Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 9783534402588, 9783534402564, 9783534402571

Wie werden zentrale Personalentscheidungen in der katholischen Kirche getroffen? Die Antwort auf diese Frage bleibt meis

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German Pages 1732 [428] Year 2020

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Gesamtinhaltsverzeichnis
Inhalt: Teil 1
Vorwort
I. Einleitung
I.1 Eugenio Pacelli – Leben und Forschung
I.2 Quellen
I.3 Konzept und Ziel der Studie
I.4 Zeitliche, geographische und sachliche Eingrenzung
I.5 Methode, Fragestellungen und Aufbau
I.6 Die Bischofseinsetzungen gemäß des Codex Iuris Canonici von 1917
II. Die Besetzungsfälle der bischöflichen Stühle
II.1 Preußen
II.1.1 Auftakt und Wegweiser: Köln 1919/20 (Karl Joseph Schulte)
Der Auftakt der Frage nach der Geltung der alten Rechtsgrundlagen
Das Gutachten von Joseph Hollweck und die Vorstellungen des Nuntius
Kuriales Taktieren
Der Tod des Kölner Erzbischofs Felix von Hartmann
Die Position der staatlichen Autorität und die Wahl Joseph Vogts zum Kapitularvikar
Das Bemühen des Domkapitels zur Bewahrung des Wahlrechts
Zech bei Pacelli: der offizielle Standpunkt der Reichs- und preußischen Regierung
Die Fortgeltung der Verträge und das Wahlrecht der Domkapitel: die Debatte der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten
Eine Postulation Schultes durch das Kölner Domkapitel? Bergen und Maglione
Die Order des Kardinalstaatssekretärs für die Bischofseinsetzungen in Deutschland und konkret in Köln
Die Intervention Kardinal Bertrams in Rom
Modifikationen in der Vorgehensweise des Heiligen Stuhls
Die Reaktion des Staates auf die Position des Heiligen Stuhls
Die Reise Pacellis nach Berlin und Köln
Die ‚Wahl‘ Schultes zum Erzbischof von Köln
Die Wahlannahme durch Schulte und die Frage nach dem Informativprozess
Die Frage nach der staatlichen Beteiligung bei der Amtseinführung
Besitzergreifung des Erzbistums und Inthronisation
Ergebnis
II.1.2 ‚Nachtrag‘ zum Kölner Fall: Paderborn 1920 (Kaspar Klein)
Karl Joseph Schultes Eintritt für das Kapitelswahlrecht
Die Wahlerlaubnis aus Rom und die Präzedenzklausel
Paderborner Wahlvorbereitungen
Die Wahl Kaspar Kleins zum Bischof von Paderborn
Gutachten über Klein und Interna aus der Kapitelswahl
Die päpstliche Bestätigung Kleins und der Informativprozess
Zeitdruck für die Ausstellung der Ernennungsbullen
Besitzergreifung und Bischofsweihe
Ergebnis
Exkurs I: Die Frage der Bischofseinsetzungen innerhalb der ersten Konkordatsbestrebungen Pacellis in Berlin von 1920 bis zur Trierer Sedisvakanz
Erste Standpunkte zum Modus der Bischofsbestellung und die schwierige Ausgangslage für ein Reichskonkordat
Episkopat und Domkapitel gemeinsam für das Bischofswahlrecht und Pacellis Verhandlungsfokus
Episkopat gegen Domkapitel: die Grenzen der Allianz
Die „endgültige“ Entscheidung aus Rom zum künftigen Modus der Bischofseinsetzung
Episkopat gegen Gasparri: eine neue Petition zur Besetzung der Bischofsstühle
Wieder die leidige Fortgeltungsfrage: die Konsistorialallokution Benedikts XV
Ein Aufflackern der Verhandlungsbereitschaft des Reichs und der preußischeWiderstand
II.1.3 ‚Tausche Wahlrecht gegen Schulfrageʻ: Trier 1921/22 (Franz Rudolf Bornewasser)
Der Tod Bischof Korums und erste Absprachen über die Nachfolgeregelung
Der Kandidat von Ludwig Kaas: Nikolaus Bares
Das Trierer Junktim von Wahlrecht und französischer Politik
Pacellis Junktim von Wahlrecht und Konkordatsverhandlungen sowie die Bittschrift des Trierer Domkapitels
Karl Joseph Schulte und Ludwig Kaas
Ein Kompromisskandidat: Franz Rudolf Bornewasser
Die Haltung der preußischen Regierung zum Wahlrecht des Domkapitels
„Do-ut-des“: Pacelli, Schulte und Bertram in Berlin
Die Strategie Pacellis zur Wiederbesetzung des Bistums Trier
Die Auseinandersetzung zwischen Kaas und Tilmann
Der Widerstand des Trierer Domkapitels
Schulte in Rom – Eine plötzliche Wendung der Dinge
Der modus procedendi der Bischofswahl
Die Wahlordnung von Domdekan Müller
Die Wahl Franz Rudolf Bornewassers zum Bischof von Trier
Die feierliche Einsetzung Bornewassers
Ergebnis
Exkurs II: Die Frage der Bischofseinsetzungen innerhalb der Konkordatsbestrebungen Pacellis in Berlin im Jahr 1922
Der Delbrueck-Entwurf und das vorläufige Ende der Reichskonkordatsbemühungen
Ein bischöfliches Memorandum und der ‚Konkordatshebel‘ Danzig
Die preußischen Vorstellungen zur Besetzung der Bischofsstühle und Bertrams Stellungnahme
Priesterausbildung versus Kapitelswahl: Pacellis Ansicht zum Modus der Bischofseinsetzung
Das vorläufige Ende der preußischen Konkordatsverhandlungen
II.1.4 Zwischen Seelenheil und Konkordatspolitik: Tütz 1925/26 (Maximilian Kaller)
Die Errichtung der Apostolischen Administratur Tütz 1923
Erste Sondierungen Pacellis und Bertrams über die Nachfolge von Robert Weimann und die Zukunft der Administratur
Der Tod Weimanns und eine Übergangsregelung
Der preußische Kandidatenvorbehalt: kein deutscher Geistlicher aus einem polnischen Bistum
Erneute Kandidatensondierungen Pacellis und Bertrams
Die Kandidatur Bernhard Gramses und der polnische Widerspruch
Zurück zu Paech und Pacellis Sorge um das preußische Konkordat
Stimmen aus der Administratur
Papst und Staatssekretär gegen den Nuntius: salus animarum als oberste Richtschnur
Die preußische ‚Offensive‘ gegen die Ernennung Joseph Paechs
Das Einlenken Roms und Pacellis Kandidat Maximilian Kaller
Die Ernennung und Einsetzung Kallers zum Apostolischen Administrator von Tütz
Ergebnis
II.1.5 Die Besetzung der Bischofsstühle in den preußischen Konkordatsverhandlungen 1926–1929
Die Wiederaufnahme der Konkordatsverhandlungen 1926 und Pacellis Dilemma beim Besetzungsmodus der Bischofsstühle
Bertrams überraschender Kurswechsel
Pacellis Verhandlungsstrategie und ein sich anbahnender Kompromiss
Römische Modifikationen an Pacellis Kompromissmodus
Eine „einzige Front“: das Ende der Differenzen zwischen Nuntius und Episkopat?
Die Vorbildung des Klerus und die Theologischen Fakultäten als Flanken der Bischofseinsetzungen
Die Verhandlungen der Jahre 1928/29: keine Schulfrage, aber Erfolge im Modus der Bischofseinsetzungen
Der Konkordatsabschluss und die Diskussion über die „Würdigung“ der Vorschlagslisten
Ergebnis
II.1.6 „Unbequemlichkeiten“ und „ein auf Dauer unmöglicher Schwebezustand“: Hildesheim 1928/ 29 (Nikolaus Bares)
Der Tod von Bischof Joseph Ernst
Gegensätzliche Ansichten über die Regelung der Nachfolge
Dilation der Besetzung bis zum Konkordatsabschluss und die Intervention Kardinal Bertrams
Die Kandidaten des Hildesheimer Domkapitels
Das Aus für das Wahlrecht des Hildesheimer Domkapitels
Der Kandidat des Nuntius: Adolf Donders
Pacelli legt seine Prioritäten offen: seine Berichterstattung für Gasparri
Approbation aus Rom und Ablehnung aus Münster
Ein Ersatzkandidat: Nikolaus Bares oder Antonius Mönch?
Das Plus des Nikolaus Bares: kein Germaniker
Die Ernennung Bares’ und die Enttäuschung des Hildesheimer Domkapitels
Ernennungsbullen, Bischofsweihe, staatliche Anerkennung und Inthronisation
Ergebnis
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Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939
 9783534402588, 9783534402564, 9783534402571

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Raphael Hülsbömer

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939

Raphael Hülsbömer

Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939 Teil 1

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnd.d-nb.de abrufbar

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Gesamtinhaltsverzeichnis Teil 1 Vorwort......................................................................................................................................................27 I. Einleitung...............................................................................................................................................29 I.1 Eugenio Pacelli – Leben und Forschung.......................................................................30 I.2 Quellen..............................................................................................................................37 I.3 Konzept und Ziel der Studie...........................................................................................40 I.4 Zeitliche, geographische und sachliche Eingrenzung.................................................42 I.5 Methode, Fragestellungen und Aufbau.........................................................................45 I.6 Die Bischofseinsetzungen gemäß des Codex Iuris Canonici von 1917....................49 II. Die Besetzungsfälle der bischöflichen Stühle..................................................................................53 II.1 Preußen........................................................................................................................................53 II.1.1 Auftakt und Wegweiser: Köln 1919/​20 (Karl Joseph Schulte).....................................53 Der Auftakt der Frage nach der Geltung der alten Rechtsgrundlagen.....................53 Das Gutachten von Joseph Hollweck und die Vorstellungen des Nuntius..............58 Kuriales Taktieren............................................................................................................64 Der Tod des Kölner Erzbischofs Felix von Hartmann................................................66 Die Position der staatlichen Autorität und die Wahl Joseph Vogts zum Kapitularvikar..................................................................................................................67 Das Bemühen des Domkapitels zur Bewahrung des Wahlrechts.............................72 Zech bei Pacelli: der offizielle Standpunkt der Reichs- und preußischen Regierung..........................................................................................................................75 Die Fortgeltung der Verträge und das Wahlrecht der Domkapitel: die Debatte der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten..........77 Eine Postulation Schultes durch das Kölner Domkapitel? Bergen und Maglione....................................................................................................107 Die Order des Kardinalstaatssekretärs für die Bischofseinsetzungen in Deutschland und konkret in Köln..........................................................................108 Die Intervention Kardinal Bertrams in Rom.............................................................110 Modifikationen in der Vorgehensweise des Heiligen Stuhls....................................114 Die Reaktion des Staates auf die Position des Heiligen Stuhls................................123 5

Die Reise Pacellis nach Berlin und Köln....................................................................124 Die ‚Wahl‘ Schultes zum Erzbischof von Köln...........................................................134 Die Wahlannahme durch Schulte und die Frage nach dem Informativprozess...... 138 Die Frage nach der staatlichen Beteiligung bei der Amtseinführung....................142 Besitzergreifung des Erzbistums und Inthronisation...............................................145 Ergebnis................................................................................................................................147 II.1.2 ‚Nachtrag‘ zum Kölner Fall: Paderborn 1920 (Kaspar Klein)...................................157 Karl Joseph Schultes Eintritt für das Kapitelswahlrecht..........................................157 Die Wahlerlaubnis aus Rom und die Präzedenzklausel..........................................159 Paderborner Wahlvorbereitungen..............................................................................161 Die Wahl Kaspar Kleins zum Bischof von Paderborn.............................................162 Gutachten über Klein und Interna aus der Kapitelswahl........................................165 Die päpstliche Bestätigung Kleins und der Informativprozess...............................170 Zeitdruck für die Ausstellung der Ernennungsbullen..............................................171 Besitzergreifung und Bischofsweihe...........................................................................174 Ergebnis................................................................................................................................176 Exkurs I: Die Frage der Bischofseinsetzungen innerhalb der ersten Konkordatsbestrebungen Pacellis in Berlin von 1920 bis zur Trierer Sedisvakanz....................................179 Erste Standpunkte zum Modus der Bischofsbestellung und die schwierige Ausgangslage für ein Reichskonkordat......................................................................179 Episkopat und Domkapitel gemeinsam für das Bischofswahlrecht und Pacellis Verhandlungsfokus.................................................................................185 Episkopat gegen Domkapitel: die Grenzen der Allianz...........................................189 Die „endgültige“ Entscheidung aus Rom zum künftigen Modus der Bischofseinsetzung........................................................................................................191 Episkopat gegen Gasparri: eine neue Petition zur Besetzung der Bischofsstühle..........................................................................................................194 Wieder die leidige Fortgeltungsfrage: die Konsistorialallokution Benedikts XV.................................................................................................................197 Ein Aufflackern der Verhandlungsbereitschaft des Reichs und der preußischeWiderstand.................................................................................................200 II.1.3 ‚Tausche Wahlrecht gegen Schulfrageʻ: Trier 1921/​22 (Franz Rudolf Bornewasser)..............................................................................................................................203 Der Tod Bischof Korums und erste Absprachen über die Nachfolgeregelung........................................................................................................203 Der Kandidat von Ludwig Kaas: Nikolaus Bares......................................................204 Das Trierer Junktim von Wahlrecht und französischer Politik.............................206 Pacellis Junktim von Wahlrecht und Konkordatsverhandlungen sowie die Bittschrift des Trierer Domkapitels......................................................................209 6

Karl Joseph Schulte und Ludwig Kaas........................................................................213 Ein Kompromisskandidat: Franz Rudolf Bornewasser............................................214 Die Haltung der preußischen Regierung zum Wahlrecht des Domkapitels........216 „Do-ut-des“: Pacelli, Schulte und Bertram in Berlin................................................217 Die Strategie Pacellis zur Wiederbesetzung des Bistums Trier...............................221 Die Auseinandersetzung zwischen Kaas und Tilmann............................................230 Der Widerstand des Trierer Domkapitels.................................................................233 Schulte in Rom – Eine plötzliche Wendung der Dinge...........................................235 Der modus procedendi der Bischofswahl..................................................................237 Die Wahlordnung von Domdekan Müller................................................................239 Die Wahl Franz Rudolf Bornewassers zum Bischof von Trier...............................241 Die feierliche Einsetzung Bornewassers.....................................................................245 Ergebnis................................................................................................................................247 Exkurs II: Die Frage der Bischofseinsetzungen innerhalb der Konkordatsbe­strebungen Pacellis in Berlin im Jahr 1922............................................................................254 Der Delbrueck-Entwurf und das vorläufige Ende der Reichskonkordatsbemühungen...................................................................................254 Ein bischöfliches Memorandum und der ‚Konkordatshebel‘ Danzig...................258 Die preußischen Vorstellungen zur Besetzung der Bischofsstühle und Bertrams Stellungnahme..............................................................................................262 Priesterausbildung versus Kapitelswahl: Pacellis Ansicht zum Modus der Bischofseinsetzung.................................................................................................268 Das vorläufige Ende der preußischen Konkordatsverhandlungen........................276 II.1.4 Zwischen Seelenheil und Konkordatspolitik: Tütz 1925/​26 (Maximilian Kaller)...................................................................................................................279 Die Errichtung der Apostolischen Administratur Tütz 1923.................................279 Erste Sondierungen Pacellis und Bertrams über die Nachfolge von Robert Weimann und die Zukunft der Administratur............................................281 Der Tod Weimanns und eine Übergangsregelung...................................................285 Der preußische Kandidatenvorbehalt: kein deutscher Geistlicher aus einem polnischen Bistum.............................................................................................287 Erneute Kandidatensondierungen Pacellis und Bertrams.......................................290 Die Kandidatur Bernhard Gramses und der polnische Widerspruch...................292 Zurück zu Paech und Pacellis Sorge um das preußische Konkordat.....................295 Stimmen aus der Administratur.................................................................................298 Papst und Staatssekretär gegen den Nuntius: salus animarum als oberste Richtschnur......................................................................................................300 Die preußische ‚Offensive‘ gegen die Ernennung Joseph Paechs...........................305 Das Einlenken Roms und Pacellis Kandidat Maximilian Kaller............................309 7

Die Ernennung und Einsetzung Kallers zum Apostolischen Administrator von Tütz...............................................................................................314 Ergebnis................................................................................................................................317 II.1.5 Die Besetzung der Bischofsstühle in den preußischen Konkordatsverhandlungen 1926–1929.......................................................................................................324 Die Wiederaufnahme der Konkordatsverhandlungen 1926 und Pacellis Dilemma beim Besetzungsmodus der Bischofsstühle................................324 Bertrams überraschender Kurswechsel......................................................................332 Pacellis Verhandlungsstrategie und ein sich anbahnender Kompromiss.............335 Römische Modifikationen an Pacellis Kompromissmodus....................................341 Eine „einzige Front“: das Ende der Differenzen zwischen Nuntius und Episkopat?..............................................................................................................345 Die Vorbildung des Klerus und die Theologischen Fakultäten als Flanken der Bischofseinsetzungen.............................................................................................351 Die Verhandlungen der Jahre 1928/​29: keine Schulfrage, aber Erfolge im Modus der Bischofseinsetzungen..........................................................................355 Der Konkordatsabschluss und die Diskussion über die „Würdigung“ der Vorschlagslisten......................................................................................... 364 Ergebnis................................................................................................................................370 II.1.6 „Unbequemlichkeiten“ und „ein auf Dauer unmöglicher Schwebezustand“: Hildesheim 1928/​29 (Nikolaus Bares)....................................................................................387 Der Tod von Bischof Joseph Ernst..............................................................................387 Gegensätzliche Ansichten über die Regelung der Nachfolge..................................388 Dilation der Besetzung bis zum Konkordatsabschluss und die Intervention Kardinal Bertrams..................................................................................390 Die Kandidaten des Hildesheimer Domkapitels.......................................................392 Das Aus für das Wahlrecht des Hildesheimer Domkapitels...................................393 Der Kandidat des Nuntius: Adolf Donders...............................................................396 Pacelli legt seine Prioritäten offen: seine Berichterstattung für Gasparri..............400 Approbation aus Rom und Ablehnung aus Münster...............................................404 Ein Ersatzkandidat: Nikolaus Bares oder Antonius Mönch?..................................406 Das Plus des Nikolaus Bares: kein Germaniker........................................................409 Die Ernennung Bares’ und die Enttäuschung des Hildesheimer Domkapitels...................................................................................................................410 Ernennungsbullen, Bischofsweihe, staatliche Anerkennung und Inthronisation........................................................................................................................415 Ergebnis................................................................................................................................420

8

Teil 2 II.1.7 „Eine wahrhaft gute Wahl“ für den neu errichteten Bischofsstuhl, aber kein Bischofswahlrecht für das Domkapitel: Berlin 1929/30 (Christian Schreiber).........9 Der rechtliche Status vor der Errichtung des Bistums Berlin 1930............................9 Die Initiative Kardinal Bertrams...................................................................................10 Die Suche Pacellis nach dem künftigen Diözesanbischof von Berlin.......................12 Pacellis Überlegungen zur Wiederbesetzung der Berliner Delegatur......................14 Pacellis abwartender Kurs und die gegenteilige Intervention Bertrams in Rom...............................................................................................................................20 Von Ludwig Kaas zu Christian Schreiber und die Bestellung eines Administrators.................................................................................................................22 Die Kontroverse um das staatliche Plazet....................................................................28 Die Ernennung Schreibers zum Apostolischen Administrator.................................31 Schreibers Amtsantritt als Administrator und seine Erhebung zum Diözesanbischof...............................................................................................................33 Ergebnis...................................................................................................................................35 II.1.8 Ein Bischof im Sinne St. Georgens: Limburg 1929/30 (Antonius Hilfrich)...............42 Ein Weihbischof für Augustinus Kilian?......................................................................42 Pacellis Lösung: ein Koadjutor mit dem Recht der Nachfolge..................................44 Kandidatensondierungen in St. Georgen.....................................................................46 Pacellis Plan für Limburg: Hilfrich als Koadjutor mit Nachfolgerecht....................52 Praktische Hindernisse bei der Umsetzung des Vorhabens und der ‚Widerstandʻ Kilians........................................................................................................55 Pacellis praktische Lösung und der Vorschlag Hilfrichs............................................57 Die offizielle Supplik Kilians um einen Koadjutor, das Plazet der Regierung und die Einsetzung Hilfrichs......................................................................60 Ergebnis...................................................................................................................................64 II.1.9 Zweisprachigkeit, Diaspora und Priesterausbildung – Die erste Bischofswahl nach dem Preußenkonkordat: Ermland 1930 (Maximilian Kaller)......................................69 Der Tod von Bischof Augustinus Bludau.....................................................................69 Die Kandidatenvorschläge des preußischen Episkopats und des Ermländer Domkapitels.................................................................................................70 Informelle Petitionen aus Ermland...............................................................................78 Die römische Terna.........................................................................................................84 9

Die Wahl Maximilian Kallers zum Bischof von Ermland..........................................88 Weihe und Inthronisation..............................................................................................93 Ergebnis...................................................................................................................................94 II.1.10 Zwei Anläufe in der Kandidatensuche: Schneidemühl 1930/31 (Franz Hartz)..............................................................................................................................101 Pacellis Kandidatenerkundigungen und die Kandidatur Paul Webers..................101 Das Plazet der preußischen Regierung und das Non-plazet Webers.....................108 Pacellis Alternativkandidat: Franz Hartz...................................................................112 Die Ernennung Hartzʼ zum Prälaten von Schneidemühl........................................114 Ergebnis.................................................................................................................................116 II.1.11 Ein unberücksichtigtes Listenverfahren und eine überraschende Terna: Aachen 1930/31 (Joseph Vogt).................................................................................................122 Römische Ernennung oder Bischofswahl? Orsenigos Plan und Pizzardos Fehler.............................................................................................................122 Die Kandidatenvorschläge des Aachener Domkapitels und der preußischen Bischöfe....................................................................................................126 Orsenigos Kandidatenüberlegungen: Berning oder Sträter?...................................133 Die römische Terna.......................................................................................................135 Die Wahl Joseph Vogts zum Bischof von Aachen.....................................................140 Vogts Einsetzung zum Bischof von Aachen...............................................................142 Ergebnis.................................................................................................................................144 II.1.12 Zwei Bischofswahlen und ein Nachzügler: Münster 1933 (Clemens August Graf von Galen)..........................................................................................153 Der Tod von Bischof Johannes Poggenburg, politische Umwälzungen und eine geheime Kandidatenliste..............................................................................153 Die Kandidatenlisten Kardinal Schultes und des Münsteraner Domkapitels...................................................................................................................155 Pacellis eigene Kandidatensondierungen...................................................................160 Die Kandidatenvorschläge des preußischen Episkopats..........................................163 Die Vorsondierungen des Nuntius..............................................................................169 Die römische Terna.......................................................................................................173 Die Bischofswahl des Domkapitels, Teil eins: Heinrich Heufers............................174 Die Bischofswahl des Domkapitels, Teil zwei: Adolf Donders................................180 Abt Albert Schmitt versus Clemens August Graf von Galen...................................183 Die Bischofswahl des Domkapitels, Teil drei: Clemens August Graf von Galen...............................................................................................................187 10

Die Frage der Eidesleistung..........................................................................................190 Besitzergreifung, Bischofsweihe und Inthronisation................................................195 Ergebnis.................................................................................................................................197 II.1.13 Mit „ausgesprochen nationalsozialistischer Gesinnung“? Der Bischof als Politikum: Berlin 1933/34 (Nikolaus Bares).....................................................................211 Der Tod von Christian Schreiber................................................................................211 Die Kandidatenvorschläge der preußischen Bischöfe und des Berliner Domkapitels...................................................................................................................213 Die Analyse der Kandidatenvorschläge durch Nuntius Orsenigo..........................219 Die Sondierung der Kandidaten im Staatssekretariat und die römische Dreierliste.......................................................................................................................222 Die Bischofswahl des Berliner Domkapitels..............................................................226 Das innerstaatliche Ringen um die politische Klausel und die Geduld des Vatikans....................................................................................................................228 Der Treueid und Baresʼ Einsetzung zum Bischof von Berlin..................................234 Ergebnis.................................................................................................................................239 II.1.14 Ein Nebenschauplatz im Streit zwischen Berlin und Rom? Die leidige Einspruchsfrist des Staates: Hildesheim 1934 (Joseph Machens)......................................249 Vorbereitende Maßnahmen zur Wiederbesetzung...................................................249 Die Kandidatenvorschläge des preußischen Episkopats und des Hildesheimer Domkapitels...........................................................................................250 Orsenigos Kandidatenüberlegungen..........................................................................255 Pacellis Terna: Unterstützung für Machens und Francken vor Algermissen....................................................................................................................259 Die Wahl von Joseph Machens zum Bischof von Hildesheim................................262 Die Kontroverse um die staatliche Einspruchsfrist und das Plazet für Machens........................................................................................................263 Die Einsetzung Machensʼ als Bischof von Hildesheim............................................271 Debatte über eine Lappalie? Noch einmal die Einspruchsfrist...............................273 Ergebnis.................................................................................................................................278 II.1.15 Zwei Ternen und ein Kandidat: Berlin 1935 (Konrad Graf von Preysing)............289 Der Tod von Bischof Nikolaus Bares..........................................................................289 Die Kandidatenvorschläge des preußischen Episkopats und des Berliner Domkapitels...................................................................................................................291 Orsenigos Votum für Preysing und die Nachzügler Kaller und Klein...................296 Die römischen ‚Ternen‘ und die Wahl Preysings zum Bischof von Berlin.............299 11

Das Nihil obstat der preußischen Regierung und die Kontroverse um das Innsbrucker Studium.............................................................................................305 Die Einsetzung Konrad Graf von Preysings zum Bischof von Berlin....................314 Ergebnis.................................................................................................................................318 II.1.16 Dem „Nationalsozialismus gegenüber systematisch feindlich eingestellt“ – Einspruch der NS-Regierung: Fulda 1936/39 (Johann Baptist Dietz)...............................328 Ein Koadjutor für Fulda und Pacellis Wunschkandidat Wendelin Rauch.............328 Die Klärung des Einsetzungsmodus und Schmitts Zustimmung zum Koadjutorplan................................................................................................................330 Ein „gehässiger Gegner der nationalsozialistischen Weltanschauung“ – Die Ablehnung Rauchs durch die Reichsregierung..................................................332 Der römische Alternativkandidat Johann Baptist Dietz und die Not von Bischof Schmitt......................................................................................................340 Der zweite Versuch: das Nihil obstat für Johann Baptist Dietz...............................345 Ein erneutes Hindernis? Dietzʼ zögerliche Annahme des Koadjutoramtes..........348 Dietzʼ Amtsantritt als Koadjutor und Diözesanbischof...........................................352 Ergebnis.................................................................................................................................354 II.1.17 Diplomatisch geschickt – Ein Administrator gegen das ‚Veto‘ der Regierung: Aachen 1937/38 (Hermann Joseph Sträter).......................................................366 Der Tod von Bischof Joseph Vogt und die Kandidatenvorschläge von Episkopat und Domkapitel...........................................................................................366 Orsenigos Votum für Wienken und die römische Terna.........................................372 Die Wahl Wilhelm Holtmanns und der Einspruch der Staatsregierung...............375 Staatliche Intransigenz und der Nullpunkt des Verfahrens.....................................380 Die römische Lösung: neuer Modus und neuer Kandidat.......................................383 Pacellis geheimer Auftrag für Bischof Galen und dessen Lösung der Aachener Frage.......................................................................................................387 Die Einsetzung Sträters zum Apostolischen Administrator des Bistums Aachen.............................................................................................................390 Ausblick..........................................................................................................................393 Ergebnis.................................................................................................................................395

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Teil 3 II.2 Bayern...........................................................................................................................................11 II.2.1 Die Besetzung der Bischofsstühle in den bayerischen Konkordatsverhandlungen 1918–1925...............................................................................................................11 Die Pfarrbesetzungen als Auftakt der Frage nach der Fortgeltung des Bayernkonkordats von 1817...........................................................................................11 Das Gutachten von Joseph Hollweck............................................................................13 Die Ansicht Pacellis zur Fortgeltung des bayerischen Konkordats...........................15 Konsequenzen aus der Weimarer Reichsverfassung?.................................................17 Das Gutachten Benedetto Ojettis zum Kirche-Staat-Verhältnis in Bayern.............19 Der bayerische Episkopat und die Besetzung der bischöflichen Stühle...................23 Pacelli bei Hoffmann.......................................................................................................25 Verhandlungsauftakt um ein neues bayerisches Konkordat......................................29 Die Konkordatsverhandlungen bis zum Sommer 1921.............................................31 Die bayerischen Domkapitel und der Modus der Bischofseinsetzung.....................35 Die Interessengemeinschaft von Regierung und Domherren sowie der Widerspruch des Episkopats..........................................................................................39 Pacelli zum Modus der Bischofseinsetzung und über „würdige“ Bischöfe..............43 Zwei Sitzungen der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten und der römische Konkordatsentwurf...........................................48 Die Klärung der politischen Klausel.............................................................................51 Die Debatte über den ersten römischen Konkordatsentwurf: Kritik an der politischen Klausel....................................................................................................56 Die Forderung des Kapitelswahlrechts durch die staatlichen Verhandlungsführer........................................................................................................59 Der Auftakt der mündlichen Konkordatsverhandlungen 1923 und die fruchtlose Kontroverse um die Bischofswahl........................................................62 Pacelli empfiehlt erneut Zugeständnisse......................................................................67 Die staatliche nota explicativa und eine neue innerkuriale Debatte........................71 Der neue staatliche Konkordatsentwurf und Pacellis ‚Gegenmaßnahmen‘.............77 Die letzte Konzession des Heiligen Stuhls: Einlenken der Regierung oder Scheitern der Verhandlungen?.............................................................................83 Die ‚Meistbegünstigungsklausel‘ und ein nicht gegebenes Versprechen.................90 13

Neue Modifikation durch den Heiligen Stuhl: keine Listenbindung und Gasparri contra Pacelli............................................................................................96 Der endgültige Modus der bayerischen Bischofseinsetzungen.................................99 Widerstand und Annahme des neuen Konkordats..................................................102 Die Ausarbeitung des Triennallistenverfahrens........................................................104 Ergebnis.................................................................................................................................109 II.2.2 Im Sog des Bayernkonkordats – Koinzidenz von Opportunität und Ideal: Würzburg 1920–1924 (Matthias Ehrenfried)......................................................125 Die Absetzung Ferdinand von Schlörs und die Einsetzung Johann von Haucks zum Apostolischen Administrator...........................................125 Alternativlösung Koadjutor?........................................................................................130 Ein zweiter Anlauf: Weihbischof Hierl als Koadjutor für Schlör?..........................131 Der Tod Schlörs und Nachfolgeüberlegungen durch Pacelli und Hauck..............136 Pacellis Plan: eine römische Ernennung von Ehrenfried oder Landersdorfer.................................................................................................................141 Mergels Gutachten über Ehrenfried...........................................................................146 Die Ernennung Ehrenfrieds zum Bischof von Würzburg........................................147 Bischofsweihe, Besitzergreifung der Diözese und Inthronisation..........................149 Ergebnis.................................................................................................................................150 II.2.3 Eine relevante Stimme in einer Flut von Kandidatenvoten: Regensburg 1927/​28 (Michael Buchberger)...........................................................................158 Der Tod von Bischof Anton von Henle, die Spaltung des Domkapitels und die Einmischung des bayerischen Ministerpräsidenten....................158 Die Kandidatentrias Michael Hofmanns und die Empfehlung Bischof Ludwig Hugos..................................................................................................162 Ein weiteres Votum für Hierl: Stadtpfarrer Braun und Priorin Reichert...............165 Noch einmal die Spaltung des Regensburger Domkapitels.....................................167 Die Sedisvakanzliste des Domkapitels........................................................................169 Hierl, der Favorit...........................................................................................................170 Die Voten der Patres Schmoll und Fritz.....................................................................172 Buchberger, der „Wachtposten“: Vassallos Kandidatenquintett..............................177 Faulhabers Intervention in Rom und Buchbergers Ernennung zum Bischof von Regensburg...............................................................................................181 Das Nihil obstat der bayerischen Regierung und Buchbergers Amtsantritt.........183 Ergebnis.................................................................................................................................185 14

II.2.4 Gegen das Votum der Ortskirche: Augsburg 1930 (Joseph Kumpfmüller)............186 Der Tod von Bischof Maximilian von Lingg.............................................................186 Zwei Voten für Eberle aus Augsburg...........................................................................187 Die Sedisvakanzliste der Augsburger Domherren....................................................190 Vassallo über Eberle und die Diözese Augsburg.......................................................191 Die Sondierungen des Kardinalstaatssekretärs: Zweifel an Eberles moralischer Integrität...................................................................................................193 Das Ende der Kandidatur Eberles und die Alternativen Höcht und Kumpfmüller..................................................................................................................196 Vassallos Informationsbeschaffung.............................................................................198 Die Ernennung Kumpfmüllers zum Bischof von Augsburg....................................200 Ernennungsbullen, Bischofsweihe und Inthronisation............................................201 Ergebnis.................................................................................................................................202 II.2.5 Von römischer „Voreingenommenheit“: Eichstätt 1932 (Konrad Graf von Preysing).....................................................................................................213 Der Tod von Bischof Leo von Mergel und die Bischofskandidaten des Domkapitels.............................................................................................................213 Helds Fürsprache für Bruggaier..................................................................................215 Drei mögliche Geistliche für den Bischofsstuhl des heiligen Willibald.................216 Pacellis Kandidatentrias auf den Triennallisten........................................................217 Vassallo über Pacellis Kandidaten...............................................................................220 Die Ernennung Preysings zum Bischof von Eichstätt, staatliche Indiskretion und die Rüge des Nuntius......................................................................222 Preysings Amtsantritt und Dank an Pacelli...............................................................227 Ergebnis.................................................................................................................................228 II.2.6 Ein einheimischer „candidatus dignissimus“ und der scheidende Oberhirte als Promotor: Eichstätt 1935 (Michael Rackl).....................................................237 Kirchenpolitische Voraussetzungen............................................................................237 Preysings Abschied und die Nachfolgekandidaten des Domkapitels.....................238 Die römische Entscheidung für Rackl und seine Resultate auf den bischöflichen Triennallisten.........................................................................................241 Rackl in der Berliner Nuntiatur und Preysings Unterstützung...............................243 Politische Bedenken? Rackl und die Wehrpflicht.....................................................245 Vassallos Informationen und die Verzögerung der staatlichen Entscheidung......... 249 Faulhaber contra Rackl und das Nihil obstat des bayerischen Reichsstatthalters...........................................................................................................252 15

Notifikation und Formalia...........................................................................................255 Eidesleistung und Amtsantritt des neuen Diözesanbischofs...................................257 Ergebnis.................................................................................................................................260 II.2.7 Eine letzte Gelegenheit für einen langjährigen Bischofsanwärter: Passau 1936 (Simon Konrad Landersdorfer OSB)................................................................269 Der Tod von Bischof Felix von Ow-Felldorf und die Kandidaten der Passauer Domherren.....................................................................................................................269 Die Entscheidung des Heiligen Stuhls für Landersdorfer und dessen Status auf den Triennallisten........................................................................................272 Unproblematisch: das staatliche Nihil obstat.............................................................275 Problematisch: das zögerliche Einverständnis Landersdorfers und seine Ernennung zum Bischof von Passau.................................................................277 Treueid und Amtsantritt...............................................................................................281 Ergebnis.................................................................................................................................283 II.3 Oberrheinische Kirchenprovinz.............................................................................................291 II.3.1 Eine freie Bischofswahl: Freiburg 1920 (Karl Fritz)....................................................291 Die badische Verfassung von 1919: neue Freiheit für die Kirche...........................291 Der Tod von Erzbischof Thomas Nörber und die Frage der Nachfolgeregelung.........................................................................................................294 Die päpstliche Wahlerlaubnis und Freiheit von staatlicher Ingerenz.....................297 Die Wahl des neuen Erzbischofs.................................................................................298 Informationsbeschaffung des Nuntius über Fritz.....................................................300 Die päpstliche Approbation des neuen Erzbischofs..................................................303 Ernennungsbullen, Bischofsweihe und Inthronisation............................................305 Zum Abschluss: zwei Fragen der Forschung.............................................................307 Ergebnis.................................................................................................................................309 II.3.2 Nationale Interessen und Gräben in der Bistumsleitung: Mainz 1920/​21 (Ludwig Maria Hugo)....................................................................................313 Die Besetzung des Domdekanats als Auftakt............................................................313 Pacellis Kandidatensondierungen für den Posten eines Koadjutors......................315 Brentano gegen Bendix et vice versa und die prekäre Lage des Mainzer Bistums............................................................................................................323 Ein unerwarteter Kandidatenwechsel.........................................................................328 Gutachten über Ludwig Maria Hugo und die Klärung der Finanzfragen..................................................................................................................331 Pacellis Berichterstattung an Gasparri und die Ernennung Hugos zum Koadjutor...............................................................................................................334 16

Die verspätete Reaktion des Mainzer Domkapitels und der Wunschkandidat Ludwig Kaas....................................................................................337 Die Bekanntmachung der Ernennung Hugos, der Informativprozess und die Sorge vor dem künftigen Einfluss des Domdekans....................................342 Die Kontroverse um die Eidesleistung.......................................................................348 Bischofsweihe, Eidverzicht und Inthronisation Hugos............................................353 Ergebnis.................................................................................................................................359 II.3.3 Eine Bischofswahl zum Preis von Konkordatsverhandlungen: Rottenburg 1926/​27 (Joannes Baptista Sproll).......................................................................366 Der staatskirchenrechtliche Vorlauf............................................................................366 Der Tod von Bischof Paul Wilhelm von Keppler......................................................373 Wahl oder Ernennung? Das Punctum saliens der Frage nach der Wiederbesetzung...........................................................................................................374 Die Suche nach passenden Bischofskandidaten........................................................376 Kein Wahlrecht für das Domkapitel: das Bittschreiben an den Papst und Pacellis Ablehnung......................................................................................384 Sproll oder Baur? Pacellis letzte Sondierungen.........................................................386 Die römische Entscheidung für Sproll........................................................................390 Der Disput zwischen Pacelli und Bolz........................................................................391 Quid pro quo: der Tausch von Kapitelswahlrecht gegen staatliche Verhandlungsbereitschaft.............................................................................................398 Verhandlungen um die Spezifika des Wahlmodus...................................................401 Die Wahl Sprolls zum Bischof von Rottenburg.........................................................405 Die päpstliche Bestätigung und die Ernennungsbullen...........................................407 Eine unvorhergesehene Verzögerung: der Beleidigungsprozess.............................410 Die Inthronisation Sprolls............................................................................................412 Ergebnis.................................................................................................................................413 II.3.4 Im Angesicht des badischen Konkordats: Freiburg 1931/​32 (Conrad Gröber)........................................................................................................................420 ‚Vorgeschichte‘: Pacellis Ringen um ein Konkordat mit Baden...............................420 Der Tod von Erzbischof Fritz.......................................................................................426 Die Wiederbesetzung des erzbischöflichen Stuhls als Katalysator für die Konkordatsverhandlungen..............................................................................428 Die Beurteilung der Position Baumgartners durch Kapitelsvikar Sester...............433 Wahl oder Ernennung? Die Auffassung von Josef Sester.........................................435 Pacellis Direktive: Konkordat oder päpstliche Ernennung des neuen Erzbischofs.....................................................................................................................439 Widerstand und Einlenken im Freiburger Metropolitankapitel.............................440 17

Pacellis Kandidat für Freiburg: Conrad Gröber........................................................443 Pacelli und Baumgartner: eine fruchtlose Grundsatzdebatte..................................445 Verzögerungen: ein unzureichender Konkordatsentwurf und Sesters Intrige......448 Gröbers Ernennung zum Erzbischof von Freiburg...................................................451 Die Resonanz auf die Translation................................................................................457 Gröbers Anhänglichkeit an den Heiligen Stuhl und seine Einsetzung in Freiburg......................................................................................................................462 Die Besetzung des Freiburger Erzbischofsstuhls in den Konkordatsverhandlungen...............................................................................................................465 Ergebnis.................................................................................................................................476 II.3.5 Ein beinahe konfliktfreies und ‚minimalistisches‘ Verfahren: Mainz 1935 (Albert Stohr)........................................................................................................485 Der Tod von Ludwig Maria Hugo und eine vergessene Konkordatsbestimmung....................................................................................................................485 Die Vorschläge des Mainzer Domkapitels: sechs Kandidaten für den Bischofsthron..........................................................................................................487 Der Favorit Orsenigos: Wendelin Rauch....................................................................489 Die römische Terna.......................................................................................................490 Reibungslos: die Wahl Stohrs und das hessische Plazet...........................................492 Stohrs Einsetzung zum Bischof von Mainz und Disharmonien über den Treueid............................................................................................................496 Ergebnis.................................................................................................................................500

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Teil 4 II.4 Sachsen...........................................................................................................................................9 II.4.1 Bautzen und Dresden, Wenden und Deutsche – Konfliktfelder einer Bistumsgründung: Meißen 1920/21 (Christian Schreiber)......................................................9 Kirchenrechtliche Prämissen...........................................................................................9 Der Tod von Bischof Franz Löbmann und die Frage der Wiederbesetzung des Apostolischen Vikariats...........................................................................................10 Das Eingreifen von Kardinal Bertram..........................................................................13 Sondierungen der Nachfolge Löbmanns durch das Dresdener Konsistorium und König Friedrich August..........................................................................................14 Päpstliche Nomination oder Kapitelswahl? Pacelli und Bertram.............................18 Weitere Bischofskandidaten...........................................................................................23 Römische Zustimmung zur Bistumserrichtung und Watzls Kritik am Dresdener Konsistorium................................................................................................26 Die Ambitionen Hartmanns und Skalas auf das Bischofsamt...................................28 Ernennung des neuen ‚Diözesanbischofs‘ vor Wiederherstellung der Diözese?....... 30 Das Memorandum Pater Watzls....................................................................................32 Pater Watzl CSsR: Ein geeigneter Bischof?..................................................................38 Ein Einflussversuch der sächsischen Regierung und die Endphase von Pacellis Kandidatensondierung.....................................................................................41 Votum für Schreiber und ‚Tausch‘ mit dem Staat: Pacellis Bericht für Gasparri........ 47 Eine Konvention mit der Reichsregierung: Delbrueck, Watzl und Pacelli..............52 Freie Hand für Pacelli und ein knapper Zeitplan........................................................56 Pacellis Sachsenreise und die Kritik des Dresdener Konsistoriums.........................60 Die Bekanntgabe des neuen Diözesanbischofs............................................................65 Schreibers Amtsantritt und die Opposition der Dresdener Geistlichkeit...............73 Ergebnis...................................................................................................................................76 II.4.2 Ein Besetzungsverfahren über zweieinhalb Jahre: Meißen 1929–31 (Conrad Gröber)..........................................................................................................................84 Pacellis Vorausschau: Antonius Hilfrich für den Meißener Bischofsstuhl?............84 Zwei Eingaben an Pacelli: Schreiber gegen Hartmann und Hartmann für einen Deutschen..............................................................................................................86 Im Leerlauf des Verfahrens: Kandidatenwünsche aus Sachsen und Ansprüche der Regierung..............................................................................................89 19

Pacellis neuer Kandidat: die Ernennung Conrad Gröbers zum Bischof von Meißen.......................................................................................................................92 Gröbers Weihe und Amtsantritt....................................................................................96 Bilanz nach einem Jahr: Gröber, ein umsichtiger Oberhirte.....................................98 Ergebnis.................................................................................................................................100 II.4.3 Seelsorge in der Diaspora: Meißen 1932 (Petrus Legge)............................................106 Die Translation Conrad Gröbers nach Freiburg.......................................................106 Die Suche nach dem neuen Oberhirten: Pacellis Kandidatentrias und die Entscheidung für Petrus Legge..............................................................................107 Die Einsetzung Legges zum Bischof von Meißen.....................................................111 Ergebnis.................................................................................................................................114 II.4.4 Die Entscheidungsmacht des Kardinalstaatssekretärs: Meißen 1936/37 (Heinrich Wienken)..................................................................................................................119 Das Devisenverfahren gegen Petrus Legge und der Plan eines Koadjutors mit Nachfolgerecht........................................................................................................119 Die Kandidatenvorschläge Orsenigos.........................................................................123 Die Hilflosigkeit Giuseppe Pizzardos bei Pacellis Abwesenheit..............................127 Die Anordnung des Papstes: Nexus von Verurteilung und Amtsrücktritt............130 Die ‚Handschrift‘ Pacellis.............................................................................................134 Das staatliche Plazet für Wienken...............................................................................135 Die Einsetzung Wienkens zum Koadjutor des Bistums Meißen.............................140 Ergebnis.................................................................................................................................146 III. Vergleichende Auswertung und Fazit...........................................................................................150 III.1 Pacelli und die Kandidaten..............................................................................................150 III.1.1 Ideales Kandidatenprofil.........................................................................................150 III.1.2 Lokale Umstände und Opportunitätskriterien....................................................159 III.1.3 Kandidatenkorpus und Sondierungen..................................................................164 III.2 Pacelli und der Besetzungsmodus...................................................................................168 III.2.1 Phase der Normfindung: päpstliche Nomination oder Kapitelswahl?..............168 III.2.2 Phase der Normanwendung: Maximierung der römischen Freiheit................171 III.3 Pacelli und der Staat..........................................................................................................179 III.3.1 Alles für ein Konkordat? Die Bischofseinsetzungen in den Konkordatsverhandlungen.................................................................................................179 III.3.2 Ideal und Konfliktvermeidung: die Bischofseinsetzungen nach den Konkordaten und im Nationalsozialismus.......................................................................189 III.4 Pacelli und die Informanten............................................................................................195 III.4.1 Institutionalisiertes ‚Informantensystem‘.............................................................195 III.4.2 Informelle Ratgeber und Gutachter.......................................................................197 20

III.5 Pacelli und die Kurie.........................................................................................................207 III.5.1 Pacelli als Nuntius....................................................................................................207 III.5.2 Pacelli als Kardinalstaatssekretär...........................................................................215 III.6 Fazit.....................................................................................................................................228 Quellen- und Literaturverzeichnis.......................................................................................................231 Anhang....................................................................................................................................................318 1. Dokumente und Kandidatenlisten............................................................................................318 1.1 Die Ausführungsdekrete vom 4. April 1926 zum Listenverfahren von Artikel 14 § 1 des bayerischen Konkordats von 1924.............................................318 1.2 Die bayerischen Triennallisten....................................................................................330 1.2.1 Die Triennallisten des Episkopats......................................................................330 1.2.2 Die Triennallisten der Domkapitel....................................................................335 1.3 Die Bischofskandidaten in Preußen nach Artikel 6 des preußischen Konkordats von 1929..........................................................................................................361 2. Pacellis Bischofskandidaten........................................................................................................364 Personenregister.....................................................................................................................................368

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Inhalt Teil 1 Vorwort......................................................................................................................................................27 I. Einleitung...............................................................................................................................................29 I.1 Eugenio Pacelli – Leben und Forschung.......................................................................30 I.2 Quellen..............................................................................................................................37 I.3 Konzept und Ziel der Studie...........................................................................................40 I.4 Zeitliche, geographische und sachliche Eingrenzung.................................................42 I.5 Methode, Fragestellungen und Aufbau.........................................................................45 I.6 Die Bischofseinsetzungen gemäß des Codex Iuris Canonici von 1917....................49 II. Die Besetzungsfälle der bischöflichen Stühle..................................................................................53 II.1 Preußen........................................................................................................................................53 II.1.1 Auftakt und Wegweiser: Köln 1919/​20 (Karl Joseph Schulte).....................................53 Der Auftakt der Frage nach der Geltung der alten Rechtsgrundlagen.....................53 Das Gutachten von Joseph Hollweck und die Vorstellungen des Nuntius..............58 Kuriales Taktieren............................................................................................................64 Der Tod des Kölner Erzbischofs Felix von Hartmann................................................66 Die Position der staatlichen Autorität und die Wahl Joseph Vogts zum Kapitularvikar..................................................................................................................67 Das Bemühen des Domkapitels zur Bewahrung des Wahlrechts.............................72 Zech bei Pacelli: der offizielle Standpunkt der Reichs- und preußischen Regierung..........................................................................................................................75 Die Fortgeltung der Verträge und das Wahlrecht der Domkapitel: die Debatte der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten..........77 Eine Postulation Schultes durch das Kölner Domkapitel? Bergen und Maglione....................................................................................................107 Die Order des Kardinalstaatssekretärs für die Bischofseinsetzungen in Deutschland und konkret in Köln..........................................................................108 Die Intervention Kardinal Bertrams in Rom.............................................................110 Modifikationen in der Vorgehensweise des Heiligen Stuhls....................................114 Die Reaktion des Staates auf die Position des Heiligen Stuhls................................123 Die Reise Pacellis nach Berlin und Köln....................................................................124 Die ‚Wahl‘ Schultes zum Erzbischof von Köln...........................................................134 Die Wahlannahme durch Schulte und die Frage nach dem Informativprozess...... 138 Die Frage nach der staatlichen Beteiligung bei der Amtseinführung....................142 23

Besitzergreifung des Erzbistums und Inthronisation...............................................145 Ergebnis................................................................................................................................147 II.1.2 ‚Nachtrag‘ zum Kölner Fall: Paderborn 1920 (Kaspar Klein)...................................157 Karl Joseph Schultes Eintritt für das Kapitelswahlrecht..........................................157 Die Wahlerlaubnis aus Rom und die Präzedenzklausel..........................................159 Paderborner Wahlvorbereitungen..............................................................................161 Die Wahl Kaspar Kleins zum Bischof von Paderborn.............................................162 Gutachten über Klein und Interna aus der Kapitelswahl........................................165 Die päpstliche Bestätigung Kleins und der Informativprozess...............................170 Zeitdruck für die Ausstellung der Ernennungsbullen..............................................171 Besitzergreifung und Bischofsweihe...........................................................................174 Ergebnis................................................................................................................................176 Exkurs I: Die Frage der Bischofseinsetzungen innerhalb der ersten Konkordatsbestrebungen Pacellis in Berlin von 1920 bis zur Trierer Sedisvakanz....................................179 Erste Standpunkte zum Modus der Bischofsbestellung und die schwierige Ausgangslage für ein Reichskonkordat......................................................................179 Episkopat und Domkapitel gemeinsam für das Bischofswahlrecht und Pacellis Verhandlungsfokus.................................................................................185 Episkopat gegen Domkapitel: die Grenzen der Allianz...........................................189 Die „endgültige“ Entscheidung aus Rom zum künftigen Modus der Bischofseinsetzung........................................................................................................191 Episkopat gegen Gasparri: eine neue Petition zur Besetzung der Bischofsstühle..........................................................................................................194 Wieder die leidige Fortgeltungsfrage: die Konsistorialallokution Benedikts XV.................................................................................................................197 Ein Aufflackern der Verhandlungsbereitschaft des Reichs und der preußischeWiderstand.................................................................................................200 II.1.3 ‚Tausche Wahlrecht gegen Schulfrageʻ: Trier 1921/​22 (Franz Rudolf Bornewasser)..............................................................................................................................203 Der Tod Bischof Korums und erste Absprachen über die Nachfolgeregelung........................................................................................................203 Der Kandidat von Ludwig Kaas: Nikolaus Bares......................................................204 Das Trierer Junktim von Wahlrecht und französischer Politik.............................206 Pacellis Junktim von Wahlrecht und Konkordatsverhandlungen sowie die Bittschrift des Trierer Domkapitels......................................................................209 Karl Joseph Schulte und Ludwig Kaas........................................................................213 Ein Kompromisskandidat: Franz Rudolf Bornewasser............................................214 Die Haltung der preußischen Regierung zum Wahlrecht des Domkapitels........216 „Do-ut-des“: Pacelli, Schulte und Bertram in Berlin................................................217 24

Die Strategie Pacellis zur Wiederbesetzung des Bistums Trier...............................221 Die Auseinandersetzung zwischen Kaas und Tilmann............................................230 Der Widerstand des Trierer Domkapitels.................................................................233 Schulte in Rom – Eine plötzliche Wendung der Dinge...........................................235 Der modus procedendi der Bischofswahl..................................................................237 Die Wahlordnung von Domdekan Müller................................................................239 Die Wahl Franz Rudolf Bornewassers zum Bischof von Trier...............................241 Die feierliche Einsetzung Bornewassers.....................................................................245 Ergebnis................................................................................................................................247 Exkurs II: Die Frage der Bischofseinsetzungen innerhalb der Konkordatsbe­strebungen Pacellis in Berlin im Jahr 1922............................................................................254 Der Delbrueck-Entwurf und das vorläufige Ende der Reichskonkordatsbemühungen...................................................................................254 Ein bischöfliches Memorandum und der ‚Konkordatshebel‘ Danzig...................258 Die preußischen Vorstellungen zur Besetzung der Bischofsstühle und Bertrams Stellungnahme..............................................................................................262 Priesterausbildung versus Kapitelswahl: Pacellis Ansicht zum Modus der Bischofseinsetzung.................................................................................................268 Das vorläufige Ende der preußischen Konkordatsverhandlungen........................276 II.1.4 Zwischen Seelenheil und Konkordatspolitik: Tütz 1925/​26 (Maximilian Kaller)...................................................................................................................279 Die Errichtung der Apostolischen Administratur Tütz 1923.................................279 Erste Sondierungen Pacellis und Bertrams über die Nachfolge von Robert Weimann und die Zukunft der Administratur............................................281 Der Tod Weimanns und eine Übergangsregelung...................................................285 Der preußische Kandidatenvorbehalt: kein deutscher Geistlicher aus einem polnischen Bistum.............................................................................................287 Erneute Kandidatensondierungen Pacellis und Bertrams.......................................290 Die Kandidatur Bernhard Gramses und der polnische Widerspruch...................292 Zurück zu Paech und Pacellis Sorge um das preußische Konkordat.....................295 Stimmen aus der Administratur.................................................................................298 Papst und Staatssekretär gegen den Nuntius: salus animarum als oberste Richtschnur......................................................................................................300 Die preußische ‚Offensive‘ gegen die Ernennung Joseph Paechs...........................305 Das Einlenken Roms und Pacellis Kandidat Maximilian Kaller............................309 Die Ernennung und Einsetzung Kallers zum Apostolischen Administrator von Tütz...............................................................................................314 Ergebnis................................................................................................................................317 25

II.1.5 Die Besetzung der Bischofsstühle in den preußischen Konkordatsverhandlungen 1926–1929.......................................................................................................324 Die Wiederaufnahme der Konkordatsverhandlungen 1926 und Pacellis Dilemma beim Besetzungsmodus der Bischofsstühle................................324 Bertrams überraschender Kurswechsel......................................................................332 Pacellis Verhandlungsstrategie und ein sich anbahnender Kompromiss.............335 Römische Modifikationen an Pacellis Kompromissmodus....................................341 Eine „einzige Front“: das Ende der Differenzen zwischen Nuntius und Episkopat?..............................................................................................................345 Die Vorbildung des Klerus und die Theologischen Fakultäten als Flanken der Bischofseinsetzungen.............................................................................................351 Die Verhandlungen der Jahre 1928/​29: keine Schulfrage, aber Erfolge im Modus der Bischofseinsetzungen..........................................................................355 Der Konkordatsabschluss und die Diskussion über die „Würdigung“ der Vorschlagslisten......................................................................................... 364 Ergebnis................................................................................................................................370 II.1.6 „Unbequemlichkeiten“ und „ein auf Dauer unmöglicher Schwebezustand“: Hildesheim 1928/​29 (Nikolaus Bares)....................................................................................387 Der Tod von Bischof Joseph Ernst..............................................................................387 Gegensätzliche Ansichten über die Regelung der Nachfolge..................................388 Dilation der Besetzung bis zum Konkordatsabschluss und die Intervention Kardinal Bertrams..................................................................................390 Die Kandidaten des Hildesheimer Domkapitels.......................................................392 Das Aus für das Wahlrecht des Hildesheimer Domkapitels...................................393 Der Kandidat des Nuntius: Adolf Donders...............................................................396 Pacelli legt seine Prioritäten offen: seine Berichterstattung für Gasparri..............400 Approbation aus Rom und Ablehnung aus Münster...............................................404 Ein Ersatzkandidat: Nikolaus Bares oder Antonius Mönch?..................................406 Das Plus des Nikolaus Bares: kein Germaniker........................................................409 Die Ernennung Bares’ und die Enttäuschung des Hildesheimer Domkapitels...................................................................................................................410 Ernennungsbullen, Bischofsweihe, staatliche Anerkennung und Inthronisation........................................................................................................................415 Ergebnis................................................................................................................................420

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Vorwort

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2018 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Mein herzlicher Dank gilt an erster Stelle Herrn Prof. Dr. Hubert Wolf, der das Thema anregte und die Arbeit engagiert und interessiert begleitete. Herrn Prof. Dr. Thomas Schüller danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens, wofür er große Teile seines Forschungsfreisemesters opferte. Ein besonderer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Pacelli-Projekts, von wo die Studie ihren Ausgang nahm: Dem Koordinator, Herrn Dr. Sascha Hinkel, danke ich für viele fachliche Diskussionen und Anregungen, für die zahlreichen wertvollen Anmerkungen bei der Lektüre umfangreicher Abschnitte der Arbeit und nicht zuletzt für die unkomplizierte Logistik bei der Verwendung vatikanischer Archivalien. Den beiden Expertinnen für das Italienische, Frau Dr. Maria Pia Lorenz-Filograno und Frau Dr. Elisabeth-Marie Richter, bin ich für die Klärung strittiger Übersetzungsfragen zu hohem Dank verpflichtet. Erstere hat mir zudem in gehaltvollen Gesprächen über kanonistische Themen zu größerer Klarheit verholfen. Letztere war mir auch durch das akribische Korrekturlesen so mancher Seite eine große Hilfe. Sehr dankbar bin ich auch meinen Kolleginnen und Kollegen von der Wissenschaftskommunikation und vom Lehrstuhl des Seminars für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte: Frau Dr. Barbara Schüler hatte stets ein offenes Ohr und klare Antworten bei organisatorischen, formalen oder konzeptionellen Fragen. Von der sprachlichen Expertise Herrn Dr. Holger Arnings habe ich sehr profitiert. Dem früheren Mitarbeiter Herrn PD Dr. Norbert Köster verdanke ich nicht nur die kritische Durchsicht mehrerer Kapitel, sondern auch hilfreiche Ratschläge für die Anlage der Arbeit. Herr PD Dr. Thomas Brockmann hatte immer wieder kluge und ermutigende Hinweise für mich parat. Auch die reiche wissenschaftliche Erfahrung von Herrn PD Dr. Thomas Bauer kam mir zugute. Keinesfalls unerwähnt bleiben darf Frau Maria Schmiemann im Sekretariat, der ich für die häufigen aufmunternden Gespräche während meiner Zeit als Lehrstuhlassistent von Herzen Danke sage. Die sehr wohlwollende Begleitung von allen Seiten des Seminars war ein wichtiger Baustein für den erfolgreichen Abschluss der Dissertation. Allen ein aufrichtiges Dankeschön. Zu danken habe ich ebenfalls den Verantwortlichen des Instituts für Religiöse Volkskunde Münster, die mir durch die Gewährung des Alois-Schröer-Stipendiums in der zweiten Jahreshälfte 2016 eine Weiterfinanzierung der Arbeit ermöglichten. Jedes historische Arbeiten, ganz gleich welcher Prägung, ist auf die Benutzung von Archiven angewiesen. Allen Archiven, die mir Unterlagen zur Verfügung stellten und in denen ich arbeiten 27

Vorwort

durfte, danke ich sehr herzlich für die freundliche Unterstützung. Ganz besonders gebührt dem Vatikanischen Geheimarchiv und dem Historischen Archiv des Staatssekretariats mein Dank. Für die finanzielle Unterstützung der Drucklegung danke ich ganz herzlich den (Erz-) Bistümern Freiburg, Köln, Münster, Berlin, Paderborn, Hildesheim, Eichstätt, Aachen, Passau, Trier, Dresden-Meißen, Fulda, Regensburg, Augsburg und Limburg. Ohne die zum Teil sehr großzügigen Zuwendungen wäre der Druck der Arbeit in der vorliegenden Form nicht möglich gewesen. Kaum zu bemessen sind schließlich der Beistand und der Zuspruch, den mir meine Eltern mit unglaublicher Geduld leisteten. Auch in Marina fand ich stets eine unentbehrliche Stütze und Kraftquelle. Ihnen verdanke ich das meiste. In meinen Dank ausdrücklich eingeschlossen sind endlich auch all jene, die mich auf irgendeine Weise unterstützten, die zu erwähnen ich aber hier versäumt habe. „Die Mühe ist das Gute.“ Wenn diese Behauptung, die nach Aussage Josef Piepers wohl schon der antike Kyniker Antisthenes aufstellte, zuträfe, dann wäre mit dem vierbändigen Werk etwas Großes gelungen, denn es hat einige Mühe gekostet, den Umfang des Themas zu bewältigen. Da aber, wie schon der heilige Thomas richtigstellte, nicht alles, was schwerer ist, auch verdienstlicher sein muss, hat das papierne Ergebnis für sich selbst zu sprechen. Mir bleibt die Hoffnung, dass auf den vielen Seiten etwas vom investierten Aufwand, aber auch vom Enthusiasmus, mit dem sie geschrieben wurden, sichtbar ist. Vielleicht mag sogar der Blick auf die Besetzung der Bischofsstühle im frühen 20.  Jahrhundert gerade in der heutigen Zeit, wo man des Öfteren vergeblich auf ein klares Wort des einen oder anderen Bischofs wartet, nicht nur für den kirchenhistorisch interessierten Leser von Bedeutung sein. Ich widme dieses Buch meinen Eltern, die Vorbilder der Lebensführung sind.

Münster, im Januar 2019

Raphael Hülsbömer

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I. Einleitung

I. Einleitung „Pacelli ist erfüllt von dem Glauben an die Allmacht und den weltbeherrschenden Beruf der Katholischen Kirche und vertritt seine Thesen mit jugendlicher Begeisterung und klerikaler Hartnäckigkeit. Leider fehlen dem neuen Prosegretario [sc. Pacelli, R.H.], der stets nur in den Arbeitsräumen des Vatikans und der Akademie sich bewegte, praktische Erfahrung und politischer Sinn, ein Mangel, der ihn wahrscheinlich gerade für die herrschende Klique [sc. in der Kurie Pius’ X., R.H.] zum harmonischen Mitarbeiter in dem jetzigen System qualifiziert. Für eine Regierung, … die sich auf den Standpunkt stellt, dass sie sich um Gesetz, Tradition und Eigenart der einzelnen Nationen nicht zu kümmern braucht, da ihr Reich nicht irdisch sei, für eine solche Regierung ist es leicht und verführerisch, aus der Dunkelkammer des Büros Machtgebote in die Welt zu schleudern ohne Sorge darüber und ohne Voraussicht dafür, ob diese vom traditionellen, römischen Herrschertrieb eingegebenen Befehle sich in unvermeidlichen Konflikt setzen mit den realen Forderungen der Gegenwart. Msgr. Pacelli … wird nicht zu denen gehören, die diesen Fehler vermeiden und wir werden trotz seines äußerlichen konzilianten Wesens in zweifelhaften Fragen auf Entgegenkommen und Rücksicht für unsere Interessen schwerlich bei ihm rechnen können.“1

Dieses kritische Urteil fällte der preußische Gesandte beim Heiligen Stuhl, Otto von Mühlberg, 1912 über den frisch ernannten Prosekretär der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten (AES), Eugenio Pacelli. Als Benedikt XV. Pacelli 1917 als Nuntius nach München entsandte, dieser also die Arbeitsräume des Vatikans verließ, wurde die Frage, ob er auf die „realen Forderungen der Gegenwart“ eingehen und auf „Gesetz, Tradition und Eigenart“, also auf die „Interessen“ in Bayern und Deutschland Rücksicht nehmen oder stattdessen intransigent in „klerikaler Hartnäckigkeit“ auf seinen römischen Standpunkten beharren würde, brennender denn je. Eine seiner wichtigsten Aufgaben war es fortan, die Besetzung der deutschen Bistümer zu regeln. Pacelli selbst schrieb 1926: „Höchste Sorgfalt legt die Kirche stets auf die Wahl der Bischöfe, an denen zum größten Teil der Erfolg der katholischen Religion und das Wachstum des Glaubens hängen.“2 Die Bestellung der Bischöfe markierte jedoch nicht nur das Zentrum der kirchlichen Personalpolitik. Auf sie richteten sich damals kirchliche und staatliche, römische und deutsche Interessen gleichermaßen. Daher gehörte das Feld der Bischofseinsetzungen in besonderer Weise zu den von Mühlberg angesprochenen „zweifelhaften Fragen“, für die er von Pacelli keine Rücksicht erwar-

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Mühlberg an Bethmann Hollweg vom 24. Juni 1912, Politisches Archiv des AA Berlin, R 9235, Polit. Abt., Päpstlicher Stuhl 3 Nr. 2, Bd. 19, ohne Foliierung [3 Seiten, hier 2f.]. „Summam semper sollicitudinem habuit Ecclesia in Episcopis eligendis, a quibus maxima ex parte profectus catholicae religionis et incrementum fidei pendent.“ Decretum circa proponendos ad Episcopale ministerium per Episcopos Bavaricos pro Dioecesibus Bavariae quolibet triennio von 1926. Vgl. Anhang 1.1 1). 29

I. Einleitung

tete. Vor diesem Hintergrund drängt es sich geradezu auf, zu untersuchen, wie der Nuntius und spätere Kardinalstaatssekretär Pacelli mit den Bischofseinsetzungen in Deutschland umging, was seine Beweggründe waren und welche Ziele er verfolgte. Für die kirchenhistorische Forschung ist es ein Glücksfall, mit den mittlerweile zugänglichen vatikanischen Akten aus dem Pontifikat Pius’ XI. (1922–1939) eine breite Quellengrundlage zu haben, die es erlaubt, die Besetzungen der deutschen Bistümer in den 1920er und 1930er Jahren erstmals von innen her nachvollziehen und verstehen zu können. Als Fix- und Ausgangspunkt, von dem her die Bischofseinsetzungen zusammengeschaut und in ihrer Beziehung untereinander einsichtig werden, bietet sich die Person Pacellis in besonderer Weise an: Schließlich war er als Nuntius in München (1917–1925) und Berlin (1920–1929), als Kardinalstaatssekretär (1930– 1939) und später als Papst Pius XII. (1939–1958) über einen Zeitraum von 40 Jahren maßgeblich an der vatikanischen Deutschlandpolitik beteiligt. Mit der Person Pacellis auf der einen und den Bischofseinsetzungen in Deutschland auf der anderen Seite treffen zwei schwergewichtige Themen der Forschung zusammen, die sich gegenseitig erschließen und deren relationale Untersuchung auf Basis der vatikanischen Quellen für beide neue und tiefe Einblicke erwarten lässt.

I.1 Eugenio Pacelli – Leben und Forschung Eugenio Pacelli (1876–1958) gehört zu den zentralen Gestalten der Kirchengeschichte des letzten Jahrhunderts.3 Die Karriere des Römers Pacelli verlief von Anfang an im „Schatten“ des Heiligen Stuhls. Nach seinen philosophisch-theologischen und juristischen Studien, die er an der Gregoriana beziehungsweise am Apollinare absolvierte, empfing er 1899 die Priesterweihe. 1901 und 1902 folgten Promotionen zum Dr. theol. und Dr. iur. utr. Umgehend trat er in den diplomatischen Dienst der Kurie ein: 1903 wurde er Minutant in der AES, 1911 stieg er zum Untersekretär, kurz darauf zum Prosekretär, 1914 schließlich zum Sekretär auf. Zusammen mit seinem Mentor Pietro Gasparri, seit 1914 Kardinalstaatssekretär Benedikts XV., arbeitete er in der Kommission zur Kodifikation des kanonischen Rechts, was ihn bereits in der Phase der Genese zum Fachmann des 1917 promulgierten Codex Iuris Canonici (CIC) machte. Sein Hauptbeschäftigungsfeld in der AES war das Staatskirchenrecht: Anlässlich des Österreichischen Vetos gegen Mariano Rampolla in der Papstwahl 1903 wandte er sich gutachterlich gegen das frühneuzeitliche Recht der „Exklusive“ katholischer Groß-

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Vgl. zu ihm außer der unten genannten Literatur Altmann, Pius XII. (mit umfangreicher Bibliographie); Chenaux (Hg.), L’Eredità; Mayeur, Drei Päpste; Schambeck (Hg.), Pius XII.; Schwaiger, Papsttum, S. 271–308. 30

I. Einleitung

mächte;4 1906 war er an der Abfassung eines Weißbuches beteiligt, mittels dessen den antikirchlichen Aktionen in Frankreich begegnet werden sollte; 1914 führte er die Konkordatsverhandlungen mit Serbien; 1916 erarbeitete er mit Blick auf Frankreich eine Lösung zur Geltungsfrage von Konkordaten nach Vertragsbrüchen.5 Den „vermeintlich begabtesten Diplomaten der Kurie in jenen Jahren“6 schickte Benedikt XV. 1917 als Nuntius nach München, um seine Friedensinitiative voranzutreiben. 1920 wurde Pacelli gleichzeitig als Nuntius beim Deutschen Reich (später auch Preußen) akkreditiert, siedelte aber erst 1925 nach Berlin über, nachdem er ein neues Bayernkonkordat ausgehandelt hatte. Nach Abschluss des Preußenkonkordats 1929 war seine Mission in Deutschland, die mit zwölf Jahren ungewöhnlich lang angedauert hatte, abgeschlossen. Im Februar 1930 trat er die Nachfolge Gasparris als Kardinalstaatssekretär an: „Als ‚Außenminister‘ des Papstes hatte Pacelli nun weltweit, überall, wo Katholiken lebten, kirchlich-päpstliche Interessen wahrzunehmen. In diesem Zusammenhang führten ihn einige wenige Auslandsreisen nach Buenos Aires (1933), nach Lourdes in Frankreich (1935), in die Vereinigten Staaten von Amerika (1936) und nach Budapest (1938).“7

Seine besondere Sorge galt aber immer noch Deutschland und der deutschen Kirche, deren Lage sich unter dem Aufstieg des Nationalsozialismus stetig zuspitzte. Hatte er 1932 noch das Badenkonkordat abgeschlossen, erreichte er am 20.  Juli 1933 sein lang gehegtes Ziel, ein Reichskonkordat abzuschließen, das „für die Kirche später einen Verteidigungswall und ein letztes Stück Rechtssicherheit darstellte“8. In den folgenden Jahren beschäftigten ihn der Kampf des NS-Regimes gegen die Kirche, der nationalsozialistische Antisemitismus und die Gefahr des Kommunismus. Als schließlich Pius XI. am 10. Februar 1939 starb, wählten ihn die Kardinäle am 2. März nach nur eintägigem Konklave zum Nachfolger. War der erste Teil des Pontifikats Piusʼ XII. vom Zweiten Weltkrieg gezeichnet, so begann 1945 die Phase des Wiederaufbaus. War er einerseits Gipfelpunkt der pianischen Epoche, zeigt sein umfangreiches Lehramt, das alle Bereiche des kirchlichen Lebens behandelte, andererseits schon die ersten Ansätze der Erneuerung, die für die zweite Jahrhunderthälfte prägend wurden. Ausgangspunkt der Forschung zu Eugenio Pacelli9 war bis vor einiger Zeit fast ausschließlich der Pontifikat Piusʼ XII., von dem her seine Biographie beurteilt und seine Person verstanden wurde:

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Vgl. dazu Hammecke, Entscheidungsprozeß, S. 166–231. Vgl. Astorri, Diritto. Vgl. zu den genannten Punkten Chenaux, Pie XII, S. 49–84. Wolf, Papst, S. 42. Feldkamp, Pius XII., S. 70. Unterburger, Licht, S. 39. In den Grundzügen immer noch maßgebliche Beobachtungen zum Forschungsstand mit besonderem Fokus auf Pacellis Nuntiaturzeit finden sich bei Wolf/​​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 13–22. 31

I. Einleitung

„Daß der Römer Eugenio Pacelli als bedeutendster Nuntius in Deutschland gilt, verdankt er nicht zum mindesten seinem Pontifikat in einer hochbrisanten Zeit. Dieser Retrospektive als interesseleitender Vorgang, der um die Themenkomplexe Reichskonkordat und Holocaust kreist, haftet eine immanent biographische und historiographische Engführung an.“10

Hier sind die beiden Kernthemen angesprochen, auf die sich die Forschung seit den 1960er Jahren, seit Rolf Hochhuths „Stellvertreter“ und der sich an ihm entzündenden Debatte,11 konzentrierte und letztlich bis heute konzentriert: „Kontrovers waren und sind das Verhältnis des deutschen Katholizismus zu Hitlers Machtergreifung im Jahr 1933 und namentlich zum Reichskonkordat einerseits,12 Papst Pius XII. und sein angebliches oder wirkliches Schweigen zum Holocaust13 in den letzten Kriegsjahren andererseits.“14 Der Fokus lag also einseitig schwerpunktmäßig auf dem Wirken Pacellis als Kardinalstaatssekretär und Papst, während wiederum die untergeordnete Beachtung seiner Zeit als Nuntius „thematisch ausgesprochen selektiv und final auf die spätere Epoche des ‚Dritten Reichs‘ hin angelegt“15 wurde. Hubert Wolf und Klaus Unterburger sehen den Grund dafür nicht nur darin, dass bis 2003 beziehungsweise 2006 die als maßgeblich anzusehenden vatikanischen Quellen für die Jahre 1922–1939 nicht zur Verfügung standen, sondern gehen außerdem davon aus, dass „die Interpretationsmuster im Wissen um den späteren Aufstieg des Nuntius und mit thematischem Blick auf den künftigen Geschichtsverlauf hin bewusst oder unbewusst gewählt“16 wurden. Tatsächlich setzen auch nachher entstandene Publikationen, die wenigstens zum Teil auf die neuen Quellen zurückgreifen, die alten Schwerpunkte.17 Die Nuntiaturzeit galt „eher als Durchgangsstation“ zwischen der römischen Ausbildung und der Rückkehr an den Tiber, die „nur wenig zur Heranbildung von Überzeugungen, Handlungsmustern und Erfahrungswissen beigetragen hat“18. Im Nuntius sah man bereits die Größe und diplomati10 11 12

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Samerski, Primat, S. 5. Vgl. Hochhuth, Stellvertreter; dazu Brechenmacher, Dichter; Volk, Geschichtsschreibung. Vgl. aus der breiten Forschungsliteratur Brechenmacher, Teufelspakt; Ders. (Hg.), Reichskonkordat; Ders., Heilige Stuhl; Repgen, Hitlers Machtergreifung; Wolf, Kampftaktik; Ders., Hitlers „Machtergreifung“. Paradigmatisch war die Kontroverse um die Genese des Reichskonkordats zwischen Klaus Scholder und Konrad Repgen. Vgl. zusammenfassend dazu Kretschmann, Partie; Wolf, Papst, S. 145–203; Ders., Tauschgeschäft. Vgl. zusammenfassend dazu Wolf/​​Unterburger, Pius XII. und die Juden; außerdem Bankier/​​Michman/​​ Nidam-Orvieto (Hg.), Pius XII; Kornberg, Pope’s Dilemma; Schlott, Ad maiora; Valvo, Pius XI.; Verhofstadt, Pius XII. Wolf/​​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 13. Wolf/​​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 14. Wolf/​​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 14. Vgl. zum Beispiel Chenaux/​​Morello/​​Valente (Hg.), Opus Iustitiae Pax; Coppa, Life; Friedländer, Pius XII.; Milza, Pie XII; Riebling, Church; Ventresca, Soldier. Wolf/​​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 13. 32

I. Einleitung

sche Begabung des späteren Pontifex, während man sich andererseits gerade „für seine politische Rolle“ interessierte „und hier vorzüglich für jene Themenkomplexe, die auch in seinem späteren Pontifikat von herausragender Bedeutung waren“19. Dabei wurde die Blickrichtung auf die politische Dimension durch die Tatsache zumindest verstärkt, dass Forschungsvorhaben vor der vatikanischen Archivöffnung nur auf Sekundärüberlieferungen aus deutschen staatlichen und kirchlichen Archiven zurückgreifen konnten. Wenn man wie Wolf und Unterburger die vor diesem Datum entstandene einschlägige Literatur zu Pacellis Nuntiaturzeit kritisch analysiert,20 kommt man zu dem Schluss, dass „immer wieder dieselben (vor allem zwischenstaatlich-diplomatischen) Themen im Mittelpunkt des Interesses“21 standen: zunächst in der Frühphase die päpstliche Friedensinitiative am Ende des Ersten Weltkriegs22 und Pacellis Haltung zur Revolution;23 dann seine Verhandlungen mit der Sowjetunion24 und sein Interesse an der deutschen Haltung gegenüber der neuen Republik Polen;25 schließlich sein Verhältnis zu den Parteien der Weimarer Republik26 und seine Konkordatspolitik. Mittlerweile wurden einige dieser Themen auch mit den neuen vatikanischen Quellen aufgearbeitet.27 Das 2006 von Wolf und Unterburger gefällte Urteil, dass hinsichtlich der Konkordate nur staatliche Quellen verarbeitet wurden,28 gilt allerdings – abgesehen vom Reichskonkordat29 – im Wesentlichen immer noch, wenngleich einige zwischenzeitliche Studien auf die vatikanischen Akten zurückgreifen. Zu nennen wären hier etwa für das Bayernkonkordat die Arbeit von Jörg Zedler über die bayerische Vatikangesandtschaft30 und die kursorische Darstellung der Verhand-

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Wolf/​​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 14. Als wesentliche Titel sind zu nennen Besier, Heilige Stuhl; Chenaux, Pie XII.; Cornwell, Hitler’s Pope; Fattorini, Germania; Feldkamp, Pius XII.; Morsey, Eugenio Pacelli; Samerski, Primat; Scholder, Eugenio Pacelli; Stehlin, Weimar; Trinchese, Repubblica (1993); Ders., Repubblica (1994). Wolf/​​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 20. Vgl. Besier, Heilige Stuhl, S. 36–52; Chenaux, Pie XII., S. 85–121; De Volder, Benoît XV; Steglich (Hg.), Friedensappell. Vgl. Cornwell, Hitler’s Pope, S. 97–105 mit den kritischen Bemerkungen Feldkamp, Pius XII., S. 33– 36; Trinchese, Repubblica (1993). Vgl. Becker, Religionspolitik; Feldkamp, Pius XII., S. 49–53; Stehle, Geheimdiplomatie. Vgl. Samerski, Katholische Kirche; Ders., Ostdeutscher Katholizismus. Vgl. Morsey, Eugenio Pacelli, S. 129–132. Vgl. etwa zur Friedensinitiative Fattorini, Germania, S. 45–92; Wolf, Papst, S. 48–54; Ders., Papst als Mediator; Trinchese, I tentativi di pace; zur Revolution Fattorini, Germania, S. 93–123; Trinchese, Repubblica (1994), S. 35–120; Unterburger, Pacelli und Eisner; zu den Parteien Besier, Heilige Stuhl, S. 98–109, 157–161 u. ö.; Wolf, Papst, S. 176–194; Ders., Erzberger; zur Polenpolitik und den Verhandlungen mit der Sowjetunion überblicksartig Besier, Heilige Stuhl, S. 72–97; Tokareva, Problemi. Vgl. dazu die in den jeweiligen Kapiteln zu den Konkordatsverhandlungen angegebene Literatur. Vgl. dazu die in Bd. 1, Kap. I.1 Anm. 12 angegebene neuere Literatur. Vgl. Zedler, Bayern, S. 374–454. 33

I. Einleitung

lungen durch Florian Heinritzi,31 für das Preußenkonkordat mit dem Fokus auf Adolf Kardinal Bertram die Untersuchungen von Johannes Dambacher und Sascha Hinkel,32 für die schließlich gescheiterten Konkordate mit Württemberg und Hessen die Aufsätze von Antonius Hamers.33 Umfassende Darstellungen auf Basis der neuen Akten fehlen aber nach wie vor. Mit dieser Konzentration auf den politischen Bereich ging eine Vernachlässigung der „gesamte[n] innerkirchliche[n] Wirksamkeit des Nuntius“ – und man kann ergänzen: auch des Kardinalstaatssekretärs (in Bezug auf Deutschland) – einher, nämlich „sein Verhältnis zum deutschen Episkopat insgesamt, zu den einzelnen Bischöfen, zu den theologischen Fakultäten und Seminaren sowie den an ihnen lehrenden Professoren und Dozenten, zu den Orden, Kongregationen und katholischen Vereinen, zu den neuen innerkirchlichen Bewegungen und zeitgenössischen Reformbestrebungen oder direkt zum katholischen Volk in Deutschland“.34

Die 2003 und 2006 freigegebenen vatikanischen Quellen ermöglichen es, diesen Bereich in den Blick zu nehmen und die jeweiligen Teilaspekte näher zu untersuchen. In den letzten Jahren ist das vereinzelt bereits unternommen worden: Zu nennen ist hier zunächst die von Wolf und Unterburger dem Abschlussbericht Pacellis über die Lage der deutschen Kirche von 1929 vorangestellte Einleitung, welche die ersten fundamentalen Grundzüge dieser innerkirchlichen Ebene im Wirken des Nuntius zusammenfasst.35 Mehrere Publikationen von Klaus Unterburger, vor allem seine Habilitationsschrift aus dem Jahr 2010, untersuchen Pacellis Sicht auf die deutsche Theologie, einzelne Theologen und die Katholisch-Theologischen Fakultäten.36 Erwähnenswert sind unter anderem die Überlegungen Hubert Wolfs von 2012 über das Zusammenspiel von geistlicher und politischer Komponente im Wirken des Nuntius Pacelli37 oder Pacellis Meinung zum Saarländischen Katholikentag von 1923, die ein Aufsatz Sascha Hinkels von 2015 behandelt.38 Speziell Pacellis Beziehung zum deutschen Episkopat thematisieren beispielsweise Hubert Wolf 2008 mit besonderem Blick auf Konrad Graf von Preysing39, Johannes Dambacher 2009 und 2015 mit Fokus auf Bertram und das Preußenkonkordat40 oder Dominik Burkard 2013 hinsichtlich 31 32 33 34 35 36

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Vgl. Heinritzi, Staat-Kirche-Verhältnis. Vgl. Dambacher, Pacelli; Ders., Verhältnis; Hinkel, Bertram, S. 208–231. Vgl. Hamers, Beziehungen; Ders., Konkordatspolitik. Wolf/​​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 21. Hervorhebung im Original. Vgl. Wolf/​​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 60–93. Vgl. Unterburger, Lehramt; Ders., Fakultäten; Ders., Deutschlandbild (2009); Ders., Deutschlandbild (2010); Ders., Gefahren; Ders., Pacelli und die Theologie; Ders., Roman; Ders., Bedürfnisse. Vgl. Wolf, Geschick. Vgl. Hinkel, Katholikentag. Vgl. Wolf, Papst, bes. S. 54–70. Vgl. Dambacher, Pacelli; Ders. Verhältnis. 34

I. Einleitung

Joannes Baptista Sproll41, während Klaus Unterburger 2009 eine Zwischenbilanz zu dieser Frage zog.42 Die ersten wesentlichen Einsichten weisen Preysing als Pacellis Vertrauten aus, während er gegenüber Bertram ein „distanziertes Verhältnis“43 besaß. Auch zu diesem Bereich bieten die vatikanischen Quellen noch großes Forschungspotenzial.44 Erst wenn die Quellen auf nationaler Ebene aufgearbeitet sind, lässt sich das Feld international vergleichender Forschungsperspektiven breiter bestellen, wie zum Beispiel hinsichtlich einer Zusammenschau des Nuntius Pacelli mit parallel wirkenden europäischen Nuntien, wofür ein von Hubert Wolf herausgegebener Sammelband von 2012 erste Ansätze bietet,45 oder etwa in Form eines internationalen Vergleichs in einem größeren Rahmen mit Fokus auf den Pontifikat Pius’ XI.46 Wie Pacelli zum deutschen Episkopat im Allgemeinen und zu den einzelnen Oberhirten im Besonderen stand und welches Bischofsbild er konkret besaß,47 lässt sich insbesondere daran ablesen, wie er auf die Einsetzung der Bischöfe einwirkte.48 Die Besetzung der Bischofsstühle wurde im Zusammenhang mit dem CIC von 1917 und den rechtlichen Neuregelungen der Modi in den Konkordaten der 1920er und 30er Jahre von der Kanonistik in abstracto untersucht.49 Später folgten kirchenhistorische Forschungen zu den konkreten Bistumsbesetzungen auf Basis von diözesaner und staatlicher Quellenüberlieferung, zum Teil als Einzeluntersuchungen, zum Teil im Rahmen von

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Vgl. Burkard, Musterschüler. Das Hauptaugenmerk legt der Text freilich auf Sprolls Haltung zum Nationalsozialismus. Vgl. auch Ders., Sproll. Vgl. Unterburger, Licht. Wolf/​​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 63. Zumal nicht alle neueren Publikationen auf diesem Gebiet die vatikanischen Quellen auch berücksichtigen. Vgl. zum Beispiel Recker, Streitfall, eine Biographie Hermann Wilhelm Bernings, die das Verhältnis Bernings zu Pacelli allerdings nur streift, oder die Ausführungen über Pacelli und Michael von Faulhaber bei Hürten, Pius XII. Vgl. Wolf (Hg.), Eugenio Pacelli. Vgl. erste Studien in den Sammelbänden von Guasco/​​Perin (Hg.), Pius XI oder Pettinaroli (Hg.), Gouvernement. Entscheidende Einblicke gewährt die bereits genannte Finalrelation Pacellis von 1929, in der er sämtliche außerbayerischen Diözesanbischöfe einer ausführlichen Beurteilung unterzog. Vgl. Pacelli an Perosi vom 18. November 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1927–1931, Pos. 511 P.O., Fasz. 24, Fol. 4r–49v, hier 38r–49v, ediert und übersetzt bei Wolf/​​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 95–257, hier 218–257. Vgl. zur Geschichte der Bischofseinsetzungen unter anderem und mit weiterer Literatur Althaus, Besetzung; Becker, Problem; Becker, Bischofsernennung; Ganzer, Papsttum; Gaudemet, Bischofswahl; Hartmann, Bischof; Potz, Bischofsernennungen; Schimmelpfennig, Papst- und Bischofswahlen. Vgl. auch Bd. 1, Kap. I.4 Anm. 84. Vgl. dazu vor allem Kaiser, Klausel; Link, Besetzung; Mörsdorf, Besetzungsrecht; Ders., Stand; Ders., Lehrbuch I, S. 278–298, 409–414; Petroncelli, provvista; Stutz, Stand; Weber, Klausel; aus neuerer Zeit Tkhorovskyy, Procedura. 35

I. Einleitung

Bistumsgeschichten und prosopographischen Studien.50 Da jedoch die diözesanen Quellen entweder häufig im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden oder aufgrund der Verfahrensstruktur keine oder nur kaum relevante Dokumente beinhalten, lieferten sie nur partielle und meistens geringe Informationen. Staatliche Akten wiederum konnten lediglich Licht in den „politischen“ Teil des Besetzungsverfahrens bringen, wie es etwa die Dissertation von Bernd Heim aus dem Jahr 2007 über die Anwendungsfälle der politischen Klausel in der Zeit von 1933–45 anstrebte.51 Die kircheninternen Abläufe und die Rolle Pacellis lassen sich erst mit Hilfe der vatikanischen Quellen erarbeiten.52 Tatsächlich sind seit der Archivöffnung bereits einige Publikationen mit diesem Anliegen entstanden: Den Anfang machte Erwin Gatz, der in zwei Aufsätzen 2003 und 2005 elf Besetzungsfälle in Preußen (plus Meißen) anhand der vatikanischen Quellen nachzeichnete.53 Problematisch ist an diesen Darstellungen, dass die Abläufe nur stark verkürzt in den Blick kommen und sich daher einer eingehenden Analyse verschließen. Bereits 2004 stellte Thomas Flammer in einem umfangreichen Aufsatz die Hildesheimer Bischofswahlen von 1928 und 1934 dar.54 Vereinzelten Zugriff auf die vatikanischen Unterlagen der Berliner Bischofseinsetzungen 1929/​30 und 1933/​ 34 nahm Michael Höhle 2005 in seiner biographischen Skizze der Bischöfe Christian Schreiber und Nikolaus Bares.55 Die Münsteraner Wahl von 1933 wurde schon mehrfach mit den neuen Quellen beleuchtet.56 Die Ernennung Heinrich Wienkens zum Koadjutor von Meißen 1936/​37 stellte Birgit Mitzscherlich 2005 dar.57 Nachdem Hubert Wolf 2008 im knappen Rahmen die Erhebungen Konrad Graf von Preysings zum Bischof von Eichstätt 1932 beziehungsweise Berlin 1935 angerissen hatte,58 legte er 2009 schließlich eine Monographie zur Wahl Johannes Baptista Sprolls zum Bischof von Rottenburg 1926/​27 vor.59 Einblicke in die Besetzung des Bistums Augsburg 1930 lieferte Klaus Unterburger 2009.60 Erste aus den vatikanischen Quellen gewonnene Ergänzungen zu den Fällen 50 51 52

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Vgl. dazu die zu Beginn der einzelnen Besetzungsfälle angegebene Literatur. Vgl. Heim, Bischöfe. Erste Ansätze für eine analoge Untersuchung auf Basis der vatikanischen Quellen in Bezug auf den französischen Episkopat und den Pariser Nuntius Luigi Maglione bietet Moigne, L’Épiscopat. Für Österreich vgl. etwa Klieber, Annullierung. Vgl. Gatz, Besetzung; Ders., Ringen. Eine allgemeine Einschätzung versuchte er 2004. Vgl. Ders., Bischofswahlen. Vgl. auch Ders., Amt. Vgl. Flammer, Bischofswahlen. Vgl. Höhle, Berliner Bischöfe. Vgl. Flammer, Stadtpfarrer; Kuropka, Pfarrer; Ders., Mann der Stunde; Wolf, Nachbarhaus; Ders., Clemens August (2006), S. 74–83. Vgl. Mitzscherlich, Diktatur, S. 201–220. Vgl. Wolf, Papst, S. 65–68 beziehungsweise 69f. Die Berliner Besetzung bespricht auch Brechenmacher, Teufelspakt, S. 624–628. Vgl. Wolf, Affäre. Vgl. Unterburger, Licht, bes. S. 35f. 36

I. Einleitung

Köln 1920, Mainz 1921 und Trier 1922 machte schließlich Hans-Ludwig Selbach in seiner Studie von 2013 über die Kirche und die französische Rheinlandpolitik.61 2011 legte Thomas Forstner erste Untersuchungen zum bayerischen Triennallistenverfahren vor.62 Die ersten Resultate untermauern, dass Pacelli als Bischofskandidaten vor allem Rom ergebene Geistliche, ehemalige Germaniker und andere Jesuitenschüler bevorzugte.63 Sie bringen das von ihm verlangte Bischofsprofil in Verbindung mit den Vorgaben einer korrekt-römischen Priesterausbildung64 und zeigen, dass Pacelli auf das Urteil von Jesuiten oder Bischöfen wie Christian Schreiber und Clemens August Graf von Galen vertraute.65 Auch machen sie deutlich, dass Pacelli bestrebt war, den römischen Einfluss auf die Besetzung der Bischofsstühle zu vergrößern und in diesem Zuge konsequent das Kapitelswahlrecht auszuschalten.66 Insgesamt bleibt jedoch zu konstatieren, dass nur ein Bruchteil der Bischofseinsetzungen in der Zwischenkriegszeit auf Basis der vatikanischen Quellen behandelt und von diesen auch nur eine Handvoll breiter erforscht wurde. Abgesehen davon fehlen eine vergleichende Gesamtschau und die konsequente Analyse auf die Rolle Pacellis hin. Insofern ist die Feststellung von Thomas Flammer aus dem Jahr 2004 immer noch aktuell, als er im Hinblick auf die Bischofseinsetzungen die Relevanz herausstellte, welche die neu zugänglichen vatikanischen Quellen „zur Erhellung von Detailfragen und für eine differenzierte Darstellung des Verhältnisses der Katholischen Kirche zum Nationalsozialismus haben. Sie gleichen nicht nur fehlende Daten zur Bistumsgeschichte aus, sondern geben zudem wichtige Einblicke in die Personalpolitik Roms wie auch die Persönlichkeit des Nuntius und Kardinalstaatssekretärs Pacelli. In diesem Zusammenhang wäre eine ausführliche Darstellung sämtlicher Bischofsbesetzungen … der Jahre 1922 bis 1939 von Bedeutung.“67

I.2 Quellen Die 2003 und 2006 der Forschung zugänglich gemachten vatikanischen Quellen aus dem Pontifikat Pius’ XI.68 bilden die wesentliche Materialgrundlage der Studie.69 In den im Vatikanischen Geheimarchiv verwahrten Beständen der Münchener beziehungsweise Berliner Nuntiatur 61 62 63 64 65 66 67 68

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Vgl. Selbach, Kirche, S. 288–323. Vgl. Forstner, Nominierungen. Vgl. Wolf/​​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 62f.; Wolf, Papst, S. 69. Vgl. Wolf/​​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 78; Unterburger, Lehramt, bes. S. 338–340, 368. Vgl. Gatz, Besetzung, S. 235; Wolf, Affäre, S. 42. Vgl. Gatz, Ringen, S. 141; Ders., Besetzung, S. 212, 235; Wolf, Affäre, S. 27–30. Flammer, Bischofswahlen, S. 257. Die Quellen der Jahre 1919 bis Februar 1922 gehören noch dem Pontifikat Benedikts XV. an und sind bereits seit den 1990er Jahren einsehbar. Vgl. dazu Pagano, Archivquellen; Wolf, München; Ders., Papst, S. 19–26. 37

I. Einleitung

[ASV, ANM beziehungsweise ANB]70 sowie in den im Historischen Archiv des Staatssekretariats befindlichen Akten der AES in den Serien für Bayern beziehungsweise Deutschland [­S.RR.SS., AA.EE.SS., Baviera beziehungsweise Germania]71 findet sich zu den meisten Bischofseinsetzungen aus den 1920er Jahren jeweils ein Faszikel mit relevanten Dokumenten, wobei die jeweilige Anzahl der Blätter völlig verschieden ausfallen kann und zwischen einem Dutzend bis zu mehreren Hundert schwankt. Für die bayerischen und preußischen Konkordatsverhandlungen bieten die genannten Serien eine Vielzahl von zum Teil sehr umfangreichen Faszikeln. Die Überlieferung in den einzelnen Faszikeln ist praktisch vollständig, sodass sich meistens ein komplettes Bild der Ereignisse zeichnen lässt. Für die Fälle ab 1930 wird die Quellenlage dünner, was zum einen damit zusammenhängt, dass die Besetzungsmodi in Bayern und Preußen normiert waren und die einzelnen Fälle daher geradliniger verliefen. Die badischen Konkordatsverhandlungen führte Pacelli großteils in Rom, was dazu führte, dass sich hierfür weniger Quellenmaterial als für die Verhandlungen mit Preußen und Bayern ansammelte. Zum anderen gingen die in der Berliner Nuntiatur befindlichen Dokumente einiger Fälle im Krieg verloren, sodass für neun causae nur die AES-Akten zur Verfügung stehen, für die Besetzung in Passau 1936 sogar gar keine.72 Insgesamt beträgt die Zahl der für die Untersuchung relevanten Folii circa 17.000. Diese Quellen bestehen konkret aus drei „Korrespondenz-Feldern“: a) Das Hauptfeld bildet die Korrespondenz zwischen Münchener beziehungsweise Berliner Nuntiatur und römischem Staatssekretariat, besteht also aus Nuntiaturberichten und Weisungen samt Anlagen in Überlieferung und Gegenüberlieferung, meistens sowohl als Entwurf und Ausfertigung archiviert.73 Diese Dokumente werden für die Hälfte des hier untersuchten Zeitraums (bis 1929) im Münsteraner DFG-Projekt „Kritische Online-Edition der Nuntiaturberichte von Eugenio Pacelli (1917–1929)“74 online ediert. Die Zusammenarbeit mit diesem Projekt gibt erst die Möglichkeit, die Materialfülle logistisch bewältigen zu können. Thomas Brechenmacher arbeitet an der Online-Edition der Nuntiaturberichte Cesare Orsenigos von 1930–39, des Nach-

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Dem Verfasser ist bewusst, sich hier der alten Abkürzungsformen zu bedienen. Auf die Verwendung von Arch. Nunz. Monaco beziehungsweise Arch. Nunz. Berlino wurde zur Entlastung der Fußnoten verzichtet. Eingesehen wurden mitunter auch Unterlagen aus den Serien Segreteria di Stato und Segreteria di Stato, Guerra. Vereinzelt wird auch auf relevante Dokumente zurückgegriffen, die in den Serien Polonia, Russia oder Pontificia Commissione Pro Russia abgelegt wurden. Die Nuntiaturarchivquellen fehlen für die Besetzungsfälle Freiburg 1931/​​32, Meißen 1932, Berlin 1933/​​ 34, Hildesheim 1934, Eichstätt 1935, Passau 1936, Meißen 1936/​​37, Fulda 1936/​​39 und Aachen 1937/​​38. Eine Korrespondenz zwischen Nuntiatur und anderen römischen Kongregationen zum Thema der Bischofseinsetzungen gab es nur vereinzelt. Vgl. Wolf u. a. (Hg.), Kritische Online-Edition. Vgl. dazu Hinkel u. a., Online-Edition; Wolf u. a., L’edizione; Ders., Digitale Edition. 38

I. Einleitung

folgers Pacellis als Nuntius in Berlin.75 Hier wurden jedoch erst die Dokumente für die Jahre 1933 und 1934 zugänglich gemacht. b) Das zweite Feld besteht in der innerkurialen Korrespondenz, also insbesondere im Briefverkehr zwischen den beteiligten Kongregationen. Dieses Material ist allerdings nur spärlich und wie sich herausstellte für die Besetzung der Bischofsstühle insgesamt wenig bedeutend. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um Formulare oder um Anweisungen, Dokumente auszufertigen. Stichproben in den Akten des Archivs der Konsistorialkongregation [ASV, Concist.], des Heiligen Offiziums [ACDF, SO] oder der Studienkongregation [ASV, Studi] erbrachten keine nennenswerten Funde. Daher wurde auf eine systematische Sichtung der Akten verzichtet, zumal der Schriftverkehr mit diesen Institutionen durch die AES vollständig (in Entwurf der abgehenden beziehungsweise Ausfertigung der eingehenden Schreiben) überliefert ist. Was die Konsistorialkongregation betrifft, so war sie zwar formal für die Einsetzung der Bischöfe zuständig, trat die Befugnisse aber in dem Augenblick an die AES ab, in dem etwa aufgrund von Konkordaten – wie in Deutschland – ein Benehmen mit der jeweiligen Staatsregierung notwendig war.76 Die Quellen aus der Apostolischen Kanzlei [ASV, Canc. Ap.], die zum Beispiel für die Anfertigung von Ernennungsbullen zuständig war oder die Informativprozessakten sammelte, sind für den Zeitraum ab 1922 gesperrt. Neben dem innerkurialen Briefverkehr werden schließlich noch zwei weitere Quellengattungen einbezogen: Zum einen die vorbereitenden Relationen mitsamt den Protokollen der AES-Sitzungen zur Frage der Bischofseinsetzungen in Deutschland beziehungsweise der Konkordatsverhandlungen [S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones]. Zum anderen sind für die Zeit ab 1930 die Audienznotizen zu konsultieren, die Pacelli als Kardinalstaatssekretär von seinen Unterredungen mit Pius XI. anfertigte [S.RR.SS., AA.EE.SS., Stati Ecclesiastici].77 c) Als letztes Feld ist der Briefverkehr zwischen den Nuntiaturen und innerdeutschen Korrespondenzpartnern – zum Beispiel Bischöfen, Domkapitularen, Laien, Staatsbeamten etc. – zu nennen, der in den Nuntiaturarchiven nahezu vollständig (wiederum im Entwurf der abgehenden beziehungsweise in der Ausfertigung der eingehenden Schreiben) überliefert ist. Bei den Briefen handelt es sich meistens um Petitionen, Anweisungen, formale Absprachen oder Gutachten. Die Ausfertigungen der Nuntiaturschreiben sollten von den Adressaten nach der Lektüre häufig vernichtet werden, sodass das Nuntiaturarchiv meistens der einzige Ort ist, an dem sich die Dokumente erhalten haben.78 75 76 77

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Vgl. Brechenmacher u. a. (Hg.), Berichte. Vgl. dazu Ders., L’edizione. Vgl. Can. 255 CIC 1917. Die Audienznotate werden seit einiger Zeit kritisch ediert, wobei bislang nur die Jahrgänge 1930 und 1931 vorliegen. Vgl. Pagano/​​Chappin/​​Coco (Hg.), I „fogli di udienza“; Coco/​​Dieguez (Hg.), I „fogli di udienza“. Vgl. zum Beispiel Pacellis Anweisung in einem Brief den Meißener Oberhirten Christian Schreiber: „Ich darf E[ure] B[ischöflichen] G[naden] aus leicht ersichtlichen Gründen ersuchen, dieses Schreiben sofort nach Gebrauch zu verbrennen.“ Pacelli an Schreiber vom 28. Februar 1929 (Entwurf), ASV, ANB 49, Fasz. 1, Fol. 7r. 39

I. Einleitung

Letztgenannte Praxis ist einer der Gründe, warum Quellen aus den Diözesanarchiven nicht systematisch berücksichtigt werden,79 die – wenn sie nicht im Zweiten Weltkrieg verloren gingen – von der Forschung großteils bereits aufgearbeitet wurden. Sie mit einzubeziehen ist auch deshalb nicht zwingend notwendig, da die entscheidenden Weichen  –  bedingt durch die neue kirchenpolitische Situation – ohnehin beim Heiligen Stuhl und nicht vor Ort gestellt wurden. Sich auf die vatikanischen Quellen zu konzentrieren, entspricht abgesehen davon auch dem Anliegen der Arbeit, die Besetzungsfälle vornehmlich durch Pacellis „Brille“ zu sehen. Dieselben Gründe gelten im Wesentlichen auch für die staatlichen Aktenüberlieferungen. Für die Fragerichtung der Studie reicht es aus, die vorhandenen Forschungsergebnisse zum innerstaatlichen Teil der Bischofseinsetzungen zu konsultieren.80 In sämtlichen Fällen ab 1933 etwa kann der Umgang der NS-Regierung mit der politischen Klausel auf Basis der Dissertation von Bernd Heim skizziert werden.81

I.3 Konzept und Ziel der Studie Die von Thomas Flammer geforderte „ausführliche Darstellung“ der Bischofseinsetzungen in Deutschland in der Zeit von 1919 bis 1939 auf Basis der vatikanischen Quellen ist der Gegenstand der Studie. Die Klammer, die gewissermaßen als Konstante und Bindeglied der einzelnen Besetzungsfälle fungiert, ist die Person Pacellis. Das bedeutet, dass die einzelnen Bischofseinsetzungen in seiner Perspektive respektive seine Person im Licht der Besetzungsfälle fassbar werden. Er ist der Bezugspunkt, der es erlaubt, die Bischofseinsetzungen, die in den verschiedenen deutschen Bistümern unter ganz unterschiedlichen Vorzeichen erfolgten, zusammenzubinden. Er ist gewissermaßen das Formalobjekt, die Besetzungsfälle das Materialobjekt der Untersuchung. Entsprechend der skizzierten Versäumnisse der bisherigen Forschung liegt die „mittlere“ Phase von Pacellis Vita, seine Zeit in München und Berlin sowie an der Spitze des Staatssekretariats, im Fokus. Dabei wird seine Nuntiaturzeit nicht als „Durchgangsstation“ zur „römischen“ Zeit gesehen, sondern umgekehrt wird seine Amtsführung als Kardinalstaatssekretär gewissermaßen von „vorne“ betrachtet, vom Nuntius her. Auf diese Weise lassen sich durch den Amtswechsel bedingte Kontinuitäten beziehungsweise Diskontinuitäten nachweisen und die Frage beantwor79

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Hinzugezogen wurden Ergänzungen lediglich für die Besetzungsfälle in Freiburg 1931/​​32 und Passau 1936 aus den dortigen Diözesanarchiven sowie für die Fälle Regensburg 1927/​​28, Eichstätt 1935 und wiederum Passau 1936 aus dem NL Faulhaber aus dem Erzbischöflichen Archiv München und Freising. Nur für die Paderborner causa 1920 wurden Unterlagen aus dem Berliner Bundesarchiv hinzugenommen. Auch angesichts der Materialfülle liegt es schließlich nahe, sich auf die vatikanischen Unterlagen zu beschränken. 40

I. Einleitung

ten, ob  –  wie Wolf und Unterburger vermuten  –  die in Deutschland gewonnenen „prägenden Erfahrungen, Kenntnisse, Handlungsmuster und menschlichen Beziehungen“ Pacellis „auf sein Wirken in Rom … einen nicht zu unterschätzenden … Einfluss ausgeübt“82 haben. Indem seine Rolle bei der Besetzung der Bischofsstühle untersucht wird, werden seine „innerkirchliche“ Wirksamkeit ins Auge gefasst und Forschungslücken hinsichtlich Pacellis Verhältnis zum deutschen Episkopat geschlossen. Das Bischofsamt ist das wichtigste Amt in der Hierarchie der Teilkirche, das entscheidend Wohl und Wehe der Kirche mitverantwortet. Untersucht man das Ringen um die Besetzung der Bischofsstühle, dringt man bis zum inneren Nerv vor, an dem die eigentlichen Ziele, Intentionen und Vorstellungen der an diesem Prozess Beteiligten offen liegen. Hier bietet sich also ein ausgezeichneter Zugang zur Person Pacellis, der neue Einsichten in sein Denken und Handeln erhoffen lässt. Die ersten Erkenntnisse zu Pacellis Bischofsbild und Besetzungspraxis sind umfassend zu überprüfen, zu erweitern und gegebenenfalls zu differenzieren. Gleichzeitig werden die bis heute in weiten Teilen unbekannten Bischofseinsetzungen erstmals in ihrem Verlauf detailliert nachvollziehbar und in ihrer Gesamtschau, vom Fixpunkt Pacelli und der Kurie aus betrachtet, tiefer einsichtig und womöglich überhaupt erst verstehbar. Zum einen werden damit die Lücken innerhalb der Bistumsgeschichten gefüllt. Zum anderen wird mit der vergleichenden interdiözesanen Perspektive auch einem zentralen Anliegen der modernen Diözesangeschichtsforschung entsprochen.83 Durch die Analyse der Bischofseinsetzungen öffnet sich ein spannungsreiches Beziehungsgeflecht als Koordinatensystem der Studie: Als Nuntius war Pacelli formal Empfänger römischer Anweisungen, als Kardinalstaatssekretär war er sowohl Weisungsempfänger  –  nämlich vom Papst  –  als auch Weisungsgeber  –  nämlich seinen Nachfolgern in den Nuntiaturen von Berlin und München. Wie dieses Zusammenspiel der römischen Instanzen verlief und wo die jeweils maßgebliche Schaltstelle war, lässt sich herausarbeiten. Als zweiter Bezugspunkt tritt die Ortskirche hinzu, für die nicht nur der neue Bischof bestellt wurde, sondern die zumindest in ihren Exponenten Episkopat und Domkapitel auch selbst am Besetzungsverfahren partizipierte oder diesbezüglich ihre eigenen Vorstellungen besaß und gegebenenfalls einbrachte. Die Frage, wie das Zueinander von lokal-diözesaner Perspektive und römisch-universaler Sicht des Nuntius 82

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Wolf/​​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 22. Vgl. zu dieser „deutschen“ Prägung Pacellis auch Chenaux, Prägung; Unterburger, Deutschlandbild (2010); Wolf, Papst, S. 86–93. Christoph Kösters monierte schon 2003 in seinen „Kritischen Anmerkungen“ zur neueren Diözesangeschichtsforschung, dass die „übergreifenden Zusammenhänge und Einordnungen“ einzelner Bistumsgeschichten „zu selten deutlich“ werden. „Statische punktuelle Bilder dominieren anstelle von dynamischen Prozessen mit den ihnen jeweils eigenen Auf-, Um- und Abbrüchen.“ Kösters, Kirchengeschichte, S. 385f. Dieser Engführung wird durch den Fokus Pacellis begegnet, der die übergeordneten Zusammenhänge und Wechselwirkungen sichtbar macht. 41

I. Einleitung

und Kardinalstaatssekretärs funktionierte, wie viel Verständnis Pacelli etwa für die ortskirchlichen Interessen aufbrachte, ist damit ein Grundthema der Untersuchung. Die dritte Koordinate transzendiert den binnenkirchlichen Bereich: Das Bischofsamt impliziert nicht nur die innerkirchliche Dimension, sondern – genauso wie das Amt des Apostolischen Nuntius und des Kardinalstaatssekretärs – auch eine politische Seite. Als Oberhirte und kirchliche Führungsfigur übt der Diözesanbischof – allgemein formuliert – Einfluss auf die die Gesamtgesellschaft betreffende Meinungsbildung der Katholiken aus. Darum hat der Staat auch bei einer prinzipiellen Trennung von der Kirche ein Interesse daran, wer dieses Amt bekleidet, weshalb er in sämtlichen Staatskirchenverträgen ein mehr oder weniger umfassendes Mitspracherecht erhielt. Insofern ist das Verhältnis von Kirche und Staat als wesentlicher Faktor mit einbegriffen, sodass die Untersuchung auch einen Beitrag leistet zur Erforschung der Politik Pacellis beziehungsweise des Heiligen Stuhls sowohl gegenüber den Teilstaaten der Weimarer Republik als auch dem NS-Regime. Das Beziehungsgeflecht ist auch im Kontext der Konkordatsverhandlungen von Bedeutung, die ebenfalls zu beachten sind, weil Pacelli hier die bis heute geltenden Modi der Bischofseinsetzungen aushandelte. Insofern gewährt die Studie auch neue Einblicke in die Konkordatsthematik, die – wie im Forschungsstand dargelegt – noch weiter mit den vatikanischen Quellen aufgearbeitet werden muss. Das bisher Gesagte zusammenfassend möchte die vorliegende Arbeit Folgendes leisten: erstens die deutschen Bischofseinsetzungen zwischen 1919 und 1939 auf Basis der vatikanischen Quellen darlegen, dadurch die Lücken der Bistumsgeschichtsforschung schließen und eine vergleichende Perspektive ermöglichen; zweitens anhand der Besetzungsfälle neue Einblicke in das Denken und Handeln des Nuntius und Kardinalstaatssekretärs Pacelli gewähren und damit einen Beitrag zu seiner Biographie liefern; in diesem Rahmen sowohl drittens die kuriale Personalpolitik und die dazugehörigen Entscheidungsfindungsprozesse ausleuchten als auch viertens die darin zum Tragen kommende Beziehung zum Deutschen Reich beziehungsweise den einzelnen Teilstaaten herausstellen.

