativ beeinflusste und damit auch die Möglichkeiten der Bank, im Sinne des Gemeinwohls zu handeln. Der Verzicht der Landesregierung auf die volle Kontrolle über die Bank war in erster Linie der Überzeugungskraft Emil Bartels zu verdanken. Es war jedoch ein Verzicht unter Vorbehalt, der durch die Änderung des Staatsbankgesetzes jederzeit wieder aufgehoben werden konnte. Im Gegensatz zum Aufsichtsrat war der Verwaltungsrat viel stärker in das Tagesgeschäft der Staatsbank eingebunden. Dieses Gremium stellte eine Zwischeninstanz zwischen Aufsichtsrat und Direktorium dar. Er wurde gebildet aus den Mitgliedern des Direktoriums, dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates sowie fünf gewählten Aufsichtsratsmitgliedern. Da es nie mehr als fünf Mitglieder des Direktoriums gab, hatten die Aufsichtsratsmitglieder stets die Mehrheit. Die wichtigste Aufgabe des Verwaltungsrates war die kontinuierliche Überwachung der Geschäftsführung des Direktoriums.148 Außerdem hatte er ein Mitspracherecht bei den Zins- und Gebührensätzen, den geforderten Sicherheiten bei einigen Kreditformen, der Aufstellung des Jahresabschlusses, der Errichtung neuer Zweigstellen und teilweise bei der Per-

war ein klares Zeichen für die Konkurrenzsituation zwischen der Staatsbank und den privaten Banken. Bartels wollte ursprünglich auch die Handelskammer aus dem Aufsichtsrat heraushalten, weil diese sich in der Debatte 1916 auf die Seite der Banken geschlagen hatte. Doch in diesem Fall wurde er von der Landesversammlung überstimmt. Braunschweigische Landesversammlung, 89. Sitzungsbericht am 12. Dezember 1919, S. 4117, 4124. 148 Persönliche Beschwerden gegen deren Mitglieder behielt sich allerdings das Staatsministerium vor.

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sonalpolitik.149 Bartels verstand das Gremium als „erweiterten Vorstand“, der Geschäftstätigkeiten nicht nur beaufsichtigte, sondern aktiv mitbestimmte.150 Der Verwaltungsrat war als das Gremium konzipiert, in dem der Aushandlungsprozess zwischen betriebswirtschaftlichen und gemeinnützigen Zielen hauptsächlich stattfinden sollte. Die Vertreter des Aufsichtsrates sollten das Gemeinwesen vertreten, die Direktoren die Interessen der Bank. Die Mehrheitsverteilung zeigte an, dass dem Gemeinwohl im Zweifelsfall der Vorzug gegeben werden sollte. Diese aus heutiger Sicht ungewöhnliche Zusammensetzung des Verwaltungsrates war in dieser Zeit nicht selten. Die Bayerische Girozentrale etwa hatte nach ihrer Reorganisation 1919 ebenfalls ein solches Gremium, das dort Vorstand hieß. Auch hier saßen Direktoren zusammen mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums (das in Bayern Verwaltungsrat genannt wurde) sowie gewählten Vertretern der Verbandsversammlung. Der „Vorstand“ der Girozentrale hatte ähnliche Befugnisse wie der Verwaltungsrat der Braunschweigischen Staatsbank.151 Auch die Satzung der Landesbank der Rheinprovinz aus dem Jahr 1923 kannte ein Mischgremium aus Führungspersonen des Tagesgeschäftes und Vertretern der Aufsicht. Es hieß in diesem Fall Generaldirektion und war mit acht Köpfen fast gleich groß wie der Verwaltungsrat der Staatsbank.152 Analog zu der rechtlichen Verselbstständigung wurde die organisatorische Trennung des Staatskassengeschäftes vom regulären Bankbetrieb durch das Gesetz weiter ausgebaut. Dazu wurde in der Zentrale in Braunschweig die Hauptfinanzkasse gegründet und direkt mit den Kreiskassen zu einem eigenen System verbunden, das die Staatsgeschäfte unabhängig vom Staatsbanksystem durchführte. Eine vollständige Trennung der Staatskassen von der Bank wurde zu diesem Zeitpunkt nicht durchgeführt, was wohl daran lag, dass der Staat sich so den Unterhalt eines eigenen Kassensystems ersparte. Als weitere Sonderabteilung wurde für die Revision der Geschäftstätigkeit der Bank eine Treuhandabteilung bei der Staatsbank angesiedelt, die nicht nur die Aufgabe hatte, die einzelnen Kassen zu überprüfen, sondern ihre Tätigkeit auch den Gemeinden, Kreisen und Städten anbot.153 Mit der Führung der Landessparkasse war das bereits vorgestellte Hauptsparamt als Zentralkasse beauftragt.154 Die Landessparkasse führte nach wie vor kein eigenes Aktivgeschäft. Sie verlieh stattdessen ihre gesamten Einlagen gegen Zinsen an die

149 Ebenda, §§ 8–10. 150 Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 237 vom 23. Oktober 1919, S. 2. 151 Gotto, Bernhard, Von den Anfängen bis zur Weltwirtschaftskrise. Landeskulturrentenanstalt, Girozentrale und Gemeindebank 1884–1929, in: Bähr; Decroll; Gotto, Bayern LB, S. 15–117, S. 60 f. 152 Albert Fischer, Die Landesbank der Rheinprovinz. Aufstieg und Fall zwischen Wirtschaft und Politik, Köln [u. a.] 1997, S. 58. 153 Braunschweigische Landesversammlung, 83. Sitzung der Landesversammlung vom 27. November 1919, S. 3788. 154 Die hauptamtlichen und die bei den Zweigkassen angesiedelten Sparstellen verfügten über eine eigene Buchführung.

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Staatsbank, deren Höhe vom Verwaltungsrat festgelegt wurde. Über die Verwendung der Spareinlagen bestimmte das Direktorium. Der Reingewinn, der sich aus dem Zinsüberschuss nach Abzug aller Kosten ergab, wurde solange dem sogenannten Sparfonds zugeführt, bis das Eigenkapital der Landessparkasse 5 % der Spareinlagen betrug. Alle darüberhinausgehenden Gewinne wurden an die Staatsbank abgeführt.155 Der Sparfonds war ebenfalls fest in mündelsicheren Anlagen bei der Staatsbank angelegt. Das Gesetz schrieb das persönliche Sparbuch als einzige gültige Sparform vor.156 Der Verwaltungsrat entschied über die Sparordnung und damit über die Höhe des Zinses. Die Errichtung neuer Sparstellen bedurfte ebenfalls seiner Genehmigung. Die Kosten für die Einrichtung wurden aus dem Sparfonds bestritten.157 Innerhalb der Landessparkasse wurden demnach kaum relevante Entscheidungen getroffen. Ihre wichtigste Aufgabe war es, den Sparbetrieb zu optimieren, also mit möglichst geringem Mitteleinsatz ein möglichst hohes Einlagenvolumen zu erzielen. Die entscheidenden Weichenstellungen waren bereits durch die Sparkassenreform erfolgt. In der Hauptbankkasse und den Bankabteilungen der Zweigkassen waren die eigentlichen Bankgeschäfte gebündelt. Die Reform hatte die möglichen Formen der Kreditvergabe stark erweitert. Die Staatsbank durfte nun Gelder auf Zeit und in laufender Rechnung ausleihen, Wechsel handeln und diskontieren, Wertpapiere auf eigene und auf fremde Rechnung kaufen und verkaufen, Wertpapierdepots verwalten und bestimmte Arten von Wertpapieren emittieren. Ursprünglich sollte die Staatsbank auch das Recht besitzen, alle Arten von Emissionen von Wertpapieren durchzuführen, wozu auch Aktien gehört hätten. Diese Regel wurde jedoch durch die Landesversammlung dahingehend abgeändert, dass die Staatsbank nur Emissionen mündelsicherer Werte durchführen durfte.158 Es gab weder beim Kundenkreis noch

155 StBG von 1919, §§ 43,44. 156 Die Herzogliche Sparkasse blieb rechtlich bestehen und wurde von der Landessparkasse als separates Institut übernommen. Damit blieben auch die Sparkarten zunächst noch im Umlauf. Durch die nicht erfolgte Integration der alten in die neue Sparkasse war allerdings klar, dass das alte System nicht in die neue Struktur übernommen, sondern abgewickelt werden sollte. Die Sparkarten wurden 1923 vom Verwaltungsrat abgeschafft, im November 1927 allerdings unter anderen Voraussetzungen wiedereingeführt und schließlich 1932 durch eine Reichsnotverordnung verboten. Protokolle der 19. Aufsichtsratssitzung vom 11. Juli 1923, der 33. Aufsichtsratssitzung vom 3. September 1927 und von der 54. Aufsichtsratssitzung vom 24. November 1932, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates der Braunschweigischen Staatsbank von 1919 bis 1935. Maschinengeschriebene Abschrift des Originals von H. J. Fehst, Braunschweig 1985, S. 23, 35, 52, NWA 8, Nr. 766. 157 Die Zinsen aus dem Sparfonds durften ausschließlich für gemeinnützige Zwecke verwendet werden. Allerdings fielen darunter auch die Einführung neuer Sparformen wie das Prämiensparen und die Einrichtung von Sparstellen für besondere Gruppen wie die Jugend. Hier konnte das Hauptsparamt selbstständig tätig werden und zumindest im Bereich der gemeinnützigen Arbeit eine von der Staatsbank unabhängige Relevanz gewinnen. StBG von 1919, §§ 43,1; 44, 2+3. 158 Braunschweigische Landesversammlung, 89. Sitzungsbericht am 12. Dezember 1919, S. 4126 f.

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bei der Kredithöhe grundsätzliche Einschränkungen. Lediglich die Sicherungsanforderungen setzten der Geschäftstätigkeit Grenzen.159 Die Formen der Besicherung von Krediten hatten sich ebenfalls stark erweitert. Kurz- wie langfristige Kredite konnten mit Grundschulden, durch das Lombardieren von Wertpapieren, der Diskontierung von Wechseln, der Verpfändung von Edelmetallen, der Übereignung von Waren, Mobilien, Buchforderungen sowie der Stellung von Bürgschaften gesichert werden. Neu war zudem die Möglichkeit, Kredite in bestimmten Fällen auch ohne Sicherheiten zu gewähren. Diese neuen Sicherungsmöglichkeiten erweiterten den Spielraum bei der Kreditvergabe beträchtlich. Vor 1914 hatten sich Bewertungen im Wesentlichen auf Immobilien beschränkt. Diese wurden in der Hypothekenabteilung getätigt, die zuvor das Herz des Kreditinstitutes gewesen war. Sie war sowohl für das Hypothekengeschäft als auch für das langfristige Kommunalkreditgeschäft zuständig. Mit dem Staatsbankgesetz wurde sie auf eine Abteilung innerhalb der Hauptbankkasse zurückgestuft. Das Staatsbankgesetz sah vor, dass Grundstücke nur unabhängig von ihrer Nutzung bewertet werden durften. Dies ersparte den Angestellten der Hypothekenabteilung im Grunde die Beobachtung aller Märkte mit Ausnahme der beiden Märkte für landwirtschaftlichen Grundbesitz und Wohnimmobilien. Auf der Passivseite ermittelte sie den Bedarf an Pfandbriefen und beantragte Emissionen in der entsprechenden Höhe. Die Entscheidung darüber wurde jedoch vom Verwaltungsrat getroffen. Für alle anderen Formen der Kreditsicherung benötigte die Bank nun neue Expertisen. Die neu gegründete Wechselabteilung musste die Kreditwürdigkeit der Bezogenen und gegebenenfalls der Aussteller der Wechsel prüfen. Die Wertpapierabteilung hatte nun die zusätzliche Aufgabe, den Wert von Kundendepots festzustellen, um sie als Sicherheiten für Kredite nutzen zu können. Die Bewertung des Wertes von Waren verlangte die Beobachtung der Terminmärkte, die Zession von Buchforderungen und Bürgschaften machte die Bewertung der Kreditwürdigkeit von Dritten notwendig. Durch den Einbezug der verschiedenen Formen von Vermögen entstand eine Äquivalenz zwischen dem Wert des marktgängigen Vermögens der Kreditnehmer und ihrer Kreditwürdigkeit. Die Vergabe von Krediten ohne die Stellung von Sicherheiten eröffnete zudem verschiedenste Möglichkeiten zur Bewertung der Kreditwürdigkeit von Personen – auch solchen, die nicht auf finanziellen Werten beruhten. Die stark erweiterten Möglichkeiten der Kreditvergabe und der damit einhergehende Aufbau von Expertisen zur Bewertung der Kreditwürdigkeit waren zentrale Voraussetzungen für den Einstieg der Braunschweigischen Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung, die erst mit der Verabschiedung des Staatsbankgesetzes in bedeutendem Umfang aufgenommen wurde. Die umfassende Ausweitung der Geschäftstätigkeit auf die Unternehmensfinanzierung traf den Kern des Geschäftsmo159 StGB vom 20.12.1919, § 29.

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dells der privaten Banken im Freistaat Braunschweig. Aus diesem Grund dominierte in der Aussprache über das Gesetz in der Landesversammlung die Debatte über die neuen Möglichkeiten der Kreditvergabe der Staatsbank. Die institutionelle Reform wurde dagegen in der entscheidenden Sitzung am 12. Dezember 1919 von den Abgeordneten kaum thematisiert, was Bartels zu einer ärgerlichen Klarstellung veranlasste, dass die Verwaltungsreform das Hauptstück des Gesetzes darstellte.160

160 Braunschweigische Landesversammlung, 88. Sitzungsbericht am 12. Dezember 1919, S. 4076.

3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung in der Weimarer Republik (1919–1933) Emil Bartels hatte die Braunschweigische Staatsbank so entworfen, dass sie Unternehmen finanzieren konnte. Er sah die Vergabe von Krediten an die private Wirtschaft im Einklang mit dem öffentlichen Auftrag der Bank. In der Zeit der Weimarer Republik mussten er und sein Nachfolger Oscar Stübben das neue Geschäftsfeld jedoch einerseits im wirtschaftlichen Wettbewerb mit den braunschweigischen und zunehmend auch mit den Großbanken aufbauen. Andererseits stand das Ziel der Unternehmensfinanzierung im Konflikt mit den anderen Aufgaben der Bank, insbesondere mit der Finanzierung der öffentlichen Hand. Schließlich traten auch innerhalb des neuen Geschäftsfeldes Verteilungskonflikte auf, insbesondere zwischen der Mittelstandsfinanzierung und dem Industriekredit. Das folgende Kapitel stellt dar, wie der Staatsbank vor diesem Hintergrund der Einstieg in die Unternehmensfinanzierung gelang. In Punkt 3.1 wird zuerst der politische Prozess der Durchsetzung der Unternehmensfinanzierung als Ziel der Braunschweigischen Staatsbank im Jahr 1919 beschrieben. Dieser politische Erfolg war nur durch die Unterstützung der Vereinigungen des gewerblichen Mittelstandes zustande gekommen, also den organisierten Händlern und Handwerkern. Diese Interessengruppe befürwortete den Ausbau der Unternehmensfinanzierung der Staatsbank, verlangte in diesem Zusammenhang jedoch die Beschränkung der Kreditvergabe auf ihre Klientel. Das politische Bündnis mit dem Mittelstand fand seinen Ausdruck in den gesetzlichen Beschränkungen der Kreditvergabe der Staatsbank. Diese formalen Restriktionen wirkten in der Inflationszeit jedoch zunehmend prohibitiv, sodass sie bereits nach kurzer Zeit entscheidend gelockert wurden. Die neue Freiheit nutzte die Staatsbank, um im Wettbewerb mit den privaten braunschweigischen Banken auch Kunden jenseits des Mittelstandes zu gewinnen. Dies führte langfristig zur Entfremdung zwischen dem Institut und dem politisch organisierten Mittelstand. In der Anpassungskrise direkt nach der Währungsreform stieg die Staatsbank endgültig zu einem bedeutenden Finanzier der braunschweigischen Industrie auf. In Punkt 3.2 wird dieser Aufstieg zunächst quantitativ erfasst und seine Ursachen erörtert, wobei insbesondere der Niedergang der Provinzbanken und die strukturellen Probleme der braunschweigischen Industrie eine Rolle spielen. In der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik zwischen 1924 und 1929 agierte die Staatsbank bei der Industriefinanzierung im Wettbewerb mit den Großbanken, die in der Inflationszeit in Braunschweig Fuß gefasst hatten. Politisch stand das neue Geschäftsfeld wiederum in Konkurrenz zu anderen Aufgaben der Staatsbank, insbesondere der Finanzierung des Freistaates Braunschweig und des gewerblichen Mittelstandes. Die Staatsbankführung benötigte daher sowohl mehr finanzielle Mittel als auch politihttps://doi.org/10.1515/9783110697223-003

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung

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sche Unterstützung bei der Durchsetzung der Industriefinanzierung als neues Unternehmensziel. Vor diesem Hintergrund entwickelte die Leitung des Instituts die industriepolitische Strategie der „regionalen Champions“. Die Entwicklung dieser Strategie und die Gründe für ihr Scheitern stehen im Mittelpunkt dieses Abschnitts. In diesem Zusammenhang wird besonders auf die Bedeutung des Zugangs zu Auslandskapital für den regionalen Wettbewerb um den Industriekredit sowie den Zielkonflikt zwischen der Unternehmens- und der Staatsfinanzierung eingegangen. In Punkt 3.3 wird die Entwicklung der Staatsbank in der Weltwirtschaftskrise dargestellt. In dieser Zeit konnte die Staatsbank im Bereich der Unternehmensfinanzierung wieder expandieren, nachdem der Bereich zuvor stagniert hatte. Auf der anderen Seite wurde die Industriefinanzierung zunehmend zum Politikum in Braunschweig, was nur zum Teil mit dem Scheitern der Strategie der „regionalen Champions“ zusammenhing. Der andere Grund war die Schließung eines neuen politischen Bündnisses in Braunschweig, das den Zielen der Mittelstandsfinanzierung und der Staatsfinanzierung Priorität einräumte. So entstand die paradoxe Situation, dass die Staatsbank über den gesamten Zeitraum der Krise wirtschaftlich voll handlungsfähig blieb, politisch jedoch so stark unter Druck geriet, dass die Staatsbankführung Anfang 1932 entlassen wurde und sich in der Folge einem Dienststrafverfahren unterziehen musste. In Punkt 3.4 wird abschließend die Entwicklung der Unternehmensfinanzierung der Staatsbank in der Weimarer Republik mit den zentralen Annahmen der drei in der Einleitung genannten Erklärungsansätze verglichen.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung der Braunschweigischen Staatsbank in der Inflationszeit Als Emil Bartels in der zweiten Hälfte des Jahres 1919 im Zuge der rechtlichen Kodifikation seines Reformwerkes die Zustimmung für den Einstieg der Braunschweigischen Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung erreichen wollte, musste er nach wie vor mit dem Widerstand der privaten Banken rechnen. Allerdings hatten die Vertreter der Banken bereits 1919 deutlich an Einfluss verloren. Dies lag einerseits an den Folgen der Revolution von 1918, andererseits an dem Niedergang der regionalen Institute und dem Aufstieg der Großbanken im Rahmen eines fundamentalen Strukturwandels im deutschen und speziell im braunschweigischen Kreditwesen. Der Strukturwandel war auch dafür verantwortlich, dass Bartels Reformwerk größere Unterstützung von den politischen Vertretern des gewerblichen Mittelstandes erhielt, die sich von der Reform eine bessere Kreditversorgung ihrer Klientel erhofften. Das Bündnis mit dem Mittelstand von 1919 manifestierte sich in den im Staatsbankgesetz niedergelegten Grundsätzen der Kreditvergabe, die die Staatsbank

44  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

bei kurzfristigen Krediten auf die Vergabe kleinerer Summen an den Mittelstand beschränkten. Die Inflation zwang die Staatsbankführung jedoch zur Konzentration auf das kurzfristige Kreditgeschäft und in diesem Zusammenhang in einen scharfen Wettbewerb mit den privaten Banken in Braunschweig. In diesem Wettbewerb wirkten die Beschränkungen der Kreditvergabe prohibitiv, sodass sie bereits 1921 entscheidend gelockert wurden. Die Staatsbank nutzte die neuen Möglichkeiten im Kreditgeschäft jedoch nicht nur, um den Mittelstand zu unterstützen, sondern auch um erste Industriefinanzierungen durchzuführen.

Der Strukturwandel im Kreditwesen in Deutschland und Braunschweig in der Inflationszeit Das Geldkapital in Deutschland wurde durch den Krieg und die anschließende Inflation weitgehend vernichtet. Die Kreditinstitute litten darunter doppelt, weil sie einerseits kaum noch Fremdkapital zur Verfügung hatten und andererseits auch ihr Eigenkapital größtenteils verloren gegangen war.161 Die Gesamtbilanzsumme aller Banken sank von 49,8 Milliarden Mark 1913 auf 19,3 Milliarden RM 1925, also auf knapp 39 %. Vergleicht man die Entwicklung der verschiedenen Bankengruppen, so fällt auf, dass die öffentlichen Banken durch Inflation und Währungsreform überdurchschnittlich an Substanz verloren haben. Ihr Anteil an dem gesamten Geschäftsvolumen war von 49 % in 1913 auf 35 % im Jahr 1925 geschrumpft. Demgegenüber stieg der Marktanteil der privaten Kreditbanken von 41 % im Jahr 1913 auf 55 % im Jahr 1925 an. Diese Verschiebung der Marktanteile war jedoch ausschließlich eine Folge des Zusammenbruchs des langfristigen Kreditgeschäftes in der Inflation. Das kurzfristige Kreditgeschäft entwickelte sich vollkommen anders als das Gesamtgeschäft. Sein Anteil an der Gesamtbilanzsumme erhöhte sich von 39 % im Jahr 1913 auf 66 % in 1925. Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Marktanteile der verschiedenen Bankengruppen am kurzfristigen Kreditmarkt. Die auffälligsten Veränderungen waren die Expansion der Großbanken und der öffentlich-rechtlichen Banken sowie der

161 Der Wert des Kapitals der Aktienbanken sank von 7,1 Mrd. Mark 1913 um 68 % auf 2,3 Mrd. RM im Jahr 1925. Holtfrerich, Carl-Ludwig, Auswirkungen der Inflation auf die Struktur des deutschen Kreditgewerbes, in: Feldman, Gerald D. (Hg.), Die Nachwirkungen der Inflation auf die deutsche Geschichte 1924 bis 1933, München 1985, S. 187–210, S. 198. Harald Wixforth weist darauf hin, dass der Verlust des Eigenkapitals der Banken hauptsächlich in der Zeit bis 1920 stattgefunden hat. Danach konnten die Banken einen Teil der Verluste wieder ausgleichen. Wixforth, Harald, Die Banken und der Kollaps der Mark. Zur Lage des Bankwesens während der Inflation von 1918 bis 1923, in: Köhler, Manfred; Ulrich, Keith (Hg.), Banken, Konjunktur und Politik. Beiträge deutscher Banken im 19. und 20. Jahrhundert, Essen 1995, S. 55–73.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung



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damit korrespondierende Niedergang der sogenannten Provinzbanken, womit regionale Kapitalgesellschaften gemeint sind.

Abb. 1: Marktanteile der Bankengruppen am kurzfristigen Kreditmarkt (ohne Privatbankiers) Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Untersuchung des Bankwesens 1933, II. Teil: Statistiken, S. 20–25.162

Die Expansion der Großbanken auf Kosten der regionalen Aktienbanken war ein wichtiger Teil des Strukturwandels. Die Zahl der Fusionen und Übernahmen erreichte in der Inflationszeit ihren Höhepunkt. Als Ergebnis dieses Prozesses verschwanden die regionalen Aktienbanken weitgehend aus dem deutschen Kreditwesen. Demgegenüber stand die Herausbildung einer zahlenmäßig sehr kleinen Gruppe von Filialgroßbanken, die mehr als ein Drittel des kurzfristigen Kreditmarktes beherrschten. Dieser Konzentrationsprozess ist durch die Bankenforschung bisher hauptsächlich von der Seite der Großbanken her erforscht worden.163 162 Die Statistik erfasst alle Genossenschaften und Sparkassen sowie alle privaten Banken, die als Kapitalgesellschaften verfasst waren. Privatbanken in Form von Personen- oder Kommanditgesellschaften wurden von der Statistik hingegen nicht erfasst. Daher weichen die hier berechneten Marktanteile von den tatsächlichen Marktanteilen ab. Ein Marktanteil der Privatbanken wurde jedoch lediglich für die Jahre 1930 und 1932 geschätzt. Diese Zahlen werden unten angegeben. 163 Der Konzentrationsprozess wurde quantitativ beschrieben bei: Pohl, Manfred, Konzentration im deutschen Bankwesen 1848–1980, Frankfurt am Main 1982. An einer Deutung dieses Phänomens aus internationaler Perspektive haben sich insbesondere Gerald Feldman und Harold James versucht. Feldman, Gerald, Banks and the Problem of Capital Shortage in Germany, 1918–1923, in: James, Harold (Hg.), The Role of Banks in the interwar Economy, Cambridge 1991, S. 49–79; James,

46  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Die Frage, wie diese Konzentration in den Regionen wirkte, in denen die Provinzbanken durch Filialen der Großbanken ersetzt wurden, ist bisher noch weitgehend offen.164 Für den Freistaat Braunschweig ist diese Frage jedoch essentiell gewesen. Ein zentrales Argument der Bankiers gegen die Expansion der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung war 1916 die Anwesenheit einer großen Zahl regionaler privater Banken.165 Aus einer Denkschrift der Staatsbank ist zu erfahren, dass es im Herzogtum vor dem Krieg 23 regionale Kreditbanken und Privatbanken gab. Die regionalen Banken hatten zwar nicht einzeln, jedoch in ihrer Gesamtheit den Anspruch besessen, die Interessen des gesamten Herzogtums zu vertreten. Als Teil des politischen Gemeinwesens hatten sie Vertreter im Landtag, waren oft Mitglieder im „Großen Club“ in Braunschweig und eng mit der regionalen Industrie und dem Großhandel verbunden. Durch die Inflation und die Währungsreform wurden die braunschweigischen Banken jedoch stark in Mitleidenschaft gezogen. Allein in der Stadt Braunschweig gingen vier Banken in Konkurs, dazu drei weitere im Gebiet des Freistaates.166 Durch Übernahmen gaben mindestens drei weitere Banken in Braunschweig ihre Selbstständigkeit auf, darunter die beiden größten Aktienbanken. Insgesamt hatte sich in nur zehn Jahren die Zahl der 1914 existierenden privaten Kreditinstitute fast halbiert. Die Großbanken, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg auf nationaler Ebene eine führende Stellung in der Wirtschaft einnahmen, waren im Herzogtum Braunschweig dagegen nur in Sonderfällen aktiv gewesen. Erst 1918 eröffnete die Darmstädter Bank eine Filiale in Braunschweig, 1920 folgte die Commerzbank nach der Übernahme der Mitteldeutschen Privatbank aus Magdeburg mit einer eigenen Filiale und die Deutsche Bank durch die Übernahme der Braunschweigischen Privatbank.167 1921 besaßen fast alle privaten Großbanken in Braunschweig eine Filiale.168 Die andere große Veränderung im deutschen Kreditwesen war der Einstieg der öffentlichen Banken und Sparkassen in das kurzfristige Kreditgeschäft. Die öffentlichen Banken waren vor dem Ersten Weltkrieg im kurzfristigen Kreditgeschäft kaum präsent. Bis 1925 konnten sie ihren Marktanteil dagegen fast vervierfachen. Dabei war der Anteil der Staatsbanken, Landesbanken und Girozentralen 1925 mit 17,4 % Harold, The German Slump. Politics and Economics, 1924–1936, New York 1986. Dazu kommen die Einzelstudien zu den Großbanken: Feldman, Gerald D., Die Deutsche Bank vom Ersten Weltkrieg bis zur Wirtschaftskrise, in: Lothar Gall u. a., Die Deutsche Bank 1870–1995, München 1995, S. 138–314; Krause, Detlef, Die Commerz- und Disconto-Bank 1870–1920/23. Bankgeschichte als Systemgeschichte, Stuttgart 2004. 164 Zu der zeitgenössischen und der geschichtswissenschaftlichen Debatte über die Kreditnot der kleinen und mittleren Industriebetriebe siehe Kapitel 3.2, S. 109–112. 165 9. Sitzungsbericht vom 2.3.1916, S. 155. 166 Biegel, Seeliger, S. 149. 167 Birgit Pollmann, Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes Braunschweig seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Strukturen und Probleme, in: Braunschweigisches Jahrbuch 63 (1982), S. 89– 110, S. 117. 168 Ebenda, S. 11.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung 

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höher als der der Sparkassen. Unterteilt man die Marktanteile der großen öffentlichrechtlichen Banken weiter auf einzelne Gruppen, rückt eine Gruppe in den Mittelpunkt des Interesses. Die Staatsbanken hatten 1925 einen Marktanteil von 10 % erobert.169 Sie waren damit nach den Berliner Großbanken und den Sparkassen die größte Gruppe im kurzfristigen Kreditgeschäft geworden. Die Landesbanken und Girozentralen kamen dagegen 1925 nur auf 5,4 % Marktanteil.170 Die Sparkassen steigerten ihren Marktanteil von 3 % im Jahr 1913 auf 14 % im Jahr 1925. Für die Aufnahme des kurzfristigen Geschäftes durch die Sparkassen hat sich der Begriff „bankmäßige Entwicklung“ eingebürgert. In der Forschung wurde das Eindringen der Sparkassen in das kurzfristige Kreditgeschäft hauptsächlich als Folge des Aufbaus des bargeldlosen Giroverkehrs verstanden und die privaten Kreditnehmer im Wesentlichen mit dem „Mittelstand“ gleichgesetzt.171 Die Finanzierung des Mittelstandes hatte sich bereits im Kaiserreich zu einer legitimen Aufgabe der Sparkassen entwickelt. Die Konzentration im privaten Kreditwesen beschleunigte diesen Prozess weiter.

Das Interesse des gewerblichen Mittelstandes an staatlicher Unternehmensfinanzierung Der gewerbliche Mittelstand hatte bereits im Kaiserreich seine eigenen regionalen und nationalen Verbände und Korporationen gegründet, die seinen Anliegen politisches Gewicht verleihen sollten.172 Ausgangspunkt für diese politische Mobilisierung war die Forderung nach einem staatlichen Schutz vor der Konkurrenz durch die In169 Die Zahl der Staatsbanken hatte sich während dieser Zeit verdoppelt. Hinzugekommen waren die Sächsische Staatsbank, die Thüringische Staatsbank, die Hessische Landesbank, die Lippische Landesbank und die Deutsche Landesbankenzentrale AG. 170 Der Rest teilte sich auf öffentliche Realkreditinstitute und die Deutsche Girozentrale auf. 171 Vgl. Pohl, Sparkassen, S. 92f; Wysocki, Josef, Die „bankmäßige“ Entwicklung der Sparkassen (1908 bis 1931), in: Mura, Jürgen (Hg.), Die Entwicklung der Sparkassen zu Universalkreditinstituten, Stuttgart 1987, S. 36–46; Wagner-Braun, Grundlinien, S. 91–96. Auf die Legitimationsstrategie der Sparkassen wird in Abschnitt 3.3 näher eingegangen. 172 Die Handwerkskammern und deren Dachverband, der 1900 gegründete Deutsche Handwerksund Gewerbekammertag, waren die wichtigsten Organisationen im Handwerk. Im Einzelhandel hatten sich Interessenverbände gegründet, die in erster Linie gegen die großen Warenhäuser sowie die Konsumgenossenschaften gerichtet waren. Der größte unter ihnen war der „Deutsche Zentralverband für Handel und Gewerbe“. Später bildeten sich Einkaufsgenossenschaften, die den Preisvorteil der Warenhäuser neutralisieren sollten. Daneben existierten sogenannte Gewerbevereine, denen neben Handwerk und Einzelhandel auch kleinere Industrielle angehörten. Ausgehend von der „Mittelstandsvereinigung im Königreich Sachsen“ wurde 1911 der „Reichsdeutsche Mittelstandsverband“ gegründet. Er hatte eine ähnliche Ausrichtung wie der Bund der Landwirte für die Großgrundbesitzer als antiliberaler und antisozialistischer Kampfbund. Winkler, Heinrich August, Mittelstand, Demokratie und Nationalsozialismus. Die politische Entwicklung von Handwerk und Kleinhandel in der Weimarer Republik, Köln 1972, S. 47f, 53.

48  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

dustrie und den Großhandel.173 Eine weitere Forderung der Mittelstandsvertretungen war die Linderung der Kreditnot der mittelständischen Betriebe. Dazu hatten wichtige Vertreter der Genossenschaftsbewegung wie Hermann Schulze-Delitzsch oder Alwin Soergel bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mittelständische Kreditinstitute gegründet, die Genossenschaftsbanken.174 Diese Institute hatten im Kaiserreich neben den Provinz- und Privatbanken einen Großteil der Fremdfinanzierung des Mittelstandes getragen.175 Kurz vor dem Ersten Weltkrieg begannen dann auch die Sparkassen damit, sich die Förderung des Mittelstandes auf die Fahnen zu schreiben. Insbesondere der große Förderer der Girobewegung der Sparkassenorganisation Johann Christian Eberle machte dieses Anliegen zum Zentrum seiner Funktionärsarbeit. Eberle war führend am Aufbau der deutschen Sparkassenorganisation beteiligt und 1924 der erste Vorsitzende des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. Neben seiner Tätigkeit für die Sparkassen war er auch ein bedeutender Funktionär der politischen Mittelstandsvereinigungen.176 Der „neuralgische Punkt“ seiner Arbeit für die Sparkassen und den Mittelstand war die Überlegung, die Sparkassen als Finanziers des Mittelstandes in Stellung zu bringen.177 Eberle sah wie die meisten anderen Mittelstandsvertreter vor allem die Expansion der Großbanken als Ursache für die Kreditprobleme des Mittelstandes. Er kritisierte die Expansion der Großbanken in erster Linie, weil sie seiner Meinung nach die regionalen Kreditkreisläufe zerstörten und stattdessen das Kapital in den industriellen Zentren konzentrierten.178 Deshalb griff er vor allem die Depositenkassen an, die die Großbanken auch in kleineren Städten abseits der Finanzzentren errichteten. Eberle behauptete, dass diese Depositenkassen lediglich Kapital aus der Provinz einsammelten, um es an die Zentrale weiterzureichen. Er sprach dabei den Depositenkassen insgesamt die Fähigkeit ab, überhaupt Personalkredite an den Mittelstand vergeben zu können: Denn die großen Bankinstitute, die heute Riesensammelgefäße für die Geldmittel unseres Volkes darstellen, können unmöglich die Kreditwürdigkeit von Hunderttausenden von Einzelpersonen prüfen. Sie sind also auch, wenn sie den besten Willen dazu hätten, nicht in der Lage, 173 Wysocki, Josef, Zahlungsverkehr und Mittelstandsidee. Zum Wirken von Johann Christian Eberle nach dem Ersten Weltkrieg, Berlin 1969, S. 79. 174 Vgl. zu Hermann Schulze Delitzsch: Aldenhoff-Hübinger, Rita, Hermann Schulze-Delitzsch (1808–1883), in: Rudolph, Bernd (Hg.), Sozialreformer, Modernisierer, Bankmanager. Biografische Skizzen aus der Geschichte des Kreditgenossenschaftswesens, München 2016, S. 37–58. Zu Alwin Soergel vgl. Wixforth, Harald, Alwin Soergel (1815–1875) und Eduard Rudolf Parrisius (1818–1905), in: ebenda, S. 79–96. 175 Wagner-Braun, Kreditgenossenschaften und Sparkassen, S. 31. 176 1907 wurde Eberle Vorsitzender der „Mittelstandsvereinigung im Königreich Sachsen“ und 1911 Mitgründer des „Reichsdeutschen Mittelstandsverbandes“. Hillen, Barbara, Neue Zeiten, neue Ziele! Johann Christian Eberle und die Modernisierung der Sparkassen, Stuttgart 2007, S. 22. 177 Der Ausdruck stammt von Wysocki, Zahlungsverkehr, S. 77. 178 Wysocki, Zahlungsverkehr, S. 81.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung



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den Kreislauf wiederherzustellen und Geld zum Nachbar des Einlegers ihrer Depositenkassen zurückzuleiten […]. Und mit der Größe eines Betriebes nimmt die Aussicht ab, von den Geldgebern gekannt und beachtet und von ihrem Geldstrom befruchtet zu werden. Deshalb je kleiner der Platz, je kleiner der Betrieb, desto weniger die Aussicht auf Kredit für den Mittelstand. Ist diese Aussicht ohnehin gering, so ist sie naturgemäß gleich Null, soweit man an einen persönlichen durch keine Sicherheit gedeckten Kredit denkt.179

Der Grund für die Unfähigkeit der Großbanken, den örtlichen Mittelstand mit Krediten zu versorgen, war Eberle zufolge also die fehlende persönliche Bindung an die lokalen Kreditnehmer, die es den regional verankerten Banken erlaubte, auf dingliche Sicherung zu verzichten. Das Wachstum der Großbanken konnte sich Eberle zufolge wiederum betriebswirtschaftlich nur lohnen, wenn diese entweder das Durchschnittsvolumen der Kredite erhöhten oder aber die Kreditvergabe rationalisierten. Der Mittelstand fragte jedoch nicht nur geringere Kreditvolumina nach, sondern konnte auch nicht die Form der Sicherheiten stellen, die in einem zunehmend rationalisierten Kreditwesen gefordert wurden. Die Anforderungen an den Mittelstandskredit waren daher mit der Konzentration im Kreditgewerbe nicht kompatibel.180 Um den Personalkredit für den Mittelstand zu erhalten, sollten die lokalen und regionalen Kreditkreisläufe wiederhergestellt werden. Für Eberle waren neben den Genossenschaftsbanken auch die Sparkassen perfekt für diese Aufgabe geeignet. Sie waren lokal beschränkt und liefen als öffentlich-rechtliche Institute auch nicht Gefahr, den lokalen Fokus zu verlieren. Sie konnten aufgrund der geringen Größe ihres Geschäftsbereichs die aufwendige Vergabe von Personalkrediten prinzipiell leisten. Dazu war es jedoch notwendig, die Sparkassen aus ihrer „Komfortzone“ herauszubringen, in der sich die Kreditinstitute vor dem Ersten Weltkrieg eingerichtet hatten. Im Kaiserreich hatten die Sparkassen fast ausschließlich langfristige Finanzierungsmöglichkeiten in Form von Hypothekendarlehen angeboten. Doch gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden in den Sparkassenverbänden vielfach mehr Anstrengungen zur verstärkten Vergabe von Personalkrediten gefordert.181 179 Eberle, Johann Christian, Geld zu angemessenem Zins, in: Dr. Eberle spricht. Schriften, Reden, Aufsätze zur Erneuerung der Sparkassen, hrsg. vom Deutschen Sparkassenverlag, Stuttgart 1959, S. 79–99, S. 82. 180 Monika Pohle-Fraser hat in ihrer bisher unveröffentlichten Dissertation die Bedeutung der Kenntnis der persönlichen Eigenschaften der Kreditnehmer für die Kreditvergabe der großen Industriebanken in Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert herausgestellt. Vgl. Pohle Fraser, Monika, Noisy Optimists. Risk Management in French and German Banks in the 19th and early 20th Centuries, unpublished Dissertation, Florenz 1999. Interessant ist in ihrer Untersuchung auch der letztlich fehlgeschlagene Versuch der 1841 gegründeten ersten Kreditratingagentur, die Charaktereigenschaften und persönlichen Neigungen von Kreditnehmern in eine Wertigkeitsordnung der Kreditwürdigkeit umzusetzen. Dies., Risk, information and noise. Risk perception and risk management of French and German banks during the nineteenth century, in: Financial History Review Bd. 2, 1, S. 25–39, S. 34. 181 1895 wurde diese Kreditart auf dem Deutschen Sparkassentag erstmals als zentrale Aufgabe der Sparkassen bezeichnet. Ebenda, S. 143.

50  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Eberle war es dabei zu verdanken, dass der Ausbau des Girosystems der Sparkassen wirtschaftlich wie normativ eng mit der Forderung des Mittelstandes nach Kredithilfe verknüpft wurde. Seine entscheidende Idee bestand darin, die zur Verfügung stehenden Giroeinlagen für die Vergabe von Mittelstandskrediten zu nutzen. Wirtschaftlich erschien der kurzfristige Kontokorrentkredit aufgrund der Fristenkongruenz als geradezu ideale Anlagemöglichkeit für Giroeinlagen. Der Mittelstand als bevorzugter Kreditnehmer erschien demgegenüber als idealer Empfänger öffentlicher Kredite, weil seine Förderung durch die allgemeine Anerkennung seiner Bedürftigkeit politisch legitim erschien und von den Gegnern der Sparkassen deshalb nicht wirksam bekämpft werden konnte.182 Die Etablierung des Mittelstandeskredites hat den Sparkassen den (Wieder-) Einstieg in die kurzfristige Unternehmensfinanzierung eröffnet. Josef Wysocki hat versucht, die Unterversorgung des Mittelstandes zu Eberles Zeiten anhand eines ökonomischen Modells zu charakterisieren.183 Wie Dieter Ziegler anmerkt, ist der Versuch eines Beweises einer suboptimalen Verteilung von Kapital aufgrund von grundsätzlichen Überlegungen jedoch problematisch.184 Doch selbst wenn diese suboptimale Verteilung existierte und nachträglich feststellbar wäre, geht Wysockis Untersuchung am eigentlichen Problem genauso vorbei wie sein Vorwurf gegenüber Eberle, eine unwissenschaftliche Rhetorik zu verwenden, was seine ökonomischen Aussagen betraf.185 Eberle und seine Mitstreiter von den Mittelstandsvereinigungen hatten nie behauptet, dass eine finanzielle Förderung des Mittelstandes zu einer ökonomisch optimalen Allokation des Kapitals führen könnte. Die Akzeptanz des Förderungsbedürfnisses dieser Gruppe bedeutete die Akzeptanz des Wertes (und der Werte) des Mittelstandes für das politische Gemeinwesen, nicht für die Volkswirtschaft. Die Förderung des Mittelstandes war deshalb keine ökonomische Frage, sondern eine politische. Dies ist der entscheidende Unterschied zwischen der historischen 182 Josef Wysocki hat diese Interessenkongruenz zwischen politischer Mittelstandsvertretung und der bankmäßigen Entwicklung der Sparkassen dazu veranlasst zu spekulieren, ob Eberle die Mittelstandsideologie lediglich benutzt hat, um die Kritik der privaten Banken an der Aufnahme des Giroverkehrs durch die Sparkassen abzuwehren. Er kommt aber zu dem Schluss, dass diese Annahme nicht notwendig ist, weil der Fall einer Divergenz der Interessen des Mittelstandes und der Sparkassen nicht eingetreten ist. Wysocki, Zahlungsverkehr, S. 95. 183 Er erkennt ein Versagen des Geld- und Kreditmarktes, dass sich dadurch ausdrückt, dass existierende kapitalintensive Unternehmen gegenüber arbeitsintensiven Neugründungen grundsätzliche Vorteile in Bezug auf die Kapitalversorgung besitzen. Der Markt spaltet sich, wobei der eine Teilmarkt der Großbanken und Großkonzerne stets im Überfluss mit Kapital versorgt wird, während die regionalen Märkte der mittelständischen Unternehmen und Banken eine relative Unterversorgung erleiden. Weil diese Spaltung nicht allein durch Marktprozesse wieder aufgehoben werden könne, ist eine staatliche Intervention berechtigt. Ebenda, S. 97, 106 f. 184 Ziegler, Dieter, The Origins of the ‚Macmillan Gap‘. Comparing Britain and Germany in the early twentieth century, in: Cotrell, Philip. L.; Teichova, Alice; Yuzawa, Takeshi (Hg.), Finance in the Age of the Corporate Economy. The Third Anglo-Japanese Business History Conference, Adlershot 1997, S. 184–208, S. 187 f. 185 Ashauer, Ersparungscasse, S. 213; Wysocki, Zahlungsverkehr, S. 100.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung

 51

Debatte um den Mittelstandskredit und der heutigen Debatte um die Effizienz der Relationship-Lending-Strategie.

Die Debatte um das Staatsbankgesetz in der Braunschweigischen Landesversammlung von 1919 In Braunschweig entstand die politische Verbindung zwischen dem Mittelstand und dem öffentlich-rechtlichen Kreditwesen während der Verhandlungen zum Staatsbankgesetz im Herbst 1919. Emil Bartels hatte in seinem Gesetzesentwurf die Vergabe von Personalkrediten vorgesehen. Die Staatsbank sollte anders als die Leihhausanstalt die Möglichkeit bekommen, Kredite auch ohne dingliche Sicherheiten zu vergeben. Das Institut drang mit diesem Schritt in das Hauptgeschäft der privaten Banken im Herzogtum Braunschweig ein. Bereits aus der Debatte im Landtag 1916 konnte Bartels den Schluss ziehen, dass Teile des Bürgertums einer Expansion der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung grundsätzlich ablehnend gegenüberstanden. Der Bankier Emil Glaser hatte Bartels damals bereits vorgeworfen, durch die Reformtätigkeit ein staatliches Bankenmonopol anzustreben.186 1916 war deshalb von ungedeckten Krediten noch keine Rede gewesen. Da zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über Bartels Gesetzesentwurf im November und Dezember 1919 eine Große Koalition aus MSPD, DDP und dem Landeswahlverband (LWV)187 regierte, war Bartels zudem darauf angewiesen, dass auch bürgerliche Kräfte die Reform mittrugen. In der ersten Lesung des Staatsbankgesetzes im November 1919 hatten die Abgeordneten des LWV deutlich gemacht, dass sie jede Tendenz zur Verstaatlichung des Bankwesens kategorisch ablehnten. Der Abgeordnete Helmut Wangelin riet Bartels ausdrücklich, der Öffentlichkeit die Inhalte der Reform so zu erklären, dass der Verdacht einer versteckten Verstaatlichung des Bankwesens nicht aufkommen konnte.188 Eine politisch durchsetzbare Rechtfertigung konnte nur darin bestehen, dass eine allgemein anerkannte Bedarfslücke bei der Versorgung der privaten Wirtschaft mit Krediten festgestellt wurde. Es ging dabei nicht um eine reale, ökonomisch nachzuweisende Bedarfslücke, sondern darum, dass eine politische Mehrheit der Meinung war, dass bestimmte Gruppen potentieller Kreditnehmer unterversorgt waren. Da die Vertreter der Banken und der Großindustrie seine Expansionspläne kategorisch ablehnten, wandte sich Bartels an den Mittelstand. In der Förderung des Kredites für diese Gruppe erkannte Bartels ähnlich wie Johann Christian Eberle eine Chance für den Einstieg in die Unternehmensfinanzierung. In der Begründung des 186 Braunschweigischer Landtag, 9. Sitzungsbericht vom 2.3.1916, S. 187 Der Landeswahlverband war eine Fraktionsgemeinschaft aus (DVP), der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und der welfischen schen Partei. 188 Braunschweigische Landesversammlung, 83. Sitzungsbericht am

156. der Deutschen Volkspartei Braunschweig-Niedersächsi27. November 1919, S. 3791.

52  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Gesetzentwurfes warb Bartels deshalb offen um die Vertreter der mittelständischen Wirtschaft: Erweitert ist das Darlehnsgeschäft durch die begrenzte Gestattung von Darlehn gegen Bürgschaft und Verpfändung von Buchforderungen sowie von ungedeckten Darlehen. Im Gegensatz zu anderen Landesbanken und zu der preußischen Gesetzgebung für die öffentlichen Sparkassen war der Staatsbank bislang die Hingabe derartiger Darlehne [sic!] nicht gestattet, obwohl die hiermit gemachten Erfahrungen, namentlich bei den preußischen Sparkassen, und die große Bedeutung dieser Einrichtungen für die Genossenschaften, das Handwerk und Kleingewerbe hierzu hätten Anlaß geben sollen. Die schwierigen Verhältnisse, welchen der Mittelstand in den kommenden Jahren entgegensieht, lassen es geboten erscheinen, daß die Staatsbank in die Lage gesetzt wird, auch auf diesem Gebiete eine segensreiche Tätigkeit zu entfalten.189

Wie stark die Mittelstandsförderung bereits 1919 parteiübergreifend Konsens war, wird in der Debatte über das Staatsbankgesetz in der Landesversammlung deutlich. Nicht ein einziges Mal wurde dort hinterfragt, ob es gerechtfertigt wäre, den Mittelstand besonders zu fördern. Die Betonung der Förderung des Mittelstandes war also eine robuste Strategie, um den Einstieg in die Unternehmensfinanzierung zu rechtfertigen. Da der Anspruch des Mittelstandes auf staatliche Hilfen nicht bestritten werden konnte, zweifelten Bartels Gegner an, dass sich die Staatsbank dauerhaft auf den Mittelstand beschränken würde. Heinrich Wessel (LWV) erwartete stattdessen ein Eindringen der Staatsbank in das Geschäft der Privatbanken und darauf folgend große Einbußen für die Institute. Eine zusätzliche Kreditleistung für den Mittelstand hielt er dagegen für unmöglich: „Ich bezweifle aber, daß die Staatsbank die Hoffnungen und Erwartungen des Mittelstandes voll befriedigen kann. Ich fürchte, daß gerade diese Kreise, die von der Staatsbank etwas Besonderes erwarten, eine arge Enttäuschung erleben werden. Denn die Kredite können in dem Maße, wie es der Mittelstand erwartet, von der Staatsbank nicht gegeben werden, jedenfalls nicht größer als heute von den Privatbanken.“190 Wessels Aussage stellte den Versuch des Landeswahlverbandes dar, ihre mittelständischen Fraktionsmitglieder von einer Unterstützung des Gesetzes abzuhalten. Bartels musste die Mittelstandsvertreter deshalb davon überzeugen, dass die Staatsbank ihre finanziellen Mittel auch tatsächlich dem Mittelstand zur Verfügung stellte. Die Grundlage von Bartels Überzeugungsarbeit waren die rechtlichen Bestimmungen über die Kreditvergabe der Staatsbank. Mithilfe einer möglichst restriktiven Formulierung der Bestimmungen wollte Bartels die Ausrichtung der Staatsbank auf die Mittelstandsfinanzierung möglichst glaubwürdig machen. Deshalb schlug er in seinem Gesetzentwurf feste Obergrenzen für ungesicherte Kredite vor. Die Fixierung von festen Obergrenzen war zu jener Zeit ein ungewöhnlicher Vorgang. Bei der Mustersatzung der Sparkassen, die allerdings erst 1927 veröffentlicht wurde, verzichtete man bewusst auf eine absolute Obergrenze für Mittelstandskredite, sondern legte 189 Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 237 vom 23. Oktober 1919, S. 3. 190 Braunschweigische Landesversammlung, 88. Sitzungsbericht am 12. Dezember 1919, S. 4071.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung



53

stattdessen die Maximalhöhe eines einzelnen Kredites auf 1 % der Gesamteinlagen fest.191 Die Landesbanken und Staatsbanken in anderen Ländern besaßen ebenfalls keine gesetzlichen Obergrenzen.192 Durch diese ungewöhnliche Maßnahme war Bartels jedoch in der Lage, Wessels Kritik zu kontern: Nun sehen Sie sich einmal ein Bankgeschäft an und fragen Sie, was ein Privatbankier machen würde, wenn ihm derartige Fesseln angelegt würden. Er würde sagen: Ich mache mein Geschäft zu. […] Das Bankgeschäft verdient an den großen Krediten, an Krediten von mehreren 100.000 M, ja von Millionen. Diese großen Kredite zu geben, soll aber Sache der Staatsbank nicht sein. Wir beschränken uns auf den Kleinkredit, vor allem den Kredit für den Mittelstand. Für eine öffentliche Bank sind diese Grenzen sehr wohl erträglich.193

Die Argumentation von Emil Bartels war offenbar glaubwürdig. Es gelang ihm, die Vertreter des Mittelstandes innerhalb des bürgerlichen Lagers für sein Vorhaben zu gewinnen und den Landeswahlverband in dieser Frage zu spalten. Der Mittelstandspolitiker Moritz Liebald (LWV) verteidigte seine Zustimmung zum Staatsbankgesetz genau mit den Argumenten, die in der vorhergehenden Dekade Johann Christian Eberle für eine staatliche Mittelstandsförderung bereits ausformuliert hatte. So kritisierte er die Übernahmen regionaler Banken durch die Großbanken und die Konzentration des Kapitals in den industriellen Zentren. Mit der Kritik an den Großbanken rechtfertigte er das Bündnis des Mittelstandes mit der neuen staatlichen Bank. Und wir von den Mittelstandskreisen des Bürgertums können andererseits feststellen, daß wir bei diesen staatlichen Banken für unsere Wünsche und Kreditbedürfnisse weit mehr Verständnis gefunden haben als bei bestimmten Großbanken, die es sonst im Reich gibt, und die fast den gesamten Geldmarkt beherrschen. […] Schließlich ist uns ein Monopol des Staates auf dem Geldmarkt immer noch lieber als ein Privatmonopol einiger Banken, denen Kreditbedürfnisse weiter Volkskreise gleichgültig sind.194

Emil Bartels nutzte 1919 die Diskussion um die Kreditnot des Mittelstandes, um die Erlaubnis zum Einstieg in die Unternehmensfinanzierung in der Landesversammlung durchzusetzen. Er brauchte die Stimmen der Mittelstandsvertreter nicht unbedingt für eine parlamentarische Mehrheit. Er wollte jedoch dafür Sorge tragen, dass die Erweiterung der Geschäftstätigkeit unangreifbar war, sodass sie auch bei einer bürgerlichen Mehrheit in der Landesversammlung Bestand hatte. Im Mittelstandskredit fand er die beste Legitimation für das Vordringen der Staatsbank in das angestammte Geschäftsgebiet der Privatbanken. Er hatte deren Zustimmung jedoch nicht

191 Die Beleihungsgrundsätze waren zudem bei Krediten nicht in die eigentliche Satzung integriert, sondern wurden getrennt von dieser als eigenständiger Teil II veröffentlicht. Vgl. dazu Simon, Ludwig, Das Neue Sparkassenrecht. Kommentar zur Mustersatzung der Sparkassen vom 26. Juli 1927, Berlin 1928, S. 182. 192 Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 237 vom 23. Oktober 1919, S. 3. 193 Braunschweigische Landesversammlung, 88. Sitzungsbericht am 12. Dezember 1919, S. 4077 f. 194 Ebenda, S. 4073.

54  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

nur durch allgemeine Zusicherungen gewonnen, sondern durch die Festlegung der Eigenschaften des Mittelstandskredites im Gesetz. Die Bestimmungen über die Kreditgrundsätze der Staatsbank und die darin festgelegten Obergrenzen waren die Basis des Bündnisses zwischen Mittelstand und Staatsbank. Sie sollen im Folgenden näher vorgestellt werden.

Das Staatsbankgesetz und die rechtliche Beschränkung der Unternehmensfinanzierung Die Kreditvergabe des Instituts wurde in dem neuen Gesetz genau spezifiziert. Allein zwölf Paragraphen regelten das Hypothekengeschäft. Durch diese Paragraphen wurden bestimmte soziale Gruppen gegenüber anderen bevorzugt. Für die erste Hypothek lag die Beleihungsgrenze allgemein bei 60 % des geschätzten Wertes der Immobilie. Die damals meist gewürdigte Neuerung war die reguläre Einführung der zweiten Hypothek.195 Dadurch konnte eine weitere Hypothek auf ein bereits belastetes Grundstück aufgenommen werden. Die Grenze für die zweite Hypothek lag bei 75 %. Mit der Einführung der zweiten Hypothek erhöhte sich also der mögliche Kreditrahmen für Grundbesitzer deutlich. Mithilfe einer Bürgschaft durch ein gemeinnütziges Unternehmen konnte die zweite Hypothek sogar auf bis zu 90 % des Beleihungswertes ausgedehnt werden.196 Die Einführung der allgemeinen zweiten Hypothek sowie die Möglichkeit der Ausdehnung auf 90 % waren vor allem für den wohlhabenderen gewerblichen Mittelstand sowie für die Landwirte lang ersehnte Möglichkeiten, zusätzliches langfristiges Fremdkapital zu bekommen, weil der Grundbesitz oft die einzige Sicherheit war, die diese Gruppen bieten konnten.197 Besitzer von speziellen Immobilien waren dagegen im Nachteil. Die Staatsbank blieb wie schon das Leihhaus gesetzlich darauf beschränkt, den Wert eines Grundstückes unabhängig von seiner Nutzung zu bestimmen. Dies betraf vor allem Fabrikgrund-

195 Diese war bereits 1918 gesetzlich eingeführt worden, allerdings nur für spezielle Fälle im Zuge der Förderung von Heimstätten. Vgl. Schreiben des Herzoglich Braunschweig-Lüneburgischen Staatsministeriums an die Landesversammlung auf dem 34. ordentlichen Landtag 1918, Braunschweig den 30. Januar 1918 [Nr. C I 2278/17, in: NLA WO 12 Neu 9, Nr. 1082. 196 Braunschweigische Landesversammlung, 89. Sitzungsbericht am 12. Dezember 1919, S. 4126. Dieses gemeinnützige Unternehmen konnte eine Genossenschaft oder eine Garantiegemeinschaft sein, beides Organisationen des Mittelstandes. Vgl. zu den sogenannten Haftungsgenossenschaften, einer Idee Johann Christian Eberles aus dem Jahr 1912: Hörstmann, Alexander, Die Konkurrenz zwischen öffentlichen Sparkassen und Kreditgenossenschaften, [Diss.], Celle 1928, S. 126–131. 197 1910 wurde unter anderem aufgrund der mangelnden Beleihungsmöglichkeiten von Grundstücken die genossenschaftlich organisierte Grundbesitzerbank zu Braunschweig eGmbH gegründet. Sie war die direkte Vorgängerin der Volksbank Braunschweig Wolfsburg. Zukunft braucht Vergangenheit. Hundert Jahre Volksbank Braunschweig Wolfsburg (1910–2010), hrsg. von der Volksbank eG Braunschweig Wolfsburg, Braunschweig 2010, S. 3.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung 

55

stücke, die nur beliehen werden durften, soweit sie einen vom Fabrikbetrieb unabhängigen Wert besaßen.198 Faktisch begrenzte diese Regel den Kredit gerade für kleine und mittlere Industriebetriebe. 199 Die neuen Bestimmungen im Realkreditgeschäft waren ohne Zweifel ein Fortschritt. Die wirkliche Revolution lag jedoch im kurzfristigen Kreditgeschäft. Die Ausdehnung der Geschäftstätigkeit der Staatsbank auf den kurzfristigen Personalkredit konnte Bartels im endgültigen Gesetz in den meisten Punkten grundsätzlich durchsetzen. Lediglich die Emission von und der Eigenhandel mit Aktien waren eingeschränkt. Der grundsätzlichen Freiheit der Staatsbank in ihrer Geschäftstätigkeit stand allerdings eine Reihe von Einschränkungen gegenüber. Vor allem die in den §§ 31–34 spezifizierten Bestimmungen über die geforderten Sicherheiten für Kredite waren restriktiv ausgelegt. Die Staatsbank verlangte für kurzfristige Kredite in der Regel dingliche Sicherheiten. Besonders ausführlich wurde die Beleihung von Wertpapieren im Gesetz behandelt.200 Für Aktien von Banken und der Industrie galt eine allgemeine Beleihungsobergrenze von nur 10.000 Mark. Jede höhere Beleihung bedurfte der Genehmigung des Direktoriums.201 Die Obergrenze von 10.000 Mark war höchstens für Privatanleger und Kleinunternehmer interessant, nicht jedoch für größere Unternehmen.

198 Diese Regel konnte allerdings für gemeinnützige Unternehmen oder im Falle eines gemeinnützigen Interesses aufgehoben werden, jedoch nur durch das Direktorium. StBG von 1919, § 20, 1+ 3. Durch diese Einschränkung sollte einerseits die Komplexität der Wertermittlung vermindert werden. Den langfristigen Wert von Fabrikanlagen festzustellen, war mit viel mehr Unsicherheiten behaftet als die Bewertung von Wohnhäusern. Neben der Entwicklung des Grundstückmarktes müsste zusätzlich abgeschätzt werden, wie sich die Branche entwickelt, deren Produkte die Fabrik herstellt. Man müsste antizipieren, wie der Produktionsprozess sich verändert, weil dies einen hohen Einfluss auf den Wert der beliehenen Maschinen ausübt. 199 Dies ist der konkrete Unterschied zu der Beobachtung von Thorsten Proettel, der bei der Oberamtssparkasse Kirchheim unter Teck genau diese Einschränkung nicht fand. Vgl. Proettel, Darlehnsvergabe, S. 7 f. 200 Das Gesetz stellte eine Wertigkeitsordnung über vier Klassen von Wertpapieren auf, die zu unterschiedlicher Höhe beliehen werden konnten. Zu Klasse I gehörten Schuldverschreibungen des Reiches und der Länder. Sie durften mit 90 % beliehen werden. Klasse II beinhaltete kommunale Schuldtitel und Pfandbriefe und durften bis zu 80 % beliehen werden. In Klasse III befanden sich Aktien von Banken, deren Kurs höher als 110 % lag sowie Schuldverschreibungen von Industrieunternehmen, die mit 75 % beliehen werden durften. Die Klasse IV bildeten neben ausländischen Schuldverschreibungen Aktien von Industrieunternehmen, deren Kurs mindestens 120 % betragen musste. Diese durften nur bis zu 60 % ihres Wertes beliehen werden. 201 Die Aktien mussten außerdem regelmäßig an deutschen Effektenbörsen notiert sein. Eine Sonderregelung galt hier für Aktienbanken und Unternehmen aus dem Freistaat Braunschweig. Hier reichte es aus, wenn ein beeidigter Kursmakler Kursnotizen regelmäßig veröffentlichte. Diese Regelung war deshalb notwendig, weil nur wenige Aktiengesellschaften im Freistaat es an eine der großen Börsen geschafft hatten. StGB vom 20.12.1919, §§ 32, 33.

56  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Selektiv waren auch die Restriktionen bei den Bestimmungen für den ungesicherten Kredit. Aktienbanken durften ungedeckte Kredite in Anspruch nehmen, wenn sie über ein Aktienkapital von mindestens 15 Millionen DM verfügten. Kreditgenossenschaften durften unbegrenzt Kredit aufnehmen, wenn sie einem Revisionsverband angehörten oder ihre Bücher durch die Staatsbank prüfen ließen. Die Banken im Freistaat Braunschweig durften dagegen nur bis 100.000 Mark BlankoKredite in Anspruch nehmen. Für eingetragene Firmen, also Unternehmen, die im Handelsregister registriert waren, betrug die Obergrenze 15.000 Mark, für Privatpersonen nur 3.000 Mark.202 Fasst man alle restriktiven Maßnahmen zusammen, dann scheinen sie sich fast ausschließlich gegen eine bestimmte Gruppe zu richten. Für größere Unternehmen war es fast unmöglich, eine ausreichende Finanzierung von der Staatsbank zu erhalten. Hypotheken konnten sie nur für Grundstücke bekommen, die sich problemlos in Wohnungsgrundstücke umgestalten ließen. Ihre Fabriken waren dagegen für diesen Zweck weitgehend wertlos. Ihren Aktienbesitz konnten sie nur zu einem ebenso geringen Betrag lombardieren, wie es der Maximalbetrag für Blankokredite war. Bürgschaften oder die Verpfändung von Buchforderungen waren immerhin bis maximal 50.000 Mark beleihbar. Die großen Unternehmen im Freistaat wie Büssing oder die Braunschweigische Maschinenbauanstalt konnten mit solchen Beträgen jedoch nichts anfangen. Eine Finanzierung über Aktienbeteiligung oder -emission war der Staatsbank in der Regel nicht erlaubt. Es ist offensichtlich, dass die Grundsätze der Kreditvergabe Großunternehmen vom öffentlichen Kredit weitgehend ausschlossen. Demgegenüber war der gewerbliche Mittelstand in allen Bereichen privilegiert. Die niedrigen Obergrenzen bei bestimmten Kreditarten konnten die Handwerker, Einzelhändler und Kleingewerbetreibenden kaum beeinträchtigen. Im Gegenteil war der Ausschluss der Großkonzerne für sie ein entscheidender Vorteil. Die eigentlich besonders lukrativen Kredite an große Unternehmen wurden durch sie weitgehend verhindert. Damit waren die mittelständischen Betriebe vor dem Wettbewerb mit den Großkonzernen um Kapital geschützt. Dieser Schutz sollte durch die gesetzliche Fixierung der Obergrenzen im Staatsbankgesetz langfristig erhalten werden. Eine Änderung dieser Grundsätze, wie er durch den wirtschaftlichen Wandel jederzeit notwendig werden konnte, war nur durch eine formale Gesetzesänderung möglich. Zwar konnten die Sicherungsbestimmungen mithilfe des Landtages und des Staatsministeriums dank der §§ 1 und 30 umgangen werden, doch dieser Weg war zu umständlich, um ihn im regulären Tagesgeschäft einzusetzen. Die gesetzliche Verankerung der Mittelstandsfinanzierung in den Grundsätzen der Kreditvergabe schien auf den ersten Blick eine robuste Grundlage für eine dauerhafte Ausrichtung der Geschäftspolitik der Staatsbank auf diese Kreditnehmergruppe zu bieten. Immerhin legte sich hier eine öffentlich-rechtliche Bank selbst starke Fesseln an, für deren Sprengung eigens eine parlamentarische Entscheidung herbei202 StGB vom 20.12.1919, § 34.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung

 57

geführt werden musste. Andererseits gab es keine anderweitige Selbstbindung der Bank. Das Staatsbankgesetz erwähnte den Mittelstand mit keinem Wort. Eine zentrale Frage war, ob die Staatsbank die Möglichkeit, ungesicherte Kredite zu vergeben, für die Vergabe von Mittelstandskrediten nutzen würde. Der § 34, in dem die Regeln für ungesicherte Kredite spezifiziert wurden, war als Kann-Regel ausgelegt. Für den ungesicherten Kredit an eingetragene Firmen und Privatpersonen wurde in dem Paragraphen zudem eine Bedingung eingefügt, die die Vergabe eines solchen Kredites davon abhängig machte, dass „die Verhältnisse des Darlehnsnehmers genügende Sicherheit für den eingeräumten Kredit bieten.“203 Die Frage war, ob diese Sicherheit auch durch die persönliche Einschätzung des Kreditgebers über die Zuverlässigkeit des Kreditnehmers erbracht werden konnte, wie dies von den Mittelstandsvertretern gefordert wurde. Die grundsätzliche Ausrichtung der Leihhausreform an dem Grundsatz der Rationalisierung verhieß jedoch in dieser Hinsicht nichts Gutes. Bartels ließ sich bei seiner Reform von dem Gedanken leiten, die Rationalisierungsmöglichkeiten eines gegenüber kommunalen Sparkassen vergleichsweise großen Geschäftsgebietes zu nutzen. Durch Objektivierung, Standardisierung und Zentralisierung der Geschäftsbeziehungen konnte er moderne Finanzdienstleistungen, wie freizügige Spar- und Girokonten, sowie die gängigen Formen des kurzfristigen Kredites im ganzen Herzogtum einführen. Diese drei Voraussetzungen bedingten sich gegenseitig. Eine zentrale Kreditkontrolle konnte nur funktionieren, wenn Informationen über die von den Kreditnehmern gebotenen Sicherheiten unabhängig von der Person zu bewerten und unmittelbar mit anderen Kreditfällen vergleichbar waren. Deshalb hatten alle neu eingeführten Formen von akzeptierten Sicherheiten gemeinsam, dass für sie ein Marktwert existierte, wodurch sie die beiden Kriterien der Objektivität und der Vergleichbarkeit erfüllten. Gerade dies war jedoch der Hauptkritikpunkt des Mittelstandes an den Großbanken gewesen. Je stärker die Banken expandierten, je mehr Kreditfälle sie zu bearbeiten hatten, desto unwahrscheinlicher war die Vergabe von Krediten auf Basis persönlicher Einschätzungen und Erfahrungen. Das entscheidende Hindernis war die Unmöglichkeit der Objektivierung der persönlichen Beziehungen zwischen den Kreditparteien. Je erfolgreicher die Reform des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens in Braunschweig war, je stärker die Staatsbank also expandierte, desto schwieriger wurde die Vergabe von Mittelstandskrediten. Die grundsätzliche Richtung der Reform stand der Aufrechterhaltung der politischen Unterstützung durch den Mittelstand entgegen, weil Erstere auf Standardisierung und Objektivierung der Kreditbeziehungen setzte, während Letztere deren Subjektivierung einforderte. Die festen Obergrenzen verminderten die Gefahr eines Konfliktes, weil durch die weitgehende Ausschaltung der Kreditvergabe an Großunternehmen die mittelständischen Kreditnehmer sich hauptsächlich untereinander Konkurrenz machten. Aus 203 Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 237 vom 23. Oktober 1919, S. 23.

58  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

der Debatte um die Einführung des Mittelstandskredites im Landtag wird die große Bedeutung dieser auf den ersten Blick wenig spektakulären Bestimmungen deutlich. Bartels wusste allerdings bereits 1919, dass die im Gesetz festgelegten Zahlen langfristig nicht haltbar waren. Noch während der Beratungen zum Staatsbankgesetz im Herbst 1919 wurde zum Beispiel die Höchstgrenze von durch Bürgschaft gedeckten Krediten von 30.000 Mark auf 50.000 Mark erhöht, und zwar nicht auf Bartels Betreiben hin, sondern auf Vorschlag der Finanzkommission der Landesversammlung.204 Der Grund dafür war die einsetzende Inflation.

Die Staatsbank in der Inflation Die aus den Bilanzzahlen ersichtliche wirtschaftliche Entwicklung der Braunschweigischen Staatsbank in der Inflationszeit folgte in groben Zügen der Entwicklung im Reich. Die nominale Bilanzsumme der Staatsbank stieg während der Inflationszeit sehr stark an. Preisbereinigt jedoch sank die Bilanzsumme drastisch.205 Nominal war sie im April 1924 auf 14,4 % der Vorkriegsbilanzsumme vom Oktober 1914 geschrumpft.206 Ein Vergleich mit anderen Kreditinstituten ist nicht ganz einfach, weil die Staatsbank gleichzeitig Geschäftsbank, Sparkasse und Realkreditinstitut war. Vergleicht man die Kontraktion der Bilanzsumme mit der der Sparkassen und der öffentlich-rechtlichen Bodenkreditinstitute, dann war der Verlust der Staatsbank gering. Die Bilanzsumme der Sparkassen war 1924 auf 8 % des Wertes von 1913 gefallen, die der öffentlich-rechtlichen Realkreditinstitute sogar auf 1 %. Gegenüber den Großbanken war die Staatsbank allerdings deutlich im Nachteil. Deren Bilanzsumme lag 1924 bei 53 % des Vorkriegswertes.207 204 Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 264, Anträge des Finanzausschusses zu dem in der Drucksache 237 enthaltenen Entwurfe eines Staatsbankgesetzes, in: Verhandlungen der Landesversammlung des Freistaates Braunschweig. Drucksachen, Bd. 1, 1919/20, Braunschweig 1922, S. 2. 205 Nimmt man die vom statistischen Amt des Reiches erhobenen Großhandelspreise zur Grundlage, dann lag der Bilanzwert im März 1919 real bei 87,6 % des Wertes vom Oktober 1914. Im März 1922 lag der Wert bei 12,3 %. Eigene Berechnungen auf der Grundlage der Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge. Realwerte nach Großhandelspreisen des statistischen Amtes des Reiches, Indices übernommen von Otto Pfleiderer, Die Reichsbank in der Zeit der großen Inflation, die Stabilisierung der Mark und die Aufwertung der Kapitalforderungen, in: Deutsche Bundesbank (Hg.), Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876–1975, Frankfurt a. M. 1976, S. 157–201, S. 172. 206 Preisbereinigt waren es sogar nur noch 13,8 %. Eigene Berechnung auf Grundlage von Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1924/25, S. 20 f. Preisbereinigung nach Großhandelspreisindices des statistischen Amtes des Reiches, Indices übernommen aus: Untersuchung des Bankwesens, 1. Teil, Bd. 2, hrsg. vom Untersuchungsausschuss für das Bankwesen, Berlin 1933, S. 199. 207 Die Daten für die Bilanzsummenvergleiche stammen aus: Holtfrerich, Auswirkungen der Inflation, S. 192 f.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung 

59

Tab. 1: Bilanzsummen der Staatsbank, nominal und preisbereinigt (1914–1932) Bilanzsumme (in Millionen Mark, ab 1924 RM) Nominal

Real

1914

112,3

107,7

1919

280,8

102,5

1920

394,4

23,1

1921

532,4

39,8

1922

782,9

14,4

1923

17.748,8

3,6

16,2

14,9

1924*

* Reichsmark-Eröffnungsbilanz vom 1. April 1924. Quelle: Eigene Berechnungen nach: Achterberg, Staatsbank, S. 160. Tab. 2: Bilanzstruktur (1914–1924, in Prozent der Bilanzsumme) langfristiges Aktivgeschäft kurzfristiges Aktivgeschäft und Liquiditätsanlagen

Passivgeschäft

Hypotheken

Kommunaldarlehen

Verbriefte GläubiSchuld* ger**

1914

76,9

10,4

87,3

5,1

1920

18,5

16,7

35,2

35,4

1921

14,7

31,5

46,2

27,6

1922

10,7

27,6

38,2

33

12,7

1923

0,4

1,1

1,5

22,3

45,6

1924

3,3

-

3,3

41,4

6,7

Zusammen

Debitoren Wechsel, unverzinsliche Schatzanweisungen

0

Guthaben zusambei men anderen Banken

0

5,1

40

39,7

6,6

13,8

55,8

18,2

58,9

13,5

8,8

50

15,2

65,7

12,9

58,6

13,5

0,7

68,7

1,7

91

41,4

89,4

3,3

78,7

Spareinlagen***

17,1

65,7

1,8

* Pfandbriefe, Leihausschuldverschreibungen, Kommunalschuldverschreibungen ** Giroeinlagen, Depositen, Spareinlagen *** enthalten in Gläubiger Quelle: NWA, 8 Nr. 699, Bilanzbuch der Braunschweigischen Staatsbank von 1920–1948.

Die Bilanzstruktur der Staatsbank war auf der Passivseite mit kaum einem anderen Kreditinstitut vergleichbar, weil die Staatsbank sowohl Spareinlagen, Giroeinlagen und Depositen annahm als auch Schuldverschreibungen emittierte. Bei den Sparkassen dominierten die Spareinlagen, bei den Realkreditinstituten die Schuldverschreibungen. Die anderen Staatsbanken hatten fast ausschließlich Giroeinlagen und Depositen zur Verfügung, was ebenso für die privaten Banken und Genossenschaften galt. Lediglich die Landesbanken und Girozentralen konnten sowohl auf

60  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Einlagen als auch auf Schuldverschreibungen zurückgreifen. Allerdings fehlten ihnen die Spareinlagen. Dieser Sonderstatus galt bereits für die Leihhausanstalt. Hier hatten sich 1914 die Einlagen und die Emissionsschuld in etwa die Waage gehalten. Die Spareinlagen hatten knapp die Hälfte der Einlagen ausgemacht. Im Vergleich mit der Gesamtstruktur des deutschen Kreditsystems war der Anteil der Schuldverschreibungen überdurchschnittlich, der der Spareinlagen deutlich unterdurchschnittlich. Das Leihhaus war also in erster Linie ein Realkreditinstitut. Die Inflation sorgte bei der Staatsbank für eine fundamentale Verschiebung der Bilanzstruktur, sodass gegen Ende der Inflationszeit weder die Schuldverschreibungen noch die Spareinlagen eine Rolle spielten. Gleichzeitig wurden die Gelder immer kurzfristiger angelegt. 1923 waren 95 % aller Einlagen innerhalb von sieben Tagen fällig.208 Hier unterschied sich die Staatsbank allerdings kaum vom Kreditsektor insgesamt. Waren die Veränderungen auf der Passivseite letztlich inflationsbedingt und größtenteils temporär, veränderte sich das Kreditgeschäft der Staatsbank durch die Inflation dauerhaft. Der langfristige Kredit, also Hypotheken und Kommunaldarlehen, war mit einem Anteil von fast 90 % der Bilanzsumme im Jahr 1914 der Kern des Geschäftsmodells der Leihhausanstalt gewesen. In der Zeit der Inflation kam die Vergabe von Hypothekar- und Kommunaldarlehen fast zum Erliegen.209 Die Staatsbank nutzte die Einlagen nach dem Krieg hauptsächlich für die Vergabe kurzfristiger Kredite. 1914 machten Kontokorrentkredite gerade einmal 5 % der Bilanzsumme aus. In der letzten Papiermarkbilanz vom 31. März 1924 wurde der Anteil mit 41,4 % angegeben. Der dauerhafte Einstieg ins kurzfristige Kreditgeschäft war die wichtigste Folge der Krisen und Umbrüche der Weimarer Zeit für die Geschäftstätigkeit der Staatsbank. Der fundamentale Wandel der Geschäftstätigkeit der Staatsbank ging einher mit einem starken Ausbau des Kreditinstitutes nach innen und nach außen. Als das Staatsbankgesetz 1919 verabschiedet wurde, hatte dieser Ausbau gerade erst begonnen. Der seit 1919 amtierende erste Staatsbankpräsident Oscar Stübben formulierte seinen Eindruck aus dieser Anfangszeit, aus dem Jahr 1933 zurückblickend, so:

208 Eigene Berechnungen auf Grundlage der Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, Verschiedene Jahrgänge. 209 Im März 1920 machte es lediglich noch 35 % der Bilanzsumme aus. Doch nicht nur relativ, sondern auch absolut ging die Gewährung von Realkrediten zurück. Von 1918 bis 1920 hatte sich der Bestand an Hypotheken um zwölf Millionen Mark auf 73 Millionen Mark verringert. Nur in Zeiten relativer Stabilität vor allem im Geschäftsjahr bis zum Frühjahr 1921 war ein gewisser Markt vorhanden. 1921/22 wuchs das Hypothekengeschäft absolut nur noch geringfügig, um dann 1922/23 zusammenzubrechen. Mit dem Beginn der Hyperinflation im Sommer 1922 gab es keine Neuemissionen von Pfandbriefen mehr. Die Schuldner zahlten mit dem entwerteten Geld massenhaft ihre Hypothekenschulden zurück. Allein im Jahr 1922/23 fiel der Posten Hypotheken um fast 20 Millionen Mark auf etwa 65 Millionen.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung

 61

Ich fand damals wohl den gesetzlichen Rahmen in dem vom Landtage Ende 1919 verabschiedeten Staatsbankgesetze vor und einige Anfänge bankmäßiger Einrichtung – aber nicht mehr. […] Als ich nach Braunschweig kam, war die damalige Leihhausanstalt in den Kreisen der deutschen Wirtschaft und Finanz außerhalb Braunschweigs und seiner nächsten Umgebung so gut wie unbekannt. Ein Scheck auf die Leihhausanstalt wurde damals gerade vom Schaffhausenschen Bankverein in Köln zurückgewiesen, da er Existenz und Firma der Leihhausanstalt nicht kannte.210

In den bisher veröffentlichten Darstellungen der Geschichte der Braunschweigischen Staatsbank und Landessparkasse wird der Person Oscar Stübbens kaum Beachtung geschenkt.211 Stübben hat die Braunschweigische Staatsbank und die Braunschweigische Landessparkasse von Ende 1919 bis zum Juni 1932 als Präsident geleitet. Indem er Emil Bartels Reformideen erweiterte und praktisch umsetzte, entwickelte sich der Komplex aus Staatsbank und Landessparkasse tatsächlich in Richtung des effizienten, flexiblen und universalen Bankunternehmens, das beiden vorschwebte. Stübben hatte für den Umbau der Staatsbank und der Landessparkasse anfangs starken Rückhalt durch Bartels, der nach seinem Ausscheiden aus dem braunschweigischen Staatsdienst Ende 1919 noch bis 1921 als Verwaltungsrats- und Aufsichtsratsvorsitzender der Staatsbank eine zentrale Position bekleidete.212 Der Umbau der Geschäftstätigkeit vom langfristigen auf das kurzfristige Geschäft war nur durch verstärkten Personal- und Materialeinsatz zu bewältigen. Die Leihhausanstalt und die Herzogliche Sparkasse hatten 1914 gerade einmal 53 Personen beschäftigt. 1918 hatten Staatsbank und Landessparkasse 158 Mitarbeiter und im März 1924 waren es 704.213 Damit war die Staatsbank innerhalb von zehn Jahren von einer kleinen Behörde zu einem der bedeutendsten Arbeitgeber im Freistaat Braunschweig aufgestiegen. Allerdings waren die Mitarbeiterzahlen ebenso wie die Geschäftszahlen durch die Inflation verzerrt. Die starke Zunahme der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes sorgte dafür, dass die Zahl der Auf- und Abbuchungen noch stärker wuchs als das Geschäftsvolumen. Die Zahl der Girokonten stieg zwischen März 1921 und März 1923 fast um das Vierfache auf 19.000, während sich die 210 Stellungnahme Oscar Stübben, Anhang des Schreibens der Rechtsanwälte Justizrat E. Magnus, Dr. jur. E. Salomon, Br. Mielziner an das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank, Braunschweig, den 1. Juli 1932, S. 1, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012, S. 6 f. 211 Letztlich ist in den zugänglichen Untersuchungen nur über das Ende seiner Amtszeit in den Jahren 1931 und 1932 etwas zu erfahren. Dies hängt eng mit der Arbeit des Historikers Ernst August Roloff zusammen, der ihn im Zusammenhang mit der Personalpolitik in den öffentlich-rechtlichen Instituten während der Koalition der bürgerlichen Parteien mit den Nationalsozialisten von 1930 bis 1933 erwähnt. Vgl. Roloff, Bürgertum und Nationalsozialismus, S. 82–85. Auf das umstrittene Ende von Stübbens Amtszeit soll später noch eingegangen werden. 212 Protokoll der 1. Sitzung des Aufsichtsrates am 9. Juni 1920, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 3. 213 Von der Leihhausanstalt zur Braunschweigischen Staatsbank. Ein Rückblick nach der Fertigstellung des Umbaues der Hauptbank und der Zweigkassen, Braunschweig 1922, S. 12; Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1924/25, S. 9.

62  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Zahl der Depositenkonten nicht veränderte. Die Umsätze stiegen von März 1918 bis März 1922 nominal um den Faktor 8,8, während die Bilanzsumme sich im gleichen Zeitraum lediglich verdreifachte.214 Um die Buchungen durchzuführen, arbeiteten hunderte Frauen und Männer oft bis in die Nacht. Da Zahlungsvorgänge entweder schriftlich oder aber mündlich am Telefon oder am Schalter getätigt wurden, musste auch die Betreuung der Kunden massiv ausgebaut werden. Außerhalb der zentralen Kassen geschah dies vor allem durch einen großflächigen Ausbau des Filialgeschäftes. Ein Großteil des Beschäftigtenzuwachses entfiel deshalb nicht auf die Zentrale in Braunschweig, sondern auf die Filialen und Sparstellen. Das Zweigkassennetz wurde in der Inflation stark ausgebaut. Vor 1914 hatte es insgesamt sechs Zweigkassen in den Kreisstädten des Herzogtums gegeben. Am Ende der Inflation gab es insgesamt 18 Filialen der Staatsbank.215 Die Zahl der Sparstellen der Landessparkasse stieg in der Inflation noch viel stärker an als die Zahl der Zweigkassen. Die Zahl der nebenamtlichen Sparstellen hatte 1914 lediglich 38 betragen, im Oktober 1919 lag sie bereits bei 130.216 Bis zur Währungsreform stieg sie auf 184.217 Der Ausbau der Braunschweigischen Staatsbank und der Braunschweigischen Landessparkasse kompensierte in Braunschweig den durch den Strukturwandel hervorgerufenen Verlust privater Bankstellen.218 Die Sparstellen waren jedoch keine vollwertigen Filialen. Sie waren oft in bestehende Einrichtungen wie Lebensmittelläden, Gaststätten oder Gemeindehäuser integriert. Damit unterschied sich das System

214 Eigene Berechnungen auf Grundlage der Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, Verschiedene Jahrgänge. 215 Vor dem Krieg gab es Leihhäuser in Blankenburg, Braunlage, Bad Gandersheim, Helmstedt, Holzminden und Wolfenbüttel. Unter Emil Bartels kamen noch Zweigkassen in Bad Harzburg, Schöningen, Seesen und Thedinghausen dazu. Von der Leihhausanstalt zur Braunschweigischen Staatsbank, S. 16. Im März 1920 folgte die Zweigkasse in Hasselfelde. Im Laufe des Geschäftsjahres 1920/21 kamen noch Eschershausen, Königslutter, Oker, Schöppenstedt und Vorsfelde sowie zwei Depositenkassen in der Stadt Braunschweig dazu. Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1919/ 20, S. 5; Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1920/21, S. 6. 216 Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 237 vom 23. Oktober 1919, S. 1. 217 Dazu kamen noch neun hauptamtliche Sparstellen in der Stadt Braunschweig. Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, Verschiedene Jahrgänge. 218 Ludewig und Pollmann nennen als Grund für den Rückgang der Betriebszahlen die Schließung sowohl von Bank- als auch von Sparkassenfilialen, die nach dem Ersten Weltkrieg eingerichtet worden waren. Birgit Pollmann; Hans-Ulrich Ludewig, Nationalsozialistische Wirtschaftspolitik im Lande Braunschweig 1930-1939, Teil 1: in: Nationalsozialistische Wirtschaftspolitik in den Krisenjahren 1930–1933, in: Braunschweigisches Jahrbuch 65 (1984), S. 115–138, S. 118. Angesichts der geringen Größe des Freistaates ist es eher unwahrscheinlich, dass die Entlassungen bei den von den Großbanken übernommenen Privatbanken höher waren als die Aufstockung der Beschäftigtenzahlen bei Staatsbank und Landessparkasse um über 200 Personen. Deshalb ist zu vermuten, dass die Staatsbank einen Rückgang der Beschäftigtenzahlen im privaten Kreditsektor des Freistaates mindestens aufgefangen hat. Pollmann und Ludewig haben die Sparstellen nicht berücksichtigt und kamen daher zu einem falschen Bild.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung



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der Landessparkasse stark von dem der kommunalen Sparkassen in Deutschland. Diese verwarfen in der Weimarer Zeit die Idee, Sparkassenagenturen einzurichten.219 Die Landessparkasse drang mit ihren Sparstellen in fast jedes Dorf im Freistaat vor, eine Entwicklung, die die kommunalen Sparkassen erst nach dem Zweiten Weltkrieg vollzogen.220 Der Sparverkehr war so stark standardisiert worden, dass das Sparstellennetz mithilfe ehrenamtlicher und nebenamtlicher Mitarbeiter ausgebaut werden konnte.221 In der Zentrale und bei den Zweigkassen der Staatsbank war die Situation vollkommen anders. Hier musste das Personal den Einstieg in das kurzfristige Kreditgeschäft meistern. Da die Staatsbank gleichzeitig zu einem Großunternehmen heranwuchs, benötigte die Bank standardisierte Prozesse und Abläufe, um überhaupt funktionieren zu können. Bei der kurzfristigen Kreditvergabe wurde eine enge Kontrolle eingeführt.222 Dennoch konnte die Kreditvergabe nicht so stark standardisiert werden wie der Sparverkehr. Daher wurden für die Durchführung des kurzfristigen Kreditverkehrs neue Fachkräfte eingestellt: „Die Staatsbank hat ihren alten Stamm von Beamten mit Bankfachleuten durchsetzt und bietet so ihrer alten und neuen Kundschaft die Gewähr, an ihren Schaltern sachgemäßen Rat und interessewahrende Erledigung ihrer Geschäfte zu finden.“223 Diese Bankfachleute wurden überwiegend von außerhalb abgeworben. Ein Beispiel dafür ist der Umbau des Führungspersonals durch Oscar Stübben. Stübben selbst hatte zuvor jahrelang die Deutsche Pfandbriefanstalt in Posen geleitet, bevor er nach Braunschweig kam.224 Für das in der Inflationszeit besonders wichtige kurz219 Pohl, Ausgang des 19. Jahrhunderts, S. 104. 220 Schulz, vom Ende des Zweiten Weltkriegs, S. 303. 221 Schreiben des Staatsministeriums – Zentralabteilung an Reichswirtschaftsverband deutscher derzeitiger und ehemaliger Berufssoldaten (RdB) Ortsgruppe Braunschweig vom 3. Dezember 1919 [Nr. D 1449 1], in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 45991. 222 Im Lombardverkehr etwa galt die Regel, dass alle Kredite über einem bestimmten Wert (1926: 5.000 RM) vom Direktorium genehmigt werden mussten. Außerdem waren die Kassenleiter angehalten, dem Direktorium alle 14 Tage eine vollständige Liste aller Lombard-Kredite mit dem aktuellen Kurs aller übereigneten Wertpapiere zuzustellen. Ähnliche Regelungen galten auch bei anderen Sicherungsarten. 223 Von der Leihhausanstalt zur Braunschweigischen Staatsbank, S. 11. 224 Oscar Stübben wurde 1877 in Aachen geboren. Er trat nach einem Jurastudium, das er mit dem Doktorgrad abschloss, im Jahr 1900 zunächst in den preußischen Staatsdienst. 1907 wurde er nach eigener Aussage von Alfred Hugenberg nach Posen geholt. Stellungnahme Stübben, S. 1, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. Stübben wurde die Aufgabe zugewiesen, die Deutsche Pfandbriefanstalt zu leiten. Er war zu diesem Zeitpunkt 29 Jahre alt, was jedoch nicht nur für seine Fähigkeiten sprach, sondern auch dafür, dass in den „Germanisierungsgebieten“ in Posen und Westpreußen jungen ehrgeizigen Staatsbeamten ein schneller Aufstieg möglich war. Die Aufgabe der Pfandbriefanstalt war die Gewährung des städtischen Hypothekarkredits, hatte also nur mittelbar etwas mit der Germanisierung des Landbesitzes und der Landbevölkerung zu tun. Stübben wurde bereits im Krieg von der Bank abgezogen und arbeitete wieder unmittelbar als Verwaltungsbeamter. Nach dem Krieg wurde er bei den Friedensverhandlungen als Sachverständiger für Ostfra-

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fristige Kreditgeschäft warb er mit Wilhelm Rungs eine Fachkraft aus dem privaten Bankensektor ab. Dieser war zuvor als Leiter der Filiale Blankenburg der Braunschweiger Privatbank tätig gewesen, die Ende 1920 von der Deutschen Bank übernommen wurde.225 Er wechselte im Herbst 1920 aus Blankenburg auf die Stelle des Staatsbankdirektors nach Braunschweig.226 Rungs wurde während seiner Amtszeit zum engsten Mitstreiter Stübbens und war an allen wichtigen Entscheidungen der Staatsbank beteiligt. Demgegenüber wurde der dritte vorgesehene Direktoriumsposten, der für die Hypothekenabteilung zuständig war, an einen Politiker vergeben. Wilhelm Schulz war vor seinem Eintritt in die Dienste der Staatsbank Bürgermeister von Schöningen.227 Ähnliche Umbesetzungen wie im Direktorium wurden auch auf der Ebene der einzelnen Zentralkassen vorgenommen.228 Insgesamt wurden innerhalb des ersten Geschäftsjahres der Staatsbank alle zentralen Führungspositionen im öffentlich-rechtlichen Kreditwesen Braunschweigs neu besetzt. Da sich die Anforderungen an das Personal denen der privaten Banken anglichen, musste auch die Entlohnung sich verändern, damit die Staatsbank überhaupt für Fach- und Führungspersonal aus der Privatwirtschaft interessant wurde. Wie wenig attraktiv eine Anstellung bei der Staatsbank zu Anfang war, zeigt die Anstellung von Wilhelm Rungs, der als Filialleiter direkt in die Führungsetage der Staatsbank wechseln konnte. Anders als die Sparkassen war die Braunschweigische Staatsbank dem Reichstarifvertrag für das Bankwesen beigetreten und zahlte dementsprechend ähnliche Gehälter wie die privaten Banken.229 Stübben setzte für die Spitzenbeamten zudem Gratifikationszahlungen durch, die einen substantiellen Teil des Gehaltes

gen herangezogen. Da absehbar war, dass die Deutsche Pfandbriefanstalt in Posen nach der Übergabe der Provinz an Polen liquidiert werden würde, konnte Stübben nicht dorthin zurück. Da er nach Angaben von Emil Bartels jedoch weiterhin im öffentlich-rechtlichen Kreditwesen tätig sein wollte, erklärte er sich im Juli 1919 bereit, aus dem preußischen Staatsdienst auszuscheiden, um die Braunschweigische Staatsbank zu leiten. Oscar Stübben war Emil Bartels vor allem aufgrund seiner publizistischen Tätigkeiten bekannt geworden. Beide waren promovierte Juristen und spezialisiert auf das Verwaltungsrecht. Vor allem aber einte sie die Idee einer modernen öffentlich-rechtlichen Bank. Schreiben des Mitgliedes des Rates der Volksbeauftragten Emil Bartels an die Landesversammlung vom 28. Juli 1919, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. Seine Dienstzeit begann am 1. September 1919, also noch vor Verabschiedung des Staatsbankgesetzes. Dienstvertrag vom 1. September 1919, in: Personalakte Oscar Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. 225 Feldman, Deutsche Bank, S. 191. 226 Personalnotizen, Der Deutsche Oekonommist, Band 38 (1920), S. 400. 227 Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an den Braunschweigischen Finanzminister, Braunschweig, den 9. März 1937, Anlage I, S. 2, in: BArch R/3103 Nr. 15619. 228 Stellungnahme Stübben, S. 7, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. 229 Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 222 vom 11. März 1921, in: Verhandlungen der Landesversammlung des Freistaates Braunschweig, Drucksachen, 2. Sitzungsperiode 1920/ 21, Braunschweig 1922, S. 2.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung 

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ausmachten.230 Dennoch sollte man die Wirkung der Bonuszahlungen nicht überbewerten. Wie im Verlauf des Kapitels noch gezeigt wird, waren zumindest für die Führungskräfte weder das Grundgehalt noch die Gratifikation die Haupteinnahmequellen, sondern Tantiemen für Aufsichtsratsmandate, die die Staatsbankdirektoren im Auftrag ihres Instituts wahrnahmen. Stübben hat versucht, auch für die übrigen Angestellten der Staatsbank eine erfolgsabhängige Bezahlung im Sinne eines BonusSystems durchzusetzen. Dieses Unterfangen wurde allerdings im Februar 1924 durch das Finanzministerium gestoppt. Den regierenden Sozialdemokraten schien ein solches Gratifikationssystem nicht vereinbar mit den von der Partei vertretenden egalitären Grundsätzen.231 Wie aus einer Auseinandersetzung des Aufsichtsrates mit dem Finanzministerium im Jahr 1931 gefolgert werden kann, konnte Stübben jedoch zumindest einen Jahresbonus von etwa 5 % für alle Mitarbeiter der Staatsbank durchsetzen.232 Die Art der organisatorischen Bewältigung des Strukturwandels war einer der Hauptgründe, warum die Staatsbank gleichzeitig liquide und profitabel war. Der Grund für die Rentabilität der Bank war nicht die Einnahmenseite, die im Vergleich zu den anderen Staatsbanken geringer, gegenüber den Landesbanken allerdings höher war. Die Staatsbank hatte jedoch gegenüber den anderen Staatsbanken viel geringere Verwaltungskosten. Sie waren sogar niedriger als die der Landesbanken. Dies lag insbesondere an den geringen Personalkosten. Diese waren nur deshalb so gering, weil die Sparstellen der Landessparkasse von ehrenamtlichen Sparpflegern oder von Einzelhändlern betrieben wurden. Dass die Staatsbank gleichzeitig in den Bankabteilungen fähige Mitarbeiter eingestellt hatte, zeigt die Tatsache, dass die Bank selbst nach der Bankenkrise kaum Abschreibungen auf Kredite durchführen musste. Neben dem internen Ausbau trieb Oscar Stübben auch die Integration der Staatsbank in das nationale Kreditsystem voran. Das Leihhaus hatte keine direkten Kontakte zu den deutschen Finanzzentren aufgebaut. Nur über den Umweg der Geschäftsvermittlung privater braunschweigischer Banken hatte sie in einigen Fällen auf den nationalen Kapitalmarkt zurückgreifen können.233 Emil Bartels hatte diese Beschränkung auf ein politisches Territorium in seiner Begründung des Staatsbank-

230 Hier liegen für die 1920er Jahre leider keine Daten vor. Für die späten 1930er Jahre lag der Anteil der Gratifikationen für Staatsbankdirektoren etwa bei einem Fünftel bis zu einem Drittel des Jahresgehalts. NLA WO 12 Neu Nr. 44702. 231 Auszug aus der Niederschrift Nr. 111 Kabinettssitzung für Herrn Ministerialrat von Hantelmann, Braunschweig, den 29. Februar 1924, in: NLA WO, 12 Neu 13, Nr. 26316. 232 Der Aufsichtsrat wollte allerdings eigentlich 6,6 % durchsetzen. Protokoll der 49. Aufsichtsratssitzung der Braunschweigischen Staatsbank vom 30. Januar 1931, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates der Braunschweigischen Staatsbank von 1919 bis 1935. Maschinengeschriebene Abschrift des Originals von H. J. Fehst, Braunschweig 1985, S. 23, 35, 52, NWA 8, Nr. 766. 233 Vgl. Bahnemann, Staatsbank, S. 78; Kulhawy, Leihhaus, S. 42.

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gesetzes 1919 scharf kritisiert. Kreditinstitute konnten sich seiner Meinung nach nicht sklavisch an territoriale Grenzen halten.234 Die Ausrichtung der Staatsbank auf das kurzfristige Geschäft während der Inflation verlangte allein schon wegen der dafür notwendigen gesteigerten Liquiditätsvorsorge eine Aufnahme von Beziehungen innerhalb des Kreditwesens im Deutschen Reich. Der Anteil der Anlagen anderer Banken an den Gesamteinlagen der Staatsbank blieb während der Inflationszeit relativ unbedeutend. Die Staatsbank hatte im Interbankenverkehr eine eindeutige Aktivlastigkeit, sie legte also stets mehr Geld bei Banken an, als sie von diesen lieh.235 Ein Teil des Geldes dürfte als liquide Mittel bei den Zentralinstituten des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens angelegt worden sein. Die Staatsbank hatte sich bereits 1920 an dem Vorläufer der Landesbankenzentrale beteiligt, dem Pendant der Landes- und Staatsbanken zur Deutschen Girozentrale der Sparkassenorganisation.236 Dies war jedoch nicht die einzige Geschäftsverbindung nach Berlin, die in dieser Zeit aufgenommen wurde. Denn die Landesbankenzentrale konnte lediglich auf dem Markt für öffentlich-rechtliche festverzinsliche Wertpapiere tätig werden. Für Aktiengeschäfte brauchte die Staatsbank einen anderen Partner. Das Angebot der Verwaltung von Wertpapierdepots war bereits im Krieg aufgebaut worden. Nach Kriegsende wurde dieser Service weiter ausgebaut. Das Angebot des Wertpapierkommissionsgeschäftes war einerseits Teil des Einstiegs der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung, andererseits wurde dieser Service auch Privatpersonen angeboten. Der 1919 eingeführte Depotzwang für Wertpapierbesitzer hätte sonst dazu geführt, dass sich Kunden der Staatsbank ein anderes Institut hätten suchen müssen.237 1921 betreute die Staatsbank 17.000 Wertpapierdepots und damit fast doppelt so viele wie Girokonten.238 Durch den großen Aktienboom während der Inflationszeit wurde das Wertpapierkommissionsgeschäft zu einer wichtigen Anforderung der Kunden an ihre Bank, weshalb das Direktorium nach einem besseren Zugang zum damals größten Handelsplatz für Aktien in Deutschland suchte: der Berliner Börse. Zusammen mit der Sächsischen Staatsbank suchte sie nach Kooperationspartnern in der Hauptstadt, um über diese ihr Wertpapiergeschäft abwickeln zu können.239 1922 beteiligten sich die beiden Staatsbanken an dem Aktienkapital der 234 Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 237 vom 23. Oktober 1919, S. 1 f. 235 Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, Verschiedene Jahrgänge. 236 Die „Geschäftsstelle des Verbandes deutscher öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten GmbH“ in Berlin war für die Staatsbank ein wichtiger Kanal zum nationalen Geld- und Kapitalmarkt, zu den Großbanken und eine Quelle für Reichsanleihen. Durch sie hatte die Staatsbank außerdem einen besseren Draht zur Reichsbank. Achterberg, Erich, Fünfzig Jahre Verband öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten e. V. (1916–1966), Bonn 1966, S. 23. 237 Pohl, Hans, Die rheinischen Sparkassen. Entwicklung und Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft von den Anfängen bis 1990, Stuttgart 2001, S. 152. 238 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank für das Geschäftsjahr 1922/23, S. 7. 239 Durch die stark gestiegene Nachfrage im Aktienhandel war die Berliner Börse in der zweiten Hälfte des Jahres 1921 geradezu überrannt worden. Deshalb wurde der Zugang der Börse im Novem-

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Privatbank F. W. Krause KGaA in Berlin. Die Privatbank Krause war für die Staatsbanken aus mehreren Gründen reizvoll. Einer der persönlich haftenden Gesellschafter war Mitglied der Zulassungsstelle der Börse in Berlin. Zusätzlich gehörte das Bankhaus dem sogenannten Preußen-Konsortium an, das die Schuldtitel des Staates Preußen emittierte. Damit bekam die Staatsbank bevorzugten Zugang zu einer wichtigen Quelle von kurzfristigen staatlichen Schuldverschreibungen. Die Staatsbank konnte ihren Kunden nun einen wesentlich schnelleren, umfangreicheren und günstigeren Zugang zum Aktienmarkt bieten als vorher. Die Beteiligung an der Bank in Berlin zahlte sich jedoch auch für das eigene Wertpapiergeschäft aus. Der Posten „börsengängige Wertpapiere“ sprang von 0,6 Millionen Mark im März 1922 auf 25,8 Millionen Mark ein Jahr später und wuchs damit doppelt so schnell wie die Bilanzsumme der Bank in diesem Jahr. Im Vorjahreszeitraum war dieser Posten noch geschrumpft. 240 Diese durch die Inflation erzwungene Geschäftsverbindung blieb über die Zeit der Geldentwertung hinaus bestehen.241 Der innere und äußere Ausbau der Staatsbank war sowohl eine Konsequenz als auch eine Voraussetzung für den Einstieg in die Unternehmensfinanzierung. Der massive Ausbau der Zweigstellen und der Sparstellen weist demgegenüber darauf hin, dass die Staatsbank sich sehr stark bemühte, die in ihrem Geschäftsbereich verfügbaren Bank- und Spareinlagen an sich zu ziehen.

Die Aufhebung der Beschränkungen in der Unternehmensfinanzierung während der Inflation Staatsbankpräsident Oscar Stübben betrachtete die Inflation von vorneherein als Irrweg und erwartete deshalb eine große Wirtschaftskrise in unmittelbarer Zukunft. Den zweiten von ihm verfassten Jahresbericht für die Braunschweigische Staatsbank vom August 1921 begann er mit einer Generalabrechnung über die Reichsfinanzund Geldpolitik. Der Weg zum Wiederaufbau kann niemals durch steigende Inflation gehen. Zunahme der Inflation und Wiederaufbau sind zwei Begriffe, die sich gegenseitig ausschließen. Einstweilen er-

ber 1921 stark eingeschränkt. Banken mit guten Beziehungen zur Zulassungsstelle der Börse waren daher begehrte Kooperationspartner. Feldman, Gerald D., The Great Disorder. Politics, Economics and Society in the German Inflation 1914–1924, New York [u. a.], 1993, S. 390. 240 Aktien, die im Wesentlichen bei F. W. Krause gehalten wurden, waren die einzigen bilanziell noch relevanten Wertpapiere, die die Staatsbank auf fremde Rechnung hielt. Es wurde überhaupt erst durch die Berliner Beteiligung ein relevantes Geschäft für die Bank. Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, Verschiedene Jahrgänge. 241 Die Bank hatte sich auf Bürgschaften der Frankfurter Allgemeinen Versicherungsgesellschaft (FAVAG) verlassen, deren Zusammenbruch einer der ersten großen Erschütterungen im Finanzwesen gewesen ist. Das Direktorium an die Braunschweigische Staatsbank an den Braunschweigischen Finanzminister am 25. Januar 1930, in: NLA WO 12 Neu 13 Nr. 26316.

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zeugt die Tätigkeit der Notenpresse das Trugbild leichter Verdienstmöglichkeiten mit der Begleiterscheinung eines den inneren Wirtschaftsverhältnissen nicht entsprechenden Lebensaufwandes. Aber Armut und Elend, das unvermeidliche Gefolge eines unglücklich beendeten Krieges, setzen unter der Papierdecke, die vorab über unsere Wirtschaftsnot gebreitet ist, vermehrte Zersetzungstriebe an. Gewiß war die Möglichkeit einer Gesundung der Reichsfinanzen mit der Frage einer starken Produktionserhöhung untrennbar verbunden. Es war aber ein Unterlassungsfehler, der Inflation als Übel an sich nicht finanztechnisch zu Leibe zu rücken.242

Diese Einstellung des Staatsbankpräsidenten hatte Konsequenzen für die Geschäftspolitik der Staatsbank. Die Inflation wurde nicht zur neuen Normalität erhoben, sondern, soweit es ging, die Geschäftspolitik auf die Zeit nach dem Ende der Inflation ausgerichtet. Dies wurde von Stübben bereits am Beginn der Expansion deutlich gemacht: „Es kommt hinzu, daß mit einer Gestaltung der Geldverhältnisse zu rechnen ist, bei der das Landeskreditinstitut in der Lage sein muß, seine reichen Mittel in den Dienst der Bevölkerung und der verschiedenen Erwerbszweige zu stellen, um wirtschaftlichen Schäden vorzubeugen. Bei richtiger Kreditpolitik wird manche Stillegung, manche Entlassung von Arbeitskräften vermieden werden können.“243 Stübben bereitete die Staatsbank noch während der Inflation auf die Zeit danach vor. Gleichzeitig musste er jedoch auch die kurzfristigen Herausforderungen meistern, um in der für Kreditinstitute dynamischen und komplizierten Inflationszeit zu überleben. Beides hatte Konsequenzen für die Geschäftstätigkeit der Staatsbank. Erstens stieg die Rentabilität des Bankgeschäftes zu einem zentralen Ziel der Staatsbank auf und zweitens relativierte die Geldentwertung die festen Obergrenzen bei der Kreditvergabe. Die Rentabilität gewann an Priorität, weil die Staatsbank zu Anfang der Inflationszeit mehrmals drohte, in finanzielle Schieflage zu geraten. Ein Grund war die Verschiebung vom langfristigen zum kurzfristigen Kreditgeschäft. Der damit einhergehende fast exponentielle Anstieg der Geschäftsvorgänge hatte zu einem massiven Beschäftigungsaufbau geführt, der zusammen mit den Lohnerhöhungen die Personalkosten im Verhältnis zu den Zinserträgen immer weiter steigen ließ. Der durch die hohen Personalkosten ausgelöste zusätzliche Finanzbedarf konnte letztlich nur über die Ausweitung des Kreditgeschäftes ausgeglichen werden, wie das Direktorium im Bericht für das Geschäftsjahr 1920/21 feststellte: „Der Ausgleich kann nur über die tatkräftige Entwicklung der Bankabteilungen herbeigeführt werden. Von ihren Überschüssen […] hängt die Möglichkeit eines befriedigenden und wachsenden Gewinns ab.“244 Der neue Staatsbankpräsident Oscar Stübben stellte damit einen festen Zusammenhang zwischen der Expansion im Kreditgeschäft und der Rentabilität der Bank her. Das kurzfristige Privatkreditgeschäft hatte sich im ersten vollen Geschäftsjahr unter dem neuen Staatsbankgesetz jedoch unbefriedigend entwickelt. Der Anteil der

242 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1920/21, S. 4. 243 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1920/21, S. 2. 244 Bericht der Braunschweigischen Staatsbank für das Geschäftsjahr 1920/21, S. 7.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung 

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privaten Debitoren an der Bilanzsumme war von 20 % auf 12 % gefallen. Bei der Art der Sicherung waren keine besonderen Präferenzen zu erkennen. Dagegen fällt der Posten „sonstige ungedeckte Forderungen“ mit knapp drei Millionen Mark weit ab.245 Die Vergabe von Blanko-Krediten war im ersten Jahr, in dem sie erlaubt waren, kaum vorangekommen. Insgesamt war der Kontokorrentkredit ein Problemgeschäft für die Staatsbank geblieben. Die zentrale Voraussetzung für eine nachhaltige Steigerung des Kreditgeschäftes war die Überwindung der im Staatsbankgesetz festgeschriebenen Obergrenzen für die Gewährung von Blanko-Krediten und Verpfändungen von Buchforderungen. Diese verloren faktisch bereits im Jahr 1920 durch die Auswirkungen der Inflation jede realistische Anwendbarkeit. Unterstützt durch den damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Emil Bartels konnte Oscar Stübben im Februar 1921 den Aufsichtsrat dazu bringen, beim Staatsministerium die Einbringung einer Änderung des Staatsbankgesetzes zu beantragen. Es sollte dem § 34, in dem die Bestimmungen über die Vergabe von Blankokrediten spezifiziert worden waren, der § 34 a hinzugefügt werden, der folgenden Wortlaut haben sollte: „Der Aufsichtsrat kann die Grundsätze über die Kreditgewährung abweichend von den Vorschriften der Paragraphen §§ 31–34 regeln, wenn und solange die Landesversammlung oder deren Hauptausschuß ihm hierzu die Ermächtigung erteilt.“246 In der schriftlichen Begründung des Änderungsantrags spielten die Obergrenzen des Blanko-Kredites an Unternehmen die Hauptrolle. In einer Inflationsumgebung verfehlten diese ihr eigentliches Ziel, den Mittelstand zu fördern: Insbesondere ist die Grenze des ungedeckten Kredits bei eingetragenen Firmen unter den heutigen Verhältnissen viel zu eng. Die Folge ist, daß ungedeckter Kredit der Staatsbank von den Firmen des Landes kaum in Anspruch genommen wird, denn auch kleinere Firmen benötigen heute zum Warenbezug Kredite, die um das Mehrfache über den nach dem Staatsbankgesetze möglichen Betrag hinausgehen. […] Auch die Erwerbsstände des Landes in Handel, Handwerk, Gewerbe und Landwirtschaft haben einen Anspruch darauf, daß die Staatsbank in die Lage gesetzt wird, mit ihnen im Kreditwesen arbeiten zu können.247

245 Mit 31,6 Millionen Mark war das Lombardieren von Wertpapieren die beliebteste einzelne Sicherungsart. Daneben wurden aber auch die anderen Sicherungsmöglichkeiten genutzt. Zusammen machten sie fast 33 Millionen Mark aus. Die Zahlen lassen sich nicht direkt mit der Gesamtzahl von 81,4 Millionen Mark vergleichen, weil in der Bilanzaufstellung bei sonstigen Schuldnern bestimmte Kredite an öffentliche Unternehmen, Kommunalverbände und weitere staatliche Organisationen und Körperschaften integriert sind. Das Gesamtvolumen der „sonstigen Schuldner“ erhöhte sich deshalb um 16,4 Millionen auf 97,8 Millionen Mark. Über die Verteilung der nichtprivaten Kredite auf die einzelnen Sicherungsarten ist im Geschäftsbericht nichts angegeben. Zahlen aus der Bilanz des Berichtes der Braunschweigischen Staatsbank für das Geschäftsjahr 1920/21, S. 12 f. 246 Braunschweigische Landesversammlung, 83. Sitzung vom 11. Mai 1921, in: Verhandlungen der Landesversammlung des Freistaates Braunschweig, Sitzungsberichte, 2. Sitzungsperiode 1920/21, Braunschweig 1922, S. 4167. 247 Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 222 vom 11. März 1921, S. 1 f.

70  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Der Mittelstandskredit wurde durch die Obergrenzen nicht mehr gefördert, sondern verhindert. Damit konnte die Staatsbank ihrer legitimen Aufgabe im Kreditgeschäft nicht mehr nachgehen. Aus diesem Umstand ergab sich ein konkreter Handlungsbedarf, der auch im Interesse des Mittelstandes war. Die zentrale Frage bei der Gesetzesänderung war, wer das Recht haben sollte, über die Änderung der Grundsätze der Kreditvergabe zu bestimmen. Das Direktorium der Staatsbank beabsichtigte, die Entscheidung darüber nicht dem Ministerium oder der Landesversammlung zu überlassen, sondern sie innerhalb der Staatsbank zu fällen. Mit der Ausgestaltung der Kreditgrundsätze sollte deshalb der Aufsichtsrat befasst werden. Als Grund dafür wurde von der Staatsbankführung die Schwerfälligkeit des Gesetzgebungsprozesses genannt, die eine flexible Anpassung der Kreditgrundsätze an die Inflationsumgebung verhinderte.248 Den Abgeordneten der Landesversammlung war allerdings die Bedeutung des neuen Passus’ bewusst und auch die Macht, die von seiner Anwendung ausging. Der Finanzausschuss lehnte den ursprünglichen Entwurf deshalb ab: Er [der Finanzausschuss] ging davon aus, daß die Staatsbank, beziehungsweise der Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat der Staatsbank, nicht allein darüber entscheiden dürfe, und zwar auf eine ganze Reihe von Jahren, wie hoch unter Umständen die Kredite in einzelnen Fällen gegeben werden können. Es dürfe der Staatsbank nicht eine sogenannte Blankovollmacht gegeben werden, sondern es müsse auch versucht werden, diese Ausdehnung in irgend einer Weise einzuschränken.249

Der Ausschuss verlangte, dass jede Änderung der Kreditgrundsätze der Landesversammlung anzuzeigen war. Dies war als Erziehungsfunktion gedacht, die die Staatsbank davon abhalten sollte, zu viele ungesicherte „Mittelstandskredite“ zu vergeben.250 Diese Sorge zeigt einmal mehr, dass die Diskussion um die Neufestlegung der Obergrenzen noch auf Basis der Mittelstandsfinanzierung geführt wurde. Trotz der vom Landtag durchgesetzten Berichtspflicht hatte sich das Verhältnis zwischen Bank und Staat gewandelt. Mit dem Recht über die Bestimmung der Kreditgrundsätze hatte der Aufsichtsrat faktisch auch ein Mitspracherecht über die prinzipielle geschäftspolitische und wirtschaftspolitische Ausrichtung der Bank bekommen. Während die Landesversammlung weiterhin nur durch eine Änderung des Staatsbankgesetzes in die Geschäftstätigkeit des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens eingreifen konnte, war sie unterhalb der Ebene der Gesetzgebung auf eine Art Vetorecht beschränkt.

248 Ebenda, S. 2. 249 Braunschweigische Landesversammlung, 83. Sitzung vom 11. Mai 1921, S. 4168 250 In der Debatte wird die begriffliche Einheit des ungesicherten Kredites mit dem Mittelstandskredit noch einmal deutlich. Der Abgeordnete der MSPD Heinrich Jasper spricht sich gegen eine zu starke Ausdehnung des „deckungslosen Kredites, des sogenannten Mittelstandskredites“ aus. Ebenda, S. 4169.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung 

71

Die Frage ist, wie sich die Dynamisierung der Kreditgrundsätze langfristig auf das Verhältnis zum Mittelstand auswirkte. Die dort spezifizierten festen Obergrenzen waren Ausdruck des politischen Bündnisses zwischen dem Mittelstand und der Staatsbank. Deshalb war es folgerichtig, dass sie dynamisiert wurden, um ihrem politischen Zweck gerecht zu werden. Durch die Beauftragung des Aufsichtsrates war die Festlegung neuer Grenzen jedoch teilweise aus den Händen der parlamentarischen Willensbildung auf ein korporatistisches Gremium übergegangen. Dies war notwendig, um die Grundsätze zeitnah anzupassen und so unter den Bedingungen der Inflation überhaupt Kredite in nennenswertem Umfang vergeben zu können. Jedoch konnte der neue Paragraph prinzipiell auch dazu benutzt werden, die Kreditvergabe der Staatsbank über den 1919 vorgesehenen Zweck hinaus auszudehnen. Der Weg zur Erweiterung der Geschäftstätigkeit war rechtlich gesehen frei. Entscheidend war, wie die Staatsbank mit dieser neuen Freiheit umging. Gleichzeitig mit der Annahme des neuen Paragraphen wurde dem Aufsichtsrat widerruflich die Ermächtigung erteilt, die Kreditgrundsätze zu ändern. Von diesem Recht machte der Aufsichtsrat in den folgenden drei Jahren regen Gebrauch. Bereits im Juli 1921 änderte der Aufsichtsrat auf Vorschlag des Verwaltungsrats alle Bestimmungen, die feste Obergrenzen oder Mindestsätze vorsahen. Bereits diese erste Änderung führte deutlich vor Augen, in welche Richtung die Kreditvergabe der Staatsbank entwickelt wurde. Ein wesentlicher Punkt war die Gleichstellung der Industrieunternehmen mit den Aktienbanken. Im Lombardverkehr konnten Industrieaktien nun statt mit 60 % mit bis zu 70 % beliehen werden. Die Obergrenze, bis zu der die Filialleiter ohne Zustimmung des Direktoriums Kredite vergeben durften, wurde jetzt nur noch bei den Fällen angewendet, in denen das Unternehmen seine eigenen Aktien lombardierte. Da Aktiengesellschaften in Deutschland in den 1920er Jahren häufig untereinander verflochten waren und somit meistens fremde Aktien besaßen, relativierte diese Neuregelung die Obergrenze beim Lombardkredit. Bei den Bestimmungen über ungesicherte Kredite wurden die Grenzen über die Vergabe von Blankokrediten an Unternehmen von 15.000 Mark auf 200.000 Mark nach oben gesetzt.251 Dies erregte sofort Widerspruch im Hauptausschuss der Landesversammlung, die eine Beeinträchtigung des Rufes der Staatsbank als mündelsicheres Institut fürchtete und deshalb eine Halbierung der Summe auf 100.000 Mark verlangte. Erst durch persönliches Vorsprechen Oscar Stübbens konnte die Grenze auf 200.000 Mark festgesetzt werden.252 Während diese Obergrenze Aufmerksamkeit erregte, wurde eine langfristig viel bedeutendere Änderung gar nicht beachtet. Die Regelung, 251 Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 352 vom 29. Juli 1921, in: Verhandlungen der Landesversammlung des Freistaates Braunschweig, Drucksachen, 2. Sitzungsperiode 1920/21, Braunschweig 1922, S. 3f, in: NWA, Zg. 6/2007, Nr. 120. 252 Schreiben des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an das Staatsministerium, Abteilung Finanzen, Braunschweig, 8. August 1921, in: NWA, Zg. 6/2007, Nr. 120; Schreiben des Staatsministeriums, Abteilung Finanzen an das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank, 11. Oktober 1921, in: NWA, Zg. 6/2007, Nr. 120.

72  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

dass Aktienbanken ab einem gewissen Volumen an Eigenkapital unbeschränkt Kredit erhalten konnten, wurde auf Industrie-Aktiengesellschaften ausgedehnt. Außerdem wurde das erforderliche Mindestvolumen auf zehn Millionen Mark gesenkt. Angesichts der fortschreitenden Entwertung der Mark und der zeitgleich stattfindenden Aktien-Hausse war dies für die größeren Unternehmen bald keine besondere Hürde mehr.253 Diese Regelung war ein deutlicher Schritt in Richtung Industriefinanzierung, was die Nichtbeachtung dieser Regelung umso erstaunlicher macht. In der Zeit von August 1921 bis Juli 1923 wurden die Kreditgrundsätze noch viermal geändert. Im Juli 1923 wurde schließlich ein Passus eingefügt, der dem Verwaltungsrat die Möglichkeit gab, die Obergrenzen für Blanko-Kredite beliebig zu erweitern. Zentrales Motiv war hierbei die Wettbewerbsfähigkeit der Staatsbank. „Der Beschluss des Aufsichtsrates soll uns nur neben der Erfüllung unserer öffentlichen Aufgaben in Stand setzen, im K. K. Geschäft [Kontokorrentkredit] einigermaßen mitzukönnen. Dieses bringt höhere Erträge, die wir zur Deckung der erheblichen Unkosten und zur Verbilligung der Kommunalkredite, wie bislang geschehen, brauchen.“254 Die besondere Situation in der Inflationszeit mit ihrer allgemein hohen Liquidität hatte den Kreditmarkt in einen Käufermarkt verwandelt. Weil zusätzlich auch alle Kreditinstitute, deren Vorkriegsgeschäft hauptsächlich den langfristigen Kredit umfasste, zusätzlich auf den Markt des kurzfristigen Kredites drängten, entstand ein scharfer Wettbewerb vor allem um solvente Kreditnehmer.255 In diesem Konkurrenzkampf war das Angebot von ungesicherten Krediten entscheidend, weil die damaligen privaten Konkurrenten der Staatsbank ebenfalls auf Kreditsicherungen verzichteten.256 Allerdings achtete die Staatsbank darauf, dass die neuen Regeln nicht als Verpflichtung ihrerseits verstanden wurden, Kredite in der neu festgelegten Höhe zu gewähren. Sie wirkte aus diesem Grund auf die Geheimhaltung der neuen Regelung hin: „Wir bitten bei dieser Gelegenheit darum, veranlassen zu wollen, daß der Beschluss des Hauptausschusses nicht wie das letzte Mal in den Tagesblättern zur Veröffentlichung kommt, da wir teilweise der Auffassung begegnen mussten, daß wir zur Hergabe dieser Kredite, deren Ziffern doch nur Höchstgrenzen für uns darstellen, verpflichtet seien.“257 Der Geheimhaltungsversuch zeigt ein besonderes Dilemma der Staatsbank. Es gab mindestens zwei Möglichkeiten für Kreditnehmer, den Verzicht der Staatsbank 253 Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 352, 1920/21, S. 4. 254 Schreiben des Direktoriums [S/D] an den Finanzminister, Braunschweig, den 12. Juli 1923, in: NWA, Zg. 6/2007, Nr. 120. 255 Vgl. Wagner-Braun, Kreditgenossenschaften und Sparkassen, S. 36. 256 Die Braunschweigische Bank und Kreditanstalt hatte noch 1924 fast die Hälfte ihrer Kredite ohne Sicherheiten vergeben. Geschäftsbericht der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt AG für das Jahr 1925, Braunschweig 30. März 1926, S. 1, in: NLA WO, 12 Neu Wirtschaft 13, Nr. 45952. 257 Ebenda.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung 

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auf Sicherheiten zu fordern. Kreditnehmer, um deren Finanzierung die Kreditinstitute konkurrierten, konnten den Wettbewerb der Banken dazu nutzen, um den Verzicht auf Sicherheiten durchzusetzen. Die Kreditnehmer waren hauptsächlich dann für Banken attraktiv, wenn das geforderte Kreditvolumen sowie das beleihbare Geldund Sachvermögen der Unternehmen möglichst groß waren. Letztlich konnten also diejenigen Unternehmen einen Verzicht auf Sicherheiten am ehesten durchsetzen, die grundsätzlich über solches Vermögen verfügten. Diese Art von Unternehmen hatte die Staatsbankführung bei der Änderung der Kreditgrundsätze im Sinn. Doch auch die mittelständischen Betriebe erhoben Anspruch auf den Verzicht auf Sicherheiten seitens der Staatsbank. Sie konnten dies aus Emil Bartels Begründung für die Einführung des ungesicherten Kredites von 1919 herleiten. Diese Forderung gründete sich jedoch nicht auf ihre Stärke im Wettbewerb, sondern auf ihre Schwäche. Die Staatsbank sollte aus gemeinnützigen Gründen auf Sicherheiten verzichten, um Kredite an mittelständische Unternehmen vergeben zu können, die diese Sicherheiten nicht stellen konnten. Die Forderung, die Neuregelung der Obergrenzen geheim zu halten, war deshalb ein Versuch der Staatsbank, beide Möglichkeiten miteinander in Einklang zu halten. Die neuen Obergrenzen waren nur für den wirtschaftlichen Wettbewerb um Kreditnehmer gedacht, nicht jedoch für die gemeinnützige Kreditvergabe. Da eine offizielle Trennung dieser beiden Sphären jedoch weder technisch machbar noch politisch durchsetzbar war, versuchte man es mit der Geheimhaltung. Die Obergrenzen bei der Kreditvergabe waren 1919 als politisch gezogene Grenze eingeführt worden. Sie hatten den gewerblichen Mittelstand geschützt, indem sie große Unternehmen faktisch vom Kreditverkehr ausschlossen. Die Flexibilisierung der Kreditgrundsätze relativierte den Schutz des Mittelstandes vor der finanzstarken Konkurrenz. Mit der Ausrichtung der Kreditvergabe auf die Rentabilität und dem Eintritt der Staatsbank in den Wettbewerb mit anderen Banken richtete sich die Staatsbank bei der Kreditvergabe stärker an den wirtschaftlichen Ressourcen der Kreditnehmer aus. Dieser Umstand konterkarierte auf Dauer die auf der Mittelstandsförderung basierende Legitimation des Unternehmenskreditgeschäftes der Staatsbank. Während der Inflationszeit war die Kritik an der Staatsbank aufgrund der allgemein hohen (Schein-)Liquidität allerdings noch wenig ausgeprägt.

Der Beginn der Industriefinanzierung der Braunschweigischen Staatsbank in der Inflationszeit Im Tagesgeschäft zeigte die Reform der Kreditgrundsätze bereits im Geschäftsjahr 1921/22 einen deutlichen Erfolg. Der Anteil der privaten Debitoren an der Bilanzsumme stieg wieder über 20 %. Das Volumen ungedeckter Kredite stieg von knapp drei Millionen auf 28 Millionen Mark, hatte sich also nominal mehr als verneunfacht. Ihr

74  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Anteil an den privaten Debitoren stieg von 4 % auf 17 %.258 Am Ende der Inflationszeit war der Anteil der ungesicherten Kredite an allen Krediten auf über 40 % angewachsen. Tab. 3: Das kurzfristige private Kreditgeschäft 1919–1924 Private Debitoren (in % der Bilanzsumme) 1919/20

20

Ungedeckte Kredite (in % der Debitoren) -

1920/21

12,6

1921/22

21

17

4

1922/23

18,5

19

1923/24*

41,1

40,6

* Markschlussbilanz. Quelle: Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge.

Praktisch gleichzeitig mit der Änderung der Kreditgrundsätze 1921 begann die Staatsbank, Kontakte zur Industrie aufzubauen.259 Die ersten Versuche der Industriefinanzierung waren davon geprägt, „einen Fuß in die Tür zu bekommen“. Die Quellenlage zu den Industriekrediten in der Inflationszeit ist insgesamt sehr spärlich. Der erste bekannte Kreditfall war im Juli 1921 ein Kredit an die Vorwohle-Emmertaler Eisenbahngesellschaft (VEE) im Landkreis Holzminden über eine Million Mark, was in Preisen von 1913 etwa 70.000 Mark entsprach.260 Im Oktober des Jahres 1921 beantragte die Staatsbank beim Finanzministerium, sich an den neu zu gründenden Vulkanfiberwerken Scheerbarth, Oldenbüttel & Co. aus Holzminden mit 500.000 Mark beteiligen zu dürfen. Dies war bei einem Gesamtkapital von 3,75 Millionen Mark ein Anteil von 13 % und entsprach real etwa 20.000 Mark. Die Staatsbank wollte in diesem Fall eine private Bank ausstechen, die bereits ein technisches Gutachten des Herstellungsprozesses beantragt hatte.261 Allerdings kam die Beteiligung an dem Unternehmen letztlich nicht zustande.262 Ein Jahr später genehmigte 258 Eigene Berechnungen auf Grundlage des Jahresberichts der Braunschweigischen Staatsbank 1921/22, S. 12. 259 Sie nutzte dafür nicht nur die Erweiterungen bei den Sicherungsbestimmungen, sondern auch den § 30, durch den der Staatsbank von der Landesversammlung zusätzliche Aufgaben übertragen werden konnten. Für eventuelle Verluste aus diesen Geschäften musste das Land geradestehen. Für diese Sonderaufgaben galten keinerlei Beschränkungen. 260 Die Gesellschaft gehörte zum Teil der Mitteldeutschen Creditbank, die später in die Commerzbank aufging. Protokoll der 6. Sitzung des Aufsichtsrates am 8. Juli 1921, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 9, NWA 8, Nr. 766. 261 Schreiben des Direktoriums an das Staatsministerium Abteilung der Finanzen vom 8. Oktober 1921, in: NLA WO 12 Neu 13 Nr. 26316 262 Protokoll der 8. Sitzung des Aufsichtsrates am 1. Dezember 1921, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 10, NWA 8, Nr. 766.

3.1 „Für den Mittelstand!“: Der Beginn der Unternehmensfinanzierung

 75

der Aufsichtsrat einen Kredit an die Mitteldeutschen Sprengstoffwerke in Langelsheim bei Goslar über sechs Millionen Mark, der real nur 10.600 Mark wert war.263 Beide Unternehmen nutzten für die Herstellung ihrer Produkte neue und bisher im großen Maßstab unerprobte Methoden und waren gerade erst gegründet worden.264 Daher können die Kredite als Bereitstellung von Risikokapital verstanden werden. Allerdings waren die Beträge nicht besonders hoch. Daneben sind Kreditverbindungen mit verschiedenen Zuckerfabriken und Raffinerien seit dem Jahr 1922 belegt.265 Bei allen diesen Fällen ging es der Staatsbank letztlich um den Aufbau lukrativer Geschäftsbeziehungen. So schrieb das Direktorium dem Finanzministerium als Begründung für die Kreditvergabe an die Sprengstoffwerke: „Bei dem Umfange der Rentabilität ist anzunehmen, daß die Verbindung mit den Mitteldeutschen Sprengstoffwerken für uns sehr vorteilhaft sein wird.“266 In der zweiten Jahreshälfte 1923 beteiligte sich die Staatsbank an einer großen Zahl von Aktienemissionen. Neben zwei Inflationsgründungen zählten sechs Dampfziegeleien zu den Unternehmen, die ihre Aktien über die Staatsbank verkauften. Das Kreditinstitut behielt allerdings einen bedeutenden Teil der Aktien und kam so zu ihren ersten Industriebeteiligungen und Oscar Stübben und Wilhelm Rungs zu ihren ersten Aufsichtsratsmandaten.267 Der Grund für diese plötzliche Aktivität im Emissionsgeschäft war die Aussicht auf eine größere Wertbeständigkeit von Aktien gegenüber Buchkrediten. Allerdings spielten diese Operationen wertmäßig keine große Rolle. Der Eigenhandel mit Aktien besaß zu keinem Zeitpunkt eine große Bedeutung für die Staatsbank. Die Industriebetriebe, die die Staatsbank in der Inflationszeit finanzierte, gehörten mit Ausnahme der Zuckerindustrie weder zu den größeren Unternehmen noch waren sie in den für Braunschweig zentralen Branchen tätig. Die wichtigsten Industriebetriebe wurden dagegen von den großen Privatbanken und den Aktienbanken in Braunschweig finanziert, die sich mit der Staatsbank in der Inflationszeit einen erbitterten Wettbewerb lieferten. Bereits 1916 hatte der Bankier und Landtagsabgeordnete Emil Glaser angekündigt, dass die privaten Banken im Land Braunschweig eine Expansion des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens in ihre angestammten Geschäftsbereiche mit allen Mitteln bekämpfen würden.268 263 Protokoll der 13. Sitzung des Aufsichtsrates am 20. Oktober 1922, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 16, NWA 8, Nr. 766. 264 Vgl. dazu: Brief des Direktoriums der Staatsbank an den Braunschweigischen Finanzminister vom 24. Oktober 1922, in: NLA WO, 12 Neu 13, Nr. 26315. 265 Schreiben des Direktoriums an den Braunschweigischen Finanzminister vom 2. September 1922, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 120. 266 Protokoll der 13. Sitzung des Aufsichtsrates am 20. Oktober 1922, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 16, NWA 8, Nr. 766. 267 Protokoll der 20. Sitzung des Aufsichtsrates am 30. Januar 1924, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 23, NWA 8, Nr. 766; Aufsichtsratsmandate der Direktoren der Staatsbank, in: NWA 5, Zg. 6/2007 Nr. 101/1. 268 Braunschweigischer Landtag, 9. Sitzungsbericht vom 2.3.1916, S. 156.

76  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Nachdem der 1914 aufgekommene Konkurrenzkampf um Einlagen zwischen dem Leihhaus und den privaten Banken mit dem Beitritt des öffentlichen Instituts zum Braunschweigischen Verein der Banken und Bankiers 1917 zunächst abgeflaut war, entbrannte er nach 1919 aufs Neue. Neben den Einlagen stand nun die Vergabe kurzfristiger Kredite im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Der Kampf zwischen den Banken war dabei nicht nur wirtschaftlich motiviert. Die braunschweigischen Bankiers hatten die Expansion der Staatsbank in ihr Stammgeschäft von Anfang an auch politisch erbittert bekämpft. Die Frontstellung gegen die Staatsbank verschärfte sich in der Inflationszeit, als unter der Führung der Unternehmen der Mühlenbauindustrie der Braunschweigische Bankverein KGaA gegründet wurde. Die Staatsbank hatte mit allen Mitteln versucht, diese Gründung zu verhindern, weil sie vermutete, dass diese sich direkt gegen ihre Geschäftsinteressen richtete.269 Der Kampf der Banken war von der Warte des Jahres 1919 aus gesehen durchaus aussichtsreich. Zu Beginn der Nachkriegszeit war die Staatsbank keinesfalls die größte Bank im Freistaat gewesen. Sowohl die großen Privatbanken wie die Gebrüder Löbbecke als auch die regionalen Aktienbanken wie die Braunschweigische Bank und Kreditanstalt waren nach Eigenkapital und Bilanzsumme größer. Vor allem die Braunschweigische Bank und Kreditanstalt war der Staatsbank in ihrer Finanzkraft bis zur Währungsreform auch nach Aussage des Staatsbankdirektoriums überlegen. Das Institut trug im Kampf gegen die Staatsbank die Hauptlast. Sie hatte sich zwischen 1920 und 1923 einen heftigen Wettbewerb mit dem öffentlich-rechtlichen Institut geliefert. „Seit der Entwicklung der Leihhausanstalt zur Staatsbank hat ein Wettbewerb zwischen der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt und ihr eingesetzt, der verschiedentlich recht ausgeprägte Formen angenommen hat. So folgte an Orten, an denen die Staatsbank Zweigstellen eröffnete, die Braunschweigische Bank und Kreditanstalt, soweit sie an ihnen nicht vertreten war, auf dem Fusse.“270 Auch die Staatsbank hatte diesen Kampf aktiv geführt. Da sie außerhalb des Freistaates nicht selbst tätig werden konnte, unterstützte sie beispielsweise 1923 die Gründung der Goslarer Privatbank, die in Konkurrenz zur damals auf dem Goslarer Kreditmarkt führenden Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt treten sollte.271 Während der Inflation haben sich die Kräfteverhältnisse noch nicht signifikant verschoben. Die Staatsbankführung sah ihr Institut in dieser Zeit als deutlich unterlegen an.272 Allerdings haben ihre regionalen Konkurrenten im Wettbewerb an Substanz eingebüßt. Dies wurde jedoch erst nach der Währungsreform offensichtlich. 269 NLA WO, 12 Neu Wirtschaft 13 Nr. 26316, Schreiben des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an den Finanzminister, vom 8. März 1923. 270 NLA WO, 12 Neu Wirtschaft 13 Nr. 26316, Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an den Finanzminister vom 4. März 1925. 271 NLA WO, 12 Neu Wirtschaft 13 Nr. 26316, Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Finanzminister vom 5. Februar 1923. 272 Schreiben des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Finanzminister vom 4. März 1925, in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26316.

3.2 „Regionale Champions“ 

77

Die Staatsbank hatte die Inflationszeit zwar genutzt, um die 1919 angelegten Fesseln der Kreditvergabe zu sprengen. Jedoch ist sie in der Praxis eher vorsichtig zu Werke gegangen. Nach den aus der Inflationszeit bekannten Kreditfällen zu urteilen, waren die ersten industriellen Kreditnehmer der Staatsbank zwar nicht immer seriös zu nennen. Viele der Inflationsgründungen wie die Dr. Prümm AG für Feinoptik oder die Herbösch Zuckerwarenwerke AG gingen 1925 in Konkurs. Jedoch war das Volumen der Kredite so gering, dass einzelne Ausfälle die Stabilität der Staatsbank nicht gefährden konnten. Die Geschäftspolitik der Staatsbank war insgesamt erfolgreich. Sie hatte weder Verluste gemacht noch hatte sie hohe Risikopositionen in ihren Büchern. Dies unterschied sie von vielen ihrer Schwesterinstitute und war die zentrale Voraussetzung dafür, dass die Staatsbank nach der Währungsreform tatsächlich in der Lage war, ihre „reichen Mittel“ zur Unternehmensfinanzierung einzusetzen.

3.2 „Regionale Champions“: Die Entwicklung einer wirtschaftspolitischen Industriestrategie der Staatsbank und ihr Scheitern 1924–1929 Im Gegensatz zur Scheinliquidität der Inflationsjahre war die Zeit nach der Währungsreform im gesamten Reich von einem allgemeinen Kapitalmangel geprägt. Mit diesem einher gingen wirtschaftliche und politische Verteilungskämpfe in deren Mittelpunkt die großen Kapitalsammelstellen standen. Dies gilt einerseits für den Zugang der Kreditinstitute zu in- und ausländischem Kapital, andererseits für die Kreditvergabe der Banken und Sparkassen. In diesem wirtschaftshistorischen Kontext versuchte die Braunschweigische Staatsbank erstmals, eine gleichzeitig wirtschaftlich tragfähige und politisch legitime Geschäftsstrategie im Bereich der Industriefinanzierung zu entwickeln. Diese Strategie richtete sich gegen den Ausverkauf der braunschweigischen Industrie unter dem Einfluss der Großbanken. Die Antwort auf diese Herausforderung war der Versuch, die in Braunschweig ansässigen Industrien einer Branche mit finanzieller Unterstützung der Staatsbank zu konsolidieren.

Die langfristigen strukturellen Probleme der Industrie im Freistaat Braunschweig Die Industrialisierung hatte sich im Herzogtum Braunschweig anders als in den industriellen Ballungszentren des Ruhrgebietes oder Oberschlesiens vollzogen, unterschied sich aber auch von den großen Textilstandorten oder den Zentren der Chemie- oder Elektroindustrie. Die Leitsektoren waren in Braunschweig nicht Kohle und Stahl, sondern Zucker und Gemüse.

78  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Der Zuckerindustrie wird in der Literatur über die Industrialisierung des Herzogtums meist die Rolle der Leitindustrie zuerkannt.273 Gründer der Zuckerfabriken waren die Bauern selbst.274 Die Fabriken waren hauptsächlich im Kernland des Herzogtums nördlich des Harzes in der Nähe der Erzeuger angesiedelt. Die Zuckerraffinerien standen in Braunschweig und Helmstedt. Die Zuckerindustrie hatte eine genügend hohe Ausstrahlungskraft auf andere Teile der Wirtschaft, um den Industrialisierungsprozess im Herzogtum in Gang zu bringen. Die 1873 privatisierten und zur Braunschweigischen Kohlebergwerke AG (BKB) zusammengefassten Braunkohlegruben bei Helmstedt fanden einen sehr zuverlässigen und stark expandierenden Abnehmer in der Zuckerindustrie. In den 1880er Jahren nahmen die Fabriken der BKB bis zu zwei Drittel der Produktion ab.275 In der Stadt Braunschweig entstand außerdem eine Zulieferindustrie für die Zuckerfabriken, die vor allem Maschinen, Anlagen und ganze Fabriken für die Zuckerherstellung fertigte.276 Neben der Zuckerindustrie kamen als zweiter Industriezweig die Herstellung von Konserven und Konservendosen sowie der dafür notwendigen Maschinen hinzu. Braunschweig war das erste große Zentrum der Konservenherstellung in Deutschland. Das zentrale Produkt war der Spargel, der auf keine andere Weise konserviert werden konnte und deshalb bis dahin als ein reines Saisongemüse galt. Der Spargelanbau profitierte wie die Zuckerherstellung von den hervorragenden Anbauflächen im Herzogtum. Der Boom der Konservenfabrikation begann mit der Einführung des Autoklaven 1873 in Braunschweig. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs wurden insgesamt 52 Konservenfabriken eröffnet.277 Die Herstellung von Konservendosen und den dafür notwendigen Maschinen konzentrierte sich wiederum auf die Stadt Braunschweig.278 Dort entwickelte sich ausgehend von den Zulieferern der Zuckerund Konservenindustrie ein Zentrum des Baus von Maschinen für die Nahrungsmittelverarbeitung.279

273 Zuckerrüben wurden bereits ab Mitte der 1830er Jahre, also kurz nach der Bodenreform angebaut. Der wichtigste Grund dafür waren die hervorragenden Bodenbedingungen nördlich des Harzes. Bis zum Beitritt Braunschweigs zum Deutschen Zollverein rechnete sich jedoch die großangelegte Zuckergewinnung nicht. Erst als der billige englische Rohzucker als Konkurrenz ausfiel, wurden innerhalb von 30 Jahren über 30 Zuckerfabriken und Zuckerraffinerien gegründet, die meisten davon vor 1871. Schildt, Gerhard, Die Industrialisierung, in: ders.; Jarck, (Hg.) Braunschweigische Landesgeschichte, S. 787–821, S. 794; Wolff, Wirtschaft und soziale Lage, S. 175. 274 Diese hatten für die Errichtung der Fabriken Aktiengesellschaften gegründet. Die Bauern erhielten für ihre Investitionen vinkulierte Namensaktien und verpflichteten sich dazu, eine bestimmte Menge an Rüben zu liefern. Schildt, Die Industrialisierung, S. 795 f. 275 Später wurden dann die Brikettherstellung und die Verstromung der Braunkohle wichtiger. Ebenda, S. 789. 276 Ebenda, S. 792. 277 Ebenda, S. 796. 278 Ebenda, S. 793. 279 Ebenda, S. 792 f.

3.2 „Regionale Champions“

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Die Funktion der Nahrungsmittel verarbeitenden Industrie als Leitsektor bedeutete jedoch nicht, dass dieser Industriezweig die industrielle Struktur vollkommen dominierte. Daneben und von ihm unabhängig gab es eine große Zahl anderer Branchen, wie die Automobilindustrie, die optische Industrie, die chemische und Elektroindustrie oder die Textilindustrie, die ebenfalls größere Unternehmen hervorbrachten. Diese hatten jedoch nicht die Wirkung auf die industrielle Struktur des Freistaates wie die Nahrungsmittelindustrie und der dazugehörende Maschinenbau. Die Industriestruktur wies vor 1914 einige Besonderheiten auf. In Braunschweig arbeiteten mit 35 % deutlich weniger Industriebeschäftigte in Betrieben mit ein bis fünf Mitarbeitern als im Reichsdurchschnitt (42 %). Gleichzeitig arbeiteten mit 14 % jedoch auch weniger Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten als im Reichsschnitt (16 %). Signifikant höher lag der Anteil der Beschäftigten dagegen bei Betrieben mit elf bis 200 Beschäftigten. Die Industrie bestand also aus mittelgroßen Betrieben.280 Es gab 1914 nur vier Unternehmen, die über 1.000 Beschäftigte hatten.281 Der Aufbau der Industrie beruhte mit wenigen Ausnahmen auf privater Initiative. Aufgrund der Zusammensetzung der Industrie, in der der Maschinenbau und die Nahrungsmittelindustrie den Ton angaben, waren die braunschweigischen Unternehmen nur selten Teil von Kartellen. Während die Montanindustrie, sämtliche Grundstoffindustrien und später auch die Chemieindustrie starke Kartelle formten, waren die hauptsächlich in Braunschweig ansässigen Branchen verhältnismäßig wenig organisiert.282 Die im Vergleich zu anderen Industrieregionen geringe Größe der Unternehmen sowie die Branchenstruktur spiegelten sich im Finanzsektor wider. Die Kreditfinanzierung der Industrie hatte vor 1914 in den Händen einer großen Zahl von Privatbanken und wenigen regionalen Aktienbanken gelegen. Bereits vor 1914 machten sich jedoch Tendenzen eines Strukturwandels sowohl innerhalb der Industrie als auch im Bankensektor bemerkbar. Die durchschnittliche Betriebsgröße nahm zu, Familienunternehmen wurden teils in Aktiengesellschaften umgewandelt, um mehr Betriebskapital zu generieren. In Braunschweig gab es 1909 insgesamt 93 Aktiengesellschaften. Bezogen auf die Bevölkerungszahl hatte das Herzogtum damit eine mehr als doppelt so hohe Dichte an Aktiengesellschaften wie das Gesamtreich. Allerdings hatten die Aktiengesellschaften in Braunschweig pro Unter-

280 Pollmann, Birgit, Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes Braunschweig seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Strukturen und Probleme, in: Braunschweigisches Jahrbuch Jg. 63 (1982), S. 89–110, S. 96f 281 Neben den beiden Mühlenbauern Amme, Giesecke & Konegen (2.300) und der Luther AG (1.398) waren dies die Braunschweigische AG für Jute- und Flachsspinnerei (2.105) und die Eisenbausignalanstalt Max Jüdel (1.380). Leuschner, Jörg, Wirtschaft und soziale Situation im Herzogtum Braunschweig vor und während des Ersten Weltkriegs, in: Leuschner; Märtl; Kaufhold (Hg.), Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 3, S. 279–351, S. 280. 282 Fiedler, Martin, Fusionen und Übernahmen in der Deutschen Industrie 1898–1938, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2002, Nr. 2, S. 209–239, S. 239.

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nehmen nur halb so viel Kapital wie im Reichsdurchschnitt.283 Diese Besonderheit lag ausschließlich an den vielen Zuckerfabriken, deren Eigenkapital sehr gering war. Die Umwandlung vor allem der größeren Industriebetriebe in Kapitalgesellschaften war notwendig, um Investitionen für die Produktionsausweitung zu stemmen. Sie machten die Unternehmen aber auch anfälliger für Übernahmen. Einige der größeren Industrieunternehmen produzierten ab Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr nur für den regionalen oder nationalen Markt, sondern exportierten ihre Produkte in die ganze Welt. Vor allem der Maschinen- und Anlagenbau expandierte sehr schnell international. Die Braunschweigische Maschinenbauanstalt (BMA) machte in den 1920er Jahren etwa 85 % ihres Umsatzes im Ausland.284 Unternehmen wie die BMA waren jedoch Ausnahmen. Nachdem die industrielle Dynamik in Braunschweig bereits vor dem Ersten Weltkrieg im Vergleich zu den Zentren der neuen Industrien, vor allem der Chemie- und Elektroindustrie, hinterherhinkte, geriet die wirtschaftliche Entwicklung in der Weimarer Republik nun auch im Vergleich mit der Reichsentwicklung in Rückstand. Die Zahl der industriellen Arbeitsplätze wuchs erheblich langsamer als im gesamten Reich. Insgesamt sank der Anteil der Beschäftigten der Industrie bis 1925 auf den Reichsdurchschnitt, nachdem er vor 1914 erheblich darüber gelegen hatte.285 Die geringe Dynamik wie auch der geringe Organisationsgrad lagen zumindest teilweise in der Branchenstruktur begründet. Von den drei Boombranchen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, der Chemie- und Elektroindustrie sowie dem Maschinenbau inklusive dem Automobilbau, war in Braunschweig lediglich Letztere in größerem Umfang vertreten. Die Nahrungsmittelindustrie als Leitsektor konnte im 20. Jahrhundert nicht mehr die notwendige Dynamik entfalten, um den Mangel an „neuen“ Industrien zu kompensieren. Birgit Pollmann konstatiert deshalb eine Strukturschwäche der braunschweigischen Industrie nach der Wende zum 20. Jahrhundert.286 Sie wirft zudem die Frage auf, ob das stark regional orientierte und von Privatbanken dominierte Kreditsystem im Herzogtum für das geringe Wachstum der braunschweigischen Wirtschaft verantwortlich gemacht werden könnte. War also die braunschweigische Industrie durch die regionale Struktur des Bankensystems von den großen nationalen und internationalen Kapitalströmen abgeschnitten und konnte sich deshalb nicht so dynamisch entwickeln wie anderswo? Für die Zeit vor 1914 ist hierauf bis auf weiteres keine Ant-

283 In Braunschweig kam eine Aktiengesellschaft auf 5.315 Einwohner. Im Reich waren es 12.198 Einwohner. Die Zahl für Braunschweig bezieht sich auf die Bevölkerungszahl von 1910. Zahlen zu den Aktiengesellschaften: Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich Jg. 34 (1913), S. 382 f. Achterberg, Staatsbank, S. 126. 284 Fösterling, Reinhard, Die wirtschaftliche Entwicklung im Freistaat Braunschweig 1918–1932, in: Leuschner; Märtl; Kaufhold (Hg.), Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 3, S. 353–420, S. 391. 285 Rother, Bernd, Der Freistaat Braunschweig in der Weimarer Republik (1919–1933), in: Jarck; Schildt (Hg.), Braunschweigische Landesgeschichte, S. 945–980, S. 945 f. 286 Pollmann, Wirtschaftliche Entwicklung, S. 98.

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wort möglich.287 Für die Zeit der Weimarer Republik ist Pollmanns Vermutung jedoch meines Erachtens unzutreffend, weil sich die Bank-Industriebeziehungen in Braunschweig in den 1920er Jahren fundamental veränderten. Durch den Niedergang des regionalen Kreditwesens in der Inflationszeit und nach der Währungsreform löste sich die regionale Verflechtung zwischen der Industrie und den braunschweigischen Privatbanken teilweise auf. Der ohnehin geringe Organisationsgrad der braunschweigischen Industrie wurde dadurch noch weiter geschwächt. Hier ergab sich für die Staatsbank nach der Währungsreform ein neues mögliches Aufgabenfeld.

Die Gunst der Stunde – die Expansion in der Industriefinanzierung nach der Währungsreform Die Folgen der Inflation und die Währungsreform hatten die Stellung der Staatsbank in Braunschweig dramatisch verändert. Zwar hatte das Institut durch die Währungsreform einen Großteil seiner Einlagen verloren. Jedoch konnte sie ihren Einlagenbestand zwischen April 1924 und März 1925 von neun Millionen RM auf 37 Millionen RM steigern. Sie hatte damit beinahe ihren Vorkriegsstand wieder erreicht. Getragen wurde dieses Wachstum von privaten Kontokorrentguthaben, die der Bank besonders in den ersten Monaten des Jahres 1925 zuflossen. Die Staatsbank betonte in ihrem Geschäftsbericht ausdrücklich, dass es sich nicht um öffentliche Gelder handelte.288 Sie begegnete damit der Kritik des Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht, der Anfang 1925 die Fehlallokation des Kapitals durch die übermäßige Einziehung von Steuern durch die öffentliche Hand anprangerte. Bei dem Versuch, die öffentlichen Haushalte durch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen auszugleichen, waren die Regierungen nach der Währungsreform über ihr Ziel hinausgeschossen. Die Haushalte produzierten ausgerechnet zur gleichen Zeit substantielle Haushaltsüberschüsse, in der die private Wirtschaft unter einem starken Kapitalmangel litt. Dieser Kapitalmangel war bedingt durch Hjalmar Schachts Zentralbankpolitik, der vor allem die Banken, die sich über die Reichsbank refinanzierten, 1924 zu scharfen Kreditrestriktionen zwang.289 Die staatlichen Überschüsse flossen kurzfristig den öffentlichen Banken und Sparkassen zu. Dadurch standen diesen mitten in der Zeit der größten Kapitalknappheit große Summen an Refinanzierungsmitteln zur Verfügung.290 Hjalmar Schacht bezifferte die „öffentlichen Gelder“ im Februar 1925 auf 1,6 Milliarden Reichsmark was etwa 10 % der Einlagen aller Banken Ende 1925 ent287 Für die Wirtschaftsgeschichte des Braunschweigischen Landes bleibt die Erforschung des privaten Bankensektors eines der wichtigsten Desiderate. 288 Braunschweigische Staatsbank: Jahresbericht 1924/25, S. 6. 289 James, Slump, S. 43. 290 Die Deutschen Banken 1924 bis 1926, Einzelschriften zur Statistik des Deutschen Reichs Nr. 3, hrsg. vom Statistischen Reichsamt, Berlin 1927.

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sprach.291 Der Sonderkonjunktur der öffentlichen Kreditinstitute wurde allerdings bereits nach kurzer Zeit die Grundlage entzogen. Die Steuerreform von 1925 senkte die zuvor erhöhten oder neu eingeführten Steuern teils erheblich. Ab 1926 produzierten die Haushalte der Länder in der Summe Defizite, genauso wie die der Kommunen.292 Dies führte dazu, dass die öffentlichen Kassen ihre Gelder von den Banken abzogen und stattdessen Kredite für die Finanzierung der Haushaltslöcher nachfragten. Bei der Staatsbank war der Boom der Einlagen nach der Währungsreform jedoch tatsächlich nicht dem Staat zu verdanken. Der sogenannte „Haushaltsüberschussfonds“, also die kurzfristigen Überschüsse des Freistaates Braunschweig lagen bereits im März 1925 bei unter einer Millionen RM. Allerdings beanspruchte der Staat zu dem Zeitpunkt auch kaum Kredite seiner Bank.293 So konnte die Staatsbank die Einlagen für die Kreditversorgung der Wirtschaft des Freistaates nutzen. Dies war auch notwendig, weil die Unternehmen in Braunschweig aufgrund der Kreditkontingentierung der Reichsbank unter massivem Kapitalmangel litten. Im Freistaat Braunschweig ging die Zahl der Betriebe mit mehr als zehn Beschäftigten von 1923 auf 1924 um über 200 (6 %) zurück.294 Die Staatsbank reagierte auf die Krise mit der verstärkten Vergabe kurzfristiger Kredite. Das Volumen der Kontokorrentkredite an die private Wirtschaft lag im April 1924 bei 4,6 Millionen GM, im März 1925 bei 12,4 Millionen RM. Danach stagnierte das Geschäft bis 1928 weitgehend. Das Volumen der von der Staatsbank gehaltenen Wechsel erhöhte sich von knapp 800.000 GM auf 9,6 Millionen RM im März 1925. Auch hier setzte in den folgenden Jahren eine Stagnation ein. Insofern waren die Jahre 1924 und 1925 die entscheidende Phase der Expansion der Staatsbank in der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik. Die Kreditgrundsätze waren nach der Währungsreform im März 1924 angepasst worden. Die Bestimmungen schienen sich auf den ersten Blick wieder an die im Gesetz festgelegten Summen anzugleichen. Die Abtretung von Buchforderungen wurde etwa bei 50.000 Goldmark gedeckelt. Im Staatsbankgesetz von 1919 lag die Obergrenze bei 50.000 Mark. Der Umstand jedoch, dass die Obergrenzen 1919 in einer Inflationsumgebung festgelegt worden waren, gab der Neufestlegung in Goldmark die Qualität einer faktischen Erweiterung. Dieser Umstand gilt noch mehr für die Vergabe von ungesicherten Krediten, die nun für Unternehmen bei 50.000 Goldmark

291 Dazu zählte er die staatlichen Einlagen bei Staats- und Landesbanken, Girozentralen, der Reichskreditgesellschaft, der Post und der Reichsbahn. Bericht des Reichsbankpräsidenten über die Lage der Reichsbank und über Fragen der Währungs- und Finanzpolitik, Berlin, den 26. Februar 1925, in: BArch R 43 I/633, Bl. 364–379. 292 Ebenda, S. 52. 293 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1924/25, S. 10. Inwieweit die Kommunen für die schnelle Erholung der Einlagen verantwortlich waren, ließ sich aus den zur Verfügung stehenden Quellen nicht ableiten. 294 Fösterling, Freistaat Braunschweig, S. 364.

3.2 „Regionale Champions“ 

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festgelegt wurden.295 Diese Grenze hatte 1919 noch bei 15.000 Mark gelegen, was real nur noch knapp 2.000 Mark entsprach.296 Die neue Obergrenze lag also weit über der 1919 festgelegten und erlaubte der Staatsbank, über das hinauszugehen, was gemeinhin unter Mittelstandskredit verstanden wurde. Folgerichtig bezog sich die Expansion der Staatsbank nach der Währungsreform nicht nur auf das Kreditvolumen, sondern auch auf den Kreis der Kreditnehmer. Im Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1924/25 wurde angegeben, dass sich das Kreditvolumen etwa gleichmäßig auf die drei Gruppen Industrie und Handel, gewerblicher Mittelstand und Landwirtschaft verteilte.297 Damit war mit der Industrie eine Kreditnehmergruppe dazugekommen, die gleich zu Beginn der Stabilisierungsphase bereits dasselbe Kreditvolumen in Anspruch nahm wie die beiden legitimen Kreditnehmergruppen Mittelstand und Landwirtschaft. Die neuen Industriekredite veränderten zudem die Struktur des Kreditgeschäftes. Die Zahl der Industriekredite war zwar viel geringer, das Volumen der einzelnen Kredite jedoch sehr viel größer als bei den Krediten an den Mittelstand.298 Wie unten noch gezeigt wird, lagen einige dieser Kredite sogar nahe an der Millionengrenze. Die Staatsbankführung um Stübben rechtfertigte die Erweiterung des Kundenkreises in den Jahren 1924 und 1925 zunächst mit der akuten Notlage der Industrie: Braunschweig wäre ohne die Kredithilfe, die die Staatsbank den verschiedenen Zweigen des heimischen Wirtschaftslebens gab zu einer Zeit, in der die Kreditmöglichkeit bei den Privatbanken nicht bestand, wirtschaftlichen Erschütterungen ausgesetzt gewesen, die nicht unterschätzt werden können. Die Kreditmöglichkeiten der Staatsbank, die im Verhältnis zum Landesumfange groß sind, verbürgen für die weiteren schweren Zeiten, denen das deutsche Wirtschaftsleben und damit auch dasjenige unseres Landes entgegengeht, eine starke Stütze, deren Beeinträchtigung unmittelbare Gefahren für unser heimisches Wirtschaftsleben bedeuten würde.299

Es war demnach die Fähigkeit der Staatsbank, im Gegensatz zu ihren Konkurrenten in der Krise handlungsfähig zu bleiben, die ihren Anspruch begründete, in allen Bereichen der Unternehmensfinanzierung aktiv tätig zu sein. Diesen Handlungsbedarf hatte Oscar Stübben bereits vor der Währungsreform vorausgesehen, wie in seiner 295 Schreiben des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Braunschweigischen Finanzminister vom 6. März 1924, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 120. 296 Eigene Berechnungen, preisbereinigt nach dem Basisjahr 1913 auf Grundlage der Großhandelspreisindices nach Holtfrerich, Inflation, S. 15. 297 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1924/25, S. 8. 298 In der Landwirtschaft hatte die Staatsbank 1926 insgesamt 884 Kredite vergeben, von denen knapp 11 % über 5.000 RM und nur ein Prozent über 20.000 RM lagen. Beim gewerblichen Mittelstand besaßen von insgesamt 1431 Krediten 7 % ein Volumen von mehr als 5.000 RM und zwei Prozent mehr als 20.000 RM. Die Staatsbank hatte 1926 123 Industriekredite vergeben. Davon hatten allerdings 80 % ein Volumen von mehr als 5.000 RM und mit 46 % fast die Hälfte mehr als 20.000 RM. Eigene Berechnungen auf Basis des Jahresberichtes der Braunschweigischen Staatsbank für das Geschäftsjahr 1926, S. 10. 299 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1924/25, S. 6.

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Begründung der Notwendigkeit des Zusatzparagraphen 34a aus dem Jahr 1921 zu erkennen ist. „Es kommt hinzu, daß mit einer Gestaltung der Geldverhältnisse zu rechnen ist, bei der das Landeskreditinstitut in der Lage sein muß, seine reichen Mittel in den Dienst der Bevölkerung und der verschiedenen Erwerbszweige zu stellen, um wirtschaftlichen Schäden vorzubeugen. Bei richtiger Kreditpolitik wird manche Stillegung, manche Entlassung von Arbeitskräften vermieden werden können.“300 In der Praxis gingen die Entscheidungen der Staatsbank in der Unternehmensfinanzierung jedoch bereits kurz nach der Währungsreform deutlich über bloße Kriseninterventionen hinaus, wie die Übernahme der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt veranschaulicht. Die Staatsbank nutzte bei ihrer Expansion in die Industriefinanzierung die Schwäche der regionalen Banken in Braunschweig. Die ehemals bedeutenden regionalen Institute waren durch die Inflation entscheidend geschwächt worden. Neun von insgesamt 23 verschwanden durch Konkurs oder Übernahmen ganz. Doch auch die Überlebenden waren nach der Währungsreform stark angeschlagen. Die Überlegenheit der Staatsbank gegenüber ihren privaten Konkurrenten in dieser Zeit zeigt der Vergleich mit der ehemals größten Bank im Freistaat, der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt. Aus der Golderöffnungsbilanz dieser Bank, die im Dezember 1924 veröffentlicht wurde, ging hervor, dass das Institut durch Krieg und Inflation fast sein gesamtes Eigenkapital eingebüßt hatte.301 Ihre Bilanzsumme lag 1926 bei 22 Millionen RM, die der Braunschweigischen Staatsbank bei 92 Millionen RM. Selbst im Stammgeschäft der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt hatte die Staatsbank sie überholt. Die Staatsbank hatte bereits im März 1925 11,4 Millionen RM an private Kreditnehmer ausgeliehen, die „Braune-Bank“ dagegen Ende 1925 nur 9,5 Millionen RM. Problematisch war bei der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt der hohe Anteil von ungedeckten Krediten. Von den gewährten Krediten war Ende 1924 gerade einmal die Hälfte überhaupt mit Sicherheiten gedeckt.302 Bei der Staatsbank waren im März 1925 nur noch 11 % der Kredite ungedeckt. Weil die Bank das Eigenkapital teils in diesen Krediten, teils in Aktien der eigenen Kunden investiert hatte, war sie stark von der Zahlungsfähigkeit einiger weniger großer braunschweigischer Unternehmen abhängig. Fremde Gelder hatte das Institut traditionell wenig in seinen Bilanzen. Die genauen Gründe für den Substanzverlust im Eigenkapital der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt liegen noch weitgehend im Dunkeln.303 300 Ebenda, S. 2. 301 Vor dem Krieg hatte das Grundkapital 14 Millionen Mark betragen, 1924 gerade einmal drei Millionen Goldmark. Schreiben des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Finanzminister vom 4. März 1925, in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26316. 302 Geschäftsbericht der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt für das Jahr 1925, Braunschweig, den 30. März 1926, S. 2, in: NLA WO 12 Neu Wirtschaft 13, Nr. 45952. 303 Die Erforschung des privaten Kreditwesens im Land Braunschweig ist daher weiterhin ein Desiderat, das es in Zukunft zu erarbeiten gilt. Angedeutet wurde seitens der Staatsbank lediglich, dass die Bank während der Inflationszeit Geschäfte hauptsächlich außerhalb des Freistaates getätigt hat.

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Nach der Währungsreform meldete die Staatsbank Interesse an dem Erwerb der Aktienmehrheit der Bank an, als durch die Veröffentlichung der Reichsmarkeröffnungsbilanz klar wurde, dass die Staatsbank das finanzstärkere Institut geworden war. Die Frage ist, warum die Staatsbank überhaupt Interesse an der Übernahme einer privaten Aktienbank hatte. Es gibt darauf nicht nur eine Antwort. Der wichtigste Grund war sicherlich der Wunsch, den Wettbewerb zu regulieren. Aus dem Schriftwechsel zwischen Direktorium und Finanzministerium geht hervor, dass die Staatsbank in erster Linie daran interessiert war, die Konkurrenz der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt auszuschalten. So begründete Wilhelm Rungs das Geschäft stellvertretend für das Direktorium in einem Schreiben an das Finanzministerium vom 4. März 1925: „Das Ziel bestand darin, anstelle des Gegeneinanderarbeitens, das wir nicht hatten hindern können, solange wir bankmässig die Schwächeren waren, das Zusammenarbeiten treten zu lassen. Abkommen hinsichtlich des Filialnetzes und hinsichtlich der Ausschaltung der Befehdung gerade bei den Filialen, die hier und da unerquickliche Formen angenommen hatte, wurden möglich, sobald wir durch Erwerb entsprechenden Aktienbesitzes genügend Einfluss gewannen.“304 Die Verhandlungen zur Aktienübernahme gestalteten sich allerdings zunächst schwierig. Die Geschäftsführung und auch die überwiegend aus dem Freistaat stammenden Aktionäre der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt waren keinesfalls begeistert von der Idee, der Staatsbank die Mehrheit des Aktienbesitzes an der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt zuzugestehen. Angesichts dieser Ausgangslage war es nicht überraschend, dass die Gespräche mit den Entscheidungsträgern der „Braune-Bank“ in Braunschweig scheiterten. Eine Übernahme war gleichbedeutend mit dem Scheitern des Widerstandes der braunschweigischen Bankiers gegen die Expansion des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens. Die Staatsbank hatte allerdings die Möglichkeit, die Aktienmehrheit auch ohne die Mitwirkung braunschweigischer Bankiers zu bekommen. In der Inflationszeit hatte die Allgemeine Deutsche Creditanstalt aus Leipzig die Mehrheit der Aktien der „Braune-Bank“ übernommen. Auch diese war dem Ersuchen der Staatsbank zunächst ablehnend begegnet. Allerdings hatte die Bank aus Leipzig keine grundsätzlichen Bedenken gegen den Verkauf der Aktien an eine öffentliche Bank. Nach langen und zähen Verhandlungen über den Kaufpreis einigte man sich schließlich Anfang 1925 auf die Übernahme von 50,7 % der Aktien zum Preis von 1,9 Millionen RM.305 Anders als die privaten Großbanken bei ihren Übernahmen löste die Staatsbank die Die vielen Bankvertreter aus Berlin im Aufsichtsrat lassen darauf schließen, dass es im Wesentlichen Börsenspekulationen mit Eigenkapital waren, die zu dem Substanzverlust geführt haben. Schreiben des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Finanzminister vom 4. März 1925, in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26316. 304 Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an den Finanzminister vom 4. März 1925, in: NLA WO, 12 Neu Wirtschaft 13 Nr. 26316. 305 Ebenda.

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Strukturen der „Braune-Bank“ nach dem Erwerb nicht auf, sondern erhielt sie als eigenständiges Unternehmen. Um eine gemeinsame geschäftspolitische Linie abzusichern wurde eine formale Interessengemeinschaft vertraglich fixiert. Die Übernahme einer großen regionalen Aktienbank durch ein öffentlich-rechtliches Kreditinstitut war für die ersten Jahre nach der Währungsreform ungewöhnlich. Noch im Februar 1925 lag das Volumen dauernder Kapitalbeteiligungen an anderen Banken bei allen Landes- und Staatsbanken zusammen bei nur 0,3 Millionen RM. Im Juni lag es dann bei insgesamt 4,3 Millionen RM. Die 1,9 Millionen RM Aktienkapital, die die Staatsbank in die Mehrheit der Aktien der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt investiert hatte, machten demnach fast die Hälfte dieser Summe aus. Damit gehörte die Staatsbank unter den Staats- und Landesbanken zu den Pionieren auf dem Gebiet der Bankbeteiligungen.306 Bei einem Grundkapital von lediglich 2,5 Millionen RM war der Erwerb dieser Beteiligung ein nicht zu unterschätzender finanzieller Kraftakt für die Staatsbank. Ihr Hauptziel, die Verringerung des Konkurrenzdrucks, konnte die Staatsbank durch die Übernahme erreichen. So schlossen kurz nach der Übernahme gleich fünf Filialen der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt ihre Pforten. Ein Jahr später schloss die Bank zwei weitere Filialen. Dass diese Schließungen auf Betreiben der Staatsbank durchgeführt wurden, lässt sich daran erkennen, dass die bisherigen Kunden an den Standorten der geschlossenen Filialen auf die sich in der Nähe befindlichen Filialen der Staatsbank verwiesen wurden.307 Die von der Staatsbank durch die Beteiligung an der „Braune-Bank“ ermöglichte „Marktregulation“ im Kreditgewerbe hatte vor allem einen Gewinner: die Staatsbank selbst. Sie hatte sich mit der Beteiligung an der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt nicht nur eines großen Konkurrenten und Kritikers erledigt. Sie konnte die „Braune-Bank“ zusätzlich dazu nutzen, Kreditgeschäfte zu tätigen, die sie selbst aufgrund des Staatsbankgesetzes nicht tätigen durfte. Damit konnten vor allem ungedeckte Unternehmenskredite an die heimische Industrie fließen, ohne die Obergrenzen beachten zu müssen. Dazu war es jedoch notwendig, die Bank als eigenständiges Institut bestehen zu lassen. Genau dieser Punkt war auch der Grund für die Skepsis der Landesversammlung, die diese Ausweichtaktik vorausgesehen hatte.308 Das Motiv wurde auch indirekt durch eine Äußerung des Direktoriums bestätigt, die eine vollständige Integration der „Braune-Bank“ in die Strukturen der Staatsbank 1929 ablehnte, weil deren Geschäft nicht mit den Bestimmungen des Staatsbankgesetzes übereinstimmte.309 Dieses Argument war angesichts des großen 306 Zahlen auf Grundlage der Zweimonatsbilanzen in: Die Deutschen Banken 1924–1926, S. 148. 307 Geschäftsbericht der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt für das Jahr 1926 vom 17. März 1927, S. 2, in: NLA WO, 12 Neu Wirtschaft 13 Nr. 45952. 308 Vgl. dazu die Ausführungen Heinrich Jaspers in: Braunschweigischer Landtag, 24. Sitzung der Wahlperiode 1927/30 vom 24. Januar 1929, in: Verhandlungen des Landtages des Freistaates Braunschweig, Sitzungsberichte, 3. Wahlperiode, S. 1529 f. 309 Braunschweigische Staatsbank, Jahresbericht 1929, S. 8.

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Anteils ungedeckter Kredite an den Aktiva der „Braune-Bank“ durchaus schlüssig. Um die Braunschweigische Bank und Kreditanstalt für ihre Zwecke nutzen zu können, wurden im Mai 1925 die Kreditgrundsätze dahingehend geändert, dass nun bei Aktiengesellschaften im Bankwesen und bei der Industrie bereits ab einem Aktienkapital von drei Millionen RM auf Sicherheiten verzichtet werden konnte.310 So konnte die Staatsbank Kredite an die „Braune-Bank“ vergeben, ohne von ihr Sicherheiten verlangen zu müssen. Die Braunschweigische Bank und Kreditanstalt war auf diese Kredite angewiesen, weil sie 1925 in einem sehr viel schlechteren Zustand war, als das Direktorium der Staatsbank erwartet hatte. Die „Braune-Bank“ hatte in der Inflation wichtige Großkunden verloren, in erster Linie die Unternehmen des Mühlenbaus.311 Die fremden Einlagen waren laut Aussage des Staatsbankpräsidenten Stübben zu gering, um mit der „Braune-Bank“ die Industrie des Freistaates wirksam zu unterstützen. Stattdessen musste die Staatsbank in den folgenden Jahren bis zu sieben Millionen Reichsmark Kapital zuschießen, um die „Braune-Bank“ über die Fälligkeitstermine hinweg mit Liquidität auszustatten.312 Die Staatsbank hatte demnach nicht den stabilen Industriefinanzier erworben, den sie sich erhofft hatte, sondern einen Sanierungsfall. Die Mittel, die die Staatsbank für die Sanierung der „Braune-Bank“ aufwenden musste, fehlten in anderen Bereichen. Dennoch war der Erwerb der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt ein klares Signal der Staatsbank, dass sie nicht gewillt war, sich aus dem Industriekreditgeschäft wieder zurückzuziehen. Sie stand dabei nach der Währungsreform jedoch nicht mehr mit den regionalen Privatbanken im Wettbewerb, sondern mit den Großbanken. Diese hatten bereits in der Inflationszeit eine Präsenz in Braunschweig aufgebaut. Anders als die regionalen Banken hatten diese Zugang zum ausländischen Geld- und Kapitalmarkt und konnten damit weitaus größere finanzielle Mittel mobilisieren. Die Staatsbank war demgegenüber wirtschaftlich im Nachteil. Allerdings bot das Auftreten der Großbanken neue Möglichkeiten, um die Expansion in die Industriefinanzierung politisch zu legitimieren.

Der „Ausverkauf“ der braunschweigischen Industrie und die Strategie der „Regionalen Champions“ Durch den Niedergang der regionalen Banken in Braunschweig hatten sich die engen regionalen Verflechtungen weitgehend aufgelöst. Die Großbanken konnten das alte Kreditwesen zwar in finanzieller Hinsicht ersetzen, ihre Rolle in Braunschweig 310 Protokoll der 25. Aufsichtsratssitzung vom 27. Mai 1925, in: Protokollbuch, S. 28, NWA 8, Nr. 766. 311 Geschäftsbericht der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt für das Jahr 1925, Braunschweig, den 30. März 1926, S. 1, in: NLA WO 12 Neu Wirtschaft 13, Nr. 45952. 312 Stellungnahme Stübben, S. 14, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012.

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war jedoch ambivalent. Neben der Kreditvergabe organisierten die Banken auch Übernahmen und Fusionen. Diese waren in der Zeit der Weimarer Republik normalerweise in den Branchen häufiger, die auch stärker kartelliert waren. Doch es gab einige Ausnahmen von dieser Regel. Vor allem die in Braunschweig als Leitsektor dienende Nahrungsmittelindustrie war durch eine große Zahl von Übernahmen geprägt.313 Auch der eigentlich eher übernahmeresistente Maschinenbau entfaltete in Braunschweig starke Konzentrationstendenzen. Die zentrale Gefahr an diesen Übernahme- und Konzentrationstendenzen für den Freistaat Braunschweig war für die Staatsbank der dadurch wachsende Einfluss auswärtiger Interessen: Seit geraumer Zeit verfolgen wir die Entwicklung der industriellen Verhältnisse in Braunschweig auch unsererseits mit lebhafter Sorge. Von besonderem Belang scheint uns die Tatsache zu sein, daß die braunschweigische Industrie mehr und mehr unter auswärtigen Einfluss gelangt ist. Wir nennen hier nur Amme, Giesecke & Konegen A. G., die Maschinenfabrik und Mühlenbauanstalt G. Luther AG., die Eisenbahnsignal-Bauanstalt Max Jüdel A. G., die Braunschweigische Maschinenbauanstalt A. G. Voigtländer & Sohn A. G. Gewiß ist Konzentration und Zusammenschluß in der deutschen Industrie heute die Forderung des Tages. Es bleibt aber tief bedauerlich, daß in keinem Falle der Zusammenschluß so erfolgt ist, daß die braunschweigische Industrie hierbei führte. So hat die braunschweigische Industrie mehr und mehr trotz ihrer ursprünglichen Bedeutung an Selbständigkeit verloren und ihre Geschicke werden nicht mehr von ihr selbst, sondern von auswärtigen Einflüssen bestimmt. Darin liegen naturgemäß auch Gefahren für die weitere Beschäftigung der braunschweigischen Arbeiterschaft. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Industrie selbst den Verlust ihrer Selbständigkeit zu erheblichen Teilen verschuldet hat. Sie hat in einem Zeitraume, in dem andere wachten und die Gestaltung der kommenden Dinge in die Hand nahmen, geschlafen, insoweit es sich um die Verteidigung ihrer Selbständigkeit und um die Führung bei kommenden Zusammenschlüssen handelte. Auch die privaten Bankinstitute, die die langjährigen Berater der hiesigen Industrie waren und die sich die Aktien zum Teil zu einem Spottgelde während der Inflation aus der Hand nehmen liessen und derartige Ankäufe noch vermittelten, sind nicht frei von Schuld. In vollem Umfangen hat schliesslich in diesen Fragen die Handelskammer geschlafen.314

Der Verlust der Selbstständigkeit der braunschweigischen Industrie wurde auch in anderen zeitgenössischen Darstellungen diagnostiziert und dabei auch für die relative wirtschaftliche Stagnation der industriellen Entwicklung im Freistaat verantwortlich gemacht.315 Der Hinweis auf die Gefahr für die Beschäftigung machte die eigentlich wirtschaftliche Frage von Fusionen und Rationalisierungen zu einer politischen. Selbst wirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen konnten nicht im Interesse des Freistaates 313 Fiedler, Fusionen und Übernahmen, S. 229. 314 Antwort des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an den Finanzminister zum gefl. Schreiben vom 22. v.Mts. [F I 737/28] vom 6. September 1928, in: NLA WO 12 Neu 13 Nr. 26315. Vgl. hierzu auch Reinhard Fösterlings Interpretation dieser Quelle, in: Fösterling, Freistaat Braunschweig, S. 368 f. 315 Birgit Pollmann zitiert eine „Wirtschaftsgeschichte Braunschweigs“ von Georg Kanzow von 1928, in dem dieser die Abwanderung des Betriebskapitals an auswärtige Gesellschaften für die Stagnation verantwortlich macht. Birgit Pollmann, Wirtschaftliche Entwicklung, S. 98.

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sein, wenn dies die Einstellung der dortigen Produktion und die Entlassung der Arbeitskräfte bedeutete. Die Unternehmen, die die Staatsbank aufzählte, gehörten zu den größten Unternehmen im Freistaat. Viele hatten mehr als 1.000 Mitarbeiter. Die politischen und wirtschaftlichen Kräfte, die in dem Kampf um das eigenständige Überleben der braunschweigischen Industrie nach Ansicht des Direktoriums „versagt“ hatten, schadeten deshalb nicht nur sich selbst, sondern auch dem Gemeinwohl. Die Handelskammer wurde besonders hart angegriffen, weil diese als einzige der angesprochenen Gruppen wie die Staatsbank dem Gemeinwohl verpflichtet war. Ein besonders anschauliches Beispiel für das Eindringen auswärtiger Kräfte in die braunschweigische Industrie und die ambivalente Rolle, die die Großbanken dabei spielten, ist die Gründung der Mühlenbau-Industrie AG (MIAG). In der Festschrift der MIAG wurde der erste Schritt dazu folgendermaßen beschrieben: „Im Juni des Jahres 1921 erschien unangemeldet Herr Dr. Ing. Hugo Greffenius aus Frankfurt am Main in Braunschweig und teilte in einer Bilanzbesprechung zur Vorbereitung der Generalversammlung den überraschten Anwesenden mit, daß er im Besitz von 51 % der Aktien der AGK [Amme, Giesecke & Konegen] sei.“316 Greffenius war der Besitzer eines der wichtigsten Konkurrenten des Braunschweiger Mühlenbaus, der Hugo Greffenius AG. Er hatte mithilfe mehrerer Banken systematisch die Aktien des braunschweigischen Mühlenbauunternehmens Amme, Giesecke & Konegen (AGK) aufgekauft und nutzte dabei auch die akute Geldnot des Firmengründers Ernst Amme aus. Er war im Übrigen nicht allein nach Braunschweig gekommen. Mit ihm reiste der damalige Vorstand der Nationalbank AG Hjalmar Schacht, der auf der Versammlung kurzerhand zum Aufsichtsratsvorsitzenden der AGK bestimmt wurde. Die Nationalbank als eines der Vorgängerinstitute der DanatBank war der Hauptkreditgeber für Greffenius’ Plan, das Aktienkapital aller fünf relevanten Mühlenbauunternehmen in Deutschland auf sich zu vereinigen. Kurz nach dem Besuch in Braunschweig gründete Greffenius im August 1921 die Mühlenbauund Industrie AG (MIAG) mit Sitz in Frankfurt. Schacht wurde auch hier Aufsichtsratsvorsitzender. Die MIAG kaufte unter der Hand und ohne das Wissen der Unternehmen deren Aktien solange auf, bis sie überall die Mehrheit besaß. Am 24. Dezember 1925 schließlich wurde auf der Hauptversammlung der MIAG beschlossen, die fünf Mühlenbauunternehmen auf die MIAG zu fusionieren. Damit wandelte diese sich von einer Holdinggesellschaft zu einem Industrieunternehmen. Zu den fünf Unternehmen gehörten neben der AGK und dem zweiten braunschweigischen Mühlenbauunternehmen Luther & Co. die H. Greffenius AG, die Gebr. Seck AG aus Dresden und die Kapler Maschinenfabrik AG aus Berlin. Der Sitz des Unternehmens war Frankfurt, die „technische Leitung“ saß in Braunschweig. Die Finanzierung der Aktienkäufe hatte Hugo Greffenius zunächst über Bankkredite bewerkstelligt. Diese kurzfristigen Kredite bürdete er nach der Fusion nun dem neuen Unternehmen auf. 316 MIAG – Bühler 1864–1996. Chronik einer Maschinenfabrik von außergewöhnlicher Vielseitigkeit, hrsg. von der Bühler GmbH, Braunschweig 1996, S. 27.

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Die Konsolidierung erfolgte auf dem Wege der Begebung einer Auslandsanleihe über drei Millionen Dollar.317 Die MIAG-Anleihe war die einzige substantielle Auslandsanleihe im Freistaat Braunschweig überhaupt. Sie war hauptsächlich zur Deckung der Kosten der Fusion benötigt worden und nicht für Investitionen, was gerade im Braunschweiger Raum Hjalmar Schachts Annahme von der produktiven Verschuldung des privaten Sektors konterkarierte und dies in einem Fall, bei dem er selbst führend mitgewirkt hatte. Das Direktorium der Staatsbank hatte vergeblich versucht, die Fusion zu verhindern. Da uns die Verhältnisse in der Mühlenbauindustrie, in der Braunschweig vor dem Kriege führte, aus allgemeinen Erwägungen besonders schwerwiegend erschienen, haben uns nahestehende kleinere Aktionärskreise 1925 in Frankfurt gegen den vollständigen Aufgang der braunschweigischen Unternehmen in die MIAG opponiert. Zur tatkräftigen Durchführung der Opposition fanden sich aber nicht genug Stimmen zusammen.318

Mit diesem Zitat veranschaulichte die Staatsbank ihre Unschuld an dem Debakel. Sie konnte für den Ausverkauf der braunschweigischen Industrie nicht verantwortlich gemacht werden, weil sie bis 1925 nicht genügend Einfluss auf die betroffenen Industriekonzerne besessen hatte. Sie ließ mit dieser Aussage allerdings keinen Zweifel daran, dass der Ausverkauf nicht stattgefunden hätte, wenn die Staatsbank als Hausbank der Mühlenbauindustrie die Fusion hätte verhindern können. Das Direktorium forderte aus diesem Grund eine starke Stellung der Staatsbank bei der Finanzierung der regionalen Industrieunternehmen, um bei weiteren Zusammenschlüssen die Interessen des Landes wirksam vertreten zu können. Ihr Ziel war dabei die Durchführung von Zusammenschlüssen innerhalb der Industrie des Freistaates, um so die Rationalisierungsgewinne aus dem Größenwachstum innerhalb Braunschweigs zu realisieren. Diese Strategie der Bildung „regionaler Champions“ stand jedoch nicht von vorneherein fest. Sie ergab sich vielmehr aus den Erfahrungen, die die Staatsbank seit 1925 in der Industriefinanzierung gemacht hatte. Die Staatsbank begann ihre aktive Rolle bei der Neugestaltung der braunschweigischen Industrie auf dem Gebiet der Zuckerindustrie, bei der sie schon vor der Währungsreform finanziell engagiert war. Hier war die Gefahr des „Ausverkaufs“ braunschweigischer Betriebe seit 1923 besonders hoch. Die Zuckerfabriken aus dem Umkreis Magdeburgs und Braunschweigs hatten in diesem Jahr ein Kartell mit dem Namen „Magdeburg-Braunschweigische Rohzucker-Vereinigung“ gegründet und sieben Zuckerraffinerien als sogenannte Werklohnraffinerien dazu verpflichtet, den Zucker von den Rohzuckerfabriken zu von diesem Kartell festgelegten Preisen abzunehmen. Die Gesamtproduktion von Rohzucker reichte jedoch nicht aus, um die Zuckerraffinerien auszulasten, weshalb das Kartell letztlich scheiterte. Die Raffinerien 317 MIAG – Bühler, S. 37. 318 Antwort des Direktoriums vom 6. September 1928, in: NLA WO 12 Neu 13 Nr. 26315.

3.2 „Regionale Champions“

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boten sich beim Absatz harte Preiskämpfe. Um diese zu beenden, bahnten sich Konzernbildungen an. Im Sommer 1925 gründeten die Rohzuckerfabriken im Raum Magdeburg die „Vereinigung Magdeburger Rohzuckerfabriken GmbH“ mit dem Ziel, die Zuckerraffinerie Magdeburg AG zu übernehmen.319 Mit diesem Schritt war die Existenz der drei braunschweigischen Raffinerien in der Stadt Braunschweig sowie in Frellstedt gefährdet. Denn bei der Bereinigung der Überkapazitäten wären die Werklohnraffinerien zuerst geschlossen worden. In dieser Lage griff die Staatsbank zugunsten des Freistaates und auch im Eigeninteresse ein. Unter ihrer Führung schlossen sich sechs Rohzuckerfabriken aus dem alten Kartell zusammen und übernahmen 1925 die Zuckerraffinerie Braunschweig AG.320 Die Staatsbank finanzierte die Übernahme durch die Vergabe von Krediten und bekam dafür einen Sitz im Aufsichtsrat der Raffinerie.321 Damit war ihre Zukunft gesichert. Für die Norddeutsche Zuckerraffinerie Frellstedt wurde eine Mischlösung gefunden. Sie wurde von der „Braunschweiger Gruppe“ der Rohzuckerfabriken erworben, aber in den Magdeburger Konzern eingebracht.322 Ohne Konzernanbindung war die Zukunft der Raffinerien höchst unsicher. Dies zeigt das Schicksal der dritten Zuckerraffinerie im Freistaat, J. H. Grassau aus der Stadt Braunschweig, die 1927 stillgelegt wurde, woran allerdings auch ein Großbrand schuld war.323 Die Aktion zur Konsolidierung der Zuckerindustrie war nur der Auftakt für eine ganze Reihe von Interventionen der Staatsbank in der braunschweigischen Industrie. Der komplexeste dieser Fälle war die Sanierung des Konservendosenherstellers Bremer & Brückmann. Dieses Unternehmen war Teil der in Braunschweig bedeutenden Blechwarenindustrie, die infolge des Bedarfs nach Dosen in der Konservenindustrie entstanden war. Im Verlauf der 1920er Jahre hatte sich vor allem die Firma J. A. Schmalbach durch mehrere Übernahmen anderer Unternehmen im Freistaat, aber auch außerhalb dieses Gebietes hervorgetan. Sie hatte 1924 das Deutsche Blechwarenwerk in Braunschweig und 1925 das Seesener Unternehmen Züchner übernommen. Zusammen mit der eigenen Fabrik und der Tochtergesellschaft Union Blechwarenwerke gewann Schmalbach eine führende Stellung in Braunschweig.324 Bremer & Brückmann kooperierten mit Schmalbach im Verlaufe der 1920er Jahre in mehreren Bereichen. Ein Bereich war die Karges-Hammer KG, ein Unternehmen, das spezielle Maschinen für die Produktion von Konservendosen herstellte. Schmalbach und Bremer & Brückmann hatten sich jeweils etwa zur Hälfte an dem Unternehmen 319 Schaal, Dirk, Rübenzuckerindustrie und regionale Industrialisierung. Der Industrialisierungsprozess im mitteldeutschen Raum (1799–1930, Münster 2005, S. 132. 320 Antwort des Direktoriums vom 6. September 1928, in: NLA WO 12 Neu 13 Nr. 26315. 321 Aufsichtsratsmandate der Direktoren der Braunschweigischen Staatsbank, in: NWA 5 Zg. 6/ 2007, Nr. 101/1. 322 Schaal, Rübenzuckerindustrie, S. 132. 323 Ebenda. 324 Fürst, Reinmar, Verpackung: Gelobt, Getadelt – Unentbehrlich. Ein Jahrhundert Verpackungsindustrie, Düsseldorf, Wien 1973, S. 322, 324.

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beteiligt, was ihnen beiden Mitbestimmungsrechte bei der Entwicklung des Produktportefeuilles gab. Bremer & Brückmann und Schmalbach mit ihrer gemeinsamen Tochter bildeten eine kleine Verbundwirtschaft innerhalb der braunschweigischen Industrie. Diese wollte die Staatsbank schützen, als Bremer & Brückmann Anfang 1925 zahlungsunfähig wurde. Die Staatsbank war zu diesem Zeitpunkt bereits mit einem Gesamtkredit von 800.000 RM der größte Gläubiger der Firma, diese war auch einer der ersten industriellen Großkunden der Bank. Die Staatsbank hatte deshalb ein großes betriebswirtschaftliches Interesse daran, dass Bremer & Brückmann nicht in Konkurs ging. Sie beschloss daher, die Firma zunächst über Wasser zu halten und gleichzeitig mit den übrigen Gläubigern und den Besitzern der Firma, der Familie Brückmann, einen Vergleich auszuhandeln. Dieser Prozess dauerte fast eineinhalb Jahre und erst im Juli 1926 konnte das Ergebnis präsentiert werden. Es lief auf einen Zwangsvergleich hinaus, nachdem das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden war. Durch eine komplizierte Konstruktion erreichte die Staatsbank die Mehrheit der Stimmanteile, obwohl sie von dem Aktienkapital von insgesamt 1,2 Millionen RM nur 260.000 RM investiert hatte.325 Der Zwangsvergleich war deshalb notwendig, weil die Familie Brückmann eine plötzliche Kehrtwende gemacht hatte. Der Hintergrund war ein Streit um die Firma Karges-Hammer. Die alte Firma Bremer & Brückmann hatte als Sicherheit für ihren Kredit bei der Staatsbank ihren Besitz an Aktien dieses Unternehmens hinterlegt. Der Nennwert dieses Paketes betrug 225.000 RM bei einem Gesamtkapital des Unternehmens von 925.000 RM. Die Staatsbank hatte daher den Plan gefasst, Bremer & Brückmann mit Karges-Hammer stärker zu verbinden. Dazu wollte sie den Geschäftsführer der Firma Karges Hammer, Otto Eichholz, in Personalunion auch zum Co-Direktor von Bremer & Brückmann machen. Das Fernziel war dabei ein Zusammenschluss der Konservendosenindustrie. Die Eigner der Firma Schmalbach durchschauten jedoch die Absichten der Staatsbank und verhinderten den Plan mit der Personalunion. Stattdessen boten sie hinter dem Rücken der Staatsbank der Familie Brückmann einen besseren Deal für die Sanierung an, die daraufhin ebenfalls den Plan, Otto Eichholz zum Direktor zu machen, fallen ließen. Die Staatsbank war damit ausmanövriert worden. Sie zog nun zwar gegen Teile der Familie Brückmann ihren Sanierungsplan durch, die Konzernbildung aber scheiterte.326 Bitter bemerkte

325 Die Staatsbank musste insgesamt 250.000 RM in bar einzahlen und bekam dafür Stammaktien zu 400.000 RM. Der Unterschied ergibt sich dadurch, dass die Staatsbank für einen Teil der Aktien nur 50 % des Nennwertes zahlen musste. Zusätzlich erhielt sie spezielle Vorzugsaktien mit 50fachem Stimmrecht für 10.000 RM. Zusammen hatte die Staatsbank also Stimmen für 900.000 RM und damit die Mehrheit. Von den 800.000 RM der übrigen Aktien waren 700.000 RM für die Abdeckung der ungedeckten Schulden vorgesehen. 100.000 RM erhielt die Familie Brückmann. Schreiben des Direktoriums an den Herrn Braunschweigischen Finanzminister vom 31. Mai 1926, in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26316. 326 „Die Sabotage der Sanierungsangelegenheit Bremer & Brückmann“, Schreiben des Direktoriums an den Herrn Ministerialrat von Hantelmann vom 17. Juli 1926, in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26316

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Stübben: „Es half nicht die Erklärung, daß es sich bei der Doppeltätigkeit des Direktors Eichholz nur um ein Interimistikum von einigen Monaten handeln könne, das zweckmäßig sei, weil nach Sanierung der Firma Bremer & Brückmann die KargesHammer A. G., bei der die beiden Hauptfirmen der Braunschweiger Blechemballagenindstrie stark beteiligt sind, vielleicht geeigneten Boden für weitere Verständigungen in der Blechemballagenfabrikation bieten konnte.“327 Ob die Staatsbank ein regionales Kartell oder wie bei der Zuckerindustrie einen Konzern gründen wollte, geht aus den Quellen nicht eindeutig hervor. Karges-Hammer wäre aber in beiden Fällen das Schlüsselunternehmen gewesen, weil die exklusive Verfügung über die Maschinen der Firma die Voraussetzung für die angestrebte starke Stellung der braunschweigischen Blechwarenindustrie gewesen wäre. Die Schmalbach-Gruppe hatte allerdings keineswegs vor, die Staatsbank bei diesem Vorhaben zu unterstützen. Dies hatte den einfachen Grund, dass sie bereits auf dem Weg war, den Industriezweig in Braunschweig unter ihrem Dach zu vereinen. Schmalbachs Hausbank war bereits seit 1921 die Deutsche Bank.328 Über diese Verbindung konnte die Schmalbachgruppe nach 1924 genug Kapital für den Expansionskurs des Unternehmens akquirieren. Spätestens 1928 war Schmalbach unangefochten Marktführer in Braunschweig. Die Staatsbank hatte mit Bremer & Brückmann das schwächere Unternehmen übernommen. Dennoch war die Rettung von Bremer & Brückmann für die Staatsbank kein Misserfolg. Neben der Tatsache, dass mit dem Unternehmen auch die Arbeitsplätze von 316 Mitarbeitern größtenteils gesichert wurden, ermöglichte die Sanierung auch eine Phase der Kooperation mit dem Konkurrenten Schmalbach. Gustav Schmalbach und Walther Barthel von Bremer & Brückmann vereinbarten nach einer gemeinsamen Amerikareise 1927 die Aufnahme einer Fließbandlinie für die Produktion von Milchdosen. Sie gründeten dazu ein Joint-Venture in Form einer GmbH mit einem Grundkapital von 200.000 RM. Das Werk ging in Braunschweigs Geschichte ein als eine der ersten vollautomatischen Produktionslinien.329 Staatsbankpräsident Oscar Stübben war persönlich in das Zustandekommen dieses Joint-Ventures involviert. Er bekam im Gegenzug einen kleinen Anteil am Gesellschaftskapital zur Verfügung gestellt.330 Dennoch blieben die beiden Firmen Konkurrenten, die sich durchaus Preiskämpfe boten.331 Betriebswirt327 Ebenda. 328 Der Direktor von deren Filiale in Braunschweig Wilhelm Hoffmann war stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der J. A. Schmalbach GmbH. Fürst, Verpackung, S. 317. 329 Ehrhardt, Frank, Rationalisierung und Wandel der Industriearbeit in Braunschweigs Metallindustrie in den Jahren der Weimarer Republik, in: Braunschweigisches Jahrbuch, Band 76. Braunschweig 1995. S. 125–153, S. 147. 330 Der Braunschweigische Finanzminister an den Untersuchungsrichter beim Landgericht Braunschweig vom 2. Februar [Nr. F I 349/32], in: Personalakte Oscar Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. 331 Ehrhardt, Rationalisierung, S. 147 f. Der Zusammenschluss in der Blechwarenindustrie Braunschweigs erfolgte erst 1952, als Schmalbach Bremer & Brückmann aufkaufte. Fürst, Verpackung, S. 327.

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schaftlich war der Kauf von Bremer & Brückmann zunächst ein voller Erfolg. Die Firma erholte sich von der Krise im Jahr 1925 recht schnell und schrieb bis 1930 schwarze Zahlen. Der Kredit der Staatsbank konnte so vorerst gesichert werden.

Die politischen Risiken der Industriestrategie Die Staatsbank wollte mit der Strategie der „Regionalen Champions“ langfristig überlebensfähige Unternehmen schaffen. Da sie jedoch in ihren Geschäftsberichten betonte, die Wirtschaft des Freistaates insgesamt zu unterstützen, bewarben sich vermehrt braunschweigische Unternehmen um Kredite, die nicht in diese Strategie passten und die mangels Alternativen auf die finanzielle Hilfe der Staatsbank angewiesen waren. Diese Fälle lehnte die Staatsbank fast immer ab, obwohl manche der Bittsteller Hilfe von politischen Akteuren erhielten. Wie es den meisten abgelehnten Kreditsuchenden erging, zeigt das Beispiel der Maschinenfabrik R. August Wilke (nicht zu verwechseln mit den viel bedeutenderen Wilke-Werken). Im März 1926 erreichte das Finanzministerium eine Beschwerde des gleichnamigen Leiters dieser Firma. Wilke hatte bei der Bank einen Kredit über 35.000 bis 40.000 RM beantragt, die sein Kreditgesuch abgelehnt hatte. Er forderte nun den damaligen Finanzminister Werner Küchenthal (DNVP) auf, in seinem Sinne bei der Staatsbank zu intervenieren und bezog sich zur Legitimation seiner Forderung auf Aussagen der Staatsbankführung: „Erst kürzlich wehrte sich die Staatsbank gegen die gegen sie erhobenen Vorwürfe, die Industrie nicht genügend unterstützt zu haben mit grossen Worten, und da möchte ich doch mal fragen, wie sich die Behauptung der Staatsbank mit ihrem Verhalten mir gegenüber vereinbaren lässt.“332 Wilke bekräftigte seine Drohung, indem er ankündigte, ohne den angestrebten Kredit alle Mitarbeiter entlassen zu müssen, während im Falle einer Zusage neue Mitarbeiter eingestellt werden sollten. Die Staatsbank lehnte jedoch das Kreditgesuch auch gegenüber dem Finanzminister ab: „Wir bedauern, dem Kreditersuchen der Firma R. August Wilke nicht entsprechen zu können, da wir nicht nur die Aufgabe haben, nach Möglichkeit helfend einzuspringen, sondern auch Grundsätze der Liquidität und der Vorsicht im Auge behalten müssen, und zwar nicht nur im eigenen, sondern auch im allgemeinen Interesse.“333 Die Staatsbank wehrte also unliebsame Kreditgesuche mit der Begründung ab, dass ihre eigene wirtschaftliche Solvenz eine höhere Priorität haben müsste, als der mögliche kollektive Nutzen einer Kreditvergabe. Ähnlich wie beim Mittelstandskredit wollte sie unbedingt vermeiden, dass sich aus ihrem Auftreten als Anwalt der braunschweigischen Wirtschaft ein politisch begründeter Anspruch auf Kredithilfe 332 Schreiben von R. August Wilke Maschinenfabrik an das Finanzministerium vom 11. März 1926, in: NLA WO 12 Neu 13 Nr. 26315. 333 Antwort des Direktoriums der Staatsbank an den Finanzminister vom 17. März 1926, in: NLA WO 12 Neu 13 Nr. 26315.

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ableiten ließ. Industrieunternehmen sollten weiterhin der Prüfung der Kreditwürdigkeit durch die Staatsbank unterliegen. Die Staatsbank begründete diesen Anspruch mit einem ihrer Ansicht nach notwendigen wirtschaftlichen Ausleseprozess: „Neben dem Verluste der Selbständigkeit erheblicher Teile der braunschweigischen Industrie und der daran sich anschliessenden nachteiligen Folgen besteht die Tatsache, dass kleinere industrielle Betriebe im braunschweigischen Gebiete notleidend werden. Hier handelt es sich um Erscheinungen, die in der Wirkung bedauerlich sind, die aber aus wirtschaftlichen Gründen in erheblichem Umfange unvermeidbar erscheinen.“334 Diese Begründung taucht im gleichen Schreiben auf, in dem die Staatsbank die Politik der regionalen Champions erläuterte. Das Direktorium der Staatsbank hatte sich also keineswegs zum Ziel gesetzt, allgemein notleidende Unternehmen im Freistaat zu retten. Anspruch auf Hilfe sollten nur Unternehmen haben, die sie für langfristig wettbewerbsfähig hielt. Die Entscheidung darüber, ob diese Aussicht bestand oder nicht, oblag in den Augen der Staatsbankführung allein den Entscheidungsorganen der Bank. Diese Autonomie sollte insbesondere verhindern, dass die Staatsbank gezwungen wurde, die notleidenden Kredite der Großbanken im Namen des Gemeinwohls aufzufangen. Alle bekannten abgelehnten Fälle hatten gemeinsam, dass die Kreditgesuche von Unternehmen stammten, die zuvor von den Großbanken abgestoßen worden waren. August Wilke wurde kurz vor seinem Hilfegesuch der Kredit bei der Disconto-Gesellschaft gekündigt. Im oben zitierten Schreiben der Staatsbank von 1928 ging es konkret um die Wiedaer und die Tanner Hütte im Harz, die bei der Commerzbank ihre Kreditlinien hatten. Die Staatsbank verdächtigte die Großbanken, sich auf Kosten der Staatsbank ihrer Verlustkunden zu entledigen. Sie denunzierte die an den Staat gerichteten Hilfsgesuche deshalb als unlauteres Mittel der Großbanken, die Gemeinwohlorientierung der Staatsbank gegen diese zu wenden, um sie im Wettbewerb zu schädigen. Im Fall der beiden Eisenhütten verlangte die Staatsbank deshalb einen Konkurs und eine anschließende Sanierung, damit der Kreditausfall durch die Commerzbank getragen werden musste. Die Staatsbank überlegte, die Hütten nach dem Konkurs zu übernehmen, solange der Preis günstig genug war. Sie verlangte vom Finanzministerium darüber absolutes Stillschweigen, damit die Commerzbank nicht mit dem Wissen der Absichten der Staatsbank den Preis in die Höhe trieb.335 Auch, wenn es letztlich nicht zur Ausführung des Plans kam, zeigt dieser Fall die Intensität des Wettbewerbs mit den Großbanken und die betriebswirtschaftliche Basis der Entscheidungen der Staatsbank deutlicher als die langen und ausführlichen Ausführungen in den Geschäftsberichten des Kreditinstitutes.

334 Antwort des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an den Finanzminister zum gefl. Schreiben vom 22. v.Mts. [F I 737/28] vom 6. September 1928, in: NLA WO 12 Neu 13 Nr. 26315. 335 Ebenda.

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Aus der Expansion der öffentlichen Institute ins Industriekreditgeschäft versuchten die gleichzeitig expandierenden Großbanken offensichtlich, Vorteile zu gewinnen. Sie kündigten unliebsame Kreditnehmer aus dem Portfolio der aufgekauften Banken mit dem Hinweis, sie sollten es bei der gemeinwohlorientierten Konkurrenz versuchen. Dieser Tatbestand wirft ein neues Schlaglicht auf die Debatte um das Verhalten der Großbanken in der Provinz und stärkt den Eindruck des Rosinenpickens der großen Institute. Die Staatsbank stand jedoch mit ihrer Strategie im Wettbewerb mit den Großbanken um die leistungsfähigsten Industriebetriebe und dachte gar nicht daran, ihr knappes Kapital an nicht wettbewerbsfähige Betriebe zu verschwenden. Sie urteilte deshalb in der Praxis der Kreditvergabe ähnlich, wie die Großbanken es taten. Die politischen Risiken der Strategie der „Regionalen Champions“ zeigten sich besonders deutlich bei der letzten bedeutenden Industriefinanzierung vor dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise. Es ging bei dieser Finanzierung um die Helmstedter Glashütte. Die Hütte war Anfang 1928 stillgelegt worden. Dies lag an der Gründung eines Kartells von neun großen Tafelglasproduzenten in Frankfurt am Main, dem „Deutschen Tafelglasverein“. Die Unternehmen hatten zuvor alle in eine rationellere Produktion investiert und sich nach Abschluss der Rationalisierungsmaßnahme zusammengeschlossen, um koordiniert die kleineren, veralteten Fabriken vom Markt zu drängen. Sie senkten die Preise auf einen Schlag um 20 %, was zur Folge hatte, dass alle kleineren und mittleren Unternehmen nach kurzer Zeit stillgelegt wurden.336 Die Staatsbank wurde daraufhin zunächst von der Leitung der Glashütte direkt um Hilfe gebeten. Die Mitglieder des Direktoriums lehnten jedoch ab, weil sie keine Perspektive für das Unternehmen mehr sahen. Daraufhin bat die Leitung der Glashütte das Braunschweigische Innenministerium um Hilfe. Erst auf dessen Intervention hin entschloss sich die Staatsbank, ein Engagement in Erwägung zu ziehen. Die Leitung der Glashütte wurde aufgefordert, einen Sanierungs- und Rationalisierungsplan für ihr Werk aufzustellen. Nachdem dieser eingegangen war, beauftragten Staatsbank und Innenministerium Prof. Dr. Ernst Terres, Inhaber des Lehrstuhls für technische Chemie an der Technischen Hochschule Braunschweig, mit der Begutachtung des Plans. Dieser hielt den Plan der Geschäftsführung für realistisch.337 Terres war allerdings kein Experte, was die zukünftige Marktentwicklung anging. Er konnte zwar einschätzen, ob die Rationalisierungsmaßnahmen die Kosten soweit senken konnten, dass die Glashütte zu den Marktpreisen produzieren konnte, die zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens gültig waren. Über die Entwicklung des Absatzmarktes konnte er jedoch eigentlich keine seriöse Aussage treffen. Dennoch gab er nicht nur für die technische Machbarkeit und die Kostenprognose grü-

336 Spoerer, Mark, Der Konzentrationsprozess in der Tafelglasindustrie 1925 bis 1932, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 38 (1993), Nr. 2, S. 73–113, S. 94 f. 337 Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an den Braunschweigischen Finanzminister vom 22. August 1928, in: NLA WO 12 Neu Wirtschaft 13, Nr. 26316.

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nes Licht, sondern auch für die Absatzprognose. Genau diese Einschätzung wurde der Staatsbank später zum Verhängnis. Das Engagement bei der Helmstedter Glashütte war eine unbeabsichtigte Konsequenz des politischen Legitimationsprozesses. Die Staatsbank hatte ihre Expansion in die Industriefinanzierung mit der Krisenhilfe und der Strategie zur regionalen Konsolidierung der Industrie begründet. Der Fall der Helmstedter Glashütte war insofern ein Grenzfall, weil ihre Probleme nicht durch eine allgemeine Krise verursacht wurden und eine regionale Konsolidierung aufgrund des Fehlens weiterer Glasfabriken im Freistaat nicht möglich war. Daher war die Stilllegung der Glashütte ein Fall, den die Staatsbank intern als unvermeidbar einstufte und deshalb den Kredit verweigerte. Zwar hatte die Leitung der Glashütte der Staatsbank beim ersten Antrag Pläne zur Rationalisierung vorgelegt. Die Staatsbank lehnte diese Rationalisierungspläne jedoch ab, weil sie die Seriosität der Kalkulationen anzweifelte.338 Bei dem durch die Intervention des Innenministeriums erzwungenen zweiten Kreditantrag wurden dann professionellere Pläne vorgelegt. Die Leitung der Glashütte erreichte zusammen mit dem Innenministerium, dass die Prüfung dieser Pläne in die Hände eines externen Experten gelegt wurde. Die Staatsbank verlor dadurch die Autonomie über die Kreditentscheidung. Sie konnte sich weder gegen die Expertise des Professors stellen noch konnte sie die Relevanz von dessen Urteil in Frage stellen. Andere Gründe, die Kreditvergabe abzulehnen, hatte sich die Staatsbank durch die Begründung der ersten Ablehnung verbaut. Die entscheidende Wende in dem Fall war das Erzwingen des zweiten Kreditantrags und dessen externer Prüfung durch das Innenministerium. Die Glashütte hatte ihre politischen Ressourcen eingesetzt, um ihre mangelnden finanziellen Ressourcen zu kompensieren. Sie hatte damit zunächst Erfolg. Die Staatsbank kalkulierte mit etwa 900.000 RM für die Umrüstung der Glashütte auf das Verfahren, das auch die Kartellmitglieder nutzten. Deshalb rechnete man mit einem Grundkapital von einer Million RM. 350.000 RM sollte die Staatsbank beitragen.339 Die Glashütte wurde also wiedereingerichtet und begann zu produzieren. Das Umfeld hätte allerdings nicht schlechter sein können. Denn nur ein paar Monate nach der Wiederinbetriebnahme stürzten die Aktienkurse der Wall Street ins Bodenlose und die Weltwirtschaftskrise nahm ihren Anfang. Die von der Leitung der Helmstedter Glashütte behaupteten und von Professor Terres bestätigten Zahlen zur Nachfrage erwiesen sich selbst unter günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen als falsch. In der Weltwirtschaftskrise jedoch gefährdete diese Fehleinschätzung direkt den Kredit der Staatsbank. Dazu kam noch ein Schaden an der Schmelzwanne, für dessen Reparatur zusätzliches Geld hätte aufgewendet werden müssen. Dazu war 338 Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an den Braunschweigischen Finanzminister vom 22. August 1928, in: NLA WO 12 Neu Wirtschaft 13, Nr. 26316. 339 Ebenda

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die Staatsbank, deren Kredit an die Hütte zu dem Zeitpunkt bereits 480.000 RM erreichte, aber nicht bereit.340 Deshalb musste die Fabrik im Dezember 1930 wieder stillgelegt werden. Die Intervention des Innenministeriums und die Unfähigkeit der Staatsbank, die Bitte der Regierung abzuwehren, hatte sie in eine höchst ungünstige Lage gebracht. Geschäftspolitisch bestand Gefahr für den großen Kredit, politisch stand sie unter erhöhtem Druck, die Arbeitsplätze zu sichern. Im Fall der Helmstedter Glashütte hatte sich die Legitimation des Industriekredites durch eine wirtschaftspolitische Strategie als verhängnisvoll herausgestellt.

Die finanzielle Beanspruchung der Staatsbank durch den Freistaat Braunschweig und die Kommunen Die Strategie der „Regionalen Champions“ konnte nur ihre Wirkung entfalten, wenn es der Staatsbank gelang, die für den Wettbewerb um die Finanzierung der großen Industriebetriebe der Region notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Der Kauf der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt hatte ihr zwar die notwendigen Kontakte zur braunschweigischen Industrie verschafft, wirtschaftlich entzog dieser Kauf der Staatsbank jedoch Kapital. Vor allem waren es jedoch der Freistaat und die Kommunen, die die finanziellen Mittel der Staatsbank beanspruchten. Der Staatskredit war bereits eines der Kerngeschäftsfelder der Leihhausanstalt gewesen. In der Inflationszeit und unmittelbar nach der Währungsreform hatte der Freistaat Braunschweig kaum Kredite nachgefragt. Dies änderte sich jedoch in den folgenden Jahren dramatisch. Der Freistaat Braunschweig hatte bei Ausbruch der Weltwirtschaftskrise eine der höchsten Pro-Kopf-Verschuldungsquoten im Reich. Ein Großteil dieser Verschuldung wurde durch die Braunschweigische Staatsbank ermöglicht. Für das Bankinstitut war die zunehmend katastrophale Haushaltslage seines Gewährträgers auf doppelte Weise problematisch. Einerseits verlangte das Land einen Großteil des zur Verfügung stehenden Kapitals als Kredite, andererseits stattete der Freistaat sein Institut nur ungenügend mit Eigenkapital aus und verlangte trotzdem hohe Gewinnausschüttungen. Die starke Verschuldung des Freistaates war nicht das Ergebnis der Währungsreform. Die Regierung des Freistaates Braunschweig hatte 1924 noch einen weitgehend ausgeglichenen Haushalt. In den darauffolgenden Jahren wuchs das Haushaltsdefizit jedoch stark an und erreichte im März 1929, also noch vor dem offenen Ausbruch der Weltwirtschaftskrise, den Wert von 44 Millionen RM.341 Die Pro-KopfSchuldenquote des Freistaates war zu diesem Zeitpunkt bereits höher als in allen anderen Ländern des Deutschen Reiches mit Ausnahme der beiden Mecklenburger

340 Stellungnahme Stübben, S. 33, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. 341 Ebenda, S. 209.

3.2 „Regionale Champions“ 

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Staaten.342 Außerdem waren hier noch nicht einmal die Schulden in laufender Rechnung bei der Staatsbank eingerechnet. Diese lagen zwischen 1928 und 1930 immer bei acht bis zehn Millionen RM, sie waren also nicht etwa kurzfristige Überziehungen, sondern dauerhafte Schulden.343 Die Verschuldung lag 1929 in Wirklichkeit nicht bei 44 Millionen RM, sondern bei etwa 52 Millionen RM, davon waren etwa 30 Millionen RM Kredite und Darlehen. Die Staatsbank als die mit Abstand wichtigste Kreditquelle des Freistaates hatte Ende 1928 insgesamt etwa 18 Millionen RM an kurz- und langfristigen Krediten an den Freistaat vergeben. Dazu kamen zwei Anleiheemissionen in den Jahren 1928 und 1929 über zusammen 20 Millionen RM, die von einem Konsortium unter Führung der Staatsbank emittiert wurden.344 Wenn der Freistaat Braunschweig sich also pro Kopf bis 1929 so hoch verschulden konnte, wie kaum ein anderer Staat, so lag das zum Großteil an den Möglichkeiten, die die Staatsbank zur Geldbeschaffung bieten konnte.345 Im Gegensatz zum Freistaat waren die braunschweigischen Kommunen im Vorfeld der Wirtschaftskrise mit etwa 41 Millionen RM vergleichsweise gering verschuldet. Im Ländervergleich waren lediglich die Kommunen der beiden lippischen Staaten und in Mecklenburg-Schwerin pro Kopf weniger verschuldet als die Kommunen des Freistaates. Die Staatsbank war auch beim Kommunalkredit der Hauptpartner der öffentlichen Hand in Braunschweig. Ende 1928 hatte die Staatsbank 16 Millionen RM an Krediten und Darlehen an die Kommunen des Freistaates vergeben. Damit hatte die Staatsbank nur etwa 40 % der insgesamt 41 Millionen RM kommunalen

342 Oeffentlicher Kredit und Wirtschaftskrise. Ergebnisse der Reichsschuldenstatistik 1929 bis 1932 und Zusammenstellung von Rechtsvorschriften ueber das oeffentliche Schuldenwesen, (Einzelschriften zur Statistik des Deutschen Reiches 27), Berlin 1933, S. 166 f. 343 Dass diese kurzfristigen Schulden in den offiziellen Haushaltsplänen nicht auftauchten, sah auch das Direktorium der Staatsbank in einigen Fällen als vorteilhaft an. Denn hohe Schulden ihres Gewährträgers konnten auch die Kreditwürdigkeit der Staatsbank schädigen. Als die Staatsbank Anfang 1931 mit der Spar- und Leihkasse Bern über ein Darlehen von einer Million Schweizer Franken verhandelte, wurde bei der Aufstellung der Staatsschulden bewusst auf die Einrechnung der Verbindlichkeiten in laufender Rechnung verzichtet. Aktennotiz vom 23. Februar 1931 [Ch.G], in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 308. 344 Diese wurden unter Führung der Staatsbank in Kooperation mit der Preußischen Staatsbank, der Deutschen Bank und 1929 auch mit der Commerz- und Privatbank durchgeführt. Hier stand der Staat mit der Staatsbank zwar nicht in einem Schuldner-Gläubiger-Verhältnis, aber er war doch auf die Hilfe der Staatsbank beim Verkauf seiner Anleihen angewiesen. Knapp zwei Millionen RM entfielen auf die Anleiheablösungsschuld des Staates, der ebenso wie die Staatsbank in den Aufwertungsprozess mit eingebunden worden war. Der Rest bestand aus mehreren kleineren Krediten und Darlehen, die hauptsächlich von anderen staatlichen Instituten wie etwa der Preußischen Staatsbank stammten. 345 Von den 58,7 Millionen RM Schulden, die der Freistaat Ende 1930 hatte, waren 23 Millionen RM direkte Schulden bei der Staatsbank. Übersicht des Staatsvermögens nach dem gegenwärtigen Stande, 20. Dezember 1930, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 308. Zusätzlich repräsentierte sie direkt oder durch ihre Kunden einen Teil der Staatsanleihen und unverzinslichen Schatzanweisungen, durch die der Staat ebenfalls Schulden aufgebaut hatte.

100  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Verbindlichkeiten bereitgestellt. Dies war dennoch mehr als der durchschnittliche Anteil der öffentlichen Kreditinstitute am Kommunalkredit. Dieser lag 1929 bei ca. 34 %, wobei allein 25 % nur von den Landesbanken und Girozentralen getragen wurden. Die den Kommunen unterstellten Sparkassen trugen nur etwa 6 % ihres Kredites.346 Die braunschweigischen Kommunen waren also wesentlich abhängiger von dem einzigen öffentlichen Kreditinstitut im Freistaat als die Kommunen in anderen Teilen Deutschlands von einzelnen öffentlichen Banken. Mit Ausnahme der Stadt Braunschweig, der es gelang, eine eigene Anleihe über zwei Millionen RM über die Reichskreditgesellschaft zu platzieren, waren die übrigen Kommunen beim langfristigen Kredit auf das Angebot der Staatsbank aus den Erlösen ihrer Goldkommunalschuldverschreibungen angewiesen. Im kurzfristigen Geschäft gab es für sie ebenfalls keine Alternative zur Kreditvergabe der Staatsbank.347 Das Abhängigkeitsverhältnis der Kommunen zur Staatsbank galt umgekehrt nicht. Während etwa die Landesbanken und Girozentralen 1928 im Durchschnitt fast die Hälfte ihrer Gesamtaktiva in Kommunalkredite investiert hatten, waren es bei der Staatsbank gerade einmal 10 %.348 Dies liegt zum Teil an der Doppelfunktion der Staatsbank als Landeskreditinstitut und Sparkasse. Die Sparkassen hatten mit etwa 10 % einen ähnlich geringen Teil ihrer Aktiva in Kommunalkredite investiert wie die Staatsbank. Trotz dieser Einschränkung lässt sich eine relativ geringe Versorgung der braunschweigischen Kommunen mit Krediten des einzigen heimischen öffentlichen Kreditinstitutes konstatieren. Braunschweig war eines von nur zwei Ländern des Reiches, in dem die Verschuldung des Staates höher lag als die seiner Kommunen.349 Es ist wohl mehr als nur ein Zufall, dass es auch das einzige Land war, in dem es keine kommunalen Sparkassen gab. Die Gesamtverschuldung des Freistaates und seiner Kommunen lag pro Kopf etwa auf der gleichen Höhe wie in Preußen oder Bayern und damit etwa im Durchschnitt aller Länder.350 Die Rolle des öffentlichen Kreditwesens war in Braunschweig jedoch deutlich prominenter als im übrigen Reich. Die Finanzierung des Freistaates und der Kommunen war für die Staatsbank deshalb ein nicht zu unterschätzender finanzieller Kraftakt, der große Auswirkungen auf das übrige Aktivgeschäft hatte. Sieht man sich die Struktur des kurzfristigen Kreditgeschäftes an, dann ist auffällig, dass bei den Debitoren bis 1926 der Kredit an die private Wirtschaft dominierte. Danach jedoch stagnierte das Geschäft mit den Privatkunden, während die Finanzierung der öffentlichen Hand stark anstieg. Die Finanzierung privater Unternehmen hatte also nur für die ersten Jahre nach der Währungsreform eine hohe Priorität für die Staatsbank. 346 Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Öffentlicher Kredit und Wirtschaftskrise, S. 242 f. 347 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1929, S. 6. 348 Vgl. Fischer, Landesbank der Rheinprovinz, S. 221; Für die Staatsbank: eigene Berechnungen auf der Grundlage des Jahresberichtes der Braunschweigischen Staatsbank 1928, S. 11, 14 f. 349 Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Öffentliche Verschuldung und Wirtschaftskrise, S. 167. 350 Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Ebenda.

3.2 „Regionale Champions“  101

Danach dominierte der öffentliche Kredit. Bereits 1927 war das Volumen der kurzfristigen Kredite an die öffentliche Hand höher als die aller anderen Kreditnehmer.351 Tab. 4: Private und öffentliche Schuldner der Staatsbank (1928–1933; in Millionen RM) Debitoren 1924

4,6

davon private Kreditnehmer 4,6

davon öffentliche Hand

Wechsel, Schatzanweisungen

0

0,8

1925

14

12,3

1,6

9,6

1926

19,3

12,9

6,3

9,9

1927

32,2

15,6

16,6

14,8

1928

39,2

15,7

23,5

11,9

1929

53,1

22,2

30,9

11,3

1930

53,34

23,5

29,8

14,9

1931

47,4

21,6

25,8

13,6

1932

47,7

20,1

27,6

11,6

Quelle: NWA, 8 Nr. 699, Bilanzbuch der Braunschweigischen Staatsbank von 1920–1948.

Im Vergleich mit anderen öffentlichen Banken und Sparkassen sind diese Zahlen durchaus bemerkenswert. Eine detaillierte Erhebung zur Struktur des kurzfristigen Kreditgeschäfts öffentlicher Banken liegt nur für das Jahr 1933 vor. Daraus geht hervor, dass der Anteil öffentlicher Kreditnehmer am kurzfristigen Kredit bei den Staatsbanken mit Filialnetz, wozu auch die Staatsbank gehörte, nur bei 20 % lag. Nach Abzug nichtgewerblicher Verwendungen blieben hier noch 60 % des Kreditvolumens für die Unternehmensfinanzierung. Bei den Sparkassen lag der Anteil der öffentlichen Hand am kurzfristigen Kredit bei 19 %.352 Staatsbanken und Sparkassen waren also durch den Finanzierungsbedarf der öffentlichen Hand relativ wenig belastet. Die Braunschweigische Staatsbank gehörte durch ihre Einheit mit der Landessparkasse beiden Gruppen an. In Hinsicht auf die Inanspruchnahme durch die öffentliche Hand glich sie jedoch eher der Gruppe der Landesbanken und Girozentralen, die 1933 64 % des Volumens ihrer kurzfristigen Kredite an Reich, Länder und Kommunen vergeben hatte. Um die Finanzierungsleistung der Staatsbank für die gewerblichen Unternehmen richtig einzuordnen, muss allerdings die Bedeutung des gesamten kurzfristigen Geschäftes im Verhältnis zur Bilanzsumme in Betracht gezogen werden. Der Anteil des kurzfristigen Kreditgeschäftes war bei der Staatsbank am Ende der Weimarer Republik fast doppelt so hoch wie bei den Sparkassen und wesentlich höher als bei den Landesbanken. Sie glich eher den anderen Staatsbanken.353 Setzt man die Kon351 Vgl. dazu das folgende Unterkapitel. 352 Untersuchung des Bankwesens, Teil II, Statistik, S. 344–347. 353 Bei diesen lag der Anteil der Debitoren und Wechsel allerdings bei 53 % gegenüber 35 % bei der Staatsbank.

102  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

tokorrentkredite an private Kreditnehmer in Beziehung zur Bilanzsumme, dann lag der Anteil der kurzfristigen Kredite bei der Staatsbank im Jahr 1932 etwas höher als der bei den Sparkassen. Die Staatsbank hat also sowohl die öffentliche Hand als auch die Wirtschaft so umfangreich finanziert, wie die anderen öffentlichen Institute dies gemeinsam getan haben. Diese Finanzierungsleistung hat die Staatsbank weitgehend ohne finanzielle Unterstützung durch den Gewährträger erbracht. Ein nennenswertes Eigenkapital hat die Staatsbank nicht besessen. Das Grundvermögen war nach der Währungsreform mit 2,5 Millionen RM zwar höher als das der Leihhausanstalt noch im März 1919, deren Grundvermögen lediglich bei etwa 800.000 Mark gelegen hatte. Vor allem durch eine Steigerung des Immobilienbesitzes war die Staatsbank zum Gewinner der Inflation geworden.354 Tab. 5: Das Eigenkapital der Braunschweigischen Staatsbank (1914–1924) Eigenkapital, nominal

Eigenkapital, real (Preise von 1913)

1914

810.000 Mark

776.606

1920

20.000.000 Mark

1.170.275

1924

2.500.000 GM

2.293.577

1929

6.300.000 RM

4.591.800

Quelle: Eigene Berechnungen nach Braunschweigischen Staatsbank, Jahresberichte 1914–1924; preisbereinigt auf Grundlage der Großhandelspreisindices nach Holtfrerich, Inflation, S. 15.

Allerdings reichte das Eigenkapital angesichts der Entwicklung der Bilanzsumme der Staatsbank in den folgenden Jahren nicht mehr aus. Daher sah sich der Freistaat als Gewährträger genötigt, im Rahmen der Reform des Staatsbankgesetzes 1929 das Grundkapital der Staatsbank zu verdoppeln.355 Zusammen mit den offenen Reserven hatte die Staatsbank damit 1929 ein Eigenkapital von sechs Millionen RM gegenüber einer Bilanzsumme von 185 Millionen RM, was einer Eigenkapitalquote von 3,2 % entsprach.356 Damit lag die Quote gerade bei der Hälfte der anderen Staatsbanken. 354 Der Immobilienbesitz der Bank machte mit 1,5 Millionen RM den größten Teil davon aus. Die Staatsbank hatte durch die Expansion ihrer Zweigkassen auch ihren Grundbesitz stark erweitert. 1914 hatte dieser Posten lediglich 100.000 Mark. Braunschweigische Landesversammlung, Drucksache 237, S. 5. Am Ende der Inflationszeit besaß die Staatsbank 13 Immobilien, in denen die Zentrale und die Zweigkassen residierten. Auch wenn die Bewertung des Wertes von Immobilien stets Raum für die Bildung oder Hebung stiller Reserven lässt, so hatte die Staatsbank insgesamt an Substanz gewonnen. Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1924/25, S. 11. 355 Dies geschah allerdings nicht durch Auszahlung, sondern in Form der Eintragung einer Schuld des Freistaates bei der Staatsbank über 2,5 Millionen RM. Es war also letztlich so, dass die Staatsbank dem Staat das Geld für die eigene Kapitalerhöhung geliehen hatte. Übersicht über das Staatsvermögen vom Februar 1930, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 308. 356 Eigene Berechnungen auf Grundlage von Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank von 1929.

3.2 „Regionale Champions“ 

103

Sie war sogar deutlich geringer als der Durchschnitt der ohnehin chronisch unterfinanzierten Landesbanken und Girozentralen (4,43 % in 1929) und kaum zu vergleichen mit den Privatbanken.357 Die mangelnde Kapitalausstattung wog umso schwerer, weil die Staatsbank nicht mehr wie noch die Leihhausanstalt auf das dauerhaft angelegte staatliche Vermögen zurückgreifen konnte. Vor dem Krieg hatte das Vermögen des Herzogtums dem Leihhaus stets als Ersatz für das ansonsten kaum vorhandene Eigenkapital gedient. Die von der Staatsbank verwalteten Staatsfonds, in denen dieses Geldvermögen zusammengefasst wurde, waren jedoch von 20 Millionen Mark im Oktober 1914 auf 291.000 RM im März 1924 zusammengeschmolzen.358 Der Wert der Fonds lag bis 1932 nie über 500.000 RM. Die Staatsbank hatte durch den Ausfall des Fonds einen wichtigen Stabilitätsanker verloren. Gegenüber diesem großen Verlust fiel die Kapitalerhöhung von 1929 kaum ins Gewicht. Tab. 6: Gewinn, Rendite und Dividenden der Staatsbank 1925–1932 Reingewinn (in Mio. RM)

Eigenkapitalrendite (in %)

Bilanzrendite (in %)

Dividende (in %)

1925

640.416

25,6

1,5

18,0

1926

746.748

28,2

1,0

17,0

1927

1.059.479

35,3

0,9

24,0

1928

1.209.585

37,6

0,7

26,1

1929

1.451.505

24,3

0,8

17,1

1930

1.674.037

26,7

0,8

19,1

1931

1.425.301

21,6

0,8

15,3

1932

1.423.814

20,7

0,8

14,5

Quelle: Eigene Berechnungen nach: Braunschweigische Staatsbank: Jahresberichte 1924/25–1932. 357 Fischer, Landesbanken, S. 133. 358 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank für das Geschäftsjahr 1923/24, S. 10. Vor allem der Klosterkapitalfonds und der Kammerkapitalfonds waren auf kleine Beträge geschrumpft und erholten sich in der Folge nur langsam. Diese Fonds funktionierten ähnlich wie ein Reservefonds. Sie wurden gespeist aus Gewinnabführungen des staatlichen Besitzes sowie aus dessen Verkauf. Die Reserven, die vor dem Ersten Weltkrieg einen substantiellen Teil des Kapitalvermögens des Staates gebildet hatten, waren nun stark geschrumpft. Das Landesdomänenamt des Freistaates Braunschweig hatte im Herbst 1925 eine Untersuchung durchgeführt, die den wahren Wert der Fonds ermitteln sollte. Diese bestanden hauptsächlich aus Hypothekenforderungen bzw. aus deren Verbriefung durch Pfandbriefe. Diese waren ebenso wie bei der Staatsbank der Aufwertungsgesetzgebung unterworfen. Allerdings waren die Schätzungen des Domänenamtes für diese Aufwendungen vollkommen falsch. Sie hofften auf Aufwertungen zwischen 100 % und 130 %. Dies hätte den Wert der beiden Fonds von knapp 200.000 RM auf 3,5 Millionen RM erhöht. Wie oben bereits gezeigt, waren solche Erwartungen jedoch unrealistisch. Anlage zur Bilanz des Staatsvermögens, in: Schreiben des Landesdomänenamtes [Nr. V. I. 23] an die Braunschweigische Staatsbank Archiv. vom 24. Oktober 1925, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 308.

104  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Die Staatsbank hat mit ihrem geringen Grundvermögen über den gesamten Zeitraum der Weimarer Republik beachtliche Gewinne erzielt. Selbst im Geschäftsjahr 1923/ 24, das im März 1924 endete, konnte sie einen Gewinn von umgerechnet 410.000 RM erwirtschaften. 1929 lag der Reingewinn bei 1,45 Millionen RM, was einer Rentabilität des Eigenkapitals von 24 % entsprach. Hier stand die Staatsbank viel besser da als die übrigen Staatsbanken, die durchschnittlich nur 12,8 % erwirtschaftet hatten. Die Landesbanken und Girozentralen hatten sogar nur 6,96 % erwirtschaften können. Wenn man den Reingewinn in Relation zur Bilanzsumme stellt, war die Staatsbank 1929 mit 0,8 % Bilanzrendite etwa ebenso erfolgreich wie die anderen Staatsbanken. Die gute Gewinnentwicklung ermöglichte es der Staatsbank trotz des geringen Eigenkapitals, hohe Beträge an den Freistaat Braunschweig auszuschütten. Bereits 1925 führte sie 450.000 RM an den Staat ab.359 Seit 1929 überwies sie an den Staatshaushalt eine gute Million RM, was einer Dividende auf das „investierte“ Kapital von 17 % entsprach. Die anderen Staatsbanken führten zu dem Zeitpunkt 11,5 % ab, die Landesbanken und Girozentralen 4 %. Für sein geringes finanzielles Engagement erhielt der Freistaat eine geradezu fürstliche Dividende. Die hohen Ausschüttungen verhinderten jedoch den Aufbau von Eigenkapital. Auf die staatliche Haftung konnte sich die Staatsbankführung ebenfalls nicht verlassen, weil der Freistaat nach 1924 immer mehr seine Kreditwürdigkeit verlor.360 Bereits im Januar 1924 übernahm die Staatsbank eine Bürgschaft für einen Kredit an den Freistaat in Höhe von drei Millionen Goldmark.361 Dies war ein ungewöhnlicher Vorgang. Eine Bürgschaft einer Bank für einen Kredit an ihren eigenen Gewährträger war nur dann überhaupt sinnvoll, wenn man der Bank eine unabhängige Kreditwürdigkeit zugestehen konnte. Da die Staatsbank sich weder auf ihr Eigenkapital noch auf die Haftung ihres Gewährträgers verlassen konnte, setzte sie auf ein sehr vorsichtiges Liquiditätsmanagement. Ende 1930 hatte kaum eine andere Bank in Deutschland eine dermaßen hohe Liquidität ersten Grades wie die Braunschweigische Staatsbank.362

359 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1924/25, S. 9. 360 Vgl. Roloff, Staat von Weimar, S. 209, Tabelle 2a. 361 20. Aufsichtsratssitzung vom 30. Januar 1924, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 24, NWA 8, Nr. 766. 362 Die Barliquidität bezeichnet das Verhältnis zwischen den Bargeldbeständen plus Reichsbankguthaben und den Einlagen. Bei der Liquidität 1. Grades kommen auf der Aktivseite noch die Guthaben bei anderen Banken und die reichsbankfähigen Wechsel dazu. Die Berechnung der Liquidität erfolgte nach den damaligen Grundsätzen des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, dargestellt bei Fischer, Landesbank, S. 243. Es ist dabei allerdings zu beachten, dass die Bilanzen der Staatsbank eine exakte Berechnung der Liquidität 1. Grades nach der Methode des DSGV bis 1927 nicht zulassen, weil erst dort die Fristigkeit bis und länger als drei Monate angegeben wird. Deshalb wurde die Gesamtsumme der Einlagen als Maßstab genommen. Die tatsächliche Liquidität liegt daher noch etwas höher.

3.2 „Regionale Champions“ 

105

Tab. 7: Die Liquidität der Braunschweigischen Staatsbank von 1924 bis 1932 Barliquidität in Prozent 1924*

10

Liquidität Ersten Grades in Prozent 70

1925

9,4

60,3

1926

9,7

55,5

1927**

5,2

50

1928

4,5

54,3

1929

4,8

46,5

1930

4,5

46,7

1931

5,4

43

1932

4,7

39,6

* Angaben für 1924 in Goldmark. ** Bis 1926 endet das Geschäftsjahr am 31. März, ab 1927 am 31. Dezember. Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage von NWA, 8 Nr. 699, Bilanzbuch der Braunschweigischen Staatsbank von 1920–1948.

Unter den öffentlichen Banken kamen die anderen Staatsbanken mit 39,5 % dem Wert der Braunschweigischen Staatsbank relativ am nächsten. Dagegen lagen die Landesbanken mit 32,9 % deutlich darunter und die Sparkassen waren mit 13,5 % kaum mit den anderen Kreditinstituten zu vergleichen.363 Im Unterschied zu den Großbanken und den anderen Staatsbanken vertraute die Staatsbank ähnlich wie die Sparkassen hauptsächlich auf Guthaben, das sie bei anderen Banken angelegt hatte.364 Damit war die Staatsbank im Falle einer Krise auf deren Liquidität angewiesen.365 Die hohe Liquiditätsquote der Staatsbank lag nur zum Teil in der Struktur ihrer Passivseite begründet. Weil sie fast alle langfristigen Kredite mit Schuldverschreibungen finanziert hatte, konnte sie anders als die Sparkassen ihre Spareinlagen zur Vergabe kurzfristiger Kredite einsetzen. Damit blieben große Teile der übrigen Einlagen frei für ihre liquide Anlage. Dies erklärt die hohe Liquiditätsquote jedoch nur 363 Untersuchung des Bankwesens, Teil II: Statistik, S. 30 f. 364 Dieser Posten allein machte etwa 64 % der Liquiditätsreserven aus. Eigene Berechnungen auf Grundlage von Jahresberichten der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge. 365 Da die Staatsbank sowohl im Liquiditätszug der Staats- und Landesbanken mitmachte als auch als Girozentrale in dem der Sparkassenorganisation, dürfte sie einen Großteil bei den Berliner Zentralinstituten, also der Landesbankenzentrale sowie der Deutschen Girozentrale angelegt haben. Bekannt sind ein Kredit an die Landesbank der Rheinprovinz über 1,2 Millionen Reichsmark und ein Kredit an die Landesbank der Provinz Westfalen über 550.000 RM, die allerdings nicht zu den Liquiditätsguthaben gezählt wurden, sondern zu den Debitoren. Protokoll der 9. Beiratssitzung vom 2. März 1937, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135; Registratur, Braunschweig, den 20. August 1934, in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26311/11. Beide Kredite wurden im Laufe der 1930er Jahre zurückgezahlt.

106  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

zum Teil. Denn auch gemessen an der Bilanzsumme, die die langfristigen Verbindlichkeiten miteinschließt, war die Liquidität der Staatsbank mehr als doppelt so hoch wie die der Sparkassen. Die Landesbanken hatten im Übrigen die gleichen Möglichkeiten wie die Staatsbank, ihr langfristiges Geschäft über den Absatz von Schuldverschreibungen zu finanzieren. Dennoch hatten sie eine geringere Liquidität. Der zunehmende Finanzbedarf der öffentlichen Hand hatte deutlich negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Unternehmensfinanzierung. So stagnierte das Kreditvolumen an die gewerbliche Wirtschaft, obwohl die Einlagen weiter stiegen.366 Die Konsequenzen des Kapitalmangels für das Industriekreditgeschäft waren deutlich zu spüren. Die Zahl der Industriekredite ging zwischen März 1926 und Ende 1927 deutlich zurück und blieb über die nächsten Jahre auf dem Niveau. Tab. 8: Industriekredite 1926–1931 Zahl der Industriekredite

Anteil der Industriekredite an der Zahl der Kontokorrentkredite in %

Anteil der Zahl der Kredite über 20.000 RM an allen Industriekrediten in %

1926*

123

6

46

1927

71

3

46

1928

80

3

49

1929

88

3

49

1930

121

4

37

1931

105

4

35

* Geschäftsjahr endet im März. Quelle: Braunschweigische Staatsbank, Jahresberichte, verschiedene Jahrgänge.

Die Staatsfinanzierung genoss bei der Staatsbank die höchste Priorität. Wollte sie darüber hinaus die Industrie finanzieren, benötigte sie zusätzliches Kapital. Eine Möglichkeit dazu war die Aufnahme von Krediten aus dem Ausland.

Die Bedeutung des Auslandskapitals für den Wettbewerb um die Finanzierung der braunschweigischen Industrie Für den ausländischen Kapital- und Geldmarkt war Deutschland aus mehreren Gründen ein hochattraktives Anlageziel. Infolge der großen Kapitalknappheit war das Zinsniveau in Deutschland sowohl auf dem Geldmarkt wie auch auf dem Kapitalmarkt gegenüber den wichtigsten ausländischen Kreditmärkten viel höher. Zudem erhöhten die internationalen Vereinbarungen zur Reparationsfrage die In366 Vgl. Braunschweigische Staatsbank: Jahresbericht 1927, S. 14 f.

3.2 „Regionale Champions“  107

vestorensicherheit. Im Dawes-Plan war 1924 festgelegt worden, dass die Reparationszahlungen der Reichsregierung zunächst in Reichsmark auf ein vom Reparationsagenten geführtes Konto der Reichsbank überwiesen werden sollten. Von dort aus wurden diese Zahlungen dann in Devisen an die Gläubigerstaaten überwiesen, jedoch nur dann, wenn die deutsche Zahlungsbilanz aktiv war. Bei einem PassivSaldo musste das Geld auf dem Reichsbank-Konto verbleiben.367 Im Londoner Abkommen war zudem festgelegt worden, dass private Devisentransfers aufgrund von Zahlungen aus Dividenden auf Aktien und Zinsen auf Anleihen und Kredite an ausländische Gläubiger prinzipiell gegenüber Reparationszahlungen den Vorzug erhielten. So diente privates ausländisches Geld und Kapital nicht nur zur Finanzierung des Zahlungsbilanzdefizits, sondern es war in der Lage, das tatsächlich in Devisen ins Ausland transferierte Volumen der Reparationen zu verringern. Der Zufluss an ausländischem Kapital wurde deshalb seitens der Reichsregierung mit der Hoffnung verbunden, bei den ausländischen Geldgebern ein Interesse am Erhalt der Zahlungsfähigkeit Deutschlands hervorzurufen. Dies konnte bei späteren Neuverhandlungen der Reparationsfrage ein Vorteil sein.368 Diese große Zinsspanne und das Vertrauen in die international kontrollierte Geldpolitik des Deutschen Reiches gaben ausländischen Geldgebern einen großen Anreiz, ihr Geld in Deutschland anzulegen. Dadurch stiegen die öffentliche und die private Auslandsverschuldung in Deutschland immer weiter an. 1929 hatte das Deutsche Reich brutto insgesamt 31 Milliarden Reichsmark Auslandsschulden angehäuft, was etwa 35 % des Bruttoinlandsproduktes entsprach.369 Die Banken spielten bei der Auslandsverschuldung eine zentrale Rolle, sei es, dass sie Anleiheemissionen vermittelten, sei es, dass sie selbst langfristige Anleihen und Darlehen oder kurzfristige Kredite aufnahmen. Die Auslandsverbindlichkeiten der Banken insgesamt lagen 1925 bei etwa einer Milliarde RM, 1929 bei 7,4 Milliarden RM. Die Berliner Großbanken allein hielten davon 1929 69 %, die großen Privatbankiers noch einmal 17 %. Dazu kamen noch die ausländischen Banken, die den großen deutschen Industriekonzernen direkt Kredite anboten. Insgesamt waren die finanziellen Mittel aus dem Ausland sowohl auf der Bankenseite als auch auf der Industrieseite hoch konzentriert. Dies hatte naturgemäß Auswirkungen auf die Konkurrenzsituation unter den Bankengruppen in der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik. Die Braunschweigische Staatsbank hatte für die Industriefinanzierung unter anderem deshalb nur begrenzte finanzielle Mittel, weil sie freiwillig auf den kurzfristigen Auslandskredit verzichtete. Wie bei der Inflation hatte sich Oscar Stübben auch bei dieser Grundsatzentscheidung von seinem eigenen wirtschaftlichen Grundverständnis leiten lassen, wie ein Zitat aus dem Jahr 1925 zeigt: „Die kurzfristigen aus367 Born, Vom Beginn des Ersten Weltkrieges, S. 63. 368 Ritschl, Albrecht O., Reparations, Deficits and Debt Default, in: Crafts, Nicholas; Fearon, Peter (Hg.), The Great Depression of the 1930s. Lessons for Today, Oxford 2013, S. 110–139, S. 114. 369 Ebenda, S. 116.

108  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

ländischen Geldinvestitionen sind in erheblichem Umfange nur als vorübergehende Anlage zu werten. […] In unserem Geschäftsbereich besteht die Gefahr der Schmälerung der Arbeitsbasis durch Entziehung von Auslandskrediten nicht, da wir nach reiflicher Abwägung von der Hereinnahme kurzfristigen Auslandsgeldes, abgesehen von Rembourskrediten, Abstand genommen haben.“370 Stübben hatte also bewusst auf die Kreditquelle verzichtet, die in der Bankenkrise 1931 vielen Kreditinstituten zum Verhängnis wurde. Er hatte vorausgesehen, dass im Falle einer größeren Krise diese Refinanzierungsform nicht zuverlässig genug war, um damit Kredite an die Realwirtschaft auszugeben. Der entscheidende Einwand gegen diese Refinanzierungsform war nicht ihre Herkunft, sondern ihre Fristigkeit. Im Gegensatz zu kurzfristigen Auslandskrediten waren langfristige Auslandsanleihen Gegenstand großer Bemühungen der Staatsbank. Stübben hielt diese Form der Refinanzierung unter bestimmten Voraussetzungen auch volkswirtschaftlich für wünschenswert. „Nach geschichtlicher Erfahrung wird vor allem durch langfristiges Auslandsgeld die Valuta des kreditnehmenden Landes keineswegs gefährdet, wenn das Auslandsgeld gesunden Zwecken dient. […] Das Wiedererstarken des Inlands durch den befruchtenden Strom des Auslandsgeldes bietet die beste Gewähr für die heimische Währung, für die Förderung der inländischen Kapitalbildung, durch die die Rückzahlung des Auslandsgeldes ermöglicht wird.“371 Eines der Hauptziele der Staatsbank in der Stabilisierungsphase war die Zulassung einer Auslandsanleihe der Braunschweigischen Staatsbank, um damit die Strategie der „Regionalen Champions“ finanzieren zu können. Dafür bedurfte es jedoch der Genehmigung von verschiedenen Reichsstellen, insbesondere der sogenannten „Beratungsstelle für Auslandskredite“, die vom Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht ins Leben gerufen wurde. Schacht stand den mit Auslandskapital finanzierten öffentlichen Investitionen in Deutschland sehr viel kritischer gegenüber, als dies bei privaten Investitionen der Fall war. Dies lag einerseits an der negativen Auswirkung öffentlicher Investitionen auf die Zahlungsbilanz. Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke oder Immobilien konnten nicht oder nur sehr beschränkt exportieren, generierten also keine Devisen, die notwendig waren, um die Anleihen zurückzuzahlen. Schacht hatte allerdings als ehemaliges Vorstandsmitglied der Nationalbank AG eine grundsätzlich skeptische Einstellung gegenüber der öffentlichen Wirtschaft.372 Deshalb wollte er das für das Deutsche Reich auf dem internationalen Markt verfügbare Kapital hauptsächlich für private Unternehmen freihalten. Zu diesem Zweck wurde die von Schacht initiierte „Beratungsstelle für Auslandskredite“ ins Leben gerufen, die formal auf einer zwischen den Ländern, der 370 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank von 1924/25, S. 6. 371 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank von 1927, S. 5 f. 372 Kopper, Christopher, Hjalmar Schacht. Aufstieg und Fall von Hitlers mächtigstem Bankier, München 2006, S. 105

3.2 „Regionale Champions“ 

109

Reichsbank und dem Reichsfinanzministerium verhandelten Richtlinie vom Januar 1925 beruhte.373 Ihre Aufgabe war die Genehmigung von Auslandskrediten und Anleihen der Länder, Gemeinden, Gemeindeverbände sowie der Girozentralen als Institute der Giroverbände. Die Reichsstelle erfasste jedoch nicht die kurzfristigen Kredite, was dazu führte, dass gerade die größeren Kommunen auf diese Kreditform auswichen, wenn ihnen die beantragten Anleihen nicht gewährt wurden. In den Richtlinien der Reichsstelle wurde festgelegt, dass das Kapital aus den Anleihen nur „produktiven“ Zwecken zugeleitet werden durfte. 1926 sah sich die Beratungsstelle gezwungen, diesen Begriff präziser zu fassen. Produktiv sollte die Steigerung des Exports, die Verminderung des Imports oder eine Steigerung des Bruttosozialprodukts im Inland bedeuten. Dies bedeutete vor allem, dass Dinge wie der Wohnungs- oder Schulbau nicht als produktive Zwecke angesehen wurden. Mit der Arbeitsaufnahme der Beratungsstelle wurde es daher für öffentliche Körperschaften schwieriger, eigenständig Anleihen im Ausland zu platzieren.374 Die geradezu feindliche Einstellung Hjalmar Schachts gegenüber dem Finanzgebaren öffentlicher Körperschaften war der Grund dafür, dass Stübben zu einem Kritiker des Reichsbankpräsidenten wurde. Er beschwerte sich sowohl in den Jahresberichten der zweiten Hälfte der 1920er Jahre als auch in seiner Korrespondenz mit dem Braunschweigischen Staatsministerium massiv darüber, dass die Staatsbank vom Reich keine Erlaubnis für eigene Auslandsanleihen bekam. Höhepunkt dieser Auseinandersetzung war der Streit um eine Auslandsanleihe der Staatsbank im Jahr 1928. Stübben hatte mit der amerikanischen Bank Lee, Higginson & Co. eine Zusammenarbeit vereinbart, an deren Ende die Staatsbank eine Auslandsanleihe über vier Millionen Dollar platzieren wollte. Sie sollte dafür sechsprozentige Schuldverschreibungen zum Kurs von 92,3 % an die Amerikaner geben, die diese zum Kurs von 95,3 % emittieren wollten. Das daraus gewonnene Kapital, das nach dem damaligen Umrechnungskurs und nach Abrechnung des Kursrabattes immerhin 15,5 Millionen RM betrug, sollte nicht dem Staat oder den Kommunen, sondern der gewerblichen Wirtschaft und vor allem der kleinen und mittleren Industrie zur Verfügung gestellt werden. Nachdem der Aufsichtsrat der Staatsbank der Anleihe im Februar 1928 zugestimmt hatte und auch das braunschweigische Finanzministerium seine Zustimmung gegeben hatte, informierte Stübben das Reichsfinanzministerium über seine Absichten.375 Hier war man jedoch der Meinung, dass auch diese Anleihe von der

373 Richtlinien über die Aufnahme von Auslandskrediten durch Länder. Gemeinden und Gemeindeverbände, Januar 1925, in: Pfitzner, Johannes, Deutschlands Auslandsanleihen, Berlin 1928, S. 156. 374 Mit dieser Präzisierung sollte verhindert werden, dass die Länder mithilfe von ausländischem Kapital einen Standortwettbewerb austrugen. Johannes Pfitzner, Deutschlands Auslandsanleihen, Berlin 1928, S. 71. 375 Protokoll der 34. Aufsichtsratssitzung vom 24. Mai 1928, in: Protokollbuch, S. 35, NWA 8, Nr. 766.

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Beratungsstelle genehmigt werden müsse.376 Der Grund dafür war die Haftung der öffentlichen Gewährträger für ihre Institute. Anders als zum Beispiel bei Industrieanleihen waren die Banken bei einer solchen Art von Obligation nicht lediglich vermittelnd tätig, sondern standen selbst im Obligo und damit war auch der Staat aufgrund seiner Haftung gegenüber dem eigenen Kreditinstitut involviert. Daher wurden diese Anleihen als unter staatlicher Bürgschaft stehend behandelt und damit genehmigungspflichtig. Als Zwecksetzung wählte die Staatsbank die Förderung der kleinen und mittleren Industrie, weil der eigentliche Zweck – die Finanzierung der Strategie der „regionalen Champions“ – nicht der von der Beratungsstelle geforderten Zwecksetzung entsprach. Demgegenüber wurde die Finanzierung der kleinen und mittleren Industrie auch von den von Hjalmar Schacht kontrollierten Reichsinstitutionen als legitime Aufgabe öffentlicher Kreditinstitute anerkannt.377 Der Diskurs um die Kreditnot der kleinen und mittleren Industrie hatte bereits vor dem Ersten Weltkrieg begonnen, erlebte jedoch nach der Währungsreform ihren Höhepunkt. Die Annahme einer Unterfinanzierung der kleinen und mittleren Betriebe wurde in einer großen Anzahl von Beiträgen in Zeitungen, Fach-Publikationen wie dem „Bank-Archiv“ und in wissenschaftlichen Arbeiten diskutiert.378 In einem vielbeachteten Aufsatz grenzte der Vorsitzende der Vereinigung der Banken und Bankiers im Rheinland und Westfalen und Vorstand von Sal. Oppenheim Robert Pferdmenges 1927 die kleine und mittlere 376 Schreiben des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an das Braunschweigische Finanzministerium vom 4. Juli 1928, in: NLA WO, 12 Neu Wirtschaft 13, Nr. 26316. Rein rechtlich gesehen hätte die Staatsbank diese nur dann befragen müssen, wenn sie Anleihen für kommunale Zwecke auflegen wollte. Das Gesetz vom 21. März 1925 erwähnte lediglich Gemeinden und Gemeindeverbände sowie die Giroverbände und deren Kreditinstitute, also die Girozentralen, als Subjekte der Genehmigungspflicht durch das Reichsfinanzministerium. Gesetz über Aufnahme von Auslandskrediten durch Gemeinden und Gemeindeverbände vom 21. März 1925, RGBl., I. (1925), S. 27. Kurz zuvor hatten sich die Länder allerdings auf allgemeine Richtlinien über die Aufnahme von Auslandskrediten geeinigt, die auch für die Länder galten. Dort war unter anderem festgelegt, dass auch Bürgschaften und Sicherheiten von Ländern und Kommunen für Auslandsanleihen durch die Beratungsstelle geprüft werden sollten. Richtlinien, in: Pfitzner, Auslandsanleihen, S. 156. Damit waren auch Anleihen betroffen, die von Staatsbanken für den Zweck der Kreditvergabe an kleine und mittlere Industriebetriebe ausgegeben wurden. 377 Protokoll der 34. Aufsichtsratssitzung vom 15. Februar 1928, in: Protokollbuch, S. 35, NWA 8, Nr. 766. 378 Hier nur eine Auswahl der wissenschaftlichen Beiträge zu der Debatte: Breymann, Hans, Die Beschaffung inländischer und ausländischer Betriebskredite für die deutsche Industrie, Leipzig 1925; ders., Die Industrieschaft als Lösung für das Kreditproblem der Mittel- und Kleinindustrie, Berlin 1926; Frieß, Otto, Kreditprobleme der Klein- und Mittelindustrie, [Diss.], München 1930; Lansburgh, Finanzierung; Lindner, Kurt, Reale Kreditversorgung der mittleren und kleinen Industrie, [Diss.] Jena 1929; Pferdmenges, Kreditversorgung; Radzibor, Woldemar von, Das Problem der langfristigen Kredite für die kleinere und mittlere Industrie, Rostock 1929; Reier-Hirschberg, Otto; Schirmer, R., Das Kreditproblem der Mittel- und Kleinindustrie, in: Deutsche Wirtschaftszeitung, Bd. 24, Nr. 42 vom 20. Oktober 1927, S. 989–991; Schulz-Kiesow, Paul, Das langfristige Kreditproblem der mittleren Industrie, in: Bank-Archiv Nr. 18 vom 15. Juni 1928, S. 341–345.

3.2 „Regionale Champions“ 

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Industrie nach ihrem Kreditbedarf ab, der ihm zufolge zwischen 10.000 und 100.000 RM lag.379 In den meisten Debattenbeiträgen wurde die mittlere und kleine Industrie dagegen mit der Fertigwaren- und Veredelungsindustrie gleichgesetzt.380 Tatsächlich fragte die verarbeitende Industrie neben dem Großhandel als einzige Kreditnehmergruppe hauptsächlich mittelgroße Kredite nach.381 Die Kreditnot bezog sich dabei grundsätzlich auf langfristige Kredite.382 Die Gruppe der kleinen und mittleren Industrie besaß demnach kaum adäquate Möglichkeiten, fremdes Kapital für Investitionen zu erhalten.383 Ob die kleine und mittlere Industrie tatsächlich unter einer Kreditnot litt, war Gegenstand einer Debatte innerhalb der Geschichtswissenschaft. Die daraus resul379 Pferdmenges, Robert, Kreditversorgung der mittleren Industrie, in: Bank-Archiv, Bd. 26 (1926), Nr. 22, S. 469–473, S. 469. 380 Vgl. Lansburgh, Alfred, Die Finanzierung des Kapitalbedarfs der Mittel- und Kleinindustrie, in: Harms, Bernhard (Hg.), Kapital und Kapitalismus, Bd. 2, Berlin 1931, S. 134–147, S. 135f; Kampmann, Kurt, Das Problem der Versorgung der deutschen Mittel- und Kleinindustrie mit langfristigem Kredit, Lechte 1936, S. 2 f. Eine Betriebszählung aus dem Jahr 1925 ergab für die Fertigindustrien eine Gesamtzahl von 622.000 Betrieben mit insgesamt 6,2 Millionen Mitarbeitern. Dem standen im Bereich der Rohstoffindustrie nur 11.000 Betriebe mit knapp einer Million Mitarbeitern gegenüber, bei den Halbwaren waren es rund 44.000 Betriebe mit 1,8 Millionen Mitarbeitern. In Betrieben mit mehr als 100 Mitarbeitern arbeiteten in der Rohstoffindustrie 61 % der Mitarbeiter, bei den Halbwaren 30 % und bei den Fertigwaren 15 %. In Betrieben mit weniger als 50 Mitarbeitern arbeiteten im Rohstoffbereich gerade einmal 8 % der Beschäftigten, bei den Halbwaren waren es 13 %, bei den Fertigindustrien dagegen fast 40 %. Kampmann, Problem, S. 3. 381 Diese Zahl der verarbeitenden Industrie liegt zusammen mit der des Großhandels (34.000 RM) etwa in der Mitte zwischen den Handwerkskrediten (im Durchschnitt 2.500 RM), den Krediten an die Landwirtschaft (6.200 RM) und an den Einzelhandel (7.500 RM) auf der einen Seite und der Rohstoffindustrie (228.000 RM), den Verkehrsbetrieben (142.000 RM) und den Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerken (497.000 RM) auf der anderen Seite. Die Statistik enthält detaillierte Daten über 665 private und öffentliche Banken. Nicht integriert wurden Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Untersuchung des Bankwesens, Teil II, S. 336–340. 382 Der kurzfristige Kredit stand deshalb im Mittelpunkt der Debatte, weil der langfristige Mittelstandskredit immer gleichbedeutend mit dem Hypothekarkredit war, der von den Sparkassen schon seit langem vergeben wurde. 383 Anleihe- oder Aktienemissionen konnten die Unternehmen aufgrund ihrer geringen Größe und oft auch aufgrund ihrer Unternehmensverfassung in der Regel nicht tätigen. Langfristige Investitionskredite wurden von den privaten Kredit- und Hypothekenbanken kaum angeboten. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden die Investitionen der kleineren Industriebetriebe deshalb zum Teil aus Eigenmitteln oder über persönliche Verbindungen wie z. B. Familienmitglieder finanziert. Fremdkapital erhielten die Betriebe hauptsächlich durch die Zweckentfremdung kurzfristiger Kredite (Diskont- und Kontokorrentkredite) für Investitionszwecke, eine Praxis, die kurzfristiger revolvierender Kredit genannt wird. Hierfür spielten die regionalen Provinzbanken eine wichtige Rolle. Krieg, Inflation und Währungsreform hatten jedoch einen Großteil der Eigenmittel vernichtet. Daraus ergab sich ein verstärktes Kreditbedürfnis der kleinen und mittleren Industrie, das dadurch verstärkt wurde, dass die Provinzbanken als ihre bevorzugten Kreditgeber weitgehend ausfielen. Wie oben dargestellt, waren die Provinzbanken die großen Verlierer des Konzentrationsprozesses in der Kreditwirtschaft in den 1920er Jahren. Mit ihnen verlor die mittlere und kleine Industrie ihre wichtigste finanzielle Stütze.

112  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

tierenden Forschungen konnten die Frage jedoch nicht befriedigend beantworten. Es scheint jedoch zumindest wahrscheinlich, dass die Großbanken die Großunternehmen bei der Kreditvergabe bevorzugten.384 Die Parteigänger der kleinen und mittleren Industrie verwiesen auf den besonderen Wert dieser Gruppe von Unternehmen für den deutschen Export.385 In der Stabilisierungsphase waren Exporte aufgrund des Devisenmangels und der Reparationsverpflichtungen volkswirtschaftlich besonders wichtig. Der Export von Fertigwaren lag dabei zwischen 1925 und 1929 fast dreimal so hoch wie der von Halbwaren und Rohstoffen, während im Import das Verhältnis umgekehrt war.386 Damit war die Fertigwarenindustrie der mit Abstand wichtigste Devisenbringer für das Deutsche Reich. Als wichtigster Hersteller von Fertigwaren hatte die kleine und mittlere Industrie deshalb sowohl in ihrer Rolle als Abnehmer von Gütern der Rohstoff- und Halbwarenindustrie als auch als Exporteur der von ihnen selbst hergestellten Waren einen besonderen volkswirtschaftlichen Wert. Die Vertreter der kleinen und mittleren Industrie legitimierten ihren Anspruch auf eine bessere Kreditversorgung also mit ihrem Wert für die Volkswirtschaft. Unter Vertretern der Großbanken führte die Debatte um die Unterversorgung des wichtigsten Devisenbringers im Reich zu einer erhöhten Aufmerksamkeit für das Geschäft mit kleinen und mittleren Krediten. Pferdmenges riet seinen Kollegen dringend dazu, sich aktiv bei allen Lösungsversuchen des angenommenen Kreditproblems zu beteiligen.387 Auf Pferdmenges Betreiben hin nahm die Deutsche Bank 1927 in den USA eine Auslandsanleihe über 25 Millionen Dollar für industrielle Betriebe auf, die nicht in der Lage waren, eigene Anleihen im Ausland aufzulegen. Die Com384 Ob diese Lücke tatsächlich existiert hat, haben in den 1970er Jahren die Wirtschaftshistoriker Neuberger und Stokes versucht, ökonomisch nachzuweisen. Ihre These wurde jedoch von Richard Tilly zurückgewiesen. Aus unternehmenshistorischer Perspektive hält Gerald Feldman es dagegen für wahrscheinlich, dass die Großbanken die kleinen und mittleren Betriebe vernachlässigten. Dieter Ziegler hält einen quantitativen Nachweis oder auch eine Widerlegung einer solchen Angebotslücke im Kreditwesen für methodisch hoch problematisch. Dies liegt daran, dass anhand von Daten nicht entschieden werden kann, ob ein geringes Volumen an Krediten an kleine und mittlere Unternehmen eine Folge des Kreditsystems ist oder ob die entsprechenden Unternehmen schlicht nicht mehr Kredite benötigten. Vgl. Feldman, Banks; Neuburger, Hugh; Stokes, Houston H., German Banks and German Growth, 1883–1913. An empirical View, in: Journal of Economic History, Bd. 34 (1974), Nr. 3, S. 710–731. Vgl. Tilly, Richard H., German Banking 1850–1914. Development assistance for the strong, in: JEEH 15 (1986), S. 113–152; Ziegler, Origins, S. 187 f. Diese Forschungen standen in Zusammenhang mit der historischen Auseinandersetzung um die Existenz des sogenannten „Macmillan Gap“ in Großbritannien. Das „Macmillan Committee on Finance and Industry“ war eine von der britischen Regierung einberufene Expertenkommission, die die Ursachen der Weltwirtschaftskrise untersuchen sollte. Sie kam unter anderem zu dem Schluss, dass das britische Finanzsystem kleine und mittlere Betriebe nicht ausreichend finanzieren konnte. Der Grund dafür war der sogenannte „Macmillan Gap“. Ziegler, Dieter, Origins, S. 186. 385 Lansburgh, Finanzierung, S. 136. 386 Deutsche Bundesbank (Hg.), Deutsches Geld- und Bankwesen, S. 324. 387 Pferdmenges, Kreditversorgung, S. 473.

3.2 „Regionale Champions“ 

113

merzbank folgte im gleichen Jahr mit einer Anleihe über zehn Millionen Dollar.388 Diese Anleihen waren eigentlich Testanleihen, denen weitere folgen sollten. Doch kam den Großbanken hier die Weltwirtschaftskrise dazwischen. Die Aktivitäten der Großbanken sollten vor allem verhindern, dass aus der Anerkennung der Bedürftigkeit der mittleren und kleinen Industrie die Rechtfertigung staatlicher Industriefinanzierung abgeleitet wurde. Denn die Staatsbanken hatten damit begonnen, Auslandsanleihen zur Finanzierung kleinerer Industrieunternehmen aufzulegen.389 Bereits 1926 konnte die Sächsische Staatsbank über die von ihr gegründete Sächsische Landespfandbriefanstalt zwei Reihen von speziellen Industriepfandbriefen für die kleine und mittlere Industrie bei der National City Company in New York absetzen. Der Erlös betrug insgesamt neun Millionen Dollar, also knapp 38 Millionen RM.390 In Preußen nutzte die Preußische Staatsbank (die ehemalige Seehandlung) ihre Londoner Gründung „British German Trust Ltd.“, um auch die kleine und mittlere Industrie mit Auslandskrediten zu versorgen.391 Neben der Emission der Sächsischen Landespfandbriefanstalt hatte nur noch die für die kleine und mittlere Industrie bestimmte Auslandsanleihe der Landesbankenzentrale von 1927 einen bedeutenden Umfang von zehn Millionen Dollar.392 Die Zwecksetzung der Auslandsanleihe der Staatsbank ist in diesem größeren Kontext zu sehen. Der Zeitpunkt für eine Genehmigung der Auslandsanleihe der Staatsbank war jedoch sehr ungünstig. Am 20. September 1927 hatte Hjalmar Schacht auf einer Sitzung der Beratungsstelle eine Aussetzung der Beschlussfassung des Gremiums beantragt. Er wollte damit den Druck auf die Reichsregierung erhöhen, das Wachstum der Verschuldung der Länder und Gemeinden im Ausland endlich wirksam zu bremsen. Insbesondere sollte die Beratungsstelle reformiert und die Bedingungen, zu denen die öffentlichen Körperschaften Genehmigungen für Auslandsanleihen erhiel388 Lehmann, Karin, Wandlungen der Industriefinanzierung mit Anleihen in Deutschland, Stuttgart 1996, S. 60. Allerdings konnte man den Bankhäusern dabei eine Falschetikettierung vorwerfen. Denn vom Gesamtvolumen der Anleihe der Deutschen Bank floss weniger als ein Zehntel in Kredite mit einem Volumen von weniger als 200.000 RM. Dagegen wurde die Hälfte des Betrages in Form von Millionenkrediten vergeben. Es ging der Deutschen Bank demnach nicht direkt um die kleine und mittlere Industrie, sondern um den Teil der Großindustrie, der nicht zu den wenigen Großkonzernen gehörte, die tatsächlich eigene Anleihen auflegen konnten. Lansburgh, Finanzierung, S. 144 f. 389 Hierauf weist Pferdmenges besonders hin. Pferdmenges, Kreditversorgung der mittleren Industrie, S. 470. 390 Zusammen mit den ebenfalls 1926 im Inland abgesetzten fünf Millionen Goldmark an Pfandbriefen konnte das Institut der Wirtschaft Sachsens der Industrie etwa 40 Millionen Reichsmark an langfristigem Hypothekarkredit zur Verfügung stellen. Börner, Helmut, Die Deutschen Staatsbanken als Mittel deutscher Wirtschaftspolitik seit der Stabilisierung der Währung, Postberg 1932, S. 30. 391 Ebenda, S. 28. 392 Das Kapital wurde an die angeschlossenen Landes- und Staatsbanken nach dem Schlüssel der Beteiligungen der Banken an ihrem Zentralinstitut aufgeteilt. Die Landesbankenzentrale wollte aufgrund des weiterhin bestehenden Bedarfs eine weitere Anleihe auflegen, kam jedoch aufgrund der Weltwirtschaftskrise nicht mehr dazu. Kampmann, Mittel- und Kleinindustrie, S. 88f

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ten, verschärft werden.393 Die Regierung reagierte zunächst ausweichend. Daraufhin übersandte der Reparationsagent und Vertraute von Schacht Seymour Parker Gilbert am 20. Oktober 1927 der Regierung ein Memorandum, in dem er diese ebenfalls wegen der hohen Verschuldung der öffentlichen Körperschaften scharf angriff. Die Regierung sah sich letztlich gezwungen, das Memorandum zu veröffentlichen und eine Erwiderung zu verfassen. Um das dadurch gefährdete Vertrauen der internationalen Anleger zu stärken, versuchte die Regierung, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Zunächst wurden die Richtlinien der Beratungsstelle im Oktober 1927 geändert.394 Die Beratungsstelle musste nun eine jährliche Höchstsumme festlegen, bis zu der überhaupt Anleihen genehmigt werden durften. Sie prüfte außerdem bei jedem Antrag nicht nur, ob die Anleihe produktive Zwecke erfüllen sollte, sondern auch, ob sie währungs- und wirtschaftspolitisch zu verantworten war. Hjalmar Schacht vertraute darauf, dass seine Kompetenz in dieser Frage nicht angezweifelt wurde. Somit hatte er an Macht hinzugewonnen, auch wenn er nicht das Recht auf ein Veto bekam. Um zu zeigen, dass diese neuen Bestimmungen ernst genommen wurden, verlängerte die Beratungsstelle die Antragssperre bis Anfang Mai 1928. Sie war also noch in Kraft, als die Braunschweigische Staatsbank im März 1928 ihre Anfrage beim Reichsfinanzministerium stellte. Doch auch nachdem im Mai die Bearbeitung von Anträgen wiederaufgenommen wurde, blieben die Versuche der Staatsbank, ihre Anleihe doch noch genehmigt zu bekommen, erfolglos. Es zeigte sich, dass neben der Reichsbank auch das Reichsfinanzministerium dem Ansinnen der Staatsbank ablehnend gegenüberstand: „An dem Widerstand des Reichsfinanzministeriums gegen die Aufnahme einer Auslandsanleihe durch uns für wirtschaftliche Zwecke hat sich leider nichts geändert. Die Verhandlungen der Kreditinstitute anderer Länder, insbesondere Sachsens, haben im Gegenteil bewiesen, dass das Reichsfinanzministerium sich auf seine u. E. unzutreffende Stellungnahme mehr und mehr festgelegt hat.“395 Den Hintergrund der Weigerung des Reichsfinanzministers, den Ländern und ihren Instituten den Zugang zum ausländischen Kapitalmarkt zu gewähren, bildeten wiederum Aussagen des Reparationsagenten. Unter Berufung auf Artikel 248 des 393 Die Aussetzung der Genehmigungsverfahren sollte so lange andauern, bis Schachts Anliegen im Kabinett der Reichsregierung besprochen wurde. Für den Fall, dass seinem Antrag nicht entsprochen wurde, hatte Schacht angekündigt, ausnahmslos gegen alle Anträge zu stimmen. Der Antrag wurde daher zunächst angenommen. Da jedoch eine Aussetzung der Genehmigungspraxis offiziell gar nicht möglich war und daher geheim bleiben musste, drängte der Reichsfinanzminister den Kanzler, Schachts Anliegen im Kabinett zu erörtern. Schreiben des Reichsministers der Finanzen an Staatssekretär Plünder vom 22. September 1927 sowie die Anlage zu diesem Schreiben, in: BArch, R 43 I, 656, S. 238–241. 394 Poetsch-Heffter, Fritz, Vom Staatsleben unter der Weimarer Verfassung. II. Teil (vom Januar 1925 bis 31. Dezember 1928, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. 17 (1929), S. 1– 112, S. 26–28. 395 Schreiben des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an das Braunschweigische Finanzministerium vom 4. Juli 1928, in: NLA WO, 12 Neu Wirtschaft 13, Nr. 26316.

3.2 „Regionale Champions“

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Versailler Vertrages, in dem das Reich und alle Bundesstaaten mit ihrem gesamten Vermögen an erster Stelle für die Erfüllung der Reparationszahlungen hafteten, hatte Gilbert dem Reichsfinanzminister deutlich gemacht, dass jegliche Form von Garantie des Reichs oder der Länder für Auslandsanleihen angesichts der Verschuldungslage der Körperschaften die Reparationszahlungen gefährden würden. Dies galt ebenso für die Anleihen von Institutionen und Unternehmen, die unter der Garantie des Reiches oder der Länder standen. Die Reichsregierung interpretierte Gilberts Aussagen so, dass solche Anleihen nicht mehr genehmigt werden durften.396 Die Anleihe der Staatsbank wurde im Juli 1928 endgültig abgelehnt. Damit war für die Staatsbank der direkte Weg auf den ausländischen Kapitalmarkt abgeschnitten.397 Sie war damit nicht allein. Nach Oktober 1927 haben weder das Reich und die deutschen Staaten noch deren Kreditinstitute reguläre Auslandsanleihen aufgenommen.398 Damit scheiterte der Plan, die braunschweigische Wirtschaft über die Staatsbank mit Auslandskapital zu versorgen. Stübben war darüber verbittert. Er eröffnete den Jahresbericht 1928 mit einer Generalabrechnung gegenüber der Reichsregierung und der Reichsbank. Auch wenn der Name Schacht nicht fällt, so ist unschwer zu erkennen, wer im Zentrum der Kritik stand: Infolge der Hemmungen und der Absperrungen, durch die in Deutschland insbesondere die öffentlichen Stellen an der Annahme von Auslandsanleihen für wirtschaftlich notwendige Zwecke gehindert werden, ist nicht nur unzureichendes Kapital nach Deutschland gelangt, sondern es ist an der Stelle der gesunden langfristigen Schuldenaufnahme in vermehrtem Maße die ungesunde kurzfristige getreten. Der Betrag dieser kurzfristigen Auslandsverbindlichkeiten ist so hoch, daß er der weiteren Senkung des Reichsdiskontsatzes entgegenstand, weil bei niedrigerem Zinssatze Rückziehung des kurzfristigen Auslandsgeldes besorgt wurde. So wirkt sich die Zwangsbewirtschaftung der Auslandsanleihen unmittelbar und mittelbar geldverteuernd aus in einem Zeitraume, in dem Verbilligung der langfristigen und kurzfristigen Geldleihsätze außerordentliches wirtschaftliches Bedürfnis ist.399

396 Runderlass des Ministers des Auswärtigen Gustav Stresemann vom 18. April 1928, in: Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik, Serie B, Bd. 8, Göttingen 1976, Dokument Nr. 241, S. 505–511, S. 507. 397 Im Gegensatz dazu waren alle anderen öffentlichen Kreditinstitute wie die Sparkassen und auch die von den Provinzen getragenen preußischen Landesbanken und deren Zentralinstitute von der Reparationsproblematik nicht betroffen. 398 Pfitzner, Auslandsanleihen, S. 30–37. In bestimmten Fällen wurde allerdings ein gewisser Spielraum bei der Interpretation der Garantie gelassen, so etwa bei der dritten Anleihe der Landesbankenzentrale vom Juni 1928. Die Anleihe, die auch durch die Staatsbanken garantiert wurde, war für die Rationalisierung der Landwirtschaft bestimmt, ein Anliegen, dass Gilbert wie Schacht lebhaft befürworteten. Nachdem Gilbert sich zunächst gegen die Anleihe ausgesprochen hatte, akzeptierte er sie schließlich doch und überging damit stillschweigend die Garantiefrage. Die Kabinette Marx III/IV, Bd. 2, Dokument Nr. 467/4, Fußnote 16, „Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik“ online; URL: https://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/index.html (zuletzt besucht am 13.05.2020). 399 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1928, S. 5.

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Der Begriff Zwangsbewirtschaftung ist dabei eine direkte Replik auf die Begründung Schachts für die Entscheidung, die Anleihen privater Banken und Industrieunternehmen von der Kontrolle durch das Reich oder die Beratungsstelle auszunehmen. In einer Denkschrift der Beratungsstelle vom 28. Dezember 1926 wurde die Kontrolle privater Anleihen mit dem Hinweis abgelehnt, dass diese eine „Rückkehr zur Zwangsbewirtschaftung“ bedeuten würden.400 Stübben wollte damit klarmachen, dass auch die Kontingentierung öffentlicher Anleihen den Charakter einer Zwangsbewirtschaftung annahm. Die Verbitterung Stübbens lag darin begründet, dass sein Anliegen, langfristiges Kapital im Ausland für die braunschweigische Industrie zu akquirieren, allein aufgrund der Gewährträgerhaftung des Freistaates gescheitert war. Die Intervention des Reparationsagenten hatte demnach zur Folge, dass die Gewährträgerhaftung der Länder unmittelbar negativ auf die Kapitalbeschaffung ihrer Institute wirkte. Somit war der Status als Staatsbank in diesem Fall kein Vorteil im Wettbewerb um Kapital, sondern im Gegenteil ein schwerer Nachteil gegenüber den privaten Banken und sogar anderen öffentlich-rechtlichen Instituten wie den Landesbanken. Zusammen mit dem im Vergleich zur Größe des Staates sehr hohen Kreditbedürfnis des Freistaates wirkte der öffentliche Status insgesamt kontraproduktiv gegenüber den Ambitionen der Staatsbank auf dem Gebiet des Industriekredites. Es hatte Stübben auch nichts genützt, dass er die Anleihe ausdrücklich für die Finanzierung der mittleren und kleinen Industrie vorgesehen hatte. Die gewählte Rechtfertigungsform reichte in Bezug auf die Erlaubnis zur Akquise von Auslandskapital nicht aus, um die generelle Skepsis gegenüber der Industriefinanzierung der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute auszugleichen. Neben der grundsätzlichen Kritik an dem Verhalten der Reichsstellen versuchte Stübben allerdings, über andere Wege an langfristiges ausländisches Kapital zu kommen. Die Staatsbank beteiligte sich an zwei der drei Auslandsanleihen der Landesbankenzentrale sowie an denen der Rentenbank-Kreditanstalt (RKA).401 Die zweite Anleihe der Landesbankenzentrale hatte denselben Zweck wie die gescheiterte Anleihe der Staatsbank. Sie sollte Kapital für Hypothekarkredite auf industriell genutzte Grundstücke bereitstellen. Insgesamt bezog die Staatsbank aus den Operatio-

400 Reichstag, Drucksache Nr. 2897, Denkschrift über das Arbeitsgebiet und die Tätigkeit der Beratungsstelle für Auslandskredite vom 1. Januar 1925 bis zum 30. September 1926, 28. Dezember 1926, Reichstagsprotokolle 1924/28, 30, S. 5, Online-Ressource, URL: https://www.reichstagsprotokolle. de/Blatt2_w3_bsb00000097_00458.html (zuletzt besucht am 13. Mai 2020) 401 Das Kapital aus der Anleihe der RKA war für die Vergabe von Darlehen an die Landwirtschaft bestimmt. Nach dem „Schacht“-Kredit von 1925 konnte die Staatsbank auch 1926 über eine Million RM für die Konsolidierung langfristiger Schulden der Pächter staatlicher Domänen mithilfe eines Darlehnes der RKA und der Gold-Diskontbank bereitstellen. Protokoll der 27. Aufsichtsratssitzung vom 29. März 1926, in: Protokollbuch des Aufsichtsrats, S. 31, NWA 8, Nr. 766. Bei beiden Instituten saß Oscar Stübben im Aufsichtsrat.

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nen der Landesbankenzentrale gut zwei Millionen RM für den privaten Wohnungsbau und die kleine und mittlere Industrie.402 Die Beteiligung der Staatsbank an der „Centralbank Deutscher Industrie AG“ war eine direkte Folge der gescheiterten Auslandsanleihe. Dieses im Jahr 1928 gegründete Berliner Institut war ein Joint-Venture deutscher Staatsbanken und amerikanischer Privatbanken.403 Die Centralbank sollte erststellige Hypotheken an mittlere und kleine Industriebetriebe vergeben und dafür auf dem amerikanischen Markt Schuldverschreibungen emittieren. In den einzelnen deutschen Staaten und Provinzen sollten Kreditausschüsse aus Vertretern der jeweiligen Bank und der Handelskammer die Verteilung des Kapitals lenken. Aufgrund der geringen Beteiligungsquote der Staatsbanken konnte eine staatliche Haftung ausgeschlossen werden. Daher gab es auch keinen Widerstand des Reichsfinanzministeriums gegen diesen Plan. Hjalmar Schacht unterstützte ihn sogar aktiv. Die erste Emission sollte ein Volumen von etwa 80 Millionen RM haben.404 Weil die Auflegung der Anleihe jedoch erst im Jahr 1930 erfolgen sollte, kam dem Institut die Weltwirtschaftskrise dazwischen, die den amerikanischen Kapitalmarkt für deutsche Anleihen weit weniger empfänglich machte. Die „Centralbank Deutscher Industrie AG“ wurde deshalb noch 1930 mangels Aufgaben liquidiert.405 Sowohl die Bemühungen der Staatsbank um die Zulassung der eigenen Anleihe als auch die Gründung der Centralbank verliefen letztlich im Sande. Ohne die Möglichkeit, ausreichend langfristiges Kapital aus dem Ausland herbeizuschaffen, und unter freiwilligem Verzicht auf kurzfristige Auslandskredite, war sie im Wettbewerb mit den Großbanken um die Finanzierung der braunschweigischen Industrie unterlegen.

402 Die erste Anleihe der Landesbankenzentrale von August 1927 ging über fünf Millionen Dollar und sollte für den Bau von Wohnhäusern für insgesamt 5.000 Familien verwendet werden. Die Staatsbank hatte eine Beteiligungsquote von 5 %, also $ 250.000, was etwas mehr als einer Millionen RM entsprach. Die Staatsbank beteiligte sich an der zweiten Anleihe lediglich mit einer Quote von 2,5 %, hatte also dieselben $ 250.000 zur Verfügung wie aus der ersten Anleihe. Pfitzner, Auslandsanleihen, S. 99. 403 Die öffentlich-rechtlichen Institute sollten dabei fünf Millionen RM Namensaktien zeichnen, die amerikanischen Banken dagegen 7,5 Millionen RM. Weiterhin sollten 12,5 Millionen RM Inhaberaktien vorzugsweise an private Banken emittiert werden, solange sie nicht zu den Großbanken gehörten. Schreiben des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an das Braunschweigische Finanzministerium vom 4. Juli 1928, in: NLA WO, 12 Neu Wirtschaft 13, Nr. 26316. 404 Ebenda. 405 Kampmann, Mittel- und Kleinindustrie, S. 52.

118  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Der Verkauf der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt und das Scheitern der industriellen Strukturpolitik Den von der Staatsbank in ihrer Denkschrift monierten Ausverkauf der braunschweigischen Industrie konnte die Staatsbank auch deshalb in den Jahren bis 1929 nicht substantiell beeinflussen, weil ihr aufgrund des Scheiterns der Auslandsanleihe sowie des hohen Kreditbedarfs der öffentlichen Hand die notwendigen Mittel dazu fehlten. Dies wird besonders deutlich an dem Schicksal der Tochter der Staatsbank, der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt. Die Staatsbank hatte nach der Übernahme gehofft, mittels dieser Bank einen substantiellen Teil des regionalen Industriekredites unter ihre Führung zu bringen. Doch die industriellen Großkunden der „Braune-Bank“ wanderten nach und nach zu den Großbanken ab. Als erstes verlor sie die Unternehmen der Mühlenbauindustrie, weil diese über den Zusammenschluss zur MIAG zur Danat-Bank gewechselt waren. Es ist im Hinblick auf die Situation der Staatsbank in dieser Zeit nicht ohne Ironie, dass die MIAG die Kosten der Fusion im Mai und Juni 1926 über eine Auslandsanleihe mit einem Volumen von drei Millionen Dollar (rund 12,6 Millionen RM) und einer Laufzeit von 30 Jahren konsolidierte.406 Allein die Geldsumme, die durch diese Anleihe gewonnen wurde, hatte dasselbe Volumen wie alle kurzfristigen Kredite der Staatsbank an die Privatwirtschaft in diesem Jahr zusammen.407 Allein mit den aus dem Freistaat stammenden Einlagen konnte die Staatsbank „braunschweigische Lösungen“ nicht finanzieren. Das Ende der Ambitionen der Staatsbank erfolgte durch den Wechsel des Lastwagen- und Omnibusherstellers H. Büssing AG ebenfalls zur Danat-Bank. Der Aufsichtsratsvorsitzende des Unternehmens Heinrich Büssing war seit 1920 sowohl im Aufsichtsrat als auch im Verwaltungsrat der Staatsbank vertreten und auch in dem der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt. Im März 1924 legte er zwar beide Mandate bei der Staatsbank nieder, behielt jedoch vorerst das bei der „BrauneBank“.408 1927 tauchte jedoch der Name des Mitgesellschafters Büssings Paul Werners im Aufsichtsrat der Deutschen Bank in der Filiale Braunschweig auf.409 Ein Jahr später wechselte das Unternehmen Büssing dann endgültig zur Danat-Bank, was sich in der Wahl von dessen Vorstandsvorsitzendem Jakob Goldschmidt zum Aufsichtsrat manifestierte.410 Der Grund für den Wechsel, der nach Aussage von Stübben im Geheimen vollzogen wurde, lag in den großen Investitionen, die Büssing in

406 MIAG – Bühler, S. 36 f. 407 Eigene Berechnungen auf Grundlage des Jahresberichtes 1925/26, S. 14. 408 21. Aufsichtsratssitzung vom 3. März 1924, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 25, NWA 8, Nr. 766; Geschäftsbericht der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt für das Jahr 1925, Braunschweig, den 30. März 1926, S. 1, in: NLA WO 12 Neu Wirtschaft 13, Nr. 45952. 409 58. Geschäftsbericht der Deutschen Bank für das Jahr 1927, S. 12. 410 H. Büssing. Mensch – Werk – Erbe, hrsg. von der MAN Nutzfahrzeuge GmbH München, Göttingen 1986, S. 172.

3.2 „Regionale Champions“

 119

den Jahren ab 1924 tätigte.411 Paul Werners und ein Ingenieur der Firma waren ebenfalls 1924 in die USA gereist, um sich die dortige Automobilindustrie anzusehen. In der Folge unternahm das Unternehmen große Anstrengungen, um seine Produktion nach amerikanischem Vorbild zu modernisieren und zu rationalisieren. Dazu wurden neue Fabrikhallen benötigt sowie eine neue Generation von speziellen Werkzeugmaschinen.412 All dies erforderte einen hohen Einsatz an Fremdkapital, den die Braunschweigische Bank und Kreditanstalt nicht liefern konnte. Sie verfügte nie über mehr als 16 bis 18 Millionen RM an fremden Geldern. Davon waren bis zu sieben Millionen RM Gelder der Staatsbank.413 Auch zwei Kapitalerhöhungen im Jahr 1927, die das Aktienkapital von drei Millionen RM auf fünf Millionen RM erhöhten, konnten keine substantielle Besserung hervorrufen.414 Für große Investitionen hatte die Braune-Bank weder das notwendige Kapital noch adäquate Möglichkeiten, die benötigten Gelder zu besorgen. Sie war auf die Unterstützung der Staatsbank angewiesen, die jedoch aufgrund der schon genannten Gründe nur begrenzt helfen konnte. Die Danat-Bank konnte Büssing dagegen aus ihren eigenen Mitteln und auf dem Wege der von ihr aufgenommenen kurzfristigen und langfristigen Auslandsgelder sehr viel mehr Kapital zu Verfügung stellen. Nachdem das Direktorium der Staatsbank vier Jahre lang versucht hatte, die „Braune-Bank“ auf eine gesunde finanzielle Grundlage zu stellen, gaben Stübben und Rungs schließlich Ende 1928 auf und bahnten den Verkauf ihres Aktienpaketes an. Stübben brauchte nicht lange nach einem Käufer zu suchen. Sein Stellvertreter Wilhelm Rungs stand als „Logenbruder“ dem Direktor der braunschweigischen Filiale der Commerz- und Privatbank AG, einem Herrn Thiele, nahe. Dieser hatte bereits mehrfach geäußert, dass sein Institut gerne das Aktienpaket der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt erwerben würde, um sie in ihr Filialnetz zu integrieren.415 Nachdem die wichtigsten Großkunden abgewandert waren, beauftragte Stübben Rungs Ende 1928, dem Direktor der Commerzbank Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren.416 Die Verhandlungen endeten schließlich mit dem Verkauf des Aktienpaketes der Staatsbank, dem der Aufsichtsrat am 16. Januar 1929 zustimmte.417 Das wirtschaftspolitische Experiment der regionalen Konsolidierung der braunschweigischen Industrie war damit vorerst gescheitert. Rein betriebswirtschaftlich war der Verkauf der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt allerdings ein Erfolg. Aus der Differenz zwischen Einkaufswert und Kapitalerhöhungen

411 Stellungnahme Stübben, 14, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. 412 Büssing. Mensch – Werk – Erbe, S. 169. 413 Stellungnahme Stübben, S. 14, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. 414 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1927, S. 9. 415 Vgl. dazu auch Ziegler; Sattler; Paul, Hundertfünfzig Jahre Commerzbank, S. 95. 416 Stellungnahme Stübben, S. 14f, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. 417 Protokoll der 39. Aufsichtsratssitzung vom 16. Januar 1929, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 40.

120  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

sowie dem Verkaufswert aller Aktien errechnete Stübben einen Gewinn von 600.000 RM, die zudem auch noch in bar bezahlt wurden. Das Direktorium gab intern betriebswirtschaftliche Gründe für den Verkauf an, wie eine steuerrechtliche Entscheidung in Sachsen, nach der ein Dauerkredit bei einer Bank als Betriebskapital zu gelten hatte und damit körperschaftssteuerpflichtig wurde. Damit hätte die „Braune-Bank“ auf das von der Staatsbank geliehene Geld sowohl Zinsen als auch Steuern zahlen müssen, was ihre ohnehin geringe Rentabilität vollkommen zerstört hätte.418 Offiziell wurde der Verkauf allerdings ganz anders begründet: „Die Aufrechterhaltung von zwei Bank-Verwaltungskörpern am gleichen Orte mit einem örtlich fast zusammenfallenden Tätigkeitsfeld erschien aus Gründen der Rationalisierung nicht zweckmäßig. Eine Fusion mit der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt kam wegen der unserer Betätigung gezogenen gesetzlichen Grenzen nicht in Frage.“419 Offiziell war der Verkauf also eine Maßnahme gegen die „Übersetzung“ im Kreditwesen, weil die Fusion wegen der vielen ungedeckten Kredite der „Braune-Bank“ sowie dem teilweise über das Territorium des Freistaates hinausgehenden Geschäftsgebiet der „Braune-Bank“ ausschied. In Wirklichkeit war das Kreditinstitut durch den Abgang der Großkunden weitgehend wert- und nutzlos geworden. Stübben wollte den Verkauf deshalb so schnell wie möglich abwickeln, bevor die innere Entwertung auch auf den Aktienkurs durchschlagen konnte.420 Von 1925 bis 1929 war die Bilanz der Strategie der „Regionalen Champions“ vollkommen gegensätzlich, je nachdem ob man eine betriebswirtschaftliche oder eine wirtschaftspolitische Perspektive einnimmt. In ihrer Eigenschaft als Repräsentant des Freistaates hatte sie lediglich in der Zuckerindustrie eine „braunschweigische Lösung“ geschaffen. In der Blechwarenindustrie war sie dagegen nicht erfolgreich gewesen. Bremer & Brückmann konnte zwar vor dem Konkurs gerettet werden, eine große Lösung zum Zusammenschluss der Blechwarenindustrie war aber nicht gelungen, weder als Kartell- noch als Konzernlösung. Weitere Erfolge blieben ebenfalls aus, vor allem, weil Stübben es nicht geschafft hatte, die „Braune-Bank“ als echte Alternative zu den Großbanken zu installieren. Rückblickend bewertete Oscar Stübben das gescheiterte Engagement folgendermaßen: „Die Wiederentwicklung der Bank hätte tatkräftige und entscheidende Mithilfe der heimischen Wirtschaft vorausgesetzt. Die Unterstützung dieser Wirtschaftskreise – für die die Bank arbeiten sollte – fehlte. Damit brachen die Voraussetzungen und die Aussichten für einen Wiederaufstieg der Bank zusammen.“421 Diese Aussage zeigt das ganze Dilemma der Industriepolitik der Staatsbank in der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik. Der Kampf um die Eigenständigkeit der braunschweigischen Industrie bot zwar ein hohes Maß an politischer Legiti418 419 420 421

Ebenda. Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank von 1929, S. 8. Stellungnahme Stübben, S. 14f, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. Ebenda.

3.2 „Regionale Champions“ 

121

mität für die Staatsbank. Das Staatsbankdirektorium hatte jedoch gehofft, dass diese Legitimität ihnen Vorteile im Wettbewerb um die industriellen Großkunden in Braunschweig bringen würde. Für die betroffenen Unternehmen waren die Legitimationsfragen jedoch zweitrangig. Sie interessierten sich weit mehr für das Kapitalangebot der Banken als für die Wahrung braunschweigischer Interessen. Die Staatsbank hatte zum Teil freiwillig, zum Teil bedingt durch die politische Benachteiligung öffentlicher Banken auf Reichsebene keinen Zugang zu der entscheidenden Ressource besessen: dem Auslandskapital. Ohne dieses Kapital hatte sie gegen die Finanzkraft der Großbanken keine Chance. In den Bank-Industriebeziehungen der Stabilisierungsphase in Braunschweig waren die wirtschaftlichen Verhältnisse entscheidend. Die Staatsbank war zwar im Vergleich zu allen anderen braunschweigischen Akteuren finanziell stark, im Vergleich mit den Großbanken jedoch unbedeutend. Für das Direktorium war mit dem Verkauf der „Braune-Bank“ das Abenteuer industrieller Strukturpolitik vorläufig beendet. Finanziell hatte der Ausflug in die industrielle Standortpolitik fast ausschließlich erfreuliche Konsequenzen. Die Staatsbank hatte durch ihre Intervention bei Bremer & Brückmann ihren Kredit gesichert und mit dem Verkauf der „Braune-Bank“ einen ordentlichen Gewinn eingefahren. Vor allem, wenn man den Zeitpunkt des Verkaufs beachtet, hat sich die Staatsbank eines großen Risikos von mehrheitlich ungedeckten Industriekrediten am Vorabend der Weltwirtschaftskrise entledigt. Der Wert der Beteiligung an der „Braune-Bank“ war für die Staatsbank allerdings höher als der reine Marktwert der Aktien. Die Übernahme hatte unter anderem die Staatsbank zum einzigen nennenswerten braunschweigischen Kreditinstitut gemacht. Die Staatsbankführung sorgte dafür, dass die einzigartige Stellung des Institutes in Braunschweig erhalten blieb, indem sie die „Braune-Bank“ an die Commerzbank verkaufte. Die Großbank löste die „Braune-Bank“ auf und integrierte die Aktiva in ihre Bilanz. Damit hatte sich die Staatsbank gleichzeitig einer wirtschaftlichen Sorge und eines potentiellen Konkurrenten entledigt. Von den Einnahmen aus dem Verkauf von insgesamt fast vier Millionen RM nutzte die Staatsbank etwa drei Millionen RM für den Kauf der Aktienmehrheit an der Braunschweig-Hannoverschen Hypothekenbank, der einzigen privaten Hypothekenbank im Freistaat. Dieser „Bankentausch“ war ein Zeichen dafür, dass die Staatsbank sich vorläufig aus der Konkurrenzsituation mit den Großbanken wieder zurückzog. Auf dem regionalen Hypothekenmarkt war die Staatsbank nun dagegen konkurrenzlos. Der Verkauf der „Braune-Bank“ rief die Kritik unterschiedlicher politischer Akteure hervor. So empörte sich der Nationalsozialist Franz Groh im Landtag anlässlich der Verhandlungen über die Neufassung des Staatsbankgesetzes 1929: Erst im Jahre 1925 hat die Braunschweigische Staatsbank von der Allgemeinen Deutschen Kreditanstalt die Aktienmajorität der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt erworben. […] Jetzt stößt die Braunschweigische Staatsbank die Aktienmajorität plötzlich an die Commerzbank ab. Die Braunschweigische Staatsbank spielt also ein altes bodenständiges solides Bankgeschäft, das im vorigen Jahre das 75jährige Bestehen feiern konnte, dem internationalen

122  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Großkapital in die Hände. Vom Standpunkt der braunschweigischen Bevölkerung und der braunschweigischen Wirtschaft ist das eine geradezu skandalöse Handlung.422

Der Oberbürgermeister von Braunschweig Paul Trautmann kritisierte die Staatsbank in einem Schreiben von Anfang 1929 in ähnlicher Weise.423 Grohs und Trautmanns Kritik an dem Verkauf der Braune-Bank war prinzipiell berechtigt. Die Staatsbank konnte nicht den Kampf für die Selbstständigkeit der braunschweigischen Wirtschaft gegenüber den Großbanken propagieren und gleichzeitig die ehemals größte private Bank Braunschweigs an eine der Großbanken verkaufen, ohne sich unglaubwürdig zu machen. Der Verkauf des Kreditinstituts war vom betriebswirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen notwendig, vom Standpunkt der Legitimation der Geschäftspolitik aus jedoch problematisch. Um den Verkauf plausibel zu erklären, hätte sie das Scheitern ihrer Industriepolitik offiziell eingestehen müssen. Damit wäre jedoch ihre zentrale Legitimationsquelle für den Industriekredit verloren gegangen. Diese Legitimation war jedoch notwendig, um den Industriekredit gegen die Ansprüche insbesondere des Mittelstandes zu verteidigen.

Vernachlässigter Mittelstand? Die wirtschaftliche und politische Auseinandersetzung um den Mittelstandskredit in der Stabilisierungsphase Die Finanzierung des Freistaates Braunschweig und seiner Kommunen und der gleichzeitige Versuch der Staatsbank, in der Industriefinanzierung Fuß zu fassen, stand nach der Währungsreform immer mehr im Gegensatz zur seit 1919 bestehenden Aufgabe der Mittelstandsfinanzierung. Die politischen Vertreter des Mittelstandes prangerten die finanzielle Vernachlässigung ihrer Klientel seit 1923 mit zunehmender Vehemenz an. Dabei entwickelten sie sich von den engsten Verbündeten der Staatsbank zu ihren größten Kritikern. Dabei gaben die politischen Vertreter überwiegend die Kritik der Gewerbetreibenden an der restriktiven Kreditpolitik der Staatsbank weiter, die sie von einer Finanzierung ausschloss. Der Inhalt der Kritik wurde von dem Abgeordneten Heinrich Rönneburg (Deutsche Demokratische Partei, DDP) 1928 im Landtag treffend zusammengefasst: Ich will auch darauf hinweisen, daß mir oft Klagen aus allen möglichen Kreisen der Bevölkerung über das Geschäftsgebaren der Staatsbank, über die Rigorosität ihrer Kreditpolitik besonders gegenüber wirtschaftlich schwachen Kreisen aus dem Mittelstand vorgetragen sind. Die Leute wagen es nur nicht zu sagen, weil sie sich von der Staatsbank abhängig fühlen, (Abgeordneter Liebald: Sehr wahr!) und jeder fürchtet, wenn er einmal den Mund aufmacht, daß es 422 Braunschweigischer Landtag, 24. Sitzung vom 24. Januar 1929, S. 1525 f. 423 Brief des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Braunschweig, Trautmann, an das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank vom 16. Januar 1929, in: NLA WO 12 Neu Wirtschaft 13 Nr. 45952.

3.2 „Regionale Champions“

 123

ihm dann an den Kragen gehen kann. Diese Kreditpolitik steht nicht im Einklang mit der Wesensaufgabe der Staatsbank, die ihr in der Förderung des heimischen Wirtschaftslebens gestellt ist.424

Die Kritik bezog sich also auf die Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank. Nach eigenen Angaben war die Staatsbank eine ausgesprochene Mittelstandsbank. Die Staatsbankführung nutzte dabei eine quantitative Definition des Mittelstandskredits, nämlich gewerbliche Kredite bis 20.000 RM. Sie folgte dabei einer entsprechenden Konvention, die sich in der Zeit der Weimarer Republik im Zuge der Auseinandersetzung um die Besteuerung von Sparkassen etablierte. Anlass war die Neufassung des Körperschaftssteuergesetzes am 10. August 1925. Dabei wurde die Besteuerung von Sparkassen unter anderem dahingehend geändert, dass diese Institute Gewinne aus sogenannten „sparkassenfremden“ Bankgeschäften zu versteuern hatten, Gewinne aus „sparkasseneigenen“ Geschäften jedoch nicht. Weil die Begriffe auch im Gesetzgebungsprozess nicht definiert wurden, verlegte sich die Auseinandersetzung in die mediale Öffentlichkeit und stand im Mittelpunkt des Konfliktes um die „bankmäßige“ Entwicklung der Sparkassen, deren Höhepunkt in den Jahren 1925 bis 1928 lag. Im Mai 1928 konnten sich die Verbände des privaten, öffentlichen und genossenschaftlichen Kreditwesens schließlich auf ein Wettbewerbsabkommen einigen, das allerdings lediglich einige Bestimmungen zu Werbemaßnahmen enthielt.425 Der eigentliche Grund für die Entschärfung des Konfliktes war eine Entscheidung der Reichsregierung in der Frage der Körperschaftssteuer, die weitgehend abseits der öffentlichen Erörterung getroffen worden war.426 Der Reichsfinanzminister Heinrich Köhler (Zentrum) erließ im März 1928 eine Verordnung, in denen die sparkasseneigenen Geschäfte von den sparkassenfremden gesetzlich abgegrenzt wurden. In dieser Verordnung wurde den Sparkassen der Personalkredit nur unter der Bedingung erlaubt, dass es sich um den „Personalkredit an den Mittelstand (Mittelstandskredit)“427 handelte. Personalkredite, die diese Kriterien nicht erfüllten, wurden ausdrücklich als sparkassenfremd und daher steuerpflichtig aufgefasst. Die Verordnung hatte nun zwar die Begriffe sparkassenfremd und sparkasseneigen geklärt, 424 Braunschweigischer Landtag, 5. Sitzung der Wahlperiode 1927/30 vom 3. Februar 1928, Verhandlungen des Landtages des Freistaates Braunschweig, Sitzungsberichte, 3. Wahlperiode, S. 242 f. 425 Pohl, Sparkassen vom Ausgang des 19. Jahrhunderts, S. 98. 426 Innerhalb der Regierung hatte sich die Diskussion um diese Bestimmungen auf die Frage zugespitzt, ob der Personalkredit zum Aufgabengebiet der Sparkassen gehörte, und, wenn ja, wie man ihn abgrenzen könnte. Der Reichsfinanzminister Peter Reinhold (DDP) neigte zu der Auffassung, dass Kontokorrentkredite nicht Aufgabe der Sparkassen waren. Dagegen erstellte der Reichsfinanzhof im November 1926 ein Gutachten, das vorschlug, dass die Sparkassen einen bestimmten Anteil ihres Depositenbestandes als ungedeckten Kontokorrentkredit ausleihen durften. Ebenda, S. 93 f. 427 Außerdem durfte das Volumen der ungesicherten Kredite nicht mehr als 5 % der Depositen-, Giro- und Kontokorrenteinlagen betragen. Verordnung über die Abgrenzung des eigentlichen Sparkassenverkehrs im Sinne der Reichssteuergesetze vom 22. März 1928, § 1 Abs. 1, Nr. 7, RGBl. I., (1928), S. 110.

124  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

dafür jedoch einen neuen Begriff eingeführt, der rechtlich nicht definiert war: den Mittelstandskredit. Im Mai 1928 erging deshalb eine weitere Verordnung, in der die Sicherungsvorschriften der „sparkasseneigenen“ Personalkredite spezifiziert wurden.428 In einem Begleiterlass zu dieser Verordnung verfügte das Reichsfinanzministerium, dass als Arbeitsdefinition ein Mittelstandskredit generell höchstens 15.000 RM, maximal jedoch 30.000 RM betragen durfte. Sparkassen, die Kredite oberhalb der Grenze vergeben wollten, sollten von den Finanzbeamten auf das Rechtsmittelverfahren verwiesen werden. Die endgültige Definition wurde demnach den Gerichten überlassen.429 Diese Festlegung bestätigte nicht nur das Recht der Sparkassen, Mittelstandskredite auszugeben. Es rechtfertigte auch generell den Staatseingriff, indem es juristisch eine Grenze zwischen dem steuerpflichtigen Wettbewerbskredit und dem gemeinnützigen Kredit für den Mittelstand zog. Da die Sparkassen auf eine rechtliche Anfechtung der Obergrenzen verzichteten, wurde aus diesem Provisorium schließlich eine feste Norm. Die Sparkassen passten ihre Geschäftstätigkeit den neuen Bestimmungen an. Damit wirkte das Gesetz normativ auf die Geschäftstätigkeit der Sparkassen.430 Tab. 9: Die quantitative Definition des Mittelstandskredites Anteil der Kredite unter 20.000 RM an allen KK-Krediten in %

Durchschnittsvolumen der KK-Kredite* und Hypotheken in RM

Gewerblicher Mittelstand**

Nach Kreditanzahl

KK-Kredite*

Anteil an den KK-Krediten***

Nach Kreditvolumen

Hypothekarkredite

1926

95

64

6697

8882

48

1927

97

69

5865

7153

54

1928

97

61

6553

7536

58

1929

96

63

7994

7162

55

428 Für das Lombardieren von Aktien galten danach die Regelungen, wie sie für die jeweiligen Staatsbanken getroffen wurden und dort, wo es keine solche Kreditinstitute gab, die Bestimmungen der Landeszentralbehörde. Allerdings durften die Sparkassen nur 75 % des dort geltenden Höchstsatzes beleihen. Beim Warenlombard wurde die Höchstgrenze sogar nur bei 30 % des festgestellten Wertes festgelegt. Außerdem durften sie Sparbücher beleihen, jedoch solche über 20.000 Reichsmark nur mit Genehmigung des Vorstandes der Sparkasse. Darlehen gegen Bürgschaft durften entweder als Tilgungsdarlehen nur mit einer 14-tägigen Kündigungsfrist, als gewöhnliches Darlehen nur bis maximal sechs Monate ausgeliehen werden. Ungesicherte Kredite mussten fristlos kündbar sein. Ebenda, Verordnung über die Sicherung der von Sparkassen im eigentlichen Sparkassenverkehre gewährten Personalkredite (Kreditsicherungsverordnung) vom 4. Mai 1928, RGBl. I., (1928), §§ 3-5, S. 155 f. 429 Reichssteuerblatt, hrsg. vom Reichsfinanzministerium, Jg. 18 (1928), S. 163 f. 430 Pohl, Sparkassen vom Ausgang des 19. Jahrhunderts, S. 95.

3.2 „Regionale Champions“ 

Anteil der Kredite unter 20.000 RM an allen KK-Krediten in %

Durchschnittsvolumen der KK-Kredite* und Hypotheken in RM

Gewerblicher Mittelstand**

Nach Kreditanzahl

Nach Kreditvolumen

KK-Kredite*

Hypothekarkredite

Anteil an den KK-Krediten***

1930

96

66

6877

5086

58

1931

96

65

8444

5471

58

125

* KK = Kontokorrentkredite bzw. Buchkredite. ** Nach der Definition der Staatsbank. Die Hypothekarkredite wurden nicht nach Kreditnehmergruppen aufgeschlüsselt. *** Nach der Zahl der Kredite. Quelle: Eigene Berechnungen nach: Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge.

Von den kurzfristigen Krediten der Staatsbank besaßen nach der Währungsreform fast alle Kredite ein Volumen von weniger als 20.000 RM. Das Durchschnittsvolumen lag zwischen 6.500 und 8.500 RM. Damit lag die Staatsbank deutlich oberhalb der Größenordnungen der Sparkassen. Die preußischen Sparkassen hatten 1930 kurzfristige Kredite in der Durchschnittshöhe von unter 2.000 RM vergeben, wobei 80 % der Kredite unter dieser Grenze lagen.431 Die Großbanken dagegen hatten 1933 im Kontokorrentgeschäft Kredite mit einem durchschnittlichen Volumen von über 25.000 RM vergeben. Die Staatsbank lag mit ihrem Wert genau im Bereich der Provinzbanken, also der sich im Niedergang befindlichen Gruppe der regionalen Aktien- und Privatbanken.432 Diese Bankengruppe war von den Mittelstandsideologen als originäre Träger des Mittelstandskredites ausgemacht worden. Von der Kreditzahl her ging die Mehrheit der Kredite der Staatsbank an den gewerblichen Mittelstand, ein weiterer großer Teil ging an die Landwirtschaft und nur ein kleiner Bruchteil an die Industrie. Nimmt man noch die Angabe hinzu, dass Landwirtschaft und gewerblicher Mittelstand zusammen zwei Drittel des Kreditvolumens in Anspruch nahmen, dann kann von einer Vernachlässigung der Aufgabe der Mittelstandsfinanzierung nicht die Rede sein. Versteht man allerdings den Mittelstandskredit umfassender als einen Kredit, bei dem die Sicherheit in der persönlichen Einschätzung der Zuverlässigkeit des Kreditnehmers bestand, dann vergab die Braunschweigische Staatsbank praktisch keine Mittelstandskredite. Die eigens zur Unterstützung des Mittelstandes im Staatsbankgesetz geschaffenen Möglichkeiten der Vergabe ungedeckter Kredite wurden so gut wie gar nicht genutzt. Der Grund dafür war, dass die Staatsbank aufgrund ihrer Struktur nicht in der Lage war, eine Kreditvergabe auf der Basis persönlicher Beziehungen aufzubauen. Die Prüfung der Kreditwürdigkeit wurde gerade bei den kleineren Krediten fast ausschließlich auf Basis der standardisierten Bewertung dinglicher 431 Ebenda, S. 128; Untersuchung des Bankwesens 1933, II. Teil, S. 378. 432 Eigene Berechnungen nach: ebenda, S. 340.

126  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Sicherheiten vollzogen. Nur so konnte die Staatsbank die stark steigende Zahl der Kreditfälle bearbeiten. Tab. 10: Anteil der ungedeckten Kredite an den Debitoren in % 1924* 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931

37,6 11,1 5,8 2,7 3,2 2,5 5,7 2,9

* Goldmarkbilanz vom April 1924. Quelle: Eigene Berechnungen nach: Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge.

Andererseits war die Staatsbank keinesfalls ein Ausnahmefall. Die preußischen Sparkassen vergaben 1926 über 70 % des Volumens der kurzfristigen Wirtschaftskredite gegen eine Sicherungsgrundschuld. Der Anteil der Kredite, die ohne Stellung von Sicherheiten vergeben wurden, lag bei nicht einmal bei 6 % des Kreditvolumens, 1929 nur noch bei 5 %.433 Ohne dingliche Sicherheiten konnten die Mittelständler weder in Braunschweig noch anderswo im Reich Kredite von öffentlichen Kreditinstituten bekommen. Die Kritik des politischen Mittelstandes entzündete sich also an der restriktiven Kreditvergabepraxis der Staatsbank. Der Wortführer der Mittelständler war Moritz Liebald, dessen Kampf um eine bessere Kreditversorgung seiner Klientel nicht nur politische Konsequenzen für die Staatsbank hatte. Liebald war als Gründer des Reichsschutzverbandes für Handel und Gewerbe e. V. und Organisator der „Reichsdeutschen Mittelstandstage“ ein überregional bedeutender Ideologe und Politiker des organisierten gewerblichen Mittelstandes.434 Das Ziel dieses Verbandes und der Versammlungen war es, für den gesamten Mittelstand eine wirksame politische Interessenvertretung aufzubauen. Als politischer Arm dieses von Liebald geführten Verbandes fungierte in Braunschweig seit der Landtagswahl 1924 eine eigene Partei namens „Wirtschaftliche Einheitsliste“, die in Abgrenzung zur Deutschen Volkspartei (DVP) und zur Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) speziell Lobbyarbeit für den gewerblichen Mittelstand tätigen sollte. Die Partei war sowohl bei den Landtagswahlen 1924 als auch 1927 erfolgreich, und von da an versuchte Liebald mit allen Mitteln, die wirtschaftliche Lage seiner Wähler zu verbessern.435 Liebald hatte sich 433 Ebenda, S. 128 f. 434 Winkler, Mittelstand, S. 101. 435 Die Partei nahm zudem als Teil der „Wirtschaftspartei – Reichspartei des deutschen Mittelstandes“ erfolgreich an den Reichstagswahlen 1928 teil. Unterstell, Rembert, Mittelstand in der Weima-

3.2 „Regionale Champions“ 

127

1919 in der Landesversammlung als einer der stärksten Befürworter des neuen Staatsbankgesetzes und der Geschäftsausweitung der Staatsbank positioniert. Er war von Beginn an in deren Aufsichtsrat vertreten. Da das Staatsbankgesetz jedoch Angestellte anderer Banken von Aufsichtsratsmandaten ausschloss, wurde in der Aufsichtsratssitzung im Januar 1924 der Status von Liebald hinterfragt. Dieser verließ daraufhin den Aufsichtsrat und richtete auf der Hauptversammlung des ReichsSchutzverbandes vom 25. Mai 1924 teils heftige Vorwürfe an die Staatsbankführung.436 Der Hintergrund dieser Auseinandersetzung war das Bestreben Liebalds, als wirtschaftlichen Arm seiner politischen Organisationen eine eigene Kreditgenossenschaftsorganisation zu schaffen.437 Am 24. September 1923 wurde in Braunschweig ein neues Institut eröffnet: die Niedersächsische Landesgewerbebank eGmbH. Ihre Aufgabe war zunächst die eines Zentralinstitutes für einen Teil der im Freistaat Braunschweig existierenden Genossenschaftsbanken. Das Kapital für diese Gründung kam jedoch nicht von anderen Genossenschaften, sondern überwiegend aus der Sparkassenorganisation.438 Die Beteiligung der Sparkassenorganisation an der Gründung war für die Staatsbank alarmierend, denn sie konnte als erster Schritt zur Gründung kommunaler Sparkassen in Braunschweig verstanden werden. Die Eröffnung von kommunalen Sparkassen wurde bei der Staatsbank zu allen Zeiten als existentielle Bestandsgefahr aufgefasst, weil sie nicht nur um ihre wirtschaftliche, sondern auch um ihre politische Geschäftsgrundlage fürchtete. Daher nahm sie die Neugründung sehr ernst. Der Hintergrund der Beteiligung der Sparkassenorganisation war ein Konflikt zwischen den beiden Organisationen des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens, dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) und dem Verband der öffentlichrechtlichen Kreditinstitute (VöB) um den Ausbau des Giro-Systems. Die Braunschweigische Staatsbank wurde aufgrund ihrer speziellen Verbindung mit der Braunschweigischen Landessparkasse in den Konflikt mit hineingezogen. Um deren Giroverkehr mit den anderen Sparkassen nicht über die Reichsbank laufen zu lassen, hatte die Staatsbank 1920 eine „Girozentrale der Braunschweigischen Landessparkasse“ gegründet und diese der noch jungen Deutschen Girozentrale angerer Republik. Die soziale Entwicklung und politische Orientierung von Handwerk, Kleinhandel und Hausbesitz 1919–1933, Frankfurt am Main u. a. 1989, S. 85. 436 NWA, 8 Nr. 766, Protokollbuch des Aufsichtsrates der Braunschweigischen Staatsbank von 1919 bis 1935. Maschinengeschriebene Abschrift des Originals von H. J. Fehst. Braunschweig 1985, Protokoll der 1. Sitzung des Aufsichtsrates am 9. Juni 1920. S. 3; Protokoll der 20. Sitzung des Aufsichtsrates am 30. Januar 1924, S. 24; Protokoll der 22. Sitzung des Aufsichtsrates am 30. Mai 1924, S. 26. 437 Roloff, Bürgertum, S. 113. 438 Neben dem Zentral-Giroverband beteiligten sich drei regionale Girokassen am Stammkapital. Jursch, Hermann, 10 Jahre Deutsche Kommunal-Giroorganisation 1916–1926. Berlin 1926, S. 78. Die Landesgewerbebank galt deshalb auch noch in den Untersuchungsberichten im Vorfeld der Bankenenquete 1933 als öffentlich-rechtliches Kreditinstitut. Untersuchungsausschuss für das Bankwesen 1933, Teil I, Bd. 2, S. 413.

128  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

schlossen. Als jedoch die Landesbanken mit der Landesbankenzentrale ihr eigenes Verbundinstitut gründeten, stieg die Landessparkasse Ende 1921 wieder aus dem Giroverkehr der Sparkassen aus, um sich dem der Landes- und Staatsbanken anzuschließen.439 Ab diesem Zeitpunkt musste sich die Staatsbank gegen Versuche der Giroorganisation wehren, in Braunschweig eigene Ableger zu gründen. Die Staatsbank bekämpfte die Landesgewerbebank, zu der sich mit dem Mittelstandsverband und der Giro-Organisation zwei ihrer potentiellen Gegner zusammengeschlossen hatten, von Beginn an mit allen Mitteln. Kurz nach der Gründung des Institutes errichtete die Staatsbank eine eigene Genossenschaftsabteilung, der die im Freistaat existierenden Kreditgenossenschaften angeschlossen waren, die dem „Verband der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften für den Regierungsbezirk Magdeburg, den Freistaat Braunschweig und die Provinz Hannover“ angehörten. Die Staatsbank übernahm für diese teils sehr kleinen Kreditinstitute die Funktion einer Zentralgenossenschaftskasse, ähnlich wie die Dresdner Bank es für die meisten Genossenschaften des Allgemeinen Verbandes tat.440 Vor allem im Bereich des überregionalen Zahlungsverkehrs und des Liquiditätsmanagements konnte sie den Kreditgenossenschaften helfen. Die zur Genossenschaftsabteilung der Staatsbank gehörenden Institute hatten zu Anfang insgesamt 6.000 Mitglieder, die überwiegend dem Handwerk und dem Handel, weniger der Landwirtschaft angehörten.441 Die Staatsbank nutzte die Kreditgenossenschaften als weitgehend kostenneutrale Möglichkeit, um ihre liquiden Mittel verzinslich anzulegen und gleichzeitig ihrer Aufgabe nachzukommen, den Mittelstand zu fördern. Vor allem aber sollte die Genossenschaftsabteilung die Landesgewerbebank überflüssig machen. Dies machte sie 1924 in ihrem Geschäftsbericht sehr deutlich: „Auch zu den alten Kreditgenossenschaften des Landes haben wir in Abwehr unbefugter Eindringlinge unsere Beziehungen verstärkt.“442 Auch wenn die Staatsbank später ihre Rhetorik entschärfte und nach eigener Aussage aus dem Jahr 1927 „nachbarliche Beziehungen“ mit der Niedersächsischen Landesgewerbebank unterhielt, verdeckte dies nur den heftigen Konflikt zwischen den Instituten, der 1925 seinen Höhepunkt erreichte.443 Liebald griff die Staatsbank in dieser Auseinandersetzung mehrmals öffentlich an. In einem Artikel in der Braun439 Ashauer, Ersparungscasse, S. 203; Goebes, Karl, Zur Entwicklung und Bedeutung der Wettbewerbsabkommen bei öffentlichen Banken, Inaugural-Dissertation, Quakenbrück 1937, S. 23; Protokoll der 9. Aufsichtsratssitzung vom 14. Dezember 1921, Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 11, NWA 8, Nr. 766. 440 Bormann, Patrick; Scholtyseck, Joachim; Wixforth, Harald, Die kreditgenossenschaftlichen Zentralinstitute vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur bedingungslosen Kapitulation des NSStaates (1914–1945), in: Guinnane, Timothy u. a. (Hg.), Die Geschichte der DZ Bank. Das genossenschaftliche Zentralbankwesen in Deutschland vom 19. Jahrhundert bis heute, München 2013, S. 145– 294, S. 163. 441 Braunschweigische Staatsbank, Jahresbericht 1924/25, S. 7. 442 Ebenda, S. 5. 443 Braunschweigische Staatsbank, Jahresbericht 1927, S. 9.

3.2 „Regionale Champions“ 

129

schweigischen Landeszeitung unter dem Titel „Bürokratismus und Begünstigungspolitik“ beklagte er sich über die Begünstigung der Staatsbank durch gesetzliche Regelungen des Freistaates.444 Er beließ es jedoch nicht bei der Anprangerung, sondern griff die Staatsbank an ihrem wunden Punkt an, der restriktiven Kreditvergabe: „Der gewerbliche Mittelstand im Lande Braunschweig fängt in erfreulichem Umfange an, die Kreditselbsthilfe zu begreifen. Er verschafft sich Kredit auch außerhalb der Staatsbank.“445 Letztlich scheiterte der politisch organisierte Mittelstand jedoch mit dem Versuch, die Kreditversorgung ihrer Klientel durch die Gründung der Landesgewerbebank zu verbessern. Dies lag zum einen daran, dass die Kommunen und die Sparkassenorganisation als Verbündete gegen die Staatsbank ausfielen. Die GiroOrganisation der Sparkassen verlor bereits durch den Wiedereintritt der Braunschweigischen Landessparkasse zum Deutschen Sparkassen- und Giroverband 1926 das Interesse an der Landesgewerbebank. Ihr Vorgehen in Braunschweig hat die Entscheidung der Staatsbank zu Gunsten der Giroorganisation der Sparkassen ohne Zweifel beschleunigt. Politisch konnte die Staatsbankadministration den Monopolanspruch der Landessparkasse bei der Neufassung des Staatsbankgesetzes 1929 durchsetzen. Es wurde dort ein Passus aufgenommen, der die Errichtung von kommunalen Sparkassen von der Genehmigung des Innenministers und des Finanzministers des Freistaates abhängig machte.446 Damit war ihre Errichtung faktisch unmöglich, da das Interesse des Freistaates an dem Erhalt des Monopols der Landessparkasse angesichts des großen Nutzens, den der Staat in Form des von der Staatsbank bezogenen hohen Kreditvolumens aus dem Monopol zog, fraktionsübergreifend Konsens war. Doch auch die Unterstützung durch die Kreditgenossenschaften für die Landesgewerbebank blieb verhalten. 1929 schlossen sich weitere sieben Kreditgenossenschaften der Abteilung der Staatsbank an, womit der Kampf mit der Landesgewerbebank entschieden war. In der Weltwirtschaftskrise verlor das Institut einen Großteil ihrer Einlagen und sollte deshalb 1934 liquidiert werden.447 Der Versuch der Mittelstandsvereinigung, die Vormachtstellung der Staatsbank durch den Aufbau eines Konkurrenzinstitutes zu brechen und damit eine Umverteilung der in Braunschweig vorhandenen Kreditmittel zugunsten des Mittelstandes zu erzwingen, war letztlich

444 Es ging im konkreten Fall um die Abführung der Verbrauchssteuern, die der Handel über die Staatsbank an den Freistaat abzuführen hatte. Liebald befürchtete, dass die Kreditgenossenschaften ihre Kunden an die Staatsbank verlieren würden. Der eigentliche Grund war jedoch, dass Liebald nicht durchsetzen konnte, dass auch seine Landesgewerbebank für die Abwicklung der Überweisungen ausgewählt wurde. 445 NWA 5 Zg. 4/2007 Nr. 91. Liebald, Moritz, „Bexierbild: Wo sind die Millionen?“, Braunschweigische Landeszeitung, Beilage „Öffentliche Meinung“ vom 21. Mai 1925, S. 29. 446 Vgl. StBG, Neufassung vom 18. Dezember 1929, § 2, Abs. 2, Braunschweig 1929, S. 4. 447 Vgl. Die Bank Bd. 27, 1933, S. 1234. – Die Geschichte der Landesgewerbebank liegt noch weitgehend im Dunkeln. Hier sind noch weitere Forschungsanstrengungen notwendig.

130  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

an den fehlenden finanziellen Mitteln gescheitert. Liebalds Bank konnte wirtschaftlich zu keiner Zeit mit der Staatsbank mithalten. Die Entscheidung der Mehrheit der Kreditgenossenschaften zugunsten der Staatsbank spricht hier Bände. Diese Entscheidung zeigt auch, dass bei weitem nicht alle mittelständischen Unternehmen gegenüber der Staatsbank in Opposition standen. Immerhin hat der Wettbewerb mit der Landesgewerbebank bewirkt, dass die Staatsbank sich über die neu geschaffene Genossenschaftsabteilung stärker an der Finanzierung des Mittelstandes beteiligte. Nach dem Scheitern der wirtschaftlichen Herausforderung der Staatsbank konzentrierten sich die Mittelstandsvertreter wieder auf die politische Arena. Anlass dazu waren die Verhandlungen zur Neufassung des Staatsbankgesetzes im Jahr 1929. Hier forderten die Mittelstandsvertreter eine konsequente Rückführung der Staatsbank auf ihren 1919 festgelegten Aufgabenkreis. Neben Liebalds Partei profilierte sich hier erstmals eine kleine rechtsextreme Splitterpartei in Person des Abgeordneter Franz Groh (NSDAP). Groh äußerte sich in der Debatte der Landesversammlung am 21. Januar 1929 folgendermaßen: „Es muß mehr als bisher Wert darauf gelegt werden, daß die Kredite der Staatsbank vorzugsweise dem Mittelstand – Landwirtschaft, Handwerk und Gewerbe – innerhalb des Landes Braunschweig zufließen. Ich wünsche, daß ein entsprechender Zusatz in den § 1 aufgenommen wird.“448 Der § 1 des Staatsbankgesetzes beinhaltete die Beschreibung des Zweckes der Staatsbank. Hier wollte Groh einen Passus einfügen, der den hauptsächlichen Geschäftszweck auf den Mittelstand beschränkte. Die Mittelstandsförderung war im Gesetz versteckt in die Kreditgrundsätze eingearbeitet, die vom Aufsichtsrat jederzeit geändert werden konnten. Eine Einfügung des Mittelstandes in die Zweckbestimmung der Staatsbank hätte diese Gruppe gegenüber allen anderen Kreditnehmern hervorgehoben. Die Vertreter des Mittelstandes hätten dadurch eine sehr viel bessere Legitimation für ihren Anspruch auf Kredit gehabt als bisher. Grohs zweiter Vorschlag war dann auf die Grundsätze der Kreditvergabe gerichtet: „Ferner scheint es im Interesse des Mittelstandes notwendig, daß die Höchstgrenze des Einzelkredites auf einen bestimmten Betrag, etwa auf 100.000 Mark festgesetzt wird, daß vielleicht ein Kredit höher als über 50.000 Mark im allgemeinen nur mit Genehmigung des Staatsministeriums gewährt werden kann.“449 Die Genehmigungspflicht aller Kredite über 50.000 RM durch das Staatsministerium hätte die Kreditvergabe in diesem Bereich auf ein Minimum reduziert. Damit hätte das maximale Kreditvolumen der Staatsbank nur geringfügig höher gelegen als die 1928 festgelegte Grenze für die „sparkasseneigenen“ Kredite der (größeren) Sparkassen. Groh wollte die Staatsbank wieder zu einer reinen Mittelstandsbank herunterstufen. Mit diesen radikalen Vorschlägen verspielte Groh allerdings die Gelegenheit, die Staatsbankführung erfolgreich anzugreifen. 448 Ebenda, S. 1527. 449 Braunschweigischer Landtag, 5. Sitzung der Wahlperiode 1927/30 vom 3. Februar 1928, S. 1527.

3.3 „Die Geister, die ich rief…“ 

131

Denn auch wenn das Geschäftsgebaren der Staatsbank nicht nur Groh missfiel, befürwortete die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten die Ausdehnung der Geschäftstätigkeit der Staatsbank auf die einheimische Industrie im Grundsatz. Daher stimmte niemand in der Landesversammlung für Grohs Änderungsanträge. Er war 1929 noch ein krasser Außenseiter, dessen Ausführungen keinerlei Anklang bei den anderen Fraktionen fanden. Der politisch organisierte Mittelstand konnte seine Ansprüche an die Staatsbank in der Zeit zwischen Währungsreform und Weltwirtschaftskrise in keiner Weise durchsetzen. Dass die Staatsbank keine ungesicherten Kredite vergab, lag vor allem an der finanziellen Schieflage des Freistaates, der weder in der Lage war, sein Institut mit genügend Kapital auszustatten, noch glaubwürdig als dessen Gewährträger in Erscheinung trat. Dies zwang die Staatsbank zur Vorsicht bei der Kreditvergabe. Aber auch die Unfähigkeit der Staatsbank, Informationsasymmetrien abzubauen, tritt deutlich in Erscheinung. Als Nachfolger eines Realkreditinstitutes vertraute auch die Staatsbank in erster Linie auf Sicherung durch Immobilien. Wie der Vergleich mit den Sparkassen zeigt, war sie damit allerdings nicht allein. Die Unfähigkeit der Staatsbank, die zentrale Forderung des Mittelstandes zu erfüllen, zahlte sich während der Weltwirtschaftskrise in unverhoffter Weise aus.

3.3 „Die Geister, die ich rief…“: die Staatsbank in der Wirtschaftskrise 1929–1933 Als die Weltwirtschaftskrise ausbrach, war die Braunschweigische Staatsbank wirtschaftlich bestens gerüstet. Durch die erzwungenermaßen hohen Liquiditätsbestände sowie die vorsichtige Kreditvergabe in der Stabilisierungsphase blieb die Staatsbank selbst in der Bankenkrise weitgehend handlungsfähig. Die politischen Risiken stiegen dagegen stark an. Zu diesen Risiken gehörte erstens die gescheiterte Industriestrategie. Die Staatsbank konnte den Anspruch, die braunschweigische Industrie unter ihrem Dach zu konsolidieren, zu keinem Zeitpunkt einlösen. Als durch die Wirtschaftskrise viele Betriebe in Braunschweig stillgelegt werden mussten, geriet auch die Staatsbank in den Fokus öffentlicher Kritik. Das zweite politische Risiko betraf den Freistaat Braunschweig und seine dramatische Finanzlage. Während die Staatsbank selbst wirtschaftlich solide war, stieg der Finanzbedarf des Landes in der Krise immer stärker an. Dies brachte die Staatsbankführung schließlich in die schwierige Lage, entweder ihre eigene wirtschaftliche Solvenz zu gefährden oder sich gegen die Finanzierungswünsche des eigenen Gewährträgers zu stellen. Die politischen Risiken stiegen durch die Regierungsbeteiligung der Nationalsozialisten in Braunschweig seit 1930 deutlich an. Mit den Nationalsozialisten stieg auch der politische Einfluss des gewerblichen Mittelstandes. Die politischen Vertreter des Mittelstandes konnten nun mit mehr Nachdruck die Vergabe ungesicherter Kredite fordern.

132  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Die Zielkonflikte eskalierten schließlich nach der Bankenkrise im Juli 1931 in einem Machtkampf zwischen der Staatsbankführung und den Nationalsozialisten. In dieser Auseinandersetzung spielte die Unternehmensfinanzierung der Staatsbank eine entscheidende Rolle. Zum Verhängnis wurde der Staatsbankführung dabei das Missverhältnis zwischen dem wirtschaftspolitischen Anspruch und der Praxis der Unternehmensfinanzierung. Die Auseinandersetzung führte schließlich Anfang 1932 zur Entlassung des ersten Staatsbankpräsidenten und mittelfristig zu einer stärkeren politischen Einflussnahme auf die Bank.

Die wirtschaftliche Entwicklung der Staatsbank in der Weltwirtschaftskrise Der Konjunkturumschwung hatte in Deutschland bereits 1928 stattgefunden und sich 1929 zu einer Rezession vertieft, als in New York am 24. Oktober die Börsenkurse ins Bodenlose fielen. 1928 hatte zuerst in der Konsumgüterindustrie eine Absatzstockung eingesetzt, 1929 erreichte die Krise auch die Investitionsgüterindustrie. Die Folge war ein Einbruch bei den Investitionen. Die große Hausse am Aktienmarkt war in Deutschland bereits am Freitag, den 13. Mai 1927 vorbei, als die Börsenkurse um 11 % einbrachen.450 Damals war jedoch der Aktiencrash ohne besondere volkswirtschaftliche Folgen geblieben. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten begann in Deutschland die Weltwirtschaftskrise also nicht plötzlich, sondern allmählich. Bedingt durch die Krise sank vor allem die Industrieproduktion von 1929 bis 1931 um 33,7 %. Die Folge waren Stilllegungen und Insolvenzen. Die Zahl der jährlich eröffneten Konkursverfahren verdoppelte sich zwischen 1929 und 1931 von etwa 10.000 auf 20.000. Die Folge davon war Arbeitslosigkeit. Im Jahresdurchschnitt von 1929 war die Zahl der Arbeitslosen auf 1,9 Millionen gestiegen, 1930 stieg sie weiter auf 3,1 Millionen. Diese große Zahl an Arbeitssuchenden fiel samt ihren Familien als Konsumenten weitgehend aus. Relativ sank das Einkommen aus Handel und Gewerbe jedoch noch mehr als das Arbeitseinkommen, weil die Gewinne der Unternehmen stärker sanken als die Löhne.451 Die Weltwirtschaftskrise hatte für die Banken zunächst nur geringe Konsequenzen. Die Bankenkrise im Juli 1931 veränderte die Struktur des Kreditsektors jedoch nachhaltig. Über die Gründe der Krise herrscht inzwischen weitgehend Einigkeit.452 Auf Seiten der Banken war sowohl die Eigenkapitalausstattung als auch die Liquiditätsvorsorge ungenügend, weshalb sie Kreditausfälle nicht gut kompensieren konn450 Dieser Crash war vom damaligen Reichsbankpräsidenten Schacht durch die Ankündigung einer verschärften Diskontpolitik provoziert worden, um die Praxis der Aktienspekulation mittels geliehenen Geldes zu stoppen. Kopper, Schacht, S. 120 451 Born, Karl Erich, Die Deutsche Bankenkrise 1931. Finanzen und Politik, München 1967, S. 38. 452 Für eine Übersicht über die Historiographie der Krise und den neuesten Stand der Forschung siehe: Burhop, Carsten, The historiography of the 1931 crisis in Germany, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Jg. 52 (2011), Nr. 2, S. 9–27.

3.3 „Die Geister, die ich rief…“

 133

ten. Gleichzeitig hatten sie mangels anderer Möglichkeiten Kredite formal kurzfristig vergeben, die von den Unternehmen für langfristige Investitionen verwendet wurden. Deshalb konnten sie bei verstärkten Einlagenabzügen Kredite nicht einfach kündigen. Dies galt nicht nur für private, sondern auch für öffentliche Kreditnehmer und Kreditinstitute.453 Der Grund für den Ausbruch der Krise war jedoch der währungspolitisch begründete Ausfall der Reichsbank als „lender of last resort“.454 Die Folgen der Bankenkrise waren schwerwiegend. Die bank-runs im Juli erschütterten das Vertrauen der Bevölkerung in die Kreditinstitute nachhaltig. Die Teilverstaatlichung der Großbanken nach der Bankenkrise führte zu der Situation, in der staatliche Institutionen indirekt den Großteil des Kreditmarktes dominierten.455 Der Staat nutzte diese Position aus, um einige grundsätzliche Änderungen im Kreditwesen durchzusetzen. Ende 1931 wurden Regulierungsmaßnahmen für das Kreditwesen beschlossen, wodurch die Banken unter die Aufsicht des Reichs gestellt wurden. Diese Maßnahmen schränkten den Wettbewerb im Kreditwesen stark ein.456 Der Reichsbankenkommissar war eine neue Behörde des Reichswirtschaftsministeriums, die per Notverordnung am 19. September 1931 gegründet wurde. Mit dem Reichsbankenkommissar schuf die Regierung eine einheitliche reichsweite Bankenaufsicht. Der Reichsbankenkommissar war befugt, jede Bank daraufhin zu untersuchen, ob sie die „allgemeine Bankpolitik vom Standpunkt der deutschen Gesamtwirtschaft aus“ unterstützte.457 Die wichtigste Maßnahme war jedoch die Regulierung der Zinsen im Bankwesen durch die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 8. Dezember 1931.458 Das Ziel 453 Die Schieflage der Landesbank der Rheinprovinz im Juni 1931 war im Grunde das öffentliche Gegenstück zur Danat-Bank-Krise. Die Landesbank hatte die liquiden Einlagen der Sparkassen für die Vergabe faktisch langfristiger Kredite an Kommunen genutzt. Albert Fischer hält die Krise der Landesbank sogar für schwerwiegender, weil sie Liquiditätsschwierigkeiten von hunderten Sparkassen hätte auslösen können. Vgl. Fischer Albert, Der Kollaps vor dem Kollaps. Zwei Akzentverschiebungen in Sachen Bankenkrise, in: Bankhistorisches Archiv 25 (1999), Nr. 1, S. 5–22. 454 Die Reichsbank konnte die Banken im entscheidenden Moment im Juli 1931 nicht mit Liquidität versorgen, weil die Devisendeckung durch den massiven Abzug ausländischer Kredite in den Wochen zuvor die Golddeckung der Reichsmark unter die Grenze von 40 % gefallen war. Die Ausstattung der Banken mit Liquidität hätte die Geldmenge gesteigert und damit die Deckung weiter vermindert. Deutschland hätte dafür den Goldstandard verlassen müssen, was jedoch aufgrund der internationalen Vertragswerke nicht möglich war. Vgl. dazu: Schnabel, Isabel, The German Twin Crisis in 1931, in: Journal of economic history, Bd. 64 (2004), Nr. 3, S. 822–871, S. 832. 455 Ziegler, Dieter, After the Crisis. Nationalisation and Re-Privatization of the German Great Banks 1931–1937, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2011, Nr. 2, S. 55–74, S. 63. 456 Verordnung des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über eine Steueramnestie vom 19. September 1931, Reichsgesetzblatt (RGBl.) I, hrsg. vom Reichsministerium des Innern, Jg. 1931, S. 502; Notverordnung des Reichspräsidenten vom 8. Dezember 1931, RGBl 1931, S. 699– 745. 457 Verordnung des Reichspräsidenten über Aktienrecht, Bankenaufsicht und über eine Steueramnestie vom 19. September 1931, RGBl. I. (1931), S. 502. 458 RGBl 1931, S. 699–745.