I.4 Zeitliche, geographische und sachliche Eingrenzung Das skizzierte Themenspektrum erfordert eine bestimmte Ab- und Eingrenzung der Untersuchung. Obwohl Pacelli bereits 1917 Nuntius für Bayern wurde, beginnt der Untersuchungszeitraum erst mit 1919. Der Grund besteht in den subversiven politischen und staatskirchenrechtlichen Umbrüchen der Jahre 1917–1919. Durch die Promulgation des CIC 1917, dem Fall der Monarchie 1918 und der Gründung der Weimarer Republik 1919 entstand eine völlig neue kirchenpolitische Situation: Während die im Geist des Staatskirchentums abgeschlossenen Rechtsgrundlagen – das Bayernkonkordat von 1817 und die Zirkumskriptionsbullen für Preußen, Han42

I. Einleitung

nover und den Oberrhein aus den 1820er Jahren – dem Staat weitgehende Einflussrechte auf das kirchliche Leben konzedierten, gewährte die Weimarer Reichsverfassung (WRV) der Kirche in Artikel 137 eine vollständige Autonomie in der Verwaltung ihrer inneren Angelegenheiten. In besonderer Weise wird diese rechtlich konfuse Situation mit Blick auf die Bischofseinsetzungen deutlich.84 In Bayern ernannte bis dato der König die neuen Diözesanbischöfe.85 In Preußen durften die Domkapitel des vakanten Bistums den Bischof wählen, allerdings nur einen Geistlichen, der dem König nicht minus grata war, was durch die Anwesenheit eines staatlichen Wahlkommissars sichergestellt wurde.86 Im Laufe des 19. Jahrhunderts etablierte sich ein Listenverfahren, gemäß dem die Domherren der preußischen Regierung eine Liste von tauglichen Kandidaten vorlegten, die anschließend in „purgierter“ Fassung Grundlage für die Bischofswahl wurde. Ein solches Listenverfahren mit anschließender Bischofswahl wurde auch für die Bistümer Osnabrück und Hildesheim und für die Oberrheinische Kirchenprovinz vereinbart.87 In völligem Gegensatz dazu stand nicht nur die Bestimmung des neuen kirchlichen Gesetzbuches, die im Nachgang zum I. Vatikanischen Konzil vorgab: „Eos [sc. episcopos, R.H.] libere nominat Romanus Pontifex“88 (vgl. I.6), sondern auch die der WRV: „Sie [sc. jede Religionsgesellschaft, R.H.] verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde.“89 Die Unvereinbarkeit der alten Vorgaben mit den neuen führte zu einem Zustand der Rechtsunsicherheit, der aber auch ein hohes Maß an Freiheit zur Neugestaltung der staatskirchenrechtlichen Materie beziehungsweise der Modi zur Besetzung der Bischofsstühle mitbrachte. Erst in dieser Situation, in diesem Raum neuer Freiheiten konnte der Heilige Stuhl beziehungsweise der Nuntius überhaupt „wirken“ und versuchen, die eigenen Vorstellungen zu formulieren und umzusetzen. Erst hier war also der Rahmen gegeben, um Pacelli – aber auch die anderen beteiligten Parteien – gewissermaßen in Aktion betrachten zu können. Folgerichtig verliefen die ersten beiden Bischofseinsetzungen, an denen Pacelli als Nuntius beteiligt war, nämlich in München und Speyer jeweils 1917, noch nach

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Vgl. zu den Bischofseinsetzungen im 19. Jahrhundert und den rechtlichen Voraussetzungen mit weiterer Literatur etwa Burkard, Staatskirche, bes. S. 455–461, 523–526, 541–636; Feine, Rechtsgeschichte 1, S. 519–531; Friedberg, Staat; Hirschfeld, Bischofswahlen; Link, Besetzung, bes. S. 231–233, 239–244, 255–259; für das 17. und 18. Jahrhundert Feine, Besetzung. Vgl. Art. IX des bayerischen Konkordats von 1817, Huber/​​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 174. Vgl. Nr. XXII der Bulle De salute animarum von 1821, Huber/​​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 209 sowie das Breve Quod de fidelium aus demselben Jahr, ebd., S. 221–223. Vgl. Nr. III der Bulle Impensa Romanorum Pontificum von 1824, Huber/​​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 302f. sowie Nr. I der Bulle Ad dominici gregis custodiam von 1827, ebd., S. 269f. Can. 329 § 2 CIC 1917. Art.  137, Abs.  3, Satz 3 der WRV von 1919, Reichsgesetzblatt 1919, Nr.  152 vom 14. August 1919, S. 1409. 43

I. Einleitung

dem alten Schema, ohne dass er die Möglichkeit besessen hätte, auf den Verlauf näheren Einfluss auszuüben.90 Den Endpunkt des behandelten Zeitraums auf das Jahr 1939 anzusetzen, bietet sich insbesondere aus drei Gründen an: Erstens trat durch den Beginn des Zweiten Weltkriegs politisch und gesamtgesellschaftlich eine völlig neue Situation ein; zweitens markiert Pacellis Papstwahl einen wesentlichen Einschnitt; drittens stehen die vatikanischen Quellen, welche die Basis der Studie bilden, im Augenblick nur bis zum Tod Pius’ XI. zur Verfügung. Innerhalb der Zeitspanne 1919 bis 1939 sind weitere Zäsuren zu konstatieren, die bewusst in den Untersuchungszeitraum eingeschlossen werden. Auf der einen Seite bilden die Konkordatsabschlüsse mit den deutschen Teilstaaten und zuletzt dem Reich Einschnitte, insofern dadurch jeweils wieder eine neue feste Norm für die Besetzung der Bischofsstühle gegeben war, welche die oben skizzierte Rechtsunsicherheit behob. Die Untersuchung umfasst damit sowohl die provisorischen, vorkonkordatären Besetzungsfälle als auch die normierten, nachkonkordatären, wodurch sich die Möglichkeit ergibt, nicht nur den Prozess nachzuvollziehen, der zur Normsetzung führte, sondern auch die ersten Anwendungsfälle der neuen Norm und damit der Normdurchsetzung zu erschließen. Auf der anderen Seite markieren die Jahre 1930 und 1933 Wendepunkte: Durch Pacellis Rückkehr nach Rom änderte sich seine „Perspektive“ und seine formale Rolle im Verfahren der Bischofseinsetzungen. Indem er als Nuntius und Kardinalstaatssekretär in den Blick genommen wird, lässt sich untersuchen, ob und inwiefern Beziehungen und Handlungsmuster, die sich in Deutschland etablierten, für seine kuriale Tätigkeit prägend wurden. Ob und inwiefern die veränderte politische und kirchliche Lage, die sich durch die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten und den sich stetig verschärfenden Kampf gegen die Kirche einstellte, Pacellis Bild von einem idealen Bischof beziehungsweise seine Bischofspolitik beeinflusste, lässt sich durch den Vergleich der causae vor und nach 1933 beantworten. Die Untersuchung beschränkt sich in geographischer Hinsicht auf die Besetzung der Bischofsstühle im sogenannten „Altreich“ der Weimarer Republik und des Dritten Reiches, das heißt die durch die territoriale Expansion dem Dritten Reich einverleibten Bistümer und Jurisdiktionsbezirke werden nicht berücksichtigt. Das betrifft konkret die Besetzungen des Bistums Danzig und der Apostolischen Administratur Innsbruck-Feldkirch 1938 sowie die Einsetzungen von Apostolischen Administratoren für das Memelland und die Diözese Kulm ein Jahr später.91 Ausgeschlossen wird durch diesen Rahmen auch die bereits 1925 erfolgte Besetzung des exemten Bistums Danzig, das als Freie Stadt seit 1920 unter der Aufsicht des Völkerbundes stand und daher trotz überwiegend deutscher Bevölkerung nicht mehr zu Deutschland ge-

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Vgl. die knappen Hinweise bei Heinritzi, Neuordnung, S. 203f.; Volk, Faulhaber, S. 104. Vgl. dazu die entsprechenden Kapitel bei Heim, Bischöfe. 44

I. Einleitung

hörte.92 Prinzipiell unberücksichtigt bleiben außerdem die Einsetzungen von Ordinarien ohne eigene Diözese oder quasidiözesanen Jurisdiktionsbezirk, wie das Institut der Weihbischöfe oder die Feldpropstei, die 1936 neu besetzt wurde.93 Mit eingeschlossen sind hingegen die Ernennungen von Koadjutoren mit Nachfolgerecht sowie die Bestellung von Apostolischen Administratoren und Gefreiten Prälaten, da es sich hier um quasidiözesanbischöfliche Besetzungen handelt. Unter diesen zeitlichen, geographischen und die Natur des Amtes betreffenden Kriterien sind 31 Besetzungsfälle zu untersuchen.94 Zu ergänzen sind die Konkordatsverhandlungen mit Bayern, Preußen und Baden im Hinblick auf die Besetzungsmodi der Bischofsstühle. Während die vage bleibenden Reichskonkordatsverhandlungen Anfang der 1920er Jahre von den bayerischen und preußischen kaum zu trennen sind und daher mitberücksichtigt werden, wird auf eine Analyse der Verhandlungen von 1933 verzichtet, da das Reichskonkordat die Länderkonkordate schließlich bestätigte und für die übrigen deutschen Gebiete den badischen Besetzungsmodus vorschrieb.95

I.5 Methode, Fragestellungen und Aufbau Für die Umsetzung des skizzierten Vorhabens sind zwei verschieden angelegte Arbeitsschritte erforderlich: Zunächst sind in einem quellenpositivistischen Teil die 31 Besetzungsfälle und die Diskussion des Themas innerhalb der Konkordatsverhandlungen systematisch mit den vatikanischen Unterlagen und damit bereits in der Perspektive des Heiligen Stuhls beziehungsweise Pacellis minutiös zu rekonstruieren, um ein möglichst komplettes Bild der Ereignisse zu zeichnen. Es handelt sich methodisch also um eine dezidiert kirchenhistorische, nicht etwa kanonistische Arbeit, wenngleich dieses Feld angesichts der Thematik immer wieder eine wichtige Rolle spielt. Die Rekonstruktionen müssen auf der einen Seite umfassend sein, damit sie die Lücken in der Diözesangeschichtsforschung tatsächlich schließen können und sich Pacellis Handeln anschließend fundiert analysieren lässt. Auf der anderen Seite werden jedoch nicht sämtliche, regelmäßig wiederkehrende Verfahrensschritte, die der CIC von 1917 jenseits der partikularrechtlichen Konkordatsbestimmungen regelte 92

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Vgl. dazu Samerski, Stadt. Bereits 1922 erfolgte hier eine Administratoreinsetzung, die ebenfalls unbehandelt bleibt. Vgl. dazu Güsgen, Militärseelsorge, passim; Heim, Bischöfe, S. 218–281. Konkret handelt es sich um 16 in Preußen, 6 in Bayern, 5 in der Oberrheinischen Kirchenprovinz und 4 in Sachsen. Obwohl Pacelli für die Besetzung des Bistums Regensburg 1927 formal nicht zuständig war, wird diese in die Untersuchung einbezogen und der Frage nachgegangen, ob er dort dennoch Einfluss ausübte. Vgl. Art. 2 und 14 des Reichskonkordats vom 20. Juli 1933, Huber/​​Huber (Hg.), Staat und Kirche IV, S. 506 und 508. 45

I. Einleitung

(vgl. I.6), in jedem Einzelfall akribisch dargestellt, sondern nur, wenn sie für das Verständnis der Ereignisse notwendig sind oder von den Quellen selbst thematisiert werden.96 Auf eine größtmögliche Quellennähe wird Wert gelegt. Zum Beispiel werden biographische und urteilende Angaben zu etwaigen Bischofskandidaten, insbesondere im Rahmen der konkordatären Listenverfahren, genauso wiedergegeben, wie die Quellen sie darstellen und nicht grundlegend gekürzt oder durch zusätzliche Informationen ergänzt. Denn in genau dieser Form wirkten sie auf den Fortgang des Verfahrens ein. Welcher Stellenwert ihnen im Einzelnen letztlich zukam, kann erst im Nachhinein beurteilt werden. Für eine bessere Lesbarkeit werden die Zitate aus den italienischen und lateinischen Quellen im Fließtext übersetzt und der Originaltext in den Fußnoten abgedruckt.97 Der zweite systematische Teil besteht in der Analyse der rekonstruierten Besetzungsfälle auf das Handeln und Denken Pacellis hin und im Rahmen des Beziehungsgefüges von Heiligem Stuhl, Staat und Ortskirche. Zu diesem Zweck wird an jedem einzelnen Besetzungsfall ein Raster von fünf Fragekomplexen beantwortet: 1) Pacelli und die Bischofskandidaten – Welche Geistlichen wählte Pacelli aus welchen Gründen für den jeweiligen Bischofsstuhl aus? Wie sahen seine Kriterien für Episkopabilität aus? Welche Bedeutung hatten für ihn die entsprechenden Bestimmungen des CIC? Woher nahm er die Kandidaten? Kannte er sie persönlich? 2) Pacelli und der Besetzungsmodus – Wie stand Pacelli prinzipiell und im konkreten Fall zur Grundfrage nach päpstlicher Nomination und Kapitelswahl? Welche Besetzungsmodi vertrat er in den verschiedenen Konkordatsverhandlungen und aus welchen Gründen? Inwieweit sollte durch Episkopat und Domkapitel die Ortskirche an der Bischofsfindung beteiligt werden? Nutzte Pacelli Spielräume innerhalb der konkordatär genormten Besetzungsmodi zu seinen Gunsten aus und falls ja, wie genau? Berücksichtigte er die vorgeschriebenen Vorschlagslisten? 3) Pacelli und der Staat – Welche Rolle spielte für Pacelli die Konkordatspolitik innerhalb der Besetzungsfälle? Inwieweit, wann und wo nahm er Rücksicht auf staatliche Interessen und welchen Einfluss war er bereit, den Regierungen in den Besetzungsfällen zuzugestehen? Handelte Pacelli in der Weimarer Republik anders als im Dritten Reich? Wie reagierte er auf staatliche Kandidatenablehnungen? 4) Pacelli und die Informanten – Holte Pacelli Informationen ein, welche die Kandidaten oder den Besetzungsfall allgemein betrafen und falls ja, bei wem? Auf welche Ratgeber hörte er, wessen

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Für die hier verfolgte Fragestellung sind zum Beispiel Aspekte wie die Anordnung von Gebeten für eine glückliche Bischofswahl oder die Leistung des Glaubensbekenntnisses und Treueids des neuen Bischofs vor dem Nuntius von untergeordneter Relevanz. Aus demselben Grund werden die orthographischen Fehler in den deutschen Quellen eliminiert und der Text an die aktuelle Rechtschreibung angeglichen. 46

I. Einleitung

Wort hatte bei ihm kein Gewicht? Welche Bedeutung hatten informelle Arrangements gegenüber dem formalen Verfahrensverlauf?98 5) Pacelli und die Kurie – Pacelli als Nuntius: Wie entscheidend war er für die vatikanische Bischofspolitik? Vertrat er eigene Konzepte oder war er lediglich ein kuriales „Werkzeug“? War seine Berichterstattung vollständig oder hielt er Informationen zurück? Konnte er sich mit eigenen Vorschlägen durchsetzen? Setzte er die römischen Weisungen getreu um? Inwieweit deckten sich seine Ansichten mit denen des Kardinalstaatssekretärs Pietro Gasparri? Pacelli als Kardinalstaatssekretär: Was änderte sich in der vatikanischen Bischofspolitik durch den Amtswechsel? Welchen Einfluss auf die Bischofseinsetzungen in Deutschland nahm Pacelli von Rom aus?99 In welchem Verhältnis stand er zu Papst Pius XI. und seinen Nachfolgern in der Münchener und Berliner Nuntiatur, Alberto Vassallo di Torregrossa und Cesare Orsenigo? Jeder Fragekomplex wird zunächst auf Grundlage jedes einzelnen Besetzungsfalls beantwortet, ohne die Erkenntnisse vorangegangener Fälle unmittelbar mit einzubeziehen. Auf diese Weise soll vermieden werden, Ergebnisse zu präjudizieren und dadurch womöglich neue, divergierende Handlungsmuster zu übersehen.100 Ausnahmen bilden jene Bezüge, die innerhalb eines Falls selbst hergestellt werden, zum Beispiel wenn Pacelli auf Bischofskandidaten oder Informanten aus früheren Fällen zurückgreift. Der ein oder andere Seitenblick ist also nötig, um Pacellis Handeln im konkreten Einzelfall besser nachvollziehen zu können. Der Nachteil dieser streng auf den Einzelfall fokussierten Analyse besteht in Redundanzen, die sich zwangsläufig nicht immer vermeiden lassen. Darüber hinaus lassen sich die Fragekomplexe nicht immer genau voneinander trennen, sondern sie hängen häufig eng zusammen, weshalb auch hier gewisse Überschneidungen unumgänglich sind. Eine methodische Schwierigkeit ergibt sich hinsichtlich des fünften Fragekomplexes: Wirkte Pacelli als Nuntius und damit gewissermaßen als von der Kurie „unterscheidbare“ Instanz, ist es sinnvoll, die Frage, auf welche Resonanz seine Überlegungen in Rom stießen, am Schluss, nach der Darstellung der ersten vier Themenbereiche, zu klären. Handelte Pacelli jedoch als Kardinalstaatssekretär aus dem inneren Kreis der Kurie, müsste die Frage, wie maßgeblich er für die 98

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Das Thema Informalität wurde unter anderem in der jüngeren Geschichtswissenschaft breit diskutiert und rezipiert. Vgl. etwa Reinhard (Hg.), Mikropolitik, bes. S.  1–20; Stollberg-Rilinger, Neuzeit; Tagungsbericht: Moderne. Ein internationaler Vergleich, der sich an dieser Stelle anbietet, kann im Rahmen dieser Studie nicht geleistet werden. Deshalb wurde bewusst davon abgesehen, eine fest umrissene Grundlage, zum Beispiel ein aus Pacellis Schlussrelation herausgearbeitetes Bischofsideal, an jedem Einzelfall zu überprüfen. Denn zum einen hätte eine solche statische Vorgehensweise vorausgesetzt, dass Pacellis Vorstellungen von idealen Bischöfen immer gleich blieben, was es zunächst herauszuarbeiten gilt. Zum anderen birgt die feste Vergleichsfolie den Nachteil, dass andere Kriterien, die für Pacelli womöglich maßgeblich waren, aus dem Raster fielen und nicht mehr erkannt würden. 47

I. Einleitung

vatikanische Bischofspolitik war, eigentlich vorangestellt werden. Denn erst wenn sie geklärt ist, lassen sich streng genommen aus den Instruktionen des Heiligen Stuhls Folgerungen für Pacellis Haltung in den übrigen Themenfeldern ziehen. Ungeachtet dessen wurde auf eine Umstellung der Fragekomplexe in den Fällen ab 1930 verzichtet: Zum einen um die Einheitlichkeit und Übersichtlichkeit zu wahren. Zum anderen weil sich die Urheberschaft Pacellis für die kurialen Instruktionen, aus denen wiederum die ersten vier Fragekomplexe beantwortet werden, in manchen Fällen erst aus diesen Instruktionen selbst ergibt. Um Pacellis Rolle in diesen Fällen herauszuarbeiten, lassen sich daher auch hermeneutische Zirkel nicht immer vermeiden. Schließlich lassen sich nicht alle Fragen bei jedem Besetzungsfall in gleichem Maße beantworten. In solchen Fällen bleiben Leerstellen, die sich womöglich in einer Gesamtschau füllen lassen. Insofern verfolgt das Frageraster einen doppelten Zweck: Zum einen soll dadurch der konkrete jeweilige Besetzungsfall in sich tiefer verstehbar, zum anderen soll eine Vergleichsbasis für eine abschließende Gesamtbeurteilung geschaffen werden. In dieser Synopse können dann die roten Linien herausgearbeitet, die Fragen nach Veränderungen, Entwicklungen und prägenden Handlungsmaximen angesichts der angesprochenen Zäsuren beantwortet und Pacellis etwaige Informantennetzwerke offengelegt werden.101 Aus den genannten Arbeitsschritten ergibt sich bereits die Grobgliederung der Arbeit: Nach dem einleitenden Teil (I) bietet der Hauptteil (II) die rekonstruierten Besetzungsfälle und Konkordatsverhandlungen. Jedem einzelnen Fall wird umgehend im Anschluss die Teilanalyse beigefügt, die nur im unmittelbaren Kontext des Verlaufs der causa verstehbar ist. Die Zusammenschau der Teilergebnisse wird in dem anschließenden Teil (III) vorgenommen und durch ein Fazit abgerundet.102 Für den inneren Aufbau des Hauptteils (II) ergeben sich zwei Möglichkeiten: Entweder man folgt einer strengen Chronologie der Fälle und damit der Abfolge, in der Pacelli selbst mit ihnen 101

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Wie sich gezeigt hat, war es aufgrund der geringen Zahl der durch die vatikanischen Quellen dokumentierten Informanten nicht lohnend, eine Netzwerkanalyse durchzuführen. Vgl. zur ersten Orientierung im Bereich Netzwerkanalyse Düring/​​Keyserlingk, Netzwerkanalyse; Reitmayer/​​Marx, Netzwerkansätze; Weber, Verhältnisse. Im Anhang werden die bayerischen Triennallisten samt den drei dazugehörigen Ausführungsdekreten, eine Übersicht über die Kandidatenvorschläge von Episkopat und Domkapitel innerhalb des preußischen Listenverfahrens sowie eine Gesamtliste aller von Pacelli in Erwägung gezogener Bischofskandidaten abgedruckt. Zur Entlastung der Fußnoten beziehungsweise mit Rücksicht auf den Gesamtumfang des Werkes wird darauf verzichtet, Biogramme zur Erschließung der an den Verfahren beteiligten Personen beizufügen. Aus der Fülle prosopographisch-biographischer Nachschlagewerke kann für die Personenkreise der vorliegenden Untersuchung in Auswahl verwiesen werden auf (jeweils mit weiterer Literatur): Akten der Reichskanzlei; Allgemeine Deutsche Biographie (ADB); Aretz/​​Morsey/​​Rauscher (Hg.), Zeitgeschichte; Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL); Dizionario Biografico degli Italiani (DBI); Gatz (Hg.), Bischöfe (1983); Ders. (Hg.), Bischöfe (2002); Hehl u. a. (Bearb.), Priester; Hindenburg (Hg.), Handbuch; Klee, Personenlexikon; Kosch, Deutschland; Kritische Online-Edition 48

I. Einleitung

konfrontiert war. Der Vorteil dieser Darstellung besteht darin, dass die Wechselwirkungen und Einflüsse der causae untereinander und auf Pacellis Handeln deutlich hervortreten. Oder man durchbricht die reine Chronologie und gliedert den Hauptteil nach dem kirchenrechtlich-geographischen Gesichtspunkt in vier Unterkapitel: Preußen, Bayern, Oberrheinische Kirchenprovinz, Sachsen. Innerhalb dieser Unterkapitel werden die Fälle jeweils wieder chronologisch dargestellt. Dieser territorial-chronologische Aufbau gewährleistet angesichts der unterschiedlichen Rechtslagen und Besetzungsmodi in den genannten Teilstaaten die erforderliche Klarheit und Übersichtlichkeit der Rahmenbedingungen, die in der erstgenannten Option verloren gehen. Deshalb folgt die vorliegende Studie dieser zweiten Variante.103 Um die reziproken Bezüge der Besetzungsfälle und Konkordatsverhandlungen über die geographischen Eingrenzungen hinweg nicht aus den Augen zu verlieren, werden entsprechende Querverweise ausdrücklich hergestellt. Besonderheiten in der Gliederung betreffen die preußischen und badischen Konkordatsverhandlungen. Da sich die preußischen Verhandlungen über einen Zeitraum von beinahe zehn Jahren erstreckten und währenddessen mehrere Bistümer besetzt wurden, können sie nicht in einem einzigen Kapitel dargestellt werden. Deshalb werden sie in der Frühphase zwischen 1920 und 1922 – zum Teil mit den ersten Reichskonkordatsbestrebungen verknüpft – in zwei Exkursen (I und II) beschrieben, die wiederum entsprechend der Chronologie der Ereignisse jeweils von Besetzungsfällen umrahmt werden. Die Exkurse bilden mit dem Hauptkapitel (II.1.5), das die finalen Verhandlungen zwischen 1926 und 1929 behandelt, eine Einheit. Die badischen Verhandlungen sind schließlich eng mit der Besetzung des Erzbistums Freiburg 1931/​32 verwoben und werden daher in diesem Zusammenhang skizziert.

I.6 Die Bischofseinsetzungen gemäß dem Codex Iuris Canonici von 1917 Jenseits der konkordatären Vorgaben normierte das kirchliche Gesetzbuch von 1917 das Verfahren der Bischofseinsetzungen.104 Gemeinrechtlich schrieb der Codex eine freie Bischofsernennung durch den Papst vor (Can. 329 § 2). In der praktischen Ausführung des päpstlichen

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der Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers (1911–1952); Lilla, Landtag; LThK; LThK2; LThK3; Neue Deutsche Biographie (NDB); Schatz, Jesuiten; Wolf u. a. (Hg.), Kritische Online-Edition; World Biographical Information System online (wbis); Zumholz/​​Hirschfeld (Hg.), Seelsorge. Zu verweisen ist außerdem auf die regionalen biographischen Handweiser wie etwa Badische Biographie; Lebensläufe aus Franken; Rheinische Lebensbilder usf. Die diözesanen Personalschematismen erschließen die Geistlichen des jeweiligen Bistums, die vatikanischen Annuarii Pontificii den Klerus der römischen Kurie. Vgl. auch die innerhalb der einzelnen Kapitel verarbeitete biographische Literatur. Die gleiche Gliederung wählt Hirschfeld, Bischofswahlen. Vgl. dazu die in Bd. 1, Kap. I.1 Anm. 49 angegebene Literatur. 49

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Rechtes kam es hinsichtlich des ordentlichen Rechtsgebietes der Kirche der Konsistorialkongregation zu, Kandidatenvorschläge für die Bischofsernennungen zu machen (Can. 248 § 2), jedoch nicht, wenn Verhandlungen mit der Regierung notwendig waren, was für die deutschen Diözesen galt. In diesem Falle oblag die genannte Aufgabe der AES (Can. 255) und somit letztlich dem jeweiligen Nuntius vor Ort. Für Missionsgebiete, wie beispielsweise Sachsen vor der Wiedererrichtung der Diözese Meißen 1921, war die Kongregation der Propaganda Fide zuständig (Can. 252 § 1). Die Bischofswahl durch das Domkapitel war lediglich als Ausnahmeregelung vorgesehen105 und durchbrach als partikularrechtlich gewährtes Privileg das freie Ernennungsrecht des Papstes. Das Besetzungsverfahren sollte im Einzelnen folgendermaßen verlaufen: Vom Eintritt der Sedisvakanz, das heißt gewöhnlich vom Tod des Bischofs, hatte das Domkapitel dem Heiligen Stuhl sogleich Kenntnis zu geben (Can. 432 § 4). Binnen acht Tagen nach der Erledigung des Bistums musste der Kapitelsvikar gewählt werden (Can. 432 § 1). Dieser war „ein vom Willen des Kapitels unabhängiger, gesetzlich notwendiger Stellvertreter“ und besaß „ordentliche Oberhirtengewalt in allen geistlichen und zeitlichen Angelegenheiten, soweit im Gesetz nicht ausdrücklich Ausnahmen gemacht sind (c. 435 § 1)“106. Er regierte bis zum Amtsantritt des neuen Bischofs und hatte seine Wahl dem Heiligen Stuhl anzuzeigen. Fand eine Bischofswahl statt, verlief sie nach den kanonischen Bestimmungen (Can. 507 mit Cann. 160–182). Der Dompropst musste alle wahlberechtigten Mitglieder des Domkapitels fristgerecht zum Wahlakt einladen (Can. 162 § 1), der nicht später als drei Monate, nachdem Kenntnis von der Sedisvakanz erlangt wurde, erfolgen durfte (Can. 161). Vor der Wahlhandlung waren zwei Wahlprüfer zu bestellen, die sich eidlich verpflichteten, Stillschweigen über die Vorgänge zu wahren (Can. 171 § 1). In der Regel erfolgte die Wahl durch allgemeine Abstimmung, wobei die Stimmen frei, geheim, sicher, bedingungslos, bestimmt und nicht für sich selbst abgegeben werden mussten (Cann. 169–171). Die Rangfolge der Wähler war zu beachten, die Übereinstimmung von Wählern und Stimmzetteln durch die Wahlprüfer sicherzustellen und schließlich das Ergebnis zu verkünden (Can. 171 § 2). Die Wahl gewann derjenige, der mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen auf sich vereinte. Nach zwei vergeblichen Wahldurchgängen genügte die relative Mehrheit. Ein Schriftführer hatte den Ablauf der Wahl zu protokollieren (Can. 171 § 5), während die Stimmzettel anschließend zu vernichten waren (Can. 171 § 4). Die Annahme der Wahl musste innerhalb von acht Tagen geschehen, gerechnet von dem Datum an, an dem der Gewählte Kenntnis von seiner Wahl erlangte (Can. 175). Im Zeitraum von wiederum acht Tagen sollte der electus beim Papst (Can. 332 § 1) um die Bestätigung der Wahl nachsuchen (Can. 177 § 1). 105 106

Vgl. Can. 329 § 3: „Si cui collegio concessum sit ius eligendi Episcopum, servetur praescriptum can. 321.“ Mörsdorf, Lehrbuch I, S. 443. Vgl. zu der Natur des Amtes, seinen Rechten und Pflichten, ebd., S. 440– 445. 50

I. Einleitung

Verweigern konnte der Pontifex die Approbation prinzipiell nur, wenn er den Gewählten für ungeeignet hielt oder die Wahl nicht den kanonischen Vorschriften entsprochen hatte (Can. 177 § 2). Konnte eine geeignete Person aufgrund eines kanonischen Hindernisses nicht gewählt werden, bestand die Möglichkeit – sofern das Hindernis dispensabel war –, den Kandidaten zu postulieren: „Die Postulation eines Bischofs ist nur eine Bitte an den Papst, die mit einem kanonischen Hindernis behaftete Person auf dem Gnadenweg zum Bischofssitz zuzulassen.“107 Die Verleihung des Amtes war exklusives Anrecht des Heiligen Stuhls. Bei vorangehender Wahl erfolgte sie durch Bestätigung, bei der päpstlichen Nomination durch Einsetzung (Cann. 332 § 1, 148 § 1). Die päpstliche Amtsverleihung erfolgte durch Präkonisation im geheimen Konsistorium. Um die Zeit der Sedisvakanz zu verringern, wurde sie jedoch häufig nicht bis zum Konsistorium aufgeschoben, sondern geschah durch eine Ernennungsbulle und wurde später im Konsistorium lediglich bekannt gemacht. Vor der Amtsübergabe musste der Designierte das Glaubensbekenntnis ablegen (Can. 1406 § 1 Nr. 3) und den Treueid gegenüber dem Heiligen Stuhl leisten (Can. 332 § 2).108 Der Ernannte war verpflichtet, innerhalb der nächsten drei Monate die Bischofsweihe zu empfangen  –  die Weihe musste an einem Sonntag oder einem Apostelfest innerhalb der Messe vorgenommen werden (Can. 1006 § 1) – und binnen vier Monaten in seine Diözese einzuziehen (Can. 333). Die Besitzergreifung geschah durch Vorlage der päpstlichen Verleihungsurkunde beim Domkapitel der entsprechenden Diözese (Can. 334 § 3). Mit diesem Akt übernahm der neue Diözesanbischof die Leitung des Bistums (Can. 443 § 2) und es folgte die feierliche Inthronisation. Um laut CIC 1917 eine persona idonea et digna zu sein, musste der Geistliche einen Katalog von Attributen erfüllen: 1. Geburt aus einer rechtmäßig geschlossenen Ehe; 2. ein Mindestalter von 30 Jahren; 3. die Priesterweihe musste wenigstens fünf Jahre zurückliegen; 4. gute Sitten, Frömmigkeit, Eifer im Glauben, Klugheit und weitere Eigenschaften, welche die Leitung der entsprechenden Diözese erforderte; 5. das Doktorat oder Lizenziat der Theologie oder des kanonischen Rechts, zumindest jedoch eine ausreichende wissenschaftliche Erfahrung (Can. 331 §  1). Die Beurteilung, ob diese Kriterien erfüllt waren, oblag dem Heiligen Stuhl (Can. 331 § 3). Die Dignität des Kandidaten und die Vorgänge der Wahl sollten durch den Informativprozess festgestellt werden, der vom Nuntius, Ortsordinarius, Nachbarbischof oder einem besonders Beauftragten durchgeführt wurde und in einem innerkurialen Definitivprozess sein Ende fand.109 Unter mehreren Bewerbern musste der Geeignetste ausgesucht werden (Can. 153 § 2). 107 108 109

Mörsdorf, Besetzungsrecht, S. 71. Vgl. dazu Gottlob, Amtseid. Vgl. zum Informativprozess Bauer, Informativprozeß; Feine, Besetzung, S. 248–258, 261–267; Franzen, Informativprozesse; Hinschius, Kirchenrecht 2, S. 672–674; Jedin, Reform; Jürgensmeier, Informativprozeß; Ders., Denomination; Raab, Informativprozess; Richter, Informativprozeß; Sägmüller, Lehrbuch I, S. 263f. 51

I. Einleitung

Die skizzierten Bestimmungen des Codex waren für die folgenden Besetzungsfälle maßgeblich. Zunächst jedoch mussten auf partikularrechtlicher Ebene die Fragen nach der Alternative von Kapitelswahl und römischer Nomination sowie nach der Beteiligung der staatlichen Seite geklärt werden. Sachlich am Anfang stand daher die Debatte über die Fortgeltung der alten Rechtsgrundlagen, die nicht zufällig den Auftakt der ersten Bischofseinsetzung nach den politischen Umwälzungen in Köln markiert.

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II.1.1 Köln 1919/20

II. Die Besetzungsfälle der bischöflichen Stühle II.1 Preußen II.1.1 Auftakt und Wegweiser: Köln 1919/​20 (Karl Joseph Schulte)110 Der Auftakt der Frage nach der Geltung der alten Rechtsgrundlagen Die Frage nach der Fortgeltung der Zirkumskriptionsbulle De salute animarum wurde akut, als im Jahre 1918 zwei Kanonikate des Kölner Domkapitels vakant wurden.111 Durch den Tod von Domkapitular Peter Carl Aloys Kreutzwald im Mai und Alexander Schnütgen im November, zwei „päpstlichen“ Monaten, fiel es der preußischen Regierung zu, die landesherrliche Besetzung vorzunehmen.112 Daher erbaten die entsprechenden Regierungsstellen am 3. Januar sowie am 25. Februar 1919 für den Divisionspfarrer Adolph Ott und den Kölner Pfarrer Friedrich Graf von Spee die vorgeschriebenen Idoneitätszeugnisse vom Kölner Erzbischof Felix von Hartmann. Diesem waren die Kandidaten sehr gelegen, sodass er am 26. Februar und am 12. März die angeforderten Dokumente ausstellte. Die Regierung entnahm aus dieser Tatsache, dass der Kölner Kardinal die Fortgeltung der durch die Bulle festgeschriebenen Bestimmungen bejahte, wie Oberregierungsrat Philipp Brugger am 26. März an Hartmann schrieb. Anlass für diese Feststellung des Oberregierungsrats war eine gegenteilige Meinungsäußerung des Kölner Dompropstes Arnold Middendorf: 110

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Vgl. zur Besetzung des erzbischöflichen Stuhls von Köln 1919/​​20 maßgeblich Trippen, Domkapitel, S. 467–515; darüber hinaus Chenaux, Pie XII, S. 147f.; Gatz, Ringen, S. 101–106; Hegel, Erzbistum, S. 101f.; Selbach, Katholische Kirche, S. 288–300; Scholder, Kirchen 1, S. 74f.; Speckner, Wächter, S. 144; Wolf, Affäre, S. 29f. Vgl. dazu Trippen, Domkapitel, S. 474–481. Vgl. De salute animarum, Nr. XXI, Huber/​​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 208f. Dass die preußische Regierung in den „päpstlichen“ Monaten die Besetzung vornahm, war im sogenannten „Breslauer Modus“ geregelt. Vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.1 Anm. 121. 53

II.1.1 Köln 1919/20

„Herr Dompropst Middendorf, der mich heute besuchte, äußerte die Meinung, daß der durch die Bulle ‚De salute animarumʻ geschlossene Vertrag hinfällig geworden sei, weil der eine vertragschließende Teil, der König von Preußen, weggefallen sei. Diese Auffassung wird hier nicht geteilt. Wir gehen davon aus, daß die Preußische Regierung an die Stelle des Königs getreten sei mit allen Rechten und Pflichten.“113

In seiner Antwort vom 29. März zog der Erzbischof die Persistenz der Bulle nicht in Zweifel, da sie „auf einem völkerrechtlichen Vertrage zwischen dem Papste und dem damaligen Inhaber der Staats- bzw. Gesetzgebungsgewalt in Preußen, dem Könige, an dessen Stelle jetzt die Preußische Regierung getreten ist“114, beruhe. Einseitig könne dieser Kontrakt nicht gelöst werden. Ob jedoch die Rechte, die der Preußischen Krone als solcher gewährt wurden, auf die derzeitige Regierung übergegangen waren, ob also das königliche Nominationsrecht für die Besetzung von vakanten Kanonikaten nun ein Recht der Regierung sein sollte, war ihm nicht klar. Diese Problematik konnte seiner Ansicht nach jedoch vernachlässigt werden, da der Heilige Stuhl der preußischen Nomination seine Zustimmung nicht versagen werde, wenn das Idoneitätszeugnis vorliege. Noch gravierender als die Frage nach der Kanonikatsbesetzung schien Hartmann die bislang übliche Praxis der preußischen Domkapitel zu sein, dem König eine Liste von Kandidaten für das Bischofsamt vorzulegen, von der dieser minder genehme Personen tilgen konnte:115 „Ich möchte als sicher annehmen, daß der H[eilige] Stuhl das letztere Recht als eigentliches Kronrecht ansieht.“116 Und für die Ausübung eines Kronrechts – so lässt sich hinzufügen – fehlte nach dem Fall der Monarchie das Rechtssubjekt. Hartmann prognostizierte, dass sich nach seinem Tode Verhandlungen mit Rom über diese Angelegenheit nicht vermeiden ließen. Dieser Briefwechsel verdeutlicht den unsicheren Rechtsstatus nach dem Fall der Monarchie. Durch die Korrespondenz mit Brugger offensichtlich auf den Schwebezustand des staatskirchenrechtlichen Komplexes gestoßen, schrieb der Kölner Kardinal am gleichen Tag an den Münchener Nuntius Eugenio Pacelli, um von der kurialen Seite eine Klärung zu erwirken.117 Bezüglich 113

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Brugger an Hartmann vom 26. März 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 475. Nachdem Middendorf später erkannte, dass seine These vom Fall der Zirkumskriptionsbulle das Domkapitelswahlrecht gefährdete, rückte er von ihr ab. Hartmann an Brugger vom 29. März 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 476. Im Breve Quod de fidelium hieß es: „… so wird es an Euch [sc. den preußischen Domkapiteln, R.H.] liegen, jene vorzuschlagen, von denen Ihr wisst, dass sie, neben den sonstigen vom Kirchenrechte festgesetzten Eigenschaften, auch noch durch den Vorzug der Klugheit sich empfehlen, und nicht minder Sr. Maj. dem König genehm sein werden, über welche Umstände Ihr vor dem feierlichen, streng nach den canonischen Regeln vorzunehmenden Wahlacte Euch zu vergewissern trachten werdet.“ Huber/​​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 223. Hervorhebung R.H. Hartmann an Brugger vom 29. März 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 477. Vgl. Hartmann an Pacelli vom 29. März 1919, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 2r–3v. Vgl. auch Trippen, Domkapitel, S. 478. 54

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der Kanonikatsbesetzungen empfahl er, den Regierungsvorschlägen Genüge zu tun, sofern es sich um annehmbare Personen handle. Andernfalls würde der Staat – so Hartmann – mit Sicherheit die finanziellen Leistungen einstellen. Er sorgte sich also um die grundlegende Verpflichtung, die dem Staat durch die alte Zirkumskriptionsbulle aufgegeben war. Was die staatliche Ingerenz auf die Bischofswahlen anbelangte, wurde der Erzbischof jetzt deutlicher als gegenüber Brugger: Die staatliche Exklusive bei der Besetzung der preußischen Bistümer (außerdem Limburg und Fulda, die mit zum Geltungsgebiet von De salute animarum gehörten) scheine ein Kronrecht zu sein, das nicht so einfach auf die demokratische Regierung übergehen könne. Allerdings sei die Lage in Osnabrück und Hildesheim anders, da die dort geltende Bulle Impensa Romanorum Pontificum die Mindergenehmheit ausdrücklich als ein Recht der Regierung deklariere.118 „Jedenfalls aber scheint es mir notwendig, dass der h[eilige] Stuhl die Domkapitel mit Weisung darüber versieht, wie sie sich im Falle der Vakanz eines Erzbischöflichen oder Bischöflichen Stuhles zu verhalten haben.“119 Pacelli griff das Thema sofort auf und informierte am 6. April Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri darüber, dass die Regierung vorhabe, dem Heiligen Stuhl zwei Kandidaten für die vakanten Kölner Kanonikate zu präsentieren.120 Das Votum des Kölner Kardinals, die Besetzung auf diese Weise vonstatten gehen zu lassen, verschwieg er dabei nicht. Aber der Nuntius beließ es nicht bei der einfachen Berichterstattung, sondern rekapitulierte für Gasparri die entsprechende Vorschrift aus De salute animarum und diskutierte außerdem den sogenannten „Breslauer Modus“121, den die Bulle für die Besetzung der Kanonikate vorschrieb und gemäß dem sowohl die preußische Regierung als auch Kardinal Hartmann gehandelt hatten. Dieses Verfahren, gemäß dem der preußische König in den „päpstlichen Monaten“ die Kanoniker ernannte und dem Papst 118

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Vgl.: „Sollte der Regierung Dieser oder Jener von den auf der Liste sich befindenden Wahl-Candidaten weniger angenehm seyn …“ Impensa Romanorum Pontificum, Nr. III, Huber/​​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 302. Hervorhebung R.H. Hartmann an Pacelli vom 29. März 1919, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 3v. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 6. April 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 897, Fol. 44r–48v. „Nach dem Breslauer Modus nominierte der preußische König den Dompropst und jene Domherren, die ein in ungeraden Monaten vakant gewordenes Kanonikat erhalten sollten. Der vom König Nominierte hatte sich dann ein Eignungszeugnis seines Ordinarius zu besorgen und die offizielle päpstliche Verleihung (provista) zu erbitten. In ihr wurde auf die vorausgegangene königliche Ernennung keinen Bezug genommen.“ Hegel, Erzbistum, S. 34. Pacelli bezog sich auf die Erläuterungen des Breslauer Kirchenrechtlers und Konsultors der Propaganda Fide, Hugo Laemmer: „Anlangend den in diesem Text [sc. der Nr. 21 der Bulle, R.H.] erwähnten Breslauer Modus, so nahm schon Friedrich II. von Preussen für die in den sogen. päpstlichen Monaten erledigten Canonicate des Breslauer Domkapitels und für die Dompropstei statt des blossen Placets ein Ernennungsrecht in Anspruch und blieb dem Apostolischen Stuhl bloss das formelle Provisionsrecht … Seit 1821 ernennt der König für die gedachten Stellen in sämmtli55

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lediglich die offizielle Verleihung übrig blieb, unterzog Pacelli einer grundsätzlichen Kritik: „Daher gründete sich dieser Breslauer Modus im Prinzip auf eine reine Usurpation von Friedrich II. und erhielt einzig zur Zeit des Konkordats von 1821 durch die Nachsicht des Heiligen Stuhls ein legitimes Fundament.“122 Um seine Abneigung gegen dieses, einem „häretischen Fürsten“123, das heißt einem protestantischen Herrscher, verliehene Privileg zu zeigen, habe der Heilige Stuhl – so Pacelli – in der Bulle und den einzelnen Ernennungsschreiben absichtlich nur ein Kollationsrecht des Papstes, nicht aber die Ernennung durch den weltlichen Herrscher erwähnt. Daraus folge für dieses Privileg eine strenge Auslegung. Pacelli rekurrierte hier auf das in Can. 1471 CIC 1917124 vorgeschriebene Prinzip, wonach aus einem Präsentationsrecht, das der Heilige Stuhl gewährt, kein Patronatsrecht wird, also das Vorrecht, „zur Neubesetzung eines erledigten Patronatsbenefiziums einen geeigneten Geistlichen rechtsverbindlich vorzuschlagen“125. Vielmehr ist nach diesem Canon „das Präsentationsprivileg streng nach der Verleihungsurkunde auszulegen“126. Wie gesagt wurde in dieser jedoch der weltliche Machthaber nicht erwähnt. Wenn dieses Prinzip – so folgerte Pacelli – für das Präsentationsrecht von katholischen Souveränen und für alle beliebigen Benefizien gelte, müsse es doch ganz besonders auf die privilegierten Häretiker127 und die Besetzung der Dignitäten respektive Kanonikate appliziert werden. Für

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chen Kapiteln Altpreussens, während der Papst auf Grund eines bischöflichen Idoneitätszeugnisses die Verleihungsurkunde (Proviste) ertheilt, in welcher indessen der landesherrlich erfolgten Nomination nicht gedacht wird.“ Laemmer, Institutionen, S. 245 Anm. 2. „Perciò questo modus Wratislaviensis in principio si fondava sopra una mera usurpazione di Federico II e soltanto dal tempo del Concordato del 1821 per tolleranza della Santa Sede ottenne un legittimo fondamento.“ Pacelli an Gasparri vom 6. April 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 897, Fol. 45v–46r. Diese „Anmaßung“ der Besetzung von kirchlichen Ämtern und Benefizien habe schon der Herzog von Cleve Johannes IV. im 16. Jahrhundert praktiziert, dessen anschließendes Gesuch um ein Privileg zur Festsetzung seines Einflusses der Heilige Stuhl jedoch abgelehnt hatte. Pacelli recherchierte diese Informationen beim ehemaligen Berliner Kirchenrechtler Paul Hinschius. Vgl. Hinschius, Kirchenrecht 3, S. 101. „… un Principe eretico …“ Pacelli an Gasparri vom 6. April 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919– 1922, Pos. 1718, Fasz. 897, Fol. 46r. „Si cui Sedes Apostolica sive in concordantis sive extra concordanta indultum concesserit praesentandi ad ecclesiam vacantem vel ad beneficium vacans, non inde ius patronatus oritur, et privilegium praesentationis strictam interpretationem pati oportet ex tenore indulti.“ Can. 1471 CIC 1917. Mörsdorf, Lehrbuch II, S. 438. Mörsdorf, Lehrbuch II, S. 439. Pacelli verwies an dieser Stelle auf Can. 1453 § 1 CIC 1917: „Ius patronatus personale transmitti valide nequit ad infideles, publice apostatas, haereticos, schismaticos, adscriptos societatibus secretis ab Ecclesia damnatis, nec ad quoslibet excommunicatos post sententiam declaratoriam vel condemnatoriam.“ Eine rechtswirksame Übertragung von Patronaten und dem damit verbundenen Besetzungsrechten an Häretiker war kanonisch unmöglich. Vgl. auch Mörsdorf, Lehrbuch II, S. 441. 56

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Pacelli war die seiner Ansicht nach damit erwiesene Unrechtmäßigkeit der Besetzung der Domherrenstellen durch den staatlichen Herrscher deshalb so wichtig, weil die Kanoniker in Preußen „nicht nur das harmlose Recht ausüben, im Chor zu singen, sondern einen beträchtlichen Anteil an der Diözesanverwaltung haben und vor allem das einzigartige Vorrecht genießen, den Bischof zu wählen“128. Aufgrund dieser bedeutenden Funktion der Kanoniker dürften nur Personen zu diesem Amt ernannt werden, denen es tatsächlich um das Wohl der Kirche gehe. Darum musste nach Pacelli eine Ingerenz des Staates, der stets eigene Interessen verfolge, bei ihrer Auswahl verhindert werden. Die grundlegende Frage, ob das fragliche Privileg des preußischen Königs auf die aktuelle Regierung übergegangen sei, beantwortete der Nuntius daraufhin negativ.129 Das Thema der Kanonikatsbesetzung beschloss er mit dem Hinweis, dass diese Frage für Kardinal Hartmann keine praktische Relevanz besitze, da die Bulle nicht von einer staatlichen Ernennung spreche. Deshalb könne man nach Ansicht des Kölner Erzbischofs auch in Zukunft die Vorschläge der Regierung in Erwägung ziehen, wenn die designierten Personen ausreichend geeignet seien. Im Folgenden kam Pacelli auf die Bischofswahl zu sprechen, wobei er auf eine eingehende Darlegung der historisch-juristischen Grundlagen verzichtete. In Rom sei das alles gut bekannt und man sei dort auch über die „Missbräuche der staatlichen Autoritäten“130 informiert, die im Jahr 1900 das Rundschreiben Rampollas notwendig gemacht hätten.131 Dem Nuntius ging es an dieser Stelle lediglich darum, dem Kardinalstaatssekretär in Erinnerung zu rufen, wie die staatlichen Autoritäten in den Bestimmungen der Zirkumskriptionsbullen und Breven zu den Wahlhandlungen genannt wurden. Denn offenkundig war es für die Frage, ob ein Recht automatisch auf eine neue republikanische Regierung transferiert werden konnte, nicht unerheblich, wem genau es seinerzeit gewährt 128

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„… non esercitano soltanto l’innocuo diritto di cantare in coro, ma hanno una notevole parte nell’amministrazione della diocesi, e soprattutto godono della singolare prerogativa di eleggere il Vescovo.“ Pacelli an Gasparri vom 6. April 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 897, Fol. 46v. Zur Erläuterung verwies er auf seine Ausführungen, die er drei Tage zuvor im bayerischen Kontext zum Thema der Rechtsnachfolge gemacht hatte. Vgl. dazu Bd. 3, Kap. II.2.1 (Die Ansicht Eugenio Pacellis zur Fortgeltung des bayerischen Konkordats). „… abusi delle autorità governative …“ Pacelli an Gasparri vom 6. April 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 897, Fol. 47v. Der Erlass Rampollas über die Bischofswahlen vom 20. Juli 1900 war an die Bischöfe und Domkapitel Preußens sowie der Oberrheinischen Kirchenprovinz adressiert. Anlass waren die nach Ansicht der Kurie weitreichenden staatlichen Einmischungen in die Bischofswahlen, wohingegen die Freiheit der Kapitelswahl gewahrt werden sollte. Ein aktives Mitwirken und der absolute Ausschluss von Kandidaten durch nicht-katholische Machthaber erklärte der Erlass für unstatthaft. Deshalb sollten die Domherren dem Landesherrn auch nur Kandidaten vorlegen, die keinen Anlass boten, als minder genehm zu gelten. Vgl. Rampolla, Erlass; auszugsweise deutsche Übersetzung bei Huber/​​Huber (Hg.), Staat und Kirche III, S. 248–250 (Nr. 109). Vgl. dazu Stutz, Stand. 57

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wurde. Das Breve Quod de fidelium für Preußen spreche davon – so Pacelli –, dass der zu Wählende eine persona grata für den König (Serenissimo Regi) sein müsse.132 Gemäß Ad dominici gregis müssten die oberrheinischen Domkapitel den Landesfürsten (summos respectivi Territorii Principes) die Kandidatenliste einreichen.133 Die mit Hannover ausgehandelte Bulle Impensa Romanorum Pontificum benenne den Empfänger der Kapitelsliste schließlich mit königlichen Beamten (Regios Ministros), aber auch einfach mit Regierung (Gubernio).134 Klare Folgerungen zog Pacelli aus dieser Darstellung nicht. Für ihn schien sich die müßige Frage nach dem Übergang der staatlichen Einflussrechte von selbst zu lösen, wenn durch die neue Reichsverfassung eine „mehr oder weniger vollständige Trennung der bürgerlichen Gewalt von der Kirche“135 zustande käme und der Kirche die Freiheit, ihre Ämter völlig autonom zu besetzen, zugestanden werde. Dann sei lediglich die Frage zu stellen, ob der Heilige Stuhl das Recht der Kapitelswahl in Kraft lassen oder aber das allgemeine Recht – das heißt den Can. 329 § 2 CIC 1917 – anwenden wolle. Für den Moment jedoch wünsche Hartmann genaue Anweisungen, wie im Fall einer Sedisvakanz vorzugehen sei.

Das Gutachten von Joseph Hollweck und die Vorstellungen des Nuntius Gasparri genügten die knappen Hinweise zur Bischofswahl nicht. Daher ließ er Pacelli am 2. Juli über den Schweizer Nuntius Luigi Maglione die Bitte zukommen, seine konkrete Meinung zur Bistumsbesetzungsfrage zu äußern.136 Angesichts der revolutionären Unruhen in München weilte Pacelli zu diesem Zeitpunkt im schweizerischen Rorschach, weshalb Gasparri die postalische Vermittlung über Maglione nutzte.137 Darüber hinaus ordnete er an, dass der Eichstätter Kanonist Joseph Hollweck ein Gutachten zu dieser Thematik verfassen sollte. Gasparri und Pacelli kannten ihn nicht nur von der Arbeit in der Vorbereitenden Kommission zur Kodifikation des Kanonischen Rechts, zu der Hollweck als einer der wenigen deutschen Kirchenrechtler hinzugezogen 132 133 134 135

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Vgl. den lateinischen Text des Breve bei Mercati (Hg.), Concordati I, S. 665f., hier 666. Vgl. den lateinischen Text der Bulle bei Mercati (Hg.), Concordati I, S. 700–703, hier 701. Vgl. den lateinischen Text der Bulle bei Mercati (Hg.), Concordati I, S. 689–696, hier 691. „… uno stato di più o meno piena separazione della potestà civile dalla Chiesa.“ Pacelli an Gasparri vom 6. April 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 897, Fol. 48v. Pacelli bezog sich hier auf eine Sitzung des Verfassungsausschusses vom 3. April, in der die Religionsartikel der WRV (im damaligen Entwurf noch Artikel 30), insbesondere auch die autonome Besetzung kirchlicher Ämter, im Wesentlichen angenommen wurden. Vgl. Reichstagsprotokolle 1919/​​20, 11, 21. Sitzung vom 3. April 1919, S. 207f. Vor diesem Hintergrund zeichnete sich sehr deutlich ab, dass die Kirche mit einer Autonomie in der Behandlung ihrer Angelegenheiten rechnen konnte. Maglione sandte die Weisung am Folgetag an Pacelli weiter. Vgl. Maglione an Pacelli vom 3. Juli 1919, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 11r. Vgl. Feldkamp, Pius XII., S. 35. 58

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worden war.138 Sondern wenige Wochen zuvor hatte dieser für Pacelli bereits zur staatskirchenrechtlichen Situation in Bayern ein Memorandum verfasst.139 Der Münchener Nuntius übermittelte Hollweck den Auftrag des Kardinalstaatssekretärs zusammen mit den Überlegungen Kardinal Hartmanns und verknüpfte sie mit seinen eigenen Gedanken, die sich auf den im April des Jahres von der Verfassunggebenden Nationalversammlung beschlossenen Paragraphen über die Freiheit der Religionsausübung und der Selbstverwaltung der religiösen Gemeinschaften stützten.140 Pacelli wiederholte seine Überlegung, dass wenn diese Bestimmungen tatsächlich in der Reichsverfassung Geltung erlangen sollten  –  wie es in den Religionsartikeln 135 und 137 dann auch passierte –, „die angesprochene Frage nach dem Einfluss der Regierung auf die Wahl der Bischöfe fallen wird“141. Zu klären seien dann die Alternativen, ob man den preußischen Domkapiteln das Wahlrecht belasse oder eine freie päpstliche Nomination gemäß der Vorgabe des CIC einführe. Hollweck verfasste sein Votum in zwei Briefen, die er am 22. Juli beziehungsweise am 7. August an Pacelli schickte. In dem ersten Schreiben zeigte Hollweck zunächst, dass die staatliche Exklusive bei der Bischofswahl weder ein „Kronrecht“ noch ein „historisches Recht“142 sei, das durch regelmäßige Praxis begründet wäre. Erst nach dem Wiener Kongress habe es in Preußen ausreichend katholisch geprägte Gebiete gegeben, in denen ein solches Gewohnheitsrecht hätte entstehen können. Aber auch im Gefolge des Grundsatzes des Breve Quod de fidelium, von der Wahl einer persona regi minus grata abzusehen, habe die Regierung „keine einheitliche Übung, um missfällige Wahlkandidaten den Wählern zu bezeichnen, eingehalten“143. Ebenso sei die Praxis, eine Kandidatenliste einzureichen, erst sukzessive entstanden. Eine Verpflichtung dazu sei von Seiten der Kirche nirgends festgesetzt und auch von den staatlichen Autoritäten nicht als exklusive Vorgehensweise angesehen worden. Im Gegenteil

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Vgl. Bruggaier, Hollweck, S. 660f.; Fantappiè, Chiesa, S. 731f.; Lederer, Hollweck. Im Mai 1920 ernannte ihn Benedikt XV. zum Auditor des Gerichtshofes der Sacra Romana Rota, was Hollweck allerdings aufgrund seines Alters und seines Gesundheitszustandes ablehnte. Vgl. May, Kaas 1, S. 168f. Vgl. Bd. 3, Kap. II.2.1 (Das Gutachten von Joseph Hollweck). Vgl. Pacelli an Hollweck vom 5. Juli 1919 (Entwurf), ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 12rv. Konkret nannte Pacelli die volle Glaubens-, Gewissens- und Gedankenfreiheit, die Erklärung, dass keine Staatskirche besteht und die Bestimmung, dass jede Religionsgemeinschaft sich selbst verwaltet und zwar ohne irgendeine Mitwirkung des Staates und der Gemeinde. Vgl.: „È chiaro, che, se tale disposizione sarà definitivamente accolta dall’Assemblea Nazionale, verrà a cadere la suaccennata questione circa l’ingerenza del Governo nelle elezioni dei Vescovi …“ Pacelli an Hollweck vom 5. Juli 1919 (Entwurf), ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 12v. Hollweck an Pacelli vom 22. Juli 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 11r–12v, hier 11r. Hervorhebungen im Original. Vgl. zu beiden Briefen Hollwecks auch Gatz, Ringen, S. 101f. Hollweck an Pacelli vom 22. Juli 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 11v. Hervorhebung im Original. 59

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seien Bischofseinsetzungen häufig auf direktem Verhandlungswege zwischen dem Heiligen Stuhl und der Regierung erledigt worden. Für Hollweck folgte daraus eine klare Entschärfung der juristischen Verbindlichkeit: „Das in Frage stehende ‚Recht‘ ist vielmehr eine tatsächliche, in einigen Fällen betätigte, also rein faktische Übung, welche sich versteht aus den von rein protestantischen Anschauungen beherrschten Regierungsgrundsätzen der preußischen Könige.“144 Diese hätten sich – so analysierte Hollweck weiter – als „Inhaber aller geistlichen Gewalt“145 gesehen, die sowohl das ius circa sacra als auch das ius in sacra146 ausübten. Da nun die Könige das letztere, das staatliche Kirchenregiment, an die katholischen Bischöfe hätten abtreten müssen, sei an dessen Stelle kompensatorisch eine stärkere Praxis des ersteren, „eine sogenannte Kirchenhoheit als jus majestaticum“147, getreten. Von dieser protestantischen Denkweise her, die Bischöfe als staatliche Beamte zu verstehen, erkläre sich die Einmischung der Regierung in die Besetzung der Bischofsstühle. Die Kurie sei sich dieser Anschauung bewusst gewesen und habe lediglich aus „Klugheitsrücksichten“148 gefordert, keine Personen zu wählen, gegenüber denen der Staat Bedenken geltend machen würde. Somit hätten „weder Übung noch Anerkennung … ein sog[enanntes] Kronrecht schaffen“149 können und auch jetzt müsse man von diesem Terminus Abstand nehmen, damit er staatlicherseits nicht als Anerkennung ausgelegt würde. Im zweiten Teil des Briefes entfaltete Hollweck seine Vorstellung darüber, wie mit künftigen Bistumsvakanzen umzugehen sei. Angesichts der erodierten politischen Situation in Deutschland sei es „überaus wünschenswert, dass sofort der h[eilige] Stuhl die Sache der Wiederbesetzung vollständig an sich zieht u[nd] durchführt“150. Er allein könne diesbezüglich eine „feste[n] und einheitliche[n] Leitung“151 garantieren. Aufgrund der vielfältigen politischen Interessen und der 144

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Hollweck an Pacelli vom 22. Juli 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 11v–12r. Hervorhebung im Original. Hollweck an Pacelli vom 22. Juli 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 12r. Bei diesen Rechten handelte es sich um Befugnisse, die dem Landesherrn, dem summus episcopus, über seine protestantische Landeskirche zukamen. Das ius in sacra bedeutete das Recht, den inneren Kultus und die Disziplin der Landeskirche zu ordnen. Diesem Recht der inneren geistlichen Kirchenleitung stand das ius circa sacra gegenüber, das die Macht über die äußere kirchliche Ordnung wie Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit, Ämterbesetzung, Vermögensverwaltung etc. gewährte. Vgl. Listl, Ius. Hollweck an Pacelli vom 22. Juli 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 12r. Hollweck an Pacelli vom 22. Juli 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 12r. Hervorhebung im Original. Hollweck an Pacelli vom 22. Juli 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 12r. Hollweck an Pacelli vom 22. Juli 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 12v. Hervorhebung im Original. Hollweck an Pacelli vom 22. Juli 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 12v. Hervorhebungen im Original. 60

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akademischen und akatholischen Einflüsse erfolge die Besetzung „besser auf Vorschläge hin, die eingeholt werden, als durch Wahlen u[nd] vorausgehende Verhandlungen der Wahlkörper mit den Regierungen …, welche dann in freier einheitlicher Würdigung aller Verhältnisse durch den heiligen Stuhl vollzogen werden kann“152. Diese Lösung hielt er für ganz Deutschland wünschenswert, weshalb es zu empfehlen sei, ein Reichskonkordat abzuschließen. Im zweiten Brief vom 7. August führte der Kanonist die beiden Postulate näher aus: keinerlei staatliche Einflussnahme mehr und die Ernennung der Bischöfe durch den Heiligen Stuhl.153 Auf keinen Fall dürfe die „staatliche Besoldung, die nur eine teilweise Restitution aus der in der Säkularisation154 … vollzogenen Beraubung der deutschen Kirche ist“ als Argument dafür gelten, dass ein wie auch immer gearteter staatlicher Einfluss zugelassen werde, zumal dieser auch „in Klerus u[nd] Volk durchgängig verhasst“155 sei. Konkret hieß das für ihn, kein Erinnerungsrecht durch die Vorlage einer Kandidatenliste bei den staatlichen Stellen oder eine Beteiligung eines Regierungskommissars beim etwaigen Wahlakt mehr zuzulassen. Bezüglich der innerkirchlichen Kompetenzaufteilung zwischen Heiligem Stuhl und Domkapitel fand Hollweck für letztere anerkennende Worte. Regelmäßig seien aus den Wahlen kompetente und eifrige Bischöfe hervorgegangen, allerdings nur, wenn die Wahlen frei waren: „Aber diese Freiheit der Wahl, die bloß kirchliche Interessen ins Auge fassen darf, wäre den Kapiteln in jeder Weise zu schützen, sie dürften nicht durch geheime Instruktionen, die auf diplomatischem Weg von den Regierungen in Rom erpresst wurden, durch Einreichung von Kandidatenlisten vor den Wahlen, durch Duldung der Anwesenheit von staatlichen Wahlkommissären bei denselben, gebunden werden, sodass die Wahlen selbst für die Kapitel eine wahre Qual sind. Sie sollen frei wählen, aber die Diplomatie hat vorher alle Wege geebnet, auf denen die Feinde der freien Wahl eindringen können, sodass mit ihnen fast immer ein wahrer Kampf um die Freiheit der Wahl erst durchgefochten werden muß.“156

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Hollweck an Pacelli vom 22. Juli 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 12v. Hervorhebung im Original. Vgl. Hollweck an Pacelli vom 7. August 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 13r–14v. Vgl. zur Säkularisation und zum Reichsdeputationshauptschluss Decot (Hg.), Säkularisation; Ders. (Hg.), Kontinuität; Müller, Säkularisation (1991); Ders., Säkularisation (2000); Raab, Untergang; Wolf, Katholische Kirchengeschichte, S. 91–109. Die wesentlichen Paragraphen des Hauptschlusses der außerordentlichen Reichsdeputation vom 25. Februar 1803 sind abgedruckt bei Huber/​​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 18f. (Nr. 5). Hollweck an Pacelli vom 7. August 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 13r und 13v. Hollweck an Pacelli vom 7. August 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 13v. Hervorhebungen im Original. 61

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Damit deutete der Eichstätter Professor gleichzeitig das Problem an, das seines Erachtens mit der Kapitelswahl verbunden war: Eine ausreichende Freiheit der Wahl gebe es nicht. Deshalb hielt er es am zweckmäßigsten, wenn in allen deutschsprachigen Gebieten die Bistumsbesetzungen durch eine päpstliche Ernennung gemäß Can. 329 § 2 erfolgten. Praktisch dachte Hollweck an ein Vorschlagsrecht der Domkapitel von wenigstens drei Kandidaten, an die die Kurie bei ihrer Ernennung jedoch nicht gebunden sein sollte. So könnten auch die Interventionen aller „Nebenregierungen“ – der Kanonist hatte offenbar vor allem die Zentrumspartei im Sinn157 – vermieden werden. Geeignete Kirchenmänner  –  und das Kriterium für ihre Dignität war im Sinne Hollwecks das sentire cum ecclesia – seien letztendlich nur sicher durch die monokausale päpstliche Einsetzung zu erreichen. Im Relationsgefüge von Staat, Kurie und Ortskirche optierte Hollweck demnach für eine grundsätzliche, unbedingte libertas ecclesiae vom Staat und eine prinzipielle Privilegierung der Domkapitel zur Wahl, die aufgrund der konkreten Umstände aber praktisch von einem römischen Zentralismus aufgehoben werden musste. Pacelli, der am 8. August aus seinem Schweizer Exil nach München zurückgekehrt war,158 qualifizierte das zweiteilige Gutachten Hollwecks, das er am 13. August an Gasparri übersandte, als „ausführlich und erschöpfend“159. Er stimmte also mit dem deutschen Kanonisten grundsätzlich überein.160 Wie dieser unterschied er eine doppelte Fragestellung: 1) Sind die Domkapitel Preußens noch an die Vorschriften der Zirkumskriptionsbullen gebunden, nach denen sie sich vor der Wahl bei der staatlichen Autorität versichern mussten, dass ihr Votum nicht auf eine minder genehme Person fallen werde? Es war also die Problematik, ob die Zugeständnisse, die ehemals den Fürsten gewährt wurden, auf die neuen Regierungen übergegangen waren. 2) Sollte den Domkapiteln das Bischofswahlrecht behalten werden oder nicht?

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Vgl.: „Die politischen Parteien, die sich als besondere Verfechter kirchlicher Interessen bei solchen Gelegenheiten in den Vordergrund drängen, sind ebenso abzuweisen als andere Einflüsse. Die geistlichen Streber wissen sich gerade der politischen Parteien zu ihren Zwecken u[nd] ihren Interessen zu bedienen. Fort mit all diesen Nebenregierungen!“ Hollweck an Pacelli vom 7. August 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 14r. Hervorhebungen im Original. Vgl. Feldkamp, Pius XII., S. 35. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 13. August 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 6r–10v, hier 9r. Noch deutlicher wurde Pacelli in seinem Dankesschreiben an den Kanonisten: „Kann Euer Gnaden nicht genug danken für die Liebenswürdigkeit, mit der Sie in bereitwilliger Weise meine Wünsche erfüllten, durch die überaus lichtvolle und klare Darstellung der Verhältnisse … Sicher wird die göttliche Vorsehung manches ebnen und richten, was die Menschen nicht ganz gut gemacht haben.“ Pacelli an Hollweck vom 12. August 1919 (Entwurf), ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 18r. 62

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1) Für Pacelli war die Geltung der alten staatlichen Privilegien beendet. Vom CIC her könne man nicht behaupten, dass das den staatlichen Herrschern damals gewährte Recht der Exklusive auf die republikanische Regierung übergegangen sei: „Es handelt sich, tatsächlich, um ein verachtenswertes Privileg, welches die Freiheit der Kirche beschränkt in einer der sehr delikaten und wichtigen Handlungen, welche die Bischofswahl ist, und deshalb scheint es, dass es nicht von den alten Herrschern, denen es gewährt war, auf die aktuelle Regierung übergehen kann, ohne eine wenigstens stillschweigende neue Genehmigung des Heiligen Stuhls.“161

Angesichts des Vormarsches der Sozialisten in Deutschland sei eine solche „stillschweigende“ Konzession jedoch inopportun und sogar gefährlich. Dem Nuntius schwebte wohl ein Szenario vor, dass eine sozialistische Regierung – das heißt Vertreter einer der katholischen Doktrin und Sittenlehre widersprechenden politischen Ideologie – Einfluss auf diesen Kernpunkt des kirchlichen Lebens und der Hierarchie gewinnen könnte.162 Obwohl durch den Artikel 137 der zur selben Zeit in Kraft tretenden WRV163 das Deutsche Reich vollständig auf jedwede Mitwirkung bei der kirchlichen Ämterbesetzung verzichtete, mahnte der strategisch denkende Nuntius zur Zurückhaltung: Um „noch mögliche Überraschungen, Schwierigkeiten und Komplikationen zu vermeiden“164 möge der Heilige Stuhl eine offizielle Stellungnahme hinauszögern, bis die Verfassung in den einzelnen Ländern effektiv angewendet werde. Das bedeutete faktisch eine stillschweigende Duldung des Einflusses bis zu diesem Zeitpunkt. 2) Auch in der Antwort auf die zweite Frage, die sich im Anschluss an die Eliminierung des staatlichen Einflusses stellte, schloss sich Pacelli der Analyse Hollwecks an: Die päpstliche Bischofsernennung nach Can. 329 § 2 sei der Kapitelswahl klar vorzuziehen. Allerdings zog der Nuntius die deutschen circumstantiae in seine Erwägungen mit ein und riet wiederum zur Vorsicht: Zunächst einmal hätten die Wahlen stets gute Ergebnisse erzielt, man „muss sogar anerkennen, dass die Bischöfe

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„Trattasi, infatti, di privilegio odioso, il quale restringe la libertà della Chiesa in uno degli atti più delicati ed importanti, quale è la scelta dei Vescovi, e quindi sembra che non possa passare dagli antichi Principi, cui fu accordato, all’attuale Governo senza una nuova concessione almeno tacita della Santa Sede.“ Pacelli an Gasparri vom 13. August 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 9r-v. Die Sorge auf kirchlicher Seite galt insbesondere auch den Konsequenzen auf dem Feld der Kulturpolitik. Vgl. dazu Hürten, Kirchen. Vgl. zur WRV beziehungsweise dem kirchlichen Kontext am Vorabend beispielsweise Büttner, Weimar, S.  339–348; Gerber, Verfassungsstreit; Huber/​​Huber (Hg.), Staat und Kirche IV, S.  107–135; Huber, Verfassungsgeschichte VI; Hürten, Katholiken, S.  13–85; Ruppert, Katholizismus; Ziegert (Hg.), Kirchen. „… di evitare ancor possibili sorprese, difficoltà e complicazioni …“ Pacelli an Gasparri vom 13. August 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 9v. 63

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Preußens aktuell alle, ohne Ausnahme, würdige und eifrige Hirten sind“165. Sodann handle es sich um ein altes Privileg, dessen Aufhebung in Deutschland Schmerz und Unverständnis hervorrufen würde, zumal es mancherorts in Österreich und der Schweiz noch bestehe.166 Um dieser Unzufriedenheit aus dem Wege zu gehen, sei es klug, zum einen die deutschen Bischöfe über die beste Vorgehensweise bei dieser Änderung zu befragen167 und zum anderen den Kapiteln eventuell ein Partizipationsrecht bei der Bestellung der neuen Oberhirten zu gewähren. Pacelli dachte dabei an das von Hollweck vorgeschlagene Propositionsrecht einer Terna, ohne jedoch den Papst an diese zu binden.

Kuriales Taktieren Offensichtlich fand der Rat Pacellis zu einem abwartenden Vorgehen in der römischen Kurie Zustimmung. Zumindest zeigte Rom zunächst keine Reaktion auf die Überlegungen des Nuntius. Erst am 14. Oktober gab der Kardinalstaatssekretär im Kontext einer Kanonikatsbesetzung in Kulm zu verstehen, dass aufgrund der besonderen Umstände der Heilige Stuhl den preußischen Bischöfen die Vollmacht gewähre, die vakanten Kanonikate zu besetzen, selbst wenn dabei eine Kooperation mit dem Staat notwendig wäre.168 Damit tat Gasparri dem Vorschlag des Kölner Erzbischofs, mit dem staatlichen Einfluss zu leben, Genüge.169 Ein Präzedenzfall sollte daraus aber nicht abzuleiten sein. Mit die165

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„Bisogna anzi riconoscere che i Vescovi della Prussia sono attualmente tutti, senza eccezione, degni e zelanti Pastori.“ Pacelli an Gasparri vom 13. August 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 10r. Das Kapitelswahlrecht existierte in Basel, Chur und St. Gallen (Schweiz) sowie in Salzburg und Olmütz (Österreich). Vgl. zusammenfassend dazu Hartmann, Bischof, S.  53–58, 80–83; Link, Besetzung, S. 222–226 u. ö.; Maritz, Bischofswahlrecht; Mörsdorf, Besetzungsrecht, S. 154–159; Stutz, Stand, S. 9f. Anm. 6, 16 Anm. 5. Dass der preußische Episkopat sich einhellig für die Bischofswahlen durch die Domkapitel aussprach und damit an einer strategisch-klugen Änderung des bestehenden Modus kein Interesse haben konnte, schien Pacelli hier noch nicht klar zu sein. Offenbar hatte der Münchener Nuntius bei dem hier gemachten Befragungsvorschlag den bayerischen Episkopat vor Augen, der anders als seine preußischen Amtsbrüder das Bischofswahlrecht ablehnte. Vgl. dazu Bd. 3, Kap. II.2.1 (Der bayerische Episkopat und die Besetzung der bischöflichen Stühle). Vgl. Gasparri an Pacelli vom 14. Oktober 1919, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 28rv, hier 28v. Benedetto Ojetti SJ, Konsultor der AES, verfasste anlässlich der Vakanz der beiden Kölner Kanonikate ein Gutachten zu diesem Thema. Vgl. Gutachten Ojettis zum Kirche-Staat-Verhältnis in Preußen ohne Datum, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 54–58. Darin erklärte er, dass jeder staatliche Einfluss nach der Promulgation der WRV rechtlich unbegründet sei. Doch könne die Wiederbesetzung der beiden vakanten Kölner Kanonikate nicht mehr frei angegangen werden – „la cosa è vulnerata“ (S. 57) –, weil Kardinal Hartmann die Idoneitätszeugnisse für die beiden favorisierten Kandidaten ausgestellt und damit implizit die bisherige Regelung anerkannt habe. Diese sah vor, dass die Regierung die Namen nun dem Heiligen Stuhl zur Absegnung präsentierte. Da die staatliche Einmischung nicht mehr 64

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ser Anweisung schritt Gasparri faktisch zur Umsetzung des Can. 403 des CIC170, denn dieser überließ die Besetzung der Kanonikate und Benefizien unter Anhörung des Kapitels dem Diözesanbischof. Allerdings war eine staatliche Beteiligung – wie zuvor in den „päpstlichen“ Monaten – im kirchlichen Gesetzbuch nicht vorgesehen. Dass die recht unspezifische Order Gasparris intendiert war, um „der Frage, ob die Regierung das dem ehemaligen Könige zugestandene Recht der Designation in ungeraden Monaten auszuüben befugt sei“171, aus dem Weg zu gehen, liegt auf der Hand und war auch damals kein Geheimnis. Jedenfalls gab Pacelli die römische Anordnung an Hartmann weiter, der bereits seit Ende März auf eine Klärung dieser Angelegenheit wartete.172 Der Kölner Erzbischof sollte diese Nachricht an seine preußischen Konbischöfe weitergeben, was dieser am 27. Oktober tat.173 Noch

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zu verhindern sei, überlegte Ojetti, wie man mit der Situation umgehen müsse. Ein Ablehnung der Regierungsanfrage hielt er für zu barsch. Andererseits dürfe man die staatliche Präsentation der neuen Kanoniker auch nicht einfach hinnehmen. Er schlug zwei mögliche Verhaltensweisen vor: Einmal könnte man die Nominierung akzeptieren und zur Besetzung der Kanonikate schreiten, wobei man ausdrücklich ergänzen sollte, dass der Heilige Stuhl das in der alten Zirkumskriptionsbulle dem preußischen König gewährte Nominationsprivileg nicht mehr für gültig halte. Man nehme die Kandidaten nur an, um der Regierung etwas Angenehmes zu tun. Die zweite Variante bestand für Ojetti darin, zu antworten, dass der Erzbischof von Köln von Rechts wegen für die freie Besetzung zuständig sei. Damit folgte er den Bestimmungen des CIC und in diese Richtung ging auch die nun von Gasparri vorgegebene Lösung. Darin hieß es: „Exceptis dignitatibus, ad Episcopum pertinet, audito Capitulo, conferre omnia et singula beneficia ac canonicatus in ecclesiis tum cathedralibus tum collegialibus, reprobata quavis contraria consuetudine et revocato quolibet contrario privilegio, sed firma contraria fundationis lege et praescripto can. 1435.“ Can. 403 CIC 1917. Vgl. auch Trippen, Domkapitel, S. 479f. So äußerte sich Anfang des Jahres 1922 Kardinal Bertram, der vom Nuntius zu erfahren suchte, ob die Regelung für die Kanonikate auch für die Dompropstei galt. Vgl. Bertram an Pacelli vom 19. Januar 1922, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 100r. Vgl. Pacelli an Hartmann vom 20. Oktober 1919 (Entwurf), ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 19r. Vgl. auch Trippen, Domkapitel, S. 478f. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 480f. Dass die Ungewissheit über das Prozedere der Kanonikatsbesetzungen auf Seiten der preußischen Domkapitel damit jedoch keineswegs beseitigt wurde, zeigen verschiedene Anfragen in den folgenden Monaten. So wusste Domdekan Georg Hilpisch aus Limburg nicht, ob anlässlich der Wiederbesetzung eines vakanten Kanonikats der preußischen Regierung die Kandidatenliste präsentiert werden musste. Vgl. Hilpisch an Pacelli vom 27. Dezember 1919, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 37rv. Die gleiche Frage bewegte geraume Zeit später die Bischöfe von Münster und Fulda. Vgl. Poggenburg an Pacelli vom 13. September 1920, ebd., Fol. 43rv; Schmitt an Pacelli vom 29. Dezember 1920, ebd., Fol. 68r–69v. Den Bischof von Paderborn beschäftigte später die Frage, ob die Regelung auch auf die Besetzung der Dignitäten zu applizieren sei. Vgl. Klein an Pacelli vom 20. März 1922, ebd., Fol. 102rv. Zuvor auch ähnlich Kardinal Bertram. Vgl. Bertram an Pacelli vom 19. Januar 1922, ebd., Fol. 100r. Ähnliche Anfragen kamen auch aus Freiburg, Rottenburg, Mainz etc. Da eine endgültige Lösung erst mit dem Abschluss eines Konkordats (sei es ein preußisches oder für das gesamte Reich) zu erwarten war und dieser noch lange auf sich warten sollte, blieb die Ungewissheit – genau wie bei den Bischofseinsetzungen – auch in den folgenden Jahren bestehen. Nachdem Bischof Damian Schmitt von Fulda 1925 über das korrekte Vorgehen bei der Wiederbesetzung des Domdekanats Instruktionen verlangt hatte, erklärte Pacelli grundsätzlich, „dass 65

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wichtiger war dem Kardinal damals aber die genaue Verhaltensanweisung im Falle eines vakanten Bischofsstuhls gewesen. Darauf bekam er keine Antwort. Sicherlich kann man mit Norbert Trippen im Übergehen der wichtigeren zweiten Frage zum Bischofswahlrecht eine „altbewährte kuriale Praxis“174 sehen, welche die Sachlage in der Schwebe hält. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass in Rom – trotz der Überlegungen Hollwecks und Pacellis im Sommer – eine endgültige Entscheidung über die zukünftige Regelung der Bischofseinsetzungen noch nicht gefällt war. Nachdem der Kölner Erzbischof von der Erlaubnis erfahren hatte, unabhängig von Rom die Investitur von Kanonikern zu handhaben, stellte er am 26. und 28. Oktober die Einsetzungsdokumente für Ott und Graf von Spee aus und sandte sie am 31. des Monats zusammen mit der römischen Bevollmächtigung an den Koblenzer Oberpräsidenten, Rudolf von Groote.175 Hartmann, der inzwischen schwer erkrankt war, suchte auf diese Weise das – von Gasparri konzedierte – Einvernehmen mit dem Staat, das er als eine praktikable Vorgehensweise ansah und aufgrund der einmütig beantworteten Kandidatenfrage seiner Ansicht nach ohnehin nahe lag. So konnten die Genannten am 22.  November dem Kölner Metropolitankapitel hinzugefügt werden, nachdem fünf Tage zuvor das preußische Kultusministerium das Kapitel über die Ernennung der Kandidaten durch die Regierung informiert hatte.

Der Tod des Kölner Erzbischofs Felix von Hartmann Einige Tage zuvor aber, am 11. November 1919, war Hartmann gestorben. Das Kölner Metropolitankapitel informierte darüber umgehend Papst Benedikt XV., zunächst mittels eines Telegramms,176 so-

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sich in den letztvergangenen Jahren verschiedene Hochwürdigste deutsche Bischöfe und Domkapitel gelegentlich der Erledigung des betreffenden Domdekanates in Anbetracht des Can. 396 § 1 an den Heiligen Stuhl gewandt haben, der jeweils die Ernennungs- b[eziehungsweise] Wahlvollmacht gewährt hat, immer indessen mit der Klausel pro illa vice et sine praeiudicio futuri temporis.“ Pacelli an Schmitt vom 16. Januar 1925 (Entwurf), ebd., Fol. 120rv, hier 120r. Hervorhebung im Original. Trippen, Domkapitel, S. 479. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 480f. Vgl. Middendorf an Benedikt XV. vom 11. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 2r. Middendorf telegraphierte diese Nachricht ebenfalls an den Nuntius, der sie seinerseits nach Rom weiterreichte. Vgl. Middendorf an Pacelli vom 11. November 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 1, Fol. 135r. Die feierlichen Exequien wurden auf den 18. November festgesetzt, zu denen auch Pacelli eingeladen wurde. Vgl. Middendorf an Pacelli vom 11. November 1919, ebd., Fol. 136r. Am folgenden Tag drückte der Nuntius dem Metropolitankapitel seine Anteilnahme aus „wegen Hinscheidens Eminenz heiligem Stuhl treu ergebensten und für kirchliche Interessen besorgtesten Kardinalerzbischofes von Hartmann“. Pacelli an Middendorf vom 12. November 1919 (Entwurf), ebd., Fol. 138r. Kurz vor Monatsende bedankte sich Middendorf für das Kondolenzschreiben des Nuntius. Vgl. Middendorf an Pacelli vom 25. November 1919, ebd., Fol. 139r. 66

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dann am Folgetag über Nuntius Pacelli mit einem ausführlichen Brief.177 Die Kapitulare blickten voll Verehrung auf den fast siebenjährigen Pontifikat Hartmanns zurück, in dem dieser sich als frommer Mann, Gott untertänig, eifrig im Gebet, wachsam zum Schutz der Herde und als ein treuer Hüter des Glaubensgutes erwiesen habe.178 Die Absender erbaten die Fürbitte des Heiligen Vaters für die Seele des Verstorbenen, aber auch für die verwaiste Herde, sodass ihr „bald ein neuer Hirte nach dem Herzen Gottes und Beispiel Christi an die Spitze gestellt werde“179. Sie selbst bedürften ganz besonders des Apostolischen Segens, denn – und damit machte das Kapitel schon seine Position in der Frage der Besetzung des vakanten Stuhls klar – auf ihnen „lastet nun, den neuen Erzbischof zu wählen“180.

Die Position der staatlichen Autorität und die Wahl Joseph Vogts zum Kapitularvikar Durch die erste Vakanz eines deutschen Bistums nach Verabschiedung der WRV bekamen die Spekulationen über die Kompetenzverteilung von Kurie, Domkapitel und Regierung bei der Wiederbesetzung neue Nahrung. Ein Artikel im Kölner Stadtanzeiger vom 11. November beurteilte die Möglichkeit der preußischen Regierung, Einfluss zu nehmen, angesichts des Artikels 137 der neuen Verfassung als skeptisch.181 Der seit Mai 1919 beim Heiligen Stuhl akkreditierte preußische Gesandte Diego von Bergen, der zu dieser Zeit in Lugano auf die Einreisegenehmigung nach Italien wartete, warnte hingegen in einem Telegramm an das Auswärtige Amt davor, Domkapitel und Kurie freie Hand zu lassen, weil so „ein für uns in Zukunft unbequemer Präzedenzfall entstehen“182 könnte. Als Kandidaten veranschlagte er unumwunden den „hervorragenden und national

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Vgl. Metropolitankapitel an Benedikt XV. vom 11. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 3rv. Vgl. die Bitte um Weiterleitung an den Pontifex Middendorf an Pacelli vom 12. November 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 2r sowie die Bestätigung Pacelli an Middendorf vom 17. November 1919 (Entwurf), ebd., Fol. 8r. Vgl. Metropolitankapitel an Benedikt XV. vom 11. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 3r. „... mox praeficiatur novus pastor secundum cor Dei et exemplar Christi.“ Metropolitankapitel an Benedikt XV. vom 11. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 3v. „… quibus novum Archiepiscopum eligere jam incumbit …“ Metropolitankapitel an Benedikt XV. vom 11. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 3v. Dass man in der Kurie dies auch als Positionierung des Kapitels verstand, ergibt sich daraus, dass dieser Passus als einziger des gesamten Schreibens unterstrichen wurde. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 482. Bergen an das Auswärtige Amt vom 11. November 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 483. 67

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gesinnten Bischof Schulte in Paderborn“183. Dass der Staatsbeamte Karl Joseph Schulte vorschlug, ist nicht überraschend, da bereits dessen Promotion auf den Paderborner Bischofsstuhl 1910 von der preußischen Regierung gern gesehen wurde, insofern man in ihm einen Mann von „unbedingte[r] Staatstreue“184 erkannte. Weil sie Bischöfe dieses Kalibers wünschte, war die preußische Regierung keinesfalls bereit, den durch die päpstlichen Rundschreiben aus den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts verbürgten Einfluss auf die Besetzung der Bistümer einfach aufzugeben. Durch Artikel 137 WRV seien dieselben in ihrer rechtlichen Geltung nicht eingeschränkt worden, wie eine Besprechung nach dem Tod Hartmanns zwischen den entsprechenden Stellen der preußischen und der Reichsregierung einmütig feststellte.185 Sie hofften dabei auf eine Koalition mit den Protagonisten der deutschen Kirche, „weil die Domkapitel auf Grund dieser Dokumente noch das Wahlrecht hätten, während der CJC dem Papst das Recht der freien Bischofsernennung vorbehalte“186. Als Hauptkandidaten auf der Liste des Kölner Kathedralkapitels vermuteten die Regierungsstellen neben dem schon genannten Schulte, den sie selbst favorisierten, den ebenfalls genehmen Münsteraner Dompropst und Professor Joseph Mausbach. Um direkt den Willen der Einflussnahme auf die Wiederbesetzung zu bekunden, bestimmte die preußische Regierung bereits am 12. November Groote, den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, zum Regierungskommissar für die Wahl.187 Der Unterstaatssekretär im Kultusministerium, Carl Heinrich Becker, gab diesem drei Tage später die Handlungsdirektive mit auf den Weg, dass „unbeschadet der der Preußischen Staatsregierung zustehenden völkerrechtlich begründeten Rechte die Zeitverhältnisse und der Geist des Artikel 137 Absatz 3 183

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Bergen an das Auswärtige Amt vom 11. November 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 483. Aus Angst vor den separatistischen Bewegungen im Westen und Osten Deutschlands richtete sich das Regierungsinteresse „auf einen national gesinnten Mann als neuen Erzbischof …, der mit der Autorität seines Amtes die Positionen der deutschen Politik unterstützte“. Golombek, Vorgeschichte, S. 1. Dass man sich in Schulte nicht täuschte, rekapitulierte der Paderborner Dompropst Paul Simon 1935 überschwänglich: „Auch die deutsche Regierung setzte ihre Hoffnung auf ihn, weil sie wußte, daß von der Haltung des Erzbischofs von Köln unendlich viel für das ganze Deutsche Reich und seiner Einheit abhing. … [man wird] erkennen, mit welch männlich-entschiedener Festigkeit der Erzbischof seine Stellung gegenüber den Besatzungsbehörden wahrte und wie es schließlich seinem energischen Einspruch gegenüber dem Vertreter Frankreichs zu verdanken war, daß die unseligen Pläne einer rheinischen Republik scheiterten.“ Simon, Karl Joseph Schulte, S. 25. Hehl, Karl Joseph Kardinal Schulte (2001), S. 64. Vgl. zur Paderborner Bischofswahl 1909/​​10 Hohmann, Domkapitel; Hirschfeld, Bischofswahlen, S. 179–187. Auch anlässlich der Besetzung des Kölner Erzbischofsstuhls 1912, als Schulte auf der Kandidatenliste des Metropolitankapitels stand, erhielt er vom zuständigen westfälischen Oberpräsidenten, Karl Prinz von Ratibor-Corvey, eine äußerst positive Bewertung. Vgl. ebd., S. 94. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 483. Trippen, Domkapitel, S. 483. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 483. 68

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der neuen Reichsverfassung eine zurückhaltende Wahrnehmung des Eurer Exzellenz übertragenen Amtes nahe legen“188. Das Metropolitankapitel wählte in der Sitzung vom 12. November, dem Tag nach dem Tod Hartmanns, Generalvikar Joseph Vogt zum Kapitularvikar und ersuchte die preußische Regierung um das vorgeschriebene Plazet.189 Vogt benachrichtigte am 13.  November den Nuntius von seiner Amtsübernahme190 und übermittelte ihm gleichzeitig eine Anzeige für Gasparri.191 Darin skizzierte er seine Vorstellungen von den notwendigen Qualitäten des neuen Erzbischofs: „In diesen sehr traurigen Zeiten, wo wir durch größte Schwierigkeiten von überall her bedrängt werden, bedarf die verwaiste Erzdiözese einen neuen Hirten, der, dem verstorbenen vielgeliebten Erzbischof an Klugheit, Frömmigkeit, rechtem Glauben und frommer Anschließung an den Heiligen Apostolischen Stuhl gleich, die Herde, die ihm anvertraut ist, treu hüten könnte.“192

Der Heilige Stuhl wollte sich aber die Initiative nicht aus der Hand nehmen lassen. Bevor Gasparri diese Nachricht erreichte, forderte er Pacelli am 13. des Monats auf, dem Kapitel die Erlaubnis zur Wahl des Kapitularvikars zu überbringen.193 Zu Recht weist Norbert Trippen darauf hin, dass eine 188 189

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Becker an Groote vom 15. November 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 483. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 484. Sowohl das „Preußische Gesetz über die Verwaltung erledigter katholischer Bistümer“ vom 20. Mai 1874 als auch das „Gesetz betreffend Abänderung der kirchenpolitischen Gesetze“ vom 14. Juli 1880 schrieben für die Bestellung des Kapitularvikars die staatliche Genehmigung vor. Vgl. Huber/​​Huber (Hg.), Staat und Kirche II, S. 635–638 (Nr. 300) sowie S. 818f. (Nr. 387). Vgl. auch Franz, Kulturkampf, S. 223–240. Vgl. Vogt an Pacelli vom 13. November 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 3rv. Vgl. Vogt an Gasparri vom 12. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 4rv. Pacelli leitete dieses Schreiben sofort an Gasparri weiter, wie er gegenüber Vogt am 18. November versicherte. Dabei entrichtete er dem Neugewählten auch seine Glückwünsche zum Amt des Kapitularvikars und sagte ihm im Rahmen seiner Möglichkeiten seinen Beistand zu. Gleichzeitig bekundete der Nuntius erneut seine hohe Verehrung für den verstorbenen Kardinal, „ist doch der Hochselige immer mutig vorangegangen, wenn es sich handelte, die Rechte und das Ansehen der Kirche zu verteidigen und wie sehr war er kindlich ergeben gegen den h[eiligen] Stuhl und gegenüber der hochverehrten Person des h[eiligen] Vaters“. Pacelli an Vogt vom 18. November 1919 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 9rv, hier 9r-v. „In hisce tristissimus temporibus, ubi gravissimis undique premimur difficultatibus, archidioecesis viduata novo indiget Pastore, qui defuncto praedilecto Praesuli prudentia, pietate, fide orthodoxa et pia adhaesione in Sanctam Sedem Apostolicam aequalis gregem sibi commissum fideliter possit custodire.“ Vogt an Gasparri vom 12. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 4r. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 13. November 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 4r. Der Entwurf dieses Schreibens wurde mit dem Prädikat „Urgente“ versehen, was verdeutlicht, dass man in Rom ein voreiliges Handeln des Kölner Kapitels unbedingt verhindern wollte. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 13. November 1919 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 5r. 69

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dem Kapitel qua CIC zukommende Befugnis damit zu einem Privileg herabgestuft wurde.194 Was die „Ernennung des Erzbischofs“ (nomina Arcivescovo) anbelangte, sollte das Kapitel noch später folgende Instruktionen aus Rom abwarten.195 Unter dem Datum des 15. November reichte Pacelli diese Weisungen in zwei separaten Schreiben an das Kölner Kapitel weiter.196 Eine Woche später gab dieses dem Münchener Nuntius zu verstehen, dass es die Wahl des Kapitularvikars bereits vorgenommen habe, bevor die Anweisung aus Rom eingetroffen sei und diese Vorgehensweise sowohl als sein Recht als auch als seine Pflicht verstanden habe.197 Von Seiten der Kurie waren in der Frage der Bischofseinsetzungen im Anschluss an das Gutachten Hollwecks und die Überlegungen Pacellis noch keine Anordnungen erlassen worden. Im August hatte der Nuntius dem Kardinalstaatssekretär geraten, mit einer Klärung der Ämterbesetzung zu warten, bis die WRV mit dem für die Kirche vorteilhaften Artikel 137 in den einzelnen Ländern Aufnahme gefunden habe. Diese Überlegung wurde gespeist durch ein Zusammentreffen verschiedener deutscher Kultusminister im Berliner Reichsinnenministerium im Oktober des Jahres. Von dieser Konferenz erfuhr Pacelli durch den bayerischen Kultusminister Johannes Hoffmann. Dort erklärten die Minister zum einen, „dass die internationalen Verträge, zu denen auch die Konkordate gehören, in Kraft bleiben, insoweit sich ihre Bestimmungen nicht in Widerspruch mit jenen der Verfassung befinden“198. Zum anderen proklamierten sie, dass der Absatz 3 des genannten Artikels über die kirchliche Autonomie der Ämterbesetzung nicht in Kraft gesetzt sei, bis die einzelnen Länder ihn in ihre Rechtsgrundlage integriert hätten. Die Regierungen stützten sich dabei auf den Absatz 8 des Artikels.199 Pacelli betrachtete die staatliche Argumentation als „im ganzen merkwürdig und unfundiert“200, wie er am 15. November 1919 an das Staatssekretariat schrieb. Deshalb habe er – wie er berichte194 195 196

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Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 485. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 13. November 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 4r. Vgl. die Erlaubnis zur Wahl des Kapitularvikars Pacelli an Middendorf vom 15. November 1919 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 6r; die Aufforderung, weitere Order des Kardinalstaatssekretärs abzuwarten, Pacelli an Middendorf vom 15. November 1919 (Entwurf), ebd., Fol. 7r. Vgl. Middendorf an Pacelli vom 22. November 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 11r. „… che i trattati internazionali, fra i quali i più annoverano anche i Concordati, rimangono in vigore, in quanto però le loro disposizioni non trovansi in opposizione con quelle della Costituzione.“ Pacelli an Gasparri vom 30. Oktober 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Baviera, 1918–1922, Pos. 72, Vol. I, Fol. 8r–23v, hier 9r. Vgl. dazu Bd. 3, Kap. II.2.1 (Pacelli bei Hoffmann). „Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.“ Art. 137, Abs. 8 der WRV, Huber/​​Huber (Hg.), Staat und Kirche IV, S. 130. Vgl. dazu auch Volk, Reichskonkordat, S. 2–4. „… del tutto strana ed infondata …“ Pacelli an Gasparri vom 15. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 27r–28r, hier 27v. 70

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te – bereits im August des Jahres Mausbach darüber befragt, der nicht nur Mitglied der Nationalversammlung,201 sondern auch als Berichterstatter zu den Kirchenartikeln tätig war. Dieser habe versichert, dass sich der Absatz 8 des Artikels 137 nur auf die vorangehenden Absätze 5 bis 7 beziehe, nicht jedoch auf den staatlichen Verzicht auf die Mitwirkung an der kirchlichen Ämterbesetzung, wie ihn der Absatz 3 konstituierte. Für diesen sei eine weitere Regelung, welche nach Absatz 8 die Landesgesetzgebung besorgen müsse, nicht erforderlich. Da für Pacelli die staatliche Interpretation angesichts dessen nicht nur haltlos, sondern auch „ein heimtückischer Versuch gewesen sein könnte, die vollständige Beseitigung des Einflusses der bürgerlichen Autorität auf die erwähnten Besetzungen aufzuschieben oder zu verringern“202, hatte er Mausbach gebeten, in der Nationalversammlung eine klärende Korrektur dieser Sicht zu erwirken. Aber angesichts der skizzierten Argumentation und der Ansicht zur Fortgeltung der Konkordate hegte Pacelli keinen Zweifel, „dass die preußische Regierung die Bestimmungen der Bulle ‚De salute animarum‘ mit dem beigefügten Breve ‚Quod de fidelium‘ auch hinsichtlich der Bischofswahlen noch immer in Geltung betrachtet“203. Er glaubte, sie werde diese Position so lange aufrecht erhalten, bis eine endgültige Klärung der Angelegenheit stattgefunden habe. In Anbetracht der brandaktuellen Entwicklung in Köln hielt der Nuntius diese Informationen als Ergänzung zu seinen prinzipiellen Erwägungen vom 13. August für notwendig. Die staatliche Vorstellung stand nicht zur Disposition, wie ein innerpreußischer Schriftwechsel einige Tage darauf deutlich macht. Der preußische Gesandte Bergen telegraphierte am 22. November nach Berlin, dass die Kurie mit Schulte als neuem Erzbischof von Köln einverstanden sei und man sich daher einvernehmlich auf diesen Kandidaten einigen solle, um „unfruchtbare akademische Erörterungen über [den] neuen Rechtszustand“204 vermeiden zu können. Dieser Vorschlag implizierte faktisch, das Wahlrecht des Domkapitels und letztlich die Rechtsgrundlage der Bulle selbst auszuhebeln. Daher ging Berlin auf diese Überlegung nicht ein, sondern beharrte vielmehr auf der Fortgeltung der bisherigen Regelung, die wegen ihres völkerrechtlichen Charakters von der WRV nicht tangiert worden sei, wie Unterstaatssekretär Edgar von Haniel aus dem Auswärtigen Amt antwortete.205 Haniel sprach von einer Interessenkonvergenz der Kölner Partikularkirche 201 202

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Vgl. zur Rolle Mausbachs in der Weimarer Verfassunggebenden Nationalversammlung Ribhegge, Kirche. „… la quale potrebbe essere stata anche un subdolo tentativo per ritardare o diminuire la completa soppressione delle ingerenze dell’Autorità civile nelle menzionate provviste.“ Pacelli an Gasparri vom 15. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 27v–28r. „… che il Governo prussiano consideri come tuttora vigenti le disposizioni della Bolla ‚De salute animarum‘ coll’annesso Breve ‚Quod de fidelium‘ anche circa le elezioni vescovili …“ Pacelli an Gasparri vom 15. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 28r. Bergen an das Auswärtige Amt vom 22. November 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 485. Vgl. Haniel an Bergen vom 23. November 1919, abgedruckt bei Trippen, Domkapitel, S. 486. 71

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mit dem Staat gegenüber Rom. Das Kapitel sei bereit, ohne jede kuriale Einmischung einen national gesinnten Mann zu wählen. Laut Haniel versuchte die Regierung auf vertraulichem Wege zu verhindern, dass Mausbach auf die Kandidatenliste der Domherren gelangte, weil sie befürchtete, er könnte aus theologischen oder politischen Gründen in der Kurie Anstoß erregen. Demgegenüber sollte jede päpstliche Intervention grundlos gemacht werden. Die „größte[n] Aussichten“206 sprach der Unterstaatssekretär daher Schulte zu.

Das Bemühen des Domkapitels zur Bewahrung des Wahlrechts Die zumindest faktische Koalition von „Berlin“ und „Köln“ gegen „Rom“ stand außer Frage.207 Das Kölner Metropolitankapitel bestand genauso wie die Regierung auf der Persistenz des in der Zirkumskriptionsbulle verbürgten Wahlrechts des neuen Erzbischofs inklusive der Befugnis des Staates, minder genehme Kandidaten zu streichen. Daher gab es sich mit der Anweisung, auf weitere Instruktionen des Heiligen Stuhls zu warten, nicht zufrieden. Dompropst Middendorf versuchte stattdessen, Papst Benedikt XV. am 24. November brieflich von der eigenen Sicht der Dinge zu überzeugen.208 Für das Kapitel stellte sich die Situation wie folgt dar: 1) Der Artikel 137, Absatz 3 WRV habe „nur einen leitenden Rechtsgedanken ausgesprochen, nicht aber jetzt schon geltendes Recht geschaffen. Das kann nur durch die Preußische Staatsverfassung geschehen, die bisher noch nicht erlassen ist.“209 2) Die Regierung sei bereit, die auf Grund der Bulle ihr obliegenden Verpflichtungen zum Unterhalt der Bistümer bis zur verfassungsmäßigen Neuregelung zu erfüllen und versichere, dass „sie die von uns für die Erzbischofswahl aufzustellende Kandidatenliste keinerlei Beanstandung unterziehen wird“210. 3) Sollte Rom die Wahl verweigern, bestehe die akute Gefahr, dass Preußen die finanzielle Unterstützung der Bistümer einstellen werde. Zudem sei es für „die kommende Auseinandersetzung

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Haniel an Bergen vom 23. November 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 486. Von einer „Kulturkampfstimmung“ zwischen deutscher Kirche und preußischem Staat war also keine Spur. Im Gegenteil entwickelte sich ein „von gegenseitiger Achtung und dem Willen zu angemessener Zusammenarbeit getragenes Zusammenwirken der neuen staatlichen und der deutschen kirchlichen Stellen“. Trippen, Domkapitel, S. 514. Vgl. Middendorf an Benedikt XV. vom 24. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 13r–14v. Middendorf an Benedikt XV. vom 24. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 13v. Middendorf an Benedikt XV. vom 24. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 13v. 72

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zwischen Staat und Kirche“, für „die Neuregelung der Rechtsverhältnisse und die materielle Abfindung der Kirche von nachteiligem Einflusse“211, wenn das zuletzt durch Kardinalstaatssekretär Rampolla dem Staat konzedierte Recht der Exklusive bei der kommenden Bischofswahl ausgeschaltet würde. Auf Basis dieser Argumente bat Middendorf abschließend, „diese Verhältnisse einer wohlwollenden Prüfung unterziehen und uns Anweisung zugehen lassen zu wollen, dass wir auf der bisherigen Rechtsbasis zur Wahl eines neuen Erzbischofs schreiten können“212. Deutlich prallten hier die divergenten Sichtweisen aufeinander: Pacelli  –  und mit ihm Hollweck  –  lehnte anders als das Kölner Kapitel jede staatliche Ingerenz zumindest theoretisch als schlichtweg unzulässig ab. Die Weitergeltung der 1821 vereinbarten Privilegien des Staates sah er nach der WRV für nicht mehr statthaft an. Der Eichstätter Kanonist lehnte das Argument, die staatlichen Leistungen seien gefährdet, falls die dem Staat und dem Domkapitel damals zugestandenen Rechte nicht berücksichtigt würden, ab. Middendorf und vor ihm schon Hartmann sahen das anders. Die vom Kölner Dompropst gegebene Zusicherung, die Regierung würde die Kandidatenliste anstandslos billigen, war angesichts der vom Staate ausgeübten Versuche, Mausbach a priori von der Kandidatur auszuschließen, mindestens ebenso berechnend wie die römische Vorgehensweise, eine endgültige Entscheidung über den künftigen Besetzungsmodus bis nach der Promulgation einer preußischen Landesverfassung zu verschieben. Um das Wahlrecht zu behalten, war das Kapitel bereit, mit dem Staat eine Interessengemeinschaft einzugehen. Jede der beteiligten Parteien diskutierte und interpretierte die Rechtslage stringent auf die eigenen Ziele hin. Pacelli, der diesmal nicht als Vermittler nach Rom eingesetzt worden war, erhielt von Middendorf erst nachträglich unter dem Datum des 25.  November eine Abschrift der Kapitelseingabe zur Kenntnisnahme.213 Offensichtlich umging das Metropolitankapitel den Nuntius, weil man in ihm keinen Verbündeten sah, ihm nicht vertraute und ihm vielmehr ein gegenteiliges Einwirken in Rom unterstellte.214 Dafür spricht auch ein Wechsel in der Absicht des Kapitels: Nachdem ihm

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Middendorf an Benedikt XV. vom 24. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 14r. Middendorf an Benedikt XV. vom 24. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 14r. Vgl. Middendorf an Benedikt XV. vom 24. November 1919 (Abschrift), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 13r–14v. Am 3. Dezember 1919 bestätigte der Nuntius dem Dompropst den Eingang der Petition an den Papst. Der Entwurf sprach noch die Versicherung aus, dass das Kapitelsschreiben unverzüglich an die Kurie weitergeleitet worden sei. Dieser Passus wurde dann jedoch gestrichen. Dies deutet auf einen Erkenntnisprozess Pacellis hin, dass seine Vermittlertätigkeit vom Kapitel nicht mehr erwünscht war. In der 73

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bekannt wurde, dass sein Wahlrecht auf der Kippe stand, wollte es auf Einladung Pacellis zunächst eine Abordnung nach München senden, um die Angelegenheit mit dem Nuntius mündlich zu klären.215 Nachdem Pacelli allerdings zugesagt hatte, dass ihm für ein Treffen jeder Tag der nächsten Woche recht sei – seine Zusage erreichte Middendorf am 24. des Monats –, machte das Kapitel plötzlich einen Rückzieher und verwies auf die großen Verkehrsschwierigkeiten, die mit einer Reise nach München verbunden seien.216 Ein Treffen kam für die Domkapitulare nun nicht mehr in Frage, stattdessen hatten sie sich darauf geeinigt, einen Brief an den Papst zu schreiben. Sie fürchteten wohl, Pacelli wollte sie vor vollendete Tatsachen setzen und ihnen das Ende des Wahlrechts erklären. Deshalb vermutet Trippen plausibel, dass die Einladung Pacellis für das Domkapitel der Anstoß war, die eigene Position am 24. November nachdrücklich gegenüber dem Papst zu vertreten.217 Was das Kapitel nicht wissen konnte, war, dass es noch keine endgültige Entscheidung von Seiten der Kurie gab, die Pacelli ihm hätte präsentieren können. Eine Abschrift seiner Eingabe sandte das Domkapitel ebenfalls am 25. November an das Berliner Staatsministerium und demonstrierte dem Staat damit sein Einvernehmen.218 Der Geheime Regierungsrat Werner Freiherr von Grünau aus dem Auswärtigen Amt leitete sie einen Tag darauf an Bergen weiter.219 Unter Berufung auf Informationen, die er von Domkapitular Ott bekommen habe, konstatierte er, dass die Kurie vorhabe, den neuen Erzbischof frei zu ernennen. Das Kölner Kapitel werde das Wahlrecht aber nicht aufgeben und ziehe daher nur solche Kandidaten in Betracht, die in Rom keinerlei Anstoß erregen würden, damit man dem Heiligen Stuhl zu keiner Intervention Anlass gebe. Grünau zeichnete sogar die reale Möglichkeit eines weittragenden Konfliktes zwischen der römischen Kurie und dem deutschen Episkopat, wenn von ultra montes der Versuch gewagt würde, das Wahlrecht zu bestreiten. Pacelli intendiere genau Letzteres. Damit es

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korrigierten Fassung hieß es dann: „Nehme an, dass Sie das Schreiben an Seine Heiligkeit direkt gesendet haben, was ja jetzt möglich ist. Danke Ihnen höflichst für die Überlassung der Abschrift, von der ich mit hohem Interesse Kenntnis genommen habe.“ Pacelli an Middendorf vom 3. Dezember 1919 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 15r. Vgl. den Hinweis bei Vogt an Pacelli vom 7. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 20r–21r, hier 21r. Am 20. November fragte Middendorf telegraphisch nach dem vom Nuntius gewünschten Termin. Vgl. Middendorf an Pacelli vom 20. November 1919, ebd., Fol. 10r. Vermutlich war die Initiative daher vom Nuntius ausgegangen. Mit seiner Terminanfrage stimmte Middendorf implizit einer Unterredung mit Pacelli zu. Vgl. das Anschreiben, mit dem Middendorf Pacelli eine Kopie der Kapitelssupplik zukommen ließ, Middendorf an Pacelli vom 25. November 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 12r und wiederum Vogt an Pacelli vom 7. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 21r. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 488 Anm. 51. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 488. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 488f. 74

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nicht so weit komme, sollte der preußische Gesandte in München, Julius Graf von Zech-Burkersroda, gegenteilig auf den Nuntius einwirken.

Zech bei Pacelli: der offizielle Standpunkt der Reichs- und preußischen Regierung Die Instruktion, die das Preußische Staatsministerium am 27. November an Zech als Leitfaden für ein Gespräch mit dem Nuntius übersandte, äußerte die Sorge, dass bei einer Umgehung der Kapitelswahl von Rom eine der Entente gefügige Person ernannt werden könnte, was die „schwersten Folgen“220 für das Verhältnis der Kurie zu den deutschen Katholiken haben werde.221 Deshalb gab die Behörde dem Grafen die Vorgabe: „Bitte, ohne [eine] Kenntnis des bereits vorhandenen Gegensatzes von Domkapitel zur Kurie erkennen zu lassen, mit Pacelli im Sinne des Vorstehenden zu sprechen und auf ihn einzuwirken, daß sich [die] Kurie [einer] Einmischung in [die] Kölner Wahl enthält.“222 Natürlich ging es der Regierung nicht nur um die deutschen Katholiken, vielmehr war ihr selbstverständlich auch in eigenem Interesse an einem vorbehaltlos pro-deutsch eingestellten Erzbischof an der Spitze der wichtigsten Diözese Preußens gelegen. Die Unterredung zwischen den beiden Diplomaten fand kurz darauf statt, Zech berichtete dem Ministerium darüber schon am 30. November.223 Pacelli habe dem Regierungsvertreter gegenüber die Notwendigkeit von Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Regierung betont, weil durch die neue Verfassung die alte Rechtslage „möglicherweise“224 gegenstandlos geworden sei. Allerdings habe er sich nicht eingehend darüber äußern wollen, um – wie Zech vermutete – der Entscheidung des Heiligen Stuhls nicht vorzugreifen. Diese Vermutung war korrekt, Pacelli hatte dazu noch keine maßgebliche Entscheidung aus Rom erhalten. Durch die WRV sei – so Zech – die Verhandlungsposition der Kurie ausgesprochen günstig, die „wichtigsten Rechte“225 würden ihr durch jene

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Staatsministerium an Zech vom 27. November 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 489. Die Befürchtung, die Entente könnte sich in die Besetzung des Kölner Erzbischofsstuhls einmischen, scheint nachvollziehbar. Schon wenige Monate zuvor hatte es Gerüchte gegeben, dass von französischer Seite die Demission Kardinal Hartmanns „wegen seiner deutschen Haltung während des Krieges und wegen seiner Gegnerschaft zur Rheinischen Republik“ betrieben werde. Vgl. dazu Trippen, Domkapitel, S. 469–471, hier 470. Letztlich erwies sich die Sorge jedoch als unbegründet. Einmischungsversuche von französischer Seite auf die kuriale Kandidatenpolitik hinsichtlich der Wiederbesetzung der Erzdiözese lassen sich quellenmäßig nicht belegen. Vgl. Selbach, Katholische Kirche, bes. S. 292, 296. Staatsministerium an Zech vom 27. November 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 489. Vgl. Zech an das Staatsministerium vom 30. November 1919, Trippen, Domkapitel, S. 490. Zech an das Staatsministerium vom 30. November 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 490. Zech an das Staatsministerium vom 30. November 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 490. 75

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gewährleistet werden. Einen tiefgreifenden Konflikt mit dem deutschen Episkopat halte der Nuntius für unwahrscheinlich, „Verstimmung in einzelnen katholischen Kreisen für möglich“226. Als Ergebnis des Treffens resümierte Zech, dass Pacelli die in Regierungskreisen prognostizierten Schwierigkeiten, die eine Wahlverhinderung seitens der Kurie auslösen würde, in Rom vortragen wolle. Der Nuntius erledigte das am 2. Dezember, indem er ein Promemoria, das den Standpunkt der „deutschen staatlichen und kirchlichen Instanzen“ festschrieb und das Zech ihm übergeben hatte, für Gasparri ins Italienische übersetzte.227 Im deutschen Wortlaut hieß es: „Nach einer Mitteilung des Auswärtigen Amtes stehen die deutschen staatlichen und kirchlichen Instanzen übereinstimmend auf dem Standpunkt, dass die bisher für die Besetzung der Kirchenämter in Preußen maßgebenden Bestimmungen der Bulle de salute animarum und des Breve quod de fidelium wegen ihres völkerrechtlichen Charakters durch die neue deutsche Verfassung nicht berührt werden. Dem Auswärtigen Amt ist ferner bekannt, dass die Entente versucht, via Rom Einfluss auf die Kirchenverhältnisse in West-Deutschland zu gewinnen. Sollte die Kurie den Wünschen der Entente nachgeben und sollte sie namentlich versuchen, das durch das Ableben des Kardinals Hartmann akut gewordene Wahlrecht des Domkapitels in Köln anzutasten, so würde dies nach Ansicht des Auswärtigen Amts von den schwersten Folgen für das Verhältnis zwischen dem Heiligen Stuhl und den deutschen Katholiken sein. Das Auswärtige Amt würde es daher dankbarst begrüßen, wenn Seine Exzellenz der Apostolische Nuntius in Rom dahin wirken wollte, dass sich die Kurie jeder Einmischung auf die Wahl des neuen Erzbischofs von Köln enthält.“228

Den letzten Satz sparte Pacelli aus seiner Übersetzung für Gasparri aus: abgesehen davon, dass jener für ihn bestimmt war, sicher auch, weil er sich gerade nicht dafür einsetzen wollte, dass Rom der Wahl eines neuen Kölner Erzbischofs tatenlos zusah. Die Überzeugung der Regierung, dass die Vorgaben der Zirkumskriptionsbulle samt Breve hinsichtlich der kirchlichen Ämterbesetzung unentwegt in Geltung waren, versah Pacelli mit der Bemerkung, dass dies in dem Sinne zu verstehen sei, wie er es in seinem Bericht vom 15. November interpretiert hatte. Dort hatte er klar die These vertreten, dass die in der Bulle definierten staatlichen Einflussrechte durch den bereits rechtlich bindenden Artikel 137 Absatz 3 aufgehoben seien. Auf die mögliche schwere Belastung des Verhältnisses zwischen deutschem Katholizismus und Heiligem Stuhl, falls dieser unter Ausschaltung des Kapitelswahlrechts der Entente bei der Besetzung des Kölner erzbischöflichen Stuhls entgegenkomme, hatte Pacelli seinen Vorgesetzten bislang noch nicht aufmerksam gemacht. Nicht überraschend ist, dass sich in Pacellis Bericht keine Spur von einer Änderung

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Zech an das Staatsministerium vom 30. November 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 490. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 10rv. Promemoria der preußischen Gesandtschaft für Pacelli ohne Datum [2. Dezember 1919], ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 29r. 76

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in seiner Haltung zur bisherigen Rechtsgrundlage findet, die die Regierung also vergeblich angestrebt hatte.

Die Fortgeltung der Verträge und das Wahlrecht der Domkapitel: die Debatte der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten Nicht nur die staatliche Autorität reagierte auf die Eingabe Middendorfs vom 24. November, sondern ebenfalls das römische Staatssekretariat. Gasparri antwortete dem Domkapitel vier Tage nachher, erstmals seit dem Tode Hartmanns in ausführlicher Form.229 Allerdings ging er auf das Kölner Schreiben mit keinem Wort ein, sondern wiederholte eigentlich nur das, was er dem Kapitel über Pacelli bereits am 13. des Monats mitgeteilt hatte: „Was endlich die Besetzung [provisio] dieser sehr geehrten verwaisten erzbischöflichen Kirche betrifft, wird der Apostolische Nuntius in München Euch die Überlegung und den Willen des Apostolischen Stuhles eröffnen.“230 Hatte Gasparri zuvor gegenüber Pacelli noch von einer Ernennung (nomina) des Erzbischofs gesprochen,231 formulierte er hier neutraler und vorsichtiger. Wenngleich das Kapitel gegenüber dem Nuntius, der das Schreiben Gasparris nach Köln weitervermittelt hatte, einen völligen Gehorsam hinsichtlich der zu erwartenden römischen Entscheidung signalisierte, bekräftigte es doch erneut, wie notwendig und opportun das Kapitelswahlrecht sei.232 229

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Vgl. Gasparri an das Kölner Metropolitankapitel vom 28. November 1919 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 7r–8v. Aus einer Dankadresse Middendorfs vom 25. November geht hervor, dass Gasparri dem Kapitel bereits die Anteilnahme des Heiligen Stuhls am Tode Kardinal Hartmanns bekundet hatte. Vgl. Middendorf an Gasparri vom 25. November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 6r. „Demum quod attinet ad provisionem perillustris istius viduatae Archiepiscopalis Ecclesiae, Nuntius Apostolicus Monacensis, Vobis aperiet huius Apostolicae Sedis mentem ac voluntatem.“ Gasparri an das Kölner Metropolitankapitel vom 28. November 1919 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 8r. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 13. November 1919, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 4r. Vgl.: „Gestatten Euere Exzellenz gnädigst, dass ich noch Folgendes beizufügen mir erlaube. Die ganze Erzdiözese hat den innigen Wunsch, dass wir recht bald wieder einen Oberhirten erhalten, der im Geiste der verstorbenen Eminenz die große Herde mit Klugheit, Weisheit und Umsicht leite und führe. Unter den heutigen schwierigen Verhältnissen könnte eine längere Verwaisung des Erzbischöflichen Stuhles von unheilvollen Folgen sein. Nachdem dem Metropolitankapitel die Weisung Seiner Eminenz des Hochwürdigsten Herrn Kardinalstaatssekretärs durch Euere Exzellenz zugegangen ist, die besonderen Befehle bezüglich der Wahl abzuwarten, wird selbstverständlich unserseits alles vermieden werden, was den Absichten des Apostolischen Stuhles nicht entsprechend ist. Wir werden in vollem Gehorsam die Befehle Seiner Heiligkeit abwarten und ausführen. In diesem Punkt herrscht unter den Kapitularen Einmütigkeit. Wenn wir es auch dankbar begrüßen würden, wenn Seine Heiligkeit durch Ernennung eines Nachfolgers der verstorbenen Eminenz uns der schweren Sorge und Verantwortung überheben würde, 77

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Man kann jedoch nicht sagen, dass Gasparri das Kapitel hier auf unbestimmte Zeit hinhalten und möglichst wenig Informationen preisgeben wollte, um nach einer günstigen Gelegenheit zu suchen, die eigene Position durchzusetzen. Es gab vielmehr schlicht und ergreifend noch keine endgültige Entscheidung des Heiligen Stuhls. Eine klar umrissene Position in der Frage der Bischofsinauguration in Deutschland zu finden, war das Anliegen der auf den 2. Dezember 1919 terminierten Sessio der AES, der ersten Sektion des Staatssekretariats.233 a) Eine Relation als Diskussionsgrundlage – Als Vorbereitung für die Teilnehmer der anberaumten Sitzung wurde schon im November im Staatssekretariat unter der Federführung Gasparris eine umfassende Relation angefertigt, die alles Wissenswerte für die Kardinäle zusammenfassen und so eine Entscheidung der Zweifelsfragen ermöglichen sollte.234 Der einleitende Satz eröffnete die Programmatik des Themas und deutete zugleich an, dass über den konkreten Anlass hinaus ganz prinzipielle Entscheidungen zu treffen waren: „Der schmerzhafte und unvermutete Tod seiner Eminenz, des Erzbischofs von Köln, legt dem Heiligen Stuhl die schwere Frage auf, wie die Besetzung der Erzdiö-

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zur Wahl schreiten zu müssen, so glaube ich doch, dass unter den gegenwärtigen innerpolitischen Verhältnissen die Wahl des Erzbischofs durch das Metropolitankapitel in der bisher üblichen Form durchaus wünschenswert ist. Die Staatsregierung legt auf die Vornahme der Wahl in der früheren Form großen Wert. Sie hat mir durch den Minister Stegerwald [gemeint ist der Zentrumspolitiker Adam Stegerwald, der zu diesem Zeitpunkt preußischer Minister für Volkswohlfahrt war, R.H.], der zur Beisetzung des verstorbenen Kardinals persönlich hier anwesend war, sagen lassen, dass sie keine Schwierigkeiten bei Vornahme der Wahl machen und auch keinen der ev[entuell] zu benennenden Kandidaten beanstanden werde. Würde die Staatsregierung bei der Wahl ausgeschlossen, so liegt die Befürchtung nahe, dass sie sich an die in der Bulle ‚De salute animarum‘ festgesetzten finanziellen Leistungen nicht mehr gebunden erachten und dem neuen Erzbischof die Staatsmittel nicht zur Verfügung stellen wird. Das Metropolitankapitel hatte den Herrn Dompropst und mich beauftragt, Euerer Exzellenz über unsere Lage mündlich Vortrag zu halten. Bei den großen Verkehrsschwierigkeiten, die zur Zeit hier im Westen herrschen, haben wir bedauerlicherweise von der Reise nach München Abstand nehmen müssen. Herr Dompropst hat deshalb dem h[eiligen] Stuhle eine ausführliche Darlegung der Verhältnisse hierselbst zugehen lassen und eine Abschrift hiervon Euerer Exzellenz zugesandt. Wir hoffen und vertrauen, dass es der erleuchteten Weisheit des Apostolischen Stuhles gelingen wird, der verwaisten Erzdiözese Cöln bald einen würdigen Oberhirten zu senden. Der Beunruhigung der Bevölkerung würde dann auch am ehesten Einhalt geboten.“ Vogt an Pacelli vom 7. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 20r–21r, hier 20r–21r. Vgl. dazu schon die knappen Bemerkungen bei Gatz, Ringen, S. 105. Vgl. Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, 63 gedruckte Seiten. Für das Zeitfenster der Abfassung dieses Dokuments ergibt sich als terminus post quem der vom Gutachter zitierte Bericht Pacellis vom 15. November. Als terminus quem ante erscheint der 2. Dezember, das Sitzungsdatum beziehungsweise einige Tage zuvor, da die Kardinäle das Dokument vorher durcharbeiten mussten. Man kann daher vermuten, dass das Skriptum im letzten Novemberdrittel geschrieben wurde. 78

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zese vor sich gehen müsse.“235 In einem ersten Teil des Gutachtens (S. 5–9) wurde die bis zur WRV unbestritten geltende Rechtslage der Bischofseinsetzungen in Deutschland (ausgenommen Bayern) dargelegt, das heißt das traditionelle Wahlrecht der Domkapitel und das Exklusivrecht der Staatsoberhäupter gemäß den Zirkumskriptionsbullen und Breven aus dem 19. Jahrhundert. b) Staatliche Übergriffe auf die kirchliche Freiheit – Die bisherige Rechtslage sei jedoch das eine, die praktische Anwendung das andere und hier seien schwere Missbräuche zu bemängeln, von denen der nächste Abschnitt (S. 9–12) der Relation handelte. Nicht nur, dass man auch in Preußen das sogenannte „Irische Veto“236 eingeführt habe, das in Hannover und der Oberrheinischen Kirchenprovinz vorgeschrieben war. Zusätzlich dazu habe sich sogar eine Tendenz durchgesetzt, dem Staatsoberhaupt das ius maiestaticum in Bezug auf die Ernennung der Bischöfe einzuräumen: „In der Kraft dieses Rechtes sorgte man sich vor allem darum, die Freiheit der Wahl zu verringern, indem man die Einwirkung auf das Kapitel (dass es keine minder genehme Person wählen darf) in eine positive Einflussnahme der Regierung veränderte, um die besonders genehme Person wählen zu lassen; nämlich so, dass man einen Einfluss ausübte, welcher der königlichen Ernennung ebenbürtig ist, deren der Heilige Stuhl die nicht-katholischen Fürsten niemals für fähig gehalten hat.“237

Als Beispiele für eine solch umfassende Ingerenz der staatlichen Seite über das verbriefte Recht hinaus führte das Gutachten die Besetzungsfälle Limburg 1840238, Paderborn 1856 und Kulm

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„La dolorosa ed inopinata morte dell’Emo Arcivescovo di Colonia pone alla S. Sede la grave questione del come debba procedersi alla provvista dell’Archidiocesi.“ Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 5. Laut irischem Wahlmodus besaß die entsprechende Staatsregierung das Recht, minder genehme Personen von der Bischofswahl auszuschließen. Vgl. dazu Brück, Veto; Kaiser, Klausel, S. 30–32, 59–63; Link, Besetzung, S. 242–244; Mörsdorf, Besetzungsrecht, S. 10–24. „In forza di questo jus si procurò anzitutto di diminuire la libertà dell’elezione, trasformando l’insinuazione fatta al Capitolo (che non si dovesse eleggere persona minus grata) in un’influenza positiva del Governo per far eleggere la persona più grata, in modo da esercitare un’ingerenza equivalente alla nomina regia, della quale la S. Sede non ha mai ritenuto capaci i Principi acattolici.“ Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 9f. Hervorhebungen im Original. Der Gutachter erläuterte zum Limburger Fall, dass von neun Kandidaten, die das Domkapitel der preußischen Regierung mittels Vorschlagsliste anzeigte, drei vom königlichen Kommissar ausgeschlossen wurden, drei aufgrund ihres Alters als unwählbar bekannt waren, der siebte „sich plötzlich zurückzog“ (S. 10 Anm. 3) und man hinsichtlich der beiden verbliebenen wusste, dass der eine durch einen Regierungsbeamten manipuliert, gewillt war, das Bischofsamt zurückzuweisen. So habe auf staatlichen Druck hin keine wirkliche Wahl mehr stattfinden können. Vgl. zum Konflikt um die Limburger Wahl von 1840/​​ 41 Friedberg, Staat, S. 300–305. 79

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1857239 an. In der jüngeren Vergangenheit freilich habe die preußische Regierung  –  allzu sehr damit beschäftigt, die Größe des 1871 gegründeten Deutschen Reiches zu verwalten – nicht mehr so „grob“ agiert, „aber mit Geschick versucht, die Wahlen zu den wichtigeren Stühlen (Köln, Breslau, Münster) zu beeinflussen, insofern es ihr genügte, dass der Kandidat eine patriotische Gesinnung besaß“240. Dessen ungeachtet stellte das Gutachten – wohl in Anlehnung an die frühere Aussage Pacellis – fest, dass es im Allgemeinen sehr gute Bischöfe in Deutschland gegeben habe, insbesondere in Bayern, wo der katholische König gemäß dem Konkordat von 1817 das Nominationsrecht ausübte. Neben der Forcierung der staatlichen Einflussnahme habe man auch versucht, die Rolle des Heiligen Stuhls bei dem Verfahren weiter einzuschränken, indem man mittels einer feierlichen Teilnahme eines Regierungskommissars das Prestige des Souveräns erhöht habe. Der Kommissar habe stets zuerst Kenntnis vom Wahlausgang erhalten und um Erlaubnis gebeten werden müssen, dem wartenden Volk den Wahlsieger mitteilen zu dürfen. Diese Missbräuche habe der Heilige Stuhl stets mit großer Besorgnis beobachtet und – so der Relator weiter – die AES mehrfach über mögliche Lösungen diskutieren lassen. Er erinnerte an die Sitzung vom 8. Dezember 1865, in dessen Anschluss Papst Pius IX. dem Kölner Metropolitankapitel brieflich die Absicht bekundet hatte, mit Preußen einen neuen Vertrag zu schließen, „um klar festzulegen, welche Rechte ihm [sc. dem Domkapitel, R.H.] bei der Bischofswahl zustanden, damit das Kapitel künftig leichter und freier das Recht, den eigenen Hirten zu wählen, ausüben könne“241. Allerdings sei dieses Vorhaben nicht zur Ausführung gelangt, obwohl in einer weiteren Sitzung am 23. Juli 1869 beschlossen worden sei, „alle Dokumente über die Wahl der Bischöfe zu veröffentlichen, die sich im Staatssekretariat zu den Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den Regierungen befanden, um den Sinn und den Umfang der päpstlichen Zirkumskriptionsbullen zu bestimmen und indirekt die irrigen Äußerungen zu wider-

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In den beiden Besetzungsfällen in Paderborn und Kulm habe die preußische Regierung den Kapitelslisten im Austausch gegen gestrichene Namen neue hinzugefügt. Vgl. zu diesem Vorgehen Preußens in Paderborn 1855/​​56 Friedberg, Staat, S. 249f. Vgl. zur Einsetzung von Johannes Nepomuk Marwitz in Kulm 1857 Piszcz, Marwitz; Wolf-Dahm, Marwitz. „… ruvidamente, ma con abilità cercò d’influenzare le elezioni nelle sedi più importanti (Colonia, Breslavia, Münster) bastandogli che il Candidato fosse die sentimenti patriottici.“ Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 10, Anm. 3. „… per fissare chiaramente quali diritti gli spettavano circa la scelta dei Vescovi, affinché il Capitolo potesse in avvenire più facilmente e liberamente esercitare il diritto di eleggere il proprio Pastore.“ Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 10. Gemeint ist hier das Breve Pius’ IX. an den Kölner Kapitularvikar Johannes Baudri vom 21. Dezember 1865, abgedruckt bei Friedberg, Staat, Aktenstücke S. 177–180, hier 179. 80

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legen.“242 Ein dritter Versuch, die Missstände zu beschneiden und die libertas ecclesiae wiederherzustellen, sei schließlich das Zirkularschreiben des Kardinalstaatssekretärs Rampolla an die deutschen Bischöfe und Domkapitel vom 20. Juli 1900 gewesen.243

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„… di far pubblicare tutti i documenti che si conservano nella Segreteria di Stato relativamente alle trattative ch’ebbero luogo tra la Santa Sede ed i Governi, circa l’elezione dei Vescovi, affine di determinare il senso e l’estensione degli Atti Pontificî e confutare indirettamente le asserzioni erronee.“ Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 11. Vgl. zu dem Beschluss der AES-Sitzung vom 23. Juli 1869 Braun, Hermann von Vicari, S. 314. Vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.1 Anm. 131. Angesichts der skizzierten Regierungsansprüche legte der Gutachter in einem nächsten Teil die genauen Bestimmungen über die Bischofswahl dar, wie sie von den Zirkumskriptionsbullen und Breven definiert wurden. Um die rechtliche Garantie der kirchlichen Wahlfreiheit zu untermauern, verwies der Gutachter anschließend auf ein Votum des österreichischen Jesuiten und späteren Kardinals Johannes Baptist Franzelin, das dieser zu diesem Thema 1869 für das Staatssekretariat angefertigt habe. Franzelin sei nach Sichtung der päpstlichen Zirkumskriptionsbullen zu dem Schluss gekommen, dass den „Capitulis cathedralibus Germaniae facultatem esse ac officium omnino libere ad normam SS. Canonum Episcopos eligendi, ita ut in dioecesibus antiquae ditionis Borussicae Gubernio nullum ius sit a S. Sede concessum aut permissum ad easdem electiones actione sua directe vel indirecte concurrendi, earumque plenam libertatem restringendi“. Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 12 Anm. 1. Kursivsetzung im Original, Unterstreichung R.H. Trotz dieser völligen Freiheit seien die preußischen Domkapitel angehalten (insbesondere im Breve Quod de fidelium) in ihre Bewertungskriteriologie der Kandidaten nicht nur die Qualitäten zur Bistumsleitung einzubeziehen, sondern auch zu berücksichtigen, „ne homo sit merito suspectus principi politico, quatenus id proficuum aut necessarium est ad genuinam concordiam inter sacerdotium ac imperium servandam“. Ebd., S. 13 Anm. 1. Am Oberrhein und in Hannover wiederum sei der Regierung zwar vor der Wahl eine Kandidatenliste einzureichen, aus der die Fürsten oder die Regierung Namen tilgen konnten. Aber immer müssten so viele Kandidaten erhalten bleiben, dass „numerus Candidatorum sufficiens non solum ad notionem abstractam electionis, sed sufficiens ad liberam electionem Episcopi, in qua ius ac officium eligendi digniores et Ecclesiae magis utiles servetur Capitulis illesum“. Ebd., S. 13 Anm. 1. Kursivsetzung im Original. Franzelin habe dann aber bemängelt, dass die Freiheit der Bischofswahlen nicht nur faktisch von den protestantischen Regierungen verletzt worden sei, sondern die Politiker vielmehr auch vorgeschützt hätten, dass der Heilige Stuhl dem preußischen König im genannten Breve explizit die zentrale Einflussrolle zugestanden habe, „ut nemo possit eligi Episcopus, quem rex gratum non habuerit … atque regem sive interrogatum sive non interrogatum posse Capitulo designare aliquem ita ut si hunc Capitulum non censeat eligendum, electio institui nequeat“. Ebd., S. 13f. Anm. 1. Der folgende ebenfalls vom Gutachter zitierte Teil des Votums Franzelins verknüpfte die staatlichen Übergriffe in die Freiheitsrechte der Kirche bei den Bischofswahlen mit dem grundsätzlichen (Kultur-) Kampf der protestantischen Regierungen in Deutschland gegen die Katholiken: „Homines enim sectarii, quibus Gubernia fere solis componuntur, cum intimis medullis hostiles sint Ecclesiae catholicae praesertim in iis, quae ad actionem et vitam publicam referuntur, ut sunt illa, quae pertinent ad matrimonia praesertim mixta …“ Ebd., S. 14 Anm. 1. Die von staatlicher Seite als „ultramontan“ diffamierten Priester, also jene die in Fragen der Ehe, des Religionsunterrichts, der Priesterausbildung, der Kirchenleitung etc. eine katholische 81

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c) Mögliche Lösungsansätze zur Beseitigung der Missbräuche – Die monierten staatlichen Übergriffe seien also im 19. Jahrhundert nicht zu beseitigen gewesen. Doch nun habe sich die Situation grundlegend geändert: Die tiefgreifenden politischen Umwälzungen in Preußen und den übrigen deutschen Teilstaaten eröffneten nach Ansicht des Gutachters „die Möglichkeit, dass die Kirche ihre Freiheit in der Besetzung jener Diözesen wiedererlangen kann“244. Welche Lösungsansätze denkbar seien, thematisierte das Dokument in einem nächsten Teil (S. 13–15): 1) Eine „radikale Abschaffung des Kapitelswahlrechts“245 und die Anwendung des allgemeinen Rechts (also Can. 329 § 2 des CIC), sodass man dem jeweiligen Domkapitel höchstens zugestehe, dem Heiligen Stuhl eine Kandidatenterna einzureichen, an welche dieser jedoch nicht gebunden sein sollte. 2) Oder man könne – „falls man eine solch radikale Veränderung nicht für angemessen hält, aus Angst, den deutschen Katholiken etwas Schmerzhaftes anzutun“246 – jedweden staatlichen Einfluss auf die Bischofseinsetzungen abschaffen, indem man erkläre, die früheren Zugeständnisse an die deutschen Fürsten seien nicht auf die neue republikanische Regierung übergegangen.247 So würde die völlige Freiheit der Bischofswahl durch die Domkapitel gesichert. 3) Als letzte und abgeschwächteste Lösung schlug der Gutachter vor – „falls man Auseinandersetzungen mit der Regierung und den Verlust der finanziellen Leistungen fürchtet, die der Staat den Bischöfen zahlt“248 –, die gesamte Materie ex novo zu verhandeln. Freilich müsse dies in der Weise geschehen, dass es künftig dem Heiligen Stuhl und nicht wie bisher den Domkapiteln zukomme, sich darüber zu vergewissern, dass die Wahl nicht auf eine staatlicherseits minder genehme Person falle.

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Position einnähmen und so den Bestrebungen der Regierungen widerständen, seien staatlicher Ansicht nach – so Franzelin – unter dem erdichteten Vorwand von Frieden und Eintracht für die Kirchenämter immer personae minus gratae. „… la possibilità che la Chiesa possa riacquistare la sua libertà nella provvista di quelle Diocesi …“ Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 13f. „… radicale abolizione dell’elezione capitolare …“ Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 14. „… qualora non si ritenesse opportuno tale radicale mutamento, pel timore di far cosa ai cattolici tedeschi …“ Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 15. Der Relator betonte noch einmal, dass es sich bei diesen Zugeständnissen in Preußen lediglich um eine moralische Verpflichtung handle, keine dem König minder genehme Person zu wählen, während in der Oberrheinischen Kirchenprovinz und in Hannover der jeweiligen Regierung vor der Wahl die Kandidatenliste aus rechtlicher Verpflichtung vorgelegt werden musste. „… qualora si temessero conflitti col Governo e la perdita degli assegni che lo Stato passa ai Vescovi …“ Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 15. 82

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d) Auffassung I: Die Position Eugenio Pacellis – Wie sollte aber nun eine Entscheidung für eine dieser Optionen gefällt werden? Damit beschäftigte sich der nachfolgende Teil der Relation (S. 15– 22). Zur Entschließungshilfe sei – so der Verfasser – der Münchener Nuntius beauftragt worden, vom Eichstätter Kanonisten Hollweck ein Gutachten einzuholen und außerdem seine eigenen Ansichten zu diesem Thema vorzulegen. Der von Pacelli in diesem Kontext erstellte Bericht vom 13. August des Jahres wurde den Kardinälen zur Information beigefügt.249 Zur Erinnerung: Pacelli hatte dort zwei Fragen unterschieden: 1) Einmal, ob die preußischen Domkapitel noch an die alte Pflicht gebunden seien, sich vor dem Wahlakt bei der staatlichen Autorität über etwaige nicht genehme Kandidaten zu vergewissern. Mit anderen Worten: ob dieses den früheren Fürsten vom Heiligen Stuhl gemachte Zugeständnis auf die neue republikanische Regierung übergegangen sei. Vom Standpunkt des kanonischen Rechts verneinte Pacelli diese Frage. Es müsse mindestens eine stillschweigende neue Zustimmung des Heiligen Stuhls vorausgesetzt werden. Diese zu geben, sei aber derzeit gefährlich. Da außerdem das Deutsche Reich in Artikel 137 der WRV jede Einmischung in die kirchliche Ämterbesetzung aufgegeben habe, sei es klug, sich erst dann zu diesem Thema öffentlich zu äußern, wenn die Verfassung wirksam in den einzelnen Teilstaaten angewendet werde. 2) Die zweite Frage betraf das Kapitelswahlrecht: Sollte dieses in Preußen (und der Oberrheinischen Kirchenprovinz) nach Ausschaltung der staatlichen Einflussnahme bestehen bleiben oder zugunsten der reinen päpstlichen Nomination gemäß Can. 329 aufgehoben werden? Zwar sei letztere Variante prinzipiell wünschenswert, jedoch gab Pacelli zu bedenken, dass die Kapitelswahlen durchaus keine schlechten Ergebnisse zeitigten, darüber hinaus schon sehr lange praktiziert würden und schließlich noch in Österreich und der Schweiz existierten. Daher plädierte Pacelli für ein schonendes Vorgehen, falls man das Wahlrecht der Domkapitel aufheben wolle. Das hieß für ihn konkret, die preußischen Bischöfe über die beste Variante dieser Reform zu befragen und des Weiteren den Kapiteln vielleicht wenigstens ein (den Heiligen Stuhl freilich nicht bindendes) Vorschlagsrecht zu belassen. e) Auffassung II: Die Position Benedetto Ojettis – Da man sich jedoch im Staatssekretariat noch auf eine weitere Meinung stützen wollte, bat man zur selben Zeit den Kirchenrechtler und Konsultor Benedetto Ojetti SJ um ein weiteres Votum. Auch dieses Dokument, das auf den 12. August 1919 datiert, erhielten die Kardinäle als Vorbereitung auf die geplante Sessio.250 Welche Position fanden die Teilnehmer beim Jesuiten vor? Ojetti untersuchte die praktische Umsetzung der An-

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Vgl. zu diesem Bericht und Hollwecks Ausführungen oben Bd. 1, Kap. II.1.1 (Das Gutachten von Joseph Hollweck und die Vorstellungen des Nuntius). Vgl. Gutachten Ojettis vom 12. August 1919 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 34–41. 83

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weisung, keine dem König minder genehme Person zum Bischof zu wählen, die Papst Pius VII. im Breve Quod de fidelium den preußischen Domkapiteln aufgegeben hatte. Dabei diagnostizierte Ojetti – ähnlich wie schon der Verfasser der vorbereitenden Ponenza – eine vehemente und übergebührliche Einflussnahme von staatlicher Seite: „Diese den Kapiteln gegebene Empfehlung [sc. die angesprochene Anweisung des genannten Breves, R.H.] wurde Grundlage für viele Ansprüche von Seiten der bürgerlichen Autoritäten und der weltlichen und liberalen Juristen. Sie beanspruchten insbesondere, dass die Worte des Papstes nicht allein wie ein Vorschlag klängen, sondern einen ausdrücklichen Befehl enthalten würden; nicht damit zufrieden forderten sie auch, dass, um diese Verpflichtung zu erfüllen, die Kapitel gehalten seien, im Voraus [sc. vor der Wahl, R.H.] den Souverän zu befragen. Diese Forderungen sind mitnichten auf rechtliche Grundlagen gegründet, erhielten aber praktisch die Oberhand.“251

Damit meinte der Jesuit insbesondere das sich eingebürgerte Listenverfahren mit der königlichen Streichungspraxis und – „nicht nur das“252 – die Gegenwart des königlichen Kommissars im Umfeld des Wahlaktes.253 Je mehr man sich dessen Rolle anschaue, „desto mehr wird man die der Kirche auferlegte Erniedrigung sehen“254. Um diese den Kardinälen anschaulich zu machen, skizzierte Ojetti anschließend in bewusst pointierter Form die zeremoniellen Gepflogenheiten: 251

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„Questa raccomandazione fatta ai Capitoli fu fatta fondamento a molte pretensioni da parte delle autorità civili e dei giuristi regalisti e liberaleggianti. Essi infatti pretesero innanzi tutto che le parole del Pontefice non suonassero solo una insinuazione, ma contenessero un espresso comando; né di questo contenti pretesero anche che a soddisfare questo obbligo fossero tenuti i Capitoli a consultare preventivamente il Sovrano. Pretese queste non fondate affatto su basi giuridiche, che però praticamente ebbero il predominio.“ Gutachten Ojettis vom 12. August 1919 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 34. „Non questo basta.“ Gutachten Ojettis vom 12. August 1919 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 35. Ojetti belegte diese Praxis mit einem Zitat des protestantischen Berliner Kirchenrechtlers Paul Hinschius: „Was die sonstige Betheiligung der Regierungen bei der Besetzung der bischöflichen Stühle betrifft, so ist es in ganz Preussen ohne Unterschied der Bisthümer üblich, dass für die bevorstehende Wahl vom König ein Wahlkommissar ernannt wird. An ihn hat sich das Kapitel mit seinen Anfragen, ob die in Aussicht genommenen Kandidaten nicht personae minus gratae sind, zu wenden. Er lässt demselben die nöthigen Informationen auf Grund der vom Kultusminister eingeholten königlichen Entscheidung zugehen. Ferner hat er bei der eigentlichen Wahl die staatlichen Gerechtsame in der Weise wahrzunehmen, dass er zu dem mit ihm zu vereinbarenden Wahltermin erscheint, dem Kapitel die etwa noch erforderlichen Eröffnungen wegen der Personen der Kandidaten macht und demnächst, wenn die Wahl selbst, welcher er nicht anwohnt, vollendet ist, Namens des Königs die Erklärung über die Beanstandung oder Nichtbeanstandung derselben abgiebt. Eine materielle Einwirkung auf die Wahl übt er nicht aus, seine Anwesenheit gewährt aber den Vortheil, dass wenn er keinen Einspruch zu erheben hat, das Kapitel sofort zur feierlichen Verkündigung des Wahlresultates in der Kirche schreiten kann.“ Hinschius, Kirchenrecht 2, S. 686f. „… tanto più si vedrà l’umiliazione imposta alla Chiesa.“ Gutachten Ojettis vom 12. August 1919 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 36. 84

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In feierlicher, nicht etwa in privater Form, komme der Kommissar in den Wahlort, werde am Vortag des Wahldatums von den Domkanonikern in Chorkleidung und vom Stadtklerus an der Bischofskirche empfangen, Orgelmusik ertöne während der staatliche Beamte in Prozession in den Kapitelssaal geführt werde, wo dieser schließlich auf einem besonders hergerichteten und etwas erhöhten Stuhl Platz nehme, um eine Rede an das Kapitel zu richten und seine amtlichen Schreiben vorzulegen. Am Wahltag selbst wiederhole sich der Empfang. Nach der Votivmesse zum Heiligen Geist und dem Wahlakt – bei dem der Kommissar nicht zugegen war – müssten zwei Domkapitulare den wartenden Kommissar aufsuchen, um ihm den Wahlausgang zu verkünden und um die Erlaubnis zu bitten, ihn zu veröffentlichen. Daraufhin begebe sich der Beamte zum Dom, wo er wiederum feierlich vom Klerus empfangen werde, und dann in den Wahlsaal, wo er die Wähler vom königlichen Wohlgefallen unterrichte.255 Daraufhin begleite er das Kapitel zurück in den Chorraum, um der Publikation des neuen Bischofs für das anwesende Volk beizuwohnen, bevor er wiederum feierlich am Kirchenportal verabschiedet werde. Die Beurteilung dieses Prozedere durch den Jesuiten überrascht nicht: „Und alles das, man beachte, wurde von einem Häretiker durchgeführt im Namen und in der Repräsentanz eines häretischen Königs. Nicht nur das, sondern alles basiert auf einer praktischen Anmaßung und gründet nicht auf irgendeiner Genehmigung durch die Kirche, zu deren Canones und Gebräuchen dies ausdrücklich im Gegensatz steht. Tatsächlich wurde in Preußen nichts anderes zugestanden, außer dass die Wahl der Bischöfe von den Domkapiteln geschieht, wobei man ihnen einschärfte, ohne der Regierung dafür ein Recht zu geben, keine dem König minder genehme Person zu wählen.“256

Dieser Blick auf die praktische Umsetzung mache die Verletzung der kirchlichen Rechte evident. Übereinstimmend mit dem römischen Kirchenrechtsprofessor Adolfo Giobbio erklärte Ojetti, dass angesichts von Listenverfahren und königlichem Kommissar „es noch fehlte, um es auf die Spitze zu treiben, dass der häretische König sich dazu herabließe, den Bischof zu ernennen!“257 Ein kurialer Versuch, diese praktischen Missstände zu beheben, sei – so Ojetti weiter – der Brief Kardinalstaatssekretärs Rampolla an die preußischen und oberrheinischen Bischöfe und Domka255

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Den Ausgang der Wahl wartete der Kommissar für gewöhnlich in den Gebäuden der bischöflichen Kurie ab. Die Wahl selbst fand häufig in der Sakristei der Bistumskirche statt, weshalb Ojetti hier bemerkte, dass sich der staatliche Beamte wieder zum Dom begebe. „E tutto ciò, si noti, è fatto da un eretico a nome e in rappresentanza di un Re eretico. Né solo, ma tutto è basato su di una pratica usurpazione, e non è fondato su di alcuna concessione fatta dalla Chiesa, ai cui canoni e alle cui consuetudini è espressamente contrario. Infatti niente altro fu concesso alla Prussia se non che l’elezione dei vescovi fosse fatta dai Capitoli, insinuando loro, senza dare per questo nessun diritto al Governo, di non eleggere persona Regi minus gratam.“ Gutachten Ojettis vom 12. August 1919 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 36. Hervorhebungen im Original. „Non rimarrebbe altro, a voler far di più, che lo stesso Re eretico si degnasse di nominare il Vescovo!“ Gutachten Ojettis vom 12. August 1919 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 37. 85

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pitel im Jahr 1900 gewesen, der ihnen aufgetragen habe, sich um die freie Ausübung des Bischofswahlrechts zu sorgen. Doch sei dieser Versuch ergebnislos geblieben, der Brief habe sich als eine „lettera morta“258 erwiesen. Die rechtliche Grundlage der Zirkumskriptionsbulle des 19. Jahrhunderts war nach Ojetti also permanent zu Lasten der kirchlichen Freiheit verletzt worden. Nun wandte er sich der Frage zu, ob diese damaligen Vereinbarungen angesichts der offensichtlichen politischen Veränderungen der jüngsten Vergangenheit überhaupt noch Geltung beanspruchen könnten. Völlig klar sei, dass, wenn man sich entschließen sollte, die alte Rechtslage weiterhin anzuerkennen, die anmaßenden staatlichen Eingriffe in die kirchliche Rechtssphäre absolut ausgemerzt werden müssten.259 Doch war für den Jesuiten diese Lösung nicht ausreichend. Nicht wenige Kanonisten würden behaupten, dass es sich bei der Bischofswahl in den entsprechenden deutschen Teilstaaten um ein Sonderrecht handelte, gemäß dem die Domkapitel ein Wahlprivileg besitzen würden. Wenn das stimmte – so Ojetti –, dann würde dieses auch nach der Promulgation des neuen CIC nach wie vor gelten.260 Doch verneinte der Jesuit diese Behauptung entschieden. Das Privileg, dass die Domkapitel den Bischof wählen durften, sei in der Bulle De salute animarum nämlich nicht den Domkapiteln selbst, sondern vielmehr der preußischen Regierung und dem König gewährt worden.261 Unterstelle man aber nun – was Ojetti selbst für offensichtlich hielt  –,  dass eine Umwandlung der Regierungsform per se die Aufhebung von Konkordaten (sowie von quasikonkordatären Zirkumskriptionsbullen) nach sich ziehe, sei das Wahlprivileg für die neue Regierung – das „neue Staatsoberhaupt“ – und folglich auch für die Domkapitel widerrufen. Nachdem er daraufhin verschiedene mögliche Einwände gegen seine Auffassung

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Gutachten Ojettis vom 12. August 1919 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 37. Nach Ansicht des Jesuiten sollte man bei einem Fortbestehen der von ihm monierten Praxis konsequent den Can. 166 CIC 1917 anwenden, der die kanonische Wahl für ungültig erklärte, falls sich Laien so weit in die Wahl einmischten, dass die Wahlfreiheit verletzt werde. Der CIC bestimmte nämlich, dass vom Heiligen Stuhl gewährte Privilegien – also „Gunsterweise eines Hoheitsträgers mit Gesetzgebungsgewalt, die dem objektiven Recht entgegenstehen (contra ius) oder dieses ergänzen (praeter ius)“ – angesichts der Erneuerung des kirchlichen Rechts 1917 unter verschiedenen Voraussetzungen bestehen blieben: „Iura aliis quaesita, itemque privilegia atque indulta quae, ab Apostolica Sede ad haec usque tempora personis sive physicis sive moralibus concessa, in usu adhuc sunt nec revocata, integra manent, nisi huius Codicis canonibus expresse revocentur.“ Can. 4 CIC 1917. Vgl. dazu Mörsdorf, Lehrbuch I, S. 80f., hier 80. Dementsprechend heiße es in der Bulle: „Endlich glauben Wir der deutschen Nation etwas Angenehmes und dem vorbelobten Könige von Preußen etwas Wohlgefälliges zu erweisen, wenn Wir das Recht der Wahlen [sc. der Bischöfe durch die Domkapitel, R.H.] … wieder herstellen.“ Zitiert nach Huber/​​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 209. 86

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entkräftet zu haben glaubte,262 beschloss Ojetti sein Gutachten mit der Feststellung, „dass die bisher geltende privilegierte Art der Bischofswahl in Preußen etc. beendet ist und alle genannten Ansprüche (ragioni) unter das allgemeine Recht, ausdrücklich unter den Can. 329 § 2, gefallen sind.“263 Mit der päpstlichen Nomination war für den Jesuiten dann auch jede staatliche Ingerenz ausgeschaltet und erst recht in der bislang praktizierten Form, die er scharf monierte und als unrechtmäßig qualifizierte. Den Kardinälen der AES wurden hier also mit den Positionen Pacellis und Ojettis zwei Ansichten präsentiert, die hinsichtlich der Besetzung der Bischofsstühle gar nicht weit auseinander lagen: Der staatlichen Einmischung in die kirchliche Bistumsbesetzung sei der Boden entzogen und das Wahlrecht der Domkapitel könne ebenfalls keine zweifellose Gültigkeit mehr beanspruchen. Doch war der Münchener Nuntius mit seinen Überlegungen erheblicher vorsichtiger als der Jesuit, der rigoros tabula rasa machen wollte ohne an politische Konsequenzen zu denken. f) Gründe, die kirchliche Freiheit nicht einzufordern – Freilich genügten dem Relator die Verweise auf Pacelli und Ojetti noch nicht zur Vorbereitung der Teilnehmer auf die geplante Sessio. Im nächsten Abschnitt (S. 16–22) des Gutachtens lenkte er das Augenmerk auf die gegenwärtige poli-

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Eine mögliche Schwierigkeit seiner Argumentation konnte sich nach Ojetti ergeben, selbst wenn man zugestehe, dass das Wahlprivileg genuin dem preußischen Staat gewährt wurde: Wenn man nämlich behaupte, dass die Domkapitel zwar nicht unmittelbar das Wahlrecht besäßen, aber dieses Recht durch die Jahrhunderte alte Praxis erworben hätten. Als ein solches erworbenes Recht (diritto acquisito, ius quaesitum) fiele es unter die Geltung des Can. 4 und hätte damit weiterhin Bestand. Doch diesen Schluss versuchte der Jesuit zu entkräften, indem er erklärte, es handle sich eher um eine rechtliche Vollmacht (facoltà giuridica) als um ein erworbenes Recht. Dies deshalb, weil die Kapitelswahl eine Konsequenz eines anderen Rechtes sei, das die preußische Regierung beziehungsweise der König per alium ausübten, nämlich durch die Domkapitel. Das Kapitelswahlrecht sei demnach kein eigenständiges Recht, sondern stehe und falle mit der Geltung des dem Staat zugestandenen Rechtes. Ein weiteres Argument gegen die Definition der Kapitelswahl als erworbenes und damit weiterhin beständiges Recht fand Ojetti in der Überlegung, dass ein erworbenes Recht stets ein privates Recht sei, während es sich beim Bischofswahlrecht zweifellos um ein öffentliches Recht handle. Damit fiele es nicht unter die fragliche Kategorie. Schließlich – und auch dieser Grund stützte nach Ansicht des Jesuiten seine Position – bedürfe jedes Recht, damit es existiere, einen Rechtsgrund (titolo). Doch ein solcher finde sich für dieses Recht, insoweit es den Domkapiteln erteilt wäre, nicht: Weder der CIC noch ein apostolisches Privileg oder eine aus der Übung und Geschichte sich ergebende Vorschrift könne diesen Rechtsgrund bieten. Vgl. die ausführliche Argumentation des Jesuiten über die Frage des ius quaesitum in seinem Gutachten S. 39–41. Vgl. zu diesem Thema auch Mörsdorf, Lehrbuch I, S. 79f. „… che il modo privilegiato della elezione dei vescovi nella Prussia ecc. finora in vigore, è decaduto e tutte le dette ragioni sono rientrate nel dirittto comune espresso nel can. 329 § 2.“ Gutachten Ojettis vom 12. August 1919 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 41. 87

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tische Situation in Deutschland und das hieß zunächst und vor allem auf die neue Reichsverfassung. Durch ihren Artikel 137 habe die Kirche ihre Freiheiten zurückerhalten.264 Deshalb habe der Kardinalstaatssekretär die Erzbischofswahl durch das Kölner Metropolitankapitel nach dem plötzlichen Tod Hartmanns auch eingefroren und bislang nur die Wahl des Kapitelsvikars gestattet. Dies gebe dem Heiligen Stuhl die Zeit, um entscheiden zu können, wie die neuen Freiheiten geltend gemacht werden könnten. Doch einer völlig freien Einsetzung des Nachfolgers stellten sich für die Kurialen unerwartete Widerstände entgegen: „Nach diesem Artikel [sc. 137 WRV, R.H.] hätte man erwarten können, dass die staatliche Gewalt freiwillig auf jede Teilnahme an der Besetzung der kirchlichen Ämter verzichtet hat und dass mit der Trennung des Staates von der Kirche die Konkordate indirekt aufgekündigt wurden. Aber aus einem kürzlichen Bericht …, der vom Herrn Nuntius übersandt wurde, … geht hervor, dass die Dinge ganz anders sind.“265

Damit dachte der Gutachter an einen Bericht Pacellis vom 30. Oktober 1919, in dem dieser seine oben bereits angesprochene Unterredung mit dem bayerischen Ministerpräsidenten und Kultusminister, Johannes Hoffmann, über die künftigen Beziehungen zwischen bayerischem Staat und katholischer Kirche dargestellt hatte.266 Um den Kardinälen zu verdeutlichen, weshalb die Freiheit der Kirche nun doch nicht so leicht umzusetzen war, zitierte der Relator große Teile dieser Berichterstattung. Was waren die Kernaussagen? Hoffmann informierte Pacelli über eine Konferenz der deutschen Kultusminister in Berlin, die Mitte Oktober 1919 über das Staat-Kirche-Verhältnis im Anschluss an die WRV und insbesondere über die Schulfrage debattierte. Man kam dort zu dem Schluss, dass die Autonomie der kirchlichen Ämtervergabe, wie sie der Absatz 3 des Artikels 137 der neuen Reichsverfassung verbriefte, der rechtlichen Umsetzung in der Landesgesetzgebung bedürfe, also bislang nur den Charakter einer Richtlinie ohne juridische Potenz besitze. Wie gesehen teilte Pacelli diese Interpretation keineswegs.267 Des Weiteren konvergierten die Kultusminister in der Auf264

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Für die Kardinäle druckte der Gutachter den kompletten Artikel in italienischer Übersetzung ab. Vgl. Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 16–17. „Secondo tale articolo si sarebbe potuto ritenere che la Potestà civile aveva rinunziato spontaneamente a qualsiasi partecipazione nella provvista degli uffici ecclesiastici e che colla separazione dello Stato dalla Chiesa i Concordati venivano ad essere indirettamente denunziati. Ma da un recentissimo Rapporto … inviato da Mons. Nunz. Apostolico, … sembra che le cose siano alquanto differenti.“ Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 17. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.1 (Die Position der staatlichen Autorität und die Wahl Joseph Vogts zum Kapitularvikar). Die Kultusminister beriefen sich auf den Absatz 8 des Artikels 137, der gegebenenfalls nötige Regelungen zur Durchführung der Bestimmungen der Landesgesetzgebung anheim stellte. Wie beschrieben hatte Pacelli beim Münsteraner Moraltheologen und Mitglied der Verfassunggebenden Nationalversamm88

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fassung, dass die internationalen Verträge mit dem Heiligen Stuhl in Kraft blieben, insoweit ihre Bestimmungen nicht im Widerspruch zu jenen der neuen Reichsverfassung standen. Mit dieser Einschränkung bestünde demnach auch das bayerische Konkordat von 1817 noch. Hoffmann fragte Pacelli nach der römischen Auffassung zu diesem Thema, woraufhin der Nuntius ausweichend reagierte. Noch habe er keine Instruktionen erhalten und daher – wie er Gasparri in dem genannten Bericht vom 30. Oktober bekannte – lediglich im eigenen Namen gesprochen. Dabei habe er es nicht für angemessen gehalten, die Geltung des Konkordats für beendet zu erklären. Die drei Gründe, mit denen Pacelli diese Haltung gegenüber Gasparri rechtfertigte, gab der Relator in voller Länge wieder: 1) Der Kardinalstaatssekretär hatte Pacelli am 23. August des Jahres ein Votum Ojettis übersandt,268 welches das bayerische Konkordat nach den politischen Umwälzungen – anders als Pacelli und Hollweck das beurteilten – insgesamt für ungültig erklärte.269 Doch hatte Gasparri dem

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lung, Joseph Mausbach, eine anderslautende Auffassung eingeholt, die den Absatz 8 nicht auf den fraglichen Absatz 3 bezog und die der Gutachter den Kardinälen ebenfalls nicht vorenthielt. Dieses Schreiben, in dem Pacelli von der Position Mausbachs berichtete, druckte der Gutachter für die Kardinäle im Anhang vollständig ab. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 15. November 1919, Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 62f. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 23. August 1919, ASV, ANM 401, Fasz. 1, Fol. 50r; Gutachten Ojettis zum Kirche-Staat-Verhältnis in Bayern vom August 1919, ebd., Fol. 52r–55r. Dieses Gutachten erhielten die Kardinäle ebenfalls zur vorbereitenden Lektüre, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 46–53. Vgl. dazu ausführlich Bd. 3, Kap. II.2.1 (Das Gutachten Benedetto Ojettis zum Kirche-Staat-Verhältnis in Bayern). Der Gutachter machte den Kardinälen die unterschiedlichen Rechtsauffassungen deutlich: Pacelli und Hollweck sähen in einem Konkordat einen Vertrag, der zwischen dem Heiligen Stuhl und dem jeweiligen Staat geschlossen wurde. Daher bliebe dieser Vertrag in seiner Gesamtheit in Kraft, auch wenn – wie im konkreten Fall in Bayern – die Monarchie untergegangen war. Von der Fortgeltung ausgenommen seien jedoch die besonderen Privilegien, die dem katholischen Souverän gewährt worden waren, wie zum Beispiel das Recht, die Bischöfe zu nominieren. Anders Ojetti: Er verstand unter einem Konkordat einen Vertrag, der direkt zwischen dem Papst und dem König oder Staatsoberhaupt geschlossen wurde. Wenn sich nun die gesellschaftliche Obrigkeit in seinem Wesen und seiner Gestalt verändere, fiele auch das Konkordat. Außerdem vertrat der Jesuit die Ansicht, dass man Konkordate nicht unter die internationalen Verträge zählen könne, sofern man sie nicht im allgemeinen, sondern im besonderen Sinne verstehe. Dies deshalb, weil sie zwischen zwei Autoritäten geschlossen würden, von denen die eine der anderen überlegen sei. Ojetti vertrat also noch die alte Auffassung von der Suprematie der Kirche über den Staat, die ein egalitäres zweiseitiges Rechtsverhältnis zwischen beiden Gewalten unmöglich machte und unter Konkordaten lediglich Privilegien des Heiligen Stuhls verstand. Diese Sicht verlor seit Leo XIII. an Bedeutung und wurde zunehmend durch die Vertragstheorie ersetzt. Vgl. zu den verschiedenen Konkordatstheorien beziehungsweise zur Rechtsnatur der Konkordate etwa Groppe, Reichskonkordat, S. 7–23; Hollerbach, Grundlagen; Listl, Konkordate; Lill, Konkordate; Mörsdorf, Besetzungsrecht, S.  97–108; Obermayer, Konkordate; Sägmüller, 89

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Nuntius nicht aufgetragen, der Schlussfolgerung des für diesen anonym bleibenden Konsultors zu folgen. Deshalb fühlte sich Pacelli frei, diese Auffassung nicht offiziell zu vertreten. 2) Die Behauptung, das bayerische Konkordat gelte nicht mehr, könne der bayerischen Kirche schweren Schaden zufügen. Wenn man den Fall des Vertrags erkläre, könnte man – so Pacelli – vielleicht die einzige, gewiss aber die sicherste Basis verlieren, um die Rechte der Kirche in Bayern zu retten: „Tatsächlich liegt es in der Kraft des Konkordates, dass es möglich ist, die verschiedenen Leistungen des Staates zugunsten der bischöflichen Mensen, der Kapitel, der Pfarreien, der Seminare etc. zu bewahren, … das Recht der Kirche zu behaupten, eigene Schulen für Philosophie und Theologie in den Seminaren zu haben, und so fort.“270 Auf der anderen Seite habe man in der WRV ein Argument, um die Kirche weitestgehend von der staatlichen Ernennung oder Präsentation der kirchlichen Ämter zu befreien. 3) Schließlich zeigte sich Pacelli überzeugt, dass eine Konkordatsauflösung – wenn auch zu Unrecht – von der Regierung als ein feindliches Auftreten gegenüber der neuen republikanischen Staatsform interpretiert würde. Wegen dieser drei Punkte habe er  –  so Pacelli  –  eine klare Aussage zu diesem Thema vermeiden wollen und daher dem bayerischen Kultusminister vorgeschlagen, dass es seiner Ansicht nach am besten sei, eine neue Übereinkunft abzuschließen. Obwohl es sich bei dieser konkreten Auseinandersetzung um das bayerische Konkordat handelte, schien es dem Relator sinnvoll, die Argumentation des Nuntius den Kardinälen vorzutragen, weil sie auch für Preußen relevant sein könnte. Außerdem sei es nützlich, sich vor Augen zu halten, dass das durch die Verfassunggebende Nationalversammlung festgesetzte Prinzip der Vereinigung des deutschen Reiches in der Weimarer Republik die einzelnen Teilstaaten auf einfache Bundesländer (provincie) reduziert habe, denen auch das Gesandtschaftsrecht abgehe. Freilich begegne die Reichsregierung in der Umsetzung dieses Einheitsprinzips zahlreichen Schwierigkeiten, nicht nur von Seiten Bayerns, sondern ebenso von Seiten der rheinischen Länder, die sich von Preußen lösen und eine autonome Stellung anstreben würden. So habe der päpstliche Geheimkämmerer Freiherr Theodor von Cramer-Klett in einem Promemoria über die politische Situation in Deutschland erklärt, „dass die Regierungen der deutschen Ex-Staaten voller Furcht sind; und dass dies der günstige Moment für die Kirche ist, um ihre Freiheit

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Lehrbuch I, S. 87–91. Vgl. zur Position Ojettis auch Fantappiè, Chiesa, S. 1201f. u. ö.; Mörsdorf, Besetzungsrecht, S. 99–101, Anm. 380f. Vgl. schließlich zu Pacellis Sicht ausführlich Bd. 1, Kap. II.1.1 Anm. 481. „Infatti è in forza del Concordato che è possibile di conservare le varie prestazioni dello Stato a favore delle mense vescovili, dei capitoli, delle parrocchie, dei Seminari ecc. …, di affermare il diritto della Chiesa ad avere scuole proprie di filosofia e di teologia nei Seminari, e così di seguito.“ Pacelli an Gasparri vom 30. Oktober 1919, zitiert in der Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 20. 90

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wieder zu erlangen“271. Was schließlich die staatlichen finanziellen Leistungen anbelange, so sei deren Ausfall momentan schwer zu verkraften. Daher sei es unbedingt nötig, einen Weg zu finden, der auch im Falle von radikalen Veränderungen im bisherigen Modus der Bischofseinsetzungen, die Zahlungen nicht gefährde. Mit Rückgriff auf Pacellis Berichterstattung vom 15. November 1919 stellte der Gutachter klar, dass die deutschen Regierungen alles versuchen würden, um ihren Einfluss auf die Bischofeinsetzungen so lang wie möglich zu behalten.272 Auch die vom Münchener Nuntius monierte staatliche Interpretation, der Absatz 3 des 137. Artikels der Reichsverfassung bedürfe noch einer Umsetzung in der Ländergesetzgebung, „könnte“ – mit Pacellis Worten – „ein heimtückischer Versuch gewesen sein, die vollständige Beseitigung des Einflusses der bürgerlichen Autorität auf die erwähnten Besetzungen aufzuschieben oder zu verringern“273. Auf jeden Fall werde auch die preußische Regierung, zumal mit der Auffassung, dass die Zirkumskriptionsbulle samt angehängtem Breve noch vollständig in Kraft sei, bis zu einer endgültigen Regelung der Materie auf der bisherigen Besetzungspraxis mit Kapitelswahl bestehen. g) Die Frage der Fortgeltung der Staatskirchenverträge des 19. Jahrhunderts – Angesichts dieser skizzierten kirchenpolitischen Lage in Deutschland, bat der Relator des Staatssekretariats die Kardinäle in einem letzten Abschnitt (S. 22–26), ihre Meinung zu der Frage zu äußern, wie opportun es sei, wenn Papst Benedikt XV. in einer baldigen Konsistorialallokution erkläre, dass die Vereinbarungen, die zwischen den gefallenen Staatsoberhäuptern des Deutschen Reiches und dem Heiligen Stuhl geschlossen wurden, nicht mehr fortbestünden.274 Damit schnitt der Gutachter erneut die kanonistische Frage der Konkordatstheorie an und legte seine eigene Ansicht zu diesem Thema dar:

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„… che i Governi degli ex-stati tedeschi sono pieni di timore; e che questo è il momento favorevole alla Chiesa per riacquistare la sua libertà.“ Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 21. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.1 (Die Position der staatlichen Autorität und die Wahl Joseph Vogts zum Kapitularvikar). „… potrebbe essere stata anche un subdolo tentativo per ritardare o diminuire la completa soppressione delle ingerenze dell’Autorità civile nelle menzionate provviste.“ Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 22. Eine erste Allokution zu diesem Thema, Alloqui vos, vom 15. Dezember 1919 blieb geheim. Vgl. AAS 11 (1919), S. 485. Vgl. außerdem den Hinweis bei Fantappiè/​​Astorri, Gasparri, S. 505. Vgl. zur zweiten, veröffentlichten und folgenschweren Allokution In hac quidem, die Benedikt XV. am 21. November 1921 hielt, Bd. 1, Exkurs I (Wieder die leidige Fortgeltungsfrage: die Konsistorialallokution Benedikts XV.). Dass diese Allokution für die deutschen Teilstaaten gelten sollte, wurde später vom Heiligen Stuhl dementiert. 91

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„Wie Eurer Eminenzen bekannt ist, muss man bei den Konkordaten die Privilegien in Bezug auf Themen, die die lebenswichtigen Interessen der Kirche betreffen, unterscheiden (wie zum Beispiel die Ernennung der Bischöfe), über welche der Heilige Vater unveräußerlich eine vollkommenere Jurisdiktion behält als jene, die dem Empfänger des Privilegs zugestanden wurde …, da sie zu jener unveränderlichen Fülle an Befugnissen gehört, mit denen der Göttliche Gründer der Kirche seinen Stellvertreter bekleidet hat. Es ist offenkundig, dass diese Privilegien wahre und eigentliche apostolische Privilegien darstellen, die den Souveränen (oder ihrem Haus) persönlich gewährt wurden angesichts besonderer Verdienste für die Kirche, wegen des wirkungsvollen Schutzes der Religion und der Treue gegenüber dem Apostolischen Stuhl. Sie gehen daher (falls Veränderungen in der Regierungsform stattfinden) nicht auf das Staatsoberhaupt über, das möglicherweise nachfolgt, ohne zumindest die stillschweigende Zustimmung des Heiligen Stuhls.“275

Tatsächlich zeige sich in dem aktuellen Fall eine essentielle Änderung in der Persönlichkeit und in der Qualität des Privilegempfängers, sodass der Heilige Stuhl sich mit einer gänzlich neuen Rechtspersönlichkeit konfrontiert sehe, der er die besonderen Privilegien nicht selbstverständlich gewähren könne und mit der er niemals irgendeine Art von Verpflichtung eingegangen sei. Außerdem müssten solcherart Privilegien, die Befugnisse entgegen dem allgemeinen Recht und der Freiheit der Kirche gewährten, in einem strengen Sinne ausgelegt werden und könnten daher nicht zum Vorteil des neuen Staatsoberhauptes übertragen werden. Die Theorie des ius maiestaticum circa sacra sei eben eine verkehrte Theorie, der gemäß der Territorialherr, wer auch immer das sein mag, allein aufgrund der Tatsache, dass er die höchste politische Autorität innehat, sich auch der höchsten Verfügungsgewalt über die kirchliche Ämterbesetzung erfreut. Diese Ansicht, dass die den Staatsoberhäuptern in Deutschland im 19. Jahrhundert konzedierten Privilegien nicht mehr gelten konnten, oblag für den Gutachter keinem Zweifel. Dagegen sei die weitere Frage, ob die Konkordate in ihrer Gesamtheit mit der Veränderung der Staatsform aufgehoben seien, umstritten. In drei Klassen teilte der Relator die Positionen ein, die man dazu in der Kanonistik vertrete: 275

„Come è noto alle Eminenze Vostre occorre anzitutto distinguere nei Concordati gli indulti circa materie riguardanti i più vitali interessi della Chiesa (come ad es. la nomina dei Vescovi), sulle quali il Sommo Pontefice ritiene inalienabilmente una giurisdizione più perfetta di quella concessa allo stesso indultario …, appartenendo essa a quell’immutabile pienezza di poteri di cui il Divino Fondatore della Chiesa ha investito il suo Vicario. È evidente che questi indulti costituiscono dei veri e propri privilegi apostolici personalmente accordati ai Sovrani (od alla loro Casa) in vista di speciali benemerenze verso la Chiesa, dell’efficace protezione accordata alla religione, della fedeltà verso la Sede Apostolica. Essi quindi (qualora avvengano mutamenti nella forma di Governo) non passano al Capo di Stato che eventualmente succede, senza il consenso almeno tacito della Santa Sede.“ Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 22f. Hervorhebungen im Original. 92

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a) Einige würden die Ansicht unterstützen, die der einige Jahre zuvor verstorbene Kirchenrechtler und zeitweilige Sekretär der AES, Felice Kardinal Cavagnis, vertreten habe. Dieser glaube, dass ein Konkordat  –  ein Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem jeweiligen Staat – so lange in seiner Gesamtheit fortdauere, so lange der Staat wenigstens substantiell mit seinem Gebiet existiere. Als Präzedenzfall zöge diese Gruppe – so der Gutachter – das 1801 mit Napoleon geschlossene Konkordat heran,276 das ungeachtet der anschließenden Staatsumwälzung fortbestanden habe.277 b) Ebenso werde die Gegenposition vertreten, nämlich, dass ein Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und der konkreten Staatsautorität geschlossen werde. Wenn nun die Natur oder Gestalt dieser Autorität verändert werde – beispielsweise von einer Monarchie in eine Republik –, falle das Konkordat vollständig. Für den ganzen Komplex der Konkordatsbestimmungen würden die Vertreter die schon angeführten Argumente hinsichtlich der Unübertragbarkeit von „wahren und eigentlichen apostolischen Privilegien“ anwenden. Diese Auffassung – so der Gutachter – gelte natürlich insbesondere in einem Fall, in dem ein alter Staat (wie zum Beispiel Österreich) aufhöre zu existieren und an seine Stelle eine neue internationale Persönlichkeit trete, die sich nicht als Fortsetzung der alten verstehen könne. Auch das napoleonische Konkordat sei nach Ansicht der Vertreter dieser Richtung durch die Staatsumwälzung gefallen, doch habe es eine stillschweigende Ratifikation oder eine faktische Erneuerung durch den Heiligen Stuhl gegeben.278 Was schließlich das Argument anbelange, dass es sich bei den Konkordaten um internationale Verträge handle, die auch bei einer Änderung der Regierungsform weiterhin galten, so würden die Kanonisten dieser Gruppe die Konkordate eben nicht unter die Gattung internationaler Verträge subsumieren. Zumindest dann nicht, wenn man sie nicht im allgemeinen, sondern im spezifischen Sinne verstehe als eine Vereinbarung zwischen zwei ungleichen Gewalten (Suprematie des Heiligen Stuhls).

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Vgl. das Französische Konkordat vom 15. Juli 1801, abgedruckt bei Mercati (Hg.), Concordati I, S. 561– 565. Vgl. dazu Dean, L’Église; Robberts, Napoleon; Roth, Konkordat. Der Gutachter lehnte sich bei der Charakterisierung dieser Gruppe dezidiert an Hollweck an, insofern er für seine Darlegung teilweise wörtlich das Votum des Eichstätter Kanonisten heranzog. Dieser rekurrierte nämlich in seiner Argumentation auf Kardinal Cavagnis und führte als Beispiel das Konkordat mit Napoleon von 1801 an, was der kuriale Gutachter eins zu eins übernahm. Vgl. dazu und zur Auffassung Cavagnis’ auch Bd. 3, Kap. II.2.1 (Das Gutachten von Joseph Hollweck). Hier griff der Relator auf die Darstellung Ojettis zurück. Dieser hatte in einem Gutachten geschrieben: „Però io non credo che al momento del cambiamento il Concordato [sc. mit Napoleon, R.H.] rimanesse in valore; esse per natura delle cose decadde. Ma vi intervenne subito una ratifica o una rinnovazione di fatto. Continuando di mutuo tacito accordo le due autorità, la pontificia e la repubblicana, a regolarsi nelle scambievoli relazioni a norma dei patti concordatari, cui tacitamente furono ratificati e rinnovati …“ Gutachten Ojettis zum Kirche-Staat-Verhältnis in Bayern vom August 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 49. 93

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Dieser Gruppe war zweifellos Konsultor Ojetti zuzurechnen, dessen Ausführungen der Gutachter bei seiner Analyse dieser zweiten Gruppe im Auge hatte. c) Naturgemäß gebe es – so der Relator schließlich – Autoren, die zu den beiden entgegengesetzten Positionen Zwischenlösungen verträten. Dazu würden jene gehören, die in den Konkordaten Artikel für Artikel unterschieden. In unterschiedlicher Weise würden diese auch in den konkreten Fällen argumentieren. Zur Illustration lenkte der Gutachter die Aufmerksamkeit der Kardinäle noch auf weitere Voten: darunter ein Auszug eines weiteren Pacelli-Berichts und zwei zusätzliche Exposés Ojettis. Der Bericht des Münchener Nuntius stammte vom 3. April 1919 und beschäftigte sich mit der Frage, ob die gegenwärtige bayerische Regierung noch berechtigt sei, Kandidaten für die Pfarrstellen und Benefizien zu präsentieren, wie es im Bayerischen Konkordat von 1817 zugestanden war.279 Der bayerische Episkopat war sich in dieser Frage uneins und wusste nicht, ob man die bislang übliche Dreierliste von Kandidaten dem Kultusministerium weiterhin vorlegen sollte. Pacelli hatte zur Klärung dieser Frage wiederum ein Gutachten von Hollweck anfertigen lassen. Dieser vertrat darin die Auffassung, dass das Konkordat insgesamt weiter gelte, abgesehen von einer einzigen Bestimmung, nämlich dem Nominationsrecht des bayerischen Königs. Weil das Bischofsernennungsrecht genuin dem Souverän gewährt worden sei, sei es auch mit dem Fall der Monarchie beendet. Konsequenterweise hielt der Eichstätter Professor das staatliche Präsentationsrecht der Pfarrstellen für weiterhin gültig. Wegen der einen Einschränkung der allgemeinen Konkordatsgeltung ordnete der kuriale Gutachter Hollweck der angesprochenen Mittelposition zu. Auch Pacelli gehörte damit zu dieser Mittelgruppe, insofern dieser sich dem Urteil Hollwecks hinsichtlich der grundsätzlichen Fortgeltung des Konkordats sowie der Aufhebung des Nominationsrechts der Bischöfe anschloss. Gegen diese Auffassung wandte sich Ojetti in dem schon erwähnten Gutachten, das Gasparri dem Münchener Nuntius am 23. August zukommen ließ. Wie deutlich wurde, vertrat der Jesuit die Auffassung, dass das Bayernkonkordat von 1817 – und allgemein jedes Konkordat – mit Änderung der Staatsform nichtig wurde. Eine erneute Anerkennung des alten Vertrags von Seiten des Heiligen Stuhls, wie es seiner Ansicht nach beim napeolonischen Konkordat geschehen war, lehnte Ojetti nachdrücklich ab, weil die Regierung nicht stabil und der Kirche gegenüber feindlich eingestellt sei und außerdem eine Trennung des Staates von der Kirche anstrebe: „Daher denke ich, und mir scheint, darin auch mit dem Herrn Nuntius übereinzustimmen, dass es für den Heiligen Stuhl würdiger und ein praktikablerer Ausweg ist, die weitere Entwicklung der Tatsachen abzuwarten, sich in der Zwischenzeit weder mit theoretischen noch

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Vgl. Pacelli an Gasparri vom 3. April 1919 (Auszug), S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 42–45. Vgl. dazu Bd. 3, Kap. II.2.1 (Die Pfarrbesetzungen als Auftakt der Frage nach der Fortgeltung des Bayernkonkordats von 1817). 94

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mit praktischen Aufklärungen zugunsten der neuen Regierung zu kompromittieren; vielmehr als das Leitprinzip in der Praxis festzuhalten, dass ähnliche Veränderungen der Regierung den Verfall jedes Konkordats und jeder Bewilligung nach sich ziehen, die vom Heiligen Stuhl den alten Regierungen gewährt wurden. Dieses Prinzip scheint mir auf der einen Seite die Freiheit der Kirche zu schützen und sie vor beinahe sicherem Schaden zu bewahren; und auf der anderen Seite behindert sie keinen Vorteil für die Kirche.“280

Und das sei keinesfalls nur für Bayern relevant, sondern generell von Belang. Überall sei man unterwegs zu Demokratien, die christlich, nicht-christlich oder sogar antichristlich eingestellt sein könnten. Dieser Tatsache musste man nach Ojetti von kirchlicher Seite mit seinem „Leitprinzip“ begegnen, was er damit auch für Preußen in Anschlag brachte. Direkt auf die Situation in Preußen und näherhin auf die Einmischung der Regierung in die Wiederbesetzung der im November des Vorjahres vakant gewordenen Kölner Kanonikate ging Ojetti in seinem nächsten Gutachten ein.281 Darin bekräftigte er seine Konkordatsauffassung als eines Vertrags zwischen dem Papst und dem jeweiligen Staatsoberhaupt, sodass dieser durch eine Veränderung der Regierungsform automatisch desavouiert werde. Die gegenteilige Ansicht verwarf der Jesuit vehement und zog daraus erneut als Handlungsmaxime für den Heiligen Stuhl: „Mir scheint daher einerseits richtig und andererseits ziemlich wichtig, dass der Heilige Stuhl gegenüber diesen neuen Staaten eine Haltung einnimmt, die auf die feinfühligste und schicklichste Art und Weise möglichst klar sagt, dass er sich ihnen gegenüber nicht mehr durch Konkordate gebunden hält, die mit Staaten geschlossen wurden, die ihnen vorausgingen.“282

Das Thema der Konkordatstheorie und -fortgeltung zusammenfassend, unterschied der Relator am Ende seiner Darstellung drei Arten von Staatsumwälzungen, die übrigens Benedikt XV. zwei Jahre später in seiner Konsistorialansprache übernehmen sollte: 1. Eine Veränderung der Regie280

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„Quindi io penso, e mi sembra convenire in ciò anche Mons. Nunzio, che sia più decoroso per la S. Sede e praticamente più espediente l’attendere l’ulteriore svolgersi dei fatti, non compromettendosi intanto né con teoretiche né con pratiche ricognizioni in favore del nuovo Governo; ritenendo anzi come principio regolatore nella pratica che simili mutazioni di Governo importano la decadenza di qualunque Concordato e di qualunque concessione fatta dalla S. Sede agli antichi Governi. Questo principio a me sembra tutelare da una parte la libertà della Chiesa e preservarla da danni pressochè certi; e dall’altra non impedire nessun vantaggio alla Chiesa.“ Gutachten Ojettis zum Kirche-Staat-Verhältnis in Bayern vom August 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 52. Vgl. Gutachten Ojettis zum Kirche-Staat-Verhältnis in Preußen ohne Datum, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 54–58. Vgl. zur angesprochenen Vakanz der beiden Kanonikate Bd. 1, Kap. II.1.1 (Der Auftakt der Frage nach der Geltung der alten Rechtsgrundlagen). „Mi sembra quindi giusto da una parte e assai utile dall’altra che la S. Sede prenda vis-à-vis di questi nuovi Stati un atteggiamento che nel modo più delicato e più acconcio dica abbastanza chiaramente che essa non si ritiene più vincolata verso di loro dai Concordati conchiusi con gli Stati che li precedettero.“ Gutachten Ojettis zum Kirche-Staat-Verhältnis in Preußen ohne Datum, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 57. 95

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rungsform (zum Beispiel der Übergang von einer Monarchie zur Republik wie Bayern oder Preußen); 2. Staaten, die durch Gebietsabtrennungen neu entstanden waren (wie zum Beispiel Böhmen) und 3. Staatsgebiete, die von bestehenden Staaten separiert und einem anderen hinzugefügt wurden (wie beispielsweise Kroatien und Slowenien vereint mit Serbien zu Jugoslawien geworden waren). Der Gutachter bemerkte, dass man im erstgenannten Fall für die Persistenz der Konkordatsbestimmungen sicherlich einen sehr glaubhaften Beweggrund haben könne und distanzierte sich damit vage von der Position Ojettis und der oben genannten Gruppe b). Nachdem die Kardinäle der AES durch diese umfangreiche Abhandlung nunmehr umfassend informiert schienen, gab der Gutachter vier Fragen vor, die in der geplanten Sessio zu beantworten waren: „1. Ob es angemessen ist, dem Metropolitankapitel von Köln das Recht einzuräumen, den eigenen Hirten gemäß der Bulle De salute animarum zu wählen, sowie ob und wie dasselbe Kapitel die Ermahnung, die im Breve Quod de fidelium enthalten ist [sc. keine der Staatsregierung minder genehme Person zu wählen, R.H.], berücksichtigen müsse? 2. Insofern beides negativ beantwortet wird, ob es angemessen ist, zu erklären, dass die Besetzung des Stuhles von Köln gemäß dem allgemeinen Recht (Can. 329, § 2) erfolgen muss. 3. Ob die Entscheidung, die für die Erzdiözese Köln angenommen wird, auch in den anderen Diözesen Deutschlands, besonders in jenen von Osnabrück, Hildesheim, Freiburg im Breisgau, Fulda, Limburg, Mainz und Rottenburg, angewendet werden müsse? 4. Welcher Standpunkt ist angemessen für den Heiligen Stuhl einzunehmen hinsichtlich der Fortgeltung der Vereinbarungen, die mit den ehemaligen Zentralmächten geschlossen wurden, und ob es angemessen ist, darüber in der Konsistorialallokution eine Andeutung zu machen.“283

h) Die Diskussion der Kardinäle der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten – An der Congregatio particularis vom 2. Dezember nahmen eine Reihe bedeutender Kardinäle teil, die sich dieser Aufgabe stellen mussten: neben Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri der Sekretär der Konsistorialkongregation Gaetano De Lai, der Kardinalvikar von Rom Basilio 283

„1. Se convenga riconoscere al Capitolo di Colonia il diritto di eleggere il proprio Pastore a norma della Bolla De salute animarum, e se e come lo stesso Capitolo debba tener conto dell’esortazione contenuta nel Breve Quod de fidelium? 2. Quatenus negative ad utrumque, se convenga dichiarare che la provvista della sede di Colonia debba farsi secondo il Diritto comune (Can. 329, § 2). 3. Se la decisione che sarà adottata per l’Archidiocesi di Colonia debba applicarsi anche alle altre Diocesi della Germania, specialmente a quelle di Osnabrück, die Hildesheim, di Friburgo in Brisgovia, di Fulda, di Limburgo, di Magonza e di Rottenburg? 4. Qual punto di vista convenga alla Santa Sede di adottare circa la permanenza o meno delle Convenzioni concluse cogli ex Imperi Centrali, e se sia opportuno farne un accenno nell’Allocuzione Concistoriale.“ Relation „Germania, Provvista dell’Arcidiocesi di Colonia“ der AES vom November 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 26. Hervorhebungen im Original. 96

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Pompilj, der Sekretär des Heiligen Offiziums Raffaele Merry del Val und der österreichische Dominikanerkardinal Andreas Frühwirth. Die Diskussion ermöglicht einen profunden Einblick, welche Positionen es bei den höchsten innerkurialen Würdenträgern hinsichtlich der Besetzung der bischöflichen Stühle in Deutschland gab und muss daher ausführlich nachgezeichnet werden.284 Den Auftakt der Besprechung machte De Lai. Ihm schien die hauptsächliche Frage zu sein, ob das Kölner Domkapitel das Bischofswahlrecht aufgrund der Bulle De salute animarum besitze oder etwa aufgrund der Tatsache, dass es ein sehr altes Recht war. Er glaubte, dass es seinen Ursprung im Wiener Konkordat von 1448 hatte285 und dass die preußische Zirkumskriptionsbulle sich genau auf dieses bezog, wenn sie feststellte, das Wahlrecht sei in den überrheinischen Gebieten „erhalten und bestätigt“286 worden. Nun sei ein Konkordat ein Vertrag, jedoch ein Vertrag von eigener Natur, welche zwar irgendwie an der Natur von internationalen Verträgen teilhabe, aber sich doch aufgrund „ihrer inneren Qualitäten“287 von dieser unterscheide. De Lai brachte vier Argumente vor, die diesen Unterschied zwischen einem konkordatären Vertrag und einem internationalen Kontrakt verdeutlichen sollten: 1) Ein Konkordat sei kein Vertrag zwischen zwei bürgerlichen Nationen, sondern zwischen dem Oberhaupt einer universalen geistigen und übergeordneten Gesellschaft – also dem Papst – und dem bürgerlichen Oberhaupt einer einzelnen Nation. In dieser Auffassung folgte der Sekretär der Konsistorialkongregation Ojettis Konkordatstheorie. 2) In einem Konkordat ginge es nicht um die materiellen, politischen und bürgerlichen Interessen beider Seiten, sondern um geistige (oder mit geistigen Angelegenheiten verbundene) Dinge. 3) Während in einem bilateralen Vertrag die beiden Staatschefs im Namen zweier verschiedener Personengruppen und für ihre jeweiligen Interessen sprächen, rede im Konkordat der Papst auch für die andere Seite, und zwar unter geistigem Gesichtspunkt. Auf beiden Seiten der Vertragspartner gab es Katholiken, die der Papst im Blick habe. 4) Außerdem – so De Lai weiter – „gibt der Papst wahrlich Gnaden und gewährt Gefälligkeiten, wäh-

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Die Diskussion protokollierte Sekretär Bonaventura Cerretti. Vgl. Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 1r–6v. Vgl. dazu, was das Wiener Konkordat tatsächlich zum Bischofswahlrecht sagte oder eben nicht sagte, den instruktiven Text von Meyer, Bischofswahl; außerdem zum Konkordat Ders., Wiener Konkordat; Raab, Concordata, S. 19–46. „… retento et confirmato …“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 1r. Hervorhebung im Original. Vgl. auch Mercati (Hg.), Concordati I, S. 653. „… le sue intrinseche qualità.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 1r. 97

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rend die andere Seite nicht mehr gibt als zu was sie verpflichtet ist.“288 Denn während der Papst neben vielem anderen beispielsweise das Präsentationsrecht für Benefizien verleihe, garantiere die staatliche Seite nicht einmal einen sicheren Schutz der Kirche, Freiheit im Schulunterricht oder eine sichere Dotation, „alles Dinge, zu denen der Staat aufgrund göttlichen und natürlichen Rechts verpflichtet wäre: weshalb das Konkordat einem Abkommen gleicht, das mit einem Despoten (prepotente) ad redimendas vexas [d.h., um nicht weiter gequält zu werden, R.H.] geschlossen wurde“289. Angesichts der so umrissenen Natur des Konkordats sei es klar, dass man es nicht anders als streng interpretieren und es daher nicht auf andersartige Verträge und auf einen anderen Staat ausdehnen könne. Nach diesem ersten Ergebnis über die Natur des Konkordats, hielt De Lai es außerdem für nötig, zwei Arten von Zugeständnissen innerhalb dieser Vertragsart zu differenzieren: 1) Einmal jene Konzessionen, die ein festes und fortdauerndes Fundament bilden würden, wie beispielsweise die Errichtung der Diözesen. 2) Sodann jene Genehmigungen, die willkürlich und sozusagen vorübergehend seien, wie zum Beispiel der Ernennung der Bischöfe. Für erstere ergebe sich nicht die Notwendigkeit einer strengen Auslegung. Sie bildeten schlichtweg eine Faktizität und bestünden solange, wie die legitime und höchste kirchliche Autorität sie nicht ändere. Für die zweite Gruppe – Vollmachten mit Privilegiencharakter, wobei „die Privilegien ad redimendas vexas erteilt wurden, um leichter das zu erreichen, wozu die Kirche berechtigt ist“290 – käme keine andere als eine strenge Auslegung in Frage, denn – wie De Lai prononciert beifügte –: „Odia sunt restringenda.“291 Aus diesen Überlegungen legte sich für De Lai eine eindeutige Entscheidung im Kölner Besetzungsfall nahe: „… mir scheint, daraus schließen zu müssen, dass die Vereinbarungen oder besser die Konkordats-Bullen zwischen dem Heiligen Stuhl und den deutschen Regierungen verfallen sind und daher der Heilige Stuhl seine volle Freiheit in der Ernennung der Bischöfe wieder ge-

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„… il Papa da veramente delle grazie e largisce favori, mentre l’altra parte non dà altro che quello a cui è obbligata.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 1v. „… tutte cose a cui lo Stato iure divino et naturali sarebbe obbligato: per il che il Concordato assomiglia ad un patto fatto con un prepotente ad redimendas vexas!“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 1bisr. Hervorhebungen im Original. „… privilegi dati ad redimendas vexas, per ottenere più facilmente quello a cui la Chiesa ha diritto …“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 1bisr. Hervorhebung im Original. Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 1bisr. 98

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wonnen hat. Daher glaube ich, dass man im Einklang mit dem Gesetz dem Kölner Kapitel das Recht, den Erzbischof zu nominieren, nicht gewähren muss.“292

Widerspruch erhielt De Lai von Kardinal Pompilj, der als nächster das Wort ergriff. Zwar sei alles wahr, was jener über die Natur der Konkordate und über ihre Interpretation gesagt habe. Doch sei es Tatsache, dass beide Vertragsparteien darin übereinkämen, sich gegenseitig etwas zu geben und daher müsse diese wechselseitige Verpflichtung bestehen bleiben. Außerdem vertrat Pompilj die Meinung, dass man im konkreten Fall nicht auf der abstrakten oder prinzipiellen Ebene stehen, sondern sich eher der praktischen Frage stellen sollte. Und diese lautete für ihn: Ist es angemessen und opportun, die Vereinbarungen beziehungsweise Zirkumskriptionsbullen für hinfällig anzusehen oder nicht? Offenkundig sei, dass die Kölner Domherren schon vor De salute animarum den Erzbischof wählten und vielleicht gehe dieses Recht ursprünglich auf das Wiener Konkordat zurück, wie De Lai vermute. Doch spiele das keine Rolle. Allerdings wusste Pompilj auch, dass bereits vor 1448 viele Domkapitel das Bischofswahlrecht besaßen. Umso mehr hielt er die Worte der Bulle zum Kapitelswahlrecht: „erhalten und bestätigt“, für klar. Im Rückgriff auf De salute animarum bemerkte der Kardinalvikar des Weiteren, dass die Bischofswahlen dem Kölner Metropolitankapitel zugestanden und bestätigt worden seien, um „auch der deutschen Nation einen Gefallen zu erweisen“293. Er nahm einen zentralen Gedanken des vorbereitenden Gutachtens auf, wenn er daraus folgerte, dass das Wahlprivileg demnach, obschon das Domkapitel betreffend, in gewisser Weise direkt dem deutschen Staat zugestanden sei. Und da dieser noch existiere, kam Pompilj zum Ergebnis, „dass das Kapitelswahlrecht noch fortbesteht, aber dass der Heilige Stuhl es zurücknehmen könnte.“294 Damit kam er auf seine Ausgangsfrage zurück: „Lohnt es sich? Ich glaube nicht.“295

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„… mi sembra dover concludere che le convenzioni o meglio le Bolle concordate tra la Santa Sede ed i Governi tedeschi sono decadute e quindi la Santa Sede riacquista la sua piena libertà nella nomina dei Vescovi. Pertanto credo che in linea iuris non si debba riconoscere al Capitolo di Colonia il diritto di nominare l’Arcivescovo.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 1bisv. Hervorhebung im Original. „… fare anche rem Germaniae gratissimam.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 2r. Hervorhebung im Original. Vgl. Huber/​​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 209. „… che il diritto dell’elezione capitolare sussista ancora, ma che la Santa Sede potrebbe revocarlo.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 2r. Hervorhebung im Original. „Conviene perciò? E a me pare di no.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 2r. 99

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Sofort warf De Lai ein, dass er sich nur auf die Rechtsfrage beschränkt habe. Er beabsichtige nicht, das Kölner Kathedralkapitel von jedweder Beteiligung an der Ernennung des neuen Erzbischofs auszuschließen. Nun mischte sich Kardinal Merry del Val in die Debatte ein und stimmte mit Pompilj darin überein, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob es angemessen sei, die Fortgeltung der alten Zirkumskriptionsbullen zu bestreiten. Seiner Ansicht nach sei De salute animarum eine Konzession, die der Heilige Stuhl eingeräumt habe. Daher könne dieser auch in besonderen Fällen diese Konzession oder vielmehr Konzessionen für nichtig erklären beziehungsweise zurückziehen. Hinsichtlich des konkreten Kölner Besetzungsfalls warf der Sekretär des Heiligen Offiziums die Frage auf, ob es angemessen sei, dem Domkapitel das Wahlprivileg zu bestätigen: „Unumwunden scheint es mir, dass dies der Moment für den Heiligen Stuhl wäre, seine Freiheit sowohl gegenüber der Regierung als auch gegenüber dem Kapitel wiederzuerlangen.“296 Mit Rekurs auf die vorbereitende Relation bemerkte Merry del Val, dass der Gutachter  –  eventuell Gasparri selbst – sich dort umfassend über die Unangemessenheiten verbreitet habe, die häufig im Kontext der Kapitelswahlen passiert seien, entweder aufgrund Verschulden der Domherren oder aufgrund der staatlichen Einflussnahme. Daher votierte er abschließend dafür, dass selbst in dem Fall, dass die Vereinbarungen aus dem vorigen Jahrhundert nicht hinfällig geworden sein sollten, es angemessen wäre, sie zu widerrufen. Damit stellte er sich auf die Seite De Lais und gegen den römischen Kardinalvikar. Mit Kardinal Frühwirth griff nun jemand in die Diskussion ein, der sich als ehemaliger Nuntius für Bayern gut in den deutschen Verhältnissen auskannte. Der Dominikaner wollte die Aufmerksamkeit ausschließlich auf die anstehende Kölner Besetzung lenken und definierte als Ziel seiner Überlegung: „… lasst uns sehen, ob es möglich ist, die reine und einfache Kapitelswahl zu bewahren, indem man nicht nur jeden Missbrauch abstellt, sondern auch jeden Einfluss der bürgerlichen Gewalt.“297 Hinsichtlich der Kapitelswahl stimmte Frühwirth nicht mit Ojetti überein, der dieses Recht einzig in De salute animarum fundierte und hinzufügte, es sei eigentlich dem König konzediert worden. Die Bischofswahl der Domkapitel sei hingegen bereits Recht zur Zeit der Dekretalen gewesen – also im 12. Jahrhundert, wobei Frühwirth hier sicherlich das Wormser Konkordat von

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„Francamente a me sembra che sarebbe questo il momento per la Santa Sede di riconquistare la sua libertà sia di fronte al Governo che di fronte al Capitolo.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 2v. „… vediamo, se è possibile, conservano l’elezione capitolare pura e semplice, eliminando non solo ogni abuso, ma anche ogni ingerenza del potere civile.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 2v. 100

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1122 und das IV. Laterankonzil von 1215 im Auge hatte298 –, dann von Papst Nikolaus V. im Wiener Konkordat für das Deutsche Reich bestätigt und in den folgenden Jahrhunderten praktiziert worden. Die preußische Bulle habe es schließlich erhalten, bekräftigt und wiederhergestellt und das in erster Linie gegenüber der deutschen Nation, die noch immer bestehe. Außerdem kenne auch der CIC das Wahlrecht der Domkapitel.299 Dieses Recht nun zu unterdrücken, gerade wenn man es frei von jeder staatlichen Einwirkung halte, schien Frühwirth „weder richtig noch günstig“300. Außerdem wäre es nötig, dieses Recht für St. Gallen, Salzburg, etc. ebenfalls abzuschaffen, was für den Österreicher Frühwirth nicht in Frage kam. Schließlich habe auch Pacelli festgestellt, dass das Wahlsystem gute Ergebnisse erzielt habe. Wenn es nun noch gelänge, den staatlichen Einfluss auszuschalten, würden die Ergebnisse noch besser werden. Wie sollte also im Sinne Frühwirths diese libertas ecclesiae nicht nur hinsichtlich der Missbräuche, sondern auch hinsichtlich jedweden staatlichen Einflusses erreicht werden? „Zur rechten Zeit würde ich der Regierung sagen: Lasst uns die Tragfähigkeit und die Ausdehnung der Genehmigung klarstellen, die dem Herrscher erteilt wurde. Gemäß den Kanonisten ist diese Genehmigung ein persönliches Privileg und geht daher nicht auf die neue Regierung über. Zweitens haben Sie selbst gesagt, dass keine Staatskirche besteht [sc. in Artikel 137, Absatz 1 WRV, R.H.]. Die frühere Regierung hat seit fast einem Jahrhundert die Bulle ‚De salute animarumʻ nicht vollkommen befolgt, da sie das Grundvermögen für die Dotation der Diözesen nicht festgesetzt hat und sich zufrieden gab, finanzielle Zuwendungen zu geben.301 Wir versichern, dass die Kapitel keine ungenehme Person wählen werden: mehr können wir nicht zugestehen.“302

Frühwirth war überzeugt, dass die Regierung unter den aktuellen Bedingungen einlenken würde. Falls nicht, werde der Heilige Stuhl immer noch Zeit genug haben, zu erklären, von nun an den 298

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Vgl. aus der Fülle der Literatur zum Wormser Konkordat etwa Laudage/​​Schrör (Hg.), Investiturstreit; Schilling, Wormser Konkordat; Goez/​​Goez, Kirchenreform, bes. S. 171–185. Das IV. Laterankonzil setzte die Bischofswahl durch die Domkapitel voraus. Vgl. Can. 23 des IV. Laterankonzils, Wohlmuth (Hg.), Dekrete 2, S. 246. Frühwirth verwies hier auf die Cann. 4 und 329 § 3 CIC 1917. „… né giusto né opportuno.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 2bisr. Vgl. zur Dotation und den Staatsleistungen an die Kirche in Preußen Aschoff, Staatsleistungen, S. 163– 180. „A tempo opportuno direi al Governo: precisiamo la portata e l’estensione della concessione fatta al Sovrano. Secondo i canonisti questa concessione è un privilegio personale e quindi non passa al nuovo Governo. In secondo luogo voi stessi avete dichiarato, che non vi è Chiesa di Stato. Il Governo passato da quasi un secolo non ha eseguito perfettamente la Bolla ‚de salute animarum‘ non avendo fissato i beni immobili per la dotazione delle Diocesi e si è contentato di dare assegni. Noi vi assicuriamo che i Capitoli non eleggerannno persona ingrata: di più non vi possiamo accordare.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 2bisv. Hervorhebungen im Original. 101

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§ 2 des 329. Canons des kirchlichen Gesetzbuches anzuwenden und damit die päpstliche Nomination der Bischöfe durchzusetzen. Dies könnte man dann auch vor Deutschland und dem Rest der Welt rechtfertigen. Falls aber der Heilige Stuhl ohne Weiteres und ohne vorangegangene Absprache mit der Regierung verkünde, von nun an die Bischöfe frei zu ernennen, ergäben sich drei gewichtige Folgen: 1) Rom könnte mit dieser Vorgehensweise Kritik ernten, auch vom rechtlichen Standpunkt aus, ein Konkordat einseitig verletzt und ein sehr altes Recht der Domkapitel abgeschafft zu haben, welches darüber hinaus expressis verbis vom Codex anerkannt werde. 2) Ebenso könnte dieser Akt weittragende Konsequenzen in anderen religiösen Dingen haben, insbesondere nämlich 3) könnte man die finanziellen Leistungen verlieren, was im gegenwärtigen Moment den Hunger unter den Klerus bringen würde, weil die Katholiken arm und nicht in der Lage seien, für ihn zu sorgen. Mit den übrigen deutschen Diözesen – wie es der dritte Punkt der vom Gutachter für die Sessio aufgestellten Zweifelsfragen beabsichtigte – würde er sich nun nicht beschäftigen, sondern erst einmal zusehen, wie die Angelegenheit in Köln verliefe. Abschließend kam der Dominikanerkardinal auf den letzten Punkt der im vorbereitenden Gutachten aufgestellten Themenbereiche zu sprechen, nämlich ob es angemessen sei, in der päpstlichen Konsistorialansprache den Verfall der Konkordate mit den „ehemaligen“ Zentralstaaten zu behaupten. Nach den angeführten Gründen überrascht es nicht, dass Frühwirth eine solche Äußerung für gefährlich hielt. Er riet, eher zu warten bis sich einige Umstände ergäben, für die man das Konkordat anwenden müsse. Dann könne man für den Einzelfall und die einzelnen Staaten gesondert entscheiden, wie man vorzugehen habe, damit der Heilige Stuhl seinen größten Nutzen erziele. „Warum schon jetzt unwiderrufliche Erklärungen geben?“303 Damit sekundierte der Dominikaner dem Kardinalvikar, sodass es zwischen den Positionen unentschieden stand. Als nächster war Gasparri an der Reihe, der in einer ausführlichen Wortmeldung den gemeinsamen Entschluss der Kardinäle entscheidend vorbereitete. Der Kardinalstaatssekretär wollte sich zunächst mit der vierten der vorgegebenen Zweifelsfragen beschäftigen, weil von ihrer Antwort auch größtenteils die Klärung der übrigen abhänge. Machten also die politischen Veränderungen innerhalb einer Nation den Verfall der Konkordate notwendig? Um hierauf eine fundierte Erwiderung zu geben, sei ein Rekurs auf das sinnvoll, was das Völkerrecht zu internationalen Verträge vorgebe. Nach Gasparri lernte man hier, dass Vereinbarungen politischer Natur dann ipso facto endeten, wenn eine neue Nation mit eigener Regierung entstand, die völlig von derjenigen getrennt war, mit der die Vereinbarung getroffen wurde. Beispielhaft führte er an, dass Polen nicht verpflichtet sei, die Verpflichtungen einzuhalten, die Russland mit anderen Mächten eingegan303

„Perché mettere già delle dichiarazioni irrevocabili?“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 3r. 102

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gen war. Erst recht gelte dies für den Fall, dass ein Teil eines Landes sich abspalte und mit einer anderen Nation vereinige. Denn wer würde behaupten wollen, dass die Vertragsverpflichtungen Österreich-Ungarns gegenüber anderen Nationen, beispielsweise für Jugoslawien, gälten, nur weil diesem Kroatien und Slowenien einverleibt wurden, die ehemals zur Donaumonarchie gehörten? Anders verhalte es sich bei politischen Umwälzungen, die lediglich die Regierungsform beträfen. Internationale Vereinbarungen würden durch jene nicht geändert, weil die moralische Person, welche sie abschloss – nämlich der Staat mit seiner Regierung –, noch fortbestehe. Dies gelte nicht nur für Frankreich, sondern man müsse auch für die Situation in Deutschland nach der letzten Revolution in diesem Sinne urteilen. Freilich sei das nur eine allgemeine Sicht, denn es könnten sich auch Umstände und Tatsachen einstellen, die trotzdem zur Hinfälligkeit des Vertrags führen würden. Nun seien  –  so Gasparri weiter  –  Konkordate den internationalen Verträgen politischer Natur gleichgestellt, wie der Heilige Stuhl mehrmals betont habe. Zwar sei der Unterschied, den Ojetti zwischen beiden Größen ins Feld geführt hatte – nämlich die Suprematie der Kirche über den Staat, was einen wirklich zweiseitigen Vertrag unmöglich machte –, berechtigt. Jedoch könne diese Ansicht seiner These nicht die Kraft rauben und man könne sich mit Sicherheit nicht darauf verlassen, dass die Staatsregierungen die Superiorität der Kirche akzeptierten. Deshalb müsse man zwangsläufig die angesprochene Theorie des internationalen Rechts auf die Konkordate anwenden, die mit den deutschen Staaten (also Bayern, Preußen etc.) abgeschlossen wurden. Für diese Staaten, „wo sich die Wechsel der reinen Regierungsform ereigneten, ohne dass wir verweilen, um die abstrakte und generelle Frage zu prüfen, ob nämlich der Wechsel der Regierungsform immer den Verfall der konkordatären Vereinbarungen mit sich bringt …, ist an das zu erinnern, was wir oben sagten, nämlich, dass der Wechsel der Regierungsform von Tatsachen und Umständen begleitet werden kann, die gewissermaßen den Verfall der internationalen Verträge politischer Natur und daher auch der Konkordate bewirken; dies ist es, was sich genau in unserem Fall ereignet.“304

Denn es habe in Deutschland ein so radikaler und umfassender Wechsel der Regierungsform stattgefunden, dass der Heilige Stuhl mit den gegenwärtigen Machthabern, auch angesichts der veränderten Zeitumstände, nicht die Konkordate schließen würde, die er mit den ehemaligen 304

„… ove sono verificati cambiamenti di pura forma di governo, senza soffermarci ad esaminare la questione astratta e generale se cioè il cambiamento della forma di governo porta sempre con sé la decadenza delle convenzioni concordatarie … è da ricordare ciò che sopra dicemmo, cioè, che il cambiamento di forma di governo può essere accompagnato da fatti e circostanze che importino certamente la decadenza delle convenzioni internazionali di ordine politico e perciò anche dei Concordati; il che si verifica precisamente nel caso nostro.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 4r-v. 103

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Regierungen im 19. Jahrhundert geschlossen hatte.305 Folglich habe der Heilige Stuhl allen Grund, die Vereinbarungen für hinfällig zu halten. Diese Schlussfolgerung stützte der Kardinalstaatssekretär darüber hinaus mit einem Argument, das er für völlig einsichtig hielt: Die WRV habe nämlich die Beziehung des Staates zur Kirche in einem äußerst freien Sinne neu geregelt, dem die Konkordate und Zirkumskriptionsbullen mit Sicherheit nicht entsprächen. Im Nachhinein sei dann erklärt worden – wie Pacelli berichtet hatte –, dass die internationalen Verträge, unter welche die meisten auch die Konkordate zählen würden, insoweit in Geltung blieben als ihre Bestimmungen nicht in Widerspruch zur Reichsverfassung stünden. Damit ergebe sich eine Ausdifferenzierung der einzelnen Konkordatsartikel: Jene, denen die Verfassung widerspräche, seien aufgehoben und jene, welche die Verfassung nicht tangiere, blieben in Kraft. Ein solches Vorgehen wollte Gasparri nicht akzeptieren: „Nun liegt es nicht im Ermessen einer einzelnen Seite, einen bilateralen Vertrag zu ändern, indem sie einige Bestimmungen unterdrückt und andere in Kraft lässt; wenn eine Seite einige Bestimmungen eines bilateralen Vertrags beseitigt, hat die andere Seite das volle Recht auch jene für aufgelöst zu erklären, die man bewahren wollte, ja sogar dass der Vertrag nichtig ist. Daher hat der Heilige Stuhl Grund, die mit den verschiedenen deutschen Staaten geschlossenen Konkordate für hinfällig zu halten.“306

Und wenn der bayerische Ministerpräsident Hoffmann nach der römischen Sicht zu dieser Sache frage und danach, ob der Heilige Stuhl das bayerische Konkordat von 1817 noch für rechtskräftig ansehe, dann zeige das doch, dass zumindest die bayerische Regierung nicht anders über die Sachlage denke. Aus diesen Gründen glaubte Gasparri in Beantwortung der vierten Zweifelsfrage, dass der Heilige Stuhl seine volle Freiheit einfordern musste. Allerdings hätten diese Argumente, die völlig mit Recht und Gesetz konform gingen, nichts Kränkendes für die neuen Regierungen an sich, zumal der Hei-

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Hier kam Gasparris Ansicht nach ein kanonistischer Grundsatz zum Zuge, den er aus einem Gutachten Ojettis zitierte, nämlich dass „qualunque concessione deve estendersi fino a non oltre quei limiti che sono definiti della espressa o presunta volontà del concedente, non potendosi la concessione che dipende essenzialmente dalla volontà del concedente, estendersi al di là di essa.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919– 1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 4v. Vgl. auch Gutachten Ojettis zum Kirche-Staat-Verhältnis in Bayern vom August 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones, 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, S. 50f. „Ora, non è in arbitrii di una sola parte modificare un patto bilaterale, sopprimendo alcune disposizioni e lasciandone altre in vigore; se una parte elimina alcune disposizioni di un patto bilaterale, lʼaltra parte ha pieno diritto di dichiararsi sciolta anche di quelle che si vorrebbero conservare, ossia il patto è decaduto. Quindi la Santa Sede ha ragione di ritenere decadute le convenzioni concordatarie concluse con i vari Stati della Germania.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 4bisr-v. 104

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lige Stuhl gleichzeitig seine Bereitschaft kundgebe, neue Vereinbarungen abzuschließen, die den veränderten zeitlichen und örtlichen Umständen gerecht würden. Pacelli habe schon begonnen, in diesem Sinne mit der bayerischen Regierung zu verhandeln, sodass es derzeit genüge, ihn seine Arbeit fortsetzen zu lassen.307 Bis der neue Staatskirchenvertrag abgeschlossen sei, handle man am besten, wenn man – wenigstens in Teilen – die alten Konkordate nicht beobachte. Falls es aber doch nötig sei, den vertraglichen Bestimmungen zu folgen, müsse stets ausführlich erklärt werden, dass dies kein Präjudiz für zukünftige Vereinbarungen bilden könne und keine Anerkennung der verfallenen alten Rechtslage von Seiten des Heiligen Stuhls bedeute. Was schließlich die zur Debatte stehende Andeutung in der Konsistorialansprache Benedikts XV. anbelangte, „würde ich“, so Gasparri, „sagen ja, aber in allgemeinen Worten ohne in eine Entfaltung der Gründe einzutreten“308. Dann kam Gasparri auf den ersten der vier Punkte zu sprechen, welche die Relation den Kardinälen zur Diskussion aufgegeben hatte und der das Recht der Kapitelswahl betraf. Dieses sei von der preußischen Zirkumskriptionsbulle nicht dem Kölner Metropolitankapitel übertragen worden, wie schon das vorbereitende Gutachten konstatiert hatte. Ebenso wie die übrigen Bullen habe sie zwar die Übung dieses Privilegs regeln wollen, jedoch das Privileg nicht grundsätzlich gewährt. Und obwohl das kirchliche Gesetzbuch durch den 4. Canon das Privileg nicht aufhebe, sei doch der Heilige Stuhl in keiner Weise daran gehindert, es in einem besonderen Akt zu widerrufen. Damit stand er vor der Frage, die zuvor Kardinal Pompilj in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt und schließlich negativ beantwortet hatte: Wäre es angemessen, das Privileg der Bischofswahl durch die Domkapitel zu widerrufen? „Ich glaube, dass es angemessen ist, es zu modifizieren, indem man klug mit demselben Kapitel verhandelt, ihm das Privileg überlässt, dem Heiligen Stuhl eine Terna zu präsentieren, ohne Verpflichtung für den Heiligen Stuhl, aus ihr den Bischof zu wählen, wie man es in den Vereinigten Staaten von Amerika309 machte und indem man, falls nötig, den Kanonikern andere Ehren- und geistliche Privilegien hinzufügt.“310

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Vgl. zu den bayerischen Konkordatsverhandlungen Bd. 3, Kap. II.2.1. „… io direi di sì, ma in termini generici senza entrare nellʼesposizione delle ragioni.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 5v. Das amerikanische Listenverfahren zur Besetzung der Bischofsstühle wurde durch das Decretum circa proponendos ad episcopale ministerium in foederatis Americae septentrionalis statibus der Konsistorialkongregation vom 25. Juli 1916 modifiziert. Vgl. AAS 8 (1916), S. 400–404. Vgl. dazu Mörsdorf, Besetzungsrecht, S. 48–55. „Io ritengo che convenga modificarlo, trattando prudentemente collo stesso Capitolo, lasciandogli il privilegio di presentare alla Santa Sede una terna, senza obbligo per la Santa Sede di scegliere da essa il Vescovo, come si faceva negli Stati Uniti di America, ed aggiungendo, se è necessario altri privilegi onorifici e spirituali ai Canonici …“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 5v–5bisr. 105

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In diesem Modus, gemäß dem das Domkapitel dem Heiligen Stuhl unverbindlich eine Liste von drei Kandidaten vorlegen sollte, folgte Gasparri dem Vorschlag Hollwecks und Pacellis. Die zweite klärungsbedürftige Angelegenheit betraf die konkrete Kölner Wiederbesetzung. Für dieses Mal, bevor nämlich eine neue Vereinbarung mit der Regierung getroffen worden war, hatte sich Gasparri ein besonderes Vorgehen überlegt: Pacelli sollte sich nach Berlin begeben und der preußischen Regierung verdeutlichen, dass der Heilige Stuhl in der Gewissheit, ihren Vorstellungen zu entsprechen, wünsche, auf den überaus wichtigen Kölner Metropolitenstuhl den Paderborner Oberhirten Schulte zu transferieren. Dass dieser ein Wunschkandidat der Regierung zu sein schien, war Gasparri mit ziemlicher Sicherheit vom preußischen Gesandten Bergen eröffnet worden. Insbesondere bei Papst Benedikt XV. stand der Paderborner Oberhirte in hohem Ansehen, sodass es nicht verwunderlich ist, wenn der Heilige Stuhl dem Wunsch der Regierung entgegenkam.311 Schulte werde – so Gasparri weiter – umgehend mit dem Kardinalat bekleidet. Sobald Pacelli sich schließlich vergewissert habe, dass die Wahl Schultes tatsächlich im staatlichen Sinne sei, müsse er das Domkapitel wissen lassen, dass es eine Kandidatenterna aufstellen könne, die jedoch den Namen Schultes enthalten müsse. Die Liste werde dann unmittelbar nach Rom gesandt, da die Regierung ihre Zustimmung zu diesem Zeitpunkt bereits gegeben habe. Sobald sie dann bei der Kurie eintreffe, transferiere der Heilige Stuhl Schulte nach Köln. Diesen von ihm favorisierten Besetzungsmodus könne man – so Gasparri abschließend zur verbliebenen dritten Frage – nicht nur bei der Wiederbesetzung des rheinischen Erzbistums, sondern generell auch in den übrigen Diözesen anwenden, wenn die Umstände mit Köln vergleichbar seien. Infolge dieser ausführlichen Wortmeldung des Kardinalstaatssekretärs entfaltete sich eine Diskussion unter den Anwesenden. De Lai bekräftigte noch einmal, dass das Wahlprivileg des Kölner Kapitels und auch der anderen Diözesen hinfällig sei und der Heilige Stuhl seine Freiheit zurückfordern müsse. Pompilj erwiderte, dass der Heilige Stuhl zwar dieses Privileg widerrufen könne, aber verfallen sei es nicht. Merry del Val bekannte, dass ihm die von Gasparri vorgelegte Lösung gefalle, doch sei es zu viel, sich auf den Weg nach Berlin zu machen, um die Regierung mit einzubeziehen. Frühwirth warf ein, man könne der Regierung auch auf andere weniger direkte Weise Mitteilung machen. „Um“ – so fügte Merry del Val hinzu – „nicht die Ordnung zu verkehren, mache man zunächst einmal dem Kapitel die Mitteilung, ohne der Regierung mehr zu sagen als sie über die vollzogene Translation zu informieren.“312 Dem setzte Gasparri entgegen, dass es durch-

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Vgl. zur Sicht Benedikts XV. auf Schulte Hehl, Karl Joseph Kardinal Schulte (2001), S. 65. „Perché non invertire lʼordine, cioè, si faccia prima di tutto la comunicazione al Capitolo, senza dire nulla al Governo tutto al più informarlo dellʼavvenuta traslazione.“ Protokoll Cerrettis der Congregatio particularis der AES vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Sessiones 1919–1920, Sessio 1230, Vol. 73, Stampa 1069, Fol. 6r. 106

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aus nötig sei, die Regierung anzufragen, ob sie vom politischen Standpunkt her etwas gegen Bischof Schulte einzuwenden habe. Auch im serbischen und kolumbianischen Konkordat habe man den Staaten ein solches politisches Bedenkenrecht eingeräumt.313 De Lai unterstützte die Meinung des Sekretärs des Heiligen Offiziums, man solle zuerst das Domkapitel darüber informieren, dass der Heilige Stuhl sich vorbehalte, über die Gültigkeit des Bischofswahlrechts sich noch zu äußern und für dieses Mal den Paderborner Oberhirten zum Kölner Erzbischof einsetze. Erst im Anschluss daran möge man sich der Einvernehmlichkeit mit der Regierung versichern und ihr erklären, dass man den künftigen Besetzungsmodus von neuen Konkordatsverhandlungen erwarte. Diesem Schlusswort des Sekretärs der Konsistorialkongregation stimmten – so notierte der Protokollant abschließend – alle Anwesenden zu. Nachdem sich anschließend auch der Papst mit dem geplanten Vorgehen Einverstanden erklärt hatte, schien der wesentliche Schritt zur Wiederbesetzung des Kölner Erzbischofsstuhls nach dem Tod Hartmanns getan.

Eine Postulation Schultes durch das Kölner Domkapitel? Bergen und Maglione Von der römischen Marschroute wusste man in Deutschland natürlich nichts. Die preußische Regierung versuchte weiterhin die Kurie von der unveränderten Fortgeltung des bisherigen Rechtsgrundes zu überzeugen. Diego von Bergen besuchte zu diesem Zweck den Schweizer Nuntius Luigi Maglione in Bern und bat ihn, das Kölner Bittgesuch um das Bischofswahlrecht vom 24. November nach Rom weiterzuleiten.314 Gleichzeitig legte er dem Nuntius die Regierungsauffassung zu diesem Thema dar. Bergen berichtete anschließend telegraphisch nach Berlin, dass Andeutungen Magliones zu erkennen gäben, dass Pacelli glaube, „die Kurie habe durch [die] Reichsverfassung [die] völlige Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit zurückerhalten“315. Dem sei er mit dem Hinweis entgegengetreten, dass ein neuer Rechtsstand nur durch Verhandlungen beider Parteien konstituiert werden könne, weil es sich bei den zwischen dem Heiligen Stuhl und Preußen seinerzeit geschlossenen Verträgen um bilaterale und internationale handle. Für die anstehende Kölner Besetzung empfahl Bergen erneut, sich auf den „allseitig genehmen“316 Paderborner Bischof Schulte zu einigen und dabei die Rechte des Domkapitels zu wahren. Der Unvereinbarkeit von Kandidateneinigung einerseits und freiem Kapitelswahlrecht andererseits schien er offenbar eine untergeordnete Bedeutung beizumessen. Stattdessen optierte er für eine Scheinwahl des Domkapitels.

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Vgl. Art. 15 des Konkordats mit Kolumbien von 1887, Mercati (Hg.), Concordati I, S. 1055f. und Art. 4 des Konkordats mit Serbien von 1914, ebd., S. 1100. Vgl. auch Bd. 3, Kap. II.2.1 Anm. 175. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 490. Bergen an das Auswärtige Amt vom 7. Dezember 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 490. Bergen an das Auswärtige Amt vom 7. Dezember 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 490. 107

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Maglione erklärte Gasparri am 2. Dezember, als er diesem von seiner Zusammenkunft mit Bergen benachrichtigte, dass der preußische Gesandte den Inhalt des überbrachten Middendorfschen Schreibens nicht kannte.317 Bergen vermute aber – so Maglione –, dass das Kölner Kapitel die Wahl des neuen Erzbischofs thematisiert und die Absicht bekundet habe, Bischof Schulte zum Kölner Erzbischof zu „postulieren“318. Maglione gab die angeführten staatskirchlichen Ansichten Bergens an Gasparri weiter und fügte hinzu, dass jener die Hoffnung hege, Schulte werde recht bald nach seiner Erhebung zum Erzbischof das Kardinalspurpur erhalten. Dies sei deshalb so wichtig, weil jüngst der Erzbischof von Warschau, Aleksander Kakowski, das Kardinalat erhalten habe319 und in Deutschland der Eindruck entstehe, der Heilige Vater bringe dem arg gebeutelten deutschen Volk nicht das gleiche Wohlwollen entgegen wie dem polnischen. Dies war eine typisch außenpolitische Überlegung: Mit Hartmann war der einzige deutsche Kardinal,320 der einer Diözese vorstand, gestorben. Durch die Erhebung des Nachfolgers und womöglich eines weiteren deutschen Bischofs würde man in der Staatengemeinschaft Achtung und Anerkennung zurückgewinnen, die durch den Krieg verloren waren. Man wird davon ausgehen können, dass Bergen diesen Wunsch bereits Gasparri gegenüber bekundet hatte, was erklären würde, warum der Kardinalstaatssekretär in der Sitzung der AES eigens auf die sofortige Kardinalskreierung Schulte hingewiesen hatte. Nach eigenen Angaben versicherte Maglione dem Regierungsvertreter die Zuneigung Benedikts XV. gegenüber Deutschland und zeigte sich überzeugt, dass der Heilige Stuhl dem Münchener Nuntius bereits Instruktionen betreffs der Kölner Vakanz habe zukommen lassen.