134  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

dieser Maßnahme war die Senkung der Zinslasten bei schon bestehenden Kreditund Finanzmarktbeziehungen. Auf dem Kapitalmarkt wurden dazu zunächst die Zinsen aller festverzinslichen Wertpapiere gesenkt.459 In der gleichen Weise mussten von den Kreditinstituten auch die Sollzinsen gesenkt werden, also im Wesentlichen die Zinsen für Hypotheken- und Kommunalkredite. Auf dem Geldmarkt wurde der Zinsschnitt nicht verordnet, sondern der Gesetzgeber verlangte von den Spitzenverbänden der Kreditwirtschaft, ein verbindliches Abkommen über die Festlegung der Zinsen für Geldeinlagen zu treffen. Dieses Zinsabkommen wurde am 4. Januar 1932 zwischen dem Bankenverband, dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband, dem Verband der öffentlichen Banken und den genossenschaftlichen Spitzenverbänden geschlossen. Die Verbände verpflichteten sich, einen zentralen Kreditausschuss zu bilden, in dem jeder Verband eine Stimme hatte. Gleichzeitig wurden zusätzlich regionale Kreditausschüsse gegründet. Der zentrale Kreditausschuss legte die Höchstsätze für Habenzinsen für alle Banken verbindlich fest.460 Die regionalen Ausschüsse konnten die Sätze lediglich weiter verschärfen, etwa indem sie einen gegenüber dem Normalzinssatz niedrigeren Zins ansetzten. Insgesamt war durch das Abkommen der Geldmarkt weitgehend reguliert worden. Es galt allerdings nur für Gelder mit einer Kündigungsfrist unter einem Jahr. Gelder die länger fest lagen, konnten weiterhin frei verzinst werden.461 Die Bankenkrise beschleunigte den Strukturwandel im Kreditwesen, der mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs eingesetzt hatte. Teilweise veränderte sie jedoch auch die Richtung dieses Wandels. Die Großbanken, die vorher zu den Gewinnern des Wandels gehört hatten, waren von der Krise in besonderer Weise betroffen, was sich in einem massiven Rückgang des von diesen Instituten ausgelegten Kreditvolumens niederschlug. Weil dieser Rückgang bei anderen Institutsgruppen weniger stark ausgeprägt war, verloren die Großbanken in der Krise an Bedeutung für die Kreditfinanzierung der deutschen Wirtschaft. Demgegenüber gewannen neben den 459 Papiere mit einem Zinssatz zwischen acht und sechs Prozent wurden auf sechs Prozent herunterreguliert; Papiere zwischen acht und zwölf Prozent Zinssatz wurden um zwei Prozent gesenkt. Wertpapiere mit einem Zinssatz über zwölf Prozent wurden auf zwölf oder, wenn sie noch höher als 16 % lagen, um vier Prozent reduziert. 460 Dabei wurde grundsätzlich zwischen Spar- und Kündigungsgeldern auf der einen und Termingeldern auf der anderen Seite unterschieden. Für Erstere galten die von den regionalen Sparkassenverbänden festgelegten Zinssätze der Spareinlagen. Diese dienten nun dem zentralen Kreditausschuss als Orientierung für die Festlegung des „Normalzinssatzes“. Je nach Laufzeit durften Sparund Kündigungsgelder maximal mit einem Prozent über diesem Normalzinssatz verzinst werden. Zinsen für Gelder, die täglich fällig wurden, mussten unterhalb des „Normalzinssatzes“ liegen. Demgegenüber wurden Zinsen für Termingelder in Abhängigkeit des Reichsbankdiskontsatzes vom zentralen Kreditausschuss festgelegt. Dies lag nicht an der unterschiedlichen Laufzeit, sondern an der Höhe dieser Einlagen. Als Termingelder galten Einlagen ab einer Höhe von 25.000 RM. Diese durften maximal mit einem Zinssatz von einem halben Prozent unter dem Diskontsatz der Reichsbank vergütet werden. Goebes, Wettbewerbsabkommen, S. 131. 461 Ebenda.

3.3 „Die Geister, die ich rief…“ 

135

Genossenschaften vor allem die öffentlichen Banken und hier insbesondere die Sparkassen und Staatsbanken Marktanteile. Hier setzte sich der Strukturwandel im Kreditwesen in der Krise also fort. Die Braunschweigische Staatsbank war von der Krise weit weniger betroffen als die Großbanken. Das Wachstum der Bilanzsumme der Staatsbank setzte sich bis zur Bankenkrise fort. 1931 ging sie jedoch um über 20 Millionen Reichsmark oder 10 % zurück. Dies war im Vergleich zu den Großbanken, die zwischen 1930 und 1931 mehr als ein Viertel ihres Geschäftsvolumens einbüßten, ein geringer Wert. Tab. 11: Bilanzsummen der Staatsbank, nominal und preisbereinigt (1914–1932) Bilanzsumme (in Millionen RM)

1928

Nominal

Real

163,3

116,6

1929

184,9

134,8

1930

203,5

163,3

1931

180,3

162,6

1932

176,5

182,9

* Reichsmark-Eröffnungsbilanz vom 1. April 1924. ** Ab 1926 endete das Geschäftsjahr am 31. Dezember, zuvor am 31. März. Quelle: Eigene Berechnungen nach: Achterberg, Staatsbank, S. 160.

In der Bankenkrise selbst profitierte die Staatsbank von dem Aufbau liquider Anlagen in der Stabilisierungsphase.462 Dadurch war das Institut in der Bankenkrise 1931 in der Lage, den Abzug von fast 40 Millionen RM an Einlagen ohne fremde Hilfe zu kompensieren. Dazu rief sie in erster Linie ihr Guthaben bei anderen Banken ab, vor allem bei der Girozentrale und der Landesbankenzentrale.463 Sie musste also zur Kompensation des Abzugs der Einlagen nicht in großem Maße Kredite kündigen.464 Durch die Auflösung der liquiden Anlagen vermied die Staatsbank weitgehend die Verluste, die mit der Kündigung von Krediten mitten in der Krise einhergingen und die vor allem den Großbanken, aber auch den anderen Staatsbanken und vielen Sparkassen zum Verhängnis wurden. Die Folge war, dass die Staatsbank im Gegensatz zu den meisten anderen Instituten über die gesamte Weltwirtschaftskrise hinweg profitabel blieb. 1931 erhielt der Freistaat von der Staatsbank auf das eingezahlte Kapital eine Dividende von 15 %, während die anderen Staatsbanken nur 5 % ausschütteten. Die Quote der Landesbanken und Girozentralen lag bei 0,9 %. Allerdings hatte das Zinsabkommen von Anfang 1932 Auswirkungen auf die Rentabilität, 462 Vgl. Tabelle 8. 463 Eigene Berechnungen auf Basis der Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, Jahrgänge 1930 und 1931. 464 Stellungnahme Stübben, S. 5f, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012.

136  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

weil der Spareinlagezins 1932 nicht in gleichem Maße sank wie der Reichsbankdiskontsatz. Letzterer wurde schrittweise von 7 % auf 4 % zurückgesetzt, was laut dem Habenzinsabkommen keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Spargelder, jedoch Folgen für die Kreditzinsen hatte. Das Direktorium kämpfte über das Jahr 1932 erfolglos gegen den Druck auf ihre Zinsspanne an.465 Die Auswirkungen auf die Gewinne blieben jedoch zunächst relativ gering.466 Dass die Staatsbank von der Weltwirtschaftskrise wirtschaftlich kaum betroffen war, lässt sich auch an den Zahlen der Mitarbeiter und Filialen ablesen. Die Zahl der Beschäftigten stieg auf dem Höhepunkt der Krise von 499 im Jahr 1930 leicht auf 516 am Ende des Jahres 1932.467 Das Wachstum der Landessparkasse ist durch die Krise ebenfalls kaum beeinträchtigt worden. Die Zahl der Sparstellen lag 1934 doppelt so hoch wie 1925.468

Der Wettbewerb um die Industriefinanzierung in der Weltwirtschaftskrise Die Weltwirtschaftskrise versetzte dem traditionellen Bankwesen in Braunschweig endgültig seinen Todesstoß. Nach 1931 gab es im Freistaat keine unabhängige Privatbank mehr. Lediglich zwei Institute überlebten die Krise, beide mit finanzieller Unterstützung der Braunschweigischen Staatsbank. Im Juni 1930 genehmigte der Aufsichtsrat, dass die Staatsbank sich mit einer Kommanditeinlage von 300.000 RM an dem Bankhaus Gebrüder Löbbecke & Co. beteiligte. Das Bankhaus war zu diesem Zweck erst in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt worden. Der Kommanditvertrag gab der Staatsbank auf die Geschäfte des Privatbankhauses so viel Einfluss wie auf eine ihrer eigenen Zweigkassen.469 Sehr ähnlich wie im Fall der Gebrüder Löbbecke verfuhr die Staatsbank im Fall des Wolfenbütteler Bankhauses Seeliger & 465 Zunächst versuchten sie im September 1932, den regionalen Sparzins auf drei Prozent herunterzusetzen, was jedoch daran scheiterte, dass die Kunden auf Zinssenkungen mit dem Abzug ihrer Mittel reagierten. Um dem entgegenzuwirken, hielten sie die Zweigkassenleiter sogar dazu an, den Kunden Konten mit einjähriger Kündigungsfrist anzubieten, weil die Zinsen hier nicht dem Abkommen unterlagen. Die Staatsbank zahlte für einjährige Gelder 5,25 %, also mehr als den Diskontsatz der Reichsbank, der bereits im April auf 5 % gesunken war. Rundverfügung Nr. 43 des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an alle Bankkassen vom 3. März 1932, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 2035/2. 466 Vgl. Tabelle 7, S. 124. 467 Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge. 468 Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank 1924/25, S. 8 und 1930, S. 8; Das Kreditgeschäft der Staatsbank, ohne Datum, S. 9, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 120. 469 Protokoll der 46. Aufsichtsratssitzung vom 28. Juni 1930, in: Protokoll des Aufsichtsrates, S. 44; Schreiben des Direktoriums an den Braunschweigischen Finanzminister 21. Juni 1932, in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26316; Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1930, S. 9. Erich Achterberg nennt als Datum dieser Beteiligung das Jahr 1927. Es findet sich jedoch nirgends ein Hinweis darauf, dass diese Transaktion bereits zu diesem Zeitpunkt stattfand. In den Protokollen des Aufsichtsrates wird über die Beteiligung am 30. Juni 1930 entschieden. Ebenso wird im Jahresbericht der Staats-

3.3 „Die Geister, die ich rief…“ 

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Co. Auch hier wurde das Bankhaus in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt und die Staatsbank führte ihr auf dem Wege der Kommanditeinlage Kapital zu.470 Der Staatsbank ging es bei diesen Beteiligungen einerseits um den Erhalt der Struktur des regionalen Kreditwesens. Im Geschäftsbericht 1929, der im Februar 1930 verfasst wurde, erklärte Stübben den Erhalt des Privatbankiersstandes zu einer öffentlichen Aufgabe: „Es liegt im volkswirtschaftlichen Interesse, die Schicht der Privatbankiers, die mit dem gewerblichen und produzierenden Mittelstande in besonderem Umfange verbunden sind, dem Wirtschaftsleben zu erhalten.“471 Aus zwei Hinweisen im Geschäftsbericht 1930 und aus einer internen Denkschrift ist zu schließen, dass die lange Tradition der beiden Bankhäuser den Ausschlag für die Entscheidung zur Rettung gegeben hat.472 Mit Löbbecke und Seeliger hatte sie die größten, ältesten und angesehensten Banken des Landes ausgewählt. Sie bestehen bis heute. Allerdings spielten zumindest bei Seeliger auch finanzielle Aspekte eine Rolle, weil die Staatsbank dem Privatbankhaus im Vorfeld sowohl Kredite gewährt als auch größere Summen dort angelegt hatte.473 Die Beteiligung an den beiden Privatbanken erfolgte nur etwas mehr als ein Jahr nach dem Verkauf der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt. Auch dies zeigt den Umschwung im Wettbewerb, in dem die Staatsbank wieder auf Expansion umschaltete. Der Zeitraum währte jedoch nur bis zur Bankenkrise im Juli 1931. Danach war die Staatsbank damit beschäftigt, ihre eigene Liquidität sowie die ihrer Beteiligungen zu erhalten. Zu diesem Zeitpunkt war sie nur eingeschränkt handlungsfähig, was dauerhafte Rettungsaktionen für andere Banken praktisch ausschloss. So mussten am 30. Juli 1931 das Bankhaus Meyersfeld und am 12. Oktober 1931 das Bankhaus N. S. Nathalion Nachf. ihre Schalter schließen.474 Beide Bankhäuser hatten stark in die Konservenindustrie investiert, die ihre Produktionskapazität in den Jahren 1927 bis 1929 massiv gesteigert hatte und nun in der Weltwirtschaftskrise ihre Konservendosen nicht mehr absetzen konnte. Die Folge waren Konkurse und Massenentlassungen.475 Die Kredite der Banken an die Konservenindustrie saßen fest, was die Gefahr der Illiquidität der Banken stark erhöhte. Dies galt auch für die beiden Banken, bank von 1930 die Beteiligung verkündet. Daher ist Achterberg höchstwahrscheinlich ein Fehler unterlaufen. Achterberg, Staatsbank, S. 168. 470 Dies wurde in derselben Aufsichtsratssitzung beschlossen. Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 67, NWA 8, Nr. 766. Für eine detaillierte und quellengestützte Darstellung dieses Vorgangs und seiner Hintergründe vgl. Schneider-Braunberger, Andrea H., Alles mit Bedacht? 225 Jahre Bankhaus Seeliger, Kapitel 3: Wechselvolle Jahre, Braunschweig 2019, S. 75–94. 471 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1929, S. 6. 472 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank 1930, S. 9; Denkschrift „Das Kreditgeschäft der Staatsbank“ ohne Datum, in: NLA WO 12 Neu Wirtschaft 13, Nr. 45952. 473 Schneider-Braunberger, Alles mit Bedacht?, S. 80 f. 474 Roloff, Der Staat von Weimar, S. 176; Sozialdemokratischer Pressedienst, Berlin, den 12. Oktober 1931, S. 8. 475 Roloff, Bürgertum und Nationalsozialismus, S. 176.

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an denen die Staatsbank beteiligt war. Wie wichtig hier die vorherige Kapitaleinlage war, zeigt das Beispiel Löbbecke. Die Bank hatte aufgrund der Krise der Konservenfabriken so hohe Verluste, dass das durch die Eigentümerfamilien gehaltene Geschäftskapital auf nur noch 60.000 RM zusammengeschmolzen war. Ohne die Kommanditeinlage der Staatsbank wäre Löbbecke vermutlich Ende des Jahres 1931 zahlungsunfähig gewesen. Die Staatsbank reagierte erst im Juni 1932 und stockte die Kommanditeinlage noch einmal auf 500.000 RM auf.476 Ebenfalls 1932 kaufte die Staatsbank das Gebäude der sich im Vergleich befindlichen Bank Nathalion Nachf. und richtete dort eine eigene Zweigstelle ein.477 Bis zum Juli 1931 hatte die Staatsbank eine Politik der Bankenrettung durchgeführt, die immerhin zwei größere Privatbanken über die Krise rettete. Nach der Julikrise konnte die Staatsbank Bankenzusammenbrüche aufgrund der allgemeinen Panik nicht mehr verhindern, sondern lediglich nur noch abmildern. Im Bereich der Industriefinanzierung waren die Großbanken die einzig verbliebenen Wettbewerber der Staatsbank. Ihre Wettbewerbsposition in Braunschweig hatte sich jedoch mit Ausbruch der Weltwirtschaftskrise massiv verschlechtert. Dies lag im Wesentlichen daran, dass der finanzielle Vorteil der Großbanken durch die Auslandskredite sich in der Krise in einen Nachteil verwandelte. Die Großbanken verloren spätestens seit 1930 Einlagen, während bei der Staatsbank 1930 noch einmal zehn Millionen RM an zusätzlichen Geldern angelegt wurden. Die neugewonnenen Einlagen investierte die Staatsbank in erster Linie in das Privatkundengeschäft. Das Volumen der kurzfristigen Geschäftskredite erhöhte sich zwischen 1928 und 1930 um 8 Millionen RM auf insgesamt 23,5 Millionen RM. Die Zahl der Industriekredite erhöhte sich in der gleichen Zeit um über 40 und erreichte damit wieder das Niveau von 1926. Auch diesmal waren darunter regional bedeutende Unternehmen, wie der Landmaschinenhersteller Welger in Wolfenbüttel. Dieses Unternehmen, das hauptsächlich Strohpressen herstellte, wurde von der Staatsbank im März 1929 als Kunde gewonnen. Sie löste zusammen mit der Commerzbank die Deutsche Bank und Disconto-Gesellschaft als Hausbank des Unternehmens ab. Der Kredit an Welger hatte eine ähnliche Dimension wie der an Bremer & Brückmann und lag im Bereich von einer Million RM, wobei die Staatsbank zwei Drittel der Summe aufbrachte.478 Die Staatsbank hatte also die Führungsrolle bei diesem Kredit inne. Der Gemeinschaftskredit mit der Commerzbank entstand kurz nach dem Verkauf der Braun-

476 Schreiben des Direktoriums an den Braunschweigischen Finanzminister 21. Juni 1932, in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26316. 477 Die Bank, Bd. 25 (1932), Nr. 1, S. 476. Ob sie auch die Debitoren der Bank übernahm, konnte nicht festgestellt werden. 478 Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Braunschweigischen Finanzminister vom 8. November 1934 [Bg/Ac.14], in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26316.

3.3 „Die Geister, die ich rief…“ 

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schweigischen Bank und Kreditanstalt an dieselbe Großbank und kann daher als Teil einer Kooperation zwischen diesen beiden Instituten verstanden werden. Nach der Bankenkrise 1931 veränderte sich der Wettbewerb um die Industriefinanzierung erneut. Einerseits wurden die Möglichkeiten des Konditionenwettbewerbs stärker reguliert. Das infolge der Notverordnung vom 8. Dezember 1931 von den zentralen Verbänden der Kreditwirtschaft ausgehandelte Zinsabkommen enthielt auch für die Kreditkonditionen wichtige Bestimmungen. So wurden auf regionaler Ebene gemeinsame Ausschüsse der Kreditwirtschaft eingerichtet. Diese bestimmten allerdings keine verbindlichen Höchst- oder Mindestsätze für Kreditzinsen, sondern lediglich unverbindliche Empfehlungen. Im Kreditgeschäft konnte im Gegensatz zum Einlagengeschäft also noch Preiswettbewerb stattfinden. Dabei waren die Empfehlungen der Regionalausschüsse durchaus wirkmächtig, wie die Staatsbank erfahren musste. Über die Frage der Zinsempfehlungen geriet die Staatsbank in eine Auseinandersetzung mit der „Vereinigung braunschweigischer Banken und Bankiers“, der sie nach wie vor angehörte, die jedoch gegen den Willen der Staatsbank eine Senkung der Kreditzinsen beschlossen hatte. Die Staatsbank verbot ihren Zweigkassen daraufhin, Kredite zu vergeben, die die Klausel enthielten, dass der Sollzins gemäß den Beschlüssen der Vereinigung festgelegt werden würde. Damit wollte sie verhindern, dass der Sollzinssatz unter 5 % fiel.479 Unter dem Druck der Konkurrenz musste die Staatsbank ihre Sollzinsen letztlich dennoch senken. Die Staatsbank klagte in ihrem Geschäftsbericht daher auch über eine geringere Zinsspanne.480 Auch unter dem Zinsabkommen war also Konditionenwettbewerb möglich. Allerdings spielte er bei der Industriefinanzierung nur noch eine geringe Rolle. Vielmehr wurde die Frage des Kreditrisikos entscheidend. Nach der Bankenkrise 1931 spitzte sich die finanzielle Notlage der braunschweigischen Industrie noch einmal zu. Die finanzielle Unterstützung der Staatsbank wurde für viele Betriebe überlebenswichtig. Den Anfang machte Bremer & Brückmann, die im Februar 1932 saniert werden mussten. Die Firma hatte bereits seit 1930 keine Dividende mehr gezahlt. Die Staatsbank erlitt bei der Sanierung einen finanziellen Verlust von 360.000 RM. Die Staatsbank und Werner Brückmann räumten sich in dem Sanierungsvertrag ein gegenseitiges Vorkaufsrecht für die Bremer & Brückmann-Aktien ein, sodass keine der beiden Seiten ohne Wissen des Anderen seine Aktien verkaufen konnte.481 Wie bei den Privatbanken stand die Staatsbank bei Bremer & Brückmann aufgrund der 1926 479 Rundverfügung Nr. 190 des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an alle Bankkassen vom 31. Oktober 1932, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 2035/2. 480 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank von 1932, S. 3. 481 Für die Sanierung wurde das Aktienkapital auf 600.000 RM halbiert und anschließend wieder auf 800.000 RM erhöht. Die Staatsbank hatte zu diesem Zeitpunkt 960.000 RM an Stammaktien gehalten. Sie war also von dem Kapitalschnitt direkt betroffen. Die neu ausgegebenen Aktien erhielt die Familie Brückmann, die dafür ihre Familienfirma Brückmann & Co. als Sachkapital in die Firma einbrachte. 3. Beiratssitzung vom 18. Mai 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135.

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eingegangenen Beteiligung bereits im Risiko. Sie hatte also ein betriebswirtschaftliches Interesse daran, das Unternehmen nicht untergehen zu lassen. Ebenfalls im Februar 1932 musste die Braunschweigische Maschinenbauanstalt (BMA) ihre Zahlungen einstellen. Im März wurde daraufhin ein Vergleichsverfahren eröffnet. Die Ursachen hierfür waren vielschichtig. Die BMA stellte die gesamte Maschinenausstattung für Zuckerfabriken her. Die Firma litt im Inland unter dem starken Rückgang der Investitionen in Maschinen und Anlagen, der seine Ursache in der Deflation und der damit verbundenen geringen Auslastung vor allem der Zuckerfabriken hatte. Der Rückgang des Geschäftes allein war jedoch nicht der Grund für die Stilllegung, sondern die Illiquidität des Unternehmens, eine direkte Folge der Übernahme der BMA durch die Bank Ephraim Meyer & Sohn aus Hannover im Jahr 1928.482 Dadurch waren für die BMA selbst kleinere Zahlungsausfälle lebensbedrohlich. Dieser Fall trat ein, als Zahlungen aus einem Exportgeschäft nach Spanien Anfang 1932 ausfielen. Um während der Zeit des Vergleichsverfahrens ein Mindestmaß an Produktion aufrechtzuerhalten, bat die eingesetzte Verwaltung um Dr. Bock W. Haars die Braunschweigische Staatsbank und die Dresdner Bank um einen Zwischenkredit von 75.000 RM (Dresdner: 50.000, Staatsbank: 25.000).483 Damit konnte das für Braunschweig wichtige Unternehmen einstweilen über Wasser gehalten werden. Eine endgültige Lösung wurde jedoch erst im Sommer 1933 gefunden. Der Treuhänder bei der BMA errechnete aufgrund eines Gutachtens einen Kreditbedarf von 250.000 RM. Mit einem Teil davon sollten die Gläubiger abgefunden, mit dem Rest die Betriebskosten vorgestreckt werden. Der Sanierungsplan sah vor, dass die Dresdner Bank und die Staatsbank sich die Summe teilen sollten. Die Dresdner Bank war dazu jedoch nicht bereit, weil sie von Ephraim & Meyer bereits Kreditforderungen an die BMA übernommen hatte.484 Daraufhin appellierte der Treuhänder Haars an die Verantwortung der Staatsbank für die regionale Wirtschaft: „Die B. M. A. ist die einzigste [sic!] Firma, die in Braunschweig eine Gießerei betreibt. Infolgedessen ist die 482 Diese hatte die BMA danach veranlasst, insgesamt 550.000 RM für eine Kapitalerhöhung der Lindener Eisen- und Stahlwerke AG aufzubringen, die ebenfalls zu Ephraim Meyer & Söhne gehörte. Ein von dem Treuhänder der Gläubiger der BMA Bock W. Haars angefordertes Gutachten zur Untersuchung der finanziellen Situation der BMA gab den gesamten Kapitalentzug bis Ende 1931 mit etwa einer Millionen RM an. Die Kapitalausstattung hing nun zu einem großen Teil vom Wert der Aktien der Lindener Eisen- und Stahlwerke ab, die 1931 Insolvenz anmelden mussten. Da Ephraim Meyer & Söhne durch die massiven Kursverluste ihres Aktienbesitzes selbst in Liquiditätsschwierigkeiten steckte, konnte sie ihrer Tochter in Braunschweig nicht helfen. Bericht des Wirtschaftsprüfers Soest, Anlage 2 in: Brief des Notars Dr. Jur. Bock W. Haars an das Staatsministerium Braunschweig vom 10. Mai 1933, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 49863. 483 Die Dresdner Bank wurde deshalb angefragt, weil sie 1931 Ephraim Meyer & Söhne durch eine Bürgschaft in Höhe von fünf Millionen RM vor dem Konkurs bewahrt und damit zum größten Gläubiger der Privatbank geworden war. Köhler, Ingo, Die „Arisierungen“ der Privatbanken im Dritten Reich. Verdrängung, Ausschaltung und die Frage der Wiedergutmachung, München 2005, S. 262. 484 Brief des Notars Dr. Jur. Bock W. Haars an das Staatsministerium Braunschweig vom 10. Mai 1933, S. 9, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 49863.

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Fortsetzung des Betriebes der B. M. A. für die braunschweigische Wirtschaft geradezu lebensnotwendig.“485 Dieses Argument wirkte. Nach langen Verhandlungen wurde die Lösung gefunden, die übrigen 125.000 RM im Wege der Aktienemission unter besonderer Beteiligung der Staatsbank und der mit ihr verbundenen Privatbank Gebrüder Löbbecke unterzubringen. Im Juni 1933 wurden die kleineren Gläubiger mithilfe des Kredits der Staatsbank abgefunden und das Unternehmen konnte wieder voll in Gang gesetzt werden.486 Die Sanierung der BMA war vergleichbar mit der Kredithilfe an die Firma Welger. Auch hier hatte die Staatsbank eine Großbank als Kreditgeber abgelöst. Gerade nach der Bankenkrise waren die Großbanken stark angeschlagen und mitten im Prozess der Teilverstaatlichung geschäftspolitisch gehemmt. Die Staatsbank dagegen war sowohl wirtschaftlich solvent und zunehmend auch bereit, die Risiken der Finanzierung von Unternehmenssanierungen einzugehen. Bei der Kalkulation des Risikos spielten politische Aspekte eine bedeutende Rolle. In der Weltwirtschaftskrise standen Finanzierungsentscheidungen der Staatsbank generell noch stärker im Fokus der politischen Öffentlichkeit als in der Stabilisierungsphase. Dies lag vor allem an der problematischen wirtschaftlichen und sozialen Lage im Land. Im Freistaat Braunschweig war die Arbeitslosigkeit von 16.600 im Jahr 1929 auf 27.500 ein Jahr später gestiegen. 1931 erhöhte sie sich dann deutlich auf 47.200. Die Zahl der Konkurse stieg in Braunschweig sprunghaft von 87 im Jahr 1930 auf 150 im Folgejahr.487 Der Staatsbank war die politische Wirkung von Finanzierungsentscheidungen sehr bewusst. So schlachtete sie ihre Anstrengungen um die Rettung der BMA zum Beispiel als Erfolg im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit öffentlichkeitswirksam aus.488 In diesem Umfeld stieg jedoch auch der Druck auf die Staatsbank, auch Finanzierungen vorzunehmen oder aufrechtzuerhalten, die betriebswirtschaftlich schwer zu rechtfertigen waren. Diese Zwänge wirkten besonders im Fall Helmstedter Glashütte. Die Hütte lag seit Dezember 1930 still und angesichts des problematischen wirtschaftlichen Umfeldes sowie der übermächtigen Konkurrenz des „Deutschen Tafelglasvereins“ hatte die Staatsbank auch wenig Hoffnung, dass der Zustand sich in absehbarer Zeit ändern würde. In dieser Situation erhielt die Staatsbank für sie vollkommen überraschend ein Angebot der tschechoslowakischen Mühlig-Union, die Glashütte zu kaufen, und schlug ohne lange zu zögern zu. Im März 1931 verkaufte sie die Helmstedter Glashütte. Sie konnte dabei sowohl eine selbstschuldnerische Bürgschaft des Müh485 Ebenda, S. 5. 486 Das Betriebskapital der BMA wurde von 1,6 Millionen RM auf 40.000 RM herunter- und anschließend wieder auf 400.000 RM heraufgesetzt. 487 Pollmann, Birgit; Ludewig, Hans-Ulrich, Nationalsozialistische Wirtschaftspolitik im Lande Braunschweig 1930–1939, Teil 1: in: Nationalsozialistische Wirtschaftspolitik in den Krisenjahren 1930–1933, in: Braunschweigisches Jahrbuch 65 (1984), S. 115–138, S. 119. 488 „Die Sanierung der BMA“, in: Braunschweigische Landeszeitung vom 16. Juli 1933, S. 19.

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lig-Konzerns für ihren Kredit als auch einen Verkaufspreis aushandeln, der etwas oberhalb des Kurswertes der Aktien von 50 % des Nennwertes lag, auf dem sie am 31.12.1930 standen.489 Dies war ohne Zweifel ein recht gutes Angebot angesichts der wirtschaftlichen Lage der Glashütte. Außerdem erhielt der Vertrag einen Passus, der die Mühlig-Union verpflichtete, die Hütte „binnen angemessener Frist wieder in Betrieb zu setzen“.490 Die Staatsbank war hochzufrieden mit dem Ausgang. Sie hatte jedoch wie schon im Fall des Verkaufs der „Braune-Bank“ die Verhandlungen im Geheimen geführt. Die braunschweigische Regierung fühlte sich nach Bekanntwerden der Ereignisse in Helmstedt von der Staatsbank vorgeführt, weil sie von dem Verkauf der Glashütte, die ja erst auf Wunsch der Regierung von der Staatsbank übernommen worden war, aus zweiter Hand erfuhr. Die Mitglieder des Direktoriums stellten aber klar, dass sie laut Gesetz keiner Erlaubnis seitens des Ministeriums bedürften. Schließlich gaben sie ihrer Enttäuschung darüber Ausdruck, dass die Reaktion des Ministeriums aus Kritik statt aus Anerkennung über das Vorgehen der Staatsbank bestand: „Das Ergebnis ist so, daß u. E. auch der Staat allen Anlaß hätte, sich darüber zu freuen, daß es gelungen ist, so aus der unglücklichen Situation wieder herauszukommen. Ein Wort der Anerkennung darüber, daß die Staatsbank zur Erfüllung staatlicher Wünsche ihre Haut in so weitgehender Weise zu Markte getragen hat, ist nie gefallen.“491 Damit meinte die Staatsbank ausdrücklich auch die von der Mühlig-Union gegebene Garantie zur Wiederinbetriebnahme der Hütte. Der so plötzlich als „weißer Ritter“ erschienene ausländische Konzern hatte allerdings nie die Absicht, sie wieder in Gang zu setzen. Die Glashütte wurde nur als Druckmittel für einen Streit zwischen dem hinter der Mühlig-Union stehenden tschechoslowakischen Exportkartell für Flachglas „Vitrea“ und dem „Deutschen Tafelglasverein“ als Kartell der deutschen Hersteller benutzt.492 Beim Verkauf der Helmstedter Glashütte an die Mühlig-Union im März 1931 hatten Stübben und sein Stellvertreter Wilhelm Rungs zwei Aufsichtsratsmandate für vier Jahre für sich ausgehandelt. Sie hatten zusätzlich für den Fall, dass diese Aufsichtsratsmandate von der Mühlig-Union gekündigt werden würden, vertraglich ver489 Das Direktorium Staatsbank an den Herrn Ministerialrat von Hantelmann vom 10. April 1931, in NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26316. 490 Erklärung der Mühlig-Union Glasindustrie AG vom 18. Februar 1931, in: BArch R3101/15262. 491 Das Direktorium Staatsbank an den Herrn Ministerialrat von Hantelmann vom 10. April 1931, in NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26316. 492 Vitrea wollte für die ihm angeschlossenen Unternehmen einen Zugang zum deutschen Markt erzwingen. Der Kauf der Helmstedter Glashütte diente dem Kartell lediglich als Druckmittel, um eine feste Importquote für tschechoslowakisches Glas auszuhandeln. Im Juni 1931 einigten sich die Kontrahenten auf eine Quote von fünf Prozent des deutschen Marktes für Vitrea, die sie entweder aus Helmstedt oder aus der Tschechoslowakei auf den Markt bringen konnten. Da Vitrea die Interessenvertretung der tschechoslowakischen Hersteller war, stellte sich die Frage nach der Herkunft des Tafelglases nicht mehr. Die Helmstedter Glashütte hatte ihre Aufgabe als Druckmittel erfüllt. Sie wurde nicht wieder in Betrieb genommen. Spoerer, Konzentrationsprozess, S. 97 f.

3.3 „Die Geister, die ich rief…“ 

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einbart, dass die Tantiemen über die vollen vier Jahre in der gesamten Höhe zu zahlen wären. Im Falle von Stübben waren dies 16.000 RM und bei Rungs die Hälfte dieser Summe. Dieser Fall trat Anfang Oktober 1931 ein. Der Abschluss einer Vereinbarung zwischen den beiden Kartellen, von der anscheinend auch die Staatsbankführung überrascht worden war, zwang Stübben und Rungs zum Rücktritt aus dem Aufsichtsrat, weil ihnen nun spätestens klar wurde, dass die MühligUnion nie die Absicht gehabt hatte, die Hütte wieder in Gang zu setzen. Die Situation in Helmstedt barg ohne Zweifel großen politischen Sprengstoff für Stübben und Rungs. Interessierte Kreise konnten diesen Vorfall so darstellen, dass die Staatsbankführung sich den Verkauf an die Mühlig-Union fürstlich bezahlen ließ, während hunderte Arbeitslose vergeblich auf die Wiederingangsetzung der Hütte warteten. Das Interesse, der Staatsbankführung zu schaden, bestand insbesondere auf Seiten der Nationalsozialisten. Diesen waren Stübben und Rungs spätestens seit der Bankenkrise ein Dorn im Auge. Dies hatte allerdings weniger mit der Finanzierung der braunschweigischen Industrie als mit der Finanzierung des Freistaates zu tun.

Der Konflikt der Staatsbank mit der NSDAP um die Finanzierung des Freistaates In der Weltwirtschaftskrise stieg die Verschuldung des Freistaates weiter an.493 An weitere Emissionen von Staatsanleihen oder Schatzanweisungen war nun nicht mehr zu denken, weil die Kurse der bestehenden braunschweigischen Staatsanleihen weit unter dem Niveau der anderen Länder lagen.494 Die unbequeme Wahrheit für die Regierung Braunschweigs war, dass der Freistaat außerhalb der Staatsbank nirgendwo mehr Kredit hatte.495 Spätestens in der Weltwirtschaftskrise hatte sich das Verhältnis zwischen dem Land und der Bank umgekehrt. Die Staatsbank hatte ihre Kreditwürdigkeit nicht dem Land zu verdanken, sondern das Land bekam nur noch aufgrund der Kreditwürdigkeit der Bank Kredit. Die Kreditwürdigkeit der 493 Von den 58,7 Millionen RM Schulden, die der Freistaat Ende 1930 hatte, waren 23 Millionen RM direkte Schulden bei der Staatsbank. Übersicht des Staatsvermögens nach dem gegenwärtigen Stande, 20. Dezember 1930, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 308. Zusätzlich repräsentierte sie direkt oder durch ihre Kunden einen Teil der Staatsanleihen und unverzinslichen Schatzanweisungen, durch die der Staat ebenfalls Schulden aufgebaut hatte. 494 Der Kurs der achtprozentigen Staatsanleihe von 1929 notierte bei der Wiedereröffnung der Börse am 12. April 1932 bei 38 % (Durchschnitt der öffentlichen Anleihen im April 1932: 53,5 %). Stellungnahme Stübben, S. 13, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. Durchschnitt der öffentlichen Anleihen bei Fischer, Landesbank, S. 297. 495 Als in der Frankfurter Zeitung im Februar 1931 ein Artikel über die Finanzlage des Freistaates Braunschweig erschien, musste die Staatsbank ihren internationalen Verhandlungspartnern, mit denen sie gerade ein langfristiges Darlehen aushandeln wollte, noch einmal explizit bestätigen, dass die Staatsbank der Kreditnehmer des Kredites sein sollte und nicht der Staat Braunschweig. Entwurf eines Schreibens an die Spar- und Darlehnskasse Bern, Schweiz vom 23. Februar 1931, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr.308.

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Staatsbank hing weder von den finanziellen Verhältnissen des Freistaates noch von der Eigenkapitalausstattung ab, sondern war das Ergebnis der sehr vorsichtigen Liquiditätspolitik der Staatsbankführung. Die finanzielle Schwäche des Freistaates war die eigentliche Ursache für diese Politik. Die größere wirtschaftliche Macht hat die Staatsbank jedoch zumindest bis 1931 nicht genutzt, um den Kreditrahmen des Freistaates zu begrenzen. Kreditnachfragen des Staates wurden bis zur Bankenkrise im Sommer 1931 nie grundsätzlich abgelehnt.496 Erst Anfang 1931 warnte das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank die Regierung des Freistaates das erste Mal vor einem Kreditstopp. In einem Schreiben vom 4. Februar hatte der damalige Staatsbankpräsident Oscar Stübben dem Finanzminister Küchenthal vertraulich mitgeteilt, dass die Staatsbank aus Liquiditätsgründen voraussichtlich keine weiteren Kredite an den Staat mehr geben könne. Der Staatskredit hatte demnach begonnen, sich negativ auf die Kreditwürdigkeit der Staatsbank auszuwirken. Stübben forderte Küchenthal deshalb auf, bei den Haushaltsverhandlungen auf die Wiederherstellung der staatlichen Kreditwürdigkeit hinzuwirken, damit fremde Gelder für den Staat eingeworben werden konnten.497 Die Wiederherstellung der Kreditwürdigkeit des Freistaates misslang jedoch vor dem Hintergrund des Höhepunktes der Bankenkrise im Juli 1931 und so machte die Staatsbank ihre Ankündigung wahr. Das Direktorium fasste nach der Julikrise den Entschluss, dem Finanzminister Werner Küchenthal mitzuteilen, dass die Staatsbank den Kreditrahmen des Freistaates vorübergehend auf dem Niveau vom 13. Juli einfrieren müsse. Dieses Niveau lag bei etwa 30 Millionen RM.498 Die eigenmächtige Kreditsperre gegenüber dem eigenen Gewährträger war angesichts des Abzugs von 40 Millionen RM an Einlagen direkt nach der Bankenkrise wirtschaftlich notwendig. Politisch war diese Entscheidung jedoch heikel. Denn auch wenn die Staatsbank rechtlich selbstständig war, so standen doch das Direktorium und besonders der Staatsbankpräsident als Beamte im Staatsdienst. Diese Konstellation konnte nicht lange gut gehen. Der Regierung inmitten der schwierigsten Phase der Wirtschaftskrise den Geldhahn zuzudrehen, sollte sich für Stübben als Bumerang erweisen. Denn der Staatsbankpräsident wollte seine Finanzpolitik ohne und gegen eine Regierung durchsetzen, an der seit 1930 die Nationalsozialisten beteiligt waren. Während das gute Abschneiden der NSDAP bei der Reichstagswahl im September 1930 hauptsächlich psychologische Wirkungen hatte, waren die Konsequenzen im Freistaat sehr viel schwerwiegender. Von 1927 bis zu dieser Wahl hatte dort die SPD alleine regiert.499 Eine bürgerlich-nationalsozialistische Regierung war 1930 durch das Wahlergebnis möglich, die andere Alternative wäre eine große Koalition 496 Allerdings verlangte die Staatsbank häufig zusätzliche Sicherheiten wie Schatzwechsel. 497 Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Vorsitzenden des Staatsministeriums Herrn Finanzminister Küchenthal vom 4. Februar 1931, in: NLA WO 12 Neu Wirtschaft 13, Nr. 26317. 498 Stellungnahme Stübben, S. 13, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. 499 Roloff, Bürgertum und Nationalsozialismus, S. 21.

3.3 „Die Geister, die ich rief…“  145

oder das Ausbrechen der DVP aus der Einheitsliste des Landeswahlverbandes und deren Zusammengehen mit der SPD gewesen.500 In Braunschweig hatte sich jedoch in den Jahren der Alleinregierung der SPD eine sehr starke Frontstellung zwischen ihr und den bürgerlichen Parteien gebildet. Das Ziel einer umfassenden Revision sozialdemokratischer Politik wurde deshalb auch bei der DVP als wichtiger angesehen als die Sorge um die politischen Ziele der NSDAP.501 Die bürgerlichen Parteien gingen also bereits 1930 das Wagnis einer Koalition mit der NSDAP ein. Die Chance, die SPD abzulösen, schien so verlockend zu sein, dass die bürgerlichen Parteien der NSDAP sogar die Wahl des Ministerpostens überließen. Es war bereits vorher vereinbart worden, dass es nur noch zwei Minister geben sollte. Die NSDAP forderte und bekam das Innen- und Volksbildungsministerium und damit die Kontrolle über die Polizei. Die Einheitsliste musste mit dem Justizund Finanzministerium vorliebnehmen. Das Finanzministerium war deshalb nicht attraktiv, weil der Staat Braunschweig in diesem Bereich kaum Initiative entwickeln konnte. Bei den Steuereinnahmen war die Regierung von der Reichspolitik abhängig, bei der Kreditaufnahme hauptsächlich von den Möglichkeiten der Braunschweigischen Staatsbank, Kapital zu beschaffen. Ernst-August Roloff fasste deshalb zusammen, dass über das Finanzministerium kein besonderer Einfluss auf die Geschicke des Freistaates ausgeübt werden konnte. Der Finanzminister der bürgerlichen Parteien wurde, wie schon 1926–27, Dr. Werner Küchenthal von der DNVP. Dieser trat in der politischen Auseinandersetzung wenig in Erscheinung und wurde hauptsächlich wegen seines Hintergrundes als langjähriger Spitzenbeamter des Landesfinanzamtes Hannover als Fachmann für das Finanzwesen nominiert.502 Küchenthal wurde aufgrund der Mandatsmehrheit der Einheitsliste gegenüber den Nationalsozialisten zum Ministerpräsidenten ernannt. Der NSDAP-Minister Anton Franzen aus Kiel wurde von der Reichsparteileitung empfohlen. Franzen war ein eher unauffälliger Politiker, der ähnlich wie Küchenthal hauptsächlich aufgrund der – in der NSDAP zu diesem Zeitpunkt gerade auf regionaler Ebene rar gesäten – Fachkompetenz ausgewählt wurde. Die politischen Schwergewichte der Koalition saßen im Landtag. Dies änderte sich allerdings, als Franzen am 27. Juli 1931 aus Protest gegen die Maßnahmen der Reichsregierung zurücktrat.503 500 Im 1930 neu gewählten und auf 40 Mandate verringerten Landtag in Braunschweig bekamen die Sozialdemokraten 17 Sitze. Die für die Wahl geformte Bürgerliche Einheitsliste, der alle bürgerlichen Parteien außer der Staatspartei angehörten, konnte elf Sitze erreichen, die NSDAP bekam neun Sitze, die KPD zwei und die Staatspartei einen Sitz. Rother, Der Freistaat Braunschweig, S. 972. 501 Roloff, Bürgertum, S. 29. 502 Personalakte Küchenthal, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 552. Der eigentliche Führer des Bürgerblocks, Ernst August Roloff, hatte das Ministeramt abgelehnt, weil er Innenminister werden wollte und wie auch die Führer der NSDAP in dem anderen Ministerium keinen politischen Gewinn entdecken konnte. Roloff, Bürgertum, S. 28. 503 Der Auslöser dafür war die Notverordnung der Reichsregierung vom 5. Juni 1931, in der unter anderem Steuererhöhungen und Einführungen neuer Steuern, Kürzungen bei den Sozialversicherungen und Gehältern im öffentlichen Dienst und bei den Beamten verabschiedet wurden. Diese

146  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Mit seinem Rücktritt war die Koalition eigentlich am Ende. Doch Hitler wollte unbedingt ihre Fortsetzung und auch einen nationalsozialistischen Minister behalten. Er verstand die Regierungsbeteiligung in Braunschweig ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Kampfes um die Eroberung der Macht im Reich. Er brauchte Braunschweig als Basis für Aktivitäten, die andere Länder ihm nicht gestattet hätten.504 Als Nachfolger von Franzen setzte er deshalb am 15. September 1931 Dietrich Klagges ein. Mit diesem änderte sich die Stimmungslage im Freistaat fundamental. Auch Klagges selbst verstand sich in seiner Position in Braunschweig eher als Wegbereiter einer nationalsozialistischen Machtergreifung im Reich denn als braunschweigischer Minister. Direkt im Anschluss an seine Ernennung organisierte er in der Stadt Braunschweig am 18. Oktober den größten Aufmarsch der Kampfverbände der NSDAP in Deutschland vor der Machtübernahme im Reich. Über 100.000 SAund SS-Schergen marschierten durch die Stadt am Schlossplatz vorbei, wo Hitler die Parade abnahm.505 In den folgenden eineinhalb Jahren bis zur Machtergreifung setzte Dietrich Klagges den Druck der Straße immer wieder als politische Waffe ein, um seine Forderungen auch gegen den Koalitionspartner durchzusetzen. Diese politische Konstellation ist wichtig, um die Dynamik des Konfliktes zwischen der Regierung und der Staatsbankführung zu verstehen. Die Geschäftsführung der Staatsbank konnte rein wirtschaftlich keinen Grund zur Beanstandung liefern. Politisch jedoch hatte Oskar Stübben sich durch seine Geschäftsführung zum Gegner der Nationalsozialisten gemacht, allen voran von Franz Groh und Dietrich Klagges. Stübben war Klagges Gegner, weil dieser ihm durch die Kreditsperre eines wichtigen Machtmittels beraubt hatte. Roloff deutet diesen Zusammenhang nur an: „Die Notverordnungen Brünings, deren drastische Sparmaßnahmen vor allem die Ausgaben der öffentlichen Hand drosselten, hatten Klagges nach dem Rücktritt Franzens erst Amt und Auftrag eingebracht. Sie hatten andererseits der Staatsbank und ihrer Verwaltung des Landesvermögens eine besondere Verantwortung und eine finanzpolitische Schlüsselposition zugewiesen, die für den Kampf gegen das Reich von Bedeutung war.“506 Notverordnung war der Höhepunkt der Deflationspolitik Brünings. Von ihr waren sofort Millionen von Bürgern betroffen. Die Reaktionen gegen dieses Gesetz waren dementsprechend negativ. Born, Bankenkrise, S. 68. Die NSDAP nutzte die allgemeine Ablehnung der Notmaßnahmen für ihre Agitation gegen die „Erfüllungspolitiker“, die in ihren Augen die Belange der Siegermächte über die des eigenen Volkes stellten. Franzen bezog sich direkt auf diese Notverordnung, als er seinen Rücktritt bekanntgab. Er wollte nicht „Vollzugsbeamter“ der Maßnahmen der Brüning-Regierung sein, während die NSDAP im Reich diese Politik mit allen Mitteln bekämpfte. Roloff, Bürgertum, S. 33. 504 Klagges lieferte quasi sofort mit der größten Massenaktion der NSDAP vor der Machtergreifung am 17. Oktober 1931. Außerdem war es für ihn auch ganz persönlich wichtig, dass die NSDAP als Koalitionspartner einer Landesregierung Zugriff auf Staatsbeamtenstellen hatte. Hitler wurde am 25. Februar 1932 zum Regierungsrat der braunschweigischen Gesandtschaft in Berlin berufen und damit deutscher Staatsbürger. Vgl. dazu ebenda, S. 89-99. 505 Ebenda, S. 74. 506 Ebenda, S. 82.

3.3 „Die Geister, die ich rief…“ 

147

Die Rolle des von der Staatsbank verwalteten Staatsvermögens wird von Roloff überschätzt. Entscheidend für den Konflikt zwischen der Staatsbankführung und den Nationalsozialisten war die von der Staatsbank autonom erklärte Kreditsperre für den Staat Braunschweig. Stübben ließ keinen Zweifel daran, dass die strenge Haushaltsdisziplin der Regierung Küchenthal-Klagges nach der Julikrise nicht von diesen gewollt, sondern von der Kreditsperre der Staatsbank erzwungen worden war: Mein Entschluß, der sich in der Mitteilung an das Staatsministerium auswirkte, daß die Staatsbank im Interesse der ihr anvertrauten fremden Gelder und aus Rücksicht auf die notwendige Liquidität nicht mehr in der Lage sei, irgend welche weiteren staatlichen Ausgaben im Kreditwege zu finanzieren, ist mir gewiß nicht leicht gefallen. Da die Leitung der Staatsbank aber an diesem Entschlusse unbedingt festhielt, so ergab sich nunmehr für den Staat die Notwendigkeit, nur das auszugeben, was an Einnahmen effektiv hereinkam. So hat letzten Endes die JuliKatastrophe im deutschen Bankwesen zur Folge gehabt, daß im Staate Braunschweig die Ausgaben nur noch insoweit möglich waren, als sie effektiv durch Einnahmen gedeckt waren.507

Die Umsetzung von Stübbens Standpunkt beantwortet eine in der Regionalgeschichte Braunschweigs aufgekommene Frage, ob Dietrich Klagges die Notverordnungen Brünings schärfer als notwendig umgesetzt hat, um damit die Reichsregierung zu bekämpfen, oder ob er lediglich aufgrund mangelnder Alternativen eine rigorose Sparpolitik betrieb.508 Durch die Kenntnis der Kreditsperre, die die Staatsbank dem Staat auferlegte, kann man die von Seiten der NSDAP zu Propagandazwecken genutzte Sparpolitik der Regierung des Freistaates als alternativlos bezeichnen.509 Den Verlust der Kreditwürdigkeit des Freistaates, der seine große Abhängigkeit von der Staatsbank überhaupt erst hervorgerufen hatte, kreidete Stübben zudem der Unzuverlässigkeit der Regierung sowie der Aktivität der bürgerlichen und nationalsozialistischen Presse an. In einer gemeinsamen Stellungnahme von Februar 1931 drohte das Direktorium bereits offen mit der Kündigung der fälligen Staatskredite, wenn die Regierung das Problem nicht in den Griff bekäme: Im Interesse des zu Unrecht untergrabenen Staatskredits bitten wir dringend, sowohl auf die Regierung nahestehenden Parteien, wie auch auf die ihr nahestehende Presse dahin einzuwirken, daß in öffentlichen Aeusserungen die nötige Rücksicht auf die Erhaltung des Staatskredits genommen werde. In keinem der deutschen Länder ist eine derartige Untergrabung des Staatskredits zu Unrecht durch öffentliche Aeusserungen erfolgt wie in Braunschweig. Voraussichtlich wird diese Selbstzerstörung nunmehr dahin führen, daß Verlängerungsmöglichkeiten für die dem Staate gewährten RM 8.000.000.- nicht mehr geschaffen werden können.510

507 Stellungnahme Stübben, S. 13, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. 508 Vgl. Pollmann; Ludewig, Nationalsozialistische Wirtschaftspolitik 1930–1939, Teil I. Die Autoren beziehen sich unter anderem auf Roloff, Bürgertum und Nationalsozialismus, S. 56. 509 Vgl. Pollmann; Ludewig, Nationalsozialistische Wirtschaftspolitik 1930–1939, Teil I., S. 133. 510 Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Finanzminister Küchenthal vom 21. Februar 1931, in: NLA WO 12 Neu Wirtschaft 13, Nr. 26317.

148  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Die Kreditsperre und die damit einhergehende Kritik Stübbens an der Regierung waren der Hintergrund dafür, dass die NSDAP in Braunschweig begann, Stübben zu bekämpfen. Sie fanden für diesen Kampf Verbündete vor allem im gewerblichen Mittelstand.

Die Mittelstandsfinanzierung der Staatsbank in der Weltwirtschaftskrise zwischen wirtschaftlichen Zwängen und politischer Propaganda Von der erneuten Expansion der Staatsbank in der Unternehmensfinanzierung vom Ausbruch der Weltwirtschaftskrise bis zur Bankenkrise 1931 profitierte auch der gewerbliche Mittelstand. Nicht nur das Kreditvolumen, sondern auch die Zahl der Kredite stieg stark an, von 2.391 im Jahr 1928 auf 3.421 im Jahr 1930. Zahlenmäßig dominierte dabei weiterhin der Kleinkredit.511 Die Staatsbank war bis zur Julikrise in der Lage, den Kreditmarkt nicht nur am Leben zu erhalten, sondern den Unternehmen, Handwerkern und Landwirten mehr Kredit zur Verfügung zu stellen, als dies in den Stabilisierungsjahren der Fall gewesen war. Die Bankenkrise im Juli 1931 stoppte diese Expansion jedoch schlagartig. Durch den massenhaften Abzug der kurzfristigen Einlagen musste die Staatsbank auf der Aktivseite ebenfalls Kapital abziehen. Zwar erreichte sie dies wie gezeigt hauptsächlich durch die Auflösung von liquiden Anlagen. Allerdings sank auch das Kreditvolumen von der Bankenkrise bis zum Jahresende 1931 um fünf Millionen auf 21,6 Millionen RM. Dazu kündigte die Staatsbank fast 900 Kredite, was einem Viertel der Gesamtzahl entsprach. Der gewerbliche Mittelstand trug mit 500 gekündigten Krediten die Hauptlast, während die Zahl der Industriekredite nur um 16 zurückgegangen war.512 Tab. 12: Anteil der ungedeckten Kredite an den Debitoren in % 1928 1929 1930 1931

3,2 2,5 5,7 2,9

Quelle: Eigene Berechnungen nach: Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge.

Die gleichen Tendenzen wie beim Kontokorrentkredit generell zeigten sich auch bei den ungedeckten Krediten. Deren Anteil an den Debitoren stieg von 2,5 % im Jahr 1929 zunächst stark auf über 5 % im Jahr 1930 an, um 1931 dann wieder auf 2,8 % 511 Von den 3421 Krediten waren nur 132 „Großkredite“ über 20.000 RM. Dagegen hatten 1930 zwei Drittel ein Volumen von weniger als 2.000 RM. 512 Braunschweigische Staatsbank, Jahresbericht 1931, S. 7.

3.3 „Die Geister, die ich rief…“  149

einzubrechen.513 Das Gesamtvolumen ungedeckter Kredite lag 1931 unter dem von 1929. Von dem allgemeinen Rückgang des Kreditvolumens waren also ungedeckte Kredite überdurchschnittlich betroffen. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Staatsbank in dem kritischen Jahr 1931 massenhaft Mittelstandskredite kündigte. Fasst man den Mittelstandskredit als ungedeckten Kredit auf, so wurde hier von der Staatsbank 1931 besonders hart durchgegriffen. Dies war zum Teil eine Folge der Expansion des Postens ungedeckte Kredite ein Jahr zuvor. Der Staatsbank blieb letztlich keine Wahl, als ihre kurzfristig ausgeliehenen Gelder zurückzuziehen. Dass sie besonders die ungedeckten Kredite kündigte, während sie die besicherten zu halten versuchte, war betriebswirtschaftlich ohne Zweifel sinnvoll. Angesichts des ohnehin angespannten Verhältnisses dem Mittelstand gegenüber war die Kreditpolitik der Staatsbank jedoch politisch heikel. Die Mittelstandsideologen in Braunschweig hatten die Staatsbank bereits seit der Währungsreform dafür kritisiert, dass sie den Personalkredit vernachlässigte. Dass die Staatsbank 1930 erstmals nach 1924 wieder bedeutende Volumen an ungedeckten Krediten vergeben hatte, machte die nochmalige Kehrtwende nur ein Jahr später umso schmerzlicher. Insgesamt konnte die Kündigung von fast 1.000 Kleinkrediten sich nicht ohne eine wachsende Unzufriedenheit der Kreditnehmer vollziehen, besonders, wenn überwiegend die Angehörigen des gewerblichen Mittelstandes betroffen waren. Die Kreditnot des Mittelstandes wurde mit dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise im ganzen Reich als so drückend wahrgenommen, dass sich in den Vereinigungen des Mittelstandes eine zunehmende Katastrophenstimmung breitmachte. Diese Katastrophenstimmung begünstigte die Radikalisierung des gewerblichen Mittelstandes. Sie machte dessen Angehörige empfänglich für die radikalen Parolen der NSDAP.514 Vor allem in der offen antisemitischen Kritik an den Großbanken konnten die Nationalsozialisten auf einer bereits seit langem existierenden politischen Position des Mittelstandes aufbauen. Sie suggerierten vor allem eine direkte Assoziation der Ursachen der Bankenkrise mit den von den Nationalsozialisten propagierten stereotypen Charaktereigenschaften der jüdischen Bevölkerung und konnten sie so als dem deutschen Gemeinwesen wesensfremd darstellen. Die Kritik der Nationalsozialisten an den deutschen Großbanken wurde in erster Linie von dem pseudosozialistischen Flügel der Partei um Gottfried Feder, Otto Wagener und Gregor Strasser vorgetragen. Sie kulminierte in der von Gottfried Feder entwickelten Idee von der „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der Forderung nach der Verstaatlichung der Großbanken. Feder übernahm dabei die Kritik der Mittelstandsideologie an den Großbanken, um die ideologische Nähe der Nationalsozialisten zum Mittelstand zu

513 Eigene Berechnungen auf Basis der Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge. 514 Winkler, Mittelstand, S. 171 f.

150  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

demonstrieren.515 Deutlich wird dies durch ein Zitat Gottfried Feders im Reichstag 1930, in dem er begründete, warum er auf eine Verstaatlichung der Privatbanken verzichten wollte: „Die Pflege des soliden Privatbankiers wird wesentlich zur Wiederbelebung des Personalkredits beitragen, der heute gar nicht mehr gepflegt werden kann; denn im Riesenbankkonzern geht es einfach nach bestimmten Vorschriften: Kredit bekommt nur, wer die nötigen Unterlagen [im Sinne von Sicherheiten] geben kann, und nicht die Persönlichkeit, die das Vertrauen verdient.“516 Damit sprach Feder das zentrale Problem des Mittelstandes an, dass auch die Sparkassen nicht hatten lösen können. Weil die Sparkassenorganisation ihren Eintritt in die Unternehmensfinanzierung mit derselben Kritik an den Großbanken begründete, die die Nationalsozialisten für ihre antisemitischen Parolen nutzten, versuchten die Nationalsozialisten bereits vor 1933, das öffentlich-rechtliche Kreditwesen für sich zumindest rhetorisch zu vereinnahmen. Es wäre jedoch falsch, den staatlichen und kommunalen Kreditinstituten eine Nähe zur nationalsozialistischen Ideologie zu unterstellen. Vielmehr bezogen sich beide auf die antimodernistische Mittelstandsideologie.517 Die Nationalsozialisten waren mit dieser Strategie zumindest im Freistaat Braunschweig höchst erfolgreich. Die NSDAP hatte bei der für die Partei triumphalen braunschweigischen Landtagswahl im September 1930 ihre Stimmen hauptsächlich von den anderen bürgerlichen Parteien sowie von Nichtwählern und Neuwählern bekommen. Von den bürgerlichen Parteien waren neben der DVP vor allem Moritz Liebalds Mittelstandspartei „Wirtschaftliche Einheitsliste“ betroffen. Letztere verlor fast alle Stimmen an die Nationalsozialisten. Die Sozialstruktur der Wähler der NSDAP reflektierte diese Verschiebung im Parteienspektrum. Neben den Landarbeitern war es laut Hans-Ulrich Ludewig und Klaus Ehrich Pollmann vor allem der gewerbliche Mittelstand, der 1930 den Nationalsozialisten in Braunschweig zu ihrem Ergebnis verhalf. Die Eroberung des Wählerpotentials der Mittelstandsparteien war ein wichtiges Ziel der Nationalsozialisten bei der Wahl 1930.518 Für den politisch organisierten Mittelstand war das Land Braunschweig mit dem dort beheimateten „Reichsschutzverband für Handel und Gewerbe“ bereits vor 1914 eine Hochburg gewesen. Über die Jahre der Weimarer Republik hinweg hatten politisch aktive Mittelstandsvertretungen wie der 1918 gegründete „Rat der selbstständigen Erwerbszweige“, die später gegründete 515 Hellmich, Niklas, Großbanken und Sparkassen aus der Sicht der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Soziallehren, in: Harald Wixforth (Hg.), Finanzinstitutionen in Mitteleuropa während des Nationalsozialismus, Geld und Kapital 2000, S. 17–43, S. 20 f. 516 „Abrechnung mit der Erfüllungspolitik“. Stenographische Berichte über die Reichstagssitzung vom 4. Dezember 1930, abgedruckt in: Feder, Gottfried, Kampf gegen die Hochfinanz. Eine Hauptquelle zur Ideengeschichte und Frühzeit des Nationalsozialismus, Faksimile-Dokumentation der Ausgabe München 1935, Bremen 2003, S. 262–282, S. 279. 517 Hellmich, Großbanken, S. 24. 518 In seinem „Aufruf an das Deutsche Volk“ erklärte Hitler, dass die bisherigen Parteien des Mittelstandes bei dem Versuch der Rettung des Mittelstandes gescheitert seien. Nur die NSDAP könne den Mittelstand noch retten. Winkler, Mittelstand, S. 173.

3.3 „Die Geister, die ich rief…“

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„Wirtschaftliche Einheitsliste“ oder die „Partei der Haus- und Grundbesitzer“ den gewerblichen Mittelstand mobilisiert. Doch konnte sich keine dieser politischen Interessenvertretungen des Mittelstandes politisch gegen die etablierten Parteien durchsetzen. In der Wirtschaftskrise wurden diese Parteien deshalb von den Nationalsozialisten absorbiert und bildeten einen bedeutenden Teil der Basis für den Aufstieg der Partei. 519 Zeitgleich mit den Wahlerfolgen konnte die NSDAP in Braunschweig auch die korporatistischen Interessenvertretungen des Mittelstandes erobern.520 In Braunschweig wollten die Nationalsozialisten ihrer neuen Wählerschaft beweisen, dass sie deren Interessen im Gegensatz zu den bürgerlichen Mittelstandsparteien auch durchsetzen konnten. Sie fanden unter Anderem in dem Konflikt von Teilen des Mittelstandes mit der Staatsbank eine Möglichkeit zum Handeln.

Der Staatsbank-Skandal und die Folgen 1931/32 Die Nationalsozialisten in Braunschweig waren spätestens seit der Ernennung von Dietrich Klagges zum Minister entschlossen, die Staatsbankführung um Oscar Stübben zu entmachten. Den Anlass dazu bot ausgerechnet die Situation der Helmstedter Glashütte, deren Schicksal im Herbst 1931 besiegelt war. Stübben und sein Stellvertreter Rungs waren am 15. Oktober aus dem Aufsichtsrat der Hütte ausgeschieden, womit die Klausel in Kraft getreten war, die den beiden Direktoriumsmitgliedern die vollen Aufsichtsratstantiemen für volle vier Jahre sicherten. Von dieser Klausel erfuhr der Schriftführer des Lokalblattes „Helmstedter Beobachter“ Theodor Hardeweg. Er veröffentlichte am 14. November einen Artikel, in dem er Stübben und Rungs beschuldigte, die volle Auszahlung der Aufsichtsratstantiemen im Gegenzug zu deren Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat auch deshalb bekommen zu haben, damit sie keine Einwände gegen das weitere Stillliegen der Hütte erhoben.521 Daraufhin handelten Stübben und Rungs wenig souverän. Sie versuchten zunächst, beim Innenministerium – also bei Dietrich Klagges! – ein Er519 Ludewig, Hans-Ulrich; Pollmann, Klaus Ehrich, „Machtergreifung“ im Freistaat Braunschweig, in: Hucker, Bernd Ulrich u. a. [Hg.], Niedersächsische Geschichte, Göttingen 1997, S. 548–565, S. 555–557. 520 So gelang es ihnen, 1931 die Führung im Braunschweigischen Landbund und 1932 im Braunschweiger Handwerkerbund zu übernehmen. Ludewig/Pollmann, „Machtergreifung“, S. 550. Diese Eroberung von Posten durch den Druck von unten führten die Nationalsozialisten überall im Reich durch. Sie eroberten zuerst die lokalen und regionalen Organisationen und übten von dort aus Druck auf die Spitzenverbände aus. Dieser Vorgehensweise waren die Spitzenverbände des Mittelstandes nicht gewachsen. In den Organisationen des gewerblichen Mittelstandes hatte die Gleichschaltung bereits vor 1933 begonnen. Winkler, Mittelstand, S. 170 f. 521 „Wir klagen an! Musste die Helmstedter Glashütte schließen?“, in: Helmstedter Beobachter Nr. 40 vom 14. November 1931, vgl. dazu Braunschweigische Landeszeitung vom 8. Dezember 1931, S. 7.

152  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

scheinungsverbot des „Helmstedter Beobachters“ zu erreichen. Als dieses Gesuch erfolglos war, bot ein von Stübben gesandter Mitarbeiter der Staatsbank dem Schriftleiter Hardeweg ein mehrjähriges Inseratenabkommen an, das mit insgesamt 1.200 RM vergütet und im Voraus gezahlt wurde. Hardeweg veröffentlichte daraufhin alle Details des Vertragsabschlusses in seinem Blatt.522 Diesen Artikel griff die Braunschweigische Landeszeitung am 8. Dezember auf und gab die Angriffe des Beobachters sowie die Stellungnahme der Staatsbank dazu wieder. Dieser Artikel war relativ neutral und kritisierte an dem Verhalten Stübbens lediglich den Bestechungsversuch.523 Der Charakter der Berichterstattung änderte sich jedoch vollkommen, als am 13. Dezember die Landtagsabgeordneten der NSDAP Franz Groh und Ernst Zörner zwei ausführliche Kommentare zu dem Fall der Helmstedter Glashütte in der Braunschweigischen Landeszeitung veröffentlichten.524 Zörner nutzte den Vorfall für einen Frontalangriff auf Oscar Stübben. Die Überschrift seines Artikels lautete „Die Sünden des Herrn Stübben.“525 Franz Groh streute in seinem Artikel zum ersten Mal das Gerücht möglicher persönlicher Bereicherungen der Staatsbankführung beim Verkauf der Aktien der Braunschweigischen Bank und Kreditanstalt im Jahr 1928. Es ging in diesem Fall darum, dass Stübben und Rungs sich persönlich bei den Verkaufsverhandlungen jeweils ein Aktienpaket der Commerzbank gesichert haben sollen. Die Nationalsozialisten wollten in beiden Fällen den Eindruck erwecken, dass die kritisierten Entscheidungen auf persönliches Profitstreben der Staatsbankführung zurückgeführt werden konnten. Für diesen Beweis besaßen sie eine sehr wertvolle Informationsquelle. Laut einem Bericht des damals amtierenden Finanzministers Werner Küchenthal hatte Oscar Stübbens Stellvertreter Wilhelm Rungs nach dem Artikel in der Landeszeitung vom 8. Dezember größere Bedenken bekommen über die Art und Weise, wie er zusammen mit Stübben für Nebeneinkünfte gesorgt hatte. Er offenbarte diese Geschäftspraktiken dem nationalsozialistischen Landtagspräsidenten Ernst Zörner, der dann am 13. Dezember 1931 in der Landeszeitung mit den Angriffen begann.526 Die NSDAP-Fraktion brachte am 15. Dezember 1931 einen Antrag im Landtag ein, die Vorwürfe gegen Stübben durch den Hauptausschuss prüfen zu lassen. Dieser konstituierte sich am 22. Dezember 1931 als Untersuchungsausschuss.527 In diesem Untersuchungsausschuss erhob Zörner nun eine Vielzahl neuer Vorwürfe gegen Stübbens Geschäftspraktiken, die er nur von Wilhelm Rungs erfahren haben konnte. Niemand außer Stübben selbst war in all die Fälle so stark involviert, dass er die Details, die 522 Helmstedter Beobachter Nr. 42 vom 28. November 1931, abgedruckt in: Braunschweigische Landeszeitung vom 8. Dezember 1931, S. 7. 523 Braunschweigische Landeszeitung vom 8. Dezember 1931, S. 7. 524 „Der Fall Staatsbank – Glashütte“, in: Braunschweigische Landeszeitung vom 13. Dezember 1931, S. 13. 525 Ebenda. 526 Bericht von Dr. Werner Küchenthal, S. 17, NWA Zg. 6/2007, Nr. 139. 527 Braunschweigische Landeszeitung vom 19. Februar 1932, S. 1

3.3 „Die Geister, die ich rief…“ 

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im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses aufgezählt wurden, hätte kennen können. Zörner kündigte an, dass er am 30. Dezember das notwendige Beweismaterial vorlegen wollte, jedoch tat er dies nicht.528 Küchenthal zufolge lag dies daran, dass er seinen Informanten Rungs schützen wollte, der in alle fraglichen Fälle involviert war.529 Stattdessen griff Zörner direkt über die Presse und auch im Ausschuss selbst den ehemaligen DVP-Minister Gerhard Marquordt sowie den Finanzminister Werner Küchenthal an und bezichtigte sie der Begünstigung Stübbens. Gegen Marquordt polemisierte Zörner solange weiter, bis dieser am 18. Januar 1932 auf Druck seiner eigenen Fraktion aus dem Ausschuss ausschied. Am 6. Januar verlagerten die Nationalsozialisten ihren Kampf gegen Stübben auf die Straße. Sie veranstalteten am Abend gleichzeitig sieben große Veranstaltungen, auf denen alle Mitglieder der Fraktion sprachen. Sie nutzten die Bühne für persönliche Angriffe gegen Stübben und andere Honoratioren des Freistaates.530 Im Gegenzug setzte die bürgerliche Fraktion den Ausschluss der Öffentlichkeit bei den Verhandlungen des Untersuchungsausschusses durch. Dies war jedoch nutzlos, weil die nationalsozialistischen Abgeordneten Details der Verhandlungen an die Landeszeitung übermittelten. Stübben, der sich bereits am 2. Januar 1932 für unbestimmte Zeit hatte beurlauben lassen, strengte zunächst eine einstweilige Verfügung gegen die Zeitung an, die jedoch vom Landgericht Braunschweig am 30. Januar wieder aufgehoben wurde. Daraufhin verweigerte Stübben jede weitere Aussage im Untersuchungsausschuss, weil dieser nicht für Verschwiegenheit garantieren konnte. Dies war ein Grund dafür, dass dieses Gremium sich am 4. Februar 1932 selbst liquidierte.531 Der andere Grund war die Eröffnung eines Dienststrafverfahrens gegen Stübben sowie gegen Wilhelm Rungs durch Finanzminister Werner Küchenthal am 2. Februar 1932. Küchenthal hatte dieses Verfahren eingeleitet, weil er inzwischen ebenfalls durch Rungs von den Vorkommnissen innerhalb der Staatsbank informiert worden war. Küchenthal nutzte dafür den bei der Novellierung des Staatsbankgesetzes 1929 eingefügten Passus zu den Nebeneinkünften der Staatsbankbeamten. Zur Begründung dieses Verfahrens wurden Stübben eine Reihe von Vergehen vorgeworfen, die fast alle in einem direkten Zusammenhang mit der gescheiterten Industriestrategie der Staatsbank in Zusammenhang standen. Konkret wurde ihm unter anderem vorgeworfen, feste Tantiemen für Aufsichtsratsmandate, die er in seiner Eigenschaft als Staatsbankpräsident erhalten hatte, nicht ordnungsgemäß an die Hauptbankkasse der Staatsbank abgeliefert zu haben.532 Den Hintergrund dieses Vorwurfs bildete eine Verfügung des Finanzministe528 Roloff, Bürgertum und Nationalsozialismus, S. 83. 529 Bericht von Dr. Werner Küchenthal, S. 17, NWA Zg. 6/2007, Nr. 139. 530 Roloff, Bürgertum und Nationalsozialismus, S. 85. 531 Ebenda. 532 Der Braunschweigische Finanzminister an den Untersuchungsrichter am Landgericht Braunschweig vom 2. Februar 1932, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012.

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riums vom 4. Februar 1923, in der festgelegt wurde, dass die Mitglieder des Direktoriums ihre Aufsichtsratsbezüge zunächst vollständig an die Hauptbankkasse weiterzugeben hatten. Dann wurde ihnen 75 % der Summe wieder ausbezahlt. Der Vorwurf ging nun dahin, dass Stübben und die anderen Mitglieder des Direktoriums zum einen nie die gesamten Bezüge abgegeben hätten, sondern direkt 25 % ihrer Tantiemen an die Kasse abführten. Zum anderen waren sie nur bei den veränderlichen Gewinnanteilen so verfahren, bei den festen Aufsichtsratsbezügen jedoch nicht. Laut dem reformierten Beamtenbesoldungsgesetz vom 26. Juni 1928 mussten dem Finanzminister alle Nebenbezüge angezeigt werden.533 Die festen Vergütungen bei Aufsichtsratsmandaten waren ein Ersatz für Tagegelder. Statt bei jeder Sitzung einzelne Tagegelder auszuzahlen, wurde stattdessen einmal im Jahr eine Kompensation gezahlt. Der NSDAP-Abgeordnete Franz Groh hatte in der Landesversammlung bereits 1928 die Aufsichtsratsbezüge der Staatsbankdirektoren kritisiert. Anfang 1931 hatte er einen Antrag im Landtag gestellt, der darauf abzielte, dass die Direktoren der Staatsbank ihre gesamten Gewinnanteile, die sie als Repräsentanten der Staatsbank in Aufsichtsräten bezogen, an die Staatsbankkasse abführen sollten. Gleichzeitig hatte das Finanzministerium am 7. März eine Rundverfügung an alle Staatsbeamten geschickt, in dem es diese aufforderte, ihre gesamten Nebenbezüge offenzulegen. Stübben, der bei Eingang des Schreibens krankgemeldet war, hatte zwischen dem Antrag Grohs und der Rundverfügung einen Zusammenhang hergestellt und in einem Antwortschreiben vom 10. April versucht, den Antrag Grohs zu verhindern.534 Dieser bereitete ihm, wie er zugab, große Sorgen, weil die Einkünfte aus den Aufsichtsräten einen großen Teil seines Gehalts ausmachten. Weil der Antrag Grohs sich nur auf die Tantiemen bezog, hatte Stübben seiner Aussage nach auch nur die Tantiemen im Begleitschreiben der Rundverfügung angegeben, die festen Bezüge jedoch nicht. Er bestritt deshalb den Vorwurf, diese Bezüge absichtlich verschwiegen zu haben.535 Vor allem aber, und das war sein Hauptverteidigungsargument, bestritt er, überhaupt Gegenstand des Beamtenbesoldungsgesetzes zu sein. Stübben ließ von dem ehemaligen Justizminister Braunschweigs und Senatspräsidenten am Oberlandesgericht August Hampe ein ausführliches Gutachten verfassen. Dort kam Hampe zu dem Schluss, dass die Natur des Anstellungsverhältnisses des Staatsbankpräsidenten die eines Staatsbankbeamten und nicht die eines Staatsbeamten sei.536 Dies veranlasste wiederum das Finanzministerium und den Landtag zu zwei Gegengutachten, in denen festgestellt wurde, dass sowohl der Staatsbankpräsident als auch die Mitglieder des Direktoriums sehr wohl Staatsbeamte seien.537 In dieser juristisch 533 Braunschweigische Landeszeitung vom 19. Februar 1932, S. 1. 534 Braunschweigische Staatsbank Direktorium an den Herrn Braunschweigischen Finanzminister vom 10. April 1931, in: StadtA Braunschweig G IX 43, 5. 535 Stellungnahme Stübben, S. 28, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. 536 Vgl. Rechtsgutachten des Senatspräsidenten i. R. Hampe über die Aufsichtsratsvergütungen bei der Braunschweigischen Staatsbank von 1931, NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 126.

3.3 „Die Geister, die ich rief…“ 

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komplexen und langatmigen Auseinandersetzung ging es vordergründig um die Frage, ob die Bestimmungen des Staatsbeamtengesetzes und des Besoldungsgesetzes des Freistaates Braunschweig auf die Staatsbankführung anwendbar waren oder nicht. Auf einer mehr grundsätzlichen Ebene berührte die Frage jedoch auch den Grad der Autonomie der Staatsbank gegenüber ihrem Gewährträger. Denn hätte die Landesversammlung das Gutachten Hampes anerkannt, so wäre der Selbstständigkeit der Staatsbank und Landessparkasse als Anstalten öffentlichen Rechts auch die rechtliche Unabhängigkeit ihrer Geschäftsleitung gefolgt. Der Finanzminister hätte dann die Beamten innerhalb der Staatsbank nicht mehr direkt maßregeln können, weil er nicht mehr der direkte Dienstherr gewesen wäre. Diese Unabhängigkeit stand im Einklang mit Stübbens Einstellung gegenüber dem Verhältnis der Bank zum Staat. In seiner Rechtfertigungsschrift verwies er immer wieder auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen der Führung einer Bank und der Arbeit eines Beamten. „Die Tätigkeit eines Bankdirektors, die notwendig ist zum Gedeihen der ihm anvertrauten Bank, läßt sich nicht unter Beamtengrundsätze bringen. Und so läßt sich auch die Tätigkeit eines Bankdirektors nicht mit der Beamtenstelle nachmessen, wenn anders man gerecht verfahren will. Entscheidend ist es dagegen, wie die Bank steht, in welchem Umfange sie ihren Aufgaben gerecht wird und wie sie sich rentiert.“ 538 Dem stand jedoch vor allem § 6 Abs. 2 des Staatsbankgesetzes entgegen, in dem festgelegt wurde, dass alle unkündbaren Beamtenstellen durch das Finanzministerium besetzt, befördert und in den Ruhestand versetzt werden sollten und zwar nach Maßgabe des Staatsbeamtengesetzes.539 Dazu zählte auch die Position des Staatsbankpräsidenten. Der Hauptausschuss des Landtages hielt deshalb in seinem Abschlussbericht noch einmal fest, dass der Staatsbankpräsident Staatsbeamter sei und sich deshalb an die entsprechenden Richtlinien und Gesetze zu halten habe.540 Damit waren die Voraussetzungen für ein Dienststrafverfahren noch einmal festgestellt. Die anderen Vorwürfe gegen Stübben ähnelten dem vorgestellten Fall. Nachdem der beurlaubte Staatsbankpräsident viele der Vorwürfe zunächst vollständig abgestritten hatte, konnte er jedoch den von Küchenthal im Dienststrafverfahren vorgelegten Beweisen nicht mehr widersprechen. Nachdem auch seine Strategie, sich als

537 Vgl. Gutachten des Oberlandesgerichtspräsidenten a. D. Dr. Levin: Können ministeriell genehmigte Aufsichtsratsbezüge den Mitgliedern des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank entzogen werden? sowie Gutachten betr. Ansprüche der Braunschweigischen Staatsbank gegen Finanzpräsident a. D. Dr. Stübben auf Nachzahlung von Aufsichtsratsvergütungen, NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 126. 538 Stellungnahme Stübben, S. 3, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. 539 StBG 1929, § 6 Abs. 2. 540 Braunschweigischer Landtag, Drucksache 121 vom 18. Februar 1932, in: Verhandlungen des Landtages des Freistaates Braunschweig 1922–1933, Sitzungsberichte, 4. Wahlperiode 1930/33, Braunschweig 1933.

156  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Staatsbankbeamter darzustellen, gescheitert war, suchte er in der zweiten Jahreshälfte 1932 einen Vergleich mit dem Finanzministerium. Dieses bot Stübben daraufhin im November an, bei vollem Verzicht auf seine Pensionsansprüche, einer Rückzahlung von Tantiemen und festen Bezügen sowie Strafzahlungen von insgesamt knapp 67.000 RM das Dienststrafverfahren aufzuheben. Daraufhin kam es am 14. und 15. November in den Räumen der Staatsbank zu Verhandlungen zwischen den Anwälten Stübbens und Stübbens Nachfolger im Amt des Staatsbankpräsidenten, Emil Bartels. Stübben sah die Strafzahlung als viel zu hoch an. Er bot insgesamt eine Rückzahlung von knapp 20.000 RM an. Dies war dem Finanzminister Küchenthal wiederum zu wenig. Er bestand auf der vollen Auszahlung, weil er den Anschein vermeiden wollte, die „disziplinarischen Verfehlungen“ Stübbens zu diesem Zeitpunkt milder zu beurteilen als zu Beginn des Verfahrens. Man einigte sich letztlich auf eine Summe von rund 50.000 RM sowie den Verzicht auf sämtliche Ruhegehaltsansprüche. Doch erst nachdem auch für Wilhelm Rungs ein Vergleich ausgehandelt wurde, konnten beide Dienststrafverfahren aufgehoben werden. Rungs musste ebenfalls auf seine Pension verzichten und knapp 15.000 RM zahlen.541 Daraufhin setzte Oscar Stübben am 29. Januar 1933 ein Schreiben auf, in dem er förmlich auf alle Ruhegehaltsansprüche verzichtete und rückwirkend zum 1. Juni 1932 um seine Verabschiedung aus dem Staatsdienst nachsuchte.542 Einen Tag später folgte Wilhelm Rungs’ Schreiben, dessen Gesuch jedoch auf den 1. April 1933 lautete, der also nach Aufhebung des Verfahrens noch für kurze Zeit weiter bei der Staatsbank beschäftigt blieb. Die Staatsbank verlor durch die Affäre Stübben die beiden Direktoren, die zusammen das Institut, um im Bild von Emil Bartels zu bleiben, „eingeritten haben“. Stübben hat als erster Staatsbankpräsident dieses Institut geprägt wie niemand anderes nach ihm. Auch hat niemand nach ihm eine derart autonome Stellung besessen wie der erste Staatsbankpräsident. Er und Rungs hatten es geschafft, diese Bank tatsächlich krisenfest zu machen und dabei rentabel zu führen. Der Skandal im Jahr 1931 überschattete jedoch diese Leistung, auch noch nach dem Ende der NS-Herrschaft. Nach Stübbens Rücktritt bestand die Gefahr, dass die Nationalsozialisten versuchen würden, die Pläne Franz Grohs umzusetzen und die Geschäftstätigkeit der Staatsbank wieder auf den Mittelstand zu beschränken. Groh hatte dies in seinem Artikel bereits angedeutet: „‚Kreditschädigend‘ können sich Bestrebungen, die Geschäfte einer Staatsbank auf den ihr zukommenden Kreis zu beschränken, wohl kaum auswirken, wohl aber kann ein allzu schlauer und geschäftstüchtiger Syndikus oder sein Auftraggeber die Staatsbank einmal schnell um seinen Ruf bringen.“543 541 Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank Emil Bartels an den Herrn Braunschweigischen Finanzminister vom 24. Januar 1933, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. 542 Erklärung von Staatsbankpräsident Oscar Stübben vom 29. Januar 1933, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012. 543 Ebenda.

3.3 „Die Geister, die ich rief…“

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Der bürgerliche Teil der Koalition verhinderte jedoch eine weitreichende Reform der Staatsbank. Ministerpräsident Werner Küchenthal holte bereits am 19. Januar 1932 Emil Bartels aus dem Ruhestand zurück, um die Staatsbank in der nach wie vor katastrophalen wirtschaftlichen Lage des Freistaates und des Reiches nicht führungslos zu lassen. Küchenthal berichtete, dass ihm Bartels vom Verwaltungsrat als Staatsbankpräsident vorgeschlagen worden war.544 Dies scheint plausibel, weil die Mitglieder des Verwaltungsrates ihn noch aus der Frühzeit des Freistaates gut kannten.545 Für Bartels sprachen vor allem sein Sachverstand im Finanzwesen, seine Kenntnisse der politischen Eigenheiten des Freistaates, seine geringen Gehaltsansprüche und seine sofortige Verfügbarkeit. Er wurde zum Interimspräsidenten ernannt. Der Vertrag, den er unterschrieb, enthielt eine beidseitige monatliche Kündigungsklausel, was den Interimscharakter der Anstellung noch einmal verdeutlichte.546 Bartels blieb offiziell bis zum 1. April 1933 Staatsbankpräsident. Er führte die Staatsbank also gut ein Jahr. Die Ernennung von Bartels war ein kluger Schachzug, weil er innerhalb Braunschweigs unumstritten war. Bartels hatte nun die Aufgabe, die Staatsbank operativ zu führen und ihre wirtschaftlichen und politischen Handlungsspielräume so gut es ging zu erhalten. Unumgänglich erschien in Folge des Skandals auch den bürgerlichen Politikern eine Verschärfung der Staatsaufsicht über die Bank. Der Landtag erhielt nun ein Mitbestimmungsrecht bei der Zusammensetzung im Verwaltungsrat der Staatsbank und die Treuhandabteilung konnte fortan unabhängiger vom Direktorium agieren.547 Diese Maßnahmen sind allerdings im Kontext einer längerfristigen Entwicklung zu sehen, die bereits vor der Weltwirtschaftskrise begann. Die damals noch von der SPD gebildete Regierung versuchte ab 1928, mehr Einfluss auf die Geschäftstätigkeit des Instituts zu bekommen. Dies war der Hintergrund für die Neufassung des Staatsbankgesetzes 1929. Das neue Gesetz garantierte dem Staatsministerium einen festen Sitz im Verwaltungsrat der Staatsbank. Vor allem jedoch erhielt der Finanzminister mehr Befugnisse, direkt in die Geschäftstätigkeit der Staatsbank einzugreifen. Bis zur Reform war es ihm lediglich erlaubt, die Ausführungen von Entscheidungen zu untersagen, die nicht im Einklang mit den Beschlüssen der Landesversammlung lagen. Durch die Gesetzesänderung durfte er nun auch eingreifen, wenn Beschlüsse „nach seinem Ermessen das Staatsinteresse gefährden.“548 Mit dieser neuen Klausel 544 Bericht von Dr. Werner Küchenthal, S. 17, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 139. 545 Im Verwaltungsrat saßen zum Zeitpunkt der Entscheidung Albert Brandes von der DVP, Oberbürgermeister Ernst Böhme von der SPD, der Bürgermeister von Wolfenbüttel Paul Eyferth, Oberamtmann Nehrkorn und der Inhaber der Kaffeegroßrösterei Gebr. Jürgens, Robert Jürgens. Protokoll der 29. Aufsichtsratssitzung vom 29. Mai 1926 und der 32. Aufsichtsratssitzung vom 4. März 1927, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 32, 34, NWA 8, Nr. 766. 546 Vertrag zwischen Finanzpräsident i. R. Emil Bartels und der Braunschweigischen Staatsbank vom 29. Januar 1932, in: Personalakte Emil Bartels, NLA WO 12 Neu 6, Nr. 40. 547 Protokoll de 53. Aufsichtsratssitzung vom 11. Mai 1932, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 49, NWA 8, Nr. 766. 548 StBG 1929, § 15 Bs. 1.

158  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

konnte das Finanzministerium bereits vor dem Staatsbank-Skandal jederzeit Einfluss nehmen. Der verschärften Überwachung standen jedoch keine Beschränkungen der Geschäftstätigkeit der Staatsbank gegenüber. Das Institut entging damit dem Schicksal der meisten Landesbanken und Girozentralen, deren Geschäftstätigkeit nach der Bankenkrise erheblich eingeschränkt wurde. Die 1914 gegründete Girozentrale Hannover etwa hatte sich an der Finanzierung der Norddeutschen Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei (Nordwolle) beteiligt und damit in der Bankenkrise massive Verluste erlitten. Das Institut musste sich in der Folge aus dem Privatkreditgeschäft zurückziehen. Sie fusionierte schließlich 1933 mit der erst 1917 gegründeten Landesbank der Provinz Hannover zur Niedersächsischen Landesbank.549 Emil Bartels korrigierte Oscar Stübbens Kreditpolitik in einigen Nuancen, führte dessen grundsätzliche Richtung jedoch weitgehend fort. Eine wichtige Kurskorrektur war die Wiederaufnahme der Kreditvergabe an den Staat. Im Oktober 1932 gab die Staatsbank dem Freistaat einen Kredit über 1,3 Millionen RM, damit dieser seine 1929 ausgegebenen Staatsschatzanweisungen zurückzahlen konnte.550 Neben dem Freistaat profitierte kurz vor dem Ende der Weimarer Republik schließlich auch der gewerbliche Mittelstand von dem Führungswechsel bei der Staatsbank.

Die Mittelstandskreditaktion der Staatsbank 1933 Eine der letzten Handlungen von Emil Bartels war die Einführung eines speziellen Kreditprogramms für den gewerblichen Mittelstand. Dessen Kritik an der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank in der Weimarer Republik hatte sich an dem Umstand entzündet, dass die Staatsbank für ihre Kredite in der Regel materielle Sicherheiten verlangte. Ungesicherte Kredite vergab sie kaum. Die Nationalsozialisten hatten die Forderung des Mittelstandes nach einer vermehrten Vergabe von ungesicherten Krediten übernommen. Nach der Machtdemonstration der Nationalsozialisten und der daraus folgenden Demission Stübbens konnte die Staatsbank diese Forderung nicht länger ignorieren. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler Ende Januar 1933 wuchs der Druck auf die Staatsbankführung, in diesem Bereich Aktivität zu entwickeln. Im Februar wurde deshalb eine spezielle Mittelstandskreditaktion für kurzfristige Wirtschaftskredite ins Leben gerufen, die das Problem der Staatsbank mit dem ungedeckten Personalkredit lösen sollte:

549 Vgl. „Die Braunschweigische Staatsbank und Braunschweigische Landessparkasse bei der Durchführung der niedersächsischen Reichsreform,“, Denkschrift der Braunschweigischen Staatsbank, S. 2, in: NLA WOL 299 N Nr. 692 550 Protokoll der 54. Aufsichtsratssitzung vom 24. November. 1932, in: Protokollbuch des Aufsichtsrats, S. 52, NWA 8, Nr. 766.

3.3 „Die Geister, die ich rief…“ 

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Die Braunschweigische Staatsbank hat sich ungeachtet der sehr hohen, mit der Kleinarbeit verknüpften Verwaltungskosten darum bemüht, mit besonderer Sorgfalt ein Kreditsystem aufzubauen, das den produktiven, auf den Warenumsatz gerichteten Charakter der gewerblichen Kleinkredite zu sichern sucht; sie hat für die gewerbliche Kleinkredithilfe einen Weg gefunden, der, wie uns eine der größten Handwerkskammern des Reiches mitteilt, ‚nach dem übereinstimmenden Urteil aller teilnehmenden Handels- und Handwerkskammern die praktische Möglichkeit bedeutet, wirklich wertvolle und sofortige Hilfe zu leisten.‘ Der hiesigen Handwerkskammer und Industrie- und Handelskammer gebührt besonderer Dank für die bereitwillige und verständnisvolle Mitarbeit, die durch Gutachten usw. die Prüfung der Kreditanträge wesentlich erleichtert und einer verstärkten Pflege des Personalkredits erweiterte Möglichkeiten geschaffen hat.551

Die Staatsbank löste damit das eigentliche Problem bei der Vergabe von Mittelstandskrediten: die Prüfung der Kreditwürdigkeit der Kreditnehmer. Trotz ihres Filialsystems war die Staatsbank zentral organisiert und die Informationen über die persönliche, subjektive Kreditwürdigkeit ließen sich nicht sinnvoll systematisieren oder rationalisieren. Selbst die Mitarbeiter in den Zweigkassen schienen von der Aufgabe überfordert, die Prüfung der Kreditwürdigkeit lediglich auf Basis der persönlichen Einschätzung vorzunehmen. Deshalb kooperierte die Staatsbank mit den Kammern sowie anderen Mittelstandsvereinigungen ihres Bezirks, die durch Gutachten den Teil der Prüfung der Kreditwürdigkeit übernahmen, den die Staatsbank selbst nicht leisten konnte. Wie die Kooperation vor sich ging, zeigt ein Beispiel der Zweigkasse Helmstedt vom Mai 1933. Der Schlachtereibesitzer Albert Wachtmann hatte bei der Zweigkasse einen Antrag auf einen Mittelstandskredit gestellt. Der Filialleiter hatte daraufhin mit dem örtlichen Geschäftsführer des Reichsschutzverbandes für Handel und Gewerbe, Müller, Rücksprache gehalten.552 Daraus ergab sich für den Filialleiter folgendes Bild: „Müller ist der Ansicht, dass z. Zt. Wachtmann nicht in der Lage ist, durch Herleitung eines neuen Kredites sein Geschäft zu beleben bezw. sich dadurch eine bessere Existenzmöglichkeit zu schaffen. Seiner Ansicht nach wird er den angeforderten Betrag benötigen, um alte Verpflichtungen abzudecken und wird sich dann nicht aufhalten können, daß wieder neue Schulden auftreten.“553 Das Kreditgesuch wurde in der Folge abgelehnt. Die entscheidende Information war der Hinweis auf die anderweitig bestehenden Schulden, die Wachtmann der Staatsbank offenbar verheimlicht hatte. Ohne die Kooperationsvereinbarung der Staatsbank mit den Korporationen des Mittelstandes hätte Müller die Informationen gar nicht weitergeben dürfen. Die Expertise der Mittelstandsvertreter sorgte dafür, dass die Staatsbank denjenigen Mittelständlern Kredite ohne materielle Sicherheiten geben konnte, bei denen das Urteil der Mittelstandsvertreter positiv ausfiel. 551 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank über das Geschäftsjahr 1933, S. 2. 552 Der von Moritz Liebald gegründete Reichsschutzverband war in der Weimarer Republik die wohl bedeutendste freiwillige Mittelstandsvereinigung im Land Braunschweig gewesen und hatte auch die Machtergreifung überlebt. Vgl. Kapitel 3.2, S. 135–140. 553 Zweigkasse Helmstedt an das Direktorium, Helmstedt, den 29. Mai 1933 [Lw/Un.33], in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 200.

160  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Allerdings reichten die Expertisen der Kammern und Korporationen allem Anschein nach nicht aus, um die Sicherheit der Kredite ausreichend zu gewährleisten. Der Staatsbank fehlte die Sanktionsmöglichkeit, um unwillige Kreditnehmer zur Zahlung ihrer Raten zu zwingen. Die Staatsbankführung versuchte deshalb, eine neue Form der Sanktionierung einzuführen: Der erweiterte Ausbau des mittelständischen Kredits zum Personalkredit bedingt eine weitere Hebung der allgemeinen Kreditmoral und setzt ein zuverlässiges Vertrauensverhältnis zwischen kreditgebender Bank und Kreditnehmer voraus […]. In diesem Sinne verdienen durchaus solche Bestrebungen tatkräftige Unterstützung, die wissentlich falsche oder lückenhafte Angaben bei dem Kreditantrage, leichtsinnige Verwirtschaftung anvertrauter Kredite nicht nur rein wirtschaftlich beurteilen, sondern als schweren Verstoß gegen die Standesehre ansehen.554

Weil die Kreditwürdigkeitsprüfung keine materielle, sondern eine soziale Grundlage besaß, sollten auch die Sanktionsmöglichkeiten auf dieser Grundlage erfolgten. Die Feststellung des Verstoßes gegen die Standesehre entzog dem Kreditnehmer die Fürsprache der entscheidenden Personen und damit seine Kreditwürdigkeit. Sie war deshalb äquivalent zu dem Entzug von materiellen Sicherheiten wie einem Haus oder Grundstück. Die Ablehnung von Kreditgesuchen war für die Staatsbank durch die Einbeziehung der Korporationen des Mittelstandes politisch viel weniger gefährlich als ihre Standardverfahren, weil sie damit rechnen konnte, dass die Kriterien der Prüfung von den Kreditnehmern akzeptiert wurden. Sie betonte deshalb, dass sie sich bei der Prüfung der Integrität der Kreditnehmer an die von den Mittelstandsvereinigungen selbst vorgeschlagenen Grundsätze hielt. Konkret bezog sich die Staatsbank auf eine Schrift des Generalsekretärs des „Reichsstandes des Deutschen Handwerks“ Felix Schüler mit dem Titel „Die Kreditquellen des Deutschen Handwerks“, in dem dieser in zehn Merksätzen die moralischen Pflichten der mittelständischen Kreditnehmer postulierte.555 Mithilfe der Kammern verbreitete die Staatsbank diese Merksätze unter ihren Kunden und stellte damit den Zusammenhang mit der Praxis ihrer Kreditvergabe her. Innerhalb der Geschäftsberichte der Staatsbank nahm die Berichterstattung über die Aktion eine dominante Stellung ein. 1933 und 1934 wurde gleich auf der ersten Seite ausführlich darüber berichtet. Die Aktion diente auch in den folgenden Jahren als Beweis dafür, dass die Staatsbank ihre Aufgabe ernst nahm, den Mittelstandskredit zu fördern.556 Ihre Rolle als legitimierende Maßnahme erfüllte die Son554 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank über das Geschäftsjahr 1934, S. 3. 555 Schüler, Felix, Die Kreditquellen des Deutschen Handwerks, Berlin 1933. Zitiert durch das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank im Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank für das Jahr 1934, S. 3. 556 Vor allem bei der Rechtfertigung von industriellen Großkrediten wurde auf die Aktion immer wieder hingewiesen. So in einer Aufstellung über die Großkredite der Braunschweigischen Staatsbank vom Oktober 1936: Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Ministerialrat Sperl, Reichswirtschaftsministerium vom 27. Oktober 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 153. Auch in einer vermutlich aus dem Jahr 1934 stammenden Denkschrift zum Aufgabenkreis der

3.3 „Die Geister, die ich rief…“ 

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derkreditaktion sehr gut. Es war ein kluger Schachzug der Staatsbankführung, die Mittelstandsvereinigungen in das Programm einzubeziehen und innerhalb des Programms die wichtigsten Elemente der Mittelstandsideologie zur Grundlage der Praxis der Kreditvergabe zu erklären. Die Kritik an der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank durch die politischen Vertreter des Mittelstandes verstummte durch diese Aktion. Damit hatte die Staatsbank eine mindestens seit der Währungsreform existierende politische Bestandsgefahr weitgehend neutralisiert. Die wirtschaftlichen Risiken des Programms waren dagegen zu vernachlässigen, nicht unbedingt wegen der Effektivität der neuen Form der Kreditprüfung, sondern wegen des begrenzten Umfanges des Programms. Die Staatsbank hatte im Februar 1934 über das Programm insgesamt 560 Kredite mit einem Gesamtvolumen von 700.000 RM vergeben. Das Durchschnittsvolumen lag also nur wenig höher als 1.000 RM. Am Ende des Jahres lagen die Zahl der Kredite bei 1991 und das Volumen bei ca. zwei Millionen RM. Vergleicht man diese Zahlen mit dem Zuwachs im gesamten Kontokorrentgeschäft, so wird klar, dass die Mittelstandskreditaktion zwar nicht nur symbolische Bedeutung hatte, jedoch auch nicht im Zentrum der Geschäftstätigkeit der Staatsbank stand. 1933 machten die Kredite der Mittelstandskreditaktion etwa ein Zehntel der neu gewährten Kontokorrentkredite an die gewerbliche Wirtschaft aus. 1934 lag der Anteil an der Gesamtsumme der gewährten Kredite ebenfalls bei einem Zehntel. In der Bilanzsumme machten die Kredite der Mittelstandskreditaktion 1934 gerade einmal ein Prozent aus. Durch das geringe Gesamtvolumen und die große Kreditzahl waren die wirtschaftlichen Risiken der Aktion von Anfang an eng begrenzt.557 Ein entscheidender Vorteil der Aktion war ihre Konzeption als Sonderprogramm. Es wurden extra für dieses Programm Sonderformulare angefertigt, um den Angestellten der Staatsbank klarzumachen, dass diese Form der Kreditvergabe nicht der Norm der Staatsbank entsprach.558 Die Staatsbankführung konnte dadurch verhindern, dass die alternative Form der Prüfung der Kreditwürdigkeit auf ihr Tagesgeschäft übergriff. Außerhalb des Programms arbeitete sie weiter nach ihren bewährten Grundsätzen. Das Programm endete 1942 aufgrund der Auswirkungen des Krieges.559

Staatsbank werden die Großkredite mit dem Argument der Quersubventionierung der in der Aktion vergebenen Kredite gerechtfertigt. „Das Kreditgeschäft der Braunschweigischen Staatsbank“, ohne Datum, S. 7, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 120. 557 Eigene Berechnungen auf Grundlage der Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge. 558 Rundverfügung Nr. 50 (Gruppe IIIf /Nr. 78), Braunschweig 26. Mai 1942, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 200. 559 Ebenda.

162  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

3.4 Zwischenfazit: Die Expansion der Unternehmensfinanzierung der Staatsbank in der Weimarer Republik Vergleicht man die Entwicklung der Unternehmensfinanzierung der Staatsbank in der Weimarer Republik mit den bisherigen Annahmen über die Expansion des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens in diesem Bereich, so lässt sich zunächst der liberale Erklärungsansatz weitgehend ausschließen. Die Expansion der Staatsbank ist nicht in erster Linie auf staatliche Privilegien zurückzuführen. In den Phasen, in denen die Staatsbank in einem direkten Wettbewerb mit privaten Instituten stand, war sie diesen unterlegen. Insbesondere in der Stabilisierungsphase lag dies hauptsächlich am Kapitalmangel. Gleichzeitig verlangte der Freistaat Braunschweig sehr hohe Finanzierungsleistungen von seiner Bank, ohne das Institut mit ausreichend Eigenkapital auszustatten. Auch die staatliche Haftung war für die Staatsbank aufgrund der miserablen finanziellen Verfassung des Freistaates kein Vorteil. Zudem erhielt der Freistaat im Verhältnis zum eingesetzten Kapital sehr hohe Gewinnausschüttungen. Lediglich ein Aspekt, der mit der öffentlichen Trägerschaft zusammenhängt, hat eine Rolle bei der Entwicklung der Unternehmensfinanzierung gespielt. Die Staatsbank war nie in Gefahr, von einem Konkurrenten übernommen zu werden. Insofern war sie dem Druck des Strukturwandels im Kreditwesen nicht in gleichem Maße ausgesetzt wie die privaten Kreditinstitute. Dadurch war die Staatsbankführung in der Lage, auf besonders risikoreiche Finanzierungsformen zu verzichten. Dazu zählen insbesondere die kurzfristigen Auslandskredite und ungesicherte Kreditformen. Auf der anderen Seite konnte die Expansion der Staatsbank in der Unternehmensfinanzierung in dieser Phase nicht auf dem Wachstum einer bereits vorhandenen Kundschaft basieren, weil die Staatsbank in der Weimarer Republik überhaupt erst nennenswert in das Geschäft mit der Unternehmensfinanzierung eingestiegen war. Gleichzeitig zeigen der anhaltende Konflikt mit dem politisch organisierten Mittelstand, die geringe Zahl ungesicherter Kredite und die Probleme mit den ersten industriellen Kunden die Unfähigkeit der Staatsbank, Informationsasymmetrien wirksam zu überwinden. Die Praxis der Kreditvergabe lässt sich zumindest für die Zeit der Weimarer Republik nicht mit dem Relationship-Lending-Ansatz beschreiben. Erst die Mittelstandskreditaktion und die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen ermöglichte es der Staatsbank, die großen Informationsasymmetrien teilweise abzubauen. Zumindest auf den ersten Blick kann daher die Safe-Haven-These die Entwicklung am besten erklären. Die Staatsbank expandierte im Bereich der Unternehmensfinanzierung in erster Linie außerhalb unmittelbarer Wettbewerbssituationen und insbesondere in Krisenzeiten. Hier wandelten sich die Nachteile der öffentlichen Trägerschaft, die die Staatsbank im direkten Wettbewerb mit den privaten Banken unterliegen ließen, in einen entscheidenden Vorteil um. Vor dem Hintergrund der finanziellen Verhältnisse des Gewährträgers lässt sich sowohl die Zurückhaltung der

3.4 Zwischenfazit

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Bank im wirtschaftlichen Aufschwung und ihre damit zusammenhängende Handlungsfähigkeit in Krisenzeiten hauptsächlich mit betriebswirtschaftlichen Sachzwängen und Handlungslogiken erklären. Krisen beschleunigten den Expansionsprozess in der Industriefinanzierung jedoch nicht nur, weil sie der Staatsbankführung im Wettbewerb mit den privaten Banken einen Vorteil verschafften. Sie eröffneten der Staatsbankführung auch neue Möglichkeiten, die Expansion in diesem Geschäftsfeld politisch zu rechtfertigen. Sowohl in der Anpassungskrise nach der Währungsreform als auch in der Weltwirtschaftskrise konnte die Staatsbank ihre Expansion in der Industriefinanzierung im Sinne von Kriseninterventionen legitimieren. Diese Form der politischen Legitimation der Unternehmensfinanzierung wirkte nicht etwa restriktiv auf die Kreditvergabe, sondern expansiv. Die Probleme, die bei der Wechselwirkung zwischen betriebswirtschaftlichen und politischen Handlungslogiken auftraten, werden besonders bei der Strategie der „regionalen Champions“ deutlich. Den Einstieg in die Industriefinanzierung in der Anpassungskrise nach der Währungsreform 1923 vollzog das Institut hauptsächlich aufgrund von betriebswirtschaftlichen Erwägungen. Aufgrund der Krise der privaten Banken konnte sie diesen Einstieg im Sinne einer Krisenintervention rechtfertigen. In der Stabilisierungsphase musste die Staatsbankführung dieses Neugeschäft jedoch politisch neu legitimieren und formulierte deshalb eine eigene Industriestrategie. Die Strategie der „regionalen Champions“ kollidierte im Laufe der Zeit jedoch sowohl mit den oben genannten betriebswirtschaftlichen Sachzwängen der vorsichtigen Kreditpolitik als auch mit anderen politischen Zielen wie der Mittelstandsfinanzierung und dem Staatskredit. Spätestens mit der Ablehnung der Auslandsanleihe war sie deshalb bereits wirtschaftlich gescheitert. Die Staatsbankführung war nicht bereit, für das neue industriepolitische Ziel ihre betriebswirtschaftlichen Grundsätze aufzugeben. Dies steht im Einklang mit der allgemeinen Linie der Staatsbankführung unter Oscar Stübben, der den betriebswirtschaftlichen Zielen der Staatsbank generell Vorrang vor politischen Zielen einräumte.560 Die finanzielle Abwicklung der Strategie der „regionalen Champions“ folgte wiederum betriebswirtschaftlichen Sachzwängen. Das zentrale Problem der Staatsbankführung war, dass sie die Strategie zwar wirtschaftlich erfolgreich beenden konnte, jedoch nicht in der Lage war, die politischen Ansprüche, die sie mit dieser Strategie geweckt hatte, einzufangen. Dies war der eigentliche Grund für den Erfolg der Nationalsozialisten bei der Skandalisierung der Industriefinanzierung der Staatsbank. Stübben hat diesen politischen Faktor deutlich unterschätzt. Sein Nachfolger Emil Bartels bewies hier mehr Geschick. Die unter seiner Führung durchgeführte Rücknahme der Kreditsperre und vor allem die Mittelstandskreditaktion entschärften den Konflikt mit den braunschweigischen Nationalsozialisten zunächst. Bartels hatte es verstanden, durch konkrete Zugeständnisse die grundsätzlichen Fragen der 560 Dies geht aus seiner Rechtfertigungsschrift hervor, die er im Rahmen des Dienststrafverfahrens verfasst hat. Vgl. Stellungnahme Stübben, in: Personalakte Stübben, NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26012.

164  3 Der Einstieg der Staatsbank in die Unternehmensfinanzierung

Autonomie und der grundsätzlichen Ausrichtung der Geschäftstätigkeit der Bank nicht aufkommen zu lassen. Dies war möglich, weil der Einfluss der Nationalsozialisten noch nicht allumfassend war. Sie konnten zwar den Staatsbankpräsidenten stürzen, hatten jedoch keinen Einfluss auf die Wahl seines Nachfolgers. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Reich fielen die Beschränkungen der Machtausübung fort. Dadurch änderten sich die Bedingungen der Unternehmensfinanzierung der Staatsbank deutlich. In der Weimarer Republik war eine direkte Einflussnahme in die Praxis der Kreditvergabe sehr selten gewesen. Nach 1933 dagegen musste die Staatsbankführung stets mit der Intervention der braunschweigischen Regierung rechnen. Stübbens und Bartels Nachfolger musste deutlich stärker auf die politische Legitimation der Kreditvergabe achten als seine Vorgänger.

4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit (1933–1948) Nachdem die Braunschweigische Staatsbank in der Weimarer Republik mit ihrer Industriestrategie weitgehend gescheitert war, gelang ihr in der Zeit des Nationalsozialismus der Durchbruch in diesem Geschäftsbereich. Dabei spielte die Finanzierung der Aufrüstung eine überragende Rolle. Zum ersten Mal gewann in diesem Zusammenhang die Unternehmensfinanzierung auch wirtschaftlich eine große Bedeutung für die Bank. Ihre volle finanzielle und geschäftspolitische Aufmerksamkeit konnte sie der Rüstungsfinanzierung allerdings nur zwischen 1936 und 1939 widmen. Vor 1936 wurde die Staatsbank von den braunschweigischen Nationalsozialisten zum Ausbau ihrer politischen Macht eingesetzt, bis ein Eingriff des Reichswirtschaftsministeriums ihrer Herrschaft über die Bank ein Ende bereitete. Ab 1939 diente die Staatsbank in erster Linie der geräuschlosen Kriegsfinanzierung. Die Nachkriegszeit begann die Staatsbank unter der Last ihrer Beteiligung an der Rüstungs- und der Kriegsfinanzierung. Punkt 4.1 stellt die Entwicklung der Staatsbank unter dem Einfluss der nationalsozialistischen Landesregierung dar. Dabei wird zunächst ein Überblick über die ideologischen Vorbehalte der Nationalsozialisten gegenüber dem Kreditwesen gegeben, wobei insbesondere auf die Mittelstandsideologen innerhalb der nationalsozialistischen Partei eingegangen wird. Danach wird der Prozess der Gleichschaltung der Staatsbank dargestellt und erörtert, inwiefern dieser Prozess unvollständig blieb. Schließlich wird der Einsatz der Staatsbank für die Ziele der braunschweigischen Regierung unter Dietrich Klagges beschrieben. Dazu gehörte einerseits die Senkung der Kreditkosten des Freistaates sowie die Ambitionen von Klagges selbst auf einen eigenen Reichsgau mit Namen „Ostfalen“. Im Rahmen des „Ostfalenplans“ wurde die Staatsbank dazu gezwungen, Filialen außerhalb ihres Geschäftsgebietes zu eröffnen. Diese neuen Filialen standen aus politischen Gründen von vorneherein unter enormen Druck, möglichst schnell rentabel arbeiten zu müssen. Im Zentrum des Unterkapitels steht eine systematische Untersuchung der Strategie der neuen Filialen in der Unternehmensfinanzierung im Vergleich mit dem Gesamtinstitut. Danach wird versucht, die Kosten der politischen Einflussnahme für die Staatsbank zu bilanzieren. Das Unterkapitel endet mit der Darstellung des Eingriffs des Reiches in die braunschweigischen Verhältnisse mithilfe des „Gesetzes über Staatsbanken“ und der Neuordnung der „Corporate Governance“ der Staatsbank unter der Aufsicht des Reichswirtschaftsministeriums. Punkt 4.2 beschreibt den Einstieg der Staatsbank in die Rüstungsfinanzierung. Dabei wird der Schwerpunkt auf den Aufbau der Flugzeugindustrie in Braunschweig sowie die Finanzierung der Autarkiebemühungen der Nationalsozialisten gelegt. Im Anschluss wird zunächst der finanzielle Nutzen der Rüstungsfinanzierung für die https://doi.org/10.1515/9783110697223-004

166  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

Staatsbank analysiert. Daraufhin stehen die Auswirkungen der Finanzierung industrieller Großprojekte auf die Entscheidungsstrukturen der Staatsbank im Mittelpunkt, wobei die Reichsaufsicht über die Staatsbank eine besondere Rolle spielt. Schließlich wird erörtert, warum die Staatsbank bei der Finanzierung der beiden Großprojekte in der Region – den Reichswerken Hermann Göring und dem Volkswagenwerk – nur am Rande stand. Punkt 4.3 stellt die Staatsbank im Krieg und in der Nachkriegszeit dar. Es wird gezeigt, wie die Aufgabe der Unternehmensfinanzierung gegenüber der direkten Kriegsfinanzierung in den Hintergrund gedrängt wurde. Nach dem Krieg nahm die Staatsbank die Industriefinanzierung jedoch direkt wieder auf. Sie finanzierte dabei nicht nur ihre alten Kunden, sondern gewann auch neue hinzu, insbesondere das Volkswagenwerk. Auf der anderen Seite musste sie allerdings auch Kreditbeziehungen abwickeln, vor allem im Bereich der Flugzeugindustrie. In einem Zwischenfazit wird die Expansion der Staatsbank in der Industriefinanzierung wiederum mit den in der Einleitung vorgestellten Annahmen verglichen.

4.1 Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der „Ostfalenplan“: Die Unternehmensfinanzierung der Staatsbank unter der Herrschaft von Dietrich Klagges 1933–1935 Den Einstieg in die Unternehmensfinanzierung vollzog die Braunschweigische Staatsbank in der Weimarer Republik in der Praxis weitgehend ohne direkte Beeinflussung durch die Politik. Diese Zeit der relativen Autonomie der Geschäftsführung endete jedoch mit der Machtübernahme der NSDAP im Reich. In Braunschweig hatten die Nationalsozialisten bereits vor 1933 zu erkennen gegeben, dass sie der Staatsbank keine eigenständige Geschäftsführung zugestanden. Sie verstanden das Institut im Wesentlichen als Instrument ihrer Politik. Die Frage war daher lediglich, wie weitgehend Eingriffe in die Entscheidungen der Bank ausfallen würden.

Hjalmar Schacht und die Bewahrung des Status Quo im Kreditwesen Die braunschweigischen Nationalsozialisten um Dietrich Klagges gehörten mehrheitlich dem mittelstandsideologischen Flügel der Partei an, der nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Reich stark an Bedeutung verlor. Die Konzepte der wirtschaftspolitischen Abteilung der NSDAP wurden 1933/34 genauso zurückgedrängt wie die anderen Strömungen eines nationalen Sozialismus innerhalb der Spitze der Partei. Stattdessen konnte sich mit Hjalmar Schacht der zentrale Gegenspieler der NS-Mittelstandsideologen durchsetzen. Schacht war am 16. März 1933 erneut zum Reichsbankpräsidenten ernannt worden. Er nutzte seine Stellung,

4.1 Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der „Ostfalenplan“ 

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um den politischen Prozess der Aufarbeitung der Bankenkrise von 1931 zu steuern. Schacht hatte dazu 1933 die sogenannte Banken-Enquete-Kommission ins Leben gerufen, die politische Konsequenzen aus den Vorgängen im Jahr 1931 ziehen sollte. In diesem Ausschuss konnte sich Schacht weitgehend gegen die Mittelstandsideologen durchsetzen.561 Im Bericht der Enquete-Kommission wurden keine radikalen Strukturreformen vorgeschlagen, sondern im Wesentlichen der Status Quo festgeschrieben.562 Die Großbanken wurden bis 1936 reprivatisiert und nahmen ihre Rolle als Finanziers der Großindustrie wieder ein. Die einzige bedeutende Strukturverschiebung im Kreditwesen bis zum Krieg war die politisch motivierte Verdrängung der jüdischen Privatbanken aus dem Kreditgeschäft, die unter dem Begriff „Arisierung“ vorangetrieben wurde. Entschieden wurde der Machtkampf auf Reichsebene durch Hitlers Entscheidung, Schacht am 2. August 1934 zum Reichswirtschaftsminister zu ernennen. Eine der ersten Handlungen Schachts im Ministerium war die Ankündigung, dass sein Staatssekretär Gottfried Feder seinen Hut zu nehmen habe.563 Mit Feder wurde der letzte bedeutende Mittelstandsideologe der NSDAP aus der Reichsregierung entfernt.564 Von seinem Amtsantritt als Reichswirtschaftsminister an war Schachts Einfluss in Wirtschaftsfragen größer als der jedes anderen Kabinettsmitgliedes mit Ausnahme von Adolf Hitler selbst. Das Kreditwesengesetz (KWG), das Ende 1934 verabschiedet wurde, führte zum ersten Mal eine einheitliche bei der Reichsbank angesiedelte Aufsicht über das gesamte Kreditwesen ein. Mit dem KWG wurden wichtige Erkenntnisse aus der Bankenkrise 1931 in Gesetzesform gegossen und der Kreditwirtschaft erstmals ein Handlungsrahmen auferlegt. Das KWG gab Schacht weitere Einflussmöglichkeiten an die Hand, weil die neu eingeführte Aufsicht über das gesamte Kreditwesen bei der Reichsbank angesiedelt war. Alle Kreditinstitute und somit auch alle Sparkassen, Girozentralen und Landesbanken wurden durch das Gesetz der Reichsaufsicht unterstellt und mussten fortan Mindeststandards bei Eigenkapital und Liquidität einhalten. Die Ausweitung der Reichsaufsicht auf die Institute der Sparkassenorganisation war eine Fortführung 561 Kopper, Christopher, Zwischen Marktwirtschaft und Dirigismus. Bankenpolitik im „Dritten Reich“ (1933–1939), Bonn 1995, S. 97 f. 562 Dies galt im Übrigen auch für den öffentlich-rechtlichen Sektor. Forderungen nach Beschränkungen der Bankgeschäfte von Sparkassen wurden ebenfalls offiziell nicht erhoben. Dennoch brachten einige öffentlich gemachten Äußerungen zur Beschneidung des Kreditgeschäftes der Sparkassen große Unruhe bei einigen Gauleitern und Staatsregierungen. Die Braunschweigische Regierung und der für Braunschweig zuständige Reichsstatthalter Wilhelm Loeper waren unter den energischsten Kritikern einer Einschränkung des Bankgeschäfts der Sparkassen. Kopper, Dirigismus, S. 105 f. 563 Kopper, Schacht, S. 255. 564 Otto Wagener, der eigentlich Reichswirtschaftsminister werden wollte, musste bereits im Juni 1933 als Reichskommissar für die Wirtschaft zurücktreten und Gregor Strasser wurde am 30. Juni 1934 verhaftet und erschossen. Kopper, Dirigismus, S. 84; Tooze, Adam, The Wages of Destruction. The Making and Breaking of the Nazi Economy, London [u. a.] 2006, S. 68.

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der Gesetzgebung aus den Notverordnungen des Jahres 1931, als die Sparkassen rechtlich und personell von den Kommunen getrennt und zunächst einer bei den Ländern angesiedelten Aufsicht unterworfen wurden.565 Die Zentralisierung der Aufsicht bei der Reichsbank war jedoch aus der Perspektive Schachts im Jahr 1934 auch deshalb notwendig, weil einige Landesregierungen den Kurs der Reichsregierung im Bereich des Kreditwesens nicht akzeptierten. Die Mittelstandsideologen hatten auf Reichsebene zwar eine dauerhafte Niederlage erfahren. Dagegen war der Widerstand gegen Schachts Politik auf der regionalen Ebene keineswegs verstummt. Die braunschweigische Regierung war dabei nicht die einzige Querulantin. Auch in Bayern gab es starken Widerstand gegen die Reichsaufsicht, das Ergebnis der Enquete-Kommission und gegen das KWG.566 In Braunschweig ging man jedoch im Sommer 1934 in jeglicher Hinsicht zu weit. Die Braunschweigische Staatsbank hatte kurz hintereinander zwei Entscheidungen getroffen, die vollkommen gegen den Konsens der Enquete-Kommission verstießen.567 Am 31. Juli 1934 eröffnete das Institut zehn neue Filialen auf preußischem Gebiet: in Celle, Gifhorn, Goslar, Göttingen, Halberstadt, Hildesheim, Lüneburg, Peine, Stendal und Uelzen.568 Einen Monat später verkündete sie eine unilaterale und nicht gegenfinanzierte Zinssenkung aller bestehenden und neuen öffentlichen Kredite (Kommunal- und Staatskredite).569 Diese beiden Entscheidungen waren offiziell von dem Direktorium der Staatsbank getroffen worden, doch in Wirklichkeit hatte die braunschweigische Regierung unter Dietrich Klagges und Friedrich Alpers zu diesem Zeitpunkt die Macht über die Staatsbank weitgehend übernommen.

Die unvollendete „Gleichschaltung“ der Staatsbank Der Prozess der Machtübernahme der NSDAP hatte sich im Freistaat über einen längeren Zeitraum hingezogen als im Reich. Aufgrund der Regierungsbeteiligung der NSDAP hatte die Partei bereits seit 1930 Machtmittel zur Verfügung, um gegen missliebige Personen in öffentlichen Ämtern auch administrativ vorzugehen. Der bereits dargestellte Fall Oscar Stübben zeigt allerdings auch die Grenzen dieser Macht bis 1933. Die Partei konnte zwar den amtierenden Präsidenten aus dem Amt bringen, aber

565 Pohl, Rheinische Sparkassen, S. 161. 566 Kopper, Dirigismus, S. 106-109. 567 Untersuchung des Bankwesens, 1. Teil, Bd. 1 u. 2, hrsg. vom Untersuchungsausschuss für das Bankwesen, Berlin 1933. 568 Die „Ostfalen-Aktion“ und die damit einhergehende politisch verordnete Expansion der Staatsbank werden in Kapitel 4.3 dargestellt. 569 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister, Braunschweig, den 11. November 1935, Beschwerde gegen die vom Braunschw. Staatsministerium unter dem 26. September 1935 verhängte Dienststrafe, in: BArch, R3101/15621.

4.1 Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der „Ostfalenplan“ 

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keinerlei Einfluss auf die Neubesetzung des Präsidentenamtes ausüben.570 Insofern waren der Machtausübung der NSDAP auch in Braunschweig noch Grenzen gesetzt. Mit der Machtergreifung der NSDAP im Reich, die mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 begann und mit der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes am 24. März 1933 ihren Höhepunkt erreichte, änderte sich die Situation auch in Braunschweig noch einmal deutlich. Die Nationalsozialisten in Braunschweig drängten nach der ebenfalls am 24. März erfolgten Verkündigung Hermann Görings zur „Gleichschaltung“ der Länderparlamente die bürgerlichen Parteien aus der Regierung. Dies betraf in erster Linie den Ministerpräsidenten und DNVP-Vorsitzenden Werner Küchenthal. An Stelle Küchenthals wurde Dietrich Klagges zum Ministerpräsidenten ernannt, der Posten des Finanzministers ging an SSFührer Friedrich Alpers.571 Durch die Übernahme des Finanzministeriums gewannen die Nationalsozialisten einen direkten Einfluss auf die Auswahl des Führungspersonals der Braunschweigischen Staatsbank. Ihnen kam dabei der Umstand zugute, dass fast alle Direktoriumsstellen im März 1933 neu zu besetzen waren. Das Direktorium bestand zu diesem Zeitpunkt lediglich noch aus zwei Mitgliedern, Emil Bartels und dem Leiter der Hypothekenabteilung Wilhelm Schulz. Emil Bartels hatte die Führung der Staatsbank von vorneherein nur übergangsweise übernommen.572 Das Amt des Staatsbankpräsidenten war trotz einjähriger Suche nicht wieder permanent besetzt worden, was der zuständige Finanzminister Werner Küchenthal mit einem Mangel an geeigneten Bewerbern aufgrund des niedrigen Gehaltes erklärte.573 Die Besetzung des Postens des Staatsbankpräsidenten wurde von den Nationalsozialisten in den Prozess der Regierungsumbildung in Braunschweig mit einbezogen. Bereits am Tag der Verkündigung des Ermächtigungsgesetzes in Berlin, also am 24. März 1933, vereinbarte Dietrich Klagges mit dem zu dem Zeitpunkt noch amtierenden Finanzminister Werner Küchenthal, dass dieser mit dem Tage seines Ausscheidens aus dem Ministeramt zum Staatsbankpräsidenten ernannt werden sollte.574 In seinem Entnazifizierungsverfahren wurde Küchenthal vorgeworfen, er sei von den braunschweigischen Nationalsozialisten mit dieser Stelle dafür entlohnt worden, dass er seit 1930 mit der NSDAP kooperiert und dann nach der Gleichschal570 Im Verwaltungsrat, der Emil Bartels als Interimslösung vorschlug, saß kein Mitglied der NSDAP. Protokoll der 50. Aufsichtsratssitzung vom 14. August 1931, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates 1919–1935, S. 46, NWA 8, Nr. 766. Das Finanzministerium, das Bartels durchgesetzt hatte, stand zudem unter der Leitung des bürgerlichen Teils der Koalition. 571 Jörg Leuschner, Einleitung, S. 21. Alpers war seit 1930 Teil der Fraktion der NSDAP im Braunschweigischen Landtag und seit 1931 Mitglied der SS. Als Leiter der SS-Hilfspolizei war er für das äußerst brutale Vorgehen der Nationalsozialisten in Braunschweig im März 1933 verantwortlich. Dieter Lent, Alpers, Friedrich, in: Scharck, Horst-Rüdiger; Scheel, Günther (Hg.), Braunschweigisches Biographisches Lexikon – 19. und 20. Jahrhundert, Hannover 1996, S. 24. 572 Vertrag zwischen der Braunschweigischen Staatsbank und Finanzpräsident i. R. Emil Bartels vom 29. Januar 1932, in: Personalakte Emil Bartels, NLA WO 12 Neu 6, Nr. 40. 573 Ebenda, S. 18.

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tung seinen Posten freiwillig geräumt habe.575 Küchenthal behauptete in einer Rechtfertigungsschrift, dass er vor Antritt der Stelle als Staatsbankpräsident sehr viel besser dotierte und einflussreichere Stellen angeboten bekommen hätte. Er hätte die Stelle als Staatsbankpräsident deshalb angenommen, weil führende Vertreter der braunschweigischen Wirtschaft ihn gebeten hätten, das Amt zu übernehmen, um das Institut nicht den „Mittelstandsideologen“ in die Hände zu geben. Die Richter in seinem Entnazifizierungsverfahren hielten seine Aussagen für glaubwürdig. Küchenthal besaß ihnen zufolge die Kompetenz und die persönlichen Beziehungen zur Finanzwelt, die in der braunschweigischen NSDAP niemand vorweisen konnte.576 Küchenthal war demnach für die nationalsozialistische Regierung aufgrund seiner Expertise und seiner Verbindungen in die Finanzwelt unverzichtbar. Klagges und Alpers vertrauten ihm jedoch nicht. Dies zeigte sich bei der Ernennung Kurt Bertrams zum Vizepräsidenten der Staatsbank am 16. Mai, einen Tag nach Küchenthals offizieller Diensteinführung. Bertram war kurz zuvor zum Staatsrat für Justiz und Finanzen im Ministerium von Friedrich Alpers ernannt worden.577 Alpers hatte mit Bertram nicht nur einen Fraktionskollegen, sondern vor allem einen SS-Mitkämpfer zu seinem Staatsrat und zum Vizepräsidenten der Staatsbank ernannt.578 Er vertrat nun im Direktorium die Interessen des Finanzministeriums. Das Direktorium war durch Bertrams Doppelfunktion als Staatsbankdirektor und als Staatsrat nicht mehr unabhängig von der Ministerialverwaltung, denn Minister Alpers war gegenüber Bertram weisungsbefugt. Mit der Ernennung Kurt Bertrams zum Staatsbankdirektor hatte sich die NS-Regierung in Braunschweig eine direkte Möglichkeit geschaffen, Entscheidungen der Staatsbank zu beeinflussen. Die anderen Personalentscheidungen waren dagegen weniger politisch beeinflusst. Bereits am 5. April wurde Heinrich Lehmann als Direktor bei der Staatsbank angestellt. Lehmann hatte zum Zeitpunkt seiner Einstellung bereits 25 Jahre Berufserfahrung bei privaten Banken in Düsseldorf gesammelt und war im Direktorium für 574 Dies geht aus einem formalen Beschluss des Staatsministeriums hervor, dass sowohl Küchenthal als auch Klagges unterschrieben haben: Beschluss des Staatsministeriums vom 24. März 1933, in: Personalakte Küchenthal, NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 552. 575 Bericht von Werner Küchenthal, S. 18f, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 139. 576 Zur Entnazifizierungsverhandlung vgl.: Braunschweiger Zeitung vom 28.9.1949, S. 1, Staatsarchiv Hannover ZGS 2/1, Nr. 157; Berufungsausschuß für die Entnazifizierung im Verwaltungsbezirk Braunschweig, Spruchausschuß Braunschweig, Az. 6053 VE 3587 Braunschweig den 11.12.1950, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 552. 577 Kiekenap, Bernhard, SS-Junkerschule: SA und SS in Braunschweig, Braunschweig 2008, S. 232, Fußnote 32. 578 Kurt Bertram hatte seine berufliche Laufbahn zwar im Bankwesen begonnen, aber seine Stellung beschränkte sich auf die des Leiters der Scheck- und Wechselabteilung der braunschweigischen Filiale der Deutschen Bank. Seine Parteikarriere war beeindruckender: Er war seit 1925 Kreisleiter der NSDAP und 1930 als Abgeordneter in den Braunschweigischen Landtag eingezogen. Schreiben des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an den Braunschweigischen Minister der Finanzen vom 9. März 1937 auf die Verfügung vom 8. März 1937 (F II 415/37), Anlage I, Bundesarchiv Berlin (BArch) R 3101 / 15621.

4.1 Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der „Ostfalenplan“ 

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das kurzfristige Kreditgeschäft zuständig. Er war 1932 der NSDAP beigetreten, doch hatte dies augenscheinlich keinen besonderen Einfluss auf die Entscheidung.579 Am 1. Oktober 1933 wurde schließlich noch Friedrich Ohlens zum Staatsbankdirektor berufen. Er leitete die Rechtsabteilung.580 Der personelle Umbruch in der Führungsebene der Staatsbank war ein vielschichtiger Prozess, dessen Ursache nicht allein der Errichtung der NS-Diktatur in Deutschland zuzuschreiben ist. Es waren in erster Linie die Vakanzen, die der nationalsozialistischen Regierung die weitgehende Neugestaltung der Führungsebene ermöglichten. Trotz dieser Gestaltungsmöglichkeiten ernannten Klagges und Alpers mit Werner Küchenthal einen Staatsbankpräsidenten, den sie im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie nicht für zuverlässig hielten. Die Personalie Küchenthal war entscheidend für die Frage, inwieweit die Autonomie der Staatsbank gegenüber den Ansprüchen der Landesregierung gewahrt werden konnte. Im Aufsichtsrat setzten die Nationalsozialisten die beinahe vollständige Gleichschaltung durch. Am 23. Mai 1933 wurden per Gesetz die Mandate aller Mitglieder des Aufsichtsrates sowie aller gewählten Mitglieder des Verwaltungsrates aufgehoben.581 Zugleich wurde das Staatsbankgesetz dahingehend geändert, dass statt der acht vom Landtag gewählten Mitglieder nun acht vom Staatsministerium bestimmte Beamte im Aufsichtsrat vertreten waren. Dieser Beschluss gab dem Finanzministerium ein sehr viel größeres Gewicht bei der Entscheidungsfindung innerhalb der Staatsbank als bisher. Er legitimierte zugleich den faktisch bereits vollzogenen Ausschluss aller nicht nationalsozialistischen Landespolitiker aus den Aufsichtsgremien.

579 Emil Bartels hatte nur fünf von 450 Bewerbern für Bewerbungsgespräche ausgewählt, einer von ihnen war Heinrich Lehmann. Die endgültige Entscheidung fällte Werner Küchenthal in seiner Eigenschaft als Finanzminister. Nach einer Anekdote in Küchenthals Bericht hatte Lehmann bei seinem Gespräch mit dem damaligen Finanzminister seine Parteizugehörigkeit nicht erwähnt, während er danach bei seinem Gespräch mit Dietrich Klagges sein Parteiabzeichen trug. Doch auch Küchenthal stellte die Eignung Lehmanns nicht in Frage. „Die Braunschweigische Staatsbank unter der Herrschaft der nationalsozialistischen Minister, des Ministerpräsidenten Klagges und des Ministers Alpers“, Bericht des Staatsbankpräsidenten i. R. Dr. Werner Küchenthal vom 28.11.1966, S. 24f, NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 139. Als 1949 in der Frage der Pensionsansprüche für Lehmann entschieden werden musste, stellte der damalige Staatsbankpräsident Josef Lammers in einem Gutachten klar, dass die betreffende Personalentscheidung nicht aufgrund seiner Mitgliedschaft in der NSDAP erfolgt sei, sondern aufgrund seiner Erfahrung im Bankgeschäft. Schreiben des Präsidenten der Braunschweigischen Staatsbank Bartels an den Niedersächsischen Finanzminister vom 6. Mai 1949; NLA HA, Nds. 200 Acc. 2005/070 Nr. 273. 580 Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an den Braunschweigischen Finanzminister vom 9. März 1937, in: BArch R 3101/15621. Küchenthals Bericht zufolge musste Ohlens aus dem Landesdomänenamt ausscheiden, um einem Freund und SS-Mitstreiter von Friedrich Alpers Platz zu machen. Bericht von Werner Küchenthal, S. 25, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 139. 581 Protokoll der 56. Aufsichtsratssitzung vom 16. Februar 1934 im Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 53f, NWA 8, Nr. 766.

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Als der Aufsichtsrat am 16. Februar 1934 zu seiner ersten Sitzung nach dem Änderungsgesetz zusammentrat, war fast ein Jahr seit der letzten Sitzung vergangen. Der neue Aufsichtsrat war personell vollkommen verändert. Von den 26 Mitgliedern des Aufsichtsrates im Februar 1933 hatten ein Jahr später nur der Abgesandte der Handelskammer Gerhard Schwannecke sowie fünf Personen aus dem Kundenkreis von Staatsbank und Landessparkasse ihr Mandat behalten. Der große Personalwechsel hatte seine Ursache jedoch nicht in dem Änderungsgesetz, sondern in der Gleichschaltung der Kommunen, Kreise und Korporationen im Land Braunschweig, die alle ihre Abgesandten in den Aufsichtsrat der Staatsbank schickten. Somit hatte Emil Bartels Konstruktion des Aufsichtsrates als Versammlung aller Korporationen des Landes Braunschweig letztlich keinen Schutz gegen die Gleichschaltung bieten können. Die Machtübernahme der braunschweigischen Regierung innerhalb der Staatsbank war demnach zwar nicht allumfassend, jedoch in den Augen von Dietrich Klagges ausreichend, um die Bank in den Dienst seiner Politik zu stellen. Diese Politik war mittelstandsideologisch gefärbt, basierte jedoch hauptsächlich auf dem Machthunger des braunschweigischen Ministerpräsidenten.

Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ in Braunschweig Am 28. August 1934 sandte Dietrich Klagges ein Telegramm an Adolf Hitler, in dem er den Beginn der „Brechung der Zinsknechtschaft“ im Land Braunschweig verkündete. Auf das Telegramm folgte ein kurzes Schreiben, in dem es hieß: „Die Braunschweigische Staatsbank hat soeben den Zinssatz für die öffentlich-rechtlichen Kredite (Staats- und Kommunalkredite) ab sofort auf einstimmigen Beschluß des Direktoriums mit einmütiger Zustimmung des Aufsichts- und Verwaltungsrates von etwa 5,8 % auf 4 % herabgesetzt.“582 Diese Entscheidung muss zunächst im Kontext der entsprechenden Pläne und Diskussionen auf Reichsebene betrachtet werden. Dass Zinssenkungen wünschenswert waren, wurde allgemein anerkannt. Das Zinsniveau, das in der Bankenkrise 1931 in die Höhe geschossen war, konnte bis 1935 durch administrative Maßnahmen nur teilweise wirkungsvoll gesenkt werden. Der erste Schritt war eine Zinssenkung aller öffentlichen Anleihen im Rahmen der vierten „Verordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens“ vom 8. Dezember 1931, ein zweiter Schritt die Verabschiedung des Zinsabkommens zwischen den Spitzenverbänden der Kreditwirtschaft am 31. Dezember 1931.583 Ein weiterer Schritt waren die sogenannten Pyrmonter Beschlüsse vom Juni 1933. Auf der Jahrestagung des 582 Telegramm an den Reichskanzler und Führer Adolf Hitler in Berchtesgaden, aufgegeben am 28. August 1934, in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26311/11. 583 Siehe Kapitel 3.3, Unterkapitel: „Die wirtschaftliche Entwicklung der Staatsbank in der Weltwirtschaftskrise“

4.1 Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der „Ostfalenplan“ 

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Verbandes der Deutschen Öffentlich-Rechtlichen Kreditinstitute in Bad Pyrmont war eine freiwillige Zinssenkung für kurzfristige Kredite auf 6,5 % und mittelfristig auf 6 % beschlossen worden.584 Die große Zinskonversion fand allerdings erst im Frühjahr 1935 statt, als nacheinander die Zinsen von Pfandbriefen, öffentlichen Anleihen und Industrieanleihen auf 4,5 % gesenkt wurden. Außerdem wurde das Zinsabkommen erneuert und auch hier niedrigere Zinssätze beschlossen.585 Reichsbankdirektor Ernst Hasse hatte in einem Artikel im Deutschen Volkswirt vom 1. Februar 1935 die Zinssenkung als vordringliche Aufgabe bezeichnet, ohne die der Kapitalmarkt nicht in Schwung kommen könne und ein nachhaltiger Aufschwung nicht möglich wäre.586 Die Zinssenkungsaktion der Braunschweigischen Staatsbank fiel mitten in die Vorbereitungen der reichsweiten Zinskonversion und wurde deshalb auch reichsweit rezipiert. Diese Aufmerksamkeit wurde von der braunschweigischen Regierung nach allen Maßgaben gewünscht und gefördert. Sie verfassten Pressemitteilungen und vorgefertigte Radioansprachen, um die Zinssenkung der Staatsbank als den großen Befreiungsschlag im Kampf zur „Brechung der Zinsknechtschaft“ darzustellen. Die Staatsbank wurde als Pionier dieser Politik dargestellt.587 Diese Propaganda zeigte Wirkung. „Der Deutsche Oekonomist“, neben dem „Deutschen Volkswirt“ eine der zentralen volkswirtschaftlichen Publikationen, nahm am 1. Februar 1935 die Entscheidung der Staatsbank als Blaupause für die allgemeine Zinssenkung der nicht verbrieften öffentlichen Schulden. Im letzten Absatz ihres Leitartikels zur Zinssenkungsfrage heißt es: „Hat dieses pionierhafte Vorgehen der Braunschweigischen Staatsbank seinerzeit neben rückhaltloser Anerkennung in der Öffentlichkeit gelegentlich auch Kritik bei manchen Stellen der Kreditwirtschaft gefunden, die sich zu derartigen Maßnahmen freiwillig nicht entschließen zu können glaubten, so wird diese Kritik heute nicht nur verstummt, sondern durch das Bestreben zu nachdrücklicher Nachahmung abgelöst worden sein.“588 Die Kritik, die hier angesprochen wurde, war allerdings nicht so gering, wie sie in dem Artikel dargestellt wurde. Vielmehr sorgte die Zinssenkungsaktion bei den zuständigen Reichsstellen für erhebliche Irritationen, vor allem beim Leiter der Reichsgruppe Banken Dr. Otto C. Fischer, der vor 1933 Leiter des Bankenverbandes gewesen war.589 Dieser hatte in einer Rede vor der Lessing-Hochschule in Berlin fol584 Rundverfügung des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an alle Bankkassen IV Nr. 34 (125) [Gt/Ru.8] vom 16. Juni 1933, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 2035/2. 585 Kopper Dirigismus, S. 157 f. 586 Hasse, Ernst, Der Sinn der großen Zinskonversion, in: Der Deutsche Volkswirt Nr. 18 vom 1. Februar 1935, S. 785–787, S. 785. 587 Sie gab am Tag des Beschlusses des Aufsichtsrates eine Pressemitteilung mit folgender Überschrift heraus: „Wichtiger Erfolg auf dem Gebiete der organischen Zinssetzung“. Pressemitteilung vom 28.8.1934, in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26311/11. 588 Der Deutsche Oekonomist vom 1. Februar 1935, S. 138. 589 Die Entstehung der Reichsgruppe Banken war Teil der Neuordnung der korporativen Institutionen der Wirtschaft, die durch das „Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der deut-

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genden Satz gesagt: „Es geht auch nicht an, daß jedes Schöppenstedt seine eigene Kreditpolitik treibt.“590 Als Leiter der Reichsgruppe Banken war Fischer genauso wie Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht an einem reichsweit einheitlichen Vorgehen in der Zinsfrage gelegen. Die „Pioniertat“ wurde daher von den Reichsstellen als ein „aus der Reihe tanzen“ beurteilt, was zur Folge hatte, dass deren vermuteter Urheber Werner Küchenthal fortan geschnitten wurde.591 Allerdings war Küchenthal nicht der Urheber dieser Kreditpolitik, im Gegenteil, er lehnte diese Entscheidung ab. Der Grund für seine Skepsis war die Art der Zinssenkung. Anders als bei der geplanten Zinskonversion im Reich wurden bei der Staatsbank nicht gleichzeitig auch die Habenzinsen gesenkt. Im Vorfeld einer Ministerialsitzung vom 22. August 1934 machte Werner Küchenthal den beiden Verantwortlichen Dietrich Klagges und Finanzminister Alpers schriftlich deutlich, dass eine einseitige Zinssenkung um 1,8 % allein schon deshalb nicht möglich sei, weil dadurch die Zinsspanne nicht nur geringer, sondern negativ würde.592 Die Zinsspannen-Arithmetik ließen Klagges und Alpers jedoch nicht gelten. Nach Darstellung Küchenthals wurde unmittelbar vor der Entscheidung zur Zinssenkung das gesamte Direktorium am 23. August noch einmal zu einer Sitzung mit der Regierung bestellt. Dazu wurde die Vorlage von Unterlagen zum Abschluss des ersten Halbjahres 1934 verlangt. Finanzminister Alpers hatte vorher von einem Sondergewinn über 261.000 RM erfahren, den die Staatsbank durch den Verkauf von Effekten erzielt hatte. Da Sondergewinne laut Staatsbankgesetz in den Kursrücklagenfonds überwiesen werden sollten, hatte Küchenthal sie aus der Berechnung des Reingewinns herausgelassen und auch in der Sitzung nicht genannt. Dies wurde von Klagges und Alpers

schen Wirtschaft“ vom 27. Februar 1934 eingeleitet wurde. Mit einem System von sogenannten Reichsgruppen wurde die in Verbänden organisierte Wirtschaft gleichgeschaltet. Es gab unter anderem Reichgruppen für Industrie, Handel und Handwerk sowie jeweils eine eigene Gruppe für Banken und Versicherungen. Diese waren wiederum in viele Unterabteilungen unterteilt. Die Reichsgruppen waren in der Reichswirtschaftskammer vereinigt, die direkt dem Reichswirtschaftsministerium unterstand. Dieser ernannte die Leitungen der Reichsgruppen und auch die Leitungen der Unterabteilungen. Die Reichsgruppen waren für den Reichswirtschaftsminister einerseits ein Beratungsorgan, andererseits ein Instrument für die Durchsetzung seiner Wirtschaftspolitik. Als Führer der Reichsgruppe Banken wurde der ehemalige Leiter des alten Bankenverbandes Otto C. Fischer ernannt, der ein Vertrauter Schachts war. Fischer führte Wirtschaftsgruppen innerhalb der Reichsgruppe Banken ein. Da auch hier das Führerprinzip angewendet wurde, konnte Fischer Sorge tragen, dass keine Mittelstandsideologen Einfluss in dem neuen „organischen“ Aufbau der Wirtschaft gewinnen konnten. Kopper, Dirigismus, S. 110. 590 Berliner Börsenberichte vom 7. Dezember 1934. 591 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister vom 11. November 1935, in: BArch, R3101/15621. 592 Berechnung der Gewinnausfälle bei Herabsetzung der Debetsätze auf 4 % [Gt/Ru.-] vom 22. August 1934, in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26311/11.

4.1 Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der „Ostfalenplan“

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dazu benutzt, Küchenthal, die „Sabotage“ ihres Plans vorzuwerfen.593 Auf diesen politischen Druck hin beschloss das Direktorium am 24. August einstimmig die Durchführung der Zinssenkung. Küchenthal hatte also trotz seiner ablehnenden Haltung nicht gewagt, die Zinssenkung durch sein Veto zu verhindern. Am 27. August wurde in einer gemeinsamen Sitzung des Verwaltungs- und Aufsichtsrates der Staatsbank die Zinssenkungsaktion bestätigt.594 Die treibenden Kräfte hinter der Entscheidung waren die Regierungen des Landes und der Stadt Braunschweig. Die Senkung der Zinsen für öffentlich-rechtliche Kredite hatte für die braunschweigische Regierung zunächst einmal unmittelbare Vorteile. Der Staat beanspruchte bei der Staatsbank im Juli 1934 insgesamt 24 Millionen RM an Kreditvolumen. Durch die Zinssenkung sparte er also ca. 430.000 RM jährlich ein. Demgegenüber war das Volumen der Kommunalkredite mit 7,5 Millionen RM wesentlich geringer.595 Der unmittelbare finanzielle Nutzen war jedoch nicht der einzige Grund für die Entscheidung. Wie bereits angedeutet, gehörte Dietrich Klagges zu den Anhängern Gottfried Feders und seiner Mittelstandsideologie.596 Er war in Braunschweig nicht der einzige. Der Oberbürgermeister von Braunschweig Wilhelm Hesse war ein geradezu glühender Anhänger Feders. Im Aufsichtsrat der Staatsbank hatten unter seiner Führung alle Kommunalpolitiker schon im Februar 1934 Zinssenkungen gefordert.597 Angesichts der Niederlage der „pseudosozialistischen“ Ideen Feders, Strassers und Wageners gegen Hjalmar Schacht auf der Reichsebene war die von der Regierung erzwungene Zinssenkung der Staatsbank daher ein Versuch von Feders Anhängern, in Braunschweig wenigstens einen Teil dieser Ideen gewissermaßen von unten über die Länder und Kommunen durchzusetzen. Deshalb hatten sie ein großes Interesse daran, dass ihr Beispiel Schule machte. Zu einer „Revolution von unten“ kam es im Kreditwesen jedoch nicht. Außer der Staatsbank entschloss sich keine andere Bank zu einem ähnlichen Schritt. Dazu trug vor allem die strikte Ablehnung durch die Leitung der Reichsgruppe Banken unter seinem Vorsitzenden Otto C. Fischer bei. Für die braunschweigische Regierung war 593 Ob er dies absichtlich und mit dem Ziel getan hat, den Beschluss zur Zinssenkung zu verhindern oder nicht, ist m. E. unwichtig. Einmalgewinne für dauerhafte Zinssenkungen zu nutzen verstieß gegen jede wirtschaftliche Vernunft und daher waren diese Gewinne für die Erörterung der Zinssenkung irrelevant. Damit hätte sich Küchenthal auch dann nichts zu Schulden kommen lassen, wenn er die Gewinne absichtlich nicht genannt hätte. Vgl. Bericht Küchenthal, S. 51–55, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 139. 594 Protokoll der 57. Aufsichtsratssitzung, verbunden mit einer Verwaltungsratssitzung vom 27. August 1934, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 59, NWA 8 Nr. 766. 595 Berechnung der Gewinnausfälle bei Herabsetzung der Debetsätze auf 4 % [Gt/Ru.-] vom 22. August 1934, in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26311/11. 596 Zum Inhalt dieser Ideologie siehe Kapitel 3.3, S. 157. 597 Protokoll der 56. Aufsichtsratssitzung vom 16. Februar 1934, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 53f, NWA 8, Nr. 766.

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die „Brechung der Zinsknechtschaft“ ohnehin hauptsächlich ein Manöver, um von einer anderen folgenreichen Entscheidung abzulenken. Ein Monat vor der Verkündigung der „Brechung der Zinsknechtschaft“ hatte die Braunschweigische Staatsbank auf preußischem Gebiet zehn neue Filialen eröffnet. Diese Filialen sollten die wirtschaftliche Grundlage für einen von Braunschweig aus regierten Reichsgau mit dem Namen „Ostfalen“ bilden.

Der Gau „Ostfalen“ und die Expansion der Braunschweigischen Staatsbank auf preußisches Gebiet Der Aufbau des nationalsozialistischen Staates nach der Machtübernahme der NSDAP war aufgrund seiner immanenten Widersprüche Gegenstand einer langen und intensiven geschichtswissenschaftlichen Debatte. Vor allem das Phänomen der überall existierenden Mehrfachstrukturen in der Verwaltung, wozu auch die Doppelstruktur von Staat und Partei gehörte, warf viele Fragen auf. Dieter Rebentisch hat den NS-Staat als Kombination von „Monokratie“ und „Polykratie“ gekennzeichnet. Die „Polykratie“ drückte sich in dem permanenten Kampf zwischen den verschiedenen parallelen Machtzentren aus, der zu einem permanenten Wandel in der Struktur des NS-Staates führte. Die einzige Person, die außerhalb dieses permanenten Ringens stand, und deshalb entweder als Schiedsrichter (nach dem Prinzip „divide et impera“) oder als Juror bei der Verkündigung des Siegers eines nicht kontrollierten sozialdarwinistischen Kampfes die Machtkämpfe entscheiden konnte, war Adolf Hitler, der das monokratische Element bildete.598 Dieses konfuse System der Doppelund Dreifachzuständigkeiten führte dauerhaft zu Konflikten, in denen sich diejenigen durchsetzen konnten, die am skrupellosesten waren und über gute Verbindungen zu den Größen des NS-Staates verfügten. In Braunschweig gab es die beschriebenen Mehrfachstrukturen in besonderem Maße. Ministerpräsident Dietrich Klagges und sein Mitstreiter Friedrich Alpers hatten im März 1933 die Alleinherrschaft im Freistaat Braunschweig an sich gerissen. Klagges war förmlich zum Ministerpräsidenten ernannt worden. Dennoch wurde ihre Macht fast im gleichen Augenblick durch die Einsetzung des Reichsstatthalters Wilhelm Friedrich Loeper begrenzt, der für Braunschweig und Anhalt zuständig war und seinen Sitz in Halle an der Saale hatte. Loeper war zuvor Leiter des Gaues Magdeburg und Anhalt gewesen. Auch die Gauleitung des Gaues Hannover-Süd-Braunschweig, zu dem der Freistaat gehörte, saß nicht in Braunschweig, sondern in Hannover. Der Gauleiter Bernhard Rust war ein Schwergewicht der Partei und stieg 1933 zum Reichsminister auf.599 Gegen Loeper als Reichsstatthalter und Rust als Gauleiter hatte Klagges einen schweren 598 Rebentisch, Dieter, Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939–1945, Stuttgart 1989, S. 16 f. 599 Leuschner, Einleitung, S. 21 f.

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Stand. Sein Ansehen und seine Macht hingen von der Bedeutung der Länder im Reich allgemein und vom Fortbestehen des Landes Braunschweig im Besonderen ab. Daher war Klagges alarmiert, als Hitler am 1. September 1933 auf dem Reichsparteitag in Nürnberg verkündete, dass die Nationalsozialisten beabsichtigten, die Länder des Reiches abzuschaffen.600 Kurzfristig wurden den Ländern alle Hoheitsrechte genommen. Das langfristige Ziel war die Fusion von Ländern und Parteigauen zu Reichsgauen, die durch einige der bisherigen Gauleiter geleitet werden sollten. Reichsinnenminister Frick, der für die Ausgestaltung des „Gesetzes zum Neuaufbau des Reiches“ vom 30. Januar 1934 verantwortlich zeichnete, hatte sich für eine Reform des Staatswesens eingesetzt, das die Polykratie eindämmen sollte. Das Gesetz gab den Reichsministerien Aufsichtsrecht über die jeweiligen Ressorts der Länder.601 Die Position der Regierungen der Länder war durch das Gesetz vom 30. Januar prekär geworden. Auch wenn die Länder nicht abgeschafft wurden, so hatten sie doch kaum noch Möglichkeiten, eigenständig zu handeln. Außerdem schwebte der Gedanke einer großen Reichsreform mit der dazugehörenden Neuordnung der Gebietskörperschaften wie ein Damoklesschwert über dem Land Braunschweig und seiner Regierung. Die Auflösung des Staates war politisch naheliegend, weil hier weder eine Gauleitung noch ein Reichsstatthalter seinen Sitz hatte. Eine Neuordnung mit Braunschweig als Mittelpunkt eines Reichsgaues war allein deswegen unwahrscheinlich. Stattdessen wurden alte Pläne mit einem mehr oder weniger direkten Anschluss Braunschweigs an die Provinz Hannover diskutiert.602 Die braunschweigische Regierung lief Gefahr, in naher Zukunft ihre einzige Machtquelle vollends zu verlieren. Um für eine weitergehende Reichsreform gerüstet zu sein, brauchte sie eine größere Machtbasis. Dazu erfand Klagges zusammen mit der Industrie- und Handelskammer Braunschweig (IHK) kurzerhand den Reichsgau „Ostfalen“.603 1934 ließ Klagges eine Denkschrift verfassen, die die politische, wirtschaftliche und kulturelle Grundlage seines Anspruchs auf einen Reichsgau liefern sollte.604 Dieser sollte 600 Ludewig, Braunschweig im Dritten Reich, S. 989. 601 Diehl-Thiele, Peter, Partei und Staat im Dritten Reich. Untersuchungen zum Verhältnis von NSDAP und allgemeiner innerer Staatsverwaltung 1933–1939, S. 68 f. 602 Ludewig, Braunschweig im Dritten Reich, S. 989. 603 Die IHK bangte ebenfalls um ihre Eigenständigkeit, weil seit der Verabschiedung des „Gesetzes zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der Wirtschaft“ (RGBl. I. (1934), S. 185 f.) vom 23. Februar 1934 über die Schaffung sogenannter Wirtschaftskammern diskutiert wurde. Diese Kammern sollten als gemeinsame Vertretung der Handelskammern und der Handwerkskammern eines bestimmten Bezirkes fungieren. Die Bezirke waren ähnlich wie die geplanten Reichsgaue große territoriale Einheiten. Will, Martin, Selbstverwaltung und Wirtschaft. Recht und Geschichte der Selbstverwaltung in den Industrie- und Handelskammern, Handwerksinnungen, Kreishandwerkerschaften, Handwerkskammern und Landwirtschaftskammern, Tübingen 2010, S. 347 f. Die IHK teilte mit der braunschweigischen Regierung die Sorge, dass Hannover Sitz des neuen Reichsgaus und der Wirtschaftskammer werden könnte. Pollmann; Ludewig, Nationalsozialistische Wirtschaftspolitik, S. 163f; Ludewig, Braunschweig im Dritten Reich, S. 989. 604 Müller, Wilhelm, Denkschrift über das Staats-, Volks-, Wirtschafts- und Kulturleben sowie die Finanzen des Freistaates Braunschweig, hrsg. vom Staat Braunschweig, Braunschweig 1934.

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aus dem Territorium des Freistaates Braunschweig, den Regierungsbezirken Hildesheim und Lüneburg der preußischen Provinz Hannover sowie Teilen des Regierungsbezirkes Magdeburg der preußischen Provinz Sachsen bestehen.605 Die IHK hatte in einer Denkschrift das Territorium für ihren neuen Wirtschaftsbezirk ähnlich abgesteckt.606 Das Problem bei diesem Plan war, den Anspruch Braunschweigs auf einen eigenen Reichsgau zu legitimieren. Dynastische oder alte staatliche territoriale Ansprüche fielen weitgehend aus, weil das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg nie die nun propagierte Größe besessen hatte. Daher griff Klagges in der Geschichte noch weiter zurück. Der Begriff Ostfalen stammt aus der Zeit um das Jahr 800. So wurde ein Teil des sächsischen Territoriums nach dessen Eroberung durch Karl den Großen genannt. Als territoriale Einheit bestand diese Herrschaft jedoch nur bis 1180, als über den sächsischen Herzog Heinrich den Löwen die Reichsacht verhängt worden war.607 Dietrich Klagges hoffte, die in Kreisen der Nationalsozialisten positiv besetzte historische Figur Heinrichs des Löwen verwenden zu können, um einen legitimen Anspruch auf die Widererrichtung Ostfalens zu bekommen. Diese Anknüpfung an Ostfalen und Heinrich den Löwen war durchaus erfolgversprechend, immerhin hatte Hitler Braunschweig als kulturellem Zentrum eine Bestandsgarantie gegeben.608 Doch fehlte Klagges jegliche über den Mythos der Sachsen hinausgehende Legitimation. Immerhin waren seit der Auflösung Ostfalens etwa 750 Jahre vergangen. In der Realität lag ein Großteil des „neuen Ostfalens“ auf dem Territorium preußischer Provinzen, deren Führungen keineswegs gewillt waren, den Anspruch Klagges auf einen Gau „Ostfalen“ ohne weiteres anzuerkennen. Klagges propagierte deshalb die wirtschaftliche Verflechtung des Gebietes als Legitimationsgrundlage des neuen Gaues. Er behauptete, dass „Ostfalen“ einen einheitlichen Wirtschaftsraum darstellte. Das zentrale Problem war, dass für den wirtschaftlichen Beweis der Existenz „Ostfalens“ jegliche empirische Basis fehlte. Es gab weder auf staatlich-institutioneller noch auf der Ebene der Unternehmen irgendeinen Anhaltspunkt dafür, dass der von Klagges und der IHK als Argument angeführte

605 Ludewig, Braunschweig im Dritten Reich, S. 989. 606 Die IHK und die Regierung konnten auf frühere Gedanken des ehemaligen braunschweigischen USPD-Ministerpräsidenten und späteren NSDAP-Landtagsabgeordneten Sepp Oerter (1870– 1928) aus dem Jahr 1919 zurückgreifen, vor allem in Bezug auf die territorialen Ausmaße des propagierten politischen Gebildes. Oerter hatte im Januar 1919 im besetzten Braunschweiger Schloss einen Kongress zur „Bildung einer nordwestdeutschen Republik“ abgehalten. Diese neue Republik sollte aus sozialistischen Räterepubliken bestehen, die sich zu einer Föderation zusammenschließen sollten. Die Republik „Braunschweig-Lüneburg“ sollte dabei vom Harz bis Cuxhaven und von der Aller bis zur Elbe reichen. Diese grobe Einteilung entspricht im Wesentlichen den Plänen Klagges für „Ostfalen“. Roloff, Staat von Weimar, S. 46 f. 607 Daraufhin wurde das Territorium aufgeteilt und aus einem dieser Teile entstand das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg. Schneidmüller, Bernd, Die neue Heimat der Welfen (1125–1252), in: Jarck; Schildt (Hg.), Braunschweigische Landesgeschichte, S. 177–230, S. 205. 608 Ludewig, Braunschweig im Dritten Reich, S. 1010.

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Wirtschaftsraum überhaupt existierte.609 In dieser Situation kam Klagges jedoch sein Glaube an die politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Wirtschaft zu Gute. Die Arbeitsbeschaffungsprogramme waren für ihn der Beleg dafür, dass sich wirtschaftliche Tatsachen herstellen ließen, wenn man sie nur entschlossen anginge. Daher beschloss Klagges, den Wirtschaftsraum „Ostfalen“ selbst aufzubauen. Dazu wollte er neben der Industrie- und Handelskammer vor allem die Braunschweigische Staatsbank nutzen. Das Kreditinstitut sollte durch ihre Kreditpolitik den Gau „Ostfalen“ plausibel machen und damit seinen Anspruch auf einen Gau legitimieren. Die Gründung der neuen Filialen sollte ihr entscheidender Beitrag dazu sein. Im Aufsichtsrat der Staatsbank begründete Finanzminister Alpers die Eröffnung der Filialen folgendermaßen: Bezüglich der Errichtung der außerhalb des Landes Braunschweig gelegenen zehn neuen Zweigkassen der Brg. Staatsbank in Göttingen, Halberstadt, Goslar, Hildesheim, Peine, Gifhorn, Celle, Uelzen, Lüneburg und Stendal führte der Herr Minister aus, daß das wirtschaftliche Gebiet nicht durch die politischen Grenzen des Landes einzudämmen sei und daß bereits früher Millionenbeträge der Br.Stbk. über die Grenzen des Landes hinaus der Wirtschaft zur Verfügung gestellt seien. Das Wirtschaftsgebiet der neuen Zweigkassen zu betreuen ist Sache der Staatsbank ohne Rücksicht auf Landesgrenzen. Die Staatsbank muß und wird hier festen Fuß fassen.610

Anders als die IHK war das Direktorium der Staatsbank allerdings nicht besonders begeistert von dem Plan. Die Staatsbank hatte zwar bereits seit 1923 versucht, in Goslar eine Repräsentanz zu eröffnen.611 Zuletzt hatte die Staatsbank Anfang 1934 Überlegungen dazu angestellt und das Unternehmensarchiv prüfen lassen, ob dies im Rahmen des rechtlich Zulässigen lag. Das Archiv hatte zwar keine gesetzliche Einschränkung des Geschäftsbereiches gefunden, aber darauf hingewiesen, dass die Staatsbank früher selbst das Eindringen der Kreissparkasse Alfeld auf braunschweigischem Gebiet angeprangert habe und dadurch „präjudiziert“ sei, was die Eröffnung von Filialen außerhalb Braunschweigs angehe. In der Sitzung der Zweigkassenleiter am 4. Mai 1934 hatte Küchenthal noch betont, dass von Filialgründungen auf preußischem Gebiet Abstand genommen werden müsse. 612

609 Lediglich zum Raum Magdeburg bestand ein größerer Zusammenhang im Bereich der Nahrungsmittel verarbeitenden Industrie. Außerdem waren die wirtschaftlichen Beziehungen zum Kreis Goslar eng. 610 Protokoll der 57. Aufsichtsratssitzung verbunden mit der Verwaltungsratssitzung vom 24. August 1934, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 58, NWA 8, Nr. 766. 611 Braunschweigische Staatsbank Das Direktorium an den Herrn Braunschweigischen Finanzminister. Braunschweig, den 5. Februar 1923, Beteiligung an einer Bankgründung in Goslar, in: NLA WO 12 Neu Wirtschaft 13, Nr. 26316. 612 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister, Braunschweig, den 11. November 1935, Beschwerde gegen die vom Braunschw. Staatsministerium unter dem 26. September 1935 verhängte Dienststrafe, Anlage 1: Der Präsident der Braun-

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In einer Besprechung Anfang Juni 1934 verlangte Finanzminister Alpers von Werner Küchenthal jedoch die Eröffnung von zehn neuen Zweigkassen der Staatsbank auf preußischem Gebiet innerhalb kürzester Zeit. Küchenthal nahm daraufhin Kontakt zum Verband der deutschen öffentlich-rechtlichen Kreditanstalten (VöB) auf, weil er sich unsicher war, ob eine solche Aktion gemeldet werden musste. In einer Besprechung am 13. Juni in Berlin machte ihm der Verbandsdirektor Rudolf von Bitter deutlich, dass es zu diesem Zeitpunkt ratsam sei, etwaige Neueröffnungen von Filialen beim Reichskommissar für das Bankenwesen anzuzeigen. Der Reichskommissar habe bereits mehrfach die Eröffnung von Filialen verhindert, etwa die der Bank der Deutschen Arbeit oder von Filialen der privaten Großbanken. Vor der Verabschiedung des Gesetzes über das Kreditwesen solle allgemein nichts ohne Absprache mit dem Reichskommissar unternommen werden, besonders wenn es um Eröffnungen von Filialen auf fremdem Gebiet ginge.613 Es war allgemein bekannt, dass mit der Verabschiedung des Kreditwesengesetzes auch eine Konzessionspflicht eingeführt werden würde, die die Eröffnung eines neuen Bankgeschäftes oder einer neuen Filiale von der Zustimmung des Reichsbankenkommissars abhängig machte. Die Konzessionierungspflicht sollte im Kreditwesengesetz veröffentlicht werden. Da die Verhandlungen über einzelne Punkte des Kreditwesengesetzes aber noch andauerten, entstand gewissermaßen eine Grauzone. Es war im Juni 1934 noch nicht verboten, Filialen ohne Genehmigung zu gründen, aber es war klar, dass dieses Verbot kommen würde.614 Auch hatte die Staatsbank in ihrem Gesetz keinen Passus, der ihr Geschäftsgebiet direkt beschränkte. Dennoch war Küchenthal sich bewusst, dass die Staatsbank sich mit der Eröffnung von gleich zehn neuen Filialen auf außerstaatlichem Gebiet Ärger einhandeln würde. Daher hatte er auch Bedenken gegenüber dem Plan der braunschweigischen Regierung. Diese Bedenken teilte er über seinen Kollegen und Alpers-Vertrauten Kurt Bertram dem Finanzminister schriftlich mit. Daraufhin wurde das Direktoriumsmitglied Wilhelm Schulz zu Alpers zitiert. Der Finanzminister tadelte vor Schulz das Verhalten Küchenthals und schärfte ihm ein, dass alle Angelegenheiten rund um die Errichtung der neuen Zweigstellen absolut vertraulich zu behandeln seien. Die Hinzuziehung von Personen außerhalb Braunschweigs sollte damit unterbunden wer-

schweigischen Staatsbank Dr. Werner Küchenthal an den Staatskommissar im Braunschweigischen Finanzministerium Oberregierungsrat Hoffmeister vom 26. Juni 1935, S. 20f, in: BArch, R 3101/15621. 613 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister, Braunschweig, den 11. November 1935, Beschwerde gegen die vom Braunschw. Staatsministerium unter dem 26. September 1935 verhängte Dienststrafe, Anlage 2: Vermerk vom 13. Juni 1934 von Werner Küchenthal, in: BArch, R 3101/15621. 614 Hain, Hans, Vor der Bankenkonzessionierung, in: Der Deutsche Volkswirt, Nr. 50 vom 14. September 1934, S. 2232–2234, S. 2233.