Die Order des Kardinalstaatssekretärs für die Bischofseinsetzungen in Deutschland und konkret in Köln Letzteres stimmte nur zum Teil, da die Instruktionen bislang nur darin bestanden, auf weitere Instruktionen zu warten. Nachdem nun aber die innerkuriale Klärung stattgefunden hatte, gab

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Vgl. Maglione an Gasparri vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 11r–12v. „… lʼintenzione di postulare …“ Maglione an Gasparri vom 2. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 11r. Hervorhebung im Original. Vgl. zur Postulation das Folgende. Offiziell erhob Benedikt XV. Kakowski im Konsistorium vom 15. Dezember 1919 in den Kardinalsstand. Vgl. AAS 11 (1919), S. 485. Michael von Faulhaber, der Erzbischof von München, wurde erst 1921 zum Kardinal kreiert. Adolf Bertram von Breslau, der bereits während des Ersten Weltkrieges 1916 in petto in den päpstlichen Senat erhoben worden war, erhielt offiziell noch im Dezember 1919 den roten Hut. 108

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Gasparri am 6. Dezember 1919 Pacelli endlich konkrete Anweisungen, sowohl was grundsätzlich die Rechtslage der deutschen Bischofseinsetzungen 1) als auch was spezifisch die Inauguration in Köln 2) anbelangte.321 1) In der Frage, ob durch die politischen Umwälzungen in Deutschland die bisherigen Vereinbarungen noch Geltung beanspruchen könnten, hatte man sich in der Kurie – wie gesehen – letztlich auf Gasparris Lösung geeinigt. Seine Argumentation wiederholte er nun für Pacelli: Es werde von staatlicher Seite gesagt  –  eine Anspielung auf die Erklärung des Kultusministertreffens im Reichsinnenministerium im Oktober –, dass die Zirkumskriptionsbullen insoweit in Kraft blieben, als deren Bestimmungen nicht in Widerspruch zur neuen Verfassung stünden. Durch dieses Argument seien aber diejenigen Bestimmungen, die der WRV widersprächen, für nichtig erklärt worden. Daher glaubte der Staatssekretär sich auf die völkerrechtlich gemeinhin anerkannte Vertragstheorie berufen zu können und behauptete: Wenn aber in einem Vertrag die eine Seite einige Bestimmungen einseitig ändere oder aufgebe, könne die andere  –  in diesem Falle der Heilige Stuhl – sich auch von den anderen juristischen Konditionen gelöst betrachten: „Aus diesem Grund kann der Heilige Stuhl sich nicht mehr an die geschlossenen Vereinbarungen mit den verschiedenen Regierungen oder Staaten Deutschlands gebunden halten und tut dies auch nicht mehr; ganz besonders, da sie zum großen Teil nicht mehr mit den geschehenen radikalen politischen Veränderungen übereinstimmen.“322

Damit war also die WRV der willkommene Anlass, sich von den alten missliebigen Zugeständnissen, die unter anderen Voraussetzungen im frühen 19. Jahrhundert den staatlichen Souveränen gemacht wurden, zu befreien. Trotz dieser Freiheit des Heiligen Stuhls sei dieser aber zu Verhandlungen über die Neuregelung (ex novo) der gesamten Rechtsmaterie des Kirche-Staat-Verhältnisses bereit, entweder mit der Reichsregierung – was Gasparri vorzog – oder aber mit den einzelnen Länderregierungen. Pacelli wurde beauftragt die Verhandlungen einzuleiten. 2) Bezüglich des vakanten erzbischöflichen Stuhls in Köln habe der Papst beschlossen, Schulte an die Spitze des Erzbistums zu promovieren, „der durch seine ausgewählten Qualitäten zweifellos eine sehr gern gesehene Person ist, nicht nur beim Metropolitankapitel und den Gläubigen der wichtigen Erzdiözese, sondern auch bei der Regierung“323. Das Kapitel dürfe sich auch nicht mit der Regierung in Verbindung setzen, weil die Kurie alles Notwendige klären werde. Ob das 321 322

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Vgl. Gasparri an Pacelli vom 6. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 18r–19r. „Per questa ragione la Santa Sede può ritenersi e si ritiene non più vincolata dalle convenzioni concluse coi diversi Governi o Stati della Germania, tanto più che esse non sono più in gran parte conformi ai radicali cambiamenti politici sopravvenuti.“ Gasparri an Pacelli vom 6. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 18v. „… il quale per le sue elette qualità, è persona indubbiamente accettissima, non solo al Capitolo Metropolitano ed ai fedeli di quell’importante Archidiocesi, ma allo stesso Governo.“ Gasparri an Pacelli vom 6. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 18v. 109

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Wahlrecht künftig wieder Anwendung finden könne, sei – so Gasparri – noch nicht abschließend erörtert worden.324 Pacelli wurde abschließend angewiesen, sich zuerst nach Köln zu begeben, um das Kapitel zu informieren, dass der Heilige Stuhl aufgrund der aktuellen Umstände für dieses Mal beabsichtige, direkt zur Besetzung des vakanten Erzbischofsstuhls zu schreiten. Die Person Schultes sollte der Nuntius dabei vor den Domherren ins beste Licht setzen. Anschließend sollte er nach Berlin fahren, um die angesprochene Erklärung über die Nichtigkeit der alten Rechtsgrundlage zu verkünden, die neuen Verhandlungen zu beginnen und die Regierung über die vom Heiligen Stuhl für Köln propagierte Vorgehensweise in Kenntnis zu setzen. Damit sollte das vorläufige Ergebnis der Disputation innerhalb der AES Realität werden: Der Heilige Stuhl glaubte sich an die alte Rechtsgrundlage nicht mehr gebunden, der Papst sollte den neuen Erzbischof von Köln ernennen. Um der Regierung entgegenzukommen – im Hinblick auf die künftigen Verhandlungen – wurde der ihr genehme Schulte als Nachfolger Hartmanns bestimmt. Der Bitte des Domkapitels sollte nicht entsprochen werden. Weder eine Wahl noch etwa das Trostpflaster einer Vorschlagsliste, was Pacelli als grundsätzliche Möglichkeit in Erwägung gezogen und was auch Gasparri in der AES als Option vorgestellt hatte, sollte dem Kapitel zugestanden werden. Auch wenn Pacelli zunächst nach Köln und erst dann nach Berlin reisen sollte, war wesentlich die Regierung der Widerpart, mit dem man sich auseinandersetzen musste. Obwohl die Tendenz der AES deutlich dahin ging, für die Zukunft die Aufhebung des Kapitelswahlrechts anzustreben, ließ Gasparri in seiner Weisung diese Frage bewusst in der Schwebe, wenn er erklärte, sie sei noch nicht abschließend erörtert worden. Natürlich durfte das Kölner Metropolitankapitel diese grundsätzliche Intention nicht erfahren, wenn man es zur gütlichen Aufnahme der päpstlichen Nomination Schultes bewegen wollte.

Die Intervention Kardinal Bertrams in Rom In Köln wartete man seit der Mitteilung Gasparris vom 28.  November, das Kapitel möge weitere Instruktionen abwarten, auf die authentische Dezision aus Rom. Gleichermaßen erwartete die preußische Regierung ein römisches Ergebnis aus der Unterredung des Gesandten Zech mit Pacelli. Während dieser Zeit blieb man auf beiden Seiten aber nicht untätig, sondern koordinierte ein gemeinsames Vorgehen gegen Rom. Am 4. Dezember trafen sich Regierungspräsident Brugger und

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Vgl.: „Quanto poi al privilegio di elezione esercitato in passato dal Capitolo, la Santa Sede si riserva di sottoporlo a benevolo esame.“ Gasparri an Pacelli vom 6. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 19r. 110

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Dompropst Middendorf in Köln zu einer Besprechung.325 Brugger bemerkte, dass Adolf Bertram, der kurz vor einer Romreise anlässlich seiner Kardinalskreierung stehe, in Berlin gewesen sei und für die Position der Regierung hinsichtlich der Kapitelswahl bei der Kurie eintreten werde. Der Staatsbeamte kam mit Middendorf überein, dass auch das Domkapitel diese Gelegenheit nutze, um noch einmal – und nun nicht brieflich, sondern personaliter – zur Verteidigung der Wahl bei der Kurie vorstellig zu werden. Die Auffassung des Metropolitankapitels sei auch die Ansicht des preußischen Episkopats, die Bischöfe von Trier, Münster und Paderborn (also auch Schulte, der designierte Erzbischof von Köln) hätten sich ähnlich geäußert. Wenngleich insgesamt schlecht organisiert,326 waren sich die preußischen Oberhirten in der Befürwortung der Bischofswahl durch die Domkapitel einig.

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Vgl. Aktennotiz Grootes vom 5. Dezember 1919, Trippen, Domkapitel, S. 491f. Die deutsche Kirche war auf die kirchenpolitischen Veränderungen überhaupt nicht vorbereitet, zumal es um die Organisation der Bischöfe schlecht bestellt war: Der bayerische Episkopat versammelte sich in einer eigenen Konferenz und fiel für die Regelung der preußischen Angelegenheiten heraus. Die Bischöfe der Oberrheinischen Kirchenprovinz nahmen an der Fuldaer Bischofskonferenz teil. Der bisherige Vorsitzende der Fuldaer Konferenz war Kardinal Hartmann gewesen, sodass sein Nachfolger, der Breslauer Fürstbischof Bertram sich erst in sein Amt fügen musste. Und schließlich waren die Verkehrsbedingungen durch den Krieg so sehr in Mitleidenschaft gezogen, dass allein praktisch eine Zusammenkunft aufwendig war. Ein Briefwechsel zwischen dem Rottenburger Bischof Paul Wilhelm von Keppler mit Bischof Schulte zeigt, dass sich die Bischöfe ihrer unvorbereiteten Situation bewusst waren. Keppler übersandte seinem Paderborner Amtskollegen Anfang Dezember eine Schrift, die die derzeitige Lage der deutschen Kirche zu sondieren versuchte. Vgl. Keppler an Schulte vom 4. Dezember 1919, ASV, ANB 51, Fasz. 1, Fol. 37r; Schreiben Kepplers zum Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland ohne Datum, ebd., Fol. 38rv. Für die bevorstehenden Umsetzungen der Trennung von Kirche und Staat müsse – so Keppler – ein einheitliches Vorgehen des Episkopats gefunden werden, andernfalls bliebe nach Vollendung der Tatsachen lediglich der Protest übrig, der nichts mehr grundlegend verändern würde. Gegen die Verfassung hatte die Fuldaer Konferenz schon kurz nach deren Verabschiedung protestiert. Nun war die Umsetzung der Verfassungsnormen im Blick. Die mangelnde Geschlossenheit  –  so Keppler weiter  –  führe schon jetzt zu Problemen. In Rottenburg und Freiburg  –  also in der Oberrheinischen Kirchenprovinz  –  sei man entschlossen, gemäß Artikel 137, Absatz 3 der Verfassung die völlige Freiheit der Bischofswahl und Kanonikatsbesetzungen zu fordern. Nun sei in den Zeitungen aber zu lesen, dass die Regierung beispielsweise in Köln Domherrenernennungen vorgenommen und sogar für die dort anstehende Wahl einen Kommissar ernannt habe: „Es wird anzunehmen sein, dass in diesen Fällen das bisherige Recht in Kraft blieb, weil eben tatsächlich die Trennung von Staat und Kirche noch nicht vollzogen ist.“ Ebd., Fol. 38r. Die Persistenz der Zirkumskriptionsbullen schien Keppler aber keineswegs erstrebenswert, vielmehr entbehre sie aufgrund der Gewaltentrennung jeder Grundlage. Schulte teilte die Auffassung der ungenügenden Vorbereitung des deutschen Episkopats auf die derzeitige Situation. Er votierte deshalb für ein Treffen der Bischofskonferenz, zu dem auch die bayerischen Bischöfe eingeladen werden müssten und intendierte, diese Idee mit Bertram zu diskutieren. Zudem sei eine weitergehende Fühlungnahme mit Rom zur Klärung der Konkordatsfragen notwendig. Hinsichtlich der angesprochenen Kanonikerernennungen 111

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Nachdem der Regierungspräsident auf die baldige Durchführung der Wahl gedrängt hatte, erklärte ihm Middendorf, dass sie mit dem Wahlakt erst beginnen könnten, wenn aus Rom endgültige Order käme.327 Brugger hingegen dachte, dass, wenn die Kurie vor das Ergebnis der Wahl gestellt würde, es für sie schwieriger wäre, diesbezüglich andere Wege zu beschreiten. Er versicherte dem Dompropst, dass die Regierung dem Kapitel in der Kandidatenfrage so weit wie möglich entgegenkommen werde. Ihr ging es einzig und allein darum, dass der Gewählte den von der Entente geförderten Separationsbestrebungen des Rheinlandes absolut entgegentrete.328 Middendorf konnte Bertram vor dessen Abreise nach Rom telefonisch nicht mehr erreichen. Deshalb beauftragte er den ihm vertrauten und neu ernannten Rektor des Campo Santo Teutonico, Emmerich David, in Rom bei Bertram vorzusprechen und bei dieser Gelegenheit auch mit Gasparri und dem Papst in Audienz zusammenzutreffen.329 Im „Auftrag“ der preußischen Regierung besprach Bertram das Anliegen der Kölner Bischofswahl bereits am 9. Dezember mit Gasparri.330 David wurde am 18. Dezember zum frisch kreierten Kardinal vorgelassen. Von dieser Besprechung verfasste Bertram einen Bericht, den David am 21. des Monats in einer Audienz

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klärte Schulte seinen Rottenburger Amtskollegen auf, dass „der H[eilige] Stuhl laut Mitteilung des hochw[ürdigsten] Herrn Nuntius im Oktober an den Kardinal von Köln den preußischen (?) Bischöfen die Ernennung der Domherren unbeschadet einer vorherigen Verständigung mit den staatlichen Instanzen in den bisherigen sog[enannten] päpstlichen Monaten bis auf Weiteres überlassen hat, sodass also die Einholung der päpstlichen Provista sich hinfort erübrigt“. Schulte an Keppler vom 11. Dezember 1919, ebd., Fol. 40r–42r (nur r), hier 42r. Vgl. zur Unklarheit, die weithin über diese von Gasparri am 14. Oktober angeordnete Änderung herrschte, Bd. 1, Kap. II.1.1 Anm. 173. Vgl. zur Geschichte der deutschen Bischofskonferenz(en) knapp Schmiedl, Bischofskonferenz; für die 1930er und 40er Jahre Leugers, Mauer, passim. Am 12. Dezember referierte Brugger dem Oberpräsidenten Groote die Überzeugung des Kapitels, die Wahl derzeit nicht durchführen zu können. Die staatliche Seite kam daraufhin zu dem Schluss, dass eine „Förderung der Angelegenheit … demnach nur erreichbar [scheine], wenn die Regierung auf die Respektierung des Kapitelswahlrechts in Rom dränge“. Trippen, Domkapitel, S. 495. Middendorf habe – so Brugger – empfohlen, dass die Regierung sich bei der Wahl zurückhalte, obwohl er mit ihr der Meinung sei, dass die bisherige Rechtslage noch gelte. Vgl. ebd., S. 495. Dies verdeutlicht auch eine Nachricht des Kultusministers Konrad Haenisch an Groote vom 6. Dezember 1919 über die Bestellung des Oberpräsidenten zum Kommissar für die Kölner Wahl: „Eurer Exzellenz überlasse ich, sich in geeigneter Weise über die Person des in Betracht kommenden Kandidaten zu unterrichten. Gegen diese würden nur dann Bedenken zu erheben sein, wenn es sich um deutschfeindliche Personen handeln sollte.“ Zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 492. Vgl. das Empfehlungsschreiben, David zu empfangen, von Middendorf an Bertram vom 13. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 22r. Ein weiteres Empfehlungsschreiben an Gasparri bezeichnete David als würdig, zum Heiligen Vater vorgelassen zu werden. Vgl. Middendorf an Gasparri vom 12. Dezember 1919, ebd., Fol. 21r. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 493. 112

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Gasparri übergab.331 Demnach hatte der Kölner Abgesandte ihm gegenüber drei Punkte vorgebracht: 1) Das Kapitel fürchte durch eine Abweichung von der Norm der Zirkumskriptionsbulle schwere Anschuldigungen gegen die Kirche, das Abkommen verletzt zu haben. Dies könnte für verschiedene Seiten Anlass sein, sich in die Neubesetzung der Kölner Erzdiözese einzumischen. 2) Die Regierung wolle nicht ernsthaft in den Besetzungsprozess eingreifen, sondern sei zufrieden, wenn die Bulle rein formal im Wesentlichen umgesetzt werde. 3) Nachdem mittlerweile bereits ein Monat nach dem Tod Hartmanns vergangen sei, sei eine Neubesetzung gemäß der für Preußen bislang üblichen Art sehr dringlich. Bertram, der neue Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz, fügte seine persönliche Meinung hinzu, die er womöglich in seiner eigenen Audienz beim Kardinalstaatssekretär schon in ähnlicher Weise vorgebracht hatte. Auch er warnte vor Komplikationen mit der preußischen Regierung, „welche im gegenwärtigen Stand der Dinge leicht sehr verhängnisvoll werden können“332. Mit den Komplikationen meinte Bertram die drohende Einstellung der staatlichen Leistungen gegenüber der Kirche. Er wisse, dass die Feinde der Kirche in Preußen nur auf eine solche Gelegenheit warteten.333 Daraus erkläre sich die Sorge des Kapitels, die geltende Vereinbarung in irgendeiner Form zu verletzen. Bertram unterstützte daraufhin das Kapitelswahlrecht, da es von den Katholiken Preußens gewünscht sei. Es bestehe kein Zweifel an der Aufrichtigkeit des Kapitels und seines Gesandten sowie an ihrer frommen Anhänglichkeit an den Heiligen Stuhl.334 Wie die Unterredung zwischen Gasparri und David verlief, ist quellenmäßig nicht erfasst. Der Breslauer Bischof wertete die Besprechungen jeden-

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Vgl. Bertram an Gasparri vom 19. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 23r–25v. Vgl. auch Trippen, Domkapitel, S. 493f. „… quae in praesenti rerum statu facile valde perniciosae fieri possunt.“ Bertram an Gasparri vom 19. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 24v. Vgl.: „Audivi tam a Ministris quibusdam Berolinensibus, quam a Deputatis Camerae Legislativae, serio timendum esse, ne ex neglectu Gubernii vel ex neglectu normae per Bullam ‚De salute animarum‘ datae inimici Ecclesiae, fanatico odio ducti, sumerent ansam postulandi in Cameris Legislativis, ut etiam Gubernium declaret, se non amplior initis iuxta illam Bullam obligationibus ligari, et ut Gubernium praestationes pecuniarias omnino necessarias in illa Bulla confirmatas et postea legislatione statutas retrahendas esse decernat.“ Bertram an Gasparri vom 19. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 24v. Bertram hatte zudem eine vier Punkte umfassende Liste mit Argumenten angefertigt, die David dem Staatssekretär ebenfalls übergeben sollte: 1) Die WRV habe nur Prinzipien für die Neuregelung des Kirche-Staat-Verhältnisses auf Länderebene vorgelegt, sodass die bislang geltende Rechtsnorm nicht aufgehoben sei; 2) Die Bulle sei keine Übereinkunft mit der preußischen königlichen Dynastie gewesen, sondern mit dem bis heute bestehenden Staat Preußen; 3) Daher sei diese Übereinkunft auch nach der WRV in Kraft und müsse zur Angleichung an diese in Verträgen zwischen den Ländern und dem Heiligen Stuhl eine neue Form erhalten; 4) Es sei für die preußische Kirche nützlicher, keinen Anlass zur Ungültigkeitserklärung der Bulle zu geben, sondern die Vorschläge der Regierung abzuwarten. Vgl. Bertram für David vom 18. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 26rv. 113

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falls als vollen Erfolg und beruhigte deshalb am 25. Dezember den Kölner Dompropst „sowohl wegen der lokalen, wie wegen der generellen Seite der Frage“335. Wie die bisherigen römischen Anweisungen bereits vermuten lassen, war die Freude jedoch verfrüht.336

Modifikationen in der Vorgehensweise des Heiligen Stuhls Nachdem Pacelli offenbar mehr als eine Woche über Gasparris Weisung vom 6. Dezember nachgedacht hatte, telegraphierte er am 15. des Monats an Gasparri, dass ihn zeitgleich mit jener die Kölner Eingabe vom 24. November erreicht habe.337 Zwar wusste Pacelli, dass sie auch nach Rom gegangen war. Dennoch filterte er aus ihr die für ihn zentrale Sorge heraus, dass bei einer Bischofsbestellung, die nicht gemäß De salute animarum vor sich gehe, der Staat die finanziellen Leistungen, deren Zahlung darin vorgeschrieben war, einstellen könnte.338 Angesichts dieser

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Bertram an Middendorf vom 25. Dezember 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 494. Gasparri antwortete Bertram wenige Tage später auf das von David überbrachte Schreiben, indem er die zentralen Abschnitte aus seiner Weisung an Pacelli vom 6. Dezember zitierte. Mit der darin zum Ausdruck kommenden kurialen Position konnte Bertram als Verfechter des Bischofswahlrechts nicht zufrieden sein. Vgl.: „È stato stabilito che i trattati internazionali (ai quali vengono assimiliati i Concordati) rimangono in vigore, in quanto le loro disposizioni non trovinsi in opposizione con quelle della Costituzione germanica. Quindi, promulgata la nuova Costituzione, le disposizioni Concordatarie contrarie alla Costituzione medesima, sono denunziate, ossia dichiarate nulle. Ora in un patto, se una parte denunzia alcune disposizioni, l’altra ha pieno diritto di dichiararsi sciolta anche dalle altre. Per questa ragione la S. Sede può ritenersi e si ritiene non più vincolata dalle convenzioni concluse coi diversi Governi o Stati della Germania, tanto più che esse non sono più in gran parte conformi ai radicali cambiamenti politici sopravvenuti. Però mentre la S. Sede rivendica la sua libertà, allo stesso tempo si dichiara disposta a porsi in relazioni o col Governo Imperiale per tutta la Germania (il che forse sarebbe da preferirsi), o coi singoli Governi che avevano convenzioni concordate affine di regolare ex novo tutta la materia dei rapporti fra la Chiesa e lo Stato. V. S. è autorizzata a dichiarare quanto sopra ai rispettivi Governi ed anche ad intavolare trattative per le nuove Convenzioni, sempre, beneinteso, ad referendum … Dopo ciò Ella si recherà a Berlino e farà al Governo Centrale la dichiarazione della quale sopra parola, dicendosi, come ho indicato, pronto ad iniziare le trattative; ed aggiungerà che essendo per intanto necessario provvedere con sollecitudine alle vacante Sede di Colonia, la S. Sede vi ha promosso l’eccellente Vescovo di Paderborn, nella certezza di far cosa gradita al Governo medesimo.“ Gasparri an Bertram vom 29. Dezember 1919 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 27rv, hier 27r-v. Hervorhebungen im Original. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 15. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 17r. Auf diese Problematik wurde Pacelli erneut gestoßen durch ein Gutachten des Direktors des Archivs der Fürsten von Salm in Anholt, Wilhelm Kisky. Kardinal Hartmann hatte ihn dem Nuntius am 30. Juli empfohlen. Schon am 22. Oktober wandte sich Kisky an Pacelli und bemerkte, dass es „zu einer großen Schädigung des kirchlichen Interesses“ führe, wenn der Heilige Stuhl die Überzeugung hege, dass „man 114

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akuten Gefahr bat er Gasparri um eine Bestätigung, ob er dennoch wie geplant vorgehen solle. Offensichtlich erwartete Pacelli eine Reaktion des Kardinalstaatssekretärs auf die skizzierte Befürchtung. Und er wartete nicht vergeblich: Am 17. Dezember modifizierte Gasparri seine vorherige Instruktion, indem er nun nicht mehr nur die päpstliche Promotion Schultes propagierte, sondern differenzierte und zwei alternative Besetzungsmodi vorgab:339 1) Pacelli sollte wie vorgesehen in Berlin die bisherige Anweisung umsetzen, also die Konkordatsverhandlungen anbahnen und mitteilen, dass der Papst Bischof Schulte nach Köln befördern wolle. Gasparri war überzeugt, dass die Regierung gegen die Translation Schultes nicht opponieren werde, zumal wenn sie vorher konsultiert worden sei. War Pacelli am 6. Dezember noch angewiesen worden, zuerst das Kölner Domkapitel einzuweihen, sollte er nun zuerst nach Berlin fahren, um die Zustimmung der preußischen Regierung einzuholen. Damit griff Gasparri auf die Reihenfolge zurück, die er selbst zunächst vertreten, aber von den anderen Kardinälen in der Sessio vom 2.  Dezember 1919 abgelehnt worden war. Im Anschluss an den Besuch in Berlin sollte der Nuntius nach Köln weiterreisen und den Domherren verkünden, dass sie für dieses Mal Schulte als neuen Erzbischof zu „postulieren“340 hätten, insofern die Regierung zu ihm bereits ihre Zustimmung gegeben habe. „Postulation“ als kanonistischer terminus technicus meinte einen „Wahlersatz“, nämlich die Bitte eines Wahlgremiums „an den zuständigen Oberen

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die jetzige Regierung nicht als Rechtsnachfolger der alten bzw. des Königs von Preußen anerkennt oder das Konkordat als gelöst betrachtet“. Kisky an Pacelli vom 22. Oktober 1919, zitiert nach Gatz, Ringen, S. 103. Pacelli äußerte sich drei Tage später zu Kiskys Bedenken: „Was die Nachfolge in jenen Rechten betrifft, welche durch das Konkordat dem König von Preußen eingeräumt worden sind, bin ich völlig im Unklaren, wenn ich Ihre Bedenken in Betracht ziehe. Die Reichsverfassung sagt ausdrücklich, dass jede Religionsgemeinschaft ihre Ämter ‚ohne Mitwirkung des Staates‘ besetzt.“ Pacelli an Kisky vom 25. Oktober 1919, zitiert nach ebd., S. 103. Im Anschluss daran forderte Pacelli noch im Oktober von ihm ein Gutachten, das auch die Bischofsproblematik behandeln sollte. Sein Exposé schloss der Archivar freilich erst jetzt im Dezember ab. Vgl. Kisky an Pacelli vom 12. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 22r–25r. Darin wünschte er eine Bestellung des Nachfolgers Hartmanns gemäß den Bestimmungen der Bulle De salute animarum und zielte auf die Bedeutung der Kölner Besetzung für die anstehenden Konkordatsverhandlungen ab. Er teilte die Ansicht der Kölner Geistlichkeit und der staatlichen Stellen, dass die Kirchenartikel der WRV zunächst in der preußischen Landesverfassung verankert werden müssten, bevor sie Rechtskraft beanspruchen könnten. Pacelli wurde außerdem erneut – wie schon durch Middendorfs Darlegung  –  auf die Gefahr hingewiesen, die sich aus einer grundlegenden Ablehnung der bisherigen Rechtsgrundlage ergeben könnte. Das Gutachten übermittelte der Nuntius – entgegen dem Wunsch Kiskys – nicht an das Staatssekretariat, vielleicht, weil es verspätet kam und die innerkuriale Diskussion bereits erfolgt war. Jedenfalls führte Pacelli die von Kisky skizzierte drohende Konsequenz, sollte die Kirche die Zirkumskriptionsbulle für aufgehoben erklären sollte, seinem Vorgesetzten nun nachdrücklich vor Augen. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 17. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 27r. Vgl.: „Quindi V.S.I. passi Colonia e dica Capitolo che questa volta postuli Vescovo Paderborn …“ Gasparri an Pacelli vom 17. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 27r. 115

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…, einen mit einem kanonischen Hindernis behafteten Kandidaten im Gnadenwege zu einem Kirchenamte zuzulassen“341. Das kanonische Hindernis Schultes bestand darin, dass er bereits als Bischof mit der Diözese Paderborn durch ein untrennbares Band verbunden war. Das Kapitel sollte demnach dem Papst Schulte zur Nomination vorschlagen. Die Postulation, die „in derselben Weise wie die eigentliche Wahl durchgeführt“342 wird, war eine Konzession an das Domkapitel, das somit anders als in der früheren Instruktion nicht gänzlich aus dem Besetzungsprozess herausgehalten werden sollte. Von einem freien Wahlrecht war sie allerdings weit entfernt. Womöglich hatte Gasparri, als er sich diesen Modus überlegte, die Berichterstattung Magliones im Ohr. Dieser hatte von der Vermutung Bergens gesprochen, dass die Kölner Domherren Schulte postulieren wollten.343 2) Neu war schließlich auch die zweite Variante, die Gasparri gewissermaßen als „Notanker“ in Erwägung zog: Falls die Regierung – so Gasparri – eine getreue Umsetzung von Bulle und Breve fordere, habe sich Pacelli wie bei der Benefizienbesetzung in Bayern zu verhalten. Zu diesem Zeitpunkt existierte eine zwischen Pacelli und dem bayerischen Kultusminister Hoffmann vereinbarte provisorische Lösung hinsichtlich der Pfarreienbesetzung, die vorsah, formal am alten Recht festzuhalten, jedoch ohne einer künftigen Regelung irgendwie vorzugreifen. Das bedeutete, dass der Staat sein Präsentationsrecht bei der Besetzung der Pfarreien weiterhin ausübte, wenngleich in der Sache die Bischöfe die freie Besetzung vornahmen, da der Staat nur im Einverständnis mit den Bischöfen Kandidaten benennen sollte.344 Formal durfte Pacelli also der Regierung, wenn diese darauf insistierte, konzedieren, dass die Besetzung des Kölner Erzbistums durch Wahl des Domkapitels entsprechend der alten Rechtsgrundlage erfolgen durfte, freilich – und das war bei dieser Variante das Entscheidende – ohne Präjudiz für die Zukunft. Zwar konnte von einer freien Wahl keine Rede sein, da das Domkapitel das Wahlergebnis in der Person Schultes bereits vorgegeben bekam. Dennoch wurde formal die alte Rechtsgrundlage gewahrt und nach außen hin hatte es zumindest den Anschein, als ob das Domkapitel frei wählen 341

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Mörsdorf, Lehrbuch I, S. 300. Vgl. auch die Erklärung von Rainald Becker: „Die Postulation bezeichnete eine Sonderform der Bischofserhebung. Die Domkapitel konnten objektiv geeignete Bewerber trotz Vorliegens von Einzelmängeln, entweder bei zu geringem Alter des Kandidaten … oder bei Besitz von anderen Bischofsämtern, zur Ernennung durch den Papst vorschlagen.“ Becker, Bischofsernennung. Vgl. darüber hinaus Cann. 179–182 CIC 1917; Feine, Besetzung, S. 237–244. Mörsdorf, Lehrbuch I, S. 300. Verkürzt und unpräzise gibt Hans-Ludwig Selbach die Weisung Gasparris wieder: „Der Nuntius solle zu Verhandlungen nach Berlin reisen, dort die Einsetzung Schultes als Erzbischof von Köln bekannt geben und anschließend in Köln dem Kapitel nahe legen, Schulte einzusetzen, da die Reichsregierung sich damit bereits einverstanden erklärt habe.“ Selbach, Katholische Kirche, S. 293. Hervorhebungen R.H. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 30. Oktober 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Baviera, 1918–1920, Pos. 59, Fasz. 39, Fol. 30rv und Gasparri an Pacelli vom 3. November 1919, ASV, ANM 401, Fasz. 1, Fol. 72r. 116

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würde.345 Die insbesondere auch von Pacelli verbalisierte Sorge um die Staatsleistungen hatte Gasparri offensichtlich zu diesem Zugeständnis bewogen. Wie innerkurial diese neue Nachgiebigkeit im Einzelnen zustande kam, geht aus den Quellen nicht hervor. Jedenfalls zeigten nun die Eingabe Middendorfs, die Intervention Bertrams und auch die zwei Tage zuvor erfolgte Anfrage Pacellis Früchte. Sie alle hatten bei Gasparri Zweifel an der Opportunität einer reinen päpstlichen Ernennung Schultes geschürt.346 Nun lag es am Münchener Nuntius, die neue Instruktion umzusetzen, die am 18. Dezember bei ihm einging. Einen Tag später bekundete er brieflich gegenüber dem preußischen Gesandten bei der bayerischen Regierung, Graf Zech-Burkersroda, den Willen, mit Regierungsvertretern des Reichs beziehungsweise Preußens zum Gespräch in Berlin zusammenzutreffen.347 Dort wolle er – entsprechend der früheren Anordnung des Kardinalstaatssekretärs vom 6. Dezember, deren Ausführung Gasparri im letzten Schreiben verlangt hatte – zum einen die Verhandlungen „zum Zwecke der neuen Regelung der Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Deutschland“348 in die Wege leiten. Was Pacelli hier entgegen Gasparris Vorgabe nicht sagte, war, dass der Heilige Stuhl sich nicht mehr an die alte Vereinbarung gebunden fühle, insofern der Staat dieselbe einseitig verändert habe. Zum anderen wolle er in Berlin – so Pacelli weiter – „speziell die Besetzung der Erzbistums Cöln besprechen“, an dessen Spitze Benedikt XV., „den ausgezeichnetsten hochwürdigsten Bischof von Paderborn zu befördern beabsichtigt, in der sicheren Überzeugung, dass dies auch der Regierung angenehm sein wird“349. Damit verwies Pacelli zunächst nur auf die Wunschvariante Gasparris – eine päpstliche Ernennung nach Absprache mit der Regierung –, die alternative Notlösung behielt er hier noch für sich.350 Es ergibt sich die Frage, wieso? Ebenfalls stellt 345

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Von Seiten des Kirchenrechts her, war eine „Wahl“ Schultes durch das Domkapitel im eigentlichen Sinne nicht möglich, weil eben das erwähnte kanonische Hindernis bestand und Schulte daher „postuliert“ werden musste. Vgl. Mörsdorf, Lehrbuch I, S. 300. Doch hier ging es Gasparri nur um die notgedrungene Konzession des Domkapitelswahlrechts an die Regierung zum Schutz der finanziellen Leistungen und nicht um die kirchenrechtliche Differenzierung von Wahl und Postulation. Erwin Gatz führt Gasparris Modifikation verkürzt allein auf Bertrams Wirken in Rom zurück und übersieht die Rolle, die Pacelli dabei spielte. Vgl. Gatz, Ringen, S. 105. Die Audienz Davids bei Gasparri hatte zum Zeitpunkt dieser neuen Weisung noch nicht stattgefunden und damit keinen Einfluss auf dieselbe ausüben können. Vgl. Pacelli an Zech vom 19. Dezember 1919 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 37r; der deutsche Entwurf des Schreibens ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 30r. Vgl. auch Trippen, Domkapitel, S. 496. Pacelli an Zech vom 19. Dezember 1919 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 30r. Pacelli an Zech vom 19. Dezember 1919 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 30r. Daher konnte Norbert Trippen zu folgendem Urteil kommen: „Nach diesem Schreiben [sc. Pacelli an Zech, R.H.] bestand in Rom nicht die Absicht, das Domkapitel an der Berufung Schultes zu beteiligen, während man sich mit der Regierung zur Not arrangieren wollte.“ Trippen, Domkapitel, S. 496. 117

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sich die Frage, warum Pacelli sich nicht eingehender zum Thema der Fortgeltung der Zirkumskriptionsbulle äußerte und stattdessen unbestimmt nur von einer „Neuregelung“ der Staat und Kirche betreffenden Materie sprach. Was die letztgenannte Frage anging, so war Pacelli mit Gasparris Anordnung nicht zufrieden. In dessen neuem Schreiben hatte Gasparri nur den Besetzungsmodus für Köln modifiziert, nicht aber die kuriale Position zur prinzipiellen Frage nach der Fortgeltung des alten Rechts. Daher griff Pacelli in einem Brief an den Staatssekretär am 19. Dezember dessen Behauptung vom 6. des Monats noch einmal auf:351 nämlich dass De salute animarum durch die WRV einseitig geändert worden sei und sich der Heilige Stuhl deshalb auch nicht mehr an diesen Vertrag ebenso wie die Kontrakte mit den anderen deutschen Staaten zu halten brauche; außerdem entsprächen sie den gravierenden politischen Veränderungen größtenteils nicht mehr. Hinsichtlich dieser Auffassung führte Pacelli nun an, „dass die Bulle de salute animarum und das dazugehörige Breve im Unterschied zum Bayerischen Konkordat352 nicht von der bekannten Reichsverfassung berührt worden sind, abgesehen von der Beendigung des staatlichen Einflusses auf die Besetzung der kirchlichen Benefizien, die aber einfach ein Verzicht des Rechts ist und abgesehen von der Ablösung der Leistungen, die aber einen Ausgleich nötig macht und auch vor einem Abkommen mit der Kirche durchgeführt werden könnte.“353

In Pacellis Augen war die preußische Zirkumskriptionsbulle nur in den beiden genannten Bereichen von der WRV betroffen: Die Ablösung der staatlichen Leistungen an die Kirche überwies der Artikel 138 in die Befugnis der Landesregierungen und war nicht etwa eine Streichung der finanziellen Mittel.354 Die kirchliche Autonomie in der Ämterbesetzung nach Artikel 137 Absatz 3 interpretierte Pacelli als einen einfachen Rechtsverzicht des Staates, der sich damit von seinem Privileg der Einflussnahme zurückzog. Angesichts dieses Befunds wollte Pacelli nicht gegenüber den Regierungsbeamten behaupten, dass der Heilige Stuhl seine völlige Freiheit wiedererlangt habe und sich nicht mehr an die Vereinbarungen gebunden fühle, wie Gasparri das vorgegeben hatte. Und damit kam er erneut auf die drohende Gefahr zu sprechen: Wenn der Heilige Stuhl „zu

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Vgl. Pacelli an Gasparri vom 19. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 20rv. Vgl. zur Pacellis Sicht auf die Fortgeltung des bayerischen Konkordats von 1817 Bd. 3, Kap. II.2.1 (Ergebnis Nr. 3). „… che, a differenza del concordato Bavarese, la Bolla de salute animarum e il Breve relativo non sono stati toccati della nota costituzione imperiale, salvo la cessazione delle ingerenze governative circa la provvista dei benefici ecclesiastici, la quale però è semplice rinuncia di diritto e svincolo di prestazione, ma che importa compenso e potrebbe anche essere eseguita previo accordo colla Chiesa.“ Pacelli an Gasparri vom 19. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 20r. Hervorhebung im Original. Vgl. Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche IV, S. 130. Vgl. dazu Aschoff, Weimarer Republik. 118

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ausdrücklich“355 verkünde, dass er sich nicht mehr an die alten Vereinbarungen gebunden fühle, könne es sein, dass der preußische Staat sich gleichermaßen von ihnen lossagt und konsequenterweise seine finanziellen Abgaben für die Kirche einstellt. Die Tragweite dieser Angelegenheit stand ihm mittlerweile klar vor Augen. Er wusste natürlich auch, dass die Argumentation Hollwecks, die pekuniären Verpflichtungen würden nicht auf den Bullen, sondern eigentlich auf dem Reichsdeputationshauptschluss basieren, von Regierungsseite nicht anerkannt würde. Angesichts der skizzierten Gefahr erbat Pacelli schließlich die Anweisung, ob er trotz allem die Erklärung in der bisherigen Form formulieren solle oder „ob es hingegen nicht besser sei, allgemein zu behaupten, dass der Heilige Stuhl, obwohl die neue Verfassung den Komplex der Beziehungen zwischen Kirche und Staat einseitig geändert hat, sich nichtsdestotrotz bereit erklärt, Verhandlungen mit der Reichsregierung aufzunehmen etc.; dies aber mit ausdrücklichem Vorbehalt, weil das Ereignis einen Schaden der kirchlichen Rechte bewirkt hat“356.

Worin bestand dieser „Schaden der kirchlichen Rechte“? Pacelli verwies hier auf die Protestnote der Fuldaer Bischofskonferenz vom 24. August 1919. Sie monierte an der WRV unter anderem, dass die kirchliche Selbstverwaltung in die „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ eingegrenzt wurde und der Staat sich für berechtigt halte, ohne mit der Kirche zu verhandeln, die Rechtslage zu ändern.357 Pacelli intendierte demnach, die römische Kritik am staatlichen Vorgehen an einer Erklärung des deutschen Episkopats aufzuhängen. Die von ihm vorgeschlagene Wendung bezweckte, die Zirkumskriptionsbulle gegenüber der Regierung nicht offiziell für nichtig zu erklären und den Staat somit nicht aus der Zahlungspflicht zu entlassen. Mit anderen Worten: Er wollte der Frage der Gültigkeit von De salute animarum diplomatisch geschickt aus dem Weg gehen und sie im Dunkeln belassen. Wenn nach außen hin also der Eindruck entstehen konnte, Pacelli sei in dieser Frage unentschieden, so war das nicht dem Fehlen von einer persönlichen Überzeugung, sondern vielmehr strategischer Berechnung geschuldet. Dass der Artikel 137 Absatz 3 erst durch die Landesgesetzgebung in Kraft treten musste oder dass die in den Zirkumskriptionsbullen der staatlichen Seite verbürgten Privilegien bei der

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„… troppo espressamente …“ Pacelli an Gasparri vom 19. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 20r. „… o se invece non convenga dire generalmente che, siccome la nuova Costituzione ha mutato unilateralmente il complesso dei rapporti fra Chiesa e Stato, la Santa Sede, pure facendo espressa riserva in quanto il fatto ha importato lesione dei diritti della Chiesa …, tuttavia si dichiara disposta a mettersi in relazione con il governo imperiale ecc.“ Pacelli an Gasparri vom 19. Dezember 1919, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 20r-v. Vgl. Eingabe der Fuldaer Bischofskonferenz an die Reichsregierung vom 24. August 1919, abgedruckt bei Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche IV, S. 132–134 (Nr. 98). Vgl. dazu auch Morsey, Zentrumspartei, S. 230–242; Mussinghoff, Fakultäten, S. 140f. 119

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Ämterbesetzung auf die republikanischen Regierungen übergegangen seien, hatte Pacelli in der Theorie deutlich abgelehnt. Aber praktisch wollte er diese Fragen nicht ausdiskutieren, sondern lieber stillschweigend Abstriche in Kauf nehmen, wenn es opportune Gründe dafür gab. Die Sicherung der pekuniären Verpflichtungen war ein solches Kriterium. Zwar glaubte er, dass das Deutsche Reich theoretisch auf sein Einflussrecht bei der kirchlichen Ämtervergabe freiwillig verzichtet hatte und die Kirche daher darin autonom war, aber praktisch sollte die Kölner Besetzung mit Berlin abgesprochen werden. Die Argumente des Nuntius waren offensichtlich überzeugend: Am 22. Dezember, drei Tage nach Pacellis Anfrage, billigte Gasparri telegraphisch dessen Schlüsse, indem er ihm erlaubte, die Erklärung gegenüber der preußischen Regierung in seinem vorgeschlagenen Wortlaut vorzunehmen, wenn er ihn für „weniger gefährlich“358 halte. Allerdings dürften die „päpstlichen Thesen“359 dadurch nicht kompromittiert werden. Offen ist noch die erstgestellte Frage, warum Pacelli gegenüber Zech bislang nur die päpstliche Ernennung als Besetzungsoption dargelegt hatte. Der Grund dafür bestand in einem Verständnisproblem hinsichtlich des Begriffs der „Postulation“. In dem bereits genannten Schreiben vom 19.  Dezember wünschte der Nuntius eine Klärung, was Gasparri damit meine, insofern nämlich De salute animarum „Postulation“ und „Wahl“ ausdrücklich nicht unterscheide.360 Zu dieser Problematik bemerkte Gasparri in seinem Antworttelegramm drei Tage darauf, dass es ihm schlichtweg egal sei, ob das Kölner Metropolitankapitel anstatt des Terminus „Postulation“ den der „Wahl“ benutze, solange – wie man zur Klärung hinzufügen muss – das gemeint bleibe, was im Kirchenrecht unter „Postulation“ zu verstehen sei.361 Diese Detailfrage schien Gasparri lästig zu sein, dabei war die Nachfrage Pacellis wichtig, insofern nach Gasparris Auffassung die Postulation gerade nicht die Kapitelswahl gemäß der Bulle darstellen sollte, zumal es ansonsten zwischen den beiden angedachten alternativen Besetzungsmodi gar keinen Unterschied gegeben hätte. Wenn Pacelli dem Domkapitel weisungsgemäß schlicht gesagt hätte, es habe Schulte zu postulieren, dann hätte es darunter wohl „wählen“ gemäß der Zirkumskriptionsbulle verstanden, während Gasparri damit die Wahlbitte des Kapitels an den Papst meinte, Schulte zu ernennen. Daher half es zur Lösung des Problems rein gar nichts, wenn die Domherren anstatt Postulation  –  im Sinne Gasparris und des CIC als Ernennungsbitte verstanden – jetzt „Wahl“ sagen durften. Insofern schien Gasparri die Proble-

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„… meno pericolosi …“ Gasparri an Pacelli vom 22. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 116r. „… tesi pontificia …“ Gasparri an Pacelli vom 22. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 116r. Vgl. De salute animarum, Nr. XXII, Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 209. Vgl.: „Non attribuisco grande importanza che Capitolo usi parola elezione invece di postulazione.“ Gasparri an Pacelli vom 22. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 116r. 120

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matik gar nicht gesehen zu haben. Da Pacelli aber offensichtlich wusste, worauf die Absichten des Kardinalstaatssekretärs zielten, fragte er nicht erneut nach. In der Sache blieb es also dabei: Die erste Variante sah eine päpstliche Nomination Schultes nach Absprache mit der Regierung vor, wobei dem Domkapitel die Aufgabe zukommen sollte, den Paderborner Oberhirten zu „postulieren“ (im Sinne des CIC). Der zweite, von Gasparri als Notlösung empfundene Modus, beinhaltete eine Bischofswahl (beziehungsweise Postulation im Sinne von De salute animarum), die formal gemäß der alten Rechtsgrundlage stattfinden sollte, wobei der Wahlausgang schon im Vorhinein feststand. Beides war letztlich nicht im Sinne des Kölner Domkapitels. Nachdem Pacelli sich damit in der Fortgeltungsfrage durchgesetzt hatte und über die Verfahrensfrage im Bilde war, verfasste er am 24. Dezember einen weiteren Brief an Zech, in dem er sich ausführlicher als zuletzt zu den fraglichen Themen äußerte.362 Dementsprechend erklärte er gemäß seiner von Gasparri approbierten „weniger gefährlichen“ Formel, dass durch die einseitige Rechtsänderung des Staates in der WRV die Rechte der Kirche verletzt worden seien. Trotz ausdrücklicher Verwahrung dagegen sei die Kurie bereit, die staatskirchliche Materie von Neuem zu verhandeln. Die ehemalige Vorgabe Gasparris: „Aus diesem Grund kann der Heilige Stuhl sich nicht mehr an die geschlossenen Vereinbarungen mit den verschiedenen Regierungen oder Staaten Deutschlands gebunden halten und tut dies auch nicht mehr; ganz besonders, da sie zum großen Teil nicht mehr mit den geschehenen radikalen politischen Veränderungen übereinstimmen“363

änderte Pacelli gemäß seiner Ankündigung um: „Der Heilige Stuhl hält das sogar für umso notwendiger [sc. gänzlich neue Verhandlungen, R.H.], insofern die vormals geschlossenen Vereinbarungen mit den verschiedenen Staaten in Deutschland zum großen Teil nicht mehr mit den geschehenen radikalen politischen Veränderungen übereinstimmen.“364 Diese Aussage begründete er mit der Vorschrift für die Domkapitel aus Quod de fidelium, keine dem preußischen König minder genehme Person zu wählen – eine Vorschrift, die offensichtlich anachronistisch geworden war. Ein Analogon fand Pacelli im bayerischen Konkordat von 1817: Auch dies sei durch die 362

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Vgl. Pacelli an Zech vom 24. Dezember 1919 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 38r–39r. Vgl. auch Morsey, Geschichte, S.  67f.; Mussinghoff, Fakultäten, S. 168 Anm. 78; Trippen, Domkapitel, S. 496–498. „Per questa ragione la Santa Sede può ritenersi e si ritiene non più vincolata dalle convenzioni concluse coi diversi Governi o Stati della Germania, tanto più che esse non sono più in gran parte conformi ai radicali cambiamenti politici sopravvenuti.“ Gasparri an Pacelli vom 6. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 18v. „La Santa Sede ritiene anzi ciò tanto pìu necessario, in quanto che le Convenzioni concluse già coi diversi Stati della Germania non sono più in gran parte conformi ai radicali mutamenti politici sopravvenuti.“ Pacelli an Zech vom 24. Dezember 1919 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 38r-v. 121

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bayerische Regierung bereits in mehreren Punkten verletzt worden, beispielsweise im Bereich der geistlichen Schulaufsicht.365 Ministerpräsident Hoffmann habe ihm am 30.  Oktober diesbezüglich versichert, dass man bei einer Konferenz im Berliner Innenministerium übereingekommen sei, dass die internationalen Verträge noch in Kraft seien, bis auf die Bestimmungen, die gegen die WRV stünden. Deshalb müsste zum Beispiel der Passus des bayerischen Konkordats über die kirchliche Schulaufsicht als gefallen gelten. Neue Verhandlungen – so die Quintessenz von Pacellis Argumentation – waren also mehr als dringlich.366 Was schließlich die Neubesetzung der Kölner Erzdiözese betraf, für die „schnell und auf bestmöglichste Weise“ gesorgt werden müsse, bekräftigte Pacelli erneut, dass Benedikt XV. „beabsichtige, für dieses Mal auf dieselbe den hervorragenden Monsignore Bischof von Paderborn zu befördern“ und zwar „in der Gewissheit, der Regierung einen Gefallen zu tun“367. Die damit verbundene Postulation durch das Domkapitel war eine rein innerkirchliche Angelegenheit, sodass Pacelli logischerweise keine Veranlassung sah, dies der staatlichen Seite mitzuteilen. Anschließend ergänzte Pacelli den zweiten Modus, auf den Gasparri sich notfalls bereit war einzulassen: „Falls dieselbe [sc. die preußische Regierung, R.H.] verlangt, dass die Wahl gemäß der Bulle De salute animarum und des dazugehörigen Breve Quod de fidelium stattfindet, bin ich autorisiert, dies zuzugestehen, aber mit derselben von der bayerischen Regierung akzeptierten Klausel in der provisorischen Lösung hinsichtlich der Präsentation auf die Pfarreien des staatlichen Patronats; das heißt, dass dies kein Präjudiz für die endgültige Regelung der Frage konstituieren kann.“368 365 366

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Vgl. dazu Bd. 3, Kap. II.2.1 Anm. 30. Norbert Trippen beurteilt Pacellis Ausführungen diesbezüglich so: „Es ist ganz offensichtlich, daß der Nuntius versuchte, die Ansicht des Staates von der zumindest vorläufigen Fortgeltung der bisherigen Abmachungen mit der Kurie mit möglichst qualifizierten Äußerungen staatlicher Vertreter zu entkräften.“ Trippen, Domkapitel, S. 497. Das ist insoweit korrekt, als Pacelli neue Verhandlungen und ein neues Konkordat wünschte und daher die staatliche Seite von dieser Notwendigkeit zu überzeugen suchte. Allerdings ging es ihm nicht darum – wie bereits mehrfach deutlich wurde –, die alte Abmachung insgesamt einfach für nichtig zu erklären. „… sollecitamente e nel miglior modo possibile … intenderebbe per questa volta promuovere alla medesima l’eccellente Monsignor Vescovo di Paderborn … nella certezza di far cosa gradita al Governo stesso.“ Pacelli an Zech vom 24. Dezember 1919 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 39r. „Che se questo [sc. il Governo prussiano, R.H.] richiedesse che la elezione abbia luogo a norma della Bolla De salute animarum e del relativo Breve Quod de fidelium, io sarei autorizzato ad ammetterlo, però colla stessa clausola accettata dal Governo bavarese nella soluzione provvisoria circa la presentazione alle parrocchie di patronato cosidetto regio, ossia che ciò non potrà costituire un precedente per il definitivo regolamento della questione.“ Pacelli an Zech vom 24. Dezember 1919 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 39r. Hervorhebungen im Original. 122

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Damit war die Regierung über die römischen Pläne hinsichtlich der prinzipiellen Frage der Rechtslage und der konkreten Frage der Kölner Besetzung im Bilde.

Die Reaktion des Staates auf die Position des Heiligen Stuhls Graf Zech leitete die beiden Schreiben Pacellis jeweils sofort nach Berlin weiter und fügte hinzu, dass Pacelli beabsichtige, am 29. Dezember in Berlin einzutreffen und anschließend umgehend nach Köln zu reisen, weshalb er eine unmittelbare Entscheidung der Regierung wünsche.369 Nach Erhalt des ersten Schreibens setzte man im Berliner Auswärtigen Amt alle Hebel in Bewegung, um die Regierungsposition und -strategie für die Verhandlungen mit dem Nuntius zu sondieren.370 Ein Exposé sollte den staatlichen modus procedendi abstecken und als Grundlage für eine am 27. Dezember im Staatsministerium stattfindende Besprechung zwischen Vertretern Preußens und des Reichs dienen. Dieses Grundlagenpapier fasste die Interessen der verschiedenen Parteien zusammen: Alle Seiten seien mit Schulte als neuem Erzbischof von Köln einverstanden, die Divergenzen lagen daher also auf dem Gebiet des Wie der Wiederbesetzung. Domkapitel und Kultusministerium würden – so das Papier – in der Annahme konvergieren, dass die vertraglichen Abmachungen zwischen Preußen und dem Heiligen Stuhl durch die Reichsverfassung nicht aufgehoben seien und damit dem Domkapitel das Wahlrecht nach wie vor rechtmäßig zustehe. Eine Änderung der Rechtslage könne nur in Übereinstimmung beider Seiten vorgenommen werden.371 Die römische Kurie hingegen habe nachträglich die Wahl des Kapitularvikars erlaubt und für die vermeintliche Erzbischofswahl auf weitere Instruktionen verwiesen: „Daraus hat das Domkapitel mit Recht entnommen, daß seitens der Kurie der Versuch gemacht werden wird, in seine bisherigen Rechte einzugreifen.“372 Das Papier führte anschließend das Ansuchen des Kölner Kapitels in Rom und die Berichterstattungen der Gesandten Bergen und Zech an, darunter auch die beiden Besetzungsvarianten, die Pacelli am 24. Dezember als Optionen des Heiligen Stuhls mitgeteilt hatte.373

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Vgl. Zech an die preußische Regierung vom 24. Dezember 1919, Trippen, Domkapitel, S. 498. Vgl. ausführlich dazu Trippen, Domkapitel, S. 498–503. Das Kultusministerium berief sich hierbei auf zwei Gutachten, die es am 2. Oktober vom Berliner Staatsrechtler Ulrich Stutz und am 24. November vom Paderborner Kanonisten und Domherrn Johannes Linneborn geliefert bekam. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 499. Exposé des Kultusministeriums vom Dezember 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 500. Zech übermittelte die beiden Modi mündlich an das Auswärtige Amt, damit dieses rechtzeitig umfassend informiert war und nicht auf das Eintreffen von Pacellis Schreiben warten musste. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 500. 123

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Aus all dem folgerte das Exposé seine zentralen Handlungsdirektiven: 1) Da die konkordatären Vereinbarungen nicht einseitig abgeändert werden könnten, werde die Regierung, „wenn die Kirche jetzt den Standpunkt einnimmt, freie Hand zu haben, dies aufs Entschiedenste bekämpfen müssen“374. 2) Darum könne bis zu einer Neuregelung der Rechtslage – wie Norbert Trippen zusammenfasst – „die Ausschließung der staatlichen Mitwirkung bei der kirchlichen Ämterverleihung gemäß Artikel 137 der Reichsverfassung nicht in die Praxis umgesetzt werden“375. Konsens bestand zwar darin, dass eine solche Neuregelung am Verhandlungstisch erarbeitet werden sollte, allerdings hatte man die jeweiligen Vor- und Nachteile des Abschlusses entweder eines Reichskonkordats oder mehrerer Länderkonkordate in Berlin noch nicht abschließend abgewogen. Die Lagebesprechung im Berliner Staatsministerium vom 27.  Dezember präzisierte die genannten Punkte und legte sie in einem Promemoria nieder, das Pacelli bei seiner Ankunft präsentiert werden sollte.

Die Reise Pacellis nach Berlin und Köln Am 29. Dezember reiste Pacelli schließlich nach Berlin.376 Vom Verlauf und den Ergebnissen seiner Reise berichtete er Gasparri am 4. Januar 1920.377 Zunächst brachte er dem Kardinalstaatssekretär zur Kenntnis, dass er sein Kommen in die Reichshauptstadt mit zwei Briefen an den Gesandten Zech angekündigt hatte, um den Regierungsvertretern die Möglichkeit zur Vorbereitung zu geben. In Deutschland sei es nämlich üblich, vor Entscheidungen stets externen Rat einzuholen und Sitzungen abzuhalten. Er habe so vermeiden wollen, in Berlin eventuell Zeit zu verlieren. Im zweiten Schreiben an Zech habe er schließlich die beiden von Gasparri am 17.  Dezember präsentierten Optionen, die sich der Heilige Stuhl hinsichtlich der Wiederbesetzung des Kölner Erzbischofsstuhls vorstellen könne, referiert. Dadurch hatte Pacelli bereits a priori preisgegeben, dass der Heilige Stuhl sich als „Notanker“ auf die Kapitelswahl gemäß De salute animarum und Quod de fidelium einlassen würde. Das war von ihm aber kein Versehen, denn – so schrieb er Gasparri – er habe geahnt, dass die preußische Regierung zwar einer Ernennung Schultes seitens 374 375 376

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Exposé des Kultusministeriums vom Dezember 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 501. Trippen, Domkapitel, S. 501. Zunächst war Pacelli mitgeteilt worden, dass die Ferienzeit zwischen Weihnachten und Neujahr für die Verhandlungen kein guter Zeitraum sei, weil viele Staatsdiener Urlaub machten. Daher ging er am 27. Dezember noch davon aus, erst am 2. Januar die Reise antreten zu können. Eine weitere Nachricht aus Berlin vom selben Tag gab dann grünes Licht. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 27. Dezember 1919 (2 Schreiben), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 29r. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 4. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 29r–36v. 124

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des Heiligen Stuhls ohne Kapitelswahl sicherlich zugestimmt hätte, eben weil der Kandidat in ihrem Interesse sei. Jedoch wäre damit ein Vorbehalt der Regierung verbunden gewesen, nämlich dass jene Ernennung weder einen Präzedenzfall darstellen noch dem Wahlrecht des Kapitels von Paderborn vorgreifen dürfe. Diese Einschränkung hätte er nicht akzeptieren können, ohne dadurch die kuriale Sicht zu kompromittieren, was Gasparri ihm am 22. Dezember ausdrücklich verboten hatte. Diese „Ahnung“ habe sich schließlich auch als richtig erwiesen. Somit war Pacelli also schon vor jeder Verhandlung mit der Regierung klar gewesen, dass er den „Wunschmodus“ Gasparris nicht werde durchsetzen können. In Berlin angekommen, sei er – so Pacelli – vom Unterstaatssekretär des preußischen Kultusministeriums, dem Priester Rudolf Wildermann378, am Bahnhof empfangen worden.379 Nach einem Gespräch mit Kardinal Bertram am Morgen,380 habe nachmittags das Treffen mit den Regierungsvertretern Preußens und des Reichs stattgefunden.381 Dabei präsentierte Kultusminister Konrad Haenisch dem Nuntius die Position der Regierung(en) in Form des bereits erwähnten Promemoria. Der Nuntius beurteilte es in seinem Bericht an Gasparri als „in der Substanz zufriedenstellend“382. Sein Text lautete: „1.) Die Preußische Regierung nimmt in Übereinstimmung mit der Reichsregierung den Standpunkt ein, dass auch nach Erlass der neuen Reichsverfassung die zwischen dem Heiligen Stuhl und Preußen abgeschlossenen Verträge vorläufig weiter zu Recht bestehen. Um die Landesgesetzgebung mit der Reichsverfassung, soweit erforderlich, in Einklang zu bringen, wird es als notwendig erachtet, dass alsbald mit dem Heiligen Stuhl entsprechenden Verhandlungen eingeleitet werden.

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Von Wildermann gewann Pacelli ein positives Bild. Denn als dieser sich im September 1920 um ein vakantes Kanonikat in Münster bewarb, drückte ihm Pacelli sein Bedauern für den Fall aus, „dass Euer Hochwürden Ihre wichtige Tätigkeit in Berlin abgeben, wo Sie schon so vieles für die katholische Kirche in Preußen geleistet haben und noch leisten“. Pacelli an Wildermann vom 23. September 1920 (Entwurf), ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 49r Anwesend war auch ein von Pacelli nicht näher bezeichneter Vertreter des Außenministeriums. Vgl. dazu Bd. 1, Exkurs I (Erste Standpunkte zum Modus der Bischofsbestellung und die schwierige Ausgangslage für ein Reichskonkordat). Nach Pacellis Aufzählung nahmen folgende Personen daran teil: der preußische Kultusminister Konrad Haenisch; Reichskanzler Gustav Adolf Bauer; der Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt Edgar von Haniel; der Reichsinnenminister Erich Koch; der preußische Ministerpräsident Paul Hirsch; der preußische Justizminister Hugo am Zehnhoff; der Unterstaatssekretär im preußischen Staatsministerium Paul Göhre; die Unterstaatssekretäre des preußischen Kultusministeriums Rudolf Wildermann und Carl Heinrich Becker; der bayerische Gesandte in Berlin Konrad von Preger; der preußische Geschäftsträger in München Graf Zech sowie einige Staatsfunktionäre. Die Breite der Teilnehmer verdeutlicht, dass es um eine grundlegende Regelung der rechtlichen Fragen für beinahe ganz Deutschland ging. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 4. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 30r-v. „… in sostanza soddisfacente …“ Pacelli an Gasparri vom 4. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 30v. 125

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2.) Die Preußische Regierung erachtet eine beschleunigte Wiederbesetzung des durch das Ableben des Kardinals von Hartmann erledigten erzbischöflichen Stuhles von Köln durch Wahl nach Maßgabe der Bulle De salute animarum und des diesbezüglichen Breve Quod de fidelium für erwünscht. Gleichzeitig ist die Preußische Regierung bereit, dem Vorschlag des Herrn Nuntius Pacelli entsprechend zu erklären, dass die jetzige Wahl nicht als Präzedenzfall für die künftige Regelung ihres Verhältnisses zum Heiligen Stuhl betrachtet werden soll.“383

Die Nummer 2 insistierte auf dem Kapitelswahlrecht, das der Heilige Stuhl zuzugestehen bereit war und akzeptierte zu Pacellis Zufriedenheit die Präzedenzklausel. Der 1. Punkt „setzt hingegen authentisch die Sichtweise der Berliner Regierung auf die Frage der Fortgeltung des Konkordats fest“384 und korrigierte damit die Interpretation des bayerischen Ministerpräsidenten Hoffmann und der von diesem erwähnten Konferenz im Berliner Innenministerium. Dort sei – wie Hoffmann ihm am 30.  Oktober versichert habe  –  festgehalten worden, dass die Bestimmungen der alten Rechtsgrundlage, die im Widerspruch zur Verfassung stünden, keine Geltung mehr beanspruchen könnten. Jetzt sei jedoch – so Pacelli – „die Korrektheit dieser Mitteilung geleugnet“385 worden. Wie er Gasparri bereits am 19.  Dezember verdeutlicht hatte, könne man also im Unterschied zum bayerischen Konkordat nicht davon ausgehen, dass Bulle und Breve „bis jetzt auf irgendeine Weise verletzt oder angeprangert“386 worden seien. Im Gegenteil hatte Pacelli die Regierungsposition sogar „in deutlich zustimmendem Sinne entgegengenommen“387. Um einen Ausgleich zwischen den alten päpstlichen Rundschreiben und der neuen Verfassung erreichen zu können, seien nun  –  Pacelli wiederholte seine Darlegungen vom 19.  Dezember für Gasparri noch einmal – zu zwei Aspekten Verhandlungen erforderlich, die seiner Ansicht nach durch die Verfassung geändert worden seien: zur Einmischung des Staates in die kirchliche Ämterbesetzung und zur staatlichen Dotation. Bezüglich des ersteren würde es reichen, wenn der Staat auf sein Privileg verzichte, bezüglich des zweiten könne der Staat die Beendigung seiner finanziellen Leistungen erklären, müsse jedoch dafür eine Kompensation leisten, die mit dem Heiligen Stuhl auszuhan-

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Promemoria von preußischer und Reichsregierung vom 29. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 35r. Vgl. dazu Deuerlein, Reichskonkordat, S. 10; Golombek, Vorgeschichte, S. 4; Morsey, Geschichte, S. 68f. „… fissa invece autenticamente il modo di vedere del Governo di Berlino circa la questione della permanenza del Concordato.“ Pacelli an Gasparri vom 4. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919– 1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 31r. „… è stata negata l’esattezza della comunicazione medesima …“ Pacelli an Gasparri vom 4. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 31v. „… sinora in alcun modo violata o denunziata …“ Pacelli an Gasparri vom 4. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 31v. Golombek, Vorgeschichte, S. 4. Vgl. auch Scholder, Kirchen 1, S. 75. 126

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deln wäre. Es ergäben sich zwar „unleugbare Vorteile“388 aus der Reichsverfassung, dennoch sei die Kirche dadurch in ihren Rechten verletzt worden, wie die Bischöfe der Fuldaer Konferenz es richtigerweise in ihrem Protestmemorandum an die Reichsregierung am 24. August 1919 moniert hätten. Trotz dieses Schadens für die Kirche könne man aber nicht behaupten, dass Preußen seinen konkordatären Pflichten bislang nicht nachgekommen sei. Dem zitierten Text des Promemoria schloss sich noch ein Passus an, den Pacelli nicht akzeptierte: „Sollte das Domkapitel in diesem Falle von seinem Wahlrecht keinen Gebrauch machen wollen, so würde die Preußische Regierung mit der Ernennung des Herrn Bischof Schulte von Paderborn, der ihr äußerst genehm wäre, unter der Bedingung einverstanden sein, daß aus dieser Ernennung keinerlei Berufung hergeleitet werden und insbesondere das Wahlrecht des Domkapitels zu Paderborn bei der Neuwahl des Paderborner Bischofs nicht berührt wird.“389

Die Zusicherung, dass eine päpstliche Nomination des Kölner Erzbischofs für künftige Erledigungsfälle, insbesondere für die nach der Translation Schultes anstehende Besetzung des Paderborner Bischofsstuhls, keine Bedeutung haben sollte, hielt Pacelli nicht mit der kurialen Position vereinbar. Deshalb sorgte er dafür, dass dieser Absatz gestrichen wurde.390 Die Personalie war jedenfalls endgültig geklärt. Eine päpstliche Nomination  –  also der „Wunschmodus“ Gasparris – kam aber nicht mehr in Frage, was Pacelli auch erwartet hatte. Insgesamt zeigte sich dieser von der Aufmerksamkeit, mit der er während seines Besuchs in der Reichshauptstadt bedacht wurde, außerordentlich beeindruckt.

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„… innegabili vantaggi …“ Pacelli an Gasparri vom 4. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 32r. Promemoria von preußischer und Reichsregierung vom 29. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 35r. Pacelli legte beide Versionen im Nuntiaturarchiv ab. Vgl. Promemoria von preußischer und Reichsregierung vom 29. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 34 und 35r, sandte aber nur die endgültige, gekürzte Fassung zur Berichterstattung nach Rom. Vgl. S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 40r. Kultusminister Haenisch hatte der Kürzung unbedenklich zugestimmt: „Der Fortfall des letzten Abschnitts wurde offenbar deshalb gewünscht, weil der erste Vorschlag der Kurie [sc. die rein päpstliche Nomination des Erzbischofs, R.H.] inzwischen überholt war, und vielleicht auch, weil die Kurie als nicht angenehm empfunden hätte, daß die Annahme ihres ersten Vorschlages in Abhängigkeit von einem Beschluß des Domkapitels gestanden haben würde.“ Bericht Haenisch’ vom 2. Februar 1920, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S.  503. Die preußische Regierung sandte allerdings am 8. Januar 1920 eine französische Übersetzung des Memorandums in der ungekürzten Fassung an den preußischen Gesandten Bergen, der es offiziell dem Heiligen Stuhl übergab. Vgl. Regierung an Bergen vom 8. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 44rv. 127

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Nach dem zweitägigen Aufenthalt in Berlin erreichte Pacelli am Morgen des 31. Dezember Köln.391 Nachdem er die Heilige Messe in der Kapelle des Priesterseminars zelebriert hatte, wurde er gegen 11 Uhr vom Domkapitel empfangen. Es folgte ein Grußwort des Dompropstes, worauf Pacelli auf Deutsch eine Rede hielt, in der er den Domkapitularen den Willen des Heiligen Stuhls darlegte.392 Die Allokution des Nuntius gliederte sich in drei Teile: Nach einer Reminiszenz an den verstorbenen Kardinal393 legte er dar, wie sich die Rechtslage der katholischen Kirche in Deutschland für den Heiligen Stuhl gestalte.394 Danach explizierte er die daraus zu ziehenden Schlüsse 391

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Vgl. dazu auch Trippen, Domkapitel, S. 503–505. Pacelli wurde von Wildermann und dem Geheimen Regierungsrat Arnold Niermann begleitet. Vgl. Niermann an Pacelli vom 30. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 36r. Haenisch maß in seinem Abschlussbericht vom 2. Februar 1920 dem Umstand, dass die beiden Vertreter des Kultusministeriums das Domkapitel über die in Berlin erfolgten Verhandlungen informieren konnten, für die Besprechung des Kapitels mit dem Nuntius eine wesentliche Bedeutung bei. Vgl. Abschlussbericht Haenisch’ vom 2. Februar 1920, Trippen, Domkapitel, S. 506f. Auf der Reise nach Köln hatte Niermann Gelegenheit das Promemoria mit dem Nuntius weitergehend zu besprechen. Dabei hatte der Regierungsvertreter zur Frage eines Reichskonkordats auf die Länderkompetenzen verwiesen und zum römischen Vorhaben, alle die Kirche berührenden Aspekte neu zu regeln, seine Meinung geäußert, dass „die Vereinbarung mit Preußen kaum mehr enthalten könne als die Abänderung der bisher in der Bulle De salute animarum geregelten Punkte“. Nach Niermanns „nur teilweise und zurückhaltend geäußerten Auffassung“ wären das 1. die Zirkumskription der Bistümer, die auch künftig nur im staatlichen Einvernehmen durchzuführen sei; 2. die Kanonikatsbesetzungen: Selbst wenn die Berechtigung dazu dem Staat durch die Reichsverfassung abgehen sollte, plädierte Niermann hinsichtlich des zu Ernennenden für eine Absprache zwischen den kirchlichen und staatlichen Stellen; 3. würde dadurch „der Staat beteiligt bleiben an der Zusammensetzung der Domkapitel und demnach interessiert sein für eine Wahl der Bischöfe durch die Domkapitel“. Fiele die bisherige Interventionsmöglichkeit des Staates bei der Besetzung der bischöflichen Stühle weg, empfehle es sich, „dem Domkapitel im Interesse auch der Kirche die Gewissenspflicht aufzuerlegen, keine dem Staate offenbar nicht genehme Persönlichkeit zu wählen“; 4. könne eine Ablösung der mit dem Heiligen Stuhl vereinbarten Leistungen ohne Verhandlungen mit der Kurie nicht erfolgen. Über diese Ansichten besprach sich Niermann in Köln auch mit Middendorf und Vogt, in Münster mit Bischof Poggenburg. Vgl. Aufzeichnung Niermanns vom 9. Januar 1920, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 146f. (Nr. 76). Vgl. auch Golombek, Vorgeschichte, S. 15. Vgl. Rede Pacellis vor dem Kölner Metropolitankapitel vom 31. Dezember 1919 (deutscher Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 39r–42r. Für Gasparri fertigte er eine italienische Übersetzung an, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 41r–42r. Hartmann sei ein „leuchtendes Beispiel ausgezeichneter Tugend, unermüdlicher Hirtensorge und vor allem unerschütterter und unbegrenzter Hingabe an den Stellvertreter Christi“ gewesen. Rede Pacellis vor dem Kölner Metropolitankapitel vom 31. Dezember 1919 (deutscher Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 39r. Vgl.: „Hochwürdigste Herren Domkapitulare! Es ist Ihnen allen wohl bekannt, dass die neue Reichsverfassung einseitig bindende Richtlinien gibt, welche den Komplex der Beziehungen zwischen Kirche und Staat modifiziert und die Rechtslage der katholischen Kirche in Deutschland geändert hat. Der Heilige Stuhl hat ausdrückliche Vorbehalte gegen die dadurch verursachten Verletzungen der Rechte der Kirche gemacht, wie schon die hochwürdigsten Bischöfe der Fuldaer Konferenz in ihrer 128

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für die Neubesetzung der Kölner Erzdiözese. Weil eine Neubesetzung möglichst rasch geschehen müsse, konzediere der Heilige Vater für dieses Mal die Kapitelswahl gemäß De salute animarum und Quod de fidelium. Allerdings sei daraus keine Berufungsinstanz für weitere Vakanzen abzuleiten, worin die preußische Regierung bereits übereingekommen sei. Im Gegenteil behalte sich der Heilige Stuhl vor, „das bisher ausgeübte Wahlprivileg einer wohlwollenden Prüfung zu unterziehen“395. Anschließend diktierte der Nuntius den Domkapitularen, wie die Wahl auszugehen habe: Es sei im Sinne des Papstes, „wenn Ihre Stimmen sich auf den Hochwürdigsten Herrn Bischof von Paderborn einigten“396. Schulte sei der Regierung, dem Klerus und den Gläubigen der Erzdiözese genehm und durch seine „ausgezeichneten Eigenschaften, seine hohe Einsicht, sein ausgebreitetes und gründliches Wissen, seine tiefe Frömmigkeit, seine treue Anhänglichkeit an den Apostolischen Stuhl, seine unvergleichliche Arbeitsfreudigkeit“397 absolut geeignet das hohe Amt zu übernehmen. Besonders lobend hob Pacelli die Institution der Kirchlichen Kriegshilfe Paderborn hervor, die Schulte eingerichtet hatte.398 Das Metropolitankapitel war mit diesem Diktat keineswegs einverstanden: Das Wahlrecht stand auf der Kippe und auch für dieses Mal war der Terminus „Wahl“ nichts anderes als ein Euphemismus, da nur ein Kandidat zur Verfügung stand. Daher entfaltete sich nach der Rede Pacellis eine „lebhafte Besprechung“399, wie es zurückhaltend im Sitzungsprotokoll des Kapitels hieß. Ähnlich benannte Pacelli in seinem Bericht die Reaktion der Domherren, obwohl es ihm „nützlich und rücksichtsvoll erschien, den Befehl, der in dem verehrten Cifrato … enthalten ist, das nämlich

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Rechtsverwahrung jüngst an die deutsche Regierung adressiert, angezeigt haben; gleichwohl hat sich der Heilige Stuhl geneigt erklärt, in Verbindung zu treten, sei es mit der Reichsregierung für ganz Deutschland wie auch mit den einzelnen Regierungen, die konkordatsmäßige Konventionen hatten, um ex novo die ganze Materie der Beziehungen zwischen Kirche und Staat zu regeln, und hat mich beauftragt, Verhandlungen für die neuen Abkommen anzuknüpfen. Der Heilige Stuhl hält das für umso notwendiger, als die bereits mit den verschiedenen Staaten Deutschlands abgeschlossenen Vereinbarungen zum großen Teil nicht mehr mit den vorgenommenen radikalen politischen Neuordnungen übereinstimmen. So wurde zum Beispiel im Breve Quod de fidelium den Domkapiteln zu verstehen gegeben, sich zu vergewissern, bevor sie zum feierlichen Wahlakt schritten, dass die zu erwählende Person nicht eine Serenissimo Regi minus grata sei.“ Rede Pacellis vor dem Kölner Metropolitankapitel vom 31. Dezember 1919 (deutscher Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 39r–40r. Hervorhebungen im Original. Rede Pacellis vor dem Kölner Metropolitankapitel vom 31. Dezember 1919 (deutscher Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 41r. Rede Pacellis vor dem Kölner Metropolitankapitel vom 31. Dezember 1919 (deutscher Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 41r. Rede Pacellis vor dem Kölner Metropolitankapitel vom 31. Dezember 1919 (deutscher Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 41r-v. Vgl. zu Schultes Engagement in der kirchlichen Kriegshilfe, die ihm von allen Seiten Anerkennung einbrachte, Simon, Karl Joseph Schulte, S. 17–23; Speckner, Wächter, S. 153f. Sitzungsprotokoll vom 31. Dezember 1919, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 505. 129

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das Kapitel ‚dieses Mal den Bischof von Paderborn postuliert (oder wählt)400‘, in der sanftmütigen Form eines Wunsches des Papstes auszudrücken“401. Allerdings – und das kann als Kritik Pacellis am Kapitel gewertet werden – sei es in der Diskussion notwendig gewesen, darauf hinzuweisen, dass es sich um eine feste Anordnung und nicht etwa nur eine Bitte des Papstes handle.402 Die Einwände der Kapitulare richteten sich nicht nur gegen das Besetzungsverfahren, sondern besonders auch gegen die Person Schultes. Pacelli machte unmissverständlich klar, dass beides nicht zur Disposition stand: „Auf die grundsätzlichen Einwände antwortete ich, dass die angewandte Maßnahme provoziert war durch die aktuellen außerordentlichen Umstände, die von mir weithin beschrieben wurden; - dass der Heilige Stuhl, indem er die Wahl erlaubte, schon einen Beweis seines Wohlwollens gegenüber dem Kapitel gegeben hat, von dem, wenigstens in der Mehrheit (wie dieselben Kanoniker bestätigten), eine Ernennung direkt vom Heiligen Stuhl noch weniger akzeptiert worden wäre; - und dass schließlich die Kapitulare, indem sie als demütige Söhne des Apostolischen Stuhls den erhabenen Wunsch Seiner Heiligkeit frei annehmen, frei denjenigen wählen würden, den sie, da er vom Stellvertreter Jesu Christi angezeigt wurde, mit aller Sicherheit im Gewissen als den würdigsten und fähigsten für das Hirtenamt der großartigen Erzdiözese von Köln halten können.“403

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Hatte Gasparri im angesprochenen Cifrato vom 6. Dezember mit „Postulation“ noch eine Ernennungsbitte und nicht die Bischofswahl gemäß De salute animarum gemeint, so interpretierte Pacelli den Wortlaut von Gasparris Schreiben nun im Sinne der Zirkumskriptionsbulle, gemäß der „Postulation“ und „Wahl“ Synonyme waren. Denn jene war nun entsprechend der Vereinbarung mit der preußischen Regierung für den anstehenden Kölner Wahlakt die geltende Rechtsgrundlage. Wie bei einer „Postulation“ im Sinne des CIC musste freilich der Papst anschließend das kanonische Hindernis Schultes, nämlich dessen Bindung an die Diözese Paderborn, noch gesondert aufheben. Vgl.: „Mi sembrò opportuno e riguardoso di esprimere nella forma mite di un desiderio dell’Augusto Pontefice l’ordine contenuto nel venerato cifrato …, che cioè il Capitolo ‚questa volta postuli (od elegga) il Vescovo di Paderborn‘.“ Pacelli an Gasparri vom 4. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 35r. Hervorhebung im Original. Vgl.: „Malgrado ciò, tale comunicazione sollevò una vivace discussione, durante la quale, in seguito alle domande ripetutamente rivoltemi, mi vidi costretto a lasciar delicatamente intendere che il suddetto desiderio aveva in sè la forza di un comando.“ Pacelli an Gasparri vom 4. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 35r. Wäre es „nur“ ein Wunsch und ausdrücklich kein Befehl gewesen, wie Norbert Trippen den Vatikangesandten Bergen unwidersprochen zitiert, dann hätte es sich auch letztlich eben nicht um eine Scheinwahl gehandelt. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 505. Über einen päpstlichen „Wunsch“, der ausdrücklich nicht als „Befehl“ deklariert worden wäre, hätte sich das Domkapitel durchaus hinwegsetzen können. Gerade weil Pacelli dies befürchtete, sah er sich gezwungen, auf den Befehlscharakter hinzuweisen. „Alle obbienzioni di principio risposi che l’adottato provvedimento era stato provocato dalle attuali straordinarie circostanze, le quali furono da me ampiamente descritte; - che la Santa Sede, permettendo l’elezione, già aveva dato prova della sua benevolenza verso il Capitolo, a cui, almeno nella maggioranza (come i Canonici stessi affermarono), sarebbe riuscita ancor meno accetta una nomina diretta della Santa Sede medesima; - e che infine i Capitolari, aderendo liberamente, da figli devoti della Sede Apostolica, 130

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Gegen Schulte habe man dessen angeblich angeschlagene Gesundheit ins Feld geführt, was er aber – so Pacelli – entkräftet habe, sowie dessen Einsatz für den „Volksverein für das Katholische Deutschland“, einem Exponenten der sogenannten Kölner beziehungsweise Gladbacher Richtung im Gewerkschaftsstreit. Damit versuchte das Kapitel offensichtlich die Unterwerfung Schultes unter den Heiligen Stuhl in Zweifel zu ziehen, da dieser bekanntermaßen der strengen Berliner Richtung den Vorzug gab.404 Pacelli betonte hingegen, dass Schulte mit gesunder Lehre und rechter Anhänglichkeit an den Heiligen Stuhl ausgestattet sei und „daher zweifellos gegenüber dem genannten Verein wie auch gegenüber den interkonfessionellen Gewerkschaften eine Haltung einnimmt, die den päpstlichen Vorgaben und seiner Würde als Erzbischof entspricht“405. Pacelli sprach so, als sei Schulte schon an die Spitze des Erzbistums promoviert worden. Das Metropolitankapitel traf sich am Nachmittag zu einer weiteren Sitzung ohne den Nuntius, um über seine Entscheidung zu beraten, die am darauffolgenden Tag Pacelli präsentiert werden sollte. Dieser schilderte es gegenüber Gasparri so, dass dies seine Idee gewesen war. Doch schon am Abend desselben Tages seien Middendorf und Kapitularvikar Vogt zu ihm gekommen, um ihm die Wahl

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ad uno Augusto desiderio di Sua Santità, liberamente eleggevano colui, che, essendo indicato dal Vicario di Gesù Cristo, potevano con tutta sicurezza ritenere in coscienza come il più degno ed atto all’ufficio di Pastore della illustre Archidioecesi di Colonia.“ Pacelli an Gasparri vom 4. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 35r-v. Schulte spielte im Gewerkschaftsstreit eine maßgebliche Rolle und setzte sich auf Basis pragmatischer Argumente für die Billigung von interkonfessionellen Gewerkschaften ein. Als Papst Pius X. in der Enzyklika Singulari quadam vom 24. September 1912 die rein katholischen Arbeitervereinigungen als Ideal hinstellte und die gemischt-konfessionellen nur in engen Grenzen duldete, sorgte Schulte für eine Vermittlung der konkurrierenden Richtungen, die eine Eskalation des Streits verhinderte. Den sich anschließenden Konflikt mit dem Hauptvertreter der „Berliner Richtung“, Georg Kardinal Kopp von Breslau, konnte Schulte für sich entscheiden. Letztlich dauerte es bis zur Enzyklika Quadragesimo anno Papst Piusʼ XI. vom 15. Mai 1931, bis interkonfessionelle Arbeitervereinigungen von Seiten des Heiligen Stuhls ausdrücklich erlaubt wurden. Vgl. zur Rolle Schultes im Gewerkschaftsstreit Brack, Episkopat, S. 204–207, 362–430; Loth, Bischof Karl Joseph Schulte. Vgl. allgemein zum Gewerkschaftsstreit Brack, Episkopat; Loth, Katholiken, S. 232–277; Schneider, Gewerkschaften, S. 172–211. „… quindi senza dubbio tenuto di fronte alla detta Associazione, come anche verso i sindicati interconfessionali, un’attitudine rispondente alle direzioni pontificie ed alla sua dignità di Arcivescovo“. Pacelli an Gasparri vom 4. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 35v. Dass Schulte im Anschluss an die Enzyklika Singulari quadam von 1912 zur Deeskalation des Gewerkschaftsstreits die zentralen Thesen des Lehrschreibens aufweichend interpretieren musste und dadurch „die Enzyklika de facto ihres Kerns beraubte“ (Loth, Bischof Karl Joseph Schulte, S. 354), war in der Kurie offenbar nicht als der Anhänglichkeit Schultes an den Heiligen Stuhl abträglich verstanden worden oder spielte zumindest jetzt – über neun Jahre später – keine Rolle mehr. 131

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Schultes zu versichern, jedoch nur mit Rücksichtnahme auf den Willen des Papstes.406 Aus sich eigen hätten die Kapitulare Schulte nicht gewählt.407 Am 7. Januar – so Middendorf und Vogt – sollte die vorbereitende Versammlung des Kapitels stattfinden, um die Regularia zu organisieren. Zur Wahrung der Formalität beabsichtigte Middendorf eine Kandidatenliste aufzustellen, an deren erster Stelle Schulte platziert werden sollte.408 Die Wahl werde einige Tage später stattfinden – Pacelli ergänzte später in seinem Bericht für den Kardinalstaatssekretär, dass sie auf den 15. Januar terminiert worden sei.409 Zur intendierten Kandidatenliste habe er – so Pacelli – den beiden Vertretern des Domkapitels in Übereinstimmung mit Gasparris Anweisung vom 6. Dezember erklärt, dass jede Kontaktaufnahme mit den Regierungsstellen überflüssig sei, weil der Heilige Stuhl sich darum kümmern werde. Middendorf habe schließlich die Unterredung auf das Thema der separatistischen Bestrebungen des Rheinlandes gebracht und wissen wollen, ob die Entente gegen Schulte 406

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Damit stand fest, dass wie schon häufig zuvor in der Geschichte des Erzbistums, eine Scheinwahl stattfinden würde. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 516. Norbert Trippen findet auf die Frage, ob der Widerspruch des Kapitels gegen Schulte lediglich ein vorgeschobenes Argument war und der Missmut sich nicht vielmehr aus der Beschneidung des Wahlrechts speiste, Argumente sowohl für eine positive wie für eine negative Antwort: „Da das Domkapitel anfänglich der Kandidatur Schultes durchaus positiv gegenübergestanden hatte, scheint es dem Kapitel in der Auseinandersetzung mit Pacelli viel stärker … um das Kapitelswahlrecht an sich als um die Person Schultes gegangen zu sein“. Trippen, Domkapitel, S. 506. Gewiss darf man nicht vergessen, dass Schulte bereits anlässlich der Wiederbesetzung des Erzbistums 1912 vom Kölner Domkapitel einstimmig auf die Vorschlagsliste gewählt worden war. Vgl. Hirschfeld, Bischofswahlen, S. 93; Trippen, Domkapitel, S. 441. Auf der anderen Seite hatte Schulte während seiner Studienzeit im Bonner Albertinum eine Auseinandersetzung mit Franz Düsterwald, die mit der Ankündigung des letzteren ausging, Schulte werde in der Erzdiözese Köln niemals eine Anstellung erhalten. Vgl. ebd., S. 428. Norbert Trippen bemerkt außerdem, dass auch Joseph Vogt kein begeisterter Anhänger Schultes gewesen sei. Vgl. ebd., S. 506. So könnte man zumindest bei diesen beiden eine persönliche Aversion gegen den Paderborner Oberhirten vermuten. Sicherlich haben beide Aspekte ihre Berechtigung. Das Kapitel beschloss am 3. Januar offiziell, die Kandidatenliste am 7. des Monats aufzustellen. Als vorläufiger Wahltermin wurde hier noch der 20. Januar vereinbart, der später aber um fünf Tage vorverlegt wurde. Außerdem wollte sich das Kapitel erst nach dem actus electionis mit Schulte in Verbindung setzen. Pacelli erhielt unter dem Datum des 4. Januar von Middendorf darüber eine schriftliche Mitteilung. Vgl. Middendorf an Pacelli vom 4. Januar 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 44r. In der vorbereitenden Kapitelssitzung vom 7. Januar wurde der endgültige Wahltermin auf den 15. des Monats gelegt und auch öffentlich kommuniziert. Vgl. „Wahl eines neuen Erzbischofs“ vom 7. Januar 1920, in: Kirchlicher Anzeiger für die Erzdiözese Cöln Nr. 3 vom 15. Januar 1920. Pacelli erhielt hiervon telegraphisch am gleichen Tage Kenntnis. Vgl. Middendorf an Pacelli vom 7. Januar 1920, ASV, ANB, Fasz. 2, Fol. 56r. Dass Pacelli handschriftlich in einer Fußnote den genauen Termin in seinem Bericht ergänzen konnte, zeigt, dass er diesen zwar am 4. Januar verfasste, aber die Absendung an Gasparri bis nach der geplanten Konferenz des Metropolitankapitels verschob. Vermutlich war sich der Nuntius nicht hundertprozentig sicher gewesen, dass die Domkapitulare so entscheiden würden, wie Middendorf und Vogt angekündigt hatten. Daher wollte er wohl zunächst den Ausgang abwarten, bevor er vermeintlich voreilig nach Rom Bericht erstattete. 132

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opponieren werde. Der Nuntius ging nicht davon aus, weil Schulte durch die Hilfe für die Kriegsgefangenen – die auch ausländische Soldaten versorgte – bei den Siegermächten hohes Ansehen erlangt habe.410 Am nächsten Tag, dem 1. Januar, sei – wie Pacelli weiter berichtete – das Kapitel wie geplant noch einmal mit ihm zusammen getroffen: „… ich fehlte nicht, meine Befriedigung für die glückliche Erledigung der Angelegenheit auszudrücken, indem ich versicherte, dass der Heilige Vater sich über die kindliche und volle Ergebenheit, die vom vornehmen Kapitel gegenüber Seiner Person demonstriert worden ist, freue.“411 Die Kanoniker hätten ihn abschließend gebeten, bei Seiner Heiligkeit für die fortwährende Gewährung des Wahlprivilegs einzutreten, was Pacelli gegenüber Gasparri nicht verschwieg. Er erweckte mit seiner Darstellung den Eindruck, dass nach dem turbulenten Verlauf der ersten Kapitelsitzung ein einmütiger und von reziprokem Wohlwollen geprägter Abschied genommen wurde.412 Am 2. Januar trat Pacelli, der seine Ziele erreicht hatte, die Rückreise nach München an.413

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Die Vermutung Pacellis erwies sich als korrekt. Hans-Ludwig Selbach resümiert in seiner Untersuchung des französischen Einflusses auf die Einsetzung Schultes: „Frankreich erwartete von ihm [sc. Schulte, R.H.] die unvoreingenommene Anerkennung der politischen Lage im Rheinland und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Hohen Kommission.“ Selbach, Katholische Kirche, S. 297. „… io non mancai di esprimere il mio compiacimento per il felice esito dell’affare, assicurando che il Santo Padre avrebbe provato viva soddisfazione nell’apprendere la filiale e piena devozione dimostrata da quell’illustre Capitolo verso la Sua Persona.“ Pacelli an Gasparri vom 4. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 36r. Am Abend des 1. Januar habe er – so Pacelli – auf Bitten des Kapitels den Vorsitz der Liturgie aus Anlass des Ewigen Gebetes im gänzlich gefüllten Kölner Dom übernommen und sei anschließend der Einladung zum Abendessen gefolgt, womit das Kapitel „vuole così nuovamente manifestare il suo ossequio e la sua riconoscenza“. Pacelli an Gasparri vom 4. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 36v. Abweichend von der Darstellung Pacellis, beschrieb Unterstaatssekretär Haniel am 10. Januar den Besuch des Nuntius gegenüber Bergen: Das Domkapitel habe den Anspruch auf das freie Wahlrecht aufrecht erhalten, „sich gegen jede Beeinflussung zugunsten Schultes verwahrt, jedoch zugesagt, daß dieser auf die Wahlliste gesetzt würde“. Haniel an Bergen vom 10. Januar 1920, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 505. Offensichtlich hatte das Kapitel damit die eigene Sicht der Ereignisse der preußischen Regierung bekannt gemacht. Bergen antwortete am 24. Januar und berief sich auf eine Berichterstattung Pacellis, die ihm anscheinend von römischer Seite zugetragen worden war. Der Gesandte war verwundert über die Kritik des Kapitels an der Person Schultes, weshalb er die Möglichkeit ansprach, dass Pacelli das Kapitel eventuell missverstanden habe. Zudem habe der Nuntius auf die Frage, ob der „Wunsch des Papstes bezüglich [der] Wahl Schultes einem Befehl gleichkäme“, geantwortet, dass es sich tatsächlich nur um einen Wunsch gehandelt habe. Bergen an Haniel vom 24. Januar 1920, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 505. Pacelli hatte das in seinem Bericht anders dargestellt. Dass man von kurialer Seite die Bestimmtheit der römischen Anweisung abmildern wollte, ist evident. Deshalb sparte man womög133

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Die ‚Wahl‘ Schultes zum Erzbischof von Köln Die Scheinwahl Schultes auf den erzbischöflichen Stuhl von Köln am 15. Januar 1920 war also beschlossene Sache. Das Metropolitankapitel fügte sich den kurialen Anweisungen in dem Bewusstsein, dass „gegen den übereinstimmenden personellen Wunsch aus Rom und Berlin nicht anzukommen war, zumal man die Regierung als einzige Stütze zur Wahrung seines Wahlrechts gegenüber Rom brauchte“414, wenngleich von „Wahl“ nicht ernsthaft die Rede sein konnte. Deshalb hatte es sich in der Konferenz am Nachmittag des 31. Dezember auf Schulte geeinigt. Die Alternative wäre nur ein ausdrücklicher Verzicht auf das Wahlrecht gewesen, an dem man so lange wie möglich – und sei es nur formal – festhalten wollte. Deshalb sollte der Paderborner Bischof auch erst nach dem Wahlakt kontaktiert und seine Zustimmung zum neuen Amt eingeholt werden, wie das Kapitel am 4. Januar dem Nuntius mitteilte. Ebenfalls am 4. Januar bedankte sich das Kapitel für seinen Einsatz beim Breslauer Kardinal, der sich am Jahresende vom Erfolg seiner Bemühungen überzeugt gezeigt hatte. Das Kapitel hegte daher begründete Hoffnung, dass das Wahlrecht zukünftig erhalten bleiben könnte.415 Am 6.  Januar wurde eine im Zeremoniell vereinfachte Wahlordnung beschlossen  –  unter anderem sollte das Festessen aufgrund der Zeitumstände entfallen –, die allerdings weiterhin die Teilnahme des staatlichen Kommissars vorsah.416 In der Sitzung des Folgetages stellte man eine Kandidatenliste zusammen: „Im ersten Skrutinium, bei dem jeder Domherr fünf Namen auf den Stimmzettel schrieb, erhielten Schulte elf von zwölf Stimmen, Bertram neun, Lausberg neun, und Kapitularvikar Vogt sieben Stimmen.“417 Als fünfter Kandidat konnte sich der Münsteraner Bischof Johannes Poggenburg gegen den Aachener Stiftspropst Paul Kaufmann

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lich in der Mitteilung an Bergen den zweiten Teil – der Wunsch habe den Charakter einer verbindlichen Anordnung – aus. Nach Pacellis Ankunft in München am 4. Januar schrieb er der Etikette gemäß ein Danktelegramm an Middendorf „für die ehrenvolle und gütige Aufnahme“. Pacelli an Middendorf vom 4. Januar 1920, zitiert nach ebd., S. 507. Trippen, Domkapitel, S. 506. Vgl.: „Wenn, was wir hoffen, die Erledigung der uns so sehr am Herzen liegenden Angelegenheit auch weiterhin in dem von uns gewünschten Sinne erfolgen wird, so sind wir uns dabei bewußt, daß dies nicht zum wenigsten der gütigen Förderung und nachdrücklichen Unterstützung Eurer Eminenz zuzuschreiben ist. Eure Eminenz haben sich durch Ihre große Mühewaltung nicht nur unseren Dank, sondern auch den der gesamten katholischen Kirche in Deutschland gesichert.“ Metropolitankapitel an Bertram vom 4. Januar 1920, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 508. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 509. Trippen, Domkapitel, S. 509. Anwesend waren zwölf Wahlberechtigte. Es fehlten Weihbischof Joseph Müller und die Ehrendomherren Johann Kribben, Laurenz Krichel und Peter Tils aus gesundheitlichen oder verkehrstechnischen Gründen. 134

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durchsetzen.418 Nach Vorschrift – und sicher auch zur Bekräftigung des Kapitelrechts auf die Bischofswahl  –  verlas man vorher das Breve Quod de fidelium und das Schreiben Rampollas vom 20. Juli 1900, die man so als bleibende Rechtsgrundlage deklarierte.419 Am 8. Januar legte Groote dem Kapitel sein Beglaubigungsschreiben zum Wahlkommissar vor und versicherte dabei, dass die Regierung gegen keinen der Kandidaten Einwände geltend mache.420 Entgegen der Maßgabe des Nuntius hatte das Kapitel also nicht nur den Kontakt mit der preußischen Regierung gesucht, sondern auch dem Regierungsvertreter die Kandidatenliste vorgelegt. Die Interaktion beider Parteien fand am 14.  Januar seine Fortsetzung als die Kölner Domherren Groote und Brugger zur letzten Besprechung vor der Wahl besuchten und man feststellte, dass der Wahlordo eine „volle[r] Harmonie zwischen staatlichen und kirchlichen Behörden“421 widerspiegle. Das Metropolitankapitel versammelte sich am 15. Januar zum förmlichen Wahlakt des neuen Erzbischofs.422 Als Wahlprüfer waren bereits am 7. des Monats die Kanoniker Karl Cohen und Adolph Ott bestimmt worden. Das instrumentum electionis sprach ausdrücklich davon, dass die Kandidatenliste durch geheime Wahl aufgestellt und durch den Regierungskommissar Groote genehmigt worden sei. In dessen Anwesenheit und im Beisein des gesamten Stadtklerus feierte das Kapitel morgens um 8 Uhr eine Votivmesse vom Heiligen Geist im Kölner Dom. Während des Hymnus Veni creator spiritus zogen die Kapitulare in den Kapitelssaal. Begleitet wurden sie von Domvikar Kaspar Scholl, der vom Kapitularvikar zum Notar bestimmt worden war, von den Domkaplänen Johannes Schulte und Jakob Eck, die als Zeugen fungierten, vom Rechtsanwalt des Kapitels, Karl Custodis, und schließlich vom Kanzler der Erzbischöflichen Kurie, Joseph Mies. Alle verpflichteten sich eidlich zur Verschwiegenheit und gleichzeitig die Wahlhandlung aufmerksam

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Am Nachmittag desselben Tages fand noch eine Unterredung zwischen Groote, Brugger, Middendorf und dem Oberregierungsrat Karl Siegfried von Gal statt. Darin habe Middendorf nach einer Aufzeichnung des Erstgenannten akzeptiert, in das Wahlinstrument die Bestimmung aufzunehmen, dass der Wahlkommissar nach erfolgtem Wahlakt die Genehmigung der Regierung verkünden werde. Vgl. Aktennotiz Grootes vom 9. Januar 1920, Trippen, Domkapitel, S. 509. Im Wahlinstrument vom 16. Januar, das auch an die römischen Stellen ging, wird dieses Prozedere vom 7. Januar ausdrücklich genannt. Vgl. Wahlinstrument vom 16. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 51r–53v, hier 51r. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 509f. Groote an Haenisch vom 19. Februar 1920, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 510. Vgl. Wahlinstrument vom 16. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 51r–53v; „Ordnung für die am 15. Januar 1920 stattfindende Wahl eines Erzbischofs von Cöln“, in: Kirchlicher Anzeiger für die Erzdiözese Cöln Nr. 3 vom 15. Januar 1920. Der Nuntius informierte sich darüber auch aus der Zeitungsberichterstattung. Im Archiv der Nuntiatur legte er den Artikel „Die Kölner Erzbischofswahl“, in: Kölner Anzeiger vom 15. Januar 1920 (Nr. 40), ab. Vgl. ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 61r. 135

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zu verfolgen, um gegenüber Befugten ein getreuliches Zeugnis ablegen zu können. Nachdem das Veni sancte spiritus gesungen und das Gebet Deus qui corda fidelium rezitiert worden waren, erfolgte die Verlesung der anwesenden Domkapitulare.423 Unter Androhung der Exkommunikation ermahnte daraufhin der Vorsitzende Vogt sich selbst und die Kanoniker, zum Erzbischof nur denjenigen zu wählen, den sie „für dieses Amt würdig und zum Nutzen der Kirche hielten“424. Nach einem bekräftigenden Schwur der Kapitulare begann die eigentliche Wahlhandlung. Auf einem Tisch wurde neben dem Bild Jesu Christi ein Kelch für die Stimmzettel aufgestellt. Der Reihe nach warfen die Wähler ihre Voten hinein, die anschließend von den Wahlprüfern ausgezählt wurden: Auf Schulte entfielen 11 Stimmen, die 12. bekam Bertram.425 Damit war der Paderborner Bischof offiziell zum Nachfolger von Kardinal Hartmann gewählt worden. Dies Ergebnis zeigten die Kanoniker Ott und von Spee – als die beiden jüngsten Domherren – dem in der Dompropstei wartenden Regierungskommissar an, der mit ihnen zusammen in das Konklave zurückkehrte und die Akklamation der Regierung verkündete.426 Es folgte die Verlesung und Unterzeichnung der Wahlurkunde.427 Anschließend proklamierte Vogt den electus dem Klerus und Volk vorbehaltlich der Bestätigung des Heiligen Stuhls. Diese erbat Middendorf am Tag

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Zugegen waren Arnold Middendorf, Peter Lausberg, Joseph Vogt, Henrik Ludwigs, Winand Blank, Franz Düsterwald, Arnold Steffens, Joseph Romunde, Karl Cohen, Adolph Ott, Friedrich von Spee und Joseph Euskirchen. Es fehlten als Wahlberechtigte dieselben Personen wie schon in der Konferenz am 7. Januar, Weihbischof Müller und die drei älteren Domherren Kribben, Krichel und Tils. Nach der Enumeration der Namen wurden als Beleg, dass alle Befugten eingeladen worden waren, die Wahlankündigung vom 7. Januar sowie die besondere Einladung für alle Wahlberechtigten verlesen. Vgl. Wahlinstrument vom 16. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 51v–52r. „… tanto munere dignum et ecclesiae utiliorem habuerimus.“ Wahlinstrument vom 16. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 52r. Norbert Trippen vermutet als Abweichler Kanoniker Düsterwald oder sogar Kapitularvikar Vogt. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 510; vgl. auch Bd. 1, Kap. II.1.1 Anm. 407. Da Karl Cohen als einziger Domherr das Wahlinstrument nicht unterzeichnete, könnte auch er der Wähler Bertrams gewesen sein. Vgl. Aktennotiz Grootes vom 15. Januar 1920, Trippen, Domkapitel, S. 510. Vgl.: „‚Nos, Praelati et Canonici Ecclesiae Metropolitanae Coloniensis tenore praesentium testamur, quod cum obitu Emi ac Rmi Dni Felicis Cardinalis de Hartmann, Archiepiscopi Coloniensis, die 11. m. Novembris a. 1919 vita pie defuncti, Ecclesiam Metropolitanam Coloniensem pastoris vigilantissimi solatio privari contigerit, Nos pro iure communi Nobis competente, dudum usitato et per Bullam ‚De salute animarum‘ agnito et confirmatio hodierna decima quinta m. Januarii die apud Ecclesiam Metropolitanam in electionem Archiepiscopi rite convocati et capitulariter congregati, assistente Nobis Spiritus Sancti gratia, Archiepiscopum Coloniensem canonice elegimus Rmum Dnum Carolum Joseph Schulte, episcopum Paderbornensem, quem de huius electionis confirmatione ad S. Sedem Apostolicam ea qua par est reverentia hisce ablegamus. Dabamus Coloniae in congregatione Nostra electorali die 15. m. Januarii anni 1920.‘“ Wahlinstrument vom 16. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 52v–53r. 136

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nach der Wahl in einem Brief an den Papst, dem er die Kunde überbrachte, dass „der Ehrwürdigste Herr Karl Joseph Schulte, der Bischof von Paderborn, nach der Form der heiligsten Canones zur großen Freude aller zum Erzbischof gewählt worden ist“428. Schulte wurde noch am Wahltag über seine Wahl informiert429 und auch Pacelli erhielt über den Ausgang noch am 15. Januar telegraphische Mitteilung.430 Am 16.  Januar übersandte Middendorf dem Nuntius das Wahlinstrument und das genannte Schreiben an den Papst mit der Bitte, beides weiterzuleiten.431 Er fügte hinzu, dass Schulte sich bereit erklärt habe, die Wahl vorbehaltlich des päpstlichen Willens zu akzeptieren. Pacelli verfasste am 19. des Monats eine kurze Nachricht für Gasparri, in der er die Wahl Schultes zum Erzbischof von Köln anzeigte.432 Um sicher zu gehen, dass der Bericht seinen Adressaten erreichte – in Italien gab es einen Telegraphenstreik, der die Kommunikation erschwerte –, telegraphierte Pacelli die Neuigkeit auch an Maglione in Bern, der sie an Gasparri weiterleitete.433 Die Wahlmanuskripte

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„… Rmum Dnum Carolum Joseph Schulte, Episcopum Paderbornensem, ad formam ss. Canonum magno omnium gaudio Archiepiscopum electum esse.“ Middendorf an Benedikt XV. vom 16. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 50rv, hier 50r. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 511. In seinem Antworttelegramm zeigte sich Schulte von seiner Wahl betrübt: „Es drückt mich der Gedanke an die verantwortungsschwere Übernahme der Leitung des Kölner Erzbistums in dieser Zeit und an die Trennung von meiner Paderborner Diözese. Die abzuwartende Weisung des Heiligen Vaters wird für mich bestimmend sein müssen.“ Schulte an das Metropolitankapitel vom 15. Januar 1920, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 511. Vgl. Metropolitankapitel an Pacelli vom 15. Januar 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 62r. Pacelli bestätigte den Empfang des Telegramms am 18. des Monats. Vgl. Pacelli an Middendorf vom 18. Januar 1920 (Entwurf), ebd., Fol. 135r. Vgl. Middendorf an Pacelli vom 16. Januar 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 63r. Gleichzeitig sandte Middendorf auch dem Oberpräsidenten Groote die Wahlunterlagen zu, der sie am 28. Januar an das preußische Kultusministerium weiterreichte. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 512. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 19. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 45r. Die am 15. Januar verfasste Nachricht Middendorfs vom Wahlausgang hatte der Nuntius am 18. des Monats erhalten. Ein Telegramm Pacellis von diesem Tag, das die Wahl Schultes in Übereinstimmung mit seinem Bericht vom 4. Januar anzeigte, konnte aufgrund eines Telegraphenstreiks in Italien nicht abgeschickt werden. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 18. Januar 1920 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 134r. Aufgrund dieser Kommunikationsschwierigkeiten verlangte Pacelli am 22. Januar zu wissen, ob sein Bericht vom 4. Januar überhaupt sein Ziel erreicht hatte. Vgl. Pacelli an Pizzardo vom 22. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 43r. Vgl. Pacelli an Maglione vom 18. Januar 1920 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 64r; Maglione an Gasparri vom 19. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 46r. Der Schweizer Nuntius gab Pacelli ebenfalls am 19. Januar Bescheid, dass er die Nachricht über die Kölner Erzbischofswahl an den Kardinalstaatssekretär weitergeleitet habe. Vgl. Maglione an Pacelli vom 19. Januar 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 66r. 137

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übersandte er am 24. Januar nach Rom.434 Im Anschreiben an Gasparri ging er auf die staatliche Ingerenz beim Wahlakt ein, die er aber nicht überbewerten wollte: „Wie aus dem Wahlinstrument ersichtlich, hat das Kapitel den gewöhnlichen Einfluss des staatlichen Kommissars nicht vermeiden können, insofern die Wahl mit den Formalitäten durchgeführt wurde, die in der Vergangenheit in Gebrauch waren. Vor allem hat der genannte Kommissar nicht irgendeinen Namen von der Kandidatenliste getilgt, sondern, da die Regierung ferner in dem Promemoria verkündet hat, das von mir an Eure Eminenz mit meinem ehrfürchtigen Bericht … vom 4. d[es] M[onats] übersandt worden ist, dass ‚die aktuelle Wahl nicht als Präzedenzfall für die künftige Regelung ihres Verhältnisses zum Heiligen Stuhl betrachtet werden soll‘, scheint es mir, dass jenes Ereignis nicht Anlass zur Besorgnis gibt. Übrigens alles lässt hoffen, dass derartige staatliche Einflüsse verschwinden werden mit dem Abschluss der neuen geplanten Übereinkunft.“435

Es stellt sich die Frage, ob Pacelli tatsächlich glaubte, dass das Kapitel den staatlichen Einfluss nicht „vermeiden“ konnte oder ob er nicht vielmehr die Zusammenarbeit von preußischem Staat und Kölner Metropolitankapitel beschönigte. Mit Blick auf ein baldiges Konkordat war er aber bereit, die Angelegenheit für dieses Mal durchgehen zu lassen, wenngleich er sie grundsätzlich missbilligte. Auf die Tatsache, dass sich ein Kanoniker der Weisung des Papstes widersetzt und nicht für Schulte gestimmt hatte, ging Pacelli nicht ein. Er beschloss seinen Bericht mit dem Hinweis, dass der Wahlausgang in Deutschland überall gerne gehört worden sei.

Die Wahlannahme durch Schulte und die Frage nach dem Informativprozess Schon unmittelbar nach der Wahl vom 15. Januar war Middendorf mit Domkapitular Winand Blank nach Paderborn gereist, um mit Schulte über die Umstände der Neubesetzung zu sprechen und sich mittels eines koordinierten Vorgehens der preußischen Bistümer zum Zwecke der künf-

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Vgl. Pacelli an Gasparri vom 24. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 49rv. Am selben Tag bestätigte Pacelli den Empfang der Dokumente gegenüber dem Domkapitel. Vgl. Pacelli an Middendorf vom 24. Januar 1920 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 69r. „Come risulta dall’instrumento dell’elezione, il Capitolo non ha potuto evitare il consueto intervento del Commissario Governativo, essendo essa stata compiuta colle formalità in uso per il passato. Tuttavia non solo il Commissario anzidetto non ha cancellato alcun nome dalla lista dei candidati, ma, avendo inoltre il Governo dichiarato nel Promemoria da me trasmesso all’Eminenza Vostra col mio rispettoso Rapporto … del 4 corrente che ‚l’attuale elezione non dovrà essere considerata come un precedente per il futuro regolamento dei suoi rapporti colla Santa Sede‘, sembrami che quel fatto non possa dar luogo ad alcuna preoccupazione. Del resto tutto fa sperare che siffatte ingerenze governative verranno a scomparire colla conclusione della nuova progettata Convenzione.“ Pacelli an Gasparri vom 24. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 49r-v. 138

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tigen Weitergeltung des Bischofswahlrechts der Kapitel zu organisieren.436 Nachdem sie in der Kölner Kapitelssitzung vom 22. Januar über diese Reise Bericht erstattet hatten, notierte der Protokollant: „Die Kapitel von Münster und Paderborn haben sich zusammengetan und beschlossen zu beantragen, daß auch fernerhin die Bischofswahl den Kapiteln zustehen solle, und bitten das Kölner Kapitel, diesem Beschlusse beizutreten.“437 Nicht nur der Heilige Stuhl, auch die Domkapitel wollten den unklaren Rechtsstatus in ihrem Sinne nutzen. Nach dem Besuch von Middendorf und Blank erklärte sich Schulte am 23.  Januar in einem Schreiben an Benedikt XV. zur Annahme der Wahl bereit, betonte jedoch, diese Entscheidung nur zögerlich getroffen zu haben:438 „Mit derselben Aufrichtigkeit und Offenheit, mit der ich während der Vakanz des Bischofsstuhls von Paderborn vor zehn Jahren einzig wünschte, dass nicht ich gewählt werde, so auch diesmal, vom Moment des frühen Todes der Eminenz Herr Kardinal von Hartmann frommen Angedenkens, wünschte und begehrte ich nur, dass man bei der Wiederwahl des neuen Erzbischofs nicht an meine Person denken möchte.“439

Angesichts seiner Fehler und Schwächen könne er seine Zustimmung eigentlich nicht geben: „Bezüglich meiner Wahl zum Erzbischof von Köln nur vom natürlichen Gesichtspunkt aus, muss ich mich ihr bis zum Letzten widersetzen. Aber vom katholischen Bischof aus muss ich sie vor allem anschauen von der übernatürlichen Seite. Danach habe ich zu bedenken, dass vor der Wahl mit vielen innigen Gebeten der Heilige Geist angerufen wurde, der von Jesus Christus seiner Kirche versprochen worden ist, und dass die Wahl geschehen ist gemäß den kirchlichen Vorschriften von den zuständigen Organen der Kirche, vom Ehrwürdigsten Metropolitankapitel von Köln.“440

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Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 512. Protokoll der Sitzung des Kölner Metropolitankapitels vom 22. Januar 1920, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 512. Darüber hinaus erstrebten die Kapitel auch ein Mitwirkungsrecht bei der Besetzung der Kanonikate, was nicht nur ein Novum in Bezug auf die bisherige Regelung war, sondern auch in diametralem Widerspruch zum neuen kirchlichen Gesetzbuch stand. Vgl. zur Bitte der Domherren auch Bd. 1, Exkurs I (Episkopat gegen Domkapitel: die Grenzen der Allianz). Am 15. Januar hatte er vor seinem Entschluss noch die Weisung des Papstes abwarten wollen. Offensichtlich hatte er sich nun aber schon vorher zu einer positiven Antwort durchgerungen. „Colla medesima sincerità e franchezza, con cui durante la vacanza della sede vescovile di Paderborna dieci anni fa, desiderava unicamente di non essere io l’eletto, anche questa volta, dal momento della morte prematura dell’Eminentissimo Signor Cardinale de Hartmann di pia memoria, desiderava e bramava soltanto, che all rielezione del nuovo arcivescovo non si pensasse alla mia persona.“ Schulte an Benedikt XV. vom 23. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 47r–48r, hier 47r. „… se riguardo la mia elezione all’arcivescovado di Colonia soltanto dal punto di vista naturale, me le devo opporre fino all’ultimo. Ma da vescovo cattolico la devo piuttosto guardare dal lato sovrannaturale. Indi ho da pensare, che prima dell’elezione con tante fervorose preghiere venne invocato lo Spirito Santo promesso da Gesù Christo [sic, R.H.] stesso alla sua chiesa, e che l’elezione fu fatta dagli organi 139

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Außerdem habe die Wahl unter dem Segen und Gebet des Papstes gestanden, was er  –  so Schulte  –  dem Umstand entnehme, dass der Nuntius vorher das Kölner Kapitel besucht habe, wenngleich er nicht wisse, was dort besprochen worden sei. Dass Schulte tatsächlich nicht wusste, dass eine Scheinwahl zu seinen Gunsten stattgefunden hatte, ist mehr als unwahrscheinlich. Der Neugewählte bat Pacelli schließlich, sein Schreiben nach Rom weiterzuleiten. In seinem Anschreiben für den Nuntius gab er besonders seinem schmerzlichen Gefühl Ausdruck, Paderborn den Rücken kehren zu müssen: „Es drückt mich ungemein der Gedanke an eine Trennung von meiner treuen und gewiss auch nicht unbedeutenden Diözese Paderborn, und zurückschrecken muss ich vor der verantwortungsschweren Übernahme der Leitung der großen Erzdiözese Köln in dieser Zeit.“441 In seiner Entgegnung zeigte Pacelli Verständnis für die seelische Verfassung des Paderborner Bischofs, jedoch ließ er an der Richtigkeit seiner Translation keinen Zweifel aufkommen: „Doch der liebe Gott wird dieses Opfer mit Wohlgefallen annehmen und Euerer Bischöflichen Gnaden besonderen Segen zu Teil werden lassen, da Sie in so erbaulicher Weise sich dem Urteile und der Entscheidung Seiner Heiligkeit unterwerfen.“442 Nach dem Einverständnis Schultes stand die Durchführung des Informativprozesses auf der kurialen Agenda. Dazu wurde Pacelli von Gasparri am 9. Februar angewiesen.443 Der Kardinalstaatssekretär bestätigte gleichzeitig den Eingang der Kölner Wahlunterlagen, enthielt sich dazu aber jeglichen Kommentars. Der Nuntius weilte allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht in München, sondern war nach Rom gereist, um mutmaßlich seine schwer kranke Mutter zu besuchen.444 Deshalb meldete sich am 11. Februar Auditor Lorenzo Schioppa zurück und bat um Weisung, ob die Durchführung des kanonischen Prozesses auf die Rückkehr Pacellis warten könne.445 Andernfalls benötige er die Vollmacht, ihn selbst vornehmen zu dürfen.

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competenti della chiesa, dal Reverendissimo Capitolo Metropolitano di Colonia, secondo le prescrizioni ecclesiastici.“ Schulte an Benedikt XV. vom 23. Januar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 47v. Schulte an Pacelli vom 23. Januar 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 68r. Pacelli an Schulte vom 28. Januar 1920 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 71r. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 9. Februar 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 72r. Diesen Abwesenheitsgrund brachte der Auditor der Nuntiatur, Lorenzo Schioppa, am 12. des Monats gegenüber dem Kölner Dompropst zur Sprache. Vgl. Schioppa an Middendorf vom 12. Februar 1920 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 81r. Gegenüber Bertram erklärte der Auditor am 3. März, dass Pacelli in Rom sei, um in der Frage des Kirche-Staat-Verhältnisses in Deutschland auf Basis des Memorandums der Fuldaer Bischofskonferenz von Ende Januar Instruktionen zu erhalten. Vgl. Mussinghoff, Fakultäten, S. 172. Vgl. Schioppa an Gasparri vom 11. Februar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 55r. 140

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Unter dem letztgenannten Datum schrieb Gasparri erneut an die Münchener Nuntiatur und auch in dieser Weisung enthielt er sich jeder Beurteilung des staatlichen Einflusses auf die Wahl.446 Man muss davon ausgehen, dass er die Einschätzung Pacellis teilte und durch einen künftigen Staatskirchenvertrag von einer Eliminierung der Regierungsintervention ausging. Er konnte zufrieden sein, da der geforderte Kandidat sich durchgesetzt hatte. Anstatt sich also darüber zu äußern, übersandte er zur Weitervermittlung lediglich zwei Antwortschreiben des Heiligen Stuhls: zum einen auf das Gesuch Middendorfs um Bestätigung der Wahl vom 16. Januar, zum anderen auf die Wahlannahme Schultes vom 23. des Monats.447 Gegenüber dem Kölner Dompropst versicherte der Staatssekretär die wohlwollende Aufnahme des Wahlergebnisses durch den Heiligen Vater: „Mit dankbarem Geist erfuhr Seine Heiligkeit, dass die Stimmen für die Person des Ehrwürdigsten Herrn Karl Joseph Schulte abgegeben wurden, der mit großer Geschicklichkeit die Diözese Paderborn bis heute regiert hat. So nämlich habt ihr euch auf den würdigsten Hirten dieser hervorragenden Erzdiözese geeinigt und einen außerordentlichen Beweis Eurer Beobachtung gegenüber dem Heiligen Stuhl gezeigt.“448

Angesichts dessen habe der Papst entschieden, im nächsten Konsistorium das Band, das Schulte mit der Diözese Paderborn verband, zu lösen und ihn auf den erzbischöflichen Stuhl in Köln zu transferieren. Gleichermaßen erfreut habe Benedikt XV. die Gefühlsbekundungen Schultes aufgenommen, wie Gasparri dem neuen Erzbischof mitteilte.449 Er war zuversichtlich, dass die göttliche Gnadenhilfe, die Schulte in der Leitung des Bistums Paderborn zuteil geworden sei, ihm gleichfalls bei seinem neuen Amt nicht mangeln werde. Genauso wie Middendorf informierte Gasparri den Neugewählten über die Absicht des Papstes, ihn im nächsten Konsistorium zum Erzbischof von Köln zu präkonisieren, nachdem der Informativprozess durchgeführt worden sei. Das Kölner Kapitel drängte nun auf den 25. März, das Fest Mariä Verkündigung, als Inthronisationstermin.450 Es ersuchte daher am 11. Februar über die Münchener Nuntiatur die Kurie, 446 447

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Vgl. Gasparri an Pacelli vom 11. Februar 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 80rv. Schioppa bestätigte später die Weitergabe der Dokumente. Vgl. Schioppa an Gasparri vom 19. Februar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 62r. „Grato sane animo didicit Sanctitas Sua res suffragia tulisse in personam Revmi Domini Caroli Josephi Schulte, qui tanta sollertia dioecesim Paderbornensem hucusque gubernavit. Ita enim et dignissimum Pastorem perillustri isti Archidioecesi comparastis et peculiare argumentum vestrae erga Apostolicam Sedem observantiae exhibuistis.“ Gasparri an Middendorf vom 11. Februar 1920 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 57rv, hier 57r-v. Vgl. Gasparri an Schulte vom 11. Februar 1920 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 58r–59r. Die Inthronisation musste an einem Sonntag oder Apostelfest stattfinden. Vgl. Can. 1006 § 1 CIC 1917. Da es der Sonntag mit sich brachte, dass große Teile des Klerus an den Feierlichkeiten nicht teilnehmen konnten, wich man häufig auf einen nahegelegenen Festtermin aus. 141

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alle notwendigen Vorbedingungen  –  das heißt den Informativprozess sowie die Ausfertigung der Ernennungsbullen – bis dahin erfüllt zu haben.451 Gasparri verzichtete darauf, Schioppa die Vollmacht zur Durchführung des Prozesses zu gewähren, die dieser aufgrund der Abwesenheit des Nuntius benötigte. Stattdessen dispensierte der Papst überhaupt von dieser Vorschrift, was in Anbetracht der Tatsache, dass der Gewählte vom Heiligen Stuhl vorgegeben wurde, nur konsequent war.452 Der Kardinalstaatssekretär beauftragte den Auditor am 16. Februar, dem Kapitel diese Dispensation und die rechtzeitige Ausstellung der Bullen zu versichern. Schioppa erledigte das drei Tage darauf.453 Über beides unterrichtete er gleichfalls Bischof Schulte.454 Am 25. Februar antwortete der scheidende Paderborner Bischof auf diese Mitteilung des Auditors und bedauerte, anlässlich des Prozesses nicht mit Pacelli zusammenzutreffen, dem als Nuntius die Pflicht oblag, ihn durchzuführen.455 Um sein Versprechen zu halten, bemühte sich Gasparri bereits am 20. des Monats um die Abfassung der Dokumente, indem er den Sekretär der Konsistorialkongregation De Lai von der Wahl Schultes auf den erzbischöflichen Stuhl von Köln gemäß der Bulle De salute animarum und der päpstlichen Bestätigung informierte.456 Da von der Vorschrift des kanonischen Prozesses dieses Mal abgesehen werde und das Kapitel am 25. März die Inbesitznahme des Erzbistums durch Schulte feierlich begehen wolle, sei eine schnelle Abfassung der Ernennungsbullen notwendig.457

Die Frage nach der staatlichen Beteiligung bei der Amtseinführung Nach der staatlichen Mitwirkung durch den Kommissar im Umfeld des Wahlaktes stellte sich die Frage, wie eine staatliche Beteiligung beim Amtsantritt auszusehen habe, vor allem, ob und

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Vgl. Vogt an Pacelli vom 11. Februar 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 79rv. Der Auditor gab das Bittgesuch des Kapitels telegraphisch nach Rom weiter. Vgl. Schioppa an Gasparri vom 14. Februar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 60r. Am selben Tag bestätigte er Vogt, seiner Bitte entsprochen zu haben. Vgl. Schioppa an Vogt vom 14. Februar 1920 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 82r. Vgl. Gasparri an Schioppa vom 16. Februar 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 84r. Vgl. Schioppa an Vogt vom 19. Februar 1920 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 85r. Vgl. Schioppa an Schulte vom 19. Februar 1920 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 86r. Vgl. Schulte an Schioppa vom 25. Februar 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 88rv. Vgl. Gasparri an De Lai vom 20. Februar 1920 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 63rv. Diese sollten nach dem Vorbild derjenigen abgefasst werden, welche die Kongregation für die Einsetzung Hartmanns 1912 angefertigt hatte. 142

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wie der Eid auf die Landesverfassung geleistet werden musste.458 Unterstaatssekretär Wildermann aus dem Kultusministerium wandte sich diesbezüglich am 18. Februar an Schulte, der wiederum am 27. des Monats den Kölner Dompropst459 und am 1. März den Nuntius davon in Kenntnis setzte.460 Wildermann habe ihm  –  so Schulte  –  die Verlegenheit gestanden, die angesichts der Amtseinführung im Kultusministerium herrsche. Man sei sich zwar einig, dass der bislang übliche Huldigungseid entfalle und nicht durch einen anderen Treueid ersetzt werden müsse. Hingegen sei es abzulehnen, dass „die Staatsregierung von der Amtsantretung eines Bischofs gar keine Kenntnis nimmt, zumal sie vorläufig noch die Stelle ist, die das Gehalt zahlt“461. Daher sei geplant, dem neuen Erzbischof eine Anerkennungsurkunde zu überreichen. Ihr Text anerkannte lediglich Schultes Amtsübernahme und stellte seinen Anspruch auf die finanziellen Zuwendungen fest.462 Jedoch könne diese Urkunde laut Wildermann erst überreicht werden, wenn die Regierung offiziell Kenntnis von der päpstlichen Approbation und der angesetzten Inthronisation erhalten habe. Die Form, in der eine solche amtliche Mitteilung an die Regierung vorgenommen werde, sei nach Ansicht des Unterstaatssekretärs paradigmatisch für die nächsten Besetzungsfälle. Schulte hatte Wildermann bereits am 21. Februar eine Antwort zukommen lassen und druckte den Text jetzt für Pacelli ab: Darin hatte er sich mit dem von Wildermann skizzierten Vorgehen einverstanden erklärt und auch die Form einer Urkunde als angemessen qualifiziert. Bevor er sich jedoch auf eine Weise, der Staatsregierung Anzeige zu erstatten, festlege – so Schulte an Wildermann –, wolle er mit dem Nuntius Rücksprache halten. Diesen unterrichtete Schulte des Weiteren davon, inzwischen von Middendorf erfahren zu haben, dass der Regierungskommissar bei der Kölner Wahl, Groote, vom Berliner Kultusministerium aufgefordert worden sei, ein Gutachten über die staatliche Beteiligung an der Einführung des neuen Erzbischofs zu erstellen: „Man befürchte, dass, wenn der frühere Modus (Übersendung der Päpstlichen Bulle an den Oberpräsidenten, durch diesen an den Minister bez[iehungsweise] an das Staatsoberhaupt, Übermittlung der staatlichen Anerkennungsurkunde auf dem umgekehrten Wege zurück)

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Vgl. dazu die „Verordnung König Wilhelms I. betreffend die Vereidigung der katholischen Bischöfe in der preußischen Monarchie“ vom 6. Dezember 1873, abgedruckt bei Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche II, S. 629 (Nr. 296); zur Rolle des Bischofseids im Rahmen der Beilegung des Kulturkampfs ebd., S. 628, 820f.; Dahl-Keller, Treueid, S. 99–105; Link, Besetzung, S. 179–181. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 512f. Vgl. Schulte an Pacelli vom 1. März 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 90r–91v. Schulte an Pacelli vom 1. März 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 90r. Vgl.: „Der vom Domkapitel zu Köln zum Erzbischof von Köln gewählte und vom Papste bestätigte bisherige Bischof von Paderborn Dr. Schulte wird als Erzbischof von Köln staatlich anerkannt und hat die mit dem Kirchenamte verbundenen staatlichen Leistungen zu genießen.“ Schulte an Pacelli vom 1. März 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 90r. 143

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innegehalten werde, bis zu dem schon vor der Öffentlichkeit festgesetzten Tage der Inthronisation (25. März) die Sache nicht erledigt werden könnte.“463

Deshalb und weil sein erhofftes Zusammentreffen mit Pacelli anlässlich des Informativprozesses nicht stattfinde, habe er sich – so Schulte – kurzerhand entschlossen, Kultusminister Haenisch offiziell seine baldige Ernennung zum Erzbischof von Köln mitzuteilen. Diese Nachricht, die auf den 28.  Februar datiert, fügte Schulte seinem Brief an Pacelli bei.464 Darin informierte er den Minister, vom kanonischen Prozess dispensiert worden zu sein und versicherte, dass die Ernennungsbullen bis zum 25. März vorlägen. Außerdem bat er um Zustimmung, dass „die Solennitäten, welche unter der früheren Staatsregierung vom Könige von Preußen bei Gelegenheit der staatlichen Anerkennung eines Bischofs beobachtet wurden, den veränderten staatlichen Verhältnissen nicht mehr entsprechen“465. Nichtsdestotrotz hielt Schulte es für angemessen, dass nach erfolgter Anzeige seiner Amtsübernahme die preußische Regierung eine amtliche Kenntnisnahme abgebe. Angesichts der knappen Zeit ersuchte er Haenisch, diesmal die päpstlichen Bullen vor der staatlichen Anerkennung seines Amtes nicht einsenden zu müssen. Jedoch könne er bei seiner Einführung in Köln dem rheinischen Oberpräsidenten ein päpstliches Bestätigungsschreiben vorlegen, wenn dieser an den Feierlichkeiten teilnehmen würde.466 Der designierte Erzbischof äußerte abschließend gegenüber dem Nuntius die Hoffnung, mit „dem Inhalt dieses Schreibens an das Ministerium zugleich der Auffassung Euerer Exzellenz und des Heiligen Stuhles entsprochen“467 zu haben. Da der Nuntius bislang noch nicht nach München zurückgekehrt war, erhielt Schulte hierzu zunächst einmal keine zustimmende oder ablehnende Antwort. Vielmehr meldete sich am 5. März Schioppa und versicherte telegraphisch, beide Schriftstücke an Pacelli nach Rom geschickt zu haben.468 Kultusminister Haenisch zumindest war mit den Vorschlägen einverstanden und schrieb am 6. März an Schulte: „Der Herr Oberpräsident der Rheinprovinz wird beauftragt werden, vor Ihrer Inthronisation Ihnen eine Urkunde zu überreichen, derzufolge Euer Bischöfliche Hochwürden als Erzbischof von Köln staatlich anerkannt werden und die mit dem Kirchenamte verbundenen staatlichen Leistungen zu genießen haben.“469 463 464 465 466

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Schulte an Pacelli vom 1. März 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 91r. Vgl. Schulte an Haenisch vom 28. Februar 1920 (Abschrift), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 92rv. Schulte an Haenisch vom 28. Februar 1920 (Abschrift), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 92v. In seiner Mitteilung an den Kölner Dompropst bezeichnete es Schulte als eine „sehr große Freude“, wenn Oberpräsident Groote bei der Feier anwesend sein und ihm die staatliche Genehmigung überreichen könnte. Schulte an Middendorf vom 27. Februar 1920, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 513. Schulte an Pacelli vom 1. März 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 91r-v. Vgl. Schioppa an Schulte vom 5. März 1920 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 94r. Haenisch an Schulte vom 6. März 1920, zitiert nach Trippen, Domkapitel, S. 513. 144

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Besitzergreifung des Erzbistums und Inthronisation Das Geheime Konsistorium, in dem Benedikt XV. Schulte zum Erzbischof von Köln präkonisierte, fand am 8. März statt.470 Als Mitte des Monats abzusehen war, dass die Ernennungsbullen nicht mehr rechtzeitig bis zum Stichtag des 25. fertig würden, gestattete Gasparri dem neuen Erzbischof, seine Erzdiözese auch ohne diese Schriftstücke in Besitz zu nehmen.471 Am Tag vor der feierlichen Inthronisation im Kölner Dom übernahm Schulte den Vorsitz der Kapitelssitzung.472 Er verlas die Genehmigung Gasparris, die Erzdiözese ohne die Ernennungsbullen in Besitz zu nehmen, hielt eine kurze Ansprache und ernannte Kapitularvikar Vogt zu seinem Generalvikar.473 Am Abend desselben Tages kehrte Schulte auch bei dem in Köln residierenden Groote ein, der ihm die staatliche Urkunde bei dieser Gelegenheit überreichte. Durch die festliche Inthronisationszeremonie am 25.  März schließlich war das Besetzungsverfahren grundsätzlich abgeschlossen.474 Im Namen des abwesenden Nuntius gratulierte Auditor Schioppa brieflich dem neuen 470

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Vgl. AAS 12 (1920), S.  98. Die Präkonisationsbulle für das Domkapitel trägt das gleiche Datum. Am Folgetag setzte der preußische Gesandte Bergen auch das Auswärtige Amt von der Präkonisation in Kenntnis. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 511 Anm. 92. Am 10. März schließlich verkündete Kapitularvikar Vogt öffentlich die erfolgte Präkonisation und den ins Auge gefassten Inthronisationstermin. Vgl. „Inthronisation des Hochwürdigsten Herrn Erzbischofs Dr. Karl Josef Schulte vom 10. März 1920“, in: Kirchlicher Anzeiger für die Erzdiözese Cöln Nr. 7 vom 15. März 1920. Vgl. Gasparri an Schulte vom 14. März 1920 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 64r. Am 23. März hatte Schulte die Amtsgeschäfte der Diözese Paderborn offiziell beendet. Vgl. Woker an Benedikt XV. vom 27. März 1920, ASV, Segr. Stato, Anno 1920, Rubr. 255, Fasz. 1, Fol. 190r. Nach seiner Ankunft in Köln am Nachmittag des 24. März wurde Schulte zunächst im Dom von der gesamten Geistlichkeit der Erzdiözese empfangen, bevor im Anschluss die Kapitelssitzung stattfand. Vgl. zu den Inthronisationsfeierlichkeiten „Fest-Ordnung für die feierliche Inthronisation des Hochwürdigsten Herrn Erzbischofs von Cöln Dr. Karl Josef Schulte am 24. und 25. März 1920“, in: Kirchlicher Anzeiger für die Erzdiözese Cöln Nr. 7 vom 15. März 1920. Vgl. Trippen, Domkapitel, S. 514. Ein weiterer Punkt, der Schulte am Herzen lag, war die Überreichung des erzbischöflichen Palliums. Der CIC schrieb vor, dass ein Metropolit innerhalb von drei Monaten nach der Bischofsweihe oder nach der kanonischen Amtsübertragung im Konsistorium, wenn er nämlich schon geweiht war, das Pallium persönlich (oder mittels eines Stellvertreters) vom Papst erbitten musste. Vgl. Can. 275 CIC 1917. Demnach hatte Schulte eigentlich noch Zeit, sich später um diese Insignie zu kümmern. Aber in Köln – wie er an Pacelli schrieb – wünsche man, dass ihm während der Inthronisationszeremonie auch das Pallium umgelegt werde. Vgl. Schulte an Pacelli vom 1. März 1920, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 89rv. Um diesem Wunsch Rechnung zu tragen, hatte er ein Bittgesuch an den Heiligen Vater aufgesetzt, das Pacelli nach Rom weiterleiten sollte. Gleichzeitig bat er um die „geschickte Vermittlung“ (ebd., Fol. 89r) des Nuntius, damit die erzbischöfliche Insignie vor dem 25. März in Köln beim Kapitularvikar eintreffe. Am 3. März meldete sich Schioppa auf das Gesuch Schultes zurück. Er versicherte zunnächst, die Supplik an den Heiligen Vater weiterbefördert zu haben. Darüber hinaus verwies er auf die Pra145

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Erzbischof.475 Man erwartete jedoch noch immer die amtlichen Schriftstücke aus Rom. Diese sollten erst Anfang Mai ihr vorgesehenes Ziel erreichen.476 Mitte des Monats schließlich wurden die Bulle, mit der Benedikt XV. Schulte offiziell von seiner Bindung an die Diözese Paderborn löste und auf den erzbischöflichen Stuhl von Köln transferierte, im Kirchlichen Anzeiger der Erzdiözese bekannt gemacht.477

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xis, dass das Pallium im Konsistorium verliehen werde und zur Entgegennahme des Palliums „ein Prälat delegiert werden [muss], der sich in Rom befindet und der dasselbe aus der Hand des ersten Kardinaldiakons erhält“. Schioppa an Schulte vom 13. März 1920 (Entwurf), ebd., Fol. 95r. Für diese Aufgabe empfahl der Auditor Monsignore Giuseppe Pizzardo, Minutant im Staatssekretariat. Eifrig und geschickt, sei er dort vornehmlich mit den deutschen Angelegenheiten betraut. Schulte hingegen ließ sich in Rom durch den Rektor der Santa Maria dellʼAnima, Maximilian Brenner, vertreten. Im Geheimen Konsistorium vom 8. März nahm Brenner für Schulte das Pallium entgegen, die – wie es in den amtlichen Unterlagen hieß – „insigne videlicet plenitudinis pontificalis officii“. ASV, Canc. Ap., Regesta Litt. Ap., XX 7, Fol. 13r. Vgl. Schioppa an Gasparri vom 15. März 1920 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 96r. Da Schulte Mitte April immer noch auf die Bullen wartete, hakte Pacelli diesbezüglich nach. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 13. April 1920 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 97r. De Lai übersandte sie dem Nuntius schließlich zehn Tage darauf und machte auf die fällige Gebühr von 14.550 Reichsmark aufmerksam. Vgl. De Lai an Pacelli vom 23. April 1920, ebd., Fol. 99r. Am 8. Mai bestätigte ihm Pacelli den Eingang und die Weitergabe der Schriftstücke. Vgl. Pacelli an De Lai vom 8. Mai 1920 (Entwurf), ebd., Fol. 100r. Die Weitersendung erledigte der Nuntius am gleichen Tag. Vgl. Pacelli an Schulte vom 8. Mai 1920 (Entwurf), ebd., Fol. 101r. Erst eine Woche darauf berichtete Gasparri, dass die Bullen zwischen dem 23. und 25. April verschickt worden seien. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 15. Mai 1920, ebd., Fol. 102r. Die Kommunikation zwischen den römischen Kongregationen war offenbar nicht besonders ausgeprägt, insofern das Staatssekretariat nicht von der Konsistorialkongregation informiert worden war, dass Pacelli die Bullen bereits erhalten hatte. Am 26. Mai übersandte Pacelli die fällige Gebühr von 14.550 Reichsmark, die er von Schulte bekommen hatte, an die Konsistorialkongregation. Vgl. Pacelli an De Lai vom 26. Mai 1920 (Entwurf), ebd., Fol. 104rv. Dem Ernennungsdekret, das vom Sekretär der Konsistorialkongregation unterzeichnet war und das Schulte zusammen mit den Bullen erhielt, waren die beiden Formulare für die Ablegung der professio fidei und des Gehorsamseides gegenüber dem Papst beigefügt. Vgl. Coloniensis, Decretum vom 8. März 1920 (Entwurf), ASV, Canc. Ap., Regesta Litt. Ap., XX 7, Fol. 1rv. Weihbischof Müller nahm die Ableistung der iuramenta durch Schulte am 2. Juni entgegen. Vgl. formula professionis fidei vom 2. Juni 1920, ebd., Fol. 7r–8v; formula iurisiurandi vom 2. Juni 1920, ebd., Fol. 9rv. Vier Tage darauf bat der neue Erzbischof den Nuntius, die Belegdokumente an die Apostolische Kanzlei weiterzuleiten. Vgl. Schulte an Pacelli vom 6. Juni 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 57r–58r. Vgl. Bulla apostolica, qua Illmus ac Rvssmus Dmnus Archieppus ad Sedem Archiepiscopalem Coloniensem transfertur, in: Kirchlicher Anzeiger für die Erzdiözese Cöln Nr. 12 vom 15. Mai 1920. Der Entwurf dieser Bulle für Schulte wurde im Archiv der Cancelleria Apostolica abgelegt. Vgl. ASV, Canc. Ap., Regesta Litt. Ap., XX 7, Fol. 3r–4v. Dort befinden sich auch die Entwürfe der Bullen an die Suffraganbischöfe der Kölner Kirchenmetropole (Fol. 4v–5r) sowie an das Metropolitankapitel, den Klerus und das Volk der Erzdiözese (Fol. 5rv). 146

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Gegen Mitte April war Pacelli wieder aus Rom nach München zurückgekehrt. In der italienischen Hauptstadt hatte ihn der Brief Schultes vom 1. März erreicht, der die staatlichen Komponenten bei der Bischofseinsetzung thematisierte. Aus der bayerischen Hauptstadt äußerte der Nuntius nun seine Ansicht dazu, die er zuvor mit Gasparri abgestimmt hatte und der Schulte hoffte, entsprochen zu haben.478 Offensichtlich hatte sich dessen Hoffnung erfüllt. Denn zum einen war der Heilige Stuhl sehr zufrieden, dass jede Form eines bischöflichen Eides gegenüber der Staatsregierung entfallen war. Zum anderen sah er auch keine Probleme in der offiziellen Anzeige des neuen Erzbischofs, das Amt übernommen zu haben. Obwohl Pacelli also keinen unmittelbaren Einfluss auf die Regelung der staatlichen Beteiligung hatte nehmen können, war die Angelegenheit durchaus in seinem Sinne verlaufen.

Ergebnis 1. Auf die Kandidatenfrage nahm Pacelli im Kölner Besetzungsfall keinerlei Einfluss. Wegen der paradigmatischen Relevanz des Falls und der besonderen Bedeutung des Kölner Erzbischofsstuhls für Preußen hatte sich die Regierung direkt mit dem Heiligen Stuhl auf Schulte verständigt. Dazu kommt, dass die prinzipiellen Fragen nach künftigem Besetzungsmodus und nach erstrebter Sicherung kirchlicher Freiheiten und Rechte gegenüber dem Staat die spezielle Personalfrage in den Hintergrund drängten.479 Folgerichtig gab es in der Korrespondenz zwischen Gasparri und Pacelli nicht einmal ansatzweise Überlegungen zur Kandidatur. Als persönliche Qualitäten, die Schulte für das Metropolitankapitel wählbar machen sollten, attestierte ihm der Nuntius „ausgezeichnete Eigenschaften“, eine „hohe Einsicht“, ein „ausgebreitetes und gründliches Wissen“, eine „tiefe Frömmigkeit“, eine „unvergleichliche Arbeitsfreudigkeit“ sowie eine gesunde Lehre und eine kindliche Anhänglichkeit an den Heiligen Stuhl. Insbesondere auch Schultes Einsatz in der Kirchlichen Kriegshilfe in Paderborn war für ihn ein positives Kriterium. Der Aussagewert dieser Eigenschaften für Pacellis Bischofsbild verliert sicher an Gewicht, wenn man bedenkt, dass Pacelli die Person Schultes eben nicht aufgrund dieser Fähigkeiten selbst auswählte, sondern den ihm von Rom Vorgegebenen nur nachträglich mittels dieser Qualitäten den Domherren schmackhaft machte. Da jedoch der Fertigkeitenkatalog anders als die Person keiner römischen Vorgabe 478 479

Vgl. Pacelli an Schulte vom 13. April 1920 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 98rv. Die vatikanischen Quellen belegen damit die These Norbert Trippens von 1970: „Es ging bei der Wahl 1919/​20 in Köln nicht um die Person des zu Erwählenden, über die sich, wie es scheint, die Beteiligten von Anfang an ziemlich einig waren, sondern um die Fortgeltung der zwischen Kardinal Consalvi und den deutschen Monarchen zu Anfang des 19. Jahrhunderts ausgehandelten staatlichen Rechte gegenüber der Kirche und der Privilegien der deutschen Domkapitel nach der inzwischen eingetretenen politischen Umwälzung.“ Trippen, Domkapitel, S. 468. 147

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entsprang, sondern von ihm selbst stammte, gewährt er durchaus einen Einblick, wie sich Pacelli einen idealen Bischof vorstellte. 2. In der prinzipiellen Frage, ob den preußischen Domkapiteln in künftigen Vereinbarungen das Bischofswahlrecht erhalten bleiben sollte oder nicht, hatte Pacelli eine klare Präferenz: Theoretisch sei es völlig unstrittig, der Domkapitelswahl die freie päpstliche Ernennung gemäß Can. 329 § 2 CIC 1917 vorzuziehen. Doch praktisch gab er zu bedenken, dass die Bischofswahlen in Preußen stets gute Resultate erzielt hätten und man anerkennen müsse, dass sämtliche Oberhirten Preußens, „ohne Ausnahme, würdige und eifrige Hirten sind“. Außerdem handle es sich um ein altes Privileg, dessen Abschaffung Widerstand und Unmut in der deutschen Kirche erzeugen würde. Falls man aber die Aufhebung der Kapitelswahl anstrebe – was für Pacelli hier also als keine unbedingte Notwendigkeit erschien –, sollte jene auf schonende Weise und im Einvernehmen mit dem preußischen Episkopat erfolgen. Dass dieser geschlossen das Kapitelswahlrecht unterstützte und daher für einen solchen Plan nicht empfänglich sein konnte, schien Pacelli zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu wissen. Den künftigen, allgemein praktizierten Besetzungsmodus stellte Pacelli sich so vor, dass den Domkapiteln gewissermaßen als „Trostpflaster“ das Propositionsrecht einer Terna eingeräumt werde, an die der Papst bei seiner freien Nomination jedoch nicht gebunden sein sollte. Damit griff Pacelli zum einen auf Hollwecks Vorschlag zurück. Aber vermutlich stand für ihn auch das erst wenige Jahre zuvor für Nordamerika eingeführte bischöfliche Vorschlagsverfahren Pate, das dem Papst ebenfalls völlig freie Hand ließ.480 Auch wenn ein Propositionsrecht nur ein schwacher Ersatz für ein Wahlrecht war, propagierte der Nuntius somit keinen prinzipiellen Ausschluss der preußischen Domherren aus dem Besetzungsverfahren der bischöflichen Stühle – und zwar nicht nur aus taktischen Gründen, wie seine positive Bewertung des durch Wahl ins Amt gelangten preußischen Episkopats belegt. Ordnet man Pacellis Position in das Meinungsspektrum der Kardinäle der AES ein, so muss man sie in der Mitte ansiedeln: De Lai und Merry del Val waren prinzipiell dafür, das Kapitelswahlrecht zugunsten der päpstlichen Nomination abzuschaffen. Eine Gegenposition nahm neben Pompilj insbesondere Frühwirth ein, der eher zu einer dauerhaften Beibehaltung des Wahlrechts unter Ausschaltung des staatlichen Einflusses tendierte. Gasparri folgte schließlich Pacellis vermittelnder Sicht, den Domkapiteln zwar kein Wahlrecht, aber zumindest ein nicht-bindendes Vorschlagsrecht einzuräumen.

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Vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.1 Anm. 309. Es ist davon auszugehen, dass Pacelli die amerikanische Regelung ebenso gut kannte wie Gasparri, der in der Sessio vom 2. Dezember 1919 zwischen Pacellis Modusvorschlag und der nordamerikanischen Praxis einen ausdrücklichen Bezug herstellte. 148

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Ob dem Kölner Metropolitankapitel im konkreten Fall das Wahlrecht gemäß De salute animarum gestattet werden sollte, beurteilte Pacelli nicht in prinzipieller, sondern nur in konkordatspolitischer Hinsicht. Diese muss daher im Folgenden in den Blick genommen werden. 3. Für Pacelli war die einseitige staatliche Regelung der die Kirche betreffenden Materie in der WRV nicht tolerabel, weil die Kirche seiner Ansicht nach genauso wie der Staat eine societas perfecta war, deren gemeinsame Angelegenheiten daher der gemeinsamen, eben konkordatären Regelung bedurften. In der dadurch virulent gewordenen Streitfrage, ob die quasikonkordatären Zirkumskriptionsbullen aus dem 19. Jahrhundert durch die Veränderung der Staatsform und der neuen Verfassung ipso facto aufgehoben seien oder noch Geltung beanspruchen konnten, nahm Pacelli vor dem Hintergrund des Meinungsspektrums der AES eine gemäßigte Position ein (wie auch Pompilj und Frühwirth): Weder glaubte er, dass diese gänzlich ungültig (so Ojetti, De Lai, Merry del Val), noch dass sie völlig unberührt geblieben waren, sondern beurteilte  –  als Anhänger der am Apollinare gelehrten Kirchenrechtstradition – unter der Annahme prinzipieller Fortgeltung der Verträge jeden Artikel einzeln.481 Dabei kam er zu dem Schluss, dass De salute animarum nur in zwei Punkten von der WRV tangiert worden sei. Einer davon bestand in dem Rechtsverzicht des Staates auf seinen Einfluss auf die Besetzung der kirchlichen Ämter. Damit brauchte Pacellis Ansicht nach die theoretische Frage, ob das den früheren monarchischen Herrschern gewährte Recht (beziehungsweise die sich eingebürgerte Praxis) der Exklusive von minder genehmen Kandidaten bei den Bischofseinsetzungen auf eine republikanisch-demokratische Regierung übergehen könne, mit der Regierung gar nicht ausdiskutiert zu werden. Zwar hatte Pacelli diesbezüglich eine klare Meinung: Im Einvernehmen mit Hollweck – und im Anschluss an Franz Xaver Wernz SJ – beantwortete er diese Frage vom Standpunkt des CIC her klar negativ. Er sprach von einem „verachtenswerten Privileg“, das die kirchliche Freiheit unzu481

Zu dieser Position Pacellis passt nicht die Auffassung von Ludwig Volk, der davon ausging, dass „für den Nuntius die Ungültigkeit an sich eine ausgemachte Sache“ sei. Volk, Reichskonkordat, S. 16. Vgl. etwa auch Obermayer, Konkordate, S. 174; Trippen, Domkapitel, S. 497. Korrekt dagegen Samerski, Konsultor, S. 277. Vgl. zu den unterschiedlichen Kirchenrechtstraditionen des Apollinare und der Gregoriana Fantappiè, Chiesa, bes. S. 131–170, 216–232, 291–327, 853–863 u. ö. Vgl. dazu auch Unterburger, Licht, S. 26–31; Ders., Nachahmung. Vgl. zu Pacellis Position auch Bd. 3, Kap. II.2.1 Anm. 380. Pacelli vertrat seine Auffassung schon 1916  –  damals noch Sekretär der AES  –  in einem Gutachten, das er über die Fortgeltung des französischen Konkordats verfasste. Vgl. Votum Pacellis vom 20. Februar 1916, abgedruckt bei Astorri, Diritto, S.  692–701. Ein Seitenblick auf diesen Text liefert den theoretischen Unterbau für seine im Kölner Fall vertretene Ansicht. Bereits hier unterschied Pacelli zwei Kategorien von Konkordatsbestimmungen: „È da ricordare che in non pochi Concordati, oltre i privilegi propriamente detti concessi al Sovrano o al Capo dello Stato (od anche al Governo), quali sono soprattutto i diritti di nomina o di presentazione agli uffici e benefici vacanti, si contengono spesso molte altre disposizioni che non rientrano in quella categoria, sebbene anche alla loro osservanza la S. Sede sia tenuta di fronte al Governo in forza del patto concordatario, quali sono, ad esempio, gli articoli concernenti la 149

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lässig in der so bedeutsamen Materie der Bischofsbestellung beschneide und daher – im Sinne einer strengen Privilegienauslegung – nicht ohne neue zumindest stillschweigende Genehmicircoscrizione delle diocesi, i Capitoli cattedrali e collegiali, le parocchie ed i concorsi per la provvista delle medesime, le riserve dei benefici, i Seminari, gli Ordini e le Congregazioni religiose, i beni ecclesiastici, i giudizi ecclesiastici, ecc. … Quelle disposizioni, quantunque praeter od anche contra ius commune, vennero sancite, alcune bensì dietro richiesta dei rispettivi Governi per i loro interessi politici, ma altre invece per initiativa della Santa Sede stessa, in vista delle speciali condizioni della Nazione, cui il Concordato si riferiva, e furono quindi e sono ben spesso di utilità e convenienza per il bene della Chiesa.“ Ebd., S. 693. Diese unterschiedliche Qualität der beiden Kategorien hatte nach Pacelli Auswirkungen auf ihre Fortgeltung angesichts eines Konkordatsbruchs: „Ora, quanto alla prima categoria, ossia ai privilegi propriamente detti del Sovrano o del Capo dello Stato, sembrami possa affermarsi che colla rottura del Concordato essi cessano ‚ipso iure‘. E la ragione è non solo perché il Governo con tale atto vi rinunzia escplicitamente, ma soprattutto perché i privilegi cessano ‚per cessationem causae finalis in contrarium, si agatur de privilegiis odiosis etiam integre iam concessis et tractum successivum habentibus‘. (Wernz, Ius decret, t. I, n. 162 …). Ora appunto i privilegi in discorso – odiosi perché contro il diritto comune e la libertà della Chiesa – vengono dal Romano Pontefice concessi nei Concordati in vista delle benemerenze dello Stato ed in corrispettivo degli impegni da esso assunti verso la Chiesa. Dunque, calpestando lo Stato colla rottura del Concordato questi impegni e violando i diritti della Chiesa, viene a cessare non solo ‚negative‘ ma ‚contrarie‘ la causa della concessione di quei privilegi, e quindi cessano i privilegi stessi, onde il Governo non ha più alcun diritto per l’avvenire di reclamare di nuovo l’esercizio senza il consenso espresso od almeno tacito dalla S. Sede.“ Ebd., S. 693. Mit anderen Worten: Die dezidiert dem Staatsoberhaupt gewährten Konzessionen fallen ipso iure bei einem staatlichen Konkordatsbruch, weil sie als die kirchliche Freiheit beschränkende Privilegien nur im Gegenzug für staatliche Zugeständnisse gestattet wurden. Im Konkordatsbruch verletzt der Staat aber diese Zugeständnisse, die den Grund für die Kirche gebildet hatten, die der kirchlichen Freiheit zuwiderlaufenden Konzessionen zu erteilen. Daher seien die Privilegien verwirkt und könnten ohne zumindest stillschweigende Zustimmung des Heiligen Stuhls von der staatlichen Seite nicht mehr ausgeübt werden. Dieselbe Argumentation, bis hinein in die Wortwahl – wie etwa die Qualifizierung der Privilegien als „odiosi“ im Anschluss an den schulbildenden Kirchenrechtler der Gregoriana Franz Xaver Wernz SJ –, brachte Pacelli im Kontext der Kölner causa vor. Dass aber – so Pacellis Votum weiter – diese Art von Bestimmungen bei Konkordatsbruch ipso iure aufgehoben würden, bedeutete nicht, dass dies auch auf die zweite Kategorie von Bestimmungen zutreffe, da man ihre jeweilige Natur separat bewerten könne: „Non è dunque necessario che, per una determinata causa, il Concordato o cessi in tutto od in tutto rimanga; ma ben possono cessare i privilegi propriamente detti del Capo dello Stato, e rimanere in vigore tutte le altre disposizioni.“ Ebd., S. 694. Diese Schlussfolgerung begründete Pacelli damit, dass – wieder im Anschluss an Wernz  –  Konkordate nicht nur als bilaterale Verträge, sondern auch als Kirchengesetze zu verstehen seien. Deshalb blieben die Bestimmungen der zweiten Kategorie auch bei einem Konkordatsbruch rechtlich in Kraft, selbst wenn der Heilige Stuhl die Freiheit besitze, sie zu widerrufen: „Il concordato è una legge ecclesiastica … per una determinata Nazione, al mantenimento ed all’osservanza della quale la Chiesa (come lo Stato) è tenuta vi pacti. Avvenuta la rottura del Concordato da parte del Governo, la Chiesa ha pieno ed incontestabile diritto di dichiararsi sciolta da quest’obbligo, e può quindi liberamente revocare la legge anzidetta. La decadenza del Concordato però (ad eccezione dei privilegi propriamente detti concessi al Sovrano od al Capo dello Stato) non avviene ipso iure, ma richiede un atto positivo di revoca da parte della Santa Sede …“ Ebd., S. 696. Kursivsetzungen im Original. Unterstreichungen R.H. 150

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gung des Heiligen Stuhls auf die neue Regierung übergehen könne. Eine solche stillschweigende Konzession hielt Pacelli jedoch in Anbetracht des steigenden Einflusses des Sozialismus in Deutschland für gefährlich. Er befürchtete, dass eine aus Sozialisten bestehende demokratisch-legitime Regierung mit atheistisch-antikirchlichen Bestrebungen in die kirchliche Ämterbesetzung eingreifen könnte. Trotz der theoretisch klaren Haltung mahnte Pacelli zur Zurückhaltung. Zunächst ging er davon aus, dass durch den Artikel 137 WRV alle staatlichen Einmischungen beendet würden und sich die Frage damit von selbst erledigen werde. Genau dann sei der Heilige Stuhl auch frei zu entscheiden, den Domkapiteln das Wahlrecht zu belassen oder das gemeine Recht der päpstlichen Nomination einzuführen. Laut der Auffassung Pacellis von der Fortgeltung der Zirkumskriptionsbulle hielt er das Bischofswahlrecht trotz WRV für de iure in Geltung, wobei die durch die neue Verfassung erfolgte einseitige Veränderung der Rechtslage – ein „Konkordatsbruch“ – den Heiligen Stuhl legitimierte, das Privileg frei zu widerrufen. Diesen Schritt hielt er jedoch nicht für opportun, denn die Regierung war der Auffassung, dass die Bulle noch vollumfänglich Geltung besaß und der Staat daher auch nicht verzichtet hatte, auf die Besetzung der Bischofsstühle Einfluss zu nehmen. Um dies zu untermauern, unternahm sie einen rechtlichen Kniff, indem sie erklärte, der Absatz 3 des 137. Artikels der WRV bedürfe noch der Umsetzung durch die Landesgesetzgebung und habe vorher keine bindende Kraft. Diese Argumentation lehnte Pacelli ab und erblickte darin den „heimtückischen Versuch“, „die vollständige Beseitigung des Einflusses der bürgerlichen Autorität auf die erwähnten Besetzungen aufzuschieben oder zu verringern“. Seine Erwartung, die WRV werde die Problematik von selbst lösen, entpuppte sich jedenfalls als verfrüht. Er sah realistisch, dass es keinen Sinn hatte, mit der Regierung darüber zu diskutieren, weil diese die kirchliche Rechtsauffassung nicht teilen und weiterhin formell auf der bisher üblichen Besetzungspraxis mitsamt Kapitelswahl insistieren würde. Vor diesem Hintergrund war es für Pacelli keine Option, die gewonnenen Freiheiten radikal einzufordern, indem der Heilige Stuhl den Kirchenvertrag für aufgehoben erklärte oder auch nur „zu ausdrücklich“ mitteilte, dass er sich nicht mehr an die alte Rechtsgrundlage gebunden fühlte. Dieser Schritt konnte seiner Ansicht nach fatale Folgen nach sich ziehen: nämlich die Einstellung der finanziellen Staatsleistungen an die Kirche. Außerdem würde es als ein feindlicher Akt gegen den Staat interpretiert werden. Daher schien Pacelli die einzige Lösung zu sein, die Kirche und Staat betreffende Materie gänzlich neu zu regeln. Diesen Ausweg des Nuntius nahm die unter Federführung Gasparris im Staatssekretariat entstandene Relation als einen von drei Lösungswegen auf, die der Kirche ihre Freiheit nach den politischen Umwälzungen in Deutschland wiederbringen sollten. Dass die preußischen Bischofseinsetzungen seit dem frühen 19. Jahrhundert wegen staatlicher Einmischung unfrei gewesen seien und dieser andauernder Missbrauch unbedingt abgestellt werden müsse, war – Pacelli und Ojetti eingeschlossen – Konsens in der AES. Hinsichtlich des Wie konnte sich die Relation neben 151

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Pacellis Variante auch zwei weitere Modi vorstellen: entweder eine radikale Abschaffung der für staatliche Ingerenzen offenen Domkapitelswahl oder mit Verweis auf die WRV eine radikale Abschaffung der staatlichen Einflussnahmen (mit allen Konsequenzen) auf die Bischofswahl. Die von Pacelli propagierte ex novo-Verhandlung der gesamten staatskirchenrechtlichen Materie war die einzige Lösung, die auf den Staat Rücksicht nahm oder genauer: die auf die Abhängigkeit der preußischen (beziehungsweise deutschen) Kirche vom Staat Rücksicht nahm und damit ihre konkreten Verhältnisse mit einbezog. Der diplomatische und praxisbezogene Blick Pacellis könnte kaum deutlicher hervortreten. Vergleicht man ihn mit den Kardinälen der AES, so zeigt sich, dass er vollumfänglich nur von Frühwirth, der als ehemaliger bayerischer Nuntius die deutschen Verhältnisse kannte, geteilt wurde. Auch dieser war sich vollkommen bewusst, dass man sich mit der Regierung über den künftigen Modus der Bischofseinsetzungen verständigen musste und nicht einseitig agieren konnte. Ganz anders der radikale Flügel um Merry del Val, der die Gelegenheit wahrnehmen wollte, sich von jeder staatlichen Rücksichtnahme zu befreien, ohne auf die Konsequenzen zu achten. Auch Gasparri hatte die von Pacelli so deutlich hervorgehobenen Gefahren nicht im Blick: Zwar wollte er der Regierung wie Pacelli die Bereitschaft des Heiligen Stuhls anbieten, neue Verhandlungen zu beginnen. Doch intendierte er sozusagen leichtsinnig, seine prinzipielle Ansicht zur Fortgeltung von De salute animarum – durch die einseitige Änderung der Rechtslage in der WRV sei auch der Heilige Stuhl nicht mehr an die vertraglichen Verpflichtungen gebunden  –  gegenüber der Regierung zur Sprache zu bringen. Pacelli dachte hingegen taktisch und pragmatisch: Um die skizzierten Gefahren zu vermeiden, hielt er es insgesamt für klüger, sich nicht ausdrücklich zur Frage der Fortgeltung zu äußern, sondern „allgemein zu behaupten, dass der Heilige Stuhl, obwohl die neue Verfassung den Komplex der Beziehungen zwischen Kirche und Staat einseitig geändert hat, sich nichtsdestotrotz bereit erklärt“, in Verhandlungen mit den Regierungen zu treten. Es ging ihm also darum, die theoretische Frage der Fortgeltung gegenüber der Regierung bewusst in der Schwebe zu lassen. Eine Verneinung hätte die finanziellen Ansprüche der Kirche gefährdet. Eine einfache Bejahung kam jedoch auch nicht infrage, denn wieso hätte man dann neue Verhandlungen beginnen sollen, in denen Pacelli den Trumpf der Kirchenartikel der WRV ausspielen konnte, um die neuen Freiheiten rechtlich abzusichern? Pacelli wollte also beides: das Geld und die Freiheiten für die Kurie. Daher konnte er auch dem Promemoria von preußischer und Reichsregierung zustimmen, weil dieses die Behauptung der Fortgeltung von De salute animarum mit der Zusage verband, in Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl zur Neuregelung der staatskirchenrechtlichen Materie einzutreten – eine permanente Fortgeltung schien auf diese Weise ausdrücklich ausgeschlossen. Damit konnte er das Dokument als „in der Substanz zufriedenstellend“ bewerten. Den zwischenzeitlichen Einfluss des Staates auf die Bischofseinsetzungen in Form der Vorlage einer Kandidatenliste und eines Wahlkommissars war Pacelli bereit, zu dulden, zumal die Regierung ohnehin im Bewusstsein der politischen Veränderungen zurückhaltend agierte. 152

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Nach Pacellis Überzeugung durfte der Heilige Stuhl die Geltung von De salute animarum allerdings nicht nur theoretisch nicht bestreiten, sondern auch in der Praxis nicht. Daher warnte er vor einer drohenden Einstellung der Zahlungen seitens des Staates, wenn der Heilige Stuhl ohne Absprache die Kölner Erzbischofswahl gemäß De salute animarum verbieten und stattdessen eine päpstliche Nomination vornehmen würde. Seine Sorge davor war so groß, dass er gegenüber dem preußischen Gesandten in München schon vor jeder Verhandlung mit den Staatsbeamten preisgab, dass der Heilige Stuhl bereit war, dem Kölner Domkapitel das bislang übliche Wahlrecht zuzugestehen. Pacelli hätte durchaus versuchen können, sich mit der Regierung auf eine päpstliche Nomination Schultes zu einigen – er war sich auch sicher, dass dieselbe einer solchen zugestimmt hätte. Doch der von staatlicher Seite damit verbundenen Präzedenzklausel – die päpstliche Ernennung habe keine Relevanz für die definitive Regelung der Bischofseinsetzungen – wollte er nicht zustimmen. Dies hätte ihm für die bevorstehenden Konkordatsverhandlungen bereits die ersten Fesseln angelegt. Weil dies für ihn „schlimmer“ gewesen wäre als eine Erzbischofswahl in Köln, war er bereit, diese „kampflos“ zuzulassen.482 Man darf hier nicht die Motivation Pacellis aus dem Blick verlieren: Es handelte sich für ihn dabei keineswegs um ein Entgegenkommen Richtung Domkapitel, sondern nur Richtung Staat. Dies ergibt sich auch wiederum aus dem genannten Promemoria: Entsprechend ihrer Überzeugung von der bleibenden Gültigkeit von De salute animarum forderte die Regierung das Erzbischofswahlrecht der Kölner Domherren. Wollte Pacelli zuvor die Fortgeltungsfrage nicht bejahen, um sich nicht mit dem staatlichen Einfluss auf das Besetzungsverfahren und dem Kapitelswahlrecht grundsätzlich einverstanden zu erklären, war diese Vorsicht nun nicht mehr nötig und zwar deshalb, weil das Promemoria auf seinen Wunsch hin ausdrücklich bekundete, dass die Wahl des Kölner Kapitels kein Präjudiz für die künftige, definitive Regelung bilden werde. Die Freiheit des Heiligen Stuhls in den Konkordatsverhandlungen wurde also nicht eingeschränkt – und darauf kam es Pacelli an. Sortiert man wiederum die unter konkordatspolitischer Hinsicht gefällte Lösung Pacellis, das (Schein-) Wahlrecht des Kölner Metropolitankapitels zu unterstützen, in das Meinungsspektrum der Kardinäle ein, so fällt auf, dass niemand daran dachte, bei der Kölner Besetzung der Regierung so weit entgegenzukommen wie Pacelli. Immerhin sahen es auch Pompilj und Frühwirth als politisch inopportun an, dem Metropolitankapitel das Wahlrecht zu verweigern. Ganz anders De Lai und Merry del Val, die für eine freie päpstliche Nomination des Nachfolgers Hartmanns plä-

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Angesichts dessen ist die Annahme zu einfach, dass Pacelli „die Gelegenheit der ersten Bischofserhebung nach der Revolution von 1918 nutzen [wollte], um das Wahlprivileg deutscher Domkapitel zugunsten des gemeinkirchlich geltenden päpstlichen Rechts der freien Bischofsernennung zu kassieren“. Trippen, Bischof, S. 414f. 153

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dierten, wenngleich der Sekretär des Heiligen Offiziums sich später zu Gasparris Vorgehensweise bekannte. Diese wollten demnach ihre prinzipiellen Ansichten über die Einsetzung der Bischöfe kompromisslos umsetzen. Auch Gasparri dachte an eine päpstliche Nomination („verziert“ mit einer letztlich überflüssigen Vorschlagsliste der Domherren), die schließlich in der Kongregation beschlossen wurde. Man glaubte, dass es vollauf genüge, wenn man dem Staat mit der Ernennung Schultes entgegenkomme. Im Unterschied dazu vermochte Pacelli von seinen theoretisch-idealen Vorstellungen abzusehen und sich mit dem klaren Wissen um die Konsequenzen, welche eine Umsetzung der römischen Entscheidung nach sich ziehen könnte, für nichts weniger als den gegenteiligen Modus einzusetzen (vgl. Nr. 5). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Pacellis Grundausrichtung in diesem Besetzungsfall letztendlich darin bestand, den Gang der Ereignisse strategisch auf neue Konkordatsverhandlungen zu lenken, und zwar derart, dass die deutsche Kirche keinen Verlust der (finanziellen) Staatsleistungen befürchten musste und gleichzeitig dem Heiligen Stuhl alle Prämissen erhalten blieben, um möglichst viele der Freiheiten im künftigen Konkordat sichern zu können, welche die WRV der Kirche verbürgte. Dieser Aussicht war die konkrete Besetzung in Köln nicht nur untergeordnet, vielmehr nutzte sie Pacelli gerade dafür, um vom Staat die gewünschten Zusagen zu erhalten. 4. Da die Kandidatenfrage im Kölner Besetzungsfall insgesamt eine untergeordnete Rolle spielte, insofern die Kandidatur Schultes relativ früh beschlossene Sache war, holte Pacelli keinerlei Personenvorschläge oder -gutachten ein. Auch die Zahl derer, die er um eine Einschätzung hinsichtlich des Besetzungsverfahrens beziehungsweise des Status der Rechtslage anging, war gering. Weder bei den (Erz-) Bischöfen noch den Domherren suchte er Rat. Zu nennen ist in erster Linie Hollweck, den Pacelli um ein Gutachten über die rechtliche Frage der Bischofseinsetzungen bat. Allerdings war diese Anfrage nicht seine eigene Idee, sondern eine Vorgabe Gasparris, die vermutlich durch das Bayern betreffende Gutachten angestoßen wurde, das der Eichstätter Kanonist kurz zuvor angefertigt hatte. Beide kannten den Kanonisten schon länger, vor allem aus der gemeinsamen Arbeit am kirchlichen Gesetzbuch von 1917. Inhaltlich war Pacelli mit den Ausführungen Hollwecks vollkommen einverstanden. So schloss er sich diesem beispielsweise in dem anschließend Gasparri als dauerhafte Lösung vorgeschlagenen Besetzungsmodus an, der den Domkapiteln ein nicht-bindendes Propositionsrecht einräumte. Hollwecks Postulat, dass die staatliche Besoldung der Kirchenämter kein Argument für die Konzession von Einflussrechten in die Besetzung der Bischofsstühle an die Regierung sein dürfe, anerkannte Pacelli vollauf. Dennoch verhielt er sich im konkreten Fall genau gegenteilig, um den Grundstein dafür zu legen, dass in einem zukünftigen Konkordat dieser von Hollweck kritisierte Konnex aufgebrochen würde. Pacelli verstand es also, das Votum flexibel aufzugreifen und in sein eigenes Konzept zu integrieren. 154

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Um Klarheit in einer verfassungsrechtlichen Angelegenheit zu bekommen, befragte er – diesmal aus eigenem Antrieb – den Münsteraner Moraltheologen und Dompropst Mausbach. Dies leuchtet ein, wenn man bedenkt, dass dieser Mitglied der Verfassunggebenden Nationalversammlung und Berichterstatter zu den Kirchenartikeln war. Vielleicht war Pacelli auch überzeugt, dass er von Mausbach keinen Widerspruch zu seiner eigenen Überzeugung erhalten werde. Folgerichtig stimmte dessen Interpretation des 8. Absatzes von Artikel 137 mit Pacellis überein. Interessant ist, dass Pacelli über Mausbach auf inoffiziellem Weg versuchte, in die Entscheidung der Nationalversammlung einzugreifen.483 5. Pacelli handelte den gesamten Fall über insgesamt in enger Abstimmung mit Gasparri und berichtete regelmäßig und beinahe vollständig,484 was ihm an Informationen und Ansichten zu den wesentlichen Fragen des Besetzungsfalls und der staatskirchlichen Rechtslage zugingen. Seine Berichterstattung diente als wichtige Diskussionsgrundlage für die Sessio der AES. In welchem Verhältnis Pacellis prinzipielle und konkrete Vorstellungen zu denen der übrigen Kardinäle der Kongregation standen, wurde schon deutlich (vgl. Nr. 2 und 3). Aufschlussreich erscheint, dass Gasparri den von Pacelli als dauerhafte Lösung vorgeschlagenen Besetzungsmodus als eigene Wunschvariante adaptierte. Vielleicht zeigt sich hier das enge Mentor-Schüler-Verhältnis zwischen Gasparri und Pacelli, das letzterem sicherlich auch in puncto Eigenständigkeit zugute kam. Denn genau diese muss Pacelli in diesem Fall attestiert werden und zwar gerade in den zentralen Weichenstellungen. So reagierte er auf die Mitteilung Gasparris, dass der Kölner Erzbischof vom Papst ernannt werden sollte, nach einer kurzen Bedenkzeit mit einer Suggestivfrage, ob diese Instruktion angesichts der Gefährdung der finanziellen Staatsleistungen aufrecht erhalten bleibe. Eine positive Erwiderung darauf wollte Pacelli nicht, sondern erwartete vielmehr, dass Gasparri den Einwand in der Entscheidung berücksichtigte. Zu einem

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Ein letzter Informant des Nuntius war der in Bd. 1, Kap. II.1.1 Anm. 338 erwähnte Direktor des Anholter Fürstenarchivs Kisky. Indem Pacelli von ihm ein Gutachten über die Frage der Bischofseinsetzungen einforderte, folgte er der Empfehlung Kardinal Hartmanns. Eindruck machte auf Pacelli wohl vornehmlich Kiskys Schilderung der verheerenden Folgen für die Kirche, sollte der Heilige Stuhl die Geltung der Zirkumskriptionsbulle bestreiten. Daher versuchte er im Folgenden genau diese Konsequenzen abzuwenden. Dass Pacelli Kiskys Votum jedoch nicht an Gasparri sandte, könnte neben dem verspäteten Eingang und inhaltlichen Meinungsverschiedenheiten daran liegen, dass ihm die Autorität des Archivars dafür zu gering war. Als Ausnahme muss das Gutachten Kiskys angeführt werden. Wie gesagt übermittelte Pacelli das Gutachten nach Lage der Akten nicht an das Staatssekretariat. Aus welchen Gründen er auch immer diese Entscheidung fällte, inhaltlich hielt Pacelli dadurch jedenfalls keine Informationen vor, da alles darin Genannte in Rom bereits bekannt war. Außerdem führte Pacelli seinem Vorgesetzten anschließend die von Kisky eingehend skizzierten drohenden Konsequenzen nachdrücklich vor Augen, sollte die Kirche die Zirkumskriptionsbulle für aufgehoben erklären. 155

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direkten Widerspruch konnte er sich jedoch noch nicht durchringen. Gleichzeitig trat Kardinal Bertram mündlich in der Kurie für die Wahlerlaubnis ein, sodass beide unabgesprochen an einem Strang zogen. Und dies zeitigte Wirkung: Gasparri erlaubte Pacelli, der Regierung notfalls eine Bischofs(schein)wahl gemäß De salute animarum zuzugestehen. Was für den Kardinalstaatssekretär nur ein Notfallplan war, war für Pacelli angesichts der circumstantiae das gewünschte Vorgehen. Daher bekundete er gegenüber Zech schon vor jeder Verhandlung die Bereitschaft Roms, dem Kölner Domkapitel das Wahlrecht gemäß der Bulle zu gestatten. Pacelli unternahm nicht einmal den Versuch, mit den Staatsvertretern eine päpstliche Nomination zu vereinbaren. Durch dieses Vorgehen war der ursprüngliche, vom Papst approbierte Plan Gasparris und der übrigen Kardinäle, das Wahlrecht der Kölner Domherren auszuschalten, bereits gescheitert. Noch deutlicher zeigt sich Pacellis entscheidende Einflussnahme in Bezug auf die Fortgeltung der Zirkumskriptionsbulle: Entgegen der Vorgabe Gasparris verschwieg Pacelli dem preußischen Gesandten gegenüber bewusst, dass der Heilige Stuhl sich nach der einseitigen Rechtsänderung durch die WRV nicht mehr an den Vertrag gebunden glaube. Anschließend erklärte er seinem Vorgesetzten auch, warum er so gehandelt hatte und wie inopportun eine solche Äußerung sei. Mit diesem nun schon offen vorgebrachten Einwand setzte sich Pacelli erneut durch: Er durfte für die bevorstehende Besprechung in Berlin die „weniger gefährliche“ Formel wählen, nämlich dass der Heilige Stuhl zu neuen Verhandlungen bereit war, ohne den Geltungsstatus der alten Rechtsgrundlage zu erwähnen. Doch damit noch nicht genug: Indem Pacelli anschließend das staatliche Promemoria zustimmend aufnahm, gab er sein Einverständnis zur (vorläufigen) Fortgeltung von De salute animarum und verkehrte damit letztlich Gasparris Anweisung ins glatte Gegenteil! Nur so glaubte er, die in De salute animarum der Kirche zugestandenen (finanziellen) Rechte nicht zu gefährden und den Boden für aussichtsreiche Konkordatsverhandlungen zu schaffen. Ohne über einen alternativen Geschichtsverlauf spekulieren zu wollen, lässt sich nicht abstreiten, dass ein „schwächerer“ Nuntius, der die römischen Anweisungen womöglich unbedacht ausgeführt hätte, für die deutsche Kirche fatale Auswirkungen hätte haben können. Pacelli hingegen war Gasparri gegenüber selbstbewusst genug und mit den kirchenpolitischen Verhältnissen in Deutschland ausreichend vertraut, um seine persönliche Überzeugung durchzusetzen. Diese Überzeugung deckte sich mit Gasparris Anweisung zwar in dem anvisierten Oberziel eines neuen Konkordats, doch modifizierte Pacelli die einzelnen Schritte, die zu diesem Ziel führen sollten. Sowohl hinsichtlich der wegweisenden Fortgeltungsfrage als auch des konkreten Kölner Besetzungsmodus wirkte er mäßigend auf die römische Politik ein. Angesichts dessen trügt der „Eindruck“ Norbert Trippens, „daß Pacelli zumindest in der Ausführung seiner römischen Anweisungen ‚päpstlicher als der Papst‘ vorging“485. 485

Trippen, Domkapitel, S. 491. 156

II.1.2 Paderborn 1920

II.1.2 ‚Nachtrag‘ zum Kölner Fall: Paderborn 1920 (Kaspar Klein)486 Karl Joseph Schultes Eintritt für das Kapitelswahlrecht Durch die Translation Schultes auf den erzbischöflichen Stuhl von Köln wurde das Bistum Paderborn vakant. Ein neuer Besetzungsfall bahnte sich an, der entscheidend von den Entwicklungen um das Kölner Investiturverfahren geprägt sein sollte. Noch ehe Schulte von seiner neuen Erzdiözese Besitz ergriffen hatte, sorgte er sich um die Nachfolgeregelung in seiner alten Wirkungsstätte, an der er – wie er es Benedikt XV. gegenüber bekannt hatte – sehr hing. Am 4. Februar 1920 – am 23. Januar hatte er sein Einverständnis zu seiner Wahl durch das Kölner Metropolitankapitel gegeben – brachte Schulte Nuntius Pacelli gegenüber die anstehende Besetzung des Bistums Paderborn zur Sprache. Pacelli übersetzte das Schreiben drei Tage später kommentarlos für Kardinalstaatssekretär Gasparri.487 Dem scheidenden Bischof ging es konkret um die Erhaltung des Wahlrechts für das Paderborner Domkapitel. Er ordnete dies allerdings in die grundsätzliche Frage ein, wie es generell mit den Bischofseinsetzungen in den deutschen Diözesen weitergehen sollte: „Da ich in der vergangenen Woche in Fulda diesbezüglich mit der Eminenz Kardinal Bertram gesprochen habe, dem Bischof von Breslau, und da die Bischofskonferenz einmütig Gefallen an der Aufrechterhaltung dieses Rechts [sc. des Wahlrechts der Domkapitel, R.H.] verkündet hat, erlaube ich mir schließlich heute herzlichst Eure Exzellenz zu bitten, sich einsetzen zu wollen, damit wie dem Metropolitankapitel in Köln auch dem Kathedralkapitel in Paderborn wenigstens dieses Mal das Recht zur Wahl überlassen werde.“488

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Vgl. zur Besetzung des bischöflichen Stuhls von Paderborn 1920 Gatz, Ringen, S. 106–108; Speckner, Wächter, S. 237. Brandt/​Hengst, Erzbistum, gehen auf die Besetzung nicht näher ein, vgl. nur die kurze Angabe S. 113; ebenso wenig Dies., Bischöfe, vgl. hier S. 17f. und 335. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 7. Februar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 13rv. „Avendo nella scorsa settimana parlato in Fulda al riguardo coll’Eminentissimo Signor Cardinale Bertram, Vescovo di Breslavia, ed essendosi la Conferenza dei Vescovi pronunziata unicamente a favore del mantenimento di quel diritto, mi permetto fin da oggi di pregare caldamente Vostra Eccellenza di volersi adoperare, affinché, come al Capitolo metropolitano di Colonia, così anche al Capitolo cattedrale di Paderborn sia almeno per questa volta lasciato il diritto di elezione.“ Pacelli an Gasparri vom 7. Februar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 13r-v. 157

II.1.2 Paderborn 1920

Schulte spielte hier auf die Fuldaer Bischofskonferenz vom 27.–29. Januar 1920 an,489 auf der die gemeinsame Position des Episkopats zum Thema der Fortgeltung der Zirkumskriptionsbullen und der Bistumsbesetzungen formuliert wurde – ein Schritt, den Schulte gemeinsam mit dem Rottenburger Oberhirten Paul Wilhelm von Keppler schon im Dezember des Vorjahres als notwendig deklariert hatte.490 Schulte begründete die Persistenz des Wahlrechts einerseits mit der starken Anhänglichkeit von Klerus und Volk an diesen Brauch, andererseits mit der Praxis dieses Wahlprivilegs in Paderborn seit gut 900 Jahren.491 Der neue Kölner Erzbischof versicherte die durchweg kirchliche Gesinnung der Paderborner Domkapitulare, sodass diese nur einen Bischof wählen würden, der „in jeder Hinsicht auch dem Heiligen Stuhl genehm ist“492. Die Bitte Schultes hatte gute Aussicht auf Erfolg, denn am Kölner Besetzungsprozess war abzulesen gewesen, dass sich die Kurie in dieser Frage nicht unnachgiebig zeigte – dass insbesondere der Nuntius für die zumindest formale Wahrung des Kapitelswahlrechts verantwortlich gewesen war, konnten die Außenstehenden nicht erkennen. Zwar sollte die „Wahl“ des Kölner Metropolitankapitels keine Präzedenz für zukünftige Besetzungsfälle schaffen, worauf besonders Pacelli immer wieder insistiert hatte und was ihm bei den Verhandlungen mit der Regierung auch konzediert worden war,493 aber faktisch war genau das Gegenteil passiert. Zwar leitete man aus der Kölner „Wahl“ keinen Rechtsanspruch ab, aber Schulte berief sich auf sie, um auch für Paderborn eine Wahlkonzession zu erreichen. Darüber hinaus hatte Pacelli im Namen des Heiligen Stuhls durch seine Zustimmung zum staatlichen Promemoria vom 29.  Dezember 1919 die temporäre Fortgeltung von De salute animarum und Quod de fidelium akzeptiert. Konnte man jetzt wieder einen Rückzieher machen, das in den genannten Rechtsschreiben verbürgte Wahlrecht aussetzen und eine päpstlichen Nomination verlangen? Schließlich hatte das Ansinnen Schultes mehr Gewicht als es das noch vor der Kölner Sedisvakanz gehabt hätte, weil diese nämlich Anlass für den Episkopat geworden war, sich zu organisieren und nun geschlossen das Wahlrecht zu verteidi-

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Vgl. dazu Bd. 1, Exkurs I (Erste Standpunkte zum Modus der Bischofsbestellung und die schwierige Ausgangslage für ein Reichskonkordat). Vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.1 Anm. 326. Vgl.: „In Germania vi è un forte attaccamento agli usi e costumi ecclesiastici tradizionali; anche le semplici persone del popolo proverebbero, insieme al clero ed al Capitolo, vivo dolore, se venisse soppresso il diritto di elezione del Vescovo, vigente in Paderborn da ben 900 anni.“ Pacelli an Gasparri vom 7. Februar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 13v. „ben 900“ wurde handschriftlich vom Empfänger im Staatssekretariat unterstrichen, was vermuten lässt, dass die Zahl einen gewissen Eindruck nicht verfehlte. „… sotto ogni riguardo gradito anche alla Santa Sede.“ Pacelli an Gasparri vom 7. Februar 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 13v. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.1 (Die Reise Pacellis nach Berlin und Köln). 158

II.1.2 Paderborn 1920

gen. Es schien, dass der Heilige Stuhl die Gelegenheit, die päpstliche Nomination durchzusetzen, schon zu diesem Zeitpunkt verpasst hatte. Pacellis damaliger Vorschlag, die deutschen Bischöfe nach der besten Vorgehensweise zu befragen, wie eine Umsetzung des Can. 329 § 2 CIC 1917 möglich sei,494 schien nach der gemeinsamen Erklärung der Fuldaer Konferenz zugunsten des Kapitelswahlrechts in weite Ferne gerückt.

Die Wahlerlaubnis aus Rom und die Präzedenzklausel Tatsächlich überbrachte Gasparri in seiner Antwort vom 25. Februar die päpstliche Wahlkonzession und zwar „in Übereinstimmung mit der früheren Erlaubnis, die dem Kölner Kapitel gewährt wurde“495. Wiederum machte Gasparri die Einschränkung, „dass dies nicht eine Präzedenz für die endgültige Regelung der Frage konstituieren kann“496. Diese endgültige Regelung war zwischen dem Heiligen Stuhl und der preußischen Regierung beziehungsweise der Reichsregierung zu treffen. So lange wollte der Heilige Stuhl offenbar mit einer definitiven Stellungnahme zur Frage Kapitelswahl oder päpstlicher Nomination abwarten. Er reserviere sich aber – so Gasparri – das Wahlprivileg „einer wohlwollenden Prüfung zu unterziehen“497. Bis dahin bestand also eine „Schonfrist“, in der die preußischen Domkapitel hoffen durften, dass sie das Wahlrecht, wie es De salute animarum 1821 festgeschrieben hatte, anwenden konnten. Allerdings erreichte die Kurie immerhin, dass man in Paderborn nicht daran dachte, entsprechend der Bulle einfach zum Wahlakt zu schreiten, sondern zunächst in Rom um Erlaubnis fragte. Gasparri hatte das Schreiben an den Auditor der Nuntiatur, Lorenzo Schioppa, adressiert, weil Pacelli zu diesem Zeitpunkt nicht in München, sondern in Rom war.498 Man kann davon ausgehen, dass der Nun-

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Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.1 (Das Gutachten von Joseph Hollweck und die Vorstellungen des Nuntius). „… in conformità della recente concessione fatta al Capitolo di Colonia …“ Gasparri an Schioppa vom 25. Februar 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 26rv, hier 26r. „… che ciò non potrà costituire un precedente pel definitivo regolamento della questione.“ Gasparri an Schioppa vom 25. Februar 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 26r. „… di sottoporlo a benevolo esame.“ Gasparri an Schioppa vom 25. Februar 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 26r. In gleicher Weise hatte er sich schon im Kölner Besetzungsprozess geäußert. Vgl. die identische Formulierung beim Zugeständnis der Wahl in Köln, Gasparri an Pacelli vom 6. Dezember 1919, ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 19r und bei Pacellis Rede vor den Kölner Kanonikern, Rede Pacellis vor dem Kölner Metropolitankapitel (ital. Übers.), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1920, Pos. 1693, Fasz. 885, Fol. 42r. Schioppa bemerkte bereits am 12. Februar gegenüber dem Kölner Dompropst Middendorf, dass Pacelli in Rom sei, um seine schwerkranke Mutter zu besuchen. Gegenüber Bertram erklärte der Auditor später allerdings, dass Pacelli in Rom sei, um die Frage des Kirche-Staat-Verhältnisses in Deutschland zu erörtern. Vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.1 Anm. 444. 159

II.1.2 Paderborn 1920

tius dort mit dem Kardinalstaatssekretär auch über den Paderborner Fall diskutierte. Schioppa sollte nun – so die Weisung weiter – Schulte über die Wahlerlaubnis informieren, der wiederum die Domherren darüber in Kenntnis setzen sollte. Außerdem trug Gasparri ihm auf, die notwendigen Schritte einzuleiten, damit die preußische Regierung die Präzedenzklausel erneut schriftlich akzeptiere. Der Auditor führte die Anweisungen seines römischen Vorgesetzten umgehend aus. Am 4. März gab er dem neugewählten Kölner Erzbischof bekannt, dass der Papst die Kapitelswahl seines Nachfolgers konzediere, insistierte jedoch auf der Präzedenzklausel und kündigte die Untersuchung dieses Privilegs durch die Kurie an.499 Abschließend bat er ihn, das Paderborner Domkapitel davon zu unterrichten. Gleichzeitig erstellte Schioppa den geforderten Text für die preußische Regierung, der den wesentlichen Inhalt aus Gasparris Weisung wiedergab und sich bis in die einzelnen Formulierungen an sie anschloss.500 Dieses Skriptum legte er noch am selben Tag dem preußischen Gesandten in Bayern Zech-Burkersroda vor.501 Fast fünf Wochen vergingen, bis dieser unter dem Datum des 9. April erklärte, dass „die Preußische Staatsregierung dem vom Heiligen Stuhle gewünschten Vorbehalt zustimmt“502. Zwei Tage darauf reichte Schioppa die schriftliche Zustimmung der preußischen Regierung zur Präzedenzklausel an das Staatssekretariat weiter.503 Ursache für die Verspätung der staatlichen Antwort suchte der Auditor „in den außergewöhnlichen Bedingungen“504, in denen sich die Regierung in den letzten Wochen befinde. Tatsächlich durchlebte die junge Weimarer Republik zu diesem Zeitpunkt eine schwere Krise, die die preußische Regierung ebenso wie die Reichsregierung betraf: Angesichts von Ereignissen wie dem Kapp-Putsch vom 13. März, dem darauf reagierenden Generalstreik

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Vgl. Schioppa an Schulte vom 4. März 1920 (Entwurf), ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 27r–28r (nur r). Sie lautete: „La Santa Sede – in conformità della recente concessione fatta al Capitolo di Colonia – permette che il Capitolo die Paderborn proceda sua tempo alla elezione del nuovo Vescovo, però con la espressa clausola, che ciò non potrà costituire un precedente pel definitivo regolamento della questione. Quanto poi al privilegio di elezione del proprio Vescovo, di cui il Capitolo di Paderborn gode da tanto tempo, la Santa Sede si riserva di sottoporlo a benevolo esame. La Sante Sede aspetta che il Governo di Berlino accetti per iscritto la clausola anzidetta, come ha fatto per la recente provvista di Colonia, essendo tuttora in corso gli studi e le trattative pel definitivo assetto della questione.“ Promemoria des Heiligen Stuhls vom 4. März 1920 (Entwurf), ASV, ANB 44, Fasz. 2, Fol. 29r. Am Folgetag bestätigte Schioppa dem Kardinalstaatssekretär, dass er den Anordnungen unverzüglich nachgekommen sei. Vgl. Schioppa an Gasparri vom 5. März 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 15r. Zech an Schioppa vom 9. April 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 33r. Vgl. Schioppa an Gasparri vom 11. April 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 16r. „… alle anormali condizioni …“ Schioppa an Gasparri vom 11. April 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 16r. 160

II.1.2 Paderborn 1920

und dem sich anschließenden Ruhraufstand war die Paderborner Bischofswahl für Preußen im Augenblick verständlicherweise zweitrangig.505

Paderborner Wahlvorbereitungen Anfang März übermittelte Schulte den Paderborner Domherren die römische Erlaubnis, den neuen Oberhirten zu wählen. Am 27. des Monats, das heißt drei Tage nach Schultes Besitzergreifung der Kölner Erzdiözese und zwei Tage nach seiner Inthronisation im Kölner Dom, schritten sie zur Wahl des Kapitularvikars. Die Stimmen vereinigten sich auf den Domkapitular und Generalvikar Kaspar Klein, wie Dompropst Franz Wilhelm Woker am gleichen Tag in einem Brief an den Papst festhielt.506 Schioppa übermittelte die Nachricht am 30. März an Gasparri.507 Dieser gratulierte am 21. April und übersandte den Apostolischen Segen Benedikts XV., den Pacelli, der mittlerweile wieder zurück in München war, an Klein weiterleitete.508 Das Kapitel setzte die Wahl des neuen Oberhirten auf den 30. April fest, was Woker später gegenüber Schulte als das Ergebnis einer guten Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen bezeichnete: „Das Entgegenkommen unseres Oberpräsidenten und das zufällige Zusammentreffen auf Ostern mit einem Berliner Ministerialen in Münster, wozu der Oberpräsident einen Vertreter des Domkapitels wünschte, den wir in der Person von [Christian, R.H.] Bartels dahin gesandt haben, hat es ermöglicht, dass die Wahl bereits auf den 30. Apr[il] festgesetzt werden konnte.“509

Von den guten Kontakten der Paderborner Domkapitulare nach Münster und zum dortigen Kapitel hatte bereits die oben genannte Sitzung des Kölner Metropolitankapitels vom 22. Januar Aufschluss gegeben.510 Aus Wokers Schreiben geht auch hervor, dass die Kapitulare der Berliner Regierung eine Kandidatenliste eingereicht hatten und diese unbeanstandet geneh505

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Vgl. zum Kapp-Putsch Büttner, Weimar, S. 366–374; Erger, Kapp-Lüttwitz-Putsch; Hürten, KappPutsch; Orlow, Preußen. Vgl. Woker an Benedikt XV. vom 27. März 1920, ASV, Segr. Stato, Anno 1920, Rubr. 255, Fasz. 1, Fol. 190r. Vgl. auch „Electio Vicarii Capitularis“ vom 27. März, in: Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Paderborn und das Apostolische Vikariat Anhalt Nr. 7 vom 6. April 1920. Das Domkapitel verfügte am gleichen Tag, dass bis zur Bischofswahl in jeder Heiligen Messe für das Gelingen der Wahl die Oration „Deus qui corda fidelium“ eingefügt sowie an den Sonn- und Festtagen eine Allerheiligen-Litanei rezitiert werde. Erwin Gatz spricht irrtümlich davon, dass die Wahl Kleins zum Kapitelsvikar am 15. Januar stattgefunden habe. An diesem Tag war Schulte zum Erzbischof gewählt worden. Vgl. Gatz, Klein, S. 386. Vgl. Schioppa an Gasparri vom 30. März 1920, ASV, Segr. Stato, Anno 1920, Rubr. 255, Fasz. 1, Fol. 189r. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 21. April 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 1, Fol. 95r. Woker an Schulte vom 2. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 31r–32v, hier 31r. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.1 (Die Wahlannahme durch Schulte und die Frage nach dem Informativprozess). 161

II.1.2 Paderborn 1920

migt worden war. Wer darauf stand, sagte Woker nicht. Sogar auf den Verzicht des früher praktizierten Festessens und der „geräuschvollen Umständlichkeiten“511 hatte sich das Domkapitel mit der Regierung geeinigt, konkret mit dem Oberpräsidenten der Provinz Westfalen, dem Zentrumspolitiker Bernhard Wuermeling, der zum staatlichen Wahlkommissar bestellt worden war. Laut der Wahlordnung, die das Domkapitel am 20. April im Kirchlichen Amtsblatt publizierte, sollte die Wahl des neuen Bischofs im Wesentlichen folgendermaßen vor sich gehen:512 Nach feierlichem Glockengeläut hatte sich die Geistlichkeit gegen halb acht auf dem Chor des Domes zu versammeln und von dort zum Eingang des Paradieses zu ziehen. Dort sollte neben weiteren bürgerlichen Würdenträgern Wahlkommissar Wuermeling empfangen werden, der darauf in den Sitzungssaal des Domkapitels zu führen war. Hier hatte der Kommissar dem Domkapitel sein Beglaubigungsschreiben zu überreichen, das vom Dompropst vor Beginn des Pontifikalamts verlesen werden sollte, das wiederum Weihbischof Heinrich Hähling von Lanzenauer zelebrieren würde. Im Anschluss sollte der Wahlbevollmächtigte in das Gebäude des Generalvikariats geführt werden, um dort den Ausgang der Wahl abzuwarten. Nach dem Gesang des Veni creator begaben sich die Domkapitulare in den Kapitelssaal, der daraufhin zu verschließen war. Nach Abschluss der Wahl mussten zwei Domkapitulare in Begleitung des bischöflichen Justitiars, des Apostolischen Notars und den beiden Wahlzeugen den Wahlkommissar aufsuchen, um ihn in den Kapitelssaal zu geleiten, wo ihm das Wahlergebnis mitgeteilt werden sollte. Danach hatte ein Domkapitular dem auf dem Chor versammelten Klerus in lateinischer und kurz danach vom Eingang des Chores dem Volk in deutscher Sprache den Wahlausgang zu verkünden.

Die Wahl Kaspar Kleins zum Bischof von Paderborn Nach dieser Maßgabe wurde die Wahl am 30.  April durchgeführt. Nach Abschluss des actus electionis gab Dompropst Woker dem Nuntius bekannt, dass die Kapitulare den schon zuvor zum Kapitularvikar bestimmten Kaspar Klein zum neuen Bischof von Paderborn gewählt hätten.513 Es war überhaupt das erste Mal, dass das Domkapitel, hier in der Person des Propstes, im Zusammenhang der Neubesetzung direkt mit Pacelli Kontakt aufnahm. Dieser wurde jedoch nicht etwa als kurialer Vermittler des Wahlergebnisses eingesetzt, sondern Woker übersandte 511 512

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Woker an Schulte vom 2. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 31r. Vgl. „Ordnung für die am 30. April 1920 stattfindende Bischofswahl zu Paderborn“, in: Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Paderborn und das Apostolische Vikariat Anhalt Nr. 8 vom 20. April 1920. Vgl. Woker an Pacelli vom 30. April 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 35r. Pacelli bestätigte dem Dompropst am 6. Mai den Empfang der Nachricht. Vgl. Pacelli an Woker vom 6. Mai 1920 (Entwurf), ebd., Fol. 50r. 162

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am 1.  Mai an der Nuntiatur vorbei ein entsprechendes Schreiben an den Papst.514 Darin berichtete er, dass das Kapitel gemäß dem in De salute animarum verbürgten Recht und der ausdrücklichen Erlaubnis des Heiligen Stuhls Klein gewählt habe. Da dieser seine Designation auch akzeptiert habe, bat Woker Benedikt XV. um die Approbation. In der Anlage übersandte er das Wahlinstrument, das somit an die Kurie, nicht jedoch in die Münchener Nuntiatur gelangte.515 Pacelli war daher über den Wahlverlauf, die Kandidaten und das genaue Ergebnis nicht näher im Bilde und blieb auf die Pressemitteilungen angewiesen, die er der Abendausgabe des Zentrumsorgans „Germania“ und der Mittagsausgabe der „Kölnischen Volkszeitung“ vom Wahltag entnahm. Was konnte er dort lesen? Der Artikel in der „Germania“ über die Bischofswahl begann mit einer Hommage auf den Vorgänger Schulte, nach dessen Weggang Klein das Vertrauen des Kapitels durch seine Wahl zum Kapitelsvikar entgegengebracht worden sei. „Durch eine Verordnung vom 20. April hat das Domkapitel die Bischofswahl ausgeschrieben und auf den 30. des Monats angesetzt. Der Kapitelsvikar verordnete zu dem Anlass Glockengeläut und Gebete in der ganzen Diözese, ‚damit Gott der Herr einen würdigen Bischof zur Leitung der großen Diözese berufen möge‘. Nun hat die göttliche Vorsehung ihn selbst als solchen bezeichnet und die Diözese Paderborn wird das Resultat der Wahl in dem Sinne besonders begrüßen, dass die ausgezeichneten Methoden des Vorgängers in die berufensten Hände gelegt sind.“516

Der Journalist zeichnete die Karriere Kleins mit leuchtenden Farben, der schließlich nach achtjähriger Ausübung des Amtes des Generalvikars „mit der größten Umsicht und mit dem besten Erfolge … wie kein zweiter Priester der Diözese deren Verhältnisse und Bedürfnisse“ kenne und sich „wegen seiner Klugheit, Gerechtigkeit und Leutseligkeit des höchstens Ansehens“517 erfreue. Mit einem Wort: Es gebe keine geeignetere Persönlichkeit als Klein für die Hirtenaufgabe in Paderborn. Auch die „Kölnische Volkszeitung“ rühmte Kleins Talent für die Verwaltung und ließ anklingen, dass der Wahlausgang nichts Unerwartetes erbracht hatte: „Die Volksahnung war auf der richtigen Spur, als 514

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Vgl. Woker an Benedikt XV. vom 1. Mai 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 18r. Weil das instrumentum electionis nicht über die Nuntiatur, sondern auf direktem Wege nach Rom gesandt wurde, findet sich von dem Manuskript in ihrem Archiv keine Abschrift. Auch das Staatssekretariat kopierte das Dokument nicht, sondern gab das Original an die Konsistorialkongregation weiter. Die Akten dieses Bestandes sind jedoch derzeit nicht zugänglich. Vgl. Pagano, Archivquellen, S. 18. Daher muss auf die staatliche Überlieferung zurückgegriffen werden, um das genaue Wahlergebnis zu eruieren. Vgl. dazu das Folgende. „Kaspar Klein – erwählter Bischof von Paderborn“, in: „Germania“ Nr. 184 vom 30. April 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 36r. „Kaspar Klein – erwählter Bischof von Paderborn“, in: „Germania“ Nr. 184 vom 30. April 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 36r. 163

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sie sofort nach der Wahl des Bischofs Dr. Schulte zum Erzbischof von Köln ihn als den Nachfolger bezeichnete.“518 Aus der „Germania“ erfuhr der Nuntius zudem, dass das äußere Wahlzeremoniell nach der bisher gewohnten Weise und daher auch mit Beteiligung der Regierung abgelaufen war – genauso wie es das Kapitel am 20. April im Amtsblatt angekündigt hatte.519 Nachdem der Paderborner Dompropst am 1.  Mai dem Heiligen Vater den Wahlausgang zur Kenntnis gebracht hatte, meldete sich am Tag danach der Erwählte selbst zu Wort.520 Klein bedankte sich beim Papst für dessen Glückwunsch zu seiner Bestimmung zum Kapitularvikar. Nun habe ihn, „den Unwürdigen“521, das Kapitel auch noch zum Bischof gewählt. Gemäß den zu diesem Anlass üblichen Demutsbekundigungen versicherte Klein, dass diese Entscheidung überhaupt nicht seinem Willen entsprochen habe: „Aber vor Gott, der die Herzen der Menschen erforscht und vor Eurer Heiligkeit kann ich besten Gewissens bekennen, dass ich niemals diese Würde ersehnt, geschweige denn gesucht habe.“522 Angesichts seiner Untauglichkeit für dieses Amt bat Klein den Papst, mit ihm zu verfahren, wie es ihm gefalle und ganz gleich, ob Benedikt

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„Der neue Bischof von Paderborn“, in: „Kölnische Volkszeitung“ Nr. 331 vom 30. April 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 38r. Vgl.: „Um 7 ¾ Uhr traf der Wahlbevollmächtigte der Staatsregierung, der Oberpräsident der Provinz Westfalen Dr. Würmeling, am Eingange des Domes ein, um dem Domkapitel in feierlicher Versammlung das für ihn von der Staatsregierung vollzogene Beglaubigungsschreiben zu überreichen … In der Kapitularversammlung wurde der Wahlbevollmächtigte vom Dompropste zu seinem besonderen Sitze geleitet und eröffnete dem hohen Domkapitel in kurzer Anrede den Auftrag der Staatsregierung. Sodann übergab er das Beglaubigungsschreiben dem Dompropste, der dasselbe vorlas und die Anrede des Wahlbevollmächtigten beantwortete. Darauf wurde der Wahlbevollmächtigte von dem Domkapitel zu seinem Ehrensitze auf dem hohen Chore des Domes geleitet … Darauf begann das Hochamt. Nach Beendigung desselben geleiteten zwei Kapitulare den Wahlbevollmächtigten und sein Gefolge vom hohen Chore in das Gebäude des bischöflichen Generalvikariats, wo der Wahlbevollmächtigte den Ausgang der Wahl erwartete. Nun wurde unter Orgelbegleitung der Hymnus ‚Veni Creator‘ gesungen, nach dessen Beendigung die Wahlherren sich in den Kapitelssaal begaben. Nach Vollzug der Wahl begaben sich zwei Domkapitulare … zu dem Wahlbevollmächtigten, um ihn zur Entgegennahme des Wahlergebnisses in den Sitzungssaal des Domkapitels zurückzugeleiten. Sodann ging ein Domkapitular … und verkündigte … den Ausgang der Wahl.“ „Kaspar Klein – erwählter Bischof von Paderborn“, in: „Germania“ Nr. 184 vom 30. April 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 36r. Vgl. Klein an Benedikt XV. vom 2. Mai 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 19r. „… indignissimum …“ Klein an Benedikt XV. vom 2. Mai 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 19r. „At coram Deo corda hominum scrutante, et Vestra Sanctitate optima conscientia possum profestari [sic, R.H.], me nunquam ejusmodi dignitatem desiderasse nedum quaesivisse.“ Klein an Benedikt XV. vom 2. Mai 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 19r. 164

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ihm das Amt übertrage oder verweigere – Klein sprach sogar von einem „Erlassen“ der schweren Last –, erflehte er den väterlichen Segen.523

Gutachten über Klein und Interna aus der Kapitelswahl Während Klein eine völlig gleichmütige Annahme der päpstlichen Entscheidung in Aussicht stellte, benötigte die Kurie die Hilfe ihres Gesandten in München, um sie überhaupt treffen zu können. Doch dieser war nicht einmal einer ausführlichen Schilderung durch das Domkapitel gewürdigt worden. Genügten ihm der kurze Hinweis von Woker und die Presseberichterstattung? Keineswegs: Stattdessen kümmerte er sich bereits am 1. Mai darum, Informationen über den Erwählten einzuholen. Pacelli bat Schulte, den Paderborner Kapitelsdekan und Weihbischof Hähling von Lanzenauer sowie den Pater Guardian des Paderborner Franziskanerklosters Laurentius Schmitz in drei ähnlichen Schreiben „sub secreto Pontificio gütigen und coram Domino geltenden Aufschluss zu geben über die Personalien des Gewählten, besonders aber darüber, ob er nach Ihrem Ermessen würdig und geeignet ist zu diesem Amte“524. Die Auskunft sollte jeweils in lateinischer oder italienischer Sprache abgefasst werden, damit für die Weitergabe nach Rom keine Übersetzung notwendig sei. Einzig den Franziskanerpater fragte Pacelli zusätzlich nach der öffentlichen Meinung zur Person Kleins, „besonders aber [was] der Klerus zu dieser Wahl sagt“525. Schulte und Hähling traute Pacelli offenbar kein unvoreingenommenes Urteil darüber zu, weil sie aus dem unmittelbaren Umfeld Kleins in der Bistumshierarchie kamen. Alle drei vom Nuntius befragten Informanten gaben am 4. Mai ihr Votum ab. 1) Eine ausführliche Biographie Kleins erhielt Pacelli von Weihbischof Hähling.526 Nach den erfolgreichen philosophischen und theologischen Studien in Paderborn und Münster habe sich Klein mit großem Geschick und tadelloser Lebensführung auf verschiedenen Pfarrstellen der Seelsorge gewidmet.527 Später habe ihn Schulte zu seinem Generalvikar erhoben, ein Amt, das sich angesichts des heterogenen Bistums – Industriegebiete, ländliche Regionen und Diasporagebiete – als außer-

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Vgl.: „Et sive illud munus necnon onus Sanctitas Vestra mihi imponere sive denegare aut potius remittere dignatura sit, instantissime imploro a Paternitate Vestra Benedictionem super me cunctasque meas tam praesentes quam futuras sollicitudines.“ Klein an Benedikt XV. vom 2. Mai 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 19r. Pacelli an Hähling vom 1. Mai 1920 (Entwurf), ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 40r; vgl. auch Pacelli an Schulte vom 1. Mai 1920 (Entwurf), ebd., Fol. 39r und Pacelli an Schmitz vom 1. Mai 1920 (Entwurf), ebd., Fol. 41r. Pacelli an Schmitz vom 1. Mai 1920 (Entwurf), ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 41r. Vgl. Gutachten Hählings über Klein vom 4. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 47r–48v. Vgl.: „Vix dicendum est, quali sollertia, consilio, benignitate erga parochianos et labore industrioso hic boni pastoris opus executus sit.“ Gutachten Hählings über Klein vom 4. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 47v. 165

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ordentlich schwierig erweise. Klein habe sich jedoch bewährt, „mit außerordentlicher Klugheit, mit dem Eifer des Herrn, immer seines ruhigen Gemütes angemessen“528. Klerus und Volk habe er sein Wohlwollen erwiesen, was ihm mit Anerkennung und Liebe vergolten worden sei. Angesichts dessen war Hählings Urteil eindeutig: „Da er sich immer bester Gesundheit erfreute und im Alter noch nicht fortgeschritten ist, könnten wir keinen besseren Bischof finden.“529 Klein verstehe sich auf die Bedingungen des sozialen, karitativen und religiösen Lebens, die in der Nachkriegszeit von besonderer Wichtigkeit seien, sodass die Hoffnung bestehe, „dass er ein Bischof von Gottes Gnaden sein wird, der in den Gefahren der Zeit das Ruder der ihm anvertrauten Kirche mutig führt“530. Deshalb bat Hähling im Namen des gesamten Domkapitels um die Bestätigung Kleins durch die päpstliche Autorität: „… der Heilige Stuhle möge die Sache so erledigen, dass bald, wie es der so beweinenswerte gegenwärtige Stand der Dinge in unserem Vaterland gewiss zu fordern scheint, der gewählte Kaspar Klein von Seiner Heiligkeit bestätigt und ernannt wird und er die heilige Weihe empfangen sowie die neue herrliche Last auf die Schultern nehmen kann.“531

Im Anschreiben, mit dem der Weihbischof Pacelli dieses Gutachten zukommen ließ, insistierte er noch einmal auf der möglichst beschleunigten Behandlung der Angelegenheit durch die zuständigen kurialen Stellen.532 2) Zu einem ebenso positiven Ergebnis kam der Franziskanerpater Schmitz.533 Er glaubte guten Gewissens über Klein urteilen zu dürfen, weil er ihn seit Jahren kenne: „Der Vikarkapitular Klein ist ein wahrhaft würdiger und eifriger Priester, fromm und ergeben, fern von jedem weltlichen Gefühl, sehr anhänglich an den Heiligen Stuhl, wie wenige bewandert in den sozialen Fragen und den modernen Notwendigkeiten, ein praktischer Mann, liebenswürdig, echt und demütig, mit dem man gern umgeht und deshalb ist er beim

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„… prudentia singularis, zeli Domini, quietis animi semper sibi paris …“ Gutachten Hählings über Klein vom 4. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 48r. „Cum semper insuper bona valetudine gaudeat et aetate nondum provecta, meliorem Episcopum nunquam invenire possemus.“ Gutachten Hählings über Klein vom 4. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 48r. Hervorhebung im Original. „… eum fore Episcopum Deo gratum, qui in pericolis [sic, R.H.] temporis gubernacula concreditae sibi ecclesiae fortiter teneat.“ Gutachten Hählings über Klein vom 4. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 48r. „… velit Sancta Sedis rem ita expedire, ut mox, sicut praesens rerum status in nostra patria tam lacrimabilis deposcere valde videtur, a Sua Sanctitate confirmatus et nominatus electus Casparus Klein et sacram Consecrationem accipere et novum praeclarissimum onus subire queat.“ Gutachten Hählings über Klein vom 4. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 48v. Hervorhebung im Original. Vgl. Hähling an Pacelli vom 4. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 42r. Der Nuntius bedankte sich beim Paderborner Weihbischof am 10. Mai für die rasche Erledigung seiner Anfrage und sagte zu, sich für eine schleunige Behandlung der Angelegenheit in Rom zu verwenden. Vgl. Pacelli an Hähling vom 10. Mai 1920 (Entwurf), ebd., Fol. 52r. Vgl. Schmitz an Pacelli vom 4. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 46rv. 166

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Volk und Klerus beliebt, von der Stimme des Volkes als Bischof von Paderborn erwartet; seine Wahl stellt eine große Genugtuung und Beruhigung dar.“534

Auch nach ihm also hätte die Wahl keinen Besseren treffen können. 3) Wenig überraschend kam Schulte zum selben Resultat: „Ich bezeuge und jeder weiß es, dass er immer katholisch gelebt und in der Reinheit des Glaubens ausgeharrt hat, ausgestattet mit Rechtschaffenheit des Lebens, besten Sitten, bester Rede und bestem Ruf. Er ist ein würdevoller Mann, klug und im Umgang der Amtsgeschäfte herausragend.“535 Ihm fehle zwar ein akademischer Grad in der Theologie oder dem kanonischen Recht, sei aber dennoch kundig in diesen Disziplinen.536 Durch Kleins Berufung zum Generalvikar habe er – so Schulte – seinerzeit einen „fleißigen und geschickten Helfer“537 gewonnen. Er sei würdig, zur Bischofsweihe vorgelassen zu werden, insbesondere weil er „sich durch treueste Beachtung und kindliche Verehrung der Römischen Mutter Kirche und der Cathedra des heiligen Petrus auszeichnet“538. Die Voten der Befragten waren also einhellig positive und überschwängliche Bekenntnisse zum Gewählten. Ohne dass Pacelli explizit danach gefragt hätte, teilte ihm Schulte außerdem noch interne Informationen über die Wahl mit.539 So erfuhr der Nuntius nun, dass neben Klein folgende Personen, die „ausnahmslos Paderborner Diözesanpriester“540 waren, auf der Kandidatenliste gestanden hatten: Weihbischof Hähling, der Domkapitular und Professor für Kirchenrecht

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„Il Vicario Capitulare Klein è un sacerdote veramente degno e zelante, pio e divoto, lontano da ogni sentimento modano, molto attaccato alla Santa Sede, conoscente delle questioni sociali e dei bisogni moderni come pochi, un uomo pratica, affabile, schietto e umile, con cui si tratta volentieri, e perciò amato dal popolo e dal clero, dalla voce del popolo pronosticato vescovo di Paderborn, la di cui elezione produsse una grande soddisfazione e rassicurazione.“ Schmitz an Pacelli vom 4. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 46r. „Testificar et nemo ignorat, eum semper catholice vixisse et fidei puritate permansisse, praeditum esse innocentia vitae, optimis moribus et esse optimae conversationis et famae. Est vir gravis, prudens et usu rerum praestans.“ Gutachten Schultes über Klein vom 4. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 44rv, hier 44r. Das reichte aus, um den Forderungen des kirchlichen Gesetzbuches über die wissenschaftliche Qualifikation eines geeigneten Kandidaten für das Bischofsamt zu entsprechen (vgl. Can. 331 § 1). Bereits am 1. August des Jahres verlieh die Katholisch-Theologische Fakultät Münster dem neuen Bischof die theologische Ehrendoktorwürde. Vgl. Gatz, Klein, S. 386. „… adiutor assiduus sollersque.“ Gutachten Schultes über Klein vom 4. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 44r. „… eminet … erga ecclesiam matrem Romanam et s. Petri cathedram fidelissima observatione et filiali devotione.“ Gutachten Schultes über Klein vom 4. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 44v. Vgl. Schulte an Pacelli vom 4. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 43rv. Diesem Brief fügte Schulte sein Gutachten über Klein bei. Gatz, Ringen, S. 107. 167

II.1.2 Paderborn 1920

Johannes Linneborn, der Siegener Pfarrer Ferdinand Gabriel und der Paderborner Stadtpfarrer Albert Menne.541 Schulte bekannte, dass auch er seine Stimme Klein gegeben hätte. Schon die Favoritenrolle, die Klerus und Volk dem Generalvikar im Vorfeld der Wahl zumaßen, lässt vermuten, dass die Wahl ziemlich einhellig auf Klein fiel. Bemerkenswert ist auch, wie wohlwollend Hähling, der durchaus selbst Ambitionen auf den Bischofsstuhl hätte anmelden können, sich über Klein äußerte. Tatsächlich galt Klein auch im Domkapitel als fast konkurrenzloser Favorit, sodass dort „nicht lange beraten werden“542 musste, wie der Blick in das Wahlinstrument belegt, das Dompropst Woker dem westfälischen Oberpräsidenten am 3. Mai zukommen ließ: Von den 13 Stimmen der wahlberechtigten Domherren waren eine auf Weihbischof Hähling, zwei auf Pfarrer Gabriel und zehn auf Klein entfallen.543 Der scheidende Bischof Schulte hatte letztgenannten als seinen Nachfolger auserkoren und womöglich dessen Wahl im Vorhinein bei den Domherren unterstützt. Von irgendwelchen internen Spannungen findet sich in den Quellen keine Spur. Ebenso wie Hähling äußerte Schulte schließlich den Wunsch nach einer möglichst baldigen Präkonisation des Gewählten, nach einer schnellen Durchführung des Informativprozesses und einer baldigen Ausstellung der Ernennungsbullen. Es sei für die Gläubigen in Deutschland angesichts der kritischen Zeitumstände gefährlich, über eine längere Dauer ihres Oberhirten entbehren zu müssen. Neben seinem Gutachten übermittelte Schulte dem Nuntius auch das oben schon angesprochene Schreiben Wokers, in dem der Dompropst am 2. Mai seine Sicht auf die Wahl formulierte: „Wir waren in einer Stunde mit der Wahl fertig, die nach den betreffenden Canones des Ius. can. ohne das früher übliche Kompromißverfahren abgehalten ist – das letztere, wobei ein Justiziar und zwei Zeugen die Tätigkeit der 3 Skrutatoren überwachen müssen, rührt wohl noch aus alter Zeit her, wo es bei den Wahlen der Bischöfe oft genug merkwürdig zugegangen hat, und notwendig erschien, dass 6 Augen genau alle Vorgänger überwachten; damit haben wir nun wohl für alle Zukunft aufgeräumt.“544

Damit hatte man also entgegen der Ankündigung vom 20. April auf den Justitiar und die beiden Zeugen bei der Wahl verzichtet, weil man sie für anachronistisch hielt. Dafür, dass ein beschleu-

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Diese Auflistung wird durch das Wahlinstrument bestätigt. Vgl. Electionis instrumentum vom 30. April 1920, BArch, R 5101/​22234, Bl. 134–140, hier 136 [5]. Stüken, Hirten, S. 9. Vgl. Electionis instrumentum vom 30. April 1920, BArch, R 5101/​22234, Bl. 138 [9]. Vgl. auch Woker an Wuermeling vom 3. Mai 1920, ebd., Bl. 131. Woker an Schulte vom 2. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 31v. Vgl. zum Kompromissverfahren etwa Feine, Besetzung, S. 220f.; Maleczek, Abstimmungsarten, S. 108–114; Schimmelpfennig, Papst- und Bischofswahlen, S. 192f. 168

II.1.2 Paderborn 1920

nigter Abschluss des Besetzungsverfahrens angebracht sei, brachte Woker ein weiteres, formales Argument: „Die Wahl ist noch in einem ganzen Monat geschehen und wenn auch die Präconisation des H[eiligen] Vaters in einem solchen stattfindet, vielleicht auch die Konsekration, dann hat der neue Bischof das Recht, im Domkapitel seinen Nachfolger selbst zu ernennen – wenigstens sind alsdann dazu alle Voraussetzungen gegeben.“545

Woker spielte hier auf die Bulle De salute animarum an, die vorsah, dass in den ungeraden Monaten der Papst respektive der Landesherr und in den geraden Monaten der Bischof die vakanten Domherrenstellen besetzte.546 Demnach konnte der kirchliche Oberhirte unabhängig von den staatlichen Stellen den neuen Kanoniker ernennen, falls das Amt im Juni vakant werden sollte. Diese sich bietende Gelegenheit wollte der Dompropst nutzen. Die Überlegungen Wokers waren für Pacelli von einigem Interesse, wie dieser in einem Schreiben an Schulte am 6. Mai zugab.547 Darüber hinaus hatten ihn die Rückmeldungen über die Person Kleins offenbar zufriedengestellt: „Es ist mir eine große Genugtuung, dass Euere Exzellenz die getroffene Wahl freudigst begrüßt.“548 Bezüglich der Dringlichkeit der päpstlichen Approbation und Präkonisation sagte er seinen Einsatz zu, „dass der berechtigte Wunsch Berücksichtigung finde“549. Diese Zusage erfüllte Pacelli am selben Tag, indem er den Wunsch in seinem Bericht an Gasparri zur Sprache brachte.550 Mit diesem Schreiben erledigte der Nuntius seine formale Pflicht, den Kardinalstaatssekretär über die Wahl Kleins zum Bischof von Paderborn in Kenntnis zu setzen und die Stellungnahmen der drei Geistlichen, die er als „einvernehmlich und bedingungslos zustimmend“551 qualifizierte, seinem Vorgesetzten zu übermitteln.552

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Woker an Schulte vom 2. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 32r. Vgl. zum sogenannten „Breslauer Besetzungsmodus“ Bd. 1, Kap. II.1.1 Anm. 121. Zwar hatte Gasparri im Oktober 1919 eine neue Anordnung zur Kanonikerbestellung erlassen, die jedoch nicht für eine grundlegende Klärung sorgte. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.1 (Kuriales Taktieren). Dies war beabsichtigt, um die staatlichen Kanonikatsbesetzungen zwar zu tolerieren, aber nicht auf theoretischer Ebene zu legitimieren. Da Pacelli gegenüber der preußischen Regierung der provisorischen Fortgeltung von De salute animarum zugestimmt hatte, war der darin festgelegte Besetzungsmodus auch nach der WRV noch relevant. Vgl. Pacelli an Schulte vom 6. Mai 1920 (Entwurf), ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 49r. Pacelli an Schulte vom 6. Mai 1920 (Entwurf), ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 49r. Pacelli an Schulte vom 6. Mai 1920 (Entwurf), ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 49r. Vgl. Pacelli an Gasparri am 6. Mai 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 20rv. „… concordamente ed incondizionatamente favorevoli …“ Pacelli an Gasparri am 6. Mai 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 20r. Vgl. die Duplikate der Gutachten in S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 21rv (Schulte), Fol. 22r–23r (Hähling) und Fol. 24r–25r (nur r) (Schmitz). 169

II.1.2 Paderborn 1920

Die päpstliche Bestätigung Kleins und der Informativprozess Nachdem Gasparri die Informationen über den gewählten Bischof von Paderborn erhalten hatte, ersuchte er beim Heiligen Offizium um das Plazet für den Kandidaten.553 Drei Tage später  –  am 18. Mai – erhielt er eine positive Antwort vom Assessor der obersten Glaubensbehörde, Carlo Perosi.554 Daher konnte Gasparri bereits am 19. Mai dem Nuntius von der Bestätigung der Wahl Kleins durch den Papst berichten.555 Er beauftragte Pacelli, den nun anstehenden kanonischen Prozess durchzuführen oder aber die Durchführung an eine geeignete Person zu delegieren. Umgehend verständigte der Nuntius den Propst des Domkapitels von der Entscheidung des Pontifex: Er beehrte sich „mitzuteilen, dass Seine Heiligkeit huldvollst geruht hat, die von dem jenseitigen hohen Domkapitel vollzogene Wahl des hochwürdigsten Herrn Kaspar Klein zum Bischof von Paderborn zu confirmieren“556. Gleichzeitig brachte er auch Weihbischof Hähling diese Kunde und betraute ihn mit der Durchführung des Informativprozesses: „Zu diesem Zwecke sende ich Ihnen in der Anlage die entsprechenden Formularien, sowie einen Entwurf für den Prozess vom Hochwürdigsten M[onsignore] Schulte, der Ihnen als Vorlage wird dienen können und welchen Sie mir seinerzeit gütigst wieder zurücksenden wollen.“557 Auch für diese Formalität wurde also auf die Kölner Besetzung als paradigmatischen Fall rekurriert, wenngleich der Prozess dort letztlich nicht mehr durchgeführt worden war. Für ihn selbst – so Pacelli – sei diese Aufgabe angesichts der „Schwierigkeiten und hohen Kosten einer Reise“558 im Nachkriegsdeutschland zu umständlich. Hähling führte den Informativprozess am 25. Mai durch und zog als Zeugen Woker und Linneborn heran.559 Wie er in seiner Vollzugsbestätigung vom 5. Juni bekannte, war es ihm so auch lieber gewesen, als wenn der Nuntius den Prozess vorgenommen hätte: „Ich darf Eurer Exzellenz mitteilen, dass diese Vereinfachung und Beschleunigung sowohl den Erwählten, als das gesamte Domkapitel mit hoher Genugtuung erfüllt; und ich habe den 553 554 555 556

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Vgl. Notiz vom 15. Mai 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 27r. Vgl. Perosi an Gasparri vom 18. Mai 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 26r. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 19. Mai 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 53r. Pacelli an Woker vom 21. Mai 1920 (Entwurf), ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 55r. Der Nuntius eröffnete Woker zudem seine Absicht, die Abfassung des Informativprozesses zu subdelegieren, für welche vereinfachende Maßnahme sich der Dompropst am 27. Mai bedankte. Vgl. Woker an Pacelli vom 27. Mai 1920, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 58r. Woker bat den Nuntius gleichzeitig um Unterstützung für die Wiederbesetzung des Kanonikats, das durch die Promotion Kleins auf den bischöflichen Stuhl vakant wurde. Pacelli wiederholte dagegen in seiner Antwort die Anweisung des Kardinalstaatssekretärs vom 14. Oktober 1919, in dem die Befugnis, die Domherrenstellen zu besetzen, den preußischen Bischöfen zugewiesen wurde und demnach weder er selbst noch das Domkapitel konstitutiv daran beteiligt waren. Vgl. Pacelli an Woker vom 31. Mai 1920 (Entwurf), ebd., Fol. 59r. Pacelli an Hähling vom 21. Mai 1920 (Entwurf), ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 54r. Pacelli an Hähling vom 21. Mai 1920 (Entwurf), ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 54r. Vgl. Informativprozessunterlagen vom 25. Mai 1920, ANB 21, Fasz. 4, Fol. 2r–21r. 170

II.1.2 Paderborn 1920

ehrenvollen Auftrag, Euer Exzellenz zu bitten, für diese Güte den Ausdruck unseres ehrerbietigsten Dankes entgegenzunehmen.“560 Die Prozessunterlagen fügte er seinem Schreiben bei.