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den. Damit wurde auch Küchenthal klar, dass die neuen Filialen auch gegen die Reichsinstitutionen durchgesetzt werden sollten.615 Es war jedoch aussichtslos, unter vollkommener Geheimhaltung zehn neue Zweigkassen an zehn unterschiedlichen Standorten zu eröffnen, ohne dass dieses im Vorfeld Misstrauen erweckte. So bekam die Staatsbank am 27. Juli, vier Tage vor der projektierten Eröffnung der Zweigkassen, Post vom Reichsbankenkommissar Friedrich Ernst.616 Ernst verlangte Aufklärung über das Treiben der Staatsbank auf preußischem Gebiet und die Zurückstellung etwaiger Pläne zur Eröffnung der neuen Filialen. Er war am 26. Juli von der Industrie- und Handelskammer Südhannover über die Aktivitäten der Staatsbank in ihrem Bezirk unterrichtet worden.617 Staatsbankdirektor Bertram hatte Ernsts Brief an Alpers weitergereicht. Daraufhin fuhr dieser nach Berlin und traf dort am 30. Juli, einen Tag vor der geplanten Eröffnung, den Reichsbankenkommissar. Über den Inhalt dieses Gesprächs gibt ein Schreiben von Ernst an Alpers und das Staatsbankdirektorium vom 4. August Auskunft, der das Ergebnis des Gespräches folgendermaßen zusammenfasst: „Mit der Gründung neuer Filialen der Braunschweigischen Staatsbank bin ich grundsätzlich aus allgemein kreditpolitischen Erwägungen nicht einverstanden. Ich werde im Einzelfall die Bedürfnisfrage nach Eingang der in Aussicht gestellten Unterlagen überprüfen und behalte mir ausdrücklich vor, die Filialen, für deren Eröffnung ein Bedürfnis nicht vorliegt, wieder zu schliessen, sobald die rechtlichen Handhaben hierzu gegeben sind.“618 Der letzte Satz zeigt genau die Grauzone an, in der die Frage der Filialeröffnung behandelt wurde. Ernst hatte noch nicht die rechtlichen Mittel, die Eröffnung der Zweigkassen zu verhindern. Er ließ aber keinen Zweifel daran, dass er dies tun würde, wenn er rechtlich dazu in der Lage sei. Für Alpers hieß dies allerdings nur, dass Ernst ihn fürs Erste nicht aufhalten konnte. Er schickte ein Telegramm an Staatsbankdirektor Bertram in dem er diesen aufforderte, alle Filialen zu eröffnen.619 Das Telegramm war an Bertram gerichtet, weil Küchenthal in der Zeit vom 26. Juli bis zum 4. August beurlaubt war. Die Eröffnungen riefen sofort massiven Widerstand aller wirtschaftlichen und politischen Institutionen in den betroffenen preußischen Gebieten hervor. Die Handelskammern, die Präsidenten der Regierungsbezirke, die Landeshauptmänner der 615 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister, Anlage 1, S. 23, in: BArch, R 3101/15621. 616 Ebenda. 617 Industrie- und Handelskammer für Südhannover, Hauptgeschäftsstelle Göttingen an den Herrn Reichswirtschaftsminister und Herrn Preussischen Minister für Wirtschaft und Arbeit vom 17. August 1934, in: NLA HA Hann. 180 Hildesheim, Nr. 04811. 618 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister, Anlage 4: Der Reichskommissar für das Bankengewerbe an den Herrn Braunschweigischen Finanzminister, Berlin W 56, den 4. August 1934, in: BArch, R 3101/15621. 619 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister, Anlage 1, S. 25, in: BArch, R 3101/15621.

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Provinzen sowie die regionalen Sparkassenverbände beschwerten sich in den folgenden Wochen massiv bei den vermeintlich zuständigen Stellen in Berlin. Das Hauptargument all dieser Beschwerden beruhte auf der These der „Übersetzung“ des Bankensektors. Die betroffenen Institutionen stritten den wirtschaftlichen Bedarf für weitere Bankgeschäfte in ihrem Gebiet rundweg ab.620 Die Übersetzung mit Bankgeschäften war von der Enquete-Kommission 1933 bereits festgestellt worden. Sie war der Hauptgrund für die anvisierte Konzessionierungspflicht für Bankgeschäfte, weil man davon ausging, dass neue Bankgeschäfte oder Bankfilialen lediglich bestehende verdrängen würden. Genau das war die Sorge der ortsansässigen Sparkassen und Girozentralen. In der Provinz Hannover war zum 1. März 1933 aus der Landesbank der Provinz Hannover und der Girozentrale Hannover die Niedersächsische Landesbank – Girozentrale – entstanden.621 Der Begriff Niedersachsen im Titel der neuen Bank wirkte beunruhigend auf die Braunschweigische Staatsbank, wie auch in den Plänen für die Reichsgaue und Wirtschaftskammern durch den Begriff Niedersachsen eine Gefahr für Braunschweig gesehen wurde. Wirkliche Konflikte hatte es bis zu diesem Zeitpunkt allerdings nur wenige gegeben. Die Eröffnung der Staatsbankfilialen auf ihrem Gebiet kam für die Niedersächsische Landesbank dagegen einer Kriegserklärung gleich. Genau in dieser Situation nahm Hjalmar Schacht seinen Dienst als zunächst geschäftsführender Reichswirtschaftsminister auf und löste damit Kurt Schmitt ab, der aus gesundheitlichen, aber auch politischen Gründen in den letzten Monaten seiner Amtszeit kaum noch aktiv ins politische Geschehen eingegriffen hatte. Schacht war dagegen voller Tatendrang. Eines seiner wichtigsten Ziele als neuer Reichswirtschaftsminister war die Vollendung des Kreditwesengesetzes und die damit einhergehende Neuordnung der deutschen Finanzbranche. Dazu musste er jedoch das eigenmächtige Handeln einiger Provinzfürsten unterbinden.622 Deshalb konnten die Gegner der braunschweigischen Regierung in der Zweigkassenfrage bei Schacht auf tatkräftige Unterstützung hoffen. Am 17. August richtete die IHK Südhannover ein Schreiben an Schacht in seiner Funktion als Reichswirtschaftsminister. In diesem Brief forderte die Kammer erneut eine direkte Anweisung des RWM zur Schließung aller Filialen der Staatsbank auf preußischem Gebiet und insbesondere auf dem ihres Kammerbezirks. Die Kammer betonte, dass es dort keinerlei Bedarf für zusätzliche Bankgeschäfte gäbe und dass die Gründungen nur die Übersetzung des Bankwesens verstärken würde. Das Verhalten der Staatsbank bezog sie denn auch direkt auf die Ergebnisse der Banken-Enquete: „Die plötzliche Eröffnung der neuen Niederlassungen der Braunschweigischen Staatsbank lässt die Vermutung aufkommen, daß diese Bank schnell vollendete Tatsachen schaffen will, bevor etwa in der Linie der

620 Vgl. dazu die verschiedenen Protestnoten in: NLA HA Hann. 180 Hildesheim Nr. 04811. 621 Goebes, Wettbewerbsabkommen, S. 17. 622 Kopper, Schacht, S. 258 f.

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Ergebnisse der Banken-Enquête gesetzgeberische Maßnahmen zur Verhinderung einer weiteren Uebersetzung des Bankgewerbes erfolgen.“623 Das Schreiben schließt mit der dringenden Bitte, dass, falls es rechtlich keine Handhabe gäbe, die Filialen auf anderen Wegen geschlossen werden sollten. Diese rechtliche Handhabe schuf Hjalmar Schacht durch die „Verordnung über die Gründungssperre für Kreditinstitute“ vom 4. September 1934.624 Diese Verordnung verbot bis auf weiteres reichsweit die Gründung von Bankgeschäften oder Filialen. Dass die Verordnung direkt auf die Gründung der neuen Zweigkassen der Braunschweigischen Staatsbank zugeschnitten worden war, ist aus § 4 ersichtlich. Dort wurde bestimmt, dass Zweigstellen, die ab dem 1. Juni eröffnet worden waren, ihren Betrieb über den 1. Oktober hinaus nur dann fortsetzen durften, wenn die Reichsregierung ihre Zustimmung gab. Ausnahmen durfte es nur durch Genehmigung der Reichsregierung nach vorheriger Anhörung des Reichsbankpräsidenten geben. In der Gesetzesformulierung wurden öffentlich-rechtliche Banken explizit erwähnt, um jegliche Zweifel auszuschließen, dass die Staatsbank von diesem Gesetz betroffen war. Küchenthal hat diese Verordnung „Lex Braunschweigische Staatsbank“ genannt.625 Auch in der zeitgenössischen Wirtschaftspresse, etwa dem „Deutschen Volkswirt“, wurde das Gesetz direkt mit den Vorgängen in und um Braunschweig in Verbindung gebracht.626 Die Staatsbank hatte somit einen Reichseingriff verursacht. Aufgrund der neuen Verordnung hätte nun die Schließung der Filialen zum 1. Oktober erfolgen können. Das Gesetz war so gestaltet, dass Schacht allein über die Schließung oder das Weiterbestehen von Bankgeschäften entscheiden konnte. Da der braunschweigischen Regierung klar war, was Schacht vorhatte, fuhr Friedrich Alpers am 28. September wieder nach Berlin, diesmal um mit Schacht zu sprechen. Als Ergebnis dieses Gesprächs wurde der Staatsbank und der braunschweigischen Regierung ein Aufschub von vier Wochen gewährt, um Klagges Gelegenheit zu geben, „weitere Unterlagen zur Begründung des Antrags“ vorzulegen.627 Küchenthals 623 Industrie- und Handelskammer für Südhannover, Hauptgeschäftsstelle Göttingen an den Herrn Reichswirtschaftsminister und Herrn Preussischen Minister für Wirtschaft und Arbeit vom 17. August 1934, in: NLA HA Hann. 180 Hildesheim, Nr. 04811. 624 RGBl. I (1934), S. 815f 625 Bericht Werner Küchenthal, S. 12, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 139. 626 Hain, Bankenkonzessionierung, S. 2233. Vgl. zum Staatsbankengesetz auch: Boelcke, Willi A., Zum Gesetz über Staatsbanken vom 18. Oktober 1935, in: Zur Geschichte des Kreditgeschäftes. Notizen zu Finanzierungsproblemen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Karl Erich Born zum 24. April 1982, Bankhistorisches Archiv, Beiheft 27, Frankfurt 1982, S. 63–70, S. 67. Boelcke ist allerdings hier ein Fehler in der Chronologie unterlaufen. Er datiert das Gesetz auf den 3. Juli, was allerdings den von ihm postulierten Zusammenhang mit den Vorgängen rund um die Staatsbank in Frage stellen würde, die ja erst Ende Juli bekannt wurden. Wahrscheinlich hat er sich schlicht verlesen, weil in der Präambel der Verordnung vom 4. September auf das Gesetz zur Ermächtigung des Reichswirtschaftsministers verwiesen wird, das am 3. Juli in Kraft trat. RGBl. I (1934), S. 565 627 Der Reichswirtschaftsminister und Preußische Minister der Wirtschaft und Arbeit [I 8622/34] an den Herrn Ministerpräsidenten Klagges vom 3. Oktober 1934, in: NLA HA, Nds. 200 Acc 4/96 Nr. 53.

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Bericht zufolge sammelte Dietrich Klagges allerdings keine weiteren Unterlagen, sondern suchte um Unterstützung bei dem einzigen Mann nach, der Hjalmar Schacht zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere Anweisungen geben konnte: Adolf Hitler.628 Mit dessen Hilfe konnte Klagges Schacht in einer Aussprache dazu bewegen, die Prüfung der Zweigkassen zunächst bis zur Verabschiedung des Gesetzes über das Kreditwesen auszusetzen. Der Brief Schachts an Klagges vom 11. Oktober liest sich wie eine vorläufige Kapitulation und sie wirkte auch entsprechend.629 Die Filialen wurden weitergeführt, die Prüfung ihrer Wirtschaftlichkeit auf einen unbestimmten Zeitpunkt verschoben.

Die wirtschaftliche Entwicklung der neuen Zweigkassen zwischen August 1934 und Dezember 1935 Nachträglich wurde diese Verschiebung der Prüfung damit begründet, dass der Bankenkommissar Friedrich Ernst den Zweigkassen Zeit geben wollte, zu beweisen, dass vor Ort ein wirtschaftliches Interesse an ihrem Fortbestehen existierte: „Die Frage des wirtschaftlichen Bedürfnisses für die Errichtung der Zweigniederlassungen wurde von der braunschweigischen Regierung bejaht, von weiten Kreisen der Wirtschaft aber verneint. Ich hatte mich deshalb entschlossen, zunächst die Entwicklung der Zweigkassen abzuwarten und vorwiegend auf Grund dieser Entwicklung meine Entscheidung zu treffen.“630 Da die allgemeine Niederlassungsbeschränkung auf Grund des Vorgehens der Braunschweigischen Staatsbank um einige Monate vorgezogen worden war, gab es noch keine wirklichen Erfahrungswerte, wie man die Bedürftigkeitsprüfung praktisch durchführen könnte. Insofern gehörten die Zweigkassen der Braunschweigischen Staatsbank zu den Präzedenzfällen der neuen Verordnung. Entscheidend war die Frage, ob ein wirtschaftliches Bedürfnis für die neuen Zweigkassen bestand. Das wichtigste Kriterium dafür war die Rentabilität der Zweigkassen. Sie mussten sich also selbst tragen können. Jedoch war dies nicht das einzige Kriterium, wie das obige Zitat verdeutlicht. Die Frage, ob ein Bedürfnis nach den Diensten der Staatsbank in den angrenzenden Gebieten bestand, war nicht nur im Sinne der wirtschaftlichen Legitimation bedeutsam. Der Nachweis, dass die Staatsbank in den neuen Orten profitabel arbeiten konnte, war der Prüfstein für Klagges Konzeption des Wirtschaftsraums „Ostfalen“, der Kern seiner Legitimationsstrategie für seinen Anspruch auf einen eigenen Reichsgau war. Das Staatsbankdirektorium (ohne Küchenthal) hatte in einem 628 Bericht Werner Küchenthal, S. 38, NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 139. 629 Der Reichswirtschaftsminister und Preußische Minister der Wirtschaft und Arbeit an den Herrn Ministerpräsidenten Klagges vom 11. Oktober 1934, in: NLA HA, Nds. 200 Acc 4/96 Nr. 53. 630 Der Reichskommissar für das Kreditwesen [Tgb. Nr. 24890/35 III] an den RWM, Berlin den 27. Dezember 1935, in: BArch R 3101/15627.

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Schreiben an den Reichsbankenkommissar vom 1. August 1934 die Eröffnung der Filialen dementsprechend begründet: „Die neuen Zweigkassen […] liegen in dem natürlichen Wirtschaftsraum, der in Braunschweig zum Teil seinen Mittelpunkt bezw. nicht unerhebliche wirtschaftliche Beziehungen zu Braunschweig hat.“631 An der wirtschaftlichen Entwicklung der neuen Filialen hingen also nicht nur deren weitere Existenz, sondern auch die Hoffnungen von Klagges auf einen eigenen Reichsgau. Denn wenn die Filialen wirtschaftlich waren, besaß er den empirischen Beweis, dass das von ihnen postulierte Territorium „Ostfalen“ als „natürlicher Wirtschaftsraum“ auch politisch eine Existenzberechtigung besaß. Die Staatsbank hatte gegenüber dem Reichsbankenkommissar im August 1934 behauptet, dass sie in dem neuen Raum bereits mehrere Millionen RM an Krediten vergeben hatte. Diese Aussage war formal korrekt, verzerrte allerdings die Realität. Die „Millionen Reichsmark“ konzentrierten sich auf einige wenige Filialen. Die Zweigkassen in anderen Städten hatten bei ihrer Eröffnung praktisch keine Kunden. Dies zeigt eine Zusammenstellung der beiden Direktoriumsmitglieder Bertram und Schulz über die bisher in den neuen Gebieten gewährten Kredite und Hypotheken von Anfang August 1934.632 Die Staatsbank hatte zum Zeitpunkt der Eröffnung Hypotheken über 2,3 Millionen RM und Bar- und Diskontkredite über zwei Millionen RM in den neuen Filialen vergeben. Bei den kurzfristigen Krediten hatte allein die Ilseder Hütte einen Kredit von einer Millionen RM. Die Ilseder Hütte war tatsächlich ein Bestandskunde, der zuvor von der Zentrale in Braunschweig aus betreut worden war. Halberstadt, Goslar und Gifhorn hatten bei Eröffnung der Zweigkassen zwischen 200.000 RM und 500.000 RM an vorher bereits existierenden Krediten zu betreuen. Celle, Göttingen, Lüneburg und Uelzen konnten überhaupt keine Kredite aufweisen. Bei Hypotheken, die wesentlich weniger Betreuung benötigten, war das Verhältnis etwas ausgeglichener. Doch auch hier gab es mit Lüneburg und Uelzen zwei Filialen, die in diesem Bereich keinerlei Kunden hatten.633 Aus diesen Zahlen wird deutlich, dass allein mit den vorhandenen Krediten keine der Zweigkassen ihre Kosten verdienen konnte. Die Filialen wurden also keinesfalls zur Betreuung bestehender Kundenverbindungen geschaffen, sondern mussten diese erst noch schaffen, um profitabel zu werden. Eine erste Zwischenbilanz zur Frage der Rentabilität im Mai 1935 war allerdings katastrophal. Bis auf Halberstadt machten alle Kassen Verluste. Rund die Hälfte musste ihre Kosten fast ganz abschreiben, sie hatten so gut wie keine Einnahmen

631 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister, Anlage 4: Direktorium (gez. Lehmann, Bertram) der Staatsbank an den Herrn Reichskommissar für das Bankgewerbe, Braunschweig den 1. August 1934, in: BArch, R 3101/15621. 632 Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank (gez. Bertram, Schulz) an den Braunschweigischen Finanzminister, Braunschweig den 28. Juli 1934, in: BArch, R 3101/15621. 633 Das Direktorium Staatsbank an den Reichswirtschaftsminister vom 2. Januar 1936, in: BArch R 3101 /15627.

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erwirtschaftet.634 Zu diesem Zeitpunkt war das Experiment „Ostfalen“ wirtschaftlich gescheitert. Die Direktoren Bertram und Lehmann hatten vier der zehn Filialen faktisch aufgegeben, wie aus einem Vermerk hervorgeht.635 Anlass zur Hoffnung auf dauerhafte Rentabilität war neben Halberstadt nur noch bei den Zweigkassen in Celle und Peine gegeben. Erst im Laufe des Sommers und des Herbstes 1935 konnte die Staatsbank auch noch für Goslar, Lüneburg und Stendal Perspektiven aufbauen. In Peine hatte man neben der Übertragung des Kreditgeschäftes mit der Ilseder Hütte auf die Filiale einen weiteren Großauftrag gewinnen können. Die Wollhandlung Sonnenberg beantragte eine Kreditlinie über zunächst eine Million RM, später 1,3 Millionen RM. Bei diesem Kreditfall verzichtete die Staatsbank bei einem Sonderkredit auf eine ausreichende Besicherung.636 Sie rechtfertigte das dadurch entstehende höhere Risiko folgendermaßen: „Wir verfehlen nicht, zum Schluß noch darauf aufmerksam zu machen, daß die Firma H. Sonnenberg bereits vor einigen Monaten mit der Commerz- und Privat-Bank A. G. Kreditbeziehungen angeknüpft hat und daß bei Ablehnung des neuen Kreditgesuches mit der Abwanderung der für die Weiterexistenz unserer Zweigkasse Peine entscheidenden kreditnehmenden Firma zur Konkurrenz bestimmt zu rechnen sein dürfte.“637 Die Firma Sonnenberg konnte davon profitieren, dass die Staatsbank aufgrund des Rentabilitätszwanges der Zweigkasse Peine auf den Kredit unbedingt angewiesen war. Mit den beiden Großkrediten konnte die Zweigkasse Peine ihre Kosten tragen. Sie war damit nicht nur selbst gerechtfertigt, sie hätte auch als Beweis für die Existenz „Ostfalens“ dienen können. 1938 wies die Zweigkasse einen Gewinn von

634 Braunschweigische Staatsbank, Treuhandabteilung [Sn/Jn.] an Herrn Staatsrat Bertram vom 22. Mai 1935, in: BArch, R 3101/15621. 635 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister, Braunschweig, den 11. November 1935, Anlage 1, S. 28, in: BArch R 3101/15621. Der Vermerk von Lehmann war auf den Bericht der Treuhandabteilung der Staatsbank geschrieben. Vgl. Braunschweigische Staatsbank, Treuhandabteilung [Sn/Jn.] an Herrn Staatsrat Bertram vom 22. Mai 1935, in: BArch, R 3101/15621. 636 Im Mai 1935 war der Wollhandlung zunächst ein ungesicherter kurzfristiger Überbrückungskredit in Höhe von 300.000 RM genehmigt worden, nach dessen Auslaufen im August ein weiterer über 200.000 RM. Es ging dabei um Wollimporte, die aufgrund der Devisensperre an ein Kompensationsgeschäft mit der Klöckner Eisen AG gekoppelt war. Im Oktober beantragte das Direktorium im Verwaltungsrat schließlich, den Überbrückungskredit dauerhaft zu belassen, ohne dass Sicherheiten gefordert wurden. Das Direktorium rechtfertigte diesen Vorschlag einerseits damit, dass die Wollvorräte laut Staatsbankgesetz nur mit 2/3 ihres Wertes beliehen werden durften. Somit wäre im Falle des Kreditausfalls faktisch auch eine Sicherung des Blanko-Kredites gegeben. Braunschweigische Staatsbank (Direktorium an die Herren Mitglieder des Verwaltungsrats der Braunschweigischen Staatsbank, Braunschweig vom 25. Oktober 1935, in: StadtA Br, E 10 I, Nr. 15. 637 Braunschweigische Staatsbank (Direktorium an die Herren Mitglieder des Verwaltungsrats der Braunschweigischen Staatsbank, Braunschweig vom 25. Oktober 1935, in: StadtA Br, E 10 I, Nr. 15.

4.1 Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der „Ostfalenplan“ 

187

13.000 RM aus. Damit war sie allerdings eine der schwächeren Kassen der Staatsbank.638 In Celle und in Stendal hing der Erfolg sogar von nur jeweils einem einzigen Großkunden ab. In Stendal kam eine Rentabilität der Zweigkasse nur durch einen Saisonkredit über 2,5 Millionen RM an die dortige Zuckerfabrik in Reichweite.639 In Celle hatte sich die Staatsbank um die Teilfinanzierung der dortigen Seidenspinnhütte bemüht. Die Spinnhütte, die 1932 ihren Betrieb aufnahm, war speziell für die Verarbeitung von in Deutschland gezogenen Seidenkokons konzipiert. Nachdem zunächst die Produktion von Luxusgütern geplant war, begann man Anfang 1934 damit, Fallschirmseide zu produzieren. Der dafür notwendige Produktionsausbau wurde durch ein Darlehen des Reichsluftfahrtministeriums unterstützt.640 Bis 1941 wurden sechs weitere Spinnhütten errichtet, die erste in Peine. Die Gesamtinvestitionen betrugen bis 1939 11,6 Millionen RM. Sie wurden hauptsächlich vom Reichsluftfahrtministerium finanziert. Zusätzlich beteiligten sich drei Staatsbanken: die Sächsische, Thüringische und Braunschweigische Staatsbank.641 Im März 1935 hatte das Gesamtkreditpaket der Braunschweigischen Staatsbank an die Spinnhütte ein Volumen von 1,1 Millionen RM. Neben dem Investitionskredit bestanden noch ein Betriebskredit und ein spezieller Überbrückungskredit für die Finanzierung von Importgeschäften. Die Besicherung dieses Kredites war noch zweifelhafter als der für die Firma Sonnenberg.642 Werner Küchenthal hat dieses Engagement deshalb als be-

638 Braunschweigische Staatsbank Treuhandabteilung, Braunschweig, den 7. Juni 1946, Anhang: Gewinne und Verluste 1945 im Vergleich, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 248. 639 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister, Braunschweig, den 11. November 1935, Anlage 1, S. 28, in: BArch R 3101/15621. Die Höhe des Kreditvolumens wurde im Oktober 1936 mit 2,5 Millionen angegeben. Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Ministerialrat Sperl, Reichswirtschaftsministerium vom 27. Oktober 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 153. Dieses Volumen entspricht dem Volumenwachstum in der Zweigkasse Stendal von Mai bis Oktober 1935. In dieser Zeit ist nur ein neuer Kreditfall gemeldet worden. Der Reichskommissar für das Kreditwesen an den Reichswirtschaftsminister [Tgb. Nr. 24890/35 III], Berlin 27. Dezember 1935, Anhang, in: BArch R 3101/15627. 640 Galler, Christopher M., Die Spinnhütte Celle im Nationalsozialismus. Arbeit und Rüstungswirtschaft in einem Musterbetrieb von 1934 bis 1945, Bielefeld 2012, S. 33. 641 Galler, Spinnhütte Celle, S. 40. 642 Der Investitionskredit wurde durch Grundschulden und die Sicherungsübereignung von Seidenwebstühlen, der Betriebsmittelkredit durch die Verpfändung von Buchforderungen gesichert. Sowohl die Bewertung des Grundbesitzes als auch die Bemessung des Wertes der Webstühle entsprach nicht den Bestimmungen des Staatsbankgesetzes. Der Investitionskredit hätte damit eigentlich zum Teil ungesichert gegeben werden müssen, was jedoch ebenfalls nicht möglich war, weil das Aktienkapital mit nur 145.000 RM viel zu gering war. Es hätte mindestens drei Millionen RM erreichen müssen, um eine Kreditzusage gemäß den Kreditrichtlinien der Staatsbank zu erlauben. Auch die Höhe der diskontierten Buchforderungen war nicht mit den Bestimmungen kompatibel. Bericht Küchenthal, S. 36, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 139; Protokoll der 58. Aufsichtsratssitzung vom 15. Februar 1935, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates S. 64, NWA 8, Nr. 766.

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sonders deutliches Beispiel für die politische Beeinflussung von Kreditentscheidungen angeführt: Der Staatsminister [Klagges] forderte durch seinen Staatskommissar die Gewährung eines sehr großen Kredites (RM 400.000 Betriebskredit und RM 300.000 Investitionskredit) an eine neugegründete Gesellschaft in Celle, obwohl der Kredit gegen die Bestimmungen [des Staatsbankgesetzes] verstieß. Der Regierungsvertreter und Staatskommissar Hoffmeister erklärte nach dem Protokoll, daß der Minister ‚aus ersichtlichen Gründen wegen der Rechtfertigung der Filialen‘ die Gewährung des Kredites grundsätzlich wünsche.643

Der Kredit der Celler Spinnhütte wurde nach der Entscheidung zur Schließung der Filiale in Celle von der Zweigkasse in Peine mitbetreut, was angesichts des dort entstehenden Zweigwerkes durchaus folgerichtig war. Das Kreditengagement sicherte der Zweigkasse in Peine eine weitere große Einnahmequelle und garantierte zum entscheidenden Zeitpunkt ihre Rentabilität.644 Auch in Goslar spielte ein einzelner Kredit eine wichtige Rolle, auch wenn er die Bilanz nicht so stark dominierte wie in Stendal und Celle. Die Staatsbank war schon seit längerem in Verhandlungen mit der Stadt Goslar über einen größeren Kommunalkredit und mehrere Hypothekarkredite. Diese Verhandlungen darüber wurden im Sommer 1935 abgeschlossen. Das Volumen der kurzfristigen Kredite versiebenfachte sich daraufhin von knapp 100.000 auf 730.000 RM, während in der Zeit nur vier neue Kredite vergeben wurden.645 Ob die niedrigen Zinsen der Staatsbank für Kommunalkredite nach der „Zinsbrechungsaktion“ für das Interesse Goslars eine bedeutende Rolle gespielt haben, ist leider nicht bekannt. Es dürfte jedoch zumindest ein Faktor gewesen sein. Trotz des Großkredites gelang es bis Oktober 1935 nicht, Goslar in die Gewinnzone zu führen. Die Filiale in Lüneburg dagegen war zunächst unter den bereits abgeschriebenen Filialen geführt worden. Doch konnte die Staatsbank in diesem Fall von der Insolvenz des jüdischen Bankhauses Leon Katz profitieren. Die Staatsbank führte hier eine besondere Form der Arisierung durch, indem sie die Firma nicht übernahm, sondern den langjährigen Prokuristen von Leon Katz als Angestellten in die Zweigkasse aufnahm. Dieser brachte alle wesentlichen Kunden der Bank Leon Katz mit in 643 Bericht Werner Küchenthal, S. 36, NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 139. Die Besicherung des Kredites verstieß gegen das Staatsbankgesetz, weil der Betriebsmittelkredit durch Buchforderungen gedeckt war, die einzeln höher als 50.000 RM waren. Protokoll der 58. Aufsichtsratssitzung vom 15. Februar 1935, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates 1919–1935, S. 64, NWA 8, Nr. 766. 644 Der Reichskommissar für das Kreditwesen [Tgb. Nr. 24890/35 III] an den RWM, Berlin den 27. Dezember 1935, Anhang: Bericht der Treuhandabteilung der Braunschweigischen Staatsbank über die Entwicklung und Rentabilität der Zweigkassen der Braunschweigischen Staatsbank in Halberstadt, Lüneburg und Peine, S. 11, in: BArch R 3101/15627. 645 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister, Braunschweig, den 11. November 1935, S. 20, in: BArch R 3101/15621. Zahlen aus: Der Reichskommissar für das Kreditwesen an den Reichswirtschaftsminister [Tgb. Nr. 24890/35 III], Berlin 27. Dezember 1935, Anhang, in: BArch R 3101/15627.

4.1 Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der „Ostfalenplan“

 189

die Filiale ein.646 Der Effekt ist klar an der Zahl der Kredite abzulesen. Diese stiegen von 29 im Juli 1935 auf 81 im Oktober 1935. Das Kreditvolumen stieg von knapp über 40.000 RM auf über 330.000 RM.647 Die Übernahme der Kunden von Leon Katz verwandelte die Filiale von einem hoffnungslosen Fall in einen der Hoffnungsträger der neuen Zweigkassen. Die Staatsbank profitierte ohne Zweifel von der Arisierung des jüdischen Bankhauses, weil sie dadurch die Wirtschaftlichkeit ihrer Filiale unter Beweis stellen konnte. Auch nach 1936 erbrachte die Filiale substantielle Gewinne. 1938 war Lüneburg nach Wolfenbüttel die profitabelste Zweigkasse des Kreditinstituts.648 In Halberstadt dagegen war die Staatsbank von Anfang an auch in der Breite erfolgreich. Die Zweigkasse hatte im Oktober 1935 die mit Abstand meisten Kreditfälle aller neuen Zweigkassen und das dritthöchste Kreditvolumen. Sie war allerdings bereits mit einem großen Vorsprung gestartet. Sie betreute zu Anfang über 50 Kredite, die die Staatsbank bereits vor der Filialeröffnung vergeben hatte. Keine andere Filiale kam auch nur in die Nähe dieser Zahl.649 Anders als bei allen anderen Kassen hatte die Staatsbank in diesem Gebiet tatsächlich traditionell signifikante wirtschaftliche Interessen, wie sich bereits bei der Finanzierung der Zuckerindustrie in den 1920er Jahren gezeigt hatte.650 Die Zahl der Kreditfälle stieg bis Oktober 1935 auf fast 200 an. Diese Zahl wurde von keiner anderen Filiale auch nur annähernd erreicht. Diese große Zahl zusätzlicher Kunden legt den Verdacht nahe, dass die Staatsbank von der gleichzeitig stattfindenden Aufgabe mehrerer Privatbanken profitiert hat, unter anderem dem Bankhaus Mooshake & Lindemann. Allerdings gab es in Halberstadt keine Anzeichen einer direkten Übernahme des Kreditportfolios einer Privatbank wie in Lüneburg. Wie Peine und Lüneburg konnte auch Halberstadt 1938 noch profitabel geführt werden, wie eine Gewinnaufstellung zeigt.651 Die Kreditstruktur der neuen Zweigkassen unterschied sich deutlich von der der Gesamtbank. Das durchschnittliche Volumen der kurzfristigen Kredite lag bei der Staatsbank im Durchschnitt bei 4.835 RM. Halberstadt lag mit 9.647 RM im Durchschnitt noch am nächsten an der Struktur des Kreditgeschäftes der Gesamtbank. In

646 Der Reichskommissar für das Kreditwesen [Tgb. Nr. 24890/35 III] an den Reichswirtschaftsminister, Berlin den 27. Dezember 1935, Anhang: Abschrift vom 22. Oktober 1935, in: BArch R 3101/ 15627. 647 Ebenda. 648 Braunschweigische Staatsbank Treuhandabteilung, Braunschweig, den 7. Juni 1946, Anhang: Gewinne und Verluste 1945 im Vergleich, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 248. 649 Der Reichskommissar für das Kreditwesen [Tgb. Nr. 24890/35 III] an den RWM, Berlin den 27. Dezember 1935, Anhang, in: BArch R 3101/15627. 650 Siehe Kapitel 3.2, Unterkapitel: Der „Ausverkauf“ der braunschweigischen Industrie und die Strategie der „Regionalen Champions“. 651 Braunschweigische Staatsbank Treuhandabteilung, Braunschweig, den 7. Juni 1946, Anhang: Gewinne und Verluste 1945 im Vergleich, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 248.

190  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

Celle und Goslar lag der Betrag bei ca. 35.000 RM, in Peine und Stendal bei über 120.000 RM pro Kreditfall. Bei den Hypotheken war der Unterschied noch größer.652

Abb. 2: Die kurzfristigen Kredite der „Ostfalen-Zweigkassen“. Entwicklung der Kreditanzahl zwischen Oktober 1934 und 1935 Quelle: Der Reichskommissar für das Kreditwesen [Tgb. Nr. 24890/35 III] an den RWM, Berlin den 27. Dezember 1935, Anhang, in: BArch R 3101/15627; Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Ministerialrat Sperl, Reichswirtschaftsministerium, Braunschweig, den 27. Oktober 1936, S. 4, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 153.

652 Die Staatsbank hatte Ende 1935 Hypotheken mit einem Volumen von durchschnittlich 5.974 RM gegeben. In Lüneburg waren es durchschnittlich 16.000 RM, also fast dreimal so viel. In Goslar lag der Wert bei 23.000 RM, in Halberstadt bei fast 39.000 RM und in Celle sogar bei 46.000 RM. Von den aussichtsreichen Zweigkassen hatte lediglich Peine mit durchschnittlich 4.200 RM eine vergleichbare Struktur wie die Gesamtbank. Jedoch war dort das Gesamtvolumen der Hypothekarkredite mit knapp 60.000 RM so gering, dass sie für das weitere Schicksal der Zweigkasse keine Rolle spielten. Eigene Berechnungen nach: Der Reichskommissar für das Kreditwesen [Tgb. Nr. 24890/35 III] an den RWM, Berlin den 27. Dezember 1935, Anhang, in: BArch R 3101/15627; Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Ministerialrat Sperl, Reichswirtschaftsministerium, Braunschweig, den 27. Oktober 1936, S. 4, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 153; Bericht über das Geschäftsjahr 1935 der Braunschweigischen Staatsbank, S. 6.

4.1 Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der „Ostfalenplan“

 191

Abb. 3: Die kurzfristigen Kredite der „Ostfalen-Zweigkassen“. Entwicklung des durchschnittlichen Kreditvolumens zwischen Oktober 1934 und 1935 Quelle: Eigene Berechnungen nach: Der Reichskommissar für das Kreditwesen [Tgb. Nr. 24890/35 III] an den RWM, Berlin den 27. Dezember 1935, Anhang, in: BArch R 3101/15627; Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Ministerialrat Sperl, Reichswirtschaftsministerium, Braunschweig, den 27. Oktober 1936, S. 4, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 153.

Die Praxis der Kreditvergabe in den neuen Filialen in den Jahren 1934 und 1935 wich vollkommen von der bisherigen Praxis der Staatsbank ab. Der durch die nahende Bedürfnisprüfung hohe Druck für die neuen Filialen, in kurzer Zeit die Gewinnzone zu erreichen, ließen Risikoabwägungen in den Hintergrund treten. Die Geschäftsführung der Staatsbank sollte nach dem Willen der braunschweigischen Regierung alles unternehmen, um die neuen Filialen profitabel zu machen, zur Not auch auf Kosten der Gesamtbank. Die Gesamtkonstellation zwang die Angestellten der einzelnen Filialen dazu, kurzfristig zu handeln. Es galt, in sehr kurzer Zeit möglichst viele Kunden gewinnen, die dazu auch noch Gewinn abwarfen. Vor diesem Hintergrund war die Konzentration auf wenige große Kunden betriebswirtschaftlich sinnvoller als die mühsame und teure Akquisition und Verwaltung einer Vielzahl von kleinen Kunden. Der langfristige Vorteil einer Vielzahl kleiner Kredite bei der Risikostreuung spielte für die handelnden Akteure keine Rolle, weil sie das Ausfallrisiko der Großkredite kurzfristig vernachlässigen konnten. Die wenigen Großkunden, die neu gewonnen werden konnten, wurden durch das Eingehen hoher Risiken im Wettbewerb mit den Großbanken abgeworben oder waren insgesamt höchst fragwürdige Investitionen. Die Möglichkeit, eine größere Zahl von Kreditnehmern in kurzer Zeit zu akquirieren, war die Übernahme anderer Banken. Die Übernahme des Kreditportfolios der jüdischen Privatbank Leon Katz war jedoch eher ein Glücksfall, der den sonst Jahre dauernden Aufbau eines Kundenstammes ersetzte.

192  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

Anders als in vorherigen Expansionsphasen versuchte die Staatsbank, ihre Kreditfinanzierung in einem wirtschaftlichen Umfeld auszuweiten, in dem die Wettbewerbsintensität sehr hoch und der Markt für Unternehmensfinanzierung weitgehend verteilt war. In einer Zusammenstellung zur Lage des Kreditwesens an den neuen Filialstandorten konnte der Reichsbankenkommissar zeigen, dass ein Bedarf an zusätzlichen Bankfilialen nicht bestand. An jedem Standort existierten zumindest eine Stadt- und eine Kreissparkasse. In sieben von zehn Fällen existierten mindestens zwei Großbankfilialen, nur in Gifhorn waren die Großbanken gar nicht präsent. Auch Genossenschaften gab es an jedem Standort außer in Gifhorn. Dagegen war die Zahl der Privatbanken höchst unterschiedlich verteilt. Sie konzentrierten sich im Wesentlichen auf Hildesheim und Halberstadt. Die Staatsbank konnte im Übrigen nicht etwa dort Erfolge vorweisen, wo die Bankendichte gering war. In Gifhorn und Uelzen waren die Zweigkassen weitgehend beschäftigungslos. Ihren größten Erfolg konnte sie stattdessen in Halberstadt vorweisen, wo insgesamt 14 Kreditinstitute aktiv waren.653 Die Staatsbank besaß außerhalb Braunschweigs keine besondere Reputation und konnte mit Ausnahme der jüdischen Banken auch nicht auf den Schwächen ihrer Konkurrenz aufbauen. Das Scheitern der neuen Zweigkassen machte offensichtlich, dass ein Bedarf für die Tätigkeit der Braunschweigischen Staatsbank an den neuen Standorten nicht vorhanden war. Die Staatsbank konnte daher ihre von der braunschweigischen Regierung aufoktroyierten Ziele nicht annähernd erreichen. Der in der Konzeption des Gaus „Ostfalen“ behauptete enge wirtschaftliche Zusammenhang des beanspruchten Territoriums wurde durch die Zweigkassen-Aktion nicht bewiesen.

Die finanziellen Folgen der politischen Instrumentalisierung für die Staatsbank Die Beteiligung am „Ostfalenplan“ und die „Brechung der Zinsknechtschaft“ hinterließen deutliche finanzielle Spuren in den Bilanzen der Staatsbank. Insbesondere beeinträchtigten sie die Rentabilität der Bank. Die Gewinnentwicklung bei der Braunschweigischen Staatsbank folgte nicht dem Wachstum der Bilanzsumme. Die Gewinne der Jahre 1933 und 1934 wurden danach nicht wieder erreicht. Auffällig ist der massive Einbruch des Gewinns in den Jahren 1935 und 1936. Die Staatsbank wies in ihrem Jahresabschluss 1935 einen Reingewinn von 815.941 RM aus. Damit hatte sich das Ergebnis gegenüber 1934 (1,4 Millionen RM) fast halbiert.

653 Der Reichskommissar für das Kreditwesen [Tgb. Nr. 24890/35 III] an den RWM, Berlin den 27. Dezember 1935, Anlage, in: BArch R 3101/15627; Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Ministerialrat Sperl, Reichswirtschaftsministerium, Braunschweig, den 27. Oktober 1936, S. 4, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 153.

4.1 Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der „Ostfalenplan“ 

193

Tab. 13: Lohnkosten, ausgewiesener Gewinn und Gewinnabführungen Jahr

Löhne und Gehälter

Reingewinn

Gewinnabführung

1933

1.059.000

1.428.000

1.005.000

1934

1.244.000

1.411.000

1.050.000

1935

1.484.000

816.000

600.000

1936

1.583.000

775.000

570.000

1937

1.714.000

1.018.000

755.000

1938

1.750.000

1.083.000

800.000

1939

1.835.000

1.162.000

870.000

1940

1.741.000

1.259.000

870.000

1941

1.766.000

1.226.000

600.000

1942

1.817.000

1.025.000

600.000

1943

1.706.000

1.038.000

600.000

Quelle: Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge.

Der größte Teil des Rückgangs wurde durch stark gestiegene Personalkosten verursacht. Die Zahl der Arbeitskräfte wuchs von 516 Ende 1932 auf 740 Ende 1935. Damit waren in dem Jahr bei der Staatsbank wieder so viele Arbeitnehmer beschäftigt wie auf dem Höhepunkt der Inflationszeit. Die Personalkosten stiegen entsprechend von einer Millionen RM 1933 auf 1,5 Millionen RM 1935.654 Laut Geschäftsbericht war diese Zunahme keine Folge erhöhter Arbeitsbelastung, sondern diente gerade in den ersten beiden Jahren dem „Interesse der Arbeitsbeschaffung“.655 Betriebswirtschaftlich waren diese Einstellungen also gar nicht notwendig. Bei den vorgenommenen Neueinstellungen spielte das Parteibuch als Qualifikation eine dominante Rolle. Die Neuangestellten mussten entweder bereits Parteimitglieder sein oder versprechen, nach Antritt der Stelle in die Partei einzutreten.656 Die Staatsbank war also unter dem Einfluss der nationalsozialistischen Landesregierung zu einer Versorgungsanstalt arbeitsloser braunschweigischer NS-Mitglieder geworden. Auf die Mitarbeiter der „Ostfalen-Filialen“ lässt sich diese Einschätzung zwar nicht ohne weiteres übertragen. Ihre Einstellung war nichtsdestotrotz rein politisch motiviert. Weil den hohen Personalkosten keine ausreichenden Einnahmen gegenüberstanden, schrieben die neuen Zweigkassen hohe Verluste. Für das zweite Halbjahr 1934 hatte Kurt Bertram 70.000 RM als Verluste der neuen Filialen verbucht. Für

654 Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Seiten und Jahrgänge. 655 Jahresbericht der Braunschweigischen Staatsbank von 1933, S. 10. 656 Bericht von Werner Küchenthal, S. 29, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 139. Diese Personalpolitik gerade zu Beginn der NS-Zeit würde auch die hohe Zahl der nach dem Krieg durch die Militärregierung entlassenen Beschäftigten der Bank erklären, die 1946 immerhin über 200 Personen umfasste. Protokoll der 36. Beiratssitzung vom 18. Januar 1946, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135.

194  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

das erste Halbjahr 1935 schätzten Bertram und Lehmann einen Gesamtverlust der neuen Filialen von 92.000 RM.657 Ein weiterer bedeutender Teil des Gewinneinbruchs ist den Folgen der „Brechung der Zinsknechtschaft“ zuzurechnen, zu dessen Maßnahmen eine einseitige Zinssenkung bei allen Krediten an das Land und die Kommunen gehörte. Die Folgen der Zinssenkung waren für die Staatsbank bereits 1934 zu spüren, obwohl sie erst 1935 voll auf ihr Ergebnis durchschlugen. Insgesamt hat die Zinssenkung die Staatsbank etwa 250.000 RM gekostet.658 Zusätzlich zu diesen durch die Landesregierung verursachten Belastungen kam ein Faktor, der unabhängig von den Ereignissen in Braunschweig die Gewinnerzielung der Staatsbank negativ beeinflusste. Die Staatsbank musste seit 1934 Rückstellungen für Steuerzahlungen bilden, weil sie durch eine Gesetzesänderung ab 1937 und rückwirkend bis 1934 in erweitertem Maße Körperschaftssteuer und erstmals auch Gewerbesteuer zu zahlen hatte.659 Die Mehrkosten aus den Steuerverpflichtungen betrugen jährlich weitere 200.000 RM.660 Insgesamt ist der Gewinneinbruch im Jahr 1935 also nicht ausschließlich, jedoch überwiegend durch die politische Instrumentierung zu erklären. Gleichzeitig verlangte die braunschweigische Regierung in den ersten Jahren äußerst hohe Gewinnausschüttungen von ihrer Bank. Die Staatsbank schüttete von den 1,4 Millionen RM Reingewinn im Jahr 1934 1,05 Millionen RM an den Staat aus.661 Die Gewinnausschüttung für das Geschäftsjahr 1935 erfolgte bereits unter der Ägide des Reichswirtschaftsministeriums.662 Nach wie vor war jedoch das Land Braunschweig der Empfänger. Die in diesem Jahr gezahlten 570.000 RM Gewinnbe-

657 Protokoll der 58. Aufsichtsratssitzung vom 15. Februar 1935, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 63, NWA 8 Nr. 766; Braunschweigische Staatsbank, Treuhandabteilung [Sn/Jn.] an Herrn Staatsrat Bertram vom 22. Mai 1935, in: BArch, R 3101/15621. 658 Laut Geschäftsbericht lag der Verlust sogar bei 550.000 RM. Dies gilt allerdings nur, wenn man die ursprünglichen Zinskonditionen der betroffenen Kredite für die Berechnung heranzieht. Doch durch die Senkung der Zinsen für Spargelder, Termineinlagen und Jahresgelder, die im neuen reichsweiten Zinsabkommen vom 1. März 1935 vereinbart wurden, wurde die Staatsbank teilweise entlastet. Über alles nahm die Staatsbank 1935 gegenüber 1934 insgesamt 1,623 Millionen RM weniger an Zinsen und Provisionen ein. Die Zinsaufwendungen sanken dagegen nur um 1,376 Millionen, was eine Differenz von etwa 250.000 RM ausmachte. Bericht des Direktoriums über das Geschäftsjahr 1935 der Braunschweigischen Staatsbank, S. 4; Eigene Berechnungen nach: ebenda, S. 16 f. 659 Die Regelung für die Körperschaftssteuer sah vor, dass die Staatsbank 57 % ihrer Gewinne voll, 28 % zur Hälfte und 15 % gar nicht zu versteuern hatte. Die 28 % bezogen sich auf die Gewinne der Hypothekenabteilung, die 15 % auf die staatsnahen Geschäfte. Protokoll der 7. Beiratssitzung vom 22. Dezember 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 660 Protokoll der 11. Beiratssitzung vom 6. August 1937, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 661 Dazu kamen noch die Zinsen für die Hälfte des Eigenkapitals von 200.000 RM, die allerdings in den Zinsaufwendungen versteckt waren. 662 Vgl. das folgende Unterkapitel.

4.1 Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der „Ostfalenplan“ 

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teiligung war eine wesentlich realistischere Quote für eine Bank, deren Gewinnaussichten stark in Mitleidenschaft gezogen wurden.663 Der Gewinneinbruch und die hohen Ausschüttungen verhinderten auch, dass die Staatsbank Eigenkapital aufbauen konnte. Das Institut hatte 1933 noch ein Grundkapital von fünf Millionen RM, was weniger als fünf Prozent der fremden Mittel und weniger als drei Prozent der Bilanzsumme ausmachte. 1934 wurde das Grundkapital von der braunschweigischen Regierung zwar auf zehn Millionen RM verdoppelt, um die Bestimmungen des Kreditwesengesetzes zu erfüllen. Doch auch diese Maßnahme wurde nicht so durchgeführt, dass dadurch die Staatsbank finanziell entlastet wurde. Das neu zugeführte Kapital musste durch die Staatsbank unabhängig von den getätigten Gewinnausschüttungen gesondert mit vier Prozent verzinst werden.664 1936 wies die Staatsbank ein Eigenkapital von 14,3 Millionen RM aus, was etwa 11 % der fremden Mittel von 127,7 Millionen RM und 6 % der Bilanzsumme von 228 Millionen RM ausmachte. Bei der Bayerischen Staatsbank waren es im gleichen Jahr über acht Prozent. Der Gewinneinbruch in den Jahren 1934 und 1935 spielte bei den Anlageentscheidungen der Staatsbank eine entscheidende Rolle. Die Staatsbank begann früher als andere Kreditinstitute mit der Investition in Reichsanleihen und verzinsliche Reichsschatzanweisungen. Diese Anlage gewann für die Banken deshalb an Attraktivität, weil diese seit 1934 bzw. 1935 zu den durch das KWG vorgeschriebenen Liquiditätsreserven zählten.665 Bei der Staatsbank stieg der Bilanzposten „Anleihen des Reiches und der Länder“ von 0,9 Millionen RM im Jahr 1933 auf 11,6 Millionen RM ein Jahr später. Der Anteil an der Gesamtbilanz stieg von 0,5 % auf 6 %. Im gesamten Kreditwesen dagegen stieg dieser Posten in dem Jahr nur leicht von 2,1 auf 2,7 % an.666 1935 stieg das Volumen dieses Postens bei der Staatsbank weiter stark an. Dann jedoch ging das Volumen 1936 und 1937 wieder zurück. Es gab also gewissermaßen eine kurze Pause in dem Wandel der Bilanzstruktur; eine Entwicklung, die der im übrigen Kreditwesen widersprach. Der frühe Zeitpunkt, zu dem die Staatsbank ihre liquiden Mittel von Guthaben bei anderen Banken in verzinsliche Schatz-

663 Jahresbericht über das Geschäftsjahr 1936, S. 11. 664 Der Brschw. Finanzminister F II 1447/35 vom 5.7.1935 an die Brschw. Staatsbank, in: Bericht Werner Küchenthal, S. 108, NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 139. Der Großkunde war das Volkswagenwerk. Braunschweigische Staatsbank, Treuhandabteilung, [Mk/Oc.] vom 7. Juni 1946, in: NWA 5 Zg. 6/ 2007, Nr. 248. 665 Mit der Notverordnung vom 6.10.1931 wurde zunächst den Sparkassen und Girozentralen, mit dem Kreditwesengesetz (KWG) 1934 auch den privaten Banken grundsätzlich erlaubt, einen Teil ihrer Liquidität in Reichsschuldtiteln zu halten. Kopper, Dirigismus, S. 163. Den Sparkassen wurde aufgrund einer Reichsverordnung vom 1. Februar 1935 erlaubt, ihre Liquiditätsreserven zur Hälfte in bei der Reichsbank beleihbaren Reichsanleihen anzulegen. Pohl, Bankenkrise, S. 206. Vgl. auch Kopper, Dirigismus, S. 163. 666 Holtfrerich, Auswirkungen der Inflation, S. 200.

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anweisungen des Reiches umschichtete, lässt sich als Reaktion auf den politisch bedingten Rückgang der Rentabilität des Instituts interpretieren.667 Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Politik der braunschweigischen Regierung waren für die Staatsbank zwar ernst, jedoch noch nicht existenzbedrohend. Dies war jedoch nur deshalb nicht der Fall, weil die politischen Aktionen in eine Phase der wirtschaftlichen Erholung fielen, in der viele blockierte oder bereits abgeschriebene Aktiva der Braunschweigischen Staatsbank wieder an Wert gewannen. Während andere Banken diesen Umstand nutzten, um ihre stillen und offenen Reserven aufzufüllen, musste die Staatsbank diese Mittel in fragwürdige politische Experimente investieren.668 Der zweite Grund dafür, dass die Auswirkungen letztlich beherrschbar blieben, war die kurze Dauer der Herrschaft der braunschweigischen Nationalsozialisten über die Bank. Sie wurde bereits im Oktober 1935 durch das Reichsgesetz über Staatsbanken beendet, dessen Urheber Hjalmar Schacht war.

Das „Gesetz über Staatsbanken“ von 1935 und seine Folgen für Braunschweig Obwohl Küchenthal unter dem politischen Druck des Sabotagevorwurfs sowohl der „Brechung der Zinsknechtschaft“ als auch der Eröffnung der neuen Filialen zugestimmt hatte, versuchte die braunschweigische Regierung in der Folge, den Staatsbankpräsidenten loszuwerden. Von der Teilnahme an der Sitzung des vereinigten

667 Das Direktorium hatte im August 1934 darüber berichtet, dass die Staatsbank insgesamt 15 Millionen RM aus ihren Guthaben bei anderen Banken in verzinsliche Schatzanweisungen des Reiches, der Bahn und der Post angelegt hätte. Dieser Befund wurde zusammen mit einer Warnung mitgeteilt, die liquiden Mittel der Bank nicht weiter herabzusetzen. Berechnung der Gewinnausfälle bei Herabsetzung der Debetsätze auf 4 % [Gt/Ru.-] vom 22. August 1934, in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26311/11. Nach Küchenthals zeitweiliger Kaltstellung wurden jedoch weiterhin Umschichtungen zwischen den genannten Posten vorgenommen. Zwischen den Bilanzstichtagen Ende 1933 und Ende 1934 hatte sich der Gesamtbestand kurzfristiger Forderungen an andere Banken von 29,2 auf 20,9 Millionen RM verringert. Dieser Wert sank bis Ende 1935 weiter auf 15 Millionen RM. Er hatte sich also innerhalb von nur zwei Jahren halbiert. Im Gegenzug stieg vor allem der Bestand an Anleihen und verzinslichen Schatzanweisungen des Reiches und der Länder massiv an. 1933 war dieser Posten mit 0,9 Millionen RM kaum erwähnenswert. 1934 summierten sich diese Wertpapiere bereits auf 11,6 Millionen RM und 1935 erreichten sie mit 27,9 Millionen RM einen vorläufigen Höhepunkt, um in den Jahren 1936 und 1937 wieder leicht zu sinken. Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge. 668 Werner Küchenthal beschwerte sich noch 1942 über diesen Umstand und belegte die mangelnde Ausstattung der Staatsbank mit stillen Reserven mit dem Umstand, dass bei der Staatsbank der ausgewiesene Reingewinn genauso hoch lag wie der steuerliche Aufwand, während er bei den meisten anderen Banken (mit Ausnahme der steuerlich stärker begünstigten Sparkassen) nur einen Bruchteil des Steueraufkommens betrug. Protokoll der 29. Beiratssitzung, 16. Juni 1942, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. Bei der Veranlagung der Steuern müssen stille Reserven offengelegt werden. Daher ist die Steuerbilanz der Unternehmen ein besserer Indikator für die Ausstattung mit Eigenkapital als die Handelsbilanz.

4.1 Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der „Ostfalenplan“

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Aufsichts- und Verwaltungsrates vom 27. August 1934, bei der die Gremien der Zinssenkung zustimmten, wurde er von Alpers kurzerhand ausgeschlossen.669 Am 13. September 1934 änderte der Landtag das Staatsbankgesetz dahingehend, dass dem Vizepräsidenten der Staatsbank Kurt Bertram ein Vetorecht über alle Beschlüsse zustand, die Werner Küchenthal in seiner Eigenschaft als Staatsbankpräsident tätigte.670 Damit waren Küchenthal auch rechtlich die Hände gebunden. Die Staatsbank wurde nun in allen wichtigen Punkten nicht mehr von ihm, sondern von seinem Vizepräsidenten und dem Finanzminister Alpers geführt. Schließlich forderte Alpers Küchenthal am 15. Januar 1935 direkt auf, seinen Posten zur Verfügung zu stellen und Vorschläge für seine anderweitige Verwendung zu machen. Diese Aufforderung wies der Staatsbankpräsident als unbegründet zurück. Am 11. Februar 1935 sprach die braunschweigische Regierung gegenüber Küchenthal aufgrund der „verschwiegenen Effektengewinne“ einen Verweis aus und verhängte eine Geldstrafe von 300 RM.671 In der darauffolgenden Sitzung am 15. Februar 1935 ging der Aufsichtsrat noch einen Schritt weiter und entzog Küchenthal das Vertrauen.672 Dieser Vorgang war vom Staatsbankgesetz nicht gedeckt. Der Aufsichtsrat hatte formal nicht die Möglichkeit, dem Staatsbankpräsidenten das Vertrauen zu entziehen.673 Am Tag nach der Aufsichtsratssitzung meldete sich Küchenthal krank und blieb mehrere Monate der Staatsbank fern. Die Regierung hatte den Kampf anscheinend gewonnen.674 Doch Küchenthal trat nicht zurück. Nachdem er wieder genesen war, richtete er ein Schreiben an Staatskommissar Ludwig Hoffmeister im Braunschweigischen Finanzministerium, in dem er ankündigte, seinen Dienst am 20. Mai 1935 wieder anzutreten.675 Er hatte sich in der Zwischenzeit Rückendeckung aus Berlin gesichert. In mehreren Unterredungen mit zwei Beamten des Reichswirtschaftsministeriums, Ministerialdirektor Otto Schniewind und Ministerialrat Friedrich Sperl, hatte er die Ereignisse und Zustände in Braunschweig detailliert geschildert. Die beiden hatten 669 Protokoll der 57. Aufsichtsratssitzung, verbunden mit einer Verwaltungsratssitzung vom 27. August 1934, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates, S. 59, NWA 8 Nr. 766. 670 Küchenthal erwähnt hier eine Verordnung des Finanzministers vom 13. September 1934 [F II 1712/30]. Bericht Werner Küchenthal, S. 58. 671 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister vom 11. November 1935, Anlage 1: Beschluss des Braunschweigischen Staatsministeriums über die Verhängung einer Ordnungsstrafe, in: BArch, R3101/15621. 672 Protokoll der 58. Aufsichtsratssitzung vom 15. Februar 1935, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates S. 61, NWA 8, Nr. 766. 673 Ebenda, S. 62. 674 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister vom 11. November 1935, in: BArch, R3101/15621. 675 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister vom 11. November 1935, Anlage 1: Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank Dr. Werner Küchenthal an den Staatskommissar im Braunschweigischen Finanzministerium Oberregierungsrat Hoffmeister vom 26. Juni 1935, in: BArch, R 3101/15621.

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ihm die Hilfe des Reichswirtschaftsministeriums in Aussicht gestellt, falls es weitere Probleme mit der braunschweigischen Regierung geben würde.676 Diese Probleme konnten aufgrund der grundsätzlichen Haltung der braunschweigischen Regierung nicht ausbleiben. In dem Schreiben an Hoffmeister hatte Küchenthal den Satz des Führers der Reichsgruppe Banken Otto C. Fischer zitiert, dass nicht jedes Schöppenstedt seine eigene Kreditpolitik treiben solle. Dies brachte ihm den nächsten Verweis und eine weitere Strafe von 300 RM ein. Ihm wurde aufgrund der Verwendung des Zitats eine ungebührliche und beleidigende Kritik an den Entscheidungen seines Vorgesetzten vorgeworfen. Die Strafe wurde am 26. September 1935 ausgesprochen.677 Währenddessen ließ Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht seine Ministerialbürokratie abseits der Öffentlichkeit ein neues Gesetz erarbeiten, das direkt auf die von Küchenthal geschilderten Zustände in Braunschweig reagierte. Als das „Gesetz über Staatsbanken“678 am 18. Oktober 1935 veröffentlicht wurde, war selbst Küchenthal überrascht. Er hatte nicht voraussehen können, dass die Vorfälle in Braunschweig ein Gesetz initiierten, dass dem Reichswirtschaftsminister die Möglichkeit der direkten und vollständigen Kontrolle bei allen Staatsbanken in Deutschland gab.679 Das Gesetz war durch die Ereignisse in Braunschweig inspiriert, aber die Ursachen für den Reichseingriff reichten tiefer. Auch andere Staatsbanken waren in Gefahr, zu Instrumenten ideologischer Experimente einiger Ministerpräsidenten, Gauleiter und Reichsstatthalter zu werden, deren Frustration über die pragmatische Wirtschaftspolitik auf Reichsebene in eine finanzpolitische Kirchturmpolitik mündete.680 Der sächsische Reichsstatthalter Martin Mutschmann hatte im Mai 1933 den Präsidenten der sächsischen Staatsbank Carl Degenhardt verhaften lassen und erst wieder freigelassen, als er eine Verzichtserklärung unterschrieben hatte. Hitler hatte damals die Proteste von Schachts Stellvertreter Friedrich Dreyse weitgehend ignoriert, während Schacht im Ausland war.681 Mutschmann hatte ebenso 1935 seine Pläne, die Sächsische Staatsbank mit der Sächsischen Bank zu fusionieren, gegen den Willen des Reichsbankenkommissars durchgesetzt, der eine Lösung mit der Allgemeinen Deutschen Kreditanstalt (ADCA) favorisiert hatte.682 Mit der Machtfülle des Reichswirtschaftsministeriums, dem Erfolg des Kreditwesengesetzes und der Zinskonversionen im Rücken sah sich Schacht veranlasst und in der Lage, zu verhin-

676 Bericht Werner Küchenthal, S. 66–68, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 139. 677 Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister vom 11. November 1935, in: BArch, R 3101/15621. 678 RGBl. I. (1935), S. 1247. 679 Bericht Werner Küchenthal, S. 73f, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 139. 680 Boelcke Gesetz über Staatsbanken, S. 64. 681 Kopper, Schacht, S. 218 682 Bähr, Johannes, „Bankenrationalisierung“ und Großbankenfrage. Der Konflikt um die Ordnung des Deutschen Kreditgewerbes während des Zweiten Weltkriegs, in: Wixforth (Hg.), Finanzinstitutionen in Mitteleuropa, S. 71–94, S. 73 f.

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dern, dass sich der Fall der Sächsischen Staatsbank in Braunschweig wiederholte. Das Gesetz war zunächst nur als „Ultima Ratio“ gedacht, weil es dem Reichswirtschaftsminister die Möglichkeit einräumte, die Aufsicht über die Staatsbanken zu übernehmen, ohne sie bereits zum Bestandteil des Gesetzes zu machen. Daher waren die meisten Staatsbanken wie die Bayerische Staatsbank oder die Württembergische Staatsbank von dem neuen Gesetz nicht direkt betroffen. Dennoch schob das Gesetz den partikularistischen kreditpolitischen Ambitionen der nationalsozialistischen Provinzfürsten einen Riegel vor. Nirgends jedoch waren die Folgen dieses Gesetzes so folgenreich wie in Braunschweig. Das Gesetz gab Schacht genau diejenigen Machtmittel in die Hand, die er brauchte, um den Einfluss der braunschweigischen Regierung auf die Staatsbank zu brechen. Daher wurde das Gesetz bereits von den zeitgenössischen Beobachtern als „Lex Braunschweigische Staatsbank“ oder wie Willi Boelcke es ausdrückt, eine „Lex Küchenthal“ bezeichnet.683 Der Verkündigung des Gesetzes über Staatsbanken folgte am 11. November 1935 eine offizielle Beschwerde Küchenthals beim Reichswirtschaftsministerium über die im September vom braunschweigischen Staatsministerium gegen ihn verhängte Dienststrafe.684 Diese Beschwerde wurde von Schacht genutzt, um das gerade erst beschlossene Gesetz erstmals anzuwenden. Er änderte am 14. Januar 1936 mehrere Gesetze und Verfügungen, die Küchenthals Durchsetzungsfähigkeit beeinträchtigt hatten. Zunächst ermächtigte das RWM sich selbst, alle bisher vom braunschweigischen Finanzministerium ernannten Mitglieder des Verwaltungsrates nun selbst zu bestimmen. Zweitens wurde das Vetorecht des Vizepräsidenten wieder abgeschafft. Drittens wurde der Staatskommissar Ludwig Hoffmeister abberufen und durch den Oberregierungsrat Rudeloff aus dem Finanzamt Braunschweig-Stadt ersetzt.685 Die braunschweigische Regierung protestierte am 20. Januar scharf gegen die genannten Maßnahmen Schachts.686 Die von Schacht gesandten Ministerialbeamten Schniewind und Sperl enthoben daraufhin noch am gleichen Tag auf einer Sitzung des Verwaltungsrates der Staatsbank alle Mitglieder ihres Amtes. Da der Widerstand gegen die Maßnahmen des Reichswirtschaftsministeriums nicht nachließ, lud Schacht den gesamten Aufsichtsrat auf den 27. Februar 1936 nach Berlin ein. Am Ende einer feindseligen und konfrontativen Sitzung verkündeten Schachts Beamte das voraussichtliche Ende dieses Gremiums.687

683 Boelcke, Gesetz über Staatsbanken, S. 64. 684 Vgl. Staatsbankpräsident Dr. Küchenthal an den Herrn Reichs- und preußischen Wirtschaftsminister vom 11. November 1935, in: BArch, R 3101/15621. 685 Der Reichs- und preußische Wirtschaftsminister, Referent RR Dr. Martini am 14. Januar 1936 an die Braunschweigische Staatsbank [eilt!], in: BArch R 3101/15618. 686 Das Braunschweigische Staatsministerium an den Herrn Reichs- und preußischem Wirtschaftsminister vom 20. Januar 1936, in: BArch R 3101/15618. 687 Niederschrift über die Sitzung des Aufsichtsrates der Braunschweigischen Staatsbank vom 27. Februar 1936 im Sitzungssaal des Reichswirtschaftsministeriums, in: BArch R 3101/15618.

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Parallel zu den entscheidenden Sitzungen der Aufsichtsgremien Anfang 1936 hatte das RWM bereits Pläne für eine grundlegende Reform der Aufsicht über die Staatsbank ausgearbeitet. Am 29. Februar 1936 verkündete Schacht in einem Schreiben an den braunschweigischen Finanzminister die offizielle Auflösung des Verwaltungsrates sowie des Aufsichtsrates und die Neugründung eines Beirates sowie die Neubestimmung von dessen Mitgliedern.688 Die Auswahl war im Wesentlichen durch Küchenthal erfolgt.689 Der Beirat sollte allgemein nur beratende Funktion haben. Küchenthal setzte sich jedoch dafür ein, dass das Gremium bestimmte Entscheidungen auch weiterhin genehmigen konnte. Dies sollte etwa für den Abschluss von Kommanditverträgen, An- und Verkauf von Grundstücken, Eröffnung von Zweigkassen und hauptamtlichen Sparstellen sowie besondere Finanzierungen des Staates Braunschweig gelten. Er schlug vor, einen Entwurf für die Änderung des Staatsbankgesetzes innerhalb der Staatsbank selbst ausarbeiten zu lassen.690 Doch war dies nicht im Sinne Schachts. Laut der Verordnung vom 29. Februar 1936 wurde der Beirat zu einem rein beratenden Gremium degradiert. Die Genehmigung bestimmter Entscheidungen sowie die Entlastung des Direktoriums oblagen allein dem Reichswirtschaftsminister. Er ernannte auch alle Beiräte. Damit war das Direktorium nur noch gegenüber dem Reichswirtschaftsministerium verantwortlich. Das Land Braunschweig war vollständig entmachtet worden. Durch die Abschaffung des Aufsichtsrates hatte Schacht jedoch eine von Emil Bartels Grundideen bei der Gründung der Staatsbank begraben. Alle wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich relevanten Gruppen des Landes Braunschweigs hatten Vertreter in den Aufsichtsrat entsandt. Die Idee der Verwaltung der Staatsbank durch die durch Korporationen repräsentierte Region selbst war allerdings bereits 1933 durch die Gleichschaltung abgeschafft worden. In dieser Hinsicht hatte der Eingriff des Reiches lediglich die bereits vorhandene Gleichschaltung durch eine andersartige ersetzt. 688 Protokoll der 1. Beiratssitzung der Braunschweigischen Staatsbank vom 7. März 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 689 Einige Mitglieder des Beirates waren bereits im alten Aufsichtsrat vertreten gewesen, so Gerhard Schwannecke, der zum Vorsitzenden ernannt wurde, Notar Fischer, Robert Jürgens und der Bankbevollmächtigte Hirschhausen. Dieser hatte auf der letzten Sitzung des Aufsichtsrats zwar für den Antrag des Verwaltungsrats gestimmt, jedoch betont, dass er dies nur wegen seiner Funktion als Gesandter des Finanzministeriums tue und keine persönlichen Probleme mit Küchenthal gehabt habe. Die anderen Mitglieder waren der Präsident des Verbandes öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten Gerhard Kokotkiewicz, der Unternehmer Gustav Gerhards aus Seesen, Karl Fickendey aus Helmstedt und Dr. Reichel aus Braunschweig. Die letzten drei waren von Küchenthal zusammen mit Jürgens bereits am 18. Februar als Kandidaten für die Wahl zu Aufsichtsräten aus dem Kundenkreis der Staatsbank vorgeschlagen worden. Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank [Br/Uc] an Herrn Regierungsrat Dr. Martini im Reichswirtschaftsministerium vom 18. Februar 1936, in: BArch R 3101/15618. 690 Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Ministerialrat Sperl, Braunschweig, den 28. Februar 1936, in: BArch R 3101/15618.

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Die Verordnung vom 29. Februar 1936 galt in ihren wesentlichen Teilen bis 1970. Die Loslösung vom Land Braunschweig wurde durch eine weitere Änderung des Staatsbankgesetzes im Jahr 1939 noch verstärkt. Zum 1. April 1939 wurde die Hauptfinanzkasse sowie die bei den Zweigkassen angesiedelten Kreiskassen aus der Staatsbank herausgelöst und in die Strukturen des Staates integriert.691 Die Führung der Staatskassengeschäfte und die Verwaltung des Staatsfonds waren zentrale Aufgaben der Staatsbank gewesen. Dies hatte dem Staat die Kosten einer eigenen Kassenführung weitgehend erspart, allerdings auch dafür gesorgt, dass das Staatsbankdirektorium über die Finanzverhältnisse des Staates immer genau Bescheid wusste. Da zwischen der Staatsregierung und dem Staatsbankpräsidenten keine Vertrauensbasis mehr gegeben war und der Finanzminister auch keine Mittel zur Durchsetzung seiner Interessen bei der Bank mehr besaß, wurde die Herauslösung auch vom Reichswirtschaftsminister befürwortet.692 Schließlich wurde das Land auch von der Entscheidung über die Höhe der Gewinnausschüttung ausgeschlossen. Weil das Land Braunschweig auch nach dem Reichseingriff der Empfänger des ausgeschütteten Gewinns blieb, hatte die Reichsregierung keinen Vorteil von einer hohen Gewinnausschüttung. Über die Frage der Ausschüttungsquote kam es daher mitten im Krieg zwischen der Landesregierung und dem Reichswirtschaftsministerium zum Konflikt. Das Direktorium der Staatsbankführung wollte mithilfe des Reichswirtschaftsministeriums eine Herabsetzung der Gewinnabführung von 870.000 RM auf 600.000 RM durchsetzen. Der Vertreter des Staatsministeriums im Beirat bestand in der Beiratssitzung am 16. Juni 1942 auf der vollen Auszahlung. Der Beirat stimmte jedoch einstimmig dem Antrag des Direktoriums zu, die Gewinnabführung herabzusetzen.693 Das Land Braunschweig verlor mit dieser Entscheidung auch den letzten Rest an Kontrolle über die Staatsbank.

Das Ende des „Ostfalenplans“ und die regionale Beschränkung der Staatsbank Bis zur Verabschiedung des Gesetzes über die Staatsbanken hatte die Frage der „Ostfalen-Zweigkassen“ auf Eis gelegen. Der Reichsbankenkommissar Ernst schrieb Ende Dezember 1935 an Schacht und teilte ihm mit, dass er die Prüfung des Antrages auf Genehmigung der Zweigkassen, der seinerzeit vom Ministerpräsidenten Klagges gestellt worden war, nun endgültig aufnehmen werde.694 Im Februar 1936 lag das 691 Protokoll der 12. Beiratssitzung vom 6. November 1937, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 692 Werner Küchenthal berichtet davon, dass Dietrich Klagges beabsichtigte, die nun Landeshauptkasse genannte Hauptfinanzkasse zu einer eigenen Landesbank auszubauen. Unabhängige Quellen zu diesem Vorhaben wurden allerdings nicht gefunden. Bericht von Werner Küchenthal, S. 133, in: NWA Zg. 6/2007, Nr. 139. 693 Bericht von Werner Küchenthal, S. 133, in: NWA Zg. 6/2007, Nr. 139. 694 Der Reichskommissar für das Kreditwesen [Tgb. Nr. 24890/35 III] an den RWM, Berlin den 27. Dezember 1935, Anhang, in: BArch R 3101/15627; Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank

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Ergebnis der Prüfung vor. Von den zehn Filialen mussten sieben sofort geschlossen werden. Dies waren die Zweigkassen in Celle, Gifhorn, Goslar, Göttingen, Hildesheim, Stendal und Uelzen. Für die Zweigkassen in Halberstadt, Lüneburg und Peine wurden weitergehende Prüfungen in Aussicht gestellt.695 Das Ergebnis war nach den vom Bankenkommissar aufgestellten Kriterien der Bedürfnisprüfung folgerichtig. Alle drei Filialen, die eine Chance auf Weiterbetrieb bekamen, waren wirtschaftlich rentabel. Jedoch spielte hier auch die Territorialfrage eine wichtige Rolle. Halberstadt und Peine lagen in unmittelbarer Nachbarschaft zu dem Territorium Braunschweigs. Gerade bei der Entscheidung zur Schließung der Filialen in Celle und Stendal spielte die räumliche Entfernung zum Land Braunschweig eine wichtige Rolle. Dazu kam bei den beiden Filialen die Möglichkeit, den jeweils einen Großkunden, von dem das Schicksal der Zweigkassen abhing, von einem anderen Standort aus zu betreuen. So wurde die Celler Spinnhütte von Peine aus betreut, die Zuckerfabrik in Stendal von der Zentrale in Braunschweig. Insofern war die Strategie der Einwerbung weniger Großkunden zum Erreichen der Rentabilität letztlich nicht aufgegangen. Für den kreditpolitischen Teil der Pläne zum Aufbau des Reichsgaus „Ostfalen“ war die Entscheidung vom März 1936 das Ende. Aber auch für die Staatsbank waren die Schließungen schmerzlich. Küchenthal hätte einige der Zweigkassen gerne behalten. Vor allem in Goslar hatte man auf eine dauernde Präsenz gehofft. In Hildesheim ging die Staatsbank im Anschluss an die Entscheidung des Reichswirtschaftsministeriums ähnlich vor wie in Lüneburg. Dort war am 1. Januar 1936 das jüdische Bankhaus Hess & Comp. liquidiert worden.696 Der ehemalige Prokurist der Firma Hugo Gottschalck bot den beiden Inhabern Hermann und Max Hess an, einen Teil der Kunden zu übernehmen und mit diesem Kundenstamm ein neues Bankgeschäft aufzubauen. Max Hess gab bei einer späteren Vernehmung durch die Gestapo an, dass er keinerlei Sorgen wegen der Liquidität der Firma hatte, weil er über die Rolle der Braunschweigischen Staatsbank informiert war.697 Die Staatsbank wollte zusammen mit dem Bankhaus Gebr. Löbbecke eine Kommanditeinlage über 300.000 RM (Staatsbank: 200.000 RM, Löbbecke: 100.000 RM) beisteuern, während Gottschalck selbst nur 25.000 RM einbrachte.698 Am 24. Februar hatte Gottschalck einen Überan den Herrn Ministerialrat Sperl, Reichswirtschaftsministerium, Braunschweig, den 27. Oktober 1936, S. 4, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 153. 695 Protokoll der 1. Beiratssitzung der Braunschweigischen Staatsbank vom 7. März 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 696 Vermerk des Regierungspräsidenten für den Regierungsbezirk Hildesheim vom 23. Juni 1938 über die Vorladung des früheren Bankiers Max Hess, in: NLA HA Hann. 180 Hildesheim Nr. 04811. Dieser Fall ist bereits von Ingo Köhler untersucht worden, allerdings fehlen bei ihm die wirtschaftspolitischen Hintergründe, die die Staatsbank zur Beteiligung bewogen. Köhler, „Arisierung“, S. 327 f. 697 Ebenda 698 Vertrag zur Gründung des Bankhauses Gottschalck & Co. KG, in: NLA HA Hann. 180 Hildesheim Nr. 04811.

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nahmevertrag mit Max Hess geschlossen, der alle Gläubiger, aber nur die sichersten und lukrativsten Kreditfälle, sowie das Inventar der sich in Liquidation befindenden Firma Hess & Comp. enthielt. Am 3. März wurde der Kommanditvertrag zwischen Gottschalck, der Staatsbank und dem Bankhaus Gebr. Löbbecke geschlossen. Die Firma kaufte für etwa 96.000 RM die von Gottschalck übernommen Bankgeschäfte und das Inventar auf. Die Bank existierte nur aufgrund der Tatsache, dass die Staatsbank ihre eigene Filiale schließen musste. Treffend bemerkte dazu der Syndikus der IHK Südhannover Dr. Mundry: „Wir hatten Gelegenheit, in den Gründungshergang dieses Bankhauses Gottschalck & Co. Einblick zu nehmen und hatten daraus den Eindruck gewonnen, daß der Einfluß der Braunschweigischen Staatsbank in dieser Firma derart groß ist, daß man praktisch von einer getarnten Filiale sprechen kann.“699 Die Ähnlichkeit mit dem Fall Leon Katz in Lüneburg ist dabei frappierend. Auch hier war es ein nichtjüdischer Prokurist, der die Kundschaft des liquidierten Bankhauses der Staatsbank zugänglich machte. Wäre die Liquidation der Firma Hess früher erfolgt, hätte die Staatsbank Hugo Gottschalck in ihre Filiale übernommen. Da aber das Votum des RWM die Schließung der Zweigkasse Hildesheim verlangte, verfiel man mit der Kommanditeinlage bei einer Privatbank auf ein bereits gut erprobtes Verfahren. Mit der Beteiligung des Bankhauses Gebr. Löbbecke an der Gründung des Bankhauses Gottschalck trieb die Staatsbank dabei die Kommanditpolitik auf die Spitze. Sie war direkt, und über ihre Beteiligung bei Löbbecke zusätzlich noch indirekt, an Gottschalck beteiligt. Auch wenn die Staatsbank ohne Zweifel von der Not der jüdischen Bankiers profitierte, so war zumindest im Fall Gottschalck & Co. die Arisierung in Absprache und unter Beibehaltung freundschaftlicher Beziehungen zwischen Hugo Gottschalck und dem Mitinhaber des Bankhauses Hess & Comp. Max Hess erfolgt. Die Übernahme der Kundschaft von Hess & Comp. durch Gottschalck & Co. wurde im weitgehenden Einvernehmen mit den vorherigen Inhabern durchgeführt.700 Die Firma Gottschalck & Co. war insgesamt eine stabile und erfolgreiche Gründung. Sie sicherte der Staatsbank auch über die Zeit des Nationalsozialismus hinweg einen Außenposten in Hildesheim. Wie in Lüneburg hatte sie diese Präsenz außerhalb des Freistaates einer „Arisierung“ zu verdanken. Während der Fall Leon Katz 699 IHK Südhannover in Hildesheim an den Regierungspräsidenten, Hildesheim, den 21. April 1936, in: NLA HA Hann. 180 Hildesheim Nr. 04811. 700 Wie aus einem Verhörprotokoll der Gestapo in Hildesheim von 1938 hervorging, hatte dieser direkt mit Werner Küchenthal und Heinrich Lehmann verhandelt und bekam für die Abtretung die Summe aus dem Unterschied zwischen Debitoren und Kreditoren, 4.500 RM für das Inventar sowie eine persönliche Zuwendung direkt von der Staatsbank von 5.000 RM für sich und seine drei Kinder. Auch nach Abschluss des Geschäftes kam Hess täglich zu Hugo Gottschalck ins Büro, unter anderem um einige der Rest-Debitoren abzuwickeln, die von Gottschalck & Co. nicht mit übernommen worden waren. Vermerk des Regierungspräsidenten für den Regierungsbezirk Hildesheim vom 23. Juni 1938 über die Vorladung des früheren Bankiers Max Hess, in: NLA HA Hann. 180 Hildesheim Nr. 04811.

204  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

jedoch im Wesentlichen vom Staatsbankdirektor Kurt Bertram durchgeführt wurde, war an der Gründung Gottschalck & Co. Werner Küchenthal federführend beteiligt.701 Spätestens mit der Auflösung des Aufsichtsrats am 27. Februar 1936 war Küchenthal wieder der entscheidende Akteur in der Staatsbank. Er hatte den Machtkampf gegen die braunschweigische Regierung gewonnen. Dies hieß aber auch, dass er nun wieder für die Wirtschaftspolitik der Staatsbank verantwortlich zeichnete. Der Fall Gottschalck war ein Vorgriff auf die Verhandlungen über die verbliebenen Zweigkassen sowie über die Festlegung des Geschäftsbereichs der Staatsbank. Diese Verhandlungen folgten unmittelbar auf die Verkündigung der Entscheidung des Reichswirtschaftsministers am 27. Februar 1936 im Aufsichtsrat. Leider sind nur die Aufzeichnungen der Verhandlungen für die preußische Provinz Hannover erhalten. Der Kreis der Verhandlungspartner bestand aus den beiden Beamten des RWM Sperl und Martini, dem Generaldirektor der Hannoverschen Landeskreditanstalt Wolfgang Drechsler, dem Generaldirektor der Niedersächsischen Landesbank – Girozentrale – Hermann Brandes und Werner Küchenthal. In diesen Verhandlungen zeigte sich Küchenthal keineswegs als überzeugter Gegner der Expansion der Staatbank, sondern verteidigte den „Geländegewinn“ seines Instituts mit allen Mitteln.702 Die Verhandlungen waren langwierig und kompliziert. Für jedes einzelne Gebiet wurden genaue Abgrenzungen für die einzelnen Geschäftsteile verhandelt. Stadtgrenzen, Flüsse und sogar Bahnlinien dienten als projektierte Grenzen zwischen den Geschäftsbereichen der Staatsbank und den Hannoverschen Kreditinstituten. Letztlich konnten sich die Parteien aber nicht einigen. So erzwang der Reichswirtschaftsminister am 23. April 1937 per Dekret eine Lösung des Konfliktes.703 Die Staatsbank durfte nun offiziell in einigen Grenzgebieten Hypotheken vergeben.704 Das kurzfristige Privatkreditgeschäft wurde ihr jedoch generell bis auf bereits laufende Kredite untersagt. Außerhalb des Freistaates Braunschweig war die Staatsbank somit ein reines Bodenkreditinstitut. Die Verfügung des Reichswirtschaftsministers vom April 1937 beendete den Streit um die Frage des Geschäftsbereiches der Staatsbank, der durch den Expansionskurs der braunschweigischen Regierung ausgelöst worden war. Doch er hatte für das Institut weit darüberhinausgehende Bedeutung. Die Staatsbank war durch die Verordnung zum ersten Mal in ihrer regionalen Ausdehnung rechtlich beschränkt 701 Dies wird von Max Hess in seiner Vernehmung bestätigt. Ebenda. 702 Vgl. dazu: Der Landeshauptmann der Provinz Hannover Dr. Gessner an den Herrn Oberpräsident Stabschef Lutze vom 4. Dezember 1936, in: NLA HA, Nds. 200 Acc 4/96 Nr. 53. 703 Der Reichs- und Preußische Wirtschaftsminister I 23226/37 vom 23. April 1937 an a) das Direktorium der Staatsbank b) die Hannoversche Landeskreditanstalt c) die Niedersächsische Landesbank – Girozentrale, in: NLA HA, Nds. 200 Acc 4/96 Nr. 53. Die verfügte Lösung war kompliziert und kleinteilig. In Lüneburg etwa durfte die Staatsbank Hypotheken nur innerhalb der Stadtgrenzen vergeben, in Peine nur in der Stadt und östlich des Flusses Fuhse. 704 Ebenda. Für Goslar konnte Küchenthal sogar die freie Vergabe von Hypotheken erreichen. Der Staatsbank wurde allerdings verboten, „geschäftliche Initiative“ zu entfalten. Diese musste von den Kunden ausgehen.

4.1 Die „Brechung der Zinsknechtschaft“ und der „Ostfalenplan“

 205

worden. Der Verwaltungsvorgang ist somit als formale Einführung des Regionalprinzips im öffentlichen Bankwesen Braunschweigs zu werten. Die Beschränkung der Geschäftstätigkeit auf ein bestimmtes Territorium war erst durch die Verordnung von 1937 wirklich endgültig. Die Staatsbank hatte bei dem Versuch der territorialen Expansion einen wesentlichen Teil ihrer Reputation innerhalb der öffentlich-rechtlichen Kreditwirtschaft verloren. Das Vertrauen vor allem zu den direkt benachbarten regionalen öffentlichrechtlichen Akteuren war durch die Expansion der Staatsbank weitgehend zerstört worden und musste erst mühsam und unter Koordination des Reichswirtschaftsministeriums wiederaufgebaut werden. Erst durch vertrauensbildende Maßnahmen wie der gegenseitigen Vergabe von Aufsichtsratsmandaten an die Präsidenten der Staatsbank und der Niedersächsischen Landesbank 1938 konnten wieder Kooperationen zwischen den öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten erfolgen.705 Der Sparkassenverband und die öffentlich-rechtlichen Banken in Hannover achteten fortan jedoch sehr genau auf die Einhaltung der Verordnung von 1937. Dieser Umstand sorgte dafür, dass die Verordnung sehr viel länger galt, als eigentlich vorgesehen war. 1944 wurden die letzten Zweigkassen des „Ostfalenplans“ aufgelöst. Auf Anordnung des Reichswirtschaftsministeriums vom 16. Dezember wurden im ganzen Reich Bankfilialen geschlossen, um Arbeitskräfte für die kriegswichtigen Betriebe freizusetzen. Die Staatsbank musste aufgrund dieses Beschlusses die drei Filialen in Halberstadt, Lüneburg und Peine schließen. Die Zweigkasse Lüneburg schloss als letztes im Mai 1944. Allerdings konnten die meisten Kreditbeziehungen zur Hauptbankkasse oder zu anderen Zweigkassen verlegt werden, wobei die Großkredite sämtlich zur Hauptbankkasse wanderten.706 Im Ergebnis hatte die Staatsbank durch die „Ostfalen-Aktion“ Kapital und Reputation eingebüßt und dafür, außer einer Reihe neuer Kunden und einer neuen Bank, nichts gewonnen. Zudem war sie von diesem Zeitpunkt an, statt zu expandieren, fest an ein kleines Territorium gebunden, außerhalb dessen sie nicht tätig werden konnte. Dafür sorgte unter anderem die Aufmerksamkeit ihrer öffentlich-rechtlichen Nachbarn. Langfristig jedoch sorgte diese von außen erzwungene Beschränkung dafür, dass die Staatsbank in anderen Bereichen nachhaltig expandieren konnte. Die territoriale Beschränkung der Geschäftstätigkeit erfolgte nahezu zeitgleich mit der Übernahme der Aufsicht über die Staatsbank durch das Reich. Durch die räumliche Entkoppelung der Aufsicht vom Wirkungsbereich der Staatsbank entstand ein Potential für wirtschaftspolitisch autonomes Handeln. Durch die Beschränkung des Handlungsraums der Bank wurde dieses Potential verstärkt, weil sie die Bank als Vertreter der Interessen des Landes Braunschweig glaubwürdiger machte. Die Staatsbank nutzte dieses Potential, um ihre Position im Land Braunschweig weiter 705 So arbeitete die Staatsbank mit der Hannoverschen Landeskreditanstalt bei der Finanzierung des Siedlungsbaus in Salzgitter-Watenstedt zusammen. Siehe Kapitel 4.2, Unterkapitel: Die Grenzen der Expansion: die Staatsbank und die „Reichswerke Hermann Göring“. 706 Protokoll der 32. Beiratssitzung vom 9. Juni 1944, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135.

206  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

auszubauen. Die Anstrengungen der nationalsozialistischen Regierung in den Bereichen der Rüstungswirtschaft und der Rohstoffgewinnung boten für die innere Expansion einen wichtigen Einstiegspunkt.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“ und der Durchbruch der Staatsbank bei der Industriefinanzierung 1934–1939 Die Braunschweigische Staatsbank hatte in der Weimarer Zeit hauptsächlich kleine und mittlere Industrieunternehmen finanziert. Eine Ausnahme bildeten die drei Industriebetriebe Bremer & Brückmann, Welger und die Braunschweigische Maschinenbauanstalt (BMA). Diese Geschäftsverbindungen waren infolge von Sanierungsanstrengungen in der Stabilisierungskrise und der Weltwirtschaftskrise entstanden. In der „Ostfalen-Aktion“ hatte die Staatsbank weitere große Kredite vergeben, die jedoch in dem speziellen Kontext der politischen Expansion gesehen werden müssen. Gleichzeitig mit dieser Aktion jedoch vollzog sich auch in dem angestammten Gebiet der Staatsbank ein Wandel in der Industriefinanzierung. Durch die Beteiligung an der Finanzierung der Autarkie- und Rüstungspläne der Nationalsozialisten gelang der Staatsbank schließlich der Durchbruch in der Industriefinanzierung. Wirtschaftspolitische Ambitionen in diesem Bereich hat die Staatsbank jedoch bereits zu Beginn der NS-Zeit entwickelt.

Der „Bericht zur Lage der Industrie“ der Staatsbank Aufgrund des Scheiterns der Strategie der „regionalen Champions“ in der Zeit der Weimarer Republik musste die Staatsbank bei der Finanzierung der braunschweigischen Industrie den Großbanken den Vortritt lassen. Dennoch verfügte sie bereits in der ersten Hälfte der 1930er Jahre über ein beeindruckendes Detailwissen über den Zustand der industriellen Betriebe im Land. Dieses Wissen stellte sie wenige Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Reich der braunschweigischen Regierung zur Verfügung. Anlass dazu war die Ankündigung der Arbeitsbeschaffungsprogramme der Nationalsozialisten, insbesondere das erste „ReinhardProgramm“.707 Dieses wurde im Rahmen des „Gesetzes zur Verminderung der Arbeitslosigkeit“708 am 1. Juni 1933 beschlossen. Wie bereits das „Sofortprogramm“ der 707 Die Programme wurden benannt nach Fritz Reinhardt, dem Staatssekretär im Reichsfinanzministerium. Vgl. Stelzner, Jürgen, Arbeitsbeschaffung und Wiederaufrüstung 1933–1936. Nationalsozialistische Beschäftigungspolitik und Aufbau der Wehr- und Rüstungswirtschaft, [Diss.], Neumünster 1976, S. 76–95. 708 RGBl 1933, S. 323–329.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“ 

207

Vorgängerregierung Kurt von Schleichers zielten die Reinhard-Programme auf die Förderung der Bauwirtschaft, die im Winter 1932/33 fast vollständig zusammengebrochen war.709 Die NS-Regierung in Braunschweig wollte von diesen Töpfen in möglichst hohem Maße profitieren. Sie beauftragte deshalb die Braunschweigischen Staatsbank sowie die Handelskammer damit, Kommuniqués zur Wirtschaftslage in Braunschweig zu erstellen.710 Der Auftrag erging direkt im Anschluss an die Verkündigung des ersten Reinhardt-Programms und stand auch inhaltlich direkt mit diesem im Zusammenhang.711 Die Regierung wollte wissen, welche Maßnahmen wirtschaftspolitisch sinnvoll und durch die Förderung des Arbeitsbeschaffungsprogramms gedeckt waren. Von dem Beweis des wirtschaftspolitischen Nutzens bestimmter Baumaßnahmen hing unter Umständen die Bewilligung des Antrags ab. Daher waren die Berichte der Staatsbank und der Handelskammer durchaus mehr als bloße Informationen. Sie waren gleichzeitig Argumentationshilfen bei der Formulierung von Anträgen auf Förderung. Die Staatsbank hatte sich zum Ziel gesetzt, als erste ihren Bericht fertig zu stellen. Am 13. Juli, eineinhalb Monate später, konnte sie bereits ihr Ergebnis präsentieren. Der Bericht „Zur Lage der braunschweigischen Industrie“ war eine Tiefenstudie, die nicht nur statistisches Material zur Auslastung von Betrieben und zu deren Mitarbeiterzahlen zusammenstellte, sondern, in Branchen unterteilt, nach den speziellen Ursachen der Krise und ihren Lösungsmöglichkeiten fragte. Die Datengrundlage dieses Berichts waren Fragebögen, die die Staatsbank an ihre Kunden verschickt hatte, sowie die Analyse von Kontenbewegungen. Zusätzlich hatte das Direktorium die Leiter der Zweigkassen dazu angehalten, in persönlichen Gesprächen mit Unternehmensleitern die dringendsten Probleme herauszufinden. Dieser qualitative Ansatz hatte selbstverständlich seine Schwächen. Das größte Defizit war die notwendige Beschränkung der Erhebung auf die Industrie. Im Handwerk, im Handel und in der Landwirtschaft war die Anzahl der Betriebe zu hoch, um mit der von der Staatsbank genutzten Methode auch nur annähernd ein repräsentatives Bild zu erhalten. Diese Beschränkung verdeutlicht noch einmal das Problem, mit dem die Staatsbank bereits in den 1920er Jahren bei der Vergabe von Mittelstandskrediten konfrontiert war und das sie im Mittelstandsprogramm durch die Kooperation mit den Mittelstandsvertretungen umgangen hatte. Sie konnte die persönliche finanzielle Situation ihrer unzähligen Kleinkunden nicht zeitnah zentral erfassen, weshalb sie lieber ganz darauf verzichtete. 709 Stelzner, Arbeitsbeschaffung, S. 50. Im Januar 1933 war das Baugewerbe gerade noch zu 14 % ausgelastet, weshalb man diesem Wirtschaftszweig Priorität gab. Golla, Guido, Nationalsozialistische Arbeitsbeschaffung in Theorie und Praxis 1933 bis 1936, Köln 1996, S. 100. 710 Die beiden Berichte befinden sich in: NLA WO 12 Neu Wirtschaft 13, Nr. 13990. Der Bericht der Staatsbank sowie die Korrespondenz dazu befindet sich zudem in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 311. 711 Rundverfügung der Braunschweigischen Staatsbank Direktorium an alle Bankkassen und die Hypothekenabteilung vom 6. Juni 1933 (Gruppe XIV /Nr. 51, lfd. Nummer 119), in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 311.

208  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

Die Staatsbankführung hatte in dem Begleitschreiben zu ihrem Bericht diesen Nachteil angesprochen, genauso wie den zweiten Schwachpunkt, die weitgehende Konzentration auf die eigenen Kunden. Doch war man zuversichtlich, dass der Bericht die Lage der braunschweigischen Industrie zuverlässig widerspiegeln würde: „Dennoch sind wir der Auffassung, daß das von uns gewonnene Bild in den wesentlichen Grundzügen eine einschneidende Veränderung durch das erweiterte Erhebungsmaterial der Handelskammer kaum erfahren wird, da die Angaben unserer industriellen Kundschaft über ihre Beschäftigungslage usw. durch die Entwicklung der Kontenumsätze eine gewisse Kontrolle finden.“712 Der zentrale Vorteil der Erhebung war die schnelle Zugänglichkeit der Ergebnisse. Der Vorsprung gegenüber der Handelskammer und ihr exklusiver Zugang zu Kontendaten sicherte der Staatsbank die Deutungshoheit über die Lage der Industrie sowie der notwendigen Maßnahmen zu deren Verbesserung. Der Bericht war eine der Grundlagen der Wirtschaftspolitik der Regierung Klagges und ist nach wie vor eine wichtige Quelle für die Lage der Industrie in den ersten Jahren des NS-Staates in Braunschweig.713 Er gibt aber nicht nur die Lage der braunschweigischen Industrie wieder. Hinter den oft nüchternen Beschreibungen versteckt sich ein wirtschaftspolitisches Programm der Braunschweigischen Staatsbank. Ihre Legitimation zu der Formulierung eines solchen Programms beschrieb das Direktorium später folgendermaßen: „Den Kreditinstituten fällt hierbei eine sehr wichtige Mitwirkung [bei der planmäßigen Wirtschaftsführung] insoweit zu, als sie der Entscheidung über Kreditanträge eine eingehendere Prüfung über die Gesamtlage des Gewerbezweiges des Kreditnehmers, über die beabsichtigte Verwendung des Kredites nach Möglichkeit vorausgehen lassen, um die Kredite dort hinzuführen, wo sie gesamtwirtschaftlich am förderlichsten sind.“714 Damit trat Küchenthal gewissermaßen in die Fußstapfen Oscar Stübbens, der diesen Anspruch der Staatsbank 1928 in fast identischer Weise für seine Industriestrategie formuliert hatte. Der Bericht beginnt mit einer Zusammenfassung der allgemeinen Lage der Industrie. Hier folgt das Direktorium mit einer fundamentalen Kritik der Deflationspolitik Brünings und der Regierung von Papen weitestgehend der offiziellen Lesart der Reichsregierung. Interessant ist hier die konstatierte Ursache für das Scheitern der Programme der Regierung von Papen und Schleicher. Nach der Meinung des Direktoriums fehlte dem Plan die Unterstützung durch eine generelle Besserung der Konjunktur. Deren Anziehen im ersten Halbjahr 1933 war demnach eine Grundvoraus-

712 Brief der Braunschweigischen Staatsbank an den Braunschweigischen Minister des Innern vom 13. Juli 1933 [LZ/Ru.8], Begleitschreiben zur Erhebung über die Wirtschaftslage im Lande Braunschweig, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 311. 713 Vgl. Pollmann; Ludewig, Nationalsozialistische Wirtschaftspolitik, Teil II, S. 135 f. 714 Denkschrift „Die Bedeutung der Braunschweigischen Staatsbank im niedersächsischen Wirtschaftsgebiet“ [Gt/Ru.5] vom 28. März 1934, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 311.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“

 209

setzung für das Gelingen der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.715 Aus diesem Grund wurden die Maßnahmen der neuen Regierung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unterstützt. In dieser Argumentation steckt im Kern der nach wie vor große Glaube an wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten, die zwar durch staatliche Maßnahmen unterstützt werden konnten, gegen die mit wirtschaftspolitischen Mitteln anzukämpfen jedoch zwecklos war. Das Staatsbankdirektorium war weit entfernt von dem bei vielen Nationalsozialisten verbreiteten Glauben an die politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Volkswirtschaft. Dies zeigte sich auch im Nachgang der Veröffentlichung des Berichtes. In einem Schreiben an die Leiter der Zweigkassen der Staatsbank betonte das Direktorium, bei der Kreditvergabe auf die Privatinitiative der Unternehmer zu vertrauen und keinesfalls „Kredite aufzudrängen“.716 Der Bericht über die einzelnen Industriezweige beschränkte sie sich nicht nur auf die Analyse, sondern fasste in kleinen „Vermerken“ Vorschläge und Bitten der Industrie zusammen. Die Dampfziegeleien, die seit der Inflationszeit zu den Kunden der Bank gehörten, baten darum, bei den durch die Arbeitsbeschaffungsprogramme geförderten Bauten vorwiegend braunschweigisches Material einzusetzen.717 Bei den Steinbrüchen reichte die Staatsbank die Klage weiter, dass die staatlichen Betriebe bei Aufträgen bevorzugt würden.718 Häufig wurden die Frachtgebühren der Reichsbahn kritisiert. Auch in der Schilderung der Lage versteckten sich Hinweise auf mögliche konkrete Hilfestellungen, etwa bei den zahlreichen Bemerkungen über die ruinösen Preiskämpfe bei gleichzeitiger Hervorhebung der bereits durchgesetzten Preiskonventionen wie zum Beispiel in der Zuckerindustrie. Diese Industrie hatte die Staatsbank bereits in der Inflationszeit finanziert. Das Gesamtbild zeigte die nach wie vor sehr schwierige Lage der Industrie in Braunschweig. Kaum eine Branche hatte sich zu diesem Zeitpunkt substantiell von der Krise erholt. Auch die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen änderten zunächst wenig an der Situation. In Braunschweig und im Reich hatten sie vor allem den Effekt, dass die Zahl der Arbeitslosen im Winter nicht mehr so stark anstieg wie in den Jahren zuvor. Dies war wirtschaftlich nicht nachhaltig, aber für die Konsolidierung des NS-Regimes essentiell.719 Die Wende kam im Reich wie in Braunschweig erst mit den Auswirkungen der Aufrüstungspolitik.

715 716 193, 717 718 719

„Bericht zur Lage der braunschweigischen Industrie“, S. 3, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 311. Braunschweigische Staatsbank Direktorium Gt/Ru.9 an die Bankkassenvorstände vom 19. Juli in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 311. „Bericht zur Lage der braunschweigischen Industrie“, S. 12, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 311. Ebenda, S. 8. Pollmann; Ludewig, Nationalsozialistische Wirtschaftspolitik, Teil II, S. 140.

210  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

Erste Schritte in der Rüstungsfinanzierung der Staatsbank Die nationalsozialistische Reichsregierung verfolgte von Beginn an das Ziel einer massiven Aufrüstung. Am 3. Februar hielt Adolf Hitler vor der Führung der Reichswehr eine inzwischen berüchtigte Geheimrede, in der er das langfristige Ziel seiner Politik offenbarte: Wiederbewaffnung und Kriegsvorbereitung.720 Spätestens seit Frühjahr 1934 besaßen die Rüstungsfinanzierung und die Rohstoffversorgung die oberste Priorität für die Reichsregierung. Bereits am 6. Dezember 1933 wurde im Kabinett in Berlin der Beschluss gefasst, dass keine über die beiden Reinhardt-Programme vom Juni und September hinausgehenden Finanzierungen des Arbeitsbeschaffungsprogramms mehr zur Verfügung gestellt werden sollten.721 Während die Propaganda für die im Frühjahr 1934 neu beginnende Arbeitsoffensive alles im Vorjahr dagewesene in den Schatten stellte, wurde sie finanziell aus den Mitteln des Vorjahres bestritten. Der Grund für das Auslaufen des Programms war nicht der Rückgang der Arbeitslosigkeit, sondern die Aufrüstungspläne der NS-Regierung in Berlin. Bereits im Juni 1933 hatte Hitler mit Hjalmar Schacht, Reichswehrminister Werner von Blomberg, Hermann Göring und Erhard Milch (Staatssekretär im Reichsluftfahrtministerium) den Plan gefasst, insgesamt 35 Milliarden RM innerhalb von acht Jahren für Rüstungszwecke bereitzustellen, also durchschnittlich 4,4 Milliarden RM pro Jahr. Dies entsprach etwa 10 % des Bruttoinlandsproduktes des Reichs im Jahr 1933. Das Programm war in jedem Jahr mehr als viermal so groß wie das gesamte Arbeitsbeschaffungsprogramm.722 Für die Finanzierung der ersten Phase der Aufrüstung, die vielfach noch im Geheimen vor sich ging, spielte das System der sogenannten MeFo-Wechsel eine entscheidende Rolle. Am 24. Juli 1933 wurde auf Initiative Hjalmar Schachts von vier Großunternehmen der Montanindustrie die Metallurgische Forschungsgesellschaft GmbH (MeFo) mit einem Grundkapital von einer Millionen RM ins Leben gerufen.723 Die MeFo akzeptierte auf sie gezogene Wechsel, die damit reichsbankfähig wurden. Ihre offizielle Laufzeit betrug sechs Monate, sie konnten jedoch bis zu fünf Jahre lang immer wieder prolongiert werden. Somit war der MeFo-Wechsel formal ein Instrument für kurzfristige Zwischenfinanzierungen, in Wirklichkeit diente er aber als mittelfristiges Kreditinstrument. Der MeFo-Wechsel war allerdings keine Neuerfindung Schachts. Seine wesentliche Funktionsweise übernahm Schacht von den Arbeitsbeschaffungswechseln der Gesellschaft für öffentliche Arbeit (Öffa), mit denen die ersten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen finanziert worden waren. Die Wechsel waren insbesondere für die beteiligten Banken attraktiv, weil sie als verzinsliche Barliquiditätsreserve genutzt werden konnten. Weil die Banken diese Wechsel teilweise in ihren Bilanzen behielten, erhöhte sich die Geldmenge nicht 720 721 722 723

Tooze, Wages of Destruction, S. 37 f. Ebenda, S. 61. Ebenda, S. 53 f. Feldenkirchen, Wilfried, Siemens 1918–1945, München 1995, S. 497.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“ 

211

im gleichen Umfang wie das durch die Wechsel bereitgestellte Kreditvolumen. Dennoch war der MeFo-Wechsel ein Instrument der Geldschöpfung.724 Über die MeFoWechsel wurden insgesamt neun Milliarden RM für Aufrüstungszwecke zur Verfügung gestellt, 1934 bereits 2,175 Milliarden RM. Dies entsprach etwa der Hälfte der Rüstungsausgaben im Reich in diesem Jahr.725 Die Folge der Finanzierung der staatlichen Programme über Wechsel war die allgemeine Zunahme der Bedeutung dieses Finanzierungsinstrumentes in den Bilanzen der Kreditinstitute. Die Bilanzsumme aller erfassten Kreditinstitute stieg zwischen 1933 und 1937 von 57 Milliarden RM auf 70 Milliarden RM. Der Anteil der Handelswechsel an der Bilanzsumme der Kreditinstitute verdoppelte sich von 6 % im Jahr 1933 auf 12,5 % im Jahr 1937. Demgegenüber ging die Nachfrage nach Kontokorrentkrediten stark zurück. Der Anteil der Debitoren an der Bilanzsumme sank von 22,4 % im Jahr 1933 auf 14,5 % im Jahr 1937.726 Durch die mittels Prolongation verlängerten Laufzeiten der MeFo-Wechsel baute sich seit 1933 eine große schwebende Schuld auf. 1938 lag sie bei etwa 8,1 Milliarden RM.727 Aufgrund der Erholung der Wirtschaft begann der Wechselumlauf, sich inflationär auszuwirken. Das System der Sonderwechsel war an seine wirtschaftliche Grenze gelangt. Ab 1938 ging die Bedeutung der Sonderwechsel zurück. Auch die Staatsbank beteiligte sich an der Finanzierung der Rüstungsindustrie über MeFo-Wechsel. Aus einer Sonderaufstellung der Handelswechsel des Geschäftsjahres 1937 geht hervor, dass die Staatsbank für 4,6 Millionen RM MeFoWechsel hielt. Dies war allerdings nur ein kleiner Teil der tatsächlichen Finanzierungsleistung der Staatsbank zum Zweck der Aufrüstung. Selbst im Bilanzposten Wechsel, der ein Volumen von 17 Millionen RM hatte, waren die MeFo-Wechsel relativ unbedeutend.728 Der Großteil bestand aus regulären Diskontkrediten. Neben den Diskontkrediten nahm auch das Volumen der Kontokorrentkredite zwischen 1933 und 1938 deutlich zu, von knapp 42 Millionen RM auf 56 Millionen RM. Allein dafür verantwortlich waren die Kredite an private Nichtbanken, deren Volumen sich im gleichen Zeitraum von knapp 20 Millionen RM auf über 40 Millionen RM verdoppelte. Diese Entwicklung war im Vergleich zum übrigen Kreditwesen in Deutschland ungewöhnlich. Die Staats- und Landesbanken hatten von 1933 bis 1938 ihre kurzfristigen Kreditposten massiv verringert, bei den Sparkassen ging dem

724 Vgl. zu der geldwirtschaftlichen Funktion der Öffa- und MeFo-Wechsel: Kopper, Schacht, S. 268–271. 725 Ebenda, S. 269 f. 726 Holtfrerich, Auswirkungen der Inflation, S. 200. 727 Tooze, Wages of Destruction, S. 256. 728 Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 1937 der Braunschweigischen Staatsbank, von Dr. Höweler, S. 12, in: BArch R3101 /15262.

212  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

Gesamttrend folgend das Volumen der Debitoren leicht zurück.729 Selbst die Großbanken hatten ihre Debitoren in diesem Zeitraum deutlich zurückgefahren.730 Sieht man sich Kontokorrentkredite genauer an, so sieht man, dass vor allem die Kredite an die Industrie und den Großhandel für das Wachstum verantwortlich waren. Das Volumen der Kontokorrentkredite an Industrie und Großhandel verdoppelte sich zwischen 1934 und 1939. Noch höher war das Volumen einzelner Diskontkredite, die im Bilanzposten Wechsel geführt wurden. Nach Zahlen von 1937 wurden diese Kredite fast ausschließlich an große Industriekunden vergeben.731 Tab. 14: Neu gewährte Kontokorrentkredite (in Millionen RM) Jahr

Mittelstand, Fremdenverkehr Anzahl

1934

Volumen

Industrie, Großhandel Anzahl

Ca. 4

Volumen

Landwirtschaft Anzahl

4,9

Volumen 1

1935

2582

4,5

204

5,7

254

0,8

1936

2413

4,9

188

3,9

374

1,2

1937

2202

4,1

176

7,4

351

1,1

1938

2208

9,4

184

6

288

1,7

1939

1652

7,1

204

10,1

244

1,1

1940

649

4

131

8,4

178

2,6

Gewährtes Kreditvolumen Quelle: Braunschweigische Staatsbank: Jahresberichte, verschiedene Jahrgänge.

Die Finanzierungsleistungen der Staatsbank in der Unternehmensfinanzierung in den 1930er Jahren erfolgten also weitgehend über reguläre Kredite, nicht über die rüstungsrelevanten Sonderfinanzierungsformen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Staatsbank sich bei der Finanzierung der Rüstungsindustrie nicht engagiert hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Die ersten rüstungsrelevanten Kredite vergab die Staatsbank Ende 1934 an Unternehmen des Metall- und Maschinenbaus, die damit Aufträge der Wehrmacht finanzierten. Diese Aufträge dienten den Unternehmen zunächst als willkommene Möglichkeit der besseren Auslastung ihrer Betriebe und damit der Bekämpfung der 729 Bei den Staatsbanken sank das Volumen der Debitoren bei den Nichtbanken von 711 Millionen RM im Jahr 1933 auf 326 Millionen RM im Jahr 1938. Bei den Landesbanken und Girozentralen war der Einbruch noch drastischer. Die Nichtbanken-Debitoren sanken von 1,2 Milliarden RM im Jahr 1933 auf 300 RM im Jahr 1938. Ein Großteil dieses Einbruchs war allerdings auf eine Umschuldung von Kommunalkrediten in Schuldverschreibungen zurückzuführen. Bei den Sparkassen lag das Volumen 1933 bei knapp 1,8 Millionen RM und damit genauso hoch wie 1938. Deutsche Bundesbank (Hg.), Deutsches Geld- und Bankwesen, S. 74, 88, 102. 730 Ebenda, S. 79. 731 Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 1937 der Braunschweigischen Staatsbank, von Dr. Höweler, S. 12, in: BArch R3101 /15262.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“

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Arbeitslosigkeit.732 Ein Beispiel dafür ist die Sanierung des Landmaschinenherstellers Welger in Wolfenbüttel durch die Staatsbank. Dieses Unternehmen, das hauptsächlich Strohpressen herstellte, war seit 1929 Kreditnehmer der Staatsbank, die sich das Kreditengagement im Verhältnis 2:1 mit der Commerzbank teilte. Im Januar 1934 gewährte die Staatsbank – diesmal allein – einen zusätzlichen Kredit, damit das Unternehmen seine Mitarbeiter durch den Winter hindurch weiterbeschäftigen konnte. Im Herbst 1934 stand Welger wiederum vor der Zahlungsunfähigkeit. Dies hatte mehrere Gründe. Welger hatte sich im Gegenzug zur Kreditvergabe im Januar dazu verpflichtet, weit mehr Arbeiter über das ganze Jahr zu beschäftigen, als für die Aufrechterhaltung der Produktion notwendig war. Die landwirtschaftlichen Betriebe waren 1934 noch nicht kapitalkräftig genug, um für eine stärkere Auslastung der Produktion zu sorgen. Nun wurden erneut die Staatsbank sowie Finanzminister Friedrich Alpers eingeschaltet, um die Schließung der Fabrik über den Winter zu verhindern. Alpers fuhr nach Berlin, um sich um Rüstungsaufträge für das Unternehmen zu bemühen.733 Mit diesem Unterfangen war er erfolgreich. Er konnte einen Auftrag der „Deutschen Verkehrsfliegerschule“ für das Unternehmen Welger sichern. Daraufhin wandte sich die Kreisdirektion Wolfenbüttel an die Staatsbank mit der Bitte, zusammen mit der Commerzbank einen weiteren Kredit über ca. 160.000 RM bereitzustellen. Der Auftrag der Fliegerschule im Wert von 248.000 RM sollte dabei als Sicherheit fungieren, was nicht den Bestimmungen des Staatsbankgesetzes entsprach.734 Nachdem der Liefervertrag unterschrieben wurde, konnte am 1. Januar 1935 ein Vergleichsverfahren eröffnet werden. Um dem Unternehmen die Zeit zu geben, den Auftrag durchzuführen, wurde mit der Staatsbank und der Commerzbank ein Schuldenmoratorium über ein Jahr vereinbart.735 Die Staatsbank als Hauptgläubiger führte bei Welger ihre Sanierungspolitik fort, die sie in den Jahren davor bei der Braunschweigischen Maschinenbauanstalt und bei Bremer & Brückmann erfolgreich betrieben hatte. Die erste Finanzierung eines Rüstungsauftrages führte die Staatsbank demnach nicht aufgrund einer strategischen Neuausrichtung aus, sondern sie verfolgte die Ziele ihrer alten aus der Stübben-Ära übernommenen Wirtschaftspolitik. Neu war jedoch die Rolle der braunschweigischen Regierung. Der von ihr vermittelte Wehrauftrag ermöglichte der Staatsbank erst, die Sanierung von Welger erfolgreich mitzugestalten. Dies ist ein erster Hinweis darauf, wie die politischen Entscheidungsträger über die Vergabe 732 Pollmann; Ludewig, Nationalsozialistische Wirtschaftspolitik, Teil 2, S. 142 f. 733 Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Braunschweigischen Finanzminister vom 8. November 1934 [Bg/Ac.14], in: NLA WO 12 Neu 13, Nr. 26316. 734 Da die Verpfändung einzelner Buchforderungen laut Staatsbankgesetz nur bis 50.000 RM erlaubt war, der damit abgedeckte Betrag jedoch höher als 100.000 RM, musste für diesen Kredit die Genehmigung des Verwaltungsrates eingeholt werden. 735 Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an die Herren Mitglieder des Verwaltungsrats der Braunschweigischen Staatsbank vom 21. Dezember 1934, in: StadtA Braunschweig, E 10 I, Nr. 15.

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von Rüstungsaufträgen Wirtschaftspolitik betreiben konnten. Die Bedeutung der politischen Entscheidungsträger stieg dabei deutlich an.

Die Finanzierung des Aufbaus der Flugzeugindustrie im Land Braunschweig Der Auftrag der Verkehrsfliegerschule war auch deshalb richtungweisend, weil er den Blick der handelnden Akteure in Braunschweig auf eine Branche lenkte, der ein ungeheurer Boom bevorstand: der militärischen Luftfahrt. Die „Deutsche Verkehrsfliegerschule“ war 1925 in Berlin als Tarnorganisation für die militärische Flugausbildung gegründet worden, da das Reich gemäß dem Versailler Vertrag keine Luftwaffe besitzen durfte. 1929 hatte sie ihren Sitz nach Braunschweig-Broitzem verlegt. Dort wurden neben Piloten der Lufthansa vor allem potentielle Kampfflieger in der „Aufklärungsschule Braunschweig“ ausgebildet.736 1933 übernahm das Reichsluftfahrtministerium die Fliegerschule, die damit einen rein militärischen Charakter bekam. Im März 1935 wurde sie schließlich zusammen mit dem Flughafen Broitzem in die neu gegründete Luftwaffe eingegliedert. Der Aufbau der Luftwaffe war einer der Schwerpunkte der Rüstungsanstrengungen des NS-Staates. Innerhalb kurzer Zeit entstand eine neue Industrie fast aus dem Nichts. Im Jahr 1932 waren im Flugzeugbau reichsweit gerade einmal 3.200 Arbeitskräfte beschäftigt. Die Produktionskapazität lag bei etwa 100 Flugzeugen im Jahr.737 Nachdem bis zum Beginn des Jahres 1935 die Vorbereitungen zur Gründung der Luftwaffe im Geheimen vonstattengingen, wurden die Pläne für den Aufbau einer Luftstreitmacht offen verhandelt. In den „Industrierüstungsgrundlagen 1.4.1938“ vom Sommer 1935 wurde der Plan aufgestellt, bis zu dem genannten Datum eine Luftwaffe mit 258 Staffeln und 2.370 stets verfügbaren Flugzeugen aufzubauen. Diese Doktrin der „konstanten Luftwaffe“ forderte von der neu aufzubauenden Industrie eine Produktionskapazität vom Mehrfachen dieser 2.370 Flugzeuge, um die einkalkulierten Verluste zu ersetzen. Die Abteilung III des Technischen Amtes des Reichsluftfahrtministeriums errechnete aus dieser Forderung eine Produktionszahl von 11.732 Flugzeugen, die am 1.4.1938 bereitstehen sollten. Die neue Industrie sollte zu einem späteren Zeitpunkt in der Lage sein, monatlich 1.165 Flugzeuge herzustellen, um die Verluste ausgleichen zu können.738 Die Produktionsziffern des Planes wurden im Laufe der Zeit immer weiter erhöht. Die „Industrierüstungsgrundlagen“ waren die Grundlage zum Aufbau der Produktionskapazitäten der neuen Flugzeugindustrie. Diese wurden so geplant, dass sie im Ernstfall ihre Kapazität schnell erweitern konnten. Denn aus dem Ver736 Linhardt, Andreas, Luftfahrt in der Region Braunschweig im Spannungsfeld von Wirtschaft, Forschung und Politik, in: Leuschner; Märtl; Kaufhold (Hg.), Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 3, S. 831–887, S. 846. 737 Tooze, Wages of Destruction, S. 125. 738 Budraß, Lutz, Flugzeugindustrie und Luftrüstung in Deutschland 1918–1945, Düsseldorf 1998, S. 344 f.

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hältnis der Zahlen ergibt sich, dass die angestrebte Gesamtzahl für 1938 bei voller Verfügbarkeit der Produktionskapazität in zehn Monaten hergestellt werden konnte. Um diese Zeit auszudehnen, produzierten die Fabriken anfangs im Einschichtbetrieb auf einem Niveau von 25 % der Maximalkapazität.739 Entsprechend dieser Planung wurde auch in Braunschweig ein industrieller Komplex zur Herstellung von Flugzeugen aufgebaut. Die Braunschweigische Staatsbank war an dem Aufbau dieser Industrie entscheidend beteiligt. Sie stellte einen großen Teil der Investitionsfinanzierung. Allerdings musste zunächst die notwendige Infrastruktur geschaffen werden. Nachdem der Flugplatz in Broitzem vom Reich gekauft und von der Luftwaffe in Anspruch genommen wurde, plante die braunschweigische Regierung in Braunschweig-Waggum einen neuen großen Flughafen. Die Bauarbeiten dafür begannen im Februar 1935 und wurden mit der Betriebsgenehmigung durch das Luftamt Hannover im Mai 1936 erfolgreich abgeschlossen. Die Staatsbank beteiligte sich an der Finanzierung des Baus zunächst mit einem Darlehen über 178.000 RM. Von 1936 bis 1938 wurde der Flughafen erweitert, wofür die Staatsbank der neu gegründeten Flughafengesellschaft mbH Waggum ein Investitionsdarlehn über 625.000 RM mit einer Laufzeit von 25 Jahren zusagte. Da der Flughafen in öffentlichem Besitz war, hatte die Staatsbank keine Bedenken gegen die Bereitstellung langfristiger Darlehen.740 Der Flughafen in Waggum wurde zur Keimzelle des Flugzeugbaus im Nordosten der Stadt Braunschweig, der einen Großteil der Produktionsschritte bis zur Endfertigung von Flugzeugen umfasste. Das erste Rüstungsprojekt der Flugzeugindustrie in Braunschweig waren 1935 die Niedersächsischen Motorenwerke GmbH (NIEMO). Dieses Unternehmen war eine 100 %ige Tochter der Büssing NAG.741 1934 wurde Büssing vom Reichsluftfahrtministerium aufgefordert, Produktionskapazitäten für den Bau von Flugzeugmotoren aufzubauen. Nachdem die Unternehmensleitung sich zunächst ausweichend geäußert hatte, drohte das RLM mit Zwangsmaßnahmen.742 Knackpunkt war wie in allen diesen Fällen die Finanzierung des neuen Werkes. Nach langen Verhandlungen erklärten sich schließlich die Staatsbank und die Dresdner Bank bereit, das Werk mithilfe von mittelfristigen Krediten zu finanzieren. Die Dresdner Bank stellte dafür 5,5 Millionen RM zur Verfügung, die Staatsbank zwei Millionen RM.743 Als Voraussetzung dafür, dass die Staatsbank sich beteiligte, wurde von der braunschweigischen Regierung verlangt, dass der Standort des neuen Unternehmens in Braunschweig liegen

739 Ebenda, S. 346. 740 Der Auftrag wurde gemäß § 31 des Staatsbankgesetzes von 1929 vergeben, wonach der Kredit der Finanzierung besonderer wirtschaftlicher Staatsaufgaben diente. Das Land musste dabei sämtliche Risiken tragen. StBG von 1929, § 31, S. 23. 741 NAG ist die Abkürzung für Nationale Automobil-Gesellschaft. 742 H. Büssing. Mensch – Werk – Erbe, S. 176. 743 Fischer, Eckhard, Niedersächsische Motorenwerke GmbH Braunschweig-Querum, Salzgitter 2012, S. 23.

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musste.744 Zuvor war Berlin-Oberschöneweide in Erwägung gezogen worden, wo Büssing nach der Übernahme der Nationalen Automobil-Gesellschaft (NAG) 1931 ebenfalls Produktionskapazitäten besaß. Das Werk wurde südlich des neuen Flughafens gebaut, nachdem die NIEMO am 7. Juni 1935 gegründet worden war.745 Das Direktorium der Staatsbank hatte in einem Schreiben vom 12. August 1935 den Verwaltungsrat aufgefordert, der Vergabe des Darlehnes zuzustimmen. Dieses sollte eine Laufzeit von zwölf Jahren haben. Als Sicherheit diente die selbstschuldnerische Bürgschaft des Reichs. Die Staatsbank verlangte zudem von Büssing die Eröffnung eines Umsatzkontos bei der Staatsbank.746 Es war das erste Mal, dass die Staatsbank ein mittelfristiges Darlehen für Investitionszwecke an ein privates Unternehmen vergeben hatte. Die Reichsbürgschaft sorgte allerdings dafür, dass die Staatsbank dieses Darlehen wie einen Kredit an eine öffentliche Körperschaft behandeln konnte. Die NIEMO beschäftigte Ende 1936 bereits 1.000 Arbeitskräfte, 1939 stellten 3.200 Arbeitskräfte monatlich 60 Flugmotoren her.747 Die Motoren gehörten unter anderem zur Standardausstattung der Messerschmitt-Jäger Bf 109 und Bf 110. Ein Teil der Motorenfertigung wurde im Nachbarort Bienrode in die Bf 110 eingebaut. Dort hatten die zur MIAG gehörenden Luther-Werke ein neues Werk zur Flugzeugproduktion aufgebaut. Die MIAG begann bereits 1934 mit dem Lizenzbau von Flugzeugen. Für die Flugzeugproduktion wurde das Luther-Werk ausgewählt, während das ehemalige Amme-Werk sich auf gepanzerte Fahrzeuge konzentrierte. 1935 wurde das Luther-Werk organisatorisch stärker verselbstständigt. Mit Stephan Luther als betriebswirtschaftlichem und Walter Jordan als technischem Leiter wurde eine eigenständige Führung installiert. Walter Jordan kam von den Heinkel-Werken zur MIAG, um der im Flugzeugbau unerfahrenen Firma das notwendige Wissen zu vermitteln. Auch neue Produktionsanlagen wurden notwendig, nachdem das Reichsluftfahrtministerium eine Großserienproduktion vorgesehen hatte. Zwischen 1936 und 1938 entstand deshalb das neue Werk (Werk II) in Bienrode westlich des Flughafens. Außerdem wurde bereits 1936 auf dem Gelände des Flughafens eine „Einflughalle“ (Werk III) gebaut, in der ein Teil der Endfertigung vollzogen wurde.748 Zur Finanzierung des Werkes in Bienrode wurde wieder die Staatsbank herangezogen, diesmal zusammen mit der Commerzbank. Mit diesem Institut wurde wie schon bei Welger ein Konsortialverhältnis ausgehandelt, 744 Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an die Herren Mitglieder des Verwaltungsrats der Braunschweigischen Staatsbank vom 12. August 1935 (streng vertraulich!), in: StadtA Br, E 10 I, Nr. 15. 745 H. Büssing. Mensch – Werk – Erbe, S. 176. 746 Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an die Herren Mitglieder des Verwaltungsrats der Braunschweigischen Staatsbank vom 12. August 1935 (streng vertraulich!), in: StadtA Br, E 10 I, Nr. 15. 747 Zunächst hatte die NIEMO BMW-Motoren gebaut, dann aber auf Daimler-Benz-Motoren vom Typ DB 601 und DB 605 umgestellt. Fiedler, Gudrun; Ludewig, Hans-Ulrich, Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft im Lande Braunschweig, Braunschweig 2003, S. 50 f. 748 Linhardt, Luftfahrt, S. 859 f.

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das das Gesamtvolumen des Investitionskredites von drei Millionen RM zu pari aufteilte. Der Konsortialkredit wurde zunächst für drei Jahre vergeben. Die Hauptsicherheit war eine Garantie des Reichsluftfahrtministeriums.749 Zusätzlich zum Investitionskredit wurde vom Konsortium noch ein Betriebsmittelkredit über insgesamt eine Million RM gewährt. Das Kreditpaket wurde am 22. Dezember 1936 vom Beirat der Staatsbank genehmigt.750 Bereits 1937 wurde ein weiterer Kredit über 1,5 Millionen RM von demselben Konsortium ausgegeben. Zusammengenommen hat das Konsortium der MIAG für den Flugzeugbau in Bienrode 5,5 Millionen RM zur Verfügung gestellt. Die mittelfristigen Konsortialkredite wurden bis August 1939 zurückgezahlt. Eine Verlängerung des Kredites wurde zunächst vom Direktorium und dem Beirat abgelehnt, „da den Konsortialbanken in der Besicherungsgrundlage einschneidende Änderungen zugemutet wurden.“751 Das RLM wollte für eine Verlängerung des Kredites keine weiteren Garantien übernehmen, musste allerdings allem Anschein nach teilweise einlenken. Die Staatsbank hatte 1944 einen Kredit über 7,5 Millionen RM in ihren Büchern stehen, der zum Teil durch Reichsgarantien gesichert war.752 1941 wurden die Luther-Werke aus dem MIAG-Konzern herausgelöst und der Flugzeugbau unter dem Namen „Luther & Co. GmbH“ auch rechtlich verselbstständigt. Bis Kriegsende wurden durch die Luther-Werke 2.450 Messerschmidt Bf 110 hergestellt.753 Das dritte braunschweigische Unternehmen der neuen Luftfahrtindustrie war der Klavierhersteller Grotrian-Steinweg. Im Herbst 1933 hatte das Unternehmen, das sehr stark von der Weltwirtschaftskrise betroffen war, eine Flugzeugabteilung gegründet, die 1935 bereits 45 % zum Gesamtumsatz beitrug.754 1936 wurde die Flugzeugabteilung in die neu gegründeten Flugwerke Braunschweig GmbH ausgegliedert und auf dem Gelände des Flughafens eine Flugzeughalle mit Anschluss an die Landebahn gebaut, die 1937 den Betrieb aufnahmen.755 Auch hier wurde die Staatsbank zur Finanzierung herangezogen. Bei der Ausgründung der Flugzeugwerke stellte das Kreditinstitut ein mittelfristiges und ein langfristiges Darlehen über insgesamt knapp 500.000 RM zur Verfügung, beide waren mit Reichsgarantien besichert.756 Das am Flughafen gelegene Werk des 1940 in Flugzeugreparaturwerk 749 Das RLM hatte sich darin der MIAG gegenüber verpflichtet, dass es die Kosten für den Abschreibungs- und Zinsaufwand zur Finanzierung des neuen Werkes erstatten würde. Diese Garantie wurde als Sicherheit an das Konsortium abgetreten. Protokoll der 8. Beiratssitzung vom 17. Februar 1937, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 750 Protokoll der 7. Beiratssitzung vom 22. Dezember 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 751 Protokoll der 18. Beiratssitzung vom 15. August 1939, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 752 Der Kredit war durch eine 30 %ige Ausfallbürgschaft des Reiches, Abnahmegarantien und einer Grundschuld auf das Werk gesichert. Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1944 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, Anhang: Debitoren über 200.000 RM, NWA 8, Nr. 745. 753 Linhardt, Luftfahrt, S. 862. 754 Ebenda, S. 858. 755 Fiedler; Ludewig, Zwangsarbeit, S. 50.

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GmbH umbenannten Unternehmens wurde am 28. Februar 1941 vom Volkswagenwerk übernommen.757 Der Neuaufbau der Flugzeugindustrie in Braunschweig verlangte eine starke Unterstützung der privaten Unternehmen durch das Reich. In Braunschweig musste diese Industrie rund um den neuen Flughafen buchstäblich aus dem Boden gestampft werden. Dies verlangte zum Teil Investitionen, die nicht über MeFo-Wechsel finanziert werden konnten. Private Banken beteiligten sich nur sehr zögerlich an der Finanzierung des Aufbaus der Luftfahrtindustrie. Dies hatte gute Gründe. Die bereits erwähnten großen Produktionskapazitäten wurden in Friedenszeiten nicht ausgenutzt. Die Fixkosten dieser Werke waren zu hoch, um bei einer Auslastung von 25 % auf Dauer rentabel zu arbeiten. Weil die Luftfahrtindustrie sich auf absehbare Zeit kaum auf zivile Nachfrage stützen konnte, waren diese Investitionen abhängig von den Entscheidungen des einzigen relevanten Abnehmers: dem Reichsluftfahrtministerium. Ohne die Risikoübernahme durch das Reich, war der Aufbau einer vollständig von der Nachfrage des Staates abhängigen Industrie den privaten Banken zu unsicher.758 Es gelang dem RLM zwar, ein Bankenkonsortium unter der Führung der Preußischen Staatsbank zusammenzustellen, das einen Kredit von 115 Millionen RM für Investitionen in die deutsche Luftfahrtindustrie erbrachte. Allerdings verlangten die beteiligten Banken, unter anderem die Dresdner und die Deutsche Bank, eine selbstschuldnerische Bürgschaft des RLM über die gesamte Summe sowie eine Erhöhung der Zinskonditionen.759 Die Rolle der Staatsbank beim Aufbau des braunschweigischen Teils der Flugzeugindustrie hatte in erster Linie politische Gründe. Im Fall der Niedersächsischen Motorenwerke (NIEMO) ist das angesichts der Verknüpfung mit der Standortentscheidung offensichtlich, ebenso wie bei der Finanzierung des Flughafenbaus. Doch auch in der Gesamtschau zeigt sich der politische Wille, in Braunschweig-Waggum eine zusammenhängende Flugzeugindustrie aufzubauen. Für die braunschweigische Landesregierung bedeutete die Ansiedlung einer neuen Industrie einen wichtigen Prestigegewinn der Regierung Klagges. Betriebswirtschaftliche Motive für die Kreditgewährungen sucht man zunächst vergeblich. In keinem der Fälle wies die Bank auf Gewinnchancen hin, wenngleich diese durchaus einen Anreiz für die Bank dargestellt haben dürften. Die Staatsbank konnte immerhin im Vergleich zu den Krediten an die öffentliche Hand bei vergleichbaren Kreditvolumina bis zu 2 % mehr Zinsen einnehmen.760 Stattdessen wur756 Dieser Fall ist bereits in der Literatur bekannt: Pollmann; Ludewig, Nationalsozialistische Wirtschaftspolitik, Teil 2, S. 149. 757 Linhardt, Luftfahrt, S. 866. 758 Budraß, Flugzeugindustrie, S. 362. 759 Kopper, Dirigismus, S. 171 f. 760 Die Zinssätze bewegten sich im Bereich des Konsortiums für die Luftfahrtindustrie von 5,75– 6 %. Kopper, Dirigismus, S. 172. Bei der NIEMO lag der Zinssatz auf der Höhe des Reichsdiskontsatzes (von 1932 bis 1940: 4 %), allerdings wurde für jedes Jahr eine Provision über 1,8 % fällig, was

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de ein größerer Aufwand betrieben, die Risiken als möglichst gering darzustellen. Dafür waren die Reichsgarantien enorm wichtig. Durch sie war der Staatsbank – zumindest vom damaligen Standpunkt aus gesehen – der größte Teil des Risikos abgenommen worden. Die Betonung der Sicherheiten war notwendig, um den insgesamt skeptischen Verwaltungsrat bzw. später den Beirat zu überzeugen. Als im Fall der Luther-Werke diese Garantie entzogen wurde, drohte die Staatsbank im Verein mit der Commerzbank mit dem Ende des Engagements. Diese Vorgänge bestätigen Jonas Scherners Annahme, dass eine staatliche Bürgschaft im Kontext der Aufrüstung generell risikomindernd wirkte.761 Ohne die Bürgschaften hätte die Staatsbank keine Risikoaufschläge verlangt, sie hätte die Kredite gar nicht erst vergeben. Das für Staatsbankverhältnisse sehr hohe Volumen und die lange Laufzeit der Einzelkredite hatte das Gremium skeptisch gegenüber der Finanzierung der neuen Industrie gemacht. Trotz der Reichsgarantien war die Finanzierung der Investitionen keineswegs einfach für die Staatsbank. Neben den mittelfristigen Darlehen, die die Staatsbank den drei Unternehmen Mühlenbau-Industrie AG (MIAG), NIEMO und Flugzeugwerke Braunschweig bereitgestellt hatte, nahm sie von diesen Firmen insgesamt MeFo-Wechsel im Wert von 7,6 Millionen RM an. Diese eigneten sich zwar prinzipiell zur Rediskontierung bei der Reichsbank. Ende 1937 hielt die Staatsbank jedoch noch immer MeFo-Wechsel in Höhe von 4,3 Millionen RM. Somit hatte sie Ende 1937 fast zehn Millionen RM an nur drei private und ein öffentliches Unternehmen der Flugzeugindustrie bereitgestellt. Es gab jedoch neben den Zinseinkommen noch ein spezielles geschäftspolitisches Motiv für die Staatsbankführung, die Großkredite an die Flugzeugindustrie zu gewähren. Die Investitionen in die Flugzeugindustrie lohnten sich indirekt, weil das Institut dadurch engere Kontakte zu den damals größten Unternehmen in Braunschweig aufbauen konnte, die zuvor gegenüber der Staatsbank sehr zurückhaltend waren, vor allem die MIAG und die Büssing NAG. Die Vereinbarung mit Büssing, im Rahmen der NIEMO-Finanzierung ein Umsatzkonto bei der Staatsbank zu führen, zeigt die längerfristige und über den unmittelbaren Zweck des Aufbaus der Flugzeugindustrie hinausgehende Motivation der Staatsbank. Alle Unternehmen, die im Rahmen des Aufbaus der Flugzeugindustrie finanziert wurden, besaßen bei der Staatsbank noch bei Kriegsende ein laufendes Konto.762 Dies hatte auch Auswirkungen auf die Mutterkonzerne der Flugzeugwerke. Die Büssing NAG erhielt 1937 einen

den realen Zinssatz (bis zur Diskontsatzsenkung der Reichsbank 1940) auf 5,8 % erhöhte. Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an die Herren Mitglieder des Verwaltungsrats der Braunschweigischen Staatsbank vom 12. August 1935 (streng vertraulich!), in: StadtA Br, E 10 I, Nr. 15. Bei der MIAG lag der Zinssatz bei 6 %. Protokoll der 7. Beiratssitzung vom 22. Dezember 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. Für die Flugzeugwerke sind die Konditionen nicht bekannt. 761 Scherner, Jonas, Die Logik der Industriepolitik im Dritten Reich. Die Investitionen in die Autarkie- und Rüstungswirtschaft und ihre staatliche Förderung, Stuttgart 2008, S. 73 f. 762 Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1944 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, Anhang: Debitoren über 200.000 RM, NWA 8, Nr. 745.

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Diskontkredit über 950.000 RM. Außerdem nahm die Staatsbank MeFo-Wechsel über 340.000 RM in ihr Portefeuille.763 Diese kurzfristigen Finanzierungen waren für die Produktion von Heeresbedarf vorgesehen. Gegenüber den beachtlichen Investitionen in die Luftfahrtindustrie gestaltete sich der Beitrag der Staatsbank zur Aufrüstung des Heers und der Marine eher unspektakulär. Die MIAG, die seit 1939 in ihrem Amme-Werk den Panzerkampfwagen III und später den „Panther“ herstellte, sowie die Büssing NAG, die zu den größten Lieferanten von Lastwagen an das Heer gehörte, bauten für diese Produktion zunächst keine neuen Fabriken, sondern stellten in den bestehenden Werken ihre Produktion um.764 Dementsprechend brauchten diese Unternehmen weniger Investitionsdarlehen als die Flugzeugindustrie. Daher konnte die Staatsbank hier auf die gewohnte kurzfristige Finanzierung zurückgreifen.

Die Beteiligung an der Finanzierung der Autarkiepolitik der NS-Regierung Während die Staatsbank sich bei der Finanzierung der Rüstungsindustrie auf den Flugzeugbau konzentriert hatte, war sie beim Ausbau der Grundstoffindustrien breiter aufgestellt. Das Engagement der Bank in diesem Bereich war eine Folge der Autarkie-Politik der NS-Regierung. Autarkie und Rüstung hingen dabei eng zusammen. Die Rüstungsanstrengungen erforderten den massiven Einsatz von Rohstoffen, die im Reich nicht verfügbar waren. Die Fertigprodukte der Rüstungsindustrie durften aus naheliegenden Gründen nicht exportiert werden. Daher drohte mit zunehmender Aufrüstung das Handelsbilanzdefizit immer größer zu werden. Im Sommer 1934 sorgten die Erholung der Wirtschaft und die beginnenden Anstrengungen im Rüstungsbereich für eine andauernde Zahlungsbilanzkrise und einen chronischen Devisenmangel bei der Reichsbank. Hjalmar Schacht reagierte auf dieses Problem mit dem „Neuen Plan“, den er am 26. August 1934 bei der Eröffnung der Leipziger Herbstmesse vorstellte.765 Der Plan gab ihm die vollständige Kontrolle über den Außenhandel des Reiches in die Hand. Das bisherige Quotensystem bei der Zuteilung von Devisen, die für den Import benötigt wurden, wurde durch ein Einzelgenehmigungsverfahren ersetzt. Die Devisenerlöse aus Exporten mussten vollständig an die Reichsbank abgegeben und gegen Reichsmark eingetauscht werden. Durch den Neuen Plan konnte das RWM nicht nur bestimmen, wie viel, sondern auch welche Produkte importiert wurden.766 Über diesen Hebel konnten das Reichswirtschaftsministerium und die Reichsbank (seit August 1934 in Personalunion von Schacht gelei-

763 Protokoll der 12. Beiratssitzung vom 6. November 1937, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 764 Vgl. Fiedler, Gudrun; Ludewig, Hans-Ulrich (Hg.), Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft im Lande Braunschweig 1939–1945, Braunschweig 2003, S. 30–38. 765 Kopper, Schacht, S. 262 766 Ebenda, S. 260 f.

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tet) die Entwicklung der deutschen Industrie lenken, da fast alle Teile der deutschen Wirtschaft auf importierte Rohstoffe angewiesen waren. Flankiert wurden diese Maßnahmen von Bemühungen, einzelne Grundstoffe wie Benzin und Gummi durch synthetische Stoffe zu ersetzen, um das Handelsbilanzdefizit zu senken. Die wichtigsten Maßnahmen dieser Phase waren die Gründung der Braunkohle-Benzin AG (Brabag) und der Buna-Werke in Schopkau. Im Land Braunschweig hatte vor allem die Gründung der Brabag Konsequenzen, da die Braunschweigischen Kohlebergwerke (BKB) in Helmstedt Gründungsmitglied dieses neuen Konzerns waren. Das Ziel der Brabag war die Produktion von synthetischem Benzin aus Braunkohle, um das Reich unabhängiger von importiertem Erdöl zu machen. Am 21. September 1934 trug Schacht in einer Versammlung der Vorstände und Aufsichtsräte der Braunkohleindustrie seinen Plan vor, eine Gesellschaft zur Errichtung von Hydrieranlagen zu errichten.767 Da die Vertreter der Braunkohleunternehmen den Plan ablehnten, erließ Schacht am 28. September eine Verordnung, die ihm die Handhabe für eine Zwangsgemeinschaft gab. Daraufhin wurde von ihm am 25. Oktober die Gründung der Brabag verfügt. Zunächst wurden die zehn wichtigsten Unternehmen aufgefordert, eine Millionen RM zum Grundkapital des neuen Unternehmens beizusteuern und die Grundlagen zu schaffen, bis 1936 drei neue Hydrieranlagen nach dem Vorbild des bereits bestehenden Werks der IG Farben in Leuna zu bauen.768 Die Standorte der drei Fabriken waren Magdeburg, Böhlen und Ruhland.769 Der BKB wurde ein Anteil an der Brabag von 2,4 % zugewiesen. Damit gehörte sie zu den kleineren Anteilseignern. Zusätzlich musste sich die BKB am 15. August 1935 verpflichten, ein Schwelwerk mit einem Ausstoß von 100.000 t Teer und Leichtöl für die Weiterverarbeitung im Hydrierwerk Magdeburg zu errichten. Das Verfahren zur Hydrierung von Braunkohleteer war dabei eine Alternative zur direkten Kohleverflüssigung. Als Standort wurde Offleben bei Helmstedt ausgewählt. Die erste Lieferung sollte bereits am 1.7.1936 stattfinden.770 Die Finanzierung dieser Investition sollte neben den Großaktionären der BKB, den Elektrowerken und der Preußischen Elektrizitäts-AG, die Braunschweigische Staatsbank übernehmen. Die Investitionskosten wurden auf 15 bis 17 Millionen RM geschätzt. Die Staatsbank war von Seiten der BKB und der Landesregierung aufgefordert worden, zwei Millionen RM beizusteuern, legte aber zunächst nur ein Angebot über eine Million RM vor.771 Letztlich fand sie sich aber doch bereit, die volle 767 Vogt, Werner; Andrea Dreifke-Pieper, Die Braunschweigische Kohlen-Bergwerke AG. Industriegeschichte des Helmstedter Reviers, München 1999, S. 99. 768 Tooze, Wages of Destruction, S. 118 f. 769 Letztlich gab es vier Standorte: Magdeburg, Böhlen, Schwarzheide, Tröglitz 770 Vogt; Dreifke-Pieper, Die Braunschweigische Kohlen-Bergwerke AG, S. 99 f. 771 Das Direktorium begründete dies mit anderweitigen Belastungen, die die Staatsbank insbesondere im Wohnungsbau und bei anderen Industrieprojekten zu tragen hatte. Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an die Herren Mitglieder des Verwaltungsrats der Braunschweigischen Staatsbank vom 29. August 1935 (streng vertraulich!), in: StadtA Br, E 10 I, Nr. 15.

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Summe über fünf Jahre zu finanzieren, da die BKB mittelbar der öffentlichen Hand gehörte.772 Damit war der Kredit faktisch staatlich verbürgt.773 Ebenfalls zur Gewinnung von synthetischem Benzin war die Braunschweigische Holzverzuckerungsgesellschaft KG W. Grotrian-Steinweg gedacht, die von einer Gruppe braunschweigischer Unternehmer in Holzminden gegründet wurde.774 Die geplante Anlage sollte nach dem Scholler-Verfahren mithilfe von verdünnter Schwefelsäure Ethanol und Glycerin aus Holzresten herstellen. Sie war damit eine von nur drei derartigen Anlagen in Deutschland. Die Idee hatte einen sehr wichtigen Fürsprecher: Hitlers Berater für Wirtschaftsfragen Wilhelm Keppler. In einem Brief an das Direktorium der Staatsbank vom 8. Oktober 1935 forderte Keppler die Staatsbank auf, sich an der Errichtung mit einem Kredit zu beteiligen.775 Die Staatsbank lehnte es jedoch ab, sich an den Investitionskosten von 1,5 Millionen RM zu beteiligen. Der Grund dafür war die Furcht, mit der Investition unternehmerische Risiken einzugehen: „Ursprünglich sollte die Braunschweigische Staatsbank sich an der Aufbringung des Investitionskapitals beteiligen. Das Direktorium der Staatsbank hat dies grundsätzlich abgelehnt, da mit dem Staatsbankgesetz die Übernahme industrieller Risiken nicht vereinbar ist.“776 Stattdessen war man lediglich bereit, einen Betriebsmittelkredit über 150.000 RM zu gewähren. Auch die für diesen Kredit gebotenen Sicherheiten stimmten nicht mit dem Staatsbankgesetz überein. Das Staatsbankdirektorium sah das „industrielle Risiko“ deshalb nicht ganz ausgeschaltet, gab aber trotzdem am 25. November 1935 die Empfehlung zur Vergabe des Kredits an den Verwaltungsrat, der dem Vorhaben zustimmte. Ausschlaggebend war die ausdrückliche schriftliche Zustimmung des Reichswirtschaftsministeriums vom 18. November 1935.777 Das defensive Vorgehen der Staatsbank bei der Fabrik in Holzminden steht im Einklang mit der typischen Finanzierungspraxis bei chemischen Vorprodukten im Rahmen der Autarkiebestrebungen des Reichs.778 Dennoch überrascht die Zurück772 Neuvergabe von Krediten zwischen Juli 1935 und April 1936, Anhang zum Protokoll der Beiratssitzung vom 3. April 1936, in: BArch R 3101/15625. 773 Damit war der Kredit typisch für die Finanzierung der Kohleverflüssigung. Vgl. Scherner, Industriepolitik, S. 124. 774 Zu dieser Gruppe gehörten Wilhelm Grotrian-Steinweg, der die kaufmännische Leitung übernahm und der Konservenfabrikant Heinrich Meinecke. 775 Dieser Brief wurde in einem Schreiben des Direktoriums an die Mitglieder des Verwaltungsrats zitiert: Schreiben vom 25. November 1935 [Gt/Ru.11], in: E 10 I, Nr. 15. 776 Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an die Herren Mitglieder des Verwaltungsrats der Braunschweigischen Staatsbank vom 25. November 1935 [Gt/Ru.11], in: StadtA Br, E 10 I, Nr. 15. 777 Das Datum bezieht sich auf ein Schreiben mit dem Verwaltungs-Zeichen: I 30486/35des Ministeriums, dass in dem Schreiben des Direktoriums an den Verwaltungsrat erwähnt wurde. Ebenda. 778 Die Fabrikanlagen zur Gewinnung von Glycerin und hochkonzentrierter Salpetersäure wurden vom Reich errichtet und finanziert und dann an die Hersteller verpachtet. Vgl. Scherner, Industriepolitik, S. 148–159.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“ 

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haltung angesichts der Tatsache, dass sie kurz zuvor noch große und mindestens ebenso risikoreiche Kredite vergeben hatte. Diese Kredite wurden von der Staatsbank ebenfalls als Rohstoffkredite bezeichnet, auch wenn sie ganz anderen Zwecken dienten. Die Deutsche Asphalt AG (DASAG), die im Raum Eschershausen Naturasphalt abbaute, sollte mittels Kreditzusagen seitens der Staatsbank dazu bewegt werden, ihren Sitz von Hannover nach Braunschweig zu verlegen. Die Staatsbank gab zusammen mit der Wintershall einen Kredit über eine Million RM an das Unternehmen, das daraufhin nach Braunschweig überwechselte. Als Sicherheit wurden Grundschulden auf den Grundbesitz und die Bergwerke eingetragen. Jedoch wurde der Wert der Sicherheiten nach einer Aussage von Werner Küchenthal von Dietrich Klagges persönlich festgelegt: In der aus rein politischen Gründen der Staatsbank vom Staatsministerium übertragenen Kreditangelegenheit der „Dasag“ (Deutsche Asphaltgesellschaft) bestimmte (!) [sic!] der Ministerpräsident Klagges als Laie von sich aus für die Pfandobjekte einen höheren Wert als ihn die Sachverständigen angegeben hatten (!) [sic!] und wurde dann grob, als ein Baumeister und der Wirtschaftsprüfer dagegen Bedenken erhoben. Es konnte nicht ausbleiben, daß Klagges mit seiner Wertbeurteilung später durch die Entwicklung ins Unrecht gesetzt wurde.779

Der Wille der Landesregierung wurde in diesem Fall bis hinunter auf die Ebene der Praxis der Kreditvergabe durchgesetzt. Nach dem Eingriff des Reichswirtschaftsministeriums wurde an dem Kredit dennoch festgehalten, weil zwischenzeitlich die Übersiedlung des Unternehmens bereits erfolgt war. Um im Beirat Zweifel an dem Kredit zu zerstreuen, wurde wiederum auf die Einstellung eines Experten verwiesen, eines Professor Bösenberg, „der als anerkannte Kapazität auf dem Gebiete des Strassenbaues und des Asphalts gelte.“780 Weil im Beirat die prekäre materielle Besicherung des Kredites bekannt war, versuchte die Staatsbank diese Sicherheit durch eine technische Expertise herzustellen. Diese Strategie wurde bereits im Fall Helmstedter Glashütte angewendet, damals jedoch mit katastrophalen Folgen. Dass sie dennoch weiterhin legitim erschien, zeigt die nach wie vor legitimierende Wirkung von Expertenmeinungen. Als Rohstoffkredit getarnt war auch der oben schon erwähnte Kredit an die „Spinnhütte Seidenspinnerei und Weberei AG“ in Celle. Die Finanzierung dieses Unternehmens, das speziell für in Deutschland gezogene Seidenkokons gegründet wurde und Anfang 1934 Fallschirmseide im Auftrag des Luftfahrtministeriums produzierte, sollte die Wirtschaftlichkeit der Zweigkasse der Staatsbank in Celle sicherstellen. In diesem Fall wurde sogar offen gegen die Bestimmungen des Staatsbankgesetzes verstoßen, dennoch wurde das Vorgehen vom Aufsichtsrat gebilligt, der damals unter der Kontrolle der Landesregierung stand.781 Auch dieser Kredit wurde 779 780 781 vom

Bericht Küchenthal, S. 31, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 139. Protokoll der 2. Beiratssitzung vom 3. April 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. Bericht Küchenthal, S. 36, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 139; Protokoll der 58. Aufsichtsratssitzung 15. Februar 1935, in: Protokollbuch des Aufsichtsrates S. 64, NWA 8, Nr. 766.

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nach dem Reichseingriff nicht gekündigt, sondern sogar um 200.000 RM erhöht. Gerechtfertigt wurde dies mit der Aussicht, dass bei der starken Expansion der Seidenspinnhütte mit sieben (!) weiteren geplanten Werken das Land Braunschweig bevorzugt berücksichtigt werden sollte.782 In diesem Fall handelte die Staatsbank also wiederum politisch. Küchenthal machte in seinem Bericht allerdings deutlich, dass er weder den Kredit an die DASAG noch an die Celler Seidenspinnhütte ohne die massive Beeinflussung durch die Landesregierung gegeben hätte.783 Nachdem die Entscheidung gefallen war, konnte die Staatsbank die Kredite nicht wieder zurückziehen, ohne bei den betroffenen Unternehmen wirtschaftlichen Schaden anzurichten. Die Entscheidungen, die unter dem Einfluss der Landesregierung gefallen waren, konnten deshalb nicht einfach rückgängig gemacht werden. Die Anfrage der Holzspritfabrik kam jedoch erst im November 1935, also nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes für Staatsbanken. In Bezug auf die Kreditvergabe hat die Staatsbank recht schnell auf das Gesetz reagiert, indem sie Anfragen nach großen Investitionskrediten, die zum Teil von lokalen Politikern zum eigenen Prestigegewinn initiiert wurden, mit Hinblick auf das dadurch entstehende Unternehmerrisiko ablehnte.784 Die Einholung der Genehmigung des Reichswirtschaftsministeriums für den Betriebsmittelkredit war bereits ein Vorgriff auf die Neuordnung der Herrschafts- und Lenkungsstrukturen der Kreditvergabe der Staatsbank nach der Übernahme der Kontrolle durch das Reich. Die Staatsbank benötigte das durch die Verweigerung der Finanzierung der Holzspritfabrik gesparte Kapital für den mit Abstand größten Einzelkredit, den das Institut bis dahin geschultert hat: die Finanzierung des sogenannten RammelsbergProjektes bei den Unterharzer Berg- und Hüttenwerken. Das Bergwerk am Goslarer Rammelsberg förderte überwiegend Buntmetallerze wie Zink, Blei und Kupfer. Die Versorgung des Deutschen Reichs mit diesen NE-Metallen war vor 1935 überwiegend von Importen abhängig. 1934 wurden nur 37 % des in Deutschland verwendeten Zinks und des Bleies aus deutschen Rohstoffen gewonnen. Durch das RammelsbergProjekt sollte die Förderung des Erzes und die Herstellung von Zink, Blei und Kupfer verdoppelt werden. Dazu gehörten der Bau einer neuen Erzaufbereitung am Rammelsberg, die Modernisierung und Vergrößerung der Hüttenwerke Oker, in denen Blei und Kupfer gewonnen wurde, und der Neubau einer Zinkhütte in Harlingerode. Gerade Letztere hat die Produktion aus heimischen Rohstoffen signifikant gesteigert. In vollem Ausbau sollte die Zinkhütte 40.000 t des Rohstoffes herstellen. Dies entsprach der gesamten Produktion aus inländischen Rohstoffen im Reich im Jahr 782 Protokoll der 2. Beiratssitzung vom 3. April 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 783 Bericht Küchenthal, S. 31, 36, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 139. 784 So lag die Finanzierung der Holzspritfabrik mehr oder weniger in den Händen des Kreisleiters von Holzminden August Knop, der dazu Paul Pleiger überredet hatte, eine Million RM über die Maschinenbaufirma Borsig als Leistungsgarantie zu investieren. Schreiben des Kreisleiters und Landrates August Knop an den Generaldirektor Paul Pleiger vom 12. Februar 1939, in: NLA WO 130 Neu 3, Nr. 507.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“ 

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1934.785 Die Dimensionen waren also durchaus beträchtlich. Dies lässt sich auch über die Kosten des gesamten Projektes sagen. Sie sollten laut Voranschlag 29 Millionen RM betragen, wovon allein 23,44 Millionen RM für die neue Zinkhütte aufgewendet werden sollten. Die Unterharzer Berg- und Hüttenwerke gehörten zu 4/7 der Preußischen Bergwerks- und Hütten AG (Preussag) und zu 3/7 der Braunschweig GmbH, der 1924 gegründeten Beteiligungsgesellschaft des Freistaates Braunschweig.786 In der gleichen Weise sollten auch die Investitionskosten aufgeteilt werden. Der Staat Braunschweig war allerdings nicht in der Lage, die Investitionskosten zu finanzieren.787 Deshalb wurde hier auf die Braunschweigische Staatsbank zurückgegriffen. Von dem 1936 auf 30 Millionen RM aufgerundeten Investitionsbetrag sollten für die erste Ausbaustufe zunächst 9,8 Millionen RM bereitgestellt werden. Der Anteil der Staatsbank betrug gemäß dem Beteiligungsanteil des Landes Braunschweig an den Hüttenwerken 4,2 Millionen RM. Der Kredit wurde auf Wechselbasis gegeben. Die Unterharzer Berg- und Hüttenwerke zogen dabei Wechsel in der genannten Höhe auf die Staatsbank, die diese akzeptierte und anschließend diskontierte.788 Der Kredit besaß eine Laufzeit von zehn Jahren und war mit einer Reichsbürgschaft gesichert. Diese Garantie war im Kontext des Ausbaus der Nichteisenindustrie durchaus ungewöhnlich, weil das Kreditausfallrisiko durch die den Herstellern gewährten staatlichen Förderprämien bereits deutlich reduziert wurde.789 Eine zusätzliche Reichsbürgschaft konnte denn auch nur durch Kontakte der Preussag zu Hermann Göring gesichert werden, der im Mai 1936 den Vierjahresplan als Reichsbehörde institutionalisiert hatte.790 Das Rammelsberg-Projekt war vor der Wende in der Reichspolitik geplant worden, die im Oktober 1936 in der Verkündigung des neuen Vierjahresplans durch Hermann Göring öffentlich wurde. Danach wurde der Aufbau der Anlagen stark forciert. Görings Plan hatte den Ersatz etwa der Hälfte aller Importe durch den Auf- und Ausbau von Grundstoffindustrien zum Ziel.791 Das Rammelsberg-Projekt genoss durch diesen Plan eine erhöhte Priorität. Schon im März 1937 wurde mit der zweiten Ausbaustufe begonnen. Dafür wurden insgesamt gut 20 Millionen RM veranschlagt. Der ursprüngliche Finanzierungsplan reichte allerdings nicht aus, weshalb die Preussag zusätzliches Kapital aufbringen musste. Der Anteil der Staatsbank am zweiten Darlehen 1937 betrug 8,65 Millionen RM. Dieser Kredit war für das Institut nur schwer zu stemmen. Das Direktorium hatte zunächst nur die 785 Die Unterharzer Metallhütten im 19. und 20. Jahrhundert. Chronik eines Wandels, hrsg. vom Weltkulturerbe Rammelsberg Museum und Besucherbergwerk, Goslar 2005, S. 36. 786 Ebenda, S. 33. 787 Dies lag auch daran, dass die Staaten Preußen und Braunschweig bereits 1935 Subventionen in der Höhe von 5,46 Millionen RM in Form von Prämien zugesichert hatten. Ebenda, S. 37. 788 Dieses Institut verpflichtete sich, von der Staatsbank mit ihrem Akzept versehene Wechsel der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke bis zu einem Gesamtbetrag von zwei Millionen RM hereinzunehmen. Protokoll der 2. Beiratssitzung vom 3. April 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 789 Vgl. Scherner, Industriepolitik, S. 53–67. 790 Die Unterharzer Metallhütten, S. 38. 791 Tooze, Wages of Destruction, S. 226.

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Hälfte des Betrages zugesagt, weil sie einen Liquiditätsengpass befürchtete.792 Dies lag hauptsächlich daran, dass die Staatsbank gleichzeitig zur Teilnahme am zweiten reichsweiten Rohstoffkreditkonsortium herangezogen wurde.793 Der Anteil der Staatsbank an diesem Gemeinschaftskredit sollte 1,5 Millionen RM betragen. Das Direktorium der Staatsbank stellte in einem Schreiben an den Präsidenten des Amtes für Deutsche Roh- und Werkstoffe am 3. März 1937 drei Bedingungen für die Bereitstellung des restlichen Teils der Finanzierung des Rammelsberg-Projektes. Erstens sollten aus dem ersten Rohstoffkonsortialkredit 1,5 Millionen RM für die Unterharzer Berg- und Hüttenwerke verwendet werden. Damit sank die dritte Tranche von 4,325 Millionen RM auf 2,825 Millionen RM. Zweitens sollte die Zahlung des Anteils der Staatsbank am zweiten Konsortium auf 1938 verlegt werden, damit diese dann aus erwarteten zusätzlichen Spargeldern bestritten werden könnte. Drittens wollte die Staatsbank eine Versicherung dafür haben, dass sie zu keinen weiteren Konsortien zur Finanzierung des Vierjahresplans mehr hinzugezogen werden würde. Diese Versicherung wurde ihr am 5. März 1937 erteilt.794 Unter den Voraussetzungen, dass diese Bedingungen erfüllt würden, stimmte der Beirat dem Kredit zu.795

Finanzielle Anreize und Herausforderungen der Rohstoff- und Rüstungskredite Der Grund für diese recht komplizierten Verhandlungen zur Kreditvergabe an die Hüttenwerke war die große Dimension dieses Kredites. Dies wird in einer Rechnung deutlich, die der Reichskommissar bei der Staatsbank Rudeloff am 4. März 1937 gegenüber Ministerialrat Sperl im RWM aufmachte: Das Eigenkapital der Staatsbank betrug 1937 gemäß den Regelungen des KWG 14,3 Millionen RM. Der Gesamtkredit an die Unterharzer Berg- und Hüttenwerke betrug 12,85 Millionen RM.796 Damit wäre dieser Kredit nach den Bestimmungen des KWG illegal gewesen, wenn das Reich nicht dafür gebürgt hätte.797 Dies war auch der Grund dafür, warum die Staatsbank792 Protokoll der 7. Beiratssitzung vom 22. Dezember 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 793 Diese Konsortien wurden ins Leben gerufen, um die Finanzierung der Investitionen im Bereich Rohstoffe auf eine einheitliche Grundlage zu stellen. Die Führung der Konsortien übernahm die Dresdner Bank. Das Rohstoffkreditkonsortium I wurde zur Jahreswende 1934/35 aufgelegt und brachte insgesamt 145 Millionen RM auf. Das zweite Konsortium folgte bereits 1936 und besaß ein Volumen von 100 Millionen RM. Kopper, Dirigismus, S. 168 f. 794 Das Direktorium der Staatsbank [Gt/Ru.4] an das Amt für Deutsche Roh- und Werkstoffe z. Hd. d. Herrn Präsidenten Lange vom 3. März 1937, in: BArch R 3101/15620. 795 Protokoll der 9. Beiratssitzung vom 2. März 1937, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 796 Rudeloff hatte die 1,5 Millionen RM aus dem Rohstoffkonsortialkredit noch nicht abgezogen. Der Reichskommissar der Braunschweigischen Staatsbank und Landessparkasse an den Herrn Reichswirtschaftsminister vom 4. März 1937, in: BArch R 3101/15620. 797 In § 12 Abs. 1 des Gesetzes wurde festgelegt, dass einzelne Kredite eine bestimmte Grenze in Bezug auf das Eigenkapital nicht überschreiten durften. Dieser Satz wurde vom Aufsichtsamt über das Kreditwesen 1937 mit 10 % festgelegt. RGBl. I. (1936), S. 1206.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“

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führung zusätzlich zu den staatlich garantierten Förderprämien eine staatliche Garantie einforderte. Rudeloff warnte deshalb: „Wenn die Staatsbank sich mit ihren Krediten so sehr auf einen einzelnen Kreditnehmer festlegt, so wird nicht nur das Risiko vermehrt, sondern es leidet darunter naturgemäß auch die Erfüllung ihrer zahlreichen anderen Aufgaben (Hypothekenkredit, Pfandbriefgeschäft, Mittelstandskredit, Finanzierung des Wohnungsbaues).“798 Die oben beschriebenen Rüstungs- und Rohstoffkredite besaßen in ihrem Volumen Dimensionen, die für die Staatsbank im Bereich der Wirtschaftsfinanzierung neu waren. Zudem waren die meisten neuen Kredite mittelfristig, die alten zumindest formal kurzfristig. Das größte Problem der Staatsbank bei der Vergabe der industriellen Großkredite war deshalb die Refinanzierung der Kreditsummen. Sie besaß kein geeignetes Instrument für die Refinanzierung von mittel- bis langfristigen Investitionskrediten an private Unternehmen. Industrieanleihen oder gar Aktien konnte sie nicht ausgeben, weil die Investitionsprojekte vom Volumen her dafür nicht ausreichten und die Bank in diesem Bereich weder Erfahrungen noch eine entsprechende Kundschaft besaß. Andere langfristige Finanzierungsmittel wie Pfandbriefe oder Kommunalobligationen waren aufgrund von deren Zweckbestimmungen nur bedingt für die Finanzierung von Investitionen in Produktionsanlagen geeignet. Die Staatsbank hat deshalb versucht, die Refinanzierung möglichst breit zu streuen. Die Staatsbank nutzte in erster Linie die stark wachsenden Spareinlagen, die durch das sinkende Volumen von öffentlichen Krediten für andere Zwecke frei wurden, direkt für die Finanzierung der Rohstoff- und Rüstungsindustrie. Dies war für die NS-Zeit eine in jeder Hinsicht ungewöhnliche Form der Finanzierung. Das Wachstum der Spareinlagen bei der Staatsbank stand zwar im Einklang mit der Entwicklung in Deutschland insgesamt. So stieg das Volumen der gesamten Spareinlagen im Reich zwischen 1933 und 1938 von 14 Milliarden RM auf 23 Milliarden RM. Die Sparkassen, die den Großteil der Spareinlagen auf sich vereinigen konnten, investierten das Kapital mangels Alternative allerdings hauptsächlich in Reichsanleihen und Schatzwechsel und finanzierten so eher indirekt die Bestrebungen des Reiches für die Kriegsvorbereitung. Die privaten Banken finanzierten die großen Projekte der Autarkiewirtschaft und der Aufrüstung dagegen über die Ausgabe von Anleihen und Aktien, während sie sich bei den Konsortialkrediten eher zurückhielten.799 Der Rückgriff auf Spargelder zur Finanzierung von Industrieinvestitionen war allerdings auch der Grund für die starke Zurückhaltung der Staatsbank bei der Kreditvergabe an Unternehmen, deren Investitionen nicht durch Reichsgarantien gesichert waren. Die Finanzierung von Investitionen mit technologischem oder wirt798 Der Reichskommissar der Braunschweigischen Staatsbank und Landessparkasse an den Herrn Reichswirtschaftsminister vom 4. März 1937, in: BArch R 3101/15620. 799 Kopper, Dirigismus, S. 164, 167.

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schaftlichem Risiko wie die Engagements bei der BKB oder der Holzspritfabrik in Holzminden konnten nach Meinung des Beirates der Staatsbank nur schwer mit den Prinzipien eines öffentlich-rechtlichen Institutes in Einklang gebracht werden. Deshalb begrenzte die Staatsbank das Risiko durch den Einsatz weiterer Refinanzierungsmöglichkeiten. So nutzte sie Sondergewinne aus, die der guten Konjunktur geschuldet waren. Sie verwendete zum Beispiel eine eigentlich schon abgeschriebene, dann aber doch noch realisierbare Kreditforderung an die Landesbank der Rheinprovinz über 1,2 Millionen RM für die Refinanzierung des Rammelsberg-Projektes.800 Außerdem nahm sie Globaldarlehen von der Reichspost auf801 oder nutzte erstmals ihr Akzept und die Rediskontmöglichkeit bei der öffentlich-rechtlichen DiskontCompagnie aus.802 Mit diesem Refinanzierungsmix sowie einem positiven wirtschaftspolitischen Ausblick sah man sich in der Lage, die von regionalen Politikern und von der Reichspolitik geforderten Finanzierungen im Bereich der Rohstoff- und Rüstungsindustrie zu realisieren. Im Gegensatz zu den Großbanken hatte die Staatsbank ein starkes finanzielles Interesse an den Großkrediten an die Rohstoff- und Rüstungsindustrie. Aufgrund der überstürzten und nicht gegenfinanzierten Zinssenkungsaktion für öffentliche Kredite sowie die durch die neuen Filialen verursachten hohen Verwaltungskosten hatte die Staatsbank ein Rentabilitätsproblem. Die Struktur der privaten Kredite der Staatsbank war trotz des Einstiegs ins Industriekreditgeschäft sehr kleinteilig geblieben. Dies wird mit einem Blick auf die Größenverhältnisse der Barkredite der Staatsbank deutlich. Die Bank hatte Ende 1935 insgesamt 4.892 Wirtschaftskredite vergeben. In einer Aufstellung über „Großkredite“ der Staatsbank, die Werner Küchenthal an das RWM am 27. Oktober 1936 übersandte, vermerkte er lediglich 85 „Großkredite“ über 50.000 RM.803 Diese machten allerdings die Hälfte des Volumens der Barkredite von etwa 28 Millionen RM aus.804 Das Gesamtvolumen der neun Kredite der „Rohstoff- und Wehrfreiheit“ belief sich auf 9,3 Millionen RM, was 62 % des Volumens der Großkredite und 33 % des Gesamtvolumens entsprach. Sie hatten ein Durchschnittsvolumen von gut einer Million RM während die 76 sonstigen „Großkre800 Protokoll der 9. Beiratssitzung vom 2. März 1937, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 801 Der Reichspostminister [V 7034-O/Bswg Wp 1349] an das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank, Berlin, den 24. Dezember 1936; Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an den Reichspostminister, Braunschweig, den 8. November 1937, BArch R 4701/13543. 802 Dieses Institut verpflichtete sich, von der Staatsbank mit ihrem Akzept versehene Wechsel der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke bis zu einem Gesamtbetrag von zwei Millionen RM hereinzunehmen. Protokoll der 2. Beiratssitzung vom 3. April 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 803 Der Grund dafür war die allgemeine Obergrenze bei ungesicherten Krediten, die bei 50.000 RM lag. Großkredite waren somit für die Staatsbank alle Kredite, die oberhalb der Grenze lagen, bis zu der die Staatsbank ungesicherte Kredite vergeben konnte. 804 Bei der Zahl der Kredite bezieht sich die Grenze von 50.000 RM auf das genehmigte Maximum, im Tagesgeschäft kann die Zahl der „Großkredite“ also noch geringer gewesen sein. Bei der Volumenberechnung wurde allerdings die tatsächlich in Anspruch genommene Summe als Grundlage genommen.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“ 

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dite“ ein durchschnittliches Volumen von weniger als 100.000 RM besaßen. Nur drei der sonstigen Großkredite lagen über einer Million RM, und diese standen wiederum sämtlich im Zusammenhang mit dem gescheiterten „Ostfalenplan“. Größenmäßig folgten dieser Gruppe die Kredite aus den Sanierungsaktionen. An Bremer & Brückmann hatte die Staatsbank insgesamt 870.000 RM vergeben, an die Gebrüder Welger etwa 550.000 RM und an die BMA knapp 280.000 RM. Alle anderen Kredite lagen unterhalb des Niveaus des BMA-Kredites.805 Der einzige hier aufgezählte Kredit, der in vergleichbarer Höhe bereits vor 1933 existiert hatte, war der an Bremer & Brückmann. Die Staatsbank hatte also erst in der NS-Zeit begonnen, in relevantem Maßstab Großkredite zu vergeben. Tab. 15: „Großkredite“ (Oktober 1936) Anzahl

Gesamtvolumen (in Mio. RM)

Durchschnittsgröße (in Mio. RM)

Rohstoff- und Rüstungskredite

9

9,3

1,03

Sonstige Großkredite über 50.000 RM

76

5,7

0,08

Quelle: NWA, 5 Zg. 6/2007 Nr. 153, Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an Ministerialrat Sperl, Reichswirtschaftsministerium vom 27. Oktober 1936.

Die drei Gruppen der Rohstoff-und Rüstungskredite, der „Ostfalenkredite“ und der Sanierungskredite bildeten die Gruppe der eigentlichen Großkredite. Verwaltet wurden sie fast ausschließlich zentral von der Hauptbankkasse in Braunschweig. Lediglich einzelne Fälle im Bereich der Rohstoffförderung wurden von den Filialen betreut, wobei dies wie in Peine hauptsächlich strategische Gründe hatte.806 Mittelfristig konzentrierte die Staatsbank die Verwaltung der Großkredite in ihrer Zentrale. Die Zinskonditionen der Rohstoff- und Rüstungskredite waren insgesamt nur geringfügig schlechter als die der anderen großen Kredite an die privaten Kunden.807 805 Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Ministerialrat Sperl, Reichswirtschaftsministerium vom 27. Oktober 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 153. Die drei Kredite über einer Million RM wurden der Wollhandlung Sonnenberg und der Ilseder Hütte in Peine sowie der Aktienzuckerfabrik Stendal gewährt. Nur die Kreditverbindung an die Ilseder Hütte hatte vor 1934 existiert. 806 Die Kredite an die Flugzeugindustrie wurden sämtlich von der Hauptbankkasse aus verwaltet. Auch der Kredit an die Unterharzer Berg- und Hüttenwerke und an die DASAG wurden zentral vergeben. Der Kredit an die BKB dagegen wurde von der Filiale Helmstedt aus verwaltet. Peine verwaltete die Kredite an die Ilseder Hütte und an die Seidenspinnhütte. Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 1945, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 248; Schreiben des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Reichs- und Preußischen Wirtschaftsminister, Braunschweig, den 20. April 1936, Anhang: größere Kredite seit Juli 1935, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 122. 807 In einer Aufstellung der zwischen Juli 1935 und April 1936 neu vergebenen Kredite über 50.000 RM lagen die Zinssätze zwischen 6 % und 6,5 % für normale Kontokorrentkredite. Bei den Diskontkrediten lag der Diskontsatz zwischen 3,5 und 4,2 %. Rediskont-Gewährungen an die Banken Seeliger und Löbbecke wurden mit etwa 4 % verzinst, ebenso wie kommunale Kassenkredite.

230  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

In der Flugzeugindustrie lagen die Zinsen zwischen 5,75 und 6 %. Bei den Rohstoffkrediten war das Bild etwas differenzierter. Die Kredite an die BKB lagen im gleichen Zinsbereich wie die Kredite an die Flugzeugindustrie, der Kredit an die Brabag lag sogar etwas darüber. Bei dem Kredit an die Unterharzer Berg- und Hüttenwerke lag der Zinssatz bei 5 %. Da die Staatsbank jedoch noch die Übernahme der Wechselstempelsteuer durch die Unterharzer Berg- und Hüttenwerke aushandeln konnte, lag der Zinssatz real bei 5,4 % und damit höher als bei den reichsweiten Rohstoff-Konsortialkrediten, die nur mit 5 % verzinst wurden.808 Da die Staatsbank einen Teil der Kredite nicht über den Geldmarkt, sondern mit Spareinlagen gegenfinanzierte, wo der Zinssatz für Spargelder mit gesetzlicher Kündigungsfrist ab 1935 bei 3 % lag, konnte sie in diesem Bereich eine höhere Zinsspanne erzielen als die Großbanken, die für die Gegenfinanzierung der Kredite hauptsächlich auf den Reichsbankrediskont zurückgriffen. Der Diskontsatz der Reichsbank lag von 1933 bis 1939 bei 4 %.809 Gegenüber ihrem bisherigen Kreditportefeuille hatten die Rohstoff- und Rüstungskredite vor allem den Vorteil ihres großen Kreditvolumens. Allein der erste Kredit an die Unterharzer Berg- und Hüttenwerke über 4,2 Millionen RM brachte nach Abzug der Stempelsteuer pro Jahr Bruttoeinnahmen von 210.000 RM. Ein „Großkredit“ in laufender Rechnung mit Durchschnittsvolumen von ca. 130.000 RM erzielte bei dem Soll-Höchstsatz von 6,5 % Bruttoeinnahmen von lediglich 8.450 RM. Nimmt man für beide Kredite die gleiche Refinanzierung an, die zur Hälfte auf Spareinlagen und zur anderen Hälfte auf dem Reichsbankdiskont beruht, dann bliebe im Fall der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke ein Nettoertrag von 63.000 RM, beim durchschnittlichen „Großkredit“ läge der Betrag bei 3.900 RM. Ende 1936 lag das Durchschnittsvolumen der neu ausgegebenen Kontokorrentkredite (ohne die Rohstoffund Rüstungskredite) bei 3.405 RM.810 Der Bruttozinsertrag dieses Durchschnittskredites lag im besten Fall bei 221 RM, der Nettozinsertrag bei 102 RM. Die Staatsbank hätte also über 600 Durchschnittskredite oder 16 „Großkredite“ abschließen und verwalten müssen, um die Erträge zu erreichen, die sie mit dem ersten Kredit an die Unterharzer Berg- und Hüttenwerke erzielen konnte.

Interessant ist auch ein Kredit an das im öffentlichen Besitz befindliche Elektrizitätswerk Wesertal GmbH, der mit 5,5 % verzinst wurde. Schreiben des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Reichs- und Preußischen Wirtschaftsminister, Braunschweig, den 20. April 1936, Anhang: größere Kredite seit Juli 1935, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 122. 808 Protokoll der 2. Beiratssitzung vom 3. April 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. Für die Höhe der Wechselstempelsteuer und die Konditionen der Rohstoff-Konsortialkredite: Kopper, Dirigismus, S. 168. 809 Deutsche Bundesbank (Hg.), Deutsches Geld- und Bankwesen in Zahlen. 1876–1975, hrsg. von der Deutschen Bundesbank, Frankfurt a. M. 1976, S. 278. 810 Eigene Berechnungen, nach: Bericht über das Geschäftsjahr 1936 der Braunschweigischen Staatsbank, S. 7.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“

 231

Tab. 16: Skalenerträge bei Großkrediten Kreditvolumen (in RM)

Zins (in %)

Bruttozinseinnahmen (in RM)

Nettozinseinnahmen (bei 3,5 % Refinanzierung)

4.200.000

5,4

210.000

63.000

130.000

6,5

8.450

3.900

3.405

6,5

221

102

Quelle: Eigene Berechnungen nach: NWA, 5 Zg. 6/2007 Nr. 153, Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an Ministerialrat Sperl, Reichswirtschaftsministerium vom 27. Oktober 1936; Bericht über das Geschäftsjahr 1935 der Braunschweigischen Staatsbank.

Die Verwaltungskosten stiegen nicht proportional zur Kredithöhe. Die Staatsbank hat sogar immer wieder betont, dass die Verwaltung und Überwachung kleiner Kredite nicht etwa weniger, sondern mehr Aufwand erforderten, weil die Überprüfung der wirtschaftlichen Situation der Kleinkunden viel aufwendiger war als bei Großkunden, die in den allermeisten Fällen zur Veröffentlichung ihrer Geschäftszahlen verpflichtet waren.811 Die für die Staatsbank realisierbaren Skaleneffekte von Großkrediten treten damit deutlich vor Augen. Der eigentliche Nachteil großer Kredite, die bei einem Ausfall schnell die Zahlungsfähigkeit des Institutes gefährdeten, konnte aus Sicht der Staatsbankführung angesichts der Reichsgarantien zunächst vernachlässigt werden. Für die Staatsbank, die bis 1933 kaum größere Kredite vergeben hatte, waren die Rohstoff- und Rüstungskredite eine große Chance, den finanziellen Schaden der Politik der Landesregierung sowie die erhöhten Steuerzahlungen auszugleichen. Im Gegensatz zu den landespolitischen Experimenten der Jahre 1934 und 1935 lässt sich die Beteiligung an der Finanzierung der Rohstoff- und Rüstungspolitik daher zumindest teilweise mit den betriebswirtschaftlichen Anreizen der Industriefinanzierung erklären. Sie steht dabei in einem historischen Zusammenhang mit früheren Versuchen der Bank, im Bereich der Industriefinanzierung Fuß zu fassen. Insofern lässt sich die Beteiligung der Staatsbank an der Rohstoff- und Rüstungsfinanzierung nicht in erster Linie als Folge staatlicher Lenkung812 verstehen, sondern vielmehr als Durchbruch einer bereits vor 1933 angestrebten Expansion in der Unternehmensfinanzierung. Der Kontext der Aufrüstung war dennoch entscheidend, weil die Staatsbank bei den Rohstoff- und Rüstungskrediten eindeutiger als bei früheren Versuchen, im Bereich der Industriefinanzierung zu expandieren, das öffentliche Interesse betonen konnte.

811 Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Ministerialrat Sperl, Reichswirtschaftsministerium vom 27. Oktober 1936, S. 5 f., in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 153; Das Kreditgeschäft der Braunschweigischen Staatsbank, ohne Datum, S. 7, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 120. 812 Vgl. zur These der staatlichen Lenkung der Unternehmen im NS: Hayes, Peter, Industry and Ideology. IG Farben in the Nazi Era, Cambridge u. a. 1987; ders., Die Degussa im Dritten Reich. Von der Zusammenarbeit zur Mittäterschaft, München 2005, S. 129 f.

232  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

Die Konsequenzen des Einstiegs der Staatsbank in die Industriefinanzierung für den Wettbewerb der Kreditinstitute in Braunschweig Die Rohstoff- und Rüstungskredite hatten mehr noch als der gescheiterte „Ostfalenplan“ die Kreditstruktur der Staatsbank signifikant verändert. Erstmals in ihrer Geschichte stellten Großkredite an Privatunternehmen einen signifikanten Teil des Kreditvolumens. Diese Entwicklung löste Argwohn bei den privaten Konkurrenten der Staatsbank aus und führte dazu, dass sich Werner Küchenthal bereits kurz nach der Übernahme der Kontrolle durch das Reich 1936 beim RWM für das Industriekreditgeschäft der Staatsbank rechtfertigen musste. Er erkannte sofort in den Großbanken die Urheber der kritischen Einstellung des Reichswirtschaftsministers und befürchtete sogar ein allgemeines Verbot von Großkrediten, mit deren Vergabe die Staatsbank gerade erst begonnen hatte.813 Auf Reichsebene hatten Vertreter der Großbanken 1933 bei den Beratungen der Enquete-Kommission gefordert, dass das Volumen der Kredite über 30.000 RM bei öffentlichen Banken zehn Prozent des Gesamtvolumens der Personalkredite nicht übersteigen dürfe.814 Hjalmar Schacht, dem als Reichswirtschaftsminister seit Ende 1935 die Aufsicht über die Staatsbank zustand, war bei den Diskussionen der Banken-Enquete stets als Verbündeter der Großbanken aufgetreten, auch wenn er radikalen Forderungen nach der Beschränkung der Geschäftstätigkeit der Sparkassen letztlich eine Absage erteilt hatte. Eine vollständige Legitimation staatlicher Banken zur Kreditvergabe an private Unternehmen bestand laut dem Abschlussbericht der Banken-Enquete jedoch nur im Bereich des Mittelstandskredites.815 Wie im dritten Kapitel gezeigt, war Schacht bereits während seiner ersten Amtszeit als Reichsbankpräsident den öffentlichen Banken stets mit größtmöglicher Skepsis gegenübergetreten. Die Großbanken hofften deshalb nach dem Einschreiten Schachts in Braunschweig zu Recht darauf, dass Schacht nicht nur die Expansion der Staatsbank in der Fläche, sondern auch den Einstieg in das großvolumige Industriefinanzierungsgeschäft wieder rückgängig machen würde. Küchenthal war sich bewusst, dass die Stimmen der Großbanken beim RWM großes Gewicht besaßen. Die Situation nach der Machtübernahme des Reiches bei der Staatsbank war für das Großgeschäft des Instituts deshalb gefährlich. Um die neuen Großkredite zu rechtfertigen, nutzte Küchenthal eine doppelte Strategie. Einerseits verteidigte er vor dem Reichswirtschaftsministerium die Expansion, indem er versuchte, die Kritik der Großbanken zu delegitimieren: Es ist dem Direktorium der Staatsbank sehr wohl bekannt, daß interessierte Stellen die Verhältnisse so darzulegen versuchen, als betriebe die Braunschweigische Staatsbank eine Expansi813 Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Ministerialrat Sperl, Reichswirtschaftsministerium vom 27. Oktober 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 153. 814 Kopper, Dirigismus, S. 102. 815 Pohl, Die Sparkassen vom Ausgang des 19. Jahrhunderts, S. 155.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“ 

233

onspolitik zu ungunsten des privatrechtlichen Bankwesens. Demgegenüber möchte ich mit besonderem Nachdruck darauf hinweisen, daß im Lande Braunschweig es vor dem Kriege nicht eine einzige Großbankniederlassung gab, sondern daß die Befriedigung des Kreditbedarfs in den Händen von 23 Privatbankhäusern und der Braunschweigischen Staatsbank lag, die früher die Bezeichnung Herzogliche Leihhausanstalt führte. Unter den Auswirkungen der Inflation und unter der Expansionspolitik der D-Banken sind alle Privatbankhäuser im Lande Braunschweig zugrunde gegangen bezw. in einigen Fällen in die seinerzeit neugegründeten D-Bankfilialen übergegangen […].816

Küchenthal stellte die Staatsbank damit in die Tradition des alten legitimen Kreditwesens, während er die die Staatsbank kritisierenden Großbanken als Eindringlinge und Fremdkörper im Wirtschaftsraum Braunschweig herabwürdigte. Dass die Staatsbank selbst den Wettbewerb forciert hatte, der zum Untergang der Privatbanken geführt hatte, erwähnte er nicht. Diese historische Legitimation verknüpfte er mit der Finanzierung der Rohstoff- und Rüstungsprojekte, an denen die Staatsbank sich führend beteiligt hatte. Dies war eine vielversprechende Strategie, weil die Vergabe der „Kredite zur Rohstoff- und Wehrfreiheit“ im NS-Staat eine höchst legitimierende Wirkung hatte. Küchenthal stellte die Staatsbank als unverzichtbar für die im Land Braunschweig durchgeführten Investitionen in diesem Bereich dar. „Die Pflege des privaten Wirtschaftskredits […] entspricht zugleich auch einem Erfordernis der Wirtschaft, die, wie wir insbesondere auch bei den Rohstoff- und Wehrkrediten haben feststellen können, im übrigen Bankwesen eine angemessene Kreditdeckung zum Teil überhaupt nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten finden kann.“817 Das bereits aus der Weimarer Zeit genutzte Argument der finanziellen Vernachlässigung politisch wertvoller Unternehmen durch die Großbanken wurde hier im Kontext der Aufrüstung erneut angewandt. Küchenthal nutzte dabei den Umstand, dass sich die Großbanken in diesem Bereich tatsächlich eher zurückhielten, geschickt aus, indem er konkrete Beispiele ansprach, wie die Finanzierung der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke: „[…]; für diesen Entschluß [zur Kreditvergabe] ist dabei zugleich von richtungsgebender Bedeutung die Tatsache, daß das Projekt der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke von ganz besonderer nationalwirtschaftlicher Bedeutung ist und offenbar eine volle Finanzierung von anderer Seite – die Dresdner Bank hat sich uns gegenüber hierzu in Anbetracht ihrer eigenen starken Inanspruchnahme völlig außerstande erklärt – nicht möglich ist.“818 Die in konkreten Fällen nachgewiesene Zurückhaltung der Großbanken legitimierte die Expansion der Staatsbank. 816 Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Ministerialrat Sperl, Reichswirtschaftsministerium vom 27. Oktober 1936, S. 7f, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 153. 817 Ebenda. 818 Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an das Amt für Deutsche Roh- und Werkstoffe z. Hd. d. Herrn Präsidenten Lange in Berlin, Braunschweig, den 3. März 1937, in: BArch R 3101/15620.

234  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

Mit der Finanzierung der Rohstoff- und Rüstungsprojekte konnte die Staatsbank gleichzeitig die Landes- und die Reichsinteressen unterstützen. Im Interesse des Reichs war die Finanzierung der für den Vierjahresplan und die Aufrüstung notwendigen Produktionskapazitäten. Für das Land Braunschweig war es von Vorteil, wenn ein bedeutender Teil dieser Kapazitäten innerhalb des Landes aufgebaut werden würde. Gerade diese im Sinne der Legitimation doppelte Dividende der Kredite machte sie für die Staatsbank so attraktiv. Eine Kreditpolitik der Staatsbank, die nur die Interessen des Landes Braunschweig berücksichtigte, hätte Reichswirtschaftsminister Hjalmar Schacht nicht akzeptiert. Schacht lehnte im Gegenteil eine eigenständige Wirtschaftspolitik regionaler Kräfte ab, was ihm immer wieder Konflikte mit regionalen Interessenvertretern einbrachte. Vor allem das Gesetz über Staatsbanken 1935 zeigt deutlich, dass Schacht nicht gewillt war, autonome regionale Formen der Wirtschaftspolitik zuzulassen.819 Die Finanzierung von Projekten der in ihrer Bedeutung für das Reich alles überragenden Ziele der Autarkie und der Aufrüstung konnte Schacht jedoch nicht offen kritisieren, zumal er selbst die Zurückhaltung der privaten Banken in diesen Bereichen erlebt hatte.820 Gegenüber dem Reich konnte sich die Staatsbank im Gegensatz zu den privaten Banken als selbstloser Partner bei den notwendigen Finanzierungsleistungen gerieren. Die Kredite für die Projekte der Rohstoff- und Wehrfreiheit waren die besten Waffen der Staatsbank gegen die Versuche der Großbanken, die Expansion der Staatsbank im Bereich der Großkredite zurückzudrängen. Ein wichtiges Indiz dafür ist die gesonderte Aufstellung dieser Kredite bei der internen sowie bei der öffentlichen Darstellung der Kreditstruktur der Bank, wobei allerdings in den veröffentlichten Informationen bis 1937 nur die Rohstoffkredite erwähnt wurden.821 Durch diesen Trick konnte die Staatsbank das Volumen der nicht gerechtfertigten sonstigen „Großkredite“ kleinrechnen, um so die Kritik der Großbanken an der Expansion als übertrieben darzustellen. Neben dieser Hauptrechtfertigungsstrategie unternahm die Staatsbankführung verschiedene Schritte, um ihr Desinteresse an dem Stammgeschäft der Großbanken auszudrücken. Dies betraf vor allem das Gründungs- und Beteiligungsgeschäft. Sechs Wochen nach der Freigabe der ersten Kredittranche für die Unterharzer Bergund Hüttenwerke Anfang April 1936 verkündeten der Beirat und das Direktorium anlässlich des Verkaufs der Beteiligung an der Firma Bremer & Brückmann am 18. Mai

819 Laut Kopper wollte Schacht bei der Bekämpfung von Kurt von Schleichers Plan vor allem verhindern, dass der Einfluss der „Gauwirtschaftsberater und Handelskammerpräsidenten“ durch deren Zugriff auf die neuen Regionalbanken wuchs. Kopper, Dirigismus, S. 96. 820 So etwa bei den beiden Rohstoff-Konsortialkrediten. Vgl. ebenda, S. 167–172. 821 Dies gilt für alle Geschäftsberichte der Staatsbank der Jahre 1935 bis 1937 sowie für die Aufstellungen der Großkredite für das RWM. Vgl. dazu: Bericht über das Geschäftsjahr 1935 der Braunschweigischen Staatsbank, S. 2, 6; Bericht über das Geschäftsjahr 1936 der Braunschweigischen Staatsbank, S. 3, 7; Bericht über das Geschäftsjahr 1937 der Braunschweigischen Staatsbank, S. 2, 6; Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Ministerialrat Sperl, Reichswirtschaftsministerium vom 27. Oktober 1936, S. 13f, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 153.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“ 

235

1936 in einer Grundsatzerklärung, „daß Industriebeteiligungen nicht Aufgabe der Staatsbank seien“.822 Wie im vorherigen Kapitel dargestellt, war die Beteiligung an Bremer & Brückmann ein Überrest aus der Strategie der „Regionalen Champions“, die bereits 1929 gescheitert war. Die Staatsbank hatte das Unternehmen lediglich deshalb bis 1936 nicht verkauft, weil sie sonst aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation des Unternehmens hohe Verluste in Kauf hätte nehmen müssen. Erst 1935 war Bremer & Brückmann wieder in einem Zustand, der einen akzeptablen Verkaufspreis erwarten ließ. Dennoch verlor die Staatsbank durch das Engagement bei Bremer & Brückmann gegenüber dem Kaufpreis von 1925 über 300.000 RM. Als Ausgleich für die weitgehende Ertraglosigkeit des Engagements verpflichtete die Staatsbank den Käufer dazu, die Geschäftsverbindung mit der Staatsbank mindestens fünf Jahre aufrechtzuerhalten.823 Die Staatsbank hatte schon seit Jahren kein Interesse mehr daran gehabt, Industriebeteiligungen zu halten. Daher war die Selbstverpflichtung, sich dieser Form der Unternehmensfinanzierung zu enthalten, kein besonders großes Opfer. Folgerichtig hielt sich die Staatsbank bis weit nach der zweiten Währungsreform an ihr Versprechen und erwarb keine Beteiligungen mehr. Nachdem die politischen, die finanziellen und die organisatorischen Voraussetzungen für die Vergabe von Großkrediten von der Staatsbank geschaffen worden waren, fehlte nun noch die Anpassung der rechtlichen Bestimmungen. Dies betraf vor allem die im Staatsbankgesetz festgelegten Obergrenzen bei bestimmten Sicherungsformen bzw. für ungesicherte Kredite. Die Erweiterung der Möglichkeiten zur Vergabe ungesicherter Kredite war der Hintergrund für die Diskussion um die Sicherungsvorschriften, die 1936 und 1937 zwischen dem Direktorium der Staatsbank, dem Beirat und dem RWM geführt wurde. Sachlich ging es vor allem um den § 35 des Staatsbankgesetzes, in dem die Vergabe ungesicherter Kredite geregelt war. Insbesondere die allgemeine Grenze von 50.000 RM bei der Vergabe von ungesicherten Unternehmenskrediten schien dem Direktorium und dem Beirat zu niedrig. Angesichts der Expansion der Staatsbank im Bereich der Großkredite hinderten die Bestimmungen die Geschäftstätigkeit des Instituts. Daher war es das Ziel des Direktoriums und des von Küchenthal handverlesenen Beirates, diese Regeln abzuschwächen oder zumindest Ausnahmen zuzulassen. Der Fall der Holzspritfabrik in Holzminden im November 1935 hatte die Hoffnung aufkommen lassen, dass der Reichswirtschaftsminister eine Ausnahmeregelung befürworteten würde, weil er in diesem Fall selbst eine Ausnahmegenehmigung erteilt hatte. Werner Küchenthal hatte dem RWM bereits im Herbst 1936 vorgeschlagen, im Rahmen einer Neufassung des Staatsbankgesetzes die Grundsätze der Kreditvergabe anzupassen. Weil aber die Neufassung des Staatsbankgesetzes von dem RWM aus politischen und rechtlichen Gründen abgelehnt wurde, blieb die Frage der Zulässigkeit von Ausnahmen vorerst offen.824 822 Protokoll der 3. Beiratssitzung vom 18. Mai 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 823 Ebenda. 824 Der Reichs- und Preußische Wirtschaftsminister [I 32493/36] MR Sperl, Berlin, den 10. November 1936, Vermerk zu den Akten der Braunschweigischen Staatsbank, in: BArch R 3101/15619.

236  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

Im Sommer 1937 stand deshalb die Anwendung des § 36 des Staatsbankgesetzes von 1929, dessen Inhalt mit dem alten Inflationsparagraphen § 34a von 1921 identisch war, im Mittelpunkt der Bemühungen. Mithilfe dieses Paragraphen war es möglich, die Kreditgrundsätze anzupassen, ohne gleich das Gesetz ändern zu müssen. Seit Oktober 1934 war die Änderung der Kreditgrundsätze nicht mehr von der Zustimmung der Landesversammlung, sondern des Finanzministers abhängig. Der Aufsichtsrat konnte nun mit Genehmigung des Finanzministers die Sicherungsbestimmungen abweichend vom Staatsbankgesetz bestimmen.825 Da mit der Übernahme der Kontrolle der Staatsbank durch das RWM der Aufsichtsrat aufgelöst und das Finanzministerium entmachtet worden war, musste der § 36 neu gefasst werden. Gemäß der Bekanntmachung des Reichswirtschaftsministers betreffs der Abänderung des Staatsbankgesetzes, das am 2. März 1936 im Reichsanzeiger veröffentlicht wurde, hatte der Beirat gegenüber dem Aufsichtsrat nur noch gutachterliche Kompetenzen, während der Reichswirtschaftsminister bei allen wichtigen Entscheidungen zustimmen musste. Daher konnte man im Gesetz nicht einfach den Begriff Aufsichtsrat durch Beirat ersetzen. Stattdessen schlug der Beirat dem Reichswirtschaftsminister folgenden Passus vor: „Der Reichswirtschaftsminister kann auf Antrag des Direktoriums nach gutachterlicher Anhörung des Beirats die Grundsätze über die Kreditgewährung abweichend von den Vorschriften der §§ 32–35 regeln.“826 Damit oblag es offiziell dem Reichswirtschaftsminister, die Grundsätze der Kreditvergabe der Staatsbank zu ändern. Im Beirat wurde im August 1937 die Änderung der Vorschriften der Vergabe von ungesicherten Krediten diskutiert. Der Anlass war die Geschäftsverbindung mit der Wollhandlung Sonnenberg in Peine, die ihren Kredit über eine Millionen RM nicht mehr wie vom Staatsbankgesetz vorgesehen, durch das formelle Lombardieren ihrer Waren sichern wollte. „Bei den Verhandlungen mit der Firma kam zur Sprache, daß die Compribank [Commerz- und Privatbank] der Firma Blankokredit in der genannten Höhe ohne weiteres einzuräumen bereit sei, daß ohne entsprechende schnelle Entschlüsse die Staatsbank in diesem und auch in anderen Fällen nicht im Stande sei, konkurrenzfähig zu bleiben, und es würden vielmehr gerade besonders gute Kredite den Grossbanken zufallen.“827 Es war also der Wettbewerb mit den privaten Großbanken, der die Gremien der Staatsbank dazu bewegte, die Neuregelung der Sicherungsvorschriften zu fordern. Da die Sollzinssätze seit 1931 reglementiert waren, spielten die Zinskonditionen für den Konkurrenzkampf nur eine untergeordnete Rolle. Für den Wettbewerb entscheidend wurden stattdessen die von den Banken geforderten Sicherheiten bzw. der Verzicht darauf. Um langfristig auf dem Kreditmarkt erfolgreich sein zu können, war die Staatsbank in den Augen der Leitung der Bank darauf angewiesen, in diesem Be825 Das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an den RWM z. Hd. d. Herrn Ministerialrat Sperl, Braunschweig, den 25. August 1937, in: BArch R 3101/15620. 826 Votum für den Beirat der Braunschweigischen Staatsbank betr. Abänderung der Grundsätze über die Kreditgewährung, Braunschweig, den 7. August 1937, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 120. 827 Protokoll der 11. Beiratssitzung vom 6. August 1937, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“

 237

reich ähnlich flexibel reagieren zu können wie ihre privaten Konkurrenten. Die Debatte um den Kredit ging in eine allgemeine Erörterung über die Sicherungsvorschriften der Staatsbank über. Der Vorsitzende des Beirates Gerhard Schwannecke sowie das Beiratsmitglied Robert Jürgens gaben Klagen von braunschweigischen Unternehmen weiter, die sich insbesondere auf die niedrigen Obergrenzen bei Blankokrediten bezogen.828 Die Staatsbank war aufgrund ihrer strengen Sicherungsvorschriften nach Meinung des Beirates nicht mehr wettbewerbsfähig. Nach der Sitzung ermächtigte der Beirat deshalb den Staatsbankpräsidenten, dem Reichswirtschaftsminister eine Anwendung des § 36 vorzuschlagen. Der Reichswirtschaftsminister sollte folgende Verfügung erlassen: Gemäß § 36 des Staatsbankgesetzes ändere ich die Grundsätze über die Kreditgewährung auf Antrag des Staatsbankdirektoriums nach gutachterlicher Anhörung des Beirats in Abweichung von den Vorschriften des § 35 des Staatsbankgesetzes dahin, daß in Einzelfällen von den Vorschriften des § 35 abgewichen werden kann, wenn der Beirat keine Bedenken gegen die von dem Direktorium der Staatsbank beabsichtigte Kreditgewährung geltend macht. Wenn auch nur eins der Mitglieder des Beirats Bedenken äußert, so verbleibt es bei den gesetzlichen Grundsätzen des § 35.829

Die Motivation des Änderungsantrags stand in starkem Kontrast zu der gerade erst etablierten Legitimationsgrundlage für Großkredite, die eine Kreditvergabe im Interesse der Aufrüstung in den Mittelpunkt gestellt hatte. Küchenthal versuchte deshalb, den eigentlichen Zweck dieser Neuregelung vor dem Reichswirtschaftsministerium rhetorisch zu verschleiern. Er versicherte den zuständigen Ministerialbeamten zunächst, dass diese Regelung tatsächlich nur für Ausnahmefälle angewendet und nicht etwa zur neuen Regel erhoben werden sollte. Außerdem versuchte er das Ministerium darüber zu täuschen, um welche Kunden es bei der Gesetzesänderung eigentlich ging. Er nutzte dafür ausgerechnet das alte Mittelstandsargument von der Notwendigkeit der Prüfung der persönlichen Integrität des Kreditnehmers: Der nationalsozialistische Wiederaufbau jedoch hat eine durchgreifende Gesundung der Wirtschaftsgrundlagen herbeigeführt und damit zugleich dem Bankgewerbe als Verpflichtung nahegelegt, eine Lockerung überspannter Sicherungsgrundsätze im Kreditverkehr eintreten zu lassen, und zwar zu Gunsten einer erweiterten Pflege des Personalkredites, der auf die persönliche Zuverlässigkeit und Kreditwürdigkeit des Unternehmers bzw. des Betriebsführers und die innere Gesundheit des Unternehmens abgestellt ist.830

Dieses Argument suggerierte mittelständische Betriebe als Hauptprofiteure dieser Regelung und passte überhaupt nicht in den konkreten Kontext, in dem es um einen Millionenkredit an eine große Handelsfirma ging, die noch dazu außerhalb des Ge828 Ebenda. 829 Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank an den RWM z. Hd. d. Herrn Ministerialrat Sperl, Braunschweig, den 25. August 1937, S. 4, in: BArch R3101/15620. 830 Ebenda.

238  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

schäftsbereichs der Staatsbank lag. Den Ministerialbeamten, die diesen Kontext aufgrund des Berichtes des auf der Beiratssitzung anwesenden Reichskommissars kannten, fiel es nicht schwer, Küchenthals Strategie zu durchschauen. Sie billigten die Ausnahmegenehmigung nur unter Auflagen. So nahmen sie Küchenthal beim Wort und verlangten, dass das Direktorium halbjährlich über die Ausnahmefälle berichtete, in denen die neue Regelung angewandt wurde. Mit Bezug auf die Wollhandlung in Peine wurde verfügt, dass die Staatsbank außerhalb ihres Geschäftsterritoriums diese Regelung bei Neugeschäften nicht anwenden sollte, dazu kam, dass diese Geschäfte ohnehin meist illegal waren.831 Dass das Ministerium der Ausnahmeregelung überhaupt zustimmte, hatte mehrere Gründe. Das Ministerium verfügte durch den Reichskommissar über eine Stimme im Beirat und konnte so die Anwendung der Regel zur Not verhindern. Vor allem jedoch wurde Küchenthal bei diesem Ansinnen von dem Beiratsvorsitzenden Gerhard Schwannecke und den anderen Beiratsmitgliedern unterstützt. Schwannecke hatte sich insbesondere in den turbulenten letzten Sitzungen des alten Verwaltungsund Aufsichtsrates das Vertrauen der Ministerialbürokratie erworben, weil er sich als einziger auf die Seite des Reichswirtschaftsministeriums geschlagen hatte. Da er in seiner Funktion als Direktor der Handelskammer zugleich auch die Interessen der braunschweigischen Wirtschaft vertrat, untermauerte seine Unterstützung Küchenthals Hauptaussage, dass die Ausnahmeregelung von der Wirtschaft in Braunschweig gewünscht würde. Hier kam zum ersten Mal der Umstand zum Tragen, dass das Reichswirtschaftsministerium dem Urteil des Beirates vertraute und dessen Zustimmung als ausreichende Evidenz dafür betrachtete, dass die Ausnahmeregel im Interesse des Landes Braunschweig war. Dass der Einfluss des Beirates auf das Territorium des Landes Braunschweig beschränkt war, zeigt die Sonderregelung für Kredite außerhalb dieses Raums. Hier fühlte sich das Ministerium autorisiert, Entscheidungen ohne Hinzuziehung des Beirates zu treffen. Mit der neuen Regelung hatte der Reichswirtschaftsminister die Zustimmung zu Ausnahmen von den Bestimmungen über die Vergabe von ungesicherten Krediten an den Beirat delegiert. Anders als in der Inflationszeit wurden die Grundsätze der Kreditvergabe nicht verändert, sondern stattdessen eine permanente Ausnahmeregelung geschaffen. Trotz Küchenthals Beteuerungen hatte man damit die Obergrenzen faktisch abgeschafft. Denn auch alle anderen im Staatsbankgesetz festgelegten Grenzen konnten ja durch die Ausnahmeregelung umgangen werden, indem man den Kredit ganz oder teilweise gemäß § 35 – also blanko – vergab. Der Beirat hatte 831 Der Reichswirtschaftsminister [I 30212/37] RR. Dr. Martini an das Direktorium Staatsbank, Berlin, den 25. September 1937, in: BArch R 3101/15620. Der Hintergrund für diese zweite Bedingung ergab sich aus dem Umstand, dass die Wollhandlung Sonnenberg der Anlass für die Neuregelung gewesen war. Dies hatte den Reichskommissar für das Kreditwesen aufgeschreckt, der auf die Einhaltung der erst im Frühjahr 1937 getroffenen Territorialregelung drang. Der Reichskommissar für das Kreditwesen an den Reichswirtschaftsminister, Berlin, den 15. September 1937, in: BArch R 3101/ 15620.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“ 

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dabei eine Kontrollfunktion, doch nutzte er diese so gut wie nie. Seit Oktober 1937 konnte die Staatsbank faktisch bei ihrer Kreditvergabe frei entscheiden. Die Regelung galt im Grundsatz bis 1962. Sie war eine der zentralen Voraussetzungen dafür, dass die Staatsbank im Wettbewerb mit den Großbanken mithalten konnte. Mit diesem Schritt vollzog die Staatsbank die in der Praxis bereits realisierte Expansion in die Industriefinanzierung rechtlich nach. Dass die Staatsbank Großkredite nun vergeben konnte und durfte, bedeutete jedoch nicht, dass sie in allen Fällen innerhalb des Landes Braunschweig auch erfolgreich war. Bei den beiden industriellen Großprojekten, die seit 1937 im Raum Braunschweig realisiert wurden, zeigte sich, dass sie den Großbanken in bestimmten Bereichen hoffnungslos unterlegen war. Weder beim Aufbau der „Reichswerke Hermann Göring“ in Salzgitter noch bei der Errichtung des Volkswagenwerkes bei Fallersleben spielte die Staatsbank eine bedeutende Rolle. Im Fall des Volkswagenwerkes hatte die Staatsbank aufgrund des Vorwerks in Braunschweig Geschäftskontakte aufgenommen. Belegt sind Finanzierungen im Werkswohnungsbau. Die Hypothekenabteilung hatte Werkswohnungen in der Lohengrinstraße und dem Donnerburgweg in Braunschweig mit insgesamt 16 Hypothekarkrediten im Gesamtvolumen von über 100.000 RM finanziert.832 Auch durch den Verkauf der Halle der Flugzeugwerke GmbH an den Volkswagenkonzern etablierte sich eine Kreditbeziehung mit dem Unternehmen der Deutschen Arbeitsfront.833 Diese Geschäftskontakte sollten sich nach dem Krieg positiv auswirken. Mit dem Aufbau des Hauptwerkes bei Fallersleben hatte die Staatsbank jedoch nichts zu tun. Bei dem anderen industriellen Großprojekt in der Region war dies ähnlich.

Die Grenzen der Expansion: Die Staatsbank und die „Reichswerke Hermann Göring“ Die Errichtung der „Reichswerke“ war eine direkte Folge des zweiten Vierjahresplans am 9. September 1936 und der Ernennung Hermann Görings zum Bevollmächtigten des Vierjahresplans am 18. Oktober 1936.834 Dieser gab bereits am 15. Juli 1937 die Gründung der „Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten Hermann Göring“ bekannt, die das im Raum Salzgitter lagernde Eisenerz verarbeiten sollte.835

832 Braunschweigische Staatsbank, Hypothekenabteilung an die Volkswagenwerk GmbH Wolfsburg, Finanzbuchhaltung z. Hd. Herrn Hepers, Braunschweig, den 3. Juli 1946, in: VWA 1199/ 104/1. 833 Darauf deuten zumindest die Aussagen in der Beiratssitzung vom 24. Juli 1941 hin. Protokoll der 25. Beiratssitzung vom 24. Juli 1941, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 834 Tooze, Wages of Destruction, S. 223. 835 Das Problem der Erzlagerstätte bei Salzgitter war die Qualität des Erzes. Es besaß einen hohen Anteil Kieselsäure und einen geringen Eisengehalt. Weil die Qualität so schlecht war, war es sinn-

240  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

Nach der grundsätzlichen Entscheidung war zunächst der Standort der Hüttenwerke zu klären. Der Standort Salzgitter lag in einem territorial zerklüfteten Gebiet, das zum Teil dem Freistaat Braunschweig und zum Teil der preußischen Provinz Hannover gehörte. Zur Wahl standen das Gebiet um Watenstedt auf braunschweigischem Gebiet und Hämelerwald im Hannoverschen. Für einen Standort Watenstedt setzte sich vor allem die braunschweigische Regierung unter Dietrich Klagges massiv ein. Die Entscheidung für Watenstedt fiel direkt durch Göring, nachdem dieser vom Generaldirektor der Reichswerke Paul Pleiger und seinen Mitarbeitern und vom braunschweigischen Ministerpräsidenten von den Vorteilen dieses Standortes überzeugt worden war. Auf größtenteils braunschweigischem Gebiet entstand eines der größten industriellen Projekte des Dritten Reiches.836 Dies war auch für die Braunschweigische Staatsbank eine Gelegenheit, die im Ausbau befindliche Industriefinanzierung weiter zu forcieren. Das Direktorium der Staatsbank unternahm alles, um bei der Finanzierung der Reichswerke eine möglichst große Rolle zu spielen. Nachdem Werner Küchenthal mehrmals erfolglos herauszufinden versuchte, wer eigentlich für die Finanzierung der Reichswerke zuständig war, konnte er schließlich einen Termin mit dem Leiter der Buchhaltung der Reichswerke Schirp in Berlin ausmachen. Er schickte den Leiter der Bankkasse Glauert und Staatsbankdirektor Heinrich Lehmann in die Hauptstadt. Auf die Bitte der Staatsbank, in direkte Geschäftsverbindungen mit den Reichswerken einzutreten, antwortete Schirp bei dem Treffen schlicht, dass die Reichswerke ihre Bankverbindungen bei den Großbanken in Berlin hätten und er eine zusätzliche Bankverbindung im Salzgittergebiet für sinnlos hielt, weil die finanziellen Transaktionen in Berlin getätigt würden. Einen Kredit benötigten die Reichswerke ebenfalls nicht. Damit ließen sich die Direktoren der Staatsbank jedoch nicht abspeisen: „Im Laufe der Unterhaltung wurde unsererseits immer wieder darauf zurückgekommen, daß die Staatsbank schon aus Prestigegründen den grössten Wert darauf lege, ein Konto für die Reichswerke zu führen, sie habe darauf auch wohl Anspruch als mittelbares Reichsunternehmen.“837 Der Hauptgrund für die Kontaktaufnahme war demnach nicht ein finanzielles Interesse, sondern die Angst vor einem Gesichtsverlust. Es hätte dem Ansehen der Staatsbank geschadet, wenn sie als bedeutende Interessenvertretung des Landes Braunschweig an der in Braunschweig geplanten größten industriellen Investition des Reiches nicht beteiligt gewesen wäre. Schirp stimmte der Kontoverbindung voll, nicht wie sonst das Eisen zur Kohle, sondern die Kohle zum Eisen zu bringen. Damit war die Idee eines Hüttenwerkes bei Salzgitter geboren. Kopper, Schacht, S. 314 f. 836 Die Entscheidung Görings beruhte allerdings auf einer bewussten Täuschung durch Klagges, der Göring falsche Informationen über die Bodenqualität des Gebietes um Watenstedt geliefert hatte. Leuschner, Jörg, Wirtschaft und soziale Lage des Freistaates Braunschweig im Dritten Reich (1933–1945), in: Leuschner; Märtl; Kaufhold (Hg.), Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 3, S. 452–556, 483 f. 837 Vermerk des Oberfinanzrates Lehmann vom 18. Februar 1938, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 369.

4.2 Die Kredite zur „Förderung der Rohstoff- und Wehrfreiheit“ 

241

schließlich zu, um „einige Millionen Festgelder“ bei der Staatsbank anzulegen, vor allem, um die politischen Wogen zu glätten. Denn trotz ihres feindschaftlichen Verhältnisses hatte Küchenthal Dietrich Klagges in dessen Funktion als Aufsichtsrat der Reichswerke darum gebeten, die Interessen der Staatsbank zu vertreten.838 Wenn die Führung der Reichswerke auch keinen wirtschaftlichen Grund sah, bei der Staatsbank ein Konto zu eröffnen, so war es doch politisch klug. Dem Unternehmen konnte wirtschaftlich kein Schaden entstehen, weil die Staatsbank aufgrund des Habenzinsabkommens dieselben Konditionen anbot wie die Großbanken.839 Bei der Finanzierung der Baukosten der Reichswerke spielte die Staatsbank jedoch keine herausragende Rolle. Die Dresdner Bank und die Deutsche Bank gründeten dafür zusammen mit 17 anderen Banken ein Konsortium. Die Staatsbank war nur mit 2 % beteiligt. Dieses Konsortium sollte durch die Ausgabe von Aktien den Großteil der Investitionssumme aufbringen. Dazu sollte es 1938 120 Millionen von insgesamt 400 Millionen RM neuem Aktienkapital der Reichswerke emittieren.840. Von diesen 120 Millionen waren nur 25 Millionen RM zur öffentlichen Zeichnung vorgesehen. Der Rest wurde auf die Eisen und Stahl verarbeitende Industrie verteilt. In diesem Fall fungierten die Banken lediglich als technische Vermittler und Einzahlungsstellen für die Unternehmen. Die Staatsbank bemühte sich dennoch, möglichst viele der braunschweigischen Betriebe der Eisen- und Stahlindustrie dafür zu gewinnen, ihre Zeichnungen über die Staatsbank abzuwickeln. Das Ergebnis fiel jedoch ernüchternd aus. Neben ihrem eigenen Anteil an der öffentlichen Zeichnung von 500.000 RM brachte die Staatsbank kaum weitere Firmen dazu, bei ihr zu zeichnen.841 Die Staatsbank hatte gerade bei Aktienemissionen zu wenig Erfahrung, einen zu begrenzten Kundenkreis und keinerlei Reputation. Selbst ihre eigenen Kunden, die bei normalen Kreditgeschäften vertrauensvoll mit der Staatsbank zusammenarbeiteten, nutzten für Aktiengeschäfte ihre Geschäftsverbindungen zu den Großbanken. Die Finanzierung der Reichswerke Hermann Göring kam weitgehend ohne das Zutun der Staatsbank zustande. Auch am kurzfristigen Kreditgeschäft war die Staatsbank nicht beteiligt. Industriefinanzierungen in der Dimension der Reichswerke waren schlichtweg eine Nummer zu groß für das regional ausgerichtete Institut. Eine noch größere Enttäuschung war der Versuch, die Siedlungsbauten mitzufinanzieren. Der Aufbau der Reichswerke in einem ländlichen Gebiet erforderte die Errichtung großer neuer Siedlungen, die zunächst dezentral geplant wurden. Als Bauträger fungierte ab Ende November 1937 die von Paul Pleiger ins Leben gerufene 838 Schreiben des Direktoriums an die Reichswerke, Aktiengesellschaft für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring“ Finanzabteilung z. Hd. D. Herrn Prokurist Schirp vom 18. Februar 1938, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 369. 839 Vermerk des Oberfinanzrates Lehmann vom 18. Februar 1938, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 369. 840 Schreiben der Dresdner Bank, Konsortial-Abteilung an die Braunschweigische Staatsbank 12. Mai 1938, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 369. 841 Rundverfügung Gruppe VI/Nr. 139 (lfd. Nr. 76) vom 9. Mai 1938, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 369.

242  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

Wohnungs-AG der Reichswerke „Hermann Göring“, die den Arbeitern dauerhafte Unterkünfte zur Verfügung zu stellen hatte. Es sollten zunächst 10.000 Wohnungen an den verschiedenen Standorten errichtet werden.842 Im Februar 1938 hatte die Wohnungs-AG ein Konto bei der Staatsbankfiliale in Watenstedt eingerichtet. Zusammen mit ihrer eigenen Tochter, der Braunschweig-Hannoverschen Hypothekenbank sowie der Hannoverschen Landeskreditanstalt aus der Provinz Hannover, bot die Staatsbank am 13. Oktober 1938 der Wohnungs-AG an, sich an der Finanzierung des Siedlungsbaus mit einem Hypothekarkredit über 14 Millionen RM zu beteiligen.843 Werner Küchenthal musste allerdings erfahren, dass die Wohnungs-AG die Finanzierung der Wohnungsbauten vollkommen anders gestaltete. Die Arbeiterwohnungen wurden mit Mitteln der Sozialversicherungsträger finanziert.844 Statt der öffentlichen Banken machten die Sozialversicherungen das Geschäft. Sie sagten den Reichswerken für 1939 15 Millionen RM zu. Dies entsprach recht genau der Summe, die auch die drei Hypothekenbanken in Aussicht gestellt hatten. Die Staatsbankführung hatte in Berlin nicht genügend politisches Gewicht, um sich gegen die Repräsentanten der Sozialversicherungsträger durchzusetzen. Sie war also auch auf politischer Ebene nicht bedeutend genug. Statt eines großen Finanzierungsgeschäftes konnte die Staatsbank 1939 lediglich eine Zwischenfinanzierung über 3,5 Millionen RM abschließen, die die Zeit zwischen dem Beginn der Baumaßnahmen und dem Eintreffen der Gelder der Sozialversicherung überbrückte. Das Geschäft kam nur deswegen zustande, weil die Staatsbank sowohl das Konto der Wohnungs-AG als auch das der Landesversicherungsanstalt führte und den verzögerten Zahlungseingang erkannt hatte.845 Die Eröffnung des Kontos der Wohnungs-AG hatte sich demnach doch noch ausgezahlt.

842 In Steterburg (Hafen), Hallendorf (Hüttenbetrieb und Kraftwerk) sowie Gebhardshagen, Flachstöckheim und Salzgitter (Bergbau). Riedel, Matthias, Vorgeschichte, Entstehung und Demontage der Reichswerke im Salzgittergebiet, Hannover 1966, S. 104 f. 843 Die Staatsbank sollte drei Millionen RM, ihre Tochter – die Braunschweig-Hannoversche Hypothekenbank – sechs Millionen RM und die Hannoversche Landeskreditanstalt 5 Millionen RM zu Verfügung stellen. 844 Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank und Aufsichtsratsvorsitzender der Braunschweig-Hannoverschen Hypothekenbank an den Vorstand der Braunschweig-Hannoverschen Hypothekenbank Wheyl vom 21. November 1938, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 368. 845 Aktennotiz der Hauptbankkasse der Braunschweigischen Staatsbank vom 23. November 1939, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 367.

4.3 „Geräuschlose Kriegsfinanzierung?“

 243

4.3 „Geräuschlose Kriegsfinanzierung?“: Die Unternehmensfinanzierung der Staatsbank im Zweiten Weltkrieg und der unmittelbaren Nachkriegszeit 1939–1948 Die Staatsbank hatte in der Zeit vor dem Krieg den Schritt zum Finanzier der Industrie in Braunschweig vollzogen. Im Krieg selbst jedoch trat diese neue Aufgabe hinter der unmittelbaren Finanzierung des Reiches zurück. Von 1939 bis 1945 beteiligte sich die Staatsbank an der sogenannten „geräuschlosen“ Kriegsfinanzierung. Dennoch hielt die Staatsbank auch im Krieg an ihrer neuen Aufgabe fest und finanzierte große Teile der braunschweigischen Industrie. In der unmittelbaren Nachkriegszeit nutzte die Staatsbank schließlich den Umstand, dass sie als einziges Institut in Braunschweig weitgehend handlungsfähig war.

Die Beteiligung der Staatsbank an der Finanzierung des Krieges Der Finanzbedarf des Zweiten Weltkriegs wurde auf deutscher Seite größtenteils über den direkten Absatz von Schuldverschreibungen des Reiches finanziert. Dazu gehörten einerseits kurzfristige Instrumente wie Schatzwechsel und unverzinsliche Schatzanweisungen, andererseits mittelfristige Papiere wie verzinsliche Schatzanweisungen und langfristige Reichsanleihen. Anders als im Ersten Weltkrieg wurden diese Papiere jedoch nicht in erster Linie von Privatpersonen und Unternehmen erworben, sondern von Kreditinstituten. Für Letztere war die Anlage insbesondere aufgrund ihrer Zulassung als Liquiditätsanlage attraktiv.846 Andere Maßnahmen zielten dagegen hauptsächlich darauf, alternative Anlagemöglichkeiten für die Banken auszuschalten. Zunächst wurden die direkten Konkurrenten des Reichs vom Kapitalmarkt verdrängt. Seit 1933 mussten alle Neuemissionen von Wertpapieren dem Kapitalmarktausschuss der Reichsbank zur Prüfung vorgelegt werden. Später mussten sie vom Reichswirtschaftsministerium einzeln genehmigt werden.847 Zudem versuchte das Regime, die Bauaktivitäten der Kommunen und des privaten Sektors einzuschränken. Das 1931 eingeführte Kommunalkreditverbot wurde zwar punktuell gelockert, jedoch nicht aufgehoben. Zur Eindämmung der Bauaktivitäten erließ das Reichswirtschaftsministerium 1938 für alle Sparkassen, Kreditgenossenschaften und Versicherungen eine Baukreditsperre, die für die Vergabe von Hypothekarkrediten den Nachweis der besonderen Bedeutung der Baumaßnahme für das Reich obligatorisch machte.848 Weil der Staat zudem über die 846 Pohl, Bankenkrise, S. 206; Kopper, Dirigismus, S. 163. 847 Kopper, Dirigismus, S. 161. 848 Müller, Martin L., Bausparen in Deutschland zwischen Inflation und Währungsreform 1924– 1948, (Schriftenreihe zur Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Bd. 4), München 1999, S. 239. Die Sperre wurde im März 1939 in eine Kreditkontingentierung umgewandelt. Das erlaubte Volumen

244  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

Rohstoffbewirtschaftung die Baumaterialien für private und kommunale Baumaßnahmen beschränkte, wurde die Expansion auf diesem Gebiet effektiv gestoppt. Die Folge dieser Maßnahmen war ein Bedeutungsverlust des langfristigen Kreditgeschäftes. Der Anteil der Kommunaldarlehen am Geschäftsvolumen der Kreditinstitute halbierte sich zwischen 1933 und 1939. Der Anteil der Hypothekendarlehen fiel seit 1936 stark ab.849 Am wirksamsten waren die Maßnahmen des Reiches zur Steigerung der Ersparnisbildung. Die Anreize zum Sparen wurden ab 1939 gezielt dadurch verstärkt, dass die Möglichkeiten zum Konsum massiv eingeschränkt waren. Die Reichsregierung rationierte ab dem 28. August 1939 alle wesentlichen Konsumgüter. Die Folge davon war ein Rückgang der Konsumausgaben von 14 % zwischen 1938 und 1941.850 Die Konsumbeschränkungen führten zu einem starken Anstieg der Sparguthaben. Die Spareinlagen erhöhten sich bis 1940 auf knapp 38 Milliarden RM. 1944 waren sie auf fast 100 Milliarden RM angewachsen. Der Anteil der Spareinlagen an allen Einlagen von Nichtbanken stieg von 57 % im Jahr 1938 auf 61 % im Jahr 1944. Im Ganzen gesehen waren die Maßnahmen effektiv. Das Reich konnte seinen Finanzbedarf durch den Absatz von Wertpapieren innerhalb des Kreditwesens decken. Für die indirekte Finanzierung des Reiches über die Spargelder und über deren Anlage in Reichsschuldtitel durch die Kreditinstitute wurde der Begriff „geräuschlose“ Kriegsfinanzierung geprägt. Die dafür notwendigen finanziellen Mittel ließen die Bilanzsummen der Kreditinstitute allerdings stark ansteigen. 1938 lag die Summe der Bilanzen der Kreditinstitute bei 77 Milliarden RM, 1940 bereits bei 122 Milliarden RM und 1944 bei 264 Milliarden RM. Sie hatte sich also in sechs Jahren fast vervierfacht. Damit einher ging ein allgemeiner Anstieg der Bedeutung von Wertpapieren in den Bilanzen der Kreditinstitute. Im gesamten Kreditwesen vervielfachte sich der Anteil der staatlichen Anleihen von 2 % der Bilanzsumme im Jahr 1933 auf knapp 17 % im Jahr 1940. 1944 lag er bei 26 % der Bilanzsumme. Der Anteil der Schatzwechsel und unverzinslichen Schatzanweisungen stieg in nur drei Jahren von 2,8 % der Bilanzsumme im Jahr 1937 auf 14 % im Jahr 1940 und bis 1944 auf 31 %. Damit machten staatliche Schuldtitel 1944 mehr als die Hälfte der Gesamtbilanzsumme aus. Ohne den Interbankenverkehr lag der Anteil staatlicher Wertpapiere sogar bei 73 %.851 Solange der Krieg andauerte, war dieses System der Kriegsfinanzierung effektiv. Letztlich barg das System der „geräuschlosen“ Kriegsfinanzierung jedoch ähnliche Risiken wie eine offene Form. Weil den Spargeldern auf der Aktivseite hauptsächlich

wurde auf zwei Drittel des Durchschnittswertes der 1937 und 1938 vergebenen Hypothekarkredite festgelegt. Pohl, Die Sparkassen vom Ausgang des 19. Jahrhunderts, S. 215. 849 Holtfrerich, Auswirkungen der Inflation, S. 200. Ab 1940 verminderte sich das Volumen der Hypotheken bei den Sparkassen auch absolut. Pohl, Die Sparkassen vom Ausgang des 19. Jahrhunderts, S. 196. 850 Tooze, Wages of Destruction, S. 353. 851 Holtfrerich, Auswirkungen der Inflation, S. 200.

4.3 „Geräuschlose Kriegsfinanzierung?“ 

245

Reichsschuldtitel gegenüberstanden, hing der tatsächliche Wert des ersparten Geldvermögens von der Solvenz des Staates ab. Diese war jedoch nur durch einen siegreichen Abschluss des Krieges gesichert. Insgesamt glich die Bilanzstruktur des Kreditsektors einer Wette auf einen positiven Ausgang des Krieges. Die finanzielle Entwicklung der Staatsbank folgte im Wesentlichen den Tendenzen im gesamten Kreditwesen. Nachdem ihre Bilanzsumme seit 1933 relativ stetig gestiegen war, blähte sich die Bilanz enorm auf. 1940 lag sie bei 380 Millionen RM, 1944 bei 888 Millionen RM. 1945 lag sie schließlich bei einer Milliarde RM und blieb bis zur Währungsreform auf diesem Niveau. Tab. 17: Bilanzsumme und kurzfristige Aktiva 1932–1934 Bilanzsumme

Handelswechsel

Private Debitoren* unverzinsliche Wertpapiere Schatzanweisungen

1933

185,4

3,5

10,2

7,6

3,1

1934

198,1

3,8

9,9

6,5

12,1

1935

208,9

4,4

11,3

6,6

15,1

1936

228

6,0

12,2

6

13,2

1937

243,5

8,5

14,6

5,2

10,9

1938

265,7

9,8

15,2

4,9

14,9

1939

320,7

9,3

13,2

7,3

14

1940

383,1

8,3

10,2

11,8

22,6

1941

439,7

7,6

8,0

12,9

27,9

1942

536,3

7,2

7,8

12,6

33,6

1943

674,2

8,0

9,3

13

36,2

1944

887,8

8,7

7,9

15,3

37,6

* Ohne Kreditinstitute und öffentliche Hand. Quelle: NWA, 8 Nr. 699, Bilanzbuch der Braunschweigischen Staatsbank von 1920–1948.

Die Einlagen der Staatsbank stiegen seit 1938 gegenüber der Bilanzsumme überproportional an. Ihr Anteil stieg von 58 % im Jahr 1938 auf 69 % im Jahr 1940. 1944 lag der Anteil der Einlagen an der Bilanzsumme schließlich bei 87 %, der Anteil der Spareinlagen allein lag in diesem Jahr bei 59 %. Andere Geschäfte spielten kaum noch eine Rolle. Wenngleich die Bedeutung der Einlagen und besonders der Spareinlagen bei der Staatsbank insgesamt höher war als im Durchschnitt des Kreditwesens, folgte die Staatsbank hier dem allgemeinen Trend. Auch auf der Aktivseite gewann spätestens 1939 die geräuschlose Kriegsfinanzierung die Oberhand. Der Anteil der Posten „Anleihen des Reiches und der Länder“ sowie „unverzinsliche Schatzanweisungen“ an der Bilanzsumme lag 1938 bei

246  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

18,3 %. 1940 lag er bei 33,6 % und 1944 bei 52,7 %.852 Die im Bestand der Staatsbank befindlichen unverzinslichen Schatzanweisungen waren zunächst noch überwiegend Schuldtitel des Landes Braunschweig. Ende 1937 waren von dem Volumen von insgesamt 12,6 Millionen RM allein 9,4 Millionen RM Schatzanweisungen des Landes Braunschweig. Während das Volumen der Landesschuldverschreibungen im Krieg stagnierte, wuchs das Volumen der Reichstitel sprunghaft an. Von den insgesamt 136 Millionen RM Schatzwechseln und unverzinslichen Schatzanweisungen im Jahr 1944 waren nach wie vor knapp neun Millionen RM vom Land Braunschweig ausgestellt worden. Bei den Wertpapieren dominierten bereits zu Beginn die Reichstitel. 1937 hatte die Staatsbank 23 Millionen RM an Anleihen und verzinslichen Schatzwechseln im Bestand. Davon waren lediglich 650.000 RM Anleihen des Landes Braunschweig. 1944 waren von den insgesamt 332 Millionen RM Anleihen lediglich 2,7 Millionen RM Schuldtitel des Landes Braunschweig.853 Die Staatsbank hatte gegen Ende des Krieges über die Hälfte ihrer Bilanzsumme und einen Großteil ihrer Einlagen in nur einen Schuldner investiert: das Deutsche Reich. Die Staatsbank und die Braunschweigische Landessparkasse haben so wie alle anderen öffentlichen Kreditinstitute mithilfe der Spargelder ihrer Kunden den Krieg mitfinanziert. Die Kredite an das Land Braunschweig und an die Kommunen gingen demgegenüber immer weiter zurück. Das Volumen der öffentlichen Debitoren sank bereits seit 1936, was darauf schließen lässt, dass die Übernahme der Aufsicht über die Staatsbank durch das Reich in diesem Jahr zu einer Verringerung der Verschuldung des Landes bei der Staatsbank beigetragen hat.854 Bis 1943 war das Volumen der Kredite auf 13 Millionen RM gefallen. Angesichts des starken Bilanzwachstums spielten die Kredite an das Land Braunschweig, die in der Weimarer Republik die Bilanz der Staatsbank beherrscht hatten, spätestens bei Kriegsbeginn keine Rolle mehr. Die Beteiligung der Staatsbank an der geräuschlosen Kriegsfinanzierung war eine Folge der allgemeinen Reichspolitik. Hier hatte das Institut ebenso wie die anderen Kreditinstitute wenig Einfluss. Die Konzentration auf Reichsschuldverschreibungen beeinträchtigte zunehmend die Rentabilität der Staatsbank. Die geringe Verzinsung insbesondere der Reichsschatzanweisungen verminderte die Zinsspanne der Staatsbank erheblich.855 1941 wurde deshalb die Höhe der Ausschüttung an das Land Braunschweig auf Betreiben des Staatsbankdirektoriums und des Reichswirtschaftsministeriums noch 852 Eigene Berechnungen auf Grundlage des Bilanzbuches der Braunschweigischen Staatsbank von 1920–1948, NWA 8, Nr. 699. 853 Dazu kamen noch einmal 69 Millionen RM Solawechsel der Deutschen Golddiskontbank, die als Tochter der Reichsbank ebenfalls direkt zum Reich zählte. Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1944 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, S. 8–12, NWA 8, Nr. 745. 854 Eigene Berechnungen auf Basis der Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge. 855 Braunschweigische Staatsbank, Jahresbericht für 1941, S. 2.

4.3 „Geräuschlose Kriegsfinanzierung?“ 

247

einmal herabgesetzt.856 Dieser Vorgang zeigt noch einmal in aller Deutlichkeit die Prioritäten der Staatsbank im Krieg. Die Unternehmensfinanzierung entwickelte sich im Krieg uneinheitlich. Die Zahl der kurzfristigen Kredite ging ab 1939 drastisch zurück. Dies lag jedoch hauptsächlich daran, dass debitorische Konten zu Guthabenkonten wurden. Die kriegsbedingt hohe Liquidität ließ den Kreditbedarf der Unternehmen stark zurückgehen.857 Das Volumen der Kontokorrentkredite stagnierte von 1939 bis 1942 bei etwa 60 Millionen RM, stieg dann aber an auf 76 Millionen RM im Jahr 1943 und auf über 100 Millionen RM im Jahr 1944.858 Der Grund dafür waren die großen Kreditkonsortien, die für die unterschiedlichsten Zwecke gegründet wurden und deren Mitgliedschaft fast immer obligatorisch war.859 1943 gingen fast 60 % der Kontokorrentkredite an Reichsstellen oder dem Reich nahestehende Unternehmen. Demgegenüber waren nur 18 % für die braunschweigischen Gemeinden und den Staat Braunschweig bestimmt. Ende 1944 hatte die Staatsbank noch offene Forderungen aus 32 Konsortien über 39 Millionen RM. Dazu gehörten die Kreditkonsortien, die nach den Anschlüssen Österreichs und des Sudetenlandes von deutschen Banken gegründet worden waren, ebenso wie Getreide- und Rohstoffkonsortialkredite, verschiedene Konsortien für die Flugzeugindustrie, für BMW, die rumänische Regierung oder eine baltische Ölgesellschaft. Die Staatsbank hatte fast immer nur geringe Quoten. Sie führte das Konsortium nur bei einem Kredit an die Lutherwerke an, dem aus der MIAG herausgelösten Flugzeugwerk. Der Kredit wurde zusammen mit der Dresdner Bank gegeben.860 Im Unterschied zu der Zeit bis 1938 hatte die Staatsbank bei den Kriegs-Konsortien keine besonderen Entscheidungen zu fällen. Sie konnte lediglich um die Quote in den Konsortien feilschen. Volumen, Konditionen und vor allem auch Zwecke wurden zwischen der Regierungsstelle und dem Konsortialführer verhandelt. Das Geschäft mit den Konsortialkrediten ähnelte deshalb dem Wertpapiergeschäft der Kriegszeit in dem Sinne, dass die Staatsbank hier keine Initiative entwickeln konnte. Das Geschäft funktionierte in gewissem Maße automatisch. Außerhalb der Konsortien hat die Staatsbank im Wesentlichen ihre bestehenden Kunden weiter finanziert. Auffällig ist lediglich die Zunahme der Kredite an die Konservenindustrie. Ein interessanter Fall ist dabei die Konservenfabrik Hermann Bosse in Seesen, die aufgrund der Schließung der Filiale der Deutschen Bank in Goslar 1944 zur Braunschweigi-

856 Protokoll der 29. Beiratssitzung, 16. Juni 1942, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 857 Braunschweigische Staatsbank: Jahresbericht 1940, S. 4. 858 Eigene Berechnungen auf Grundlage des Bilanzbuches der Braunschweigischen Staatsbank von 1920–1948, NWA 8, Nr. 699. 859 Jahresbericht zum 179. Geschäftsjahr der Braunschweigischen Staatsbank 1943, S. 2. 860 Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1944 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, Anlage 3: Konsortialkredite, NWA 8, Nr. 745.

248  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

schen Staatsbank wechselte.861 Auch die Sonnen-Werke Sieburg und Pförtner aus Seesen waren seit 1944 Kunden der Staatsbank.862 Die erzwungene Konzentration auf die Finanzierung des Reiches führte dazu, dass die Bilanzsumme der Staatsbank einer Wette auf den Ausgang des Krieges glich. Nach dem Ende des Krieges saß die Staatsbank auf einem riesigen Berg an Forderungen, die nicht realisiert werden konnten. In einer internen Aufstellung für den Staatsbankpräsidenten setzte die Treuhandabteilung der Staatsbank auf Grundlage des Jahresabschlusses 1946 Forderungen und Werte der Staatsbank mit einem Volumen von über 700 Millionen RM als dubios ab. Das waren 73 % aller Aktiva! Die unverzinslichen Schatzwechsel sowie Schatzanweisungen und Anleihen des Reiches machten mit 580 Millionen RM den Löwenanteil der dubiosen Forderungen aus.863 Diese blieben unrealisierbar, solange die rechtliche Nachfolge der Reichsinstitutionen nicht geklärt war. Es war jedoch klar, dass die Forderungen niemals in ihren Vorkriegswerten zurückgezahlt werden konnten. Auf der Passivseite der Bilanz der Staatsbank war keine vergleichbare Entwicklung wie bei den Aktiva festzustellen. Die Staatsbank hatte die nun dubiosen Aktiva überwiegend mit Spargeldern und Depositen finanziert. Diese Gelder waren nur zu einem geringen Teil eingefroren.864 Der Großteil der Einlagen der Bank war jedoch zumindest in der Theorie als vollwertig anzusehen. Die als dubios bezeichneten Aktiva brachten keinerlei Zinseinkünfte. Dass die Staatsbank in den Nachkriegsjahren dennoch solvent blieb, war nur durch die Aussetzung der Zinszahlungen der Banken auf Einlagen Ende 1945 möglich, die von der Militärregierung durchgesetzt wurde.865 Da damit auch die Spareinlagen zinslos waren, bestand dadurch jedoch die Gefahr eines verstärkten Abzugs von Geldern. Abhebungen in größerem Umfang hätten die Lage der Staatsbank und der mit ihr ver861 Protokoll der 32. Beiratssitzung vom 9. Juni 1944, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 135. 862 Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1944 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, Anhang: Debitoren über 200.000 RM, NWA 8, Nr. 745. 863 Treuhandabteilung [Mk/Ol.] an den Präsidenten der Braunschweigischen Staatsbank vom 15. Dezember 1947, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 248. 864 Die eingefrorenen Guthaben waren eine Folge der sowjetischen Besetzung des Kreises Blankenburg und der Exklave Calvörde und der darauffolgenden Schließung der dortigen Zweigkasse der Staatsbank und der Sparstellen der Landessparkasse. Bei den Bankeinlagen hatte die Staatsbank 34,3 Millionen RM als inaktiv markiert, wovon 23,9 Millionen RM Guthaben der Zweigkasse Blankenburg bei der Hauptbankkasse in Braunschweig darstellten. Dazu kamen neun Millionen RM an Kontokorrenteinlagen und vier Millionen RM an Spargeldern, die direkt bei der Staatsbank belegt waren. Die Braunschweigische Landessparkasse sperrte die Guthaben der in der Ostzone befindlichen nebenamtlichen Sparstellen mit insgesamt 22 Millionen RM sowie die Guthaben von Personen, die sich dauerhaft in der Ostzone aufhielten mit insgesamt 1,9 Millionen RM. Damit hatten Staatsbank und Landessparkasse insgesamt 71,2 Millionen RM ihrer Einlagen vorerst eingefroren, was allerdings nur knapp acht Prozent der Einlagen von insgesamt 892 Millionen RM ausmachte. Ebenda. 865 Rudersdorf, Markus, Der Wiederbeginn des Bankgeschäfts nach dem Zweiten Weltkrieg am Beispiel Kölner Institute, Köln 1996, S. 178.

4.3 „Geräuschlose Kriegsfinanzierung?“ 

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bundenen Landessparkasse sehr schnell kritisch werden lassen, weil sie nur begrenzt über aktivierbare Forderungen verfügte. Jedoch trat dieser Fall nicht ein. Die Kunden der Staatsbank ließen ihre im Vergleich zur Vorkriegszeit riesigen Guthaben weitgehend auf ihren Konten. Ein Grund für das Ausbleiben von „bank-runs“ in der Nachkriegszeit war der weitgehende Funktionsverlust der Reichsmark als Zahlungsmittel – eine Folge des Vertrauensverlustes der Bevölkerung in die Währung nach dem Krieg. Für die Güter des täglichen Bedarfs wurden Lebensmittelmarken und andere Bezugsscheine genutzt. Auf den nach dem Krieg blühenden Schwarzmärkten hatten sich unter Anderem Zigaretten als Zahlungsmittel etabliert. Aufgrund der Aufrechterhaltung der Kontingentierung aller wichtigen Konsumgüter, weitgehender Bewirtschaftungsmaßnahmen durch die Besatzungsmächte sowie der Etablierung von (inoffiziellen) Ersatzwährungen führte der riesige Geldüberhang, der vor allem in den Bilanzen der Banken existierte, nicht wie 1923 zu einem offenen Ausbruch der Inflation.866 Da die Besitzer von Spar- und Bankguthaben mit dem Geld in der Nachkriegszeit nicht viel anfangen konnten, liegt es nahe, anzunehmen, dass die Gelder aus Mangel an Alternativen bei den Banken belassen wurden. Es existiert allerdings auch die Vermutung, dass die Besitzer der Einlagen nach dem Krieg die Gelder bewusst bei den Banken anlegten, weil sie hofften, dass bei einer zukünftigen Währungsreform die Besitzer von Sparguthaben mit Rücksicht behandelt werden würden.867 Bei der Staatsbank gingen lediglich 1947 die Einlagen zurück, wodurch die Bilanzsumme das erste Mal seit 1932 leicht sank.868 Vor diesem Hintergrund gelang es der Staatsbank auch in den ersten Jahren nach dem Krieg, rentabel zu arbeiten. 1945 erzielte sie einen operativen Überschuss von 200.000 RM, 1946 von 280.000 RM. Zu verdanken hatte die Bank das Erreichen der Rentabilitätsschwelle zum einen der Hypothekenabteilung und zum anderen der Zahlungsfähigkeit einiger ihrer industriellen Großkunden.869 Die Zahl der Beschäftigten wurde durch den Krieg stark dezimiert. Im September 1943 waren 76 % der vor dem Krieg tätigen Belegschaft zum Wehrdienst oder zu anderen Pflichtdiensten einberufen. Im Mai 1944 waren es sogar 83 %.870 Nach Beginn 866 Abelshauser, Werner, Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Von 1945 bis zur Gegenwart, München 2011, S. 121. 867 Bähr, Johannes, Bankenkrise, Drittes Reich und Nachkriegszeit (1930–1960), in: Bähr; Decroll; Gotto, Die Geschichte der Bayern LB, S. 193 f. 868 Die Spareinlagen der Staatsbank und der Landessparkasse gingen um 47 Millionen RM zurück, allerdings stiegen dafür die übrigen Einlagen um 34 Millionen RM an. Jahresbilanz 1947, in: Bilanzbuch der Braunschweigischen Staatsbank, in: NWA 8, Nr. 699. 869 Die Hypothekenabteilung hatte 1945 knapp 400.000 RM Gewinn erwirtschaftet. Um die Hypothekenbanken vor Verlusten zu schützen, wurde von der alliierten Kontrollkommission im März 1946 die Regel erlassen, dass auf Pfandbriefe und Kommunalobligationen nur Zinsen in der Höhe der Zinseinnahmen aus Hypothekarkrediten und Kommunaldarlehen gezahlt werden mussten. Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1946 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, S. 7, in: NWA 8, Nr. 504. 870 Protokoll der 32. Beiratssitzung vom 9. Juni 1944, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135.

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des Krieges gegen die Sowjetunion stieg auch die Zahl der Gefallenen stark an.871 Insgesamt sind 114 Mitarbeiter im Krieg gefallen.872 Die eingezogenen und gefallenen Mitarbeiter konnten nur zum Teil durch Aushilfskräfte ersetzt werden, denen meist das notwendige Fachwissen fehlte.873 Nach Kriegsende war die Belegschaft außerdem sehr stark von den Entlassungen betroffen, die durch die Militärregierung veranlasst wurden. Im Januar 1946 waren insgesamt 203 Beamte und Angestellte der Staatsbank auf Betreiben der Militärregierung aus politischen Gründen ihrer Stellung enthoben worden. Zum Ende des Krieges hatte die Staatsbank 520 Beschäftigte auf der Gehaltsliste, somit hatte die Militärregierung 41 % der Belegschaft entlassen.874 Die hohe Zahl der 1945 Entlassenen entsprach recht genau der Zahl der in den Jahren 1933 bis 1935 eingestellten Mitarbeiter. Die Parteibuch-Personalpolitik der braunschweigischen NS-Regierung wurde durch die Militärregierung wieder rückgängig gemacht. Die Zahlen der Staatsbank sind in etwa vergleichbar mit der Entwicklung der Bayrischen Gemeindebank, bei der ebenfalls fast 200 Personen als politisch belastet ausscheiden mussten.875 Die Zahl der Beschäftigten ging im Laufe des Jahres 1946 noch einmal leicht zurück.876 Erst 1950 arbeiteten wieder mehr als 500 Personen für die Bank.877 Darunter waren vermutlich auch etliche, die in der ersten Welle der Entnazifizierungsentscheidungen 1945 und 1946 entlassen worden waren. Trotz der Einschränkungen beim Personal, den geringen Gewinnmargen und den weitgehend wertlosen Aktiva blieb die Staatsbank auch nach Kriegsende hand-

871 1939 meldete die Staatsbank nur zwei in Diensten der Wehrmacht gestorbene Beschäftigte der Staatsbank. 1941 waren es neun, 1943 18. Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank von 1939, S. 5, 1941, S. 1, 1943, S. 1. 872 Rundverfügung [Gr. Ia Nr. 16 lfd. Nr. 66] des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank an alle Bankkassen vom 7. Mai 1952, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 503. 873 Jahresbericht zum 176. Geschäftsjahr der Braunschweigischen Staatsbank von 1940, S. 5. 874 Lammers rechnete noch mit „20 bis 31 weiteren Entlassungsfällen“. Protokoll der 36. Beiratssitzung vom 18. Januar 1946, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 135. Ein wichtiger Grund für die hohe Zahl der durch die Militärregierung entlassenen Mitarbeiter ist die Personalpolitik der Staatsbank in den Jahren 1933 bis 1935. In dieser kurzen Zeit hatte die Staatsbank unter der Ägide des damaligen Finanzministers und SS-Führers Friedrich Alpers fast 200 Mitarbeiter neu eingestellt. Von diesen hatten viele hauptsächlich aufgrund ihrer Partei- oder SS-Verbindungen eine Anstellung gefunden, wie aus Werner Küchenthals Bericht hervorgeht. Vgl. Bericht von Werner Küchenthal, S. 29, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 139. Daher liegt der Verdacht nahe, dass die entlassenen Mitarbeiter zum Großteil während der NS-Zeit zur Staatsbank und zur Landessparkasse gestoßen waren. 875 Relativ zur Zahl der Gesamtbeschäftigten war der Aderlass dort mit 27 % allerdings weniger schwerwiegend. Bähr, Bankenkrise, S. 190 f. 876 Dies lag allerdings ausschließlich an einem Rückgang der weiblichen Arbeitskräfte, während die Zahl der männlichen Beschäftigten gestiegen war. Die aus dem Krieg zurückgekehrten männlichen Angestellten verdrängten hier die während des Krieges rekrutierten Frauen. Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1946 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, S. 7, in: NWA 8, Nr. 504. 877 Geschäftsbericht der Braunschweigischen Staatsbank für die Jahre 1948, 1949 und 1950, S. 10.

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lungsfähig. Dies war hauptsächlich der Stabilität der Passivseite zu verdanken, insbesondere den Spareinlagen. Die Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit war dabei nicht nur für die Bank essentiell, sondern auch für die braunschweigischen Unternehmen.

Die territoriale Neuordnung des Raumes Braunschweig und die Gründung des Landes Niedersachsen Der Krieg und sein Ausgang hatten einen fundamentalen Wandel der politischen Struktur des Großraums Braunschweig zur Folge, der für die Staatsbank, die als Bank des Freistaates Braunschweig gegründet wurde, nicht folgenlos bleiben konnte. 1941 wurde ein Gebietstausch zwischen dem Land Braunschweig und der preußischen Provinz Hannover durchgeführt. Die Ursache für den Tausch war die Entstehung der Großstadt Salzgitter.878 Das Ziel war die Gründung einer kreisfreien Stadt, die alle Siedlungen und Werke in diesem Gebiet zusammenfassen sollte. Damit diese Stadt nicht auf dem Gebiet zweier Länder lag, musste auch deren Territorium verändert werden. Nach längerer Diskussion wurde das vom Reichsinnenminister Wilhelm Frick erarbeitete Salzgitter-Gesetz erlassen, in dem der Kreis Goslar sowie ein kleiner Teil des Landkreises Marienburg zu braunschweigischem Territorium deklariert wurde. Dafür kamen der Kreis Holzminden sowie einige kleinere Gebiete aus den Landkreisen Gandersheim und Braunschweig zu Hannover. Die Verordnung trat am 1. August 1941 in Kraft.879 Ein Jahr später wurde der nunmehr komplett auf braunschweigischem Territorium befindliche Stadtkreis Watenstedt-Salzgitter offiziell gegründet. Damit erreichte Braunschweig zumindest teilweise ein Ende der territorialen Zerstückelung. Im öffentlich-rechtlichen Kreditwesen wurde der Gebietstausch jedoch nicht mitvollzogen. Sowohl die Staatsbank als auch die benachbarten Banken und Sparkassen fürchteten, mit einer Neuordnung der Einflussbereiche den nach dem Ende des „Ostfalenplans“ mühsam erreichten Frieden zwischen den Instituten wieder zu

878 Das Gebiet, in dem die Reichswerke Hermann Göring errichtet wurden, lag im Grenzgebiet zwischen dem Kreis Wolfenbüttel und dem preußischen Kreis Goslar. Auch die Siedlungsbauten rund um das Werk verteilten sich auf zwei Länder. Während die geplante Großstadt in Lebenstedt, also in Wolfenbüttel errichtet werden sollte, gehörten die neuen Bergarbeitersiedlungen Flachstöckheim und Salzgitter-Kniestedt zum Kreis Goslar. Auch die alte Stadt Salzgitter lag auf Goslarer Territorium. Forndran, Erhard, Die Stadt- und Industriegründungen Wolfsburg und Salzgitter. Entscheidungsprozesse im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Frankfurt; New York, 1984, S. 172 f. 879 Verordnung über die Gebietsbereinigungen im Raume der Hermann-Göring-Werke Salzgitter, vom 25. Juni 1941, RGBl. I. (1941), S. 357.

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zerstören.880 Die Braunschweigische Staatsbank und auch die Braunschweigische Landessparkasse blieben deshalb auf das alte Territorium des Landes Braunschweig beschränkt. Dadurch war die Staatsbank im nun hannoverschen Holzminden aktiv, während die Kreissparkasse Goslar seitdem auf braunschweigischem Gebiet agierte. Die ursprüngliche Einteilung wurde auch nach dem Krieg beibehalten und ist noch heute deutlich zu erkennen. Die hochtrabenden Pläne von Dietrich Klagges für einen eigenen Reichsgau wurden mit der territorialen Neuordnung endgültig beerdigt.881 Damit war der insgesamt bedeutendste Versuch gescheitert, das Land Braunschweig zum Zentrum einer größeren und damit lebensfähigeren Gebietskörperschaft zu machen.882 Der Ausgang des Krieges sorgte jedoch dafür, dass eine andere Konsequenz der Politik von Dietrich Klagges zumindest für kurze Zeit rückgängig gemacht wurde. Die Staatsbank war seit 1936 vom Reich beaufsichtigt worden. Nach der bedingungslosen Kapitulation fiel diese Aufgabe jedoch an den Gewährträger der Bank zurück. Der braunschweigische Staatsminister für Justiz und Kultur Erich Bockler eröffnete am 23. Mai 1945 die erste Beiratssitzung nach dem Krieg mit der Information, dass die Aufsicht über die Staatsbank und die Landessparkasse nach Beschluss des Staatsministeriums wieder auf den braunschweigischen Finanzminister übergehen würde, sobald die Militärregierung ihr Einverständnis dazu gegeben hätte.883 Diese Erlaubnis wurde im August erteilt und somit geriet das braunschweigische öffentlich-rechtliche Kreditwesen, wenn auch nur für kurze Zeit, wieder unter die Aufsicht des Landes Braunschweig.884 Unter der Aufsicht des Landes Braunschweig erfolgte ein Umbruch auf der Führungsebene der Staatsbank. Als erste Amtshandlung verfügte der auch als Finanzminister fungierende Ministerpräsident Hubert Schlebusch, dass der Staatsbankpräsident nicht mehr eigenmächtig Weisungen der Militärregierung in Bezug auf die Entlassung von Beamten der Staatsbank ausführen durfte. Diese Aufgabe stand nun wieder ausschließlich der Regierung zu.885 Zuvor hatte Küchenthal auf Weisung der 880 Der Reichs- und Preußische Wirtschaftsminister I 23226/37 vom 23. April 1937 an a) das Direktorium der Staatsbank b) die Hannoversche Landeskreditanstalt c) die Niedersächsische Landesbank – Girozentrale sowie Der Präsident der Staatsbank an den Nieders. Finanzminister, 17. Dezember 1955, in: NLA HA, Nds. 200 Acc 4/96 Nr. 53. 881 Hitler hatte ihm lediglich zugesichert, dass Braunschweig auch nach dem Krieg eigenständig bleiben sollte. Ludewig, Hans-Ulrich, Das Land Braunschweig im Dritten Reich (1933–1945), in: Jarck; Schildt (Hg.), Braunschweigische Landesgeschichte, S. 981–1024, S. 992. 882 Bereits im März 1935 hatte Schacht zudem in Hannover die Niedersächsische Wirtschaftskammer eingerichtet und damit alle Hoffnungen der IHK Braunschweig auf eine von ihr dominierte Kammer zerschlagen. Pollmann; Ludewig, Braunschweigische Wirtschaft im Dritten Reich, Teil 2, S. 163. 883 Protokoll der 33. Beiratssitzung vom 23. Mai 1945, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 135. 884 Brief des Braunschweigischen Staatsministers für Finanzen an das Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank vom 7. August 1945, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 102/1. 885 Ebenda.

4.3 „Geräuschlose Kriegsfinanzierung?“ 

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Militärregierung seine drei Direktoriumskollegen entlassen, also Kurt Bertram, Wilhelm Lehmann und Friedrich Ohlens. Dafür wurde das bis dahin lediglich stellvertretende Direktoriumsmitglied, der Staatsbankveteran Helmut Krützfeldt, ins Direktorium berufen und Robert Gloge von der Hauptbankkasse nahm Krützfeldts Stellung als stellvertretendes Mitglied ein.886 Diese Entscheidungen wurden durch das Ministerium teilweise revidiert, indem die Suspendierung von Friedrich Ohlens wieder rückgängig gemacht wurde.887 Auf Betreiben der Militärregierung wurde dagegen Staatsbankpräsident Werner Küchenthal am 13. August 1945 seines Amtes enthoben.888 Ihm folgte der ehemalige Generaldirektor der Nassauischen Landesbank Josef Lammers nach. Lammers war zuvor auch bei der Landesbank von Westfalen und der Reichsbank angestellt gewesen. 1933 musste er aus politischen Gründen seinen Posten räumen und war danach hauptsächlich publizistisch tätig. Er war bei der Übernahme des Amtes bei der Staatsbank und der Landessparkasse 57 Jahre alt.889 Wie schon zu Beginn der NSZeit wurde nach deren Ende die Führungsriege weitgehend ausgetauscht. Dasselbe geschah im Beirat. Außer Robert Jürgens war keiner der im August 1940 ernannten Beiräte Mitglied in dem von Finanzminister Schlebusch im Oktober 1945 neu zusammengesetzten Gremium.890 Mit dem Kaufmann Karl Heimbs wurde ein Vertreter des Handels neu berufen, mit dem Direktor der Allerthal-Werke Dr. Kraft ein Vertreter der Industrie und mit Otto Keunecke ein Vertreter der Landwirtschaft. Zusammen mit Jürgens repräsentierten sie die Kunden der Staatsbank. Dazu kam noch je ein Vertreter der Regierung und der Kommunen.891 Der prekäre Status des Landes Braunschweig hatte sich nach dem Krieg weiter verschärft. Da Deutschland den Krieg verloren hatte, war die von Adolf Hitler gegenüber Dietrich Klagges ausgesprochene Bestandsgarantie für das Land Braunschweig hinfällig. Der Bestand des Landes war vielmehr bereits kurz nach Kriegsende durch 886 Protokoll der 33. Beiratssitzung vom 23. Mai 1945, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 135. 887 Protokoll der 34. Beiratssitzung vom 16. Juli 1945, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 135. 888 Berufungsausschuß für die Entnazifizierung im Verwaltungsbezirk Braunschweig Spruchausschuß Braunschweig [Az. 6053 VE 3587], Braunschweig den 11. Dezember 1950, in: Personalakte Küchenthal, NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 552. 889 Vermerk des Referats 20, 5 des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 30. September 1953, in: NLA HA Nds. 200 Acc. 2005/070 Nr. 273 890 Mit dem neuen und alten Oberbürgermeister von Braunschweig Ernst Böhme von der SPD wurde allerdings ein ehemaliges Mitglied des Aufsichtsrates der Staatsbank als Beiratsmitglied ernannt. Der Braunschweigische Staatsminister für Finanzen (F II 7173/45) an den Staatsbankpräsidenten vom 4. Oktober 1945, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 106. 891 Der Regierungsvertreter war Gerhard Weisser, während Günter Rönneburg die Landkreise vertrat. Die Staatsbank hatte ursprünglich mit dem Bürgermeister von Wolfenbüttel Paul Eyferth einen weiteren alten Bekannten vorgeschlagen. Da allerdings Böhme schon als Repräsentant der Städte fungierte, bestand das Ministerium auf einen Vertreter der Landkreise. Vgl.: Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Braunschweigischen Staatsminister für Finanzen vom 7. September 1945; Der Braunschweigische Staatsminister für Finanzen (F II 7173/45) an den Staatsbankpräsidenten vom 4. Oktober 1945, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 106.

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die Pläne der britischen Militärregierung zur Neuordnung ihrer Besatzungszone erneut gefährdet. 892 Am 1. April 1946 legte der Oberpräsident der Provinz Hannover Hinrich Wilhelm Kopf in einer Denkschrift an die Militärregierung einen Plan zur Gründung des Landes Niedersachsen vor, der auch Braunschweig umfasste und der keine Verwaltungsebene zwischen dem neuen Land und den Kreisen mehr vorsah.893 Die braunschweigische Regierung sah in der Gründung des Landes Niedersachsen die Gefahr des vollständigen Verlustes der braunschweigischen Staatlichkeit und versuchte, Alternativpläne zu entwickeln.894 Die Pläne zum Erhalt des Landes Braunschweig waren jedoch letztlich erfolglos. Es wurde durch die Besatzungsverordnung Nr. 55 vom 8. November 1946 aufgelöst und ging in dem neuen Land Niedersachsen auf.895 An seine Stelle trat der Verwaltungsbezirk Braunschweig. Anders als die Regierungsbezirke in Niedersachsen hatte der Verwaltungsbezirk einige Sonderrechte. Diese bezogen sich hauptsächlich auf die Kulturpolitik, aber auch auf den Straßen- und Siedlungsbau. Die Verwaltung des alten Staatsvermögens wurde dagegen aufgeteilt. Die Domänen und Forsten sowie der Kloster- und 892 Die Briten hatten bereits im Sommer 1945 die preußische Provinz Hannover und die beiden Länder Braunschweig und Oldenburg in einem Militärverwaltungsbezirk zusammengefasst, der seinen Sitz in Hannover hatte. Am 15. November 1945 wurde ein Gebietsrat als deutsches Gegenstück zu der am 17. September 1945 etablierten britischen „Hanover-Region“ gegründet, der Anfang 1946 offiziell als „Gebietsrat Niedersachsen“ eingesetzt wurde. Schulze, Rainer, Re-Organizing Hannover Region. Ein britischer Plan zur Schaffung eines Landes Niedersachsen vom März 1946, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 61 (1989), S. 361–369, S. 363 f. 893 Schulze, Re-Organizing Hannover Region, S. 366. 894 Auf einer außerordentlichen Sitzung des Braunschweigischen Landtages am 25. Juli 1946 stellte Ministerpräsident Alfred Kubel einen Alternativplan vor. Die britische Besatzungszone sollte in sechs Länder aufgeteilt werden. Braunschweig sollte als eines dieser Länder um den Regierungsbezirk Hildesheim, den Landkreis Gifhorn sowie einige Kreise in der sowjetisch besetzten Zone erweitert werden. Renzsch, Wolfgang, Alfred Kubel – 30 Jahre Politik für Niedersachsen. Eine Politische Biographie, Bonn 1985, S. 29. Dieser Plan Kubels ist ohne Zweifel durch den „Ostfalenplan“ von Dietrich Klagges von 1934 inspiriert. Der These von Dieter Lent wird hier also vollumfänglich zugestimmt. Lent, Dieter, Vom Freistaat zum Verwaltungsbezirk- Der verfassungs- und verwaltungspolitische Statuswandel des Landes Braunschweig 1918 bis 1978, in: Poestges, Dieter, Übergang und Neubeginn. Beiträge zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte Niedersachsens in der Nachkriegszeit, Göttingen 1997, S. 17–40, S. 28. Dies gilt nicht nur für die territorialen Abgrenzungen, sondern auch für die Begründung des propagierten Landes Braunschweig. Kubel brachte wiederum den wirtschaftlichen Zusammenhang der Region als eines der Hauptargumente auf den Tisch. Erstaunlich ist dabei, dass Kubel ausgerechnet das Übergreifen der Braunschweigischen Staatsbank auf preußisches Territorium als Beweis für den wirtschaftlichen Zusammenhang aufführte: „Die Braunschweigische Staatsbank hat schon vor langem ihren Einfluss in die Nachbargebiete vorgetrieben und dadurch ihren Wirkungskreis wesentlich erweitert.“ Sitzungsbericht der außerordentlichen Sitzung des Braunschweigischen Landtages am 25. Juli 1946, in: Pollmann, Klaus-Erich, Anfang und Ende zugleich. Der Braunschweigische Landtag 1946, (Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen Geschichte, Bd. 15), Braunschweig 1999, S. 180. Die Hintergründe dieser Erweiterung des Wirkungskreises sowie der Ausgang des Abenteuers „Ostfalen“ für die Staatsbank wurden von Kubel nicht erwähnt. 895 Lent, Vom Freistaat zum Verwaltungsbezirk, S. 28 f.

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Studienfonds wurden dem Verwaltungsbezirk übereignet.896 Die Beteiligungsgesellschaft des Landes Braunschweig – die Braunschweig GmbH – in der der industrielle und gewerbliche Besitz des Landes Braunschweig zusammengefasst waren, wurden zu 80 % auf das Land Niedersachsen übertragen und 1951 in Niedersachsen GmbH umbenannt.897 Die Eigentumsrechte an der Braunschweigischen Staatsbank und der Braunschweigischen Landessparkasse gingen voll auf das Land Niedersachsen über. Die Übernahme der Aufsicht durch das Land Niedersachsen war dagegen ein längerer Prozess. Im Jahr 1947 war der rechtliche Status der Staatsbank zunächst noch unklar. Das Direktorium handelte deshalb zunächst weiter so, als ob braunschweigische Behörden für die Staatsbank zuständig wären. Als Lammers im September 1947 den Generaldirektor des Volkswagenwerkes Hermann Münch zum Beiratsmitglied vorschlug, richtete er die Anfrage nicht an den niedersächsischen Finanzminister, sondern an den Präsidenten des Verwaltungsbezirks Braunschweig Hubert Schlebusch.898 Diese Situation änderte sich erst mit einem Beschluss des niedersächsischen Staatsministeriums über die „Zuständigkeit der niedersächsischen Verwaltungsbehörden für die Beaufsichtigung und Verwaltung öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen im Lande Niedersachsen“ vom 18. November 1947.899 Erst nach diesem Beschluss begann der niedersächsische Finanzminister Georg Strickrodt (CDU) damit, die Kontrolle über die Bank zu übernehmen. Anfang März 1948 trafen sich Lammers und Strickrodt, um über die Umbildung des Beirates zu verhandeln. Das Ergebnis dieser Verhandlungen war ein neu zusammengesetztes und von zehn auf 15 Mitglieder erweitertes Gremium. Das Amt des Staatskommissars wurde abgeschafft, stattdessen fiel dem vom Finanzministerium benannten Vorsitzenden des Beirats, Staatssekretär Rudolf von Bitter, die Aufgabe des Vertreters der Aufsichtsbehörde zu. Aus diesem Grund mussten der Vertreter des ehemaligen Landes Braunschweig Mößner und der Staatskommissar Kohlstock ausscheiden. Weiterhin lebten Ideen der korporatistischen Verfassung des alten Aufsichtsrates wieder auf. Der spätere Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm war als Vertreter der IHK Braunschweig ebenso im Beirat vertreten wie der Präsident der Handwerkskammer Walter Oehler und der Präsident der braunschweigischen Abteilung des Deutschen Gewerkschaftsbundes Rosenbruch. Alle drei wur896 Fiedler, Gudrun, Nicht mehr Land und doch Region (1945–1989), in: Jarck; Schildt (Hg.), Braunschweigische Landesgeschichte, S. 1119–1170, S. 1128. 897 Den 20 %-Anteil hielt der Vereinigte Kloster- und Studienfonds in Braunschweig und damit indirekt der Verwaltungsbezirk. Renzsch, Kubel, S. 89. Die Übereignung geschah allerdings unter heftigem Protest und gegen den Widerstand des „Braunschweigischen Landesbundes“ und der IHK Braunschweig. Lent, Vom Freistaat zum Verwaltungsbezirk, S. 34. 898 Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank Dr. Lammers an den Präsidenten des Verwaltungsbezirks Braunschweig vom 2. September 1947, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 106. 899 Bezug auf den Beschluss bei: Der Niedersächsische Minister der Finanzen an die Direktion der Braunschweigischen Staatsbank [Abt. II/5 Nr. 11.762/48], Hannover den 30. August 1948, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 106.

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den auf Wunsch von Strickrodt nicht persönlich, sondern als Vertreter dieser Institutionen in den Beirat berufen. Nachdem er in den Jahren 1945 bis 1948 nicht dem Beirat angehört hatte, kehrte Hermann Brandes von der Niedersächsischen Landesbank – Girozentrale – wieder in das Gremium zurück. Die amtierenden Beiratsmitglieder wurden bis auf die genannten Vertreter der braunschweigischen Körperschaften übernommen.900 Insgesamt ähnelte der Beirat in seiner Zusammensetzung dem 1936 abgeschafften Aufsichtsrat der Staatsbank. Die Neuordnung war also eine Rekonstruktion. 1945 war die staatliche Hauptfinanzkasse wieder der Staatsbank unterstellt worden. Im Zuge der Übernahme der Staatsbank durch das Land Niedersachsen verlor die Staatsbank wiederum und diesmal endgültig den letzten Teil ihrer administrativen Staatstätigkeit. 1953 wurde auf Betreiben des niedersächsischen Finanzministers Alfred Kubel die Regierungshauptkasse – die frühere Hauptfinanzkasse, die nach 1946 die Finanzaufgaben des Verwaltungsbezirks übernommen hatte, – endgültig aus der Staatsbank herausgelöst und der staatlichen Verwaltung unterstellt.901

Die Finanzierung des industriellen Wiederaufbaus im Raum Braunschweig nach dem Krieg Nach dem Ende des Krieges musste die Staatsbank einen Großteil der vor und im Krieg gegebenen Industriekredite abschreiben. 80 % des Volumens der Kontokorrentkredite wurden 1945 als fragwürdig gekennzeichnet. Dies lag hauptsächlich an den eingefrorenen Kreditlinien an die beiden öffentlich-rechtlichen Zentralinstitute in Berlin (Deutsche Girozentrale und Landesbankenzentrale).902 Doch auch die Beteiligung der Staatsbank an den unzähligen Kreditkonsortien zur Finanzierung des Kriegsbedarfs, deren Forderungen fast alle als unrealisierbar abgesetzt werden mussten, war für die hohe Ausfallrate verantwortlich.903 Die Kredite an Unternehmen in der Ostzone lagen ebenfalls fest. Dies betraf insbesondere die Zweigkasse 900 Vermerk des Braunschweigischen Staatsbankpräsidenten vom 4. März 1948, in: NWA 5 Zg. 6/ 2007, Nr. 106. 901 Protokoll der 51. Beiratssitzung vom 12. September 1952, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 135. 902 Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1945 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, 30. Juli 1947, S. 10, in: NWA 8, Nr. 744. Die Staatsbank hatte 1946 über 100 Millionen RM Forderungen an Kreditinstitute, wovon die festliegenden Kredite an die Deutsche Girozentrale allein 77 Millionen RM ausmachten. Treuhandabteilung [Mk/Ol.] an den Präsidenten der Braunschweigischen Staatsbank vom 15. Dezember 1947, in: NWA 5, Zg. 6/ 2007, Nr. 248. 903 Die in diesem Bereich vergebenen Kredite hatten Ende 1945 ein Volumen von 38,2 Millionen RM. Von diesen Konsortialkrediten sah die Staatsbank Ende 1946 lediglich 1,5 Millionen RM als realisierbar an. Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1945 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, 30. Juli 1947, Anlage 3, in: NWA 8, Nr. 744.

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Blankenburg und die von der Zweigkasse Halberstadt übernommenen Kredite. Von den 22 Kontokorrentkrediten mit einem Volumen über 200.000 RM im Jahr 1945 lagen drei Unternehmen vollständig und ein Unternehmen teilweise in der sowjetisch besetzten Zone.904 Nicht zuletzt waren auch viele der Rohstoff- und Rüstungskredite aus den 1930er Jahren gefährdet oder verloren. Im Fall der Unterharzer Berg- und Hüttenwerke, deren Finanzierung die Staatsbank 1937 bis 1939 an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gebracht hatte, war die Lage für das Institut zunächst prekär. Aus den Krediten der Vorkriegszeit standen noch Verpflichtungen von knapp sieben Millionen RM zu Buche, die durch Reichsbürgschaft gesichert waren.905 Nach Ende des Krieges stellte das Unternehmen Zins- und Tilgungszahlungen ein, weil auch die vom Reich gewährten Produktionsprämien wegfielen. Da die Reichsbürgschaft die einzige relevante Sicherheit war, konnte die Staatsbank gegen die Einstellung der Zahlungen nichts unternehmen. Doch blieb die Staatsbank mit dem Unternehmen in Kontakt und konnte 1947 zunächst für den Kredit von 1939 über 5,4 Millionen RM die Wiederaufnahme der Zinszahlungen erreichen. Anfang 1948 gelang schließlich der Abschluss eines Abkommens, das die volle Wiederaufnahme der Zins- und Tilgungsleistungen für beide Kredite beinhaltete. Die Staatsbank akzeptierte im Gegenzug den in den Jahren 1945 bis 1947 erlittenen Zinsausfall, was angesichts der schlechten Verhandlungslage der Staatsbank zu verschmerzen war. Die Vereinbarung kam auch nur deshalb zustande, weil die Preise für NE-Metalle sich in den Jahren 1947 und 1948 stark erhöht hatten.906 Konnte die Staatsbank im Rohstoffbereich Kreditausfälle weitgehend verhindern, musste sie die Kredite zum Aufbau der Rüstungsindustrie weitgehend abschreiben. Dies betraf vor allem die Flugzeugindustrie rund um den Flughafen Braunschweig. Die Niedersächsischen Motorenwerke (NIEMO) mussten nach Kriegsende die Produktion ganz einstellen. Der Betrieb wurde fast vollständig demontiert. Nachdem die Muttergesellschaft der NIEMO, die Büssing NAG, die Produktion von Lastwagenmotoren, die man im Krieg nach Querum ausgelagert hatte, 1947 wieder zurück ins Stammwerk verlegte, war dies das Ende der Motorenproduktion in Querum.907 Die Staatsbank hatte nach Kriegsende Forderungen gegenüber dieser Firma von 6,6 Millionen RM.908 1951 hatte sie den gesamten Betrag bis auf einen Erinne904 Ebenda. 905 Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1945 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, 30. Juli 1947, Anlage 3, in: NWA 8, Nr. 744. 906 Protokoll der 41. Beiratssitzung vom 27. Februar 1948, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 135. NE-Metalle bedeutet Nichteisenmetalle. 907 Fischer, Eckhard, Niedersächsische Motorenwerke GmbH Braunschweig-Querum, Salzgitter 2012, S. 62. 908 Allerdings hatte sie davon 1,75 Millionen RM an andere Kreditinstitute weitergegeben, unter anderem an die Mitteldeutsche Landesbank. Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1944 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, Anhang 3, in: NWA 8, Nr. 745; Unterbeteiligung: Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1946 der Braun-

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rungsposten abgeschrieben und nur die Zinsen als Blanko-Kredit bilanziert.909 Der Kredit war also verloren. Ähnlich wie bei der NIEMO waren auch die Lutherwerke „Luther & Jordan“ als Rüstungsbetrieb eingestuft worden. 1947 wurde das Werk von der britischen Militärregierung beschlagnahmt und in der Folge fast vollkommen demontiert. Erst 1950 erhielten die alten Eigentümer die Verfügungsrechte über ihr Werk zurück.910 Die Staatsbank hatte sich im Krieg mit 25 % an einem Konsortialkredit unter Führung der Deutschen Bank beteiligt, der mit Auftragszessionen, einer Teilbürgschaft des Reiches sowie einer Grundschuld an zweiter Stelle gesichert war. Die Summe des Anteils der Staatsbank betrug 7,5 Millionen RM.911 Auch diesen Kredit hat die Staatsbank bis 1951 bis auf die aufgelaufenen Zinsen und einen Erinnerungsposten abgeschrieben und damit verloren.912 Gewonnen hatte sie dagegen zwei große Industriekonzerne als Kunden. Sowohl die Luther-Werke als auch die Mutter der NIEMO, die Büssing NAG, wurden ab 1950 zu Stammkunden der Staatsbank. Deshalb wog der Verlust der Rüstungskredite nicht ganz so schwer. Die Staatsbank war indirekt auch von dem Schicksal der „Reichswerke Hermann Göring“ betroffen. Die Industrieanlagen in Salzgitter waren durch den Bombenkrieg insgesamt nur wenig beeinträchtigt worden. Die Eisen- und Stahlherstellung hätte also relativ zügig wiederaufgenommen werden können. Die Aufnahme der Produktion wurde jedoch von der britischen Besatzungsmacht untersagt. Die Montanindustrie war neben der Rüstungsindustrie unter allen Industriezweigen am stärksten von der Demontage und der Entflechtungspolitik der alliierten Siegermächte betroffen.913 Weil die Reichswerke dazu noch ein reichsunmittelbares Unternehmen war, das den Namen des in Nürnberg 1946 zum Tode verurteilten Kriegsverbrechers Hermann Göring trug, traf die Produktionsanlagen in Salzgitter die volle Härte der Demontagepolitik der Alliierten.914 Im Oktober 1947 wurde die weitgehende Demontage der Werke in Salzgitter beschlossen.915 Lediglich der Eisenerzbergbau, die Erzaufbereitung und schweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, Anhang 3, in: NWA 8, Nr. 504. 909 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 9. Februar 1951, in: NWA Zg. 6/2007, Nr. 90. 910 Liedke, Karl; Rother, Bernd, Von der Zuckerfabrik zum Mikrochip. Braunschweigs Industrie von 1850 bis heute, Frankfurt a. M. 1989, S. 74 f. 911 Auch hier hatte sie 2,5 Millionen RM an andere Banken weitergegeben. Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1944 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.Ing. Dr. Höweler, Anhang 3, in: NWA 8, Nr. 745. 912 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 9. Februar 1951, in: NWA Zg. 6/2007, Nr. 90. 913 Stier, Bernhard, Zwischen Wiederaufbau, Strukturveränderung und strategischer Neuausrichtung. Die Preussag von 1945 bis zum Beginn der 1980er Jahre, in: Bernhard Stier; Johannes Laufer, Von der Preussag zur TUI. Wege und Wandlungen eines Unternehmens 1923–2003, Essen 2005, S. 387–566, S. 397. 914 Schulze, Rainer, Salzgitter aus britischer Sicht. Besatzungszeit und Besatzungspolitik 1945– 1950/51, in: Wolfgang Benz (Hg.), Salzgitter. Geschichte und Gegenwart einer deutschen Stadt 1942–1992, S. 312–334, S. 326. 915 Riedel, Reichswerke, S. 143 f.

4.3 „Geräuschlose Kriegsfinanzierung?“

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eine auf vier Hochöfen begrenzte Roheisenproduktion wurden nicht demontiert. Erst im Januar 1951 wurden die Demontagen beendet.916 Die Auswirkungen auf die Stadt Salzgitter waren katastrophal.917 Salzgitter blieb bis zur Mitte der 1950er Jahre ein wirtschaftliches Notstandsgebiet. Die Staatsbank hatte im Krieg mehreren Tochterfirmen der Reichswerke große Summen geliehen, die angesichts des Produktionsstillstandes nun bei ihr festlagen. So stand ein Kredit über 8,7 Millionen RM an die Ferngasgesellschaft der Reichswerke in den Büchern.918 Die Ferngasgesellschaft der Reichswerke hatte das in der werkseigenen Kokerei erzeugte Koksofengas hauptsächlich nach Berlin und Magdeburg geleitet, was bei Ende des Krieges jedoch nicht mehr möglich war.919 Die Staatsbank hatte bis Ende 1946 einen Zinsausfall dieses Kredites von 370.000 RM errechnet.920 Neben der Abwicklung der Altlasten hatte für die Staatsbank nach dem Krieg jedoch der Wiederaufbau Priorität. Dabei stand die Staatsbank jedoch anfangs vor der Frage, welche Maßnahmen zuerst finanziert werden sollten. Bereits im Juli 1945 führte diese Frage zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Oberbürgermeister der Stadt Braunschweig Ernst Böhme (SPD) und dem damals noch amtierenden Staatsbankpräsidenten Werner Küchenthal. Böhme war der Meinung, dass die Staatsbank sich auf die Finanzierung des Wiederaufbaus der Stadt Braunschweig konzentrieren sollte. Demgegenüber forderte Küchenthal, dass die Priorität auf der Ingangsetzung der Wirtschaft liegen sollte.921 Vor dem Hintergrund der katastrophalen Wohnsituation vor allem in der Stadt Braunschweig ist Böhmes Argumentation einleuchtend. Im gesamten Land Braunschweig waren zwar nur zwölf Prozent der Wohnungen durch Kriegseinwirkungen unbenutzbar, in der Stadt Braunschweig aber knapp 34 %.922 Die Wohnungsnot wurde durch den Flüchtlingsstrom aus dem Osten des ehemaligen Deutschen Reiches noch um ein Vielfaches verstärkt.923 Die 916 Ebenda, S. 262 f. 917 Die Arbeitslosenquote lag Ende des Jahres 1948 bei 16 Prozent, während sie in Niedersachsen acht Prozent betrug. Ein Jahr später lag sie bei über 28 Prozent (Niedersachsen: 17 %)! Ebenda, S. 192. 918 Davon hatte sie allerdings 2,5 Millionen RM an die Thüringische Staatsbank und die Mitteldeutsche Landesbank weitergegeben. 919 Riedel, Salzgittergebiet, S. 125 f. 920 Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1946 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, Anlage 3, in: NWA 8, Nr. 504. Die Staatsbank bewertete den Kredit zu 50 % als dubios, weil die Reichswerke für den Kredit gebürgt hatten. Treuhandabteilung [Mk/Ol.] an den Präsidenten der Braunschweigischen Staatsbank vom 15. Dezember 1947, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 248. 921 Protokoll der 34. Beiratssitzung vom 16. Juli 1945, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 135. 922 Fösterling, Reinhard, Die soziale Entwicklung im Braunschweigischen Land zwischen dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Beginn des dritten Jahrtausends, in: Leuschner; Märtl; Kaufhold (Hg.), Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 3, S. 665–737, S. 680 f. 923 Bereits im Herbst 1945 waren im Land Braunschweig 120.000 Flüchtlinge registriert. 1950 wurden von 1,07 Millionen Einwohnern des Landes Braunschweig 432.000 als Flüchtlinge oder Vertrie-

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Wohnungsnot war daher ein sehr dringendes Problem, dem man durchaus Priorität hätte einräumen können. Jedoch war auch Küchenthals Argumentation stichhaltig. Sein Argument fasste drei Jahre später der Abgesandte des zu dem Zeitpunkt nicht mehr existenten Landes Braunschweig Karl Eugen Mößner mit einem prägnanten Satz zusammen: „Der Referent [Mößner] warnt vor einseitiger Bevorzugung des Wohnungsbaues mit dem Hinweis, daß man nicht von dem Dach über dem Kopf leben kann, sondern nur von dem Ertrage der lebendig erhaltenen Wirtschaft.“924 Dies ist besonders dann plausibel, wenn man die Beispiele Salzgitter und Wolfsburg in Betracht zieht. Dort war ein Großteil der Flüchtlinge untergekommen, sodass diese Bevölkerungsgruppe in den beiden Städten die Mehrheit der Einwohner stellte.925 Wolfsburg und Salzgitter waren deshalb besonders darauf angewiesen, dass die beiden Industriewerke, die die lokale Wirtschaftsstruktur dominierten, in Betrieb gehalten wurden. Ohne das Volkswagenwerk oder die Betriebe der Reichswerke, konnten diese Städte nicht lange existieren, egal wie die Wohnsituation aussah. Der Streit zwischen Küchenthal und Böhme im Juli 1945 hatte denn auch einen konkreten Hintergrund: die Finanzierung des Volkswagenwerkes. Der Kreditrahmen betrug 20 Millionen RM.926 Er diente der Instandsetzung des Werkes und der Anschubfinanzierung eines Auftrags der „Control Commission for Germany“ an das Werk zur Produktion von 21.000 Wagen für das alliierte Militär, der im August 1945 erteilt wurde.927 Die Rückzahlung erfolgte in der Weise, dass 35 % des Verkaufspreises der Wagen genutzt wurden, um das Konto auszugleichen.928 Das Volkswagenwerk war in den ersten Nachkriegsjahren auf die Hilfe lokaler Kreditinstitute angewiesen, weil sie ihre Hauptfinanzierungsquelle verloren hatte. Als Unternehmen der Deutschen

bene gezählt. Kegel, Ulrich, Wirtschaft und Verkehr nach 1945, in: Jarck; Schildt (Hg.), Braunschweigische Landesgeschichte, S. 1037–1078, S. 1040. 924 Protokoll der 42. Beiratssitzung vom 22. Juni 1948, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 135. 925 Wolfsburg hatte im Jahr 1950 einen „Migrationsanteil“ von 63 %, in Salzgitter waren es 52 %. Im gesamten Land Braunschweig lag die Quote bei 40 % und in Braunschweig lediglich bei 30 %. Dies war eine Folge der staatlichen Wohnungsbewirtschaftung, durch die die Flüchtlinge, die anfangs vor allem in die größeren Städte einwanderten, auf das gesamte Land verteilt wurden. Ebenda, S. 1041. 926 Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank Dr. Lammers an den Präsidenten des Verwaltungsbezirks Braunschweig vom 2. September 1947, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 106. 927 Fiedler, Gudrun; Pingel, Normann-Matthias, Vom Nachkriegsboom in den Strukturwandel. Die Wirtschaft der Landes-Region Braunschweig nach 1945, in: Leuschner; Märtl; Kaufhold (Hg.), Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 3, S. 557–664, S. 631. Dieser Fall ist in der Geschichtswissenschaft bekannt, allerdings wird die Kreditbeziehung nicht weiterverfolgt. Vgl.: Mommsen, Hans; Grieger, Manfred, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996, S. 954; Reich, Simon, The Fruits of Fascism. Post-War Prosperity in Historical Perspective, Ithaca [u. a.] 1990, S. 174. 928 Vgl. Major R. Bisset [SO II Finance Det Mil Gov.] 111. Mil. Gov. Det. to Braunschweigische Staatsbank, Gifhorn, 17 Sep 1945, abgedruckt in: Wiersch, Bernd, Die Käfer-Chronik. Die Geschichte einer Autolegende, Bielefeld 2005, S. 99.

4.3 „Geräuschlose Kriegsfinanzierung?“

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Arbeitsfront (DAF) wurde sie bis zum Ende des Krieges von deren Kreditinstitut, der Bank der Deutschen Arbeit, finanziert. Diese Bank hatte ihren Sitz jedoch in Berlin und wurde dort von der sowjetischen Besatzung geschlossen. Die Niedersächsische Landesbank hat sich zwar später sehr um die Verbindung zum Volkswagenwerk bemüht.929 Die Staatsbank hatte allerdings den Vorteil, dass sie bereits über das Vorwerk in Braunschweig eine Geschäftsverbindung mit dem Volkswagenwerk besaß. In den Quellen wird stets darauf hingewiesen, dass zumindest der erste Kredit der Staatsbank von der Militärregierung veranlasst worden war.930 In der Tat ging die Kreditvergabe auf ein Schreiben des „Military Government Detachment“ in Gifhorn an die Braunschweigische Staatsbank vom 17. September 1945 zurück, in dem der Staatsbank die Kreditvergabe mehr oder weniger deutlich befohlen wurde.931 Die Staatsbank hatte jedoch zwei Bedingungen gestellt. Erstens musste die Reichsbankfiliale eine Garantie geben, die vom Volkswagenwerk gegebenen Solawechsel jederzeit zu rediskontieren. Zweitens sollte das Volkswagenwerk ein Kontokorrentkonto bei der Staatsbank eröffnen, durch das die Hälfte des Geldes aus den diskontierten Wechseln dem Volkswagenwerk zur Verfügung gestellt werden konnte. Die andere Hälfte wurde auf das Konto bei der Filiale der Deutschen Bank in Wolfsburg transferiert. Die Deutsche Bank war dadurch auch am Kredit unterbeteiligt.932 Durch diese Regelung wollte die Staatsbank von den potentiell großen Umsätzen des Volkswagenwerkes profitieren, da sie in Wolfsburg nach den Auseinandersetzungen der 1930er Jahre keine Filiale eröffnen konnte.933 Das Konto wurde von der Zweigkasse Vorsfelde geführt. Der Ort Vorsfelde liegt in unmittelbarer Nähe zum Volkswagenwerk und ist heute ein Stadtteil von Wolfsburg.934 Erst nachdem diese Bedingungen erfüllt worden waren, machte die Staatsbank dem Volkswagenwerk am 2. Oktober 1945 ein verbindliches Angebot. Allerdings beinhaltete dieses Angebot andere Zinskonditionen als vorher vereinbart worden waren. Ursprünglich war ein Zinssatz von 4,5 % vereinbart worden. Die Reichsbank hatte die Rediskontierungszusage allerdings davon abhängig gemacht, dass sie die Wechsel nur zu dem jeweils aktuellen Diskontsatz hereinnahm. Daher änderte die 929 Vgl. Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank Dr. Lammers an den Präsidenten des Verwaltungsbezirks Braunschweig vom 2. September 1947, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 106. 930 Pollmann, Anfang und Ende, S. 180. 931 Major R. Bisset [SO II Finance Det Mil Gov.] 111. Mil. Gov. Det. to Braunschweigische Staatsbank, Gifhorn, 17 Sep 1945, abgedruckt in: Bernd Wiersch. Die Käfer-Chronik. Die Geschichte einer Autolegende, Bielefeld 2005, S. 99. 932 Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1945 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, 30. Juli 1947, Anlage 3, in: NWA 8, Nr. 744. 933 Noch 1955 hatte die Staatsbank vergeblich um die Erlaubnis des Niedersächsischen Finanzministeriums gebeten, in Wolfsburg eine Filiale eröffnen zu dürfen, nachdem Volkswagen die Bank darum ersucht hatte. Schreiben des Präsidenten der Staatsbank an den Niedersächsischen Finanzminister vom 17. Dezember 1955, in: NLA HA Nds. 200, Acc 4/96, Nr. 53. 934 Braunschweigische Staatsbank, Treuhandabteilung, [Mk/Oc.] vom 7. Juni 1946, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 248.

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Staatsbank den Zinssatz auf 1 % über dem Diskontsatz. Sie fügte jedoch eine Klausel ein, die einen Mindestzinssatz von 4,5 % beinhaltete. Dazu kam eine Umsatzprovision von maximal 0,5 %.935 Die Regelung des Mindestzinssatzes wurde jedoch vom Volkswagenwerk abgelehnt, weil damit das Zinsänderungsrisiko einseitig auf der Seite des Kreditnehmers lag.936 Schließlich einigte man sich doch auf einen festen Zinssatz von 4,5 % plus Provision.937 Die Staatsbank hatte durchaus genügend Kapital für die Finanzierung des Volkswagenwerkes. Allein der Zuwachs an Depositen betrug im Jahr 1945 fast 80 Millionen RM, der Zugang an Spargeldern 30 Millionen RM. Von diesem Zuwachs hatte die Staatsbank mangels Alternativen die Hälfte in Bargeld angelegt.938 Der Kredit wurde zudem nie voll in Anspruch genommen. Ende 1945 stand er mit 5,15 Millionen RM zu Buche.939 Das Volkswagenwerk dagegen brachte allein für das Jahr 1945/ 46 bei einer durchschnittlichen Inanspruchnahme des Kredites von vier Millionen RM Zinseinnahmen von 200.000 RM. Ohne diesen Kredit hätte die Staatsbank Verluste geschrieben.940 Da die tatsächliche Kreditsumme die zugesagten 20 Millionen RM nie erreichte, konnte Volkswagen den Kredit im Mai 1946 voll zurückzahlen, nahm jedoch kurze Zeit später einen neuen Kredit über maximal fünf Millionen RM auf, der diesmal von der Staatsbank allein aufgebracht wurde und der Zwischenfinanzierung des gleichen Auftrages diente.941 Dass in Wolfsburg bereits 1945 die ersten Autos das Werk verlassen konnten, lag einerseits daran, dass die Zerstörungen des Krieges für die Wiederaufnahme der Produktion nicht dramatisch waren.942 Trotz der weitgehend intakten Produktionskapazität war die Produktion jedoch keinesfalls gesichert. Weil das Volkswagenwerk als Teil der Deutschen Arbeitsfront (DAF) von dem Alliierten Kontrollrat als Teil des NSDAP-Vermögens angesehen wurde, war eigentlich beabsichtigt, das Werk zu demontieren. Weil sich aber einige britische Militärs, allen voran Ivan Hirst, für das Werk 935 Translation: President Dr. Lammers of Braunschweigische Staatsbank to Management Volkswagenwerk GmbH, Braunschweig, 2nd October 1945, in: VWA 69/130/7. 936 Translation: Hiemenz; Börmann, Volkswagenwerk to Braunschweigische Staatsbank, Direktorium, Wolfsburg, 9th October 1945, in: VWA 69/130/7. 937 Note 89040: Resident Property Control Officer to Wolfsburg Motor Works Subject: Loan from Staatsbank Brunswick, 7 May 46, in: VWA 69/130/7. 938 Jahresbilanz 1945, in: Bilanzbuch der der Braunschweigischen Staatsbank, in: NWA 8, Nr. 699. 939 Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1945 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, 30. Juli 1947, Anlage 3, in: NWA 8, Nr. 744. 940 Braunschweigische Staatsbank, Treuhandabteilung, [Mk/Oc.] vom 7. Juni 1946, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 248. 941 Auch dieser wurde nicht in voller Höhe ausgenutzt. Bericht über die Prüfung des Jahresabschlusses 1946 der Braunschweigischen Staatsbank. von Wirtschaftsprüfer Dipl.-Ing. Dr. Höweler, Anlage 3, in: NWA 8, Nr. 504. 942 Zwar war ein Teil der Produktionshallen zerstört oder beschädigt worden, die Produktionsanlagen und das Kraftwerk hatten den Krieg jedoch fast unbeschadet überstanden, unter anderem deshalb, weil der Maschinenpark teilweise ausgelagert worden war. Wellhörner, Volker, „Wirtschaftswunder“ – Weltmarkt – westdeutscher Fordismus. Der Fall Volkswagen, Münster 1996, S. 99.

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einsetzten und ab Mitte des Jahres 1946 die britisch-amerikanischen Planungen zur Bizone die Demontagen in den Hintergrund treten ließen, konnte das Volkswagenwerk die gesamte Nachkriegszeit über in Betrieb gehalten werden. Es wurde sogar teilweise bevorzugt mit Rohmaterialien versorgt.943 Die Situation des Werkes blieb zwar bis zur Währungsreform in vielerlei Hinsicht prekär, doch brachten die drei Nachkriegsjahre Volkswagen einen Vorsprung vor den „Platzhirschen“ der Vorkriegszeit, Opel und Ford, die erst 1948 ihre Produktion aufnahmen. Volkswagen hatte Ende 1947 bereits mehr als 20.000 Autos produziert.944 Die Staatsbank hatte mit ihrem Kredit diesen Frühstart mit ermöglicht. Entscheidend war jedoch die Unterstützung durch Teile der britischen Besatzungsbehörden. Diese hatten dafür gesorgt, dass bereits Ende 1945 6.000 Personen im Werk beschäftigt waren, gegenüber 2.364 im Sommer dieses Jahres. Die Aufrechterhaltung der Produktion brachte den zugezogenen Flüchtlingen und Vertriebenen Brot und Lohn und für die ganze Region einen wichtigen wirtschaftlichen Impuls.945 Ein ähnlich gelagerter Fall, wenn auch in wesentlich kleineren Dimensionen war die Ilseder Hütte. Die Hütte und das Walzwerk in Peine waren bereits Ende 1945 wieder in Gang gesetzt worden. Zwar sollte auch die Ilseder Hütte entflochten werden, in dem der Erzbergbau vom Hüttenbetrieb getrennt wurde, doch wurde die Produktion die gesamte Nachkriegszeit über aufrechterhalten.946 Im Juli 1946 gab die Staatsbank der Hütte, die schon in den 1930er Jahren zu ihren Kunden gezählt hatte, einen Kredit über eine Million RM.947 Auch die Zinsen aus diesem Kredit trugen dazu bei, dass die Staatsbank in der Gewinnzone blieb. In den ersten Jahren nach dem Krieg lag der Schwerpunkt der Aktivitäten der Staatsbank auf der Unternehmensfinanzierung. Dies lag nur zum Teil an der Notwendigkeit, die Wirtschaft für den Wiederaufbau in Gang zu halten, wie Küchenthal es formuliert hat. Das kurzfristige Kreditgeschäft war in den Jahren bis zur Währungsreform eine der wenigen Möglichkeiten, überhaupt als Kreditinstitut tätig zu werden. Der Streit um die Setzung von Prioritäten in der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte eine nicht zu unterschätzende Langzeitwirkung für die Staatsbank. Hätte sich der Oberbürgermeister Braunschweigs 1945 mit seiner Forderung, den Wohnungsbau an die erste Stelle zu setzen, durchgesetzt, hätte für die Staatsbank durchaus die Gefahr bestanden, wie das Leihhaus im späten 19. Jahrhundert zu einem Realkreditinstitut zurückgestuft zu werden. Hätte die Staatsbank vor der Währungsreform bereits auf die Finanzierung der Industrie verzichtet, dann wäre es danach sehr schwer geworden, diesen Bereich finanziell und politisch wieder als Geschäftsfeld 943 Fiedler; Pingel, Nachkriegsboom, S. 631 f. 944 Ebenda, S. 633. 945 Ebenda, S. 567. 946 Fiedler; Pingel, Nachkriegsboom, S. 574. 947 Braunschweigische Staatsbank, Treuhandabteilung, [Mk/Oc.] vom 7. Juni 1946, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 248.

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zu etablieren. Der riesige Bedarf an Wohnungsbaufinanzierungen, der erst durch die Schaffung einer stabilen Währung langfristig gedeckt werden konnte, übte ohnehin genug Druck auf die Staatsbank aus, den Großteil ihrer finanziellen Kraft auf diesen Bereich zu verwenden. Nur durch das umfangreiche Engagement der Staatsbank in der Unternehmensfinanzierung vor 1948 konnte das Direktorium die Bereitstellung eines Teils ihrer finanziellen Mittel für diesen Zweck rechtfertigen. Nicht zuletzt bewies der Ausgang des Streites, dass die Staatsbankführung bereits vor der Neuzusammensetzung des Beirates 1948 in der Lage war, ihre Vorstellungen in Bezug auf die Wirtschaftspolitik zumindest im Bereich der Kreditvergabe gegen die Interessen anderer Größen der Politik durchzusetzen.

4.4 Zwischenfazit: Der Aufstieg der Braunschweigischen Staatsbank zum Industriefinanzier im Dritten Reich Die Staatsbank hatte in der Weimarer Republik zwar den Einstieg in die Industriefinanzierung vollzogen, jedoch war es der Staatsbank in diesem Geschäftsfeld bis zur Machtergreifung der NSDAP nicht gelungen, diesen Bereich zu einem Standbein ihres Kreditgeschäftes zu entwickeln. Dies änderte sich in der Zeit des Nationalsozialismus, als die Staatsbank erstmals in größerem Maßstab Kredite jenseits der Grenze von einer Million RM vergab. Trotz der anfangs geringen Bedeutung des Industriegeschäftes zeigt der Bericht über die Lage der Industrie von 1933, dass die Staatsbank bereits zu diesem Zeitpunkt über ein eindrucksvolles und tiefgehendes Wissen in Bezug auf die Struktur und die wirtschaftliche Lage der braunschweigischen Industrie verfügte. Sie verfügte zudem über die Mittel, dieses Wissen in sehr kurzer Zeit auch abzurufen. Sie hatte daher zumindest mit Blick auf die Industrie durchaus das Potential, Informationsasymmetrien auszunutzen, um eine Kreditvergabe im Sinne des Relationship-Lending-Ansatzes zu betreiben. Allerdings spielte dieses Wissen bei der tatsächlichen Expansion der Staatsbank im Industriekredit keine Rolle. Sie ist vielmehr auf zwei sehr unterschiedliche Ursachen zurückzuführen. Ein Teil der neuen Großkredite wurde im Rahmen des „Ostfalenplans“ vergeben. Hier folgte die Staatsbank politischen Vorgaben zur territorialen Expansion. Ebenfalls politisch vorgegeben war das Ziel, die neuen Filialen auf preußischem Gebiet innerhalb sehr kurzer Zeit rentabel zu führen. Der sehr spezielle politische Kontext führte zu einer Geschäftsstrategie, die im Wortsinne als gewinnmaximierend bezeichnet werden kann. Es ging der Staatsbank in diesem Kontext allein darum, zu beweisen, dass die Filialen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt selbst tragen konnten. Aus diesem Grund setzten alle Filialleiter auf die Vergabe von Krediten mit möglichst großen Volumina, auch wenn sie dadurch hohe Risiken eingingen. Diese Risiken waren auch dadurch bedingt, dass die Staatsbank im neuen Geschäftsgebiet entgegen der Behauptungen der braunschweigischen Regierung über keinerlei Orts-

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kenntnis verfügte. Sie hatte also auch im Vergleich mit ihren Konkurrenten hohe Informationsasymmetrien zu überwinden. Stattdessen forcierte die Staatsbank den Wettbewerb durch Gewährung deutlich günstigerer Konditionen. Sie verdrängte damit auf unfaire Weise ihre Wettbewerber. Dabei wurde von der braunschweigischen Regierung in Kauf genommen, dass die Rentabilität der Gesamtbank stark beeinträchtigt wurde. Die Kreditvergabe im Rahmen des „Ostfalenplans“ lässt sich daher geradezu als Paradebeispiel für die liberale Kritik an den öffentlichen Banken interpretieren. Diese Geschäftspolitik ist jedoch aufgrund der speziellen Umstände ihrer Entstehung in keiner Weise verallgemeinerbar. Bedeutender – vor allem in finanzieller Hinsicht – war die Finanzierung der Rohstoff- und Rüstungsindustrie im Land Braunschweig. In diesem Bereich stand die Staatsbank nicht unmittelbar im Wettbewerb. Vielmehr kooperierte sie bei großen Rüstungsprojekten mit den Großbanken. Vor allem jedoch finanzierte sie im Interesse der Reichsregierung Projekte, die von den Großbanken abgelehnt wurden. Sie übernahm diese Finanzierungen nicht aufgrund einer überlegenen Informationslage. Die Risiken vor allem beim Aufbau der Flugzeugindustrie waren für die Staatsbank ebenso wenig einzuschätzen wie für die Großbanken. Stattdessen handelte sie in diesem Fall tatsächlich zuerst im öffentlichen Auftrag oder konkreter im Auftrag des Reichswirtschaftsministeriums. Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass diese Aufgabe für die Staatsbank nicht auch betriebswirtschaftlich reizvoll war. Erstens war die Rüstungsfinanzierung für die Staatsbank im Gegensatz zu den Großbanken deutlich lukrativer als ihr bisheriges Kreditgeschäft im Bereich der Unternehmensfinanzierung. Dies lag hauptsächlich an den hohen Kreditvolumina. Zweitens nutzte die Staatsbank die durch die Rüstungsfinanzierung entstandenen Kontakte aus, um auch jenseits der Aufrüstung reguläre Geschäftsbeziehungen zu den größten braunschweigischen Industriebetrieben aufzubauen. Es war dieses Geschäftsgebaren, das die Großbanken kritisierten, als sie sich beim Reichswirtschaftsministerium über die Staatsbank beschwerten. Auch wenn ein Großteil der Investitionen in der Rüstungsindustrie nach dem Krieg abgeschrieben werden musste, blieben diese Geschäftskontakte erhalten und boten eine Grundlage für den Neuaufbau der Industriefinanzierung nach dem Krieg. Die Finanzierung der Expansion gelang der Staatsbank hauptsächlich deshalb, weil sie die steigenden Spareinlagen nicht mehr in erster Linie dem Land Braunschweig zur Verfügung stellen musste. Der hohe Kreditbedarf des Landes hatte den Einstieg der Staatsbank in die Industriefinanzierung in der Zeit der Weimarer Republik noch entscheidend behindert. Allerdings währte diese Phase nur bis zum Kriegsbeginn, weil die Staatsbank ab diesem Zeitpunkt ihre finanziellen Mittel direkt dem Reich zur Verfügung stellen musste. Nach dem Krieg profitierte die Staatsbank davon, dass die Bevölkerung ihre Ersparnisse nicht massenhaft abzog. Insgesamt profitierte die Staatsbank nach dem Krieg davon, dass sie im Gegensatz zu ihren Konkurrenten aus dem Kreis der Großbanken sowohl finanziell als auch politisch voll handlungsfähig blieb. Dies war die

266  4 Der Durchbruch der Industriefinanzierung der Staatsbank

Voraussetzung dafür, dass sie ab 1945 auch in Geschäftskontakt mit den im Raum Braunschweig entstandenen industriellen Großkonzernen trat, die vor dem Krieg noch nicht auf ihre Finanzierungsleistungen angewiesen waren. Vor allem die Aufnahme der Geschäftsbeziehung zum Volkswagenwerk hatte sowohl kurzfristig als auch langfristig große Konsequenzen für die Staatsbank. Kurzfristig sicherte der Kredit die Rentabilität der des Instituts. Langfristig war die Finanzierung von Volkswagen ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Großbank. Die Expansion im Industriekreditgeschäft vollzog sich vor dem Hintergrund eines fundamentalen Wandels in der Beziehung zwischen der Staatsbank und ihrem Gewährträger. Die Übernahme der Kontrolle der Bank durch das Reichswirtschaftsministerium im Jahr 1936 war für die weitere Geschichte der Bank von kaum zu überschätzender Bedeutung. Das Institut hätte den Untergang des Landes Braunschweig 1946 nicht so reibungslos überstanden, wenn sie sich institutionell nicht bereits vollständig von ihrem damaligen Gewährträger gelöst hätte. Das institutionelle Arrangement der Bank war zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine externe Aufsicht ausgerichtet. Trotz der formalen Machtfülle der Aufsichtsbehörde barg die 1936 geschaffene und 1946 übernommene Struktur das Potential einer im Vergleich zur vorherigen Zeit größeren Autonomie der Geschäftsführung der Staatsbank. Dieses Potential basierte einerseits auf Informationsasymmetrien. Aufgrund ihrer geringen Ortskenntnis waren zuerst der Reichswirtschaftsminister und später der niedersächsische Finanzminister bei der Auswahl der Beiratsmitglieder auf die Vorschläge des Direktoriums angewiesen. Das Gremium, das eigentlich als Agent der Aufsichtsbehörde hätte fungieren sollen, bestand daher hauptsächlich aus Personen, denen die Geschäftsführung der Staatsbank vertraute. Wichtiger als die Frage von Informationsdefiziten waren jedoch potentielle Legitimationsdefizite der externen Aufsichtsbehörden. Weder der Reichswirtschaftsminister noch der niedersächsische Finanzminister konnten von sich behaupten, ausschließlich die Interessen des Landes oder der Region Braunschweig zu vertreten. Die Gremien der Staatsbank dagegen waren dazu verpflichtet, das Interesse des Landes Braunschweig in den Mittelpunkt ihres Handelns zu stellen. In der Betonung der Vertretung braunschweigischer Interessen war sie deshalb ihrer Aufsichtsbehörde grundsätzlich überlegen. Die zentralen Institutionen des Landes Braunschweig, die eigentlich die Legitimation besaßen, die Interessen des Landes zu formulieren, spielten dagegen bei den zentralen Richtungsentscheidungen der Staatsbank seit 1936 keine Rolle mehr. Vor 1945 verhinderte das große Misstrauen zwischen dem Reichswirtschaftsministerium und der Landesregierung, dass Letztere Einfluss auf die Bank nehmen konnten. Durch die Auflösung des Landes Braunschweig existierte ab 1946 keine Institution, die die notwendige Legitimation besaß, Entscheidungen der Staatsbank darauf zu prüfen, ob sie mit dem Interesse des (ehemaligen) Landes vereinbar waren. Der 1946 erschaffene Verwaltungsbezirk Braunschweig konnte diese Akteure in keiner Weise ersetzen, allein schon deshalb nicht, weil er nur für wenige Bereiche des gesell-

4.4 Zwischenfazit

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schaftlichen Lebens überhaupt zuständig war. Die Braunschweigische Staatsbank führte dagegen als eine der wenigen wirtschaftlich und politisch lebensfähigen Schöpfungen des untergegangenen Staates dessen Tradition fort. Der politische Aushandlungsprozess über die Ziele der Staatsbank verlagerte sich deshalb vollständig in das Aufsichtsgremium der Staatsbank, den Beirat. Weil die Staatsbankführung in Bezug auf dessen Zusammensetzung wiederum großen Einfluss ausüben konnte, besaß in der Praxis das Direktorium den größten Einfluss auf die Bestimmung der Ziele der Bank. Für die Zeit des Nationalsozialismus war dieser Umstand noch nicht entscheidend. Die Expansion der Staatsbank ab 1936 vollzog sich größtenteils im Einklang mit den Interessen des Reichs. Für die Zeit nach 1945 wurde diese weitgehend autonome Stellung jedoch bedeutend für die weitere Expansion der Staatsbank.

5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969) Nachdem die Staatsbank sich im Umfeld der Rüstungswirtschaft des „Dritten Reichs“ und in der Not der unmittelbaren Nachkriegszeit als Industriefinanzier etablieren konnte, führte sie die Expansion in diesem Bereich in der Zeit des Wirtschaftswunders mit noch größerer Konsequenz fort. Dabei erweiterte sie fortlaufend ihr Angebot. Bereits früh bot sie ihren Kunden Finanzdienstleistungen im Außenhandelsgeschäft an und etablierte die Investitionsfinanzierung als reguläres Geschäft. Schließlich entwickelte sie seit Mitte der 1950er Jahre das Geschäft mit Industriebeteiligungen. Am Ende der Entwicklung dominierte sie nicht nur den regionalen Wirtschaftsraum, sie wuchs auch erstmals substantiell über die Grenzen des alten Landes Braunschweig hinaus und finanzierte – teilweise über zugekaufte konzerneigene Banken – Unternehmen im gesamten Bundesgebiet und schließlich auch im Ausland. Gegen Ende der Geschichte des Instituts versuchte der letzte Präsident der Staatsbank Carl Düvel, die verschiedenen Stränge der Expansion zu einer Gesamtstrategie zu integrieren. Er sah die Staatsbank als „Banque d’Affaires“, eine Unternehmerbank, die weltweit Industrieunternehmen übernehmen und entwickeln sollte. Diese Vision löste heftige Kritik bei den Vertretern der niedersächsischen Sparkassenorganisation aus und verhinderte letztlich die politische Durchsetzung dieser Vision im Zuge der Gründung der Norddeutschen Landesbank. Nichtsdestotrotz war die Idee Düvels keine Vision, sondern lediglich die konsequente strategische Fortschreibung der Entwicklung der Braunschweigischen Staatsbank nach der Währungsreform. Die Staatsbank war am Ende ihrer Geschichte nicht nur den Bilanzzahlen nach zur Großbank geworden, wie viele ihrer Schwesterinstitute auch. Sie hatte sich zu einem Spezialisten für Unternehmensfinanzierung entwickelt. Die finanzielle und organisatorische Entwicklung dieser Spezialisierung wird in Kapitel 5.1 dargestellt. Einen besonderen Schwerpunkt bildet dabei die Entwicklung des Eigenkapitals. In Kapitel 5.2 wird die Unternehmensfinanzierung der Staatsbank auf der Mikroebene systematisch untersucht. Als zentrale Quelle dienen hierbei die Protokolle des Kreditausschusses, von dem alle Kredite einzeln genehmigt werden mussten, die von den gesetzlichen Grundsätzen der Kreditvergabe abwichen. Die Analyse verfolgt das Ziel, systematisch zu erfassen, welchen Unternehmen solche Ausnahmen gewährt wurden und warum. Dieser Teil ist für die Fragestellung der gesamten Untersuchung von großer Bedeutung und stellt für diesen Zeitraum innerhalb der historischen Bankenforschung eine Premiere dar. In Kapitel 5.3 wird der Ausbau der Unternehmensfinanzierung im ehemaligen Land Braunschweig dargestellt. Es wird gezeigt, wie die politische Debatte über die wirtschaftlichen Probleme des Zonengrenzlandes die Expansion der Staatsbank begünstigt hat. Zudem wird die Einführung neuer Finanzierungsformen wie dem Exportkredit und dem Investitionskredit erläutert sowie deren Einfluss auf den Wettbewerb um große und mittelstänhttps://doi.org/10.1515/9783110697223-005

5.1 „Auf dem Weg zur Großbank“ 

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dische Industriebetriebe dargestellt. In Kapitel 5.4 wird der Auf- und Ausbau des Sanierungs- und Beteiligungsgeschäftes dargestellt und die große Rolle erläutert, die der politische Aushandlungsprozess dabei gespielt hat. Kapitel 5.5 befasst sich schließlich mit der Expansion der Staatsbank über die Grenzen des ehemaligen Landes Braunschweig hinaus. Es wird dabei gezeigt, wie die Staatsbank für diesen Schritt andere Kreditinstitute nutzte, sich zu diesem Zweck an einer großen Industriebank beteiligte und damit schließlich die Herausforderung der Großbanken durch die Landesbanken auf Bundesebene einleitete. Am Ende dieser Entwicklung stand schließlich eine Bank, auf der Düvel seine Vision der „Banque d’Affaires“ aufbauen konnte.

5.1 „Auf dem Weg zur Großbank“: die wirtschaftliche und organisatorische Expansion der Braunschweigischen Staatsbank in der Bundesrepublik Die Expansion der Braunschweigischen Staatsbank nach der Währungsreform muss einerseits im Kontext der Expansion des westdeutschen Kreditwesens im Allgemeinen und der Expansion der öffentlich-rechtlichen Banken und Sparkassen im Besonderen betrachtet werden. In vielen Bereichen folgte die Bank der allgemeinen Entwicklung, deren wichtigste Merkmale im Folgenden dargestellt werden. In einigen entscheidenden Bereichen wich die Staatsbank jedoch von der Entwicklung ihrer Schwesterinstitute ab. Diese Bereiche trafen wiederum hauptsächlich den Bereich der Unternehmensfinanzierung.

Die Expansion der Staatsbank im Spiegel der Entwicklung des Westdeutschen Kreditwesens Das Wachstum des Finanzsektors seit der Währungsreform war eine der signifikanten volkswirtschaftlichen Entwicklungen in der Bundesrepublik. Das Ausgangsniveau war allerdings durch die Währungsreform vom Juni 1948 nach unten hin verzerrt. Die Reform hatte den gesamten Finanzsektor auf ein historisch gesehen extrem geringes Volumen schrumpfen lassen.948 Die Art der Währungsreform war 948 Die Währungsreform wurde mit den Militärgesetzen Nr. 60 bis 64 umgesetzt. Das Gesetz Nr. 60 vom 20. Juni 1948 gab der BdL das Recht zur Ausgabe von Banknoten. Mit dem Währungsgesetz Nr. 61 vom gleichen Tag wurde die Deutsche Mark als neue Währung eingeführt. Außerdem wurde der später so berühmt gewordene „Kopf-Betrag“ von 60 DM eingeführt. Jeder Einwohner der drei westlichen Besatzungszonen erhielt im Tausch gegen 60 RM als Erstausstattung 60 DM. Unternehmen erhielten 60 DM pro Arbeitnehmer und auch die öffentlichen Haushalte erhielten eine Erstausstattung. Sowohl die Erstausstattungen für die Unternehmen als auch die „Kopf-Beträge“ wurden allerdings auf die umgestellten Guthaben angerechnet. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 124.

270  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

dabei durch die Auswirkungen der „geräuschlosen Kriegsfinanzierung“ vorgegeben. Die Währungsreform musste den Geldüberhang beseitigen und gleichzeitig die Reichsschuld vernichten. Die Banken und Sparkassen waren darauf angewiesen, dass im Fall der Annullierung ihrer Forderungen an das Reich auch die Einlagen der Sparer radikal zusammengestrichen wurden. Guthaben von privaten Unternehmen und Personen wurden im Verhältnis zehn zu eins umgestellt. Durch verschiedene andere Maßnahmen war der tatsächliche Umrechnungskurs jedoch 100 zu 6,5.949 Die Besitzer von Bank- und Sparguthaben waren weitgehend enteignet worden. Mit der Währungsreform bekamen sie die Rechnung für den Krieg präsentiert. Die verschiedenen Arten der Reichsschuld wurden nicht auf Deutsche Mark umgestellt. Sie hatten damit nach der Währungsreform ihre Eigenschaft als direkte Forderungen verloren. Beide Maßnahmen waren als Enteignung der Banken und Sparkassen das Gegenstück zur Enteignung der Privatguthaben. Die Banken erhielten lediglich sogenannte Ausgleichsforderungen zugesprochen, deren Schuldner zunächst die Länder und später die Bundesrepublik waren.950 Das Volumen der Ausgleichs- und Deckungsforderungen lag Ende 1948 im gesamten Bankensektor bei 4,2 Milliarden DM, was 45 % des gesamten Kreditvolumens an Nichtbanken ausmachte. Sie deckten ebenfalls 45 % der gesamten Einlagen von Nichtbanken. Sie wurden in der Regel mit 3 %, maximal mit 4,5 % sehr niedrig verzinst. Die Zinsen für Bank- und Spareinlagen, die bis zur Währungsreform bei null lagen, stiegen 1951 bereits über 3 %, weshalb die Zinsspanne für die Ausgleichsforderungen zu diesem Zeitpunkt negativ wurde.951 Statt wertloser Forderungen standen nun niedrig verzinsliche und zunächst unverkäufliche Forderungen in den Büchern. Weder die Rentabilität noch die Liquidität der Banken hatten sich durch die Währungsreform wesentlich gebessert. Auch die Braunschweigische Staatsbank und die Braunschweigische Landessparkasse waren von der Währungsreform fundamental betroffen. Die Bilanzsumme der Staatsbank schrumpfte durch die Währungsumstellung von 1,1 Milliarden RM auf 45 Millionen DM. Die Einlagen von Staatsbank und Landessparkasse zusammen schrumpften von 990 Millionen RM auf 54,1 Millionen DM, was einer Umrechnungs949 Weil die Kopf-Beträge auf die Guthaben angerechnet wurden, bedeutete dies ein Verlust pro Haushaltsmitglied von 600 RM an Guthaben. Die Betroffenen konnten zudem lediglich über die Hälfte der Beträge frei verfügen, die andere Hälfte wurde zunächst auf ein Sperrkonto gebucht. Das auf diesen Sperrkonten gebuchte Guthaben wurde jedoch im Oktober 1948 zu 70 % annulliert, zu 10 % auf ein weiteres bis 1954 gesperrtes Konto gutgeschrieben. Der Besitzer erhielt lediglich 20 % zurück. 950 Die Geschäftsbanken erhielten als Liquiditätsgrundlage 15 % der Sichtverbindlichkeiten und sieben Prozent der Spareinlagen auf ihren Konten bei den Landeszentralbanken als DM-Einlagen gutgeschrieben. Buchheim, Christoph, Die Errichtung der Bank deutscher Länder und die Währungsreform in Westdeutschland, in: Fünfzig Jahre Deutsche Mark. Notenbank und Währung in Deutschland seit 1948, hrsg. von der Deutschen Bundesbank, München 1998, S. 130 f. 951 Deutsche Bundesbank (Hg.), Deutsches Geld- und Bankwesen in Zahlen 1876–1975, hrsg. von der Deutschen Bundesbank, Frankfurt a. M. 1976, S. 279.

5.1 „Auf dem Weg zur Großbank“ 

271

quote von 5,4 % entsprach.952 Diese Quote lag ziemlich genau auf dem Niveau der Umstellung aller Bank- und Sparguthaben im neuen Währungsraum.953 Dieser stark geschrumpften Summe an Einlagen stand auf der Aktivseite hauptsächlich der Posten Ausgleichsforderungen gegenüber. Die Staatsbank hatte bei der DM-Eröffnungsbilanz 24,8 Millionen DM an Ausgleichsforderungen zugeschrieben bekommen, die Landessparkasse 24,5 Millionen DM, zusammen waren es also etwa 49,3 Millionen DM. Dementsprechend waren direkt nach der Währungsreform 91 % der Bankeinlagen mit Ansprüchen aus diesem Posten gedeckt. Der hohe Anteil der Deckungsforderungen war aufgrund der geringen Verzinsung besonders für die Braunschweigische Landessparkasse problematisch. Die Staatsbank musste nach der Währungsreform bis 1955 insgesamt 2,4 Millionen DM Verluste der Landessparkasse ausgleichen. Die Probleme des Finanzsektors waren weder in Westdeutschland noch in Braunschweig durch die Währungsreform gelöst worden. Die Reform war allerdings eine wichtige Voraussetzung für den folgenden Wirtschaftsaufschwung in der Bundesrepublik. Erst durch das „Wirtschaftswunder“ konnte auch der Finanzsektor die Folgen des Krieges letztlich bewältigen. Seit der Währungsreform wuchs der Finanzsektor wesentlich rasanter als die Gesamtwirtschaft. 1950 hatte das Geschäftsvolumen der Kreditinstitute 39 Milliarden DM erreicht, was 40 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) entsprach. 1969 war der Wert auf 733 Milliarden DM oder 123 % des BIP gestiegen.954 Das Wachstum innerhalb des Kreditwesens war in Bezug auf die einzelnen Bankengruppen uneinheitlich. Die Hypothekenbanken, die in der Zwischenkriegszeit stark an Bedeutung verloren hatten, wuchsen in der Bundesrepublik schneller als alle anderen Institutsgruppen. Ihr Anteil am Geschäftsvolumen lag 1950 bei 6 % und 1970 bei 14 %. Die Sparkassen, die ebenfalls schwerpunktmäßig im langfristigen 952 In der Reichsmarkeröffnungsbilanz waren sogar nur 29,6 Millionen DM ausgewiesen. Dies hatte einen einfachen Grund: Die Spargelder, die als Deckung für die von der Landessparkasse gehaltenen Ausgleichsforderungen dienten, waren aus der Staatsbankbilanz herausgefallen. Die Ausgleichsforderungen hatten 1961 einen Wert von 24,5 Millionen DM. Mit den zur Gegendeckung der Ausgleichsforderungen genutzten Spargeldern erhöhte sich die Summe der Einlagen auf 54,1 Millionen DM. Geschäftsbericht der Braunschweigischen Staatsbank von 1961, S. 10. 953 Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Deutsche Bundesbank (Hg.), Deutsches Geld- und Bankwesen in Zahlen 1876–1975, hrsg. von der Deutschen Bundesbank, Frankfurt a. M. 1976, S. 24. Der Unterschied zu den 6,5 %, die die privaten Besitzer von Bank- und Sparguthaben eigentlich erwarten konnten, ergibt sich aus der Anrechnung der „Kopf-Beträge“ von 60 DM auf das umgestellte Guthaben. Diese Anrechnung ist auch der Grund dafür, dass die Sparkassen einen Umrechnungswert von nur 4,5 % erreichten. Aufgrund der Anrechnung wurden zwei Drittel aller Sparbücher faktisch annulliert. Schulz, Vom Ende des Zweiten Weltkrieges, S. 260. 954 Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Deutsche Bundesbank (Hg.), Deutsches Geld- und Bankwesen, S. 28f; Statistisches Bundesamt, Bruttoinlandsprodukt, Bruttonationaleinkommen, Volkseinkommen. Lange Reihen ab 1925, Ausgabe 2019, Wiesbaden 2020, Online-Ressource, URL: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Volkswirtschaftliche-Gesamtrechnungen-Inlandsprodukt/Tabellen/inlandsprodukt-volkseinkommen1925-pdf.pdf?__blob=publicationFile&v=6 (zuletzt besucht am 13. Mai 2020).

272  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

Kreditgeschäft tätig waren und zudem über den Großteil der Spareinlagen verfügten, konnten ihren Anteil von 20 % auf 23 % steigern. Der Marktanteil der Landesbanken und Girozentralen, die ihrerseits Einlagen der Sparkassen verwalteten und ihnen Schuldverschreibungen verkauften, wuchs von 11 % auf 15,5 %. Dagegen verloren vor allem die Großbanken, die sich auf das kurzfristige Kreditgeschäft spezialisiert hatten, stark an Bedeutung. Ihr Anteil am Geschäftsvolumen sank von fast 20 % auf 10 %. Allerdings weist Ralf Ahrens darauf hin, dass die Hypothekenbanken zum großen Teil den Großbanken gehörten und diese somit indirekt an dem Bauboom partizipierten.955 Die Staatsbank wuchs noch deutlich schneller als das Kreditwesen insgesamt. Ihre Bilanzsumme lag 1950 bereits wieder bei 200 Millionen DM und damit mehr als viermal so hoch wie nach der Währungsreform. Bereits zehn Jahre nach der Währungsreform hatte die Staatsbank das Volumen der Reichsmarkschlussbilanz von 1948 erreicht, mit dem gewichtigen Unterschied, dass hinter den Zahlen nun reale Werte standen. Die Deckungs- und Ausgleichsforderungen machten zu diesem Zeitpunkt weniger als 4 % der Bilanzsumme aus. Die Folgen des Krieges konnten durch das starke Wachstum letztlich problemlos überwunden werden. Die Bilanzsumme stieg bis 1969 auf 5,5 Milliarden DM, die Bilanz hatte sich also um mehr als den Faktor 28 erhöht.956 Zum Vergleich: Das Geschäftsvolumen der Landesbanken und Girozentralen hatte sich im gleichen Zeitraum um den Faktor 24 erhöht, das der Sparkassen um den Faktor 21 und das der Großbanken sogar nicht einmal um den Faktor 10.957 Nur die Hypothekenbanken waren in dieser Zeit noch stärker gewachsen als die Staatbank. Das Wachstum des westdeutschen Kreditwesens war getrieben von stark steigenden Bankeinlagen. Aus der konsolidierten Bilanz des Bankensystems (ohne den Interbankenverkehr) machten die inländischen Kreditoren 1950 knapp 50 %, 1969 bereits 70 % aller Passiva aus. Bei den verschiedenen Formen der Einlagen gab es eine deutliche Verschiebung der Anteile von Sichtguthaben auf Spareinlagen und Terminguthaben. Besonders die Spareinlagen entwickelten sich stark. Ihr Anteil an den gesamten Kreditoren stieg von 19 % im Jahr 1950 auf 47 % 1969. Bei den privaten und gewerblichen Einlagen wuchs der Anteil von 27 % im Jahr 1950 auf 61 % im Jahr 1969.

955 Ahrens, Kreditwirtschaft, S. 123. 956 Hier und im Folgenden: Eigene Berechnungen auf Grundlage der Bilanzen der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge, in: Eigene Berechnungen auf Grundlage des Bilanzbuchs Braunschweigische Staatsbank von 1948–1970, NWA 8, Nr. 1571. 957 Deutsche Bundesbank (Hg.), Deutsches Geld- und Bankwesen, S. 166, 174–177.

5.1 „Auf dem Weg zur Großbank“

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Abb. 4: Die Entwicklung der Bilanzsummen verschiedener Bankengruppen Quelle: Bilanz Braunschweigische Staatsbank von 1948–1970, NWA 8, Nr. 1571; Deutsches Geldund Bankwesen in Zahlen 1876–1975, hrsg. von der Deutschen Bundesbank, Frankfurt a. M. 1976, S. 166f, 174f, 177 f.

Die Einlagenentwicklung der Staatsbank wich deutlich von diesen Entwicklungen ab. Die Spareinlagen der Staatsbank und der Landessparkasse blieben über den gesamten Zeitraum hinweg gegenüber dem übrigen Sparkassenwesen in Niedersachsen und Deutschland deutlich zurück. 1950 ermittelte die Staatsbank für ihren Geschäftsbereich eine Pro-Kopf-Quote von 36 DM, für Niedersachsen insgesamt von 49 DM und in der Bundesrepublik von 56 DM.958 1966 lagen die Quoten im Bund und in Niedersachsen (ohne Braunschweig) bei jeweils 1200 DM, in Braunschweig jedoch nur bei 842 DM.959 Obwohl die Landessparkasse 1969 über 1,1 Milliarden DM an Spareinlagen verfügte, war ihr Beitrag zur Finanzierung des Kreditgeschäftes wesentlich geringer als etwa im übrigen Niedersachsen. Die dortigen Sparkassen konnten zusammen mit der Niedersächsischen Landesbank mit den ihnen zur Verfügung stehenden Spareinlagen 1966 88 % ihres Kreditgeschäftes mit privaten Nichtbanken tätigen. Für die Braunschweigische Staatsbank lag die Quote mit 41,4 % sogar noch unter dem allgemeinen Durchschnitt aller Banken in Niedersachsen.960 Das Wachs958 Braunschweigische Staatsbank, Direktorium an die Industrie- und Handelskammer, 12. Dezember 1950, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 278. 959 Protokoll der 89. Sitzung des Beirates vom 1. April 1966, Anlage 8, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 1113. 960 Der Durchschnitt aller Banken lag bei 47,9 % Da das Volumen der Spareinlagen für März 1966 nicht vorlag, wurde das Volumen von Ende 1965 als Basis genommen und an die Steigerungsrate bei den Spareinlagen in Niedersachsen für die ersten drei Monate angepasst. So ergab sich ein Volumen von 748,1 Millionen DM.

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tum der Staatsbank basierte also nicht wie im Sparkassensektor auf der Verfügbarkeit von Spareinlagen. Im langfristigen Geschäft wurden die fehlenden Spareinlagen der Staatsbank zunächst hauptsächlich durch langfristig aufgenommene Darlehen kompensiert, die fast ausschließlich von staatlichen Stellen gewährt wurden. Die Bedeutung dieser staatlichen Kredite war für die Staatsbank größer als für das westdeutsche Kreditwesen insgesamt. Auf Bundesebene zog sich der Staat, der nach der Währungsreform eine große Rolle bei der Refinanzierung der Banken gespielt hatte, als Kapitalanbieter zurück. Allerdings sank seine Bedeutung auch hier nur geringfügig. Der Anteil der öffentlichen Haushalte an den Kreditoren lag 1950 bei 31 %, 1969 bei 26 %. Ab Ende der 1950er Jahre ersetzten zunehmend Pfandbriefe, Kommunalobligationen und Kassen-Obligationen die Darlehen als Refinanzierungsbasis. Da die Politik nach der Währungsreform die Prioritäten bei der Verwendung des noch sehr knappen Kapitals bestimmen wollte, war der Verkauf dieser Schuldverschreibungen bis in die zweite Hälfte der 1950er Jahre sowohl vom Emissionsvolumen als auch vom Zins her staatlich reglementiert, was diese Papiere unattraktiv für private Investoren machte.961 Nachdem bis Mitte der 1950er Jahre mangels privater Nachfrage zunächst der Staat selbst als Käufer dieser Papiere in Erscheinung getreten war, lösten ihn die Kreditinstitute mit der schrittweisen Liberalisierung des Kapitalmarktes langsam als Hauptabnehmer ab.962 In der Folge stiegen Pfandbriefe und Kommunalobligationen im Wirtschaftswunder zu den mit Abstand wichtigsten Kapitalmarktpapie961 Unter dem von 1949 bis 1953 gültigen Kapitalverkehrsgesetz war der Kapitalmarkt voll in die staatliche Investitionslenkung eingebunden. Der für die Koordination der Emissionen eingerichtete Kapitalverkehrsausschuss legte sowohl das Volumen der Wertpapieremissionen als auch die Höhe der Zinssätze fest. Weil der dort festgelegte Zins viel geringer als der potentielle Marktzins war, fanden sich kaum private Käufer für die Pfandbriefe und Kommunalobligationen Vgl. zur Frage der Emissionskontrolle und des Zinsniveaus: Beckers, Thorsten, Kapitalmarktpolitik im Wiederaufbau. Der westdeutsche Wertpapiermarkt zwischen Staat und Wirtschaft 1945–1957, Stuttgart 2014, S. 190–222. 962 Öffentliche Stellen waren in den Jahren 1951 und 1952 für über 75 % der Pfandbriefkäufe verantwortlich. Ebenda, Anhang, Tabelle 3, S. 440. Durch verschiedene deregulierende und Fördermaßnahmen versuchte der Staat in den folgenden Jahren, den privaten Kapitalmarkt in Gang zu setzen. Das 1952 in Kraft getretene Kapitalmarktförderungsgesetz befreite einen Teil der festverzinslichen Wertpapiere von der Kapitalertragssteuer. Dazu gehörten Pfandbriefe, deren Erlös dem sozialen Wohnungsbau zugutekam, sowie öffentliche Anleihen. Dadurch wurden sie für körperschaftspflichtige Unternehmen so attraktiv, dass zum ersten Mal nach der Währungsreform private Käufer einen wichtigen Teil der Nachfrage ausmachten. 1954 erwarben Banken und Unternehmen zusammen 50 % der Pfandbriefemission. Ebenda, S. 303. Der Markt geriet jedoch bereits 1955 in eine tiefe Krise, die durch eine restriktive Zinspolitik ausgelöst wurde. Die große Krise kam durch den Übergang zur restriktiven Geldpolitik in der zweiten Jahreshälfte 1955. Während die Industrieunternehmen sich der Marktlage anpassten und die Zinsen für ihre Obligationen auf 8 % erhöhten, versuchten die Pfandbriefemittenten, durch eine vorübergehende vollständige Einstellung der Emissionen, das Angebot der schwächeren Nachfrage anzupassen. Borchardt, Knut, Realkredit- und Pfandbriefmarkt im Wandel von 100 Jahren. 100 Jahre Hypothekenbank, Frankfurt am Main 1971, S. 105–196, S. 167.

5.1 „Auf dem Weg zur Großbank“ 

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ren im westdeutschen Kreditwesen auf. Von 1950 bis 1969 konnten die Banken insgesamt ein Volumen 130 Milliarden DM absetzen. Bei der Staatsbank spielten diese Wertpapiere eine zentrale Rolle bei der Refinanzierung des langfristigen Kreditgeschäftes. Im Jahr 1950 waren die Hypothekarkredite des Instituts zu 24 % mit Pfandbriefen gedeckt, Kommunaldarlehen zu 70 % mit Kommunalschuldverschreibungen. 1969 waren die Hypothekenkredite dagegen zu 77 % gedeckt. Die Kommunaldarlehen wurden sogar zu 95 % durch Bankschuldverschreibungen gedeckt. Weil die Staatsbank ihr langfristiges Kreditgeschäft größtenteils über den Kapitalmarkt refinanzierte, konnte sie die Bankeinlagen für das kurzfristige Kreditgeschäft nutzen. Der Markt für Bankschuldverschreibungen nahm in Westdeutschland die Gestalt eines Interbankenmarktes an. Das Nominalvolumen aller festverzinslichen Wertpapiere lag 1969 bei 143 Milliarden DM, wovon die Hälfte von Kreditinstituten gehalten wurde, ein weiterer substantieller Teil von Versicherungen.963 Das große Volumen der von Banken gehaltenen Bankschuldverschreibungen war ein wichtiger Faktor für den Bedeutungsgewinn des Interbankenmarktes. Das Volumen der finanziellen Verflechtungen zwischen den Kreditinstituten lag 1950 bei 17 % der Bilanzsumme der Kreditinstitute. 1969 lag der Anteil bei 27 %. Bei der Staatsbank gewann der Interbankenverkehr erst nach 1965 deutlich an Bedeutung. Die Ausleihungen an Banken stiegen in dem kurzen Zeitraum von 1965 bis 1968 um 154 %, ihr Anteil an der Bilanzsumme stieg von 8 % auf 13 %.964 In der Bundesrepublik wuchs das Interbankengeschäft dagegen im gleichen Zeitraum nur um 66 % ebenso wie das der Sparkassen. Bei den Girokassen waren es 109 %.965 Im Jahr 1969 sank der Anteil der Ausleihungen an Banken an der Bilanzsumme bei der Staatsbank wieder auf 11 % ab. Insgesamt war das Interbankengeschäft wesentlich volatiler als das Nichtbankengeschäft. Wie in Kapitel 5.5 gezeigt wird, war der tatsächliche Anteil des Interbankengeschäftes deutlich größer, weil über andere Banken vergebene Kredite an Unternehmen als Nichtbankengeschäft gezählt wurden. Im Kreditgeschäft der westdeutschen Banken und Sparkassen war die Verschiebung vom kurzfristigen auf das langfristige Geschäft das auffälligste Merkmal. Das Volumen langfristiger Kredite (Hypotheken, Kommunalkredite und andere langfristige Ausleihungen) an inländische Nichtbanken lag 1950 mit 14 Milliarden DM etwa

963 Private Haushalte waren nur mit 14,4 % beteiligt. Borchardt betont den großen Unterschied zwischen den Kapitalmarktverhältnissen in den 1960er Jahren und der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Vor 1914 war der Kapitalmarkt ein Publikumsgeschäft, oder ein „Kleinhandelsmarkt“. In der Bundesrepublik war er dagegen ein „Großhandelsmarkt“. Borchardt, Pfandbriefmarkt, S. 174. 964 Eigene Berechnungen nach: Geschäftsberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge, Geschäftsberichte der Landeszentralbank in Niedersachsen, verschiedene Jahrgänge. 965 Deutsche Bundesbank (Hg.), Deutsches Geld- und Bankwesen, S. 136, 164, 174, 176.