Zeitdruck für die Ausstellung der Ernennungsbullen Das Paderborner Besetzungsverfahren neigte sich seinem Ende entgegen. Die Dokumente des Informativprozesses schickte Pacelli, verbunden mit dem Hinweis, dass er die Durchführung Hähling anvertraut hatte, am 12. Juni an das Staatssekretariat weiter.561 Dabei brachte er auch den von Woker eröffneten Vorteil zur Sprache, der sich aus dem Abschluss des Besetzungsverfahrens binnen Monatsende für die Paderborner Kirche ergeben würde: „Weil infolge der genannten Beförderung [sc. Kleins auf den Bischofsstuhl, R.H.] ein Kanonikat im Paderborner Domkapitel vakant wird, bittet dasselbe Kapitel, um Einmischungen der Regierung auf die neue Besetzung desselben zu vermeiden, dass die Bullen für den genannten Monsignore Klein mit Datum des laufenden Juni erlassen werden, weil die Vakanz dadurch in einem geraden Monat eintritt und die Ernennung unbestreitbar dem Bischof zukommen würde, auch gemäß der Bulle De salute animarum.“562

Da die Zeit für die Verwirklichung dieses Plans knapp zu werden drohte, bat Pacelli Gasparri telegraphisch noch am selben Tag, dass Klein schon vor Versendung und Ankunft der Ernennungsbullen die Bischofsweihe empfangen dürfe.563 Bereits im Kölner Besetzungsfall durfte Schulte das Erzbistum in Besitz nehmen, ohne dass ihn die Ernennungsdokumente aus Rom schon erreicht hatten. Gasparri antwortete vier Tage später und brachte Verständnis für die Eile in Paderborn auf: Der Papst habe angeordnet, die Ernennungsbullen rasch zu versenden, obgleich die Dokumente des kanonischen Prozesses noch nicht eingetroffen seien.564 Gasparri wusste also zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht sicher, dass der Informativprozess bereits abgeschlossen war. Sobald die Bullen unterschrieben worden seien – so der Staatssekretär –, könne die Bischofsweihe vorgenommen werden. Pacelli werde darüber telegraphisch informiert.

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Hähling an Pacelli vom 5. Juni 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 56r. Pacelli bestätigte den Eingang dieses Schreibens elf Tage später. Vgl. Pacelli an Hähling vom 16. Juni 1920 (Entwurf), ebd., Fol. 63r. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 12. Juni 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 30rv. „Siccome, poi, in seguito a detta promozione viene a rimanere vacante un Canonicato nel Capitolo cattedrale di Paderborn, il Capitolo stesso, ad evitare ingerenze del Governo nella nuova provvista del medesimo, pregherebbe che le Bolle per il sullodato Monsignor Klein avessero la data del Giugno corrente, giacchè in tal guisa, verificandosi la vacanza in un mese pari, la nomina spetterebbe indiscutibilmente al Vescovo, anche a norma della Bolla De salute animarum.“ Pacelli an Gasparri vom 12. Juni 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 30r. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 12. Juni 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 31r. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 16. Juni 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 65r. 171

II.1.2 Paderborn 1920

Um die Abfassung der Bullen in die Wege zu leiten, wandte sich Gasparri am selben Tag, dem 16. Juni, an den Sekretär der dafür zuständigen Konsistorialkongregation De Lai.565 Er kommunizierte ihm die päpstliche Bestätigung der Wahl Kleins zum Bischof von Paderborn, die gemäß der Bulle De salute animarum, aber mit „opportunem Vorbehalt“566 des Heiligen Stuhls durchgeführt worden sei. Das instrumentum electionis fügte er bei, während er auf die Order Benedikts XV. hinwies, die Ernennungsbullen zügig auszustellen.567 Knapp eine Woche später reichte Gasparri dem Sekretär auch die mittlerweile in Rom eingetroffenen Informativprozessakten nach.568 Dabei mahnte er De Lai noch einmal zur Eile an, damit die Bullen sobald wie möglich ausgefertigt und auf den Monat Juni datiert werden könnten. Zur Begründung zitierte Gasparri den Bericht Pacellis vom 12. des Monats, der mittlerweile eingetroffen war.569 Aufgrund der aktuellen Situation der Paderborner Diözese habe der Papst – so Gasparri weiter – zugestanden, dass die Bischofsweihe vor dem dortigen Eintreffen der Ernennungsbullen stattfinden dürfe. Da sie jedoch vorher unterzeichnet werden müssten, bat er De Lai abschließend um sofortige Benachrichtigung, wenn die Dokumente fertig gestellt seien, damit er Pacelli Nachricht geben könne. Zwischenzeitlich am 17.  Juni bedankte sich der Kardinalstaatssekretär im Namen des Papstes bei Klein für die „hervorragende und entschlossene Unterordnung“570, die der bisherige Generalvikar gegenüber dem Heiligen Stuhl pflege und die dieser in seinem Schreiben vom 2. Mai bekundet hatte. Deshalb erflehe der Pontifex bei Gott, dass Klein „zur größeren Ehre des Höchsten und zum geistlichen Nutzen der Christgläubigen“571 sein neues Amt ausüben werde. Davon, dass die Bischofsweihe von der Unterzeichnung der Ernennungsbullen abhängen sollte, erwähnte Gasparri nichts – offen565

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Vgl. Gasparri an De Lai vom 16. Juni 1920 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 34r. „… opportuno riserve …“ Gasparri an De Lai vom 16. Juni 1920 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 34r. Vgl.: „… il Santo Padre si è benignamente degnato di confermare tale elezione e di ordinare che da cotesta S. Congregazione vengano sollecitamente fatte spedite le relative Bolle di nomina.“ Gasparri an De Lai vom 16. Juni 1920 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 34r. Vgl. Gasparri an De Lai vom 22. Juni 1920 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 36rv. Vgl.: „… giacchè in tal guisa, verificandosi la vacanza in un mese pari, la nomina spetterebbe indiscutibilmente al Vescovo (e non al Governo) anche a norma della Bolla De salute animarum.“ Gasparri an De Lai vom 22. Juni 1920 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 36r. Vgl.: „Hoc autem dilectionis adhaesionisque tuae argumentum libenti excepit animo Beatissimus Pater, qui, una simul pergratam habuit eximiam quem erga Apostolicam Sedem foves devotionem et alacrem quam praestas voluntatem ad redita munera strenue ac religiose exequenda.“ Gasparri an Klein vom 17. Juni 1920 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 35rv, hier 35r. „… ad maiorem Altissimi gloriam atque in spiritualem Christifidelium utilitatem …“ Gasparri an Klein vom 17. Juni 1920 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 35v. 172

II.1.2 Paderborn 1920

sichtlich hatte auch der Nuntius diese Bedingung dem Domkapitel nicht zur Kenntnis gebracht. Daher glaubte man in Paderborn, einen Termin für die Weihezeremonie festlegen zu können und fasste dafür Sonntag, den 18. Juli, ins Auge. Klein bat den Nuntius am 21. Juni diesbezüglich um Erlaubnis.572 Pacelli wimmelte jedoch ab mit dem Verweis, dass Rom eine Antwort – Näheres sagte er nicht dazu – angekündigt habe, die abzuwarten sei.573 Damit spielte er auf das von Gasparri in Aussicht gestellte Telegramm an, mit dem angezeigt werden sollte, dass die Ernennungsbullen unterzeichnet worden waren. Die römische Nachricht ließ allerdings auf sich warten. Daher sah sich Pacelli – angesichts des Drängens aus Paderborn – am 26. Juni genötigt, den Kardinalstaatssekretär daran zu erinnern, dass er noch auf eine Antwort zur anstehenden Bischofsweihe warte.574 Der Juni neigte sich dem Ende zu und Gasparri hatte noch nicht verlauten lassen, dass die Bullen auf diesen Monat datieren würden, wie es die Besetzung des vakanten Kanonikats ohne staatlichen Einfluss erforderte. Der Kardinalstaatssekretär verteidigte sich in einem Telegramm tags darauf: „Bezüglich der Anfrage des Kapitels von Paderborn habe ich es mit Schreiben vom 16. des laufenden Monats bezeichnet, dass der Heilige Vater die erbetene Befugnis gewährt, sobald die Bullen unterzeichnet wurden. Ich dränge auf die Unterschrift und werde nicht versäumen, zu telegraphieren.“575 Auf das „Drängen“ des Kardinalstaatssekretärs hatte De Lai bereits am Vortag, dem 26. Juni, reagiert, indem er die Fertigstellung der Bullen für den 2. Juli ankündigte.576 Offiziell datierten sie jedoch auf den 19. Juni – dies war somit das amtliche Datum der päpstlichen Wahlbestätigung – und wurden daher der geforderten Terminierung gerecht.577 Bevor Pacelli davon Kenntnis erlangte, wollte er die Erwartungen auf einen Fortschritt in der Besetzungsangelegenheit, die man im Paderborner Kapitel hegte, nicht enttäuschen. Deshalb versicherte er dem zukünftigen Bischof am 28. Juni, dass die römischen Behörden schnell arbeiteten: „Ich beehre mich bekannt zu geben, dass ich mich neuerdings telegrafisch nach Rom gewendet, um eine Antwort über den Zeitpunkt der Konsekration zu bekommen und hierauf die Mitteilung erhalten habe, dass Seine Heiligkeit die Vollmacht gewährte, dass die Konsekration stattfinde sofort nach Unterzeichnung der Bullen, also schon vor der Ankunft derselben. Seine Eminenz der Herr Kardinalstaatssekretär hat mir versichert, dass er die Unterzeichnung beschleunigen werde und dann sofort telegraphisch Nachricht geben werde. Deshalb glaube ich, dass die Weihe ganz gut für den 18. Juli in Aussicht genommen werden kann.“578

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Vgl. Klein an Pacelli vom 21. Juni 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 66r. Vgl. Pacelli an Klein ohne Datum (Entwurf), ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 66r. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 26. Juni 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 38r. „circa richiesta capitolo padenbon [sic, R.H.] le ho significato con dispaccio 16 corrente che santo padre accordava facolta implorata appena bolle fossero firmate sto sollecitando firma e non manchero telegrafare …“ Gasparri an Pacelli vom 27. Juni 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 68r. Vgl. De Lai an Gasparri vom 26. Juni 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 37r. Die Taxe für die Ausstellung der Bullen bezifferte De Lai mit 6.450 Mark. Vgl. die Entwürfe des Ernennungsdekrets und der Bullen in ASV, Canc. Ap., Regest Litt. Ap., XX, 49, Fol. 1r–6v. Pacelli an Klein vom 28. Juni 1920 (Entwurf), ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 69r. 173

II.1.2 Paderborn 1920

Dass ihn die Vermutung, die Konsekration könne am 18. Juli stattfinden, nicht trog, erfuhr Pacelli kurz darauf durch ein Telegramm Gasparris vom 29. Juni: Die Bullen seien fertig, Klein könne sich sofort weihen lassen.579 Pacelli empfing diese Nachricht in Berlin, wo er sich anlässlich seiner Akkreditierung als Nuntius beim Deutschen Reich aufhielt.580 Noch am 30. Juni gab er Klein die Neuigkeit weiter.581 Nach diesem Hin und Her bezüglich der Ausstellung der Ernennungsbullen kann man fragen, warum der Papst, eventuell auch Gasparri selbst, darauf bestanden, dass die Weihe erst nach Unterzeichnung der Dokumente vorgenommen werden durfte. Man hätte darüber ja auch, da die Wahl Kleins akzeptiert worden war, hinwegsehen können. Aber Benedikt XV. ging es offenbar um zumindest ein Minimum an Formwahrung. Die Absicht einer Verzögerung kann man niemandem unterstellen, zumal die Bullen rechtzeitig fertig wurden. Im Gegenteil wird man im Drängen Gasparris, der wiederum von Pacelli bedrängt wurde, ein Verständnis für die Situation der Diözese Paderborn und des Anliegens des Domkapitels sehen müssen.

Besitzergreifung und Bischofsweihe Klein sah das vermutlich ähnlich, zumindest dankte er Pacelli am 2. Juli für „die erfolgreichen Bemühungen um Beschleunigung meiner Bischofsweihe“582. Wie er mitteilte, sei mittlerweile Sonntag, der 1. August, als Weihetag festgelegt worden. Durch die Vorlage der beiden Nuntiaturschreiben vom 28. und 30. Juni habe er das Domkapitel überzeugen können, dass die kanonischen Formalia für seine Erhebung zum Bischof erfüllt seien. Er habe anschließend die vorgeschriebene professio fidei und den Treueid gegen den Heiligen Stuhl abgelegt, woraufhin das Domkapitel bekannt gegeben habe, dass die Leitung des Bistums auf ihn übergegangen sei.583 Klein glaubte aufgrund der Anrede „Bischof Klein“ in Pacellis Telegramm vom 30. Juni bereits die potestas iurisdictionis episcopalis zu besitzen, wohlgemerkt ohne Bischofsweihe.584 Wenn er – so argumentierte Klein – nicht jetzt schon das Amt 579 580

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Vgl. Gasparri an Pacelli vom 29. Juni 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 70r. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 30. Juni 1920 (Entwurf), ASV, ANB 11, Fasz. 1, Fol. 24r–25v. Vgl. dazu Deuerlein, Begegnung; Fattorini, Germania, S. 187–199; Feldkamp, Apostolische Nuntiatur; Ders., Pius XII., S. 37–45; Samerski, Aufnahme; Ders., Primat; Schlagwörter Nr. 1006 und Nr. 14000 (Pacelli-Edition), dort auch relevante Quellentexte verknüpft; Stehlin, Weimar, S. 57–61; Wolf/​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 22–26, 47–49; Wolf, Reichsnuntiatur. Vgl. Pacelli an Klein vom 30. Juni 1920 (Entwurf), ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 71r. Klein an Pacelli vom 2. Juli 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 72rv, hier 72r. Vgl. auch „Präkonisation, Konsekration und Inthronisation des Hochwürdigsten Herrn Bischofs“ vom 30. Juni 1920, in: Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Paderborn und das Apostolische Vikariat Anhalt Nr. 12 vom 9. Juli 1920. Diese Sicht Kleins war formal korrekt, denn das Mittelalter und die Neuzeit hindurch bis zum II. Vatikanischen Konzil war die bischöfliche Jurisdiktion nicht an die Bischofsweihe gebunden. Tatsächlich hatten 174

II.1.2 Paderborn 1920

des Paderborner Diözesanbischofs inne hätte, dann wäre auch das von ihm bis dato bekleidete Domherrenamt noch nicht im Juni vakant geworden,585 sodass auch die Wiederbesetzung nicht frei vom Bischof erfolgen könne. Allerdings war sich Klein dieser juristischen Deduktionen nicht so sicher. Anlass seiner Zweifel gab ihm der Can. 334 § 2 des kirchlichen Gesetzbuches.586 In den Worten Kleins verbot dieser Rechtssatz „den Bischöfen, bischöfliche Verwaltungsakte in der Diözese auszuüben vor der kanonischen Besitzergreifung und diese soll so geschehen, dass dem Domkapitel die Apostolischen Schreiben selbst vorgelegt werden und über den Akt ein Protokoll aufgenommen wird“587, was wiederum der § 3 des genannten Canons festlegte.588 Da die Bullen jedoch noch nicht vorlagen, bat Klein, dass Pacelli ihm seine Zweifel entweder zerstreue oder aber, falls eine enge Auslegung des angesprochenen § 3 notwendig sei, sein Bittschreiben an den Papst – das er für den Nuntius beifügte – vorsichtshalber weiterzuleiten. Diese Supplik bestand im Wesentlichen in einer lateinischen Übersetzung seiner Pacelli geschilderten Überlegungen.589 Er fügte die eindringliche Bitte an, „die bereits erledigten Amtsgeschäfte zu bestätigen und zu erklären, dass meine kanonische Besitzergreifung rechtmäßig war und bis jetzt alle jurisdiktionellen Handlungen ebenfalls Geltung beanspruchen.“590 Der Nuntius reichte das Schreiben Kleins kommentarlos an die Kurie weiter.591 Gasparris Antwort vom 19. Juli zeigte, dass die Sorgen des neuen Bischofs unbegründet gewesen waren. Der Kardinalstaatssekretär bekundete Verständnis für den Wunsch, dass die päpstliche Autorität not-

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viele Diözesanbischöfe die Bischofsweihe nicht einmal empfangen. Die Pontifikalhandlungen erledigten ihre Weihbischöfe. Daher war es aus kanonistischer Perspektive richtig, wenn Klein davon ausging, ohne Bischofsweihe die rechtlichen Befugnisse des Diözesanbischofs zu besitzen. Vgl. zum Verhältnis von potestas ordinis und potestas iurisdictionis Mörsdorf, Lehrbuch I, S. 252–255; Ders., Weihegewalt; auf Basis des CIC von 1983 Krämer, Vollmacht. Vgl. dazu Can. 194 § 1 CIC 1917. Vgl.: „In regimen tamen dioecesis neque per se neque per alios, nec ullo sub titulo sese ingerere possunt, nisi prius eiusdem dioecesis possessionem canonice ceperint; sed si ante suam ad episcopatum designationem vicarii capitulares, officiales, oeconomi fuerint renuntiati, haec officia etiam post designationem retinere et exercere possunt.“ Can. 334 § 2 CIC 1917. Klein an Pacelli vom 2. Juli 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 72v. Vgl.: „Canonicam dioecesis possessionem capiunt Episcopi residentiales simul ac in ipsa dioecesi vel per se vel per procuratorem apostolicas litteras Capitulo ecclesiae cathedralis ostenderint, praesente secretario Capituli vel cancellario Curiae, qui rem in aeta referat.“ Can. 334 § 3 CIC 1917. Vgl. Klein an Benedikt XV. vom 2. Juli 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 41rv. Vgl.: „Quare instantissime Sanctitatem Vestram rogo, ut quae facta sunt ratihabere meque canonicam possessionem recte suscepisse omniaque adhuc jurisdictionis acta perinde valere declarare digneris.“ Klein an Benedikt XV. vom 2. Juli 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 41r-v. Das bestätigte er dem neuen Bischof Mitte Juli. Vgl. Pacelli an Klein vom 12. Juli 1920 (Entwurf), ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 73r. Pacelli gab dabei seiner Freude Ausdruck, dass es gelungen war, den „Zeitpunkt der Konsekration zu beschleunigen“. 175

II.1.2 Paderborn 1920

falls die von Klein gesetzten Rechtsakte saniere: „Es ist mir angenehm, Deiner Erhabenheit zu bezeichnen, dass der Papst sich entschlossen hat, die begehrte Heilung und Bestätigung, soweit dies erforderlich ist, gütig zu erlauben.“592 So konnte auch die Besetzung des Kanonikats durch den neuen Bischof ohne staatliche Einflussnahme vorgenommen werden. Klein ernannte Pfarrer Gabriel, der bereits auf der Wahlliste des Kapitels gestanden hatte, zum neuen Domherrn.593 Am Sonntag, dem 1.  August, wurde Klein schließlich im Paderborner Dom von Schulte unter Assistenz der Bischöfe Johannes Poggenburg von Münster und Wilhelm Berning von Osnabrück zum Bischof geweiht. Da die päpstlichen Ernennungsdokumente mittlerweile in Paderborn eingetroffen waren, konnten sie vor der Weihe verlesen werden.594 Unmittelbar im Anschluss an den Weiheakt erfolgte die Inthronisation. Im Konsistorium zum Jahresende, am 16. Dezember, gab der Papst die Wiederbesetzung des bischöflichen Stuhls von Paderborn offiziell bekannt.595

Ergebnis 1. Pacelli hatte im Paderborner Besetzungsfall keinen favorisierten Kandidaten für den vakanten Bischofsstuhl im Sinn und äußerte sich auch nicht darüber, welche Eigenschaften und Fähigkeiten der Nachfolger Schultes haben sollte. Wie der Nuntius zur Wahl Kleins stand, geht aus den Quellen des Falls ebenfalls nicht hervor.596 Allerdings steht zu vermuten, dass ihm dieser bis dahin ein weitgehend unbeschriebenes Blatt war, da er von den Informanten neben den qualitativen Urteilen auch die Personalien des Gewählten anforderte und diese Informationen anschließend in seiner Berichterstattung durch keine persönliche Einschätzung erweiterte. Auf Basis der vati-

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„Gratum mihi est Amplitudini tuae significare Augustum Pontificem expetitam sanationem et ratihabitionem, quatenus opus sit benigne concedere dignatus esse.“ Gasparri an Klein vom 19. Juli 1920 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920, Pos. 1712, Fasz. 895, Fol. 42rv, hier 42r. Vgl. dazu Giuseppe Guerri (Regent der Apostolischen Datarie) an Pacelli vom 20. November 1920, ASV, ANB 51, Fasz. 2, Fol. 91rv und Pacellis Antwort an Guerri vom 27. Dezember 1920 (Entwurf), ASV, ANM 346, Fasz. 6, Fol. 2r. Vgl. „Ordnung zu der am Sonntag den 1. August 1920 stattfindenden Konsekration und Inthronisation des Hochwürdigsten Herrn Bischofs Kaspar Klein“, in: Kirchliches Amtsblatt für die Diözese Paderborn und das Apostolische Vikariat Anhalt Nr. 12 vom 9. Juli 1920. Vgl. AAS 12 (1920), S. 592. Fast zehn Jahre später zeichnete er in seiner Schlussrelation ein überwiegend positives Bild des Bischofs, sprach ihm zwar ab, „sich durch Lehre oder Höhe der Begabung auszuzeichnen“, lobte jedoch seinen apostolischen Einsatz und seine römische Ergebenheit. Vgl. Pacelli an Perosi vom 18. November 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1927–1931, Pos. 511 P.O., Fasz. 24, Fol. 44rv, hier 44v, Übersetzung zitiert nach Wolf/​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 239. 176

II.1.2 Paderborn 1920

kanischen Quellen lässt sich ein früherer Kontakt nur nachweisen, insofern Klein den Nuntius bei zwei Gelegenheiten als Postvermittler zwischen Paderborn und dem Heiligen Stuhl einsetzte.597 2. Auf den ersten Blick scheint Pacelli am konkreten Besetzungsverfahren, näherhin an der römischen Konzession einer freien Domkapitelswahl, nicht beteiligt gewesen zu sein. An keiner Stelle bekundete er seine Meinung, wie man in Paderborn verfahren sollte. Doch trotz des Augenscheins war sein Anteil letztlich entscheidend, was allerdings nur vor dem Hintergrund seiner Konkordatspolitik deutlich wird. Diese wurde im unmittelbar vorangegangenen Kölner Besetzungsfall augenfällig, in dessen Schatten die Paderborner Wiederbesetzung zu verstehen ist. 3. Schaut man sich an, warum sich Pacelli im Kölner Fall für das Wahlrecht gemäß De salute animarum eingesetzt hatte, war die Wahlgenehmigung in Paderborn letztlich folgerichtig und alternativlos: Zum Schutz der kirchlichen – insbesondere finanziellen – Rechte, die in der Zirkumskriptionsbulle von 1821 festgeschrieben waren, hatte Pacelli im Dezember 1919 gegenüber der preußischen sowie der Reichsregierung der temporären Fortgeltung der ehemaligen Rechtsgrundlage zugestimmt. Die weitgehenden Freiheiten, insbesondere in der Ämterbesetzung, welche die WRV der Kirche verbürgte, sollten seiner Ansicht nach in neuen Staatskirchenverträgen für die Kirche fruchtbar gemacht werden. Bis dahin durfte die Fortgeltung von De salute animarum nicht verneint werden, um den Staat nicht aus seinen Verpflichtungen gegenüber der Kirche zu entlassen. Dem Paderborner Domkapitel jetzt das Wahlrecht zu verweigern, hätte die mit den Regierungen getroffene Übereinkunft in Frage gestellt. Von daher musste im Interesse der Konkordatsverhandlungen dem Domkapitel erneut pro hac vice die Wahl des neuen Diözesanbischofs zugestanden werden. Die Präzedenzklausel war wichtig, um die in den anstehenden Konkordatsverhandlungen angestrebte Änderung des Besetzungsmodus der bischöflichen Stühle nicht zu kompromittieren. Folgerichtig unternahm man in der Kurie – so weit quellenmäßig belegbar – keinerlei Anstrengung, das Wahlrecht zu umgehen und den Bischofsstuhl durch eine päpstliche Nomination wiederzubesetzen.598 Die Wahlkonzession war damit nichts anderes als ein Entgegenkommen an den Staat oder vielmehr eine Rücksichtnahme auf die eigenen Erwartungen an denselben und keine Gefälligkeit den Paderborner Domherren gegenüber. Die konkrete Paderborner Besetzung musste sich in diese universal-politische Perspektive 597

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Vgl. die Berichte Pacellis an Gasparri vom 16. September 1917, ASV, Segr. Stato, Guerra, 1914–1918, Rubr. 244, Fasz. 362,2, Fol. 329rv sowie vom 4. Februar 1920, ASV, Segr. Stato, Anno 1920, Rubr. 255, Fasz. 1, Fol. 147r. Vor diesem Hintergrund ist das Resümee Selbachs, das er zum Kölner Besetzungsfall von 1919/​20 zieht, zu undifferenziert: „Für Staat und Kirche in Deutschland blieb das Problem bis zu einer neuen konkordatären Vereinbarung mit dem Heiligen Stuhl ungelöst, d.h. die Kurie würde weiterhin versuchen, das freie Ernennungsrecht des Papstes durchzusetzen und die Fortgeltung älterer Verträge zu bestreiten.“ Selbach, Katholische Kirche, S. 297. Hervorhebung R.H. 177

II.1.2 Paderborn 1920

Pacellis einfügen und war deshalb in sich gesehen nur von subordinierter Bedeutung. Dementsprechend wurde auch geduldet, dass die preußische Regierung einen staatlichen Wahlkommissar berief und das Domkapitel der preußischen Regierung eine Kandidatenliste vorlegte, zumal diese infolge der sich nach der WRV selbst auferlegten Zurückhaltung in kirchlichen Angelegenheiten die Liste unbeanstandet zurückgab. Damit lag das Vorgehen des Heiligen Stuhls vollkommen auf der Linie von Pacellis – in Köln durchgesetzter – Konkordatspolitik, sodass letztendlich dieser dafür wesentlich verantwortlich zeichnete, dass Klein aus einer freien Kapitelswahl als neuer Bischof hervorgehen konnte. 4. Da der Gang des Besetzungsfalls durch die konkordatspolitische Direktive gewissermaßen determiniert war, brauchte Pacelli keine Voten von Fachleuten oder Vertrauten zu dieser Frage einzuholen. Allerdings kümmerte er sich nach der Wahl um drei Exposés über Klein, auf denen die päpstliche Bestätigung fußen sollte. Als Gutachter wählte sich der Nuntius mit Schulte den scheidenden Paderborner Oberhirten, mit Hähling von Lanzenauer den Weihbischof der Diözese, und mit Schmitz den Pater Guardian des Paderborner Franziskanerklosters. Die ersten beiden waren neben Klein selbst die maßgeblichen Autoritäten in der Hierarchie der Diözese. Darüber hinaus war Schulte soeben im vollen Bewusstsein seiner persönlichen Dignität vom Heiligen Stuhl an die Spitze des Kölner Erzbistums transferiert worden und nahm damit ab sofort eine führende Rolle innerhalb des preußischen Episkopats ein. Als dessen Sprachrohr setzte er sich bei Pacelli schon Anfang Februar 1920 für den Erhalt des Paderborner Wahlrechts ein. Diese gewichtige und in den Fall involvierte Stimme zu übergehen, wäre für Pacelli sicherlich schwer zu rechtfertigen gewesen. Vom Guardian erhoffte sich der Nuntius offenbar eine möglichst unvoreingenommene „Außenperspektive“, insofern der Franziskaner nicht zum Diözesanklerus im strengen Sinne gehörte.599 Deshalb befragte ihn Pacelli auch als einzigen, wie der Klerus auf die Wahl Kleins reagiere. Die Reaktionen im Volk interessierten Pacelli anscheinend nicht, zumindest zielte seine Frage nur auf den Klerus. Alle drei Befragten lebten direkt in Paderborn im unmittelbaren Umfeld des Gewählten. 5. Überblickt man die Korrespondenz zwischen Pacelli und Gasparri in diesem Fall, so erscheint der Nuntius gewissermaßen als neutrales Bindeglied zwischen dem Heiligen Stuhl und den Beteiligten in Paderborn. Sämtliche die Angelegenheit betreffenden Informationen leitete er umgehend an seinen Vorgesetzten weiter und führte dessen Anweisungen widerspruchslos aus. Weder kommentierte er Schultes Supplik um das Bischofswahlrecht am Anfang noch den Wahlausgang am Ende des Verfahrens. Diese Passivität erklärt sich aus der relativen Bedeutung des Falls, die 599

Die Franziskaner spielten im Ordensspektrum der Diözese nach dem Kulturkampf „eine besondere Rolle“. Gatz, (Erz-) Bistum Paderborn, S. 576. Vgl. zur Restitution der Orden in Westfalen nach dem Kulturkampf Häger, Klöster. Bislang war Schmitz genauso wie Hähling in der Arbeit des Nuntius unerheblich gewesen, jedenfalls traten beide hier zum ersten Mal in seiner Berichterstattung auf. Vgl. Wolf u. a. (Hg.), Kritische Online-Edition. 178

Exkurs I

in Punkt 3 skizziert wurde. Zentrale Bedeutung hatte für ihn nur, dass der Heilige Stuhl dieselbe konkordatspolitische Richtschnur anlegte und dafür sorgte Pacelli  –  wie man annehmen muss  –,  als er sich im Februar 1920 nach Rom begab. Dort stellte er vermutlich die zentralen Weichen zugunsten der Kapitelswahl entsprechend De salute animarum und konnte die letzten, nach dem Kölner Fall verbliebenen Zweifel bei Gasparri (und dem Papst) über seine konkordatspolitischen Vorstellungen ausräumen. Somit war es kein Zufall, dass der Kardinalstaatssekretär zur gleichen Zeit die Wahlkonzession ausstellte. Hier wird sichtbar, welche Relevanz solch mündlichen Unterredungen zukommt, die sich quellenmäßig nicht einfangen lassen. Daher kommt man an dieser Stelle über das Ergebnis, dass Pacelli sich offenkundig durchsetzte, nicht hinaus.

Exkurs I: Die Frage der Bischofseinsetzungen innerhalb der ersten Konkordatsbestrebungen Pacellis in Berlin von 1920 bis zur Trierer Sedisvakanz Erste Standpunkte zum Modus der Bischofsbestellung und die schwierige Ausgangslage für ein Reichskonkordat Nach der Ankunft Pacellis in Berlin am 29. Dezember 1919, wo er den Regierungen Preußens und des Reiches formell die Bereitschaft des Heiligen Stuhls zu Konkordatsverhandlungen anzeigte,600 überbrachte ihm Untersekretär Wildermann eine Mitteilung des Breslauer Fürstbischofs Adolf Bertram, der sich in der Stadt befinde und mit ihm zu sprechen wünsche. Der Nuntius kam diesem Wunsch nach und traf mit dem Breslauer Kardinal zusammen, der ihm sein Vorhaben unterbreitete, bald den deutschen Episkopat zusammenzurufen, um ein Koordinatensystem für die künftigen Beziehungen zwischen Kirche und Staat zu entwerfen. Dieses Vorhaben wurde auf einer Sondersit600

Vgl. zu den Reichskonkordatsverhandlungen und dem Abschluss von 1933 Besier, Heilige Stuhl, S. 169– 199; Brechenmacher, Teufelspakt; Ders. (Hg.), Reichskonkordat; Ders., Heilige Stuhl; Chenaux, Pie XII, S. 142–151, 178–193; Conrad, Kampf; Deuerlein, Reichskonkordat; Groppe, Reichskonkordat; Kupper (Bearb.), Akten; Küppers, Weimarer Staat; May, Kaas 2, S. 349–381; Morsey, Vorgeschichte; Samerski, Ostdeutscher Katholizismus, S.  67–81; Ders., Delbrueck; Scholder, Kirchen 1, S.  65–92, 482–524; Stehlin, Weimar, S. 431–447; Volk, Reichskonkordat; Ders. (Bearb.), Akten Reichskonkordatsverhandlungen; Wolf, Papst, S. 145–203; Ders., Tauschgeschäft. Vgl. zum Preußenkonkordat von 1929 samt der vorangegangenen Verhandlungen Dambacher, Pacelli; Ders., Verhältnis; Golombek, Vorgeschichte; Hinkel, Bertram, S. 208–231; Höhle, Gründung; Hömig, Zentrum, S. 184–204; May, Kaas 2, S. 394–454; Morsey, Geschichte; Mussinghoff, Fakultäten; Scholder, Kirchen 1, bes. S. 88–91; Stehlin, Weimar, S. 412–428. Vgl. gesondert zur Frage der Besetzung der Bischofsstühle im Preußenkonkordat Gatz, Ringen, S. 118–122, 140f.; Hartmann, Bischof, S. 67–74; Link, Besetzung, S. 239–255; Listl, Besetzung, S. 40–51; Mörsdorf, Besetzungsrecht, S. 118–143; Ders., Stand, S. 723–726. 179

Exkurs I

zung der Fuldaer Bischofskonferenz vom 27. bis 29. Januar 1920 realisiert.601 Zur Vorbereitung ließ Bertram umfangreiche Gutachten zum Staatskirchenrecht anfertigen, die in der Versammlung diskutiert, zum Teil modifiziert und schließlich approbiert wurden.602 Hinsichtlich der Frage nach dem künftigen Modus der Bischofseinsetzungen wurde vorgeschlagen, den Domkapiteln das Wahlrecht zu erhalten. Abgesehen vom „Einzelfalle“, dass sich der Heilige Stuhl „die freie Ernennung vorbehält“603, sollte sein Anteil am Verfahren lediglich darin bestehen, die Kapitelswahl zu bestätigen. Begründet wurde dies mit Can. 329 § 3 CIC 1917, der die Konzession des Wahlrechts an ein Kollegium als alternative Möglichkeit zur päpstlichen Ernennung vorsah. Da die Kapitelswahl außerdem in Deutschland seit dem Wormser Konkordat von 1122 bestehe, sei sie in Klerus und Volk weiterhin „erwünscht“604. Eine staatliche Einmischung wurde vollkommen abgelehnt: „Da die neue Verfassung der Kirche volle Freiheit geben will, so ist mit allem Nachdruck anzustreben, daß die Wahl zum Bischofsamte als wichtigstem Amte frei werde von jeder staatlichen Einmischung, um so mehr, als diese Freiheit in Baden schon erreicht ist und in Württemberg zu erwarten ist. Daß der zu Wählende ein Reichsangehöriger sei, ist selbstverständlich.“605

Das staatliche Einflussrecht beruhe allerdings auf den völkerrechtlichen Vereinbarungen des 19. Jahrhunderts (den Bullen und Breven aus den 1820er Jahren und dem Schreiben Rampollas von 1900), welche die Kirche laut Can. 4 des CIC noch als existent betrachte. Deshalb erfordere die Frage, „ob die dem ‚rex‘ zugestandenen Befugnisse durch den Wegfall der Monarchie erledigt sind oder ohne weiteres auf die obersten staatlichen Gewalten übergegangen sind“606, eine genauere Überprüfung.607 Solange jedenfalls die alten Konventionen noch in Geltung seien, könne die Kirche den in Artikel 137 Absatz 3 WRV vom Staat ausgesprochenen Verzicht „auf jedwede Mitwirkung bei Besetzung kirchlicher Ämter nicht dahin geltend“ machen, dass „sie ihrerseits die Aufhebung der dem Staate zustehenden negativen Exklusive bei Bischofswahlen fordert b[ezie-

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Vgl. Protokoll der Fuldaer Bischofskonferenz vom 27.–29. Januar 1920, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 179–189 (Nr. 84). Vgl. Gutachten zum Staatskirchenrecht ohne Datum [vor dem 27. Januar 1920], auszugsweise abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 157–179 (Nr. 83).Vgl. dazu auch Hinkel, Bertram, S. 209f. Gutachten zum Staatskirchenrecht ohne Datum [vor dem 27. Januar 1920], Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 159. Gutachten zum Staatskirchenrecht ohne Datum [vor dem 27. Januar 1920], Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 159. Gutachten zum Staatskirchenrecht ohne Datum [vor dem 27. Januar 1920], Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 159. Vgl. zur angesprochenen Situation in Baden und Württemberg die Kap. II.3.1 und II.3.3 in Bd. 3. Gutachten zum Staatskirchenrecht ohne Datum [vor dem 27. Januar 1920], Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 160. Das Gutachten tendierte aus zwei Gründen zu letzterer Variante: Zum einen lege der römische Umgang mit dem französischen Konkordat von 1801 diese Deutung nahe (vgl. dazu das in Bd. 1, Kap. II.1.1 Gesagte). Zum anderen sei zu bedenken, dass Preußen zum Zeitpunkt der Promulgation von De salute animarum ein absolutistischer Staat gewesen sei. Da sich hier also sämtliche Befugnisse beim König konzentrierten, nähmen die kirchlichen Rechte keine Sonderrolle ein. 180

Exkurs I

hungsweise] deren Geltendmachung in konkreten Fällen widerspricht“608. Die gewünschte kirchliche Freiheit war laut dieser Darstellung also noch nicht gegeben. Lediglich die Forderung eines staatlichen Obödienz-Eides sei eine Beschränkung, die im Widerspruch zur WRV stünde und sich auch nicht aus der Fortgeltung der Bullen ableiten lasse. Nach Abschluss der Fuldaer Versammlung übermittelte Bertram das bischöfliche Memorandum dem Nuntius, der auf dieser Basis in Rom einen ersten Konkordatsentwurf entwickelte, der letztlich „eine informelle Wunschliste der Katholischen Kirche“609 war, in der Forschung „Pacelli-Punktation I“610 genannt. Diese 20 Punkte umfassenden Forderungen, die Pacelli am 1.  Mai 1920 dem Breslauer Fürstbischof zusandte, beinhalteten „die wesentlichsten Punkte“, ohne ein „bis in alle Einzelheiten festgelegte[s] Programm“ zu bilden, mit dem vornehmlichen Zweck, „die staatlichen Behörden zu einer Präzisierung ihres Standpunktes zu veranlassen und so festzustellen, an welchen Punkten ein Entgegenkommen und an welchen Widerstand zu erwarten ist“611. Der allgemeine Charakter dieses Dokuments spiegelte sich direkt im ersten Teil der Nummer I über die kirchliche Ämterbesetzung wider, wo in Anlehnung an die WRV formuliert war: „Die Kirche hat das volle und freie Besetzungsrecht für alle Kirchenämter und Benefizien ohne Mitwirkung des Staates oder der Gemeinden.“612 Es war also die Maximalforderung, die Pacelli als Grundlage für etwaige Verhandlungen wählte und in der er keine nähere Bestimmung wie das vom Episkopat verlangte Kapitelswahlrecht implementierte. Der Breslauer Kardinal stimmte dem römischen Katalog grundsätzlich zu, meldete allerdings Bedenken an, was die Aufnahme der Schulfrage durch die preußische Regierung anbelangte.613 Tatsächlich war es neben Bayern, das ein eigenes Konkordat wünschte, insbesondere Preußen, das einem Reichskonkordat ablehnend gegenüberstand, wie der Leiter des Vatikanreferats im Auswärtigen Amt, Richard Delbrueck, bei seinen Sondierungen feststellen musste.614 Im Mai wurde im preußischen Kultusministerium zwischen Vertretern des preußischen Episkopats und Regierungsräten – auch Delbrueck nahm als Vertreter des Auswärtigen Amts teil – „das gesamte

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Gutachten zum Staatskirchenrecht ohne Datum [vor dem 27. Januar 1920], Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 160. Küppers, Weimarer Staat, S. 110. Vgl. „Pacelli-Punktation I“ ohne Datum [März 1920], abgedruckt bei Volk (Bearb.), Akten Reichskonkordatsverhandlungen, S. 277–281 (Nr. *1). Pacelli an Bertram vom 1. Mai 1920, abgedruckt bei Volk (Bearb.), Akten Reichskonkordatsverhandlungen, S. 277f. Anm. 1, hier 277. „Pacelli-Punktation I“ ohne Datum [März 1920], Volk (Bearb.), Akten Reichskonkordatsverhandlungen, S. 277. Bertrams Anmerkungen kreisten neben einigen Umformulierungen insbesondere um die Rolle der Katholisch-Theologischen Fakultäten an den Universitäten. Vgl. dazu Hinkel, Bertram, S. 210f.; Mussinghoff, Fakultäten, S. 172–175. Vgl. Samerski, Delbrueck, S. 338f.; Volk, Reichskonkordat, S. 7. 181

Exkurs I

Paket kirchenpolitischer Gesetzgebung“615 besprochen.616 Während die erste Seite die kirchlichen Freiheiten im Anschluss an Artikel 137 WRV herausstellte – der soeben zu Pacellis Konkordatsberater erhobene Ludwig Kaas betonte beispielsweise, dass „jedes Einwirken des Staates auf die Bischofswahl … fortan unzulässig [sei]“617 –, war es das Anliegen der zweiten Gruppe, „möglichst staatliche Rechte und Interessen [zu] wahren“618. Auf Basis dieser Konferenz fertigte Delbrueck einen fünf Punkte umfassenden Katalog an, der eine Grundlage für das Reichskonkordat bilden sollte. Am 1. Juni übermittelte er ihn dem preußischen Gesandten in München, Graf Zech, der als „Mittelsmann bei der Nuntiatur in München“619 fungieren konnte. Der vierte Punkt des Dokuments forderte die Bischofswahl der Domkapitel, wobei der Heilige Stuhl den Domherren die Verpflichtung auferlegen sollte, „keine Persönlichkeiten zu wählen, die der Staatsregierung unbequem sein würden“620. Über diesen Entwurf diskutierten Pacelli und Delbrueck am 5. Juli in Berlin. Die vom Vatikanreferenten angefertigten Notizen über das Gespräch sind aufschlussreich: „3.–4. Ergänzung der Domkapitel und Wahl der Bischöfe. Nach Ansicht des Nuntius hat die Kirche hier auf Grund der [Reichs-, R.H.]Verfassung grundsätzlich freie Hand, jedoch lehnt er Verhandlungen mit dem Staat deshalb nicht ab. Nach dem kanonischen Recht würden in den Domkapiteln die Dignitäten vom Papst, die Domherren vom Bischof zu ernennen sein, während letztere gegenwärtig zum Teil von den Kapiteln gewählt werden. Die Bischöfe wären vom Papst zu ernennen, doch gab der Nuntius zu, daß dies der Tradition der Kapitelswahl in Deutschland widerspreche und sah eine Lösung in einem Vorschlagsrecht der Kapitel an die Kurie.“621

Obwohl Pacelli die päpstliche Ernennung der Bischöfe gemäß Can. 329 § 2 CIC als Ideal darstellte, signalisierte er mit Blick auf die kirchliche Tradition in Deutschland umgehend Verhandlungsbereitschaft.622 Die vom Nuntius im Anschluss an das Gespräch erbetene schriftliche Niederlegung der 615 616

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Mussinghoff, Fakultäten, S. 175. Vgl. dazu Hinkel, Bertram, S. 211; May, Kaas 2, S. 360f.; Mussinghoff, Fakultäten, S. 175f.; Samerski, Delbrueck, S. 339; Volk, Reichskonkordat, S. 26. May, Kaas 2, S. 360. Mussinghoff, Fakultäten, S. 175. Samerski, Delbrueck, S. 341. Voraussichtliche Forderungen der Reichsregierung für den etwaigen Abschluß eines Reichskonkordats ohne Datum [1. Juni 1920], abgedruckt bei Kupper (Bearb.), Akten, S. 435 (Anhang Nr. 1). Gesprächsnotizen Delbruecks vom 5. Juli 1920, abgedruckt bei Morsey, Vorgeschichte, S. 244–246, hier 245. Deshalb war die Vermutung, die Delbrueck in einer Aufzeichnung vom 23. Juli nach einem Gespräch mit Vertretern des preußischen Kultusministeriums niederlegte, nicht unbegründet, nämlich dass die Kurie die Anwendung des Listenverfahrens in der Besetzung der bischöflichen Stühle zulassen würde: „Die Wahl der Bischöfe erfolgt durch die Domkapitel. Der päpstliche Stuhl macht es den Kapiteln zur Pflicht, keine Persönlichkeiten zu wählen, die der Staatsregierung unbequem sein würden. (Die Kurie dringt theoretisch auf Anwendung des kanonischen Rechts, also Ernennung der Bischöfe durch den Papst; sie ist jedoch anscheinend bereit, den amerikanischen Wahlmodus zuzugestehen, das heißt Vorschlag einer 182

Exkurs I

wesentlichen Verhandlungspositionen der Reichsregierung zeigte zwar eine erhebliche Erweiterung der Materie – der Katalog war auf acht Punkte inklusive Schulfrage angewachsen –, unterschied sich aber in der Frage der Bischofseinsetzungen nicht von der ersten Fassung.623 Zunächst einmal sollte es bei dieser Absteckung der Verhandlungspositionen bleiben. In der Folgezeit standen auf staatlicher Seite die Frage der Kompetenzabgrenzungen zwischen Reich und Ländern und damit überhaupt die Möglichkeit eines Reichskonkordats im Vordergrund. Auch Pacelli war zu diesem Zeitpunkt an einem Reichskonkordat weniger gelegen, wie er noch im Juli Gasparri bekannte: „Der Berliner Regierung hingegen (immer bewegt von der Idee des Einheitsstaates) wäre es lieber, wie ich Gelegenheit hatte, noch einmal während meines kürzlichen Aufenthalts in der Hauptstadt festzustellen, zuerst [sc. vor einem Bayernkonkordat, R.H.] ein einziges Konkordat für ganz Deutschland (Reichskonkordat) abzuschließen, das die einzelnen Ländern – Bayern eingeschlossen – dann in Kraft setzen und mit besonderen Bestimmungen ergänzen könnten. Das aber wäre, meiner untergeordneten Meinung nach, schädlich, vor allem weil Bayern, wo man aktuell hoffen kann, verhältnismäßig mehr als in irgendwelchen anderen Ländern des Deutschen Reichs zu erreichen, dann nicht nur von der [Reichs-, R.H.] Verfassung, sondern auch von diesem neuen Konkordat gebunden und eingeschränkt wäre; zweitens weil das Konkordat mit Bayern, wenn es zu einem guten Ende gebracht wird, als Vorbild und Modell für den Rest Deutschlands dienen kann.“624

Tatsächlich waren in Berlin viele Hoffnungen mit einem Reichskonkordat verknüpft. Es „sollte ebenso als Klammer für die im Osten und Westen gefährdete Einheit des Reiches und als Ansatzpunkt für eine selbständige Reichskulturpolitik dienen wie als Schutz vor den Folgen der französischen und belgischen Kirchenpolitik (Gefahr eines Saarbistums und der kirchlichen Ausgliederung Eupen-Malmedys), ferner als Hebel zur Überwindung der diplomatischen Isolierung des Reiches wie als Hilfestellung zugunsten der auslandsdeutschen Minderheiten.“625

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Liste durch das Kapitel, aus der die Kurie wählt. Vom Standpunkt des Staates wäre diese Lösung nicht ungünstig, besonders da die Wahlkämpfe innerhalb der Kapitel an Schärfe verlieren würden. Der Widerstand des Episkopats dürfte allerdings stark sein.)“ Vgl. Leitsätze für den Inhalt eines Reichskonkordats ohne Datum [23. Juli 1920], abgedruckt bei Kupper (Bearb.), Akten, S. 437–439 (Anhang Nr. 3), hier 438. Vgl. Notiz über Gesichtspunkte der Reichsregierung für den Inhalt eines Reichskonkordats ohne Datum [12. Juli 1920], abgedruckt bei Kupper (Bearb.), Akten, S. 436f. (Anhang Nr. 2). „Il Governo di Berlino anzi, come ho avuto occasione di constatare ancora una volta durante il mio recente soggiorno in quella Capitale, avrebbe desiderato (sempre mosso dall’idea dello Stato unitario) di concludere prima un Concordato unico per tutta la Germania (Reichskonkordat), che i singoli Stati, compresa la Baviera, avrebbero poi potuto applicare e completare con particolari Convenzioni. Ciò, però, sarebbe stato, a mio umile parere, dannoso, innanzi tutto perché la Baviera, ove nel momento attuale si può sperare di ottenere relativamente più che in qualsiasi altro Paese del Reich germanico, si sarebbe trovata legata e ristretta, oltre che dalla Costituzione, anche da questo nuovo Concordato, ed in secondo luogo perché la Convenzione colla Baviera potrà invece servire, se si riuscirà a condurla a buon termine, di esempio e modello per il rimanente della Germania.“ Pacelli an Gasparri vom 19. Juli 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Baviera, 1918–1922, Pos. 72, Vol. I, Fol. 59r–62v, hier 61v–62r. Morsey, Pacelli, S. 124. 183

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Um von den deutschen Einzelstaaten das „Einverständnis für diese Bestrebungen“626 zu erreichen, übermittelte ihnen das Innenministerium per Runderlass am 6. Januar 1921 Delbruecks mittlerweile neun Punkte umfassenden Katalog unter der Überschrift „Richtlinien für das Reichskonkordat“.627 Der Punkt vier über die Bischofsbestellung forderte zwar nach wie vor die Kapitelswahl, jedoch war der Satz über die Verpflichtung der Kapitel, „keine Persönlichkeiten zu wählen, die der Staatsregierung unbequem sein würden“, gestrichen worden.628 Die Resonanz auf den Erlass war ernüchternd: Bayern beharrte auf seinem Recht, ein eigenes Konkordat mit dem Heiligen Stuhl auszuhandeln, und Preußen „schlug nun selbst Konkordatskurs ein“629. Bislang hatte die preußische Regierung nur ein untergeordnetes Interesse daran, ein eigenes Konkordat abzuschließen. Ihr Hauptziel bestand lediglich darin, die Gesetzgebung an die WRV anzupassen. Seit den Gesprächen im Kultusministerium im Mai 1920 verhandelte Bertram in ständiger Rücksprache mit Pacelli in dieser Angelegenheit.630 Noch am 30.  November des Jahres war ein Verfassungsantrag der Zentrumsfraktion, eine Vereinbarung mit dem Heiligen Stuhl zu schließen, in der preußischen Verfassunggebenden Landesversammlung abgelehnt worden.631 Nach dem Runderlass des Reichsinnenministeriums und besonders, nachdem im April 1921 der Zentrumspolitiker Adam Stegerwald preußischer Regierungschef geworden war,632 änderten sich die Vorzeichen.633 Am 20. Mai 1921 legten er und Kultusminister Becker

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Volk, Reichskonkordat, S. 8. Es handelte sich um den sogenannten „Koch-Weser-Erlass“ (benannt nach dem Reichsinnenminister Erich Koch-Weser), dem der Konkordatsentwurf beigefügt war. Vgl. Runderlass vom 6. Januar 1921, abgedruckt bei Deuerlein, Reichskonkordat, S. 17f.; Richtlinien für das Reichskonkordat ohne Datum [6. Januar 1921], abgedruckt ebd., S. 18f. sowie bei Kupper (Bearb.), Akten, S. 440f. (Anhang Nr. 5). Vgl. Richtlinien für das Reichskonkordat ohne Datum [6. Januar 1921], Kupper (Bearb.), Akten, S. 440 (Anhang Nr. 5). Samerski, Delbrueck, S. 344. Vgl. Hinkel, Bertram, S. 211f.; Mussinghoff, Fakultäten, S. 177–180. Vgl. Mussinghoff, Fakultäten, S. 180f. Die an diesem Tag verabschiedete neue Landesverfassung enthielt zur Religionsfrage lediglich Bestimmungen zum Kirchenaustritt. Die alten königlichen Rechte und Befugnisse transferierte sie in Artikel 82 auf das preußische Staatsministerium. Vgl. Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche IV, S. 137. Vgl. zur Verfassung Hömig, Zentrum, S. 74–83; Huber, Verfassungsgeschichte VI, S. 744–747; Mussinghoff, Fakultäten, S. 141–144. Vgl. Pacellis diesbezügliche Berichterstattung für Gasparri vom 5. Dezember 1920, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1921, Pos. 1698, Fasz. 890, Fol. 17r–20r. Vgl. dazu Hömig, Zentrum, S. 98–111. Hier begann nach Dieter Golembek die zweite Phase der preußischen Konkordatsbestrebungen in dieser frühen Zeit. Vgl. Golombek, Vorgeschichte, S. 15–20. Die erste „reicht[e] von der Kontaktaufnahme mit dem Nuntius im Dezember 1919 bis hin zum Beginn der offiziellen Initiativen in Richtung Reichskon184

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„dem Staatsministerium eine Stellungnahme zur Frage eines preußischen und eines Reichskonkordats vor: sie bejahte preußische Konkordatsverhandlungen, nachdem das Reich und Bayern Initiativen ergriffen hätten; sie schlug eine Kompetenzverteilung zwischen Reich und Ländern vor und empfahl ein abgestimmtes gemeinsames Vorgehen“634.

Das Preußenkonkordat sollte allerdings nur den Umfang der bisherigen Zirkumskriptionsbullen haben und war damit für den Heiligen Stuhl keine Option, nicht zuletzt, weil dadurch die wichtige Schulfrage herausfiel. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Konkordatsofferte des Kultusministers vom 20. Juni 1921 bei Pacelli ohne nennenswerte Resonanz blieb.635 Zum anderen erklärte die preußische Regierung, einem Reichskonkordat nur zustimmen zu können, wenn Bayern freiwillig auf das in der WRV bestätigte Recht, ein eigenes Konkordat mit dem Heiligen Stuhl abschließen zu können, verzichte – dies kam für Bayern nicht infrage.636 Damit manövrierte die Konkordatsfrage des Reichs in eine Sackgasse, was auch Delbruecks fortwährende Sondierungen nicht verhindern konnten.637

Episkopat und Domkapitel gemeinsam für das Bischofswahlrecht und Pacellis Verhandlungsfokus Unterdessen waren auch die innerkirchlichen Parteien nicht untätig, sondern versuchten ihre Anliegen in die Konkordatsverhandlungen mit einzubringen. Die Bischöfe hatten auf ihrer Sitzung in Fulda vom 17. bis 20. August 1920 noch einmal ihren Standpunkt zur Bischofseinsetzung betont: „Die Fragen der Freiheit der Bischofswahl und des Wahlrechts der Domkapitel überläßt der Episkopat den Konkordatsverhandlungen, ersucht aber den hochwürdigsten Apostolischen Nuntius, für beides mit allem Nachdruck eintreten zu wollen.“638 Besonderes Interesse an diesem Thema hatten naturgemäß die preußischen Domkapitel, die am 1. Februar 1921 eine gemeinsame Denkschrift für Benedikt XV. verfassten – stellvertretend für

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kordat im Januar 1921“, wobei die „Formulierungen und Willensäußerungen“ der Regierung in diesem Zeitraum lediglich „vage“ waren. Ebd., S. 15. Die zweite Phase stand hingegen „im Zeichen angespannter Konkordatsbemühungen des Reiches. Die Folge davon war, daß in Preußen der Gedanke eines eigenen Konkordats aufkam.“ Ebd., S. 16. Mussinghoff, Fakultäten, S. 182. Vgl. Golombek, Vorgeschichte, S. 17. Vgl. Deuerlein, Reichskonkordat, S. 22–29; Golombek, Vorgeschichte, S. 9–11; Mussinghoff, Fakultäten, S. 182–184; Volk, Reichskonkordat, S. 8–10. Vgl. Samerski, Delbrueck, S. 344f. Vgl. Protokoll der Fuldaer Bischofskonferenz vom 17.–20. August 1920, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 235–250 (Nr. 120), hier 236. 185

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sie unterschrieb der Dekan des Kölner Kapitels Middendorf – und über den päpstlichen Stellvertreter nach Rom sandten.639 Ausgangspunkt ihrer Überlegungen bildete die kurz zuvor erfolgte doppelte Veränderung der Rechtslage: kirchlicherseits durch das neue Gesetzbuch, das sie nicht nur als Friedensinstrument des Pontifex lobend herausstellten, sondern auch dafür, dass es die Rechte und Pflichten der Domkapitel endlich luzide behandle;640 staatlicherseits schließlich durch die WRV mit ihrem Artikel 137, der die Domkapitel – neben dem Vorschlagsrecht für die Kanonikatsstellen – hinsichtlich der Bischofswahl betreffe. Anders als diese Einleitung vermuten lässt, spielten der neue CIC und seine Vorschrift der päpstlichen Bischofsnomination (Can. 329 § 2) im Fortgang der Argumentation keine Rolle mehr. Stattdessen griffen die Domherren auf die Zirkumskriptionsbullen Pius’ VII. und Leos XII. aus den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts zurück und zitierten jeweils ausführlich die Abschnitte, welche die Domkapitel zur Wahl der Diözesanbischöfe privilegierten.641 Auf dieser Basis baten die Kapitulare um eine Bestätigung des Bischofswahlrechts für die Zukunft. Die veränderte Rechtslage hatte ihrer Ansicht nach also an der Sache nichts geändert. Stattdessen pochten sie auf die Kontinuität päpstlicher Dezisionen: „Wir tragen diese Bitten deshalb vertrauensvoll dem Heiligen Stuhl vor, weil wir wissen, dass die Römischen Päpste bewahren, was durch die unvergessliche Gewohnheit und die Dauer der Zeit eingeführt und geheiligt worden ist, und was sie durch

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Die Ausführungsbestimmungen vom 23. Oktober 1920, die Bertram am Folgetag als Forderungen des Episkopats dem preußischen Kultusministerium einreichte, betonten noch einmal, dass es angesichts der WRV unzweifelhaft sei, dass „die Kirche in Zukunft in der Wahl der Bischöfe und der Domgeistlichen volle Freiheit genießt. Es darf angenommen werden, daß diese und verwandte Fragen bei den bevorstehenden Verhandlungen zwischen der Staatsregierung und dem H[eiligen] Stuhle auch in formeller Hinsicht ihre endgültige Regelung finden.“ Protokoll der Fuldaer Bischofskonferenz/​Ausführung von Beschlüssen vom 23. Oktober 1920, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 274–285 (Nr. 132), hier 279. Vgl. auch Mussinghoff, Fakultäten, S. 180. Vgl. Middendorf an Pacelli vom 1. Februar 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 73r; Middendorf an Benedikt XV. vom 1. Februar 1921 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 17, Fol. 5r–9v. Vgl.: „Belli furore adhuc saeviente aliud Pastoralis Sollicitudinis Vestrae praeclarissimum opus apparuit, justissime appellandum donum pacis, Codex Juris Canonici, quo concordia populi christiani augetur, omnes ecclesiae ministri, ut officia fidelius diligentiusque adimpleant, incitantur. Capitulorum quoque cathedralium officia et jura perlucide in Codice tractantur, ut dubiis omnibus, quae in antiquo jure hicinde surgebant, obvietur.“ Middendorf an Benedikt XV. vom 1. Februar 1921 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 17, Fol. 5r. Für Köln, Trier, Münster, Paderborn, Ermland und Breslau zitierten sie den Abschnitt XXII aus De salute animarum (vgl. Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 209), für Osnabrück und Hildesheim den entsprechenden Teil der Nummer III aus Impensa Romanorum Pontificum (vgl. ebd., S. 302f.), für Limburg und Fulda, die kirchlich noch der Oberrheinischen Kirchenprovinz (bis zum Preußenkonkordat), politisch jedoch seit 1866 Preußen angehörten, verwiesen sie schließlich nur auf das in der Nummer eins von Ad dominici gregis custodiam verbürgte Bischofswahlrecht (vgl. ebd., S. 269f.). 186

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Segensgnade zu stärken gewohnt waren.“642 Neben diesem rechtlichen Fundament führten die Domherren noch weitere Sachargumente an: a) das hohe Alter dieser Konzession. Vom elften Jahrhundert bis zur Säkularisation hätten die Domkapitel den Bischof frei gewählt und dabei „Sorgfalt und Wachsamkeit“ walten lassen, dadurch einen großen Teil Deutschlands im rechten Glauben bewahrt und häretische Einflüsse „wie Mauern“ abgewehrt.643 b) der Wille der Gläubigen, der nichts mehr ersehne als die Fortgeltung des Wahlprivilegs für die Domkapitel. Immerhin hätten die Domherren vor ihrer Promotion auf die Kanonikatsstelle die verschiedensten kirchlichen Ämter im Volk ausgeübt. Dadurch würden sie außerdem die Diözese wie auch die etwaigen Kandidaten für das Bischofsamt gut kennen. Das Volk sei überzeugt, dass die Kanoniker, die durch Frömmigkeit, Integrität und Klugheit hervorragen, durch die Bischofswahl ausgezeichnet für die „Unversehrtheit der Herde“644 sorgen können. c) die tiefgreifende Erschütterung der Seelen, die eintreten würde, falls das Wahlrecht „entrissen“ oder auch nur die Wahlfreiheit beschränkt werden sollte, umso mehr als der Staat die Freiheit nunmehr zugestehe.645 Daher sei dem Volk – nicht etwa den Domherren – auch kein „Dreier642

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„Quas preces eo confidentius Sedi Apostolicae proponimus, cum scimus, Romanos Pontifices, quod consuetudine immemoriali et diuturnitate temporis inductum et sacratum est, conservare et benedictionum gratia raborare consuevisse.“ Middendorf an Benedikt XV. vom 1. Februar 1921 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 17, Fol. 7r. Vgl.: „Capitulorum diligentia et vigilantia in eligendis episcopis efficit, ut manga pars Germaniae fidei orthodoxae conservata sit; saepe capitula sicut muros instant haeresi se obiecerunt et fidei et moribus christianis praesidio erant.“ Middendorf an Benedikt XV. vom 1. Februar 1921 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 17, Fol. 7r. Zur Untermauerung rekurrierten die Kanoniker auf die Autorität des Mainzer Bischofs Wilhelm Emmanuel von Ketteler, der geschrieben hatte: „… das unbeschränkte Wahlrecht der Capitel ist zugleich ein altes deutsches, nicht jetzt erst verliehenes Recht.“ Ketteler, Recht, S. 10. Außerdem verwiesen die Domkapitulare auf die Note Ercole Consalvis vom 2. September 1817 an den hannoverschen Legaten Ludwig Karl Georg von Ompteda: „È poi troppo noto che nella Germania le elezioni de’ Vescovi si facevano liberamente dai Capitoli, i quali avendo acquistato legittimamente un tal privilegio, e possedendolo da si lungo tempo, non si vede perchè debbano esserne irragionevolmente spogliati.“ Note Consalvis an Ompteda vom 2. September 1817, abgedruckt bei Mejer, Geschichte, S. 301–328, hier 307. Vgl. außerdem Friedberg, Staat, S. 70f., Aktenstücke S. 45–56. Insofern lag die Forderung des Bischofswahlrechts für die Domkapitulare „ganz in Einklang mit der historischen Entwicklung“, wie Domkapitular Wilhelm Schwarz aus Münster sich ausdrückte und weshalb er den Nuntius bitten konnte, sich bei der Kurie unterstützend dafür einzusetzen. Vgl. Schwarz an Pacelli vom 30. Januar 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 72rv, hier 72v. Hervorhebung im Original. Vgl. auch Mausbach/​Schwarz an Pacelli vom 19. Februar 1921, ebd., Fol. 75r. „… gregis[que] incolumitati …“ Middendorf an Benedikt XV. vom 1. Februar 1921 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 17, Fol. 7v. Vgl.: „Neque dubitandum est, quin fidelium regionis nostrae animi vehementer commoverentur, si capitulis jus eligendi episcopum adimeretur vel libertas in eligendo minueretur; eoque magis, postquam 187

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vorschlag“ zuzumuten, also dass entweder das Kapitel nur aus drei Kandidaten, die von anderer Seite bestimmt wären, wählen dürfe oder aber, dass das Kapitel drei Namen benennen müsse, aus denen jemand anders den rechtmäßigen Bischof bezeichne. Es votierten also die Fuldaer Bischofskonferenz – die Supplik der Domkapitel vergaß nicht, deren Beschluss vom August 1920 für ihre Bitte einzuspannen  –,  die Domherren selbst und vermeintlich auch die katholische Bevölkerung Preußens für den Erhalt des Kapitelswahlrechts. Wie ging der Nuntius damit um? Am 18. Februar 1921 übermittelte Pacelli das Bittgesuch an Gasparri und informierte dabei auch über den Beschluss der Fuldaer Bischofskonferenz.646 Ohne Kommentar stellte er fest, dass Episkopat und Domkapitel sich hinsichtlich des Wahlrechts einig waren. Entscheidend war für ihn jedoch, was man in Berlin dachte: „Ich habe guten Grund anzunehmen, dass die Regierung in Berlin, obwohl sie verpflichtet ist, auf die alten Einflussnahmen zu verzichten, in den Konkordatsverhandlungen wünschen wird (auch auf Antrag der Domkapitel), dass denselben das Recht zur Wahl der Bischöfe erhalten bleibt …“647

Der Nuntius hätte für diese „Annahme“, die er bereits im Umfeld der Kölner causa geäußert hatte, auch auf die ersten Konkordatsentwürfe der Reichsregierung verweisen können, hinter die die preußische Regierung selbstverständlich nicht zurückfallen würde. Jedenfalls dachte er sofort daran, aus dem Kapitelswahlrecht diplomatisches Kapital zu schlagen: Sollte der Heilige Stuhl sich zu Konzessionen in dieser Sache bereit erklären, sei es opportun – so riet er Gasparri –, sie noch zurückzuhalten, um von der Regierung im Gegenzug „angemessene Vergütungen“648 zu erhalten, etwa im Bereich der Katholisch-Theologischen Fakultäten, in der Schulfrage oder hinsichtlich der finanziellen Staatsleistungen. Ein Abrücken von der Idealform der reinen päpstlichen Nomination konnte sich Pacelli – ohne das Wahlrecht als solches näher zu bewerten – also schon vor dem eigentlichen Beginn der Verhandlungen vorstellen, sofern für das quid ein entsprechendes quo erzielt werden

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nuper potestas saecularis omnibus suis juribus in ista materia cessit plenamque ecclesiasticis institutis tribuit libertatem.“ Middendorf an Benedikt XV. vom 1. Februar 1921 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 17, Fol. 7v. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 18. Februar 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 53rv. „Ho fondato motivo di ritenere che il Governo di Berlino nelle trattative concordatarie, pur essendo obbligato a rinunziare alle antiche ingerenze, chiederà tuttavia (anche dietro domanda degli stessi Capitoli cattedrali) che venga mantenuto ai medesimi il diritto di elezione dei Vescovi …“ Pacelli an Gasparri vom 18. Februar 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 53v. „… corrispondenti compensi …“ Pacelli an Gasparri vom 18. Februar 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 53v. 188

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konnte. Dass Verhandlungsmasse nötig sein würde, hatte der hartnäckige preußische Widerstand, die Schulfrage in einem Vertrag mit dem Heiligen Stuhl zu regeln, bereits hinlänglich gezeigt. Das Bischofswahlrecht der Domkapitel schien dem Nuntius ein Ansatzpunkt zu sein, um diesen Widerstand aufzubrechen. Gasparri nahm das Anliegen der Domkapitel zur Kenntnis, wie er Pacelli mit Schreiben vom 2. März versicherte.649 Den Nuntius autorisierte er, „Monsignore Middendorf zu informieren, dass der Heilige Stuhl die Darlegung der Kapitel mit Wohlwollen beachtet und ihnen zu seiner Zeit die endgültige Antwort mitteilen wird.“650 In der Konkordatsfrage sanktionierte er Pacellis Strategie und gewährte ihm weitreichende Freiheiten: Für den Fall, dass die Regierung in Berlin tatsächlich auf dem Wahlrecht der Domkapitel insistieren sollte, müsse Pacelli „die guten Bestimmungen des Heiligen Stuhls“651, also die im CIC fixierte idealtypische Regelung, im Auge behalten und sie für Gegenleistungen einsetzen, wie er es für sinnvoll erachte. Wenige Tage später führte Pacelli die Weisung aus und kündigte dem Kölner Dompropst für die Zukunft eine definitive Entscheidung des Heiligen Stuhls zum Thema Bischofswahlrecht an.652

Episkopat gegen Domkapitel: die Grenzen der Allianz Den Domkapiteln genügte diese Vertröstung sicher nicht, zumal sie schon vorher den Druck auf den Heiligen Stuhl mit dem Versuch erhöhen wollten, den Episkopat für eine konkrete Intervention in ihrem Sinne bei der Kurie zu gewinnen. Mit dieser Bitte wandten sie sich am 9. Februar an Kardinal Bertram,653 der ihr mit einer ausführlichen Stellungnahme des preußischen Episkopats zur Kapitelssupplik nachkam, die er Ende März an den Nuntius sandte.654 Wie schon Bertram im Kontext der Kölner und Schulte im Kontext der Paderborner causa dem jeweiligen Domkapitel attestierte das Memorandum jetzt ganz allgemein den Domkapiteln Bestnoten: 649 650

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Vgl. Gasparri an Pacelli vom 2. März 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 83rv. „… conoscere a Monsignor Middendorf che la Santa prenderà l’esposto dei Capitoli in benevola considerazione ed a suo tempo loro comunicherà la definitive risposta.“ Gasparri an Pacelli vom 2. März 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 83r. „… le buone disposizioni della Santa Sede …“ Gasparri an Pacelli vom 2. März 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 83r. Vgl. Pacelli an Middendorf vom 7. März 1921 (Entwurf), ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 84r. Bertram holte sich in dieser Sache den Rat des Kölner Erzbischofs Schulte, den er über die gewünschte „Unterstützung des von ihnen [sc. den Domkapiteln, R.H.] an den Heiligen Vater gerichteten Gesuches“ informierte. Vgl. Bertram an Schulte vom 13. Februar 1921, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 323 (Nr. 159). Vgl. Bertram an Pacelli vom 29. März 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 56r–57v. 189

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„… es ist gewiss, dass die Domkapitel Deutschlands das gesamte letzte Jahrhundert hindurch, in dem die angesprochenen Zirkumskriptionsbullen in Kraft waren, von ihren Rechten mit feinstem Gewissen zum Nutzen der Kirche Gebrauch gemacht haben, sodass sie sich eines außerordentlichen Vertrauens bei Klerus und Gläubigen in der Ausübung dieser Rechte erfreuen.“655

Angesichts dieses Befunds waren sich die Bischöfe einig: „Daher empfehlen alle Bischöfe Preußens sehr eindringlich, dass die Diözesankapitel zukünftig mit diesen wertvollen Rechten, die sie bis heute besessen haben, ausgestattet bleiben.“656 Diese „wertvollen“ Rechte betrafen allerdings nicht nur das Bischofswahlrecht, sondern auch die Besetzung der vakanten Kanonikatsstellen. In ihrem Bittgesuch an Benedikt XV. hatten die Domkapitel ebenfalls zu diesem Thema Wünsche geäußert, die nicht nur dem CIC widersprachen, sondern sogar eine Ausdehnung ihrer Rechte gegenüber den alten Zirkumskriptionsbullen darstellten: Nach dem bis dahin geltenden Modus für die sogenannten neuen Gebiete Preußens (Hildesheim, Osnabrück, Fulda und Limburg) wurden das Dekanat, die Kanonikate und andere Benefizien alternierend vom Bischof und vom Kapitel besetzt. Jetzt forderten die Kapitel, diesen Modus auf die Gebiete Altpreußens (Köln, Trier, Paderborn, Münster, Breslau, Ermland und Aachen) auszudehnen. Hier wurden die Kanonikerstellen bislang ohne Kapitelsbeteiligung besetzt – in den ungeraden Monaten durch den Staat, in den geraden durch die Diözesanbischöfe.657 Gegen diese Ausweitung der Kapitelsrechte regte sich Widerstand unter den (Erz-) Bischöfen der

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„… certum est, Capitula Germaniae per totum ultimum saeculum, quo citatae Circumscriptionum Bullae viguerunt, juribus suis tenerrima conscientia usa esse ad utilitatem Ecclesiae, ita ut eximia confidentia cleri et fidelium in horum jurium exercitio gaudeant.“ Bertram an Pacelli vom 29. März 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 56v. „Hinc pretiosis illis juribus hucusque possessis ut imposterum Capitula dioeceseon ornata maneant, instantissime omnes Borussiae episcopi commendant.“ Bertram an Pacelli vom 29. März 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 56v. Die Propsteien schließlich sollten nach Ansicht der Domkapitel vom Papst und die Dekanate in den altpreußischen Gebieten vom Bischof besetzt werden. Vgl. die genauen Ausführungen in der Supplik an Benedikt XV. vom 1. Februar 1921 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507, Fasz. 17, Fol. 8r–9v. Vgl. zur Kanonikatsbesetzung gemäß De salute animarum die entsprechenden Hinweise in Bd. 1, Kap. II.1.1. Vgl. zu den übrigen Regelungen Impensa Romanorum Pontificum Nr. IV und Ad dominici gregis Nr. IV, Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 303 beziehungsweise 270f. Der CIC 1917 bestimmte zum einen, dass die Besetzung der Kapitelsdignitäten dem Heiligen Stuhl reserviert (Can. 396 § 1) und zum anderen, dass die Verleihung der Kanonikate und Benefizien an Dom- und Stiftskirchen Aufgabe des Bischofs sei, der dabei allerdings das jeweilige Kapitel anhören musste (Can. 403). Die Forderung der Domkapitel, abwechselnd mit dem Bischof die Kanonikate besetzen zu dürfen, ging also weit über die hier bestimmten Rechte hinaus. Doch wie schon bei der Bitte um das Bischofswahlrecht spielten die Vorgaben des Codex für die Domherren auch hier keine Rolle. 190

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altpreußischen Gebiete:658 Jetzt, da das Ende der staatlichen Einflussnahme bevorstehe und der Episkopat damit sämtliche Kanonikate besetzen könne (die dem Heiligen Stuhl vorbehaltenen Dignitäten ausgenommen), sei es nicht einzusehen, dass diese neue Freiheit durch ein neues Domherrenprivileg wieder beschnitten werde. In Anbetracht der bischöflichen Sorgen und Pflichten, die in den vorangegangenen Jahren außerordentlich zugenommen hätten, sei der Einfluss des Bischofs auf die Stellenbesetzung im Domkapitel für das Funktionieren seiner oberhirtlichen Aufgaben immens wichtig, sodass die Wahl der Kanoniker (zumindest in den altpreußischen Bistümern) in der Hand des Bischofs bleiben müsse.659 Der Widerspruch zeigt, dass die Domherren offenbar zu viel wollten, die Einmütigkeit bekam Risse, wo ihre Interessen mit denen der Bischöfe kollidierten. Diese trauten den Domkapitularen zwar zu, einen tauglichen Bischof zu wählen, aber über geeignete Kandidaten für ihre eigene Zunft sollten sie nicht entscheiden.

Die „endgültige“ Entscheidung aus Rom zum künftigen Modus der Bischofseinsetzung Ohne jede Wertung übermittelte der Nuntius Bertrams Stellungnahme zur Kapitelssupplik am 1. April an den Kardinalstaatssekretär.660 Sieben Wochen später hatte dieser die Analyse beider Dokumente abgeschlossen und präsentierte Pacelli am 20. Mai „die endgültigen Schlussfolgerungen“661 zu den Fragen nach Bischofswahl und Kanonikereinsetzung. Diese definitiven Entscheidungen sollten Pacelli als normative Vorgabe für alle zukünftigen Konkordatsverhandlungen mit den deutschen Regierungen – Bayern ausgenommen – dienen. Als theoretische Grundlage stellte Gasparri fest, dass der Heilige Stuhl die Zirkumskriptionsbullen De salute animarum, Impensa Romanorum Pontificum und Ad dominici gregis in Anbetracht

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Konkret waren es Bertram selbst, Schulte und der Ermländer Oberhirte Augustinus Bludau, die laut den Ausführungen des Breslauer Kardinals dem Ansinnen der Domkapitel widersprachen. Vgl.: „Hinc maxime necessarium est, ut habeat episcopus in Curia sua canonicos ad strenue laborandum die noctuque scientia, prudentia et experientia idoneos. Qualitates hasce candidatorum episcopus ex longinqua propria experientia et ex visitationibus multo melius cognoscit quam Capitula, quae in electione candidatorum variis dissensionibus magis exposita sunt. Hinc attenta sola dioecesis utilitate certe consultius est, ut electio Canonicorum, ubi hucusque Capitula speziale privilegium non habuerunt, maneat in episcopi manu.“ Bertram an Pacelli vom 29. März 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 57r. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 1. April 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 55rv. „… le definitive conclusioni …“ Gasparri an Pacelli vom 20. Mai 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 89r–90v, hier 89r; mit Übersetzung abgedruckt bei Volk (Bearb.), Akten Faulhabers I, S. 180–183 (Nr. 89). 191

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der Ereignisse der letzten Jahre „ohne Weiteres als verfallen“ ansehe, sodass es „offenkundig“662 sei, was man von den darin gewährten Privilegien in der Ämterbesetzung halten müsse. Ungeachtet dessen sei der Heilige Stuhl bereit, auf die Wünsche von Domkapitel und Episkopat einzugehen, um Deutschland „einen Beweis des besonderen Wohlwollens zu geben“663. Für die Ernennung der Bischöfe hatte Gasparri folgenden Modus im Blick: Das Domkapitel des vakanten Bistums sollte eine Terna tauglicher Bischofsanwärter aufstellen und dem Metropoliten oder in Ermangelung dessen dem Ältesten der Suffragane übergeben. Nachdem dieser alle Ordinarien der Kirchenprovinz angehört hat, kann er die Dreierliste entweder unverändert annehmen oder modifizieren, falls ihm nicht alle Kandidaten geeignet erscheinen sollten. Anschließend muss er sie an den Heiligen Stuhl weiterreichen, der unter den vorgeschlagenen Namen den neuen Oberhirten auswählt. Daraufhin fragt der Heilige Stuhl bei der Regierung an, ob sie unter „politischem Gesichtspunkt“664 etwas gegen den Gewählten einwendet. Dieser Modus erinnert stark an den Vorschlag Hollwecks vom August 1919, dem Pacelli sich damals angeschlossen hatte.665 Auch dieser schrieb den Domkapiteln das Propositionsrecht einer Terna zu, an die Rom jedoch im Unterschied zu Gasparris aktuellem Modus nicht gebunden sein sollte. Bemerkenswert ist, dass der Kardinalstaatssekretär im Dezember 1919 der von Hollweck und Pacelli propagierten Unverbindlichkeit der Vorschlagsterna für den Heiligen Stuhl noch zugestimmt hatte.666 Offensichtlich war die Supplik der Domkapitel nicht wirkungslos geblieben, insofern die neue Variante den Domherren einen weiterreichenden Einfluss auf die Bestellung der Bischöfe gewährte, selbst wenn es sich nicht mehr um ein eigentliches Wahlrecht handelte. Neu hinzu kam die Partizipation des Episkopats, vor allem des Metropoliten, dem Gasparri de facto die stärkste Rolle im Verfahren zusprach. Zwar musste dieser seine Suffraganen anhören, konnte die Terna des Domkapitels aber prinzipiell nach Belieben verändern. In formaler Hinsicht wollte Gasparri mit diesem Verfahren also entgegen der Empfehlung des Nuntius den Schritt vom althergebrachten Kapitelswahlrecht zur päpstlichen Nomination gehen, zog dieser jedoch extrem enge Grenzen.

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Vgl.: „Premesso innanzi tutto che la Santa Sede ritiene senz’altro decadute, in seguito agli avvenimenti di questi ultimi anni, le Bolle Concordate ‚De salute animarum‘, ‚Impensa‘ e ‚Ad dominici gregis custodiam‘, è evidente che cosa debba pensarsi dei Privilegi di cui sopra facevamo parola e che son tutti fondati sulle Bolle medesime.“ Gasparri an Pacelli vom 20. Mai 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 89r-v. „… una prova di speciale benevolenza …“ Gasparri an Pacelli vom 20. Mai 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 89v. „… dal punto di vista politico.“ Gasparri an Pacelli vom 20. Mai 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 89v. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.1 (Das Gutachten von Joseph Hollweck und die Vorstellungen des Nuntius sowie Ergebnis Nr. 2). Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.1 (Die Fortgeltung der Verträge und das Wahlrecht der Domkapitel: die Debatte der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten). 192

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Obwohl die Domherren mit ihrer Bitte um das Bischofswahlrecht nicht durchdrangen – übrigens auch nicht mit ihrem Wunsch hinsichtlich der Besetzung der Domkanonikate667 –, glaubte Gasparri, dass sie mit den verbliebenen beziehungsweise neu konzedierten Privilegien zufrieden sein könnten, erst recht, wenn man auf die Praxis schaue, dass der Heilige Stuhl „sich bei der Ernennung der Bischöfe im Allgemeinen an die Person hält, die als erste auf der ihm präsentierten Terna verzeichnet ist“668. Deshalb erwartete er, dass Domkapitel und Episkopat diese Bestimmungen gerne akzeptierten, zumal Pacelli sie im besten Licht erscheinen lassen und darauf hinweisen müsse, dass sie eine nicht geringfügige Abweichung vom kirchlichen Gesetzbuch zu ihren Gunsten darstellten. Die Regierung werde sich diese Anordnungen ebenfalls gefallen lassen, da sie eine einheitliche Regelung für ganz Deutschland schaffen und so die moralische Einheit der Länder festigen würden. Gewiss könne dem Staat das Privileg, minder genehme Bischofskandidaten zu streichen, nicht bewahrt werden. Da Gasparri die alte Exklusive angesichts der politischen Situation jedoch für einen Fremdkörper hielt, glaubte er, dass sich die Regierung darum nicht weiter kümmern werde. Außerdem biete ihr der Heilige Stuhl mit der Anfrage nach politisch motivierten Einwänden das Maximum an, das er in dieser Materie erlauben könne. Genauer differenzierte Gasparri das politische Bedenkenrecht nicht, zumal innerhalb der Kurie noch nicht geklärt war, was darunter en detail verstanden werden musste. Die AES entschied diese Frage erst im Sommer des folgenden Jahres.669 Der Kardinalstaatssekretär schien davon überzeugt, alle beteiligten Parteien ausreichend berücksichtigt zu haben. Dennoch legte er es letztlich in „die Fähigkeit und das Fingerspitzengefühl“670 des Nuntius, die Verordnungen den staatlichen und kirchlichen Stellen in Deutschland erfolgreich zu präsentieren.

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Der Klärung war eine Sitzung der AES vorausgegangen. Vgl. die Ponenza „Prussia. Circa la collazione dei Canonicati e dei Benefici nelle Metropolitane e Cattedrali“ vom Mai 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 61 [30 Seiten]. Die einfachen Kanonikate sollten gemäß Can. 403 CIC 1917 audito Capitulo vom Ortsordinarius übertragen werden. Von der Meinung des Kapitels dürfe dieser jedoch nur aus schwerwiegenden Gründen abweichen (gemäß Can. 105 § 1). Was schließlich die Dignitäten anbelangte und zwar „tutte le dignità senza eccezione, rimangono riservate alla Santa Sede, sempre in armonia con il Codice di Diritto Canonico.“ Gasparri an Pacelli vom 20. Mai 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 89v–90r. Allerdings sollte auch hier der Diözesanbischof, bevor er wie gewöhnlich dem Heiligen Stuhl einige Vorschläge unterbreite, das Domkapitel um Rat fragen. „… per la nomina degli stessi Vescovi si attiene generalmente al soggetto che figura primo nella terna presentale.“ Gasparri an Pacelli vom 20. Mai 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 90r. Vgl. Bd. 3, Kap. II.2.1 (Die Klärung der politischen Klausel). „… l’abilità ed il tatto …“ Gasparri an Pacelli vom 20. Mai 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 90v. 193

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Episkopat gegen Gasparri: eine neue Petition zur Besetzung der Bischofsstühle Vielleicht, um mit dem verlangten „Fingerspitzengefühl“ vorzugehen, besprach Pacelli das Thema Ämterbesetzung mit dem Breslauer Kardinal zunächst mündlich in Berlin, bevor er ihm am 22. Juni die römische Direktive vorlegte.671 Bertram brachte die Angelegenheit daraufhin vertraulich – darauf hatte der Nuntius ausdrücklich hingewiesen – auf der Fuldaer Bischofskonferenz am 24. August des Jahres zur Sprache.672 Vorher führte Bertram mit Kaas eine Unterredung über die Frage des Kapitelswahlrechts. Der Trierer Kanonist ließ den Nuntius anschließend wissen, dass Bertram die römische Position schon bei seinem letzten Romaufenthalt, und damit bevor er den römischen Entscheid über Pacelli erhielt, erfahren habe.673 Grundsätzlich hege der Breslauer Oberhirte die Überzeugung, dass die Domkapitel „sich schließlich ohne allzu viel Widerstand damit abfinden werden, wenn ihnen statt der bisherigen Einerwahl ein Dreiervorschlag zugestanden bleibt“674. Was für die Domkapitel gelten sollte, galt offenbar nicht für den Episkopat und Bertram selbst: Obgleich Gasparri seine Anordnungen als „definitiv“ qualifiziert hatte, ließen sich die preußischen und oberrheinischen Bischöfe im Anschluss an ihre Fuldaer Konferenz nicht davon abhalten, über Bertram am 19. September eine erneute Eingabe zum Themenfeld der kirchlichen Ämterbesetzung vorzulegen.675 Von den sechs desideria, die sie formulierten und die der Nuntius dem Kardinalstaatssekretär vortragen sollte, waren die ersten drei für die Bischofseinsetzungen relevant, die letzten drei behandelten die Bestellung der Kanoniker: 1) Zunächst beharrte der Episkopat im Gegensatz zu Gasparris Vorgabe darauf, dass jene Bestimmungen der Zirkumskriptionsbullen des 19. Jahrhunderts noch fortgalten, die „Vereinbarungen zwischen der Kirche und dem Staat (Reich) enthalten“, während – darin stimmten sie mit dem Kardinalstaatssekretär überein – „jene Teile aufhörten zu gelten, die Privilegien des Königs

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Vgl. Pacelli an Bertram vom 22. Juni 1921 (Entwurf), ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 91r. So kündigte Bertram es dem Nuntius an, fragte allerdings, ob er mit diesem wichtigen Thema noch so lange warten dürfe. Pacelli war damit offenbar einverstanden, da er – wie Bertram es bei Zustimmung erwartete – auf eine Antwort verzichtete. Vgl. Bertram an Pacelli vom 26. Juni 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 92r. Aufgrund der streng auferlegten Diskretion findet sich im Protokoll der Fuldaer Versammlung kein Hinweis, dass die Bischöfe darüber beraten hätten. Vgl. Protokoll der Fuldaer Bischofskonferenz vom 23.–25. August 1921, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 341–356 (Nr. 169). Vgl. Kaas an Pacelli vom 7. Juli 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 93rv. Kaas an Pacelli vom 7. Juli 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 93r. Die angesprochene „Einerwahl“ ist als Anspielung auf die von preußischer Seite im 19. Jahrhundert extensiv praktizierten Einflussnahmen auf die Bischofswahlen zu verstehen, die dadurch häufig nur „Scheinwahlen“ des von der Regierung vorgegebenen Kandidaten waren. Vgl. Bertram an Pacelli vom 19. September 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 63r–66v. 194

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beinhalten“676. Würde man die Bullen prinzipiell für aufgehoben erklären, bestehe die Gefahr, dass die Feinde der Kirche die Rechte angreifen könnten, die der Kirche in diesen Dokumenten zugestanden wurden. Insofern sei es „ratsamer, die Frage der Fortgeltung der Bullen nicht ausdrücklich zu streifen“677. Hatten die Bischöfe im Januar 1920 noch davon gesprochen, dass die Frage, ob die dem König konzedierten Privilegien auf die neue demokratische Regierung übergegangen seien, noch untersucht werden müsse, und eher zu einer positiven Antwort tendiert, so entschieden sie jetzt negativ. Insofern sie die Artikel der Bullen hinsichtlich ihrer Fortgeltung jeweils einzeln beurteilten, außerdem auf die Gefahr hinwiesen, die Gasparris Entscheid für die kirchlichen Rechte bedeutete, und schließlich empfahlen, die theoretische Frage zu umschiffen, vertraten sie genau den Standpunkt, für den Pacelli gegen Gasparri nachdrücklich eingestanden war, als diese Fragen im Kontext der Besetzung des Kölner Erzbischofsstuhls virulent wurden. Daher lässt sich vermuten, dass Pacelli durchaus Sympathien für den bischöflichen Widerspruch hegte und dieselben womöglich bei der oben erwähnten Unterredung in Berlin gegenüber Bertram nicht verschwieg. 2) Was den künftigen Modus der Bischofseinsetzungen betraf, wollten sich die Oberhirten mit dem Vorschlagsrecht der Domherren nicht zufriedengeben: „Dass die Wahl der neuen Bischöfe auch künftig frei in den Händen der Domkapitel verbleibt, liegt den versammelten Bischöfen sehr am Herzen.“678 Wie schon in seinem Schreiben von Ende März konstatierte Bertram, dass die Wahlen stets mit „feinstem Gewissen“679 durchgeführt worden seien und bei Klerus und Volk der Wunsch bestehe, das außerordentlich alte Recht zu bewahren. 3) Als noch wichtiger und „brennender“680 postulierten die Bischöfe, dass dem Staat im künftigen Staatskirchenvertrag keinerlei Einfluss auf das Besetzungsverfahren konzediert werden dürfe:

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Vgl.: „1. Quod attinet quaestionem, num conventiones Bullis ‚De salute animarum‘, ‚Ad dominici gregis‘ et ‚Impensa‘ contentae vigere desierint, episcopi supradicti censent, vigere desiisse illas partes, quae continent privilegia Regis, sed in vigore permansisse illas partes, quae continent pacta inter Ecclesiam et Rempublicam (Regnum).“ Bertram an Pacelli vom 19. September 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 63r-v. Vgl.: „Hinc consultius esse videtur, ut quaestio de Bullarium perdurante vigore non expresse tangatur.“ Bertram an Pacelli vom 19. September 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 63v. „Electio novorum episcoporum ut etiam imposterum libera in manibus Capitulorum permaneat, episcopis congregatis valde cordi est.“ Bertram an Pacelli vom 19. September 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 63v. „… tenerrima conscientia …“ Bertram an Pacelli vom 19. September 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 63v. Vgl.: „Ardentius insuper petunt episcopi, ut … in novorum episcoporum electione Guberniis nullus omnino influxus concedatur …“ Bertram an Pacelli vom 19. September 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 63v. 195

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„Wenn die Regierungen in der Wahl jedes beliebigen Kandidaten befragt werden über die politischen Eigenschaften des Kandidaten, wird die Tür für den Einfluss der Regierungen sehr weit geöffnet. Wahrlich der gesamte Klerus und das gesamte Volk Deutschlands wären wirklich traurig über eine derartige Abhängigkeit von der Mitwirkung der Regierung.“681

Groß hingegen sei die Freude der deutschen Katholiken darüber, dass die Bischofswahlen in der letzten Zeit  –  nach dem Kulturkampf  –  immer freier durchgeführt werden konnten. Eine Absprache mit der staatlichen Seite sollte es nach Ansicht des Episkopats nur geben, wenn der electus nicht von deutscher Nationalität sei. Man könne davon ausgehen, dass die Staatsregierung mit dieser Lösung zufrieden wäre. Eine generelle Beteiligung sei hingegen nur Quelle von Zwietracht: Sollte beispielsweise in einem Fall die Regierung politische Einwände gegen einen Kandidaten vorbringen, das römische Staatsekretariat die Einwände jedoch für illegitim erklären, würden die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl beziehungsweise dem Nuntius und der Regierung sowie zwischen dieser und dem zukünftigen Bischof belastet. Der Episkopat verlangte also einen rigoroseren Kurs gegenüber der Regierung als Gasparri, was vor dem Hintergrund der eindeutigen Formel des Artikels 137 Absatz 3 der WRV einleuchtet. Allerdings scheint er unter dem „politischen Gesichtspunkt“, den der Kardinalstaatssekretär der Regierung zuerkannte, einen enggefassten parteipolitischen Begriff verstanden zu haben, der sicher weder rechtlich fundiert war noch im Interesse der Kirche sein konnte. Zum Problem wurde also, dass der Terminus „politische Bedenken“ noch nicht näher definiert war.682

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„Si Gubernia in cujusvis candidati electione interrogentur de politicis candidati qualitatibus, porta aperiretur largissimo Guberniorum influxui. Totus vero Germaniae clerus populusque vere tristes essent de ejusmodi dependentia a Gubernii cooperatione.“ Bertram an Pacelli vom 19. September 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 63v. Im 4. und 5. Punkt wies Bertram im Namen der Bischöfe auf die „aegerrimae inconvenientiae“ hin, die sich aus der Anordnung Gasparris zur Besetzung der Kanonikate und Dignitäten ergäben. Bertram an Pacelli vom 19. September 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 64r. Das für beide veranschlagte Auditionsrecht der Domherren ging ihnen zu weit. Zum einen hätten die Kapitel bis dato nur in zwei Diözesen (Hildesheim und Osnabrück) Partizipationsrechte gehabt. Zum anderen könne nur der Bischof die so dringend erforderlichen Qualitäten wie Fleiß und Erfahrung bei den Geistlichen angemessen beurteilen. Die Kapitel seien hingegen für Parteilichkeiten anfällig und genügten weniger den sachlichen Anforderungen: „Haec scribo non in dedecus Capitulorum, sed ex nuda et candida relationeum realium conditione, quibus ne optima quidem Capitula se omnino subtrahere valebant.“ Ebd., Fol. 65r. Dass er mit diesem Argument zugunsten der eigenen Vollmachten – wie schon im März – gleichzeitig das ersehnte Privileg der Bischofswahl desavouierte, schien Bertram nicht zu sehen oder zumindest keine Bedeutung beizumessen. Das letzte desiderium betraf die Interimszeit bis zum Abschluss eines neuen Konkordats, in welcher der in den letzten Jahren eingeführte Modus zur Kanonikatsbesetzung beibehalten werden sollte. Vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.1 (Kuriales Taktieren). 196

Exkurs I

Für Bertram, der am Ende der Eingabe seine ganz persönlichen Überzeugungen den Ergebnissen der Bischofskonferenz anfügte, war die Freiheit der Bischofswahl von staatlicher Ingerenz und die bischöfliche Freiheit in der Kanonikerwahl von exponierter Bedeutung. Die anderen Punkte könne er leichter dem Urteil des Heiligen Stuhls überlassen, worunter man also auch das Bischofswahlrecht der Domkapitel subsumieren muss. Offenbar begann der Einsatz des Episkopats für dieses Recht – trotz aller beharrlichen Beteuerung – zu bröckeln, weil die Bischöfe ihren Fokus verstärkt auf das Feld der Kanonikate legen mussten, auf das sich die Domherren zu weit vorgewagt hatten.

Wieder die leidige Fortgeltungsfrage: die Konsistorialallokution Benedikts XV. Der Münchener Nuntius übermittelte die neue Supplik am 12. Oktober dem Kardinalstaatssekretär.683 Ohne sich näher zum Inhalt zu äußern, deutete er lediglich an, dass die Eingabe dem „definitiven“ Charakter der römischen Anordnungen widersprach. Dass Gasparri diese nun modifizieren würde, erwartete Pacelli offensichtlich nicht, denn er drückte die Hoffnung aus, dass ihm „die künftigen Verhandlungen um ein Konkordat mit dem Reich“ die Gelegenheit geben würden, die „in der genannten Weisung [sc. vom 20. Mai, R.H.] festgesetzten Richtlinien anzuwenden“684. Die Hartnäckigkeit der Bischöfe blieb in Rom jedoch nicht ohne Resonanz: Am 20. November erklärte Gasparri, dass er die Bedenken gründlich geprüft habe und zu dem Schluss komme, dass „die Gründe und die Anliegen, die sie [sc. die Bischöfe Preußens und des Oberrheins, R.H.] ausdrücken, in den Konkordatsverhandlungen ohne Zweifel präsent gehalten werden müssen“685. Es blieb allerdings bei dieser unspezifischen Aussage. Im gleichen Schreiben „warnte“ Gasparri Pacelli vor, dass Benedikt XV. im Konsistorium am folgenden Tag „mit allgemeinen Worten“ die Konkordate „angesichts der tiefgreifenden politischen Veränderungen in Europa“686 für hinfällig erklären werde. Welche Verträge er damit im Einzelnen meinte, erläuterte Gasparri zwar nicht, stellte aber fest, dass diese Erklärung „kein Präjudiz für die kirchlichen Angelegenheiten in Deutschland bringt, mit dem Verhandlungen um

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Vgl. Pacelli an Gasparri vom 12. Oktober 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 62rv. Vgl.: „… che le future trattative per un Concordato col Reich mi diano occasione di applicare le direttive fissate nel sullodato Dispaccio …“ Pacelli an Gasparri vom 12. Oktober 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1919–1922, Pos. 1718, Fasz. 898, Fol. 62r. „Le ragioni e desiderata che essi esprimono dovranno senza dubbio tenersi presenti nelle trattative per il Concordato.“ Gasparri an Pacelli vom 20. November 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 99r. Hervorhebung im Original. „… La prevengo … in termini generici … in vista dei profondi mutamenti politici avvenuti nelle Nazioni d’Europa …“ Gasparri an Pacelli vom 20. November 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 99r. 197

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neue Verträge im Gange sind“687. Die Vorwarnung war durchaus angebracht, denn die Konsistorialallokution des Papstes vom 21. November 1921, die übrigens bereits im November 1919 in der AES angedacht und diskutiert worden war,688 sorgte gerade in deutschen Regierungskreisen für einiges Aufsehen.689 Der Pontifex unterschied darin drei Gruppen von Staaten, bei denen die alten Verträge erloschen seien: Erstens Staaten, die gänzlich neu errichtet waren, zweitens Staaten, die einen solch umfassenden Gebietsgewinn zu verbuchen hatten, dass sie als neue staatliche Gebilde zu beurteilen waren, und schließlich solche, die sich durch die Umwälzung so weit verändert hatten, dass sich ihre rechtliche Identität und Staatsform gewandelt habe. Ob Deutschland in die – einzig infrage kommende – dritte Gruppe einzusortieren war, blieb unklar. Vatikanbotschafter Diego von Bergen telegrafierte die Allokution am 22. November an das Auswärtige Amt, während der geistlichen Konsultor der deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl, Johannes Steinmann, beim Substituten der AES, Giuseppe Pizzardo, nachfragte, was die Ansprache für Deutschland bedeute. Pizzardo trug ihm daraufhin die genannte Interpretation Gasparris vor, die Bergen am nächsten Tag wiederum nach Berlin kommunizierte. Am 25. November traf der Botschafter mit Gasparri persönlich zusammen, um diese Frage authentisch zu erörtern, worüber letzterer noch am selben Tag den Nuntius in Kenntnis setzte.690 Laut eigener Darstellung konstatierte Gasparri, dass Deutschland nicht in die Gruppe der neuen Staatsgebilde gehöre, anders als beispielsweise die neu gegründete Tschechoslowakei oder Staaten mit erheblichen Gebietszuwächsen wie Rumänien oder auch Italien. Unter die dritte Gruppe der Staaten, die Umwälzungen solchen Ausmaßes erlitten hatten, dass sie nicht mehr mit dem früheren Staatsgebilde identisch waren, subsumierte Gasparri Österreich und Russland. Zur Frage, ob auch Deutschland in dieser Reihe genannt werden müsse, äußerte er sich zurückhaltend und bemerkte, dass es sich beim genannten „Umwälzungs-Prinzip“ um ein theoretisches und allgemeines handle, dessen praktische Anwendung von Fall zu Fall neu entschieden werden müsse. Daher könnten sich weder diejenigen auf die päpstliche Ansprache berufen, die behaupteten, dass es sich auf Deutschland beziehe, noch diejenigen, die das Gegenteil annähmen: „… die Kontroverse reduziert sich auf die Frage, ob die Veränderungen, die infolge des Krieges in Deutschland erfolgten, die moralische Person ausgewechselt haben, welche die

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Vgl.: „… tale dichiarazione peraltro non reca pregiudizio allo stato delle cose ecclesiastiche in Germania, con la quale sono in corso trattative per nuovi patti.“ Gasparri an Pacelli vom 20. November 1921, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 99r. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.1 (Die Fortgeltung der Verträge und das Wahlrecht der Domkapitel: die Debatte der Kongregation für die Außerordentlichen Kirchlichen Angelegenheiten). Vgl. AAS 13 (1921), S. 521–524. Vgl. zur Allokution Mörsdorf, Besetzungsrecht, S. 74–76; Mussinghoff, Fakultäten, S. 152–155; Samerski, Ostdeutscher Katholizismus, S. 35f. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 25. November 1921 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Stati Ecclesiastici, 1919–1922, Pos. 1470, Fasz. 612, Fol. 40r–41v. 198

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Vereinbarungen abgeschlossen hat. Indes bat ich den Botschafter, nicht zu vergessen, dass faktisch einige die Meinung vertreten, dass jenes Prinzip sich auch auf Deutschland bezieht und dass deshalb nach ihnen der Heilige Stuhl nicht mehr daran gebunden ist, die diözesanen Gebietsumschreibungen zu respektieren, die in den Konkordaten oder Bullen mit Deutschland vereinbart wurden. Die praktische und für Deutschland sehr wichtige Schlussfolgerung muss daher folgende sein: sobald wie möglich die neuen Konkordate abzuschließen, die jede Frage beseitigen …“691

Der Kardinalstaatssekretär beließ die Fortgeltungsfrage für Deutschland in der Schwebe und betonte mit geschicktem Rekurs auf „einige“, die dem Heiligen Stuhl die Freiheit von den alten Verträgen attestierten, die Notwendigkeit neuer Verhandlungen. Wie Gasparri dem Nuntius mitteilte, sei Bergen mit diesem Ergebnis zufrieden gewesen und habe versprochen, bei seiner Regierung auf die Umsetzung der „Schlussfolgerung“ zu dringen.692 Am 16.  Januar 1922 unterrichtete Bergen auch das preußische Staatsministerium über diese Angelegenheit und konstatierte, dass auf theoretischer Ebene keine klare Zusage erreicht werden könne: „Der beste Weg, diese ungeklärte Frage zu lösen, seien neue Vereinbarungen des Hl. Stuhles mit dem Reich und Preußen. Zunächst habe in Rom die Auffassung vorgeherrscht, ‚daß die deutschen Konkordate nicht mehr zu Recht bestünden. Mitgeformt an dieser Ansicht hat eine Äußerung des damaligen Ministerpräsidenten Hofmann [sic, R.H.] gegenüber dem Nuntius Pacelli, wonach bei einer Konferenz im Reichsministerium des Innern im Oktober 1919 festgestellt worden sei, daß die Konkordate zwar in Kraft bleiben, aber nur insoweit ihre Bestimmungen nicht in Widerspruch zur Reichsverfassung stünden. Die hierdurch zum Ausdruck gebrachte einseitige Außerkraftsetzung einzelner Vertragsbestimmungen wurde von der Kurie als ein ihr in gleicher Weise zustehendes Recht in Anspruch genommen und schließlich – nach verschiedenen angeblichen Vertragsverletzungen Bayerns – auf dem Wege extensiven (sic) Interpretation auf alle mit deutschen Staaten getroffenen Vereinbarungen ausgedehnt. Es hat viel Mühe gekostet, diese Auffassung zu erschüttern.‘“693 691

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„… la controversia si riduce a questo, cioè se le mutazioni sopravvenute in seguito alla guerra in Germania, abbiano cambiato la persona morale, che stipulò le convenzioni. Però io pregavo l’Ambasciatore di non dimenticare che di fatto alcuni sostengono che quel principio si applica anche alla Germania, e che perciò secondo essi la Santa Sede non è più tenuta a rispettare le circoscrizioni territoriali diocesane fissate nei Concordati o Bolle concordate con la Germania. La conclusione pratica e molto importante per la Germania deve esser dunque questa: concludere quanto prima i nuovi Concordati che eliminino ogni questione …“ Gasparri an Pacelli vom 25. November 1921 (Entwurf), S.RR.SS.  AA.EE.SS., Stati Ecclesiastici, 1919–1922, Pos. 1470, Fasz. 612, Fol. 41r-v. Hervorhebung im Original. Die gleiche Erklärung gab Gasparri dem bayerischen Gesandten, Otto Freiherr Ritter zu Groenesteyn, der damit ebenfalls zufrieden gewesen sei. Vgl. dazu auch das vom bayerischen Außenministerium erstellte Memorandum – Pacelli notierte den 29. November 1921 als Datum –, das versicherte, Gasparri habe die Geltung der päpstlichen Ansprache für Bayern und dem Deutschen Reich ausdrücklich ausgeschlossen, ASV, ANM 399, Fasz. 2, Fol. 11rv. Bergen an das preußische Staatsministerium vom 16. Januar 1922, zitiert nach Mussinghoff, Fakultäten, S. 154f. 199

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Mit dem Hinweis, dass man in Rom zunächst die Ungültigkeit der alten Vereinbarungen angenommen habe, hatte Bergen haargenau die Position wiedergegeben, die Gasparri nicht nur Ende 1919 im Kontext der Kölner causa,694 sondern noch im Mai 1921 gegenüber Pacelli vertreten hatte. Wie letztgenanntes Schreiben belegt, war Gasparri von dieser Meinung noch immer nicht abgerückt. Allerdings formulierte er seine Position jetzt vorsichtiger und wollte dem Nuntius – wie er ihm am 20. November versichert hatte – für die deutschen Konkordatsverhandlungen keine Hindernisse in den Weg legen. Der 1919 nachdrücklich von Pacelli vorgebrachte Widerspruch gegen Gasparris Intention, die alten Zirkumskriptionsbullen für ungültig zu erklären, dazu die beharrliche Behauptung der preußischen Bischöfe, die Verträge gälten nach wie vor, und schließlich Bergens „Erschütterungsversuche“ schienen insofern gefruchtet zu haben, dass der Kardinalstaatssekretär nach außen keine klare Aussage zur theoretischen Fortgeltungsfrage mehr machte. Wenn er mit Bergen abschließend darin übereinkam, „von weiteren theoretischen Erörterungen abzusehen und in praxi so vorzugehen, als ob die Abmachungen noch bestünden“695, dann war das die Haltung, die Pacelli seit 1919 angeraten hatte.