276  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

auf dem Niveau der kurzfristigen Kredite.966 1965 lagen die langfristigen Ausleihungen bei 237,5 Milliarden DM und damit weit über den 69 Milliarden DM an kurzfristigen Krediten. Die starke Expansion des langfristigen Kredits ist hauptsächlich ein Ausdruck des Wiederaufbaus, also des Wohnungsbaus und der Investitionen in die Infrastruktur. 1969, am Ende des großen Baubooms, hatten die Kreditinstitute insgesamt 146 Milliarden DM an nichtstaatliche Kreditnehmer für den Wohnungsbau vergeben. Dies waren 40 % des gesamten Kreditvolumens an private Nichtbanken. Bei den langfristigen Ausleihungen lag der Anteil sogar bei 59 %. Im Vergleich der einzelnen Bankengruppen führte diese Entwicklung zu einer Verschiebung der Marktanteile zugunsten der Anbieter langfristiger Kredite. Dieser Effekt kann anhand von Zahlen für das Land Niedersachsen besonders anschaulich gemacht werden. Der Marktanteil der Sparkassen und der Landesbank im Kredit an private Nichtbanken stieg von 33,6 % im Jahr 1953 auf 36,2 % 1966, was einem Wachstum des Marktanteils von 7,7 % entspricht. Der Marktanteil an den kurzfristigen Krediten ging jedoch von 29,1 % im Jahr 1950 auf 23,2 % im Jahr 1966 deutlich zurück.967 Im langfristigen Geschäft verringerte sich der Marktanteil der Sparkassenorganisation ebenfalls von 51,2 % im Jahr 1953 auf 41 % im Jahr 1966.968 Für den Sparkassensektor in Niedersachsen ergab sich demnach die paradoxe Situation, dass die Institute sowohl im kurzfristigen als auch im langfristigen Kreditsegment Marktanteile abgeben mussten, insgesamt jedoch Marktanteile hinzugewannen. Dies war ein wichtiger Effekt des Wandels der Fristenstruktur im Kreditwesen Westdeutschlands.969 Bei der Braunschweigischen Staatsbank verlief die Entwicklung jedoch anders. In Niedersachsen hatte sie 1953 einen Gesamt-Marktanteil am Kredit an private Nichtbanken von 7,4 %. 1966 lag der Marktanteil bei 8,7 %. Sie konnte ihren Marktanteil also um 17,6 % steigern. Im langfristigen Kreditgeschäft hatte das Institut 1953 966 Allerdings waren 6,6 Milliarden DM der langfristigen Kredite Ausgleichs- und Deckungsforderungen, also im Wesentlichen Altlasten der Kriegsfinanzierung. 967 Der Rückgang erfolgte vor allem in der ersten Hälfte der 1950er Jahre. So stürzte er in nur zwei Jahren auf unter 20 % und lag 1953 bei 22,3 %. Somit ist zwischen 1953 und 1966 ein leichter Marktanteilsgewinn zu konstatieren. 1966 überholten die Sparkassen in Niedersachsen erstmals die Großbanken beim Volumen der kurzfristigen Kredite. Die Zahlen für die gesamte Kreditvergabe inklusive des Interbankenmarktes wurden auf Landesebene leider nicht ausgewiesen. Auf Bundesebene ist der Anteil des Sparkassensektors am gesamten kurzfristigen Geschäft ebenfalls zurückgegangen. Deutscher Bundestag, Drucksache 05/3500, Bericht der Bundesregierung über die Untersuchung der Wettbewerbsverschiebungen im Kreditgewerbe und über eine Einlagensicherung vom 18. November 1968, Tabellenanhang, S. 195, 205, Parlamentsdokumentation online, URL: http://dipbt. bundestag.de/doc/btd/05/035/0503500.pdf (zuletzt besucht am 13.5.2020). 968 Dies lag vor allem an der starken Entwicklung der öffentlichen und privaten Hypothekenbanken, deren Marktanteil im mittel- und langfristigen Kreditmarkt im selben Zeitraum von 24,7 % auf mindestens 37,4 % zugenommen hatte. 969 Auf diese Tatsache wurde im Untersuchungsbericht der Bundesregierung von 1968 hingewiesen. Deutscher Bundestag, Bericht der Bundesregierung über die Untersuchung der Wettbewerbsverschiebungen, S. 27.

5.1 „Auf dem Weg zur Großbank“ 

277

einen Marktanteil in Niedersachsen von 9,3 %.970 Diesen Marktanteil konnte sie bis 1966 halten.971 Ihren Marktanteil im kurzfristigen Geschäft in Niedersachsen konnte sie hingegen deutlich ausbauen. 1950 lag er bei 7,8 %, 1966 bei 8,4 %. Im Gegensatz zur Sparkassenorganisation profitierte die Staatsbank also nicht nur vom Strukturwandel im Kreditwesen. Sie gewann insbesondere im kurzfristigen Kreditgeschäft, das bei der Unternehmensfinanzierung eine zentrale Rolle spielte, neue Marktanteile dazu. Tab. 18: Marktanteile am Kreditgeschäft in Niedersachsen Jahr

Staatsbank

Sparkassen

Gesamt

kurzfristig*

langfristig

Gesamt

kurzfristig*

Langfristig

1953

7,4 %

7,8 %

9,7 %

33,6 %

29,1 %

51,2 %

1966

8,7 %

8,4 %

9,2 %

36,2 %

23,2 %

41,0 %

* Zahlen in der ersten Zeile für das Jahr 1950. Quelle: Eigene Berechnungen nach: Geschäftsbericht der Braunschweigischen Staatsbank der Jahre 1953 und 1966; Protokoll der 85. Beiratssitzung am 11. Juli 1966, S. 6, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 113; Geschäftsberichte der Landeszentralbank von Niedersachsen für die Jahre 1953 und 1966.

Für die Staatsbank war das langfristige Kreditgeschäft bis Mitte der 1960er Jahre ebenfalls der zentrale Faktor des Wachstums. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre verlor das Geschäft jedoch deutlich an Bedeutung. 1950 hatte das langfristige Geschäft 47 % ausgemacht.972 1965 lag ihr Anteil bei 64 % der Bilanzsumme, 1969 ging es wieder auf 50 % zurück. Getragen wurde die Entwicklung bis 1965 im Wesentlichen durch den Wohnungsbau. Der Anteil der Hypothekenausleihungen an der Bilanzsumme wuchs von 25 % im Jahr 1950 auf 32 % im Jahr 1965. Danach stagnierte das Hypothekengeschäft jedoch. Der Anteil an der Bilanzsumme ging folglich bis 1969 deutlich auf 20 % zurück. Ähnlich ist diese Entwicklung bei den „Durchlaufenden Krediten und Treuhandgeschäften“ zu beobachten. Dieser Bilanzposten beinhaltete im Wesentlichen die von der Staatsbank vermittelten staatlichen Gelder für den sozialen Wohnungsbau. 1950 lag der Anteil dieses Postens an der Bilanzsumme bei 6 %. Auf dem Höhepunkt 1958 machte der Posten 15 % der Bilanzsumme aus,

970 Im langfristigen Geschäft wurde das Jahr 1953 als Basisjahr genommen, weil für den Sparkassensektor (Sparkassen und Girozentrale) in der Statistik der Landeszentralbank erst seit 1953 Marktanteile ausgewiesen wurden. 971 Das langfristige Geschäft beinhaltete auch die sogenannten Treuhandkredite, die die Banken aus den staatlichen Fördertöpfen lediglich vermittelten. Die Staatsbank hatte 1966 415,5 Millionen DM an Krediten weitergereicht, während in Niedersachsen insgesamt 4.016,5 Millionen DM solcher Kredite vergeben worden waren. Der Marktanteil der Staatsbank lag hier bei 10,3 %. Er war jedoch 1953 mit 12,6 % noch höher. 972 Hier wurden die Deckungs- und Ausgleichsforderungen miteinbezogen.

278  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

1969 jedoch nur noch knapp 8 %. Der Wohnungsbau verlor also in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre deutlich an Bedeutung. Dieser Bedeutungsverlust ereignete sich nicht nur bei der Staatsbank, sondern im gesamten westdeutschen Kreditwesen. Stattdessen machten 1969 erstmals Ausleihungen an Unternehmen und wirtschaftlich selbstständige Privatpersonen mehr als die Hälfte aller Kredite an private Nichtbanken aus.973 Auch hier hatten die mittel- und langfristigen Kredite ein leicht größeres Volumen als die kurzfristigen. Bei der Staatsbank spielten mittel- und langfristige Kredite im Bereich der Unternehmensfinanzierung ebenfalls eine bedeutende Rolle, wenn auch nicht ganz so groß wie im deutschen Kreditwesen insgesamt. Im Bereich der mittel- und langfristigen Finanzierungen etablierte sich das Institut vor allem als Anbieter von Investitionskrediten. Das Volumen dieser Kredite wuchs von 13,7 Millionen DM 1950 auf 371 Millionen DM 1969. Der Anteil an der Bilanzsumme war Anfang der 1950er Jahre besonders hoch, sank danach deutlich ab und lag in den 1960er Jahren konstant bei 6 %. Die große Bedeutung am Beginn der 1950er Jahre ist auf die Beteiligung der Staatsbank an den von der Kreditanstalt für Wiederaufbau aufgelegten staatlichen Förderprogrammen zurückzuführen. Den Großteil der Unternehmensfinanzierung leistete die Staatsbank jedoch in Form kurzfristiger Kredite. Der Anteil dieses Geschäftes ging zwar bis 1965 kontinuierlich zurück. Dann jedoch stieg der Anteil wieder deutlich an. Wie oben gesagt, expandierte die Staatsbank hier stärker als die anderen Banken in Niedersachsen und konnte hier folglich Marktanteile hinzugewinnen. Die kurzfristigen und langfristigen Bankkredite lösten in Westdeutschland in den 1960er Jahren in erster Linie die Selbstfinanzierung der Unternehmen ab.974 Dagegen blieb die Bedeutung der Unternehmensfinanzierung über den Kapitalmarkt gering. Das Volumen der Industrieobligationen lag 1969 bei lediglich 7,5 Milliarden DM. Insgesamt wurden von 1950 bis 1969 Industrieobligationen im Bruttowert von 12,6 Milliarden DM verkauft. Auch der Aktienmarkt blieb gegenüber den mittel- und langfristigen Bankkrediten zurück. Von 1950 bis 1969 konnten die Aktiengesellschaften brutto insgesamt 35,8 Milliarden DM erwirtschafteten, wenn man die Emissionskurse zugrunde legt.975 Dass der Kapitalmarkt für die Unternehmen relativ wenig zu bieten hatte, lag zum Teil an einer diskriminierenden Steuergesetzgebung. Die Doppelbesteuerung von ausgeschütteten Gewinnen von Aktiengesellschaften, bei denen vom Unternehmen die Körperschaftssteuer und beim Besitzer die Einkommens973 Eigene Berechnungen auf Grundlage von: Deutsche Bundesbank (Hg.), Deutsches Geld- und Bankwesen, S. 156. Das Volumen des Wohnungsbaus durch die Unternehmen wurde ebenso wie das der wirtschaftlich unselbstständigen und der Organisationen ohne Erwerbszweck den Zahlen des Wohnungsbaus zugeschlagen. 974 Dies gilt zumindest für die Industrieaktiengesellschaften. Sattler, Friederike, Unternehmensfinanzierung im „Rheinischen Kapitalismus“, in: Hockerts, Günter; Schulz, Günther (Hg.), Der „Rheinische Kapitalismus“ in der Ära Adenauer, Paderborn 2016, S. 143–166, S. 162 f. 975 Eigene Berechnungen auf Basis von: Deutsche Bundesbank (Hg.), Deutsches Geld- und Bankwesen, S. 302, 306.

5.1 „Auf dem Weg zur Großbank“ 

279

steuer abgezogen wurde, machte Gewinnausschüttungen für beide Seiten unattraktiv.976 Eine Ausnahme war das sogenannte Schachtelprivileg, das strategische Investoren, die mindestens 25 % des Aktienvolumens einer Gesellschaft hielten, von der Versteuerung des Gewinns teilweise befreite. Dadurch wurde es insbesondere für Kapitalgesellschaften attraktiv, große Anteile an anderen Kapitalgesellschaften zu halten. Dieser steuerliche Anreiz trug mit zur Stabilität der Kapitalverflechtungen bei, die unter dem Begriff „Deutschland AG“ zusammengefasst wurden.977 Wie unten gezeigt wird, beteiligte sich auch die Braunschweigische Staatsbank in bedeutendem Umfang an Industrieunternehmen, allerdings fast ausschließlich innerhalb der Region Braunschweig. Zusammenfassend expandierte die Staatsbank schneller als die meisten anderen Banken, wobei ihr Wachstum nicht allein dem allgemeinen Trend zum langfristigen Kredit geschuldet war. Vielmehr wuchs sie gerade im Bereich des kurzfristigen Kredits, während die anderen öffentlichen Banken dort Marktanteile verloren. Die große Bedeutung, die die Unternehmensfinanzierung für die Braunschweigische Staatsbank in der Zeit des Wirtschaftswunders besaß, war daher im Bereich des öffentlichen Bankwesens in Westdeutschland ungewöhnlich.

Die Entwicklung des Eigenkapitals und der Rentabilität der Staatsbank Die finanziellen Beziehungen zum staatlichen Träger unterschieden sich in der Zeit nach der Währungsreform fundamental von der Zeit vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Während die Altlasten der Reichsfinanzierung in Form der Ausgleichsforderungen die Bilanz der Staatsbank Anfang der 1950er Jahre noch belasteten, spielte die Neufinanzierung des Staates nur eine untergeordnete Rolle. 1950 hatte die Staatsbank an staatliche Stellen fünf Millionen DM an kurzfristigen und 8,4 Millionen DM an langfristigen Krediten und Schatzwechseln vergeben, was einem Anteil von 7 % der Bilanzsumme entsprach. Im Laufe der 1960er Jahre gewann diese Aufgabe für die Staatsbank wieder eine etwas größere Bedeutung. 1966 hatte die Staatsbank an staatliche Stellen kurzfristige Kredite über 45 Millionen DM und langfristige Kredite über 381 Millionen DM vergeben. Dazu kamen noch 57 Millionen DM an staatlichen Wertpapieren, insgesamt also 483 Millionen DM, die 14 % der Bilanzsumme ausmachten. Damit hatte sich der Anteil der Finanzierung staatlicher Stellen verdoppelt. Im Vergleich zu der Beanspruchung durch das Land Braunschweig und das Reich in den 1920er und 1930er Jahren blieb der Anteil der staatlichen Kredite jedoch gering. Anders als in den Jahrzehnten vorher spielte die Finanzierung des Staates für die Staatsbank nach der Währungsreform keine dominante Rolle. 976 Sattler, Unternehmensfinanzierung, S. 152. 977 Vgl. zu diesem Zusammenhang Gehlen, Boris, Aktienrecht und Unternehmenskontrolle. Normative Vorgaben und unternehmerische Praxis in der Hochphase der Deutschland AG, in: Ahrens; Gehlen; Reckendrees (Hg.), Deutschland AG, S. 165–194.

280  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

Tab. 19: Eigenkapital der Braunschweigischen Staatsbank (in Millionen DM) Jahr

Bilanzsumme

Grundkapital

Rücklagen

Eigenkapital

Eigenkapitalquote

1956

912

10

4

14

1,58 %

1957

1077

10

7

17

1,60 %

1958

1279

10

10

20

1,53 %

1959

1430

20

3

23

1,61 %

1960

1628

24

4

28

1,71 %

1961

1993

24

9

33

1,65 %

1962

2220

24

14

38

1,70 %

1963

2489

24

19

43

1,74 %

1964

2883

34

26

60

2,08 %

1965

3309

40

30

70

2,12 %

1966

3710

50

50

100

2,70 %

1967

4241

50

110

160

3,77 %

1968

4998

50

120

170

3,40 %

1969

5549

50

150

200

3,60 %

Quelle: Eigene Berechnungen auf Grundlage der Bilanzen der Staatsbank, verschiedene Jahrgänge, in: Bilanz Braunschweigische Staatsbank 1948–1970, in: NWA 8, Nr. 1571.

Wie aus den vorherigen Kapiteln hervorging, war die Eigenkapitalausstattung der Staatsbank traditionell schwach. In den 1920er und 1930er Jahren verhinderten die miserable finanzielle Lage des Landes Braunschweig sowie fragwürdige politische Experimente der Landesregierung jeden Versuch der Bank, Kapital zu akkumulieren. Dies änderte sich zunächst auch nicht, als die Bank in den Besitz Niedersachsens überging. Die Staatsbank hatte seit der Kapitalerhöhung von 1934 ein Grundkapital von zehn Millionen RM besessen. Nach der Währungsreform verpflichtete sich das Land Niedersachsen, das auf etwa drei Millionen DM geschrumpfte Grundkapital wieder auf zehn Millionen DM zu erhöhen. Diese Maßnahme wurde 1951 durchgeführt, allerdings nur in Form der Eintragung einer Forderung der Staatsbank über 6,8 Millionen DM an das Land Niedersachsen, die durch die Rückführung der von der Staatsbank ausgeschütteten Gewinne getilgt wurde. Die Staatsbank musste ihr Eigenkapital also wie schon in den 1920er Jahren selbst verdienen. Erst 1959 war die Forderung durch die Gewinne voll abgedeckt, was im Wesentlichen auf eine Ertragsschwäche der Staatsbank Mitte der 1950er Jahre zurückzuführen war.978 Trotz der 978 Der Gewinn der Staatsbank (Reingewinn und Zuführung zu den Rücklagen) war zwischen 1952 und 1955 nur um 27 % gestiegen, allerdings von einem im Vergleich zu anderen Banken sehr hohen Niveau aus. Bei den Landesbanken und Girozentralen aber auch bei den Großbanken hatten sich die Gewinne in dem Zeitraum mindestens verdoppelt, größtenteils verfünffacht und waren teilweise um über das zehnfache gestiegen. Als Konsequenz daraus war die Staatsbank bei einem Vergleich der Rentabilität von 16 öffentlichen und privaten Banken (gemessen in Gewinn und Rücklagenzu-

5.1 „Auf dem Weg zur Großbank“ 

281

Aufstockung reichte das Kapital schon wenige Jahre später nicht mehr aus. Die Expansion der Staatsbank in allen Bereichen übte einen immer weiter steigenden Druck auf ihre Eigenkapitalausstattung aus, die mit dem Wachstum der fremden Gelder nicht mithalten konnte. Das Eigenkapital machte 1955 nur noch ein Prozent der Bilanzsumme aus. 1959 sah sich das Land Niedersachsen gezwungen, das Grundkapital auf 20 Millionen DM heraufzusetzen, doch zahlte das Ministerium real wiederum keinen Pfennig. Von den zehn Millionen DM waren 7,7 Millionen DM umdeklarierte Rücklagen der Staatsbank, die zuvor aus Gewinnen gebildet wurden. 2,3 Millionen wurden dem Gewinn des Jahres 1959 entnommen. Damit hatte die Staatsbank auch diese Kapitalerhöhung selbst erwirtschaftet.979 Mit dieser Regelung setzte sich die Praxis der Thesaurierung des Gewinns faktisch durch. Die Landesregierung lehnte zwar eine formale Regelung zur Thesaurierung der Gewinne ab, stimmte jedoch jedes Jahr aufs Neue der Verwendung des gesamten Gewinns für die Erhöhung der Rücklagen zu. Eine von der Bank in Aussicht gestellte spätere Gewinnausschüttung wurde durch das Bilanzwachstum der Staatsbank und die neuen gesetzlichen Eigenkapitalanforderungen konterkariert. Die Bundesbank änderte 1964 mit den Kreditrichtsätzen zu dem am 1. Januar 1962 novellierten Kreditwesengesetz die Anforderungen für das Eigenkapital. Demnach durften die Kredite an Privatpersonen, Unternehmen und Kreditinstitute sowie die Beteiligungen das 19fache Volumen des Eigenkapitals nicht überschreiten. Neu und für die Staatsbank hoch problematisch war an der Regelung, dass nun auch Hypotheken, die vorher nicht zählten, zur Hälfte des Wertes angerechnet wurden. Damit erfüllte die Staatsbank die Mindestanforderungen nicht mehr. Im April 1964 führte das Land Niedersachsen das erste und einzige Mal in der Geschichte der Staatsbank eine echte Kapitalerhöhung über zehn Millionen DM durch. Auch wenn Präsident Nickel diese Summe als unzureichend erachtete, war sie doch ein Zeichen des Bemühens der Landesregierung um eine bessere Ausstattung ihres Instituts.980 Viel wichtiger war allerdings, dass die Thesaurierung der Gewinne nun zunächst stillschweigend vom Ministerium als Dauerzustand akzeptiert wurde. Statt das Geld aus den Rücklagen auszuschütten, wandelte die Staatsbank die Rücklagen in regelmäßigen Abständen in Grundkapital um. Das Direktorium der Staatsbank garantierte dem Ministerium 1963, dass die Staatsbank genug Gewinne erwirtschaften könne, um das Wachstum ihres Geschäftsvolumens mit dem gesetzlich geforderten Eigenkapital abzusichern. Der Staat musste dann zwar auf Gewinnausschüttungen verzichten, brauchte jedoch auch kein zusätzliches Kapital mehr einbringen.981 1964 musste die Staatsbankführung allerdings zugeben, dass die Gewinnerzielung nicht ausreichte, um die gesetzlichen Anforderungen zur Eigenkapitalausstattung zu erfüllen. Das Land weigerte führung im Verhältnis zur Bilanzsumme) vom ersten auf den zwölften Rang zurückgefallen. Gewinne von Banken, handschriftl. Zusammenstellung ohne Datum, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 278. 979 Protokoll der 73. Beiratssitzung vom 29. Juni 1960, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 107. 980 Protokoll der 81. Beiratssitzung vom 18. Juni 1964, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 112. 981 Protokoll der 79. Beiratssitzung am 2. April 1963, S. 11, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 112.

282  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

sich in diesem Fall jedoch, für 1965 weiteres Kapital zuzuschießen.982 Damit blieb die Eigenkapitalsituation der Staatsbank weiterhin angespannt, bis die Staatsbankführung 1967 einen Ausweg fand. Die Braunschweigische Landessparkasse hatte laut Staatsbankgesetz als eigene Rücklage einen Sparfonds zu bilden. In diesen hatte sie ihre Gewinne so lange einzuzahlen, bis dieser 5 % der Spareinlagen erreichte. Erst wenn dieser Umstand erfüllt war, schüttete sie ihren Gewinn an die Staatsbank aus. Der Sparfonds wurde von der Landessparkasse selbst verwaltet und tauchte auch nicht in der Bilanz der Staatsbank auf.983 Diese Trennung des Eigenkapitals war als Garantie der Selbstständigkeit der Landessparkasse gedacht, wirtschaftlich jedoch aufgrund der Einheit von Staatsbank und Landessparkasse unsinnig.984 Die Überführung des Sparfonds der Landessparkasse zur Staatsbank wurde 1967 durchgeführt und dieser dadurch Eigenkapital in Höhe von 44,5 Millionen DM zugeführt. Die Bank hatte nun 160 Millionen DM eigene Mittel.985 Damit sprang die Eigenkapitalquote von 2,7 % 1966 auf 3,7 % im Jahr 1967. Die Staatsbank war damit die bei weitem am besten ausgestattete Landesbank. Andere Landesbanken wiesen 1968 im Schnitt eine Eigenkapitalquote von 2,2 % aus.986 Bei der (zu dem Zeitpunkt noch nicht fusionierten) West LB lag die Eigenkapitalquote bei 3 %, die Niedersächsische Landesbank hatte eine Quote von 2,3 % und die Helaba nur von 1,8 %.987 Die Staatsbank lag beim Verhältnis des Eigenkapitals zur Bilanzsumme nach der Operation mit dem Sparfonds etwa im Bereich der sogenannten gemischten Hypothekenbanken wie der Bayrischen Vereinsbank.988 Der Grund dafür, dass die Staatsbank ein höheres Eigenkapital als ihre Schwesterinstitute erwirtschaften konnte, lag daran, dass sie höhere Gewinne erzielte. Nach dem Gutachten eines unabhängigen Revisionsunternehmens erwirtschaftete die Staatsbank 1969 mehr Gewinn als die Niedersächsische Landesbank und alle Sparkassen in Niedersachsen zusammen. Die Niedersächsische Landesregierung schätzte daher den Marktwert der Staatsbank 1969 mit 372 Millionen DM höher ein als den der Niedersächsischen Landesbank mit 323 Millionen DM, obwohl Letztere von der

982 Protokoll der 81. Beiratssitzung vom 18. Juni 1964, S. 9, 11, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 112. 983 StBG von 1929, § 46, Abs. 2, S. 33. 984 Für die Gelder der Sparkasse bestand kein Risiko, das die Bildung eines Reservefonds hätte rechtfertigen können, weil diese ja sämtlich bei der Staatsbank angelegt wurden. Im Binnenverhältnis zwischen Staatsbank und Landessparkasse konnten Verluste jedoch nicht entstehen. Das eigentliche Risiko der Spargelder trug die Staatsbank und deshalb war es auch sinnvoll, den Sparfonds bei der Staatsbank zu bilden. 985 Geschäftsbericht für das Geschäftsjahr 1967 der Braunschweigischen Staatsbank, S. 9. 986 Mülhaupt, Ludwig, Strukturwandlungen im westdeutschen Bankwesen, Wiesbaden 1971, S. 118 f. 987 „Grundsätzliches zur Errichtung der Niedersachsenbank“ von Alfred Kubel, Niedersachsen Dienst, Jahrgang 1969, Folge 10, 25. September 1969, S. 3f, in: NWA 5, Zg 6/2007 Nr. 357/2. 988 Protokoll der 90. Beiratssitzung vom 8. April 1968, S. 14f, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 132.

5.1 „Auf dem Weg zur Großbank“

 283

Bilanzsumme her deutlich größer war.989 Neben dem offen ausgewiesenen Eigenkapital von 200 Millionen DM war ein signifikanter Teil dieses Wertes in stillen Reserven verborgen. Bis auf die Kapitalspritze von zehn Millionen DM hatte die Staatsbank diese Werte selbst erwirtschaftet. Dennoch unterschied sich die Entwicklung unter der Schirmherrschaft des Landes Niedersachsen von der unter den vorherigen Trägern fundamental. Die niedersächsischen Landesregierungen verzichteten anders als zuvor die braunschweigischen Landesregierungen auf die Ausschüttung eines Großteils der Gewinne. Außerdem beanspruchte das Land Niedersachsen ihr Institut sehr viel weniger durch die Kreditnachfrage als das Land Braunschweig oder das Reich. Die geringe finanzielle Beanspruchung war der insgesamt soliden finanziellen Lage des Landes Niedersachsen sowie der Koexistenz der Niedersächsischen Landesbank zu verdanken, die einen größeren Teil der Finanzierung des Landes deckte als die Staatsbank. Diese Konstellation ermöglichte der Bank letztlich die Expansion in der Unternehmensfinanzierung.

Der Ausbau der Staatsbank zum Großunternehmen Die Expansion der Staatsbank konnte nicht ohne Folgen für die Unternehmensstruktur bleiben. Um die gestiegene Geschäftstätigkeit bewältigen zu können, musste die Staatsbank ihre Personaldecke erhöhen. 1950 arbeiteten bei Staatsbank und Landessparkasse 530 Personen. 1969 waren es 1891. Die Beschäftigtenzahl hatte sich also fast vervierfacht.

Abb. 5: Filialen der Staatsbank und der Landessparkasse Quelle: Geschäftsberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge. 989 Festschrift der Braunschweigischen Landessparkasse zum 250-jährigen Jubiläum, Braunschweig 2015, S. 21.

284  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

Der Ausbau der Staatsbank hatte auch auf der Verwaltungsebene Konsequenzen. Eine dieser Konsequenzen war die Veränderung der Beziehung zwischen den Zweigkassen und der Hauptbankkasse in der Zentrale. Da sowohl die Zentrale als auch die Zweigkassen ihre Geschäftstätigkeit stark ausdehnten, verstärkte das Direktorium seine Bemühungen, die Beziehungen zwischen Filialen und Zentrale rationaler zu gestalten. Dies galt insbesondere für die finanziellen Transaktionen. Die Zweigkassen konnten bei der Hauptbankkasse ihre liquiden Mittel verzinslich anlegen und auch kurzfristige Kredite aufnehmen. Dazu bestimmte das Direktorium seit 1950 für alle Zweigkassen gültige interne Zinssätze. Die Habenzinsen lagen dabei im oberen Bereich der Zinsen am Geldmarkt und teilweise darüber, die Kreditkosten lagen geringfügig unter dem im Rahmen des Zinsabkommens festgelegten Höchstzinssatz für Kontokorrentkredite. Die Höhe der Zinsen war so gewählt, dass die Zweigkassen einen Anreiz hatten, ihre liquiden Mittel bei der Hauptbankkasse anzulegen. Die Kreditaufnahme war jedoch nur für kurzfristige Engpässe vorgesehen. Eine dauerhafte Verschuldung der Zweigkassen bei der Hauptbankkasse tolerierte die Staatsbankführung nicht.990 1958 wurden die Zweigkassen verpflichtet, bei der Hauptbankkasse eine Mindestreserve von 20 % der Giroeinlagen als Sichtguthaben zu hinterlegen.991 Indem sie interne Zinssätze und Mindestreserven festlegte und anpasste, versuchte die Staatsbankleitung, die Geschäftspolitik der Zweigkassen mit den Zielen des Gesamtinstitutes zu harmonisieren. Die Hauptbankkasse war für die Zweigkassen zur Zentralbank geworden. Dies galt gleichermaßen für die Beziehung zur Hypothekenabteilung, die ihre überschüssige Liquidität ebenso als Sichtguthaben bei der Hauptbankkasse anlegte. Gerade hier waren die Beträge zeitweise beträchtlich, wenn eine Emission von Pfandbriefen nicht sofort in Hypothekarkrediten angelegt werden konnte.992 Die Hauptbankkasse verfügte dadurch über garantierte und relativ zinsgünstige kurzfristige Einlagen, die sie möglichst gewinnbringend anlegen sollte. Da sie gleichzeitig viele Großkredite und auch die Großeinlagen verwaltete, stieg die Bedeutung der Hauptbankkasse für das Gesamtinstitut tendenziell an. Auch die Braunschweigische Landessparkasse war im Untersuchungszeitraum einem tiefgreifenden Wandel unterworfen. Sie hatte dabei eine im Vergleich zu den anderen Sparkassen in der Bundesrepublik abweichende Entwicklung. Sie verfügte

990 Dies teilte sie 1954 den Zweigkassenleitern mit. Rundverfügung des Direktoriums, Gr. IV, Nr. 227 (lfd. Nr. 120) vom 28. Juli 1954, in: NWA 5, Nr. 2035/1. 991 Zudem mussten die Zweigkassen den Gegenwert der Ausgleichsforderungen, die die Hauptbankkasse ihnen 1958 abgekauft hatte, dort in liquiden Mitteln anlegen. Der Ankauf sollte die liquiden Mittel der Zweigkassen stärken, diese legten das erhaltene Geld jedoch zunächst nicht als Sichtsondern als Terminguthaben an, wodurch die Rentabilität der Hauptbankkasse stark einbrach. Rundverfügung Gr. IV, Nr. 274 (lfd. Nr. 23) vom 24. Februar 1958, in: NWA 5, Nr. 2035/1. 992 Braunschweigische Staatsbank – Treuhandabteilung – an den Herrn Präsidenten der Braunschweigischen Staatsbank, Braunschweig vom 16. Oktober 1957, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 278.

5.1 „Auf dem Weg zur Großbank“ 

285

1948 über insgesamt 329 Sparstellen.993 Die Zahl stieg bis 1958 auf 396 und bis 1969 auf 456. Das Wachstum war demnach relativ gleichmäßig über die Jahre verteilt. Die Niederlassungsbeschränkung für Bankfilialen scheint die Landessparkasse nicht davon abgehalten zu haben, auch Anfang der 1950er Jahre neue Sparstellen einzurichten. Im Gegenzug gab es in Braunschweig nach dem „Apothekenurteil“ von 1958, das auch die Bedürfnisprüfung für Bankstellen abschaffte, keinen Zweigstellenboom wie im übrigen Deutschland, wo sich die Zahl der Filialen der Sparkassen verdoppelte. Dies lag im Wesentlichen daran, dass das Filialnetz der Landessparkasse bereits in den 1920er Jahren bis in die kleinsten Dörfer hinein ausgebaut worden war. Statt eines Ausbaus des Sparstellennetzes erfolgte ein Ausbau der einzelnen Sparstellen. Die Zahl der hauptamtlich besetzten selbstständigen Sparstellen stieg von 23 im Jahr 1948 auf 139 im Jahr 1969.994 Fast immer wurde dabei eine nebenamtlich besetzte Sparstelle in eine hauptamtliche umgewandelt. Die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter der Landessparkasse stieg von 72 im Jahr 1950 auf 327 im Jahr 1969. Die Zahl der nebenamtlichen Sparpfleger war dagegen rückläufig. 1950 hatten noch 253 nebenamtliche Sparpfleger für die Landessparkasse gearbeitet. 1969 waren es nur noch 181. Durch die Professionalisierung der Sparstellen lockerten sich deren Beziehungen zum Hauptsparamt, das bis dahin alle wesentlichen Funktionen zentral verwaltet hatte. Zugleich verschwand der zentrale Vorteil des Sparstellensystems, nämlich die sehr geringen Personalkosten. Die Landessparkasse wurde den kommunalen Sparkassen dadurch ähnlicher. Auf der Führungsebene des Gesamtinstitutes vollzog sich der Wandel eher unauffällig. Josef Lammers, der die Bank 1945 in den Trümmern Braunschweigs übernommen und durch die Nachkriegszeit geführt hatte, erreichte 1953 das Ende seiner Dienstzeit. Als Nachfolger wurde vom niedersächsischen Finanzminister Alfred Kubel mit Walter Nickel einer seiner engsten Mitarbeiter zum Staatsbankpräsidenten ernannt. Nickel war der Leiter der Haushaltsabteilung des Ministeriums, hatte allerdings neben seiner Beamtenlaufbahn mehrere Jahre als Vorstandsmitglied in der Bank von Danzig gearbeitet und verfügte somit über Leitungserfahrung im Bankenbereich.995 Nickel leitete im Direktorium einen Generationswechsel ein. Bei seinem Amtsantritt waren seine Kollegen im Direktorium Hans Goetz und Helmut Krützfeldt. Hans Goetz erreichte 1956 das reguläre Ende seiner Dienstzeit, Krützfeldt stand 1959 vor der Pensionierung. Als Nachfolger für Goetz schlug Nickel dem Minister Alfred Kubel den Bankier Carl Düvel vor. Dieser war erst 42 Jahre alt, hatte aber bereits eine große 993 „Entwicklung, rechtliche und wirtschaftliche Grundlagen der Braunschweiger Landessparkasse“ von Wirtschaftsprüfer und Steuerberater Dipl.-Kfm. Dr. Höweler vom 10. Oktober 1950, S. 4f, in: NWA 8 Nr. 1050. 994 Zahlen aus den Geschäftsberichten der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge. 995 Schreiben des Niedersächsischen Finanzministers an die Mitglieder des Beirates der Braunschweigischen Staatsbank vom 25. August 1953, in: NLA HA Nds. 200 Acc. 2005/070 Nr. 273.

286  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

Berufserfahrung vorzuweisen.996 Mit dieser Neubesetzung verschob sich die Balance im Direktorium.997 1957 wurden die Kompetenzen neu geordnet. Seit der Gründung der Staatsbank bestand die Trennung zwischen Hypothekenabteilung und dem kurzfristigen Kreditgeschäft. In den 1930er Jahren hatte man innerhalb des Direktoriums eine Trennung zwischen dem sogenannten Zentral- und Platzgeschäft in der Stadt und dem Kreis Braunschweig und dem Zweigkassengeschäft eingeführt. Nun wurde eine weitere Abteilung geschaffen, die für Kommunal- und Sonderkredite zuständig war, die Kreditabteilung III. In dieser Abteilung wurden die meisten neuen Geschäftsfelder zusammengeführt, in denen die Staatsbank expandierte. Dazu gehörte die Unternehmensfinanzierung über andere Kreditinstitute, die Sanierungsund Beteiligungsfinanzierungen und ein Teil der Investitionskredite. 1965 wurden die Sanierungs- und Beteiligungsgeschäfte wiederum in eine eigene Abteilung IV ausgegliedert. Die meisten Geschäftsbereiche der neuen Abteilungen waren zuvor von der Hypothekenabteilung betreut worden. Die neuen Abteilungen wurden dem Zuständigkeitsbereich von Carl Düvel zugeschlagen. Er besetzte die Leitungsposten mit Nachwuchskräften aus dem eigenen Haus, die hier ihre ersten Leitungsfunktionen übernahmen. Dagegen wurde die Hypothekenabteilung nach Krützfeldts Pensionierung mit Otto Geske besetzt, der genauso alt war wie Walter Nickel. 1967 gingen beide in den Ruhestand und Carl Düvel wurde neuer Staatsbankpräsident.998 Er baute das Direktorium innerhalb eines Jahres vollständig um, indem er Personen aus den von ihm beaufsichtigten Abteilungen beförderte. Gotthard Sauer, der die Kreditabteilung III geleitet hatte, wurde in das Direktorium berufen. Günter Nerlich aus der Kreditabteilung IV wurde sein Stellvertreter. Weiterhin wurde Ewald Rühe, Leiter der Kreditabteilung II, ins Direktorium befördert, der zuvor für das kurzfristige Zweigkassengeschäft zuständig war. 999 Die einzige externe Besetzung war Kurt Neuendorff, der zuvor die Sparkasse Göttingen geleitet hatte und nun die Hypothekenabteilung übernahm.1000 Am Vorabend der Fusion mit der Niedersächsischen Landesbank dominierten im Direktorium der Staatsbank Spezialisten der Unternehmensfinanzierung, die ausnahmslos ihre Meriten innerhalb der Staatsbank verdient hatten. Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen. Erstens konnte die Staatsbank externe Experten auf diesem Gebiet nicht für sich gewinnen. Zweitens hatten die neuen Direktoriumsmitglieder 996 Er war Prokurist bei den Reichswerken gewesen, hatte eine ominöse „Mittelmeerwerft GmbH“ in Berlin geleitet und war 1952 bei der Rheinischen Girozentrale und Provinzialbank gelandet, wo er das Kommunal- und Investitionskreditgeschäft geleitet hatte. Er hatte dort jedoch 1956 gekündigt und sich nach Stellen in Niedersachsen umgesehen, weil er laut Nickel wieder dorthin zurückwollte, wo er aufgewachsen war. Der Präsident der Braunschweigischen Staatsbank an den Herrn Niedersächsischen Finanzminister vom 5. März 1956, in: NLA HA Nds. 200 Acc. 2005/070 Nr. 273. 997 Aktenvermerk vom 5. Januar 1957 Betr.: Kompetenzen im Aktivgeschäft der Braunschweigischen Staatsbank, Stand 31.12.1956, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 213. 998 Protokoll der 85. Beiratssitzung vom 11. Juli 1966, in: NWA 5 Zg. 6/2007, S. 8–10, Nr. 113. 999 Protokoll der 88. Beiratssitzung vom 21. August 1967, S. 13, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113. 1000 Protokoll der 85. Beiratssitzung vom 11. Juli 1966, in: NWA 5 Zg. 6/2007, S. 8–10, Nr. 113.

5.2 Der Wandel der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank 

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offensichtlich ausreichend Möglichkeiten gehabt, sich in den verschiedenen Spezialgebieten zu profilieren. Die Dominanz der Experten für Unternehmensfinanzierung im Direktorium spiegelt die gewachsene Bedeutung dieses Geschäftsbereichs für die Staatsbank insgesamt wider.

5.2 Der Wandel der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank im Spiegel der Kreditausschussprotokolle 1948–1961 Im Zuge der Expansion der Staatsbank in allen Bereichen erfolgte auch ein Wandel in der Praxis der Kreditvergabe, der sich aus den veröffentlichten Dokumenten allein nicht erschließen lässt. Die quantitative und qualitative Expansion in der Unternehmensfinanzierung hatte Veränderungen im institutionellen Arrangement der Staatsbank zur Folge. Die wichtigste Neuerung war die Gründung des Kreditausschusses im Jahr 1948, dessen Aufgaben und Zusammensetzung im Folgenden dargestellt werden. Dieses Gremium hinterließ Protokolle, die einen tieferen Einblick geben in die Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank. Der spezielle Auftrag des Kreditausschusses war es, Kredite einzeln zu genehmigen, die gegen die Bestimmungen des Staatsbankgesetzes verstießen. Dieser Umstand erlaubt es, die Kreditnehmer näher zu untersuchen, die von einer Ausnahmegenehmigung profitierten. Die Vorschrift der Einzelgenehmigung zwang das Direktorium, das die Kreditfälle in den Ausschuss einbrachte, im Prinzip jede Kreditvergabe einzeln zu begründen. Einige dieser Begründungen sind in den Protokollen überliefert worden, die in diesem Kapitel auf die Frage hin untersucht werden sollen, für welche Zwecke die Ausnahmeregelung genutzt wurde und ob sich hier ein Wandel feststellen lässt.

Verwaltungsrat in neuen Kleidern? – Die Aufgaben und die personelle Zusammensetzung des Kreditausschusses Im zweiten Kapitel wurde beschrieben, wie innerhalb der Struktur der 1919 neu geschaffenen Staatsbank der Verwaltungsrat die Arena der Aushandlungsprozesse zwischen den betriebswirtschaftlichen und den wirtschaftspolitischen Zielen der Bank darstellte. Das Wissen um die wichtige Funktion des Verwaltungsrates war innerhalb der Bank auch in den 1950er Jahren noch präsent, wie eine Denkschrift an den niedersächsischen Finanzminister deutlich macht: „Eine relativ starke Stellung hatte der Verwaltungsrat, der gemäß § 10 des Staatsbankgesetzes in der Fassung von 1929 das eigentlich beschließende Organ war.“1001 1001 Direktorium der Staatsbank an den Niedersächsischen Finanzminister: Exposé über die Änderung des Staatsbankgesetzes, Braunschweig, den 29. März 1954, S. 5, in: NLA HA Nds. 200 Acc. 4/96 Nr. 48.

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Der Verwaltungsrat war jedoch 1936 abgeschafft worden und seine Kompetenzen wurden danach zwischen Beirat, Reichswirtschaftsminister und Direktorium aufgeteilt. Als der Beirat 1937 die Kompetenz zur Einzelgenehmigung von Ausnahmefällen bei der Kreditvergabe zugesprochen bekam, übernahm er indirekt eine der Aufgaben des früheren Verwaltungsrates, der in bestimmten Fällen ebenfalls eine solche Kompetenz besessen hatte. Der Beirat hatte anfangs lediglich acht Mitglieder, darunter fünf private Unternehmer.1002 Dies waren nur zwei Mitglieder mehr als im Verwaltungsrat, womit der Beirat eher diesem Gremium als dem ehemaligen Aufsichtsrat ähnelte, der 26 Mitglieder hatte. Bis 1948 war die Zahl der Mitglieder des Beirates bereits auf 15 angewachsen. In seiner Zusammensetzung ähnelte er nun immer mehr dem alten Aufsichtsrat der Bank. Acht Mitglieder waren Funktionsträger verschiedener Körperschaften und Organisationen.1003 Durch diesen graduell ablaufenden Wandel wurde den Beiratsmitgliedern und dem Direktorium immer stärker das Fehlen eines Gremiums bewusst, in dem zeitnah über die Ausnahmegenehmigungen entschieden werden konnte. Der Beirat war nach Ansicht des Direktoriums wie auch des niedersächsischen Finanzministers für diese Funktion aufgrund seiner Größe und Schwerfälligkeit nicht mehr geeignet.1004 Es besaßen außerdem nicht alle Mitglieder des Beirates die für die Arbeit notwendige Zeit und auch nicht das Fachwissen, um Kreditentscheidungen beurteilen zu können. Weil nach der Währungsreform zudem die Zahl der zu prüfenden Kreditfälle stark anstieg, war der Beirat nicht mehr in der Lage, die Kreditfälle zeitnah zu prüfen. Daher gründete er nach der Währungsreform kurzerhand einen Ausschuss und übertrug diesem die Aufgabe der Einzelfallprüfung aller Kredite, die gegen die Sicherungsbestimmungen der §§ 32 bis 35 des Staatsbankgesetzes verstießen.1005 Le1002 Der Reichs- und Preußische Wirtschaftsminister an den Braunschweigischen Finanzminister, Berlin 29. Februar 1936, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 106. 1003 Der Niedersächsische Minister der Finanzen an die Direktion der Braunschweigischen Staatsbank, Hannover den 30. August 1948, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 106. Im Unterschied zum früheren Aufsichtsrat besaßen diese Personen jedoch meist ein persönliches Mandat, das nicht erlosch, wenn sie ihr Amt verloren. Vermerk, Braunschweig, den 7. September 1948, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 106. 1004 Das Direktorium der Staatsbank an den Niedersächsischen Finanzminister, Braunschweig, den 21.11.1961, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 120; Aktenvermerk des Präsidenten der Braunschweigischen Staatsbank, Braunschweig, den 3. September 1962, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 120 1005 Außerdem wurden dem Kreditausschuss alle Kredite vorgelegt, die aufgrund des § 14 Abs. 1 und 4 des Kreditwesengesetzes (KWG) zustimmungspflichtig waren. Dies betraf alle Kredite an Mitglieder des Beirates der Staatsbank (§ 14, 1) und alle Kredite an Unternehmen, bei denen Mitglieder des Direktoriums der Staatsbank im Aufsichtsgremium saßen (§ 14, 4). Diese Kredite sind nicht Teil der systematischen Untersuchung, weil es in diesen Fällen keine spezifische Rechtfertigungspflicht seitens des Direktoriums gab. Die Regelungen des KWG waren lediglich dazu gedacht, Transparenz in die Verflechtungen von Kapital und Personal zu bringen. Folgerichtig lassen sich bei diesen Fällen nur äußerst selten Spuren von Rechtfertigungsprozessen finden. Eine zweite Kategorie von Kreditfällen wurde den Mitgliedern des Kreditausschusses lediglich zur Kenntnisnahme vorgelegt. Diese Kreditinformationen konnten entweder vom Beirat veranlasst oder vom Direktorium freiwillig gegeben werden. Diese Kategorie ist im Sinne der Rechtfertigungspraxis ohne Zweifel interessanter

5.2 Der Wandel der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank 

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diglich für den Fall, dass im Ausschuss keine Einigkeit erzielt werden konnte, war eine Überweisung an den Beirat angedacht. Dabei wurde dieses Vorgehen vom Land Niedersachsen zunächst nur toleriert. Das niedersächsische Finanzministerium genehmigte die Übertragung der Befugnisse des Beirates auf den Kreditausschuss erst 1951, und dies auch nur vorläufig.1006 Bei der Auswahl der Mitglieder des Kreditausschusses wurden Personen ausgewählt, die in der Lage waren, die zeitnahe und kompetente Prüfung der Kreditanträge auch durchzuführen: „Diesem [dem Kreditausschuss] sollten nur solche Mitglieder des Beirates angehören, die gewillt und in der Lage sind, die damit verbundene zeitliche Belastung und Verantwortung zu tragen.“1007 Der Kreditausschuss bestand 1948 aus vier Mitgliedern des Beirates und drei Direktoriumsmitgliedern. Drei der vier Beiratsmitglieder waren Unternehmer, Staatssekretär von Bitter repräsentierte die Aufsichtsbehörde. 1952 war die Zahl der vom Beirat gewählten Ausschussmitglieder auf sechs angewachsen, was genau der Zahl der Mitglieder des ehemaligen Verwaltungsrates entsprach, die nicht dem Direktorium angehörten. Ab 1959 schied der einzige Vertreter öffentlicher Körperschaften aus dem Ausschuss aus, während ab 1961 mit Josef Lammers und Helmut Krützfeldt gleich zwei ehemalige Direktoriumsmitglieder der Staatsbank dem Ausschuss angehörten. Mit dem Generaldirektor der Burbach-Kali-Werke Simon Wölfel und dem Generaldirektor der Salzgitter AG Dr. Paul Rheinländer waren zwei regionale industrielle Schwergewichte im Ausschuss vertreten, außerdem mit Robert Jürgens ein Vertreter des Großhandels. Neben dem Vertreter der Handwerkskammer Walter Oehler war mit Wolfgang Boeck außerdem noch ein Landwirt Mitglied im Ausschuss. Der Ausschuss wurde also von Repräsentanten der Wirtschaft dominiert, während Politiker keine Rolle spielten. Die Staatsbank trennte hier scharf zwischen dem privaten Kreditgeschäft und der Finanzierung der öffentlichen Hand. Für Letzteres hatte sie eigens einen Kommunalkreditausschuss ins Leben gerufen, dem Vertreter der braunschweigischen Kommunen und Kreise angehörten, die allerdings nicht Mitglieder des Beirats waren. Hier wurde über die Verteilung der Kommunalkredite „je nach Dringlichkeitsstufe“ entschieden.1008 Das private Kreditgeschäft sollte jedoch von politischen Einflüssen weitgehend frei bleiben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass politische Aspekte bei der Kreditvergabe keine Rolle spielten. Allgemein begrif-

als die erste Kategorie. Jedoch wird diese Praxis sehr sporadisch und nicht kontinuierlich durchgeführt, sodass sich daraus nur schwer ein aussagekräftiger Datensatz erstellen ließ. Allerdings werden diese Kredite in die qualitative Auswertung und die Interpretation der Protokolle unterstützend mit einbezogen. 1006 Aktenvermerk des Präsidenten der Braunschweigischen Staatsbank Werner Nickel vom 3. September 1962 [Pr/Un], in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 120. 1007 Vermerk des Niedersächsischen Ministers der Finanzen, Hannover, Oktober 1962, in: NLA HA, Nds. 200 Acc. 4/96 Nr. 48. 1008 Schreiben des Direktoriums der Staatsbank an den Herrn Gemeindedirektor Dwenger vom 21. März 1952, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 106.

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fen die aktiven und ehemaligen Direktoren der Staatsbank sich selbst als die legitimen Repräsentanten des untergegangenen Landes Braunschweig und auch des durch die deutsche Teilung entstandenen Zonenrandgebietes. Im Jahr 1954 untermauerte das Direktorium diesen Anspruch in einem Schriftwechsel, der die Funktion des Kreditausschusses zum Thema hatte: Die Bedeutung der Braunschweigischen Staatsbank als Kreditversorgungsinstitut der heimischen Wirtschaft ist im Laufe der Jahrzehnte ständig gewachsen. In der Gesamtkreditversorgung der Wirtschaft des braunschweigischen Wirtschaftsraumes nimmt die Braunschweigische Staatsbank heute einen ersten Rang ein. Ohne diesen Einsatz hätten die besonderen Schwierigkeiten in der Kreditdeckung der Wirtschaft des Zonenrandgebietes auch nicht annähernd in dem Maße gelöst werden können, wie das bisher möglich gewesen ist.1009

Der Kreditausschuss war in den Augen des Staatsbankpräsidenten kein gemeinnütziges Instrument. Er sollte vielmehr sicherstellen, dass die Staatsbank im Wettbewerb mit den Großbanken nicht unterlag und infolgedessen ihre gemeinnützigen Aufgaben nicht mehr erfüllen konnte: Die Entwicklung der Staatsbank zu dem wichtigsten und größten Kreditinstitut unseres Zonenrandbezirks hatte allerdings zur Voraussetzung, daß die Geschäftsabwicklung immer mehr den Grundsätzen der privaten Geschäftsbanken angeglichen wurde. Das war unumgänglich notwendig, weil die Staatsbank besonders bei guten Objekten in Konkurrenz mit den Geschäftsbanken steht und nur dann wettbewerbsmäßig nicht unterlegen ist, wenn die Geschäftsabwicklung mindestens so beweglich wie bei den privaten Geschäftsbanken ist.1010

Mithilfe des Kreditausschusses konnte die Staatsbank in den 1950er Jahren die Bestimmungen des Staatsbankgesetzes wirksam und unbürokratisch umgehen. Diese Praxis wurde dabei so sehr zur Routine, dass das tatsächliche Kreditgeschäft der Staatsbank Anfang der 1960er Jahre kaum noch etwas mit den im Gesetz festgelegten Kreditgrundsätzen zu tun hatte. Bereits seit Mitte der 1950er Jahre wurde deshalb von Seiten der Staatsbankführung eine Revision des Gesetzes gefordert.

Die Neufassung der Grundsätze der Kreditvergabe 1961 In einem umfangreichen Exposé schilderte Staatsbankpräsident Werner Nickel 1954 den rechtlichen und wirtschaftlichen Werdegang der Staatsbank, verglich das Staatsbankgesetz mit aktuellen Fassungen der Gesetze der Bayrischen Staatsbank und der Staatlichen Kreditanstalt Oldenburg. Im Endeffekt plädierte er für eine Rückübertragung der 1936 (Nickel spricht fälschlicherweise von 1933) auf die Auf1009 Direktorium der Staatsbank an den Niedersächsischen Finanzminister: Exposé über die Änderung des Staatsbankgesetzes, Braunschweig, den 29. März 1954, S. 2, in: NLA HA Nds. 200 Acc. 4/96 Nr. 48. 1010 Ebenda.

5.2 Der Wandel der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank



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sichtsbehörde übertragenden Kompetenz auf den Beirat, vor allem bei der Festlegung der Grundsätze der Kreditvergabe. Außerdem wollte Nickel alle spezifischen Bestimmungen über die Kreditvergabe bei einer Neufassung aus dem Gesetz herauslassen. Dieser bereits 1919 ungewöhnliche Teil des Staatsbankgesetzes sollte durch vom Beirat beschlossene verbindliche Richtlinien ersetzt werden. Insgesamt plädierte Nickel für eine vollkommene Neufassung des Staatsbankgesetzes. Er warnte allerdings auch davor, schlafende Hunde zu wecken: „Es besteht allerdings die Gefahr, daß im Parlament die Frage des Bestehens mehrerer öffentlicher Kreditinstitute nebeneinander […] und die Frage des Aufgabenbereiches und des Geschäftsumfanges der öffentlich-rechtlichen Institute erörtert wird. Wir müssen damit rechnen, daß die privaten Großbanken ihre Interessenvertreter im Landtag haben und die Diskussionen in die Presse getragen werden usw., womit uns wenig gedient sein kann.“1011 Nickel fürchtete also, dass die Großbanken den Wettbewerb auch mit den Mitteln des politischen Kampfes führen würden. Aus diesem Grund, aber auch aufgrund eines Regierungswechsels in Niedersachsen verschwand das Exposé in der Schublade. Die rechtliche Neufassung des Staatsbankgesetzes wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, auch weil diese Aufgabe angesichts der Möglichkeit zur Umgehung der Bestimmungen durch den Kreditausschuss zunächst nicht sehr dringend war. Ein neuer Anstoß zur Neufassung des Gesetzes kam erst 1961. Er ging diesmal jedoch nicht von der Staatsbank aus, sondern von deren Konkurrenz. Im Ministerium häuften sich 1961 Beschwerden gegen die Staatsbank: „Von verschiedenen Seiten wurde dem Unterzeichneten mitgeteilt, daß die Braunschw. Staatsbank in ihrer Kreditpolitik sehr expansiv sei und Kredite gewähre, die von anderen Kreditinstituten abgelehnt werden mußten.“1012 Die Staatsbank hatte also im Wettbewerb der Sicherungsvorschriften nicht nur mit der Konkurrenz gleichgezogen, sondern hatte einige ihrer Konkurrenten überholt. Das Ministerium nahm die Häufung der Beschwerden zum Anlass, um die Institutionen der Staatsbank daraufhin zu überprüfen, welcher Kontrolle die Kreditvergabe eigentlich unterlag. Als Ergebnis dieser Prüfung wurde festgestellt, dass das Direktorium bei der Kreditvergabe nur wenig kontrolliert wurde. Vor allem fiel den Beamten der Umstand auf, dass der Kreditausschuss die Kredite nicht vor der Zusage genehmigte, sondern danach absegnete. Diese Praxis hatte sich seit 1958 eingebürgert, während zuvor die Kredite im Voraus zur Prüfung vorgelegen hatten. Außerdem wurde der fehlende rechtliche Status des Kreditausschusses als Aufsichtsorgan festgestellt. Die Arbeitsgruppe im Ministerium kam zu dem Schluss, dass die Praxis der Kreditvergabe bei der Staatsbank dem Direktorium zu sehr freie Hand ließ. Dies empfanden die Ministeriumsbeamten als unfair gegenüber den anderen öffentlichrechtlichen Banken Niedersachsens, die in ihrer Kreditvergabe viel stärker einge1011 Exposé des Staatsbankpräsidenten über die Änderung des Staatsbankgesetzes vom 29. März 1954 [Rd/Mü.], in: NLA HA Nds. 200 Acc. 4/96 Nr. 48. 1012 Vermerk des Leiters der Abteilung 2 des Finanzministeriums vom 29. Juni 1961, in: NLA HA Nds. 200 Acc. 4/96 Nr. 48.

292  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

schränkt waren. Diesmal forderte das Ministerium eine Neufassung des Staatsbankgesetzes.1013 Das weitere Vorgehen der Ministerialbeamten war dann durchaus konfrontativ. Sie leiteten ihre Ergebnisse an den Landesrechnungshof weiter, der nun den Jahresabschluss der Staatsbank prüfte. Nach über zehnjähriger Duldung der Praxis der Kreditvergabe wurde die Staatsbank plötzlich aufgefordert, die Verordnung des Reichswirtschaftsministers von 1937 wieder richtig zu befolgen, also den gesamten Beirat über einzelne Kreditvergaben beschließen zu lassen, die vom Staatsbankgesetz abwichen. Damit entlarvte der Rechnungshof die Anwendung der eigentlich als Ausnahmeregelung eingeführten Regel von 1937 als Routinepraxis. Der Beirat hätte die große Zahl an Anträgen niemals einzeln prüfen können. Um einen Ausweg aus der Situation zu finden, schlug das Staatsbankdirektorium dem Finanzministerium ein Verfahren aus der Inflationszeit der 1920er Jahre vor. Damals war der Aufsichtsrat der Staatsbank ermächtigt worden, mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde neue Kreditgrundsätze aufzustellen, die von denen im Gesetz abweichen konnten. Dieses Verfahren wurde nun wieder aufgegriffen. Nachdem vom Finanzminister zunächst keine Reaktion kam, entwarf der Beirat eigenständig neue Kreditgrundsätze und legte sie dem Ministerium zur Genehmigung vor.1014 Darauf reagierte der Finanzminister letztlich und genehmigte den Entwurf mit einigen Abänderungen. Die neue Regelung sprach dem Beirat die gleiche Kompetenz zu, die der ehemalige Aufsichtsrat 1921 erhalten hatte. Durch diesen Trick konnten der Minister und auch die Staatsbank wieder eine gesetzliche Neufassung des Staatsbankgesetzes umgehen, was eine offene Verhandlung im Landtag erfordert hätte.1015 Die neuen Richtlinien, die 1963 in Kraft traten, waren einerseits ein formaler Ausdruck der Erfahrungen der Staatsbank bei der Kreditvergabe aus den vorherigen Jahren. Andererseits waren sie Ausdruck einer gewissen Skepsis seitens der Aufsichtsbehörde wegen der starken Kreditausweitung. Die Änderungen der Bestimmungen über Sicherungsvorschriften glichen die Regeln an die im Kreditausschuss geltende Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank an.1016 Die neuen Grundsätze der 1013 Vermerk des Leiters der Abteilung 2 des Finanzministeriums vom 29. Juni 1961, in: NLA HA Nds. 200 Acc. 4/96 Nr. 48. 1014 Aktenvermerk des Präsidenten der Braunschweigischen Staatsbank [Pr./Un] vom 3. September 1962, in: NWA Zg. 6/2007, Nr. 120. 1015 Vermerk des Niedersächsischen Ministers der Finanzen [20 50 01 – 201/234], vom […] Oktober 1962, in: NLA HA Nds. 200 Acc. 4/96 Nr. 48. 1016 Die Beschränkung bei der Verpfändung von Buchforderungen von 50.000 DM wurde aufgehoben. Dem Direktorium wurde zudem erlaubt, bei Effektendarlehen die Einschusspflicht in Einzelfällen aufheben, also die Pflicht des Kreditnehmers, bei Kursverlusten zusätzliche Aktien als Sicherung herzugeben. Allerdings musste dafür ab einer gewissen Höhe der Kreditausschuss seine Zustimmung geben. Drittens wurde eine Verordnung aus dem Jahr 1953 bestätigt, wonach die Beleihung von Waren wie Zucker oder Mehl bis zu 90 % des Einkaufswertes ermöglicht wurde. Lediglich bei der Heraufstufung der Beleihungsgrenze bei Aktien-Lombard-Krediten konnte sich die

5.2 Der Wandel der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank 

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Kreditvergabe hoben die im Gesetz vorhandenen Beschränkungen nicht vollkommen auf. Dennoch wurden wichtige Forderungen der Staatsbank erfüllt. Insbesondere bei der zentralen Frage, wann Kredite ohne Sicherheiten vergeben werden konnten, zeigte sich zugleich der Wille des Ministeriums, die Expansion der Staatsbank in bestimmten Bereichen zumindest symbolisch einzudämmen. Die Staatsbank hatte die Anhebung der allgemeinen Obergrenze für Unternehmen auf 250.000 DM gefordert. Das Ministerium genehmigte jedoch nur eine Grenze von 200.000 DM. Darüber hinaus sollte wie bisher der Kreditausschuss zustimmen.1017 In den neuen Richtlinien wurden die Kompetenzen des Kreditausschusses erstmals verbindlich festgehalten. Statt der Einstimmigkeit wurde nun der Mehrheitsbeschluss eingeführt. Der Kreditausschuss musste alle Kredite genehmigen, die über die im Gesetz bestimmten Höchstwerte hinausgingen. Damit oblagen ihm nun formal die Aufgaben, die der alte Kreditausschuss zuvor informell bereits besessen hatte.1018 Interessanterweise wurde wiederum der Zeitpunkt der Genehmigung nicht spezifiziert. In der Praxis bedeutete dies, dass weiterhin die Kredite erst nach deren Zusage dem Kreditausschuss vorgelegt wurden. Die Einführung der neuen Kreditrichtlinien und der Satzung für den Kreditausschuss waren die pragmatische Antwort auf ein grundsätzliches Kontrollproblem der Aufsichtsbehörde. Sie hatte faktisch auch nach der Einführung der Richtlinien keinen Einfluss auf die Kreditvergabe der Staatsbank. Weil der Minister jedoch die Richtlinien jederzeit widerrufen konnte, hatte er zumindest ein Druckmittel in der Hand, mit dem er die Staatsbankführung notfalls auf seine Linie bringen konnte. 1962 war auch der letzte Anlauf gescheitert, das Staatsbankgesetz der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank anzupassen. Es war durch den „Inflationsparagraphen“ von 1921 und seine Auslegung durch den Reichswirtschaftsminister im Jahr 1937 so flexibel handhabbar geworden, dass die notwendigen Änderungen zumindest nach 1945 immer unterhalb der Gesetzesebene vonstattengehen konnten. Die Kreditausschussprotokolle konstituieren eine zentrale Quelle für die systematische Analyse der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank in der Zeit des Wirtschaftswunders. Ihre Auswertung wird deshalb auch für die folgenden Kapitel immer wieder mit herangezogen. Die Protokolle wurden routinemäßig nur den Ausschussmitgliedern ausgehändigt, auf Wunsch wurden sie allerdings den Mitgliedern des Beirates jederzeit zur Einsicht zur Verfügung gestellt. Sie dienten demnach im Ernstfall auch den Ausschussmitgliedern als Rechtfertigungsbasis gegenüber dem Beirat. Der Ausschuss, sowie in abgeschwächter Form auch der Beirat, konstituierten eine (wenn auch sehr beschränkte) Öffentlichkeit, die Absprachen zwischen Staatsbank nicht durchsetzen, die bei 60 % blieb. Die neuen Regelungen zu der Beleihung von Fabrikgrundstücken werden in Punkt 5.3, die zum Interbankenverkehr werden in Punkt 5.5 näher erläutert. 1017 Geschäftsordnung für Kreditausschuß und Direktorium der Braunschweigischen Staatsbank, 1962, S. 4, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 361. 1018 Ebenda, S. 4–6.

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der Staatsbankleitung und den Kunden der Bank, die die Allgemeinheit schädigen konnten, unterbinden sollte. Die in diesem Unterkapitel folgende Auswertung bezieht jedoch nur die Jahre 1948 bis 1961 mit ein. Durch die Reform änderte sich der Charakter der Kreditausschussprotokolle. Sie bestanden nun im Wesentlichen aus sehr langen Listen, in denen lediglich Kreditnehmer, Kreditart und Volumen festgehalten wurden. Informationen über gestellte Sicherheiten, über Zinssätze oder über die Gründe für die Kreditvergabe fehlen. Da auch die Kriterien für die Aufnahme von Kreditfällen in die Protokolle sich geändert hatten, war eine Fortführung der systematischen Analyse nicht möglich. Spezifische Informationen über strittige Kreditfälle konzentrierten sich nun auf ein oder zwei Fälle am Anfang des Protokolls, über die aufgrund ihrer Bedeutung gesondert berichtet wurde. Diese werden in die weitere Untersuchung in den folgenden Kapiteln mit einbezogen. Der mangelnde Informationsgehalt der Protokolle wurde noch 1970 während der Fusionsgespräche von dem Präsidenten der Niedersächsischen Landesbank Wilhelm Pleister moniert.1019 Eingeschränkt wird der Quellenwert allerdings dadurch, dass ab 1958 der Kreditausschuss vom Direktorium erst nach bereits erfolgter Kreditzusage um Zustimmung gebeten wurde.1020 Dies beeinträchtigte seine Eingriffsmöglichkeiten signifikant. Dennoch bestand auch danach noch die Pflicht des Direktoriums fort, die einzelnen Kreditvergaben zu begründen. Die Untersuchung teilt sich auf in einen quantitativen Teil und einen qualitativen Teil. Im quantitativen Teil werden die Kredite nach Volumen, Sitz des Kreditnehmers und Art des Verstoßes gegen die Kreditgrundsätze geordnet. Im qualitativen Teil werden die Begründungen ausgewertet, die das Direktorium dem Kreditausschuss für die Ausnahmegenehmigungen lieferte.

Quantitative Auswertung der Protokolle und erste Ergebnisse Bei der quantitativen Auswertung ist zunächst zwischen Kreditnehmer, Kreditfall und Kredit zu unterscheiden. Als Kreditnehmer gilt das Unternehmen oder die Person, die genehmigungspflichtige Kredite erhielten. Ein Kreditfall umfasste einen oder mehrere Kredite an einen einzelnen Kreditnehmer, der dem Kreditausschuss in zusammenhängender Form zur Prüfung vorgelegt wurde.

1019 Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Vorstandes der Braunschweigischen Staatsbank am 5. Februar 1970, in: NWA 5, Zg. 6/2007 Nr. 120. 1020 Vermerk des Leiters der Abteilung 2 des Finanzministeriums vom 29. Juni 1961, in: NLA HA Nds. 200 Acc. 4/96 Nr. 48.

5.2 Der Wandel der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank

 295

Tab. 20: Untersuchte Kreditvergaben in den Kreditausschussprotokollen 1948–1961 Kredite

davon mit überlieferten Begründungen

Kreditfälle

davon mit überlieferten Begründungen

Kreditnehmer

558

43 %

480

40 %

221

Davon Kreditnehmer mit Sitz außerhalb des Geschäftsgebietes 82

54 %

77

55 %

52

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Kreditausschussprotokolle der Braunschweigischen Staatsbank

Untersucht wurden insgesamt 480 einzelne Kreditfälle, die sich auf 221 unterschiedliche Kreditnehmer verteilen. Im Schnitt war also jeder Kreditnehmer mehr als zweimal Thema im Kreditausschuss. Die Streuung war allerdings sehr groß. Mit 132 Fällen wurden mehr als die Hälfte der Fälle nur einmal vorgetragen, 40 Fälle ein zweites Mal. Immerhin 16 Fälle wurden dagegen siebenmal oder öfter vorgetragen. Da ein Kreditfall aus mehreren Einzelkrediten bestehen kann, weicht wiederum die Zahl der Kredite mit 558 von denen der Kreditfälle ab. Um den Datensatz besser handhabbar zu machen, wurden mehrere Kredite innerhalb eines Kreditfalls, deren Vortragsgrund identisch ist, zu einem Kredit zusammengefasst. Die Zahl der Einzelkredite ist somit wesentlich höher als die angegebenen 558 Fälle, was allerdings für die Analyse keine Rolle spielt. Der Kreditausschuss hat insgesamt in 19 Fällen interveniert. Lediglich dreimal wurde ein Kreditantrag ganz abgelehnt, viermal wurden substantielle Änderungen des Kreditengagements gefordert. In 13 Fällen verlangten die Ausschussmitglieder das Einholen zusätzlicher Informationen über das Unternehmen oder dessen Eigner sowie externe Gutachten. Sechsmal intervenierten die Mitglieder zu Gunsten des Kreditnehmers. Sieht man sich die Verteilung der Kreditfälle über den Untersuchungszeitraum hinweg an, dann ergibt sich kein eindeutiger Trend. Die Zahl der Fälle hat also im Laufe der Zeit weder signifikant zu- noch abgenommen, allerdings schwankt die Zahl von Jahr zu Jahr sehr stark. Im Gegensatz dazu hat das durchschnittliche genehmigungspflichtige Kreditvolumen pro Fall stark zugenommen. 1948 lag es noch unter 500.000 DM, 1961 dagegen bei 6,8 Millionen DM. Unabhängig vom Zeitpunkt wird deutlich, dass es sich bei den genehmigungspflichtigen Fällen fast ausschließlich um Großkredite handelte. Der Grund dafür ist die Obergrenze für Blanko-Kredite von 50.000 DM des Staatsbankgesetzes, die für den Kreditausschuss ebenfalls eine Grenze darstellte, unterhalb derer er nicht zuständig war.

296  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

Abb. 6: Kreditfälle und durchschnittliches Kreditvolumen im Zeitverlauf Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Kreditausschussprotokolle der Braunschweigischen Staatsbank

Ein Grund für das Wachstum des durchschnittlichen Kreditvolumens ist die Zunahme von Krediten, die die Staatsbank an Unternehmen außerhalb ihres Geschäftsbereichs vergeben hat. Bis 1957 waren diese Kredite sowohl von der Zahl als auch vom Volumen her vernachlässigbar. Lediglich im Jahr 1955 vergab die Staatsbank hier mehr als drei Kredite. Dann jedoch stieg die Zahl der Kredite an auswärtige Unternehmen plötzlich stark an. Gleichzeitig übertraf das Durchschnittsvolumen dieser Kredite seit 1958 das Volumen aller im Kreditausschuss vorgetragenen Kredite deutlich. Der Einstieg in die überregionale Kreditvergabe ab 1958 war somit ein bedeutender Faktor bei dem starken Anstieg der durchschnittlichen Kreditsumme. Überlieferungen von Begründungen für die Kreditvergabe seitens des Direktoriums konnten bei 207 Krediten festgestellt werden, also bei 43 % aller Fälle. Bei den Kreditfällen liegt die Quote bei 40 %, also nur geringfügig niedriger. Sieht man sich den Anteil der Kredite mit Überlieferung von Begründungen über den Untersuchungszeitraum hinweg an, dann nehmen sie gegen Ende des Untersuchungszeitraums stark zu. Allerdings ist für die starke Zunahme allein der Umstand verantwortlich, dass seit 1958 standardisierte Informationen über den Kreditnehmer in den Protokollen festgehalten wurden. Diese enthielten neben Gewinn und Umsatz vor allem Informationen über das vorhandene Eigenkapital und den Schuldenstand der Unternehmen. Vor allem letztere Daten konnten für die Begründung der Kreditvergabe potentiell von großer Bedeutung sein, weil das vorhandene Eigenkapital direkte Rückschlüsse auf die Kreditwürdigkeit des Kunden zuließ. Allerdings standen diese Informationen in vielen Fällen unkommentiert unter den Angaben zu den zu genehmigenden Krediten, sodass nicht klar wird, ob sie in der Sitzung als Rechtfertigung für die Kreditvergabe genutzt wurden.

5.2 Der Wandel der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank



297

Das plötzliche Auftauchen dieser standardisierten Informationen korreliert direkt mit dem steigenden Anteil von Krediten, die an Kreditnehmer außerhalb des Geschäftsgebietes der Staatsbank vergeben wurden. Die auswärtigen Kredite wurden insgesamt häufiger begründet als die Kredite im Geschäftsbereich der Staatsbank. Dies lag jedoch ausschließlich daran, dass in diesen Fällen sehr viel häufiger standardisierte Informationen in den Protokollen festgehalten wurden. Die Hälfte der standardisierten Informationen diente der Begründung auswärtiger Kredite, während deren Anteil an den Krediten lediglich 15 % ausmachten. Die Staatsbank war demnach bei ihrer Expansion über die Grenzen des alten Landes Braunschweig auf die Nutzung standardisierter Daten angewiesen. Diese Daten dienten wohlgemerkt der Rechtfertigung der Staatsbankführung vor dem Kreditausschuss, nicht notwendigerweise als Entscheidungsgrundlage für die Kreditvergabe. Kredite an einheimische Unternehmen kamen dagegen sehr viel häufiger ohne Begründungen aus. Dafür waren die Rechtfertigungen bei einheimischen Unternehmen fast immer spezifisch, auch wenn daneben standardisierte Informationen existierten. Weitere aufschlussreiche Ergebnisse lassen sich erzielen, wenn man die Kreditfälle danach aufteilt, ob die Kreditnehmer überhaupt Sicherheiten geboten haben, wenngleich diese nicht ausreichten, um die Kreditgrundsätze in § 32 des Staatsbankgesetzes zu erfüllen. So konnte ein Kreditnehmer der Staatsbank zum Beispiel Aktien als Sicherheiten anbieten, deren Wert jedoch nicht ausreichte, um die gesamte Kreditsumme abzudecken. In der folgenden Tabelle werden diese Kredite nach der Form der gestellten Sicherheit aufgeteilt. Dabei werden vier Formen unterschieden: Grundschulden, Wertpapiere, Waren sowie Bürgschaften und Buchforderungen. Diese Fälle werden abgegrenzt von Krediten, bei denen in den Kreditprotokollen als Sicherheit lediglich „blanko“ angegeben wurde. Bei diesen Krediten hat die Staatsbank ganz auf die Stellung von Sicherheiten verzichtet. Die Staatsbankführung verstieß hier gegen die Bestimmungen des Staatsbankgesetzes, weil die Obergrenze für ungesicherte Kredite überschritten wurde. Diese lag im Untersuchungszeitraum bei nur 50.000 DM.

298  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

Tab. 21: Im Kreditausschuss besprochene Kredite nach Vortragsgrund Zahl der Kredite Teilgedeckte Kredite

126

Durchschnitts volumen in Mio. DM

Begründungen Anteil der existieren auswärtigen für Kredite

Standardisierte Informationen verfügbar

2

38 %

19 %

6%

0,25

47 %

7%

7%

Grundschulden

15

Wertpapiere

13

70 %

62 %

0

Waren

63

0,7

21 %

14 %

0

Bürgschaft, Buchforderung

35

2

54 %

17 %

20 %

305

2

38 %

20 %

14 %

Ungedeckte Kredite

11

Sonderkategorien Investition

44

1,1

30 %

11 %

2%

Außenhandel

50

1,9

48 %

31 %

9%

nicht zurechenbar

33

1,5

64 %

9%

0

AG = Aktiengesellschaft. Klassifizierung der besprochenen Kredite nach Vortragsgrund. Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Kreditausschussprotokolle der Braunschweigischen Staatsbank.

Die Statistik zu den Häufigkeiten zeigt zuerst eindeutig eine Dominanz der Fälle, in denen auf Sicherheit verzichtet wurde. Insgesamt 305 Kredite lassen sich als ungesicherte Kredite klassifizieren. Wie in Kapitel 3.1 dargestellt, sollte die Obergrenze die Vergabe von großen Krediten durch die Staatsbank zugunsten des Mittelstandskredites beschränken. Die große Zahl von Ausnahmegenehmigungen zeigt jedoch, dass diese Regel ihre angedachte Wirkung weitgehend verloren hatte. Die Kredite, bei denen die Kreditnehmer Sicherheiten stellten, summieren sich auf 132 Stück. Die größte Gruppe konnte mit 63 Fällen dem Warenlombardverkehr zugeordnet werden, also der Übereignung von Waren als Sicherheit. Nur 14 % der Fälle betrafen auswärtige Unternehmen. Die Bedeutung dieser Gruppe ist am Anfang des Untersuchungszeitraums bis 1953 sehr hoch. In diesem Jahr wurde die Beleihungsgrenze vom niedersächsischen Finanzminister von zwei Dritteln des Marktwertes der Waren auf 90 % erhöht.1021 Nach der Erhöhung ging die Zahl der Fälle dieser Gruppe sofort stark zurück und blieb bis zum Ende des Untersuchungszeitraums gering. Diese zeitliche Entwicklung spiegelt sich auch im durchschnittlichen Kreditvolumen, das mit knapp 700.000 DM pro Kredit im Vergleich mit den anderen Kategorien eher gering ausfiel. Für den Zeitraum bis 1953 war das Volumen jedoch relativ 1021 Das Staatsbankgesetz: Änderungen der Neufassung des Staatsbankgesetzes vom 18.12.1929 (Gesetz- und Verordnungssammlung von 1929 Nr. 82), § 32, 5 Fußnote, in: NWA 8 Nr. 722.

5.2 Der Wandel der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank

 299

hoch. Der Anteil der überlieferten Begründungen lag bei knapp 21 % und damit weit unter dem Durchschnitt. Bedeutend ist noch die Vergabe von Lombardkrediten, also der Sicherung durch die Übereignung von Wertpapieren. Hier existieren zwar lediglich 13 Fälle, von denen jedoch zehn in den letzten drei Jahren des Untersuchungszeitraums auftraten. Auffällig ist, dass acht der zehn späten Fälle sich auf auswärtige Unternehmen beziehen, allesamt deutsche Großkonzerne oder Banken. Insgesamt liegt die Quote auswärtiger Unternehmen bei 62 %. Gleichzeitig liegt auch das durchschnittliche Kreditvolumen mit über elf Millionen DM höher als bei jeder anderen Gruppe. Der Anteil der Kredite, die spezifisch begründet wurden, ist mit 70 % ebenfalls höher als in jeder anderen Kategorie. Alle diese Fälle wurden mit dem Wert des Wertpapierdepots begründet, enthielten also sehr spezifische Informationen. Neben den Fällen, die sich bestimmten Regelungen im Staatsbankgesetz zuordnen ließen, wurden für diese Untersuchung noch zwei weitere Kategorien von Krediten gebildet, die sich nicht eindeutig zuordnen lassen. Dies sind zum einen Kredite zur Außenhandelsfinanzierung und zum anderen Investitionskredite. Für Außenhandelskredite gab es im Staatsbankgesetz keine eindeutige Regelung, weil diese Aufgabe in der Zeit der Entstehung des Gesetzestextes nicht abzusehen war.1022 Industrielle Investitionskredite waren aufgrund der Einschränkung der Beleihungsmöglichkeiten von Fabriken im Staatsbankgesetz ebenfalls nicht vorgesehen.1023 In den Kreditausschussprotokollen werden beide Kreditgruppen explizit ausgewiesen, was für die Begründung dieser Fälle eine große Rolle spielte. Die Auswertung für diese beiden Sonderkreditformen erfolgt in den jeweiligen Abschnitten im folgenden Kapitel. Das wichtigste Ergebnis der quantitativen Analyse ist die Entdeckung des Wandels der Praxis der Vergabe von Großkrediten an auswärtige Unternehmen ab 1958. In den ersten zehn Jahren des Untersuchungszeitraums hatte die Staatsbank nur in wenigen Fällen Kredite an auswärtige Unternehmen vergeben, die zudem meistens einen direkten Bezug zu Kreditnehmern innerhalb des Geschäftsgebietes besaßen. Ab 1958 begann die Bank mit der Vergabe von meist sehr volumenstarken Krediten an Großkonzerne sowie Beteiligungs- und Investmentgesellschaften im gesamten Gebiet der Bundesrepublik. Kredite an Bayer, die AEG, Daimler-Benz und andere Großkonzerne waren für die Staatsbank zu diesem Zeitpunkt Neuland. Dementsprechend veränderte sich auch die Form der Kreditwürdigkeitsprüfung. Die Weitergabe 1022 Hauptsächlich verstießen die Finanzierungen gegen den § 32, 9 in dem die Regeln für Bürgschaften spezifiziert waren. Die Höhe der Bürgschaften verstieß bei fast jedem Exportfinanzierungsgeschäft gegen die Obergrenze. Weil die Bürgschaften jedoch von halbstaatlichen Akteuren gestellt wurden, war nicht ganz klar, ob sich auch der § 35, 2 anwenden ließ, in dem staatliche Bürgschaften geregelt wurden. 1023 Wurde die Fabrik voll beliehen, dann konnte der Bezug zu § 32, 1, hergestellt werden, in dem Grundschulden geregelt wurden. Eine Regelung zur Beleihung von Maschinen gab es nicht, nur für mobile Maschinen wie LKW konnte der § 32, 6 Anwendung finden.

300  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

standardisierter Unternehmensdaten ergänzte in allen und ersetzte in vielen Kreditvergaben an auswärtige Unternehmen die bis dahin dominierenden spezifischen Informationen über den Kreditnehmer und dessen Besitz. Insgesamt wurden Kredite an auswärtige Unternehmen deutlich häufiger begründet als Kredite an Unternehmen innerhalb des Geschäftsgebietes der Staatsbank.

Zwischen Wettbewerb und öffentlichem Interesse – Die Begründungen des Direktoriums für die Ausnahmegenehmigungen Die zentrale Frage bei der qualitativen Analyse ist, ob die Staatsbank die Möglichkeit der Umgehung der Sicherungsforderungen in erster Linie nutzte, um im Wettbewerb mit anderen Kreditinstituten bestehen zu können, oder ob sie mittels des Kreditausschusses auch Kredite an Unternehmen vergab, die außerhalb des Wettbewerbes standen. Der Kreditausschuss fällte in jedem einzelnen Kreditfall ein Urteil über die Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers, im einfachsten Fall durch die begründungslose Genehmigung. Das Direktorium trat im Ausschuss fast immer im Namen des Antragsstellers auf. Den Direktoren fiel dabei die Aufgabe zu, die Kreditvergabe vor dem Gremium zu rechtfertigen. Es wurden bei 207 Kreditfällen insgesamt 259 verschiedene Begründungen identifiziert, was bedeutet, dass innerhalb einzelner Kreditfälle und auch einzelner Kredite mehrere Begründungen existieren. Die Staatsbank hatte intern als Grund für die Ausnahmegenehmigung mehrmals eindeutig den Wettbewerb mit den Großbanken angegeben, der seit den Zinsabkommen verstärkt über die Frage der geforderten Sicherheiten ausgetragen wurde. In der Tat spielte das Wettbewerbsmotiv eine überragende Rolle bei den Rechtfertigungen für die Kreditvergabe. Insgesamt 179 Begründungen bei 161 Einzelkrediten lassen sich auf den Wettbewerb mit anderen Kreditinstituten zurückführen, was 66 % aller Begründungen entspricht. Das Gesamtvolumen dieser Kredite betrug 428 Millionen DM, was 79 % des Gesamtvolumens der begründeten Kredite entsprach. Damit war das Volumen pro Kredit mit 2,7 Millionen DM wesentlich höher als der allgemeine Durchschnitt. Besonders dominant ist das Wettbewerbsmotiv mit 83 % der begründeten Fälle bei den auswärtigen Unternehmen. Das Wettbewerbsmotiv tauchte auch in der Mehrzahl der Kreditfälle auf, für die mehr als eine unterscheidbare Rechtfertigung existieren.1024 An dieser Stelle soll zunächst dargestellt werden, wie diese Begründungen dem Wettbewerbsmotiv zugeordnet wurden. Die zentrale Annahme ist, dass Kreditnehmer, bei denen potentiell die Gefahr eines Wechsels der Bankverbindung drohte, Zu1024 In 14 der insgesamt 20 Kreditfälle, in denen gleichzeitig mehrere Rechtfertigungsordnungen angewendet wurden, taucht das Wettbewerbsargument auf.

5.2 Der Wandel der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank 

301

geständnisse bei den Sicherungsanforderungen durchsetzen konnten. Sie konnten entweder die Vergabe von ungesicherten Krediten fordern oder aber die Staatsbank dazu bewegen, Sicherheiten zu akzeptieren, die nicht ihren Kreditgrundsätzen entsprachen. Eine weitere wichtige Vorannahme ist, dass die meisten im Kreditausschuss vorgetragenen Fälle aufgrund ihres großen Volumens potentiell attraktiv für die Konkurrenten der Staatsbank waren. Entscheidend dafür, ob sich aus diesem Potential für die Staatsbank ein tatsächliches Risiko für den Verlust eines Kunden oder aber ein Anreiz zur Gewinnung eines Neukunden ergab, hing davon ab, wie das jeweilige Unternehmen finanziell aufgestellt war. Die Vorgehensweise soll im Folgenden anhand des Kreditfalls der Herdfabrik Delligsen dargestellt werden.

Abb. 7: Der Kreditfall Herdfabrik Delligsen vom 22. September 1955 Quelle: Protokoll der Kreditausschusssitzung am 22. September 1955, Referat Bankdirektor Pflüger, S. 2, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 134.

Die Begründung dieses Kreditpaketes gelang in drei Schritten. Aus den Daten zu Aktienkapital und Rücklagen des Unternehmens ließ sich auf ein für das Kreditvolumen ausreichendes Eigenkapital schließen. Der Hinweis auf die gute Auftragslage des Unternehmens besaß einen unmittelbaren Wert für die Bank, weil ein gut gefülltes Auftragsbuch mittels Verpfändung der Auftragssumme in Geld umgewandelt werden konnte. Beide Informationen wiesen die Herdfabrik als wirtschaftlich potentes Unternehmen aus, was sie zu einem begehrten Kreditkunden machte. Dazu gehörte auch der Hinweis auf den umfangreichen lastenfreien Liegenschaftsbesitz, der

302  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

die Möglichkeit zur Sicherstellung der ausstehenden Summe im Falle finanzieller Probleme des Unternehmens aufzeigen sollte. Diese Information machte zudem deutlich, dass die Staatsbank nicht aufgrund der mangelnden Möglichkeiten des Kreditnehmers auf die ordnungsgemäße Stellung von Sicherheiten verzichtet hatte. Die Eintragung von Grundschulden wäre aufgrund der Lastenfreiheit ja möglich gewesen. Schließlich wurde die Konkurrenzsituation durch die Information über die Abwerbungsversuche der Bank aus Hannover konkretisiert. Die Staatsbank war aufgrund der Konkurrenzsituation nicht in der Lage, ihre Grundsätze der Kreditvergabe durchzusetzen. Sie hätte ihren Kunden sonst verloren. Nicht in allen Fällen ist die Situation so eindeutig wie bei der Herdfabrik. In den meisten Fällen war die Form der Rechtfertigung viel weniger komplex. Die meisten Begründungen stellten den finanziellen Wert der Kreditnehmer (47 %), deren Bürgen (20 %) oder den von ihnen zur Verfügung gestellten Sicherheiten (19 %) heraus. Die Betonung der finanziellen Solvenz des Unternehmens hatte eine doppelte Funktion, weil sie gleichzeitig ein geringes Ausfallrisiko und ein hohes Abwerberisiko darstellte. In diesem Zusammenhang soll auf die Funktion der Angabe von allgemeinen Unternehmensdaten hingewiesen werden. Die in den Protokollen festgehaltenen Informationen über die gängigsten Unternehmensdaten wie Eigenkapital, Umsatz, Gewinn oder Bilanzsumme wurden bei der Analyse ebenfalls als Begründung für den Kredit gewertet. In 12 % der begründeten Kreditfälle waren diese Daten das einzige Rechtfertigungsmittel. Auf den ersten Blick könnte man diese Daten auch für ein Artefakt halten oder ihnen eine rein formale Funktion zugestehen. Man darf jedoch den Kontext nicht vergessen, in denen diese Informationen auftauchen. Der Kreditausschuss hatte die Pflicht, jeden vorgetragenen Kredit einzeln zu prüfen, und da innerhalb einer Sitzung teilweise sehr viele Kredite besprochen wurden, boten die Daten den Ausschussmitgliedern ein einfaches Mittel, um die Kreditvergabe zu bewerten. Andererseits wurden diese Daten nur in bestimmten Fällen auch in den Protokollen vermerkt. Dies lag nicht daran, dass die Staatsbank für die anderen Fälle keine Daten besaß. Die Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse war gesetzlich vorgeschrieben. So verpflichtete der Gesetzgeber seit 1934 alle Kreditinstitute, vor einer Vergabe ungesicherter Kredite ab einer bestimmten Höhe die Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse einzufordern.1025 Wenn die Unternehmensdaten also 1025 In § 13 des KWG von 1934 wurden die Kreditinstitute verpflichtet, bei einer Blanko-Kreditvergabe und ab einer Kredithöhe von mehr als 5.000 RM von den Kreditnehmern „die Offenlegung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere die Vorlage der Jahresabschlüsse, zu verlangen.“ Gesetz über das Kreditwesen, § 13, in: RGBl. I (1934), S. 1203–1214, S. 1206. 1961 wurde diese Offenlegungspflicht für alle Kredite über 20.000 DM eingeführt. Es gab allerdings 1961 eine Möglichkeit zur Umgehung dieser Pflicht: „Das Kreditinstitut kann hiervon absehen, wenn das Verlangen nach Offenlegung im Hinblick auf die gestellten Sicherheiten oder auf die Mitverpflichteten offensichtlich unbegründet wäre.“ Gesetz über das Kreditwesen, Fassung von 1961, § 18, in: BGBl. I. (1961), S. 881–

5.2 Der Wandel der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank 

303

nur in bestimmten Fällen in den Kreditausschussprotokollen festgehalten wurden, dann hatte dies andere Gründe. Dass diese Daten auch Konkurrenten der Staatsbank auf den Plan rufen konnten, wurde bereits in Untersuchungen gezeigt, die bei der Analyse den sogenannten Relationship-Lending-Ansatz nutzten. Als Gegenstück zu der namengebenden persönlichen Kreditvergabe wurde dort der Begriff „FinancialStatement-Lending“ etabliert. Hier basiert die Auswahl der Kreditnehmer auf der Auswertung standardisierter veröffentlichter Unternehmensdaten. Diese Form der Kreditvergabe ermöglicht den Unterhalt finanzieller Beziehungen zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer, ohne die Existenz persönlicher Beziehungen vorauszusetzen. Dadurch wurde die Kreditvergabe unabhängig von räumlichen Beschränkungen möglich, was die Zahl möglicher Konkurrenten potentiell vervielfachte. Das zentrale Merkmal dieser Kreditvergabepraxis war deshalb der hohe Grad an Wettbewerb um diese Kredite.1026 Auffällig ist der hohe Anteil der auswärtigen Kredite, die in dieser Form begründet wurden, speziell bei Fällen an auswärtige Aktiengesellschaften. Dies ist so zu interpretieren, dass die Staatsbank in diesen Fällen selbst von der Möglichkeit Gebrauch machte, Kredite auf Basis der Auswertung allgemeiner Unternehmensdaten zu vergeben. Bei braunschweigischen Unternehmen verwies die Angabe der Daten hingegen auf die Gefahr eines erhöhten Wettbewerbs durch auswärtige Kreditinstitute. In diesem Zusammenhang sind auch die insgesamt zwölf Fälle hervorzuheben, in denen das Direktorium im Kreditausschuss den Zinssatz als Begründung für die Kreditvergabe nannte.1027 Die Hälfte dieser Fälle betraf Kredite aus dem Jahr 1958 an große Industrie- und Handelskonzerne außerhalb Braunschweigs. In weiteren vier Fällen wurden 1961 Kredite an Banken vergeben, von denen drei außerhalb Braunschweigs lagen. Dieser Umstand und auch der Zeitpunkt des Auftauchens von Zinsen als Rechtfertigungsmittel ist ein zusätzlicher Hinweis auf einen Wandel in der Praxis der Kreditvergabe ab 1958, der zunächst fast ausschließlich außerregionale Unternehmen und den überregionalen Interbankenhandel betraf. Während im regio898, S. 887. Der Unterschied zwischen 1934 und 1961 liegt neben dem unterschiedlichen Kreditvolumen in der Gewichtung von Sicherheiten. 1934 wurde nur bei einem vollständigen Verzicht auf Sicherheiten die Offenlegung gefordert. Die Umgehung der Offenlegungspflicht durch Stellung von Sicherheiten wurde 1961 dahingehend eingeschränkt, dass diese Sicherheiten die Pflicht zur Offenlegung „offensichtlich“ als unbegründet erscheinen ließen. Es musste sich also um allgemein akzeptierte Sicherheiten handeln. Spätere Zusätze dieses Paragraphen zeigen die Richtung des Gesetzgebers. 1994 wurden selbstgenutzte Immobilien von der Offenlegungspflicht ausgenommen. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Kreditwesen und anderer Vorschriften über Kreditinstitute vom 28. September 1994, BGBl. I. (1994), S. 2735. 1026 Baas, Timo; Schrooten, Mechthild, Theoretische Analyse der Gewinnsituation im deutschen Bankensektor. Kreditvergabestrategie sichert Sparkassen und Kreditgenossenschaften Vorteile, DIW Discussion Papers Nr. 502, Berlin 2005, S. 10. 1027 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 9. Dezember 1959, S. 13; Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 5. September 1960, Kreditabteilung III, S. 2, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 134.

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nalen Kreditverkehr die Angabe von Zinssätzen keine zulässige Begründung zu sein schien, ging das Direktorium offensichtlich davon aus, dass die Angabe von Zinsen eine Kreditvergabe an auswärtige Unternehmen und Banken rechtfertigen konnte. Auch wenn die positive Darstellung der finanziellen Lage der Unternehmen dominierte, nutzte die Staatsbank zur Begründung von Kreditvergaben auch andere Argumente. Ein relativ oft genutztes Argument (17 Fälle) war die Betonung der Diskrepanz zwischen den formalen Kreditmodalitäten und der tatsächlichen Nutzung des Kredites. So wiesen die Direktoriumsmitglieder den Ausschuss zum Beispiel darauf hin, dass der zu vergebende Kredit nur für kurzfristige Spitzeninanspruchnahmen gedacht sei. Oder es wurde bekanntgegeben, dass das zugesagte Kreditvolumen nur selten oder nur geringfügig genutzt werden würde. In diesen Fällen sollte der Kreditausschuss davon überzeugt werden, dass das tatsächliche Risiko geringer war, als die formalen Bedingungen suggerierten. In einigen Fällen nutzte die Staatsbank auch nichtfinanzielle Argumente für die Begründung von Kreditvergaben. In 20 Fällen spielte die soziale Stellung oder die sozialen Beziehungen des Kreditnehmers die entscheidende Rolle, weshalb diese Fälle entweder Privatpersonen oder Personengesellschaften oder aber leitende Angestellte oder Teilhaber von Unternehmen betrafen. In fünf dieser Fälle begründete das Direktorium die Kreditvergabe mit dem Wert der Kreditnehmer für die Knüpfung von Geschäftskontakten. Die Kreditvergabe diente also der Verstetigung von Geschäftsbeziehungen. Die Kreditnehmer konnten demnach Sonderkonditionen nicht aufgrund ihrer finanziellen Situation, sondern ihrer guten Vernetzung durchsetzen. In 16 Fällen wurden die Rationalität und Effizienz der Unternehmen bzw. die Bemühungen zu ihrer Steigerung herausgestellt. Diese Form der Begründung stand jedoch nie für sich allein. Meist ergänzten sie die Beschreibung der finanziellen Situation der Unternehmen. Diese Fälle hingen eng mit der Vergabe von mittelfristigen Investitionskrediten zusammen und werden im nächsten Unterkapitel näher erläutert. Besonders interessant im Zusammenhang mit dieser Untersuchung sind die Kreditfälle, bei deren Begründung sich das Direktorium auf das öffentliche Interesse an der Kreditvergabe bezog. Dieses Mittel wurde allerdings nur selten genutzt. Insgesamt konnten 21 Fälle identifiziert werden, für die sich ein eindeutiger Gemeinwohlbezug nachweisen lässt. Bei der Verteilung der Fälle über den Untersuchungszeitraum hinweg fallen allerdings einige Besonderheiten auf. 14 Fälle konzentrieren sich auf die Jahre 1949 und 1954. In diesen beiden Jahren war die Staatsbank entscheidend an sieben Sanierungen von Unternehmen beteiligt, auf die sich neun Gemeinwohlaussagen beziehen.1028 Sanierungsfälle brachte das Direktorium aufgrund der großen politischen Brisanz oft direkt in den Beirat ein, der den Entscheidungen eine größere politische Legitimität verlieh. Diese Praxis erklärt letztlich auch die geringe Zahl der im Kredit1028 1955 wurde zudem mit einem Kredit die Getreideernte im Braunschweiger Raum aufgefangen.

5.2 Der Wandel der Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank

 305

ausschuss behandelten Fälle. Die mit den Sanierungen zusammenhängenden Fälle werden in Abschnitt 5.4 untersucht. Dort wird auch auf die Funktion des Gemeinwohlbezugs in der Praxis der Kreditvergabe näher eingegangen. Der Kreditausschuss intervenierte relativ selten in die Kreditvergabe. In 19 Fällen griff er in die Kreditvergabe ein. In acht Fällen zweifelte das Gremium an, dass der Kreditnehmer über ausreichende finanzielle Mittel verfügte und verlangte zusätzliche Sicherheiten. In vier weiteren Fällen äußerte mindestens ein Mitglied Zweifel an der persönlichen Integrität des Kreditnehmers. In der Mehrheit dieser Interventionen folgte das Direktorium der Kritik und zog in einigen Fällen die Kreditanträge wieder zurück. In einigen Fällen intervenierte der Kreditausschuss jedoch auch zugunsten der Kreditnehmer. Die dennoch deutliche Dominanz negativer Interventionen zeigt, dass der Ausschuss seine Hauptaufgabe durchaus wahrnahm, die Sicherheit der Kreditvergabe bei den Ausnahmegenehmigungen zu überprüfen. Die geringe Zahl der Interventionen zeigt insgesamt, dass es zwischen Direktorium und Ausschuss keinen grundlegenden Dissens über die Risikoeinschätzung von ungesicherten Krediten gab. Die Analyse der Begründungen von Kreditvergaben vor dem Kreditausschuss bestätigt zunächst, dass die seit 1937 bestehende Ausnahmeregelung von der Staatsbank im Wesentlichen als Instrument des Wettbewerbs genutzt wurde. Innerhalb dieses Wettbewerbskontextes lässt sich in den Kreditausschussprotokollen seit 1958 eine Zweiteilung ausmachen zwischen der Kreditvergabe an braunschweigische Unternehmen auf der einen Seite und an auswärtige Unternehmen auf der anderen. Letztere wurden in erster Linie auf Basis allgemeiner Unternehmensdaten begründet. Hier finden sich auch die einzigen Fälle, bei denen der Zinssatz eine Rolle spielt. Nimmt man die Ergebnisse der quantitativen Analyse hinzu, ergibt sich das Bild eines scharfen Kontrastes zwischen der Kreditvergabe innerhalb und außerhalb des Geschäftsbereiches. Innerhalb des ehemaligen Landes Braunschweig agierte die Staatsbank zwar im Wettbewerb. Das Direktorium konnte jedoch die Kriterien für die Kreditvergabe sehr flexibel festlegen und dabei auch nichtfinanzielle Kriterien berücksichtigen. Im Extremfall konnte es sogar Kredite vergeben, die mit bloßem Blick auf den Kreditnehmer nicht zu rechtfertigen waren. Hier stand sie zumindest temporär nicht mehr im Wettbewerb. Außerhalb Braunschweigs war sie demgegenüber überwiegend auf die Auswertung allgemein verfügbarer Unternehmensdaten beschränkt. Dafür konnte sie hier Kredite mit der Höhe des Zinssatzes rechtfertigen, was innerhalb des Geschäftsgebietes der Staatsbank offensichtlich nicht möglich war. Der Grund für diese Unterschiede ist die Herausbildung einer neuen Legitimationsgrundlage der Bank, die mit der deutschen Teilung zusammenhängt.

306  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

5.3 „Am Zonenrand“: die Kreditexpansion innerhalb des alten Landes Braunschweigs Die Entwicklung der Marktanteile der Staatsbank in Braunschweig und in Niedersachsen In den vorangegangenen Kapiteln wurde bewusst darauf verzichtet, den Marktanteil der Braunschweigischen Staatsbank innerhalb ihres Geschäftsgebietes quantitativ zu schätzen. Die Datenlage gab dies schlicht nicht her. Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich die statistischen Grundlagen jedoch soweit verbessert, dass zumindest eine Schätzung des Marktanteils möglich ist. Dies ist einerseits den Leistungsvergleichen zu verdanken, die im Zuge der Fusionsverhandlungen zwischen der Braunschweigischen Staatsbank und der Sparkassenorganisation Ende der 1960er Jahre in Niedersachsen durchgeführt wurden. Zusammen mit den Daten der Landeszentralbank in Niedersachsen ermöglichen diese statistischen Erhebungen einen detaillierten Vergleich der Struktur des Kreditgeschäftes der Sparkassen und der Niedersächsischen Landesbank auf der einen und der Struktur der Staatsbank auf der anderen Seite. Zu den Größenverhältnissen ist zunächst zu sagen, dass die Staatsbank innerhalb ihres Geschäftsgebietes wesentlich größer war als die Sparkassenorganisation innerhalb ihres Gebietes. Setzt man die Bilanzsumme ins Verhältnis zur Bevölkerung des jeweiligen Geschäftsgebietes, dann ergibt sich für 1967, dass die Staatsbank eine Bilanzsumme von 6.300 DM pro Kopf aufwies, während die Sparkassen und die Niedersächsische Landesbank im übrigen Niedersachsen zusammen eine Quote von 3.700 DM aufwiesen. Damit war die Quote der Staatsbank um 70 % höher als die der Sparkassenorganisation im übrigen Niedersachsen.1029 Es bleibt die Frage, ob dieses Wachstum lediglich das Ergebnis einer erhöhten Kreditnachfrage innerhalb ihres Geschäftsbereichs war oder ob die Staatsbank hier von anderen Banken Marktanteile hinzugewann. Diese Frage lässt sich nicht leicht beantworten, weil erstens das Geschäftsgebiet der Staatsbank von den politischen Grenzen des Verwaltungsbezirks Braunschweig abwich.1030 Zweitens existieren keine Statistiken über Marktanteile von Kreditinstituten auf der Ebene des Verwaltungsbezirks Braunschweig. Wie groß der Kreditmarkt im Geschäftsgebiet der Staatsbank gewesen ist, kann deshalb aus unabhängigen Quellen nur indirekt geschätzt werden. Drittens lockerte sich die enge territoriale Beschränkung der Staatsbank bei der Kreditvergabe im Laufe der Zeit immer mehr, sodass in den 1960er Jah-

1029 Protokoll der 84. Beiratssitzung am 1. April 1966, Anlage 10, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113. 1030 So zählte der zum Verwaltungsbezirk gehörende Kreis Goslar nicht zum Geschäftsgebiet der Staatsbank, während der Kreis Holzminden dazu zählte, jedoch nicht Teil des Verwaltungsbezirks war.

5.3 „Am Zonenrand“ 

307

ren bereits substantielle Teile des Geschäftes außerhalb der Grenzen des Geschäftsbereiches getätigt wurden.1031 Für das dritte Problem existiert eine befriedigende Lösung, weil aufgrund der Quellenlage das überregionale Geschäft aus dem Gesamtkreditgeschäft herausgerechnet werden kann.1032 Durch diese Operation ergibt sich der Anteil des regionalen Kreditgeschäftes der Staatsbank am gesamten Kreditmarkt in Niedersachsen. In der folgenden Tabelle wurde dieser regionale Marktanteil ins Verhältnis zur Bevölkerung des Geschäftsbereiches der Staatsbank, zum Bruttoinlandsprodukt und zu dem Volumen der über die örtlichen Zentralbankstellen abgerechneten Geldtransaktionen gesetzt.1033

1031 Das Direktorium gab auf einer Beiratssitzung im Frühjahr 1966 an, dass die Staatsbank 1965 fast 20 % ihres Aktivgeschäftes außerhalb ihres Geschäftsgebietes tätigte. Protokoll der 84. Beiratssitzung am 1. April 1966, Anlage 9, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 113. 1032 Für das Jahr 1950 kann aufgrund der Quellenlage angenommen werden, dass die Staatsbank nur sehr wenige Geschäfte außerhalb der Grenzen ihres Geschäftsbereichs tätigte. Die Staatsbank hatte einen Anteil am gesamten Kreditgeschäft Niedersachsens von 7,8 %. Allerdings hatte die Staatsbank zu diesem Zeitpunkt einen Einzelkredit über 15 Millionen DM an das Volkswagenwerk vergeben. Zieht man diesen Kredit ab, sinkt der Anteil auf 7 %. Für das Frühjahr 1966 existieren Angaben der Staatsbank zu dem Volumen der Kredite, die die Staatsbank außerhalb der Grenzen ihres Geschäftsbereichs vergeben hatte. Zieht man dieses Außengeschäft vom Gesamtgeschäft ab, dann lag der Anteil des regionalen Geschäftes der Staatsbank am Gesamtgeschäft Niedersachsens bei 8,2 %. Allerdings ist auch hier nicht klar, ob Kredite an Unternehmen unmittelbar hinter der Grenze des Geschäftsgebietes mit einbezogen wurden. Zieht man diese Kredite vom Gesamtvolumen ab, würde der Marktanteil für 1966 auf 7,6 % sinken. 1033 Eine Möglichkeit der Einschätzung der generellen Bankenaktivität im Verwaltungsbezirk Braunschweig bietet die Statistik des Abrechnungsverkehrs der örtlichen Annahmestellen der Landeszentralbank. Die LZB diente als Clearing-Stelle der Geschäftsbanken für alle möglichen Bereiche des Geldmarktes wie Wechsel, Schecks, Überweisungen oder Lastschriften. Ein hohes Transaktionsvolumen örtlicher Dienststellen ist deshalb ein direkter Ausdruck hoher Interbankenumsätze und ein indirekter Hinweis für eine hohe Inanspruchnahme von Bankdienstleistungen. Im Geschäftsgebiet der Staatsbank lagen 1950 zwei und 1966 drei Filialen der LZB: in Braunschweig, Holzminden und ab 1953 in Helmstedt. Außerdem gab es noch in Goslar eine Stelle, bei der vermutlich auch Banken aus dem Geschäftsbereich der Staatsbank Geldmarktpapiere einreichten. Daher wurden in der Tabelle die Zahlen einmal mit und einmal ohne die Stelle Goslar dargestellt. Für die Errechnung des Marktanteils der Staatsbank anhand der LZB-Statistik wurde nur das kurzfristige Kreditgeschäft herangezogen, da es sich im Wesentlichen um Geldgeschäfte handelte. Da sich mit der Einreicher-Statistik allerdings nur die Bankenaktivität messen lässt, macht es hier keinen Sinn, nur das örtliche Kreditgeschäft der Staatsbank als Bezugsgröße zu nehmen. Die außerörtlichen Aktivitäten im Bereich des Interbankenhandels sind in den Zahlen der Einreicher-Statistik enthalten. Weiterhin muss auch der Interbankenkredit hinzugenommen werden.

308  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

Tab. 22 Marktanteil der Staatsbank im regionalen Kreditgeschäft Jahr

Anteil Bevölkerung1

Marktanteil Anteil BIP1 Staatsbank pro Kopf

1950

12,9

54,2 % (60,4 %3)

1966

12,8 %2

60,9 % (64 %3)

1 2 3 4 5

Marktanteil Staatsbank (Bezug BIP)

Anteil Abrechnung LZB1

Marktanteil Staatsbank (Bezug LZB)

13,1 %4

53,4 % (59,5 %3)

14,2 % (16,4 %5)

47,2 % (40,8 %5)

12,8 %4

60,9 % (64 %3)

15,5 % (16,8 %5)

63,2 % (58,3 %5)

Anteil der Bevölkerung, des BIPs und der Abrechnung der LZB in Bezug auf Niedersachsen; Anteil von 1960; Marktanteil inklusive der Großkredite an Volkswagen und die Ilseder Hütte; BIP-Anteile von 1957 und 1964; inklusive der LZB-Stelle Goslar.

Quelle: Eigene Berechnungen nach: Kegel, Wirtschaft und Verkehr, S. 1050; Bevölkerungsdaten des Verwaltungsbezirks Braunschweig, des Kreises Goslar und des Kreises Holzminden nach: Rademacher, Michael, Deutsche Verwaltungsgeschichte von der Reichseinigung 1871 bis zur Wiedervereinigung 1990, online veröffentlicht auf: https://treemagic.org/rademacher/www.verwaltungsgeschichte.de/ (zuletzt besucht am 13. Mai 2020); Geschäftsberichte der Landeszentralbank von Niedersachsen, Jahrgänge 1950 und 1966; Geschäftsberichte der Braunschweigischen Staatsbank der Jahre 1950 und 1966; Protokoll der 85. Beiratssitzung am 11. Juli 1966, S. 4ff, in: NWA 5, Zg. 6/ 2007.

Ein deutlicher Unterschied ergibt sich beim Anteil der Region am Transaktionsvolumen der LZB im Vergleich zum Anteil an der Bevölkerung Niedersachsens sowie am BIP des Bundeslandes.1034 Der mit diesen Daten errechnete Marktanteil der Staatsbank war für 1950 deutlich geringer als der errechnete Gesamtmarktanteil bei der Messung anhand der BIP- und Bevölkerungszahlen. Dies könnte seinen Grund darin haben, dass sich die Staatsbank Anfang der 1950er Jahre im Geschäftsverkehr mit der LZB bewusst zurückgehalten hat.1035 Die Zahlen für 1966 sind wieder im Bereich der anderen Messungen. Bei allen Unsicherheiten der Schätzung lassen sich aus dem Zahlenmaterial dennoch drei Rückschlüsse ziehen. Erstens liegen die Zahlen nah an den Aussagen ehemaliger und aktueller Führungskräfte der Staatsbank bzw. deren Nachfolgeinstituten, die den regionalen Marktanteil der Staatsbank in den 1960er Jahren mit bis zu

1034 Dies lag hauptsächlich an der Form der Finanzierung des Volkswagenwerkes, die im letzten Kapitel beschrieben wurde und an der die Staatsbank maßgeblich beteiligt war. Siehe Kapitel 4.3, Unterkapitel: Die Finanzierung des industriellen Wiederaufbaus im Raum Braunschweig nach dem Krieg. 1035 Bericht über die Monate Juli und August 1951 der Braunschweigischen Staatsbank, in: NWA 5, Zg. 6/2007 Nr. 278.

5.3 „Am Zonenrand“

 309

60 % angaben.1036 Der Marktanteil dürfte demnach in diesem Bereich gelegen haben. Im Vergleich zu der Sparkassenorganisation war ihr Marktanteil also weitaus höher. Weiterhin deuten die Auswertungen darauf hin, dass der Marktanteil zwischen 1950 und 1966 auch regional gewachsen ist. Drittens war der Bedarf nach Finanzmitteln in Braunschweig höher als im Durchschnitt Niedersachsens. Somit hat die Staatsbank zwar auch die benötigte erhöhte Finanzierungsleistung erbracht, darüber hinaus jedoch hat sie gegenüber ihren Konkurrenten zusätzliche Marktanteile gewonnen. Im Folgenden werden die Gründe für diese Expansion erläutert. Eine zentrale Rolle spielten dabei ausgerechnet die negativen Folgen der deutschen Teilung.

Die Probleme des Zonengrenzlandes als neue Aufgabe der Staatsbank Wie die meisten Gebiete an der Grenze zu der sowjetischen Besatzungszone hatte Braunschweig mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die aus der Zerstörung von historisch gewachsenen Wirtschaftsräumen herrührten. Braunschweig lag verkehrstechnisch traditionell auf der bedeutendsten Ost-West-Verbindung in Deutschland. Nach der Teilung stellte das Land nunmehr den Endpunkt der ihrer Bedeutung weitgehend beraubten Eisenbahn- und Straßenverbindungen dar. Regional war die Wirtschaft des Landes traditionell nach Osten hin ausgerichtet. Vor allem zu den Gebieten um Magdeburg und Halle bestanden sehr enge Beziehungen. Diese Region fiel nun als Handelspartner aus. Die Betriebe mit den fruchtbaren Böden der Magdeburger Börde fehlten den braunschweigischen Unternehmen nun als Lieferanten und als Absatzmarkt. Besonders problematisch war dies für die Zuckerund Konservenindustrie. Letztere verlor über 30 % ihrer Vertragspartner.1037 Auch die nahrungsmittelverarbeitende Industrie war von der Teilung stark betroffen. Der Aufbau neuer Wirtschaftsbeziehungen nach Westdeutschland wurde durch die abseitige Lage und die dadurch entstehenden höheren Transportkosten erschwert. Zudem mussten die braunschweigischen Unternehmen in bereits bestehende wirtschaftliche Beziehungen eindringen, was ebenso problematisch war.1038 Gudrun Fiedler und Normann-Mathias Pingel zufolge haben die Unternehmen im ehemaligen Land Braunschweig auf diese Probleme mit verstärkten Anstrengungen zur Rationalisierung der Produktion reagiert, um die Kosten zu senken. Viele Unternehmen

1036 „Wir holen die Marktanteile zurück – Stück für Stück“. Interview mit Christoph Schulz, Vorstandsvorsitzender der Landessparkasse und dem scheidenden Vertriebsvorstand Kurt Gliwitzky, Braunschweiger Zeitung vom 21. Oktober 2010. 1037 Henk, Johannes, Ergebnisse der Zonenrandförderung Braunschweigischer Wirtschaft unter dem Aspekt der Raumordnung. Gewerbeansiedlung und Standortproblematik, Frankfurt a. M.; Bern; New York 1984, S. 37–39. 1038 Fiedler; Pingel, Nachkriegsboom, S. 587.

310  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

haben zudem versucht, die verlorenen Absatzmärkte durch die Erschließung ausländischer Märkte zu kompensieren.1039 Entscheidend unterstützt wurden sie dabei von den politischen Bemühungen, staatliche Hilfe für das Zonengrenzland zu organisieren. Diese Bemühungen fanden nicht nur in Braunschweig, sondern im gesamten Zonenrandgebiet statt. Das gemeinsame Schicksal der Grenzziehung bot dabei einen Ansatzpunkt für die landesübergreifende politische Mobilisierung der Industrie- und Handelskammern entlang der Zonengrenze. Der Anstoß ging dabei von Braunschweig aus. Der Präsident der IHK Braunschweig Hans Christoph Seebohm begann bereits 1949 mit der politischen Lobbyarbeit. 1950 wurde unter seiner Ägide die „Arbeitsgemeinschaft der Industrieund Handelskammern des Zonenrandgebietes“ in Braunschweig gegründet. Im Februar 1951 formulierte die Arbeitsgemeinschaft eine Denkschrift, die an Konrad Adenauer gerichtet war. In dieser Schrift beschrieben die Industrie- und Handelskammern die Notlage des Zonengrenzlandes und forderten politische und finanzielle Unterstützung. Die Staatsbank beteiligte sich an der Erstellung dieser Denkschrift, indem sie für die Jahre 1949 und 1950 Daten über das Pro-Kopf-Volumen der Spareinlagen in Braunschweig im Vergleich zum Bundesgebiet erhob. Sie konnte damit zeigen, dass das Zonengrenzland hier deutlich hinter dem Bundesdurchschnitt zurücklag.1040 Die IHK-Denkschrift war die Grundlage für die politische Debatte um ein langfristiges Strukturprogramm für das Zonengrenzland.1041 Die Bundesregierung hatte 1950 sogenannte Notstandsgebiete definiert, die von den Folgen des Krieges und der Besatzung besonders betroffen waren. Dazu gehörten zunächst Berlin, Wilhelmshaven, der Bayerische Wald und Salzgitter.1042 Für diese Gebiete wurden mehrere strukturelle Förderungsmaßnahmen beschlossen, unter anderem ein größeres Programm für die Bereitstellung zinsvergünstigter Investitionskredite für die gewerbliche Wirtschaft. Die IHK-Arbeitsgemeinschaft forderte nun für das Zonengrenzland einen ähnlichen Status und ebenfalls ein konkretes Förderprogramm. Ein Jahr nach der Gründung der Arbeitsgemeinschaft schlossen sich unter Führung des niedersächsischen Wirtschaftsministers Hermann Ahrens auch die betroffenen Bundesländer im Arbeitskreis der Ostgrenzgebiete der Bundesrepublik zusammen. Wie Seebohm kam auch Ahrens aus dem Land Braunschweig. Erst 1953 folgte ein Zusammenschluss auf Kreisebene, dem sich später die Kommunen anschlossen. Den Vorsitz übernahm hier Hans-Walter Conrady, als Oberkreisdirektor Helmstedts ebenfalls ein Politiker aus dem Land Braunschweig.1043 1039 Ebenda, S. 589, 595 f. 1040 Braunschweigische Staatsbank, Direktorium an die Industrie- und Handelskammer, 12. Dezember 1950, Betreff: Grenzland-Denkschrift, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 278. 1041 Henk, Zonenrandförderung, S. 56. 1042 Protokoll der 65. Kabinettssitzung am 12. Mai 1950, TOP I (Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online). 1043 Henk, Zonenrandförderung, S. 56 f.

5.3 „Am Zonenrand“ 

311

Es überrascht auf den ersten Blick, dass braunschweigische Politiker bei der Organisation der politischen Unterstützung des Zonengrenzlandes die Führung übernahmen. Nach der Auflösung des Landes Braunschweig 1946 blieben nur noch wenige Institutionen bestehen, die an Stelle der politischen Repräsentanten die wirtschaftlichen Interessen des aufgelösten Gemeinwesens vertreten konnten. Die zeitliche Abfolge der politischen Mobilisierung zeigt, dass es nicht die staatlichen Körperschaften, sondern die organisierte Unternehmerschaft war, die die ersten und auch die einflussreichsten Beiträge Braunschweigs zur politischen Mobilisierung des Bundesgrenzlandes leisteten. Die IHK-Arbeitsgemeinschaft unter Führung von Seebohm war es auch, die als erstes die Festlegung einer 40 Kilometer breiten Förderzone entlang der Grenze vorgeschlagen hatte. Landeswirtschaftsminister Ahrens übernahm diese Idee in seiner eigenen Denkschrift von 1952.1044 Als die Bundesregierung im August 1953 die 40-km-Zone als Fördergebiet anerkannte, war dies für Braunschweig ein großer Erfolg, weil das Land dadurch fast vollständig Teil des Zonengrenzlandes wurde.1045 Es war die Industrie- und Handelskammer, die nach dem Untergang des Landes Braunschweig die wirtschaftspolitischen Interessen der Region vertrat und erfolgreich durchsetzen konnte. Am 2. Juli 1953 wurde vom Bundestag fraktionsübergreifend und ohne die Mitwirkung der Bundesregierung die Förderung des Zonengrenzlandes durch den Bund beschlossen.1046 Der Bundestag erkannte mit diesem Beschluss an, dass die wirtschaftlichen Probleme des Zonengrenzlandes strukturelle Ursachen hatten, die unmittelbar mit der deutschen Teilung zusammenhingen. Die Förderung wurde zudem dem gesamten Zonengrenzland zuerkannt, unabhängig von seiner großen wirtschaftlichen Heterogenität.1047 Viele Abgeordnete wie etwa Hans Henn von der FDP verstanden die Zonengrenzlandförderung als Teil des Systemwettstreits zwischen Ost und West: „Die Zonenrandgebiete sind aber neben Berlin auch das Schaufenster der Bundesrepublik nach Mitteldeutschland. […] Wir wollen gerade diese Gebiete ge1044 Ebenda, S. 58 und 69, Fußnote 19. Gegen diese pauschale Grenzziehung hatte es innerhalb der Bundesregierung Wiederstand gegeben. Letztlich setzte sich jedoch das Bundeswirtschaftsministerium mit seinem Entwurf durch. Den Kabinettsprotokollen nach zu urteilen hauptsächlich, weil er die Abgrenzungsfrage radikal vereinfachte. Im November 1953 wurde schließlich der Name des förderungswürdigen Gebietes bestimmt als „Zonenrandgebiet der Bundesrepublik“. Vgl. dazu die 39. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft am 19. August 1953, TOP 2; 1. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft am 19. November 1953 (Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online). URL: https://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0000/x/x1951e/kap1_2/kap2_43/ para3_3.html (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). 1045 Protokoll der 39. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 19. August 1953, TOP 2 (Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online). 1046 Im Bundestag hatte sich innerhalb des Gesamtdeutschen Ausschusses ein Sonderausschuss Zonengrenzland gebildet. Auch hier war also die Interessenvereinigung des Zonengrenzlandes erfolgt. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 01/279, vom 2. Juli 1953, S. 3955, Parlamentsdokumentation online, URL: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/01/01279.pdf (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). 1047 Ebenda.

312  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

sund und kräftig in ein wiedervereinigtes Deutschland einbringen. Deshalb müssen wir dem Zonengrenzgebiet in der Zwischenzeit der Not helfen, soweit es in unseren Kräften steht.“1048 Durch den Beschluss wurde die Bundesregierung aufgefordert, ein Förderprogramm für die Gebiete entlang der Grenze aufzulegen. In den Jahren 1954 und 1955 verhandelte die Bundesregierung mit den Ländern über die genaue Ausgestaltung der Zonenrandförderung. Das Ergebnis war das 1955 verabschiedete „Regionale Förderungsprogramm“. Es enthielt nur wenige neue Maßnahmen, sondern fasste im Wesentlichen bereits bestehende Programme zusammen. Dazu gehörten Sonderabschreibungsmöglichkeiten, Frachthilfen und die Bevorzugung der Zonengrenzlandbetriebe bei öffentlichen Aufträgen.1049 Auch Kredithilfen hatte die Regierung bereits beschlossen. Im Haushalt 1955 waren 80 Millionen DM für Investitions-Darlehen und Zinszuschüsse vorgesehen.1050 Die Regierungsparteien machten die Gewährung dieser Hilfen von einer Bedürfnisprüfung im Einzelfall abhängig.1051 Es sollte dabei geprüft werden, ob die Hilfen einen sogenannten Primäreffekt auslösen könnten. Darunter stellte man sich die Verbesserung der regionalen Handelsbilanz vor.1052 So wurden zum Beispiel Unter1048 Ebenda, S. 3959 f. 1049 So wurde zum Beispiel ein auf zwei Jahre begrenztes Programm für Sonderabschreibungsmöglichkeiten, dass Ende 1953 von den Finanzministern des Bundes und der betroffenen Länder ins Leben gerufen worden war, bis 1958 verlängert. Die Frachthilfen wurden unter bestimmten Bedingungen auf den Straßenverkehr ausgedehnt. 40. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 10. Dezember 1955, TOP 1 (Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online) URL: https://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0010/x/x1954e/kap1_2/kap2_41/para3_1.html (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). Ebenfalls 1953 war eine Zonengrenzlandklausel in die sogenannten Verdingungsordnungen eingefügt worden. Das Zonengrenzland wurde wie zuvor schon die Sanierungsgebiete als notleidende Gebiete in die Verdingungsordnung für Leistungen (VOL) und die Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOBL) eingestuft. Dadurch mussten ihre Gebote bei öffentlichen Ausschreibungen berücksichtigt werden, auch wenn sie leicht über dem günstigsten Angebot lagen. 39. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft am 19. August 1953, TOP 2 (Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online) URL: https://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0100/x/x1951e/ kap1_2/kap2_41/para3_2.html (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). 1050 Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1956 (Haushaltsgesetz 1956), Drucksache 02/1900 vom 2. Dezember 1955, Parlamentsdokumentation online, URL: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/02/019/0201900.pdf (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). 1051 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 01/279 vom 2. Juli 1953, S. 3958. Siehe FN 1045. 1052 Theoretische Basis für diese Forderung war nach Johannes Henk die Exportbasistheorie von James Duesenberry und Douglass North. Henk, Zonengrenzlandförderung, S. 97. Vgl. Duesenberry, James, Some Aspects of the Theory of Economic Development, in: Explorations in Entrepreneurial History, Bd. 3 (1950), S. 63–102; North, Douglass C., Location Theory and Regional Growth, in: The Journal of Political Economy, Bd. 63 (1955), S. 243–258. Die Ausrichtung auf die Hebung der regionalen Exporte spiegelte auf regionaler Ebene in gewisser Weise die nationale Wirtschaftspolitik bis 1956 wieder, die Carl-Ludwig Holtfrerich als „währungs- und fiskalpolitischen Merkantilismus“ bezeichnet hat, wobei im Fall der der Zonengrenzlandförderung die Währungspolitik keine Rolle spiel-

5.3 „Am Zonenrand“

 313

nehmen mit Investitionskrediten gefördert, die ihren Betrieb in die Förderungsgebiete verlegten. Die Einzelfallprüfungen erhöhten den bürokratischen Aufwand der Zonenrandförderung erheblich. Die Bundesregierung war bei der Durchführung zudem von anderen Institutionen abhängig, weil sie die Korrektheit der Angaben in den Anträgen nicht selbst prüfen konnte.1053 Für die Prüfungen im Kreditprogramm war der Interministerielle Ausschuss für Notstandsgebietsfragen (IMNOS) im Verein mit den vermittelnden Banken zuständig. In Braunschweig war hauptsächlich die Braunschweigische Staatsbank mit der Weiterleitung der Anträge befasst. Sie konnte dadurch in diesem Bereich eine Expertise aufbauen, die sie im Wettbewerb mit anderen Banken nutzen konnte. Wichtiger als das konkrete Hilfsprogramm war für die Staatsbank jedoch die Anerkennung des Zonengrenzlandes als strukturell benachteiligtes Gebiet. Für die Staatsbank bedeutete diese Anerkennung die Möglichkeit, nach dem Untergang des Landes Braunschweig eine neue Legitimationsgrundlage aufzubauen. Sie wurde zur Bank des Zonenrandgebietes Braunschweig. Die Staatsbankführung selbst propagierte diese Rolle bewusst in der Öffentlichkeit, wie Staatsbankpräsident Nickel 1956 in einer Beiratssitzung betonte: Durch den Geschäftsbericht soll mehr vermittelt werden als nur einige Erläuterungen zu unserer Bilanz. Die Öffentlichkeit soll auf diese Weise einen Eindruck von den Sorgen und Nöten unseres Wirtschaftsraumes und vor allem auch von der Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft hier an der Zonengrenze erhalten. […] Man kann gerade von einer öffentlichen Bank erwarten, daß sie sich die Entwicklung und das Wohl des Gebietes besonders angelegen sein läßt, in welchem sie tätig ist.1054

Die Staatsbank sah sich selbst in der Rolle des wirtschaftspolitischen Repräsentanten ihres Gebietes. Die neue Legitimationsgrundlage wurde von dem Landesfinanzminister Alfred Kubel anerkannt: „Die Bank hat gegenüber der heimischen Wirtschaft (insbesondere gegenüber der Wirtschaft des Zonenrandgebietes) die wichtige Funktion eines Helfers und finanziellen Beraters auszuüben.“1055 Die Staatsbank versuchte, die offizielle Anerkennung des Zonengrenzlandes als systematisch benachteiligten Raum auch in der Praxis zu nutzen. Dies wird vor allem in den 1950er Jahren deutlich, als sie versuchte, die Restriktionen am Geld- und Kapitalmarkt zu umgehen.

te. Holtfrerich, Carl-Ludwig, Geldpolitik bei festen Wechselkursen, in: Fünfzig Jahre Deutsche Mark, S. 347–438, S. 380f, 384. 1053 Für die Frachthilfe machte Hans-Christoph Seebohm den Vorschlag, die Industrie- und Handelskammern mit der Prüfung zu betrauen. 40. Sitzung des Kabinettsausschusses für Wirtschaft vom 10. Dezember 1955, TOP 1 (Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online). Leider ist nicht überliefert, ob dieser Vorschlag erfolgreich war. 1054 Protokoll der 63. Beiratssitzung am 30. Mai 1956, S. 2, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1055 60. Beiratssitzung vom 22. April 1955, S. 5, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91.

314  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

Geld und Kapital für das Zonengrenzland Wie aus der Schilderung der gescheiterten Auslandsanleihe der Staatsbank in der Weimarer Republik (Kapitel 3.2) ersichtlich wird, war die Frage des Zugangs zu den zentralen Geld- und Kapitalmärkten für die öffentlichen Banken keinesfalls lediglich eine Frage der Zahlungsbereitschaft oder der Bonität. Sie war auch abhängig von der politischen Erlaubnis, bestimmte Refinanzierungsarten nutzen zu dürfen. Anfang der 1950er Jahre stand die Staatsbank finanziell vor dem gleichen Problem wie in den 1920er Jahren. Sie konnte in ihrem Geschäftsbereich nicht genügend Einlagen einwerben, um die verschiedenen Finanzierungsansprüche zu erfüllen. Anders als in den 1920er Jahren war dies jedoch kein allgemeines Problem des Kreditwesens, sondern ein spezielles Problem des Zonenrandgebietes. Die Staatsbank hatte jedoch keine Möglichkeit, außerhalb dieses Gebietes Spareinlagen einzuwerben. Die Auseinandersetzung in den 1930er Jahren um die Begrenzung des Geschäftsgebietes der Staatsbank hatte vor allem im Bereich der Einlagen eine sehr rigide Absperrung zur Folge gehabt. Zumindest im privaten Einlagengeschäft hat die Staatsbankführung auch nach dem Krieg nie versucht, diese Begrenzung zu ändern oder aufzuweichen. Die Landessparkasse konnte also außerhalb des Zonenrandgebietes nicht tätig werden. Da die Bank das Volumen der Spareinlagen nicht erweitern konnte, nutzte sie stattdessen den Umstand, dass dieses Problem auch bei anderen Sparkassen im Zonenrandgebiet auftrat, um daraus ein politisches Argument zu formulieren. Den Zusammenhang zwischen der Schwäche der Einlagenentwicklung und den strukturellen Problemen des Zonengrenzlandes hatte die Staatsbankführung bereits bei ihrem Beitrag zur Denkschrift der Industrie- und Handelskammern 1951 hergestellt. In den folgenden Jahren versuchte das Direktorium immer wieder, diesen Zusammenhang zu belegen. Als Landesfinanzminister Alfred Kubel 1966 bei den Gründen für die schwache Einlagenentwicklung der Landessparkasse nachhakte, gab das Direktoriumsmitglied Carl Düvel folgende Antwort: „Das Einkommen und die Vermögensbildung im früheren Lande Braunschweig sind hinter denen des Bundesgebietes erheblich zurückgeblieben. Der sogenannte Zimmermann-Bericht der Technischen Hochschule Braunschweig hat das noch bestätigt. […] Das gilt nicht nur für den Geschäftsbereich der Braunschweigischen Landessparkasse, sondern auch für den zum Beispiel der Stadt- und Kreissparkasse Goslar.“1056 Zugleich konstatierte die Staatsbankführung eine im Vergleich zum übrigen Niedersachsen höhere Kreditnachfrage. Auch diese Behauptung konnte sich auf das regionale Förderungsprogramm stützen, zu dem ja die Bereitstellung eines staatlichen Kreditprogramms gehörte. Die Staatsbank verknüpfte die hohe Kreditnachfrage mit dem strukturbedingten Einlagenmangel zu einem überzeugenden Argument. Staatsbankpräsident Nickel formulierte es 1955 folgendermaßen: „Die Höhe unserer kurz1056 Protokoll der 86. Beiratssitzung vom 28. November 1966, S. 15, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113.

5.3 „Am Zonenrand“ 

315

fristigen Ausleihungen hängt von der Zunahme unserer Einlagen ab, wofür in unserem Bezirk mit seinen Sonderverhältnissen als Zonengrenzland leider ungünstige Vorbedingungen bestehen. Andererseits ist der Kreditbedarf in unserem Arbeitsbereich sehr groß, so daß die Staatsbank ständig vor der Diskrepanz der relativ schwachen Einlagenneubildung und des starken Kreditbedarfes steht.“1057 Aus dieser Diskrepanz leitete die Staatsbank den Anspruch ab, bei Refinanzierungsfragen bevorzugt behandelt zu werden. Als Ausgleich für die Schwäche bei der Einlagenentwicklung kamen mehrere Möglichkeiten in Betracht. Eine davon war die Refinanzierung des kurzfristigen Geschäftes über die Zentralbank. Die Staatsbank versuchte Anfang der 1950er Jahre, den Status als Bank des Zonengrenzlandes zu instrumentalisieren, um hier eine bevorzugte Behandlung zu erreichen. Auslöser der Bemühungen war die Einführung der Kreditrestriktionen der Bank deutscher Länder (BdL) während des Korea-Krieges. Im November 1950 entschied die BdL, dass die Geschäftsbanken ihr Refinanzierungsvolumen bis Ende Januar 1951 pauschal um 10 % zurückführen mussten. Im Februar 1951 wurde diese Maßnahme noch einmal verschärft.1058 Daraufhin formulierte der damalige Staatsbankpräsident Josef Lammers seine Forderung nach einer Ausnahmegenehmigung von zukünftigen Kreditrestriktionen: „Es ist in den Entschließungen maßgebender Kreise der Grenzlandwirtschaft jedoch zum Ausdruck gebracht worden, daß die hier bestehenden schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse eine Sonderbehandlung in der Zumessung der kurzfristigen Kreditkontingente erforderlich mache, um die Gefahr einer weiteren Wirtschaftsschrumpfung zu vermeiden. Diese Forderung ist von der Staatsbank – gestützt auf ihre Erfahrungen – unterstützt und befürwortet worden.“1059 Die geforderte Ausnahme von den Kreditrestriktionen konnte jedoch nicht erreicht werden. Die Landeszentralbank Niedersachsen spielte im Gegenteil den Ball zurück zur Staatsbank. Sie wies die Unternehmen, die sie um Unterstützung gebeten hatten, darauf hin, dass nicht sie, sondern die Kreditbanken für die Auswahl der Kreditnehmer zuständig waren: „Dabei muß den Kreditinstituten die Auswahl der letzten Kreditnehmer überlassen bleiben, da sie ihren Einlegern und sonstigen Gläubigern gegenüber für ihre Kreditgebarung die alleinige Verantwortung tragen. Es konnte auch festgestellt werden, daß die verantwortlichen Persönlichkeiten der Kreditinstitute für die besonderen Verhältnisse in den Grenzland- und Notstandsgebieten großes Verständnis zeigen.“1060

1057 Protokoll der 60. Beiratssitzung vom 22. April 1955, S. 3, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 91. 1058 Die Kreditinstitute wurden zur Rückführung einer weiteren Milliarde DM an Krediten gezwungen. Diese Maßnahme wurde erst im Oktober 1951 wieder aufgehoben. Holtfrerich, Geldpolitik, S. 377 f. 1059 Bericht des Direktoriums für die Zeit vom 21.6.1948 bis 31.12.1950 (Geschäftsbericht), Februar 1952, S. 7. 1060 Geschäftsbericht der Landeszentralbank von Niedersachsen für das Jahr 1951, Hannover 1952, S. 12.

316  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

Die Staatsbank war von den Kreditrestriktionen von Anfang 1951 besonders betroffen, weil sie nach dem Stichtag dem Volkswagenwerk einen Kredit über 15 Millionen DM gewährt hatte. Sie hoffte, in Verhandlungen diesen Kredit bei der Rückführungsquote auszuklammern. Aber die Landeszentralbank blieb hart: „Hinweise auf die besondere Lage des Grenzlandes blieben ohne Wirkung. […] Es hat den Anschein, als wenn die Kreditrestriktionen in Niedersachsen im Vergleich zu anderen Ländern sehr streng gehandhabt wurden.“1061 Auch in der zweiten Währungskrise 1956 wiederholte die Staatsbank die Forderung nach Ausnahmen. In diesem Fall ging es um die Diskontsatzerhöhung, die in diesem Jahr durchgeführt wurde.1062 Staatsbankpräsident Nickel hatte im Entwurf seiner Rede vor dem Beirat die Forderung erhoben, dass die Landeszentralbank Handelswechsel aus dem Zonengrenzland zu einem günstigeren Satz diskontieren durfte. Damit wäre die Diskontsatzerhöhung faktisch für den Geschäftsbereich der Staatsbank aufgehoben worden. Der Beirat lehnte diese Formulierung jedoch ab. Stattdessen schlug er vor, eine ganz andere Forderung zu erheben und folgenden Satz in den Geschäftsbericht einzufügen: „Auch die besondere Berücksichtigung bei Geld- und Kapitalanlagen der öffentlichen Kapitalsammelstellen sowie bei der Anlage von Kassenreserven der öffentlichen Hand würde dem Zonengrenzland helfen können.“1063 Damit hatte der Beirat eine erneute Auseinandersetzung mit der Landeszentralbank verhindert. Statt an das Zentralbanksystem wandte sich die Staatsbank mit ihrem Anliegen nun an andere staatliche Stellen wie die Sozialversicherungen, das Land und die Kommunen. Statt eine Grundsatzentscheidung herbeizuführen, verlagerte sich die Politik der Geld- und Kapitalbeschaffung auf pragmatischere Formen. Diese Kehrtwende wurde im folgenden Geschäftsbericht für das Jahr 1956 öffentlich gemacht. Dort hieß es: Daß die BdL bei dem Einsatz ihrer währungspolitischen Instrumente eine Differenzierung nach Branchen oder nach Gebieten nicht vornehmen kann, ist eine bedauerliche Zwangslage, die sich gerade in wirtschaftlich weniger begünstigten Landesteilen und in der mittelständischen Wirtschaft auswirkt. Um so mehr müssen durch administrative Mittel der Geldausgleich und die Kreditversorgung in einem Gebiet, wie dem der Braunschweigischen Staatsbank, in dem sich kreditpolitische Maßnahmen besonders ungünstig auswirken, gefördert werden.1064

Anstatt bei der BdL weiterhin vergeblich auf Sonderkonditionen zu pochen, konzentrierte sich die Staatsbank nun auf das Einwerben öffentlicher Gelder, um ihr Defizit bei den Bankeinlagen zu beheben.

1061 1062 1063 1064 S. 7.

Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 26. April 1951, S. 2, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 90. Vgl. Holtfrerich, Geldpolitik, S. 389–400. Protokoll der 63. Beiratssitzung am 30. Mai 1956, S. 7, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 91. Geschäftsbericht der Braunschweigischen Staatsbank für das Jahr 1956, Braunschweig 1957,

5.3 „Am Zonenrand“ 

317

Der Staat verfügte bis Mitte der 1950er Jahre über das bei weitem größte Geldvermögen in der Volkswirtschaft. In dieser Zeit waren staatliche Stellen für bis zu 50 % der volkswirtschaftlichen Nettoersparnis verantwortlich. Die privaten Haushalte dagegen trugen bis 1956 nur relativ wenig zur Ersparnisbildung bei. Da der Staat selbst jedoch nur einen geringen Teil der Investitionen tätigte, stellten die staatlichen Stellen die nicht benötigten Gelder für die Investitionsfinanzierung zur Verfügung. Dieser Prozess folgte keinem kohärenten Plan oder gar einer wirtschaftstheoretischen Konzeption, allein schon deshalb nicht, weil zu viele staatliche Akteure an dieser Investitionslenkung beteiligt waren.1065 In einer solchen eher unübersichtlichen Situation konnte der legitime Anspruch auf eine Sonderbehandlung, wie er durch die Zonengrenzlage existierte, von großem Nutzen sein. Die Staatsbank warb öffentliche Mittel aus sehr unterschiedlichen Töpfen ein. Dazu gehörte einerseits die Beteiligung an den verschiedenen Kreditprogrammen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW)1066 und in einem geringeren Maße auch denen der Industriekreditbank (IKB).1067 Außerdem nahm die Staatsbank langfristige Darlehen von staatlichen Stellen wie dem Bund, dem Land Niedersachsen oder der staatlichen Sozialversicherung auf und verwaltete einen Teil ihrer Einlagen. Die öffentlichen Gelder spielten in den 1950er Jahren eine wichtige Rolle für die Refinanzierung der Staatsbank. Diesen Umstand betonte die Staatsbankführung häufig, so zum Beispiel im Jahr 1955: „Diese Diskrepanz konnte allerdings weitgehend dadurch ausgeglichen werden, daß es der Staatsbank auch im Jahre 1954 gelang, größere Ein-

1065 Beckers, Kapitalmarktpolitik, S. 158 f. 1066 Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) verwaltete die sogenannten „counterpart funds“ des European Reconstruction Programs (ERP), also dem Marshall-Plan. Die Waren, die aus den Mitteln des Marshall-Plans importiert wurden, mussten die deutschen Importeure in D-Mark bezahlen. Das Geld aus diesen Zahlungen wurde in den „counterpart funds“ gesammelt, die dann unter Aufsicht der Marshall-Plan-Behörde für Investitionen bereitgestellt werden konnten. Die Fonds wurden von der am 5. November 1948 gegründeten Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) verwaltet, die außerdem noch die „counterpart funds“ der GARIOA, des Hilfsprogramms der US Army, verwaltete. Der erste Vorstand der KfW wurde Hermann J. Abs, der zuvor als Direktor der neuen Zentralbank abgelehnt worden war. Pohl, Manfred, Die Entwicklung des privaten Bankwesens nach 1945, in: Ashauer; Born; Klein (Hg.), Deutsche Bankengeschichte, Bd. 3, S. 207–276, S. 217 f. 1067 Das Kreditprogramm der IKB war Teil eines Plans von Hermann Abs, die Investitionsförderung durch die Industrie selbst zu finanzieren. Dies war als Gegenentwurf zu der staatlichen Förderung durch die KfW gedacht. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sammelte bei seinen Mitgliedern insgesamt eine Milliarde DM ein und beauftragte die IKB, die ehemalige Bank für Industrieobligationen (Bafio), mit der Durchführung des Förderprogramms. Obwohl diese Hilfe durch ein Gesetz einen offiziellen Charakter erhielt, war dies doch als Versuch zu werten, den staatlichen Programmen eine private Initiative entgegenzusetzen. Deshalb fand die Idee auch die Unterstützung Ludwig Erhards. Harries, Heinrich, Wiederaufbau, Welt und Wende. Die KfW – eine Bank mit öffentlichem Auftrag, Frankfurt a. M. 1998, S. 41.

318  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

lagenbeträge und mittelfristige Darlehen aus anderen Teilen der Bundesrepublik für die heimische Wirtschaft heranzuziehen.“1068 Ein zentraler Baustein der Finanzierung über öffentliche Gelder waren die Einlagen öffentlicher Körperschaften. Zum Halbjahresabschluss im Sommer 1956 verfügte die Staatsbank über 150 Millionen DM allein an öffentlichen Einlagen, was 17,5 % der Bilanzsumme entsprach.1069 Damit lag die Staatsbank weit über den anderen öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten. Auf Bundesebene machten die öffentlichen Gelder 1956 bei den Sparkassen 12 %, bei den Girozentralen 10 % und bei den Staats-, Regional- und Lokalbanken, zu denen die Staatsbank zählte, 11 % der Bilanzsumme aus.1070 Die Staatsbank erfreute sich also eines relativ üppigen Zonenrandzuschusses. Die Darlehen waren das langfristige Pendant zu den kurz- und mittelfristigen Einlagen. Sie avancierten in den 1950er Jahren zum wichtigsten Refinanzierungsmittel der Staatsbank. Die Gläubiger der langfristig aufgenommenen Darlehen waren 1952 fast ausschließlich staatliche Institutionen oder Kreditinstitute. Weit über die Hälfte (56 %) des 1952 ausgewiesenen Gesamtbetrags von 91,4 Millionen DM bekam die Staatsbank von der „Niedersächsischen Heimstätte“ zugewiesen, über die das Land den sozialen Wohnungsbau finanzierte. Weitere 25 % stammten von der Kreditanstalt für Wiederaufbau.1071 Auf dem Höhepunkt der Entwicklung Mitte der 1950er Jahre machten die Darlehen 27 % der Bilanzsumme aus. Der wichtigste Zweck der staatlichen Mittel war der Wohnungsbau. Dies lässt sich sowohl an der Herkunft der aufgenommenen Darlehen als auch an dem Bilanzposten „durchlaufende Kredite“ ablesen, in dem die von der Staatsbank lediglich vermittelten staatlichen Kredite für den Wohnungsbau gebündelt waren. Auf dem Höhepunkt der Entwicklung 1958 lag allein der Anteil dieses durchlaufenden Postens bei 15 % der Bilanzsumme.1072 Insgesamt bezog die Staatsbank Mitte der 1950er Jahre mehr als die Hälfte ihrer Refinanzierungsmittel von staatlichen Stellen. 1068 Protokoll der 60. Beiratssitzung vom 22. April 1955, S. 3, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 91. Vgl. auch Ausführungen des Herrn Präsident Dr. Nickel zur Beiratssitzung am 1./2. März 1956, S. 13, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 91. 1069 Protokoll der 64. Beiratssitzung am 12. Oktober 1956, S. 5, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 91. 1070 Monatsberichte der Bundesbank, Mai 1962, S. 21. 1071 Von anderen öffentlichen Banken kamen weitere sieben Prozent, von der Landessparkasse lediglich 6,5 % der Darlehen. Von privaten und öffentlichen Versicherern kamen nur 2,7 %. Der Rest verteilte sich auf verschiedene staatliche Einrichtungen und Unternehmen. Handschriftliche Zusammenstellung der aufgenommenen Darlehen für die Jahre 1950 und 1952, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 278. 1072 Die durchgeleiteten Kredite hatten 1949 ein Volumen von einer Millionen DM, 1953 bereits 52 Millionen DM, 1957 160 Millionen DM und 1961 276 Millionen DM. Nominal war der Höhepunkt dieser Entwicklung im Jahr 1968 mit 430 Millionen DM erreicht. Für die Geschäftstätigkeit der Staatsbank hatten die Kredite aus den Förderprogrammen jedoch 1958 die größte Bedeutung, als sie mit 195 Millionen DM allein 15 % der Bilanzsumme und knapp 40 % der gesamten Hypothekarkredite ausmachten. Eigene Berechnungen auf Grundlage des Geschäftsberichtes des Jahres 1958 der Braunschweigischen Staatsbank, S. 9, 12.

5.3 „Am Zonenrand“ 

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Gegen diese Zahlen wirkte das eigentliche Zonengrenzland-Programm geradezu unbedeutend. Das gesamte Kreditvolumen, das 1956 aus den Mitteln des Regionalen Förderungsprogramms an den Verwaltungsbezirk Braunschwieg vermittelt wurde, lag bei etwa acht Millionen DM, was nicht einmal 1 % der Bilanzsumme ausmachte.1073 Die Staatsbank hatte aus dem Programm 1957 lediglich drei Millionen DM an die gewerbliche Wirtschaft vermittelt. Selbst bei den staatlichen Geldern spielte das Zonengrenzland-Programm für die Staatsbank letztlich nur eine Nebenrolle.1074 Der große Vorteil bei der Beschaffung öffentlicher Gelder waren die kurzen Amtswege. Im Zweifelsfall konnte der Staatsbankpräsident den zuständigen Finanzminister direkt auf der Beiratssitzung mit den Wünschen konfrontieren, wie 1956 geschehen: „Es ist deshalb keine ungerechtfertigte Bitte, wenn wir besonders Sie, Herr Minister, darum bitten, sich für unsere Belange einzusetzen, sei es bei der Vergabe öffentlicher Mittel, sei es durch die Einflußnahme auf die Sozialversicherungsträger, um diese zum verstärkten Pfandbrieferwerb zu bewegen.“1075 Diese informelle Art der Einwerbung barg im Gegenzug allerdings politische Risiken.1076 1956/57 waren die öffentlichen Gelder auf Bundesebene Gegenstand politischer Auseinandersetzungen bei den Beratungen zum Bundesbankgesetz. § 13 des Entwurfs enthielt eine Bestimmung zur Zwangsanlage von kurzfristigen Geldern des Bundes, des Landes und anderer öffentlicher Körperschaften im Zentralbanksystem.1077 Die Bestimmung war einerseits als zusätzliches Instrument der Geldpolitik gedacht.1078 Andererseits wurde damit jedoch ein Antrag der FDP-Fraktion aufgegriffen, die 1955 gefordert hatte, dass die öffentlichen Gelder nicht nur bei den öffentli-

1073 Eigene Berechnungen nach Henk, Zonenrandförderung, S. 209, 211. 1074 Protokoll der 66. Beiratssitzung am 4. Oktober 1957, S. 4, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 91. 1075 Ausführungen des Herrn Präsident Dr. Nickel zur Beiratssitzung am 1./2. März 1956, S. 16, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 91. Zu der Rolle der öffentlichen Hand beim Pfandbriefabsatz, siehe nächster Abschnitt. 1076 Damals hatte der Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht die öffentlichen Bankeinlagen als Argument für seine Generalkritik an den öffentlichen Banken benutzt und sie vom ausländischen Kapitalmarkt ausgeschlossen. Vgl. Kapitel 3.2, Unterkapitel: Die Bedeutung des Auslandskapitals für den Wettbewerb um die Finanzierung der braunschweigischen Industrie. 1077 Deutscher Bundestag, Drucksache 02/2781, vom 18. Oktober 1956, S. 7, Parlamentsdokumentation online, URL: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/02/027/0202781.pdf (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). Zu den Verhandlungen zum Bundesbankgesetz vgl. Hentschel, Volker, Die Entstehung des Bundesbankgesetzes 1949–1957. Politische Kontroversen und Konflikte, Teil I, in: Bankhistorisches Archiv, Bd.14 (1988), Nr. 1, S. 3–31; ders., Die Entstehung des Bundesbankgesetzes 1949–1957. Politische Kontroversen und Konflikte, Teil II, in: Bankhistorisches Archiv, Bd.14 (1988), Nr. 2, S. 79–115. 1078 Die Zentralbank konnte mit dieser Bestimmung Geldpolitik betreiben, indem sie in einer expansiven Phase die öffentlichen Gelder dem Wirtschaftskreislauf entziehen konnte. In einer kontraktiven Phase konnte sie die Gelder dagegen wieder freigeben.

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chen Banken, sondern bei allen Kreditinstituten angelegt werden sollten.1079 Für die Staatsbank, die einen großen Teil ihres Geschäftes über öffentliche Gelder refinanzierte, war diese Regelung bestandsgefährdend. Staatsbankpräsident Nickel appellierte deshalb auf einer Beiratssitzung an alle Mitglieder, sich für eine Verhinderung der Bestimmung einzusetzen.1080 Letztlich konnte die Bestimmung zwar nicht verhindert werden, doch wurde ein Passus eingefügt, der die Bestimmung entscheidend entschärfte: „[…]; dabei hat die Deutsche Bundesbank das Interesse der Länder an der Erhaltung ihrer Staats- und Landesbanken zu berücksichtigen.“1081 Der Satz wurde von den Vertretern der Bundesländer gegen den Willen der Bundesregierung durchgesetzt.1082 Wie oben gezeigt, machten die öffentlichen Gelder auch für die anderen öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute einen signifikanten Teil ihrer Bilanzsumme aus. Über die Hälfte der öffentlichen Gelder flossen 1956 ins Sparkassensystem. 1959 war der Anteil sogar auf knapp 60 % gestiegen, was den Erfolg der Intervention der Länder unterstreicht.1083 Auch die Staatsbank hatte in den folgenden Jahren keine größeren Probleme mit dem Abzug öffentlicher Gelder.1084 Gegen Ende der 1950er Jahre ging der Anteil staatlicher Gelder an der Bilanzsumme der Staatsbank langsam zurück. Die öffentlichen Einlagen hatten bereits 1960 nur noch ein Volumen von 46 Millionen DM.1085 Bei den aufgenommenen Darlehen geschah der Rückgang verdeckt durch die Substitution fremder Gelder durch Darlehen der staatsbankeigenen Landessparkasse. Als 1967 die Gelder der Landessparkasse in der Bilanz gesondert ausgewiesen wurden, lag der Anteil der langfristig aufgenommenen Darlehen nur noch bei 6 %.1086 Auch die Treuhandkredite verloren seit dem Ende der 1950er Jahre an Bedeutung. Von ihrem relativen Höhepunkt von 20 % im Jahr 1958 sank ihr Anteil an der Bilanzsumme der Staatsbank auf 10 % im Jahr 1967. Just in diesem Jahr konstatierte der Staatsbankpräsident: „Die große Zeit der zentralen Kreditaktionen ist vorbei.“1087 1079 Deutscher Bundestag, Drucksache 02/1769, vom 11. Oktober 1955, Parlamentsdokumentation online, URL: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/02/017/0201769.pdf (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). 1080 Protokoll der 64. Beiratssitzung am 12. Oktober 1956, S. 7, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 91. 1081 Bundesgesetzblatt (BGBl.) I, (1957), S. 748. 1082 Hentschel nennt vor allem Bayern als treibende Kraft hinter dieser Klausel. Hentschel, Entstehung Teil II, S. 106. 1083 Monatsberichte der Bundesbank, Mai 1962, S. 21. 1084 Im Jahr 1960 hatten die öffentlichen Gelder bei den Nichtbanken-Einlagen der Staatsbank immer noch einen Anteil von 22 %. Aktenvermerk vom 17. Februar 1960 Betr.: Großgelder der Staatsbank (über 50 TDM) per 31.1.1960, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 278. 1085 Aktenvermerk vom 17. Februar 1960, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 278. 1086 Geschäftsbericht der Braunschweigischen Staatsbank über das Jahr 1967, Braunschweig 1968, S. 9. Durch die Bilanzänderung wurde offensichtlich, dass die Gelder der Sparkasse inzwischen nicht mehr sechs Prozent, sondern fast 60 % des Postens „aufgenommene langfristige Darlehen“ ausmachten. Durch die Vermischung mit den Spareinlagen der Landessparkasse verschleierte die Staatsbank die schon länger schwindende Bedeutung der Darlehen für ihr Kreditgeschäft. 1087 Protokoll der 89. Sitzung des Beirates vom 18.12.1967, S. 25, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 104.

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Die Gründe für den Bedeutungsverlust der öffentlichen Gelder waren einerseits der langsame Rückzug des Staates aus der Investitionsfinanzierung und andererseits die Belebung des Kapitalmarktes.1088 In den 1960er Jahren gingen die Haushaltsüberschüsse des Bundes und der Länder langsam zurück. Vor allem jedoch waren die staatlichen Sozialversicherungen nicht mehr in dem Maße aufnahmefähig wie noch zu Beginn der 1950er Jahre. Die 1957 beschlossene Rentenreform und die damit einhergehende Umstellung auf ein Umlagesystem verringerten den Anlagebedarf der öffentlichen Hand signifikant. Die Staatsbank konnte in den 1950er Jahren mithilfe staatlicher Gelder die Diskrepanz zwischen den zur Verfügung stehenden Einlagen und der Kreditnachfrage ausgleichen. Dieser Umstand war eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sie im Gegensatz zu den 1920er Jahren im Wettbewerb mit den anderen Kreditinstituten nicht nur mithalten, sondern ihren Marktanteil kontinuierlich ausbauen konnte. Dabei stand die Staatsbank nicht mehr nur mit den Großbanken im Wettbewerb, sondern zunehmend auch mit den Genossenschaften.

Die Finanzierung des Mittelstandes im Wettbewerb mit den Kreditgenossenschaften Mit dem gewerblichen Mittelstand Braunschweigs hatte die Staatsbank eine wechselvolle Geschichte geteilt, die hauptsächlich durch unterschiedliche Ansichten über die Form der Besicherung von Krediten belastet wurde. Die Klage der Interessenvertretungen des Mittelstandes über das Beharren der Staatsbank auf dinglicher Besicherung von Krediten blieb auch in den 1950er Jahren ein Grundproblem in dieser Beziehung. Dies gilt im Übrigen nicht nur für Braunschweig, sondern für die Bundesrepublik insgesamt.1089 Anders als vor dem Krieg ging es diesmal jedoch nicht um kurzfristige Betriebskredite, sondern um langfristige Investitionskredite. Werner Nickel schrieb dazu 1958 an die Leiter der Zweigkassen: „Die mittelständische Wirtschaft hat in den vergangenen Jahren immer wieder Klage darüber geführt, daß es ihr nicht möglich ist, langfristige Darlehn in ausreichender Höhe für Investitionszwecke zu erlangen.“1090 Diese Veränderung korrespondierte mit einem Wandel des Mittelstandsbegriffs. In den 1920er Jahren hatte man noch deutlich zwischen dem gewerblichen Mittelstand – Handwerk, Einzelhandel und Kleingewerbe – und der kleinen und mittleren 1088 Geschäftsbericht des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank für das Jahr 1968, Braunschweig 1969, S. 11. 1089 Für die Zeit von 1948 bis 1963 gibt Oliver Konrads die Kritik der Mittelstandsvereinigungen an der Kreditpolitik der Sparkassenorganisation wieder. Vgl. Konrads, Mittelstandsförderung, S. 67–76, 168–187. 1090 Rundverfügung des Direktoriums an alle Bankkassen [Gr. III f1 Nr. 107] vom 7. März 1958, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 2039/1.

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Industrie unterschieden. Der Grund dafür war unter anderem die unterschiedliche Legitimationsbasis für die Durchsetzung staatlicher Unterstützung. Diese Unterscheidung wurde in der Bundesrepublik jedoch nach und nach aufgegeben. In den 1950er Jahren war dieser Prozess noch in vollem Gange, weshalb etwa die Einbeziehung von Industriebetrieben in die staatliche Mittelstandsförderung für Irritationen sorgte. Das Direktorium sah sich 1958 gegenüber den Zweigkassenleitern anlässlich der Vorstellung eines staatlichen Mittelstandsprogramms veranlasst, den neuen Umfang des Begriffs klarzustellen: „Der Begriff ‚mittelständische gewerbliche Wirtschaft‘ umfaßt in diesem Zusammenhange außer Handel, Handwerk und Kleingewerbe auch die Binnenschiffahrt und die Kleinindustrie.“1091 Den nun allmählich unter dem Begriff Mittelstand subsumierten Gruppen war gemeinsam, dass sie ähnliche Probleme bei der Kreditversorgung hatten. Dies galt insbesondere in Bezug auf die Staatsbank. Diese Kritik an ihrer Kreditvergabe wurde durch eine EMNID-Umfrage aus dem Jahr 1956 konkretisiert, in der die Teilnehmer auch nach Kritik an der Staatsbank gefragt wurden. Der Staatsbank wurde vor allem „Kleinlichkeit“ bei der Kreditvergabe vorgeworfen und dies mit der flexibleren Kreditvergabepraxis der Volksbanken kontrastiert.1092 Außerdem wurde die Staatsbank in erster Linie als Bank für die großen Unternehmen aus Handel und Industrie wahrgenommen.1093 Die Kritik des Mittelstandes an der Form ihrer Kreditvergabe war für die Staatsbank nichts Neues, wie aus den vorherigen Kapiteln dieser Untersuchung hervorgeht. Auch in den 1950er Jahren war der Kern der Kritik der gleiche wie in den 1920er Jahren: Die Staatsbank vergab Kredite ohne Sicherheiten in erster Linie, um Kreditnehmer im Wettbewerb mit anderen Banken an sich zu binden. Für Kreditnehmer ohne materielle Sicherheiten wurde dagegen sehr selten von der Ausnahmegenehmigung Gebrauch gemacht. Dies beweist die Analyse der Kreditausschussprotokolle. Das Grundproblem bei der Vergabe von Personalkrediten an den Mittelstand war die hierarchische Struktur der Staatsbank. Laut der Kompetenzregelung im Kreditbereich aus dem Jahr 1959 mussten Kredite der Zweigkassen ab 10.000 DM vom Leiter der Kreditabteilung der Hauptbankkasse genehmigt werden. Dies galt jedoch nur für Kredite, für die ausreichend Sicherheiten gestellt worden waren. Kredite ohne Sicherheiten waren bereits ab 3.000 DM genehmigungspflichtig. Ab 50.000 DM, bei Blankokrediten ab 10.000 DM musste ein Direktoriumsmitglied zu-

1091 Ebenda. Eine umfassende semantische Analyse der Entwicklung des Mittelstandsbegriffs ist nach wie vor ein Desiderat der historischen Forschung. Im Rahmen dieser Untersuchung konnte sie nicht geleistet werden. 1092 Zur Resonanz und Konkurrenzlage der Braunschweiger [sic!] Staatsbank und Landessparkasse. Eine Spezialerhebung im Auftrage der Braunschweigischen Staatsbank, durchgeführt vom Institut für Verbraucherforschung der EMNID KG, Bielefeld 1956, S. 95. [Exemplar nicht frei zugänglich]. 1093 Ebenda, S. 63.

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stimmen.1094 Wirklich freie Hand hatten die Kassenleiter nur im Bereich bis 3.000 DM, eine Summe, die Ende der 1950er Jahre für die Unternehmensfinanzierung keine Rolle mehr spielte. Diese Regelung zeigt, dass die Zweigkassenleiter kaum Spielraum für eine eigenständige Kreditpolitik besaßen. Um die Vergabe ungesicherter Mittelstandskredite zu fördern, hätte die Staatsbank den Zweigkassen mehr Freiheit lassen müssen. Für die Finanzierung langfristiger Investitionen zog die Staatsbank gegen Ende der 1950er Jahre verstärkt die staatlichen Förderprogramme für den Mittelstand heran. Die wichtigsten Mittelstandsprogramme kamen von der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Das erste Programm wurde 1952 aufgelegt, dem weitere folgten. 1958 wurden aus dem ERP-Sondervermögen 150 Millionen DM für die Mittelstandsförderung bereitgestellt.1095 Die Staatsbank bezog über die Deutsche Girozentrale eine Million DM, die sie gemäß einer Auflage des Bundeswirtschaftsministeriums aus eigenen Mitteln verdoppelte.1096 Bei der Umsetzung des Programms von 1958 entwickelte die Staatsbankführung anders als zuvor eine ausgeprägte Aktivität. Sie hielt insbesondere die Leiter der Zweigkassen immer wieder dazu an, die Kreditprogramme voll zu nutzen. Das Programm war in zwei Kontingente für größere und kleinere Kredite aufgeteilt. Ein Monat nach der Auflage des Programms war das Kontingent für die größeren Kredite fast ausgeschöpft, während das Kontingent für kleinere Kredite bis dahin kaum in Anspruch genommen worden war.1097 Die kleinen Kredite wurden demnach kaum nachgefragt, was hauptsächlich daran lag, dass sie unter dem Obligo der Staatsbank liefen und somit gemäß Staatsbankgesetz besichert sein mussten. Deshalb lösten diese Kreditprogramme das eigentliche Problem des Mittelstandes nicht. Neben dem ERP-Programm hatte das Land Niedersachsen seit 1953 im Rahmen der Zonenrandhilfe bzw. des Regionalen Förderungsprogramms eine Kreditlinie für den gewerblichen Mittelstand aufgelegt.1098 Die Mittel dieses Programms waren je-

1094 Rundschreiben des Direktoriums vom 7. Dezember 1959, Betr.: Kompetenzregelung im Aktivgeschäft, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 213. 1095 Die Aufstockung war Voraussetzung zur Teilnahme am Programm. Beyenburg-Weidenfeld, Ursula, Wettbewerbstheorie, Wirtschaftspolitik und Mittelstandsförderung 1948–1963. Die Mittelstandspolitik im Spannungsfeld zwischen wettbewerbstheoretischem Anspruch und wirtschaftspolitischem Pragmatismus, Stuttgart 1992, S. 349. 1096 Rundverfügung des Direktoriums an alle Bankkassen [Gr. III f1 Nr. 107] vom 7. März 1958, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 2039/1. 1097 Von den 1,2 Millionen DM für Kredite über 35.000 DM waren noch 200.000 frei, aus dem Kontingent von 800.000 DM für Kredite unter 35.000 DM jedoch noch fast 700.000 DM ungenutzt. Ebenda. 1098 Ebenda, S. 59, 61.

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doch zu gering, um großflächig Hilfe zu leisten.1099 Interessanter waren hier eher die Zinszuschüsse, die ebenfalls Teil des Programms waren.1100 Für das Problem der mangelnden Möglichkeit, langfristige Kredite auch ohne Stellung von dinglichen Sicherheiten zu bekommen, bot sich der Staatsbank eine vielversprechende Lösung: die Einschaltung der Kreditgarantiegemeinschaft des Niedersächsischen Handwerks GmbH (KGG) in Hannover, an deren Gründung durch das Land Niedersachsen im Jahr 1953 sich die Staatsbank finanziell beteiligt hatte.1101 Die Idee hinter dieser Einrichtung war die Anwendung des Genossenschaftsgedankens auf Haftungsfragen. Die KGG bürgte für 80 % eines Kredites bei Vergabe an einen Betrieb, der Mitglied der Handwerkskammer war. Für die Finanzierung dieser Kredite fand sich die staatsbankeigene Braunschweigische Landesbrand-Versicherungsanstalt bereit. Sie legte 1957 insgesamt 300.000 DM zweckgebunden für von der KGG verbürgte mittel- bis langfristige Kredite bei der Staatsbank an.1102 Zum Bedauern des Direktoriums blieb die Wirkung der KGG jedoch zunächst bescheiden. Weil die einzelnen Programme für sich genommen nicht halfen, hielt das Direktorium die Zweigkassenleiter dazu an, die verschiedenen Förderprogramme zu kombinieren. So wies die Führung der Staatsbank darauf hin, dass sich die Zinsbelastung der Kredite aus der ERP-Mittelstandsförderung 1958, die regulär mit sieben Prozent verzinst wurden, mit Zinszuschüssen aus der Zonenrandförderung Niedersachsens auf vier Prozent senken ließe. Falls keine ausreichenden Sicherheiten beschafft werden könnten, sollten die Kassenleiter auf die Kreditgarantiegemeinschaft zurückgreifen. Mithilfe der Kombination aller verfügbaren staatlichen Förderprogramme konnte die Staatsbank ein für beide Seiten attraktives Angebot machen. Die Staatsbank benötigte in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre solche für den Kreditnehmer attraktiven Angebote jedoch nicht allein aus politischen Gründen, sondern als Mittel im Wettbewerb: „Einige Kassenleitungen haben bereits erkannt, welche starken Werbefaktoren in der Beschaffung von Bürgschaften der Kredit-Garantiegemeinschaften und der Zinsverbilligungsmittel liegen. Wir würden es begrüssen, wenn auch die übrigen Kassen das Mittelstandsprogramm ZT/58 zum Anlass nehmen würden, mehr als bisher die uns gebotenen Möglichkeiten im Wettbewerb mit anderen Kreditinstituten auszunutzen.“1103 Im Vergleich zu der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg hatte sich der Markt für die Finanzierung des Mittelstandes in Braunschweig verändert. Mit den Volksbanken er1099 Aus dem Programm flossen bis 1970 insgesamt 19 Millionen DM an Handwerk, Gewerbe und Fremdenverkehrswirtschaft. Das geringe Kreditvolumen verteilte sich auf 1.629 Einzelzuweisungen, im Durchschnitt also 11.700 DM. Dies waren klassische Mittelstandskredite. 1100 Henk, Zonenrandförderung, S. 207. 1101 Protokoll der 53. Beiratssitzung vom 23. Mai 1953, in: NWA 5/Zg. 6/2007, Nr. 91. 1102 Rundverfügung des Direktoriums an alle Bankkassen [Gr. III f1 Nr. 96] vom 7. November 1957, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 2039/1. 1103 Rundverfügung des Direktoriums an alle Bankkassen [Gr. III f1 Nr. 96] vom 7. November 1957, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 2039/1.

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wuchs der Staatsbank ein Konkurrent, der speziell den Mittelstand als Kunden ansprach. Die Volksbanken im Geschäftsbereich der Staatsbank hatten von 1938 bis 1955 ihr Geschäftsvolumen fast dreimal so stark vergrößert wie die konkurrierenden Zweigkassen der Staatsbank. Außerhalb der Stadt Braunschweig erreichten die Volksbanken 1938 immerhin 38 % des Geschäftsvolumens der Staatsbank, 1955 waren es 46 %. In einigen Zweigkassenbereichen hatten die Volksbanken die Staatsbank bereits überholt.1104 Im Bereich der Kreditvergabe hatten die Volksbanken nicht nur auf dem Land, sondern auch in Braunschweig selbst einen signifikanten Marktanteil erobern können. Bei den Debitoren lag ihr Kreditvolumen bei knapp 30 % von dem der Staatsbank, außerhalb Braunschweigs waren es knapp 40 %. Bei den Wechselkrediten war der Anteil mit 20 % bzw. 11 % allerdings wesentlich geringer.1105 Die Staatsbank sah die Expansion der Volksbanken insgesamt mit großer Sorge: „Man sieht daraus, wie die Volksbanken auf Grund rigoroser Ausschöpfung aller verfügbaren Mittel das Konkurrenzverhältnis zu ihren Gunsten verschieben. Wenn wir uns auf diesem Sektor behaupten wollen, sollten wir in Zukunft den teilweise schon beschrittenen Weg weiter verfolgen, im Aktivgeschäft noch besser den Mittelstand zu betreuen und zu gewinnen.“1106 Die verstärkten Bemühungen um die Finanzierung des Mittelstandes, wie sie besonders 1958 zum Ausdruck kamen, hatten demnach ihren Grund in einem zunehmenden Wettbewerb um die Kundenbeziehungen zum Mittelstand. Beide Wettbewerber waren dabei gemeinnützige Organisationen, weshalb die Volksbanken eine besondere Herausforderung darstellten. Der Verlust von Marktanteilen in der Mittelstandsfinanzierung hätte die Legitimationsbasis der Staatsbank geschwächt. Sie war als Repräsentantin des Zonenrandgebietes Braunschweig nur glaubwürdig, wenn sie alle Bereiche der Wirtschaft finanzierte. Sie stellte deshalb in ihren Geschäftsberichten seit 1958 wieder stärker heraus, dass sie ihre Aufgabe als Finanzier des Mittelstandes wahrnahm. Dazu schlüsselte sie 1958 erstmals seit langer Zeit wieder die Zahl der kurzfristigen Kredite nach Empfängergruppen auf. Diese Aufschlüsselung zeigte, dass Handwerk, Handel und Landwirtschaft zusammen über die Hälfte der kurzfristigen Kredite der Staatbank bekamen.1107 Aus diesen Zahlen ist zu erkennen,

1104 So etwa in Bad Harzburg und Eschershausen. 1105 Die Expansion der Volksbanken war dabei ähnlich wie bei der Staatsbank nicht von den Einlagen, sondern vom Kreditgeschäft getrieben. Die Bank- und Spareinlagen hatten mit dem Wachstum der Bilanzsumme nicht schrittgehalten, weshalb die Volksbanken auf die Refinanzierungsmöglichkeiten ihres Verbundsystems und der Zentralbank zurückgriffen und außerdem ihre Liquidität einschränkten. Zweigkassenvergleich im Verhältnis zu den örtlichen Volksbanken, Anhang eines Schreibens vom 10. Januar 1957, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 278. 1106 Betrifft: Genossenschaftsbanken: Schreiben vom 10. Januar 1957, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 278. 1107 Geschäftsbericht der Braunschweigischen Staatsbank für das Jahr 1958, Braunschweig 1959, S. 10.

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dass die Zahl der Kunden aus dem Mittelstand in den Jahren nach 1958 deutlich anstieg.1108 Für die langfristige Finanzierung des Mittelstandes existieren keine Gesamtübersichten. Jedoch wurden 1965 in den Kreditausschussprotokollen für Kreditengagements ab 100.000 DM alle laufenden Kredite aufgeschlüsselt. Im Folgenden werden nur die Fälle aufgeführt, bei denen das kurzfristige Kreditvolumen zwischen 100.000 DM und 200.000 DM lag. Diese Unternehmen können noch zum Mittelstand gezählt werden. Hier zeigt sich, dass die Kreditbeziehungen zwischen der Staatsbank und den mittelständischen Unternehmen durchaus komplex waren. Alle Unternehmen hatten mehr als eine Kreditlinie bei der Staatsbank. Viele verfügten über fünf und mehr Einzelkredite. Auch im langfristigen Geschäft hatten die Kreditnehmer ihren Kapitalbedarf fast immer auf mehrere Kredite aufgeteilt. Knapp 30 % der Kreditnehmer im Bereich zwischen 100.000 DM und 200.000 DM profitierten von einer staatlichen Förderung.1109 Die häufigsten Formen waren dabei KfW-Mittelstandskredite, Kredite aus dem Zonengrenzlandprogramm und Kredite vom Land Niedersachsen. Kaum genutzt wurden hingegen die Kreditgarantiegemeinschaften. In nur fünf Fällen (3 %) waren die staatlichen Programme die einzigen langfristigen Finanzierungsquellen. Die verschiedenen staatlichen Mittelstandsprogramme ergänzten vielmehr Hypothekendarlehen und reguläre Investitionskredite der Staatsbank. Zwei prägnante jedoch keineswegs einmalige Beispiele sind die Daimler-BenzVertretung Willi Wiencke KG in Salzgitter-Lebenstedt und die Gastwirtin Frieda Buchheister in Braunschweig. Die Wiencke KG hatte 1965 insgesamt fünf kurzfristige und sechs langfristige Kredite bei der Staatsbank gewährt bekommen. Die kurzfristigen Kredite hatten ein Volumen von 186.000 DM. Dazu hatte Wiencke zwei Hypotheken über insgesamt 110.000 DM laufen, die durch zwei Zonengrenzlandkredite über 20.000 DM und zwei KfW-Kredite über 75.000 DM ergänzt wurden. Frieda Buchheister, die in Braunschweig eine Gastwirtschaft betrieb, hatte ebenfalls elf Kredite zugesprochen bekommen. Neben kurzfristigen Krediten über 143.000 DM und Hypothekendarlehen über 140.000 DM verfügte sie über einen KfW-Kredit über 100.000 DM, zwei Investitionskredite über insgesamt 44.000 DM und einen vom Land gewährten Kredit von 7.000 DM.1110 Die Beispiele zeigen zum einen, dass die Erzielung von „Primäreffekten“, wie sie von der Bundesregierung bei der Zonengrenzlandförderung gefordert worden waren, keine Rolle bei der Förderung spielte. Von den mittelständischen Empfängern 1108 Bei einer stark steigenden Gesamtzahl der kurzfristigen Kredite konnte der Anteil des Handwerks bis 1960 deutlich gesteigert werden, während Landwirtschaft und Handel ihren Anteil in etwa halten konnten. Eigene Berechnungen auf Basis der Geschäftsberichte der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge. 1109 Eigene Berechnung aus den Protokollen des Kreditausschusses des Jahres 1965. NWA 5, Zg. 6/ 2007, Nr. 95. 1110 Protokoll der Sitzung des Kreditausschusses vom 9. Juli 1965, Anlage 5, S. 1 und Anlage 7, S. 3, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 95.

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kamen 40 % aus der Industrie. Handel und Gastgewerbe lagen zusammen ebenfalls bei 40 %, der Rest bezog sich auf Handwerk und Landwirtschaft. Gerade Unternehmen wie die Autohandlung hätten eigentlich keine Kredite aus dem Regionalen Förderprogramm bekommen dürfen. Das Direktorium machte die Zweigkassenleiter 1962 noch einmal auf diese Regel aufmerksam und zählte dabei sogar explizit Beispiele auf, die nicht gefördert werden dürften, worunter der Handel, Kfz-Werkstätten und Wäschebetriebe fielen. Die Auswertung der Fälle von 1965 zeigt jedoch, dass diese Regel wenig beachtet wurde. Zum anderen zeigen andere Fälle, dass die Mittelstandsfinanzierung beinahe ebenso komplex war wie die Finanzierung größerer Unternehmen. Das gab der Staatsbankführung recht, die bereits seit den 1920er Jahren immer wieder betont hatte, dass Mittelstandskredite einen ähnlich hohen Verwaltungsaufwand erfordern würden. Der Vorteil der Staatsbank gegenüber den Genossenschaftsbanken lag darin, dass sie den mittelständischen Betrieben im langfristigen Geschäft eine große Bandbreite an Angeboten machen konnte. Neben Hypotheken hatte sie eine besondere Expertise bei den staatlichen Förderprogrammen entwickelt. Schließlich hatte sie in den 1950er Jahren ein eigenständiges Angebot für langfristige Investitionskredite aufgebaut. Sowohl die Expertise bei staatlichen Förderprogrammen als auch das Angebot eigener langfristiger Finanzierungslösungen hatte die Staatsbank jedoch nicht in Bezug auf den Mittelstand entwickelt, sondern bei der Finanzierung der größeren Industriebetriebe.

Der Durchbruch in der Finanzierung der Investitionen der Industrie Auch wenn die Zahl der Mittelstandskredite höher war als die Kredite an die Industrie und den Großhandel, dominierten Letztere das Kreditvolumen beinahe vollständig. Allein 1958, dem Jahr in dem die Staatsbank sich verstärkt dem Mittelstand zuwenden wollte, steuerten Kredite mit einem Volumen von mindestens 400.000 DM fast 90 % des Wachstums aller kurzfristigen Kredite bei.1111 In den 1950er Jahren wuchs jedoch auch der Anteil der großen Unternehmen am langfristigen Kredit. Eine für die Unternehmensfinanzierung zentrale Entwicklung in der Bundesrepublik war der Aufstieg des Investitionskredites als mittelfristiges Finanzierungsinstrument. Die Investitionskredite lösten seit der Mitte der 1950er Jahre die Selbstfinanzierung der Unternehmen durch einbehaltene Gewinne als Hauptfinanzierungsform langsam ab. Das Volumen der Investitionskredite in der Bundesrepublik stieg von zwölf Milliarden DM im Jahr 1958 auf 40 Milliarden DM im Jahr 1968.1112 Von dieser Entwicklung profitierten alle Kreditinstitute, jedoch die verschiedenen Bankengrup1111 Prüfung des Jahresabschlusses der Braunschweigischen Staatsbank für das Jahr 1958, S. 46, in: NWA 8, Nr. 870. 1112 Thomes, Industriekredit, S. 48.

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pen in unterschiedlicher Weise. Für die öffentlichen Banken und Sparkassen bot sich durch den Investitionskredit erstmals eine reguläre Möglichkeit, an der Finanzierung der Industrie zu partizipieren. Die Durchsetzung des Kredites als Mittel der Investitionsfinanzierung ist daher ein zentraler Aspekt bei der Untersuchung der Unternehmensfinanzierung durch öffentliche Banken. Die Staatsbank hatte bis zur Währungsreform keine besonders guten Erfahrungen mit der Finanzierung von industriellen Investitionen gemacht. Ihr fehlten vor allem adäquate Refinanzierungsmittel. Die Auflegung von Anleihen, die Vergabe von Schuldscheindarlehen oder die Emission von Aktien lohnte sich aufgrund des hohen Verwaltungsaufwandes nur für große Investitionen, nicht jedoch für die Masse der kleinen und mittleren Unternehmen. Die Idee der Bündelung vieler kleiner Investitionsvorhaben für den Verkauf sogenannter Industriepfandbriefe war in den 1920er Jahren auf Grund des nicht kalkulierbaren Risikos gescheitert. Die Erfahrungen, die die Staatsbank mit mittelfristigen Investitionskrediten in den 1930er Jahren gemacht hatte, waren wiederum wenig ermutigend für eine Wiederaufnahme des Geschäftes. Das Institut hatte damals weitgehend auf Reichsgarantien vertraut, die nach Kriegsende jedoch nichts mehr wert waren. Es gab deshalb sowohl für die Bank als auch für ihre Kunden keine vernünftige Alternative als die Vergabe von Krediten auf der Basis von Grundschulden. Gerade bei Industriebetrieben konnte die Staatsbank dabei auch nicht einfach eine Grundschuld eintragen lassen, weil das Staatsbankgesetz Industrieimmobilien gegenüber anderen Liegenschaften prinzipiell benachteiligte.1113 Bis 1962 musste die Staatsbank Investitionskredite, die mit Grundschulden gesichert waren, fast immer abweichend von den Bestimmungen des Staatsbankgesetzes vergeben, weshalb sie stets vom Kreditausschuss genehmigt werden mussten. Bis Juni 1949 hatte die Staatsbank gar keine Investitionskredite vergeben, im Dezember 1950 aber bereits 349, die zusammen ein Volumen von knapp 14 Millionen DM erreichten.1114 Die Investitionskredite hatten besonders Anfang der 1950er Jahre, mit 20 % der Bilanzsumme im Jahr 1951, eine hohe Bedeutung für die Staatsbank.1115 Ab Mitte der 1950er Jahre wurden die Investitionskredite von der Wohnungsbaufinanzierung in den Schatten gestellt, dennoch stiegen auch sie an. 1960 hatte die Staatsbank 114 Millionen DM an Investitionskrediten vergeben, was 15 % des langfristigen Kreditgeschäftes und 9 % der Bilanzsumme entsprach. Diesen Anteil hielten sie bis 1969.1116 1113 Vgl. StBG § 20 Abs. 4, S. 16. Danach durften Fabrikgebäude nur dann beliehen werden, wenn sie unabhängig von der gewerblichen Nutzung einen jederzeit zu realisierenden Verkaufswert haben. 1114 DM-Eröffnungsbilanz, Geschäftsjahr 1948/49 und Geschäftsjahr 1950 der Braunschweigischen Staatsbank, S. 10. 1115 Eigene Berechnungen auf Grundlage der Jahresbilanzen der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge, in: Bilanz Braunschweigische Staatsbank von 1948–1970, NWA 8, Nr. 1571. 1116 Vgl. Bilanzen der Braunschweigischen Staatsbank, verschiedene Jahrgänge, in: Bilanz Braunschweigische Staatsbank von 1948–1970, NWA 8, Nr. 1571.

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Innerhalb der zustimmungspflichtigen Kredite in den Kreditausschussprotokollen war die Gruppe der Investitionskredite mit 44 Fällen mittelgroß. Das Durchschnittsvolumen lag mit 1,1 Millionen DM bei etwas mehr als der Hälfte des allgemeinen Durchschnitts. Nur 11 % der Fälle betrafen auswärtige Unternehmen. Im Zeitablauf ist eine deutliche Zweiteilung zu erkennen. Bis 1953 gab es lediglich einen zustimmungspflichtigen Fall, ab 1954 dagegen jedes Jahr mehrere Fälle mit dem Höhepunkt im Jahr 1959. Mitte der 1950er Jahre existiert also eine Art Scheitelpunkt für Investitionskredite. Wie aus den Protokollen hervorgeht, lag der Unterschied zwischen der Zeit vor 1954 und der Zeit danach nicht unbedingt in einer veränderten Form der Kreditvergabe. In den Jahren 1949 bis 1953 wurden Investitionskredite mit wenigen Ausnahmen durch Grundschulden besichert, ebenso wie in der Zeit danach. Allerdings änderte sich die Qualität der Grundschulden. Ab 1954 rückte die Staatsbank oft hypothekarisch an die zweite Stelle. Außerdem akzeptierte sie gewerblich genutzte Grundstücke als Sicherheiten. Dies war der Grund dafür, dass Investitionskredite ab 1954 genehmigungspflichtig wurden. Die Umstellung zeigt zugleich eine scheinbar größere Risikofreude seitens der Bank. In den ersten Jahren nach der Währungsreform war die Staatsbank im Bereich der Investitionsfinanzierung noch sehr zurückhaltend, wie ein Zitat von Staatsbankpräsident Josef Lammers von 1950 zeigt: „Im allgemeinen würde ich die Antragssteller an die Industriekreditbank in Hamburg oder Düsseldorf verweisen. Die Industriekreditbank ist ein Spezialinstitut für mittelfristige Kredite, nicht die Staatsbank.“1117 Lammers sah das Problem hauptsächlich in der mangelnden Kompetenz der Staatsbank für die Vergabe von Krediten für industrielle Investitionen. Aus diesem Grund finanzierte die Staatsbank mittelfristige Kredite fast ausschließlich über die bundes- und landesweiten öffentlichen und privaten Investitionsprogramme. Die ersten Investitionsprogramme, die die Staatsbank seit 1949 für die Kreditvergabe nutzte, waren die Förderprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und die von der Industriekreditbank (IKB) vermittelten Gelder der deutschen Industrie.1118 Ab 1954 kamen dann auch die Kredite und Zinszuschüsse aus dem Regionalen Förderungsprogramm des Bundes dazu.1119 Mit Ausnahme des Zonenrandprogramms wurden diese Kredite zwar von außen refinanziert, die Staatsbank trug jedoch das Risiko. Daher war das Institut auch bei der Vermittlung eher zurückhaltend. Einem Kredit über zehn Millionen DM an das Hüttenwerk in Salzgitter stimmte die Staatsbank im Jahr 1950 nur zu, weil er im Konsortium mit der Niedersächsischen Landesbank aus Mitteln der KfW und unter einer 100 %igen Bürgschaft des 1117 Rundverfügung des Präsidenten der Braunschweigischen Staatsbank [Gr. IIIf, Nr. 2] vom 5. Juni 1950, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 2039/2. 1118 Kreditausschusssitzung vom 22. Februar 1949, S. 1, in: NWA Zg. 6/2007, Nr. 90. 1119 Das Gesamtvolumen der geförderten Kredite war allerdings in den 1950er Jahren gering. Im kurzfristigen Bereich hatte die Staatsbank im ersten Halbjahr 1957 weniger als drei Millionen DM Zonengrenzlandkredite an die gewerbliche Wirtschaft vermittelt. Protokoll der 66. Beiratssitzung am 4. Oktober 1957, S. 4, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91.

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Bundes vergeben wurde. Damit war jegliches Risiko ausgeschlossen.1120 Intern suchte die Staatsbankführung wiederholt die Expertise von Mitgliedern des Kreditausschusses. Der Ausschuss intervenierte in vier Fällen bei Investitionskrediten. In zwei Fällen gab ein Ausschussmitglied seine Expertise zu bestimmten Unternehmen ab. In den anderen beiden Fällen wurde die Hinzuziehung eines industriellen Experten empfohlen. Andererseits zog das Direktorium in einigen Fällen selbst Experten hinzu. Wirklich lösen konnte die Staatsbankführung das Problem mangelnder Expertise langfristig jedoch nur dadurch, dass ihre Mitarbeiter Erfahrung in diesem Bereich sammelten. Der Durchbruch kam für die Staatsbank durch eine anhaltende Überkapazitätskrise in der Zuckerindustrie. Die Zuckerfabriken waren wie bereits erwähnt besonders stark von der deutschen Teilung betroffen. Die Überkapazitäten nahmen noch zu, als 1955 und 1956 das schlechte Wetter zu Missernten führte. Daraufhin kam es zu einer ersten Konzentrationswelle, bei der einige ältere Fabriken geschlossen wurden. Die Staatsbank steuerte einen Teil der Zusammenschlüsse per Kreditvergabe. Bereits 1953 beschloss der Kreditausschuss nach Anhörung des Ausschussmitgliedes und Landwirtes Boeck, die Kampagne der Zuckerrübensaftfabrik in Söllingen nicht mehr zu finanzieren. Daraufhin fusionierte die Fabrik mit der Zuckerfabrik Söllingen, die ebenfalls Kunde der Staatsbank war.1121 Die Staatsbank konnte dabei aufgrund der Ablehnung des Kredites jegliche Verluste vermeiden.1122 1957 wurde schließlich auch die Zuckerrübenfabrik in Söllingen geschlossen und die Rübenkontingente auf die Zuckerfabriken Schöppenstedt, Königslutter und Watenstedt verteilt, die alle Kunden der Staatsbank waren. Diese Standortentscheidung lässt sich aus der Vergabe von Investitionskrediten durch die Staatsbank gut nachvollziehen. Der erste Investitionskredit über 600.000 DM wurde bereits 1951 an die Zuckerfabrik Königslutter vergeben. Im Jahr 1953 beantragte die Staatsbank sowohl für Schöppenstedt als auch für Söllingen Investitionskredite aus den ERP-Mitteln. Die Fabrik in Söllingen bekam 425.000 DM und die in Schöppenstedt 700.000 DM. In Schöppenstedt engagierte sich die Staatsbank jedoch auch selbst, indem sie einen Investitionskredit von 175.000 DM für eine Rübenblatt-Trocknungsanlage genehmigte. 1955 vergab die Staatsbank einen zusätzlichen mittelfristigen Kredit an die Zuckerfabrik Schöppenstedt für 500.000 DM.1123 In Königslutter vergab sie 1957 einen weiteren mittelfristigen Kredit über 525.000 DM. In Söllingen wurde dagegen bereits seit 1953 nicht mehr investiert. Mit den zusätzlichen Rübenkontingenten waren die anderen drei Fabriken ausgelastet. Ebenfalls 1957 konnte die Staatsbank eine Fusion zwischen den Zuckerfabriken Fallersleben und Salzdahlum erreichen, wobei ihr Kunde in Fallersleben bestehen blieb und die Fabrik in Salzdahlum ihre Tore schloss. Zu1120 Kreditausschusssitzung vom 25. Juli 1950, S. 1, in: NWA Zg. 6/2007, Nr. 90. 1121 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 9. November 1953, S. 5, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 90. 1122 Protokoll der 58. Beiratssitzung am 22. Oktober 1954, S. 5, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 91. 1123 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 5. Mai 1955, S. 10, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 90.

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letzt fusionierten 1958 vier Zuckerfabriken im Raum Braunschweig zur Braunschweiger Zucker AG, der Keimzelle der heutigen Nordzucker AG.1124 Mit dieser Konsolidierung hatte die Zuckerindustrie den Wegfall des Zuliefergebietes jenseits der Grenze weitgehend kompensieren können. Die Schließung von Standorten setzte sich in den 1960er Jahren in einem verlangsamten Tempo fort. Die Staatsbank investierte auch bei ihren anderen Kunden, wie der Zuckerfabrik Barum und Broitzem, in die Modernisierung der Produktionsanlagen. Einen starken Fokus legte sie auf die Zuckerraffinerie in Frellstedt. Sie hatte dort 1958 Investitionskredite über 1,5 Millionen DM vergeben, die aus den verschiedensten Fördertöpfen stammten. Zu diesen mittelfristigen Engagements kamen noch 6,5 Millionen an kurzfristigen Krediten.1125 Die Zuckerindustrie war durch ihre direkte Verbindung zu den Landwirten tief im Land verankert, weshalb ein Zusammenbruch dieser Industrie hohe soziale Kosten verursacht hätte. Die Rationalisierung der Betriebe wurde unter anderem von der Industrie- und Handelskammer als Strategie zur Erreichung der Wettbewerbsfähigkeit im Zonengrenzland befürwortet und durch staatliche Förderprogramme unterstützt.1126 Daher war der Einstieg in die Investitionsfinanzierung hier ohne Probleme und Widerstand möglich. Die Staatsbank konnte im Gegenteil die Finanzierung der Konsolidierung und Modernisierung der Zuckerindustrie für die Legitimation ihrer Geschäftstätigkeit sehr gut nutzen, auf Grund dessen sie in den Geschäftsberichten auch erwähnt wurden.1127 Nicht erwähnt wurde in den Berichten, dass die Staatsbank Investitionskredite auch nutzte, um neue Kunden zu gewinnen. So gewährte sie 1954 dem Konservendosenhersteller Schmalbach Blechwarenwerke AG einen Investitionskredit über eine Million DM, der lediglich durch eine Negativerklärung gesichert war und dem Ausbau einer Fabrik in Seesen diente. Das Direktorium betonte bei diesem Kreditfall, dass die Staatsbank damit erstmals direkt mit dem für Braunschweig bedeutenden Unternehmen in Geschäftskontakt trat.1128 Aus ähnlichen Gründen finanzierte die Staatsbank über ihre Tochter Gebr. Löbbecke einen mittelfristigen Kredit für das Hof-

1124 Geschäftsbericht der Braunschweigischen Staatsbank für das Jahr 1958, S. 6. 1125 Der erste Investitionskredit war ein Rationalisierungskredit über 800.000 DM, der im Rahmen der gemeinsam von Bund und Land getragenen Zonenrandförderung durch Zinszuschüsse subventioniert worden war. Dieser Kredit wurde durch eine Grundschuld auf dem Besitz der Raffinerie in Hildesheim gesichert. Der zweite Kredit über 437.500 DM war ein teilweise bereits abbezahlter Konsortialkredit. Die Staatsbank hatte der Raffinerie ein Jahr zuvor zusammen mit der Industriekreditbank 2,5 Millionen DM aus deren Investitionsprogramm für Investitionszwecke geliehen. Dieser Kredit war ebenfalls über eine Grundschuld auf Grundstücke in Helmstedt gedeckt. Zuletzt hatte die Zuckerraffinerie noch einen Kredit aus ERP-Mitteln für wasserwirtschaftliche Maßnahmen erhalten. Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 9. Oktober 1958, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 134. 1126 Fiedler; Pingel, Nachkriegsboom, S. 589. 1127 Geschäftsbericht der Braunschweigischen Staatsbank für das Jahr 1958, S. 6. 1128 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 1. November 1954, in NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 90.

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brauhaus Wolters: „Dieses Darlehn ist gewährt worden, um das Hofbrauhaus Wolters mit seinen Umsätzen wieder zum Bankhaus Löbbecke zurückzuholen.“1129 Insofern war die Vergabe von Investitionskrediten ein wichtiges Mittel im Wettbewerb mit anderen Banken. Im Gegensatz zu einem direkten Wettbewerb über die Konditionen bot die Staatsbank hier eine neue Finanzierungsform an, die andere Banken entweder generell noch nicht im Angebot hatten oder speziell in den betreffenden Fällen nicht anboten.

Die Finanzierung des Außenhandels Die Staatsbank hatte in den 1920er und 1930er Jahren Kunden gewonnen, die teilweise sehr hohe Exportquoten aufwiesen. Das Institut konnte diesen Unternehmen jedoch mangels Erfahrung und ohne ein Netz von internationalen Korrespondenzbanken keine Außenhandelsfinanzierung anbieten. Deshalb hatten die industriellen Kunden gleichzeitig auch die Dienste der Großbanken oder großer Privatbanken in Anspruch genommen. Dieser Zustand änderte sich jedoch bereits kurz nach der Währungsreform, als die Staatsbank sehr schnell umfangreiche Exportkredite zur Verfügung stellte. In der Zeit zwischen Kriegsende und der Gründung der Bundesrepublik war der Außenhandel in den westdeutschen Zonen durch die sogenannte Dollarklausel erheblich eingeschränkt. Diese Klausel besagte, dass die Empfängerländer deutscher Exporte diese in US-Dollar zu bezahlen hätten. Gleichzeitig bildete sich jedoch als Folge eines wachsenden Handelsbilanzdefizits zwischen den europäischen Staaten und dem Dollar-Raum die sogenannte Dollar-Lücke in Europa. Deutschlands europäische Nachbarn konnten keine Güter aus Deutschland importieren, weil sie nicht über das notwendige Zahlungsmittel verfügten. Dieses Problem wurde erst durch den Marshall-Plan durchbrochen, mit dem die Amerikaner teils gegen den Willen vieler europäischer Staaten zwischen 1948 und 1950 ein multilaterales Zahlungssystem und eine Teilliberalisierung des Handels der Teilnehmerstaaten durchsetzten.1130 Das 1950 in Gang gesetzte System der Europäischen Zahlungsunion (EZU) 1129 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 9. November 1953, in NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 90. 1130 Teil des Marshall-Plans waren die bedingte Dollarhilfe und sogenannte Ziehungsrechte in europäischen Währungen. Letztere bekamen Länder zugeteilt, die Zahlungsbilanzdefizite hatten. Sie konnten damit bei den Überschussländern benötigte Waren kaufen. Die Überschussländer erhielten den Gegenwert dieser Ziehungsrechte von der Marshall-Plan-Behörde in Dollar ausgezahlt unter der Bedingung, dass sie die Ziehungsrechte akzeptierten und auf eine Bezahlung in echten Devisen verzichteten. In längeren Auseinandersetzungen setzten die USA durch, dass die Ziehungsrechte auch für Käufe in anderen Ländern genutzt werden konnten. Somit konnten Defizite beim Handel mit einem Land durch Überschüsse in anderen Ländern ausgeglichen werden. Dies führte zu einem System, in dem alle Überschüsse und Defizite mit den Mitgliedsländern zunächst saldiert wurden und nur die saldierten Defizite und Überschüsse gegenüber dem gesamten Zahlungsraum wurden als Zahlungsbilanzdefizit oder Überschuss behandelt. Dieses multilaterale Clearing wurde

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musste gleich zu Beginn eine größere Krise überstehen, weil die Bundesrepublik aufgrund unerwartet hoher Handelsbilanzdefizite, auch aufgrund des Koreakrieges, die bereits eingeführten Aufhebungen der mengenmäßigen Importbeschränkungen zum Teil wieder rückgängig machen musste. Die Krise der EZU wurde jedoch bereits 1951 überwunden und Deutschland hob die zwischenzeitlich wiedereingeführten Importbeschränkungen wieder auf.1131 Am 1. Oktober 1951 trat die Bundesrepublik dem „General Agreement on Tariffs and Trade“ (GATT) bei, womit die Zölle für einen großen Teil der Waren signifikant gesenkt wurden.1132 Die Senkung der Zolltarife läutete zusammen mit der weitgehenden Aufhebung der Importquoten die Liberalisierung zunächst des europäischen Handels ein. Zwischen 1954 und 1956 hob Deutschland einen Großteil der Importquoten gegenüber dem Dollar-Raum auf, womit die Zollsenkungen im Rahmen des GATT ihre volle Wirkung entfalteten. Die Bundesrepublik profitierte von der Liberalisierung besonders und erwirtschaftete seit 1951 in jedem Jahr hohe Exportüberschüsse. Diese Überschüsse waren wirtschaftspolitisch gewollt, weil damit ein Teil des Wiederaufbaus finanziert werden sollte. Der Export wurde deshalb von staatlicher Seite gefördert, etwa durch die Übernahme von Bürgschaften bei Exportkrediten (Hermes-Bürgschaften) und Steuervergünstigungen. Auch die Bundesbank trug ihren Teil dazu bei, indem sie selbst Exportkredite zur Verfügung stellte und vor allem durch eine restriktive Geldpolitik die Inlandspreise gegenüber dem Ausland auf niedrigem Niveau zu halten versuchte. Dadurch verschaffte sie den Exporteuren einen Wettbewerbsvorteil.1133 Die zweite Voraussetzung für die Integration der Bundesrepublik in den Welthandel war die Liberalisierung des Kapitalverkehrs. Bis 1953 existierte ein privater Kapitalverkehr zwischen Deutschland und dem Ausland praktisch nicht. Dieser konnte erst nach der Regelung der Auslandsverbindlichkeiten des Reiches und der Besatzungszonen im Londoner Schuldenabkommen 1953 aufgenommen werden. In der Folge wurde der Kapitalverkehr nach und nach liberalisiert. Dies gilt insbesondere für deutsche Investitionen im Ausland. Bis 1956 mussten diese einzeln genehmigt werden. In diesem Jahr fiel die Genehmigungspraxis für Unternehmensinvestimit der Gründung der Europäischen Zahlungsunion (EZU) 1950 in Gang gesetzt, dem auch Deutschland angehörte. Zur Begleichung des Defizits konnten sich die Länder zunächst bei der Union verschulden und diese Schulden später anteilig in Gold oder Dollar zurückzahlen. Vgl. Buchheim, Christoph, Die Wiedereingliederung Westdeutschlands in die Weltwirtschaft 1945–1958, München 1990, S. 99–107. 1131 Ebenda, S. 131–133. 1132 Ebenda, S. 139 f. 1133 Langfristig war der Beitrag der Bundesbank wichtiger, weil im Rahmen der Handelsliberalisierung die anfangs eingeführten Restriktionen abgebaut wurden. Holtfrerich, Geldpolitik, S. 381, 383 f. Werner Abelshauser und Christoph Buchheim bestreiten, dass die Exportförderung für den Erfolg der deutschen Wirtschaft im Export verantwortlich war. Abelshauser sieht die Qualität der Produkte als entscheidenden Faktor. Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 230. Buchheim sieht ebenfalls bei den deutschen Exporten keine Preiselastizität der Nachfrage. Buchheim, Wiedereingliederung, S. 173.

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tionen bis drei Millionen DM weg. 1957 wurde diese Begrenzung ganz aufgehoben. Die Genehmigungspflicht für Investitionen in ausländischer Währung in Deutschland wurde sogar erst 1958 aufgehoben.1134 Im gleichen Jahr wurde formal die Konvertibilität zum Dollar eingeführt, die faktisch bereits mit der Liberalisierung des Handels mit dem Dollarraum bestand. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die BRD zwischen 1951 und 1958 einen Exportüberschuss von 44,5 Milliarden DM erwirtschaftet. Dieses Geld stand der Bundesrepublik dank der letztlich geringen Auslandsverpflichtungen fast vollständig für den Wiederaufbau und den Devisenaufbau zur Verfügung.1135 Die Braunschweigische Staatsbank vollzog den Weg in die Außenhandelsfinanzierung an der Seite der exportorientierten Industrie Braunschweigs. Sie hatte laut eigener Aussage keine andere Wahl: „Das Auslandsgeschäft und neuerdings das Einfuhrgeschäft sind zwangsläufig auf die Staatsbank zugekommen, da wir uns mit dem Einsetzen der Ausfuhr sehr bedeutenden Kunden nicht versagen konnten.“1136 In diesem Fall erklärte die Staatsbank ihre Expansion mit dem Wettbewerb um die Kunden. Denn es war unzweifelhaft, dass die Gefahr des Abwanderns der Kunden größer war, wenn sie für die Außenhandelsfinanzierung ohnehin ein anderes Kreditinstitut in Anspruch nehmen mussten. Dies wird auch bei den Begründungen der Bewilligungen im Kreditausschuss deutlich.1137 Die Kredite im Bereich Außenhandel waren mit 50 Fällen relativ prominent vertreten. 31 % der Fälle betrafen Unternehmen außerhalb des Geschäftsgebietes der Staatsbank. Ihre Verteilung im Zeitverlauf zeigt eine Bedeutungszunahme bis etwa zur Mitte der 1950er Jahre und dann einen relativen Bedeutungsverlust. Die ersten Exportfinanzierungen tauchen bereits in den Protokollen der Jahre 1948 und 1949 auf. Da die Staatsbank demnach bereits vor dem Inkrafttreten der Europäischen Zahlungsunion im Exportgeschäft tätig war, musste sie mit den hohen Risiken im wirtschaftlichen und politischen Bereich und mit den Währungsrisiken zurechtkommen, die besonders in den Jahren 1948 bis 1951 im Außenhandel herrschten. Dies war insbesondere beim Export von industriellen Maschinen und Anlagen problematisch, deren Lieferung und Aufstellung eine längere Zeit in Anspruch nahmen. Eines der ersten großen Exportgeschäfte war ein mittelfristiger Ausfuhrkredit über zwei Millionen DM nach Frankreich im Juli 1950. Die Braunschweigische Ma1134 Ebenda, S. 165 f. 1135 Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 228–230. 1136 Protokoll der 44. Beiratssitzung vom 21. Juni 1949, in: NWA Zg. 6/2007, Nr. 135. 1137 Ungewöhnlich ist die relativ hohe Zahl der Fälle, die auf Basis der Welt der Industrie gerechtfertigt wurden. Dies gilt besonders für die ersten Jahre nach der Währungsreform. Dies wird allerdings verständlich, wenn man die oben gemachte Unterteilung des Bezugs der Rechtfertigung zwischen Kredit und Kreditnehmer berücksichtigt. Die mit Bezug auf die Welt der Industrie gerechtfertigten Fälle beziehen sich in den ersten Jahren fast ausschließlich auf die Eigenschaften des Kredites, insbesondere auf die Frage der Sicherheiten.

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schinenbauanstalt wollte dorthin Maschinen für eine Zuckerfabrik liefern. Der damit befasste Kreditausschuss machte seine Zustimmung zu diesem Geschäft von mehreren Voraussetzungen abhängig. Er verlangte eine Zahlungsgarantie einer französischen Bank oder eines Bankenkonsortiums. Die Garantie der Refinanzierung durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau musste ebenso eingeholt werden wie die Bürgschaft der Hermes-Kreditversicherung, um politische Risiken abzusichern.1138 Schließlich musste die Staatsbank sich das Restrisiko mit der Merkurbank teilen, eines der Nachfolgeinstitute der Commerzbank, indem sie mit dieser ein Kreditkonsortium gründete.1139 Dieses sehr vorsichtige Vorgehen des Kreditausschusses zeigt einerseits wie schon bei den Investitionskrediten die anfängliche Scheu gegenüber dem weitgehend unbekannten Auslandsgeschäft. Andererseits zeigt dieses Vorgehen jene Unsicherheit, die die westdeutsche Zahlungsbilanzkrise bei den Exportgeschäften auslöste. Die Bürgschaften und Garantien wurden eingefordert, weil weder das Direktorium noch der Beirat die Risiken wirklich einschätzen konnten. Außerdem holte man sich mit der Commerzbank einen Experten im Außenhandel mit ins Boot. Die Staatsbank war nicht die einzige Bank, die nach Wegen suchte, das Risiko in der Exportfinanzierung zu begrenzen. 1952 wurde von den führenden deutschen Banken die Ausfuhr-Kredit Aktiengesellschaft (AKA) gegründet, mit deren Hilfe die Gründerbanken das Risiko kollektiv absicherten. Die Gründung ging auf Josef H. Abs zurück, der sie zum privaten Gegenstück der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) aufbauen wollte. Die AKA spezialisierte sich auf die Exportfinanzierung. Sie bot Exportfinanzierungskredite an, die durch Zuschüsse aus dem Sondervermögen des European Reconstruction Program (ERP) subventioniert wurden und zusätzlich durch Hermes-Bürgschaften gegen politische und wirtschaftliche Risiken gesichert waren. Die Staatsbank gehörte zum Gründungskonsortium der AKA und war damit einer der wenigen öffentlich-rechtlichen Gäste auf einer überwiegend privaten „Party“. Die Landesbanken und Girozentralen beteiligten sich erst 1966 an diesem Institut.1140 Überhaupt spielte der Sparkassensektor im Bereich des Außenhandels in den 1950er Jahren keine besonders große Rolle. Das Auslandsgeschäft des Sparkassensektors, das vollständig von den Girozentralen getragen wurde, hatte 1962 einen Anteil von 11 % an allen Forderungen an das Ausland.1141

1138 1949 führte die Bundesrepublik die Hermes-Bürgschaft als Exportförderungsmaßnahme ein. Dabei wurde die Hermes-Kreditversicherung in Hamburg beauftragt, auf Rechnung des Bundes Exportkredite gegen bestimmte politische und wirtschaftliche Risiken zu versichern. Die Kreditinstitute mussten dafür Gebühren und Prämien zahlen. Die Bundesrepublik übernahm damit einen Großteil der unkalkulierbaren Risiken des Auslandsgeschäfts und machte es damit berechenbarer. 1139 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 25. Juli 1950, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 90. 1140 50 Jahre AKA. Von einer Liquiditäts- und Risikogemeinschaft zum modernen Anbieter von Finanzierungen und Dienstleistungen, 2002, Online-Ressource 2002, URL: https://docplayer.org/ 1260611-Aka-ausfuhrkredit-gesellschaft-m-b-h-50-jahre-aka.html (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). 1141 Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, August 1962, S. 17.

336  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

Die Sonderstellung der Staatsbank im öffentlich-rechtlichen Kreditwesen hing eng mit der Finanzierung des Volkswagenwerkes zusammen. Diesem wurde ebenfalls 1952 von der Staatsbank ein Exportrattenkredit über bis zu zehn Millionen DM eingeräumt, was zu dem Zeitpunkt einen großen Sprung im Volumen des Exportgeschäftes der Bank darstellte.1142 Es erscheint nur folgerichtig, dass die Staatsbank nach Wegen suchte, Kredite in dieser Größenordnung umfassend abzusichern. Zunächst konzentrierten sich die Exportfinanzierungsleistungen auf relativ wenige Unternehmen. Neben Volkswagen waren dies vor allem die Braunschweigische Maschinenbauanstalt (BMA) und die Fahrzeug- und Maschinenbau Watenstedt GmbH (FAMAS), die ehemalige Stahlwerke Braunschweig AG, ein Unternehmen aus dem Maschinenbaubereich der Reichswerke AG. Dazu kamen bis Mitte der 1950er Jahre noch die Mühlenbau-Industrie AG (MIAG), Luther & Jordan, Siemens Signaltechnik und Büssing dazu. Die Staatsbank war in den meisten Fällen auf die Kooperation mit einer der Großbanken angewiesen. Bei der BMA waren es die Commerzbank und die Deutsche Bank. Letztere war auch bei der FAMAS beteiligt. Bereits 1954 jedoch begann die Staatsbank damit, kleine und mittelgroße Exportfinanzierungen ohne die Hilfe der Großbanken zu finanzieren. Bei sehr großen Kreditvolumina dagegen arbeitete sie weiter in Konsortien zusammen, so etwa bei der Finanzierung des Exportes zweier Zuckerfabriken in die Sowjetunion im Jahr 1959. Die Staatsbank war hier Teil eines Konsortiums bestehend aus der Deutschen Bank, der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Ausfuhr-Kreditanstalt (AKA). Der Anteil der Staatsbank lag nur bei 27,5 %, dennoch steuerte sie 17 Millionen DM bei. Der Gesamtkredit lag bei knapp 62 Millionen DM.1143 Die Beteiligung der KfW an der Finanzierung war Teil eines Versuches dieser Bank, im Exportgeschäft Fuß zu fassen. Sie nutzte dabei den Umstand aus, dass die AKA nur Kredite bis zu vier Jahren Laufzeit vergab. Sie gewährte zunächst Anschlussfinanzierungen, stieg aber schließlich auch

1142 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 18. März 1952, in: NWA 5, Zg 6/2007, Nr. 90. Technisch lief dieses Geschäft so ab, dass Volkswagen Wechsel auf den ausländischen Handelspartner zog, die von diesem jedoch zunächst nicht akzeptiert wurden. Diese Tratten wurden von der Staatsbank diskontiert. Sie konnte dies ohne Probleme tun, weil Exporttratten ab November 1950 von der Bank deutscher Länder rediskontiert wurden, was wiederum eine direkte Fördermaßnahme des Exports darstellte. Das Risiko des Geschäftes wurde damit an den Bund weitergereicht. Maennig, Wolfgang; Ahlfeldt, Gabriel M., Regionale und sektorale Geldpolitik – Erfahrungen der Bundesbank, in: Weber, Lars; Lubk, Claudia; Mayer, Annette (Hg.), Gesellschaft im Wandel. Aktuelle ökonomische Herausforderungen, Wiesbaden 2008, S. 293–314, S. 305. 1143 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 9. Dezember 1959, S. 13, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 134. Das Kreditvolumen dieser Finanzierung war damit höher als der von Hans Büschgen beschriebene Bestellerkredit über 50 Millionen DM, der im gleichen Jahr ebenfalls an die BMA ging. Büschgen, Hans E., Die Deutsche Bank von 1957 bis zur Gegenwart. Aufstieg zum internationalen Finanzdienstleistungskonzern, in: Gall u. a., Die Deutsche Bank 1870–1995, München 1995, S. 579– 879, S. 728 f.

5.3 „Am Zonenrand“

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in das Hauptgeschäft ein.1144 Obwohl die Staatsbank bei der AKA Gesellschafter war, nutzte sie ebenfalls die Leistungen der KfW. Insgesamt profitierten die Kunden der Staatsbank in den 1950er Jahren in vollem Maße von der Integration Westdeutschlands in den Welthandel, die durch die Politik der Bundesregierung und der Zentralbank sehr gefördert wurde. 1956 zog die Staatsbank eine erste Bilanz: „Zu registrieren sind in diesem Zusammenhang die großen Erfolge, die das Volkswagenwerk, besonders im Ausland, erreichen konnte, und der ständig steigende Anteil unserer sonstigen Industriewerke an dem Export in europäische und auch überseeische Länder.“1145 Die Konzentration auf den Export war eine der Strategien, mit denen die Unternehmen des Zonenrandgebietes den Verlust alter Absatzmärkte kompensieren konnten. Dies galt allerdings nur für wenige große Fahrzeug- und Maschinenbauer. Da diese allerdings in vielfältige regionale Zulieferernetzwerke eingebunden waren, profitierte die Region auch insgesamt von den Exporterfolgen der großen Unternehmen. Sie erzielten damit also viel eher einen sogenannten Primäreffekt als die Förderprogramme für das Zonengrenzland. Das Außenhandelsfinanzierungsgeschäft galt innerhalb der Staatsbank als das wettbewerbsintensivste Geschäft überhaupt, weshalb die Staatsbank Mühe hatte, überhaupt allgemeine Mindestansprüche an die Konditionengestaltung durchzusetzen.1146 Dazu trug auch bei, dass sich das Außenhandelsgeschäft Mitte der 1950er Jahre erweiterte und teilweise seinen Charakter veränderte. Einerseits begann die Staatsbank mit dem Aufbau eines Netzes aus Korrespondenzbanken. Die ersten Kontakte bestanden zu Banken in Frankreich, zum Beispiel zu dem Bankhaus Journel & Cie. in Paris, das 1950 die Garantiebank für das oben erwähnte Ausfuhrgeschäft der BMA war. Weitere Kontakte mit anderen europäischen Banken folgten bereits nach kurzer Zeit, zum Beispiel in Finnland. Das nach und nach aufgebaute Netz an Korrespondenzbanken vereinfachte die Exportfinanzierung erheblich. Andererseits begann die Staatsbank in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, den Export von Unternehmen zu finanzieren, die nicht in ihrem Geschäftsbereich lagen. Dieses Geschäft hatte einen vollkommen anderen Charakter als die Finanzierung des Exports der einheimischen Unternehmen. Es war Teil eines neuen Geschäftsbereichs, der in Kapitel 5.5 näher erläutert wird.

1144 50 Jahre AKA, S. 13. 1145 Ausführungen des Herrn Präsident Dr. Nickel zur Beiratssitzung am 1. März 1956, S. 4f, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1146 Rundverfügung, Gr. IV, Nr. 297, lfd. Nr. 42 vom 4. Juli 1960, in: NWA 5 Nr. 2035/1.

338  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

Der Kampf um die Finanzierung der Großkonzerne in der Region Die Staatsbank hatte bereits in den 1930er Jahren versucht, sich an der Finanzierung der großen Industriebetriebe zu beteiligen, die in der Region seit 1938 entstanden waren. Damals war sie jedoch größtenteils gescheitert. Nach dem Krieg stieg die Staatsbank in die Finanzierung von drei Großkonzernen ein: die spätere Salzgitter AG, der Volkswagenkonzern und die Ilseder Hütte. Die Entwicklung war in diesen drei Fällen ganz unterschiedlich. Die Finanzierung der Reichswerke in Salzgitter war vergleichsweise unspektakulär. Bei den Reichswerken hatte sich die Staatsbank direkt nach der Währungsreform engagiert. 1950 hatte sie einen großen Kredit zusammen mit der Niedersächsischen Landesbank vergeben, um die Investitionen für die Wiederingangsetzung der Hütte zu gewährleisten. In der Folge konzentrierte sich die Staatsbank jedoch auf die Maschinenbauunternehmen des Konzerns, während sie bei der Finanzierung des Hüttenwerkes keine große Rolle spielte. Hier war stattdessen die Niedersächsische Landesbank stark engagiert, die 1969 eine Kreditlinie über 100 Millionen DM an das Hüttenwerk vergeben hatte.1147 Volkswagen dagegen wurde für die Staatsbank zu einem großen Glücksfall. Die Kreditlinie an das Hauptwerk lag bereits 1951 bei 15 Millionen DM. In den folgenden Jahren fragte Volkswagen hauptsächlich Exportkredite nach, während die kurzfristigen Kredite nicht ausgenutzt wurden. 1959 wurde Volkswagen bis Ende 1962 ein kurzfristiger Kontokorrentkredit über 30 Millionen DM gewährt.1148 Ein Jahr später kam ein weiterer Barkredit über 20 Millionen DM sowie eine Zollbürgschaft hinzu, sodass das Gesamtvolumen bei 53 Millionen DM lag. In diesen Jahren war Volkswagen mit großem Abstand der bedeutendste Kunde der Staatsbank.1149 1963 jedoch wurde die Kreditlinie auf unter 20 Millionen DM zurückgefahren.1150 Der Grund für diesen Rückgang war der Verlust der Hausbankfunktion der Staatsbank an die Großbanken. Volkswagen hatte bereits von Anfang an Geschäftsbeziehungen auch zur Deutschen Bank unterhalten. Die Deutsche Bank hatte dabei mehrmals versucht, ihre Position bei Volkswagen auszubauen.1151 Die Staatsbank konnte in den 1950er Jahren zunächst noch ihre Position verteidigen. Ende der 1950er Jahre jedoch begann die 1147 „Großkredite der Niedersächsischen Landesbank und der Braunschweigischen Staatsbank“, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 357/1. 1148 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 9. Dezember 1959, S. 10, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 134. 1149 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 5. September 1960, S. 6, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 134. 1150 Der 30-Millionenkredit wurde nicht verlängert und der 20-Millionenkredit wurde auf 15-Millionen DM heruntergesetzt. Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 1. Juli 1963, Anlage 1, Nr. 118, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 118. 1151 Staatsbankpräsident Lammers an den Präsidenten des Niedersächsischen Verwaltungsbezirks Braunschweig vom 2. September 1947, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 106.

5.3 „Am Zonenrand“ 

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Nachfrage des Volkswagenkonzerns nach Investitionskrediten die Möglichkeiten der Staatsbank deutlich zu übersteigen. Im Jahr 1960 erlangten die drei Großbanken die Konsortialführerschaft für einen großen Investitionskredit an Volkswagen, indem sie je 100 Millionen DM beisteuerten, mithin das doppelte Volumen der gesamten Kreditlinie, die die Staatsbank Volkswagen zur gleichen Zeit zur Verfügung stellte.1152 Ein weiterer Grund für den Verlust der Hausbankfunktion war die Teilprivatisierung des Volkswagenkonzerns im Zuge der Volksaktien-Emission im Jahr 1961. Diese Emission wurde durch ein Konsortium aus 87 Banken unter Federführung der Deutschen Bank durchgeführt, wobei wiederum die anderen beiden Großbanken Teil der Führungsgruppe waren. Die Staatsbank beteiligte sich an der Emission so gut es ihr möglich war, jedoch konnte sie lediglich 1 % des Gesamtvolumens veräußern.1153 Die drei Großbanken verkauften dagegen ein Drittel des Emissionsvolumens.1154 Immerhin konnte die Staatsbank stolz verkünden, dass sie fast 10 % der Werksangehörigen mit Aktien ihres Betriebes versorgt hatte, allerdings hauptsächlich aufgrund der Unterstützung der Gewerkschaft.1155 Immerhin hatte sie auf dem am stärksten umkämpften Markt den Großbanken ein Schnippchen schlagen können, die in Wolfsburg eine Enttäuschung erlebten.1156 Insgesamt jedoch war die Staatsbank den Großbanken im Emissionsgeschäft nicht gewachsen. Daher musste die Staatsbank akzeptieren, dass Volkswagen in diesem Bereich in erster Linie mit den Großbanken zusammenarbeitete.1157 Den Verlust der Hausbankfunktion der Staatsbank beim Volkswagenkonzern verdeutlicht ein Vorfall im Jahr 1962, also kurz nach der Emission. Das Volkswagenwerk hatte bei Kriegsende große Summen auf Girokonten der Bank der Deutschen Arbeit deponiert. Diese wurden 1962 gemäß dem Umstellungsergänzungsgesetz von 1953 als sogenannte Uraltguthaben anerkannt. Um die Umstellung durchzuführen, musste Volkswagen ein sogenanntes „Neues Institut“ benennen. Dieses musste den Umstellungsbetrag dem Berechtigten gutschreiben und bekam dafür Ausgleichsforderungen des Bundes. Da die Umstellung erst 1962 genehmigt wurde, hatte das Neue Institut Ansprüche auf eine rückwirkende Zinszahlung auf die Ausgleichsforderungen über die letzten neun Jahre. Auch Volkswagen hatte Ansprüche auf rückwirkende Zinszahlung, allerdings war die Regelung in diesem Bereich flexibel. Volkswagen beschloss deshalb, sich zwei Angebote einzuholen: eines von der 1152 Ziegler; Sattler; Paul, Hundertfünfzig Jahre Commerzbank, S. 302. 1153 Protokoll der 75. Beiratssitzung am 30. März 1961, S. 5, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 107. 1154 Gonser, Simon, Der Kapitalismus entdeckt das Volk, München 2014, S. 147. 1155 Als Dank für diese Unterstützung forderte Staatsbankpräsident Nickel einen Sitz im Aufsichtsrat für den DGB-Mann Bernhard Ließ. Schreiben von Dr. Walter Nickel an Ministerialdirigent Professor Dr. Hunke vom 1. Februar 1961, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 106. 1156 Gonser, Kapitalismus, S. 147. 1157 Simon Gonser sieht die Motive der Großbanken in der Gewinnung neuer Privatkunden sowie in der Hoffnung der Institute auf Beteiligungen bei weiteren Privatisierungen und der Erzielung hoher Provisionsgewinne. Hier wird dieser Einschätzung noch hinzugefügt, dass die Großbanken das Ziel hatten, zu Hausbanken des Großkonzerns zu werden. Vgl. Ebenda, S. 145.

340  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

Staatsbank, das andere von einem Konsortium der drei Großbanken. Es ging dabei immerhin um eine Summe von 15 Millionen DM. Die Staatsbank bot eine Summe von 971.000 DM als Ausgleich für den Zinsausfall. Die Großbanken boten 993.000 DM und bekamen den Zuschlag. Die Staatsbank, die bereits von Volkswagen als Neues Institut benannt worden war, wurde nun dieser Stellung wieder enthoben. Die Großbanken hatten sich selbst in ihrem Angebot als Hausbank von Volkswagen bezeichnet. Die Staatsbank war also bereits als Hausbank abgesetzt worden.1158 Letztlich war die Staatsbank als Hausbank eines Weltkonzerns, zu dem sich Volkswagen entwickelt hatte, schlicht zu klein. Dennoch blieb die Staatsbank bei der Finanzierung des Volkswagenwerkes aktiv und konnte im Laufe der 1960er Jahre ihre Position wieder deutlich verbessern. Bereits 1965 lag die Kreditsumme bereits wieder bei ca. 36 Millionen DM. Zudem hatte die Staatsbank dem Werk ein Hypothekendarlehen über sechs Millionen DM geliehen.1159 1969 hatte sie dem Konzern ein Kreditvolumen von fast 200 Millionen DM gewährt.1160 Der Vorstandschef von Volkswagen Heinrich Nordhoff blieb bis zu seinem Tode 1968 Mitglied des Beirates der Staatsbank.1161 Zudem finanzierte die Staatsbank nicht nur das Volkswagenwerk selbst, sondern auch die Finanzierungsgesellschaft des Konzerns, mit der der Konzern seinen Kunden den Ratenkauf ermöglichte.1162 Auch die konzerneigenen Wohnungsbaugesellschaften wurden von der Staatsbank finanziert. Diese Finanzierungsaufgabe hatte die Staatsbank für das Vorwerk in Braunschweig bereits vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges übernommen.1163 1965 besaßen die Hypotheken der VW-Siedlungsgesellschaft und der VW-Wohnungsbau bei der Staatsbank zusammen ein Volumen von 48 Millionen DM. Die Staatsbank hatte 1969 insgesamt fast 300 Millionen DM in den Volkswagenkonzern investiert, was immerhin 5,5 % ihrer Bilanzsumme entsprach.1164 Während die Staatsbank bei Volkswagen Anfang der 1960er Jahre von den privaten Banken zurückgedrängt wurde, konnte sie ihre Position bei einem anderen großen Industriebetrieb ausbauen. Eine ihrer größten Finanzierungsleistungen erbrachte sie bei der Ilseder Hütte. Dieses Unternehmen gehörte bereits seit den frühen 1158 Die Braunschweigische Staatsbank, Zentralabteilung an die Volkswagen AG, Bankabteilung vom 26. März 1962; Die Deutsche Bank an die Volkswagen AG vom 22. Mai 1962, in: VWA 69/90/1. 1159 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 17. Dezember 1965, Anlage 1, S. 1, in: NWA 5, Zg. 6/ 2007, Nr. 95. 1160 „Großkredite der Niedersächsischen Landesbank und der Braunschweigischen Staatsbank“, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 357/1. 1161 Er wurde zuletzt im Februar 1967 wiedergewählt. Der Niedersächsische Finanzminister an den Herrn Staatsbankpräsident Dr. Nickel vom 17. Februar 1967, in: NWA 5, Zg. 6/2007 Nr. 106. 1162 Siehe Kapitel 5.5, Unterkapitel: Konsumkredite als Unternehmensfinanzierung. 1163 Siehe Kapitel 4.2, Unterkapitel: Die Konsequenzen des Einstiegs der Staatsbank in die Industriefinanzierung für den Wettbewerb der Kreditinstitute in Braunschweig. 1164 „Großkredite der Niedersächsischen Landesbank und der Braunschweigischen Staatsbank“, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 357/1.

5.3 „Am Zonenrand“ 

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1930er Jahren zu den Kunden der Staatsbank. Die Hütte stand 1963 bereits mit 30 Millionen DM bei der Staatsbank im Debet. Für diesen Kredit hatte der Bund eine Bürgschaft übernommen. Die Hütte war unter anderem wegen des Grubenunglücks in Lengede im Oktober 1963 in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Sie benötigte Investitionen, um sowohl den Schacht zu sanieren als auch die Produktion zu modernisieren. Das Direktorium wollte der Hütte dafür einen weiteren mittelfristigen Kredit über 60 Millionen DM gewähren. Der Fall war im Kreditausschuss umstritten. Staatsbankpräsident i. R. Lammers schlug vor, den Investitionskredit über insgesamt 60 Millionen DM nur als Konsortialkredit mit einer oder mehreren anderen Banken zu vergeben. Carl Düvel plädierte jedoch für einen Alleingang der Staatsbank. Er hielt den Kredit für sicher, weil die Stahlindustrie als eine Schlüsselindustrie galt und daher seiner Meinung nach im Krisenfall mit staatlichen Subventionen gerechnet werden könnte. Diese Begründung ist aufschlussreich, weil sie zeigt, dass auch die Staatsbankleitung die Selbstverpflichtung anderer Akteure auszunutzen bereit war. Düvel erhielt Unterstützung von dem Oberkreisdirektor von Helmstedt HansWalter Conrady, der diesen Gedankengang um ein regionalpolitisches Argument erweiterte: „Die Staatsbank habe zudem politische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Aus der Risikoübernahme durch den Bund ergebe sich dessen raumpolitische Entscheidung. Die Eisenindustrie solle nicht an Rhein und Ruhr konzentriert bleiben. An verkehrsgünstigen Punkten wie Peine sollten Stahlunternehmen gehalten und erweitert werden.“1165 Mehr noch als die Zinseinnahmen des Großkredites war der politische Gewinn der ausschlaggebende Grund für die Zustimmung des Kreditausschusses, den Kredit alleine zu gewähren. Man glaubte, nur so bei zukünftigen Standortentscheidungen mitreden zu können. Für den neuen Kredit wurden Grundschulden eingetragen. Das Gesamtengagement der Staatsbank bei der Ilseder Hütte betrug Ende 1963 über 100 Millionen DM.1166 Es war damals der mit Abstand größte Kredit des Instituts. Ob der Rückgang des Kreditengagements bei Volkswagen das Direktorium dazu bewegt hat, den Kredit alleine zu gewähren, geht aus den Quellen nicht hervor. Rein zeitlich gesehen ist diese Annahme jedoch plausibel. Dass die Ilseder Hütte Volkswagen zeitweise als größten Kreditnehmer der Staatsbank ablöste, fügt sich in die allgemeine Entwicklung der Unternehmensfinanzierung der Staatsbank ein. Volkswagen war in den 1960er Jahren auf dem Höhepunkt seiner Prosperität und konnte sich die Kreditinstitute aussuchen, mit denen der Konzern zusammenarbeiten wollte. Die Episode um die Uraltguthaben zeigt dies deutlich. Die Ilseder Hütte war dagegen in eine Krise geraten, in der sie auf mittelbare staatliche Unterstützung angewiesen war. Hier konnte die Staatsbank expandieren, solange sie einen Alleingang politisch durchsetzen konnte. Aus der Erkenntnis, dass Unternehmen in Krisen einfacher zu 1165 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 28. November 1963, S. 3f, in NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 118. 1166 Ebenda, Anlage 6.

342  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

finanzieren waren, entwickelte die Staatsbank seit der Mitte der 1950er Jahre ein Geschäftsmodell. Dieses wird im folgenden Abschnitt vorgestellt.

5.4 „Banque d’Affaires“: von der Sanierungs- zur Beteiligungspolitik Unternehmenssanierungen hatte die Braunschweigische Staatsbank bereits in den 1920er Jahren und insbesondere in der Weltwirtschaftskrise durchgeführt. Die Sanierungsobjekte waren damals die ersten industriellen Großkunden der Staatsbank, die sich in der Weimarer Republik im Wettbewerb noch nicht gegen die Großbanken durchsetzen konnte. Die Staatsbank nahm hierbei hohe Risiken in Kauf, die sie jedoch nicht mit hohen Gewinnchancen rechtfertigte, sondern als ihren Beitrag zum Gemeinwohl darstellte. Dieser Beitrag bemaß sich an dem Erhalt von Arbeitsplätzen in der Region oder eines industriellen Produktionszusammenhangs. Wie die Kreditausschussprotokolle zeigen, nahm die Staatsbank ihre Sanierungspolitik nach der Währungsreform 1948 wieder auf.

Unternehmenssanierungen im öffentlichen Interesse? In den Kreditausschussprotokollen konnten insgesamt 21 Fälle identifiziert werden, bei denen die Kreditvergabe von der Staatsbank hauptsächlich mit einem direkten Bezug zum Gemeinwohl begründet wurde. Die durchschnittliche Kredithöhe lag mit etwas über 500.000 DM weit unter dem Durchschnitt der im Ausschuss besprochenen Kredite. Insgesamt machte das Volumen nur 1 % des Gesamtvolumens im Kreditausschuss aus. Rein quantitativ waren diese Fälle demnach unbedeutend für die Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank. Etwa die Hälfte der Fälle beziehen sich auf zwei Sanierungsaktionen in den beiden Jahren 1949 und 1954.1167 Diese Fälle wurden im Kreditausschuss stets innerhalb eines besonderen Rahmens diskutiert. Deutlich ist dies bei den Sanierungsfällen im Jahr 1954 zu beobach-

1167 Die elf Fälle, die nicht mit Sanierungen im Zusammenhang standen, hatten sehr unterschiedliche Kontexte und sind für die Untersuchung nicht von Belang. Einmal kompensierte die Staatsbank mit einem Kredit die Erhöhung der Salzsteuer. In einem anderen Fall, der mit immerhin zwei Millionen DM zu den größten mit dem Gemeinwohl begründeten Kreditfällen gehörte, wurde die Staatsbank vom Land Niedersachsen verpflichtet, die Landesversicherungsanstalt mit einem Kredit zu unterstützen. 1955 wurde mit einem Kredit die Getreideernte im Braunschweiger Raum aufgefangen. 1960 sollte mit einem Kredit der Weiterbetrieb eines Ferienheims in Bad Harzburg gesichert werden, das die Staatsbank zuvor verkauft hatte. Die restlichen Fälle beziehen sich überwiegend auf rechtliche Fragen. In diesen Fällen wurde kein vergleichbarer Aufwand betrieben, weil der Grund für den Vortrag der Kreditfälle im Ausschuss außerhalb der Beeinflussungsmöglichkeiten der Staatsbank lag. Daher können diese Fälle für die Analyse vernachlässigt werden.

5.4 „Banque d’Affaires“: von der Sanierungs- zur Beteiligungspolitik  343

ten. Hier wurde im März für die beiden wichtigsten Sanierungsanstrengungen des Jahres eine Sondersitzung des Kreditausschusses einberufen. Der Staatsbankpräsident eröffnete diese Sitzung folgendermaßen: Herr Präsident Dr. Nickel eröffnet die Sitzung, deren kurzfristige Einberufung erforderlich geworden ist, weil zwei Kreditengagements besprochen werden müssen, bei denen die Staatsbank vor der Entscheidung steht, ob weitere Kredite zur Sanierung gewährt oder die Firmen in den Konkurs bzw. die Liquidation getrieben werden sollen. Grundsätzlich ist die Staatsbank bereit, den Firmen weitere Hilfe zu gewähren, wobei sie sich der Tatsache bewußt ist, daß dadurch ein größeres Risiko zu tragen ist. Diese grundsätzliche Einstellung wird vom Kreditausschuß der Bank im Verlauf der Sitzung gebilligt.1168

Die Erklärung der Staatsbankführung, dass sie bereit wäre, Kredite auch dann weiter zu gewähren, wenn sie dadurch finanzielle Einbußen befürchten müsste, war ein eindeutiges Zeichen für alle Beteiligten, dass es sich hier nicht um eine Routinesitzung handelte. Denn normalerweise sollte der Kreditausschuss erhöhte Risiken selbst einschätzen. Mit ihrer Zustimmung akzeptierten die Kreditausschussmitglieder, dass in den folgenden Fällen andere Maßstäbe gelten sollten. Eines der betroffenen Unternehmen soll hier als Beispiel für diese alternative Prüfung der Kreditwürdigkeit dienen: das Bauunternehmen Carl Weiß aus Braunschweig. Die Firma war durch Fehlinvestitionen und durch die Nutzung des Eigenkapitals für den Wohnungsbau und die Finanzierung einer defizitären Tochtergesellschaft in Schieflage geraten. Die Staatsbank hatte der Firma einen Kredit über 320.000 DM gegeben. Als Sicherheiten hatte die Firma Forderungen an die Käufer der sich im Bau befindenden Immobilien abgetreten. Da die betreffenden Bauten zum Zeitpunkt der Sitzung noch nicht fertiggestellt waren, hätten diese Forderungen im Falle eines Konkurses der Firma ihren Wert zum Teil verloren. Daher war der Kredit bei einem Konkurs der Firma gefährdet. Um die Firma zu retten, benötigte Carl Weiß nach Berechnungen der Staatsbank einen weiteren Kredit über 500.000 DM. Dieser Kredit konnte jedoch nicht ausreichend besichert werden, weshalb der Fall im Kreditausschuss behandelt wurde. Staatsbankpräsident Nickel betonte, dass dem Direktorium die Unzulänglichkeit der Sicherheiten voll bewusst wäre. Zudem attestierte er dem Unternehmer Carl Weiß, oft den Überblick über seine wirtschaftliche Lage zu verlieren. Er kritisierte dessen Geschäftsstrategie, weil er zu sehr auf Behördenaufträge gesetzt und sich zu wenig im Wohnungsbau engagiert hätte. Angesichts dieser Darstellung hätte die Firma unter normalen Umständen niemals einen Kredit bekommen können. Auch wenn die Staatsbank bereits in die Firma investiert hatte, war die Entscheidung, zusätzlich einen weiteren sogar noch höheren Kredit zu vergeben angesichts der kritischen Lage des Unternehmens ein eigentlich nicht tragbares Risiko. Eine teilweise Abschreibung des bestehenden Kredites hätte zwar zu Verlusten geführt, jedoch wären diese Verluste beherrschbar und vor allem nur für kurze Zeit

1168 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 3. März 1954, S. 1, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 90.

344  5 Der Weg zur Großbank – Die Expansion der Staatsbank (1948–1969)

spürbar gewesen. Bei der Sanierung dagegen standen jetzt zwei weitgehend ungesicherte Kredite über 800.000 DM im Risiko. Deren Verlust hätte die Staatsbank ungleich schwerer getroffen. Man kann in diesem Fall also nicht davon sprechen, dass die Sanierung rein wirtschaftlich für die Staatsbank zu bevorzugen gewesen wäre. Die Staatsbankführung nannte denn auch einen anderen Grund für die Entscheidung zur Sanierung. „Die Firma beschäftigt in der sommerlichen Baukonjunktur etwa 700 Arbeiter. Sie ist das größte Bauunternehmen Braunschweigs, das auch über den engeren Arbeitsbereich hinaus tätig ist. Wenn wir die Firma fallen lassen, müssen wir mit ungünstigen Rückwirkungen auch auf andere Baufirmen rechnen.“1169 Die Staatsbank befürchtete demnach größere Probleme im regionalen Baugeschäft und Massenentlassungen, die auch ihrem Ruf als Anwalt der Region massiv geschadet hätten. Bei einer Sanierung hatte die Staatsbank dagegen die Chance, der Region und ihrer eigenen Rentabilität gleichzeitig zu dienen. Dazu musste die Sanierung allerdings gelingen. Einerseits hoffte man dabei auf die Baukonjunktur, andererseits versuchte die Staatsbank, einige der zentralen Defizite des Kreditnehmers auszugleichen. So kündigte Nickel an, im Fall der Annahme des Kreditantrages eine treuhänderische Überwachung der Geschäftsführung einzusetzen. Diese sollte Carl Weiß auch bei der Verlagerung des Schwerpunktes auf den Wohnungsbau behilflich sein. Zugleich sprach die Staatsbank einen Investitionsstopp aus, damit die Tilgung des Darlehens durch die Abschreibungen finanziert werden konnte. Schließlich drang man auf absolute Diskretion, damit nach außen nichts über die prekäre Lage des Unternehmens bekannt wurde. Der Kreditausschuss stimmte dem Sanierungsplan zu. Die Mitglieder bestätigten dabei ausdrücklich die Legitimation der Staatsbankführung, im Namen des Gemeinwohls höhere Verpflichtungen einzugehen: „In der Aussprache ist sich der Kreditausschuß darüber einig, daß die Staatsbank eine gesamtwirtschaftliche Verpflichtung habe und zur Tragung von Risiken bereit sein müsse.“1170 Der Fall Carl Weiß veranschaulicht die Art, wie die Staatsbank einen konkreten Gemeinwohlbezug in Fällen anwendete, in denen eine Kreditvergabe betriebswirtschaftlich nicht zu rechtfertigen war. Die zentrale Voraussetzung war allerdings die Existenz eines öffentlichen Interesses an dem Erhalt des Unternehmens. In erster Linie konnten diejenigen Unternehmen profitieren, deren Konkurs die regionale Wirtschaft zu beeinträchtigen drohte. Neben dem obigen Beispiel der Baufirma Carl Weiß wurde in derselben Sitzung auch der Fall Luther & Jordan behandelt. Bei dieser Schöpfung der untergegangenen braunschweigischen Flugzeugindustrie war die Staatsbank nicht der alleinige Gläubiger. Auch die Hamburger Kreditbank (Dresdner Bank) und die Norddeutsche Bank 1169 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 3. März 1954, S. 1, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 90, S. 3. 1170 Ebenda.

5.4 „Banque d’Affaires“: von der Sanierungs- zur Beteiligungspolitik 

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(Deutsche Bank) hatten sich an der Finanzierung beteiligt. Allerdings zögerten die beiden Großbanken mit der Entscheidung zur Beteiligung an der Sanierung. Die Staatsbank war jedoch bereit, den Kredit notfalls alleine zu gewähren. Auch hier argumentierte sie wieder mit ihrer gesamtwirtschaftlichen Verantwortung. „Das Direktorium läßt sich hierbei von dem Gedanken leiten, daß eine Preisgabe der Luther-Werke schwere Schäden für die Gesamtwirtschaft des Bezirks Braunschweig bringen würde.“1171 Dieses wirtschaftspolitische Argument veranschaulicht den Unterschied zu einer betriebswirtschaftlichen Kalkulation. Die Staatsbank sah sich in der Lage oder dazu verpflichtet, auch dann noch Kredite zu vergeben, wenn es dafür keine ausreichende betriebswirtschaftliche Basis gab. Dafür wechselte sie argumentativ von der betrieblichen auf die Ebene des Gemeinwesens. Es ging nicht mehr um das Unternehmen oder den Kredit, sondern um Braunschweig. Die Mitglieder des Kreditausschusses, der eigentlich die Risiken der Kredite beurteilen sollte, wechselten in diesen Situationen ebenfalls die Perspektive und entschieden als Repräsentanten der Regionalwirtschaft. Wie das folgende Zitat aus einer Sitzung im Jahr 1953 verdeutlicht, konnte diese Möglichkeit der Bank einen wettbewerblichen Vorteil gegenüber ihren privaten Konkurrenten bringen, insbesondere in Krisenzeiten: „Der Vorzug, den die Staatsbank gegenüber anderen Banken in Krisenzeiten aufzuweisen hat, liegt darin, daß sie im allgemeinen zuwarten kann, während die Konkurrenz zu Exekutionen und Zwangsmaßnahmen gezwungen ist. Aus dieser Einstellung heraus wird sich ein etwa eintretender Verlust im Kreditgeschäft im engen Rahmen halten.“1172 Im Fall von Luther & Jordan führte die bestimmte Haltung der Staatsbank allerdings dazu, dass die beiden Großbanken einer Sanierungsbeteiligung letztlich doch zustimmten. Durch die Verlautbarung der Staatsbank, die Sanierung in jedem Fall durchzuführen, hatte sie gleichzeitig auch die Kalkulationsbasis der Großbanken geändert.1173 Die Staatsbank besaß die Möglichkeit, in bestimmten Fällen die betriebswirtschaftliche Logik teilweise auszusetzen und durch eine gemeinwohlorientierte Logik zu ersetzen. Die Bank konnte dadurch den möglichen wirtschaftlichen Schaden vermeiden, der durch Entscheidungen auf Basis eines kurzfristigen Zeithorizontes entstehen könnte. Auf der anderen Seite barg diese Möglichkeit jedoch auch große Risiken. In den 1920er Jahren hatte die Staatsbank den Großbanken vorgeworfen, die öffentlich kommunizierten Sanierungsanstrengungen der Staatsbank auszunutzen, um sich auf Kosten des Institutes ihres problematischen Kreditengagements zu entledigen. Auch bei den Sanierungen seit den 1950er Jahren lief die Staatsbank poten1171 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 3. März 1954, S. 5f, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 90. 1172 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 9. November 1953, S. 19, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 90. 1173 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 22. September 1955, S. 9, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 134.

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tiell Gefahr, zum „Krankenhaus für alle möglichen Unternehmen“ zu werden, wie der niedersächsische Finanzminister Alfred Kubel sich 1966 ausdrückte.1174 Unternehmenssanierungen boten sich für die Staatsbank vor allem dann an, wenn sie selbst bereits Gläubiger war. Im Fall des Gelingens konnte die Staatsbank eine doppelte Dividende einfahren, indem sie finanzielle Verluste verhinderte und der Region u. a. Arbeitsplätze erhielt. Die Probleme begannen erst, wenn der Sanierungsplan scheiterte. Dann stand die Staatsbank vor dem Dilemma, entweder einen doppelten Verlust zu tragen oder aber noch mehr Geld zu riskieren und dafür die politische Dividende aufrechtzuerhalten. Da Unternehmenskrisen verstärkt in allgemeinen wirtschaftlichen Krisenzeiten auftreten, hatte die Staatsbank in der Zeit des Wirtschaftswunders nur relativ wenige Fälle, in denen sie eingriff. Mit wenigen Unterbrechungen vor allem in den Anfangsjahren war die Zeit von 1948 bis 1966 von einem steilen und anhaltenden Wirtschaftsaufschwung geprägt. Dieser war zwar am Zonenrand schwächer ausgeprägt als in der übrigen Bundesrepublik, dennoch nahm auch das Geschäftsgebiet der Staatsbank an diesem Aufschwung teil. Ein anderer Grund für die geringe Zahl von Sanierungsfällen in den Protokollen war, dass die größte und aufwendigste Sanierungsaktion der 1950er Jahre gar nicht im Kreditausschuss behandelt wurde. Der Fall Salzgitter-Lebenstedt wurde ausschließlich im Beirat thematisiert. Der Grund für diese Verlagerung war die große Bedeutung dieses Falls für die Gesamtbank. Die Staatsbankführung benötigte für die Sanierungsentscheidung eine bessere Legitimationsgrundlage.

Der Fall Salzgitter-Lebenstedt und die Wiederaufnahme der Beteiligungspolitik Im Rahmen der Unternehmenssanierungen war die Staatsbank bereits in den 1920er Jahren eine Industriebeteiligung eingegangen: Der Konservendosenhersteller Bremer & Brückmann gehörte von 1925 bis 1936 mehrheitlich der Staatsbank. Aus dieser Beteiligung heraus hatte die Staatsbank versucht, im Rahmen ihrer Strategie der „regionalen Champions“ eine Konsolidierung der Blechverarbeitungsindustrie in Braunschweig zu erreichen, was jedoch am Widerstand der größten Firma der Branche in Braunschweig scheiterte. Für sich genommen hatte die Beteiligung keinen besonderen Wert für die Staatsbank, die in der Weltwirtschaftskrise die Firma erneut sanieren musste. Als der Beirat der Staatsbank 1936 gewerbliche Beteiligungen als nicht mit dem Staatsbankgesetz vereinbar erklärte, fiel der Verkauf der Anteile 1936 dem Direktorium daher nicht besonders schwer. Nach dem Verkauf der Anteile an Bremer & Brückmann war die Staatsbank keine weiteren Industriebeteiligungen mehr eingegangen, obwohl es an Gelegenheiten nicht gefehlt hatte. Dies änderte sich jedoch 1954, als durch die innere Revisionsabteilung der Staatsbank starke Un1174 Protokoll der 86. Beiratssitzung vom 28. November 1966, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113.

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regelmäßigkeiten bei der Buchführung ihrer Zweigkasse in Salzgitter-Lebenstedt entdeckt wurden. Es stellte sich heraus, dass der Leiter der Zweigkasse Bertram mehreren mit ihm befreundeten Unternehmern illegale Kreditüberziehungen gewährt hatte, um deren aufwendigen Lebensstil zu finanzieren. Dazu hatte er die Bilanzen seiner Zweigkasse gefälscht. Er hatte einerseits größere Guthaben nicht verbucht, die als Refinanzierung der illegalen Überziehungen dienten. Dadurch tauchte ein Teil des Kreditvolumens nicht in der Bilanz auf. Den Rest versteckte er hinter einer Vielzahl fingierter kleiner Debitoren, um die strengen Regeln des Staatsbankgesetzes für Blanko-Kredite offiziell einhalten zu können. Insgesamt wurden Kreditüberziehungen über 4,1 Millionen DM gewährt. Bertram und seine Mitarbeiter Klie und Klenke wurden fristlos entlassen und es wurden gegen alle drei strafrechtliche Ermittlungen aufgenommen, die zur Eröffnung eines Strafprozesses führten, in dem Bertram schließlich ein umfassendes Geständnis ablegte.1175 Das Verfahren wurde 1957 mit drei Schuldsprüchen abgeschlossen.1176 Die Vorgänge in Lebenstedt warfen sofort die Frage auf, warum weder der Revisionsabteilung noch dem Direktorium der Betrug aufgefallen war. Finanzminister Alfred Kubel sprach das Direktorium gegenüber dem Beirat der Staatsbank frei von jeder Schuld. „Es unterliegt keinem Zweifel, daß das Direktorium keinerlei Verschulden trifft. Gegen ein Zusammenwirken mehrerer leitender Angestellter mit der Kundschaft besteht praktisch keine volle Sicherungsmöglichkeit.“1177 Das Direktorium und in der Folge auch das Gericht kamen zu der Einschätzung, dass Bertram sich nicht persönlich bereichert hatte. Er hatte lediglich seine persönlichen Beziehungen zu den Geschäftskunden höher eingeschätzt als die zu seiner Bank. Die Macht lokaler persönlicher Netzwerke stellte eine grundsätzliche Gefahr für das institutionelle Arrangement der Staatsbank dar, weil ihre Organisation auf der Übermittlung von objektivierten Daten beruhte. Die persönlichen Beziehungen von Mitarbeitern und Kunden konnte sie dadurch nicht erfassen. Im Fall SalzgitterLebenstedt konnte die Staatsbank das lokale Netzwerk zerschlagen, das gegen die Interessen der Bank gehandelt hatte. Die Vorgänge deckten einige Schwächen des Revisionswesens auf.1178 Zudem wollte das Direktorium durch die sorgfältigere Auswahl des Führungspersonals zukünftig Fälle wie in Salzgitter vermeiden. Präsident Nickel sprach sich deshalb dafür 1175 Protokoll der 62. Beiratssitzung vom 1. März 1956, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1176 Protokoll der 66. Beiratssitzung vom 4. Oktober 1957, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1177 Protokoll der 60. Beiratssitzung vom 22. April 1955, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1178 So hatte Bertram durch enge Verbindungen in die Zentrale nach Braunschweig oft die Termine für die Revision seiner Zweigkasse erfahren können. Im Zuge der Aufarbeitung des Falles wurden deshalb neue Bestimmungen erlassen, die solche Missbräuche in Zukunft verhindern sollten. Eine einfache, aber effektive Maßnahme war die Bestimmung, dass Urlaubsvertretungen von Zweigkassenleitern ausschließlich durch andere Zweigkassenleiter oder aus dem Direktorium erfolgen durften. Jede Kasse erhielt zudem einen ausschließlich dem Direktorium verantwortlichen Innenrevisor. Außenrevisionen wurden nicht mehr in regelmäßigen Abständen sondern nach einem willkürlich erscheinenden Muster vorgenommen. Zuletzt wurden die größeren Zweigkassen mit zwei

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aus, neben Beförderungen der eigenen Mitarbeiter auch Führungskräfte von außerhalb zu berufen, um etwaige Verfilzungen zu vermeiden.1179 Das persönliche Vertrauen zwischen dem Direktorium und den Zweigkassenleitern war für eine erfolgreiche Unternehmensführung essentiell. Diese nach der Aufdeckung der Missstände eingeleiteten Maßnahmen sollten die Macht der lokalen Netzwerke zukünftig stärker begrenzen. Vollkommen gelang dies jedoch nicht. 1965 etwa musste die Staatsbank den Leiter der Zweigkasse Oker entlassen, weil dieser über eine Krediterhöhung für ein Autohaus einem befreundeten Kaufmann einen unberechtigten Kredit gegeben hatte.1180 War der Fall Lebenstedt ein Zeichen für die strukturbedingten Schwächen der Staatsbank, so zeigt der weitere Verlauf des Falls ihre Stärken. Die Ausgangslage war allerdings zunächst düster. Die Besitzer der Unternehmen, denen die illegalen Überziehungskredite gewährt worden waren, hatten die Kredite nicht für die Firma verwendet, sondern damit ihren aufwendigen Lebensstil finanziert. Die Staatsbank musste die ungesicherten Kredite zum Teil abschreiben. Sie nahm für das Geschäftsjahr 1954 eine Globalwertberichtigung von 1,5 Millionen DM und eine Zinswertberichtigung von 600.000 DM vor.1181 Dies drückte den Gewinn der Staatsbank in diesem Jahr auf unter eine Million DM und belastete noch jahrelang das Betriebsergebnis. Bis 1956 hatte die Bank Wertberichtigungen ihrer Kreditengagements über insgesamt 4,5 Millionen DM abgeschrieben.1182 Es bestand jedoch die Gefahr eines noch wesentlich größeren Verlustes, da das Gesamtkreditengagement bei den betroffenen Unternehmen mit neun Millionen DM mehr als doppelt so hoch war wie die illegalen Überziehungen.1183 Die Staatsbank konnte weder die legalen noch die illegalen Kredite einfach kündigen, weil dies nach Einschätzung des Direktoriums sofort zur Insolvenz der Unternehmen geführt und damit nicht nur die Überziehungen, sondern auch die regulären Kredite gefährdet hätte. Die Besitzer der Unternehmen waren mit dem Firmenkapital ähnlich umgegangen wie mit den Krediten der Staatsbank. Die Unternehmen hatten kaum noch verwertbare Aktiva, weshalb ein Verlust von bis zu acht Millionen DM drohte.1184 Ein solch hoher Verlust wäre für die Staatsbank zu diesem Zeitpunkt jedoch nur schwer zu verkraften gewesen. Das Grundkapital der Bank lag 1955 bei zehn Millionen DM, dazu kamen lediglich noch 1,8 Millionen DM offene Rücklagen. Die notleidenden Kredite hatten also ein Volumen von zwei Dritteln des offenen Eigenkapitals. Der vollständige Verlust der Kredite hätte sehr ernste Konsequenzen für die Solvenz der Staatsbank gehabt. Das Direkgleichberechtigten Kassenleitern besetzt. Protokoll der 61. Beiratssitzung vom 5. Oktober 1955, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1179 Ebenda. 1180 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 17. August 1965, S. 4, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 95. 1181 Protokoll der 60. Beiratssitzung vom 22. April 1955, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1182 Protokoll der 64. Beiratssitzung vom 12. Oktober 1956, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1183 Protokoll der 62. Beiratssitzung vom 1. März 1956, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1184 Protokoll der 86. Beiratssitzung vom 28. November 1966, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113.

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torium suchte deshalb nach einer Lösung, bei der die Abschreibung der Kredite vermieden werden konnte. Es waren insgesamt sechs Unternehmen, die von den illegalen Krediten profitiert hatten. Neben vier kleineren Einzelhändlern und dem Heizungshersteller Fehmel war mit den Fahrzeugwerken Kannenberg (FAKA) auch ein größeres Unternehmen mit 200 Mitarbeitern unter den Sanierungsfällen. Die FAKA hatte mit 5,7 Millionen DM fast zwei Drittel des Gesamtkredites der Lebenstedter Problemfälle von der Staatsbank in Anspruch genommen, wovon der illegale Überziehungskredit 2,5 Millionen DM ausmachte.1185 Die Firma stellte Aufbauten für Fahrzeuge her, vor allem für Omnibusse. Die Staatsbank war der einzige relevante Gläubiger des Unternehmens, weshalb sie allein über dessen Schicksal entscheiden konnte. Dafür musste sich jedoch das Direktorium mit dem Beirat über die Strategie einigen. In einem ersten Schritt verständigte man sich im Oktober 1955 darauf, die Kreditengagements langsam und geordnet abzuwickeln. Grundlage für die Entscheidung bildete ein Gutachten des niedersächsischen Finanzministeriums, in dem das Direktorium aufgefordert wurde, Abwicklungspläne für die einzelnen Betriebe zu erstellen. Zentral für diese Entscheidung war die große Gefahr von hohen Verlusten für die Bank bei einem sofortigen Zusammenbruch der Betriebe. Die Staatsbankführung konnte den Beirat davon überzeugen, dass eine geordnete Abwicklung für die Staatsbank günstiger sein würde. Als zweites Argument wurde in dem Gutachten auf die Gefahr hingewiesen, dass durch den „Zusammenbruch der Betriebe Arbeitsplätze für mehrere 100 Personen verloren gehen würden.“1186 Durch den Verzicht auf die sofortige Abwicklung des Kreditengagements winkte der Staatsbank also jene doppelte Dividende, die die Sanierungen eigener Kreditnehmer so attraktiv machte. Die Staatsbankführung versicherte dem Beirat in diesem Zusammenhang jedoch auch, dem Grundsatz zu folgen, kein gutes Geld schlechtem hinterherzuwerfen. Damit nahm die Staatsbank der wirksamsten Kritik an ihrem Vorgehen die Spitze. Zudem holte sich das Direktorium für ihre Pläne Schützenhilfe durch das Beirats- und Kreditausschussmitglied, den Vorstandsvorsitzenden der Salzgitter AG Dr. Rheinländer, der diese Unternehmen gut kannte: „Herr Dr. Rheinländer bestätigt, daß sowohl die Firma Kannenberg als auch die Zentralheizungsfirma Fehmel gute Arbeit leisten und daß die letztgenannte Firma auch ständig große Aufträge von den Reichswerken erhalten habe.“1187 Rheinländer bezeugte damit, dass die Unternehmen überhaupt zu retten waren. Sein Statement unterstützte die Bemühungen der Staatsbankleitung, die nun zumindest für die Zeit der Abwicklung direkt in die Geschicke der Unternehmen eingreifen musste. Um weitere Verluste aus dem laufenden Betrieb zu vermeiden, sollte die Geschäftstätigkeit der Unternehmen fortgeführt werden. Dazu waren verschiedene 1185 Protokoll der 60. Beiratssitzung vom 22. April 1955, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91; Protokoll der 86. Beiratssitzung vom 28. November 1966, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113. 1186 Protokoll der 60. Beiratssitzung vom 22. April 1955, S. 7, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1187 Ebenda, S. 8.

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Maßnahmen erforderlich. Als erstes wandelte die Staatsbank einen Teil ihres Kredites an die FAKA in Grundkapital um, als Ausgleich für das aufgrund hoher Verluste nahezu aufgebrauchte Eigenkapital. Auf diesem Wege, der in der Form der Gründung einer GmbH erfolgte, erhielt die Staatsbank ihre erste Industriebeteiligung ebenso unfreiwillig wie schon in der Weimarer Republik aufgrund eines akuten Entscheidungsdrucks. Außerdem tauschte die Staatsbank das Führungspersonal aus, weil dieses angesichts der Umstände nicht mehr vertrauenswürdig erschien; und sie hielt zumindest für die Zeit der Abwicklung die Produktion in Gang, um neue laufende Verluste zu vermeiden. Dafür brauchte sie neue Aufträge für die Unternehmen, die sie direkt in der Beiratssitzung einzuwerben gedachte: „Für die Situation der Firma Kannenberg ist entscheidend, in welchem Umfange neue Aufträge herangezogen werden können. Das gleiche gilt für die Firma Fehmel. Die Herren Beiratsmitglieder werden ihrerseits aufgefordert, Möglichkeiten zur Heranziehung von Aufträgen für beide Firmen dem Direktorium mitzuteilen bzw. diese bei Auftragserteilung zu berücksichtigen.“1188 Die Staatsbank wurde damit zum Unternehmer, wenn auch zunächst nur in der Form des Insolvenzverwalters. Im April 1955 war noch unklar, wie lange die Abwicklung dauern würde. Im Oktober schätzte das Direktorium die Mindestdauer einer wirtschaftlich vertretbaren Liquidation auf zwei Jahre. Die Staatsbankführung stellte sich daher auf einen längeren Zeitraum ihrer Unternehmertätigkeit ein. Die Frage, ob die Betriebe langfristig rentabel betrieben werden könnten, wurde deshalb unerheblich. Die Staatsbankführung wollte stattdessen dafür Sorge tragen, dass eventuell aufkommende Verluste zeitnah minimiert werden konnten. Sie wartete deshalb die Ergebnisse zweier in Auftrag gegebener Expertengutachten über die Rentabilitätsausschichten der Betriebe gar nicht mehr ab, sondern beauftragte stattdessen einen der Gutachter, einen Experten vom „Rationalisierungskuratorium der deutschen Wirtschaft“, mit der betrieblichen Reorganisation der FAKA.1189 Die Staatsbank überließ die Modernisierung der Produktion notgedrungen externen Experten, weil niemand in der Bank die notwendige Expertise dazu besaß. Dieses Problem war bereits bei der Finanzierung industrieller Investitionen aufgetreten. Die Bank kümmerte sich stattdessen um andere wichtige Bereiche unternehmerischen Handelns. Die wichtigste Aufgabe in den folgenden Jahren war die Akquise neuer Aufträge. Dazu nutzte die Staatsbank ihre Verbindungen in die Landes- und Bundespolitik, um für das Unternehmen staatliche Aufträge der Post sowie Rüstungsaufträge einzuwerben.1190 Die Bevorzugung der Unternehmen bei der Auftragsvergabe war durchaus legitim, denn die Betriebe lagen innerhalb des Zonenrandge1188 Ebenda. 1189 Protokoll der 61. Beiratssitzung vom 5. Oktober 1955, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1190 Die Staatsbankführung konnte beim Niedersächsischen Wirtschaftsminister durchsetzen, dass die FAKA in die Liste der Unternehmen aufgenommen wurde, die bei Rüstungsaufträgen routinemäßig aufgefordert wurden, Angebote abzugeben. Protokoll der 62. Beiratssitzung vom 1. März 1956, S. 6, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91.

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bietes und diese mussten bei öffentlichen Ausschreibungen ohnehin bevorzugt werden. Die graduelle Übernahme der Rolle des Unternehmers wurde keineswegs unkritisch aufgenommen. Da die Vorfälle in Lebenstedt zunächst geheim blieben, wurde Kritik vor allem innerhalb des zur Verschwiegenheit verpflichteten Beirates laut. Im März 1956 deutete der Vertreter des Finanzministeriums Franz-Jürgen Blumenberg auf die Gefahr hin, „daß die Bank in diesen Fällen endgültig in die Rolle des Unternehmers gedrängt würde.“1191 Im Oktober 1956 antwortete der Bankdirektor Helmut Krützfeldt auf diese Kritik folgendes: „Das Ziel müsste sein, die Unternehmungen möglichst in andere Unternehmerhände zu bringen oder zu liquidieren. Im Grundsatz ist das richtig; aber es ist außerordentlich schwierig, […] Interessenten zu finden, und zwar zu annehmbaren Bedingungen, wenn die weitere Entwicklung nicht mit Sicherheit eine aufsteigende Linie erwarten läßt. Man muß also erst einmal die Unternehmungen für längere Zeit aus der Krisis herausführen.“1192 Erst wenn die Leistungsfähigkeit der Unternehmen durch den kontinuierlichen Ausweis von Gewinnen demonstriert wurde, konnte die Staatsbank damit rechnen, einen Kaufpreis zu erzielen, der die Investitionen in die Sanierung rechtfertigte. Es gelang der Staatsbank in den folgenden Jahren, die Fahrzeugwerke Kannenberg in die Gewinnzone zu führen. Entscheidend dafür war die Nutzung der Beziehungen der Staatsbank zur Bundesregierung. Nach einigen Rückschlägen hatte die Staatsbank Erfolg mit der Akquise von Aufträgen. Der Auftragsbestand wuchs von 1,2 Millionen DM im März 1956 auf 2,8 Millionen DM im Jahr darauf, wovon allein eine Millionen DM Aufträge der Bundeswehr darstellten.1193 1963 hatte die FAKA einen Auftragsbestand von 5,7 Millionen DM, davon waren Aufträge im Wert von 3,7 Millionen DM ausschließlich über Bundesbehörden zustande gekommen.1194 Im März 1957 konnten die Direktoren verkünden, dass das Gesamt-Obligo der betroffenen Unternehmen gegenüber der Staatsbank von neun Millionen auf 6,9 Millionen DM gesunken war. Außerdem hatte die Staatsbank in den beiden Jahren seit ihrem Eingriff einen Großteil der fälligen Zinsen tatsächlich ausgezahlt bekommen. Neben der finanziellen Seite wurde vom damaligen niedersächsischen Wirtschaftsminister Hermann Ahrens noch einmal die wirtschaftspolitische Bedeutung des Engagements der Staatsbank herausgestrichen: „Herr Minister Ahrens bringt zum Ausdruck, daß die dargelegte Entwicklung der Lebenstedter Engagements schon deshalb begrüßt werden müßte, weil eine Stillegung wegen der Situation im Zonenrandgebiet nicht wünschenswert sein kann.“1195 1191 Protokoll der 62. Beiratssitzung vom 1. März 1956, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1192 Protokoll der 64. Beiratssitzung vom 12. Oktober 1956, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1193 Protokoll der 65. Beiratssitzung vom 20. März 1957, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1194 Situationsbericht der Fahrzeugwerke Kannenberg an das Direktorium der Staatsbank z. Hd. Herrn Bankdirektor Rühe vom 27. Mai 1963, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 284/2. 1195 Protokoll der 64. Beiratssitzung vom 12. Oktober 1956, S. 9, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91.

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Wie oben gezeigt gehörte Ahrens zum braunschweigischen Triumvirat des Zonengrenzland-Lobbyismus. Deshalb setzte er die Fälle gerne in den Kontext des Zonenrands. Finanzieller Erfolg und politische Legitimation zusammen gaben der Staatsbankführung die notwendigen Argumente an die Hand, um vom Beirat die Zustimmung zur Fortführung der Sanierungspolitik zu erreichen, die sie dann auch erhielt.1196 Nach 1958 verschwand die ganze Affäre Salzgitter-Lebenstedt von der Tagesordnung des Beirats. Als Staatsbankdirektor Carl Düvel im Juni 1966 dem Beirat erstmals nach fast einem Jahrzehnt über die gewerblichen Beteiligungen Bericht erstattete, war die FAKA immer noch im Besitz der Beteiligungsgesellschaft. Die Firma war inzwischen nach Bückeburg umgezogen und hatte dort ein Fabrikgelände gepachtet. Der ursprüngliche Kredit von 5,7 Millionen DM war vollständig abgebaut worden und zwar zum Teil durch Umwandlung von zwei Millionen DM in eine stille Einlage und zum anderen Teil durch Rückzahlung. Auf die stille Einlage erhielt die Staatsbank acht Prozent Zinsen sowie eine Gewinnausschüttung von 100.000 DM jährlich. Düvel bewertete den Wert des Unternehmens auf 2,1 Millionen DM. Damit hatte die Staatsbank rechnerisch den 1954 drohenden Verlust vollständig abgewendet.1197 Die Staatsbank versuchte seit 1964, die FAKA zu verkaufen, jedoch gelang es ihr nie, einen für sie angemessenen Kaufpreis zu erzielen. Die Verhandlungen zogen sich bis zum Ende der 1960er Jahre hin und wurden vor der Fusion nicht mehr abgeschlossen. Anders als bei der FAKA hatte die Staatsbank beim Heizungsbauer Fehmel Wärme & Kraft KG operativ keine glückliche Hand gehabt. Die Firma hatte zwischen 1960 und 1965 unter der Ägide eines Angestellten der Staatsbank fast 600.000 DM Verluste angehäuft. Sie wurde 1965 verkauft, angeblich, weil die Staatsbankleitung die Geschäftspraktiken der Branche abstoßend fand: „Die Staatsbank mußte sich trennen, weil sie erfahren hatte, daß in dieser Branche Geschäftserfolge zum großen Teil mit Bestechung erreicht werden und weil sie an der Loyalität des Geschäftsführers Prof. Willing Zweifel hatte. Die Zukunftsaussichten waren ungewiß. Sie wollte daher rechtzeitig aussteigen.“1198 Da die Staatsbank die Firma zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Jahre in ihrem Besitz hatte, wirkt diese Begründung mit dem „schmutzigen Geschäft“ nicht glaubwürdig. Die Staatsbank verbarg dahinter vielmehr das Scheitern ihrer Unternehmertätigkeit. Die Staatsbank verkaufte die Beteiligung für eine Million DM und konnte damit ihre gesamten Forderungen gegen die Firma bis auf entgangene Zinszahlungen von knapp 400.000 DM realisieren.1199 Der Verkauf der Beteiligung erfolgte aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen. Von einer regionalwirtschaftlichen Verantwortung 1196 65. Beiratssitzung am 20. März 1957, S. 17, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1197 Protokoll der 86. Beiratssitzung vom 28. November 1966, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113. 1198 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 12. November 1965, S. 4in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 95. 1199 Ebenda, S. 6.

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war hier keine Rede mehr. Anders als etwa beim Verkauf der Helmstedter Glashütte blieben politische Folgen jedoch aus, was unter anderem daran lag, dass Fehmel nach dem Verkauf weiter existierte. Die Sanierungsbeteiligungen der Staatsbank waren wirtschaftlich gesehen insgesamt erfolgreich verlaufen. Die drohenden Kreditausfälle konnte die Staatsbank abwenden. Für die weitere Entwicklung der Staatsbank war jedoch entscheidender, dass sie durch den Fall Salzgitter-Lebenstedt das „Know-how“ entwickelte, um gewerbliche Unternehmen nicht nur zu sanieren, sondern auch dauerhaft zu betreiben. Sie gründete 1955 die Braunschweigische Finanzierungs-Gesellschaft (BFB) als staatsbankeigene Beteiligungsgesellschaft extra zur Verwaltung der Lebenstedter Engagements.1200 In dieser Gesellschaft wurden die Unternehmer- und Aufsichtsfunktionen über die Unternehmen in Salzgitter gebündelt. Die Übertragung der Sanierungsfälle auf eine Beteiligungsgesellschaft hatte zudem den Effekt, dass die Sanierungsarbeiten unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des Beirates und der Aufsichtsbehörde weiter vor sich gingen und der politische Handlungsdruck dadurch sank. Ebenfalls 1955 richtete die Staatsbank eine neue Kreditabteilung ein, die für Sonderfinanzierungsgeschäfte zuständig war. In dieser neuen Abteilung wurden einigen der späteren Führungskräfte der Bank zum ersten Mal Leitungsposten übertragen. Für die FAKA war 1955 von Seiten der Staatsbank Günter Nerlich zuständig, der ab 1963 Leiter der Kreditabteilung IV für Sonderaufgaben sowie der BFB wurde. 1967 stieg er in das Direktorium auf.1201 Die Bank sammelte bei der Durchführung der Sanierungen Erfahrungen und schuf Institutionen, deren bloße Existenz die Schwelle zum Eingehen neuer Beteiligungen herabsetzte. Die neuen Experten, die neue Abteilung und die Beteiligungsgesellschaft waren ja nicht auf die Unternehmen aus Salzgitter beschränkt, sie konnten jederzeit auch für andere Sanierungsfälle eingesetzt werden. Die Staatsbank hatte für Sanierungsbeteiligungen sogar ein betriebswirtschaftliches Modell entwickelt, das die Sanierung in drei Phasen aufteilte. In der Auffangphase wurden die Sicherheiten ermittelt und die Verschleuderung von Betriebsvermögen verhindert. In der Konsolidierungsphase wurde zusätzliches Kapital in die Firma investiert, damit sie wieder rentabel arbeiten konnte. In der Verkaufsphase wurde das Unternehmen weiter betrieben, bis die Bank ein zufriedenstellendes Angebot für den Verkauf bekam.1202 Auch, wenn dieses Modell nicht sonderlich innovativ war, zeigt es doch, dass die Bank zunehmend vom konkreten Sanierungsfall abstrahierte. Die Sanierung durch Beteiligung wurde in der Zeit zwischen 1955 und 1966 immer mehr zu einem regulären Geschäft der Staatsbank. 1200 Protokoll der 86. Beiratssitzung vom 28. November 1966, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113. 1201 Protokoll der 88. Beiratssitzung vom 21. August 1967, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 104. Der Verwalter der Firma Fehmel Herrn Willig taucht dagegen nach dem Verkauf in den Quellen nicht mehr auf. 1202 Protokoll der 86. Beiratssitzung vom 28. November 1966, S. 20, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113.

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Dafür fehlte es ihr jedoch an Zustimmung im Beirat. Die Staatsbank kam auf dem Weg, diesen Geschäftszweig zu legitimieren, nach 1955 nicht weiter. Sie hatte lediglich den Grundsatz durchsetzen können, dass sie Beteiligungen zwar nicht suchen dürfe, ihnen jedoch auch nicht aus dem Weg zu gehen brauchte.1203 Die Einhaltung dieses Kompromisses wurde vor allem von der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz überwacht. Der Generaldirektor der Niedersächsischen Landesbank Wilhelm Pleister warnte noch 1966 davor, dass dauerhafte Beteiligungen auch durch mangelnde Verkaufsbemühungen gewissermaßen unausgesprochen zu einem regulären Geschäft wachsen konnten: „Man solle aber rechtzeitig der Gefahr begegnen, sich in die unternehmerischen Beteiligungen zu verlieben und diese daher so schnell wie möglich abstoßen.“1204 Pleister wollte der Staatsbank also die Souveränität über den Zeitpunkt der Veräußerung nicht zugestehen, weil er voraussah, dass die Frage des Verkaufszeitpunktes entscheidend für die Etablierung der Industriebeteiligungen als reguläres Geschäft war. Pleister hatte außerdem eine rechtliche Überprüfung der Frage verlangt, ob die Staatsbank Industriebeteiligungen eingehen dürfe. Die Frage, ob gewerbliche Beteiligungen im Einklang mit dem Staatsbankgesetz standen, wurde durch ein Gutachten des Ministerialdirigenten Heinrich Hunke aus dem niedersächsischen Finanzministerium beantwortet. Darin wurde festgestellt, dass die Staatsbank aufgrund seiner Analyse des Staatsbankgesetzes Beteiligungen eingehen dürfe, solange keine Absicht des Dauerbesitzes bestehe. Außerdem durfte die Staatsbank nicht auf das Geschäftsgebiet der Niedersächsischen Landesbank übergreifen. Die Staatsbank durfte kein „Industrie-Imperium“ errichten, wie Hunke es formulierte.1205 Dieser Stillstand bei der Legitimation des Beteiligungsgeschäftes änderte sich erst infolge der Durchführung eines Auftrages der Landesregierung, der wohl zu den wirtschaftlich wie politisch heikelsten gehörte, den die Staatsbank je durchgeführt hat: die Privatisierung der Niedersachsen GmbH.

Die Privatisierung der niedersächsischen Staatsbetriebe 1965 war Alfred Kubel nach Jahren im Landwirtschaftsministerium wieder niedersächsischer Finanzminister geworden. Er war überzeugter Anhänger der Lehren des Ökonomen John M. Keynes und damit Teil des wirtschaftspolitischen Umbruchs der Zeit. Angesichts der damals problematischen Haushaltslage Niedersachsens konnte Kubel jedoch keine größeren Ausgabenprogramme auflegen, sondern musste im Gegenteil sparen.1206 1203 1204 1205 1206

Ebenda. Ebenda, S. 26. Protokoll der 86. Beiratssitzung vom 28. November 1966, S. 17, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113. Renzsch, Kubel, S. 118.

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Deshalb war das Ergebnis einer Inventur der landeseigenen Beteiligungsgesellschaft, der Niedersachsen GmbH, für Kubel eine Hiobsbotschaft. Die Landesholding hatte 1965 bei einer Bilanzsumme von 73 Millionen DM einen Bilanzverlust von fast 30 Millionen DM aufgehäuft, wodurch das Eigenkapital auf 13,6 Millionen DM gesunken war. Da sie weiterhin hohe Verluste schrieb, wäre sie im Laufe des Jahres 1966 unweigerlich in Konkurs gegangen, was sowohl das Land als auch die Gläubiger zweistellige Millionenbeträge gekostet hätte. Einer der Hauptgläubiger der Niedersachsen GmbH war die Braunschweigische Staatsbank, seit diese im Jahr 1954 der damals „Norddeutsche Homogen-Gesellschaft mbH Triangel“ genannten landeseigenen Spanplattenfabrik in der Nähe von Gifhorn einen Investitionskredit über 1,5 Millionen DM eingeräumt hatte, um ihre räumliche Expansion zu legitimieren.1207 Das Unternehmen aus Triangel war der Grund für die Misere der Niedersachsen GmbH in den 1960er Jahren. Die Gesellschaft war eines der ersten Unternehmen überhaupt, das Spanplatten industriell herstellte. Nachdem sich die Platte am Markt durchgesetzt hatte, konnte das Unternehmen ab 1955 teils hohe Gewinne einfahren.1208 Doch bereits Anfang der 1960er Jahre hatten andere Länder den technologischen Vorsprung der Pioniere aus der Schweiz und Deutschland aufgeholt und begannen damit, in großem Stil Spanplatten nach Deutschland zu exportieren. Trotz des nunmehr vorhandenen Überangebots gab die Niedersachsen GmbH 1961 die Pläne zur Errichtung eines neuen Spanplattenwerkes in Lübeck für 30 Millionen DM bekannt.1209 Das Vorhaben wurde jedoch zum Fiasko.1210 Von dem Bilanzverlust von fast 30 Millionen DM waren allein 18 Millionen DM aufgrund von Sonderabschreibungen auf das neue Werk entstanden.1211 Alfred Kubel fand in seinem Ministerium weder die Kapazitäten noch die Kompetenz vor, die Holding in Eigenregie zu sanieren. Weil er das Problem aber schnell aus der Welt schaffen wollte, übertrug er den Anteil Niedersachsens an der Niedersachsen GmbH von 80 % am 20. Dezember 1965 für 30 Millionen DM der Braun-

1207 Bereits damals war das Ziel des Direktoriums, einen Präzedenzfall für die Ausdehnung ihrer Tätigkeit über die Grenzen ihres Geschäftsbereichs hinaus zu schaffen. Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 3. März 1954, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 90. 1208 Renzsch, Kubel, S. 90. 1209 „Industriebeteiligungen: Gut Holz!“, in: Der SPIEGEL, Nr. 6, 7. Februar 1962, S. 45 f. Die Idee, ein Werk mit unmittelbarem Zugang zu einem Ostseehafen aufzubauen war im Grunde genommen sinnvoll, weil dadurch der Bezug des Rohmaterials aus Skandinavien kostengünstiger war. 1210 Das Werk war eigentlich in allen Bereichen falsch geplant. Man hatte versucht, durch die Anschaffung neuer Spezialmaschinen Personal einzusparen, um dadurch im Preiskampf bestehen zu können. Die angeschafften Maschinen waren bei Bezug nicht ausgereift und fielen häufig aus. Außerdem brachten sie nicht den erhofften Rationalisierungseffekt. Das Werk produzierte teurer als die vergleichsweise veraltete Fabrik in Triangel. Als Krönung hatte man auch noch Fehler in der Statik begangen, weshalb dem Werk mittelfristig eine Absenkung zur Trave hin drohte. 94. Beiratssitzung vom 11. Dezember 1969, S. 33, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 132. 1211 Protokoll der 88. Beiratssitzung vom 21. August 1967, S. 47, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 104.

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schweigischen Staatsbank mit dem klaren Auftrag der vollständigen Privatisierung.1212 Die Motive Kubels waren dabei klar ersichtlich. Weil die niedersächsische Regierung bereits mehrfach wegen ihres umfangreichen Besitzes an Wirtschaftsunternehmen kritisiert worden war, lag in der Krise der Niedersachsen GmbH nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein politisches Risiko. Indem Kubel den Auftrag an die Staatsbank öffentlichkeitswirksam mit der Bedingung der Privatisierung verknüpft hatte, konnte er aus der angreifbaren Situation herauskommen. Weil er zudem für die katastrophale Fehlentscheidung 1961 in seiner damaligen Funktion als Landwirtschaftsminister nicht verantwortlich war, konnte er aus der Krise letztlich sogar politisch Kapital schlagen. Wirtschaftlich kam ihm der Erlös von 30 Millionen DM ebenfalls entgegen, weil die Haushaltslage des Landes Niedersachsen so schlecht war. Er hatte sich außerdem noch eine Beteiligung des Landes am Veräußerungsgewinn vorbehalten.1213 Dass er die Staatsbank für den Auftrag wählte, hatte einen organisatorischen und einen politischen Hintergrund. Die Staatsbank hatte als Folge der Affäre Salzgitter-Lebenstedt die organisatorischen und personellen Kapazitäten aufgebaut, die notwendig waren, um den Auftrag zu erfüllen. Außerdem war die Wahl der Staatsbank ein kluger politischer Schachzug. Der Besitz der Niedersachsen GmbH bestand zu wesentlichen Teilen aus dem alten gewerblichen Vermögen des Landes Braunschweig. Die Niedersachsen GmbH war sogar aus der alten Landesholding des braunschweigischen Staates, der Braunschweig GmbH, hervorgegangen. Es war nur folgerichtig, dass nun die Staatsbank als der wichtigste verbliebene Repräsentant des alten Landes Braunschweig den ehemaligen Staatsbesitz verkaufte. Kubel nutzte die regionalpolitische Legitimation der Staatsbank, um der Kritik zu entgehen, mit dem ehemaligen Besitz des Landes Braunschweig die Sanierung eines Betriebes in Gifhorn zu finanzieren. Die Motivlage des Direktoriums der Braunschweigischen Staatsbank ist dagegen weniger offensichtlich. Wirtschaftlich gesehen war die Aufgabe wenig attraktiv. Die Staatsbank bezahlte zwar nur einen relativ geringen Betrag für den neuen Beteiligungsbesitz, jedoch kaufte sie sich damit so hohe Verluste ein, dass die stillen Reserven, die eigentlichen Werte der Niedersachsen GmbH, zum Großteil für das Auffangen des Verlustes verwendet werden mussten. Der eventuelle Reingewinn aus der Privatisierungsaktion musste zudem mit dem Finanzministerium geteilt werden. Das wichtigste Motiv der Staatsbankführung bei der Annahme des Privatisierungsauftrages war politischer Natur. Das Direktorium erhoffte sich von einer erfolgreichen Durchführung des Auftrages weitgehende Zugeständnisse des Wirtschaftsministers bei grundsätzlichen Fragen ihrer Geschäftstätigkeit. Dies galt vor allem für die Beteiligungspolitik. Die Staatsbank erhoffte sich von der Privatisierung die Durchsetzung von Industriebeteiligungen als reguläres Geschäft. 1212 Protokoll der 88. Beiratssitzung vom 21. August 1967, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 104. 1213 Renzsch, Kubel, S. 124.

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Aus diesem Grund war das Direktorium dazu bereit, die Sanierung und Privatisierung der Niedersachsen GmbH ohne große Rücksicht auf die Befindlichkeiten in Braunschweig durchzuführen. Nachdem die Staatsbankführung sich einen Überblick über die Lage bei der Holding verschafft hatte, begann sie mit ihrem Sanierungsauftrag, indem sie 1966 die Verwaltungszentrale in Hannover schloss und die Verwaltung selbst in die Hand nahm. Die Privatisierungen wurden zunächst durch die Rezession 1966 verhindert. Deshalb hielt die Staatsbank die Niedersachsen GmbH notgedrungen zunächst weiter. Strukturell ging sie so vor, dass sie den Spanplattenbereich zum Kern der Niedersachsen GmbH machte, während sie alle nicht dazu gehörenden Teile aus dem Konzern herauslöste und einzeln verkaufen wollte. Mit dem Verkauf der anderen Teile wollte die Staatsbank den Spanplattenbereich finanziell sanieren und danach ebenfalls verkaufen.1214 Der Beirat segnete diesen Beschluss im Juli 1967 ab. Ein halbes Jahr später hatte die Staatsbank bereits alle wesentlichen Beteiligungen veräußert. Die wichtigste Beteiligung, den 3/7 Anteil an den Unterharzer Berg- und Hüttenwerken, verkaufte die Staatsbank für insgesamt 25 Millionen DM an die Preussag, die nun das Unternehmen allein besaß. Zusammen mit weiteren Privatisierungen hatte die Staatsbank insgesamt über 37 Millionen DM erlöst.1215 Der Nettogewinn aus allen Veräußerungserlösen zusammen betrug 21,6 Millionen DM. Nach dem Abschluss der Verkäufe wurde die Niedersachsen GmbH in „Triangel Vereinigte Spanplattenwerke GmbH“ umbenannt und war nun ein reines Unternehmen der Spanplattenindustrie. Die Gewinne aus den Veräußerungserlösen und die von 1966 bis Oktober 1969 erzielten Betriebsgewinne wurden vollständig den eigenen Mitteln des neuen Unternehmens zugeschlagen. Die Umbenennung und die Rekapitalisierung des Unternehmens sorgten dabei für Unmut in der medialen Öffentlichkeit, weil es so aussah, als ob die Staatsbank die Erlöse aus dem Verkauf des ehemaligen Staatseigentums für ein Spanplattenwerk bei Gifhorn zweckentfremdet hatte. Das Direktorium sah sich genötigt, den Sachverhalt im Beirat richtig zu stellen.1216 Das größte Problem beim Verkauf der Vereinigten Spanplattenwerke waren die notwendigen Investitionen, die ein Käufer zu tätigen hatte. Das Werk in Triangel war inzwischen veraltet, das in Lübeck grundsätzlich problematisch. Die Investitionen allein in Triangel wurden auf mindestens 36 Millionen DM geschätzt. Die Interessenten plädierten deshalb dafür, dass die Staatsbank an der Triangel Vereinigte 1214 Protokoll der 88. Beiratssitzung vom 21. August 1967, S. 5–12, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113. 1215 Noch nicht verkauft worden war die DASAG Deutsche Naturasphalt in Eschershausen, die 1935 auf Betreiben der Regierung Klagges von der Braunschweig GmbH übernommen worden waren. Außerdem war noch die Herzoglich Braunschweigische Porzellanmanufaktur Fürstenberg nicht verkauft worden. Beide Unternehmen wurden von der Staatsbank auf ihre Beteiligungsgesellschaft übertragen. Protokoll der 89. Beiratssitzung vom 18. 12. 1967, S. 42–45, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113. 1216 94. Beiratssitzung vom 11. Dezember 1969, S. 18, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 132.

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Spanplatten GmbH beteiligt bleiben sollte. Allein wollten sie die notwendigen Investitionen nicht schultern. Notgedrungen blieb die Staatsbank deshalb mit 50 % an dem Unternehmen beteiligt. Das Vertragsverhältnis zwischen Staat und Staatsbank in Bezug auf die Privatisierung wurde Ende 1969 abgeschlossen. Niedersachsen bekam gemäß der Beteiligung am Privatisierungsgewinn eine Nachzahlung von 1,4 Millionen DM zugesprochen. Für den Staat war das Problem damit erledigt, für die Staatsbank allerdings noch nicht. Neben ihrer zunächst weiterbestehenden Beteiligung hatte sie dem Käufer, der Deutschen Novopan GmbH aus Göttingen, auch die Beibehaltung der Kreditlinie für die Werke von bis zu 18 Millionen DM versprochen.1217 Einen Bargewinn hatte die Staatsbank letztlich nicht erzielt. Sie hatte sich lediglich die 50 %-Beteiligung verdient, wofür sie jedoch auch noch eigenes Geld aufwenden musste. Ihr Hauptgewinn war aber nicht wirtschaftlicher, sondern politischer Natur. Die Sanierung der Niedersachsen GmbH war der Preis für die Erlaubnis zur regulären Aufnahme des Beteiligungsgeschäfts. Den Unterschied zum vorherigen Zustand beschrieb Düvel 1968 folgendermaßen: „Es gehe lediglich darum, ob eine Bank – gleich ob öffentlich-rechtlich oder privat -, die durch ihr Engagement im Unternehmerrisiko stehe, nicht auch an den Erträgen des Unternehmens partizipieren solle.“1218 Auch hier war nicht das Eingehen neuer Beteiligungen der entscheidende Faktor, sondern der Zeitpunkt des Verkaufs. Die Staatsbank sollte von dem erhöhten Risiko nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich profitieren. Als auf diese Aussage hin der Präsident der Niedersächsischen Landesbank Wilhelm Pleister diesen Anspruch und auch die gesamte Beteiligungspolitik der Staatsbank mit der Begründung des öffentlich-rechtlichen Status ablehnte, stellte Alfred Kubel sich schließlich voll auf die Seite Düvels: „Minister Kubel hat keine Bedenken, daß die öffentlichrechtlichen Kreditinstitute ihren Rahmen genauso weit spannen, wie die anderen Geschäftsbanken und dabei auch Beteiligungen erwerben. […] Aus diesem Grunde bejahe er auch die von dem Vorstand der Staatsbank praktizierte Geschäftspolitik.“1219 Damit hatte Düvel sein Ziel erreicht. Er konnte sich nun ermächtigt fühlen, die Bank zu einer Unternehmerbank umzubauen, die Unternehmen nicht nur finanzierte, sondern mit entwickelte und an dem Erfolg der geglückten Entwicklung partizipierte. An Gelegenheiten fehlte es dabei nicht, weil innerhalb der braunschweigischen Wirtschaft erste Anzeichen eines Strukturwandels zu erkennen waren.

1217 Ebenda, S. 20. 1218 Protokoll der 91. Beiratssitzung vom 16. Dezember 1968, S. 16, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 132. 1219 Ebenda S. 15 f.

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Die Staatsbank und die Gestaltung des Strukturwandels im Land Braunschweig Die Staatsbank war zwischen 1955 und 1965 nicht untätig gewesen, was Sanierungen und Beteiligungen anging. Zu den Lebenstedter Engagements kamen bis 1965 noch Sanierungen und Beteiligungen an einer ganzen Reihe weiterer Unternehmen wie die Wiedaer Hütte und die Konservenfabrik Keune in Thiede. Im Unterschied zu den Lebenstedter Engagements waren diese Unternehmen allerdings nicht aufgrund des Fehlverhaltens von Staatsbankangehörigen notleidend geworden, sondern aufgrund eines markt- oder ausstattungsbedingten Verlustes der Konkurrenzfähigkeit. Als 1958 der Vertrag über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) in Kraft trat, konnte die Bundesrepublik insgesamt gesehen von der schrittweisen Integration der europäischen Wirtschaft profitieren. Dies galt jedoch weder für alle Branchen noch für die gesamte Zeit nach 1958. Die großen Profiteure in Deutschland waren die Hersteller von langlebigen industriellen Fertigwaren, vor allem von Investitionsgütern. Der Maschinenbau konnte seine Produktion weit über den in Deutschland existierenden Bedarf hinaus ausweiten und wuchs damit zusammen mit der Automobilindustrie zur wichtigsten Branche in Deutschland. Auch andere Branchen wie die Chemieindustrie konnten überdurchschnittlich von der wirtschaftlichen Öffnung der europäischen Volkswirtschaften profitieren.1220 Es gab jedoch auch klare Verlierer der europäischen Integration. Dies galt vor allem für die Zeit nach den Aufwertungen der D-Mark. Die verschiedenen Aufwertungsrunden waren jedes Mal gleichbedeutend mit einer Verschlechterung der Wettbewerbsposition. Die Hersteller von Investitionsgütern traf dies nicht in dem Maße, weil sie meist hoch spezialisierte Produkte herstellten, bei denen der Anschaffungspreis nicht das dominierende Verkaufsargument war. Ein gutes Beispiel sind die Maschinenbau-Unternehmen aus Braunschweig wie die BMA oder MIAG, die im Verein mit braunschweigischen Industriebauunternehmen im Ausland ganze Fabriken für die Zuckerherstellung oder Malzfabrikation herstellten. Auf diesen Märkten waren Langlebigkeit und die Gewährleistungsgarantien der Produktion sehr viel wichtigere Verkaufsargumente als der Endpreis, außerdem wurde ein Teil der Wertschöpfung in den Empfängerländern erbracht, was den Preis wieder relativierte. In anderen Branchen wie in der Eisenverarbeitung und der Konservenindustrie führte der Abbau der Zollschranken jedoch zum Niedergang. Im ehemaligen Land Braunschweig existierten auch in den 1960er Jahren noch einige Eisengießereien, die ehemals mit kleinen Eisenhütten verbunden waren. Die Wiedaer Hütte gehörte zu diesen kleineren Betrieben der Eisenverarbeitung. Sie stellte Öfen und in der Gießerei Graugusswaren her. Die Hütte hatte bereits 1928 erstmals eine Unterstützung der Staatsbank bei der Sanierung verlangt. 1963 war die Hütte wiederum in eine Krise geraten. Die Staatsbank hatte daraufhin die Finanzierung übernommen, ohne sich jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits in das Tagesgeschäft einzumischen. Neben 1220 Abelshauser, Wirtschaftsgeschichte, S. 258.

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einem Kontokorrent- und einem Diskontkredit über 1,2 Millionen DM leitete sie zwei Darlehen aus Landeshaushaltsmitteln und dem Regionalen Förderungsprogramm über 900.000 DM weiter und gab selbst noch einen Investitionskredit über 300.000 DM dazu.1221 Anfang 1965 war das Volumen der kurzfristigen Kredite auf 2,8 Millionen DM angestiegen.1222 Trotz dieser Kredithilfen stand die Hütte 1965 vor der Zahlungsunfähigkeit. Carl Düvel nannte neben Managementfehlern vor allem die rückgängige Konjunktur für die hergestellten Waren als Grund für die Krise des Unternehmens. Die Staatsbank befürchtete bei einem Konkurs den Verlust eines Großteils der kurzfristigen Kredite. Sie beauftragte deshalb ihre Beteiligungsgesellschaft mit der Gründung einer Auffanggesellschaft, deren Kapital zur Hälfte von der Bank und zur anderen Hälfte von einem Unternehmer aus Mannheim gehalten wurde. Die neue Gesellschaft pachtete die Betriebsanlagen und kaufte die Firma und das Umlaufvermögen des alten Unternehmens. Die Gießerei wurde stillgelegt, die Produktion der Öfen wurde weiterbetrieben. Damit konnten 82 der insgesamt 150 Arbeiter weiter beschäftigt werden. Zudem konnte das Direktorium die kurzfristigen Kredite um eine Millionen DM reduzieren.1223 Der Plan der Staatsbank war in diesem Fall lediglich eine ruhige Abwicklung des Unternehmens. Daher war es Teil des Plans, dass die Hütte schließlich 1972 stillgelegt wurde.1224 Die Konservenindustrie war in Braunschweig am stärksten von der Öffnung des europäischen Binnenmarktes betroffen. Die Produkte der Konservenindustrie hatten wenig Alleinstellungsmerkmale, weshalb sie durch französische oder italienische Waren leicht substituierbar waren. Das braunschweigische Land war das größte Zentrum der Konservenindustrie in Westdeutschland, jedoch war die Branche sehr kleinteilig strukturiert. Die Gesamtkapazität in Braunschweig war zwar Mitte der 1960er Jahre mit 30 % der westdeutschen Gesamtproduktion noch sehr hoch, verteilte sich jedoch auf zu viele Unternehmen, um bedeutende Skalenerträge zu erzielen.1225 Deshalb gingen die ersten Unternehmen der Branche bereits vor der ersten Nachkriegsrezession 1966 in die Insolvenz. Die Krisen bestimmter Branchen wurden von der Regierung der Bundesrepublik als unvermeidlich hingenommen. Die Braunschweigische Staatsbank, die zu Beginn ihres Engagements in der Konservenindustrie 1965 noch Schutzzölle gefordert hatte, sah spätestens nach der Aufhebung aller Zölle im EWG-Raum 1968 ein, dass protektionistische Maßnahmen nicht erfolgen würden. Sie verfolgte allerdings bereits 1965 eine Alternativ-Strategie:

1221 Sitzung des Kreditausschusses vom 2. September 1963, Anlage 6, S. 2, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 118. 1222 Sitzung des Kreditausschusses vom 12. November 1965, Anlage 7, S. 2, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 95. 1223 Protokoll der 86. Beiratssitzung vom 28. November 1966, S. 21, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 113. 1224 Ebenda. 1225 Fiedler/Pingel, Nachkriegsboom, S. 604.

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Die Lage auf dem Konservenmarkt kann auch dadurch beeinflußt werden, daß sich in dem klassischen Gemüseanbaugebiet Hannover-Braunschweig Großbetriebe in einem derartigen Umfang zusammenschließen, daß sie einen Marktfaktor in der Bundesrepublik bilden. Die Staatsbank ist bereit, die darin liegende raumpolitische Aufgabe zu übernehmen und die Konservenfabrik Burgdorf zu kaufen. Ihr reicht es dazu aus, wenn das Landesministerium erklärt, der genannte Zusammenschluß und Erwerb von Burgdorf solle wegen der raumpolitischen Notwendigkeit von der Braunschweigischen Staatsbank durchgeführt werden.1226

Betriebswirtschaftlich war der Plan gut begründet. Die Konzentration auf der Herstellerseite sollte die Konzentration auf der Seite des Lebensmittelgroßhandels nachvollziehen, der bereits in den 1960er Jahren durch Zusammenschlüsse seine Marktmacht erhöht hatte. Die Übernahme der Konservenfabrik Burgdorf kam im Übrigen nicht zustande. Die Staatsbank begann ihr Engagement 1965 dagegen mit der Übernahme der Liegenschaften der insolventen Konservenfabrik Keune. Diese hatte bei einer Mitarbeiterzahl von 175 und einem Umsatz von zwölf Millionen DM am Ende noch Eigenkapital über 20.000 DM besessen. Die Fabrik hatte Verbindlichkeiten gegenüber der Staatsbank, dem Bankhaus Gebr. Löbbecke und dem Konservendosenhersteller Fritz Züchner von insgesamt 7,2 Millionen DM. Der Anteil der Staatsbank daran lag lediglich bei 20 %. Weil Löbbecke aber eine ihrer Beteiligungen darstellte und Züchner ein langjähriger Kunde der Staatsbank war, konnten sich die drei Gläubiger darauf einigen, dass die Beteiligungsgesellschaft der Staatsbank die Fabrik und die damit verbundenen Verträge mit den Bauern übernahm. Sie gründete dafür zusammen mit Löbbecke eine Auffanggesellschaft, die zuerst „Löwen-Konserven“ heißen sollte, jedoch nach Protest der Firma „Löwensenf“ aus Düsseldorf in „Konservenfabrik Thiede“ umbenannt wurde.1227 Bereits 1966 konnte das Direktorium dem Beirat verkünden, dass sich das Geschäft rundweg gelohnt hatte. Die gesamten Forderungen an die Konservenfabrik, die zu Beginn des Engagements auf 11,2 Millionen DM angewachsen waren, konnten in nur zwei Jahren auf 4,2 Millionen DM zurückgefahren werden. Den Wert des neuen Unternehmens schätzte die Staatsbank auf drei Millionen DM. Die Sanierung war also bereits 1966 weit vorangeschritten und der Bericht wirkte so, als ob die Staatsbank damit ihre Aufgabe als erfüllt ansah. So hatten dies die Beiratsmitglieder auch verstanden. So sah dies auch der Präsident der Handelskammer Otto Fricke: Die Staatsbank brauche ihre Absicht nicht besonders zu beteuern, die Unternehmen nach abgeschlossener Konsolidierung und zu optimalen Bedingungen zu verkaufen. Das ergebe sich bereits aus ihrer Interessenlage. Das Betreiben von Unternehmen sei nicht nur eine Arbeitsbelastung, sondern auch eine Belastung für das Kreditgeschäft. So würden einige Konservenfabriken sicher nicht gern Kreditnehmer der Staatsbank sein, wenn sie wissen, daß diese über ihre Beteiligungs-GmbH ein Unternehmen ihrer Branche betreibt.1228

1226 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 17. August 1947, S. 5, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 95. 1227 Protokoll der 46. Kreditausschusssitzung vom 9. Juli 1965, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 95. 1228 Protokoll der 86. Beiratssitzung vom 28. November 1966, S. 26, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113.

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In Wirklichkeit hatte die Staatsbank längst Pläne gefasst, einen bedeutenden Teil der deutschen Konservenindustrie in einem Großkonzern zu konsolidieren. 1969 stellte das Direktorium dem Beirat die Pläne zu den Vereinigten Konservenfabriken GmbH & Co (VeKo) vor. Die Bank hatte in der Zwischenzeit die ehemalige Konservenfabrik Thiede für insgesamt über fünf Millionen DM zu einer der modernsten Anlagen in Deutschland ausgebaut.1229 Sie hatte außerdem intensiv mit mehreren Partnern der Branche über eine Konzernbildung verhandelt. Nach einjähriger Verhandlung konnte sie schließlich eine Einigung mit der Großeinkaufs-Gesellschaft deutscher Konsumgenossenschaften (GEG) über einen Zusammenschluss erzielen. Die GEG war zwar als Einkaufsgesellschaft gegründet worden, hatte sich aber nach dem Krieg zum drittgrößten Lebensmittelhersteller Deutschlands entwickelt.1230 Sie hatte auch zwei Konservenfabriken in Meldorf (Schleswig-Holstein) und Wiesloch (Baden-Württemberg) im Portefeuille. Unter dem Dach der Vereinigten Konservenfabriken (VeKo) wurden 1968 insgesamt acht Konservenfabriken zusammengeschlossen, die zusammen ein Drittel der gesamten deutschen Nasskonservenproduktion der Bundesrepublik auf sich vereinigten.1231 Für diese Gründung ging die Staatsbank große Risiken ein.1232 Das Institut stand mit langfristig gebundenen Mitteln von knapp zehn Millionen DM im Risiko. Dazu kamen noch Betriebsmittelkredite über bis zu 27 Millionen DM.1233 Die Gründung der Vereinigte Konservenfabriken GmbH war ein ernsthafter Versuch der Staatsbank, eine sterbende Industrie durch Neustrukturierung am Leben zu erhalten. Das Ziel der Staatsbank war klar formuliert worden: „Sie zielt auf die notwendige strukturelle Bereinigung des Marktes auf der Verarbeiterseite durch Zusammenschlüsse zu größeren Einheiten ab. Dadurch soll die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Betriebe auf dem EWG-Markt wieder hergestellt und verbessert werden.“1234 Die Staatsbank ging bei dem Versuch, eine braunschweigische Branche zu retten, weit über ihr Geschäftsgebiet hinaus. Die Konservenfabriken der VeKo lagen im ganzen Bundesgebiet verstreut und waren schwieriger zu integrieren als zunächst 1229 Allerdings hatte sie dafür einen Investitionszuschuss des Bundes und ein Darlehen der Bundesanstalt für Arbeit zu Hilfe genommen. Der Eigenanteil der Staatsbank belief sich auf 1,7 Millionen DM. 1230 „Genossen werden Kapitalisten“, in: Die ZEIT, Nr. 29, 17. Juli 1970, S. 30. 1231 94. Beiratssitzung vom 11. Dezember 1969, S. 33, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 132. 1232 Zur VeKo gehörte einerseits eine Kommanditgesellschaft, in der die Staatsbank und die GEG jeweils Kommanditen mit einer Einlage von je 450.000 DM und einem Gesellschafter-Darlehen über je 7,5 Millionen DM waren. Die Kommanditgesellschaft war die operative Einheit. Sie pachtete die Produktionsanlagen von ihrer Komplementärin, der Vereinigte Konservenfabriken GmbH. Diese war als Holding konzipiert, die nach und nach weitere Konservenfabriken aufkaufte und an die Kommanditgesellschaft verpachtete. Ihr Gesellschaftskapital über drei Millionen DM wurde ebenfalls von der GEG und der Staatsbank gemeinsam aufgebracht. Sitzung des Direktoriums vom 6. Oktober 1969, S. 12, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 111. 1233 Sitzung des Direktoriums vom 25. September 1969, S. 3, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 111. 1234 94. Beiratssitzung vom 11. Dezember 1969, S. 34, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 132.

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gedacht. Dies führte oft genug zu Chaos vor allem im Vertrieb und zu einer unregelmäßigen Produktionsleistung. Die Ziele der Staatsbank und der GEG waren vom Rationalisierungsgedanken getrieben. Sie wollten laut eigener Aussage die Produktion rationalisieren und besser koordinieren, die Kapazitäten besser auslasten, Frachtwege verkürzen und günstiger einkaufen. All dies lief darauf hinaus, den Preiskampf mit den Importeuren aufzunehmen. Diese Strategie war letztlich zum Scheitern verurteilt. Allein schon durch die D-Mark-Aufwertung 1969 und die Freigabe der Wechselkurse 1971 verteuerten sich die deutschen Konserven dermaßen, dass ein Preiskampf in der Konservenindustrie selbst bei verstärkten Rationalisierungsanstrengungen nicht zu gewinnen war. Die einzige Möglichkeit zu überleben lag darin, über neue und qualitativ hochwertige Angebote dem Wettbewerb zu entgehen. Die einzige braunschweigische Firma, die diesen Weg gegangen ist, war im Übrigen eine langjährige Kundin der Staatsbank. Die Sonnenwerke Sieburg & Pförtner in Seesen konnten die große Krise der Konservenindustrie überleben, indem sie ihre Produktpalette stark diversifizierten und hochwertige unkonventionelle Produkte anboten.1235 Warum die Staatsbank sich nicht ihre Seesener Kundin zum Vorbild für ihr eigenes Engagement nahm, darüber kann nur spekuliert werden. Die Strategie, den Preiskampf aufzunehmen, statt ihm aus dem Weg zu gehen, haben allerdings viele Unternehmen in dieser Zeit verfolgt. Die Folge dieser Strategie war allerdings, dass die VeKo bereits in ihrem zweiten Geschäftsjahr 1971 die Hälfte ihrer Fabriken schließen musste. Darunter waren auch drei Fabriken im Raum Braunschweig mit 500 Mitarbeitern.1236 Die Staatsbank war mit dem Versuch, eine doppelte Dividende zu erzielen, gescheitert.1237 Ein Jahr nach dem Beginn des Engagements im Konservenbereich begann die Staatsbank auch bei einem weiteren „Sorgenkind“ des braunschweigischen Landes, der optischen Industrie, zu intervenieren. Die Firma Rollei-Werke Franke & Heidecke war mit Stereo-Spiegelreflexkameras der Marken Rolleiflex und Rolleichord zu Weltruhm gelangt. Nach dem Nachkriegsboom kam das Unternehmen jedoch bereits 1958 unter Druck durch japanische Nachbauten ihrer Erfolgsmodelle. Außerdem ging der Trend zu kleineren Handkameras, die Rollei jedoch nicht im Angebot hatte. Weil die beiden Gründerfamilien Franke und Heidecke auf diese Trends nicht rechtzeitig reagierten, verlor das Unternehmen an Umsatz, machte Verluste und musste Mitarbeiter entlassen. Die Staatsbank hatte dem Unternehmen 1963 zum ersten Mal eine Kreditlinie über drei Millionen DM bewilligt und war damit auch in die letzte 1235 „Erbsenkrieg am Rhein. Wie die französische Konkurrenz die deutsche Konservenindustrie ruiniert“, in: Die ZEIT, Nr. 41, 8. Oktober 1971, S. 27. 1236 Fiedler; Pingel, Nachkriegsboom, S. 604. 1237 Für die Geschichte dieses Engagements nach der Fusion zur Norddeutschen Landesbank 1970 vgl. Wixforth, Harald, Vom Ende der Braunschweigischen Staatsbank bis zur Diskussion über die Reorganisation der Braunschweigischen Landessparkasse (1970–2005), in: Hagebölling, Lothar (Hg.), Vom Leyhaus zur Sparkasse. Das öffentliche Bankwesen im Braunschweigischen Land 1765–2015, Braunschweig 2018, S. 831–1036, S. 886–888.

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Branche in Braunschweig eingedrungen, die bis dahin ohne die Staatsbank ausgekommen war.1238 1964 trat Heinrich Peesel als Geschäftsführer in die Firma ein. Dieser hatte verkündet, dass Rollei in neue Produkte investieren müsste und plante dafür umfassende Investitionen. Die Mitglieder der Familie Heidecke wollten den neuen Weg nicht mitgehen und schieden 1966 aus dem Unternehmen aus. Die Auszahlung des Gesellschaftskapitals hätte das Unternehmen beinahe in die Insolvenz getrieben. Die Staatsbank entschloss sich schließlich 1966, sowohl die Investitionen als auch die Abfindung der Familie Heidecke zu finanzieren, was einem Gesamtvolumen von zwölf Millionen DM entsprach, der durch einen Kredit bereitgestellt wurde. Sie löste damit die Deutsche Bank ab, die lediglich bereit war, 0,5 Millionen DM zu geben. Doch auch bei der Familie Franke war man sich nicht einig über den neuen Kurs. Die Gesellschafteranteile der Firma hielten die Witwe des Firmengründers Ella Franke und ihre beiden Kinder Horst Franke und Margot Meyerhoff. Letztere lehnte den neuen Kurs ab.1239 Weil beide Kinder des Firmengründers je 40 % der Anteile an der Firma hielten, für eine Kapitalerhöhung jedoch eine drei Viertel-Mehrheit erforderlich war, konnte Margot Meyerhoff die Beschlüsse zur Kapitalerhöhung blockieren. Die Erhöhung des Kapitals war wiederum notwendig, um die eingeschlagene Richtung in der Geschäftspolitik weiterzuführen. Das Eigenkapital von acht Millionen DM war während der starken Expansion seit 1964 nicht mitgewachsen, die Investitionen wurden ausschließlich über Kredite der Staatsbank finanziert. Dies waren allein im Jahr 1968 zusätzlich vier Millionen DM. Carl Düvel forderte deshalb von den Gesellschaftern, entweder die Mittel für eine Kapitalerhöhung zu besorgen, oder der Staatsbank einen Anteil von 30 % an der Firma zu gewähren, indem ein Teil der Kredite in Gesellschaftskapital umgewandelt wurde. Die daraufhin von Margot Meyerhoff und Ella Franke geworbenen Interessenten an einer Kapitalbeteiligung wurden jedoch im Aufsichtsrat der Firma von Carl Düvel, der sich dieses Mandat bei der Kreditvergabe hatte zusichern lassen, sowie von Erich Meyerhoff abgelehnt.1240 Weil der Machtkampf im Aufsichtsrat alle Gesellschafterbeschlüsse blockierte, drohte Peesel mehrmals mit seinem Rücktritt. Düvel setzte den Gesellschaftern schließlich die Pistole auf die Brust. Die Staatsbank kündigte im Oktober alle Kredite an Rollei und stellte sie zum 15. November 1968 fällig. Dem konnte Margot Meyerhoff nichts mehr entgegensetzen. Sie verkaufte ihren Anteil nach langer Ver-

1238 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 1. Juli 1963, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 118. 1239 Margot war bis 1968 mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Rollei-Werke Erich Meyerhoff verheiratet, hatte sich jedoch von diesem scheiden lassen und heiratete später den Direktor der Rheinstahlwerke Klaus Probandt. Sie hatte 1968 auf einer Gesellschafterversammlung gegen die Reinvestition des Gewinns gestimmt und auf einer vollständigen Auszahlung bestanden. 94. Beiratssitzung vom 11. Dezember 1969, S. 28, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 132. 1240 Daraufhin versuchte Margot in der nächsten Gesellschafterversammlung Düvel aus dem Aufsichtsrat abzuwählen. Sie scheiterte jedoch daran, dass die Stimmen ihrer Mutter in einem Vertrag von 1967 für fünf Jahre auf ihren Sohn Horst Franke übergegangen waren. Dadurch konnte ihr Bruder sie überstimmen. „Unschöne Gedanken“, in: Der SPIEGEL, Nr. 47, 17. November 1969, S. 104 f.

5.4 „Banque d’Affaires“: von der Sanierungs- zur Beteiligungspolitik 

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handlung an Heiligabend 1968 an die Staatsbank. Die Beteiligungsgesellschaft der Staatsbank investierte insgesamt 13,3 Millionen DM, um den Anteil von Margot Meyerhoff zu erwerben, eine Kapitalerhöhung durchzuführen und noch 2,7 Millionen DM in die Rücklagen beizusteuern. Dafür besaß sie durch den Erwerb des Anteils und der Kapitalerhöhung insgesamt 60 % des Unternehmens. Der Gesellschaftsvertrag wurde neu gefasst, sodass Rollei zu einer Kapitalgesellschaft umgebaut wurde.1241 Eine für die weitere Geschichte sowohl des Nachfolgeinstitutes der Staatsbank als auch für die Rollei-Werke verhängnisvolle Vereinbarung wurde zwischen dem Direktorium (ohne Düvel), dem Finanzministerium und der Geschäftsführung der Rollei-Werke im Dezember 1969 getroffen. Das Finanzministerium und das Direktorium sicherten Heinrich Peesel drei Dinge zu: „a) Die Staatsbank wird die Wachstumspolitik von Rollei weiterhin unterstützen. b) Die Staatsbank ist bereit, an jeder Kapitalerhöhung teilzunehmen. c) Die Staatsbank wird alle erforderlichen Fremd- und Zwischenfinanzierungen, soweit sie für Investitionen, die dem Ziel a) dienen, bestimmt sind, übernehmen.“1242

Dieser Blanko-Scheck kam die Norddeutsche Landesbank als Nachfolgerin der Staatsbank später noch teuer zu stehen, weil das Unternehmen in einem beispiellosen Expansionskurs bis 1974 500 Millionen DM Schulden angehäuft hatte. Die Norddeutsche Landesbank musste Rollei schließlich in Eigenregie sanieren und in diesem Zusammenhang hohe Verluste in Kauf nehmen.1243 Doch konnten die damals Beteiligten die Dimension der so einfach zugesagten Investitionen noch nicht absehen. Die damals geplanten Investitionen für die Jahre 1970 bis 1972 lagen bei 30 Millionen DM.1244

Die Staatsbank als Unternehmerbank Die Fälle VeKo und Rollei zeigen die neue Dimension der gewerblichen Beteiligungen der Staatsbank seit 1965. Das Institut entwickelte hier keine regionalen Champions mehr, sondern Großbetriebe von nationaler und teils internationaler Bedeutung. 1241 Horst und Ella Frankes Anteil wurde durch die Kapitalerhöhung zurückgesetzt. Horst Franke erhielt jedoch mündlich eine Option zugesichert, den von der Staatsbank erworbenen Anteil seiner Schwester selbst zurückzukaufen oder diesen von einem Dritten erwerben zu lassen. Diese Option wurde in leicht modifizierter schriftlicher Form im Sommer 1969 bekräftigt. Voraussetzung dafür war jedoch, dass die Staatsbank auch nach der Ziehung der Option noch Hausbank der Rollei-Werke bleiben würde. 94. Beiratssitzung vom 11. Dezember 1969, S. 28, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 132; Protokoll der Sitzung des Direktoriums vom 22. Juli 1969, S. 10, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 111. 1242 Protokoll der Sitzung des Direktoriums vom 3. Dezember 1969, S. 3, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 111. 1243 Zur Geschichte der Rollei-Beteiligung nach der Fusion zur Norddeutschen Landesbank 1970 vgl. Wixforth, Vom Ende der Braunschweigischen Staatsbank, S. 882–886. 1244 94. Beiratssitzung vom 11. Dezember 1969, S. 32, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 132

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Rollei und VeKo waren dabei Teil einer neuen Strategie des Staatsbankpräsidenten Carl Düvel. Den Kern dieser neuen Strategie formulierte er 1968 folgendermaßen: „Die Banken können sich nicht damit begnügen, ihr Geschäft in den klassischen Formen abzuwickeln. Wichtig ist es zu begreifen, daß die großen Banken in Deutschland ihre überkommenen Geschäftstätigkeiten kaum mehr erweitern können. Entwicklungschancen haben sie im unternehmerischen Beteiligungsgeschäft. Sie müssen sich wieder zu dem Typ der ‚banque d’affaires‘ entwickeln.“1245 Unternehmensbeteiligungen sollten nicht mehr wie bis dahin als Sonderaufgabe einer öffentlich-rechtlichen Kreditbank verstanden, sondern in das Zentrum der Geschäftstätigkeit gestellt werden. In einer Aufstellung des Direktoriums über alle Industriebeteiligungen aus dem Jahr 1969 ist zu erkennen, wie weit Düvel mit seiner Strategie vor der Fusion bereits gekommen war. Die erste Kategorie umfasste insgesamt sechs Sanierungsbeteiligungen. In der zweiten Kategorie wurden VeKo und Rollei zusammengefasst, weil diese Unternehmen Teil einer offensiven und expansiven Beteiligungsstrategie waren. In der dritten Gruppe waren schließlich die Reste der Privatisierungsaktion inklusive des 50 %-Anteils an den Vereinigten Spanplattenwerken vereinigt. Insgesamt hielt die Staatsbank zu diesem Zeitpunkt 14 Industriebeteiligungen und mehrere gewerbliche Beteiligungen aus anderen Bereichen der Wirtschaft. Der Umsatz dieser Unternehmen wurde für 1969 auf 210 Millionen DM, das Anlagevermögen auf 60 Millionen DM geschätzt. Sie beschäftigten insgesamt 5.000 Mitarbeiter. Die Staatsbank hatte an die Unternehmen insgesamt ein Volumen von 94 Millionen DM an Krediten vergeben, während die Unternehmen wiederum insgesamt 25 Millionen DM an Guthaben bei der Staatsbank unterhielten. In der Handelsbilanz wurde der Wert dieser Beteiligungen mit einem geradezu lächerlich geringen Wert von 225.000 DM angegeben. In der Steuerbilanz lag der Wert dagegen bei knapp 42 Millionen DM, was immerhin mehr als 15 % der Eigenmittel darstellte. Die tatsächliche Höhe der stillen Reserven war zudem noch höher, als in der Steuerbilanz ausgewiesen wurde.1246 Die aus diesen Zahlen hervorgehenden stillen Reserven waren zum einen eine direkte Folge der zu diesem Zeitpunkt sehr erfolgreichen Sanierungs- und Beteiligungspolitik. Andererseits konnte die Staatsbank indirekt von den Sonderabschreibungsregeln im Zonenrandgebiet profitieren, weil die von der Staatsbank finanzierten Investitionen den offiziellen Wert der Unternehmen viel weniger stark steigen ließ als ihren tatsächlichen Wert. Insgesamt war das industrielle Beteiligungsgeschäft der Staatsbank zum Zeitpunkt der Fusion zwar noch kein Schwergewicht in der Bilanz. Die „Banque d’Affaires“, von der Carl Düvel geträumt hatte, zeichnete sich jedoch bereits ab. Insbesondere für die Bildung von Eigenkapital spielten die Beteiligungen bereits eine wichtige Rolle. 1245 Protokoll der 91. Beiratssitzung vom 16. Dezember 1968, S. 9, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 132. 1246 94. Beiratssitzung vom 11. Dezember 1969, S. 10, 14, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 132.

5.4 „Banque d’Affaires“: von der Sanierungs- zur Beteiligungspolitik  367

Bei dem Neuerwerb von Beteiligungen überwog allerdings auch 1969 weiterhin der Gemeinwohlaspekt: „Es werden ferner in unseren grenznahen Gebieten dadurch Arbeitsplätze erhalten und gesichert. Im Vordergrund unserer Entscheidung stand die strukturpolitische Notwendigkeit.“1247 Die Staatsbank durfte neue gewerbliche Beteiligungen also nur dann eingehen, wenn sie ein öffentliches Interesse dafür geltend machen konnte. Das Zonenrandgebiet war dabei als Legitimationsgrundlage weiterhin wirkmächtig. Dies galt selbst bei den Fällen VeKo und Rollei, obwohl diese Fälle ja weit über den Zonenrand hinausgriffen. Die Erzielung von Veräußerungsgewinnen wurde dagegen durch das Eingehen höherer Risiken gerechtfertigt. Dies bezog sich vor allem auf den Zeitpunkt des Verkaufs. Die Staatsbank bekannte sich zwar weiterhin zu dem Grundsatz, Beteiligungen nur auf Zeit einzugehen. Sie bestand jedoch auf der autonomen Wahl des betriebswirtschaftlich optimalen Verkaufszeitpunktes: „Es besteht aber in keinem Fall Anlaß, etwas zu verschenken, daß durch unsere Bereitschaft, größere Risiken zu tragen, wertvoll geworden ist.“1248 Das Eingehen von Beteiligungen war also weiterhin abhängig von einer wirtschaftspolitischen Legitimationsgrundlage. Beim Verkauf konnte die Staatsbank dagegen rein betriebswirtschaftlich kalkulieren. Dies führte jedoch im Endeffekt zu einer kontinuierlichen Verschiebung des Verkaufszeitpunktes. Nach einer erfolgreichen Sanierung sank der Druck zum Verkauf der Beteiligung immer weiter ab. Die Bank konnte auf ein optimales Angebot warten und in der Zwischenzeit von dem sanierten Unternehmen in Form von Gewinnausschüttungen, Kreditnachfrage, Geldanlage und Wertsteigerung profitieren. Wirtschaftlich gesehen war der Verkauf der Beteiligungen nicht notwendig. Die Staatsbank brauchte das Geld nicht. Im Gegenteil war das Geld angesichts des zunehmenden Drucks auf die Zinsspanne in Beteiligungen sehr viel besser angelegt. Betriebswirtschaftlich gesehen war der Verkauf von profitablen Unternehmen fast immer falsch. Daher hatte sich die Staatsbank vom Zeitpunkt der Aufnahme der Beteiligungspolitik bis zur Fusion zwar an immer mehr Unternehmen beteiligt, jedoch fast keines wieder veräußert. Die Aussage, dass die Staatsbank Beteiligungen auf Zeit eingehe, wurde durch die Realität konterkariert. In Wahrheit hatte sich die Staatsbank aus betriebswirtschaftlichen Gründen längst in die Beteiligungen „verliebt“.1249 Die Expansion der Staatsbank bei den gewerblichen Beteiligungen folgte damit einem ähnlichen Muster wie das Kreditgeschäft: Das extensive Wachstum – in diesem Fall der Erwerb neuer Beteiligungen – basierte auf einer auf dem Gemeinwohl gründenden Legitimation, während für das intensive Wachstum – in diesem Fall der

1247 Ebenda, S. 11. 1248 Ebenda, S. 12. 1249 Der Ausdruck stammt von Wilhelm Pleister. Siehe oben, Unterpunkt: Der Fall Salzgitter-Lebenstedt und die Wiederaufnahme der Beteiligungspolitik.

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innere Wertzuwachs der Unternehmen und die Kreditnachfrage – betriebswirtschaftliche Faktoren ausschlaggebend waren. Nur auf politischen Druck hin wurde die Frage des Verkaufs von Beteiligungen überhaupt thematisiert. Im Juli 1969 vollzog Carl Düvel in der Beteiligungspolitik eine für seine Kollegen überraschende Kehrtwende. Er versuchte, das Direktorium zu überreden, die Beteiligung an Rollei wieder aufzugeben. Er fürchtete, dass die Beteiligungspolitik der Staatsbank die Fusion mit der Niedersächsischen Landesbank gefährdete, denn deren Präsident Wilhelm Pleister lehnte die Beteiligungspolitik der Staatsbank nach wie vor ab. Im Beirat der Staatsbank konnte er sich nach dem Umschwenken Kubels in dieser Frage nicht durchsetzen. Bei der Fusion allerdings hatte sein Wort sehr viel mehr Gewicht, zumal er von dem Landesverband der Sparkassen unterstützt wurde. Die Staatsbankdirektoren Nerlich und Sauer lehnten jedoch eine Veräußerung ab, weil die Aufbauphase des Unternehmens noch nicht abgeschlossen sei und die Arbeitsplätze damit weiterhin gefährdet wären.1250 Rollei war nicht der einzige Fall, den Düvel in letzter Sekunde zu verhindern suchte. Er argumentierte auch gegen die geplante Beteiligung an dem ersten ausländischen Konzern: die österreichische Kaufhauskette Gerngroß/Hermansky. Der Staatsbank war ein 25,1 %-Anteil an dem Unternehmen von der General Shopping S. A. in Luxemburg angeboten worden. Düvel riet zur Ablehnung des Angebotes, weil die neue Bank nicht für solche Geschäfte konzipiert worden sei: „Der Erwerb der angebotenen Beteiligung würde zwar im Interesse der Staatsbank sein und in ihre bisherige Geschäftspolitik passen, nicht jedoch in die geplante Geschäftspolitik der künftigen Niedersachsenbank. […] Im Hinblick auf die Dauer der Beteiligungsnahme würde sich der Vorstand der Bank erheblichen Vorwürfen aussetzen, wenn er zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch eine Beteiligung dieses Umfanges einginge.“1251 Auch in diesem Fall war die Fusion der offizielle Grund für die Ablehnung. Einige Monate später jedoch offenbarten sich Düvels wahre Interessen. Er nahm Urlaub, zog nach Stuttgart um und nahm zum 1. Oktober 1969 bei der Allianz Lebensversicherung eine Beschäftigung auf. Dass er seinem neuen Arbeitgeber einige Geschenke in Form von Beteiligungen mitbringen wollte, kann man an der ungewöhnlichen Maßnahme des Finanzministeriums erkennen, das einen Verkauf der Anteile von Rollei an die Allianz grundsätzlich verbot. Düvels Warnung schien damit als Trick entlarvt. Ohnehin hatte er den Verkauf der Anteile nicht aus wirtschaftlichen, sondern aus politischen Gründen vorgeschlagen. Ein Bestehen etwa des Ministeriums auf der Abwicklung der gewerblichen Beteiligungen vor der Fusion hätte der Norddeutschen Landesbank später viele Probleme erspart. Doch war Minister Alfred Kubel weder willens noch in der Lage, eine solche Forderung durchzusetzen. Er besaß nicht die Legitimation dazu, weil die Staatsbank 1250 Protokoll der Sitzung des Direktoriums vom 22. Juli 1969, S. 11, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 111. 1251 Ebenda, S. 8.

5.5 „Hecht im Karpfenteich?“ 

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die Interessen des Zonenrandgebietes vertrat. Solange die Staatsbank glaubhaft versichern konnte, dass sie im Interesse der Region handelte, konnte Kubel der Bank das Beteiligungsgeschäft nicht verbieten. Zudem befürwortete er jedoch auch den Kurs der Staatsbank, weil die Privatisierung der Niedersachsen GmbH die Nützlichkeit einer landeseigenen Unternehmerbank gezeigt hatte. So brachte die Staatsbank in die Fusion 1970 ein kleines über 15 Jahre entwickeltes Industrie-Imperium mit ein. Gegenüber dem Banken-Imperium, das sie gleichzeitig entwickelt hatte, verblassten die gewerblichen Beteiligungen allerdings.

5.5 „Hecht im Karpfenteich?“ Der Durchbruch im überregionalen Kreditgeschäft In den vorherigen Kapiteln wurde die Expansion der Staatsbank innerhalb des regionalen Zuschnitts des Instituts untersucht. Dort hatte die Staatsbank die Legitimation der Expansion selbst mitgestalten können. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre jedoch entwickelte die Staatsbank außerhalb ihres Geschäftsbereichs neue Geschäftsfelder, in denen dieser Vorbehalt nicht mehr galt. Axel Decroll hat in seiner Untersuchung der Geschichte der beiden Vorgänger der heutigen Bayern LB eine interessante Metapher gebraucht: „Während das geschäftspolitische Standbein aufgrund der öffentlich-rechtlichen Struktur fest auf dem Boden des Freistaates stand, war das Spielbein in zunehmendem Maße auf die nationalen und internationalen Märkte ausgerichtet, was zu einer fortschreitenden Auflockerung der einstmals strikten geschäftspolitischen Bindung an das bayerische Territorium führte.“1252 Das „Spielbein“ der Braunschweigischen Staatsbank entwickelte sich ab der Mitte der 1950er Jahre. Von diesem Zeitpunkt an vergab die Staatsbank zum ersten Mal seit der „Ostfalen-Aktion“ 1934 in großem Maßstab Kredite außerhalb ihres Geschäftsgebietes. Die Bedingungen auf dem nationalen Kreditmarkt unterschieden sich dabei sehr stark von denen im Zonenrandgebiet. Dies gilt insbesondere für die Legitimation der Geschäftstätigkeit öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute.

Die Debatte um Wettbewerb und Wettbewerbsverzerrungen im Kreditwesen Die in den 1920er Jahren entbrannte Debatte über die bankmäßige Entwicklung der Sparkassen war nach der Verabschiedung des Kreditwesengesetzes 1934 zunächst verstummt. Die weitgehende Regulierung des Bankensektors hatte dazu geführt, dass es insgesamt relativ wenige Konfliktpunkte zwischen öffentlichen und privaten Banken gab. Durch die Währungsreform 1948 und die damit einhergehende Vernichtung der Spareinlagen verloren die Sparkassen zudem vorübergehend ihre führende 1252 Decroll, Die 1960er Jahre, S. 243.

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Stellung im Kreditwesen. Schließlich trugen auch die staatlichen Eingriffe in den Kredit- und Kapitalmarkt dazu bei, den Wettbewerb zwischen den Institutsgruppen weitgehend zu unterbinden. Erst gegen Ende der 1950er Jahre begann die Debatte um die Rechtmäßigkeit der öffentlichen Konkurrenz von neuem. Die Ursache für das erneute Aufflammen der Auseinandersetzung war der Wiederaufstieg der Sparkassen, die mehr als die anderen Kreditinstitute von den stark steigenden Spareinlagen in der Bundesrepublik profitieren konnten. Auslöser für die neue Debatte war die geplante Neufassung des Kreditwesengesetzes, das 1961 verabschiedet wurde.1253 Der Deutsche Genossenschaftsverband Schulze-Delitzsch hatte im Juni 1960 eine Denkschrift an den Wirtschaftsausschuss des Bundestages sowie an das Wirtschafts- und Finanzministerium versandt, in der der Verband die Beseitigung aller Privilegien der Sparkassen forderte, weil diese den Wettbewerb unter den Kreditinstituten verzerren würden.1254 Mit den Privilegien waren vor allem die partielle Steuerfreiheit der Sparkassen und die staatliche Haftung gemeint. In das Kreditwesengesetz selbst fand die Frage der möglichen Wettbewerbsverzerrungen jedoch keinen Eingang mehr.1255 Um der Wettbewerbsdebatte dennoch einen formalen Rahmen zu geben, forderte der Bundestag die Bundesregierung auf, die Wettbewerbssituation im Kreditwesen in einer separaten Kommission zu untersuchen.1256 Die sogenannte Wettbewerbs-Enquete-Kommission der Bundesregierung, die 1961 zur „Untersuchung von Wettbewerbsverschiebungen im Kreditgewerbe“ eingesetzt worden war, legte ihren Bericht jedoch erst 1968 vor. In der Zwischenzeit konnte sich die Wettbewerbsdebatte voll entfalten. Ihr Schwerpunkt hatte sich dabei gegenüber den 1920er Jahren verschoben. Die privaten und genossenschaftlichen 1253 Vgl. zur Genese der Neufassung des Kreditwesengesetzes, allerdings aus rechtswissenschaftlicher Sicht und mit dem Schwerpunkt auf der Frage der Aufsicht: Georg, Jasper Ritter von, Die Entstehung des Kreditwesengesetzes von 1961. Unter besonderer Berücksichtigung der zentralen Aufsicht über die Kreditinstitute durch das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, Frankfurt am Main 2013. 1254 Vgl. zu dem Hergang: Deutscher Bundestag, Bericht der Bundesregierung über die Untersuchung der Wettbewerbsverschiebungen, S. II. 1255 Das Gesetz enthielt nur wenige Bestimmungen, die die Privilegien der Sparkassen betrafen. So konnten die Sparkassen die staatliche Haftung nicht mehr auf ihr Eigenkapital anrechnen, wie dies noch 1934 möglich gewesen war. Deutscher Bundestag, Bericht der Bundesregierung über die Untersuchung der Wettbewerbsverschiebungen, S. 49. Faktisch wurden die Eigenkapitalvorschriften erst durch die Novellierung der Kreditgrundsätze von 1964 deutlich verschärft, weil nun die Realkredite in die Berechnung des Mindestkapitals mit einbezogen wurden. Vgl. Kapitel 5.1, Unterkapitel: Die Entwicklung des Eigenkapitals und der Rentabilität der Staatsbank. 1256 Drucksache 03/2563, Schriftlicher Bericht des Wirtschaftsausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über das Kreditwesen – Drucksache 1114 – und den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Zinsen, sonstige Entgelte und Werbung der Kreditinstitute – Drucksache 884 – vom 1. März 1961, S. 2, Parlamentsdokumentation online, URL: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/03/025/0302563.pdf (zuletzt besucht am 13. Mai 2020).

5.5 „Hecht im Karpfenteich?“ 

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Banken akzeptierten im Prinzip den Wettbewerb mit den öffentlichen Kreditinstituten. Sie kritisierten lediglich die wettbewerbsverzerrende Wirkung der Privilegien der öffentlichen Kreditinstitute.1257 An der Auseinandersetzung beteiligte sich mit Carl Düvel auch ein Mitglied des Direktoriums der Staatsbank an prominenter Stelle. Er führte eine Debatte mit Hans Christoph Freiherr von Tuchern, einem Vorstandsmitglied der Vereinsbank. Tuchern hatte den Sparkassen 1962 vorgeworfen, ihre Privilegien hinter dem weitgehend sinnentleerten Begriff der Gemeinnützigkeit vor Kritik zu schützen: „Durchsichtig und zerbrechlich wie ein Glassturz über einem empfindlichen Gegenstand beschützt das bloße Wort Gemeinnützigkeit auch heute noch das Sparkassensystem vor dem frischen Wind des freien Wettbewerbs. Die Sprecher der Sparkassen sind auf der Suche nach einem neuen Inhalt für den überkommenen Begriff, denn er ist in Gefahr, zum leeren Tabu zu werden.“1258 Tuchern bezweifelte, dass es der Sparkassenorganisation gelang, eine tragfähige neue Definition für gemeinnütziges Handeln zu finden, weil es seiner Meinung nach keine mehr gab. Carl Düvel schrieb im folgenden Jahr eine Erwiderung auf Tuchern.1259 Er spitzte die Debatte ebenfalls auf die Frage zu, ob die Gemeinwohlorientierung im Kreditwesen ganz abgeschafft oder aber grundsätzlich erhalten werden sollte. Die Abschaffung der Privilegien der öffentlichen Banken musste Düvel zufolge unweigerlich dazu führen, dass diese eine gemeinwohlorientierte Geschäftsführung zugunsten einer gewinnorientierten aufgeben würden, weil sie sonst im Wettbewerb nicht bestehen könnten.1260 An dem Fortbestehen der Privilegien hing also nicht die Existenz der öffentlichen Kreditinstitute, jedoch die Existenz der Gemeinwohlorientierung im Kreditwesen. Die Existenz gemeinwohlorientierter Kreditinstitute war für ihn jedoch aus drei Gründen legitim und notwendig. Als ersten Grund führte Düvel die massiven staatlichen Regulierungen im Kreditwesen auf, die einen wirklichen Wettbewerb 1257 Schulz, Sparkassen, S. 305 f. 1258 Tuchern, Hans Christoph Freiherr von, Am Vorabend der Wettbewerbs-Enquete, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Jg. 1962, Heft 23, S. 7 f. 1259 Düvel, Carl, Die Konkurrenz-Position der ‚Öffentlichen‘, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Jg. 1963, Nr. 8, S. 8–11. 1260 Die Abschaffung der Steuerprivilegien hätte neben einer Umverteilung innerhalb des Staates vor allem zur Folge, dass der Eigenkapitalaufbau der Sparkassen eingeschränkt werden würde. Die Sparkassen hatten sich wie die Staatsbank ihr Eigenkapital seit 1948 durch den Einbehalt von Gewinnen selbst verdient. Die Abschaffung der Privilegien und die damit verbundene Gewinnschmälerung bei den Sparkassen müsste aufgrund der Eigenkapitalanforderungen des KWG entweder dazu führen, dass die Kommunen den Sparkassen mehr Eigenkapital zur Verfügung stellen oder die Sparkassen ihr Geschäft einschränken müssten. Da beide Optionen unwahrscheinlich waren, konnte die Lösung nur sein, dass die Sparkassen sich Eigenkapital von privaten Investoren besorgen mussten. Um für diese attraktiv zu sein, hätten die Sparkassen das gleiche erwerbswirtschaftliche Prinzip anwenden müssen wie die privaten Banken und könnten so nicht mehr ihrem öffentlichen Auftrag gerecht werden. Ebenda, S. 8 f.