Ein Aufflackern der Verhandlungsbereitschaft des Reichs und der preußischeWiderstand Seit Herbst 1921 hatte Reichskanzler Joseph Wirth die Frage nach einem Reichskonkordat vorangebracht696 und den Nuntius im Zuge seines Berlinaufenthalts am 14. November gebeten, „diejenigen Punkte mitteilen zu wollen, auf welche die Kurie bei Abschluss eines Reichskonkordats besonderen Wert legt“697. Wirth wollte diese anschließend mit den Ministerpräsidenten der einzelnen Länder besprechen. Pacelli ließ sich dies nicht zweimal sagen und übersandte dem Kanzler bereits am nächsten Tag eine Zusammenstellung von Bestimmungen, „welche unter Vorbehalt möglicherAbänderungen und Ergänzungen die Wünsche des Heiligen Stuhles für die in Aus-

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Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.1 (Die Order des Kardinalstaatssekretärs für die Bischofseinsetzungen in Deutschland und konkret in Köln). Bergen an das Preußische Staatsministerium vom 16. Januar 1922, zitiert nach Mussinghoff, Fakultäten, S. 155. Vgl. dazu Küppers, Weimarer Staat. Küppers weist hinsichtlich Wirths Motivation zugunsten eines Reichskonkordats auf den Zusammenhang mit seiner Ostpolitik hin und stellt daher im selben Zuge fest, dass „für Wirth beim Thema Kirchenvertrag allein Gründe der Staatsraison maßgebend waren und nicht irgendein Hang eines katholischen Politikers zur Kirchenfreundlichkeit“. Ebd., S. 116. Wirth an Pacelli vom 14. November 1921, ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 182r. Dieses Vorhaben hatte der Kanzler dem Nuntius bereits bei einer Unterredung am 11. November angekündigt. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 16. November 1921 (Entwurf), ebd., Fol. 220–224r. Vgl. auch Deuerlein, Reichskonkordat, S. 29. 200

Exkurs I

sicht genommenen Konkordatsverhandlungen darstellen“698. Diese 20 Nummern enthaltene Entwurfsfassung  –  in der Forschung „Pacelli-Punktation II“ genannt  –  umfasste sieben gedruckte Seiten.699 Die Forderung zur Besetzung der Bischofsstühle beziehungsweise sämtlicher Kirchenämter firmierte im Gegensatz zur ersten Punktation jetzt unter der Nummer III, war aber inhaltlich identisch: „Die Kirche hat das volle und freie Besetzungsrecht für alle Kirchenämter und Benefizien ohne Mitwirkung des Staates oder der Gemeinden.“700 Es war nach wie vor die Maximalforderung, von der die Verhandlungen ausgehen sollten, ohne staatliche Beteiligung und ohne den Besetzungsmodus zu spezifizieren, obwohl Gasparri den Rahmen für Konzessionen in beiden Bereichen bereits festgelegt hatte. Dass nicht alle Ansprüche umsetzbar waren, wusste Pacelli genau.701 Doch für Abstriche von dieser Idealfassung erwartete er die oben bereits skizzierten Gegenleistungen, was er gegenüber dem Reichskanzler bereits andeutete, als er versprach, dass im Fortgang der Verhandlungen genug Gelegenheit sein werde, um „etwaige Abänderungs- und Ergänzungsvorschläge der Reichsregierung im Geiste der Verständigung in ernste und wohlwollende Erwägung zu ziehen“702. An Pacellis Grundauffassung, zunächst das Bayernkonkordat abzuschließen, hatte sich nichts geändert, doch sei es ihm – wie er am 16. des Monats Gasparri bekannte – „unmöglich“703 erschienen, Wirths Bitte abzuschlagen. Dennoch beurteilte Pacelli die Aussichten für ein Reichskonkordat nach wie vor skeptisch, nämlich „aufgrund des lebhaften Widerstands“ der deutschen Teilstaaten, „vor allem in Preußen, das … generell gegen den Einbezug der Schulfrage in

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Pacelli an Wirth vom 15. November 1921 (Abschrift), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 187r; abgedruckt bei Morsey, Vorgeschichte, S. 253. Vgl. „Pacelli-Punktation II“ ohne Datum [15. November 1921], ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 193r–199r (nur r); abgedruckt bei Morsey, Vorgeschichte, S.  254–260 und Kupper (Bearb.), Akten, S.  441–447 (Anhang Nr.  6). Dieser Entwurf basierte auf der I. Punktation vom März des Jahres, die Pacelli anschließend mit Kaas und Bertram weiterentwickelte. Am 12. November diskutierte er sie schließlich auf Anraten Wirths und im Beisein Kaas’ mit den katholischen Abgeordneten Peter Spahn, Felix Porsch und Wilhelm Marx. Die dabei entwickelte endgültige Version übersandte er Wirth am 15. November. Vgl. zur Genese der Punktation die Schilderungen des Nuntius in seinen Berichten an Gasparri vom 16. November 1921, ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 221v–222r und vom 12. Januar 1922, AA.EE.SS., Germania, 1920–1921, Pos. 1728, Fasz. 906, Fol. 40r–42r, hier 40r-v. Vgl. zur Punktation auch Küppers, Weimarer Staat, S. 117f.; Samerski, Delbrueck, S. 346–348. „Pacelli-Punktation II“ ohne Datum [15. November 1921], ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 193r–194r. Vgl.: „È chiaro che non tutto quanto in essi è richiesto potra essere ottenuto; ma era pure necessario che le prime proposte contenessero una precisa affermazione dei giusti desideri della S.  Sede.“ Pacelli an Gasparri vom 12. Januar 1922, AA.EE.SS., Germania, 1920–1921, Pos. 1728, Fasz. 906, Fol. 40r–42r, hier 40v–41r. Pacelli an Wirth vom 15. November 1921 (Abschrift), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 187r. Vgl.: „… mi sembrò nondimeno, tutto ben considerato, impossibile di respingere simile richiesta …“ Pacelli an Gasparri vom 16. November 1921 (Entwurf), ANB 90, Fasz. 1, Fol. 221v. 201

Exkurs I

das Konkordat ist“704. Wie er Gasparri versicherte, habe er die Gelegenheit in Berlin genutzt, den Staatsvertretern mit aller Deutlichkeit zu verstehen zu geben, dass „der Heilige Stuhl, falls dieser Punkt ausgeschlossen bleibt, kein Interesse mehr … am Abschluss des Konkordats hat“705. Zur Besprechung seines Konkordatsentwurfs reiste Pacelli am 1. Dezember 1921 erneut in die Reichshauptstadt. Dass die Vertreter der Reichsregierung Modifikationen und Ergänzungen zu dem Papier wünschten, überraschte ihn nicht. Wieder versicherte er, dass der Heilige Stuhl Änderungswünsche der Reichsregierung wohlwollend erwägen werde, wie er in seinem Reisebericht am 3.  Dezember für Gasparri rekapitulierte.706 An der Position der Regierung werde derzeit im Außenministerium gearbeitet.707 Während Pacelli so der Reichsregierung den aufrechten Wunsch an Verhandlungen attestierte, identifizierte er die größten Schwierigkeiten für den Abschluss eines Reichskonkordats erneut in der Blockadehaltung der preußischen Regierung. Der Forderungskatalog des Nuntius „verstimmte Preußen augenblicklich“708, zum einen, weil die preußischen Instanzen im Kontakt zwischen Pacelli und Wirth übergangen worden waren, zum anderen, weil  –  wie das Kultusministerium am 5.  Dezember bemerkte  –  „[d]ie Einbeziehung der Schulfragen in das Konkordat … grundsätzlich unannehmbar“709 sei. Und obgleich die Reichsregierung dem Nuntius versprach, Druck auf Preußen auszuüben, beurteilte Pacelli die Aussichten alles andere als zuversichtlich: „Wenn Preußen sich auf seinen Widerstand versteift, können die weiteren Verhandlungen schwierig werden …“710 In diesem Augenblick wurde das Bistum Trier vakant.

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„… viva opposizione … sopratutto nella Prussia, la quale … è in principio contraria ad includere la questione scolastica nel Concordato.“ Pacelli an Gasparri vom 16. November 1921 (Entwurf), ANB 90, Fasz. 1, Fol. 222v. „… qualora questo punto rimanesse escluso, la S. Sede non avrebbe più … alcun interesse alla stipulazione del Concordato medesimo …“ Pacelli an Gasparri vom 16. November 1921 (Entwurf), ANB 90, Fasz. 1, Fol. 222v. Der Nuntius erörterte außerdem breit die Problematik, die sich aus dem – von ihm präferierten – gesonderten Konkordatsabschluss mit Bayern für das Projekt eines Reichskonkordats ergab. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 3. Dezember 1921, AA.EE.SS., Germania, 1920–1921, Pos. 1728, Fasz. 906, Fol. 28r–29r. Gasparri bestätigte die Ankunft des Berichts im Staatssekretariat mit einem Schreiben knapp eine Woche später. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 11. Dezember 1921, ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 293r. Vgl. dazu Bd. 1, Exkurs II. Samerski, Delbrueck, S. 347. Gutachten des preußischen Kultusministeriums vom 5. Dezember 1921, zitiert nach Volk, Reichskonkordat, S. 13. „Se la Prussia si ostinerà nella sua opposizione, le trattative difficilmente potranno essere proseguite …“ Pacelli an Gasparri vom 3. Dezember 1921, AA.EE.SS., Germania, 1920–1921, Pos. 1728, Fasz. 906, Fol. 28v. 202

II.1.3 Trier 1921/22

II.1.3 ‚Tausche Wahlrecht gegen Schulfrageʻ: Trier 1921/​22 (Franz Rudolf Bornewasser)711 Der Tod Bischof Korums und erste Absprachen über die Nachfolgeregelung Am 4. Dezember 1921 starb über 80-jährig712 der Trierer Bischof, Michael Felix Korum. Damit ging eine 40-jährige Ära zu Ende.713 Der Trierer Dompropst Karl Mause informierte Pacelli am gleichen Tag über den Tod des Oberhirten.714 Der Nuntius gab die Trauernachricht am darauffolgenden 5. Dezember an Gasparri weiter und bezeugte wieder einen Tag später in einem Kondolenzschreiben an Mause dem Domkapitel und der gesamten Diözese seine Anteilnahme.715 Die feierlichen Exequien fanden am 9. Dezember statt im Beisein des Kölner Erzbischofs Schulte – mittlerweile Kardinal –, des preußischen Kultusministers, Otto Boelitz, und des Staatssekretärs im Reichsinnenministerium, Philipp Brugger. Das so ermöglichte Zusammentreffen des Kölner Erzbischofs mit den Vertretern des Trierer Domkapitels, nämlich Dompropst Mause, Generalvikar Franz Tilmann, den das Kapitel schon am 5. Dezember zum Kapitularvikar gewählt hatte,716 und Domde711

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Vgl. zur Besetzung des bischöflichen Stuhls von Trier 1921/​22 Fochs, Bares, S. 41–43; Gatz, Ringen, S. 122–128; Golombek, Vorgeschichte, S. 2; Heyen, Franz Rudolf Bornewasser, S. 172f.; May, Kaas 3, S. 459–464; Persch, Franz Rudolf Bornewasser, S. 50; Selbach, Katholische Kirche, S. 312–323; Speckner, Wächter, S. 200; Thomas, Kirche, bes. S. 38–47; Volk, Reichskonkordat, S. 16–19; Zenz, Geschichte der Stadt Trier 2, S. 285f. Im Oktober 1920 hatte Pacelli Kardinalstaatssekretär Gasparri auf den am 2. November bevorstehenden 80. Geburtstag Korums aufmerksam gemacht und  –  wie üblich  –  zu diesem Anlass ein Glückwunschschreiben des Papstes vorgeschlagen. Vgl. die beiden Schreiben Pacellis vom 12. Oktober an Gasparri, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 3r und ASV, Segr. Stato, Anno 1920, Rubr. 255, Fasz. 3, Fol. 72r. Gasparri antwortete am 26. Oktober und berichtete dem Nuntius, dass Benedikt XV. manu propria ein Anerkennungsschreiben verfasst habe. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 26. Oktober 1920, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 6r. Korum war 1881 von Papst Leo XIII. zum Bischof von Trier ernannt worden, nachdem das Domkapitel auf Bitten des Pontifex auf sein Wahlrecht verzichtet hatte. Vgl. zur Besetzung des Trierer Bischofsstuhls 1881 Embach, Michael Felix Korum (1996), S. 147–149; Hirschfeld, Bischofswahlen, S. 191–193. Vgl. Mause an Pacelli vom 4. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 14r. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 5. Dezember 1921 (Entwurf), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 13r; Pacelli an Mause vom 6. Dezember 1921 (Entwurf), ebd., Fol. 15r. Pacelli wurde davon am gleichen Tage von Tilmann selbst unterrichtet. Vgl. ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 18r. Fünf Tage darauf bestätigte er dem Kapitularvikar den Erhalt seiner Anzeige und wünschte ihm die zum Amt nötige Gnade. Vgl. Pacelli an Tilmann vom 10. Dezember 1921 (Entwurf), ebd., Fol. 19r. Da am 17. Dezember in Trier Ordinationen stattfinden sollten, erbat Tilmann darüber hinaus vom Heiligen 203

II.1.3 Trier 1921/22

kan August Viktor Müller, führte zu Gesprächen über die Nachfolge des verstorbenen Bischofs. Nach Alois Thomas wurden insbesondere zwei Konvergenzpunkte erreicht: „1. die Vollmacht zur Wahl des neuen Bischofs durch das Trierer Domkapitel sei von Rom zu erbitten, 2. in jedem Falle müsse der Nachfolger Korums unverzüglich berufen werden.“717 Im Anschluss an die innerkirchliche Absprache beriet sich Schulte mit dem preußischen Kultusminister, der ein Entgegenkommen der Regierung versprach, sofern der neue Bischof durch eine Wahl gemäß der Norm der Bulle De salute animarum berufen werde.718 Dadurch konnte die Regierung natürlich die prinzipielle Fortgeltung der alten Rechtsordnung und damit ihrer Einflussrechte demonstrieren, ohne dass es darüber zu einem offenen Konflikt mit der kirchlichen Seite kam. Eine solche Zusicherung machte die preußische Regierung bereits bei der vorangegangenen Besetzung des Paderborner Bischofsstuhls 1920.

Der Kandidat von Ludwig Kaas: Nikolaus Bares Genau wie in Paderborn war es wieder Schulte, der die Initiative ergriff und sich in die Nachfolgeregelung einmischte. Er war aber nicht der einzige. Unter den Trierer Geistlichen befand sich nämlich der im Frühjahr 1920 zum Pacelli-Berater in Angelegenheiten des Konkordats- und des deutschen Partikularkirchenrechts ernannte Prälat Ludwig Kaas.719 In den folgenden Jahren entwickelte sich zwischen den beiden Kanonisten, die ihre philosophisch-theologischen Studien an römischen Lehranstalten betrieben hatten, ein enges Vertrauensverhältnis, zumal Kaasʼ Fähigkeiten und weitreichenden Kontakte ihn für Pacelli zu einem unentbehrlichen Gehilfen

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Stuhl die Vollmacht zur Erteilung des Weihesakraments an diesem Termin für den Trierer Weihbischof Antonius Mönch. Gleichzeitig wünschte er für die Zeit der Sedisvakanz eine generelle Bevollmächtigung des Weihbischofs zur Erteilung der Weihen, auch unter Absehung der dafür vorgesehenen Fristen, sowie zur Dispens von Weihehindernissen. Vgl. Tilmann an Pacelli vom 10. Dezember 1921, ebd., Fol. 20r. Der Nuntius reichte die erste Supplik am Folgetag an Gasparri weiter und wurde – wie auf Pacellis Brief notiert wurde  –  am 19. des Monats gewährt. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 11. Dezember 1921, ASV, Segr. Stato, Anno 1921, Rubr. 255, Fasz. 6, Fol. 170r. Die zweite Bitte sollte Tilmann in einem eigenen Schreiben formulieren und direkt an die Kurie senden. Vgl. Pacelli an Tilmann vom 11. Dezember 1921 (Entwurf), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 22r. Thomas, Kirche, S. 39. Vgl. Thomas, Kirche, S. 39. Pacelli hatte am 25. Januar des Jahres bei Bertram nach einem kanonistischen Sachverständigen angefragt, der ihm bei den verwickelten staatskirchlichen Verhältnissen in Deutschland zur Seite stehen sollte. Nach Rücksprache mit dem Paderborner Bischof Schulte und dem Kölner Kapitelsvikar Joseph Vogt schlug Bertram Kaas vor. Dieser stimmte der Anfrage am 11. März 1920 zu. Vgl. May, Kaas 1, S. 192f.; Volk, Reichskonkordat, S. 37f. 204

II.1.3 Trier 1921/22

machten.720 An der Lagesondierung durch Schulte und die Vertreter des Trierer Domkapitels am 9. Dezember war Kaas offensichtlich auch beteiligt gewesen, der als Kanonist am Trierer Priesterseminar an der Wiederbesetzung natürlich besonders interessiert war. Dieser schrieb am gleichen Tag an den Nuntius, um den Verlauf der Angelegenheit in die von ihm präferierten Bahnen zu lenken.721 Er bereitete den Vertreter des Heiligen Stuhls beim Deutschen Reich darauf vor, von Schulte ein Ansuchen um die Gewährung des Bischofswahlrechts für das Domkapitel pro hac vice zu bekommen. Kaas stimmte dem Ansinnen des Kölner Kardinals und der Domherren zwar im Prinzip zu, bezweifelte „jedoch sehr stark, ob eine dem Kapitel vollständig frei überlassene Wahl zum Segen der Trierer Kirche gereichen wird“722. Er befürchtete, dass ein bestimmter Kandidat gewählt werde, der im immer noch nicht endgültig überwundenen Gewerkschaftsstreit zwischen der „christlichen“ (Mönchengladbacher) und der „integralen“ (Berliner) Richtung „in vorderster Linie der ersteren stand“723 und damit unnötige Streitigkeiten heraufbeschwören werde.724 Des Weiteren erschien ihm „bei einem Erfolg der betreffenden Kandidatur die von Bischof Korum in vorbildlicher Weise und Grundsatztreue geschaffene Eigenart des Trierer Priesterseminars und des hiesigen philosophischen-theologischen Lehrgangs gefährdet“725. Bisher sei bewusst die scholastische Ausbildung gepflegt und durch die Anstellung von in Rom ausgebildeten Professoren unterstützt worden. Das werde, sofern das Kapitel frei wählen dürfe, ein Ende haben. Im Domkapitel schien sich also bereits die Präferenz für einen bestimmten Kandidaten abzuzeichnen, den Kaas allerdings nicht namentlich nannte. Höchstwahrscheinlich meinte er damit Tilmann, der laut Emil Zenz von den Gegnern der integralen Partei im Domkapitel unterstützt 720

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„Als Mitglied des preußischen Staatsrats, als außenpolitischer Sprecher der Zentrumsfraktion im Reichstag, als Berater des Auswärtigen Amtes und seit 1928 auch als Vorsitzender der Deutschen Zentrumspartei konnte sich der Nuntius keinen besseren Berater mit so weitreichenden Verbindungen zu den Regierungen und Parteien wünschen als diesen der Kirche treu ergebenen Prälaten.“ Mussinghoff, Fakultäten, S. 159. Vgl. zum Verhältnis von Kaas und Pacelli May, Kaas 1, S. 165–224, bes. 197–201; Volk, Reichskonkordat, S. 37–42. Vgl. Kaas an Pacelli vom 9. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 24rv. Kaas an Pacelli vom 9. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 24r. Kaas an Pacelli vom 9. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 24r. Während Korum ein strenger Verfechter der Berliner Richtung gewesen war, stand Kaas auf Seiten der gemischtkonfessionellen Gewerkschaften, versuchte aber auch zwischen beiden Lagern zu vermitteln. Diese „Spaltung“ durchzog letztlich den gesamten Trierer Klerus, sodass bereits 1916 befürchtet wurde, eine künftige Bischofswahl werde „von diesem Streit überschattet“ sein. May, Kaas 1, S. 243. Vgl. zur Haltung Kaas’ im Gewerkschaftsstreit ebd., S. 146, 150, 240f. Vgl. zur Rolle Korums Embach, Michael Felix Korum (1996), S. 161–164. Vgl. zum Streit um die Gewerkschaften allgemein Bd. 1, Kap II.1.1 Anm. 404. Kaas an Pacelli vom 9. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 24r. Vgl. zu Korums Plädoyer für das tridentinische Seminar, das einzig eine angemessene Ausbildung des Klerikernachwuchses bieten könne, Embach, Michael Felix Korum (1996), S. 154–156. 205

II.1.3 Trier 1921/22

wurde726 und die „christliche“ Richtung vertrat.727 Aus Gewissensgründen beschwor Kaas den Nuntius, dass das Trierer Seminar seine scholastische Prägung nicht verlieren dürfe, diese vielmehr in Anlehnung an die neue Instruktion der Studienkongregation ausgebaut werden müsse. Der Zentrumsprälat bezog sich hier auf den erst wenige Wochen zuvor, am 9. Oktober 1921, ergangenen Geheimerlass an den deutschen Episkopat über die Universitätstheologie.728 Diese, von Pacelli selbst vorbereitete Instruktion, regte Reformen zugunsten der lateinischen Unterrichtssprache, der wissenschaftlichen Disputationen, einer an Thomas von Aquin orientierten spekulativen und scholastischen Philosophie und Theologie sowie einer sechsjährigen Studiendauer an. Dies sollte nach Kaasʼ Auffassung die Richtschnur für den neuen Oberhirten werden: „Dazu brauchen wir einen wissenschaftlich durchgebildeten, von tiefster Hochschätzung der Scholastik durchdrungenen Bischof.“729 Den meinte Kaas im Seminarregens und Domkapitular Nikolaus Bares auszumachen. Sollte der Heilige Stuhl ihn unterstützen, so optiere er für einen „würdigen und leistungsfähigen Bischof “, der auch vom Kirchenvolk favorisiert werde. In den Auseinandersetzungen um katholische oder interkonfessionelle Gewerkschaften stehe er der integralen Richtung nahe, habe sich aber immer zurückgehalten, sodass er niemals in konkrete diesbezügliche Streitigkeiten involviert gewesen sei.730 Der Nuntius bedankte sich am 12. Dezember für die Ausführungen des Prälaten und stellte eine mündliche Besprechung der Angelegenheit, die Kaas vorgeschlagen hatte, in Aussicht.731

Das Trierer Junktim von Wahlrecht und französischer Politik Nachdem Kaas auf diese Weise versucht hatte, Pacelli für seinen Kandidaten mit Argumenten zu ködern, die der Nuntius als Vertreter des Papstes schon qua Amt befürworten musste, erhielt dieser die bereits angekündigte Supplik von Kardinal Schulte, die auf den 12. Dezember datierte.732 Der Kölner Erzbischof stellte seine Beteiligung so dar, dass er von den „Spitzen des 726 727 728

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Vgl. Zenz, Geschichte der Stadt Trier 2, S. 285. Vgl. Thomas, Tilmann. Vgl. Bisleti an den deutschen Episkopat vom 9. Oktober 1921, ASV, ANB 67, Fasz. 5, Fol. 3r–10v. Vgl. dazu Unterburger, Lehramt, S. 266–291. Kaas an Pacelli vom 9. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 24v. Kaas ergänzte, dass Bares’ Nähe zur integralen Richtung „vielleicht nicht immer ein Fehler war“. Kaas an Pacelli vom 9. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 24v. Nicht zuletzt wegen dieser Ausrichtung hatte ihn Korum, der dem Regens vertraute, 1920 in das Domkapitel berufen. Vgl. May, Kaas 1, S. 258. Vgl. Pacelli an Kaas vom 12. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 29r. Vgl. Schulte an Pacelli vom 12. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 25r–27v. 206

II.1.3 Trier 1921/22

Trierer Domkapitels“733 wiederholt gebeten worden sei, über den Nuntius die Erlaubnis der Bischofswahl mit möglichster Beschleunigung zu erwirken. Für Schulte und das Kapitel waren die Angst vor der Annexion des gesamten Rheinlands durch Frankreich, das große Teile dieses Gebiets besetzt hatte, sowie die separatistischen Bestrebungen im Saargebiet ausschlaggebend für eine baldige Wiederbesetzung des vakanten Bistums,734 da „der Schutz, den die feste, ruhige, 733 734

Schulte an Pacelli vom 12. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 25r. Das Rheinland war von 1918 bis 1930 von den alliierten Truppen, ab 1920 vornehmlich von den Franzosen besetzt. Trier war französische Garnisionsstadt. Vgl. zur alliierten Rheinlandbesetzung und den separatistischen Bestrebungen Breuer/​Cepl-Kaufmann (Hg.), Deutscher Rhein; Köhler, Novemberrevolution, S. 189–269; Ders., Besatzungspolitik; Reimer, Rheinlandfrage; Selbach, Katholische Kirche; Süss, Rheinhessen; Zenz, Geschichte der Stadt Trier 2, S. 126–168. Circa zwei Drittel des Saargebiets hinwiederum, das seit Anfang 1920 einer vom Völkerbund eingesetzten Regierungskommission unterstand, gehörten der Trierer Diözese an, das letzte Drittel der Diözese Speyer. Frankreich plante, das Saargebiet von den deutschen Sprengeln abzutrennen und entweder dem Bistum Metz einzugliedern oder in einem Apostolischen Vikariat beziehungsweise eigenständigem Saarbistum zusammenzufassen. Vgl. zur Saarfrage und den französischen Interessen Hüser, Saarkatholiken; Selbach, Katholische Kirche, S. 324–410; Zenner, Parteien. Die Sorgen der deutschen Stellen, die Franzosen würden versuchen, sich in die Besetzung des Trierer Bischofsstuhls einzumischen, waren alles andere als unbegründet. Laut Hans-Ludwig Selbach vermutete man vor dem Tod Korums auf französischer Seite, dass eventuell Ludwig Kaas als Koadjutor eingesetzt werden könnte: „Aus der Sicht Frankreichs müsse dies nach Möglichkeit verhindert werden, da Kaas als pangermanistisch angesehen werde und die rheinische Unabhängigkeit ablehne.“ Selbach, Katholische Kirche, S. 313. Auch in Rom brachte Frankreich „den eigenen Standpunkt“ vor. Ebd., S. 316. Vgl. dazu auch Reimer, Rheinlandfrage, S. 194–198. Wie sehr man in deutschen Regierungskreisen diese Einmischung beim Heiligen Stuhl fürchtete, kann man an einer Aussage des Vatikangesandten Bergen ablesen: „Maßgebend für mich war die Erkenntnis, daß die Französische Regierung sich diese Gelegenheit [sc. die Trierer Neubesetzung, R.H.] nicht für verschiedenartige Einmischungsversuche – und zwar in zunehmender Stärke und wachsendem Umfang – entgehen lassen würde. Tatsächlich hat der französische Botschafter [sc. Charles Jonnart, 1921–1923 französischer Gesandter beim Heiligen Stuhl, R.H.] – der mit allen Kräften und auch mit allen Mitteln hier gegen uns arbeitet – mit steigendem Nachdruck – in geschickter Weise verschiedene Fragen in die These zusammengefaßt, nämlich: da die mit den deutschen Staat s[einer] Z[eit] abgeschlossenen Konkordate nicht mehr zu Recht bestünden, so wäre Seine Heiligkeit bezüglich Triers nicht mehr in Seinem freien Ernennungsrecht beschränkt und die Französische Regierung müsse bei den augenblicklichen besonderen Verhältnissen ein besonderes Interesse an der Person des neuen Bischofs haben; der Botschafter ging bereits so weit zu sagen: daß Persönlichkeiten wie Professor Kaas natürlich nicht genehm sein könnten. – Herrn Jonnart wurde darauf bedeutet, daß die Konkordate noch bestünden und daß die Wahl dem Domkapitel zustünde.“ Bergen an Schulte vom 3. Januar 1922, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 398–401 (Nr. 189), hier 399. Letztlich blieben jedoch alle französischen Bestrebungen in Rom wirkunglos. So versuchte zum Beispiel im Frühjahr 1922 Emile Wetterlé, Abgeordneter der Provinz Elsass und Präsident der Unterkommission für das Saarland, beim Pariser Nuntius, Bonaventura Cerretti, im Sinne der französischen Interessen zu intervenieren. Seine Eingabe leitete der Nuntius am 1. März an Gasparri weiter. Als Kandidaten kamen für den französischen Abgeordneten sowohl Nikolaus Bares als auch der Koblenzer Pfarrer Joseph Marx infrage (Kaas sei „Imperialist“ und daher untragbar), da beide in ihren politischen Ansich207

II.1.3 Trier 1921/22

treudeutsche Haltung des verstorbenen Bischofs gewährte“735, schmerzlich vermisst werde. Wie sich Schulte während der Paderborner Vakanz auf die Kölner causa berufen hatte, berief er sich nun im Namen des Kapitels auf die Besetzungsfälle von Köln und Paderborn, um seine Hoffnung auf eine Bischofswahl gemäß der Zirkumskriptionsbulle zu begründen. Wenn die Wahlhandlung bald stattfinde, seien „üble politische Einflüsse“736 nicht zu erwarten. Anders als Kaas sah es Schulte überdies als erwiesen an, dass das Kapitel „nur einen Kandidaten wählen wird, an dessen charakterfester und romtreuer Gesinnung nicht der mindeste Zweifel gehegt werden kann“737. Würde jedoch das Wahlrecht verweigert, bestehe die Gefahr, dass sich die öffentliche Meinung der Katholiken gegen den Heiligen Stuhl wende. Man glaube dann, die Kurie wolle einen Bischof im Einvernehmen mit Frankreich ernennen: „Die politische Neutralität des heiligen Stuhles würde in Deutschland wiederum in so bedauerlicher Weise, wie es leider immer noch da und dort geschieht, angezweifelt werden.“738 Nicht zu vernachlässigen seien auch die daraus resultierenden Schwierigkeiten in der Seelsorge. Schon jetzt herrsche im Saargebiet ein argwöhnisches Misstrauen gegen die Geistlichkeit, da die französische Propaganda die bevorstehende Errichtung einer kirchlichen Administratur im Saargebiet kolportiere. Deshalb würde jedweder Bischof, ganz gleich welcher, der nicht vom Kapitel gewählt wäre, mit zahlreichen Widerständen zu kämpfen haben:

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ten moderat seien. Sollte einer der Genannten zum Nachfolger Korums ernannt werden, sei Frankreich bereit, auf die Forderung der Ernennung eines Apostolischen Delegaten für das Saarland zu verzichten. Der Papst könne einen der beiden frei nominieren. Ein solcher Akt würde übrigens die preußische Regierung zu Konkordatsverhandlungen antreiben und sei daher ganz im Sinne des Heiligen Stuhls. Vgl. Cerretti an Gasparri vom 1. März 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 30rv. Der Kardinalstaatssekretär äußerte sich einige Tage später zu dieser Offerte. Er empfahl Cerretti, auf eine Antwort an Wetterlé zu verzichten und bei einer nochmaligen Nachfrage anzugeben, nichts über den Stand der Trierer Besetzung zu wissen. Vgl. Gasparri an Cerretti vom 7. März 1922 (Entwurf), ebd., Fol. 31r. Die französischen Versuche, Einfluss auf die Besetzung des Trierer Bischofsstuhls zu erlangen, spielten in der Korrespondenz zwischen Münchener Nuntiatur und Staatssekretariat keinerlei Rolle. Zwar führte Pacelli über den Trierer Fall durchaus Gespräche mit dem französischen Gesandten in München, Émile Dard, gab davon aber nichts an seinen Vorgesetzten weiter. Genauso wenig wurde er von diesem über die Offerten wie die Wetterlés in Kenntnis gesetzt. Allein daraus wird schon ersichtlich, dass der Heilige Stuhl französische Ansprüche nicht anerkannte. Schulte an Pacelli vom 12. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 25v. Vgl. zur angesprochenen „treudeutschen“ Haltung Korums, in der er sich nach der französischen Besetzung Triers gegen die separatistischen Absichten wandte, Embach, Michael Felix Korum (1996), S. 165; Thomas, Kirche, S. 38. Schulte an Pacelli vom 12. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 25v. Schulte an Pacelli vom 12. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 26r. Schulte an Pacelli vom 12. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 26r. 208

II.1.3 Trier 1921/22

„Jede, auch die geringste gesellschaftliche Rücksichtnahme auf die französischen Behörden, die dem allbeliebten Bischof Korum nicht verübelt wurde, würde dem neuen Bischof übel ausgelegt werden. Auch bei der Reichsregierung und bei der Preußischen Staatsregierung in Berlin, wo man allzu gern geneigt ist, den katholischen Rheinländern bezüglich ihrer vaterländischen Zuverlässigkeit zu misstrauen, würde er Schwierigkeiten finden.“739

Daher sei es auch im Interesse des Heiligen Stuhls, das Wahlrecht gemäß De salute animarum zu konzedieren, zumal die preußische Regierung die Kandidatenliste unbeanstandet zurückreichen werde. Er sei – wie Schulte dem Nuntius abschließend mitteilte – in den Trierer Gesprächen aber auch zu dem Schluss gekommen, dass das Kapitel etwaigen Kandidatenwünschen des Heiligen Stuhls folgen werde. Damit deutete er die Möglichkeit einer Scheinwahl an, wie sie bereits bei seiner Erhebung auf den Kölner Erzbischofsstuhl stattgefunden hatte.

Pacellis Junktim von Wahlrecht und Konkordatsverhandlungen sowie die Bittschrift des Trierer Domkapitels Die Direktive der politischen Neutralität des Heiligen Stuhls740 und die Furcht vor dem Unmut der Staatsregierung, mit der der Nuntius in Verhandlungen stand und von der er weitgehende Zugeständnisse in einem abzuschließenden Konkordat erhoffte, waren durchaus geeignet, den Nuntius ebenso zu beeindrucken wie die ultramontan konnotierten Hinweise Kaas’. Für welche Seite entschied er sich? Pacelli erörterte die Situation mit dem Paderborner Bischof Kaspar Klein, der auf der Durchreise in München Station machte und trug Bedenken vor, die es ihm nicht erlauben würden, nach Köln und Paderborn nun auch in Trier für das Wahlrecht des Kapitels einzutreten. Klein reiste anschließend zu Schulte nach Köln und gab diesem die Bedenken Pacellis weiter.741 Obwohl Pacelli sich überzeugt zeigte, dass Klein dem Kölner Erzbischof seine Einwände bereits vorgetragen hatte, gab er Schulte in einem Brief vom 14. Dezember noch einmal persönlich zu verstehen, dass schwerwiegende Bedenken es „mir diesmal entgegen dem Zug meines Herzens, des dortigen Domkapitels und besonders Euerer Eminenz Wünsche zu erfüllen, kaum erlauben, rebus sic stantibus, beim Heiligen Stuhl die Bischofswahl, und zwar in der bisher

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Schulte an Pacelli vom 12. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 26v. Die politische Neutralität des „Vaters aller Gläubigen“ war ein alter Grundsatz, mit dem sich etwa nicht nur Pius VII. Anfang des 19. Jahrhunderts gegen die Instrumentalisierungsversuche Napoleons wehrte, sondern auf den sich insbesondere auch Benedikt XV. im Kontext seiner Friedensinitiative im Ersten Weltkrieg berief. Vgl. zu ersterem Aubert, Kirche und Revolution, S. 87; zur Friedensinitiative die in Bd.1, Einleitung I.1 Anm. 22 und 27 angegebene Literatur. Vgl. Klein an Pacelli vom 21. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 33r. 209

II.1.3 Trier 1921/22

üblichen Form, zu vertreten“742. Da er davon ausging, dass Schulte schon unterrichtet war, spezifizierte er die Gründe seiner Besorgnis nicht. Dennoch ist klar, dass er damit auf die Stagnation der Konkordatsverhandlungen anspielte und das heißt konkret auf den preußischen Widerstand gegen die Aufnahme der quaestio scolastica in die Verhandlungsmasse für ein Reichskonkordat. Immerhin gehörte doch die Forderung nach Konfessionsschulen und nach Einflussnahme auf den katholischen Religionsunterricht zu den wichtigsten Grundsätzen des Heiligen Stuhls, die er in dem auszuhandelnden Kontrakt geregelt wissen wollte.743 Die schon angesprochene „Saarfrage“ im Kontext der Trierer Vakanz bot dem Nuntius die Munition, um ein Einlenken der Regierung zu erzwingen.744 Da er deshalb selbst kein Advokat des Wahlrechts sein könne, schlug er dem Kölner Metropoliten vor, sich eigenständig an den Papst zu wenden. Pacelli bot an, ein entsprechendes Schreiben nach Rom zu vermitteln. Dies gab ihm natürlich die Gelegenheit, in einem Begleitbrief Schultes Supplik zu kommentieren, ihr zu widersprechen und das Bischofswahlrecht als inopportun auszuweisen. Das musste zwangsläufig auch den Kölner Erzbischof in kein gutes Licht rücken. Schulte war sich der Problematik bewusst und drückte am 16. Dezember gegenüber den Trierer Domkapitularen sein Widerstreben aus, sich „gegen den Nuntius nach Rom zu wenden“745. Dies teilte er am 17. Dezember auch Pacelli mit, ohne jedoch von seiner Überzeugung abzuweichen, dass die Bischofswahl der beste Weg für die Kirche im Allgemeinen und für die Diözese Trier im Besonderen sei.746 Er wolle jedoch die Konkordatsprojekte, die der Nuntius zweifellos verfolge und die er nicht kenne, keineswegs durchkreuzen. Schulte glaubte mit dem Gesagten seiner Pflicht als Metropolit Genüge getan zu haben und intendierte, sich fortan aus dem Besetzungsverfahren herauszuhalten.

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Pacelli an Schulte vom 14. Dezember 1921 (Entwurf), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 30rv, hier 30r. Pacelli erklärte die Schulfrage mehrfach als unabdingbar für das Zustandekommen eines Konkordats. Vgl. etwa: „Se la questione scolastica dovesse essere completamente esclusa dal Concordato, ciò costituirebbe, a mio umile parere, un gravissimo pregiudizio, giacchè confermerebbe il falso principio che la scuola dipende unicamente dallo Stato; in tal caso, meglio sarebbe di rinunziare del tutto alla conclusione del Concordato medesimo, di cui del resto, ottenuta la soppressione delle anzidette leggi restrittive, la Chiesa non avrebbe più alcun assoluto bisogno.“ Pacelli an Gasparri vom 12. Januar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920–1921, Pos. 1728, Fasz. 906, Fol. 41v. Diese Politik des Nuntius erweckte in kirchlichen Kreisen jedoch auch Besorgnisse, dass auf diese Weise bereits errungene Freiheiten der Kirche verloren gehen könnten. So äußerte beispielsweise der preußische Zentrumsabgeordnete Albert Lauscher am 28. Dezember 1921 die Bedenken, dass die „Benutzung des französischen Drängens nach einer Saardelegatur als politisches Druckmittel, die Schulfrage im Konkordat durchzusetzen, … die Atmosphäre auf lange Zeit vergiften [werde]“. Mussinghoff, Fakultäten, S. 186. Schulte an das Domkapitel zu Trier vom 16. Dezember 1921, zitiert nach Thomas, Kirche, S. 40. Vgl. Schulte an Pacelli vom 17. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 31r–32r. 210

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Da Schulte sich nicht bereit erklärt hatte, beim Heiligen Stuhl zugunsten des Wahlrechts vorstellig zu werden, unternahmen die Trierer Domherren einen eigenen Versuch und setzten ein Schreiben an Benedikt XV. auf, das Kapitularvikar Tilmann am 22. Dezember mit der Bitte um Weiterleitung an Pacelli übersandte.747 Sein Anschreiben zeigt, dass er das Motiv kannte, warum Pacelli die Bischofswahl gemäß der bis dahin geltenden Praxis nicht zugestehen wollte. Schulte habe ihm mitgeteilt, dass sich Pacellis Missmut gegen die klare Ablehnung der preußischen Regierung richtete, die Schulfrage in die Verhandlungen mit einzubeziehen. Tilmann wusste: Weil die Regierung dort keine Konzessionen machte, war auch Pacelli nicht bereit, das Wahlrecht zu erlauben. Der Kapitularvikar konnte dieser Politik jedoch nichts abgewinnen: „Verzeihen E[hrwürdige] Exzellenz gütigst, wenn ich es wage dazu zu bemerken, dass in der Frage der Besetzung des Trierer Bischofsstuhles Berlin weniger in Betracht kommt, als die Gewissensruhe von Millionen rheinischen Katholiken.“748 Das tiefe Misstrauen der Gläubigen gegen eine päpstliche Nomination liege darin begründet, dass schon lange vor dem Tod Korums das Gerücht die Runde gemacht habe, die Franzosen unterminierten das Wahlrecht, um in Rom die Ernennung eines Oberhirten zu erwirken, der ihre separatistischen Bestrebungen unterstütze. Diese Sorge sei nur durch das große Vertrauen in den Papst begrenzt worden, das jedoch erheblichen Schaden nehme, wenn dieser das Wahlrecht verbiete. Zwar werde man einen zwischen Rom und Berlin unter Ausschluss des Domkapitels ausgehandelten Bischof respektvoll anerkennen und auch nicht an der deutschen Gesinnung der in diesem Fall bestimmten Persönlichkeit zweifeln. Doch „der Schaden wäre kaum gut zu machen, der durch das Misstrauen angerichtet würde, mit dem die nach Ausschaltung des Domkapitels geführten Verhandlungen begleitet würden“749. Zwar beteuerte der Kapitularvikar, dass seine Erwägungen dezidiert auf die kirchlichen Interessen abzielten, doch wird man ihm angesichts des Rückhalts, den er bei einigen Domherren genoss, persönliche Ambitionen auf das Bischofsamt nicht absprechen können. Vielleicht hoffte er, eine freie Kapitelswahl gewinnen zu können. Gewiss aber fürchtete er eine römische Ernennung des Regens. Tilmann bat Pacelli schließlich, seine Darlegung an die römischen Stellen weiter zu leiten und hoffte sogar auf eine Empfehlung durch den Nuntius, obwohl dieser eine solche gegenüber Schulte noch abgelehnt hatte: „Die Hoffnung darauf möchte ich noch nicht aufgeben, wenn auch E[hrwürdige] Exzellenz bisher anders dachten.“750

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Die Bittschrift hatte Mause im Namen des Kapitels verfasst und an Tilmann zur Weitervermittlung übergeben. Vgl. Mause an Benedikt XV. vom 22. Dezember 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 20r–22v; Mause an Tilmann vom 22. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 38r; Tilmann an Pacelli vom 22. Dezember 1921, ebd., Fol. 34r–35r. Tilmann an Pacelli vom 22. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 34r. Tilmann an Pacelli vom 22. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 34v. Tilmann an Pacelli vom 22. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 35r. 211

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Das Trierer Kapitel sah in Pacelli den Hauptgegner des Wahlrechts. Die Sicht auf die römische Politik und die von der Kurie erwarteten Pläne für die Besetzung der deutschen Bistümer entwickelte eine gewisse Eigendynamik. Dass Pacelli bei den vorausgegangenen Besetzungsfällen für das Wahlrecht gewirkt hatte, konnten Außenstehende nicht wissen. Deshalb resümierten die Domherren in ihrer Bittschrift an den Pontifex: „Dass das Recht durch die Revolution des Jahres 1918 ausgelöscht worden ist, hat uns bis heute niemand in authentischer Form verkündet. Auf inoffiziellem Weg aber haben wir in Erfahrung gebracht, dass als die Bischofsstühle Köln und Paderborn nach dem Jahr 1918 vakant wurden, die Wahl des neuen Bischofs durch die hiesigen Domkapitel durch apostolische Entscheidung lediglich für diesen Fall erlaubt worden war, nachdem vorher der Apostolische Nuntius in München das Wahlrecht in Zweifel gezogen hatte.“751

Die Trierer Domherren fuhren fort, dass sie angesichts ihrer Ratlosigkeit den Metropoliten um Rat gefragt hatten, der jedoch beim Nuntius auf Granit gestoßen sei. Dieser wolle das Kapitelswahlrecht partout nicht unterstützen. Sowohl die Diözesanen als auch die Regierung würden sehr darauf drängen, alles in Bewegung zu setzen, um den vakanten Bischofsstuhl in diesen schwierigen Zeiten schnell wieder zu besetzen. Deshalb erbaten die Domherren vom Papst eine Grundsatzentscheidung: „1) dass authentisch entschieden werde, ob das Recht zur Wahl des neuen Bischofs noch immer andauert oder nicht; 2) wenn aber entschieden werde, dass jenes Recht nicht weiter andauert, bitten wir inständig, dass uns ebenso wie bei der Vakanz der Bischofsstühle Köln und Paderborn für dieses Mal die freie Ausübung dieses Rechts erlaubt werde, auf die Weise, die bis heute in Preußen üblich war.“752

Die anschließend angeführten Gründe koinzidierten weitgehend mit denen, die Schulte am 12.  Dezember gegenüber Pacelli angeführt hatte: die separatistischen Agitationen Frankreichs, das Beispiel Kölns und Paderborns sowie der Unmut der Seelen gegenüber dem Heiligen Stuhl bei Verweigerung des Wahlrechts. Die Kapitulare ergänzten die Liste noch um 751

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„Quod jus per revolutionem anni 1918 exstinctum esse, nemo nobis hucusque in forma authentica nuntiavit. Privata autem via comperimus, cum sedes episcopales Coloniensis et Paderbornensis post annum 1918 vacassent, electionem novi antistitis per capitula ecclesiarum istarum cathedralium apostolica decisione nonnisi pro hac vice permissam fuisse, postquam antea Nuntius Apostolicus Monacensis jus electionis in dubium vocaverat.“ Mause an Benedikt XV. vom 22. Dezember 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 20r-v. „… 1°) ut decidatur authentice, num jus electionis novi antistitis adhuc perduret necne; 2°) quodsi decidatur, jus istud amplius non perdurare, enixe rogamus, ut nobis eodem modo, sicut factum est in vacatura sedium episcopalium Coloniensis et Paderbornensis, pro hac vice liberum exercitium istius juris concedatur modo hucusque in Borussia hucusque usitato“. Mause an Benedikt XV. vom 22. Dezember 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 20v–21r. 212

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die Sorge über den Wegfall der staatlichen Dotationen, falls das alte Recht nicht angewandt werden sollte. Ohne diese Leistungen könnten weder Bischof noch Domkapitel noch Diözesanverwaltung bestehen. Womöglich anerkenne die Regierung nicht einmal einen Bischof, der nicht gewählt worden sei, während sie sich bei Ausübung des Wahlrechts gewiss jeder Intervention enthalte.

Karl Joseph Schulte und Ludwig Kaas Schon bevor der Brief Tilmanns und die Bittschrift des Trierer Kapitels den Nuntius erreichten, hatte dieser ein Treffen mit den beiden preußischen Kardinälen Bertram und Schulte anberaumt, das nach dem Jahreswechsel in Berlin stattfinden sollte. Bertram begrüßte dieses Vorhaben, „weil vielerlei zu besprechen ist“753 und schlug als Termin den 3. Januar 1922 vor. Den Kölner Erzbischof hatte der Nuntius über Kaas von seiner Absicht in Kenntnis gesetzt. Dieser berichtete Pacelli anschließend: Schulte „war durch meine Aufklärungen sehr befriedigt und sichtlich beruhigt. Aus pflichtmäßigem Ermessen hatte er, wenn auch auf Initiative einzelner Herren des Domkapitels E[hrwürdiger] Exzellenz seine Meinung über die Sachlage mitgeteilt, dabei jedoch als selbstverständlich vorausgesetzt, dass E[hrwürdige] Exzellenz durchaus in seinem Sinne handelten, wenn Sie eine abweichende Anschauung mit allem Nachdruck an höherer Stelle zur Geltung brächten, um dadurch den H[eiligen] Stuhl in die Lage zu versetzen, in genauer Kenntnis der verschiedenen Gesichtspunkte die endgültige Entscheidung zu treffen.“754

Der Prälat fügte hinzu, dass sich Schulte in diesem Sinne noch bei Pacelli melden und sogar die Bitte vortragen werde, „E[hrwürdige] Exzellenz möchten in diesem Sinne Rom informieren, da er, wie er mir zugab, nachträglich doch das Empfinden habe, aus einer in etwa einseitigen Orientierung heraus seine Meinung vertreten zu haben.“755 Im Übrigen sei das Konkordatsverständnis Schultes – um das Konkordat ging es ja eigentlich – mit dem Pacellis weitgehend identisch: „Entweder ein gutes oder gar kein Konkordat“756. Der Kölner Erzbischof schien offenbar keineswegs bereit zu sein, an seiner Loyalität gegenüber dem Vertreter des Heiligen Stuhls in Deutschland irgendeinen Zweifel aufkommen zu lassen. Wie der Zentrumsprälat angekündigt hatte, wandte sich Schulte umgehend persönlich an den Nuntius, zeigte sich über die geplante Unterredung erfreut und entschuldigte sich sofort, das 753 754 755 756

Bertram an Pacelli vom 23. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 39r. Kaas an Pacelli vom 24. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 43rv, hier 43r. Kaas an Pacelli vom 24. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 43r. Kaas an Pacelli vom 24. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 43v. 213

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Trierer Kapitel schon über Pacellis Absage an das Wahlrecht unterrichtet zu haben, bevor die mündliche Mitteilung Kaas’ ihn erreichte.757 Er habe den Kanonikern abgeraten, eine Supplik an den Papst zu senden, doch sei seine Empfehlung vielleicht zu spät gekommen. Sollte Pacelli ein entsprechendes Schreiben vom Kapitel bereits erhalten haben, sei es opportun, dieses bis nach der Besprechung in Berlin zurückzuhalten.758 Pacelli folgte dem Rat und sandte die Trierer Bittschrift zunächst nicht an den Heiligen Stuhl weiter.759 Mittlerweile glaubte der Kölner Erzbischof auch zu erkennen, warum Pacelli seine Ansichten zum aktuellen Besetzungsfall noch nicht dem Kardinalstaatssekretär referiert hatte: „Herr Prälat Kaas hat mich auch davon in Kenntnis gesetzt, wie unsympathisch es Eurer Exzellenz wegen unserer persönlichen vertrauensvollen Beziehungen gewesen sein würde, meine Darlegungen beim H[eiligen] Stuhle als falsch und einseitig hinstellen zu müssen.“760 Schulte bedankte sich für die Rücksicht, befürwortete aber eine kritische Würdigung seiner Position durch den Nuntius oder die höheren kirchlichen Stellen in Rom, da „sachliche Interessen auf dem Spiele stehen“761.

Ein Kompromisskandidat: Franz Rudolf Bornewasser Abgesehen von den Überlegungen Kaas’ zu Beginn lag das Augenmerk der Beteiligten bislang vornehmlich auf dem modus procedendi der Wiederbesetzung. Doch noch vor dem Jahreswechsel richtete der Kölner Weihbischof, Peter Joseph Lausberg, den Blick auf die Kandidatenfrage und zwar in einem Schreiben an den Dekan des Trierer Domkapitels, August Müller.762 Wie dieses Dokument dem Nuntius zuging, wird aus den vatikanischen Akten nicht ersichtlich. Am wahrscheinlichsten ist, dass der Dekan es gemäß der Erlaubnis des Weihbischofs, von seinen Überlegungen „diskreten Gebrauch zu machen“763, an den Nuntius weitergab. Müller und Lausberg waren überzeugt, dass der zweite Kölner Weihbischof und Aachener Stiftspropst, Franz Rudolf

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Vgl. Schulte an Pacelli vom 24. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 41r–42r. Schulte konnte anscheinend auch das Domkapitel in Trier von dieser Auffassung überzeugen, da Kaas dem Nuntius telegraphische Mitteilung machte, dass Mause die Weitergabe seines Briefes an Benedikt XV. erst nach der Januarkonferenz wünsche. Vgl. Kaas an Pacelli vom 24. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 40r. Daraus erklärt sich auch, dass Anfang 1922 noch keine Antwort aus Rom vorliegen konnte, wie Alois Thomas konstatiert. Vgl. Thomas, Kirche, S. 40. Schulte an Pacelli vom 24. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 41r-v. Schulte an Pacelli vom 24. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 41v. Vgl. Lausberg an Müller vom 29. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 44r–45r. Lausberg an Müller vom 29. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 45r. 214

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Bornewasser, für das Amt des Diözesanbischofs geeignet sei. Dieser besitze die „nötige Klugheit“, habe „taktvolles und geschicktes Verhalten als geistlicher Beirat der Zentrale des katholischen Frauenbundes“ bewiesen, sich „durch musterhafte Verwaltung des Dekanates Jülich“764 ausgezeichnet und kenne sich aufgrund der Erfahrung, die er auf zahlreichen Pfarr- und Diözesanstellen765 erworben habe, mit der kirchlichen Verwaltung aus. Auch sein liturgischer und zwischenmenschlicher Habitus sei vorzüglich: „– Er predigt gut und singt sehr gut mit einer schönen, angenehmen Baritonstimme. – Sein Wesen im Verkehr mit andern ist gemessen, ruhig und konziliant, sodass er nicht nur mit dem geistlichen Rat und dem Kapitel, sondern auch mit dem Diözesanklerus und seinen divergierenden Elementen das Wort des Herrn wahr zu machen ebenso befähigt wie gewillt sein dürfte: ut omnes sint unum. Soll ich auch das noch erwähnen, B[ornewasser] ist eine große stattliche Statur, in seinen Formen einfach, aber gewandt, in seinem ganzen Verhalten gemessen und gewinnend. … Er stellt jetzt die Figur eines kerngesunden Mannes dar.“766

Bornewasser sei „alles in allem genommen“767 ein würdiger Bischofskandidat, was Kardinal Schulte übrigens genauso sehe. Offensichtlich war Lausbergs Votum von Müller angestoßen worden, als dieser den Weihbischof im Zuge der Kandidatensondierungen des Trierer Domkapitels über Bornewasser befragte. Dies deutet darauf hin, dass sich die Kanoniker weder auf den „integralen“ Bares noch auf den „offenen“ Tilmann einigen konnten und daher in dem auswärtigen „ausgleichenden“ Bornewasser einen Kompromisskandidaten suchten.768 Jedenfalls waren bei Pacelli mit Bares und Bornewasser nunmehr zwei verschiedene Kandidatenvorschläge eingegangen. Noch war aber nicht geklärt, auf welche Weise überhaupt ein Kandidat ins Amt gelangen sollte. 764 765

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Lausberg an Müller vom 29. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 44r–44v. Lausberg nannte: „… Domvikar und Begleiter des Bischofs [Hermann Joseph, R.H.] Schmitz auf den Firmreisen, Direktor des St. Gregoriushauses in Aachen – ein Beweis für seine musikalische Qualifikation –, Pfarrer in Hasselweiler und Dechant vom Dekanat Jülich, Subregens des Priesterseminars, Stiftspropst in Aachen …“ Lausberg an Müller vom 29. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 44v. Lausberg an Müller vom 29. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 44v–45r. Lausberg an Müller vom 29. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 44r. Vgl. dazu Aschoff, Hildesheimer Bischofswahlen, S. 75; Fochs, Bares, S. 42f.; Zenz, Geschichte der Stadt Trier 2, S. 285f. Erwin Gatz stellt fest, dass aus Lausbergs Schreiben nicht hervorgeht, ob der Vorschlag der Kandidatur Bornewassers aus Trier oder von Schulte stammte. Vgl. Gatz, Ringen, S.  125. Folgt man der Darstellung von Zenz, dann hatte ursprünglich Schulte den Stiftspropst ins Spiel gebracht. Aus dem Schreiben Lausbergs geht wiederum eindeutig hervor, dass es eine Antwort auf eine vorangegangene Anfrage Müllers über Bornewasser darstellte. Dies würde bedeuten, dass Müller sich trotz der Empfehlung Schultes noch einmal bei Lausberg rückversicherte, ob Bornewasser wirklich geeignet sei. Denkbar scheint daher auch, dass Müller hier dessen Namen erstmalig nannte und Schulte denselben daraufhin „nur“ unterstützte. 215

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Die Haltung der preußischen Regierung zum Wahlrecht des Domkapitels Bevor die drei Kirchenfürsten in Berlin zusammentrafen, konferierte Schulte am 30. Dezember mit Becker – bis vor kurzem noch Kultusminister, jetzt Staatssekretär im Kultusministerium – und dem Geheimen Regierungsrat Arnold Niermann in Köln. Während sich der Kardinal gegenüber Pacelli und Kaas knapp eine Woche zuvor durchaus nachgiebig und selbstkritisch gezeigt hatte, festigte Becker seine bisherige Haltung: „Ich bin durch diese Unterredung aufs neue bestärkt worden in der Überzeugung, daß die beste Lösung in einer baldigen Wahl des Domkapitels liegt. In diesem Sinne werde ich in der nächsten Woche auf den Herrn Nuntius mündlich einwirken.“769 Den Regierungsbeamten gegenüber lehnte er das von Pacelli vertretene Junktim von Trierer Sedisvakanz und Konkordatsverhandlungen ab. Schulte riet den preußischen Staatsvertretern, die Aufnahme der Schulfrage in die Verhandlungsmasse für das Reichskonkordat nicht a priori auszuschließen, um so auf Pacelli günstig einzuwirken.770 Die Vertreter des preußischen Kultusministeriums besuchten anschließend den Kölner Oberbürgermeister, Konrad Adenauer. Dieser wandte sich am Folgetag schriftlich an den Erzbischof und bekannte, „dass auch ich aus nationalen Gründen eine möglichst baldige Erledigung der Frage für dringend wünschenswert halte. Von Herrn Staatssekretär Becker hatte ich den Eindruck, dass es ihm Ernst mit der Beschleunigung ist, und dass er durchaus bereit ist, sich eventuell auch auf den Boden des Vorschlags zu stellen, den gegenwärtigen Fall ganz für sich zu behandeln und ihn, ohne Konsequenzen für die Zukunft für eine der beteiligten Parteien daraus herzuleiten, im Wege der Vereinbarung mit der Kurie über die Personenfrage zur schnellen Lösung zu bringen.“771

Der Regierung war natürlich mehr an einer Persönlichkeit auf dem Trierer Bischofsstuhl gelegen, welche die genuin deutschen Interessen gegenüber Frankreich vertrat – auf eine solche hätte sie sich mit dem Heiligen Stuhl einigen können –, als an der getreuen Umsetzung des in De salute animarum verbürgten Kapitelswahlrechts. Adenauer persönlich allerdings maß den Argumenten dafür, „dass die Kurie sich zweckmäßig zurückhielte und der Wahl freien Lauf ließe“772 besonderes Gewicht bei. Ebenfalls am 30. Dezember sprachen Niermann, Becker und Kaas über die Sedisvakanz in Trier. Am nächsten Tag übersandte Niermann dem Pacelli-Berater eine Abschrift des Promemoria vom 29. Dezember 1919, auf das sich Regierung und Nuntius damals als Verhandlungsbasis während 769 770 771 772

Schulte an Mause vom 31. Dezember 1921, zitiert nach Thomas, Kirche, S. 40. Vgl. Mussinghoff, Fakultäten, S. 187. Adenauer an Schulte vom 31. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 46r–47r, hier 46r-v. Adenauer an Schulte vom 31. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 47r. 216

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der Kölner Vakanz geeinigt hatten.773 Aus dem Anschreiben geht hervor, dass sich der Kanonist in der Besprechung gegen eine zu starke Betonung des Wahlrechts ausgesprochen hatte.774 Niermann vermutete, dass dies durch die kürzliche Allokution Benedikts XV. vom 21. November 1921 veranlasst war, in welcher der Papst allgemein die Fortgeltung von Konkordaten in gewissen Fällen politischer Umwälzungen in Zweifel gezogen hatte.775 Darauf ließ er sich jedoch nicht ein: Erstens hatte er das Promemoria in den Händen, das Pacelli seinerzeit akzeptiert hatte und den vorläufigen Fortbestand der alten Verträge zwischen dem Heiligen Stuhl und Preußen konstatierte. Zweitens konnte er sich auf die Zusicherung Pizzardos berufen, die der Vatikangesandte Bergen noch im November nach Berlin telegraphiert hatte: nämlich dass die „päpstliche Erklärung nicht den Stand der kirchlichen Angelegenheiten in Deutschland, mit dem Verhandlungen für neue Abmachungen schweben“776, präjudiziere, sondern sich stattdessen auf Österreich beziehe, das anders als Deutschland aus den Umwälzungen als neuer Staat hervorgegangen sei. Diese Erläuterung deckte sich mit der Interpretation, die Gasparri dem Nuntius in diesem Kontext vorgelegt hatte. Nach Regierungsauffassung entsprach das Kapitelswahlrecht also nach wie vor geltendem und vom Heiligen Stuhl akzeptiertem Recht. Kaas hingegen versuchte den Staatsbeamten klar zu machen, dass die Geltung des Wahlrechts nicht eindeutig war und Konzessionen nötig seien, wenn sie ihre Interessen bei der Wiederbesetzung des Trierer Bistums durchsetzen wollten.

„Do-ut-des“: Pacelli, Schulte und Bertram in Berlin Die Lage war kompliziert: Pacelli wollte Zugeständnisse nur für Gegenleistungen in den Konkordatsverhandlungen machen, vor allem bezüglich der Schulfrage; Kaas unterstützte ihn dabei und versuchte „seinen“ Kandidaten am Kapitelswahlrecht vorbei durchzubringen; der preußische Episkopat – insbesondere Schulte und Bertram – trat für das Kapitelswahlrecht ein;777 das Trierer Domkapitel wollte den neuen Bischof frei und sobald wie möglich wählen; die Reichsregierung strebte eine zügige Neubesetzung mit einem „deutsch“ gesinnten Oberhirten an; die preußische Regierung wiederum wollte sich zwar bei der Trierer Wiederbesetzung zurückhalten, bestand 773 774 775 776 777

Vgl. dazu Bd.1, Kap. II.1.1 (Die Reise Pacellis nach Berlin und Köln). Vgl. Niermann an Kaas vom 31. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 49r–50r (nur r). Vgl. dazu Bd. 1, Exkurs I (Wieder die leidige Fortgeltungsfrage: die Konsistorialallokution Benedikts XV.). Niermann an Kaas vom 31. Dezember 1921, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 50r. Zwar waren die preußischen Bischöfe theoretisch gegen jeden staatlichen Einfluss auf die Besetzung der Bistümer. Doch im konkreten Fall hielten sie Absprachen mit der Regierung für legitim, um ihre Forderung des Kapitelswahlrechts durchzusetzen. Vgl. zu dieser „Allianz“ der Bischöfe mit der Regierung Bd. 1, Kap. II.1.5 (Ergebnis Nr. 4). 217

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jedoch weitgehend auf der bis dato geltenden Rechtslage und verschleppte die Verhandlungen um ein Reichskonkordat. Pacellis Verknüpfung des Falls, der angesichts der reichsdeutschen Bedeutung ohnehin schon ein „Politikum ersten Ranges“778 war, mit den parallel verlaufenden Verhandlungen erschwerte einen Konsens der beteiligten Parteien. Dass der Nuntius beabsichtigte, die Angst der deutschen Regierung vor einem frankophilen Trierer Bischof in messbare Erträge umzumünzen, war klar. Auch der Regierung war dieses Vorgehen bewusst, wie etwa Bergen am 3. Januar 1922 von Rom aus an Kardinal Schulte schrieb: „In den letzten Tagen begegnete ich hier stellenweise der Auffassung, daß manche Gründe für eine längere Sedisvakanz in Trier sprächen; ich vermute, daß hierdurch ein Druck auf uns ausgeübt werden soll, um den Abschluß des Reichskonkordats zu beschleunigen. Für uns ein Grund mehr, möglichst bald zur Wahl des neuen Bischofs zu schreiten.“779

Um eine Lösung für die kontroverse Angelegenheit zu finden, diskutierte Pacelli schließlich am 3. Januar 1922 mit den Spitzen des preußischen Episkopats, Schulte und Bertram, in Berlin. Der Nuntius übte Kritik an der Unbeweglichkeit der Regierung, welcher die beiden Kardinäle zustimmten. Schulte mahnte jedoch – wie aus einer Mitteilung an Kaas vom selben Tag über eine weitere abendliche Zusammenkunft mit dem Nuntius hervorgeht – zur Zurückhaltung: „In unserer Besprechung kam mir wieder stark zum Bewußtsein, daß, so sehr er diplomatisch gut tun mag, seinen Do-ut-des-Standpunkt festzuhalten, es in Berlin zur Zeit nach meinem Dafürhalten geratener ist, ihn festzuhalten, ohne ihn auszusprechen oder irgendwie hervorzukehren. Sie und ich können den Do-ut-des-Standpunkt da und dort zugunsten des Herrn Nuntius ruhig mal betonen, dieser selbst sollte aber bei der meines Erachtens gegenwärtig beiderseits mißtrauischen Stimmung sich mehr der sachlichen Begründung seiner Forderungen widmen.“780

Bertram entfaltete am nächsten Tag in einem Schreiben an den Nuntius noch einmal ausführlich seine Sicht auf die Politik der Regierung gegenüber der Kirche.781 Der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz brachte die schon seit mehreren Jahren bestehende Situation auf den Punkt:

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Volk, Reichskonkordat, S. 17. Bergen an Schulte vom 3. Januar 1922, Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 399. Schulte an Kaas vom 3. Januar 1922, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 401f. (Nr. 190), hier 401f. Seine Bedenken über die Verbindung von Trierer Sedisvakanz und die Schule betreffenden Konzessionen legte Schulte in einem Schreiben an Pacelli vom 9. Januar noch einmal ausdrücklich dar. Dabei wies er auch auf die Gefahren hin, die eine solche Politik für die in Deutschland herrschende Stimmung gegenüber dem Heiligen Stuhl besitze. Vgl. Volk, Reichskonkordat, S. 19. Vgl. Bertram an Pacelli vom 4. Januar 1922, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S.  402f. (Nr. 191). Vgl. auch May, Kaas 1, S. 228; Mussinghoff, Fakultäten, S. 189; Volk, Reichskonkordat, S. 19f., 27f. 218

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„Durch die nicht im vollen Umfange zur Ausführung gelangten Änderungen, welche die Verfassung des Deutschen Reiches im Verhältnis des Staates zur Kirche herbeigeführt hat, ferner durch die Meinungsverschiedenheiten über Fortdauer der Geltung einzelner Teile der Cirkumskriptionsbullen deutscher Diözesen, weiter durch das Bestreben des Preußischen Cultusministeriums, einschränkende Bestimmungen in Lebensfragen der katholischen Diözesen aufrecht zu erhalten, ist eine Unsicherheit und Ungewißheit in wichtigen kirchlichen Verwaltungsfragen eingetreten, welche dringend der Abhilfe bedarf.“782

Seine Eingaben an das preußische Kultusministerium seien jeweils mit dem Hinweis, diese Materie bedinge Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl, abgewimmelt worden.783 In der Zwischenzeit versuche dieses „auf indirektem Wege in praxi eine Art schweigender Zugeständnisse zu erlangen, um in wichtigen Angelegenheiten die Einmischung des Staates in Lebensinteressen der Kirche wirksam zu erhalten“784. Als Beispiele nannte Bertram unter anderem die nach wie vor vom Staat vorgenommene Besetzung der Dompropsteien und die Präsentation von Kanonikaten, obwohl diese dem König zugestandenen Rechte mit dem Fall der Monarchie ad acta seien. Bezüglich der Bischofswahlen versuche die Regierung die Einreichung der Kandidatenlisten in Gebrauch zu halten. Dabei untermauere sie ihre Forderungen mit Andeutungen, die staatlichen Gelder für die Kirche zu streichen: „Also eine Brotentziehung benutzt als Mittel zur Erreichung von Einmischung, die mit der Reichsverfassung unvereinbar ist.“785 Sollte – so schloss Bertram – sich die Verabschiedung eines Reichskonkordats noch lange verzögern und dies auch eine Verlängerung der preußischen Verhandlungen nach sich ziehen, werde sich das Kultusministerium mit dem gegenwärtigen Zustand gut abfinden können. Die Bischöfe müssten dessen Forderungen tatenlos zusehen: „Wenn diese Zustände fortbestehen bleiben, so ist nicht abzusehen, welche Schäden der Kirche daraus unter künftigen, noch ungünstigeren Regierungen erwachsen werden.“786 Daher erbat der Breslauer Kardinal vom Nuntius, auf eine

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Bertram an Pacelli vom 4. Januar 1922, Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 402. Bei dieser Argumentation handelte es sich um eine konkrete Strategie der preußischen Regierung. Vgl.: „Das preußische Kultusministerium hat in den folgenden Jahren [sc. nach 1919, R.H.] die Taktik verfolgt, unter Hinweis auf die bevorstehenden Konkordatsverhandlungen mit dem Nuntius die Forderungen des preußischen Episkopats auf Durchsetzung seiner Rechte, wie sie in Reichsverfassung, Zirkumskriptionsbulle und Landesgesetzen vorlagen, unerfüllt zu lassen. Kardinal Bertram beklagte sich heftig bei Pacelli über diese Methode und ergriff in der Fuldaer Bischofskonferenz Initiativen, um die Rechte der kath. Kirche in Preußen entgegen der Hinhaltetaktik des Kultusministeriums durchzusetzen.“ Mussinghoff, Fakultäten, S. 149. Bertram an Pacelli vom 4. Januar 1922, Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 402. Bertram an Pacelli vom 4. Januar 1922, Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 403. Bertram an Pacelli vom 4. Januar 1922, Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 403. 219

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Klärung dieser Angelegenheiten drängen zu wollen.787 Seine Kritik an der mangelnden preußischen Verhandlungsbereitschaft und die äußerst geringen Aussichten auf einen erfolgreichen Konkordatsabschluss fasste Bertram schließlich am 5. Januar in einer Grundschrift zusammen, die Pacelli eine Woche später zur umfassenden Information an Gasparri übermittelte.788 Darin resümierte der Breslauer Kardinal: „Wie ich auf der Konferenz am 3. des Monats, die in Berlin stattfand, schon sagte, ist es schwierig vorauszusehen, was von den Verhandlungen über ein abzuschließendes Konkordat mit dem Deutschen Reich ... zu erwarten sei. ... Dies aber scheint mir am heutigen Tag gesagt werden zu müssen, dass der mehrheitliche Teil der Abgeordneten nicht zu Zugeständnissen von großer Bedeutung neigt, noch dass erduldet wird, dass Bindungen durch mit dem Heiligen Stuhl zu schließende Verträge die Freiheit zukünftiger Gesetzgebung in Angelegenheiten beschränken, die nach moderner allgemeiner Ansicht einzig dem freien Belieben des Staates unterworfen sind. Unter diese Dinge werden insbesondere die festzulegenden Vorschriften über die Schulen gezählt. ‚Die Schule ist eine Einrichtung des Staates‘, dieser Grundsatz mit allen seinen Folgen herrscht in Preußen schon über fünfzig Jahre mit voller Strenge, sodass es immer schwer war, die Rechte der Eltern und der Kirche in der Erziehung der Kinder zu verteidigen.“789

Trotz oder gerade wegen dieser düsteren Aussichten hielt Pacelli daran fest, die Trierer Sedisvakanz für seinen – in Schultes Terminologie – „Do-ut-des-Standpunkt“ in den Verhandlungen zu instrumentalisieren. Diese Strategie verantwortete der Nuntius in einem Bericht an Gasparri am 9. Januar, übrigens die erste ausführliche Darlegung für den Kardinalstaatssekretär in der Trierer Angelegenheit überhaupt.790 Daher begann Pacelli mit seiner Darstellung der Ereignisse bei der Supplik Kardinal Schultes vom 12. Dezember des Vorjahres. Es scheint sinnvoll, den darauf folgenden Ereignisverlauf aus der Sicht des Nuntius noch einmal knapp Revue passieren zu lassen. 787

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Die darin angelegte Kritik an Pacellis zu langwierigem und nachgiebigem diplomatischen Vorgehen brachte Bertram gegenüber Schulte am 29. März des Jahres ausdrücklich zur Sprache. Vgl. Hinkel, Bertram, S. 214; Mussinghoff, Fakultäten, S. 192. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 12. Januar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920–1921, Pos. 1728, Fasz. 906, Fol. 40r–42r. „Uti in Conferentia die 3. huius mensis Berolini habita iam dixi, difficillimum est praevidere, quid exspectandum sit in tractationibus de ineundo Concordato cum imperio Germanico ... Id vero iam hodie dicendum esse mihi videtur, Deputatorum maiorem partem non inclinare ad concessiones magni ponderis, neque toleraturam esse, ligamina per pacta cum Sancta Sede ineunda restringere libertatem futurae legislationis in rebus, quae iuxta modernam communem opinionem unice subiscent libero arbitrio Status. Inter hasce vero res praeprimis numerantur normae de scholis statuendae. ‚Schola est institutio Status‘, hoc axioma cum omnibus suis sequelis regnat in Borussia iam supra quinque decennis tanto rigore, ut difficile semper fuerit defendere iura parentum et Ecclesiae circa educationem infantium.“ Erklärung Bertrams vom 5. Januar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920–1921, Pos. 1728, Fasz. 906, Fol. 43r–49r (nur r), hier 43r–44r. Vgl. dazu auch Mussinghoff, Fakultäten, S. 189f. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 9. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 309r–319r (nur r). 220

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Die Strategie Pacellis zur Wiederbesetzung des Bistums Trier Der Nuntius erläuterte seinem Vorgesetzten, dass Schulte mit einer Bittschrift vom 12. Dezember 1921  –  acht Tage nach Korums Tod  –  versucht habe, eine möglichst zeitnahe Konzession des Wahlrechts für das Trierer Domkapitel zu erreichen. Eine Bischofswahl sei dessen Ansicht nach das geeignetste Mittel, um den Verdacht einer französischen Intervention in der Kandidatenauswahl zu vermeiden. Während die preußische Staatsregierung einen von ihrer Seite ungestörten Wahlverlauf zugesichert und die Nichtbeanstandung der Kandidatenliste garantiert habe, sei das Domkapitel – so Schultes Überzeugung – einverstanden, jeden etwaigen Kandidatenwunsch des Heiligen Stuhls bei der Wahl zu berücksichtigen. Pacelli erklärte Gasparri, dass er dieses Ansinnen des Kölner Kardinals sehr ungern habe ablehnen müssen: „Wie sehr es mich auch schmerzt, nicht unmittelbar dem Gesuch seiner Eminenz nachzugeben, gegen welchen ich außerordentliche Gefühle der Verehrung und Anhänglichkeit hege, vor allem, wenn ich bedenke, dass die preußische Regierung hauptsächlich aufgrund der Schulfrage das größte Hindernis für den Abschluss eines Reichskonkordats war. – Deshalb schien auch die bloße Tatsache der Präsentation der Kandidatenliste an sie unerträglich und daher musste man auf jeden Fall, weil dieselbe Regierung aus offensichtlichen nationalen Motiven das größte Interesse an einer zügigen und günstigen Besetzung der Diözese Trier hat, daraus Profit ziehen, um Zugeständnisse zu erhalten; ich habe seiner Eminenz geantwortet, dass, auch mit meinem größten Bedauern, ich mich dieses Mal nicht in der Lage befinde, so wie die Dinge gerade stehen, dem Heiligen Stuhl zu empfehlen, die gewünschte Erlaubnis der Kapitelswahl in der üblichen Form zu geben.“791

Nach seiner Absage habe daraufhin Dompropst Mause im Namen des Domkapitels am 22. Dezember eine eigene Bittschrift um die Konzession des Wahlrechts verfasst, die Pacelli jetzt – dem Vorschlag Schultes entsprechend  –  in Anlage an den Kardinalstaatssekretär übermittelte. Die von Mause ebenfalls vorgetragene Sorge, dass französische Agitationen in Rom unterstellt werden könnten, identifizierte Pacelli als Hauptstütze der Argumentation des Domkapitels. Doch betrachtete er sie für irrelevant, denn man könne schließlich an der Diözese Mainz ablesen, die 791

„Per quanto mi dolesse di non condiscendere immediatamente alla richiesta del sullodato Eminentissimo, verso il quale nutro particolari sentimenti di venerazione e di attaccamento, tuttavia, considerando che il Governo prussiano … era, massime a causa della questione scolastica, il maggior ostacolo alla conclusione di un Concordato per il Reich, – che per conseguenza sembrava intollerabile anche il solo fatto della presentazione al medesimo della lista dei candidati, e che, ad ogni modo, avendo il Governo stesso per evidenti motivi nazionali il più grande interesse ad una sollecita e favorevole provvista della diocesi Treviri, dovevasi trarne profitto per ottenere delle concessioni; risposi all’Emo Arcivescovo che, pur con mio sommo rincrescimento, non mi trovava questa volta in grado, rebus sic stantibus, di raccomandare alla Santa Sede la concessione del desiderato permesso di elezione capitolare nelle forme consuete.“ Pacelli an Gasparri vom 9. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 310r–311r. 221

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ebenso wie Trier in dem von französischen Truppen besetzten Gebiet lag, dass der dortige Bischof Ludwig Maria Hugo nicht weniger vom Volk geachtet und verehrt werde, weil er direkt vom Heiligen Stuhl ernannt wurde. Außerdem zeige sich dort, dass die Furcht, die Regierung werde die finanziellen Zuwendungen an den Oberhirten einstellen, wenn dieser nicht vom Domkapitel gewählt werde, völlig unbegründet sei. Aus der Argumentation las der Nuntius vielmehr eine gewisse Kulturkampfmüdigkeit auf Seiten der deutschen kirchlichen Stellen heraus: „Leider ist in dem in Rede stehenden Gesuch auch eine ausgeprägte Sorge zu erkennen, jeden, auch notwendigen Konflikt mit der aktuellen preußischen Regierung zu vermeiden, besonders wenn man sie vergleicht mit der energischen und mutigen Haltung, die schon, besonders in den herrlichen Zeiten von [Ludwig, R.H.] Windthorst792, die Katholiken Deutschlands zu sehr wichtigen Siegen führte.“793

Nicht ohne anklagenden Unterton stellte Pacelli fest, dass der Kultusminister Boelitz sowohl Kardinal Schulte als auch das Kapitel für seine Ziele zu gewinnen versuche. Um ein Einlenken der preußischen Regierung in der Konkordatsthematik zu erwirken, sei er schon am 31. Dezember nach Berlin gereist und habe noch am selben Tag mit Boelitz und seinem Staatssekretär Becker Gespräche geführt.794 Letzteren deklarierte Pacelli als Wurzel für die antikatholische Haltung der Regierung: Ein Protestant, von liberaler Gesinnung, der trotz höflicher Umgangsformen seinen gewichtigen Einfluss innerhalb des Kultusministeriums gegen die katholische Kirche einsetze.795 Dieser habe sofort das Wort ergriffen und das große Interes792

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Pacelli sehnte sich angesichts der Interessendivergenz der preußischen Kirche nach der Einheit der preußischen Katholiken im Kulturkampf zurück, die Rüdiger Drews folgendermaßen beschreibt: „Der Konflikt nahm unerwartete Ausmaße an. Kraft und Standfestigkeit des sich nun formierenden Widerstands überraschten nicht nur die Regierung, sondern auch die gar nicht sieggewohnten Katholiken selbst. … Die Strategie des passiven Widerstandes, wohl nicht nur von Windthorst angestoßen, wurde von allen getragen: Klerus und Kirchenvolk, Zentrum und Episkopat; Presse und Vereine einten die gleichen Erfahrungen und Traumata, sie alle fühlten sich gleichermaßen existentiell bedroht.“ Drews, Windthorst, S. 165. Hervorhebung im Original. Dass die Person Windthorsts nach dem Kulturkampf verklärende Züge erhielt, steht auf einem anderen Blatt. Vgl. ebd., S. 269f. Vgl. zur Rolle Windthorsts auch Arnold, Staatsomnipotenz. „Spiace anche di rilevare nell’istanza in discorso una eccessiva preoccupazione di evitare qualsiasi, anche necessario, conflitto coll’attuale Governo prussiano, specialmente se si confronti coll’energica e coraggiosa attitudine, che condusse già, massime ai tempi gloriosi di Windthorst, i cattolici della Germania alle più importanti vittorie.“ Pacelli an Gasparri vom 9. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 311r–312r. Vgl. zu diesem Gespräch die Aufzeichnung Beckers, abgedruckt bei Morsey, Vorgeschichte, S. 262–266. Vgl. auch Mussinghoff, Fakultäten, S. 187f.; Volk, Reichskonkordat, S. 16f. Mit dieser Einschätzung Beckers stand Pacelli nicht alleine da: „Becker reagierte abwartend und abwehrend auf Pacellis Konkordatsbestrebungen; er hielt am überholten Staatsdirigismus fest und galt Kardinal Bertram als der Mann, der die Durchsetzung berechtigter Ansprüche behinderte.“ Mussinghoff, Fakultäten, S. 156. 222

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se der Regierung an der Wiederbesetzung des Trierer Bischofsstuhls zum Ausdruck gebracht. Becker habe probiert, ihn „mit einer großen Menge von fadenscheinigen Argumenten“796 zu überzeugen, dass 1.) die Kapitelswahl im Interesse der Kirche liege, 2.) eine Verbindung dieses Themas mit den Konkordatsverhandlungen unnötig sei und 3.) die Inklusion der Schulfrage in diese Verhandlungen kaum zu bewältigende Schwierigkeiten aufwerfe, die daher der Kirche eher von Schaden denn von Nutzen sei.797 Dem habe er – so Pacelli – kategorisch widersprochen: 1.) die Trierer Besetzung sei naturaliter mit der Konkordatsfrage verbunden, schon allein deshalb, weil die Alternative im Raum stehe, ob jene auch dieses Mal gemäß den Vorgaben von De salute animarum stattfinde oder nicht; 2.) daher habe der Heilige Stuhl das Recht, für die gesamte kirchliche Situation eine umfassende Klärung zu erhalten, was nicht möglich sei, wenn staatlicherseits die Schulfrage a priori aus den Konkordatsverhandlungen ausgeschlossen werde – über Details könne man immer reden;798 3.) so wie die Verhandlungen von der Regierung bisher geführt worden seien, würden dieselben noch lange andauern, weshalb es  –  so Pacelli – „meiner Ansicht nach nicht möglich war, noch weiter die Aufrechterhaltung des aktuellen provisorischen Standes mit der entsprechenden Einmischung der Regierung in die Besetzung der Bischofsstühle und der Kanonikate zu ertragen“799.

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„… con larga copia di speciosi argomenti …“ Pacelli an Gasparri vom 9. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 312r. Pacelli verschwieg nicht, dass Becker ergänzt habe, diese preußischen Interessen würden vom Erzbischof von Köln völlig verstanden und geteilt. Wiederum sei es daher notwendig, wenn auch schmerzlich für ihn gewesen, dem Kölner Kardinal vor den Regierungsvertretern nicht beipflichten zu können. Die Motive der preußischen Regierung waren offenkundig: „Vorläufiges Ziel der preußischen Regierung in dieser Frage mußte es sein, einmal eine einseitige Lossagung der Kurie von den Zirkumskriptionsbullen zu verhindern, da damit die Gefahr des kirchlichen Verlustes des Saargebietes mit allen seinen Folgen verbunden war, und zum anderen eine Verknüpfung der Besetzungsfrage mit dem akuten Reichskonkordatsproblem entgegenzutreten.“ Golombek, Vorgeschichte, S. 2. Vgl. dazu Beckers Notiz: „Die Frage des Verhältnisses des RKs zum bayerischen wurde sorgfältig vermieden; auch wurde von unserer Seite die Schulfrage nicht angeschnitten. Dies geschah ziemlich abrupt durch den Nuntius bei Äußerung der Bitte, die Wiederbesetzung des Trierer Bischofsstuhls möglichst beschleunigen zu helfen. Der Nuntius sagte, das würde davon abhängen, ob die Preußische Regierung ihre grundsätzliche Zustimmung zur Behandlung der Schulfrage im RK erkläre. Wo er hinkomme, höre er, daß die Preußische Regierung, speziell das Kultusministerium, die Einbeziehung der Schulfrage ablehne. Die Schulfrage sei aber für den Heiligen Stuhl das punctum saliens eines Konkordats; würde sie ausgeschaltet, so habe die Kirche keinerlei Interesse am Abschluß eines Konkordats.“ Zitiert nach Morsey, Vorgeschichte, S. 263f. „… non era, a mio avviso, possibile di tollerare più oltre il mantenimento dell’attuale stato provvisorio colle relative ingerenze governative nella provvista delle Sedi vescovili e dei Canonicati.“ Pacelli an Gasparri vom 9. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 313r–314r. 223

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Mit Rekurs auf das Telegramm Bergens über die Interpretation der päpstlichen Konsistorialallokution habe Becker eingewandt, dass die preußische Zirkumskriptionsbulle nach Aussage des römischen Staatssekretariats noch gelte.800 Diese Annahme habe er  –  so berichtete der Nuntius – im Sinne von Gasparris Weisung vom 25. November korrigiert. Darin hatte der Kardinalstaatssekretär erklärt, diplomatisch geschickt wie unbestimmt ohne eindeutige Antwort, dass faktisch einige die Ansprache Benedikts XV. auf Deutschland bezögen und daher die dringlichste Aufgabe bestehe, neue Konkordate abzuschließen.801 Er habe nachdrücklich darauf bestanden, dass er angesichts der Umstände dem Heiligen Stuhl die unmittelbare Besetzung des Trierer Bischofsstuhls nicht empfehlen könne, ganz zu schweigen davon, für dieses Mal eine Bischofswahl durch das Domkapitel anzuraten. Diese Beharrlichkeit habe seinen Zweck nicht verfehlt: „Wenn sich auch die lange Besprechung immer in korrekter Form abspielte, erzeugte vor allem meine feste Haltung, die, obwohl zu Unrecht, fast wie ein Ultimatum interpretiert wurde, tiefen Eindruck im Kultusministerium, das im Wesentlichen nachgab.“802 Wie sah dieses „Nachgeben“ aus? Klare Zugeständnisse in der Schulfrage als Vorbedingung für die Wiederbesetzung des Trierer Bischofsstuhls zu machen, schien der Regierung nicht möglich. Deshalb sicherten die Staatsvertreter zumindest den Verhandlungseintritt zu, um Pacelli in dieser Frage günstig zu stimmen: „In der Schulfrage wurde von uns auf die Unmöglichkeit hingewiesen, in der kurzen Zeit, innerhalb derer die Trierer Sedisvakanz erledigt werden müsse, eine Einigung über die Möglichkeit der Behandlung von Schulfragen im Konkordat herbeizuführen. … Wir verlangten Zeit, da es uns widerstrebe, etwas zu sagen, dessen Durchführung sich nicht

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Laut eigener Aufzeichnung wies Becker auch auf das Promemoria vom 29. Dezember 1919 hin, welches die Fortgeltung der Bullen festgestellt und dem Pacelli damals ausdrücklich zugestimmt hatte. Der Nuntius habe das – so Becker – zugegeben, jedoch ergänzt: „… man habe diese Erkärung der Preußischen und der Reichsregierung gern hingenommen. Eine Bestätigung durch den Vatikan sei aber nicht erfolgt.“ Zitiert nach Morsey, Vorgeschichte, S. 264. Für den Staatsbeamten war jedoch der fehlende Widerspruch Roms gleichbedeutend mit Zustimmung: So seien „nach Erscheinen des neuen Corpus juris Canonici … wohl die Domkapitel genötigt gewesen …, sich in jedem Einzelfall das Wahlrecht neu bestätigen zu lassen; die Regierung aber hätte auf Grund der stillschweigenden Vereinbarung ein Recht darauf besessen.“ Ebd., S. 264. Pacelli sei – so Becker anschließend – die Anmerkung, dass das Schweigen der Kurie Zustimmung bedeute, „nicht ganz angenehm“ gewesen. Ebd., S. 264. Vgl. Bd. 1, Exkurs I (Wieder die leidige Fortgeltungsfrage: die Konsistorialallokution Benedikts XV.). „Sebbene il lungo colloquio si svolgesse sempre in forma corretta, tuttavia la mia ferma attitudine, che venne, quantunque a torto, interpretata quasi come un ultimatum, produsse profonda impressione nel Ministero del Culto, il quale ha in sostanza finito col cedere.“ Pacelli an Gasparri vom 9. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 314r. 224

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übersehen lasse. Grundsätzlich seien wir bereit, auch in Erörterungen über die Schulfrage einzutreten; ob sich aber nicht bei näherer Prüfung die Schwierigkeiten als unüberwindbar herausstellen würden, sei weder im Augenblick noch in den nächsten Monaten abzusehen.“803

Letztendlich führte Pacellis unnachgiebige Haltung zu einer dreifachen Zusage, die Kultusminister Boelitz dem Nuntius am 6. Januar übermittelte:804 1.) unter der Prämisse, dass die Trierer Besetzung alsbald erfolge, verzichte das Preußische Staatsministerium auf die Kandidatenliste des Domkapitels; 2.) die Regierung werde die Frage der Anpassung der Bischofs- und Domherreneinsetzungen an die Reichsverfassung unverzüglich beginnen; 3.) die preußische Regierung werde mit der Reichsregierung in Verhandlungen über die Regelung der religiösen Seite der Schulfrage in einem Konkordat eintreten.805 Diese Zusicherungen waren – wie von Pacelli beabsichtigt – aus der Furcht geboren, der Heilige Stuhl könnte die separatistischen Bestrebungen Frankreichs zur

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Vgl. Notiz Beckers über das Berliner Gespräch vom 31. Dezember 1921, zitiert nach Morsey, Vorgeschichte, S. 265f. Die Zusagen waren zuvor in einer Konferenz vom 4. Januar 1922 zwischen Kaas, Boelitz und Niermann vorsondiert worden. Wie der Regierungsrat notierte, habe Kaas den Wunsch vorgebracht, dass „eine Formel gesucht werde, um die Bereitwilligkeit der preußischen Staatsregierung zu erklären, daß über die religiöse Seite der Schulfrage zwischen Staat und kath[olischer] Kirche verhandelt werde … Den unverbindlichen Erklärungen von staatlicher Seite entnahm Herr Prälat Kaas einen günstigen Eindruck, über den er dem Herrn Nuntius berichten könne.“ Aufzeichnung Niermanns vom 4. Januar 1922, zitiert nach Mussinghoff, Fakultäten, S. 188. Am Nachmittag desselben Tages wurde dem Prälaten versichert, dass er einen Briefentwurf für den Nuntius erhalten werde, der die Schulfrage positiv aufnehme. Dabei handelte es sich um das Schreiben, dass Boelitz zwei Tage darauf offiziell an Pacelli sandte. Vgl. dazu ebd., S. 188f. Vgl. Boelitz an Pacelli vom 6. Januar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 23/​1r. Vgl. auch Volk, Reichskonkordat, S. 18f. Pacelli hegte die Vorstellung, dass die Zusicherungen des Kultusministers der Kirche nicht nur in der Bischofseinsetzung, sondern grundlegend neue Freiheiten bringen würden: „Innanzi tutto occorre ottenere senza indugio, conformamente al secondo capoverso della summenzionata lettera, la cessazione delle ingerenze governative nella nomina dei Vescovi e dei Canonici; come pure si dovrà insistere per la pronta abrogazione di varie altre antichi disposizioni restrittive, ancora applicate dal Ministero del Culto in Prussia. A tal proposito ho pregato l’Emo Sig. Cardinale Bertram di rimettermi a nome dell’intiero Episcopato un apposito Memorandum, che io presenterò poi ufficialmente al Governo. Sbarazzato così il terreno dagli intralci della vecchia legislazione e restituita nella maggior misura possibile la libertà della Chiesa, la S. Sede potrà procedere con molto maggiore indipendenza nelle ulteriori trattative.“ Pacelli an Gasparri vom 12. Januar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920–1921, Pos. 1728, Fasz. 906, Fol. 41r-v. Das hier angekündigte Memorandum legte Bertram dem Nuntius am 24. Januar vor und fungierte als Forderungskatalog gegenüber dem preußischen Kultusministerium. Vgl. dazu Bd. 1, Exkurs II (Ein bischöfliches Memorandum und der ‚Konkordatshebel‘ Danzig). 225

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Errichtung eines eigenen Saarbistums unterstützen.806 Dennoch war der Sinneswandel der preußischen Regierung in der Schulfrage, wie ihn der 3.) Punkt dokumentierte, nicht unbedingt erwartbar gewesen, wie Pacelli sehr gut wusste: „Nun aber hat die preußische Regierung begonnen, gedrängt von dem Interesse einer schnellen Besetzung der Diözese Trier, abzurücken von ihrer Maximalopposition (was von vielen bislang nicht für möglich gehalten wurde) …“807 Maßgeblich dafür war insbesondere auch Reichskanzler Wirth gewesen. Zwar lehnte auch dieser das Junktim von Trierer Vakanz und Schulfrage ab. Dennoch war er als Katholik und Politiker, der um die positive Außenwirkung des Reiches besorgt war, die durch das Konkordat angestrebt wurde, für Pacellis diplomatische Bestrebungen empfänglicher als die „Preußen“ Boelitz oder Becker. Dementsprechend zeigte er sich – zumindest Pacelli gegenüber – hocherfreut über die Wendung der Ereignisse und drückte die Hoffnung aus, „dass Euerer Exzellenz nunmehr die Wege geebnet sind, eine baldige Erledigung der Trierer Sedisvakanz zu erreichen“808. Um seinen Erfolg zu belegen, übermittelte Pacelli dem Kardinalstaatssekretär die beiden Schreiben der Staatsminister. Nach Schilderung der wesentlichen Stationen des Besetzungsfalls stellte Pacelli es Gasparri anheim, zu entscheiden, ob die Sedisvakanz nun ohne Verzögerung beendet werden sollte – immerhin hatte er erreicht, was er von der preußischen Regierung wollte. Allerdings hatte er auch selbst einen Plan für das weitere Vorgehen ersonnen. Dazu lenkte er die Aufmerksamkeit des Kardinalstaatssekretärs auf die Zusicherung Boelitz’, die Bischofseinsetzungen an die WRV anzupassen. Artikel 137 Absatz 3 bestimmte bekanntermaßen die Autonomie der Religionsgemeinschaften in

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So bemerkt Golombek: „Reichs- und preußische Regierung sahen sich wieder in einer Zwangslage, die die Kurie konsequent für ihre Konkordatspolitik nutzte.“ Golombek, Vorgeschichte, S. 2. Richtiger muss es heißen, dass Pacelli diese Zwangslage für seine Konkordatspolitik nutzte. Übrigens war sich die preußische Regierung bereits im Jahr 1920 darüber im Klaren gewesen, dass es angesichts der französischen Besetzung des Saargebietes nötig sein könnte, bei einer künftigen Bischofswahl in Trier auf eine Beteiligung zu verzichten, wenn dadurch den separatistischen Bestrebungen der Franzosen ein Riegel vorgeschoben werden könnte. Vgl. Selbach, Katholische Kirche, S. 316. „Ora però il Governo prussiano, spinto dall’interesse di una rapida provvista della diocesi di Treviri, ha cominciato a recedere (ciò che a molti sembrava finora impossibile) dalla sua opposizione di massima …“ Pacelli an Gasparri vom 12. Januar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920–1921, Pos. 1728, Fasz. 906, Fol. 41v. Daher glaubte Pacelli nun, bei kluger Verhandlungstaktik Hoffnung schöpfen zu können: „Così è lecito sperare che, per simili motivi di politica estera (ben noti all’Eminenza Vostra), il Governo consenta ad ulteriori concessioni. Non vi sono pur troppo, che io sappia, all’infuori dei suddetti motivi, altri efficaci argomenti per indurlo alla ragione; ma da essi, adoperati con abilità e fermezza – ed al tempo stesso delicatamente, in guisa da togliere qualsiasi apparenza di marchandage o di rappresaglia, che urterebbe in Germania il sentimento nazionale anche dei cattolici, – possono, se non m’inganno, ripromettersi per il bene della Chiesa rilevanti vantaggi.“ Ebd., Fol. 41v–42r. Hervorhebung im Original. Wirth an Pacelli vom 7. Januar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 23bisr. 226

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der Ämterbesetzung, was – so der Kirchenrechtler Pacelli – „gemäß dem offensichtlichen Sinn dieser Aussage, der Absicht des Gesetzgebers und der Lehre verschiedener Autoren jeden staatlichen Einfluss ausschließt“809. Es gebe allerdings Stimmen, die das Recht der Exklusive oder des Vetos gegen eine persona minus grata nicht als staatliche „Mitwirkung“ definieren und daher auch nicht der WRV widersprechend verstehen würden.810 Deshalb sei es notwendig, mit der preußischen Regierung zunächst eine authentische Interpretation des genannten Verfassungsartikels zu vereinbaren. Bei einer vorzeitigen Besetzung der Trierer Diözese ginge dem Heiligen Stuhl aber das geeignetste Druckmittel dazu abhanden. Deshalb stellte Pacelli die Frage, ob man die Besetzung nicht noch etwas aufschieben sollte. Wenn der Heilige Stuhl diesem Vorschlag folgen wolle, dann könne er für dieses Mal (wie schon in Köln und Paderborn) mit den notwendigen Vorbehalten die Kapitelswahl erlauben, „um ein gewisses Entgegenkommen nach den auf jeden Fall unbestreitbar sehr wichtigen Konzessionen zu zeigen, zu denen er die preußische Regierung zwingen musste“811. Sollte die Regierung schließlich gemäß dem 2.) Punkt des Boelitzschen Schreibens unverzüglich die Frage der Bischofsernennungen regeln, „kann der Heilige Stuhl dann endgültig die Vorgehensweise bei den zukünftigen Sedisvakanzen festmachen“812. Wie sich Pacelli den künftigen Besetzungsmodus wünschte, erörterte er hier nicht. Falls also der Papst für dieses Mal die Domkapitelswahl erlaube, sei es notwendig, dass der Heilige Stuhl die zu „wählende“ Person vorgebe. Von Seiten des Domkapitels sah Pacelli hier keine Probleme, denn schließlich hatte Schulte versichert – was der Nuntius an dieser Stelle noch einmal wiederholte –, dass die Domherren sich den römischen Kandidatenwünschen beugen würden. Pacelli hatte also nichts anderes als eine Scheinwahl im Sinn. Damit kam er abschließend auf die Kandidatenfrage zu sprechen. Hier griff er nicht

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„… secondo il senso ovvio della frase, la intenzione del legislatore e la dottrina di vari Autori esclude qualsiasi ingerenza governativa.“ Pacelli an Gasparri vom 9. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 316r. Pacelli dachte hier an die Auffassung des bekannten Heidelberger Staatsrechtlers Gerhard Anschütz. Dieser hatte einen Kommentar zur WRV geschrieben und darin die Meinung vertreten: „Kein Mitwirkungsrecht dagegen ist das dem Staate zustehende Recht des Einspruchs gegen Verleihung von Kirchenämtern an Solche, die den hierfür aufgestellten staatsgesetzlichen Erfordernissen nicht entsprechen. Man kann nicht sagen, daß die Staatsregierung bei der Besetzung des erledigten bischöflichen Stuhles ‚mitwirkt‘, wenn sie sich die Wahl einer von dem Domkapitel in Aussicht genommenen, ihr jedoch nicht genehmen Persönlichkeit … verbittet, indem sie den betreffenden Namen von der ihr vorgelegten Kandidatenliste streicht.“ Anschütz, Verfassung, S. 222. „… per mostrare una qualche condiscendenza dopo le concessioni, ad ogni modo innegabilmente assai importanti, cui ha dovuto piegarsi il Governo prussiano …“ Pacelli an Gasparri vom 9. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 317r. „… la S. Sede potrà allora fissare definitivamente il modus procedendi nelle future vacanze.“ Pacelli an Gasparri vom 9. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 317r. 227

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etwa auf den Vorschlag von Lausberg beziehungsweise Müller zurück, sondern  –  gewiss nicht überraschend – auf die Person und die Begründung, die ihm von Kaas unterbreitet worden war: „Es ist tatsächlich im höchsten Maße wichtig, dass zum neuen Hirten jener Diözese ein Geistlicher erhoben wird, der (außer mit jenen anderen Qualitäten begabt zu sein, die das hohe Amt erfordert813) dem Diözesanseminar die Prägung bewahrt, die ihm vom verstorbenen Monsignore Korum gegeben wurde und diese vielmehr noch unter voller Berücksichtigung der Normen entfaltet, die in der kürzlichen Instruktion der Heiligen Kongregation für die Seminare und Universitäten an die Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands vorgeschrieben wurden.“814

Für diese Aufgabe eigne sich der aktuelle Regens des genannten Seminars, Nikolaus Bares, „ein frommer und gelehrter Priester“815. Zur Information übermittelte Pacelli dem Staatssekretariat eine kurze Biographie des Designierten: Bares sei 1871 geboren und 1895 zum Priester geweiht worden, nachdem er seine Philosophie- und Theologiestudien am Trierer Priesterseminar absolviert habe.816 Nach vierjähriger Seelsorgstätigkeit habe er 1909 eine Dissertation über die protestantische Abendmahlslehre817 an der Universität Breslau eingereicht, woraufhin er zum Professor für Fundamentaltheologie und Exegese am heimischen Priesterseminar ernannt worden sei. 1918 schließlich habe er den Posten des Regens angenommen, zwei Jahre später sei er Geistlicher Rat und Domkapitular geworden. Bares gelte gemeinhin – so fuhr Pacelli in seiner Berichterstattung fort  –  als der beste und aussichtsreichste Kandidat. Auch Kardinal Schulte habe sich über die Personenwahl „ziemlich befriedigt gezeigt“818. Was das letztlich bedeutete, muss offen bleiben, insofern Schulte laut Lausbergs Darstellung eigentlich die Kandidatur Bornewassers unterstützte. Offenbar hatte der Nuntius den Erzbischof beim Berliner Treffen mit der Personalie konfrontiert. Weil Bares – so Pacelli weiter – sich der Politik stets ausreichend fern gehalten habe, habe der Kölner Erzbischof auch unter diesem Gesichtspunkt, angesichts der heiklen Situation des Trierer Bistums, keine Einwände vorbringen können. Dass Kaas seine Quelle gewesen war, verriet 813

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Damit bezog sich Pacelli vermutlich auf die im CIC von 1917 enthaltene Auflistung. Vgl. dazu die Darstellung in Bd. 1, Einleitung I.6. „È invero sommamente importante che a nuovo Pastore di quella diocesi sia elevato un ecclesiastico, il quale (oltre ad essere dotato delle altre qualità richieste per l’alto ufficio) conservi al Seminario diocesano l’impronta datagli dal compianto Mons. Korum e la sviluppi anzi ancor più colla piena osservanza delle norme prescritte nella recente Istruzione della Sacra Congregazione dei Seminari e delle Università agli Arcivescovi e Vescovi della Germania.“ Pacelli an Gasparri vom 9. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 318r. „… sacerdote pio e dotto …“ Pacelli an Gasparri vom 9. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 318r. Vgl. Lebenslauf von Nikolaus Bares, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 24r. Vgl. Bares, Abendmahlsforschung. „… è mostrato assai soddisfatto …“ Pacelli an Gasparri vom 9. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 318r. 228

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Pacelli seinem Vorgesetzten nicht. Ebenso wenig bot er diesem eine Alternative zu Bares in der Person Bornewassers, von dem Pacelli wusste, dass er zumindest die Unterstützung des Trierer Domdekans besaß. Angesichts dessen muss Pacellis Behauptung, Bares sei der aussichtsreichste Kandidat, als einseitig eingestuft werden: Er hielt ihn für am geeignetsten. Pacellis vermeintliche Fortschritte bei den Reichskonkordatsverhandlungen durch die preußische Zusage versprachen also, dass die Besetzung der Diözese Trier bald erledigt sein könnte. Auch Kaas hegte diese Hoffnung, der sie am 10. Januar dem Nuntius vortrug: „Hoffentlich gelingt es den Vorstellungen E[hrwürdiger] Exzellenz, den H[eiligen] Stuhl zu einer beschleunigten, womöglich sofortigen Erledigung der Vakanz in dem besprochenen Sinne zu veranlassen. Je prompter die Regelung erfolgt, um so größer wird meines Erachtens auch ihre Auswertbarkeit bei den kommenden Verhandlungen sein.“819 Er wusste demnach noch nichts von Pacellis Überlegung, die Sedisvakanz noch herauszuzögern, um eine deutlichere Erklärung der Regierungszusagen zu verlangen. Doch nachdem der Nuntius ihn darüber informiert hatte, warnte er entschieden davor, die Zusicherung zur Schulthematik präziser zu fassen und nahm dabei kein Blatt vor den Mund: „Es ist nicht ohne pikanten Reiz, jetzt nach erfolgreichem Abschluss des einleitenden Scharmützels einen Mut konstatieren zu können, der von der Stimmung vor der Schlacht in merkwürdiger Weise absticht. So erfreulich diese Wandlung ist – vorausgesetzt, dass sie von Bestand ist, was ich noch bezweifle  –,  so möchte ich E[hrwürdige] Exzellenz doch nachdrücklich davon abraten und zwar als Vorbedingung für die prompte Erledigung der Trierer Sache. Ich gebe zu, dass der in Punkt 3 gewählte Ausdruck in etwa dehnbar ist. Aber gerade seine Dehnbarkeit und Erweiterungsfähigkeit ist meines Erachtens ein Plus auf unserem Konto, das wir nicht dadurch gefährden dürfen, das wir durch eine eventuelle Rückfrage an die preußische Regierung erkennen lassen, dass wir eine einschränkende Interpretation überhaupt für denkbar halten. Ich warne dringend vor diesem Weg, der mir auch vom psychologischen Gesichtspunkt aus nicht übermäßig gut gewählt erscheint.“820

Anstatt jetzt Einzelfragen aufzuwerfen, sei es wirksamer, den Abschluss des bayerischen Konkordats abzuwarten, und mit diesem Vertragstext der preußischen Regierung zu signalisieren, was der Heilige Stuhl unter der religiösen Seite der Schulfrage verstehe. Für die von Pacelli vorgeschlagene Lösung der Trierer Besetzung empfahl Kaas, sich vom Heiligen Stuhl die notwendige Absicherung geben zu lassen, damit nicht noch ungeahnte Schwierigkeiten aufträten. Die hatte Kaas bereits im Blick: „Wie ich festgestellt habe, erachten sich einige führende Herren nicht an die Erklärung des H[ochwürdigsten] H[errn] Kardinals gebunden und erklären das zweite lateinische Schreiben [sc. des Domkapitels an den Papst, R.H.] quasi im Sinne

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Kaas an Pacelli vom 10. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 59r. Kaas an Pacelli vom 18. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 60rv, hier 60r. 229

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einer Zurücknahme des Kölner Schreibens [sc. der ersten Bittschrift Schultes, R.H.].“821 Die etwas vage gehaltene Aussage bedeutete, dass einige Trierer Kanoniker die Zusage Schultes, das Kapitel werde jeden von Rom präferierten Kandidaten wählen, ablehnten. Tatsächlich hatten sie in ihrer Supplik an Benedikt XV. diese Zusage nicht gegeben.822 Es liegt auf der Hand, dass die Domherren sich nicht zum Spielball von Kaas’ Bischofswünschen instrumentalisieren lassen wollten. Ihr Widerstand gegen den Prälaten ging so weit, sodass sie Bares nicht einmal unter Zwang „wählen“ würden. Dies wurde für Pacelli und Kaas zum Problem: „Damit würde ja dann eine wesentliche Voraussetzung für das von E[hrwürdiger] Exzellenz bekundete Entgegenkommen entfallen. Ich mache hierauf aufmerksam, damit E[hrwürdige] Exzellenz eventuell noch eine Korrektur bez[iehungsweise] Ergänzung Ihres Berichtes in Betracht ziehen können.“823 Als Ausweichmöglichkeit schlug Kaas eine „nominatio mit freundschaftlicher Mitteilung an die Regierung“824 vor. Alternativ könnten die entstehenden Widerstände seiner Ansicht nach eventuell minimiert werden, wenn man dem Kapitel statt einem, zwei oder sogar drei Namen vorlegen würde, allerdings mit besonderer Betonung des erstgenannten, der dann natürlich auch zu „wählen“ wäre. Bedeutsam sei jedenfalls zunächst einmal, vom Heiligen Stuhl die „nötige Bewegungsfreiheit für die Maßnahmen“825 Pacellis einzuholen. Dieser Wunsch sollte sich erfüllen: Gasparri telegraphierte dem Nuntius am 20. Januar, dass er die Vorschläge, die der Nuntius in seiner Berichterstattung dargestellt hatte, billige und Pacelli dementsprechend handeln solle.826

Die Auseinandersetzung zwischen Kaas und Tilmann Das Domkapitel der Diözese Trier hatte zugestimmt, dass seine Bittschrift an den Papst bis nach der Besprechung zwischen Schulte, Bertram und Pacelli einbehalten und anschließend an den Heiligen Stuhl übermittelt wurde. Der Nuntius hatte sie schließlich unter dem Datum des 9. Januar 1922 nach Rom gesandt. Benedikt XV. beziehungsweise Gasparri hatten sich nicht zum Privileg der freien Bischofswahl geäußert, vielmehr vorbehaltlos Pacellis Sicht der Dinge stattgegeben. 821 822

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Kaas an Pacelli vom 18. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 60v. Sie hatten lediglich mit Blick auf die französischen Agitationen im Rheinland und Saargebiet versichert, dass sie überzeugt seien, der Heilige Stuhl würde den Bischofskandidaten gemäß dem Prinzip salus animarum suprema lex ohne politische Hintergedanken auswählen, sollte er einen Kandidaten am Domkapitel vorbei frei ernennen. Vgl. Mause an Benedikt XV. vom 22. Dezember 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 21r-v. Kaas an Pacelli vom 18. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 60v. Kaas an Pacelli vom 18. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 60v. Kaas an Pacelli vom 18. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 60v. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 20. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 64r. 230

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Das Kapitel wartete nun aber ungeduldig auf eine Antwort. Bereits am 5. Januar hatte Schulte den Kapitularvikar über die Berliner Zusammenkunft informiert und offenbar noch Hoffnungen geweckt, dass die Domherren den neuen Bischof wählen durften, wie aus einem Brief Tilmanns an Schulte vom 18. Januar hervorgeht.827 Um Gerüchte zu verhindern, habe er – so Tilmann – darüber nur Dompropst Mause in Kenntnis gesetzt und den anderen Mitgliedern des Kapitels gesagt, dass eine baldige Entscheidung aus Rom zu erwarten sei. Jetzt machte Kaas aber einen Strich durch diese Rechnung: „Damit wäre alles in Frieden geblieben, wenn nicht H[err] Kaas wäre. Als er von Berlin zurückkam, verkündete er verschiedenen Herren, die Wahl sei sehr zweifelhaft, vielleicht erfolge eine Ernennung von Rom. Dabei deutete er auf Regens Bares hin.“828 Der Kanonist hatte also seine vertraulichen Überlegungen mit dem Nuntius nicht für sich behalten können. Daher hatte ihn Tilmann am 16. des Monats zu einer Unterredung vorgeladen, bei der Kaas von Zugeständnissen der Regierung gesprochen und konkret den Verzicht auf die Kandidatenlisten angedeutet habe. Der darauffolgende, von Tilmann geschilderte Wortwechsel ist aufschlussreich: „Ich sagte: ‚Dann wird also gewählt.‘ K[aas]: „Nein, das kann auch bedeuten, der Bischof wird ohne Wahl ernannt.‘ Ich: ‚Was sagt dann der Staat dazu?‘ K[aas]: ‚Ich habe in Berlin festgestellt, dass der Staat auf die Wahl wenig Wert legt, dasselbe lese ich in einem Briefe, den ich von irgendjemand in Rom erhielt.829 Übrigens wäre es möglich, dass dem Kapitel ein Kandidat präsentiert wird, den es wählen darf.‘ Ich sagte, es komme sehr auf den Wortlaut des betreffenden Schreibens an. Im Allgemeinen glaube ich nicht, dass das Kapitel sich auf eine solche Wahlkomödie einlasse, am Ende gar noch Gebete dafür ausschreibe u.s.w. Wir hätten um freie Ausübung des Wahlrechts gebeten. Darauf bemerkte K[aas]: ‚Die Eingabe des Domkapitels ist in Form und Inhalt verfehlt und eine verunglückte Aktion.‘ Ich sagte, sie hat wenigstens den Wert, dass man in Rom unsere Stimmung erfährt und auf die politischen Momente aufmerksam wird. Da leistete sich K[aas] eine Äußerung, die ich mit Mühe ruhig anhören konnte: ‚Am besten käme von Rom ein Telegramm: der ist Bischof. Das Domkapitel ist gar nicht fähig, eine objektive Wahl vorzunehmen.‘ Ich sagte: ‚Deshalb haben wir noch keinen Grund ohne Weiteres darauf zu verzichten, zumal wir von durchaus sachlichen Gründen geleitet sind.‘ Diese ganze aufgeregte Auslassung frappierte mich nach der von E[hrwürdiger] Eminenz erhaltenen Information so, dass ich beim Aufstehen mich nicht enthalten konnte zu sagen: ‚Nach meinen Informationen haben wir Hoffnung wählen zu dürfen, vielleicht werden uns

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Vgl. Tilmann an Schulte vom 18. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 61r–62r. Vgl. dazu auch die Selbstaussage Schultes: „… dass ich nach meiner Rückkehr von Berlin dem auf Informationen wartenden Domkapitel in kürzester und vorsichtigster Fassung mitgeteilt habe, es bestünde meines Erachtens doch noch einige Aussicht auf Bischofswahl, wenn auch der H[eilige] Stuhl vielleicht nicht im unklaren darüber ließe, welchen Kandidaten er wünsche. Das Domkapitel möge sich fortan vollkommen ruhig und passiv verhalten.“ Schulte an Pacelli vom 20. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 63rv, hier 63r. Tilmann an Schulte vom 18. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 61r. Worauf Kaas damit anspielte, geht aus den vatikanischen Akten nicht hervor. 231

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Kandidaten empfohlen, aber mehrere.‘ Ich war dabei auch von dem Gedanken geleitet, die ganze Haltung von Kaas, die doch ohne Unterlage sein musste, beruhe auf Verstellung. Ich bedauerte aber meine Bemerkung sofort. K[aas] fuhr sichtlich zusammen und zeigte die größte peinlichste Überraschung. Er wusste kaum ein Wort zu finden und sagte schließlich, der Nuntius habe unsere Wahl empfohlen.“830

Ob sich die Kontroverse genau so abspielte, wie Tilmann sie darstellte, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Zumindest schien sich der impulsive Kanonist erlaubt zu haben, einige Überlegungen Pacellis preiszugeben, wie dessen Empfehlung an Gasparri, dem Kapitel eine zu wählende Person zu präsentieren. Inwieweit Kaas’ scharfe Anklagen, die Bitte des Kapitels an den Papst sei eine „verfehlte und verunglückte Aktion“ gewesen und die Kapitulare seien nicht in der Lage, „eine objektive Wahl vorzunehmen“ auch Gedanken Pacellis waren, die er dem Kanonisten gegenüber vielleicht vertraulich geoffenbart hatte, muss offen bleiben. Tilmanns Beschwerdebrief an Schulte war aus der Furcht geboren, Kaas werde „in einem wahlfeindlichen Sinn“831 weiter wirken. Außerdem wolle dieser mit seinem Eintreten für „den integralen und wenig selbständigen Regens Bares“ eine „Umgestaltung des Seminars in dem Sinne, dass das Professorenkollegium sich vom Regens unabhängig macht, einen Dekan wählt. Neben diesem soll dann ein Nichtwissenschaftler lediglich zur Erziehung der Seminaristen als Regens wirken. Deshalb muss Bares, der Professor ist, weichen.“832 Der Kölner Erzbischof reichte dem Nuntius die Klage Tilmanns am 20. Januar weiter und unterstützte den Kapitularvikar: „E[hrwürdige] Exzellenz bitte ich herzlich, sich in der Trierer Sache nicht auf das subjektiv gefärbte Urteil des Herrn Prälaten Kaas allein zu verlassen. Die Dinge liegen nach meiner Überzeugung anders, als Herr Prälat Kaas sie sieht.“833 Der Kanonist hätte sich – so Schultes Überzeugung – in der Frage der Trierer Bischofswahl mehr zurückhalten müssen. Alle Fäden lagen nun in Pacellis Hand. Aus Rom hatte er grünes Licht erhalten. Konnten Tilmann und Schulte das Vertrauen des Nuntius in seinen Berater erschüttern? Offensichtlich war das nicht der Fall. In seiner Replik an Schulte vom 21. Januar bestätigte Pacelli die Aussage Kaas’, dass er

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Tilmann an Schulte vom 18. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 61r-v. Tilmann an Schulte vom 18. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 61v. Tilmann an Schulte vom 18. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 62r. Tilman spielte hier auf die Unzufriedenheit an, die Kaas auch schon vor seiner Ernennung zum Professor für Kanonisches Recht im April 1918 gegenüber dem Trierer Seminar hegte. Für ihn bot die dortige Situation zu wenig Möglichkeiten, um wissenschaftlich zu arbeiten. Häufiger spielte er deshalb mit dem Gedanken, einen Universitätslehrstuhl zu besetzen. Von daher ist es leicht denkbar, dass die Analyse Tilmanns, Kaas erstrebe eine größere Unabhängigkeit für das Professorium, nicht eines gewissen Fundaments entbehrte. Vgl. zu Kaas’ Verhältnis zum Trierer Seminar May, Kaas 1, S. 130–143. Schulte an Pacelli vom 20. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 63r. 232

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Gasparri für dieses Mal die Kapitelswahl angeraten habe und darin bereits bestätigt worden sei.834 Eine Grundvoraussetzung sei jedoch, dass dem Personenwunsch des Heiligen Stuhls entsprochen werde. Nun habe er aber „vor einigen Tagen aus zuverlässiger Quelle die Nachricht erhalten, dass einige führende Herren im dortigen Kapitel sich nicht an obige Voraussetzung gebunden erachten“835. Diese Quelle war Kaas gewesen, den Pacelli nach der Eingabe Schultes natürlich nicht namentlich nannte. Dessen Information nahm er aber ernst genug, um sich vom Kölner Kardinal „sichere Garantien“ zu erbitten, „um mich in der Lage zu finden, die Angelegenheit zu fördern“836. Auf welchen Kandidaten sich das Augenmerk des Heiligen Stuhls richte, sei Schulte bereits bekannt. Pacelli war also von der Eignung des Trierer Regens nach wie vor überzeugt.