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unter den Banken unterbanden. Zweitens prognostizierte er eine Austrocknung des Klein- und Mittelstandskredits.1261 Drittens führte Düvel die öffentlich-rechtlichen Banken als Gegenkraft zu einem immer stärkeren Konzentrationsprozess im Bankwesen an.1262 Die Wettbewerbsdebatte spitzte sich letztlich auf die Frage zu, ob noch ein öffentlicher Auftrag existierte, der die Existenz staatlicher Kreditinstitute rechtfertigen konnte. Noch vor Erscheinen des Berichtes der Wettbewerbskommission hatte die Regierung 1967 bereits eine Vorentscheidung in dieser Frage getroffen. Sie schaffte die partielle Steuerfreiheit der Sparkassen ab und legte für die Institute einen Körperschaftssteuersatz von 35 % fest (für private Banken lag er bei 49 %).1263 Als Begründung führte die Regierung an, dass die Förderung des Sparwillens, auf die sich die bisherige Steuerbefreiung der Sparkassen im Wesentlichen bezog, bereits seit längerem durch direkte staatliche Maßnahmen wie die Gewährung von Sparprämien ausreichend gefördert würde. Da diese Maßnahmen im Gegensatz zur Förderung der Sparkassen wettbewerbsneutral waren, wurde der direkten Sparförderung der Vorzug gegenüber der steuerlichen Subvention des Sparkassensektors gegeben.1264 Damit hatte der Staat bereits die Ergebnisse der Wettbewerbs-Enquete vorweggenommen. Als der Bericht der Enquete-Kommission schließlich 1968 erschien, wurde die Rechtmäßigkeit des öffentlich-rechtlichen Status der Sparkassen zwar grundsätzlich noch bejaht. Die Versorgung der einkommensschwachen Bevölkerung, die Kreditversorgung mittelständischer Unternehmen und die Aufrechterhaltung einer staatlichen Grundkapazität im Kreditwesen wurden zu den weiterhin existierenden öffentlichen Aufgaben im Kreditwesen gezählt. Allerdings konstatierte die Bundesregierung, dass durch die Expansion des Sparkassensektors in immer mehr Geschäftsbereiche die Abgrenzung des gemeinnützigen vom gewinnorientierten Geschäft zunehmend unmöglich wurde: „Gemeinnützige Momente, also Tätigkeiten mit echtem

1261 Laut Düvel stiegen im Kreditgeschäft die fixen „Produktionskosten“ nicht mit dem Volumen von Krediten. Die Verwaltungskosten von Großkrediten waren ähnlich hoch wie die von Kleinkrediten. Somit müssten in einer Marktwirtschaft die Zinsen für Kleinkredite um ein Vielfaches höher sein als von Großkrediten, um die viel höheren Kosten auszugleichen. Da für Kredite Höchstgrenzen bei den Zinsen existierten, hätten erwerbswirtschaftliche Unternehmen kein Interesse an deren Vergabe. Ebenda, S. 10. 1262 Er begründete die Konzentrationsbewegung mit dem Argument, dass es im Sinne des Erwerbsprinzips keine natürliche Grenze im Wachstum von Banken gebe: je größer, je besser. Die daraus hervorgehende immer stärkere Konzentration konnte nur verhindert werden, wenn Unternehmen existieren, die nicht dem Erwerbsprinzip unterliegen. Ebenda, S. 10 f. 1263 Ab 1969 mussten die Sparkassen Vermögenssteuer zahlen, allerdings wiederum nur 70 % des Normalsatzes. Die Vergünstigung bei der Gewerbesteuer blieb bestehen. Diese Privilegien wurden erst 1981 und 1982 vollständig abgebaut. Schulz, Sparkassen, S. 340 f. 1264 Deutscher Bundestag, Drucksache 05/2087, Entwurf eines Gesetzes zur Verwirklichung der mehrjährigen Finanzplanung des Bundes, I. Teil. Zweites Steueränderungsgesetz 1967, vom 1. September 1967, S. 9, Parlamentsdokumentation online, URL: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/05/ 020/0502087.pdf (zuletzt besucht am 13. Mai 2020).

5.5 „Hecht im Karpfenteich?“

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Förderungscharakter, wurden in wachsendem Maße von erwerbswirtschaftlichen Erwägungen überlagert.“1265 Weil eine Abgrenzung nicht mehr möglich war, konnte auch bei der Besteuerung diese Unterscheidung nicht mehr getroffen werden. Die Frage war daher, ob der noch bestehende Bedarf an gemeinnützigen Kapazitäten im Kreditwesen Steuerprivilegien insgesamt rechtfertigte. Die Kommission war zu dem Schluss gekommen, dass dies nicht mehr der Fall war. Gestand die Kommission in ihrem Bericht den Sparkassen noch eine gewisse gemeinnützige Tätigkeit zu, sah sie bei den Staatsbanken keinerlei Berechtigung für die steuerliche Privilegierung mehr. Die Staatsbanken waren von der Besteuerung ihres sogenannten „Staatsgeschäftes“ ausgenommen. Die Braunschweigische Staatsbank gab immerhin fast ein Viertel ihres Bilanzvolumens als Staatsgeschäft an, das damit steuerfrei blieb.1266 Der Bericht der Enquete-Kommission ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass dieses Steuerprivileg abgeschafft werden würde, weil es den Wettbewerb verzerrte.1267 Für die öffentlich-rechtlichen Banken war das Ergebnis der Wettbewerbsdiskussion widersprüchlich. Betriebswirtschaftlich stellte sich die Frage, ob die restlichen Privilegien Beschränkungen in der Geschäftstätigkeit, die mit dem öffentlich-rechtlichen Status einhergingen, noch rechtfertigten. Im Sinne des Selbstverständnisses der öffentlichen Banken stellte sich die existentielle Frage, welchem übergeordneten Ziel die staatlichen Banken des Sparkassensektors eigentlich dienen sollten. Eine mögliche Antwort auf beide Fragen gab Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller 1969 auf dem Sparkassentag in Karlsruhe. Er forderte die Sparkassen und Landesbanken auf, den Wettbewerb mit den anderen Kreditinstituten zu suchen und sich nicht auf ihren öffentlich-rechtlichen Status zurückzuziehen. Er betonte im Gegenteil, dass die Gemeinwohlorientierung der Institute zur Dynamisierung des Wettbewerbs beitrug.1268 Schiller bot den Sparkassen und Landesbanken damit eine Neuinterpretation ihrer Legitimationsbasis an, die den Wettbewerb mit den anderen Instituten von einem notwendigen Übel zum eigentlichen Zweck der staatlichen Institute aufwertete. Der realpolitische Hintergrund für Schillers Neuinterpretation war die Aufhebung der Zinsbindung im Jahr 1967. Die öffentlichen Banken sollten als „Hecht im Karpfenteich“ in den Konditionenwettbewerb mit den privaten Banken eintreten, 1265 Ebenda, S. 132. 1266 Darin waren sowohl Kredite an das Land Niedersachsen bzw. die Übernahme von Staatspapieren als auch die Kreditvergabe unter Bürgschaft des Landes oder die Vermittlung von Landesmitteln. Letztere dürften die direkten Staatsgeschäfte bei Weitem überragt haben. Deutscher Bundestag, Bericht der Bundesregierung über die Untersuchung der Wettbewerbsverschiebungen, S. 112, 114. 1267 Ebenda, S. 119. 1268 Schiller, Karl, Rationalität auf dem Vormarsch. Auf dem Sparkassentag am 23. April 1969 in Karlsruhe, in: ders., BMWI Texte, Reden zur Wirtschaftspolitik 6, Bonn 1970, S. 107–124, S. 118.

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um einen Wettbewerbszins im Kreditgeschäft sicherzustellen.1269 Dies war den Sparkassen und Girozentralen deshalb möglich, weil die Refinanzierung über Sparguthaben günstiger war als die Refinanzierung bei der Bundesbank.1270 Mit seinen Forderungen zu mehr Wettbewerb im Kreditwesen knüpfte Schiller an die Debatte um die Macht der Banken an, die Ende der 1960er Jahre in Deutschland neu entfacht wurde. Ihren Ausgangspunkt hatte sie in der Rezeption der Thesen Andrew Shonfields, der mit seinem Werk „Modern Capitalism“ die Frage nach der Macht der Großbanken im deutschen Wirtschaftssystem aufgeworfen hatte.1271 In der Debatte wurde der Sparkassenorganisation und speziell den Landesbanken die größten Chancen eingeräumt, eine wirksame Konkurrenz zu den Großbanken aufzubauen.1272 Allerdings gab es innerhalb der Sparkassenorganisation starke Widerstände gegen den neuen Wettbewerbskurs. Schiller unterstützte mit seiner Rede in Karlsruhe die progressiven wettbewerbsorientierten Kräfte gegen die Traditionalisten innerhalb der Sparkassenorganisation: „Das Sparkassenbuch war damals, als es eingeführt wurde, ein fast revolutionärer Akt. Die Sparkassen haben schon damit bewiesen, daß sie neue Wege gehen können. Sie sind – um mit Schumpeter zu sprechen – ‚dynamische Unternehmer‘ von zugleich sozialpolitischer Verantwortung. Bleiben Sie das bitte auch in Zukunft.“1273 Zu diesen „dynamischen“ Unternehmern gehörte in erster Linie eine Gruppe jüngerer und ehrgeiziger Bankvorstände, die das bisherige Verständnis des öffentlichen Auftrags eher als Fessel denn als Schutz empfanden. An erster Stelle stand dabei der 1967 neu gewählte Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes Ludwig Poullain.1274 Poullain kam die Forderung Karl Schillers nach mehr Wettbe1269 Seikel, Daniel, Der Kampf um öffentlich-rechtliche Banken. Wie die Europäische Kommission Liberalisierung durchsetzt, Frankfurt am Main; New York 2013, S. 108. Eines der Argumente gegen die Aufhebung der Zinsbindung war die Sorge um die Effektivität der Zinspolitik der Bundesbank, weil der Staat danach keinen direkten Einfluss mehr darauf hatte, ob die Zinsvorgaben der Notenbank von den Banken weitergegeben wurden. Paul, Stephan, Die Aufhebung der Zinsverordnung 1967. Die Kreditwirtschaft kommt in der Marktwirtschaft an, in: Lindenlaub, Dieter; Burhop, Carsten; Scholtyseck, Joachim (Hg.), Schlüsselereignisse der deutschen Bankengeschichte, Stuttgart 2013, S. 375–386, S. 378. 1270 Daher forderte die Sparkassenorganisation bereits seit 1961 die Freigabe der Zinsen. Schulz, Ende des Zweiten Weltkriegs, S. 337. 1271 Shonfield, Modern Capitalism. Zur Debatte über die Macht der Banken vgl. Sattler, Friederike, Bewusste Stabilisierung der Deutschland AG? Alfred Herrhausen und der Diskurs über die Macht der Banken, in: Ahrens; Gehlen; Reckendrees (HG.), Deutschland AG, S. 221–246. 1272 „Die Omnipotenten“, in: Der SPIEGEL, 4/1971, 18. Januar 1971, S. 38–55. 1273 Schiller, Auf dem Sparkassentag, S. 120. 1274 Der Wechsel an der Spitze wurde begleitet von weiteren Umbesetzungen auf der Führungsebene. Belvederesi-Kochs, Rebecca, Von der „moralischen Anstalt“ zum vertriebsorientierten Finanzdienstleiter. Der unternehmenskulturelle Wandel des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands im Spiegel seiner Marketingstrategie, in: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, Bd. 53 (2008), Nr. 1, S. 192–215, S. 205 f.

5.5 „Hecht im Karpfenteich?“ 

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werb rückblickend geradezu wie eine Erlösung vor: „Was haben wir uns gequält, diesen öffentlichen Auftrag richtig zu interpretieren! […] Es gab eine ebenso einfache wie richtige Interpretation: Der öffentliche Auftrag an die Landesbanken und Sparkassen war, Wettbewerb zu produzieren und dies auf allen Ebenen; die Sparkassen gegen die Banken in den Geschäften am Ort des Geschehens und die Landesbanken bei den Konsortien und anderen Monopolen der Großen.“1275 Poullain setzte seinen Plan praktisch um, indem er 1969 die beiden Landesbanken Nordrhein-Westfalens zur Westdeutschen Landesbank fusionierte. Dieses neue Institut war bei seiner Gründung gemessen an der Bilanzsumme die größte deutsche Bank!1276 Poullain war nicht der einzige unter den Landesbankchefs mit großen Ambitionen. Weitere Personen aus der neuen Generation der Führungskräfte waren Wilhelm Conrad, der 1964 Vorstandsvorsitzender der Hessischen Landesbank wurde, sowie sein Nachfolger Wilhelm Hankel. Die beiden hatten den Ehrgeiz, die Hessische Landesbank nach dem Vorbild von Poullains West LB zu einer Großbank umzubauen, die in den Wettbewerb mit den Großbanken eintreten konnte.1277 Gerhard Tremer, der als Vorstand der Bayerischen Landesbodenkreditanstalt die Fusion zur Bayerischen Landesbank 1972 entscheidend vorantrieb, gehörte ebenfalls dazu.1278 Nicht zuletzt zählte auch Carl Düvel zu dem Kreis der „dynamischen Unternehmer“. Er wurde 1967 zum neuen Präsidenten der Braunschweigischen Staatsbank ernannt. Düvel hatte die neue Wettbewerbsdoktrin Schillers bereits vor dessen Amtsantritt zum Bundeswirtschaftsminister verinnerlicht. Die Einführung der Steuerpflicht für Sparkassen 1967 sah er als Auftakt zur vollständigen Abschaffung des öffentlichrechtlichen Kreditwesens an. Düvel plädierte stattdessen für eine Art Vorwärtsverteidigung, um vom „verteilbaren Kuchen“ –womit er vor allem die großen Industrieund Handelskonzerne meinte – noch etwas abzubekommen.1279 Gegen diese Neuausrichtung der Ziele regte sich jedoch Widerstand im Beirat der Staatsbank, vor allem vom Präsidenten der Niedersächsischen Landesbank Wilhelm Pleister und des Präsidenten des Niedersächsischen Sparkassen- und Giro1275 Poullain, Ludwig, Tätigkeitsbericht, Seewald 1979, S. 80, zitiert nach: Daniel Seikel, Der Kampf um öffentlich-rechtliche Banken. Wie die Europäische Kommission Liberalisierung durchsetzt, Frankfurt a. M. 2013, S. 116. 1276 Niedersachsen Dienst, Jg. 1969, Folge 10 vom 25. September 1969, S. 3, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 357/2. Die Westdeutsche Landesbank ging aus der Fusion der Westfälischen Landesbank in Münster und der Rheinischen Girozentrale und Provinzialbank in Düsseldorf hervor. 1277 Wilhelm Hankel war vor der Übernahme der Leitung der Bank im Bundeswirtschaftsministerium für den Bereich Geld und Kredit zuständig und arbeitete dort eng mit Minister Schiller zusammen. Conrad und Hankel waren zusammen für die starke Expansion des Kreditgeschäftes ihres Institutes und damit für die Ursache des Helaba-Skandals verantwortlich. Vgl. „Landesbanken. Kaum zu bremsen“ in: Der SPIEGEL 46/1974, 11. November 1974, S. 81–84, S. 82. 1278 Bei dieser Fusion hatte Ludwig Poullain als Berater mitgewirkt. Axel Decroll. Die 1960er Jahre, die Fusion und die Entwicklung der Bayerischen Landesbank 1960–2005, in: Bähr; Decroll; Gotto, Bayern LB, S. 211–305, S. 253 f. 1279 Ebenda, S. 14.

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verbandes Otto Müller. Pleister und Müller gehörten zu jenen Mitgliedern der Sparkassenorganisation, die der neuen Richtung skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden. Die Anhänger einer traditionellen, selbstgenügsamen und erzieherisch tätigen Sparkasse waren von der Generation Poullain zwar Ende der 1960er Jahre in den Hintergrund gedrängt worden, jedoch keineswegs verschwunden. Vor allem Wilhelm Pleister hatte sich gegenüber Düvel als Bewahrer des traditionellen Sparkassengedankens positioniert. Er war gegen eine Neuausrichtung der Geschäftspolitik öffentlich-rechtlicher Banken und hielt den Eintritt in ein Konkurrenzverhältnis zu den privaten Großbanken für falsch: „Er [Pleister] warnt davor, die Geschäftsbanken, insbesondere die Großbanken, durch eine aggressive Geschäftspolitik zu provozieren. Der Verlust sämtlicher Privilegien, u. U. sogar die Eigenschaft als öffentlichrechtliche Körperschaft, könne die Folge sein.“1280 Düvel hielt dem entgegen, dass die verbliebenden Privilegien ohnehin bald abgeschafft werden würden und die öffentlichen Kreditinstitute sich besser darauf einstellen sollten, indem sie ihre Geschäftspolitik auf den Wettbewerb mit den privaten Banken ausrichteten. Die Staatsbank entwickelte bei ihrer Expansion außerhalb Braunschweigs bereits seit den 1950er Jahren Konzepte und Strategien für eine solche Geschäftspolitik.

Der Beginn der überregionalen Kreditfinanzierung in den 1950er Jahren Wie aus Abbildung 7 ersichtlich wird, hatte die Zahl der im Kreditausschuss besprochenen Kredite der Staatsbank an auswärtige Unternehmen 1955 einen ersten Höhepunkt erreicht. In diesem Jahr versuchte die Staatsbank zum ersten Mal seit 1934, aus der Enge ihres Geschäftsgebietes auszubrechen. Die Staatsbankführung hatte diesen Schritt bereits seit 1954 intensiv vorbereitet. Sie nutzte dazu ein Kreditgesuch der Norddeutschen Homogen GmbH in Triangel bei Gifhorn, die zur landeseigenen Holding, der Niedersachsen GmbH, gehörte. Das Unternehmen hatte ein sogenanntes Arbeitsplatz-Darlehen aus dem ZonengrenzlandProgramm des Bundes beantragt und brauchte bis zur Bewilligung eine Zwischenfinanzierung. Die Niedersächsische Landesbank hatte sich zuvor geweigert, den Kredit ohne Landesbürgschaft zu gewähren, während das Land sich geweigert hatte, die Bürgschaft zu stellen. Die Staatsbank dagegen wollte den Kredit auch ohne Bürgschaft vergeben. Der Grund wurde auf der betreffenden Kreditausschusssitzung offen ausgesprochen: „Der Betrieb liegt außerhalb unseres Arbeitsbereiches. Sofern wir dieses Engagement mit ausdrücklicher Zustimmung bzw. auf Veranlassung der Niedersächsischen Landesbank übernehmen, beabsichtigen wir, die Frage der engen regionalen Abgrenzung unseres Arbeitsgebietes anhand dieses Vorganges

1280 Protokoll der 90. Beiratssitzung vom 8. April 1968, S. 14f, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 132.

5.5 „Hecht im Karpfenteich?“ 

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grundsätzlich aufzugreifen, um in einer neuen Vereinbarung zu einer den wirtschaftlichen Verhältnissen besser gerecht werdenden Lösung zu kommen.“1281

Abb. 8: Zahl der im Kreditausschuss besprochenen auswärtigen Kreditfälle Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Kreditausschussprotokolle der Braunschweigischen Staatsbank

Die Staatsbankführung wollte also mittels der Kreditvergabe die Verordnung des Reichswirtschaftsministers von 1937 aufweichen, nach der ihr die Geschäftstätigkeit außerhalb des damals genau abgegrenzten Bereichs untersagt war. Bei ihrem ersten Expansionsversuch 1955 verzichtete sie dabei auf Alleingänge. Die Kredite an auswärtige Unternehmen kamen hauptsächlich in Kooperation mit anderen Banken zustande. Sie betrafen den Import von Getreide und hatten im Februar 1955 ein genehmigtes Gesamtvolumen von knapp 33 Millionen DM.1282 Zum Vergleich: Das Gesamtvolumen der neu genehmigten kurzfristigen Bar- und Wechselkredite betrug 1954 etwa 50 Millionen DM.1283 Der Grund für diesen relativ unvermittelten Einstieg in den internationalen Getreidehandel war laut Werner Nickel ein kurzfristiger Liquiditätsüberschuss von 30 Millionen DM im langfristigen Geschäft.1284 Dieser Überschuss war durch den ungeahnten Erfolg der Staatsbank auf dem Kapitalmarkt im Jahr 1954 1281 Protokoll der Kreditausschusssitzung am 3. März 1954, S. 6f, in: NWA 5, Zg 6/2007 Nr. 90. 1282 Besonders ein Geschäft mit der Berliner Bank fiel hier auf. Die Staatsbank beteiligte sich zu 50 % an elf Importkrediten der Berliner Bank an ausländische Unternehmen und Kommunen im Gesamtwert von 12,5 Millionen DM. Dazu kamen noch drei von der Frankfurter Bank und zwei von kleineren Privatbanken vermittelte Getreide-Importkredite mit einem Gesamtvolumen von knapp zwölf Millionen DM sowie einen acht Millionen DM schweren Kredit an die „Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel“. Protokoll der Kreditausschusssitzung am 11. Februar 1955, S. 2f, in: NWA 5, Zg 6/2007 Nr. 134. 1283 Protokoll der 60. Beiratssitzung vom 22. April 1955, S. 3, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 91. 1284 Ebenda, S. 5.

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hervorgerufen worden, wo sie durch den Verkauf von Pfandbriefen und Kommunalschuldverschreibungen fast 50 Millionen DM eingenommen hatte.1285 Hier zeigte sich zum ersten Mal der Zusammenhang zwischen Erfolgen auf dem Kapitalmarkt und der überregionalen Kreditvergabe. Die Mittel aus dem Verkauf von Schuldverschreibungen konnten zeitnah nicht vollständig im langfristigen Geschäft untergebracht werden, das Gleiche galt für die Bankeinlagen, die Spareinlagen und die langfristigen Darlehen. Deshalb benötigte die Staatsbank andere Möglichkeiten, um dieses Geld kurzfristig unterzubringen. Der Liquiditätsüberschuss der Kapitalmarktmittel und der Spargelder sammelte sich ebenso wie die liquiden Mittel der Zweigkassen der Staatsbank bei der Hauptbankkasse in Braunschweig. Diese hatte nun die Aufgabe, die Gelder kurzfristig und möglichst profitabel anzulegen. Der Getreidehandel war dafür eine lukrative Möglichkeit, vor allem, weil neben dem Zins auch noch Devisenprovisionen gezahlt wurden.1286 Diese Provisionen waren dabei ein Ausgleich für das Risiko von Fremdwährungsgeschäften. Sie fielen nicht unter das Zinsabkommen. Die Getreide-Geschäfte waren damit lukrativ aber auch risikoreich. Dieses Risiko war dem damaligen niedersächsischen Finanzminister Alfred Kubel zu hoch: „Die Geschäftsleitung der Bank muß immer von dem Grundsatz ausgehen, daß es nicht das Hauptziel ist, eine große Rendite zu erwirtschaften und sich in risikoreiche Geschäfte einzulassen.“1287 Werner Nickel beschwichtigte die Kritik, indem er den Beiratsmitgliedern versicherte, dass die Staatsbank nur vertretbare Risiken eingehe und die betreffenden Kredite dem Kreditausschuss vorlege. Das Motiv der Staatsbank nannte er schließlich auch: „Andererseits muß das Direktorium bei seiner Geschäftspolitik beachten, daß wir in Konkurrenz mit den Großbanken und den Genossenschaftsbanken stehen und daher alle Anstrengungen unternehmen müssen, um nicht aus dem Geschäft gedrängt zu werden.“1288 Die neuen Geschäfte waren aufgrund des möglichen Profits zwischen den Wettbewerbern umkämpft. Wollte die Staatsbank hier mithalten, konnte sie nicht auf besonderen Sicherungsvorschriften beharren, die das Risiko minimiert hätten. Sie musste sich den auf den jeweiligen Märkten üblichen Konditionen anpassen. Genau diesen Zusammenhang durchbrach Minister Kubel jedoch mit seiner Kritik, weil er nicht einsah, warum die Staatsbank überhaupt nach hoher Rendite stre-

1285 Geschäftsbericht der Braunschweigischen Staatsbank für das Jahr 1956, Braunschweig 1957, S. 12. 1286 Protokoll der Kreditausschusssitzung am 11. Februar 1955, S. 4, in: NWA 5, Zg 6/2007 Nr. 134. Bei einem Zinssatz von sechs Prozent für normale Pfandbriefe im Jahr 1955 war die Marge tatsächlich klein. Profitabel wurde das Geschäft also allein durch die Provisionen. Zum Zinssatz für Pfandbriefe: Beckers, Kapitalmarktpolitik, S. 371. Auf dem Geldmarkt hätte die Staatsbank allerdings maximal die Hälfte des Zinses bekommen. Insofern war der Getreidehandel die weitaus bessere Alternative. Deutsche Bundesbank (Hg.), Deutsches Bankwesen in Zahlen, S. 282. 1287 Ebenda, S. 5. 1288 Ebenda.

5.5 „Hecht im Karpfenteich?“ 

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ben sollte. Was Kubel eigentlich kritisierte, war die Herausbildung eines Geschäftsbereiches innerhalb der Staatsbank, in dem Profit offen zum Hauptziel erklärt wurde. Die Hauptbankkasse, die die Anlage der liquiden Mittel ausführte, wandelte sich langsam zur Keimzelle einer neuen Bank, die ausschließlich gewinnorientiert arbeitete. Der Konflikt zwischen der Aufsichtsbehörde und dem Direktorium rückte in den nächsten Jahren in den Hintergrund, vor allem, weil die Staatsbank das überregionale Geschäft in den Folgejahren stark zurückfuhr. Vor dem Hintergrund der Kapitalmarktkrise der Jahre 1955 und 1956 hatte die Staatsbankführung größte Probleme, den Kreditbedarf auf dem Heimatmarkt zu bedienen. An eine Expansion war zunächst nicht mehr zu denken. Mit dem Erreichen der vollen Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes ab 1958 jedoch bestand für die Staatsbank wieder dasselbe Problem der kurzfristigen Unterbringung sehr großer Geldvolumina. Auf dem Höhepunkt der Kapitalmarktnutzung verkaufte die Staatsbank seit 1960 jedes Jahr über 100 Millionen DM an Schuldverschreibungen. Die Hauptbankkasse geriet dadurch in eine schwierige Situation. Angesichts niedriger Zinssätze auf dem Geldmarkt drohte die Kasse, die bereits 1956 und 1957 Umsatz- und Gewinnrückgänge zu verzeichnen hatte, vollends in die Verlustzone zu rutschen. Mit internen Maßnahmen verteilte man die Lasten kurzfristig auf die übrigen Teile der Staatsbank.1289 Dauerhaft war das Rentabilitätsproblem jedoch nur zu lösen, wenn es gelang, die liquiden Mittel profitabler anzulegen als auf dem Geldmarkt. Zunächst erweiterte die Staatsbank ihr Außenhandelsgeschäft und begann, Kredite an ausländische Partnerbanken zu vergeben. Die Ibero-Amerika Bank in Bremen hatte 1958 nach einem Partner für ein Export-Geschäft der Daimler-Benz AG gesucht und die Staatsbank hatte sich zu einer finanziellen Beteiligung bereit erklärt. Teil dieses Geschäftes waren mehrere Kredite an brasilianische Banken. Über die Bank für Gemeinwirtschaft kam ein Kredit an die Bank Leumi Le in Israel über zehn Millionen DM zustande, von dem die Staatsbank die Hälfte trug.1290 In den darauffolgenden Jahren beteiligte sich das Institut an vielen weiteren Konsortialkrediten an ausländische Banken auch in Osteuropa. Wichtiger als dieses Geschäft war jedoch die Finanzierung der deutschen Industrie über Schuldscheindarlehen. Diese Finanzierungsform, die auf Namensschuldverschreibungen basierte, löste Ende der 1950er Jahre Industrieobligationen als

1289 Neben den Zweigkassen musste auch die Hypothekenabteilung ihren Teil beitragen, indem sie für ihre liquiden Mittel mit einen gegenüber dem Geldmarkt noch geringeren Zinssatz vorliebnehmen musste. Rundverfügung, Gr. IV, Nr. 274, lfd. Nr. 23, vom 24. Februar 1958, in: NWA 5 Nr. 2035/1; Braunschweigische Staatsbank – Treuhandabteilung – an den Herrn Präsidenten der Braunschweigischen Staatsbank, Braunschweig vom 16. Oktober 1957, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 278. 1290 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 9. Oktober 1958, in: NWA Zg. 6/2007, Nr. 134.

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wichtigste Form der Industriefinanzierung über den Kapitalmarkt ab.1291 Als im Jahr 1958 ein plötzlicher Sprung im Bilanzposten Debitoren auftauchte, musste Staatsbankpräsident Nickel das neue Geschäft erstmals dem Beirat erklären: „Die bilanzmäßige Zunahme im Debitorengeschäft beruht […] zu einem wesentlichen Teil auf der kurzfristigen Hereinnahme von Schuldscheinen allererster Unternehmungen. […] Diese Transaktionen geben eine wesentlich bessere Verzinsung als die Ausleihung auf Termin an Banken, die in Anbetracht der Geldmarktflüssigkeit und des verhältnismäßig hohen Durchschnittspassivsatzes der Einlagen unbefriedigende Zinssätze erbringen.“1292 Die Entscheidung für dieses Geschäft war also ausschließlich von den Profitmöglichkeiten der Bank bestimmt. Die Schuldscheindarlehen hatten bereits 1958 ein höheres Volumen als alle anderen von der Hauptbankkasse verwalteten Kontokorrentkredite zusammen.1293 Ende 1959 betrug das Volumen der Schuldscheindarlehen 36,9 Millionen DM, wovon allein 30 Millionen DM an industrielle Großkonzerne gingen. Der Staatsbank wurden diese Schuldscheindarlehen von dem Finanzmakler Rudolf Münemann vermittelt, einer der schillerndsten Figuren der Bankenwelt in der frühen Bundesrepublik.1294 Die Zeitschrift „Der Spiegel“ widmete ihm 1959 eine elf Seiten lange Titel-Story in der das Blatt das Geschäftsmodell anschaulich erklärte.1295 Münemanns System basierte auf einer Fristentransformation. Auf der einen Seite stand dabei eine langfristige Kreditzusage an einen Industriekonzern. Münemann verpflichtete sich, die vereinbarte Summe stets bereitstellen zu können. Die Kreditsumme wurde von Münemann auf viele kleine kurzfristige Kredite aufgeteilt und an Banken und Versicherungen vermittelt. Dies geschah technisch durch ein Schuldschein-Pensionsgeschäft. Die Fristen lagen zwischen einem Monat und einem Jahr. Münemann verpflichtete sich zwar zu einer kurzfristigen Rücknahme der Darlehen, doch konnte er keine Haftung dafür übernehmen, weil er sonst seinen Status als Vermittler hätte aufgeben und ein Kreditinstitut gründen müssen. Das gesamte Geschäft hing davon ab, dass Münemann immer genügend Abnehmer fand, um die Gesamtkreditsumme abzudecken. Der Vorteil für die Banken war der gegenüber Geldmarktanlagen etwa doppelt so hohe Zinssatz. Mit diesem Geschäft unterlief Münemann die Zinsabkommen und machte sich gleichzeitig die Großbanken zum Feind, die um 1291 Der Markt für Industrieobligationen war Anfang der 1960er Jahre aufgrund einer vorübergehenden Erhöhung der Wertpapiersteuer fast vollständig eingebrochen. Da gleichzeitig die Schuldscheindarlehen einen Boom erlebten, liegt es nahe, diese Finanzierungsform zumindest in den Anfangsjahren als Substitut für Industrieobligationen zu betrachten. Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, August 1962, S. 5 f. 1292 Protokoll der 68. Beiratssitzung am 17. Oktober 1958, S. 10, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 91. 1293 Der Anteil an dem gesamten Barkreditgeschäft der Staatsbank lag bei knapp einem Drittel. Entwicklung und Aufteilung des kurzfristigen Geschäfts. Ohne Datum (vermutlich November 1960), in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 278. 1294 Ebenda. 1295 „Münemann: Der Revolver“, in: Der SPIEGEL 17/1959 vom 22. April 1959, S. 33–45, S. 36.

5.5 „Hecht im Karpfenteich?“ 

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ihr Industriegeschäft fürchteten. Dementsprechend heftig war die Reaktion des Bankenverbandes, die ihn immer wieder als Hasardeur darstellten und wiederholt erfolglos die Bankenaufsicht gegen ihn einschalteten. Auch der Vorsitzende des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes Fritz Butschkau lehnte das Geschäftsmodell und auch die Person Münemann ab.1296 Einige der Landesbanken und Girozentralen nahmen dagegen Geschäftsbeziehungen zu dem Finanzmakler auf. Für sie bot sich durch Münemann die Chance, an den Verdienstmöglichkeiten des industriellen Großkreditgeschäftes zu partizipieren. Dadurch konnten sie die stark steigenden Einlagen der Sparkassen gewinnbringender anlegen als im normalen Geldhandel.1297 Die Staatsbank war deshalb nicht die einzige öffentlich-rechtliche Bank, die an dem Münemann-System partizipierte. Die Bayerische Gemeindebank fungierte eine Zeitlang sogar als Treuhänderbank Münemanns und garantierte so für seine Integrität.1298 Bereits zu diesem Zeitpunkt zeigten sich innerhalb der Sparkassenorganisation also deutliche Divergenzen zwischen expansiven und beharrenden Kräften. Im Gegensatz zu den Getreide-Importkrediten wirkte das Münemann-Geschäft auf den ersten Blick weniger risikoreich. 1961 setzte die Staatsbank nach längeren Verhandlungen gegenüber der Bankenaufsicht durch, dass auch nach außen hin nicht Münemann, sondern die Aussteller der Schuldscheine als Kreditnehmer galten. Dies war vorteilhaft, weil so kleinere Summen an kreditwürdige Großkonzerne und nicht ein sehr großer Einzelkredit an einen Makler mit zweifelhaftem Ruf in den Büchern standen. Ebenfalls 1961 begann die Staatsbank damit, Rückkaufverpflichtungen für Schuldscheine zu gewähren, die Münemann an ausländische Banken vermittelt hatte. Damit stieg sie selbst ins Vermittlungsgeschäft ein.1299 1961 war der Markt für dieses Vermittlungsgeschäft bundesweit 560 Millionen DM groß. Im Vergleich zum überwiegend von den Kreditbanken ausgeführten Direktgeschäft in Schuldscheindarlehen, das 1961 ein Volumen von 3,8 Mrd. DM hatte, war der Anteil der Vermittler relativ gering.1300 Das Geschäft mit Bürgschaften und Zahlungsverpflichtungen war bei der Staatsbank zunächst nur als Ergänzung zum eigentlichen Kreditgeschäft gedacht, machte jedoch im September 1963 bereits zwei Drittel des Gesamtengagements bei Münemann aus. Zu den Ausstellern der Schuldscheine gehörten einige der größten Unternehmen der deutschen Montanindustrie, unter anderem Mannesmann, Buderus, Hibernia und Stinnes.1301

1296 „Münemann: Der Revolver“, in: Der SPIEGEL 17/1959 vom 22. April 1959, S. 33–45, S. 33. 1297 Ebenda, S. 42. 1298 Ebenda. 1299 Protokoll der Kreditausschusssitzung am 10. Juli 1961, Kreditabteilung III, S. 4, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 134. 1300 Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, August 1962, S. 5. 1301 Dazu kamen noch die Stahlwerke Südwestfalen, die Atlas-Werke, Wolff & Co. und das Gussstahlwerk Witten. Protokoll der Kreditausschusssitzung am 2. September 1963, Anlage 9, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 118.

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Die Braunschweigische Staatsbank gehörte im Bereich der öffentlich-rechtlichen Banken zu den Pionierinstituten im Bereich der Vergabe und Vermittlung von Schuldscheindarlehen. 1961 hatte der Sparkassensektor einen Anteil am Schuldscheingeschäft von nicht einmal 4 %. Bei der Vermittlung waren die Institute überhaupt nicht beteiligt.1302 Die Staatsbank nutzte somit als eine von nur sehr wenigen öffentlichen Banken die Möglichkeiten voll aus, an der neuen Form der Industriefinanzierung zu partizipieren. Das Münemann-Geschäft war letztlich nur der Auftakt zu einer ganzen Reihe von Maßnahmen, liquide Mittel aus den langfristigen Refinanzierungsquellen gewinnträchtiger anzulegen als bei der Zentralbank oder als Termingelder bei anderen Banken. Ein zentraler Baustein dieser Strategie war die Finanzierung von Konsumentenkrediten.

Konsumkredite als Unternehmensfinanzierung Der Bereich der Konsumkredite gehört eigentlich zum Privatkundengeschäft, für die beteiligten Händler und Produzenten stellt er jedoch zugleich eine Finanzdienstleistung dar, die sie bei den Banken einkaufen, um ihren Kunden den sofortigen Kauf zu ermöglichen. Die Staatsbank trat dabei nicht direkt mit den Kunden in Kontakt, sondern finanzierte den Konsum der Bevölkerung indirekt über sogenannte Teilzahlungsinstitute. Gerade in dieser Beziehung stellt die Entwicklung dieses Geschäftsbereiches im Kontext dieses Kapitels eine wichtige Brückenfunktion dar. Deutschland blieb bei der Versorgung mit langlebigen Konsumgütern bereits vor dem Krieg weit hinter den Vereinigten Staaten zurück.1303 Durch den Krieg und die Nachkriegszeit wurde die Produktion dieser Güter beinahe vollständig eingestellt. Die neu gegründete Bundesrepublik hatte also ein gewaltiges Aufholpotential. Doch weil die meisten Haushalte durch die Währungsreform den Großteil ihres Geldvermögens verloren hatten, fehlte der Masse der Bevölkerung zu Beginn der 1950er Jahre das Kapital für die Anschaffungen. Die Lösung für dieses Problem war der Ratenkredit. Die Einzelhändler begannen bereits kurz nach der Währungsreform damit, einzelnen Kunden für den Kauf von teuren Gütern wie Kücheneinrichtungen und Kühlschränken, Radios und Motorrädern die Abzahlung des Kaufpreises auf Raten zu ermöglichen. Die Wachstumsmöglichkeiten waren jedoch begrenzt, weil auch die Händler nicht genügend Kapital besaßen. Deshalb versuchten diese einerseits, mit bestehenden Banken zu kooperieren, oder sie schlossen sich zusammen und gründeten selbst kleine Kreditinstitute. Die Finanzierung von Konsumgütern verlagerte sich daher in der ersten Hälfte der 1950er Jahren in den Bankensektor. Mit den

1302 Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, August 1962, S. 5. 1303 Vgl. dazu das Kapitel „‚Volksgemeinschaft‘ on a Budget“ in: Tooze, Wages of Destruction, S. 135–165.

5.5 „Hecht im Karpfenteich?“

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Teilzahlungsbanken entstand eine neue spezialisierte Gruppe von Kreditinstituten.1304 Im öffentlich-rechtlichen Kreditwesen hielt man Ratenkredite lange Zeit für nicht vereinbar mit dem Grundgedanken des Sparens. Die Aufnahme von Krediten für die Finanzierung von Konsumgütern wie Autos, Fernsehern oder Küchen schien den Sparkassenverbänden geradezu als das Gegenteil ihres alten Ideals. Strukturell und wirtschaftlich wäre die Sparkassenorganisation jedoch ideal für die Aufnahme des Teilfinanzierungsgeschäftes gewesen. Die Sparkassen hatten ein dichtes Filialnetz und kannten sich gut mit Kleinkrediten aus. Vor allem aber waren große Teile ihres Kundenkreises Ende der 1950er Jahre zum ersten Mal überhaupt in der Lage, langlebige Konsumgüter zu erwerben. Hätten die Sparkassen aus ideologischen Gründen nicht so lange gezögert, dieses Geschäft aufzunehmen, hätte es die spezialisierten Teilzahlungsinstitute vermutlich nicht in dem Ausmaß gegeben.1305 Als die Sparkassen Ende der 1950er Jahre ihre Scheu vor dem Konsumkreditgeschäft ablegten und ebenfalls für den Konsum bestimmte standardisierte Personalkredite anboten, war der Höhepunkt der Entwicklung bereits überschritten. Die Staatsbank hatte dagegen nie eine Scheu vor Privatkrediten entwickelt. Das Kleinkreditgeschäft war immer eines ihrer zentralen Geschäftsfelder gewesen. Diese wurden seit 1953 in kleinem Maßstab in Form von Ratenkrediten auch an Privatpersonen für Konsumzwecke vergeben.1306 1959 folgte die Staatsbank den drei Großbanken und führte eine neue standardisierte Form des Ratenkredites ein.1307 Wie die Großbanken beschloss die Staatsbank jedoch gleichzeitig, den Markt in erster Linie nicht selbst zu erschließen. Sie stattete stattdessen größere Finanzierungsgesellschaften mit Kapital aus und erwarb gleichzeitig Anteile an mehreren Teilzahlungsinstituten. Die wichtigste Refinanzierungskooperation existierte mit der Volkswagen-Finanzierungsgesellschaft, die bereits 1950 vereinbart wurde. Dieses Tochterunternehmen von Volkswagen bot den Käufern der Fahrzeuge Finanzierungsmöglichkeiten an. Der Kooperationsvertrag sah einen Refinanzierungskredit in Form eines Wechseldiskontkredites vor.1308 Im Jahr 1951 lag das maximale Kreditvolumen bereits bei 1304 Stücker, Britta, Konsum auf Kredit in der Bundesrepublik, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2/2007, S. 63–88, S. 64. 1305 Die Sparkassen führten zwar 1952 sogenannte Kaufkredite ein. Diese Kreditform war aber umständlich, denn die Kreditnehmer mussten das mit dem Kredit gekaufte Objekt den Sparkassen zur Sicherheit übereignen und außerdem noch einen Teilbetrag sofort zahlen. Mit dieser Form des Kredites konnten die Sparkassen keine große Bedeutung bei der Finanzierung der Konsumgesellschaft erringen. Schulz, Sparkassen, S. 309–311. 1306 Protokoll der 55. Beiratssitzung vom 1. Oktober 1955, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 91. 1307 Die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die Commerzbank hatten gemeinsam einen Beschluss gefasst, Kleinkredite bis 2000 Mark als Personalkredit zu vergeben, also ohne dingliche Besicherung und dazu noch in standardisierter vereinfachter Form. „Schulden ohne Pfand“, in: Der SPIEGEL 20/1959, vom 13. Mai 1959, S. 23 f. 1308 Volkswagen Financial Services AG, 60 Jahre Bank, S. 17.

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15 Millionen DM, 1963 war es auf 25 Millionen DM angewachsen.1309 Die Refinanzierung des Leasing-Geschäftes von Volkswagen war eine Dienstleistung für den wichtigsten Kunden der Staatsbank. Wichtiger als die Kooperationen waren für die Staatsbank die Beteiligungen an den Spezialbanken des Konsumkredits. Die Übernahme von Teilzahlungsbanken durch Universalbanken war kein ungewöhnlicher Vorgang. Gerade die größeren Teilzahlungsinstitute gehörten mehrheitlich den privaten Geschäftsbanken.1310 Wie die Großbanken so verfolgte auch die Staatsbank mit der Beteiligung an Teilzahlungskreditinstituten einen bestimmten Zweck. Die Staatsbank wollte die Institute ebenso wie das Münemann-Geschäft als lukrative Parkmöglichkeit für kurzfristig vorhandene liquide Gelder nutzen.1311 Über eine Beteiligung konnte sie über die Höhe des bei der Bank angelegten Kreditvolumens mitbestimmen.1312 Zunächst hatte die Staatsbank beabsichtigt, mit diesem Geschäft innerhalb ihres Geschäftsbereichs zu bleiben.1313 Dies gelang jedoch nur teilweise. Die Staatsbank begann 1960 mit einer Beteiligung an der „Credit-Contor KG“ aus Braunschweig, die von einer Gruppe von Händlern gegründet worden war. Die Staatsbank kaufte 27 % der Anteile und hatte damit die Sperrminorität. Die Beteiligung an der „Credit-Contor“ traf weder im Beirat noch im Ministerium auf Widerstand. Das Institut war im Vergleich zur Staatsbank winzig und nur in der Stadt Braunschweig tätig. Als die Staatsbank 1961 jedoch 30 % der Norddeutschen Kundenkreditbank (NKK) übernahm, war das Echo sehr groß. Die NKK war kein kleines Regionalinstitut, sondern die größte Teilzahlungsbank in Norddeutschland. Weil sie darüber hinaus ihren Sitz in Hannover hatte und im ganzen Norden aktiv war, versuchte der Generaldirektor der Niedersächsischen Landesbank – Girozentrale – Wilhelm Pleister die Beteiligung zu verhindern. Er wandte sich dafür an das Niedersächsische Finanzministerium: „Herr Dr. Pleister hat heute den Unterzeichneten aufgesucht und ihm mitgeteilt, daß die Übernahme von über 30 % Anteile der Kundenkreditbank durch die Braunschweig. Staatsbank bei der Landesbank eine lebhafte Mißstimmung ausgelöst habe. Es könne nicht die Aufgabe einer öffentlich-rechtlichen Bank sein, bei der augenblicklichen Konjunkturlage die Nachfrage weiter zu steigern. Außerdem habe die Braunschw. Staatsbank wiederum das Regionalprinzip verletzt.“1314 In dem Bezug auf die Konjunkturlage schwingt bereits die allgemeine Skepsis Pleisters gegenüber der Praxis des Konsums auf Kredit mit. Der Mitarbeiter des Mi1309 Ebenda, S. 52; Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 1. Juli 1963, Anlage 8, S. 3, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 118. 1310 Stücker, Konsum auf Kredit, S. 66. 1311 Vgl. die Aussagen von Carl Düvel in dem Protokoll der 75. Beiratssitzung am 30. März 1961, S. 12, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 107. 1312 Protokoll der 74. Beiratssitzung am 14. Dezember 1960, S. 10, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 107. 1313 Ebenda. 1314 Vermerk des Leiters der Abteilung 2 des Finanzministeriums vom 24. April 1961, in: NLA HA Nds. 200 Acc. 4/96 Nr. 48.

5.5 „Hecht im Karpfenteich?“ 

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nisteriums Hunke stimmte Pleister zwar in der Sache zu, teilte ihm jedoch mit, dass das Ministerium nach Prüfung der rechtlichen Lage festgestellt habe, dass es keine rechtliche Handhabe gab, um die Staatsbank an der Beteiligung zu hindern. Das Staatsbankgesetz erlaube Beteiligungen ohne Genehmigung der Aufsichtsbehörde.1315 Da das Gesetz bis 1970 nicht mehr neu gefasst wurde, konnte die Staatsbank bis zur Fusion ungehindert Beteiligungen eingehen. Nach dieser Schlappe wandte sich Wilhelm Pleister als Beiratsmitglied direkt an seine Kollegen von der Staatsbank. Er warf der Staatsbankführung neben einer Tendenz zu Alleingängen indirekt Illoyalität gegenüber der Sparkassenorganisation vor, die den Konsumentenkredit zu diesem Zeitpunkt noch mehrheitlich ablehnte.1316 In der Tat besaßen die Girozentralen im Jahr 1960 gerade einmal 3 % des gesamten Geschäftskapitals der Teilzahlungsbanken, während die privaten Banken fast zwei Drittel hielten.1317 In der Auseinandersetzung mit Wilhelm Pleister kamen einerseits die Konfliktlinien aus den 1930er Jahren wieder zum Vorschein, in denen die Staatsbank in Niedersachsen als finanzieller Aggressor aufgetreten war. Der Vertreter des Finanzministeriums sah sich daher nach der zitierten Aussage Pleisters genötigt, festzustellen, dass die Beteiligung an der NKK nicht gleichbedeutend mit der Erweiterung des Geschäftsbereichs der Staatsbank sei.1318 Zugleich jedoch kamen auch hier die unterschiedlichen Ansichten über die zukünftige Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens zum Vorschein, die in dem Antagonismus zwischen der Staatsbank und der Niedersächsischen Landesbank ihren Ausdruck fanden. Letztlich konnte sich die Staatsbank durchsetzen und behielt ihre Expansionspolitik bei. Die Staatsbank vereinbarte mit der NKK eine Dauereinlage über 24 Millionen DM sowie Refinanzierungskredite in unterschiedlicher Höhe. Die Zinssätze für die Refinanzierungskredite lagen 1961 zwischen 7 % und 8 %, und damit teilweise sogar über dem damals gültigen Höchstsatz für Kontokorrentkredite von 7,5 %.1319 Die Kredite standen jedoch nicht in Konkurrenz zu normalen Unternehmenskrediten, sondern wurden aus überschüssigen finanziellen Mitteln finanziert, die aus verschiedenen Quellen bei der Hauptbankkasse zusammenliefen. Sie standen somit in Konkurrenz zum Geldmarkt oder zum langfristigen Interbankenkredit. Die Zinskonditionen in diesem Bereich waren viel geringer.1320 Das Geschäft war für die Staatsbank

1315 Vermerk des Leiters der Abteilung 2 des Finanzministeriums vom 24. April 1961, in: NLA HA Nds. 200 Acc. 4/96 Nr. 48. 1316 Protokoll der 75. Beiratssitzung am 30. März 1961, S. 13, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 107. 1317 Deutscher Bundestag, Bericht der Bundesregierung über die Untersuchung der Wettbewerbsverschiebungen, S. 29. 1318 Ebenda. 1319 Eigene Berechnungen nach: Protokoll der Kreditausschusssitzung am 10. Juli 1961, Kreditabteilung III, S. 2–4, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 134. 1320 Im Juli 1961 hätte man für 3-Monats-Kündigungsgelder nicht einmal vier Prozent bekommen. Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, März 1962, S. 59.

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höchst lukrativ, weshalb sie es konsequent ausweitete. Bereits vor den Beteiligungen hatte sie etwa 45 Millionen DM bei Teilzahlungsbanken angelegt.1321 1966 arbeiteten diese Institute mit einer Summe von 100 bis 120 Millionen DM an Staatsbankgeldern.1322 Demgegenüber war das eigene Ratenkreditgeschäft zu diesem Zeitpunkt mit insgesamt 17 Millionen DM bescheiden. Es konnte nicht annähernd mit den Summen mithalten, die die Staatsbank über ihre Beteiligungen in die Finanzierung der Konsumgesellschaft investierte.1323 Die Staatsbank hat das Geschäft der Konsumentenkredite also sehr viel stärker unterstützt, als aus den Zahlen in den Geschäftsberichten hervorgeht. Der indirekte Weg über die Spezialbanken hat ihr letztlich auch viele Probleme erspart. Sie musste beispielsweise keine Ressourcen in der Nähe der Händler bereithalten. Auch sparte sie sich weitgehend den hohen Verwaltungsaufwand, der mit den Kleinkrediten verbunden war. Die Teilzahlungsbanken erhielten als Gegenleistung auf der Passivseite mehr Planungssicherheit. Allerdings war das Risiko durch die Beteiligung nicht unbedingt geringer, wie die Staatsbank bereits 1963 erfuhr. Sie hatte bei der Credit-Contor ein Lochkartenverfahren für Buchungsvorgänge eingeführt und musste dadurch plötzlich erkennen, dass die Bank das Jahr 1962 mit einem Verlust von 5,3 Millionen DM abgeschlossen hatte. Sie hatte den Gewinn und das Eigenkapital aufgebraucht und darüber hinaus einen Bilanzverlust in Höhe von 3,8 Millionen DM angehäuft. Die Staatsbank übernahm daraufhin die Anteile der anderen Gesellschafter und wickelte das Altgeschäft der Bank ab. Sie rechnete dafür mit einem Zeitraum von fünf Jahren. In dieser Zeit hielt sie den Betrieb aufrecht, weil dieser weiterhin Gewinne produzierte. Durch diesen Gewinn sollten in den fünf Jahren zwei Millionen DM abgedeckt werden, der Rest durch die Verwertung der Reserven und Sicherheiten. Trotz dieses Fiaskos zog Carl Düvel im Kreditausschuss eine positive Bilanz, weil der Gewinn, den die Staatsbank während des Engagements aus den gegenüber dem Geldmarkt höheren Zinsen gezogen hatte, doppelt so hoch war wie der hypothetische vollständige Verlust des für die Beteiligung investierten Kapitals.1324 Die Staatsbank hatte die Beteiligung nur drei Jahre gehalten. Daran ist zu erkennen, wie profitabel das Geschäft mit den eigenen Teilzahlungsbanken war. Aus den relativ bescheidenen Anfängen Mitte der 1950er Jahre wuchs mit den Schuldscheindarlehen und dem Konsumentenkredit ein substantielles Geschäft außerhalb Braunschweigs heran. Dieses wurde zusammen mit den normalen Geldmarktgeschäften in der Zentrale in Braunschweig gebündelt, die dadurch gegenüber den Zweigkassen weiter an Bedeutung gewann. Die Ursache des Wachstums in diesem Geschäft war zunächst die Zunahme des Volumens kurzfristig verfügbarer Gelder aufgrund der Zeitdifferenz zwischen dem Verkauf von Schuldverschreibungen 1321 Protokoll der 74. Beiratssitzung am 14. Dezember 1960, S. 10, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 107. 1322 Protokoll der 85. Beiratssitzung vom 11. Juli 1966, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113. 1323 Schulz, Sparkassen, S. 311. 1324 Protokoll der Kreditausschusssitzung vom 2. September 1963, S. 3f, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 118.

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und der Vergabe der entsprechenden Kredite. Diese Entwicklung wurde Anfang der 1960er Jahre dadurch beschleunigt, dass es zu einem immer größeren Überhang der Baugenehmigungen kam. 1963 klagte das Direktorium darüber, dass zwischen der Bewilligung neuer Hypothekarkredite und der Auszahlung immer mehr Zeit verstrich. Da die Staatsbank sich beim Verkauf ihrer Pfandbriefe an den Bewilligungen orientierte, erhöhten sich durch die Verzögerungen die Beträge, die kurzfristig anzulegen waren.

Die Beteiligung an der Investitions- und Handelsbank (IHB) – Der Aufstieg und Ausstieg der Staatsbank im nationalen Industriefinanzierungsgeschäft Die Staatsbankführung deutete dieses Phänomen jedoch auch als erstes Anzeichen für das Ende des Booms im Wohnungsbau.1325 Zumindest für die Staatsbank selbst war diese Prognose sogar korrekt. Von 1965 bis 1968 stagnierte das Volumen der Hypothekarkredite der Bank. Ihr Anteil an der Bilanzsumme sank von 30 % auf 23 %. Das weiterhin starke allgemeine Wachstum des Geschäftsvolumens der Staatsbank wurde nun vor allem vom überregionalen Interbankengeschäft getragen. So wuchsen die Ausleihungen an andere Banken von 1965 bis 1968 um 154 % von 256 Millionen DM auf 776 Millionen DM. Ihr Anteil an der Bilanzsumme verdoppelte sich von 8 % auf 15 %.1326 Die offiziellen Zahlen zeigen noch nicht einmal das ganze Bild, weil die Kredite, die im Meta- oder Konsortialverhältnis über andere Banken vergeben wurden, zu den Nichtbankenkrediten gezählt wurden. Die Expansion der Staatsbank im Interbankenmarkt ab 1965 basierte auf einer Weiterentwicklung der gegen Ende der 1950er Jahre entwickelten Strategien im überregionalen Geschäft. Der Schwerpunkt lag wie schon beim Münemann-Handel auf der Industriefinanzierung. Bei der Entwicklung des Interbankengeschäftes orientierte sich das Institut jedoch an ihrem Vorgehen bei den Teilzahlungsbanken und versuchte die Beziehungen durch den Erwerb von Beteiligungen zu stabilisieren. Sichtbarer Ausdruck der neuen Schwerpunktsetzung war der Verkauf eines Teils ihrer Beteiligung an der Braunschweig-Hannoverschen Hypothekenbank („Braune Hanne“) an die Bank für Gemeinwirtschaft (BfG). Im Gegenzug erwarb sie eine Sperrminorität von 26 % an der Investitions- und Handelsbank AG (IHB) in Frankfurt a. M.1327 Die „Braune Hanne“ und die IHB waren zum Zeitpunkt der Transaktion mit 1,5 Milliarden DM Bilanzsumme etwa gleich groß und schütteten sogar ähnlich hohe Gewinne aus.1328 Die Staatsbank kaufte sich dennoch bei der IHB ein, weil sie deren Wachstumsperspektiven besser einschätzte als die der Hypothekenbank. Sie behielt 1325 Protokoll der 79. Beiratssitzung am 2. April 1963, S. 4, in: NWA 5 Zg. 6/2007 Nr. 107. 1326 Geschäftsbericht über das Geschäftsjahr 1965 der Braunschweigischen Staatsbank, S. 18, 20; Geschäftsbericht des Geschäftsjahres 1968 der Braunschweigischen Staatsbank, S. 10, 13. 1327 „Durch die andere Tür“, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Jg. 1965, Heft 11, S. 3 f. 1328 Protokoll der 84. Beiratssitzung am 1. April 1966, Anhang, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 113.

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damit Recht. 1969 war die Bilanzsumme der Hypothekenbank nur leicht auf 1,9 Milliarden DM gewachsen, die der IHB hatte sich jedoch auf 3,5 Milliarden DM mehr als verdoppelt.1329 Die Geschäftspolitik der IHB wurde von 1958 bis 1964 von Rudolf Münemann bestimmt, der diese Bank als Basis für seine Revolving-Geschäfte nutzte. Dazu hatte er die ehemalige Getreide-Handelsbank AG aus Darmstadt gekauft, sie umbenannt und nach Frankfurt umgesiedelt.1330 Unter ihm verzehnfachte sich die Bilanzsumme der Bank bis 1965 auf knapp 1,5 Milliarden DM. Münemann hatte zusammen mit dem Chef der gewerkschaftseigenen Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) Walter Hesselbach den Plan verfolgt, die IHB als vierte Großbank zu etablieren. Der Auslöser zur Entwicklung dieses Plans war der Erwerb eines Beteiligungspaketes aus dem Familienimperium der Stinnes-Familie durch die IHB.1331 Das dafür notwendige Kapital sollte aus den finanziellen Mitteln Münemanns, dem Gewerkschaftsvermögen und aus den bei den Girozentralen angelegten liquiden Mitteln der Sparkassen bestehen. Die BfG hatte sich mit 26 % an der IHB beteiligt und übernahm weitere 26 % mit dem Ziel, dafür innerhalb der Sparkassenorganisation einen Abnehmer zu finden. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch zunächst an dem Widerstand des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) unter Fritz Butschkau sowie den Landesverbänden, die eine Zusammenarbeit mit Münemann weiterhin ablehnten.1332 Schließlich erklärte sich das Land Hessen 1964 bereit, den Anteil zu kaufen. Die Landesregierung konnte jedoch die Mittel nicht aufbringen, weshalb das Geschäft nicht zustande kam.1333 Währenddessen hatte Münemann seinen verbleibenden Anteil an der IHB an die BfG verkauft und sich aus dem Geschäftsleben zurückgezogen.1334 Sein Nachfolger als Geschäftsführer der IHB war Hans Götz, der bis dahin Münemanns engster Mitarbeiter gewesen war. Die gewerkschaftseigene BfG besaß nun 76 % an dem Institut, an dem sie eigentlich nur eine Minderheitsbeteiligung halten wollte. Schließlich fand sich mit der Braunschweigischen Staatsbank ein Abnehmer für den 26 %-Anteil. Die Staatsbank nahm das Angebot im Juli 1965 an. Der Kauf der Anteile an der IHB war innerhalb des gesamten Sparkassensektors die erste größere Beteiligung an einer großen privaten Kreditbank. Aus einer Zusammenstellung der Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen geht hervor, dass die Lan1329 Protokoll der 95. und letzten Beiratssitzung vom 29. Mai 1970, S. 24f, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 132. 1330 „Münemann: Der Revolver“, in: Der SPIEGEL, S. 42 f. 1331 Der Sohn des Firmenpatriarchen Hugo Stinnes jr. hatte in Bremen eine Firma mit dem Namen Hugo Stinnes Industrie und Handel GmbH aufgebaut. Diese geriet jedoch 1963 in Schieflage und musste den Großteil seines Industriebesitzes für 75 Millionen DM an seinen größten Gläubiger, die Münemann-Handelsgesellschaft verkaufen. Münemann verkaufte den Anteil wenig später für 85 Millionen DM an die gewerkschaftseigene Union Treuhand GmbH weiter. Damit kam die Verbindung zu den Gewerkschaften zustande. Vgl. „Stinnes: Medio in Moll“, in: Der SPIEGEL 44/1963 vom 30.10.1963, S. 34–44, S. 43 f. 1332 „Um 18 Uhr Feierabend“, in: Der SPIEGEL 27/1964 vom 1. Juli 1964, S. 45–48, S. 46. 1333 „IHB – vorletzter Akt“, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Jg. 1964, Nr. 19, S. 5. 1334 „Um 18 Uhr Feierabend“, in: Der SPIEGEL, S. 46.

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desbanken und Girozentralen vor 1966 nur sechs Beteiligungen an privaten Kreditbanken hielten, von denen drei der Braunschweigischen Staatsbank gehörten. Mit Ausnahme der IHB waren alle diese Banken kleine Privatinstitute.1335 Die Staatsbank hatte also mit ihrer Beteiligungspolitik innerhalb der Sparkassenorganisation Neuland betreten. Der Kauf der Anteile an der IHB markierte denn auch in vielen zeitgenössischen Kommentaren einen Wendepunkt in der Industriefinanzierung der öffentlich-rechtlichen Banken.1336 „Die Zeit“ zog noch 1969 die Beteiligung an der IHB als Hauptgrund heran, um dessen Initiator Carl Düvel im Hinblick auf seine Bedeutung für die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens auf eine Stufe mit Ludwig Poullain zu heben.1337 Die Beteiligung an der IHB erzeugte deshalb ein so großes Echo, weil dadurch erstmals ein scheinbar lebensfähiges Konkurrenzmodell zu den Großbanken entstand. Die IHB war von Münemann als Instrument zur Herausforderung der Großbanken geschaffen worden. Da sie keine Filialen besaß und damit auch nicht auf private Einlagen zurückgreifen konnte, war sie auf Partner angewiesen, die ihr Kreditgeschäft refinanzieren konnten. Die Bank für Gemeinwirtschaft allein konnte diese Perspektive nicht bieten, weil ihr ebenfalls die Spareinlagen zur Refinanzierung fehlten. Die Staatsbank öffnete der IHB eine Brücke zu den Sparkassen und gleichzeitig den progressiven Instituten des Sparkassensektors eine Brücke zur Industriefinanzierung, die es zuvor noch nicht gegeben hatte. Um welche Geschäfte es ging, zeigt die erste größere Finanzierungsaktion, an der sich die Staatsbank nach dem Erwerb des Aktienpaketes beteiligte. Diese betraf die Gustav Schwab Überlandversand KGaA und wurde zusammen mit der IHB und der BfG durchgeführt. Die Firma Schwab war zu diesem Zeitpunkt nach Quelle und Neckermann und noch vor Otto der drittgrößte Versandhändler in der Bundesrepublik. Weil er sich 1964 mit seinem Teilhaber zerstritten hatte, benötigte der Eigner und Geschäftsführer Friedrich Schwab 100 Millionen DM, um diesen auszuzahlen. Um an das Geld zu kommen, vereinbarte er mit der Pariser Dependance der amerikanischen Investmentbank Morgan die Umwandlung seiner Firma in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien mit einem Grundkapital von 52 Millionen DM. Er überging dabei die Deutsche Bank, die zu diesem Zeitpunkt die Hausbank der Firma war. Die Emission misslang jedoch wegen des schlechten Börsenumfelds und auch wegen der Gegnerschaft der Deutschen Bank. Morgan konnte nur 20 % des Kapitals absetzen und dies auch nur, weil die Bank den Emissionskurs massiv senkte. Schließlich riet die Investmentbank dem Unternehmer, mit der Singer Company einen strategischen Investor ins Boot zu holen. Um jedoch eine bessere Ausgangsposition zu besitzen, kaufte Schwab 26 % der Aktien zurück. Das Geld lieh er sich von der Investitions- und Handelsbank (IHB), die gerade von Rudolf Münemann an die BfG verkauft 1335 Übersicht über die Beteiligungen der Girozentralen an privaten Kreditbanken, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Jg. 1970, Nr. 3, S. 27–29. 1336 „Neue Bankenehen“, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Jg. 1965, Heft 11, S. 4. 1337 „Wachablösung bei den Banken II: Die steile Karriere des Revisors“, in: Die Zeit, Nr. 23, 6. Juni 1969, S. 27.

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worden war. Die Deutsche Bank verlangte nach dem Börsengang die Sicherstellung aller bei ihr noch laufenden Kredite der Schwab KGaA. Friedrich Schwab zahlte daraufhin alle Kredite zurück und brach den Kontakt ab.1338 Um die Kredite zurückzahlen zu können, benötigte er wiederum einen neuen Kredit und hier kam die Staatsbank ins Spiel. Sie beteiligte sich mit 35 Millionen DM an dem Gemeinschaftskredit mit der IHB und der BfG über insgesamt 110 Millionen DM. Dies war die Voraussetzung dafür, dass die Singer Company die Mehrheit an Schwab übernahm.1339 Das Geschäft mit Schwab war nur der Auftakt zu einer ganzen Reihe ähnlicher Operationen. Im April 1966 hatte die Staatsbank über die IHB insgesamt bereits 180 Millionen DM angelegt, allein 70 Millionen davon waren als Kredit an Friedrich Schwab gegangen. 50 Millionen DM waren der IHB aus eigenen Mitteln der Staatsbank geliehen worden, weitere 50 Millionen DM waren Darlehen, die die Staatsbank von Dritten weitergeleitet hatte. Dass von allen Landesbanken ausgerechnet die Staatsbank die Verbindung zur IHB hergestellt hat, lag an der speziellen Konstellation des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens in Braunschweig. Der erste und vermutlich wichtigste Grund war, dass die Staatsbank diese Beteiligung eingehen konnte, ohne die Aufsichtsbehörde um Erlaubnis zu fragen. Dies hatte das niedersächsische Finanzministerium bereits 1961 bei der Beteiligung der Staatsbank an der Norddeutschen Kundenkreditbank feststellen müssen. Zweitens brauchte die Staatsbank keine Rücksicht auf die regionalen Sparkassenverbände zu nehmen, die eine Beteiligung von Landesbanken an privaten Banken im Hinblick auf die sich in vollem Gange befindende Wettbewerbsdebatte sehr skeptisch sahen.1340 Vor allem jedoch konnte die Staatsbank die Beteiligung durchsetzen, weil sie dafür eine spezielle Legitimationsgrundlage besaß. Dies wird bei den internen Auseinandersetzungen deutlich, die den Erwerb der Beteiligung begleiteten. Die überregionalen Geschäfte in den 1950er Jahren wurden vom Direktorium gegenüber den Aufsichtsgremien ausschließlich mit den großen Gewinnmöglichkeiten gerechtfertigt. Dies gilt ebenso für die IHB und die neuen Geschäfte, die über diese Bank getätigt wurden. Das Kreditgeschäft mit der Schwab KGaA hatte die Staatsbank vor dem Kreditausschuss mit den hohen Gewinnmöglichkeiten wegen einer Zinsspanne von 2,5 % begründet und deshalb auch Unterbeteiligungen von anderen Girozentralen nur im Notfall vorgesehen. In diesem Fall jedoch kam es zu einer der wenigen überlieferten Interventionen des Kreditausschusses. Der Vorsitzende des Ausschusses und Zonengrenzland-Lobbyist Walter Conrady stellte die Legitimation der Kreditaktion in Frage: „Herr Dr. Conrady fragt, ob die für dieses Geschäft aufgewendeten Mittel nicht besser im Land Braunschweig eingesetzt werden sollten.“

1338 „Der große Bruder,“ in: DER SPIEGEL, 11/1969 7. März 1966, S. 39 f. 1339 Protokoll der Kreditausschusssitzung am 9. Juli 1965, S. 4, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 95. 1340 „In Sachen IHB“, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Jg. 1964, Heft 3, S. 9.

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Conrady sah den Kredit an Schwab nicht als Weiterentwicklung der bisherigen überregionalen Geschäfte an, sondern als ein neues Geschäft. Das bisherige Geschäft beruhte auf der Zwischenanlage liquider Mittel, bis sie ihrem eigentlichen Bestimmungszweck zugeführt werden konnten. Die Aufsichtsgremien hatten deshalb in erster Linie die Risiken der Geschäfte hinterfragt. Bei der Schwab KGaA ging es jedoch um einen permanenten Kredit, der deshalb anderen Geschäften potentiell Kapital entzog. Hätte sich der Eindruck verfestigt, dass die Staatsbank über die Expansion auf die nationalen Kreditmärkte die Finanzierung des Zonengrenzlandes dauerhaft vernachlässigte, hätte sich der Wiederstand sowohl im Kreditausschuss als auch im Beirat verfestigen können. Carl Düvel parierte Conradys Kritik mit einem kurzen Hinweis, der eine neue Legitimationsgrundlage für das überregionale Geschäft schuf: „Die Staatsbank finanziert alle ihre Geschäfte nur zu etwa 40 v. H. aus dem Land Braunschweig. Die restlichen 60 % Gegenmittel beschafft sie sich von außerhalb.“1341 Mit diesem Argument stellte Düvel das neue Geschäft in den Kontext der gesamten finanziellen Außenbeziehungen der Bank. Mit seinem Hinweis, dass die Finanzierung des Zonengrenzlandes in hohem Maße davon abhängig war, dass die Staatsbank Kapital von außen bezog, war der Kritik Conradys der Boden entzogen. Solange insgesamt mehr Geld von außen importiert wurde, als dorthin floss, war das überregionale Geschäft gerechtfertigt. Im Kreditausschuss war die Kritik durch dieses Argument zum Stillschweigen gebracht worden, der Ausschuss stimmte einstimmig für die Kreditvergabe. Im Beirat stellte der Präsident der Niedersächsischen Landesbank Wilhelm Pleister in Bezug auf die Beteiligung an der IHB dieselbe Frage wie Conrady im Kreditausschuss im Fall Schwab: „Insbesondere interessiere ihn [Pleister] – wohlgemerkt in erster Linie als Beiratsmitglied der Staatsbank – ob die Beteiligung der Bank an der Investitions- und Handels-Bank AG Auswirkungen auf die eigentliche Geschäftstätigkeit der Bank gehabt habe oder haben könnte.“1342 Carl Düvel hielt als Antwort auf Pleisters Frage einen langen Vortrag, der das obige Argument der Beschaffung von Finanzierungsmitteln von außerhalb mittels einer Bilanzanalyse stützte. Daraufhin zog Pleister seine Kritik zurück.1343 Im nationalen Kontext kamen die Beteiligungsaktionen der Staatsbank einige Jahre zu früh. Die Wettbewerbsdebatte war noch nicht entschieden und auch die Zinsfrage blieb noch offen. Karl Schiller war zum Zeitpunkt der Beteiligung noch nicht im Amt. Die anderen Landesbanken waren deshalb zunächst noch nicht bereit, sich an dem Experiment zu beteiligen, eine Konkurrenz zu den Großbanken aufzubauen. Die Staatsbank forcierte diese Strategie deshalb zunächst im Alleingang. 1341 Protokoll der Kreditausschusssitzung am 9. Juli 1965, S. 4, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 95. 1342 Protokoll der 84. Beiratssitzung vom 1. April 1966, S. 11, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 113. 1343 Ebenda, S. 14.

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Dazu erhöhte sie 1967 ihren Anteil an der IHB durch Kauf eines weiteren Aktienpaketes von der BfG auf 41 %. 1968 wurde die Staatsbank schließlich mit 58 % für kurze Zeit Mehrheitseigner der IHB. Dies war jedoch von vorneherein nur als provisorischer Zustand gedacht. Eine Abgabe der Anteile an andere Landesbanken war geplant, sobald der Widerstand innerhalb der Sparkassenorganisation nachließ. 1967 fiel eine wichtige Hürde für diesen Plan, als der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) seinen Widerstand gegen die Beteiligung aufgab: „Herr Minister Kubel ergänzt, bekanntlich habe selbst Herr Butschkau seine Bedenken wegen der Beteiligung an der IHB aufgegeben.“1344 Doch erst durch die Gründung der Westdeutschen Landesbank fand die Staatsbank einen ersten Partner unter den Landesbanken. 1969 verkaufte sie einen Anteil von 26 % an das neue Institut. Allerdings wollte Ludwig Poullain weitere Landesbanken beteiligen. Zum Jahreswechsel 1969/70 wurde deshalb als sogenannte „SüdHolding“ die Allgemeine Vermögens-Holding GmbH gegründet, die zu gleichen Teilen aus der Braunschweigischen Staatsbank, der Westdeutschen Landesbank, der Hessischen Landesbank und der Bayerischen Gemeindebank bestand. Die Holding übernahm den Anteil der Westdeutschen Landesbank und weitere Anteile von der Braunschweigischen Staatsbank und hielt damit insgesamt 29 % der IHB. Mit diesem Schritt war aus dem Projekt der Staatsbank endgültig ein Projekt der Landesbanken geworden. Zugleich verpflichtete sich die Staatsbank, zum Jahreswechsel 1970/71 ihren verbleibenden Anteil von ebenfalls 29 % in eine „Nord-Holding“ aus Westdeutscher Landesbank und Norddeutscher Landesbank einzubringen. Dazu kam noch eine „Frankfurter Vermögens-Holding“, die von der Bank für Gemeinwirtschaft und der Hessischen Landesbank gehalten wurde. Nach diesen Transaktionen hielt die inzwischen gegründete Norddeutsche Landesbank Anfang 1971 noch 21,75 % der IHB. Die Staatsbank hatte also den Ausstieg aus dem Hauptrisiko noch selbst in die Wege geleitet.1345 Anfang 1973 kaufte die Hessische Landesbank alle Anteile der Süd-Holding sowie einen 25 %-Anteil der Nord-Holding und kam so an die Mehrheit der Bank. Die Norddeutsche Landesbank hielt nur noch gut 10 %. Sie war gerade noch rechtzeitig ausgestiegen. Bereits Ende 1973 brachte die IHB die Hessische Landesbank durch hohe Verluste aufgrund ihrer risikoreichen Kreditvergabe an den finanziellen Abgrund und war mitverantwortlich für den sogenannten „Helaba-Skandal“ um die Hessische Landesbank.1346 Ohne den Abbau der Mehrheitsbeteiligung hätte die IHB die gerade erst gegründete Norddeutsche Landesbank mit in die Tiefe gezogen. Dass die IHB letztlich scheiterte war im Wesentlichen der Geschwindigkeit ihrer Expansion geschuldet. Um das Tempo aufrecht zu erhalten und trotzdem kurzfristig 1344 Protokoll der 88. Beiratssitzung vom 21. August 1967, S, 5, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 104. 1345 Protokoll der 95. und letzten Beiratssitzung vom 29. Mai 1970, S. 26f, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 132. 1346 „Hessische Landesbank: Der Bürger zahlt die Zeche!“, in: Die Zeit, Nr. 52, 21. Dezember 1973, S. 26.

5.5 „Hecht im Karpfenteich?“ 

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profitabel zu bleiben, ging die IHB hohe Risiken ein.1347 In den Abgrund wurde die IHB durch die Stahl- und Röhrenwerke F. Meyer aus Dinslaken gerissen. Dieses Geschäft war etwa zeitgleich mit der Beteiligung der Staatsbank zustande gekommen. Bis 1967 war der Kredit an die Firma von elf Millionen auf 71 Millionen DM angewachsen. Obwohl die Umsätze zurückgingen, investierte der Gründer des Unternehmens mithilfe der IHB große Summen in die Modernisierung der Produktion. Dadurch erhöhten sich die Schulden bis 1971 auf 286 Millionen DM. Die Hessische Landesbank musste von dem Kredit schließlich 200 Millionen DM voll abschreiben.1348 Den Preis für diese Politik musste also weder die Braunschweigische Staatsbank noch ihr Nachfolgeinstitut zahlen, sondern die Hessische Landesbank. Ludwig Poullain hat in seinem „Tätigkeitsbericht“ geschrieben, dass er beim Verkauf der Anteile der West LB an die Helaba an sich halten musste, keinen Freudentanz aufzuführen.1349 Diesen „Freudentanz“ konnten die Direktoren der Staatsbank bei jeder geglückten Veräußerung machen. Die Probleme der Landesbanken mit der IHB können einerseits auf ein gewöhnliches Prinzipal-Agent-Problem zurückgeführt werden. Bei der Analyse der Kreditausschussprotokolle konnte für die Staatsbank bereits für die 1950er Jahre gezeigt werden, dass die Berichterstattung über Kreditvergaben außerhalb Braunschweigs sich deutlich von derjenigen innerhalb des Gebietes unterschied. Im ersten Fall beschränkten sich die Berichte auf die Bekanntgabe von veröffentlichten Unternehmenskennzahlen, während die Informationen über Kredite innerhalb Braunschweigs wesentlich weniger standardisiert und dafür umfangreicher waren. Über die einzelnen Kredite der IHB an andere Unternehmen wurde der Kreditausschuss gar nicht mehr informiert. Auch das Direktorium war nicht in der Lage, die Kreditvergabe der IHB bis ins Einzelne nachzuvollziehen. Ein anderes Problem war die Länge der Kette zwischen den Refinanzierungsmitteln und dem Kreditnehmer. Hierbei existierte jedoch ein Unterschied zwischen den Praktiken der Staatsbank und den der Landesbanken. Die Staatsbank konnte die Spareinlagen der Landessparkasse für die Kreditvergabe einsetzen, also faktisch ihre eigenen Einlagen. Die Landesbanken griffen dagegen auf die Gelder der Sparkassen zurück. Ihre Kette der Kreditvergabe war also länger als die bei der Staatsbank. Mit dem Eintritt der anderen Landesbanken stieg der Druck auf die IHB weiter an, hohe Zinsen an ihre Anteilseigner zu zahlen. Dies korrespondiert mit der Tatsa-

1347 Ein Beispiel dafür ist die Beteiligung an der Firma Gutbrod, die im Saarland Gartengeräte und Reinigungsmaschinen herstellte. Dieses Unternehmen geriet 1970 in die Krise. Die IHB, die bis dahin nur geringe Forderungen an das Unternehmen hatte, kaufte mitten in der Krise eine 50 %-Beteiligung und erhöhte das Kreditkontingent um 60 Millionen DM. Ein Jahr später musste die IHB einen Großteil der Forderungen abschreiben. „Rapide bergab“, in: DER SPIEGEL Jg. 1971, Nr. 50, 6. Dezember 1971, S. 96 f. 1348 „David überbietet Goliath“, in: Die Zeit, 12. September 1975. 1349 Poullain, Ludwig, Tätigkeitsbericht, Seewald 1979, S. 245 f.

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che, dass die Krise der IHB erst nach dem Eintritt der anderen Landesbanken begann. Bis dahin war das Geschäft für die Staatsbank sehr profitabel.1350 Dies lag nicht in erster Linie an den Gewinnausschüttungen. Die Dividende lag konstant bei 12 %. Da die Staatsbank das erste Aktienpaket allerdings bei einem Kurs von ca. 300 % übernommen hatte, war die daraus resultierende Rendite mit 4 % nicht besonders hoch. Die Staatsbank kam allerdings in den Genuss des Schachtelprivilegs, wodurch die Steuern auf den Beteiligungsertrag erheblich sanken. Durch die Kapitalerhöhungen, die 1967 und 1968 zum Kurs von 150 % an die Aktionäre ausgegeben wurden, verbesserte sich zudem die Rendite. Der Verkauf der Anteile in den Jahren 1970 und 1971 wurde zum Kurs von 430 % getätigt, womit die Staatsbank bei ihrem Ausstieg einen beachtlichen Kursgewinn realisieren konnte. Die Staatsbank war die Beteiligung jedoch nicht in erster Linie wegen der Dividenden oder Kursgewinne eingegangen. Sie benötigte einen Zugang zum nationalen und internationalen Kreditmarkt. Sie beteiligte sich an der Industriefinanzierung der IHB teils indirekt durch die Vergabe von Globaldarlehen an die Bank, teils direkt über sogenannte Meta-Kredite. Hierbei war die Staatsbank direkt in die Kreditvergabe involviert und trug auch den entsprechenden Anteil am Obligo. 1969 hatte die Staatsbank über die IHB ein Volumen von 250 Millionen DM im Meta-Verhältnis über die IHB an Unternehmen geleitet. Dazu kamen noch einmal Refinanzierungsmittel in etwa der gleichen Höhe.1351 Der eigentliche Gewinn der Beteiligung lag darin, dass die Staatsbank sich über die IHB neue Kreditkunden erschloss, die sie ansonsten gar nicht hätte erreichen können. Die Alternative zu diesen Geschäften wären nicht andere Unternehmensfinanzierungen, sondern der Geldmarkt gewesen, dessen Zinsniveau jedoch wesentlich geringer war als das Niveau im Kreditgeschäft mit Nichtbanken. Die IHB stand im Mittelpunkt der seit 1965 forcierten Strategie der Staatsbank, mithilfe anderer Banken möglichst profitabel außerhalb Braunschweigs Geld anzulegen. Die anderen Bankbeteiligungen war die Staatsbank bereits vorher eingegangen. Dazu gehörten Beteiligungen an den beiden Privatbanken Gebr. Löbbecke KG und Gottschalck & Co. KG, die Braunschweig-Hannoversche Hypothekenbank (Braune Hanne) sowie drei Teilzahlungsbanken. Dies waren die Norddeutsche Kundenkreditbank, die inzwischen in Braunschweigische Teilzahlungsbank umbenannte „Credit-Contor“ und die Waren-Kreditbank in Hannover. Außer Löbbecke und der Braunschweigischen Teilzahlungsbank hatten alle Banken ihren Fokus außerhalb Braunschweigs Insgesamt erfüllte das Geschäft mit den Beteiligungsbanken die ihm zugewiesene Aufgabe sehr gut. Die Bankbeteiligungen waren entscheidend dafür verantwort1350 Protokoll der Sitzung des Kreditausschusses vom 12. November 1965, S. 3, in: NWA 5, Zg. 6/ 2007, Nr. 95. 1351 Protokoll der 95. und letzten Beiratssitzung vom 29. Mai 1970, S. 29, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 132.

5.5 „Hecht im Karpfenteich?“

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lich, dass die Staatsbank in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre hochprofitabel arbeitete. 1967 konnte Carl Düvel für das Jahresergebnis den Beiratsmitgliedern eine erstaunliche Mitteilung machen: „Mehr als die Hälfte des Gewinns der Staatsbank kommt nämlich aus unserem Beteiligungs- und dem damit verbundenen Zentralgeschäft. […] In dieser Geschäftstätigkeit waren wir bislang sicher vom Glück begünstigt. Risikofrei ist jenes Geschäft indessen keineswegs. Wenn auch Verluste gegenwärtig nicht erkennbar sind, man muß sie einkalkulieren.“1352 Auch für die nächsten beiden Jahre wurde der Beitrag der Beteiligungen zum Gesamtergebnis mit 50 % angegeben. Der Gewinn vor Steuern lag 1967 bei 17,4 Millionen DM, 1968 bei 23,7 Millionen DM und 1969 bei 29 Millionen DM. Entsprechend wurden durch die Beteiligungen 1967 knapp neun Millionen DM, 1968 13 Millionen und 1969 14,5 Millionen DM verdient.1353 Der offizielle Gewinn aus den Beteiligungen setzte sich zusammen aus den Gewinnausschüttungen und den Zins- und Provisionseinkünften. Dazu kam noch die Erhöhung des Beteiligungswertes, der in der Bilanz jedoch nicht ausgewiesen wurde. Die Beteiligungserträge wurden teilweise in die Beteiligungen reinvestiert, um deren Eigenkapitalbasis zu stärken. Die Bankbeteiligungen der Staatsbank hatten 1965 einen Bilanzwert von 45 Millionen DM, jedoch einen Verkehrswert von 103 Millionen DM. So bildete die Staatsbank bis 1965 stille Reserven von fast 58 Millionen DM bei einem ausgewiesenen Eigenkapital (Grundvermögen und Rücklagen) von 70 Millionen DM.1354 1969 lag der Buchwert der Bankbeteiligungen bei 74 Millionen DM, was 37 % des ausgewiesenen Eigenkapitals ausmachte.1355 Der andere Teil des Gewinnbeitrags kam aus dem Kreditgeschäft mit und über die Beteiligungsbanken. Ende 1969 hatte die Staatsbank insgesamt 828 Millionen DM über ihre Bankbeteiligungen ausgeliehen. Dies entsprach 20 % des gesamten Kreditgeschäftes der Staatsbank. Diese teilten sich etwa zur Hälfte auf in reine Refinanzierungskredite und in Meta- oder Konsortialkredite, die über die Banken direkt an die Kreditnehmer weitergeleitet wurden. Zinseinnahmen und Gewinnausschüttungen zusammen ergaben 1969 jährliche Bruttorenditen, die je nach Beteiligung von 22 % bis 55 % des gehaltenen Nominalkapitals reichten.1356 Erst durch diese internen Berechnungen wurde auch den Beiratsmitgliedern vor Augen geführt, dass die Staatsbank Ende der 1960er Jahre keine regionale Bank mehr war. Im Sinne der Legitimation war die Bank dabei gespalten. Während sie innerhalb Braunschweigs selbst bei den gewerblichen Beteiligungen stark auf das Ge1352 Protokoll der 90. Beiratssitzung vom 8. April 1968, S. 17, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 132. 1353 Ebenda, S. 16. Protokoll der 95. und letzten Beiratssitzung vom 29. Mai 1970, S. 15, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 132; Geschäftsbericht der Braunschweigischen Staatsbank für das Jahr 1968, S. 15. 1354 Protokoll der 84. Beiratssitzung am 1. April 1966, S. 13ff und Anhang, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 113. 1355 Protokoll der 95. und letzten Beiratssitzung vom 29. Mai 1970, S. 20, in: NWA 5, Zg. 6/2007, Nr. 132. 1356 Ebenda, S. 20 f.

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meinwohl rekurrierte, verhielt sie sich außerhalb Braunschweigs nicht mehr wie eine öffentliche Bank. Wenn man den bisherigen Forschungen zur Deutschland AG folgt, dann unterschied sie sich auch von den Großbanken, die sich zumindest rhetorisch am Gemeinwohl orientierten. Die Staatsbank strebte hingegen ausschließlich nach Gewinn. Die Finanzierung von Unternehmen unterschied sich auf der überregionalen Ebene nicht sonderlich von Geldmarktgeschäften oder dem Erwerb von Wertpapieren. Die Staatsbank konnte so handeln, weil das außerbraunschweigische Geschäft nicht im Fokus ihres politischen Legitimationsprozesses stand. Dem Beirat und dem Kreditausschuss genügte es zu wissen, dass die Region insgesamt finanziell von dem überregionalen Austausch profitierte. Die Formulierung des Wettbewerbs als neue Legitimationsgrundlage für öffentliche Banken auf der nationalen Ebene durch Schiller und Poullain konnte die Expansion der Staatsbank dagegen erst nachträglich legitimieren. Sie half ihr dafür bei dem Verkauf ihrer Anteile an der IHB an andere Landesbanken, weil diese nun eher bereit waren, Anteile an dem Institut zu erwerben. Die Staatsbank konnte sich just zu dem Zeitpunkt aus dem Risiko zurückziehen, als die Probleme der IHB gerade begannen. Rein betriebswirtschaftlich hatte sie im überregionalen Geschäft erfolgreich gehandelt. Weil andere Kriterien als die Erzielung betriebswirtschaftlicher Gewinne außerhalb Braunschweigs nicht verlangt wurden, hatte die Staatsbank keine Probleme, ihr Handeln zu rechtfertigen.

5.6 Zwischenfazit: die Staatsbank als „Banque d’Affaires“ Auf dem Gebiet der Unternehmensfinanzierung wuchs die Braunschweigische Staatsbank nach dem Zweiten Weltkrieg in nahezu jeder Hinsicht zu einer Großbank heran. Am Ende ihrer Geschichte dominierte sie nicht nur die Unternehmensfinanzierung in ihrem Geschäftsgebiet, sie hatte ihre Produktpalette in diesem Geschäftsbereich so stark erweitert, dass sie ihren Kunden eine finanzielle Rundumversorgung anbieten konnte. Dazu gehörte neben der Investitions- und der Außenhandelsfinanzierung auch die Sanierung von Unternehmen im Krisenfall und damit einhergehend das Angebot von Kapitalbeteiligungen. Gleichzeitig war die Staatsbank dem ehemaligen Land Braunschweig teilweise entwachsen und bot ihre Finanzierungsleistungen in ganz Deutschland und zunehmend international an. Die Kreditvergabe außerhalb Braunschweigs unterschied sich in der Praxis fundamental von der Unternehmensfinanzierung innerhalb des Geschäftsgebietes. Bei Letzteren agierte die Staatsbank im Hinblick auf den Konditionenwettbewerb eher defensiv, sie passte also ihre Kreditkonditionen an die ihrer Wettbewerber an. Außerhalb Braunschweigs jedoch ging sie deutlich offensiver vor und versuchte mithilfe ihrer Bankbeteiligungen, Kunden von den Großbanken abzuwerben. Auch die Entscheidungsgrundlage war hier oft eine andere. Während die Staatsbank inner-

5.6 Zwischenfazit: die Staatsbank als „Banque d’Affaires“ 

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halb Braunschweigs über sehr spezifische Informationen in Bezug auf die Solvenz der Kreditnehmer verfügte, war sie außerhalb ihres Geschäftsgebietes auf allgemein verfügbare Unternehmenskennziffern angewiesen. Nicht zuletzt wurden die Kredite außerhalb Braunschweigs vollkommen anders begründet. Nur hier spielten beispielsweise Gewinnchancen eine Rolle. Die umfassende Expansion der Staatsbank blieb in der Zeit nicht ohne Kritik. Diese kam dabei nicht von den wirtschaftlichen Wettbewerbern der Staatsbank, sondern von ihren politischen Konkurrenten, insbesondere von der Niedersächsischen Landesbank und dem Niedersächsischen Sparkassenverband. Der Staatsbank gelang es jedoch zu verhindern, dass diese Kritik zu Maßnahmen führte, die ihre Geschäftstätigkeit eingeschränkt hätten. So gewann sie durch die Privatisierung der Niedersachsen GmbH die notwendige politische Unterstützung für den Ausbau ihres Beteiligungsgeschäftes. Die Kritik am Aufbau des überregionalen Kreditgeschäftes konterte sie mit dem Hinweis, dass sie aufgrund der schwachen Ersparnisbildung in Braunschweig auf den Import von Kapital angewiesen sei. Die Kredite an auswärtige Unternehmen waren demnach lediglich Kompensationsgeschäfte. In der Tat konnte die Staatsbank für ihre Expansion keine ausreichenden Finanzmittel aus der Region heranziehen. Stattdessen musste sie Gelder von auswärts einwerben, insbesondere in Form von staatlichen Darlehen und dem Verkauf von Schuldverschreibungen. Sie konnte dabei aufgrund ihrer Rolle als Finanzier des Zonengrenzlandes auf Unterstützung aus der Politik setzen. Dennoch ist das Argument, dass der Aufbau des überregionalen Kreditgeschäftes eine Folge des Kapitalmangels ist, etwas schief. Spätestens ab 1965 nahm das überregionale Kreditgeschäft eine Dimension an, die nicht mehr mit dem Kapitalbedarf der Staatsbank gerechtfertigt werden konnte. Vielmehr standen die Ertragschancen im Mittelpunkt des Interesses der Bank.

6 Zusammenfassung und Ausblick Die Expansion der Staatsbank im Bereich der Unternehmensfinanzierung hat, um mit Knut Borchardt zu sprechen, hauptsächlich „historische Gründe“ gehabt. Sie war überwiegend den speziellen historischen und regionalen Bedingungen in und um Braunschweig geschuldet. Die bisherigen Erklärungsansätze für die Expansion der öffentlichen Banken in der Unternehmensfinanzierung in Deutschland sind dagegen für die Erklärung der Entwicklung der Braunschweigischen Staatsbank unzulänglich. Sie können zwar einzelne Teile der Expansion erklären, nicht jedoch die Gesamtentwicklung. Die liberale Kritik am Geschäftsgebaren der öffentlichen Banken trifft im Falle der Staatsbank annäherungsweise nur auf die Finanzierungen außerhalb Braunschweigs zu. Sowohl im Rahmen der „Ostfalen-Aktion“ Mitte der 1930er Jahre als auch in der zweiten Expansionsphase ab 1958 verhielt sich die Staatsbank weitgehend so, wie liberale Ökonomen dies von öffentlichen Banken erwarten. In Abwesenheit politischer Legitimationszwänge agierte die Staatsbank wie ein gewinnmaximierendes Unternehmen. Sie trat im Wettbewerb mit den privaten Banken offensiv auf und versuchte, Kunden von der Konkurrenz abzuwerben. Dazu setzte sie auf günstigere Konditionen und nahm teilweise sogar Verluste in Kauf. Der Eintritt der Staatsbank in den Wettbewerb mit den Großbanken auf der nationalen Ebene ähnelte ironischerweise dem Eintritt der Großbanken in den regionalen braunschweigischen Kreditmarkt in den 1920er Jahren. Auch die Staatsbank kaufte sich in den Markt ein und stellte in erster Linie ihre Finanzkraft zur Verfügung. Da die „Ostfalen-Aktion“ jedoch sehr stark vom regionalen historischen Kontext abhängig war, bleibt einzig die Expansionsphase seit 1958, um allgemeine Tendenzen im öffentlichen Kreditwesen aus der Entwicklung der Staatsbank abzuleiten. In der Tat war das Institut bei dem Versuch, den Großbanken im Bereich der Industriefinanzierung auch auf Bundesebene Marktanteile streitig zu machen, nicht allein. Die anderen Landesbanken beteiligten sich Ende der 1960er Jahre ebenfalls an dieser Strategie, in deren Mittelpunkt die Industrie- und Handelsbank stand. Der offensive Wettbewerb der Landesbanken wurde dabei durch den damaligen Wirtschaftsminister Karl Schiller politisch unterstützt, der die Landesbanken als „Hecht im Karpfenteich“ einsetzen wollte, um das Oligopol der Großbanken in der Industriefinanzierung zu brechen. Die Frage ist, ob auch die Praxis der Kreditvergabe der Staatsbank im auswärtigen Kreditgeschäft repräsentativ für die anderen Landesbanken ist. Um diese Frage zu beantworten, sind noch weitere Anstrengungen zur Untersuchung der historischen Praxis der Unternehmensfinanzierung der Landesbanken in diesem Zeitraum notwendig. Interessant ist in diesem Zusammenhang

https://doi.org/10.1515/9783110697223-006

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immerhin die Beobachtung der Autoren der Geschichte der Bayern LB, dass sich die politischen Entscheidungsträger zunehmend wie private Anteilseigner der Bank verhielten.1357 Vollkommen anders ist die Entwicklung der Unternehmensfinanzierung der Staatsbank in ihrem eigenen Geschäftsgebiet zu bewerten. Im direkten Wettbewerb mit den privaten Banken verhielt sich die Staatsbank hier grundsätzlich defensiv. Es wurden so gut wie keine Fälle gefunden, bei denen die Staatsbank versucht hätte, mithilfe eines aggressiven Konditionenwettbewerbs neue Kunden innerhalb ihres Geschäftsbereichs zu gewinnen. Neue Kreditnehmer hat die Staatsbank vielmehr außerhalb des Wettbewerbs gewonnen. Diese Feststellung gilt dabei sowohl für den gewerblichen Mittelstand als auch für die Industrie. Ansonsten gab es jedoch deutliche Unterschiede in der Praxis der Kreditvergabe an diese beiden Kreditnehmergruppen. Der gewerbliche Mittelstand, so wie er in dieser Untersuchung definiert wurde, bestand aus dem Handwerk, dem Einzelhandel und dem Kleingewerbe. Die Staatsbank finanzierte diese Gruppe hauptsächlich aus politischen Gründen. Betriebswirtschaftlich hingegen war diese Aufgabe eher unattraktiv. Die Konflikte, die zwischen dem Mittelstand und der Staatsbank immer wieder auftraten, lassen sich recht gut mit dem Relationship-Lending-Ansatz erklären. Die Staatsbank war zu keinem Zeitpunkt in der Lage, die großen Informationsasymmetrien zu überwinden, die zwischen der Bank und ihren mittelständischen Kunden bestand. Dies wäre jedoch notwendig gewesen, um bei Krediten an Handwerker, Händler und Gewerbetreibende auf materielle Sicherheiten zu verzichten. Die Vergabe von Krediten auf Basis der Einschätzung der persönlichen Kreditwürdigkeit hätte von der Staatsbank nur dann geleistet werden können, wenn den Filialleitern weitgehende Handlungsfreiheit gewährt worden wäre. Der Fall Salzgitter-Lebenstedt in den 1950er Jahren zeigt jedoch die großen Risiken einer solchen Strategie. Insgesamt war die Struktur der Staatsbank nicht für die Vergabe von Mittelstandskrediten ausgelegt. Dies ist auch der Grund dafür, dass die Staatsbank bei ihren Sonderkreditaktionen auf externe Informanten zurückgreifen musste. In den 1930er Jahren nutzte sie dafür die Kapazitäten der Handwerkskammer und der Industrie- und Handelskammer. In den späten 1950er Jahren griff sie auf die Dienste der Kreditgarantiegemeinschaften zurück. Nur dadurch konnte die Staatsbank überhaupt in einem gewissen Umfang ungesicherte Kredite an den Mittelstand vergeben. Letztlich gewann die Staatsbank mittelständische Kunden hauptsächlich aufgrund fehlenden Wettbewerbs. Den Aufbau eines Konkurrenzinstituts in den 1920er Jahren verhinderte das Institut zwar durch die Anwendung ihrer Finanzkraft. Gleichzeitig unterstützte sie jedoch die braunschweigischen Genossenschaften durch den Aufbau einer Genossenschaftsabteilung. Zu diesem Zeitpunkt sah die Staatsbankführung diese Institute noch nicht als Wettbewerber. In den 1950er Jahren jedoch 1357 Bähr; Decroll; Gotta, Fazit, S. 319.

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stiegen die Genossenschaftsbanken zu ernsthaften Konkurrenten der Staatsbank auf, die damit zum ersten Mal bei der Vergabe von Mittelstandskrediten im Wettbewerb stand. Die Mittelstandskreditaktionen in den 1950er Jahren waren daher nicht unmittelbar politisch motiviert, sondern dem zunehmenden Wettbewerb geschuldet. In diesem Wettbewerb spielte die Staatsbank ihren überlegenen Zugang und ihre Expertise bei der Beantragung von staatlichen Förderprogrammen aus. Dennoch gelang es den Genossenschaftsbanken nach dem Zweiten Weltkrieg, sich als Finanziers des Mittelstandes in Braunschweig zu etablieren. Wie die Aussagen in der Emnid-Umfrage von 1956 vermuten lassen, nutzten die Genossenschaften dabei die Informationsdefizite und die Unfähigkeit der Staatsbank, Personalkredite zu vergeben. Auch wenn die Staatsbankführung sich rhetorisch immer wieder als Bank des gewerblichen Mittelstandes repräsentierte, fand sie ihre tatsächliche Aufgabe in der Finanzierung der heimischen Industrie. Im Gegensatz zur Mittelstandsfinanzierung wurde der Wettbewerb der Banken um Industriekunden jedoch von Beginn an intensiv geführt. Nur in speziellen Situationen war die Staatsbank hier konkurrenzlos. Dennoch gewann die Staatsbank in diesen besonderen Situationen einen Großteil ihrer industriellen Kundschaft. Die ersten großen Industriekunden der Staatsbank in der Weimarer Republik waren ausnahmslos Sanierungsfälle. Dies gilt ebenso für die braunschweigischen Banken, die die Staatsbank nach der Währungsreform und in der Weltwirtschaftskrise übernahm. Die Finanzierung der Rüstungsindustrie in Braunschweig in der Zeit des Nationalsozialismus erfolgte ebenfalls weitgehend außerhalb des Wettbewerbs. Die Großbanken waren vielmehr jederzeit bereit, sich das Risiko dieser Kredite mit der Staatsbank zu teilen. Dies gilt auch noch für die unmittelbare Nachkriegszeit, als die Staatsbank bei der Finanzierung des Volkswagenwerkes die Führung übernahm. In der Zeit nach der zweiten Währungsreform gewann die Staatsbank neue Kunden ebenfalls hauptsächlich dadurch, dass sie besondere Finanzierungen durchführte, die die anderen Banken nicht zu übernehmen bereit waren. Sie entwickelte daraus sogar ein spezielles Geschäftsmodell, indem sie ihr industrielles Beteiligungsgeschäft über Unternehmenssanierungen aufbaute. Die Frage ist, warum die Staatsbank sowohl Willens als auch in der Lage war, in diesen Ausnahmesituationen zu handeln. Im Sinne des Relationship-Lending-Ansatzes wäre zu vermuten, dass die Staatsbank mehr und bessere Informationen über die Industrie in Braunschweig besaß als ihre Konkurrenz von den Großbanken und deshalb die Risiken der Kreditvergabe besser einschätzen konnte. Es gibt in der Tat einige Hinweise darauf, dass die Staatsbank über ein profundes und breites Wissen über die industriellen Zusammenhänge innerhalb ihres Geschäftsgebietes verfügte. Der Bericht zur Lage der Industrie aus dem Jahr 1933 zeigt etwa, dass die Staatsbank bereits zu diesem Zeitpunkt über ein gut funktionierendes System zur Informationsgewinnung verfügte. Dennoch lässt sich der Einstieg der Staatsbank bei sanierungsbedürftigen Unternehmen nicht mit einer besseren Informationslage erklären. Bereits am Beginn der Expansion in den 1920er Jahren musste die Staatsbankführung

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einige harte Lektionen lernen, etwa bei der Sanierung von Bremer & Brückmann. Bei fast allen folgenden Sanierungsfällen wurde die Staatsbank von dem Ausmaß der Krise überrascht. In auffällig vielen Fällen gerieten die Unternehmen zudem kurz nach den Sanierungsanstrengungen erneut in eine Krise. Den Ergebnissen der Forschung Richard Tillys nach zu urteilen, unterscheiden sich die Sanierungsanstrengungen der Staatsbank in ihrem typischen Verlauf kaum von den Sanierungen, die die Großbanken durchgeführt haben.1358 Die Expansion der Staatsbank ist also auch im Bereich der Industriefinanzierung nicht auf einen Informationsvorsprung zurückzuführen. Warum hat die Staatsbank dennoch Kunden hauptsächlich in Krisen und anderen Ausnahmesituationen gewonnen? Betriebswirtschaftlich lässt sich dieses Verhalten mit der sehr unterschiedlichen Kundenstruktur bei der Staatsbank im Vergleich zu den konkurrierenden Großbanken erklären. Für die Großbanken waren die Unternehmen, die sie an die Staatsbank verloren, in Bezug auf das nachgefragte Kreditvolumen meist unauffällig oder sogar unterdurchschnittlich. Für die Staatsbank dagegen waren diese Kunden gerade zu Beginn der Expansion mit weitem Abstand die größten und profitabelsten in ihrem gesamten Portfolio. Wie in Kapitel 4.2 gezeigt, verdiente die Staatsbank mit den wenigen Großkrediten mehr als mit hunderten der für die Staatsbank damals noch vorherrschenden Kleinkredite. Sie waren also für die Staatsbank betriebswirtschaftlich deutlich wertvoller als für die Großbanken. Der zweite Grund für die Kundenakquise außerhalb des Wettbewerbs ist politischer Natur. Bei der Industriefinanzierung stand die Staatsbankführung gerade zu Beginn unter einem starken politischen Rechtfertigungsdruck. Einerseits wurde das Institut von seinen Konkurrenten dafür kritisiert, dass es in ihr Geschäft einzudringen versuchte. Diese Kritik war auch später noch wirksam, wie die Beschwerde der Großbanken bei Hjalmar Schacht in den 1930er Jahren oder ihre von der Staatsbankführung befürchtete Intervention im Niedersächsischen Landtag in den 1950er Jahren zeigt. Auf der anderen Seite stand die Industriefinanzierung im Konflikt mit anderen Aufgaben der Staatsbank, insbesondere dem Mittelstandskredit und der Finanzierung der öffentlichen Hand. Diese Konstellation zwang die Staatsbankführung dazu, das öffentliche Interesse an ihrem Industriefinanzierungsgeschäft immer wieder aufs Neue nachzuweisen. Dies wird zuerst deutlich bei der Entwicklung der Strategie der „regionalen Champions“ in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Sie war darauf gerichtet, den in der Anpassungskrise nach der Währungsreform vollzogenen Einstieg der Staatsbank in die Industriefinanzierung langfristig politisch abzusichern. Der Versuch, „braunschweigische Lösungen“ zu schaffen, legitimierte die Industriefinanzierung nicht als unmittelbare Krisenintervention, sondern als Kampf für den Erhalt einer eigenständigen regionalen Industriestruktur. Diese Strategie war zwar politisch tragfähig, 1358 Vgl. Tilly, Giant Debtors, S. 107–135, hier besonders S. 133 f.

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allerdings nur in Braunschweig und nicht auf Reichsebene. Die im nationalen Kontext mangelnde politische Legitimation war der Grund für das Scheitern der Auslandsanleihe. In Braunschweig wiederum stand die Industriestrategie hinsichtlich der Prioritäten der politischen Kräfte hinter der unmittelbaren Finanzierung des Staates zurück. Weil die Staatsbankführung auch nicht bereit war, ihre Industriestrategie auf Kosten der wirtschaftlichen Stabilität der Bank zu forcieren, scheiterte sie letztlich am Kapitalmangel. Dieses Scheitern bedrohte wiederum die langfristige politische Legitimation des Industriekreditgeschäftes. Erst durch die Aufrüstung in der Zeit des Nationalsozialismus fand die Staatsbankführung jenseits der Krisenintervention eine neue Aufgabe in der Industriefinanzierung. Diese Aufgabe rückte den Industriekredit erstmals in den Mittelpunkt des politischen Interesses an der Bank. Unter der Aufsicht des Reichswirtschaftsministeriums trat sogar die Finanzierung des Landes Braunschweig dahinter zurück. In diesem Kontext fiel es der Staatsbankführung nicht schwer, die Rüstungsfinanzierung mit dem öffentlichen Interesse zu begründen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit konnte die Staatsbankführung in der Auseinandersetzung um die Prioritäten ihrer Kreditvergabe wiederum durchsetzen, dass sie neben dem Wohnungsbau auch die Wiederingangsetzung der Wirtschaft unterstützen durfte. Die große Not der Industriestädte Salzgitter und Wolfsburg sowie die Erfahrungen mit der Finanzierung des Volkswagenwerkes unmittelbar nach Kriegsende spielten hierbei eine Rolle. In den 1950er und 1960er Jahren profitierte die Staatsbank schließlich davon, dass das gesamte Geschäftsgebiet der Staatsbank zum Zonenrandgebiet und damit zum Objekt staatlicher Förderung erklärt wurde. Die Staatsbank konnte Finanzierungen innerhalb ihres Gebietes also grundsätzlich mit der Förderungsbedürftigkeit des Wirtschaftsraums begründen. Dieses Argument war auch in der Praxis der Kreditvergabe relevant. So wurde bei Entscheidungen über die Durchführung von Unternehmenssanierungen häufig das Argument verwendet, dass die Liquidation des betreffenden Unternehmens ein Gebiet treffen würde, das ohnehin schon benachteiligt war. Die politische Begründung der Unternehmensfinanzierung bestimmte auch die Rechtfertigungsstrategie der Staatsbank im Kreditausschuss. Dort findet sich zum Beispiel kein einziger Fall, bei dem die Kreditvergabe innerhalb des Geschäftsgebietes mit zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten für die Staatsbank begründet wurde. Die besseren Möglichkeiten zur Rechtfertigung der Unternehmensfinanzierung in Braunschweig in der Nachkriegszeit gingen einher mit der Verlagerung der politischen Auseinandersetzung um die Ziele des Instituts in die bankeigenen Entscheidungs- und Kontrollgremien. Das öffentliche Interesse an der Bank wurde immer mehr vom Beirat und dessen Ausschüssen formuliert. Die Ursache dieses Wandels war die Auflösung des Landes Braunschweig 1946, in dessen Folge auch die zentralen Institutionen der politischen Willensbildung für den Geschäftsbereich der Staatsbank abgeschafft wurden. Das Niedersächsische Finanzministerium als Aufsichtsbehörde konnte diese Rolle nicht erfüllen, weil es nicht ausschließlich die Interessen

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Braunschweigs vertreten konnte. Der Beirat der Staatsbank, in dem die öffentliche Hand keine Mehrheit besaß, bildete die Interessen der Region deutlich besser ab als das Land Niedersachsen. Das Direktorium der Staatsbank, das in der Praxis einen großen Einfluss auf die Zusammensetzung des Beirates ausübte, konnte im Zuge dieser Verlagerung seine Visionen von der Rolle der Staatsbank im Zonengrenzland weitgehend durchsetzen. Diese Rolle war jedoch weiterhin vom öffentlichen Interesse geleitet, weshalb die Unternehmensfinanzierung der Staatsbank innerhalb Braunschweigs auch in den 1950er und 1960er Jahren grundsätzlich politisch begründet werden musste. Dass die Staatsbank Neukunden überwiegend außerhalb des unmittelbaren Wettbewerbs akquirierte, lag im Wesentlichen daran, dass diese Form der Akquise politisch einfacher durchzusetzen war als die offensive Abwerbung von Kunden, wie die Staatsbank dies außerhalb Braunschweigs praktizierte. Allerdings bedeutet dies keinesfalls, dass die Staatsbank sich dem Wettbewerb mit den privaten Banken nicht gestellt hätte. Vielmehr ist deutlich zu erkennen, wie die Staatsbank ihre Kreditkonditionen unter dem Druck des Wettbewerbs laufend angepasst hat. Dies war bereits in der Inflationszeit der Fall, als es der Staatsbankführung gelang, die restriktiven Kreditgrundsätze zu flexibilisieren. Der Wandel der Entscheidungsstrukturen innerhalb der Staatsbank führte schließlich in den 1930er und 1940er Jahren dazu, dass die Staatsbankführung ihre Kreditvergabe flexibel an den Wettbewerb anpassen konnte. Dazu trug insbesondere die Gründung des Kreditausschusses bei. Die Analyse der Kreditausschussprotokolle hat gezeigt, dass diese flexiblen Entscheidungsstrukturen hauptsächlich dazu genutzt wurden, im Wettbewerb mit den konkurrierenden Banken Schritt zu halten. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Staatsbank ihre Kunden zwar überwiegend außerhalb des Wettbewerbs gewonnen, ihre bestehenden Kundenbeziehungen jedoch im Wettbewerb verteidigt hat. Insofern stimmen die Annahmen der Safe-Haven-These nur teilweise. Die zweite Frage ist, warum die Staatsbank überhaupt in der Lage war, Unternehmen außerhalb von Wettbewerbssituationen zu finanzieren. Warum war die Staatsbank insbesondere in Krisen handlungsfähig? Ein zentraler Faktor war dabei ohne Zweifel die breite Basis der Refinanzierung der Staatsbank. Im Gegensatz zu den Sparkassen und den Landesbanken war sie keine Spezialistin, sondern nutzte nahezu alle gängigen Refinanzierungsformen. Insbesondere die Kombination von Spareinlagen und Schuldverschreibungen hatte starke Auswirkungen auf die Stabilität der Bank. Abseits von Krisen finanzierte die Staatsbank das langfristige Kreditgeschäft zwar nicht ausschließlich, jedoch überwiegend über Pfandbriefe und Schuldverschreibungen. Dies ermöglichte es ihr, die Spareinlagen für das kurzfristige Kreditgeschäft zu nutzen. In Krisenzeiten profitierte die Staatsbank von dieser Fristenkongruenz, weil der Abzug von Spareinlagen nicht so stark auf die Liquidität durchschlug. Insgesamt hatten die Spareinlagen für die Staatsbank nicht die Bedeutung, die ihnen in der Literatur in Bezug auf den Aufstieg der Sparkassen im deutschen Kredit-

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wesen häufig zugeschrieben wurde.1359 Mit Ausnahme der Inflationsjahre war die Expansion der Staatsbank nie von dem allgemeinen Wachstum der Einlagen getrieben. Über lange Zeiträume hinweg hatte die Staatsbank vielmehr Mühe, genug Refinanzierungsmittel für ihr Kreditgeschäft einzuwerben. Das Wachstum der Staatsbank war eine Folge des Wachstums des Kreditgeschäftes, nicht der Einlagen. Dennoch erfüllten die Spargelder für die Staatsbank eine wichtige Funktion. Mit diesen Einlagen kompensierte sie den Ausfall des Kapitalmarktes im unmittelbaren Anschluss an Wirtschaftskrisen. Die Handlungsfähigkeit der Staatsbank in Krisen ergab sich daher nicht bereits aus der Möglichkeit, sowohl Schuldverschreibungen als auch Spareinlagen zu nutzen, sondern aus der intelligenten Kombination dieser beiden Möglichkeiten. Die Staatsbank betrieb Fristentransformation nur unmittelbar nach Krisen. Die Finanzierung des kurzfristigen Kreditgeschäftes über Spareinlagen brachte der Staatsbank auch gegenüber ihren Konkurrenten aus der Privatwirtschaft einen entscheidenden Vorteil. Spareinlagen erforderten einerseits einen höheren Verwaltungsaufwand als Depositen und Kontokorrenteinlagen von Unternehmen, mit denen sich die privaten Banken überwiegend refinanzierten. Andererseits waren sie in der Regel billiger und deutlich weniger volatil. In der gesamten Geschichte der Staatsbank hat es überhaupt nur drei größere Rückgänge bei den Spareinlagen gegeben. Zwei davon waren der Vernichtung der Spareinlagen durch die beiden Währungsreformen geschuldet, zudem kam es in direkter Folge der Bankenkrise 1931 zu substantiellen Abzügen von Spareinlagen. Nach der ersten Währungsreform lässt sich bei der Staatsbank ein Effekt beobachten, der mit den Annahmen der Safe-Haven-These übereinstimmt. Der Staatsbank flossen 1924 und 1925 große Summen an privaten Kontokorrentguthaben zu. Dies lag hauptsächlich an der existentiellen Krise der alten Kreditbanken in Braunschweig, die diese Gelder bisher verwaltet hatten. Im Wettbewerb mit den neu auftretenden Großbanken auf der einen, und der Braunschweigischen Staatsbank auf der anderen Seite, hatten diese regionalen Institute sich großen Risiken ausgesetzt und ihr Eigenkapital größtenteils aufgezehrt. Die Krise der privaten Banken kam nach der Währungsreform unmittelbar der Staatsbank zugute, die von den Anlegern als vergleichsweise sicher eingestuft wurde. Die Staatsbank rechtfertigte dieses Vertrauen in der Stabilisierungsphase der Weimarer Republik mit einer sehr vorsichtigen Liquiditätspolitik. Das große Volumen liquider Anlagen war jedoch auch aus anderen Gründen notwendig. Erstens konnte die Staatsbank nur eingeschränkt auf die Gewährträgerhaftung des Freistaates zählen, weil dessen finanzielle Lage im Laufe der Zeit immer prekärer wurde. In der Weltwirtschaftskrise entstand dadurch die scheinbar paradoxe Situation, dass 1359 Vgl. dazu Pohl, Die rheinischen Sparkassen, S. 282; Wolf, Herbert, Vom Großbankengesetz bis zur „Normalisierung“ (1953–1958), in: Pohl, Hans (Hg.), Geschichte der deutschen Kreditwirtschaft seit 1945, Frankfurt am Main 1998, S. 111–148, S. 133.

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die Staatsbank auf dem Kapitalmarkt als kreditwürdiger eingestuft wurde als ihr eigener Gewährträger. Zweitens kam der Kapitalmarkt in dieser Phase nur sehr schleppend in Schwung und brach in der Weltwirtschaftskrise gleich wieder zusammen. Die Staatsbank konnte das Instrument des Pfandbriefs also nur eingeschränkt nutzen und musste auch das langfristige Kreditgeschäft zusätzlich mit Spareinlagen refinanzieren. Die dadurch entstandene Fristentransformation erforderte zusätzliche Anstrengungen bei der Liquiditätsvorsorge. In diesem Zusammenhang kommt dem Verzicht der Staatsbankführung unter Oscar Stübben auf kurzfristige Auslandskredite eine besondere Bedeutung zu. In diesem Fall nahm die Staatsbankführung in der Tat eher das Scheitern ihrer Industriestrategie in Kauf, als sich auf diese Finanzierungsform einzulassen. Diese Grundsatzentscheidung war einerseits der wirtschaftspolitischen Weitsicht Stübbens zu verdanken, womit hier tatsächlich das Handeln einzelner Akteure eine entscheidende Ursache für die Entwicklung der Staatsbank gewesen ist. Andererseits ist diese Entscheidung darauf zurückzuführen, dass die Staatsbank nicht dem gleichen Konkurrenzdruck ausgesetzt war wie ihre privaten Konkurrenten. Sie musste nicht kurzfristige Auslandskredite aufnehmen, um als selbstständiges Institut zu überleben. Die umfangreiche Liquiditätsvorsorge ermöglichte es der Staatsbank, die Abzüge der Spareinlagen in der Bankenkrise 1931 weitgehend zu kompensieren. Sie musste daher ihre Kreditvergabe nur wenig einschränken, wobei von den Restriktionen hauptsächlich der Freistaat Braunschweig betroffen war. Bereits Anfang 1932 war sie im Gegensatz zu den Großbanken, die im Zuge der Teilverstaatlichung weitgehend gelähmt waren, wieder voll handlungsfähig. Die Zeit unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war bestimmt durch die Folgen der „geräuschlosen“ Kriegsfinanzierung. In dieser Zeit blieb die Staatsbank aus mehreren Gründen handlungsfähig. Einerseits kam es nicht zu einem Abzug der für den Alltagsgebrauch ohnehin weitgehend wertlosen Spareinlagen. Zweitens profitierte die Staatsbank wiederum davon, dass sie einen Teil des langfristigen Geschäftes nach wie vor mit Pfandbriefen finanziert hatte. Die Hypothekenabteilung war in den ersten Jahren einer der wenigen Gewinnbringer. Drittens profitierte die Staatsbank hier erstmals direkt von ihrem Industriefinanzierungsgeschäft, weil die Unternehmen, die nach 1945 wieder mit der Produktion begannen, auch ihre Zinszahlungen wiederaufnahmen. Nach der Währungsreform 1948 hatte die Staatsbank länger andauernde Probleme mit der Refinanzierung, weil einerseits die Ersparnisbildung nur langsam in Gang kam, andererseits auch der Kapitalmarkt noch nicht funktionierte. In dieser Situation spielten zum ersten Mal staatliche Gelder eine entscheidende Rolle für die Refinanzierung des Instituts. Die Staatsbank warb erstens öffentliche Einlagen und Darlehen ein, zweitens fand sie in den öffentlichen Stellen und besonders in der Sozialversicherung Abnehmer für ihre Pfandbriefe. Drittens profitierte die Staatsbank in besonderem Maße von den staatlichen Kreditprogrammen, die nach der Währungsreform aufgelegt wurden. Ihre vergleichsweise große Handlungsfähigkeit ver-

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dankte die Staatsbank hier in erster Linie ihrer Eigenschaft als öffentlich-rechtliches Institut. Auch wenn Sparkassen und Landesbanken in ihrer Gesamtheit einen ähnlichen Refinanzierungsmix besaßen wie die Staatsbank, so lassen sich daraus keine Schlüsse für die Handlungsfähigkeit einzelner Institute des öffentlichen Kreditwesens ableiten. Den Sparkassen standen fast ausschließlich Spareinlagen zur Verfügung, den Landesbanken dagegen Gelder der Sparkassen und der Kapitalmarkt. Die besondere Refinanzierungsstruktur der Staatsbank lässt sich nicht ohne Weiteres auf andere Bereiche des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens übertragen. Um zusammenfassend noch einmal die drei in der Einleitung erwähnten Erklärungsansätze aufzugreifen, lässt sich folgendes Fazit ziehen. Die Staatsbank hat nur außerhalb des braunschweigischen Landes so gehandelt, wie die Kritik liberaler Ökonomen dies annahm. In Braunschweig selbst hat sich das Institut in unmittelbaren Wettbewerbssituationen auf den ersten Blick so verhalten, wie es der Kontinuitätsthese entspricht. Allerdings hat sie in diesem Wettbewerb nicht aufgrund von überlegenen Informationen standgehalten, sondern indem sie ihre Kreditkonditionen an die Wettbewerbsverhältnisse angepasst hat. Sie gab ihren Kunden somit keinen Grund, die Bank zu wechseln. Vor allem jedoch erklärt die Tatsache, dass die Staatsbank im Wettbewerb mit anderen Banken mithielt, nicht ihre Expansion in der Unternehmensfinanzierung. Die entscheidenden Schritte fanden vielmehr außerhalb des direkten Wettbewerbs statt, so wie es die Safe-Haven-These postuliert. Dieses Muster der Expansion hatte drei wesentliche Ursachen. Erstens bestand generell ein großer finanzieller Anreiz für die Staatsbank, im Bereich der Unternehmensfinanzierung zu expandieren. Insbesondere die Gewinnung von Industriekunden aus dem Raum Braunschweig war für die Staatsbank angesichts der über weite Zeiträume geltenden regionalen Beschränkung ihrer Geschäftstätigkeit und ihres kleinteiligen Kreditgeschäftes deutlich attraktiver als für die Großbanken. Der relativ größere finanzielle Wert heimischer Industriebetriebe für die Staatsbank erhöhte im Grundsatz die Bereitschaft des Instituts, für deren Akquise höhere Risiken einzugehen. Diese größere Risikobereitschaft – dies ist eine zentrale Erkenntnis dieser Untersuchung – war jedoch in der Praxis nur dann wirksam, wenn es der Staatsbankführung gelang, ihr betriebswirtschaftliches mit einem öffentlichen Interesse an den Finanzierungsleistungen des Instituts zu verbinden. Industriefinanzierungen innerhalb Braunschweigs unterlagen einem besonderen Rechtfertigungszwang, weil es dem Gründer und den Direktoren der Staatsbank im Gegensatz zur Mittelstandsfinanzierung nie gelang, Industriekredite generell als gemeinnützige Aufgabe der Staatsbank zu etablieren. Die spezifischen historischen Kontexte und politischen Konstellationen, die der Staatsbankführung die politische Rechtfertigung der Unternehmensfinanzierung ermöglichten, prägten daher das Muster der Expansion. Dabei kam der Staatsbankführung zugute, dass spätestens seit der Auflösung des Landes Braunschweig 1946 die Entscheidungs- und Kontrollgremien der Staatsbank den po-

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litischen Diskurs über das öffentliche Interesse an der Bank in der Region bestimmten. Die dritte Ursache war die Aufrechterhaltung der finanziellen Handlungsfähigkeit der Staatsbank in Krisensituationen. Diese Handlungsfähigkeit basierte hauptsächlich auf der flexiblen Nutzung einer Vielzahl von Refinanzierungsformen, insbesondere der intelligenten Kombination von Schuldverschreibungen und Spareinlagen. Dass die Staatsbank beide Formen der Refinanzierung nutzte, ist der spezifischen historischen Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens in Braunschweig geschuldet. Sie ist also eine Folge institutioneller Pfadabhängigkeiten und nicht einer generellen Gemeinwohlorientierung geschuldet wie die Safe-HavenThese postuliert. Dennoch spielten zumindest in der Weimarer Republik auch Entscheidungen individueller Akteure eine entscheidende Rolle, die eher mit den Annahmen dieser These übereinstimmen. Aus den Ergebnissen dieser Untersuchung lassen sich einige Rückschlüsse für die weitere Erforschung der Expansion staatlicher Kreditinstitute im Bereich der Unternehmensfinanzierung ziehen. So reicht es m. E. nicht aus, die Expansion lediglich als Folge der Entwicklung der Spareinlagen zu interpretieren. Vielmehr sind die spezifischen Motive der Expansion in diesem Geschäftsfeld in den Blick zu nehmen. Dabei spielen neben den finanziellen auch die politischen Anreize eine entscheidende Rolle. Die Frage ist, in welchen Situationen es staatlichen Banken gelungen ist, die Unternehmensfinanzierung und insbesondere die Industriefinanzierung als legitime Aufgabe ihrer Geschäftstätigkeit durchzusetzen. Viele der hier vorgestellten politischen Gelegenheiten zur Expansion haben auch in anderen regionalen Kontexten existiert. Der Niedergang der Privat- und Provinzbanken etwa hat nicht nur in Braunschweig, sondern in ganz Deutschland stattgefunden. Auch die vielen Krisen, die Aufrüstung im Nationalsozialismus und der industrielle Strukturwandel boten in weiten Teilen Deutschlands Gelegenheiten zur politisch sanktionierten Expansion. Lediglich die Folgen der deutschen Teilung waren in Braunschweig überdurchschnittlich zu spüren. Ob diese Gelegenheiten von den jeweiligen Instituten genutzt wurden, hängt von mehreren Faktoren ab. Ein zentraler Faktor ist die Frage der finanziellen Handlungsfähigkeit der Institute in diesen besonderen Situationen. Hier liefert die Untersuchung der Staatsbank allerdings nur wenige Anhaltspunkte, weil ihre Refinanzierungsstruktur nicht mit der anderer öffentlich-rechtlicher Institute vergleichbar ist. Deutlich fruchtbarer dürfte die Untersuchung der Entwicklung der Entscheidungsstrukturen sein. Die Staatsbank hat ihre Strukturen unter dem Druck des Wettbewerbs immer stärker flexibilisiert. Die Frage ist, ob dies auch bei anderen öffentlichrechtlichen Instituten in dieser Weise und in dem Ausmaß geschehen ist. Ein letzter bedeutender Impuls für die weitere Forschung an diesem Thema bietet die Erkenntnis, dass die Praxis der Kreditvergabe außerhalb des angestammten Geschäftsgebietes der Staatsbank sich fundamental von der Praxis unterschied, die im braunschweigischen Land vorherrschte. Letztlich könnte dieser Umstand die langfristig

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entgegengesetzte Entwicklung von Sparkassen auf der einen und Landesbanken auf der anderen Seite erklären. Selbst das unterschiedliche Schicksal dieser beiden Institutsgruppen in der Finanzkrise 2007/08 könnte seine Ursache in der historisch-langfristigen Divergenz zwischen der regionalen und überregionalen Praxis der Kreditvergabe haben. Um diese Vermutung zu verifizieren, sind allerdings noch weitere Forschungsanstrengungen notwendig. Auch wenn sich aus der Untersuchung der Unternehmensfinanzierung der Staatsbank viele Anschlussmöglichkeiten für die weitere Forschung an diesem Thema ergeben, blieb das Institut selbst innerhalb des öffentlich-rechtlichen Kreditwesens in Deutschland ein Sonderfall. Obwohl die Staatsbank in ihrer Geschichte den anderen öffentlich-rechtlichen Banken wirtschaftlich deutlich überlegen war, wurden ihre Strukturen nicht einmal von der Bank übernommen, die ihre Nachfolge antrat: der Norddeutschen Landesbank. Im Vorfeld der Fusion der Staatsbank mit der Niedersächsischen Landesbank versuchte die Staatsbankführung um Carl Düvel, mithilfe von Leistungsvergleichen die Überlegenheit des Modells Staatsbank gegenüber dem Modell Sparkasse/Landesbank zu beweisen.1360 Diese Anstrengungen sind auch im Kontext der Frage zu sehen, wer die neue Bank führen sollte. Die Beweise, die von den Diskussionsgegnern nicht bestritten wurden, reichten jedoch nicht aus, um die Norddeutsche Landesbank im Sinne der Staatsbankführung zu gestalten. Dafür fehlte dieser die politische Unterstützung. Sie konnte sich nicht gegen die Niedersächsische Landesbank unter ihrem Präsidenten Wilhelm Pleister sowie den Niedersächsischen Sparkassenverband durchsetzen, der die Ausrichtung der neuen Bank an den Bedürfnissen der kommunalen Sparkassen forderte. Die Norddeutsche Landesbank wurde deshalb keine stark vergrößerte Staatsbank, sondern bekam eher die Strukturen der Niedersächsischen Landesbank.1361 Wilhelm Pleister wurde ihr erster Präsident, während der Staatsbankpräsident Carl Düvel entnervt von den Prozessen im öffentlich-rechtlichen Kreditwesen zum Versicherungskonzern Allianz wechselte.1362 Die Staatsbank vererbte der neuen Bank neben den problematischen Industriebeteiligungen noch die Braunschweigische Landessparkasse, die seit ihrer Umstrukturierung in den 2000er Jahren versucht, in die Fußstapfen der Staatsbank zu treten.1363 Zu einer Unternehmerbank, wie die Staatsbank sie gewesen ist, will der aktuelle Vorstandsvorsitzende sie allerdings nicht ausbauen, wie er auf Nachfrage versicherte. Insofern endet die Geschichte der 50 Jahre andauernden Expansion der 1360 Vgl. dazu das Protokoll der 91. Beiratssitzung vom 16. Dezember 1968, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 132. 1361 Regierungsvorlage NR. 769 zum Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung der Niedersachsenbank – Girozentrale – Niedersächsischer Landtag Sechste Wahlperiode vom 1. April 1969, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 357/2. 1362 Protokoll der 94. Beiratssitzung vom 11. Dezember 1969, S. 38, in: NWA 5 Zg. 6/2007, Nr. 132. 1363 „Wir holen die Marktanteile zurück – Stück für Stück“. Interview mit Christoph Schulz, Vorstandsvorsitzender der Landessparkasse und dem scheidenden Vertriebsvorstand Kurt Gliwitzky, Braunschweiger Zeitung vom 21. Oktober 2010.

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Braunschweigischen Staatsbank in der Unternehmensfinanzierung mit der Fusion 1970. Mit der hier vorliegenden Untersuchung wurde diese äußerst vielfältige Geschichte wieder ans Licht gebracht.

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Tabellen Tabelle 1: Bilanzsummen der Staatsbank, nominal und preisbereinigt (1914–1932) Tabelle 2: Bilanzstruktur (1914–1924, in Prozent der Bilanzsumme) Tabelle 3: Das kurzfristige private Kreditgeschäft 1919–1924 Tabelle 4: Private und öffentliche Schuldner der Staatsbank (1928–1933; in Millionen RM) Tabelle 5: Das Eigenkapital der Braunschweigischen Staatsbank (1914–1924) Tabelle 6: Gewinn, Rendite und Dividenden der Staatsbank 1925–1932 Tabelle 7: Die Liquidität der Braunschweigischen Staatsbank von 1924 bis 1932 Tabelle 8: Industriekredite 1926–1931 Tabelle 9: Die quantitative Definition des Mittelstandskredites Tabelle 10: Anteil der ungedeckten Kredite an den Debitoren in % Tabelle 11: Bilanzsummen der Staatsbank, nominal und preisbereinigt (1914–1932) Tabelle 12: Anteil der ungedeckten Kredite an den Debitoren in % Tabelle 13: Lohnkosten, ausgewiesener Gewinn und Gewinnabführungen Tabelle 14: Neu gewährte Kontokorrentkredite (in Millionen RM) Tabelle 15: „Großkredite“ (Oktober 1936) Tabelle 16: Skalenerträge bei Großkrediten Tabelle 17: Bilanzsumme und kurzfristige Aktiva 1932–1934 Tabelle 18: Marktanteile am Kreditgeschäft in Niedersachsen Tabelle 19: Eigenkapital der Braunschweigischen Staatsbank (in Millionen DM) Tabelle 20: Untersuchte Kreditvergaben in den Kreditausschussprotokollen 1948-1961 Tabelle 21: Im Kreditausschuss besprochene Kredite nach Vortragsgrund Tabelle 22: Marktanteil der Staatsbank im regionalen Kreditgeschäft

Abbildungen Abbildung 1: Marktanteile der Bankengruppen am kurzfristigen Kreditmarkt Abbildung 2: Die kurzfristigen Kredite der Ostfalen-Zweigkassen. Abbildung 3: Die kurzfristigen Kredite der Ostfalen-Zweigkassen. Abbildung 4: Die Entwicklung der Bilanzsummen verschiedener Bankengruppen Abbildung 5: Filialen der Staatsbank und der Landessparkasse Abbildung 6: Kreditfälle und durchschnittliches Kreditvolumen im Zeitverlauf Abbildung 7: Der Kreditfall Herdfabrik Delligsen vom 22. September 1955 Abbildung 8: Zahl der im Kreditausschuss besprochenen auswärtigen Kreditfälle

https://doi.org/10.1515/9783110697223-007

Quellen- und Literaturverzeichnis A Quellen 1 Archivquellen Bundesarchiv, Standort Berlin (BArch): Bestände: R 3101: Reichswirtschaftsministerium R 4701: Reichspostministerium R 8136: Reichskreditgesellschaft Niedersächsisches Landesarchiv, Standort Hannover (NLA HA): Bestand: Hann. 180 Hildesheim: Kreisverwaltung Hildesheim Nds. 200: Niedersächsisches Finanzministerium Niedersächsisches Landesarchiv, Standort Wolfenbüttel (NLA WO): Bestände: 12 Neu: Staatsministerium 12 Neu Wirtschaft 13: Staatsministerium, Wirtschaftsabteilung, staatseigene Unternehmen 23 Neu: Landtag 130 Neu 3: Kreisdirektion Holzminden Niedersächsisches Wirtschaftsarchiv (NWA): Bestand NWA 5: Braunschweigische Landessparkasse: Dieser Bestand enthält das ehemalige gemeinsame Unternehmensarchiv der Norddeutschen Landesbank und der Braunschweigischen Landessparkasse am Standort Braunschweig. Hier sind die wesentlichen Archivbestände der Braunschweigischen Staatsbank zu finden. Bestand NWA 8: Norddeutsche Landesbank Dieser Bestand enthält einen Teil des Unternehmensarchivs der Norddeutschen Landesbank am Standort Hannover. Stadtarchiv Braunschweig (StadtA Braunschweig): Bestände: E 10: Hauptamt G IX: Nachlässe, Firmenarchive Volkswagenarchiv (VWA): Bestände: 69 und 1199

https://doi.org/10.1515/9783110697223-008

412  Quellen- und Literaturverzeichnis

2 Quelleneditionen und gedruckte Quellen „Abrechnung mit der Erfüllungspolitik“. Stenographische Berichte über die Reichstagssitzung vom 4. Dezember 1930, abgedruckt in: Feder, Gottfried, Kampf gegen die Hochfinanz. Eine Hauptquelle zur Ideengeschichte und Frühzeit des Nationalsozialismus, Faksimile-Dokumentation der Ausgabe München 1935, Bremen 2003, S. 262–282. Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik online, URL: https://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/index.html (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). Bericht des 6. Ausschusses (Steuerfragen) über den Entwurf eines Körperschaftssteuergesetzes. Drucksache Nr. 1230 vom 21. Juli 1925, Reichstagsprotokolle 1924/28, 20. Bundesgesetzblatt I, hrsg. vom Bundesministerium der Justiz, Bonn, Bundesgesetzblatt online, URL: https://www.bgbl.de/ (zuletzt besucht am 13 Mai 2020). Deutscher Bundestag, Drucksache 05/3500, Bericht der Bundesregierung über die Untersuchung der Wettbewerbsverschiebungen im Kreditgewerbe und über eine Einlagensicherung vom 18. November 1968, Parlamentsdokumentation online, URL: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/ 05/035/0503500.pdf (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). Deutscher Bundestag, Drucksache 05/2087, vom 1. September 1967, S. 9, Parlamentsdokumentation online, URL: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/05/020/0502087.pdf (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). Deutscher Bundestag, Drucksache 02/2781, vom 18. Oktober 1956, S. 7, Parlamentsdokumentation online, URL: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/02/027/0202781.pdf (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). Deutscher Bundestag, Drucksache 02/1769, vom 11. Oktober 1955, Parlamentsdokumentation online, URL: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/02/017/0201769.pdf (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 01/279, vom 2. Juli 1953, S. 3955, Parlamentsdokumentation online, URL: http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/01/01279.pdf (zuletzt besucht, 13. Mai 2017). Die Deutschen Banken 1924 bis 1926, Einzelschriften zur Statistik des Deutschen Reichs Nr. 3, hrsg. vom Statistischen Reichsamt, Berlin 1927. Eberle, Johann Christian, Geld zu angemessenem Zins, in: Dr. Eberle spricht. Schriften, Reden, Aufsätze zur Erneuerung der Sparkassen, hrsg. vom Deutschen Sparkassenverlag, Stuttgart 1959, S. 79–99, S. 82. Geschäftsberichte der Landeszentralbank von Niedersachsen, hrsg. von der Landezentralbank Niedersachsen, Hannover, Jahrgänge 1948–1969. Geschäftszahlen, Daten und Fakten 2018, hrsg. vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband, Juni 2016, S. 6, Online-Ressource. URL: https://www.dsgv.de (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). Jahresberichte der Braunschweigischen Staatsbank über die Geschäftsjahre 1919/20–1938 sowie Geschäftsberichte der Braunschweigischen Staatsbank, Jahrgänge 1939–1943 und 1948– 1969. Kabinettsprotokolle der Bundesregierung online, URL: http://www.bundesarchiv.de/cocoon/ barch/0000/index.html (zuletzt besucht am 13. Mai 2020) Monatsberichte der Deutschen Bundesbank, hrsg. von der Deutschen Bundesbank, Frankfurt am Main, Ausgaben März, Mai und August 1962, Online-Version, URL: www.bundesbank.de (zuletzt besucht am 13. Mai 2020). Müller, Wilhelm, Denkschrift über das Staats-, Volks-, Wirtschafts- und Kulturleben sowie die Finanzen des Freistaates Braunschweig, hrsg. vom Staat Braunschweig, Braunschweig 1934. Oeffentlicher Kredit und Wirtschaftskrise. Ergebnisse der Reichsschuldenstatistik 1929 bis 1932 und Zusammenstellung von Rechtsvorschriften ueber das oeffentliche Schuldenwesen, (Einzelschriften zur Statistik des Deutschen Reiches 27), Berlin 1933.

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Personen- und Ortsverzeichnis Aachen 63 (FN 224) Adenauer, Konrad 310 Ahrens, Hermann 310f., 351f. Alpers, Friedrich 168–171, 174–176, 179–181, 183, 197, 250 (FN 874) Bad Gandersheim 62 (FN 215) Bad Harzburg 62 (FN 215), 325 (FN 1104), 342 (FN 1167) Baden (Land) 22 (FN 85) Bartels, Emil 25f., 28–35, 37f., 41–43, 51–55, 57f., 61f., 64f., 69, 73, 156–159, 163f., 169, 171 (FN 579), 172, 200 Barthel, Walther 93 Bayern 23 (FN 88), 26, 100, 168, 320 (FN 1082) Berlin 19, 21, 34, 47, 66f., 85 (FN 303), 89, 105 (FN 365), 117, 146 (FN 504), 169, 173, 180– 183, 197, 199, 210, 213f., 216, 240, 242, 256, 259, 261, 286 (FN 996), 310f. Bertram, (Vorname unbekannt) Zweigkassenleiter Salzgitter-Lebenstedt 347 Bertram, Kurt 170, 180f., 185f., 193, 197, 204, 253 Bitter, Rudolf von 92, 180, 255, 289 Blankenburg 18, 62 (FN 215), 64, 248 (FN 864), 257 Blomberg, Werner von 210 Blumenberg, Franz-Jürgen 351 Bockler, Erich 252 Böhlen 221 Böhme, Ernst 157 (FN 545), 253 (FN 890, 891), 259f. Borgeln 7 Brandes, Albert 157 (FN 545) Brandes, Hermann 204, 256 Braunlage 62 (FN 215) Braunschweig, Freistaat 2, 36 (FN 144, 147), 37, 41f., 46, 55 (FN 201), 56, 61–63, 74–77, 79, 82, 84f., 87, 91, 94f., 97–100, 102–104, 116, 118, 120–122, 127–129, 131, 135f., 141, 143– 147, 150, 153, 155, 157–159, 162, 165, 168, 172, 176–178, 186, 194, 200–206, 214f., 221, 224f., 233f., 240, 246, 251–254, 259, 260 (FN 925), 265, 268, 279, 283, 309–311, 359, 369, 396, 404f Braunschweig, Herzogtum 4, 5, 17–26, 28, 30– 32, 34, 46, 51, 57, 62, 77–90, 103, 178 Braunschweig, Landkreis 286 https://doi.org/10.1515/9783110697223-009

Braunschweig, Stadt 34, 46, 62 (FN 215), 78, 91, 100, 146, 175, 215, 259, 286, 325, 384 Braunschweig, Verwaltungsbezirk 254–256, 266, 306–308, 319, 359, 390f. Braunschweig-Bienrode 216f. Braunschweig-Waggum 215, 218 Bremen 34, 379, 388 (FN 1331) Brückmann, Werner 139 Brüning, Heinrich 146f., 208 Buchheister, Frieda 326 Burgstädt, Sachsen 24 (FN 91) Büssing, Heinrich 118 Butschkau, Fritz 381, 388 Calvörde 248 (FN 864) Celle 168, 179, 185–188, 190, 202, 223 Conrad, Wilhelm 375 Conrady, Hans-Walter 310, 341, 390f. Degenhardt, Carl 198 Detmold 22 Drechsler, Wolfgang 204 Dreyse, Friedrich 198 Düvel, Carl 268f., 285f., 314, 341, 352, 358, 360, 364–366, 368, 371f., 375f., 384 (FN 1311), 386, 389, 391, 395, 408 Eberle, Johann Christian 48–51, 53f. Eichholz, Otto 92f. Erhard, Ludwig 317 (FN 1067) Ernst, Friedrich 181, 184, 201 Eschershausen 62 (FN 215), 223, 325 (1104), 357 (FN 1215) Eyferth, Paul 157 (FN 545), 253 (FN 891) Fallersleben 239, 330 Feder, Gottfried 149f., 167 Fickendey, Karl 200 (FN 689) Fischer, Dr. Otto C. 173–175, 198 Fischer, Notar (Vorname unbekannt) 200 (FN 689) Flachstöckheim 242 (FN 842) Franke, Ella 364f. Franke, Horst 364f. Franzen, Anton 145f. Frick, Wilhelm 177, 251 Gandersheim, Landkreis 251 Gandersheim, Stadt 62 (FN 215), 18 Gebhardshagen 242 (FN 842) Gerhards, Gustav 200 (FN 689) Geske, Otto 286

430  Personen- und Ortsverzeichnis

Gifhorn 168, 179, 185, 192, 202, 261, 355–357, 376 Gilbert, Seymour Parker 114f. Glaser, Emil 31f., 51, 75 Glauert (Vorname unbekannt) 240 Gloge, Robert 253 Goetz, Hans 285 Goldschmidt, Jakob 118 Göring, Hermann 169, 210, 225, 239f., 258 Göttingen 156, 179, 185, 202, 358 Gottschalck, Hugo 202f. Götz, Hans 388 Greffenius, Hugo 89 Groh, Franz 121f., 130f., 146, 152, 154, 156 Grotrian-Steinweg, Wilhelm 222 (FN 774) Haars, Dr. Bock W. 140 Halberstadt 168, 179, 185f., 189, 190 (FN 652), 192, 202, 205, 257, Halle (Saale) 176, 309 Hallendorf 242 (FN 842) Hampe, August 154f. Hankel, Wilhelm 375 Hannover, Land 18 (FN 61), 19, 128, 145f., 176– 178, 182, 204f., 240, 242, 251f., 254, 361 Hannover, Stadt 140, 176, 223, 254, 302, 324, 357, 384, 394 Hardeweg, Theodor 151f. Harlingerode 224 Havenstein, Rudolf 34 (FN 136) Heimbs, Karl 253 Heinrich der Löwe 178 Helmstedt 18, 21, 62 (FN 215), 78, 142f., 159, 200 (FN 689), 221, 229 (FN 806), 307 (FN 1033), 331 (FN 1125), 341 Henn, Hans 311 Herzog Carl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel 17 Hess, Max 202–204 Hesse, Wilhelm 175 Hessen, Land 23 (FN 87, 88), 388 Hessen-Kassel, Provinz 23 (FN 87), Hessen-Nassau, Provinz 25 Hildesheim, Regierungsbezirk 178, 254 (FN 894) Hildesheim, Stadt 168, 179, 192, 202f., 332 (FN 1125) Hirschhausen (Vorname unbekannt) 200 (FN 689) Hirst, Ivan 262

Hitler, Adolf 146, 150, 158, 167, 169, 172, 176– 178, 184, 198, 210, 222, 252f. Hoffmann, Wilhelm 93 Hoffmeister, Ludwig 188, 197–199 Holzminden, Landkreis 74, 251f., 306 (FN 1030) Holzminden, Stadt 17f., 33, 62 (FN 215), 222, 224 (FN 784), 228, 235, 307 (FN 1033), 308 Hugenberg, Alfred 63 (FN 224) Hunke, Heinrich 354, 385 Jürgens, Robert 157 (FN 545), 200 (FN 689), 237, 253, 289 Karl I. der Große 178 Keppler, Wilhelm 222 Keunecke, Otto 253 Keynes, John M. 354 Klagges, Dietrich 146f., 151, 165f., 168–172, 174–179, 183–185, 188, 201, 208, 218, 223, 240f., 252–254, 357 (FN 1215) Knop, August 224 (FN 784) Köhler, Heinrich 123 Kohlstock (Vorname unbekannt) 255 Kokotkiewicz, Gerhard 200 (FN 689) Kopf., Hinrich Wilhelm 254 Kraft (Vorname unbekannt) 253 Krützfeldt, Helmut 253, 285f., 289, 351 Kubel, Alfred 254 (FN 894), 256, 285, 313f., 346f., 354–356, 358, 368f., 378f., 392 Küchenthal, Werner 35 (FN 140), 94, 144f., 147, 152f., 155–157, 169–171, 174f., 179–181, 183– 188, 193, 195–204, 208, 223f., 228, 232f., 235, 237f., 240–242, 250 (FN 874), 252f., 259f., 263 Lammers, Josef 171 (FN 579), 250 (FN 874), 253, 255, 285, 289, 315, 329, 341 Langelsheim bei Goslar 75 Lehmann, Heinrich 170f., 186, 194, 203 (FN 700), 240, 253 Liebald, Moritz 53, 122, 126–130, 150, 159 (FN 552) Ließ, Bernhard 339 Loeper, Wilhelm Friedrich 167 (FN 562), 176 Lüneburg, Regierungsbezirk 178 Lüneburg, Stadt 168, 179, 185f., 188–190, 202, 205 Magdeburg, Regierungsbezirk 128, 178f. Magdeburg, Stadt 90f., 221, 259, 309 Marienburg, Landkreis 251 Marquordt, Gerhard 153, Meinecke, Heinrich 222 (FN 774)

Personen- und Ortsverzeichnis 

Meldorf (Schleswig-Holstein) 350 Meyerhoff., Erich 364 Meyerhoff., Margot 364f. Milch, Erhard 210 Mößner, Karl Eugen 255, 260 Müller, Otto 376 Münch, Hermann 255 München 34 Münemann, Rudolf 380–382, 384, 387–389 Mutschmann, Martin 198, Nehrkorn (Vorname unbekannt) 157 (FN 545) Nerlich, Günter 286, 353, 368 Neuendorff., Kurt 286 Nickel, Walter 35 (FN 140), 281, 285f., 290f., 313f., 316, 320f., 339 (FN 1155), 343f., 347, 377f., 380 Niedersachsen 182, 251, 254–256, 259 (FN 917), 273, 276–278, 280–283, 276 (FN 996), 289, 291, 306–309, 314, 316f., 323f., 326, 342 (FN 1167), 354–358, 373 (FN 1266), 385, 403 Nordhoff., Heinrich 340 Oehler, Walter 255, 289 Oerter, Sepp 178 (FN 606) Offleben 221 Ohlens, Friedrich 171, 253 Oker 62 (FN 215), 224, 336 Oldenburg, Land 22, 254 (FN 892) Otto, Albert von 24 Peesel, Heinrich 364f Peine 168, 179, 186–190, 202, 204 (FN 703), 205, 229, 236, 238, 263, 341 Pferdmenges, Robert 110, 112f. Pleiger, Paul 224 (FN 784), 240f. Pleister, Wilhelm 294, 354, 358, 367 (FN 1249), 368, 375f., 384f., 391, 408 Posen 63f. Poullain, Ludwig 1, 374–376, 389, 392f., 396 Preußen 18 (FN 61), 23 (FN 88), 27, 52, 63 (FN 224), 67, 100, 113, 168, 176, 178–182, 225 (FN 787), 254 (FN 894), 264 Probandt, Klaus 364 (FN 1239) Rammelsberg, bei Goslar 224–226, 228 Reichel (Vorname unbekannt) 200 (FN 689) Reinhardt, Fritz 206 (FN 707) Reinhold, Peter 123 (FN 426) Retemeyer, Hugo 32 Rheinländer, Paul 289, 349 Rönneburg, Günter 253 (FN 891) Rönneburg, Heinrich 122

431

Rosenbruch (Vorname unbekannt) 255 Rudeloff (Vorname unbekannt) 199, 226f. Rühe, Ewald 286 Ruhland 221 Rungs, Wilhelm 64, 75, 85, 119, 142f., 151–153, 156 Rust, Bernhard 176, Sachsen, Land 23 (FN 88), 24 (FN 91), 47 (FN 172), 113 (FN 390), 114, 120 Sachsen, preußische Provinz 178 Salzgitter 239f., 244 (FN 842), 251, 258–260, 310, 329, 338 Salzgitter-Kniestedt 251 (FN 878) Salzgitter-Lebenstedt 251 (FN 878), 326, 346– 349, 351–353, 356, 359, 367, 399 Salzgitter-Watenstedt 205 (FN 705), 251 Sauer, Gotthard 286, 368 Schacht, Hjalmar 81, 89f., 108–110, 113–117, 132 (FN 450), 166–168, 174f., 182–184, 196, 198–201, 210f., 220f., 232, 234, 252 (FN 881), 319 (FN 1976), 401 Schiller, Karl 373–375, 391, 396, 398 Schirp (Vorname unbekannt) 240 Schlebusch, Hubert 252f., 255 Schleicher, Kurt von 207f., 234 (FN 819) Schmalbach, Gustav 93 Schmidt (Vorname unbekannt) 32 Schmitt, Kurt 182 Schniewind, Otto 197, 199 Schöningen 62 (FN 215), 64 Schüler, Felix 160 Schulz, Wilhelm 64, 169, 180, 185 Schulze-Delitzsch, Hermann 48 Schwab, Friedrich 389–391 Schwannecke, Gerhard 172, 200 (FN 689), 237f. Schwarzheide 221 (FN 769) Seebohm, Hans-Christoph 255, 310f., 313 (FN 1053) Seesen 62 (FN 215), 91, 200 (FN 689), 247f., 331, 363 Soergel, Alwin 48 Sperl, Friedrich 197, 199, 204, 226 Stendal 168, 179, 186–188, 190, 202, 229 (FN 805) Steterburg 242 (FN 842) Stinnes, Hugo Jr. 388 (FN 1331) Strasser, Gregor 149, 167 (FN 564), 175 Strickrodt, Georg 255f

432  Personen- und Ortsverzeichnis

Stübben, Oscar 42, 60f., 63–65, 67–69, 71, 75, 83, 87, 93, 98, 107–109, 115f., 118–120, 137, 142–144, 146–148, 151–156, 158, 163f., 168, 208, 405 Terres, Prof. Dr. Ernst 96f Thedinghausen 62 (FN 215) Trautmann, Paul 122, Tremer, Gerhard 375 Triangel (bei Gifhorn) 355, 357, 376 Tröglitz 221 (FN 769) Tuchern, Christoph Freiherr von 371 Uelzen 168, 179, 185, 192, 202 Vorsfelde 62 (FN 215), 261 Wachtmann, Albert 159 Wagener, Otto 149, 167 (FN 564)

Weiß, Carl 343f Weisser, Gerhard 253 (FN 891) Werners, Paul 118f. Wessel, Heinrich 52 Wiesbaden 25 Wiesloch (Baden-Württemberg) 362 Wilhelmshaven 310 Wilke, August R. 94f. Wölfel, Simon 289 Wolfenbüttel, Kreis 251 (FN 878) Wolfenbüttel, Stadt 18f., 21, 33, 62 (FN 215), 136, 138, 157 (FN 545), 189, 213, 253 (FN 891) Wolfsburg 260–262, 339, 402 Zörner, Ernst 152f.

Firmenverzeichnis Adam Opel AG 263 Allerthal-Werke 253 Allgemeine Deutsche Creditanstalt (ADCA) 85 Allgemeine Electricitäts-Gesellschaft (AEG) 299 Allgemeine Vermögens-Holding GmbH (SüdHolding) 392 Allianz Lebensversicherung AG, Stuttgart 368, 408, Amme, Giesecke & Konegen AG 79 (FN 281), 88f Ausfuhr-Kredit Aktiengesellschaft (AKA) 335– 337 Bank der Deutschen Arbeit 180,261, 339 Bank deutscher Länder (BdL) 270 (FN 950), 315, 336 (FN 1142) Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) 379, 387–389, 392 Bank für Industrieobligationen (Bafio) (siehe auch Industrie-Kreditbank IKB) 317 (FN 1067) Bank von Danzig 285 Bankhaus C. L. Seeliger 21, 136f., 229 (FN 807) Bankhaus Ephraim & Meyer 140 Bankhaus F.W. Krause, Berlin 67 Bankhaus Gebr. Löbbecke 21, 76, 136–138, 141, 202f., 229 (FN 807), 331f., 361, 394 Bankhaus Hallbaum, Meyer & Co. Bankhaus Hess & Comp. 202–204 Bankhaus Leon Katz 188f., 191, 203 Bankhaus Meyersfeld 137 Bankhaus Nathalion Nachf. 137f. Bayer AG 299 Bayerische Gemeindebank 250, 381, 392 Bayerische Girozentrale 38 Bayerische Landesbodenkreditanstalt 375 Bayerische Vereinsbank 282, 371 Bayrische Staatsbank 199 Berliner Bank 377 (FN 1282) Berliner Handelsgesellschaft (BHG) 19 (FN 67) Borsig GmbH 224 (FN 784) Braunkohle-Benzin AG (Brabag) 221, 230 Braunschweig GmbH 217, 225, 255, 356f. Braunschweiger Zucker AG 331 Braunschweig-Hannoversche Hypothekenbank 121, 242, 387, 394 Braunschweigische AG für Jute- und Flachsspinnerei 79 (FN 281) Braunschweigische Bank AG (siehe auch Braunschweigische Bank und Kreditanstalt) 21 https://doi.org/10.1515/9783110697223-010

Braunschweigische Bank und Kreditanstalt 72 (FN 256), 76, 84–87, 98, 118–121, 137, 152 Braunschweigische Creditanstalt AG 21 Braunschweigische Eisenbahngesellschaft 18 Braunschweigische Finanzierungsgesellschaft (BFB) 352f., 357 (FN 1215), 360f., 365 Braunschweigische Holzverzuckerungsgesellschaft KG W. Grotrian-Steinweg 222 Braunschweigische Kohlenbergwerke AG (BKB) 78, 221f., 228–230 Braunschweigische Landesbrand-Versicherungsanstalt 324 Braunschweigische Landessparkasse 4, 17, 36– 39, 61–63, 65, 101, 127–129, 136, 155, 172, 246, 248 (FN 864), 249f., 252f., 255, 270f., 273, 282–285, 314, 318, 320, 322 (FN 1092), 393, 408 Braunschweigische Maschinenbauanstalt (BMA) 56, 80, 88, 140f., 206, 229, 336f., 359 Braunschweigische Privatbank 31, 46 Braunschweigische Teilzahlungsbank (siehe auch: Credit-Contor) 394 Braunschweigischer Bankverein KGaA 76 Bremer & Brückmann GmbH 91–94, 120f., 138f., 206, 213, 229, 234f., 346 British German Trust Ltd. 113 Buderus AG 381 Buna-Werke 221 Burbach-Kali-Werke 289 Büssing (auch H. Büssing Automobilwerke AG; Büssing-NAG) 56, 118f., 215f., 219f., 257f., 324 Carl Weiß (Bauunternehmen) 343f. Centralbank Deutscher Industrie AG 117 Commerzbank (auch Commerz- und Discontobank; Commerz- und Privatbank) 46, 74 (FN 260), 95, 99 (FN 344), 119, 121, 138, 152, 186, 213, 216, 219, 236, 335f., 383 (FN 1307) Credit-Contor KG (siehe auch Braunschweigische Teilzahlungsbank) 384, 386 Daimler-Benz AG 216 (FN 747), 299, 379 Darmstädter Bank (siehe auch Danat-Bank) 19, 46 Darmstädter- und Nationalbank (DanatBank) 89, 118f., 133 (FN 453) Deutsche Asphalt AG (DASAG) 223f., 229 (FN 806), 357 (FN 1215)

434  Firmenverzeichnis

Deutsche Bank AG (auch Deutsche Bank und Disconto-Gesellschaft) 46, 64, 93, 99 (FN 344), 112f., 118, 138, 170 (FN 578), 218, 241, 247, 258, 261, 324, 336, 338f., 344f., 352, 383 (FN 1307), 389, 390 Deutsche Girozentrale 47 (FN 170), 66, 105 (FN 365), 127, 135, 256, 323 Deutsche Golddiskontbank 258 (FN 853) Deutsche Landesbankenzentrale AG 47 (FN 169), 66, 105 (FN 365), 113, 115 (FN 398), 116f., 128, 135, 256 Deutsche Novopan GmbH 358 Deutsche Pfandbriefanstalt 63f. Deutsches Blechwarenwerk 91 Disconto-Gesellschaft 19 (FN 67), 95 Dr. Prümm AG für Feinoptik 77 Dresdner Bank AG 128, 140, 215, 218, 226 (FN 793), 233, 241, 247, 344, 383 (FN 1307) Eisenbahnsignal-Bauanstalt Max Jüdel AG 79 (FN 281), 88 Elektrizitätswerk Wesertal GmbH 230 (FN 807) Fahrzeug- und Maschinenbau Watenstedt GmbH (FAMAS) 336f. Fahrzeugwerke Kannenberg GmbH (FAKA) 349– 353 Fehmel Wärme & Kraft KG 349f., 352f. Ferngasgesellschaft der Reichswerke „Hermann Göring“ 259 Flughafengesellschaft mbH Waggum 215 Flugwerke Braunschweig GmbH 217 Ford-Werke 263 Frankfurter Allgemeine Versicherungsgesellschaft (FAVAG) 67 (FN 241) Frankfurter Bank 377 (FN 1282) Frankfurter Vermögens-Holding 392 Gebr. Seck AG 89 General Shopping S.A., Luxemburg 368 Gerngroß/Hermansky, Österreich 368 Geschäftsstelle des Verbandes deutscher öffentlich-rechtlicher Kreditanstalten GmbH (siehe auch Deutsche Landesbankenzentrale AG) 66 (FN 236) Getreide-Handelsbank AG (siehe auch IHB) 388 Girozentrale der Braunschweigischen Landessparkasse 127 Girozentrale Hannover 158, 182 Goslarer Privatbank 76 Großeinkaufs-Gesellschaft deutscher Konsumgenossenschaften (GEG) 362f.

Grotrian-Steinweg GmbH & Co. KG 217 Grundbesitzerbank zu Braunschweig eGmbH 54 (FN 197) Gustav Schwab Überlandversand KGaA 389– 391 Gutbrod 393 (FN 1347) Hamburger Kreditbank (siehe auch Dresdner Bank) 344 Hamburger Leihhausanstalt 17 Hannoversche Landeskreditanstalt 204f., 242 Heinkel-Werke 216 Helmstedter Glashütte 96–98, 141f., 151f., 223, 353 Herbösch Zuckerwarenwerke AG 77 Herdfabrik Delligsen 301 Hermes-Kreditversicherung 335 Herzoglich Braunschweigische Porzellanmanufaktur Fürstenberg 357 (FN 1215) Herzogliche Sparkasse (auch Herzogliche Sparkassen) 17, 22–26, 35, 39, 61 Herzogliches Leihhaus zu Braunschweig 2, 17– 36, 51, 54, 60–63, 65, 76, 98, 102f., 233, 263 Hessische Landesbank 47 (FN 169), 375, 392f. Hibernia AG 381 Hofbrauhaus Wolters 332 Hugo Greffenius AG 89 Hugo Stinnes AG 381 Hugo Stinnes Industrie und Handel GmbH 388 (FN 1331) Hüttenwerke Oker 224, Ibero-Amerika Bank 379 IG Farben 221 Ilseder Hütte 185f., 229 (FN 805), 263, 338, 340f. Industriekreditbank (IKB) 317, 329, 331 (FN 1125) Investitions- und Handelsbank AG (IHB) 387– 394, 396 J.A. Schmalbach AG 91–93, 331 Journel & Cie., Paris (Bankhaus) 337 Kapler Maschinenfabrik AG 89 Karges-Hammer KG 91–93 Klöckner Eisen AG 186 (FN 636) Konservenfabrik Burgdorf 351 Konservenfabrik Heinrich Sieburg & Rudolf Züchner 91, 363 Konservenfabrik Hermann Bosse 247 Konservenfabrik Thiede (s. auch Konservenfabrik Keune) 361f.

Firmenverzeichnis 

Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) 278, 317f., 323, 326, 329, 335–337, Kreditgarantiegemeinschaft des Niedersächsischen Handwerks GmbH (KGG) 324 Kreissparkasse Alfeld 179 Kreissparkasse Goslar 252, 314 Landesbank der Provinz Hannover 158, 182 Landesbank der Rheinprovinz 38, 105 (FN 365), 133 (FN 453), 228 Landesbank von Westfalen (auch Westfälische Landesbank) 253, 375 (FN 1276) Landesversicherungsanstalt Niedersachsen 242, 342 (FN 1167) Landeszentralbank Niedersachsen 277, 306– 308, 315f. Lee, Higginson & Co. 109 Leumi Le, Israel 379 Lindener Eisen- und Stahlwerke AG 140 (FN 482) Lippische Landesbank 47 (FN 169) Löbbecke (siehe Bankhaus Gebr. Löbbecke) Luther & Jordan GmbH & Co. KG (auch Luther & Co. GmbH & Co. KG) 217, 229, 247, 258, 336, 344f. Mannesmann AG 381 Maschinenfabrik R. August Wilke 94f. Merkurbank (siehe auch Commerzbank) 335 Metallurgische Forschungsgesellschaft GmbH (MeFo) 210 Mitteldeutsche Creditbank 74 (FN 260) Mitteldeutsche Landesbank 257 (FN 908), 259 (FN 918) Mitteldeutsche Privatbank 46 Mitteldeutsche Sprengstoffwerke 75 Mittelmeerwerft GmbH 286 (FN 996) Morgan Stanley, USA 389 Mühlenbauanstalt G. Luther AG (siehe auch MIAG) 79 (FN 281), 88f., 216 Mühlenbau-Industrie AG (MIAG) 89f., 118, 216f., 219f., 247, 336, 359 Mühlig-Union 141–143 Münemann-Handelsgesellschaft 388 (FN 1331) Nassauische Landesbank 253 Nassauische Sparkasse 25 National City Company, USA 123 Nationalbank AG (siehe auch Danat-Bank) 89, 108 Nationale Automobilgesellschaft (NAG) 215 (FN 741), 216

435

Neckermann Versand KG 389 Niedersachsen GmbH 255, 354–358, 369, 376, 397 Niedersächsische Heimstätte 318 Niedersächsische Landesbank 158, 182, 204f., 256, 261, 263, 282f., 286, 294, 302, 306, 329, 338, 354, 358, 368, 375f., 384f., 391, 397, 408 Niedersächsische Landesgewerbebank eGmbH 127–130 Niedersächsische Motorenwerke (NIEMO) 215f., 218f., 257f. Norddeutsche Bank (siehe auch Deutsche Bank) 344f. Norddeutsche Homogen-Gesellschaft mbH Triangel (siehe Triangel Vereinigte Spanplattenwerke GmbH) Norddeutsche Kundenkreditbank (NKK) 384f., 390, 394, Norddeutsche Landesbank 1, 365, 392, 408 Norddeutsche Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei (Nordwolle) 158 Norddeutsche Zuckerraffinerie Frellstedt 91, 331 Nord-Holding 392 Nordzucker AG 331 Preußische Berg- und Hütten AG (Preussag) 225 Preußische Elektrizitäts AG 221 Preußische Staatsbank 99 (FN 344), 113, 218 Quelle AG 389 Reichsbahn 82 (FN 291), 209, Reichsbank 26–28, 66 (FN 236), 81f., 107, 109, 114f., 127, 133, 167f., 195 (FN 665), 219, 220, 230, 243, 246 (FN 853), 253, 261 Reichskreditgesellschaft (RKG) 82, 100 Reichspost 228 Reichspostsparkasse 23 Reichswerke für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring“ 166, 239–242, 251 (FN 878), 258–260, 286 (FN 996), 336, 338, 349 Rentenbank-Kreditanstalt (RKA) 116 Rheinische Girozentrale und Provinzialbank 286 (FN 996), 375 (FN 1276) Rollei-Werke Franke & Heidecke 363–368 Rothschild (M.A. Rothschild & Söhne), Frankfurt am Main 19 (FN 67) Sächsische Landespfandbriefanstalt 113 Sächsische Staatsbank 47 (FN 169), 66, 113, 198f.

436  Firmenverzeichnis

Sal. Oppenheim 110 Salzgitter AG 289, 338, 349 Schaffhausen’scher Bankverein 61 Schmalbach Blechwarenwerke AG (siehe J.A. Schmalbach AG) Schwab (siehe Gustav Schwab Überlandversand KGaA) Seeliger (siehe Bankhaus C. L. Seeliger) Singer Company, USA 389 Sonnenwerke Sieburg & Pförtner 248, 363 Spar- und Leihkasse Bern 99 (FN 343) Sparkasse Göttingen 286 Sparkasse Soest 7 Spinnhütte Seidenspinnerei und Weberei AG 187, 223f., 229 (FN 806) Staatliche Kreditanstalt Oldenburg 22, 290 Stahl- und Röhrenwerke F. Meyer 393 Stahlwerke Braunschweig AG (siehe auch FAMAS) 336 Tanner Hütte 95 Thüringische Staatsbank 47 (FN 169), 259 (FN 918) Triangel Vereinigte Spanplattenwerke GmbH 355, 357, 376 Union Blechwarenwerke 91 Union Treuhand GmbH 388 (FN 1331) Unterharzer Berg- und Hüttenwerke 224–226, 228–230, 233f., 257, 357 Vereinigte Konservenfabriken GmbH & Co KG (VeKo) 362f., 365–367 Vereinigung Magdeburger Rohzuckerfabriken GmbH 91 Voigtländer & Sohn AG 88 Volksbank Braunschweig Wolfsburg 54 (FN 197)

Volkswagen 166, 218, 239, 255, 260–263, 266, 307 (FN 1032), 308 (FN 1034), 316, 336–341, 400, 402 Volkswagen Vorwerk Braunschweig 239, 261 Volkswagen-Finanzierungsgesellschaft mbH 340, 383f. Vorwohle-Emmertaler Eisenbahngesellschaft 74 Vulkanfiberwerke Scheerbarth, Oldenbüttel & Co 74 Waren-Kreditbank, Hannover 394 Welger Landmaschinenbau 138, 141, 206, 213, 216, 229 Werner Otto Versandhandel 389 Westdeutsche Landesbank 1, 375, 392 Wiedaer Hütte 95, 359 Willi Wiencke KG (Daimler-Benz Vertretung) 326 Wohnungs-AG der Reichswerke „Hermann Göring“ 242 Wollhandlung H. Sonnenberg 186, 229 (FN 805), 236, 238 Züchner (siehe Konservenfabrik Heinrich Sieburg & Rudolf Züchner) Zuckerfabrik Barum 331 Zuckerfabrik Broitzem 331 Zuckerfabrik Fallersleben 330 Zuckerfabrik Königslutter 330 Zuckerfabrik Salzdahlum 330 Zuckerfabrik Schöppenstedt 330 Zuckerfabrik Stendal 187, 202, 229 Zuckerfabrik Watenstedt 330 Zuckerraffinerie Braunschweig AG 78, 91 Zuckerraffinerie Hildesheim 331 (FN 1125) Zuckerraffinerie J.H. Grassau 91 Zuckerraffinerie Magdeburg AG 91 Zuckerrübensaftfabrik Söllingen 330