Der Widerstand des Trierer Domkapitels Eigentlich war der weitere Weg der Besetzung klar vorgezeichnet: Sollte das Domkapitel garantieren, Bares zu wählen, wäre die Scheinwahl perfekt. Jedoch kam nun etwas Unvorhergesehenes dazwischen: Am 22. Januar starb Papst Benedikt XV. Schulte musste daher zum Konklave nach Rom reisen, dessen Beginn auf den 2.  Februar terminiert wurde.837 Er bat Pacelli, die Trierer Angelegenheit auf der Durchreise in München mündlich zu besprechen.838 Bevor er sich auf den Weg machte, habe er jedoch – wie er dem Nuntius mitteilte – Tilmann zu sich bestellt, um die von Pacelli verlangte Garantie einzuholen, dass das Kapitel Bares wählen werde.839 Wie erwartet habe sich Tilman jedoch gegen den Regens ausgesprochen, obgleich dieser „ein durchaus frommer u[nd] auch geistig hochstehender Priester sei, nur sehr weich und konnivent“840. Negativ werte der Kapitelsvikar zum einen Bares’ enge Verbindung zu Weihbischof Antonius Mönch, dem er völlig ergeben sei, zum anderen dessen Protektion durch Kaas. Schulte schlug Pacelli eine Beifügung von weiteren Kandidaten vor, um durch die Vermeidung einer „auf alle Kreise peinlich wirkenden Scheinwahl“841 am ehesten die Durchsetzung des von Rom protegierten Bares zu erreichen. Dieser Vorschlag war freilich nicht mehr als eine kosmetische Korrektur, denn wenn der zu wählende Kandidat vor der Wahl feststand, blieb der Wahlakt eine 834 835 836 837 838

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Vgl. Pacelli an Schulte vom 21. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 65rv. Pacelli an Schulte vom 21. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 65r. Pacelli an Schulte vom 21. Januar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 65v. Vgl. Jedin, Päpste, S. 26. Vgl. Schulte an Pacelli vom 22. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 66r und Schulte an Pacelli vom 23. Januar 1922, ebd., Fol. 67r. Vgl. Schulte an Pacelli vom 26. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 69r–70r. Schulte an Pacelli vom 26. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 69r. Schulte an Pacelli vom 26. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 69r. 233

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Scheinhandlung, ganz gleich wie viel Namen auf der Liste standen. Zwei Fragen legte Schulte dem Kapitularvikar daher zur Klärung vor: 1. würde das Domkapitel Bares „wählen“, wenn dieser von Rom als der einzig wählbare Kandidat bezeichnet würde und 2. würde es ihn als von Rom favorisierten Kandidaten unter mehreren als wählbar deklarierten Namen „wählen“? Tilmann befragte die übrigen Domherren darüber und schickte Schulte, der zu diesem Zeitpunkt schon in München war, telegraphische Antwort: „voraussetzung wird bei singular keine mehrheit finden voraussichtlich auch nicht bei plural“842, das heißt weder bei Alternative 1 noch 2 käme eine Majorität der Stimmen für Bares zusammen. Schulte versuchte dem Nuntius diese Entscheidung des Kapitels zu erklären: „Das Domkapitel will lieber, falls Rom ihm keine andere Möglichkeit überhaupt als Bares zugesteht, direkt von Rom den Bischof bestellt sehen, als eine Wahl zu tätigen, die nach seiner Auffassung den Namen Wahl nicht mehr verdient und die, wenn sie bekannt würde, als bloße Scheinwahl den H[eiligen] Stuhl in Widerspruch mit sich selbst setzt, da er früher von der preuß[ischen] Regierung gefordert, auf den Bischofslisten wenigstens 3 Namen stehen zu lassen, da sonst keine Wahl mehr möglich sei.“843

Dazu kämen die beiden von Tilmann angesprochenen Einwände gegen Bares, denen sich die übrigen Kapitulare anschließen würden. Was war nun zu tun? Pacelli könnte  –  so der Kölner Kardinal – Gasparri darüber informieren, dass Schultes Vertrauen, „das Domkapitel würde in jedem Falle die vom H[eiligen] Stuhl bevorzugte und benannte Person wählen, sich als irrig erwiesen habe“844 und der Nuntius das Kapitel deshalb nicht zur „Wahl“ von Bares beauftragen könne. Außerdem sollte man bis zur Wiederbesetzung der Cathedra Petri warten und anschließend das Trierer Kapitel eine Terna zusammenstellen lassen – ob Bares in diese Liste aufgenommen werden sollte oder nicht, ließ Schulte dahingestellt –, wobei dem Heiligen Stuhl die freie Nomination zu reservieren sei. Auch das Domkapitel selbst wollte seine Ablehnung gegenüber dem Nuntius rechtfertigen und beauftragte damit Domdekan Müller, der Pacelli am 27. Januar brieflich versicherte, dass die Kapitelsentscheidung „kein Mangel an Ehrerbietung gegen den H[eiligen] Stuhl“845 bedeute. Genau wie Schulte bereits erwähnt hatte, betonte auch Müller, dass die Domherren keinen 842 843

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Tilmann an Schulte vom 25. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 68r. Schulte an Pacelli vom 26. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 69v. Hervorhebung im Original. Tatsächlich hatte der Heilige Stuhl immer wieder darauf insistiert, dass die Domkapitel nur dann wählen sollten, wenn die Wahlliste nach der staatlichen Durchsicht zumindest noch aus drei Geistlichen bestand. Vgl. zum Beispiel das Breve Pius’ IX. an das Freiburger Domkapitel vom 4. Mai 1868, abgedruckt bei Friedberg, Staat, Aktenstücke S. 207f., hier 208. Schulte an Pacelli vom 26. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 70r. Hervorhebung im Original. Müller an Pacelli vom 27. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 71r–72v, hier 71v. 234

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Kandidaten wählen würden, der ihnen vorgegeben sei. Denn das sei keine Wahl mehr und der Schutz der freien Kapitelswahl sei doch erst kürzlich durch das Rundschreiben Mariano Kardinal Rampollas vom 20. Juli 1900 noch eingeschärft worden. Der zweite Einwand richtete sich gegen die Person Bares’: 1. als Bischof hätte er einen „allzu schmiegsamen und zu wenig selbständigen und festen Charakter“846; 2. durch seine ausgeprägte Anhänglichkeit an die „Berliner Richtung“ im Gewerkschaftsstreit könnte der Streit mit der „Christlichen Richtung“ erneut ausbrechen; 3. „Ein Bischof von der Gnade des Herrn Prälaten Dr. Kaas würde nicht nur beim Domkapitel, sondern in der ganzen Diözese den peinlichsten Eindruck hervorrufen!“847 Kaas wolle nicht nur seine eigenen Pläne bezüglich des Priesterseminars durchsetzen, sondern auch durch die Beeinflussung Bares’ an der Leitung der Diözese partizipieren. Angesichts dieser Argumente glaubte Müller die schon einmal formulierte Bitte, dass dem Kapitel wenigstens für dieses Mal die freie Bischofswahl konzediert werden möge, wiederholen zu können. Pacelli setzte am letzten Tag des Monats ein Schreiben auf, in dem er sich für die umfassende Information bedankte.848 Aus ihm geht hervor, dass er sich den Vorschlag Schultes, die Angelegenheit bis nach erfolgter Papstwahl ruhen zu lassen, zu eigen gemacht hatte. Er wies Müller darauf hin, dass die Trierer Diözese sich deshalb noch gedulden müsse. Übrigens – so prognostizierte Pacelli – müsse man davon ausgehen, dass Schulte seinen Aufenthalt in Rom zu weiteren Besprechungen nutzen werde. Da Müller allerdings am 3.  Februar bei Pacelli zur Audienz erschien, sandte dieser das Schreiben nicht mehr ab, sondern unterrichtete den Dekan mündlich über diesen Sachverhalt.849

Schulte in Rom – Eine plötzliche Wendung der Dinge Pacelli sollte mit der Vermutung, Schulte werde in Rom die Trierer Angelegenheit erörtern, recht behalten. Am 6. Februar wählten die Kardinäle Achille Ratti zum neuen Papst. Pius XI. bestätigte Gasparri in seinem Amt als Kardinalstaatssekretär. Drei Tage darauf telegraphierte dieser an seinen Untergebenen in Deutschland, dass neue Instruktionen bezüglich der Bischofswahl in Trier anstünden.850 Mit der Wortwahl war eigentlich schon genug gesagt. Der Eindruck bestätigte sich mit dem Telegramm, das Gasparri am Folgetag verfasste: „Der Heilige Vater gesteht, als Beweis seines Ver846 847 848

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Müller an Pacelli vom 27. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 72r. Müller an Pacelli vom 27. Januar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 72v. Vgl. Pacelli an Müller vom 31. Januar 1922 (Entwurf/​Ausfertigung), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 73r/​ 74r. Vgl. Müller an Pacelli vom 1. Februar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 75r und den Antwortentwurf auf demselben Blatt. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 9. Februar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 76r. 235

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trauens, dem Trierer Kapitel die völlige Freiheit in der Wahl des neuen Bischofs für dieses Mal zu, sofern jegliche Einmischung durch die Regierung ausgeschlossen bleibt.“851 Dieses Ergebnis muss dem Einwirken Schultes auf die Kurie zugeschrieben werden, ohne dass aus den Akten deutlich wird, bei wem und wie er vorstellig wurde. Vermutlich hatte Schulte das Thema beim neuen Papst persönlich angeschlagen. War diese Wendung der Dinge nun eine Niederlage Pacellis? Das wird man grundsätzlich nicht verneinen können. Zwar konnte er mit Hilfe der Vakanz des Trierer Bischofsstuhls die Verhandlungsbereitschaft der preußischen Regierung ankurbeln, aber in seinen Vorstellungen zum Kandidaten war er gescheitert, denn nach den ihm zugegangenen Informationen war es undenkbar, dass Bares aus einer freien Kapitelswahl als Sieger hervorginge.852 Nichtsdestotrotz teilte er Dompropst Mause die Nachricht Gasparris am 12. Februar mit, qualifizierte sie als eine „erfreuliche Mitteilung“ und drückte seine „herzlichsten Wünsche für eine glückliche und für das Wohl der altehrwürdigen Trierer Kirche segensreiche Wahl aus“853. Bevor man in Trier zur Abstimmung schreiten konnte, erreichte Kapitularvikar Tilmann am 16. Februar ein Telegramm des Kölner Erzbischofs aus Rom.854 In diesem bat Schulte, auf höhere Anordnung verweisend, den Wahlakt bis zu seiner Rückkehr aufzuschieben. Er wolle sich zunächst mit ihm in Koblenz – also auf der Durchreise zurück zu seinem Metropolitansitz – treffen, um über die Gesprächsergebnisse in Rom zu berichten.855

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„Santo Padre come prova di fiducia nel Capitolo di Treviri gli concede per hac vice piena libertà nell’elezione nuovo Vescovo, perché resti esclusa qualunque ingerenza Governo.“ Gasparri an Pacelli vom 10. Februar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 77r. Damit muss die ohne vatikanische Quellen aufgestellte Vermutung Heyens relativiert werden, die Wahl Pius’ XI. habe „den Ablauf in Trier vielleicht etwas verzögert, das Ergebnis aber wohl nicht beeinflußt“. Heyen, Franz Rudolf Bornewasser, S. 173. Laut Selbach habe Pacelli, nachdem er den französischen Botschafter Dard über die Wahlerlaubnis informiert habe, „den Eindruck“ vermittelt, dass der französische Favorit Bares „mit großer Wahrscheinlichkeit gewählt werde“. Selbach, Katholische Kirche, S. 320. Entweder hat der Franzose Pacellis Äußerungen falsch gedeutet oder – was wahrscheinlicher ist – der Nuntius wollte absichtlich sein Wissen zurückhalten. Meines Erachtens folgert Selbach korrekt, dass es Pacelli so möglich war, die Verantwortung für den Wahlausgang, der den französischen Interessen schließlich zuwider laufen sollte, von sich weisen und auf das Domkapitel schieben zu können. Denn dadurch minimierte er die Gefahr einer weiteren Belastung der Beziehungen zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhl. Pacelli an Mause vom 12. Februar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 78r. Vgl. Schulte an Tilmann, Eingangsdatum 16. Februar 1922, abgedruckt bei Thomas, Kirche, S. 41. Diese Zusammenkunft fand vermutlich am 21. Februar statt, wie Thomas, Kirche, S. 41 anmerkt und sich auch aus den Anmerkungen Pacellis über den Reiseweg Schultes ergibt. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 21. Februar, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 28rv. 236

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Der modus procedendi der Bischofswahl Das Engagement des Kölner Erzbischofs ging sogar so weit, dass er noch in Rom in enger Abstimmung mit dem Staatssekretariat eine Wahlordnung entwarf.856 Gasparri übersandte sie am 16. Februar an die Münchener Nuntiatur.857 Der modus procedendi umfasste sechs Punkte: 1. Die Bischofswahl durch das Domkapitel erfolgt geheim durch alle Phasen hindurch. 2. In geheimen Vorverhandlungen stellt das Kapitel eine Liste mit fünf würdigen Kandidaten auf. 3. Diese Fünferliste wird dem Metropoliten oder, fehlt dieser, dem ältesten Bischof der Provinz vorgelegt, der die Dignität der designierten Personen eruiert und das Kapitel über das Ergebnis unterrichtet. Sollte diese Ordnung schließlich Staatskirchenrecht in Deutschland werden, muss der Metropolit sich bei der Regierung versichern, dass vom politischen Standpunkt aus keine Einwände gegen die Kandidaten geltend gemacht werden. 4. Das Skrutinium auf Basis dieser Liste geschieht capitulariter ohne öffentliche Bekanntmachung oder festliches Zeremoniell. Der electus muss absolut geheim bleiben und entweder direkt oder über den Metropoliten (beziehungsweise den ältesten Provinzbischof) zusammen mit dessen persönlicher Meinung vermittelst des Nuntius dem Heiligen Stuhl mitgeteilt werden. 5. Nach der ausdrücklichen Approbation durch den Heiligen Stuhl darf der Gewählte verkündet und der Regierung kommuniziert werden. 6. Im Anschluss an diese rechtmäßige Promulgation erwirbt der Gewählte die Rechte des Diözesanbischofs.858

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Vgl. modus procedendi der Trierer Bischofswahl, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 80r; abgedruckt bei Thomas, Kirche, S. 42. Dass dieser Modus von Schulte selbst stammte, geht aus dem Entwurf eines Schreibens Pacellis an Schulte hervor, in dem der Nuntius den Kölner Kardinal als Urheber bezeichnete. Vgl. Pacelli an Schulte vom 21. Februar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 82r. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 16. Februar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 79r. Vergleicht man die bisherige Regelung mit diesem Modus, fallen sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede auf: So sollte die Praxis einer Kandidatenliste von Seiten des Domkapitels beibehalten werden. Neu war, dass die Tauglichkeit der vom Kapitel aufgestellten Kandidaten durch den Metropoliten überprüft werden sollte. Falls diese Wahlordnung in Deutschland allgemeine Anwendung finde, müsste dieser – nicht etwa wie zuvor das Domkapitel – der Regierung die Namen vorlegen. Allerdings hatte die staatliche Seite kein Ausschlussrecht, sondern „nur“ ein wesentlich enger gefasstes politisches Bedenkenrecht. Was unter diesen Bedenken politischer Natur zu verstehen war, war in der Kurie noch nicht abschließend geklärt. Damit beschäftigte sich die AES im Sommer 1922 (vgl. dazu Bd. 3, Kap. II.2.1 (Die Klärung der politischen Klausel)). Einen Wahlkommissar wie bisher sollte es nicht geben, 237

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Aus Zeitgründen könne man – so der Staatssekretär – dieses Mal auf die ersten drei Punkte verzichten.859 Pacelli gab diese Erlaubnis umgehend an den mittlerweile wieder in Köln befindlichen Erzbischof weiter.860 Dieser kommunizierte sie dem Domkapitel am nächsten Tag, dem 22. Februar.861 In seiner Bestätigung für Gasparri, dass er den modus procedendi erhalten habe, enthielt sich der Nuntius jedes Kommentars zu den neuesten Entwicklungen.862 Er bat lediglich um eine Klärung des vierten, ihn selbst betreffenden Punktes: Sei er wie bislang verpflichtet, Informationen über den Gewählten einzuholen, wenn das Kapitel ihm das Wahlergebnis mitteile, oder könne er sich schlicht auf die Weitervermittlung nach Rom beschränken, wie es der Wortlaut des Ordo nahelege? Während Pacelli auf eine entsprechende Anweisung wartete, liefen in Trier die Wahlvorbereitungen an.

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vielmehr die Wahl ohne Ankündigung stattfinden und der Gewählte auch erst nach der römischen Bestätigung publiziert werden. Damit war es für Außenstehende natürlich erheblich schwerer, sich in die Wahl einzumischen. Über den electus sollte schließlich wiederum der Metropolit ein Urteil verfassen, das eine wesentliche Grundlage für die römische Approbation bilden würde. Wer bei diesem Modus fast vergessen wurde, war der Apostolische Nuntius. Auch dem Papst gestand das Verfahren nicht mehr Einfluss zu als die bisherige Regelung. Drei Besonderheiten dieses modus procedendi stechen besonders hervor: 1. Deutlich sichtbar ist, dass dieser Modus staatliche Einflussnahmen so weit als möglich ausschließen sollte. Das politische Bedenkenrecht war das Maximum, was man dem Staat gewähren wollte. Diese Ausrichtung passt zur Wahlerlaubnis Pius’ XI.: Er gestattete dem Trierer Domkapitel die Wahl nur unter der Bedingung, dass die Regierung außen vor gehalten wurde – dass dies möglich war, war ein Verdienst Pacellis. 2. In der hervorgehobenen Rolle des Metropoliten ist sicherlich in besonderer Weise die Handschrift des Kölner Erzbischofs zu erkennen, der sich damit eine wichtige Beteiligung am Verfahren sicherte. 3. Schulte stellte sich offenbar vor, dass dieser Modus in Deutschland allgemeine Gültigkeit erlangen könnte. Darauf weist a) der Passus über die politische Klausel hin; b) die genaue Formulierung des 1. Punktes des Modus: „L’elezione dei Vescovi in Germania per il Capitolo Cattedrale …“ Modus procedendi der Trierer Bischofswahl, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 80r. Hervorhebung R.H.; c) die Tatsache, dass Gasparri sofort von den ersten Punkten der Wahlordnung dispensierte – war dieses Verfahren nur für Trier gedacht, hätte man sich die Mühe sparen können, eine solch umfassende Wahlordnung zu erstellen und sie dann doch nicht einzuhalten. Noch bevor den Nuntius diese Wahlordnung erreichte, machte Schulte auf der Rückreise von der Ewigen Stadt in München halt, um mit Pacelli die Einzelheiten der Trierer Wahl zu besprechen. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 16. Februar 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 81r. Das Gespräch fand am späten Abend des 19. Februar statt. Was genau besprochen wurde, geht aus den römischen Dokumenten nicht hervor. Zu vermuten ist jedoch, dass die Kandidatenfrage Gesprächsthema war. Vgl. Pacelli an Schulte vom 21. Februar 1922 (Entwurf), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 82r. Vgl. Thomas, Kirche, S. 41f. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 21. Februar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 28rv. 238

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Die Wahlordnung von Domdekan Müller Auf Basis des modus procedendi erstellte Kapitelsdekan Müller einen ordo in electione Episcopi Trevirensis observandus.863 Diese Wahlordnung, die auf den 25. Februar datiert, sollte beim Wahlakt, der für zwei Tage später angesetzt war, genau eingehalten werden. Zunächst stellte der Dekan fest, dass frühzeitig alle 13 wahlberechtigten Kanoniker – das waren die beiden Kapitelsdignitäten (Propst und Dekan), acht Titularkanoniker und drei Ehrenkanoniker (das vierte Ehrenkanonikat war zu diesem Zeitpunkt vakant) – zur Wahl des neuen Bischofs am 27. Februar eingeladen worden waren.864 An diesem Tag sollten morgens nach der Gemeinschaftsmesse Vorverhandlungen innerhalb des Kapitels stattfinden, am Nachmittag nach der Vesper schließlich die eigentliche Wahl. Gemäß der Erlaubnis Gasparris, auf die ersten drei Punkte des modus procedendi zu verzichten, sollte also keine Fünferliste aufgestellt werden. Doch von den geheimen Vorverhandlungen über geeignete Kandidaten wollten die Domherren nicht ablassen. Entsprechend der preußischen Zusage und der Wahlbedingung des neuen Papstes wurden der Regierung keine Namen zur Prüfung vorgelegt. Der Wahltag sollte dann folgendermaßen strukturiert werden: 1. Gemäß dem vierten Punkt des modus procedendi wird auf jede öffentliche Bekanntgabe der Wahl verzichtet: Keinen Anschlag an den Türen des Domes, keine Anzeige in Zeitungen und kein Glockengeläut, das auf die bevorstehende Wahlhandlung hindeuten könnte. Auch wird für die Gemeinschaftsmesse nicht das Formular der Votivmesse de Spiritu Sancto gewählt, „um im Klerus oder Volk keinen Verdacht zu erwecken“865 – auf Geheimhaltung wurde also höchster Wert gelegt. Nach der Messe finden sich alle Domherren in der Sakristei ein, wo nach Brauch die Kapitelswahlen stattfanden. 2. Nachdem der Propst des Kapitels die Anwesenheit aller eingeladenen Kanoniker konstatiert hat, bittet er jemanden, das Amt des Protokollanten zu übernehmen. Die übrigen müssen dieser Wahl zustimmen und der Schriftführer einen Eid leisten, sein Amt gewissenhaft und verschwiegen zu erledigen. Im Anschluss daran verliest der Propst den – bereits erwähnten – Brief Kardinal Schultes vom 22. Februar, der dem Kapitel streng auferlegte, die Wahl völlig geheim zu vollziehen und weder Klerus, Volk noch Staatsregierung den Erwählten zu kommunizieren, bevor der Heilige Stuhl seine Erlaubnis gegeben hat. Danach wird über Kandidaten diskutiert und festgelegt, dass die Wahlordnung den Ca-

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Vgl. ordo in electione Episcopi Trevirensis observandus vom 25. Februar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 32r–33v. Die Einladungen waren am 24. Februar verschickt worden. Vgl. Thomas, Kirche, S. 43. „… ne suspicio oriatur in clero vel popolo …“ Ordo in electione Episcopi Trevirensis observandus vom 25. Februar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 32r. 239

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nones des CIC und den für diesen besonderen Fall vorgegebenen Bestimmungen des Heiligen Stuhls folgt.866 Am Nachmittag um 14.30 Uhr kommen alle Wähler erneut in der Sakristei zusammen, um die Bischofswahl durchzuführen. Nach Prüfung der Anwesenheit aller Wahlberechtigten wird kniend der Hymnus Veni Creator Spiritus samt dem zugehörigen Versikel und der Oration gebetet. Daraufhin leistet jeder einzeln den Eid im Angesicht des Kreuzes und der heiligen Evangelien, nämlich „seine Aufgabe treu zu erfüllen, keinen Untauglichen zuzulassen …, den Würdigsten zu wählen … und auch das Geheimnis zu wahren“867. Nach diesem Versprechen erfolgt die laute und deutliche Verlesung des Briefes Kardinal Rampollas vom 20. Juli 1900 an die Bischöfe und Domkapitel Deutschlands sowie des Breves Pius’ VII. Quod de fidelium. Aus dem Kollegium werden nun durch geheime Abstimmung zwei Wahlprüfer (scrutatores) bestimmt, die zusammen mit dem Propst wiederum einen Eid über die gewissenhafte Amtsführung und die Verschwiegenheit hinsichtlich der Vorgänge innerhalb der Wahlversammlung (auch nach beendeter Wahl gemäß Can. 171 CIC) leisten. Die beiden Wahlprüfer teilen daraufhin die Stimmzettel aus, auf die die Wähler jeweils den Namen schreiben, für den sie votieren. In einer Hülle (involucrum) eingeschlossen, werden dann die ausgefüllten Stimmzettel der Reihe nach den beiden Prüfern übergeben. Nachdem diese überprüft haben, ob die Zahl der Wähler mit der der abgegebenen Stimmzettel konvergiert, werden diese geöffnet und die Namen notiert. Der Propst vermeldet anschließend das Wahlergebnis. Der neue Bischof steht fest, sobald einer mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich vereint. Sollte dieses Resultat nicht erreicht werden, muss die Wahlhandlung wiederholt werden. Nach dem letzten Wahlgang werden die Stimmzettel vernichtet. Der Protokollant hält den gesamten Fortgang der Wahl akribisch fest. Das Protokoll wird schließlich von ihm, dem Propst und den beiden Wahlprüfern unterschrieben. Gemäß der Ziffer vier des modus procedendi werden die Wahlunterlagen schlussendlich dem Metropoliten zugesandt, der sie über die Apostolische Nuntiatur dem Heiligen Stuhl zukommen lässt. Das Ende der Wahlversammlung bildet das Te Deum.

Dieser letzte Punkt war eine Anspielung auf den (verkürzten) modus procedendi und die Vorgaben, die aus dem Gespräch zwischen Schulte und Pacelli vom 19. Februar in München erwachsen waren. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.3 Anm. 859. Vgl.: „Deinde praestabunt omnes et singuli juxta ordinem praecedentiae, coram Cruce, Sanctis Evangeliis, juramentum de munere suo fideliter implendo, de non admittendo inhabili …, de eligendo digniore … necnon de secreto servando.“ Ordo in electione Episcopi Trevirensis observandus vom 25. Februar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 32v. Der Eid basierte auf Trid. sess. XXIV c. 1 de ref., Wohlmuth (Hg.), Dekrete 3, S. 759–761. 240

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Die Wahl Franz Rudolf Bornewassers zum Bischof von Trier Damit war das Prozedere für den Wahltag genau abgesteckt. Sie fand – wie gesagt – am Montag, dem 27. Februar, in der Sakristei des Trierer Doms statt und zwar beinahe genau wie im ordo in electione Episcopi Trevirensis observandus vorgeschrieben.868 Zum Protokollführer war Kanoniker Johann Disteldorf ausersehen worden, das Amt des Wahlprüfers übernahmen die Domherren Peter Christ und Nikolaus Bares. Anders als im Ordo vorgesehen wurden offenbar die Letztgenannten vor der Verlesung von Rampollas Schreiben und des Breves zu dieser Aufgabe berufen. Die Zahl der ausgefüllten Stimmzettel stimmte mit der Anzahl der 13 Wähler überein. Die Auszählung ergab, dass bereits im ersten Wahlgang sämtliche Voten auf den Kölner Weihbischof und Aachener Stiftspropst, Franz Rudolf Bornewasser, entfallen waren. Dompropst Mause, Christ, Bares und Disteldorf unterzeichneten abschließend das Wahlprotokoll. In der Vorverhandlung des Kapitels am Morgen des Wahltages war also das Entscheidende passiert: Man hatte sich auf Bornewasser als neuen Bischof geeinigt. Die Wahl selbst war nur ein formaler Akt gewesen. Die Designation des Kölner Weihbischofs war keine Überraschung, denn schon im Dezember des Vorjahres hatte Domdekan Müller ihn als Kompromisskandidaten ins Spiel gebracht. Alois Thomas schließt aus dem Faktum, dass auf die Fünferliste verzichtet worden war, dass Kardinal „Schulte im Gespräch mit Kapitularvikar Tilmann die Wahl eines bestimmten Kandidaten [sc. Bornewassers, R.H.] empfohlen hatte, den Rom für geeignet hielt und von dem Schulte auch wußte, daß er der Preußischen Staatsregierung genehm war“869. Ob der Kölner Erzbischof sich bei seinem Rombesuch mit Pius XI. und Gasparri auch über die Kandidatenfrage ausgetauscht hatte, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden. Da es in der römischen Wahlkonzession ausdrücklich hieß, die Bischofswahl sei völlig frei, ist davon auszugehen, dass der Wahlausgang für die Kurie tatsächlich offen war. Natürlich ist es möglich, dass Schulte ihr einen Wahlsieg Bornewassers prophezeite, ihre Reaktion auf den Genannten abklopfte und für den Stiftspropst bereits ein gutes Wort einlegte.870 Thomasʼ Einschätzung, dass der Metropolit die Wahl Bornewassers dem Kapitelsvikar beim Treffen in Koblenz empfahl, erscheint völlig richtig: Gegen Schultes Rat wäre wohl kein einstimmiges Votum für den Stiftspropst zustande gekommen.871 Dass dieser in „Rom für geeignet“ befunden und 868

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Vgl. descriptio electionis Episcopi Treverensis habitae die 27. mensis Februarii 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 34r–35r. Thomas, Kirche, S. 42. Dies entspräche der Vermutung Selbachs, laut der Schulte die Kurie überzeugt habe, „dass eine Kandidatur Bornewassers wünschenswert sei“. Selbach, Katholische Kirche, S. 318. Sollte diese Empfehlung Schultes an Tilmann jedoch noch weiter gegangen sein, in dem Sinne, dass Papst, Staatssekretär und Kölner Erzbischof überein gekommen wären, dem Domkapitel die Wahl Bornewassers „anzuraten“, dann wäre dies einer Scheinwahl wieder sehr nahe gekommen. Außerdem 241

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gleichzeitig der staatlichen Seite „genehm“ sein würde, war schon daraus abzuleiten, dass dieser erst Anfang 1921 vom Heiligen Stuhl als Weihbischof der Erzdiözese Köln approbiert und vom preußischen Ministerpräsidenten zum Aachener Stiftspropst ernannt worden war. Ein Widerspruch beider Parteien war allein schon deshalb nicht zu erwarten. Im Gegenteil konnten insbesondere preußische und Reichsregierung mit Bornewasser hochzufrieden sein, da an dessen national-loyaler Einstellung kein Zweifel bestand.872 Für Pacelli hingegen bedeutete der erwartete Wahlausgang das endgültige Ende seiner Bemühungen, Bares auf den vakanten Bischofsstuhl zu befördern. Den ordo in electione und die descriptio electionis übersandte Schulte am 1.  März in Anlehnung an den vierten Punkt des modus procedendi an Pacelli.873 Für den Kölner Erzbischof war Bornewasser ein „würdiger und fähiger Kandidat für den Trierer Bischofsstuhl“874. Der Kardinal verzichtete auf weitere Personalangaben, da der Erwählte  –  wie gesagt  –  vor erst einem Jahr zum Weihbischof ernannt worden war und Schulte zu diesem Anlass bereits die erforderlichen Unterlagen an die Konsistorialkongregation gesandt hatte. Pacelli bestätigte zwei Tage später den Empfang des Schreibens samt den Anlagen und versprach, sie an den Heiligen Stuhl weiterzureichen.875 Das besorgte er umgehend am gleichen Tag.876 Aus Rom hatte er bis dahin noch keine Antwort auf seine Bitte um Klärung der Nummer vier der Wahlordnung erhalten, sodass er darauf verzichtete, die sonst üblichen geheimen Informationen über den Erwählten einzuholen. Für den Kardinalstaatssekretär fügte er noch einen Abschnitt aus der „Augsburger Postzeitung“ bei, der das Bedauern der Aachener Katholiken über den Weggang

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wäre der Nuntius nicht nur aus dieser wesentlichen Entscheidung heraus gehalten, sondern dessen nachdrücklich vorgetragene Präferenz für Bares auch schlichtweg übergangen worden. Angesichts dessen ist eher davon auszugehen, dass Schulte den Domherren die Wahl Bornewassers lediglich auf eigene Rechnung ans Herz legte und versicherte, dass dieser auch in Rom eine gute Aufnahme finden würde. Vgl. Selbach, Katholische Kirche, S. 321. Die vaterländische Gesinnung Bornewassers zeigte sich auch später, als sich die entscheidende Volksabstimmung über die politische Zukunft des Saargebiets vom 13. Januar 1935 näherte. Entschieden setzte sich der Trierer Oberhirte (gemeinsam mit den anderen Bischöfen der Kölner Kirchenprovinz) für eine Rückgliederung des Gebiets an Deutschland ein. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgte Bornewasser diese Politik. Vgl. dazu Gehl, Jugendliche, S. 74–77; Heyen, Franz Rudolf Bornewasser, S. 178f.; Müller, Verhältnis. Vgl. Schulte an Pacelli vom 1. März 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 36r. Schulte an Pacelli vom 1. März 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 36r. Vgl. Pacelli an Schulte vom 3. März 1922 (Entwurf), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 98r. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 3. März 1922 (Entwurf), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 97rv. 242

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ihres Propstes ausdrückte.877 Die Wahl Bornewassers war also bereits in den Zeitungen zu lesen, obwohl das Ergebnis eigentlich bis zur Approbation durch den Papst streng geheim bleiben sollte. Der Nuntius hatte schon vor der offiziellen Mitteilung durch den Kölner Erzbischof das Wahlergebnis aus der Presse erfahren. Wie es dort hingelangt war, konnte er sich nicht erklären. Pacelli konstatierte diesen Umstand nur, beurteilte ihn aber nicht. Er ging der Vorveröffentlichung aber auf den Grund und erhielt von Schulte eine Erklärung, die er am 7. März Gasparri referierte: „In einigen akatholischen Zeitungen ist die Verkündung der Wahl des Ehrwürdigsten Herrn Dr. Bornewasser zum Bischof von Trier erschienen. Es ist auszuschließen, dass das Geheimnis von denen verletzt wurde, die an derselben Wahl teilgenommen haben. Es handelt sich daher um eine ‚Kombinierung‘ der Zeitungen, die daher kommt, dass vor der Ankunft der bekannten Klauseln des Staatssekretariats, die das Geheimnis auferlegen, in Aachen bekannt wurde, dass einige Kanoniker von Trier Informationen über den genannten Prälaten einholten. Derselbe Gewählte hat noch keine Kenntnis von seiner Wahl.“878

Kurz darauf erhielt der Nuntius die von Gasparri erbetene Interpretation des vierten Punkts der Wahlordnung: Wenn das Domkapitel ihm das Ergebnis des Skrutiniums mitteile – und das war über die Vermittlung Schultes geschehen –, könne Pacelli wie in der Vergangenheit die Voten über den Gewählten einholen.879 Einige Tage später notifizierte Gasparri dem Nuntius schließlich den Eingang der Wahldokumente.880 Papst Pius XI. habe die Wahl bestätigt, sodass Pacelli nun den kanonischen Prozess durchführen oder weiterdelegieren könne. Der Heilige Stuhl gab also sein Einverständnis, obwohl der Nuntius die Voten über den gewählten Kandidaten noch 877

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Vgl. „Der neue Bischof von Trier“, in: „Aachener Postzeitung“ vom 28. Februar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 37r. Pacelli erkannte sofort den Namensfehler in der Berichterstattung („Bornemann“ statt „Bornewasser“), aber durch die Hinzufügung, dass der Gewählte in Aachen residierender Weihbischof sei, sei eine Verwechslung unmöglich. Vgl. zu weiteren Zeitungsberichten, die Pacelli konsultierte, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 84–96. „In alcuni giornali acattolici è apparso l’annunzio della elezione del Revmo Mons. Dr. Bornewasser a Vescovo di Treviri. È da escludersi che il segreto sia stato violato da coloro, i quali presero parte alle elezione medesima. Si tratta quindi di una ‚combinazione‘ dei giornali, derivata da ciò che, prima dell’arrivo delle note clausole della Segreteria di Stato, imponenti il segreto, erasi saputo in Aquisgrana che alcuni Canonici di Treviri avevano preso informazioni circa il suddetto Prelato. L’eletto stesso non ha ancora alcuna cognizione della sua elezione.“ Pacelli an Gasparri vom 7. März 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 40rv, hier 40r-v. Pacelli korrigierte diese Aussage des Kölner Kardinals jedoch dahingehend, dass die Wahl Bornewassers nicht nur „in einigen“ Zeitungen und nicht nur in „akatholischen“ Presseblättern veröffentlicht worden sei, wie der genannte Artikel in der katholischen Augsburger Zeitung bezeuge. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 8. März 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 100r. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 11. März 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 103r. 243

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nicht eingeholt hatte.881 Auf den von Pacelli monierten Geheimnisbruch ging Gasparri mit keiner Silbe ein. Als die päpstliche Approbation Bornewassers den Nuntius erreichte, war dieser gerade dabei, der ersten Weisung Gasparris gemäß, Gutachten über den neuen Bischof anzufordern. Das wollte er bei Pater Augustinus Keller OP, dem Prior der Dominikanerniederlassung zum Heiligen Kreuz in Köln, und beim Trierer Weihbischof Mönch erledigen. Im Entwurf des Schreibens an den Erstgenannten fragte er sub secreto nach „vertraulichen Informationen“ über Bornewasser, vor allem ob dieser „würdig und geeignet“882 sei zum Bischofsamte. Im Entwurf des Briefes an Mönch spezifizierte er die Anfrage, indem er eine Einschätzung verlangte, wie Bornewasser, der selbst mehrere Jahre Subregens des Kölner Priesterseminars gewesen war, die philosophisch-theologischen Studien fördern werde.883 Zudem erbat Pacelli weitere Informationen über den Wahlverlauf und eine Begründung, wie das Ergebnis unmittelbar nach dem Wahlakt in die Öffentlichkeit gelangen konnte. Aus einer Notiz auf den beiden Entwürfen geht aber hervor, dass Pacelli diese Schreiben nicht mehr absandte. Was sollte eine Informationsbeschaffung, wenn der Heilige Stuhl den Kandidaten schon bestätigt hatte? Diese unnütze Arbeit wollte sich der Nuntius nicht machen. Auch den kanonischen Prozess führte er nicht selbst durch, sondern subdelegierte ihn am 12.  März an den Kölner Weihbischof Lausberg.884 Als Paradigma übersandte er ihm einen Prozessentwurf, bei dem es sich vermutlich – wie schon bei der Paderborner Besetzung – um den für Schulte von 1920 handelte.885 Die Bestätigung der Wahl Bornewassers durch den Heiligen Vater teilte Pacelli Kardinal Schulte am gleichen Tag mit, der sie wiederum am 15. des Monats an das Kapitel weiter vermittelte.886 Lausberg führte

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Dass der Informativprozess hier nicht mehr als ein formaler Akt war, ergibt sich auch aus einem Schreiben Gasparris an De Lai, in dem der Kardinalstaatssekretär über die päpstliche Bestätigung der Trierer Wahl berichtete und den Sekretär der Konsistorialkongregation anwies, mit der Abfassung der Ernennungsbullen zu beginnen und zwar bevor der Prozess durchgeführt wurde: „… che non ho mancato di comunicare telegraficamente a Mgr. Pacelli che il Santo Padre si è degnato confermare lʼavvenuta elezione del Vescovo di Treviri: autorizzando il detto Nunzio a compilare il relativo processo canonico il quale è facile prevedere sarà favorevole“. Gasparri an De Lai vom 12. März 1922 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 38rv, hier 38r. Hervorhebung R.H. Pacelli an Keller vom 11. März 1922 (Entwurf), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 101r. Vgl. Pacelli an Mönch vom 11. März 1922 (Entwurf), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 102r. Vgl. Pacelli an Lausberg vom 12. März 1922 (Entwurf), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 104r. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.2 (Die päpstliche Bestätigung Kleins und der Informativprozess). Vgl. Pacelli an Schulte vom 12. März 1922 (Entwurf), ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 105r. Vgl. auch Thomas, Kirche, S. 43. Pacelli informierte den Kölner Erzbischof auch darüber, dass er den kanonischen Prozess Lausberg übertragen habe, um angesichts der hohen Reisekosten nicht selbst nach Trier fahren zu müssen. 244

II.1.3 Trier 1921/22

den kanonischen Prozess mit den Zeugen Joseph Vogt und Arnold Middendorf am 21. März durch.887

Die feierliche Einsetzung Bornewassers Pacelli hatte von Schulte am Monatsanfang erfahren, dass Bornewasser von seiner Wahl noch nichts wusste. Doch ahnte dieser schon früh, was bevorstand, wie ein späteres Schreiben des Aachener Stiftspropstes an Tilman belegt: „Als ich am Montag, den 27. Februar, meinen Namen in der Köln[ischen] Zeitung las, bin ich sofort zum Herrn Kardinal gegangen und sagte ihm, ich wolle nach Trier schreiben und die Herren des Domkapitels bitten, doch ja von meiner Wahl Abstand zu nehmen. Ich hatte zu dieser Bitte die ernstesten und triftigsten Gründe. Eminenz sagte mir: ‚Das ist zu spät, heute oder morgen wird wohl die Wahl sein.‘“888

Zu diesem Zeitpunkt war er schon gewählt worden. Die päpstliche Bestätigung erhielt er über Schulte am 14. März. Dompropst Mause und Domdechant Müller kamen am 20. des Monats nach Aachen, um Bornewasser von Seiten des Kapitels zu benachrichtigen. Trotz erheblicher Zweifel akzeptierte er vor ihnen schließlich seine Wahl.889 Offensichtlich war man sich in Trier aber nicht sicher, ob die „ausdrückliche Approbation“ durch den Heiligen Stuhl  –  wie sie die Nummer fünf des modus procedendi vorschrieb  –  mit der Mitteilung Schultes abgegolten war. Daher zögerte man, der preußischen Regierung offiziell die Wahl anzuzeigen. Am 10.  April bat Dompropst Mause den Nuntius um eine authentische Klärung dieser Unsicherheit.890 Dieser antwortete drei Tage später mit dem Hinweis, dass er die Mitteilung der Wahl offiziell nur von Schulte erhalten und daher „sich zur offiziellen Bekanntgabe der Bestätigung der Wahl sich desselben Weges bedient“891 habe. Das aktuelle 887

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Anschließend sandte Lausberg die Unterlagen an Pacelli, der sie daraufhin an Gasparri weiterreichte. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 28. März 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 42r. Gasparri gab die Unterlagen schließlich an den Sekretär der Konsistorialkongregation, Gaetano De Lai, weiter. Vgl. Gasparri an De Lai vom 10. April 1922 (Entwurf), ebd., Fol. 44r. Vgl. auch Gasparri an Pacelli vom 10. April 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 134r. Eine Ausfertigung sämtlicher Dokumente des Prozesses befindet sich auch ebd., Fol. 107r–124v. Bornewasser an Tilmann vom 17. März 1922, zitiert nach Thomas, Kirche, S. 44. Vgl. Thomas, Kirche, S. 44f. Aus der Retrospektive 14 Jahre später in einer Predigt vom 15. März 1936 im Trierer Dom anlässlich seines 70. Geburtstags bekannte Bornewasser, dass er vor der Annahme seiner Wahl „eine qualvolle und schlaflose Nacht durchlebt“ habe. Vgl. Heintz (Hg.), Fels 1, S. 236–242, hier 240. Vgl. Thomas, Kirche, S. 45. Pacelli an Mause vom 13. April 1922, zitiert nach Thomas, Kirche, S. 45. 245

II.1.3 Trier 1921/22

Schreiben könne Mause als amtliche Bestätigung gelten und disponiere das Kapitel zur Anzeige an die Regierung. Nachdem diese am 22. April vorgenommen worden war, wandte sich Kultusminister Boelitz am 1. Mai direkt an Bornewassser und kündigte an, dass ihm vor der Inthronisation eine staatliche Anerkennungsurkunde überreicht werde.892 Diese wurde am 4. des Monats vom preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun ausgestellt, sodass nach nunmehr über vier Wochen post electionem der Name des neuen Bischofs den Gläubigen der Diözese kommuniziert wurde.893 Die Einführungsfeierlichkeiten wurden auf Donnerstag, den 18. Mai, terminiert.894 Die Planung sah vor, dass Bornewasser bereits am Nachmittag des Vortages in Trier eintreffen, in Prozession zum Dom geführt werden und an der Kapitelssitzung teilnehmen sollte, um dort nach Vorlage der päpstlichen Dokumente die Leitung der Diözese zu übernehmen. Am Morgen des nächsten Tages sollte dann die Inthronisation innerhalb eines Pontifikalamtes mit der Huldigung des Klerus erfolgen. Auf Wunsch Bornewassers sollte die Feier einen schlichten Rahmen erhalten, weshalb auch auf offizielle Einladungen an Auswärtige verzichtet wurde. Vom festgelegten Einführungstermin erfuhr der Nuntius zuvor durch Kardinal Schulte. Bornewasser wolle wissen – so Schulte –, ob bis dahin die Ernennungsbullen ausgestellt sein würden. Pacelli stellte Gasparri diese Frage am 19. April, der sich sofort darum kümmerte.895 De Lai konnte zwei Tage darauf dem Kardinalstaatssekretär berichten, dass er direkt am 12. März die Abfassung der Bullen in die Wege geleitet habe, als Gasparri ihn darum gebeten hatte.896 Leopoldo Capitani, Pro-Regens der Apostolischen Kanzlei, wies am 2. Mai darauf hin, dass die Bullen an Monsignore Brenner übergeben worden seien.897 Die Dokumente waren also rechtzeitig fertig und bereits unterwegs, was Gasparri noch am gleichen Tag an die Münchener Nuntiatur telegraphierte und Pacelli daraufhin an Schulte weitergab.898 Damit war für den Nuntius die Wiederbesetzung der Diözese Trier endgültig abgeschlossen. 892 893

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Vgl. Thomas, Kirche, S. 46. Vgl. Thomas, Kirche, S. 46. Die Urkunde war wohl ein Versuch der preußischen Regierung, den Anschein zu erwecken, eine konstitutive Rolle bei der Besetzung zu spielen, nachdem auf die Vorlage der Kandidatenliste verzichtet worden war. Vgl. „Wahl und Inthronisation des Hochwürdigsten Herrn Bischofs Dr. Franz Rudolph Bornewasser“, in: Kirchlicher Amtsanzeiger für die Diözese Trier Nr. 8 vom 5. Mai 1922. Vgl. auch Thomas, Kirche, S. 46. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 19. April 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 45r. Vgl. De Lai an Gasparri vom 21. April 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 39r. Daher galt der 12. März als das offizielle Datum der päpstlichen Bestätigung. Vgl. AAS 14 (1922), S. 277. Vgl. Capitani an Gasparri vom 2. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922, Pos. 509 P.O., Fasz. 18, Fol. 46r. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 2. Mai 1922, ASV, ANB 53, Fasz. 2, Fol. 142r; Pacelli an Schulte ohne Datum (Entwurf), ebd., Fol. 142r. 246

II.1.3 Trier 1921/22

Ergebnis 1. Es gelang Pacelli nicht, seinen Wunschkandidaten auf den Trierer Bischofsstuhl zu befördern. Wäre es nach ihm gegangen, dann hätte der 51-jährige Bares, „ein frommer und gelehrter Priester“, die Nachfolge Korums angetreten. Abgesehen davon, dass der Regens den Grundvoraussetzungen für das Bischofsamt gemäß Can. 331 § 1 CIC 1917 genügte, erhoffte sich der Nuntius von ihm die Förderung der gesunden, exakt-philosophisch-theologisch-scholastischen Ausbildung des Priesternachwuchses. Das von Bares in enger Bindung an Korum in diesem Fahrwasser gesteuerte Priesterseminar sollte diese Prägung nicht nur behalten, sondern in Konformität mit dem am 9. Oktober 1921 von der Studienkongregation für den deutschen Episkopat erlassenen Geheimerlass weiter ausgebaut werden. Zwar entstammte die Personalie dem Vorschlag von Kaas, doch besaß Pacelli durchaus eine eigene Kenntnis von Bares, insofern er dessen Wirken im Seminar bereits Ende 1919 knapp und prägnant als „ottimo“899 qualifizierte. Biographische Daten lieferte Kaas dem Nuntius in seinem Votum vom Dezember 1921 nicht. Da dieser jedoch später eine Kurzvita des Regens nach Rom sandte, besorgte er sich entweder die fehlenden Informationen oder besaß sie bereits. Seinem theologischen Fokus entsprechend, beinhaltete die Biographie neben den geistlichen Stationen insbesondere den akademischen Werdegang, den Bares fast ausschließlich in Trier absolviert hatte. Da Pacelli dessen Promotion in Breslau mitsamt Titel der Dissertation namentlich erwähnte, ist es denkbar, dass er Bares’ Gelehrsamkeit und Orthodoxie anhand dieser dogmatischen Abhandlung überprüfte. Wie wichtig dem Nuntius das Kriterium der Priesterausbildung war, lässt sich schließlich daran ablesen, dass er dasselbe schlussendlich auch Weihbischof Mönch für die gewünschte Bewertung Bornewassers an die Hand gab (beziehungsweise geben wollte). Weniger relevant schien für Pacelli das von Kaas im Licht des Gewerkschaftsstreits formulierte Argument – Bares sei gemäßigt-integral – gewesen zu sein, jedenfalls trug er es Gasparri nicht vor. Offen bleibt noch ein weiterer Aspekt: Auch die französische Regierung befürwortete die Kandidatur des Regens.900 Dass Pacelli anders als das römische Staatssekretariat bereit war, in der Kandidatenwahl Rücksicht auf die französischen Interessen zu nehmen, hatte er beim Mainzer Besetzungsfall 1920/​21 demonstriert, wo er die Kandidatur Ludwig Maria Hugos auch deshalb unterstützt hatte, weil dieser Frankreich genehm war. Ob die französische Präferenz auch im Trierer Fall auf Pacellis Personalentscheidung irgendeinen Einfluss ausübte, lässt sich vielleicht vermuten, aber durch die vatikanischen Quellen nicht beantworten, da dieses Thema nicht Ge-

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Votum Pacellis zum Trierer Priesterseminar ohne Datum [1919] (Abschrift), ACEC, 1920, Pos. 334/​19, S. 52f., hier 52. Vgl. Reimer, Rheinlandfrage, S. 197; Selbach, Katholische Kirche, S. 316, 320. 247

II.1.3 Trier 1921/22

genstand der die Besetzung betreffenden Korrespondenz zwischen Pacelli und Gasparri war.901 Kaas auf den vakanten Bischofsstuhl zu promovieren, war für den Nuntius und übrigens auch für den Trierer Prälaten selbst kein Thema.902 2. Pacellis Idealplan, um Bares an die Spitze der Diözese zu promovieren, bestand in einer Scheinwahl des Trierer Domkapitels. Dass er nicht versuchte, den Regens durch eine römischen Nomination die bischöfliche Mitra aufzusetzen, sondern eine Kapitelswahl anstrebte, erklärt sich aus seinen konkordatspolitischen Zielen (vgl. Nr.  3). Das Hauptargument des Domkapitels für das Wahlrecht, Klerus und Volk würden sich bei einer päpstlichen Nomination gegen den Heiligen Stuhl wenden, da sie in diesem Falle von einer französischen Einflussnahme ausgingen, beurteilte Pacelli auf Basis seiner Erfahrungen im Mainzer Besetzungsfall von 1920 als unbegründet. Eine freie Wahl wiederum war für ihn keine Option, da Bares zwar durchaus Rückhalt im Kapitel hatte, aber keine Mehrheit. Deshalb war die Scheinwahl die einzige Möglichkeit, beiden Anliegen gerecht zu werden: einen Bischof zu erhalten, mit dem er hundertprozentig zufrieden war und gleichzeitig seine Konkordatspolitik zu fördern. Wie stand Pacelli zu dem von Schulte entworfenen modus procedendi? Ausdrücklich äußerte er sich dazu nicht, doch lässt bereits seine klärungsbedürftige Anfrage in Rom sein Missfallen erahnen: Sollte er wenigstens noch Informationen über den bereits gewählten Kandidaten einholen oder lediglich eine (letztlich belanglose) Vermittlerrolle übernehmen? Der Modus war nichts anderes als eine freie Kapitelswahl, die es dem Heiligen Stuhl beziehungsweise dem Nuntius nicht ermöglichte, einen eigenen Kandidaten auf den Bischofsthron zu bringen. An diesem Grundproblem scheiterte Pacellis Personalpolitik in der causa Trier und würde in künftigen Fällen zum selben Ergebnis führen. Insofern ist es folgerichtig, dass der Nuntius Schultes Modus im weiteren Verlauf der preußischen Konkordatsverhandlungen als ungenügend ablehnte.903 Damit ist bereits angerissen, wie Pacelli zum „Wahlkörper“, dem Trierer Domkapitel stand. Wenn er die Sedisvakanz auch als „Waffe“ gegen die Regierung benutzte (vgl. Nr. 3), waren doch letztlich die Domherren seine großen Widersacher: Sie wehrten sich gegen seinen Wunschkandidaten, gegen die intendierte Scheinwahl ungeachtet einer entsprechenden Instruktion aus Rom und gegen seine politische „Verwendung“ des Besetzungsverfahrens. War womöglich Kaasʼ Bemerkung im Wortgefecht mit Tilmann, die Petition des Kapitels an den Pontifex „ist in Form und

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Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.3 Anm. 734. Von der Hoffnung Kaas’ auf die Nachfolge Korums spricht May, Kaas 3, S. 462–464. Ein solches Bestreben belegen die vatikanischen Quellen nicht. Vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.5 (Die Wiederaufnahme der Konkordatsverhandlungen 1926 und Pacellis Dilemma im Besetzungsmodus der Bischofsstühle). 248

II.1.3 Trier 1921/22

Inhalt verfehlt und eine verunglückte Aktion“, eine Einschätzung, in welcher der Nuntius und sein Berater zuvor übereingekommen waren? Als die Domherren Pacelli nicht einmal auf direktem Weg das Wahlergebnis notifizierten, revanchierte er sich, indem er ihnen ebenfalls nur über den Kölner Erzbischof die päpstliche Approbation mitteilte. Auch die Quelle der Indiskretionen nach dem Wahlakt vermutete Pacelli bei ihnen. Spannungsreicher hätte das Verhältnis wohl kaum sein können und musste den Nuntius zwangsläufig darin bestärken, dem Domkapitel keinen wesentlichen Einfluss auf die Besetzung des Bischofsstuhls zu geben. 3. Die Trierer Sedisvakanz nutzte Pacelli als Katalysator für sein Anliegen, ein Reichskonkordat abzuschließen und überschritt damit als Baustein seiner gesamtdeutschen Perspektive die rein diözesane Ebene. Weil die preußische Regierung den Einschluss der für die Kirche so wichtigen Schulfrage – Sicherung des katholischen Religionsunterrichts und Konfessionsschule – in die Reichskonkordatsverhandlungen blockierte, blockierte Pacelli seinerseits die von staatlicher Seite (sowie von Schulte und dem Domkapitel) gewünschte Bischofswahl gemäß De salute animarum: „Deshalb schien“ – so Pacelli – „auch die bloße Tatsache der Präsentation der Kandidatenliste an sie [sc. die preußische Regierung, R.H.] unerträglich und daher musste man auf jeden Fall, weil dieselbe Regierung aus offensichtlichen nationalen Motiven das größte Interesse an einer zügigen und günstigen Besetzung der Diözese Trier hat, daraus Profit ziehen“. Insofern bestand Pacellis Taktik darin, die Angst Preußens und des Reichs vor einem frankophilen Bischof, der womöglich die Errichtung eines Saarbistums unterstützte, auszunutzen, um Zusagen in der Schulpolitik zu erzwingen. In gewisser Weise war für ihn die Trierer Sedisvakanz also Mittel zum Zweck: Sie bot ihm das Druckmittel, das ihm bislang gefehlt hatte, um die preußische Regierung zum Nachgeben zu bringen. Das so erzeugte Junktim von Sedisvakanz und Konkordatsverhandlungen hielt er für rechtmäßig, da bei allen Besetzungsfällen der bischöflichen Stühle stets neu die Frage im Raum stehe, ob diese entsprechend De salute animarum stattfinden sollten oder nicht. Deshalb schrieb er dem Heiligen Stuhl das Recht zu, eine umfassende Klärung für das Gesamt der Kirche und Staat betreffenden Materie zu erhalten, was wiederum nicht möglich sei, wenn staatlicherseits die Schulfrage von vornherein aus den Verhandlungen herausgehalten wurde. Becker untermauerte das Argument, De salute animarum und damit das Kapitelswahlrecht würden immer noch gelten, einerseits mit der von Pizzardo gelieferten Interpretation der Konsistorialallokution Benedikts XV., andererseits mit dem 1919 von Pacelli akzeptierten Promemoria. Beides ließ der Nuntius nicht gelten, sondern betonte die Notwendigkeit, einen neuen Staatskirchenvertrag abzuschließen. Seine damalige Zustimmung zum Promemoria habe er ausschließlich im Bewusstsein der anberaumten Verhandlungen gegeben. Dies hatte sich als trügerisch erwiesen – die preußische Regierung fuhr in den Verhandlungen eine Verzögerungstaktik, der Pacelli mittlerweile überdrüssig war. Nun wollte er handfeste Zusagen, damit die Konzessionen, die er in 249

II.1.3 Trier 1921/22

Trier machte, nicht ertraglos blieben. Während die Regierung also nach einer schnellen Wiederbesetzung des Bischofsstuhls strebte, damit der neue, „deutsch“ eingestellte Oberhirte allein durch seine zentripetale Kraft separatistische Strömungen im Keim erstickte, konnte Pacelli warten. Der Nuntius stufte sein Vorgehen als „notwendigen Konflikt“ mit dem Staat ein und ließ sich auch nicht von der Angst beirren, dass der Staat die Dotationen einstellen könnte. Während dies im Kölner Fall noch seine zentrale Sorge gewesen war, zog er aus der Besetzung des Mainzer Bischofsstuhls die Erkenntnis, dass sie unbegründet sei. Mit seiner harten Verhandlungsführung erreichte Pacelli ein Einlenken Preußens, wie es die dreifache Zusage vom 6. Januar 1922 dokumentiert. Unter der Voraussetzung, dass der Trierer Bischofsstuhl bald wieder besetzt wurde, verzichtete Boelitz a) im aktuellen Fall auf die bislang übliche Kandidatenliste und den Wahlkommissar. Pacelli war es also gelungen, die Regierung aus dem Verfahren herauszudrängen, woran auch die „Anerkennungsurkunde“ nichts ändern konnte.904 Darüber hinaus stellte der Kultusminister b) das prinzipielle Ende des staatlichen Einflusses auf die Bischofseinsetzungen gemäß der WRV in Aussicht, was Pacelli – wie der Fortgang der Konkordatsverhandlungen zeigen wird – mit dieser Zusage auch tatsächlich erreichte.905 Boelitz versprach c) mit dem Reich über die Regelung der Schulfrage in einem Konkordat zu verhandeln. Gerade diesen Punkt verbuchte Pacelli als großen Erfolg. Wie sich später zeigen sollte, war das verfrüht: Das ersehnte Reichskonkordat kam erst einmal gar nicht zustande und im alternativ abgeschlossenen Preußenkonkordat gelang es Pacelli nicht, die Schulfrage zu verankern. Vergeblich berief er sich später innerhalb der Verhandlungen auf Boelitz’ Zusicherung. Schon Ludwig Volk wies auf die Gefahr hin, den juristischen Wert der Regierungserklärung zu überschätzen und konstatierte, wie optimistisch der Nuntius sie aufnahm.906 Tatsächlich war Pacelli über das Entgegenkommen euphorisiert, doch beweist seine Überlegung, durch ein weiteres Herauszögern der Sedisvakanz präzisere Zusagen zu erzwingen – hinsichtlich b), was er Gasparri vorschlug oder c), wovon ihm Kaas abriet –, dass er die Gefahr der mangelnden Verbindlichkeit sah. Durch den Pontifikatswechsel kam er nicht mehr dazu, seine Idee weiter zu verfolgen. Aus der Retrospektive muss man festhalten, dass Pacellis „Do-ut-des“-Politik hinsichtlich der ersten beiden Punkte durchaus erfolgreich war. Doch hinsichtlich der Schulfrage, die das primum movens und den Kern seines gewünschten Tauschgeschäfts bildete, scheiterte sie letztendlich. Innerhalb des Besetzungsverfahrens war die Zusage des Kultusministers allerdings der erste große 904

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Vgl. auch das Resümee von Erwin Gatz: „Aber auch Pacelli hatte einen Erfolg auf dem Weg zu der von ihm angestrebten ‚freien‘ Ernennung zu verbuchen, da jede Mitwirkung staatlicher Stellen ausgeschaltet worden war, während 1920 in Köln und Paderborn staatlicherseits noch eine Unbedenklichkeitserklärung ausgesprochen und ein staatlicher Wahlkommissar bestellt worden war.“ Gatz, Ringen, S. 128. Vgl. Bd. 1, Exkurs II (Die preußische Vorstellung zur Besetzung der Bischofsstühle und Bertrams Stellungnahme). Vgl. Volk, Reichskonkordat, S. 19. 250

II.1.3 Trier 1921/22

Wendepunkt: Pacelli gab seine Blockadehaltung auf. Nach dem erzwungenen Erfolg, „den auf jeden Fall unbestreitbar sehr wichtigen Konzessionen“, schaltete er sofort wieder auf Entspannung: Um sich nachträglich gegenüber der Regierung erkenntlich zu zeigen und so das Klima für die Konkordatsverhandlungen zu verbessern, empfahl er Gasparri, dem Domkapitel pro hac vice die (Schein-) Wahl zu gestatten. 4. Als zentrale Vertrauensperson Pacellis fungierte Kaas, der als konkordatsrechtlicher Berater und Vertrauter des Nuntius sowie als Trierer Diözesangeistlicher und Kirchenrechtler am dortigen Priesterseminar gewissermaßen auf doppelte Weise in den Fall involviert war. Ihn weihte Pacelli in seine Pläne ein und benutzte ihn als Boten und Unterhändler im Gegenüber zu Schulte und der Regierung. Vor allem aber übernahm er dessen Kandidatenpräferenz vorbehaltlos. Über den Regens hielt Pacelli nur eine – quellenmäßig nicht belegbare – Rücksprache mit Schulte und sicherte sich ansonsten bei niemand anderem über die Tauglichkeit des Genannten ab. Dieses Vertrauen ist umso bemerkenswerter, insofern der Kölner Erzbischof die Bitte äußerte, „sich in der Trierer Sache nicht auf das subjektiv gefärbte Urteil des Herrn Prälaten Kaas allein zu verlassen“. Zwar hatte Pacelli sich zum Zeitpunkt dieser Warnung schon längst bei Gasparri für Bares eingesetzt, doch machte er auch anschließend keine Anstalten, sich nachträglich von dritter Seite weitere Urteile zu besorgen. Kaas konnte es sich sogar erlauben, Pacelli nachdrücklich zu widersprechen, als es um die Frage ging, ob man die Sedisvakanz noch herauszögern sollte. Er hielt es für inopportun, eine verbindlichere Fassung der staatlichen Zusage zur Schulfrage einzufordern und hielt die „Dehnbarkeit“ der Aussage sogar für „ein Plus auf unserem Konto“ – wie sich später zeigen sollte, war der Zentrumsprälat hier kein guter Berater. Mit Schulte und Bertram konferierte Pacelli über die Strategie in den Konkordatsverhandlungen und weihte sie dabei in seine „Do-ut-des“-Politik ein. Von der Kritik an diesem Vorgehen, die insbesondere Schulte vortrug, ließ sich Pacelli nicht beirren. Schulte, Metropolit der Trierer Diözese und daher besonders an der Wiederbesetzung interessiert, trat in der causa „ungemein handlungsfreudig“907 auf, spielte eine zentrale Rolle und hielt mit allen beteiligten Parteien Kontakt. Daher konnte Pacelli auf die Rücksprache mit ihm nicht verzichten, wenngleich dieser im Dezember 1921 noch angekündigt hatte, sich aus dem Verfahren herauszuhalten. Auf ihn hörte der Nuntius freilich nur, wenn es in sein eigenes Konzept passte: so lehnte er dessen Eintritt für das freie Wahlrecht gemäß De salute animarum ab,908 griff den Vorschlag der Scheinwahl jedoch 907 908

Thomas, Kirche, S. 47. Schaut man sich das Verhältnis Schultes zum Wahlrecht an, kommt man nicht umhin, den Erzbischof als wankelmütig zu beschreiben: Zunächst trat er für das freie Bischofswahlrecht ein, deutete dann die Möglichkeit einer Scheinwahl an. Nachdem die Domherren später eine „Wahl“ Bares’ ablehnten, unterbreitete er Pacelli sogar den Vorschlag, dem Kapitel lediglich ein nicht-bindendes Propositionsrecht einzuräumen und dem Heiligen Stuhl die freie Ernennung zu überlassen. Das Domkapitel war von diesen 251

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auf und ließ sich die episkopable Tauglichkeit des Regens „bestätigen“. Dass Schulte zum Teil mit den Ansichten der preußischen Regierung konform ging, war Pacelli ein Dorn im Auge und wurde von ihm noch im Laufe der Konkordatsverhandlungen weiter problematisiert.909 Das erklärt auch, warum ihn Pacelli zwar als Mittelsmann zum missliebigen Domkapitel einsetzte, aber über die Berlinkonferenz hinausgehend keinen Rat bei ihm suchte. Es bleibt noch ein Blick auf die Informanten zu werfen, von denen Pacelli ein Gutachten über Bornewasser wollte. Der eine, Antonius Mönch, stammte aus der Trierer Hierarchie und konnte dem Nuntius die lokale Perspektive auf den Aachener Stiftspropst bieten. Warum stellte Pacelli nur ihm die Frage, was von Bornewasser hinsichtlich der Förderung der philosophisch-theologischen Studien in der Priesterausbildung zu erwarten sei? Da es dem Nuntius hier um die Umsetzung römischer Vorgaben ging, lag es nahe, jemanden darüber zu befragen, der selbst die römische Ausbildung erfahren hatte. Als ehemaliger Germaniker war Mönch dazu bestens geeignet. Prägnanz gewinnt diese Wahl vor dem Hintergrund, dass Kapitularvikar Tilmann die enge Verbindung zwischen Bares und dem Weihbischof negativ gewertet hatte. Pacelli zeigte sich von dieser Kritik nicht nur völlig unbeeindruckt, vielmehr prädestinierte dieser enge Kontakt Mönch doch gerade dazu, eine angemessene Einschätzung zur Studienfrage zu liefern. Der zweite Informant war der Dominikanerpater Augustinus Keller, der als Prior der Ordensniederlassung Heilig Kreuz in Köln residierte. Ihn zu befragen schien sinnvoll, da Bornewasser nicht nur gebürtig aus der Erzdiözese stammte, sondern dort ebenfalls seine Ausbildung und geistliche Karriere bis zum Amt des Weihbischofs durchlaufen hatte. 5. Als wesentliche Erkenntnis hinsichtlich des Zusammenspiels von Nuntius und Kurie muss festgehalten werden, dass die den Fall bestimmende „Do-ut-des“-Politik von Pacelli selbst stammte und weder mit Gasparri abgesprochen noch von diesem abgesegnet war. Daher überrascht es nicht, dass Pacelli erst zu dem Zeitpunkt im Verfahren nach Rom berichtete, als er mit der Zusage des Kultusministers den vermeintlichen Erfolg seiner Strategie in den Händen hielt. Bevor Gasparri sich also überhaupt in das Trierer Verfahren einmischen konnte, hatte Pacelli sein primäres Ziel im Bereich der Konkordatsverhandlungen schon erreicht. Für sein sekundäres Ziel, Bares als Nachfolger Korums zu installieren, bot er mit der Scheinwahl gleichzeitig ein fertiges und gewissermaßen alternativloses Lösungskonzept an. Den Namen Bornewassers, von dem er zumindest wusste, dass er mit Müller und Lausberg Unterstützer hatte, erwähnte der Nuntius in seiner Berichterstattung mit keiner Silbe und zwar selbst dann nicht, als er sich über den heftigen

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„Entgegenkommen“ Schultes gewiss nicht informiert und wäre damit auch nicht einverstanden gewesen. Als Schulte dann aber in Rom war, setzte er sich wiederum für das anfangs angestrebte freie Wahlrecht ein. Offenbar ging es ihm grundsätzlich darum, dem Domkapitel auf jeden Fall eine Beteiligung an der Wiederbesetzung des vakanten Bischofsstuhls zu erhalten und dafür schlimmstenfalls sogar das unverbindliche Vorschlagsrecht in Kauf zu nehmen. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.5 (Eine „einzige Front“: das Ende der Differenzen zwischen Nuntius und Episkopat?). 252

II.1.3 Trier 1921/22

Widerstand der Domherren um Tilmann gegen den Regens endgültig klar wurde. Vor diesem Hintergrund war seine Aussage, Bares sei der aussichtsreichste Kandidat mindestens sehr einseitig. Darüber hinaus verschwieg er, dass Kaas seine Hauptquelle für diese Entscheidung war, erwähnte aber hingegen, dass Schulte mit dieser Personenwahl einverstanden sei – obwohl dieser offenkundig auch für Bornewasser einstand. Pacelli instrumentalisierte demnach die Autorität, die der Kölner Erzbischof in Rom besaß, um sein Ziel zu stützen, was Kaas, der diese Autorität nicht besaß, nicht konnte. Durch diese gefilterte Informationspolitik910 war es dem gewissermaßen außenstehenden Staatssekretariat realiter nicht möglich, die Umstände in Trier breiter zu bewerten oder den Verfahrensverlauf gar zu beeinflussen. Konsequenterweise ließ Gasparri Pacelli völlig freie Hand. Dass sein fertiges Konzept schließlich nicht aufging, brachte Pacelli in Verlegenheit: Das Domkapitel war weder bereit, das „Schauspiel“ einer Schweinwahl aufzuführen noch Bares zu wählen. Genau dies hatte Pacelli aber seinem Vorgesetzten zuvor versprochen, weil daran sein ganzes Konzept zur Erledigung der Sedisvakanz hing. Einen solch grundlegenden Fehler einzugestehen – selbst wenn er auf der Einschätzung Schultes basierte –, hätte gewiss im Staatssekretariat nicht das beste Licht auf seine Arbeit geworfen. Wie Pacelli sich aus dieser Zwickmühle gelöst hätte, muss jedoch offen bleiben, denn durch den Tod Benedikts XV. änderte sich die Situation grundlegend und zwar deshalb, weil Schulte zum Konsistorium nach Rom reisen musste. Dort nutzte er die Möglichkeit mit Gasparri und vermutlich auch dem neuen Pontifex zu sprechen. Der zweite große Wendepunkt des Falls, die Konzession des freien Wahlrechts durch Pius’ XI., war also an Pacelli vorbei entschieden worden. Wie er zuvor durch Zeitpunkt und Art seiner Berichterstattung den Heiligen Stuhl sozusagen vor vollendete Tatsachen gestellt hatte, so stellte ihn der neue Papst nun ebenfalls vor eine definitive Entscheidung, die seinem Vorhaben diametral entgegenlief! Pius XI. hatte Pacellis Pläne durchkreuzt. Dasselbe Muster sollte sich sogar noch wiederholen: Obgleich Gasparri ihn angewiesen hatte, wie bislang üblich Gutachten über Bornewasser einzuholen, und Pacelli die entsprechenden Entwürfe bereits aufgesetzt hatte, approbierte Achille Ratti den Gewählten, ohne auf die Informationen des eigenen Gesandten zu warten. Laut Quellenlage hatte nicht einmal die sonst übliche Befragung des Heiligen Offiziums stattgefunden. Dass der Nuntius, sicherlich über diese Entwicklung unzufrieden, die Voten über den Neubischof nicht mehr einholte, war letztlich konsequent.

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Ein Thema, das Pacelli in seiner Berichterstattung gänzlich mied, war das der versuchten französischen Einflussnahme auf den Trierer Besetzungsfall und seine diesbezüglichen Gespräche mit dem französischen Botschafter Dard (vgl. Nr. 1). Als Grund kann man annehmen, dass Pacelli diese Versuche als illegitim klassifizierte. Vgl. May, Kaas 1, S. 174. Bedenkt man aber, dass er in Mainz 1920/​21 den Tadel Gasparris und Benedikts XV. erntete, weil er die französischen Interessen in seine Rechnung mit einbezog, ist auch die Vorstellung nicht abwegig, dass er sich nun nicht erneut dieser Kritik aussetzen wollte. 253

Exkurs II

Exkurs II: Die Frage der Bischofseinsetzungen innerhalb der Konkordatsbe­strebungen Pacellis in Berlin im Jahr 1922 Der Delbrueck-Entwurf und das vorläufige Ende der Reichskonkordatsbemühungen Die Bereitschaft, die der preußische Kultusminister Boelitz am 6. Januar 1922 signalisiert hatte, ließ Pacelli auf neuen Schwung in den Konkordatsverhandlungen hoffen. Nachdem diese „die zwischen dem Reich und Preußen entstandene Sturmzone passiert hatten, gelangten sie jetzt in den Reichsressorts des Äußeren und Inneren in ein ruhigeres Fahrwasser“911. Zur „Pacelli-Punktation II“ vom 15. November 1921 fertigte Vatikanbotschafter Bergen einen Gegenentwurf an, den er am 18. Januar 1922 an Delbrueck übermittelte. Seiner Ansicht nach ging die Vorlage des Nuntius sehr weit, sie verteile „die Rechte auf die Seite des Heiligen Stuhles, die Pflichten auf die Seite des Staates“912. Um hier ein besseres Gleichgewicht zu erzielen, implementierte er in den Modus der Bischofswahl im Anschluss an die ähnliche Bestimmung des Serbienkonkordats von 1914913 und im Gegensatz zu den früheren, von der Reichsregierung aufgestellten Leitlinien, eine Art politischer Klausel: „Artikel V. Die Wahl der Bischöfe erfolgt durch die Domkapitel mit Einschluß der seither wahlberechtigten Ehrendomherrn, sofern die Ernennung nicht direkt durch den Heiligen Stuhl geschieht. Der Heilige Stuhl wird vor der Bestätigung der durch die Domkapitel erfolgten Wahl bezw. der von ihm selbst vorzunehmenden Ernennung sich mit der Reichsregierung ins Einvernehmen setzen.“914

Diese Rahmenaufstellung Bergens sollte Delbrueck als „Experte“ für die Konkordatsfrage im Vatikanreferat des Auswärtigen Amtes zu einer umfassenden Gegenkonzeption ausarbeiten. Mit seinem ersten Entwurf im Gepäck reiste Delbrueck Anfang Mai zunächst nach Köln zu Erzbischof Schulte, anschließend nach München zu Pacelli.915 Dieser unterrichtete den Kardinalstaatssekretär am Monatsende von Delbruecks Besuch und den aktuellen Aussichten für 911 912 913 914

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Volk, Reichskonkordat, S. 20. Bergen an Delbrueck vom 18. Januar 1922, abgedruckt bei Kupper (Bearb.), Akten, S. 448f. Anm. 1, hier 448. Vgl. dazu Bd. 3, Kap. II.2.1 Anm. 87. Entwurf Bergens ohne Datum [18. Januar 1922], abgedruckt bei Kupper (Bearb.), Akten, S.  448–455 (Anhang Nr. 7), hier 450. Vgl. auch Samerski, Delbrueck, S. 349. Vgl. Delbrueck-Entwurf I ohne Datum [27. April 1922], abgedruckt bei Kupper (Bearb.), Akten, S. 458– 464 (Anhang Nr. 9). Vgl. dazu Deuerlein, Reichskonkordat, S. 34–39; Samerski, Delbrueck, S. 349– 351; Volk, Reichskonkordat, S. 20f. 254

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ein Reichskonkordat.916 Den Entwurf des Vatikanreferenten beurteilte er  –  ähnlich wie zuvor Schulte – „insgesamt und trotz der nicht wenigen nicht leichten Mängel viel besser als das, was man scheinbar erhoffen konnte“917. Für besonders günstig hielt er die Bestimmungen zur Schulfrage und zu den finanziellen Leistungen an die Kirche,918 aber auch hinsichtlich der kirchlichen Ämterbesetzung fällte er ein positives Urteil. Der Delbrueck-Entwurf behandelte dieses Thema in Artikel IX und versuchte die Vorgabe der Pacelli-Punktation und die Vorstellungen des Reichs zu synthetisieren. Er lautete: „Die Kirche hat grundsätzlich das volle und freie Besetzungsrecht für alle Kirchenämter und Benefizien ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinden. Es besteht jedoch Einvernehmen über folgende Punkte: 1. Alle katholischen Geistlichen, die in Deutschland ein geistliches Amt bekleiden oder eine seelsorgliche oder Lehrtätigkeit ausüben, müssen deutsche Staatsangehörige sein, ebenso alle Oberen geistlicher Orden und Kongregationen. Ausnahmen sind von der Landesregierung zuzulassen. 2. Alle katholischen Geistlichen müssen ihre Bildung in Deutschland oder auf einer der Anstalten in Rom erworben haben. Hinsichtlich des Studiums auf sonstigen Anstalten im Auslande können besondere Grundsätze zwischen der kirchlichen Oberbehörde und der Reichs- oder Landesregierung vereinbart sowie Ausnahmen zugelassen werden. 3. Die Wahl der Bischöfe erfolgt durch die Domkapitel, soweit dies bisher üblich war, falls nicht die Landesregierung mit dem Päpstlichen Stuhl etwas anderes vereinbart. Vor der Ernennung oder Bestätigung eines Bischofs wird die Kurie sich in geeigneter Weise davon versichern, daß nicht etwa auf Seite des Staates Bedenken gegen seine Person bestehen.“919

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Vgl. Pacelli an Gasparri vom 30. Mai 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 385r–388v. „… nel suo insieme e malgrado i non pochi né lievi difetti, assai migliore di quanto sembrava si potesse sperare.“ Pacelli an Gasparri vom 30. Mai 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 386r. Vgl.: „Non solo, infatti, la questione scolastica vi è inclusa ed ampiamente trattata, ma anche nella parte economica vari punti respinti dallo stesso Governo bavarese (ad esempio, la menzione, fra i titoli giuridici per le prestazioni finanziarie dello Stato alla Chiesa, del diritto consuetudinario, degli oneri gravanti sui beni ecclesiastici secolarizzati, dei diritti della Chiesa riconosciuti dal Reichsdeputationshauptschluss, ecc.) vi sono ammessi.“ Pacelli an Gasparri vom 30. Mai 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 386r-v. Delbrueck-Entwurf I ohne Datum [27. April 1922], Kupper (Bearb.), Akten, S.  461. Wie entscheidend das Postulat des Bischofswahlrechts für die Regierung war, zeigt eine Denkschrift des Reichsinnenministers Adolf Köster für den bayerischen Ministerpräsidenten Hugo Graf von Lerchenfeld vom 10. Dezember 1921, welche die Partizipation der Domkapitel an der Besetzung der Bischöfe sogar als indiskutabel qualifizierte: „Was die Verhältnisse bezüglich der Besetzung der Bischofsitze und der Ergänzung der Domkapitel anlangt, so befindet sich die Reichsregierung in diesen Fragen in vollem Einklang mit den Wünschen der deutschen Domkapitel, die größten Wert darauf legen, daß – unbeschadet schon bestehender besonderer Rechte für einzelne Länder oder Bistümer – gegenüber dem Reiche das Recht der Domkapitel auf irgendwelche Beteiligung an den Besetzungen grundsätzlich anerkannt wird. Um aber in Fragen, bei denen wichtige Interessen des Reiches in Betracht kommen, Entgegenkommen finden zu können, wird es unerläßlich 255

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Die hier gestellten Forderungen schienen dem Nuntius zurückhaltender zu sein als diejenigen, die der bayerische Kultusminister Franz Matt erst kurz zuvor formuliert hatte. Dieser hatte am 30. März neben strengeren Vorbildungskriterien sowohl das politische Bedenken- als auch das Kapitelswahlrecht für die Besetzung der Bischofsstühle in Bayern – wo dies bisher eben nicht „üblich war“ – verlangt.920 Pacelli stellte fest, dass die Reichsregierung diesen Postulaten zur Ämterbesetzung „aus den offensichtlichen nationalen Gründen große Wichtigkeit“ beimesse, sodass von ihrer römischen Akzeptanz zu einem wesentlichen Teil der Erfolg des Konkordats abhänge, gerade auch „in den sensibelsten Themen“921 wie der Schulfrage. Offensichtlich warnte Pacelli hier den Kardinalstaatssekretär davor, für die Ämterbesetzung noch mehr Freiheiten zu verlangen, insbesondere dann, wenn man die eigenen Vorstellungen zur Konfessionsschule und zum katholischen Religionsunterricht durchsetzen wollte, die der Delbrueck-Entwurf vollumfänglich garantierte.922 Dessen ungeachtet sollte man seiner Ansicht nach durchaus versuchen, in die Nummer 1 zur deutschen Staatsbürgerschaft Vorbehalte einzubringen, zumindest was die niederen Kirchenämter anbelangte. Der Nuntius dachte hier an die Möglichkeit, ausländische Aushilfsgeistliche und Kooperatoren einzustellen, nicht also daran, Ausländer als Diözesanbischöfe zu installieren. Zur Bischofswahl durch die Domkapitel in der Nummer 3 nahm Pacelli die Möglichkeit zur Kenntnis, mit einzelnen Landesregierungen anderslautende Vereinbarungen zu treffen. Natürlich richtete sich sein Blick hier auf Bayern, wo er die freie päpstliche Nomination der Bischöfe propagierte. Außerdem habe er – so Pacelli – dem Gespräch mit dem Vatikanreferenten entnommen, dass die Reichsregierung nicht das stärkste Gewicht auf die Bischofswahl lege. Bedeutsamer sei ihr das Recht, vor der Ernennung des neuen Oberhirten gefragt zu werden, „ob gegen den fraglichen Kandidaten Einwände bestehen“  –  ein Formulierung, die nach Pacelli noch mit der Wendung „vom bürgerlichen Standpunkt aus“923 einzuschränken war, damit logischerweise nicht alle Ein-

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sein, auf anderen Gebieten Zusicherungen zu geben.“ Zitiert nach Deuerlein, Reichskonkordat, S. 32f. Hervorhebung R.H. In einer „Zusammenstellung des Reichsministeriums des Innern über noch zu klärende Punkte bezüglich des Reichskonkordats“ vom 13. März 1922 subsumierte Köster die Wahrung des Wahlrechts der Domkapitel unter die „Punkte, bei denen gewisse Einschränkungen nötig sind“. Die Liste ist abgedruckt bei Kupper (Bearb.), Akten, S. 455–457 (Anhang Nr. 8), hier 456. Der bayerische Vorbildungskatalog war insofern strenger, als dieser etwa keine Ausnahmen hinsichtlich der Staatsangehörigkeit oder der Studienorte kannte und zusätzlich eine Reifezeugnis an einem deutschen beziehungsweise bayerischen Gymnasium beinhaltete. Vgl. dazu Bd. 3, Kap. II.2.1 (Die Interessengemeinschaft von Regierung und Domherren sowie der Widerspruch des Episkopats). „… per evidenti motivi nazionali grande importanza … nelle questioni più delicate …“ Pacelli an Gasparri vom 30. Mai 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 387v. Vgl. die Schulartikel XII-XX des Delbrueck-Entwurfs I ohne Datum [27. April 1922], Kupper (Bearb.), Akten, S. 462–464. Vgl.: „Tuttavia dalle conversazioni avute col Prof. Delbrück mi sono accorto che il Governo non dà a questo punto una importanza troppo grande. L’essenziale per lo Stato è che esso prima della nomina 256

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wände, zum Beispiel parteipolitischer Natur, einen legitimen Widerspruch begründen konnten. Damit nahm Pacelli bereits einen Punkt vorweg, den die AES wenige Wochen später in ihrer Definition des politischen Bedenkenrechts festlegen sollte.924 Pacelli war realistisch genug, um zu wissen, dass die weitreichenden Konzessionen des Delbrueck-Entwurfs „lebendigen Widerstand“ hervorrufen würden, „vor allem im Reichsrat von Seiten der Repräsentanten der Teilstaaten, unter denen die von Preußen und Bayern das Übergewicht besitzen“925. Preußen und Bayern ließ der Vatikanreferent bei seiner Konkordatsofferte völlig außen vor, was sich im Nachhinein als „schwerer taktischer Fehler“926 herausstellen sollte. Zunächst suchte er, eine vom Heiligen Stuhl abgesegnete Verhandlungsbasis zu erreichen, die er erst anschließend den Parteispitzen und den Vertretern des Reichsrats vortragen wollte. Zu erstgenanntem Zweck reiste er am 3. Juni nach Rom – über diese Absicht hatte Pacelli Gasparri zuvor informiert  –,  um seinen Entwurf im päpstlichen Staatssekretariat zum besprechen. Da Bergen jedoch auf Anweisung der preußischen Regierung Delbruecks Mission sabotierte, scheiterte das Unterfangen kläglich.927 Auch wenn dieser sich nach seiner Rückkehr sofort daran machte, den Entwurf noch einmal zu überarbeiten,928 schwanden die Hoffnungen auf einen baldigen Konkordatsabschluss zusehends, die inneren und äußeren Rahmenbedingungen in Deutschland waren nicht mehr günstig, wie Stefan Samerski zusammenfasst: „Zum einen betrieb Bayern ... massive Gegensteuerung, um das eigene Konkordat nicht zu gefährden. Die preußische Regierung sperrte sich ebenfalls. Nach der Ermordung des Außenministers Walther Rathenau [sc. am 14. Juni 1922, R.H.] machte die ‚allgemeine Erregtheit und Verdrossenheit, die durch die langwierige Regierungskrise entstanden ist und monatelang anhalten wird‘, das Auswärtige Amt praktisch handlungsunfähig, so daß Delbrueck selbst zu der Einsicht kam, daß man ‚das Reichskonkordat etwas zurückstellen‘ müsse ... Auch die öffentliche Meinung hatte das Interesse an einem solchen Abkommen verloren, weil seit dem Sommer das Reparationsproblem, der Ruhrkampf und die Inflation deutlich im Vordergrund der Pressemeldungen standen.“929

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venga interrogato ‚se esistano obbiezioni contro il candidato in questione‘; ove, tuttavia, a mio subordinato parere, dovrebbero aggiungersi le parole ‚dal punto di vista civile‘.“ Pacelli an Gasparri vom 30. Mai 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 387v. Vgl. dazu Bd. 3, Kap. II.2.1 (Die Klärung der politischen Klausel). „… viva opposizione sopratutto nel Reichsrat da parte dei rappresentanti degli Stati particolari, fra i quali hanno la preponderanza quelli della Prussia e della Baviera.“ Pacelli an Gasparri vom 30. Mai 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 386v. Hervorhebung im Original. Samerski, Delbrueck, S. 352. Vgl. Samerski, Delbrueck, S. 351f.; Volk, Reichskonkordat, S. 21–24. Vgl. auch Pacelli an Borgongini Duca vom 7. August 1922 (Entwurf), ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 396rv. Vgl. Delbrueck-Entwurf II ohne Datum [28. Juni 1922], abgedruckt bei Kupper (Bearb.), Akten, S. 465– 472 (Anhang Nr. 10). Der Artikel IX erfuhr dabei einige kleinere, nicht wesentliche Veränderungen. Samerski, Delbrueck, S. 354f. 257

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Daher versandeten die Konkordatsbestrebungen in den nächsten Wochen und wurden im September fürs Erste eingestellt.930

Ein bischöfliches Memorandum und der ‚Konkordatshebel‘ Danzig Das Ende der Reichskonkordatsverhandlungen rückte ein mögliches Konkordat mit Preußen stärker in den Fokus Pacellis. Bereits drei Tage nach der Erklärung Boelitz’ vom 6. Januar 1922 hatte er Bertram aufgefordert, im Namen des preußischen Episkopats ein Memorandum zu erstellen, in dem der Forderungskatalog der Kirche gegenüber dem preußischen Staat festgehalten werden sollte, insbesondere auch was die Besetzung der Bistümer anbelangte.931 Ziel sollte sein, den sofortigen Ausschluss des staatlichen Einflusses auf die Bestellung der Bischöfe und Kanoniker sowie die prompte Derogation der verbliebenen restriktiven Kulturkampfgesetze zu erreichen, um mit einer größeren Freiheit zu den Konkordatsverhandlungen schreiten zu können. Bereits am 24. Januar übersandte der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz dem Nuntius die gewünschte Denkschrift.932 Nachdem beide Kirchenfürsten am 15.  Februar gemeinsam in München – Bertram hatte dort auf dem Rückweg seiner Romreise anlässlich des Konklaves Halt gemacht – einige Modifikationen eingearbeitet hatten, übermittelte Pacelli das Memorandum am nächsten Tag an das preußische Kultusministerium.933 Das Dokument war also aus Regierungsperspektive eine Meinungsbekundung des Episkopats gegenüber dem Nuntius, obwohl es de facto mit Pacellis Vorstellungen abgeglichen war. Beim Nuntius liefen von nun an die Fäden in der preußischen Konkordatsfrage zusammen.934 930

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Weitere erfolglose Konkordatsbestrebungen gab es dann wieder zwischen 1924 und 1927. Zu nennen sind hier vor allem die Konkordatsentwürfe des Reichsinnenministeriums vom 24. November 1924 sowie vom 18. Oktober 1926, abgedruckt bei Kupper (Bearb.), Akten, S. 473–478 (Anhang Nr. 11) sowie S. 479–484 (Anhang Nr. 12). Die Grundzüge der Bestimmungen zur Besetzung der Bischofsstühle aus den ersten Delbrueck-Entwürfen blieben in diesen späteren Richtlinien erhalten.Vgl. zu den Verhandlungen in diesem Zeitraum etwa Deuerlein, Reichskonkordat, S. 52–71; Volk, Reichskonkordat, S. 32–43. Das Konkordat wurde bekanntlich erst am 20. Juli 1933 unter völlig neuen politischen Voraussetzungen und unter zeitlichem Hochdruck geschlossen. Vgl. dazu die in Bd. 1, Exkurs I Anm. 600 angegebene Literatur. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 12. Januar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920–1921, Pos. 1728, Fasz. 906, Fol. 41r-v. Vgl. Memorandum Bertrams für Pacelli vom 24. Januar 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 12r–19r (nur r); abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 406–410 (Nr. 195). Vgl. auch Mussinghoff, Fakultäten, S. 190f. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 27. Februar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 10r–11v, hier 11r. Vgl. Golombek, Vorgeschichte, S. 18 Anm. 22. 258

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Zu Beginn erklärte Bertram, die früher bereits erörterte leidige Frage nach der Fortgeltung der alten staatskirchenrechtlichen Abmachungen übergehen zu wollen, und bedankte sich bei Pacelli lediglich dafür, „dass der Heilige Stuhl mit weiser Umsicht alles vermieden hat, was in der Übergangszeit zu Differenzen hätte Anlass geben können, und dass nachdrücklich betont ist, wie sehr für die Erhaltung guter Beziehungen zwischen Staat und Kirche der rasche Abschluss einer neuen endgültigen Vereinbarung im Interesse beider Teile liegt“935.

Jetzt sei es höchste Zeit, dass die in der WRV der Kirche zugestandene Freiheit zur autonomen Verwaltung endlich in die Praxis übergehe. Für die Liste der konkreten Forderungen rekurrierte das Skript auf die im Sommer 1920 von der Fuldaer Bischofskonferenz diskutierten Grundsätze, die Bertram am 24.  Oktober desselben Jahres dem Kultusministerium vorgelegt hatte und die nach wie vor aktuell waren.936 Damals hatten die Bischöfe festgestellt, dass „es nicht zweifelhaft sein“ könne, dass „die Kirche in Zukunft in der Wahl der Bischöfe und der Domgeistlichen volle Freiheit genießt“937. Mit Rekurs auf Gasparris „definitive“ Entscheidung vom 20. Mai 1921 betonte das aktuelle Memorandum diese Position noch einmal, indem es konstatierte, dass die „Frage der Mitwirkung des Staates bei Besetzung der bischöflichen Stühle, der Dompropsteien und der in ungeraden Monaten erledigten Kanonikate etc. … bereits eine vorbereitende Bearbeitung in der Stellungnahme des Heiligen Stuhles gefunden [hat], indem dieser die dem Könige gegebenen Bewilligungen als nicht mehr bestehend behandelt, seitdem das Königtum beseitigt ist“938.

Von hier aus schlugen Bertram und Pacelli eine Brücke zu den pekuniären Staatsleistungen an die Kirche, die von preußischer Seite gerne als Druckmittel benutzt wurden, und erklärten, dass diese aus der Säkularisation und dem Reichsdeputationshauptschluss resultieren und keine Gegenleistungen für die „alten“ Einflussprivilegien darstellen würden.939 Kurzum: Die Kirche hatte sich die 935

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Memorandum Bertrams für Pacelli vom 24. Januar 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 13r. Vgl. dazu Bd. 1, Exkurs I Anm. 638. Protokoll der Fuldaer Bischofskonferenz/​Ausführung von Beschlüssen vom 23. Oktober 1920, Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 279. Memorandum Bertrams für Pacelli vom 24. Januar 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 15r–16r. Hervorhebungen im Original. Die weiteren Nummern thematisierten die Vorbildung der Geistlichen, die Zulassung von Ausländern zu kirchlichen Ämtern, die Anzeigepflicht bei der Besetzung von Pfarrstellen, die Vermögensverwaltung, die Altkatholiken, das ius praesentandi, die Universitäten, Konvikte und Seminare, die Dotationen, die Eheschließung und die religiöse Erziehung der Jugend (Schulfrage). Vgl.: „Mit staatlichen Zahlungen hängt diese Frage nicht zusammen, weil diese Zahlungen nicht auf Grund jenes Privilegs erfolgen, sondern dem Staate obliegen aus der Universal Succession des Staates im Vermögen der säkularisierten bischöflichen Stifte und Domkapitel und aus den durch den Reichsdeputationsschluss fest259

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preußische „Taktik des Verschleppens und Hinhaltens“, die den Zweck verfolgte, die alten „obrigkeitsstaatlichen Bastionen“940 zu konservieren, obwohl sie jeder Rechtsgrundlage entbehrten, lange genug nachgiebig angeschaut. Wie Pacelli Ende Februar 1922 dem Kardinalstaatssekretär berichtete, bestand er bei Übersendung des Dokuments an das Kultusministerium auf eine zügige Bearbeitung der Denkschrift und nahm dabei Rekurs auf die Zusicherung Boelitz’ vom 6.  Januar, ohne Verzögerungen die Frage der Besetzung der bischöflichen Stühle und Kanonikate zu regeln. Doch Pacelli war keineswegs davon überzeugt, dass die Regierung im gewünschten Sinne reagieren würde. Das lässt sich an seinem weiteren Vorgehen ablesen: Kurz nachdem er das Memorandum offiziell verschickt hatte, reiste er persönlich nach Berlin. Der eigentliche Anlass war die bevorstehende Errichtung der Apostolischen Administratur Danzig. Für Preußen und das Deutsche Reich handelte es sich um ein hochbrisantes Thema, da man verhindern wollte, dass der „Verlust“ Danzigs im Zuge der territorialen Einbußen nach dem Ersten Weltkrieg – seit 1920 stand Danzig unter der Aufsicht des Völkerbundes – kirchlich „sanktioniert“ wurde und etwa durch die Installation eines polnischen Administrators ein Präjudiz für die künftige politische Zugehörigkeit der Stadt geschaffen werden könnte.941 Folgerichtig wünschte man, dass ein deutscher Staatsbürger zum Administrator ernannt werde. Dies entsprach auch einem Vorschlag, den der Prosekretär der AES, Francesco Borgongini Duca, dem Nuntius bereits am 28.  Januar unterbreitet hatte: einen deutschen, unpolitischen und den Polen gegenüber konzilianten Geistlichen zu ernennen.942 Hierin erkannte Pacelli sofort eine Gelegenheit, die er sich zunutze machen wollte. In seinem Antwortschreiben an Borgongini Duca vom 1. Februar stellte er folgende Überlegung an: „Eine nützliche Gelegenheit, sich des genannten Streits über Danzig zu bedienen, könnte die folgende sein. Wie ich schon die Ehre hatte zu berichten …, werde ich dem Kultusministerium in Berlin im Namen des preußischen Episkopats bald ein Memorandum vorlegen, hauptsächlich, um die sofortige Abschaffung der verschiedenen alten, die Freiheit der Kirche

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gelegten Verpflichtungen. Die gleiche Quelle haben die Zahlungen für die Diözesaninstitute und die Diözesanverwaltungsbehörden.“ Memorandum Bertrams für Pacelli vom 24. Januar 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 16r. Vgl. dazu auch Bd. 1, Kap. II.1.1 Anm. 154. Volk, Reichskonkordat, S. 27. Die Zielsetzung der Regelung der kirchlichen Verhältnisse im Osten hatte Reichsinnenminister Adolf Köster in einer Denkschrift, die er am 10. Dezember 1921 dem bayerischen Ministerpräsidenten Lerchenfeld übersandte, folgendermaßen formuliert: „Besonders muß versucht werden, mit der Kurie zu einer Vereinbarung zu kommen, die es ermöglicht, das Deutschtum in den abgetretenen östlichen Gebieten (Danzig und Oberschlesien) durch Garantien auf kirchlichem Gebiete vor einer Polonisierung nach Möglichkeit zu schützen. Die Konkordatsverhandlungen würden die beste Gelegenheit bieten, diese nationalen Notwendigkeiten Rom gegenüber zu vertreten.“ Zitiert nach Deuerlein, Reichskonkordat, S. 32. Vgl. Borgongini Duca an Pacelli vom 28. Januar 1922, ASV, ANB 46, Fasz. 3, Fol. 57rv. 260

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einschränkenden Bestimmungen und besonders den Wegfall des staatlichen Einflusses auf die Besetzung der Bischofsstühle und Kanonikate zu erreichen. Falls (was gut möglich ist) die preußische Regierung einem oder mehreren Punkten offen Widerstand entgegensetzt oder versucht, den gerechten Forderungen durch Verzögerungen auszuweichen, könnte die kirchliche Regelung des Gebiets Danzig ein ziemlich günstiges Argument sein, um sie zu Vernunft zu bringen.“943

Der Nuntius witterte also die Option – quid pro quo –, die preußische Regierung bei Bedarf durch die Danzig-Frage zum Nachgeben zu bewegen. Der neue Pontifex war mit Pacellis Idee einverstanden, wie Gasparri dem Nuntius am 16. Februar mitteilte,944 am selben Tag, an dem Pacelli das bischöfliche Memorandum dem Kultusministerium übersandte. Mit diesem diplomatischen Druckmittel bewehrt führte er in der Reichshauptstadt Gespräche sowohl mit dem Reichsaußenminister, Walter Rathenau, als auch mit den Vertretern der preußischen Regierung, insbesondere mit Kultusminister Boelitz und Staatssekretär Becker. Wie er anschließend Gasparri berichtete, unterbreitete er ihnen die beabsichtigte Lösung, in Danzig einen deutschen Administrator einzusetzen, und formulierte im Gegenzug zu diesem „Beweis des Wohlwollens“ jeweils die Erwartung, dass „auch die Regierung ihrerseits Bereitwilligkeit und den Geist der Versöhnung und des Einverständnisses in der Konkordatsfrage zeige“945. Tatsächlich erntete Pacelli von beiden Regierungen das Versprechen, sich für einen Konkordatsabschluss einzusetzen, der beide Seiten zufriedenstelle. Mehr konnte der vatikanische Diplomat jedoch nicht vorweisen, wie er sicher nicht ohne Frustration dem Kardinalstaatssekretär bekannte: „Trotz aller meiner Bemühungen im Gehorsam zur Anordnung des Heiligen Vaters, ‚mich zu beeilen‘, ist es mir nicht möglich gewesen, in der kurzen Zeit mehr zu erreichen als die angesprochenen vagen mündlichen Versprechungen. Die Komplexität und Schwierigkeit der Gegenstände, der Umfang der bürokratischen Prozesse, das Faktum, dass der Kultusminister in diesen Tagen vollständig von der Diskussion um den Etat seines Ministeriums im Landtag

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„Una utile occasione per valersi dell’anzidetta vertenza di Danzica potrebbe essere la seguente. Come ebbi già l’onore di annunziare …, presenterò fra breve al Ministero del Culto in Berlino a nome del Episcopato prussiano un Memorandum diretto principalmente ad ottenere la pronta abrogazione di varie antiche disposizioni restrittive della libertà della Chiesa ed in particolare la cessazione delle ingerenze governative nella provvista delle Sedi vescovili e dei Canonicati. Qualora (come è ben possibile) il Governo prussiano opponesse in uno o più punti aperta resistenza o cercasse con mezzi dilatori di eludere quelle giuste richieste, la sistemazione ecclesiastica del territorio di Danzica potrebbe essere un argomento assai conveniente per ridurlo alla ragione.“ Pacelli an Borgongini Duca vom 1. Februar 1922, S.RR.SS., ­AA.EE.SS., Germania, 1922–1936, Pos. 510, Fasz. 18, Fol. 52r–53v, hier 53r. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 16. Februar 1922, ASV, ANB 46, Fasz. 3, Fol. 65r. „… prova di benevolenza … anche il Governo dimostri, da parte sua, premura e spirito di conciliazione e di accordo nella questione del Concordato.“ Pacelli an Gasparri vom 27. Februar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 10v. 261

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vereinnahmt war, die juristische Notwendigkeit, verschiedene dieser Materien auf gesetzgeberischem Weg zu regeln, erlaubten keine unmittelbaren Lösungen.“946

Deshalb zog er die ernüchternde Bilanz, dass es nicht vorhersehbar sei, inwieweit diese Zusagen eingehalten würden, wenn die Danzig-Frage für beide Regierungen kein Grund mehr zur Besorgnis darstelle.947

Die preußischen Vorstellungen zur Besetzung der Bischofsstühle und Bertrams Stellungnahme Der preußische Kultusminister hielt zumindest darin Wort, dass er dem Nuntius am 28.  April 1922 die Position der Regierung zum bischöflichen Memorandum und insbesondere  –  wie in seinem Schreiben vom 6.  Januar angekündigt  –  zur Investitur der Bischöfe zukommen ließ.948 Während die Denkschrift vom Wegfall der dem König gewährten Privilegien durch die WRV ausgegangen war, demonstrierte Boelitz seine „Befriedigung“949, dass die Regierung vom Heiligen Stuhl keine authentische Stellungnahme erhalten habe, nach der die Kronrechte als nicht mehr geltend deklariert würden. Das Land Preußen gehe weiterhin davon aus, dass die Bulle De salute animarum samt ihrer Bestimmungen zur Bischofswahl die unveränderte Rechtslage bilde. 946

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„Nonostante, però, tutte le mie premure in obbedienza all’ordine del S. Padre ‚di far presto‘, non mi è stato possibile di ottenere in breve tempo se non le anzidette vaghe promesse verbali. La complessità e difficoltà degli argomenti, la lunghezza dei procedimenti burocratici, il fatto che il Ministro del Culto era in questi giorni completamente assorbito dalla discussione del bilancio del suo Dicastero nel Landtag, la necessità giuridica di regolare varie di quelle materie in via legislativa, non permettevano immediate soluzioni.“ Pacelli an Gasparri vom 27. Februar 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 11v. Hervorhebung im Original. Die Errichtung der Administratur Danzig erfolgte schließlich am 21. April 1922 per Dekret der AES, das damit die Jurisdiktion der Bischöfe von Ermland und Kulm über Danzig aufhob. Vgl. AAS 14 (1922), S.  312. Vgl. dazu Ruppel, Tätigkeit, S.  300–305; Samerski, Katholische Kirche, bes. S.  107–124. Die Entscheidung über die Person des ersten Apostolischen Administrators, welche beanspruchte sowohl den Polen als auch den Deutschen genehm zu sein, traf Pius XI. persönlich, der als ehemaliger Nuntius in Warschau die örtlichen Verhältnisse genau kannte: „… mi reco a premura di significarLe che il Santo Padre, il Quale ha una personale conoscenza delle cose di Danzica, proponderebbe a nominare come Amministratore Apostolico della libera città di Danzica Mgr. Edoardo O’Rourke. Tale scelta, mentre sarebbe accetta ai tedeschi perchè Mons. Rourke, per quanto nato in Curlandia, appartiene a famiglia baronale tedesca, nello stesso tempo si prevede che non incontrerebbe difficoltà da parte dei polacchi.“ Gasparri an Pacelli vom 15. März 1922, ASV, ANB 46, Fasz. 3, Fol. 70r. Vgl. Boelitz an Pacelli vom 28. April 1922, ASV, ANB 84, Fasz. 1, Fol. 45r–46v; Entwurf abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 413–415 (Nr. 199). Vgl. auch Dambacher, Verhältnis, S. 188–190; Golombek, Vorgeschichte, S. 18; Mussinghoff, Fakultäten, S. 194f. Boelitz an Pacelli vom 28. April 1922, ASV, ANB 84, Fasz. 1, Fol. 45r. 262

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Das hatte der erste Punkt des Promemoria der Regierung vom 29. Dezember 1919 schon erklärt. Seitdem hatte es darin keine Veränderung gegeben. Der Möglichkeit einer einseitigen Änderung dieser Grundlage durch den Heiligen Stuhl begegnete Boelitz mit einer Ankündigung, die einer Drohung gleichkam: „Jede andere Behandlung würde zwar nicht die Anpassung der Preußischen Gesetzgebung an die Reichsverfassung hindern, wäre aber doch geeignet, gesetzlichen Maßnahmen, die, wie die Erhöhung der Dotationen der Bistümer oder der Pfarrbesoldung, aus der Reichsverfassung nicht herzuleiten sind, schwere Hemmungen zu bereiten.“950

Es waren für die Kirche also nicht die Staatsleistungen als solche in Gefahr – ihre Ablösung verbürgte der Artikel 138 Absatz 1 WRV –, sondern ihre Anpassung an den Realwert oder die neuen Bedürfnisse.951 Allerdings glaubte Boelitz in dem Umstand, dass der Nuntius qua Memorandum den Verhandlungsweg eingeschlagen hatte, den Beweis dafür erblicken zu dürfen, dass dem Heiligen Stuhl an einem eigenmächtigen Vorgehen nicht gelegen war. Für die Anpassung der Zirkumskriptionsbulle an die Reichsverfassung war nach Meinung des Kultusministers ein Gesetz erforderlich, bei dessen Einbringung eine Antwort vor allem auf die Frage erforderlich sei, „welche Art der Ergänzung der Domkapitel in Zukunft an die Stelle der staatlichen Ernennung treten wird“952. Die Regierung wünschte, vor Nomination der Dompröpste und der Hälfte der Domherren über die Kandidaten informiert zu werden. Das Interesse an der Zusammensetzung der Domkapitel speiste sich natürlich zu einem großen Teil aus ihrer Funktion, die Bischöfe zu wählen. In dieser Hinsicht glaubte Boelitz, dass der staatliche Verzicht auf das Recht der Exklusive und die Entsendung eines Wahlkommissars das Wahlrecht der Kapitel nicht tangiere. Angesichts „der geschichtlichen Entwicklung und der Wünsche des katholischen Volksteils“953 bat er um die Zusage der Kurie, dass dieses Recht zukünftig garantiert sei. Darin war sich die preußische Regierung mit der Reichsregierung völlig einig. Wenn die alten staatlichen Einflussrechte auf die Bestellung der Bischöfe vor dem Hintergrund der WRV nicht zu konservieren waren, dann sollten die Oberhirten zumindest nach wie vor durch deutsche Geistliche gewählt werden. Insofern entsprang es wohl auch der Furcht des Ministers vor einer künftigen staatlichen Marginalisierung, wenn er anfügte, dass bei der Bischofswahl „die Eintracht zwischen Kirche und Staat im Interesse beider Teile“954 liege. Daher hielt er es für wünschenswert, wenn die Empfehlungen der Breven Quod de fidelium (für Altpreußen) und Re sacra (für die 950 951

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Boelitz an Pacelli vom 28. April 1922, ASV, ANB 84, Fasz. 1, Fol. 45r. Dieses Thema gewann durch die Hyperinflation Anfang des Jahres 1923 noch einmal an dramatischer Bedeutung. Vgl. dazu Büttner, Weimar, S. 391–404. Vgl. zu den Auseinandersetzungen um die Dotation in diesem Zusammenhang Dambacher, Verhältnis, S. 190–193. Boelitz an Pacelli vom 28. April 1922, ASV, ANB 84, Fasz. 1, Fol. 45v. Boelitz an Pacelli vom 28. April 1922, ASV, ANB 84, Fasz. 1, Fol. 45v. Boelitz an Pacelli vom 28. April 1922, ASV, ANB 84, Fasz. 1, Fol. 45v. 263

Exkurs II

Oberrheinische Kirchenprovinz) für eine einvernehmliche Praxis erneut ausgesprochen würden.955 Doch auch im konkreten Besetzungsverfahren sollte nach Boelitz ein Vertrauensbeweis verankert werden, dass nämlich „die in Aussicht genommenen Kandidaten vor der Wahl der Preußischen Staatsregierung bekannt gegeben würden“956. Hier spiegelte sich noch die alte Praxis wider, insofern die Regierung bis dato ebenfalls vor der Wahl Namen von der Kandidatenliste gestrichen hatte. Ein staatliches Einspruchsrecht, in welcher Form auch immer, reklamierte Boelitz nicht, wenn er lediglich die Notifikation der Kandidaten wünschte – dieses Ziel hatte Pacelli immerhin erreicht. Doch dass die Regierung schon vor dem Wahlakt über die Bischofsanwärter informiert sein sollte, barg unübersehbar die Gefahr staatlicher Einmischung in sich – hier war Widerspruch vorprogrammiert.957 Seine Stellungnahme zur bischöflichen Denkschrift hatte Boelitz über die Vermittlung des Ministerialrats Niermann schon am 27. März, das heißt gut vier Wochen bevor sie der Nuntius erhielt, dem Breslauer Kardinal zukommen lassen, der – wie Bertram zwei Tage später an Schulte schrieb  –  die staatlichen Positionen unterstützen sollte.958 In diesem Schritt erkannte Bertram die zur Strategie gewordene Absicht der preußischen Regierung, die verschiedenen kirchlichen Autoritäten gegeneinander auszuspielen.959 Darauf ging er jedoch nicht ein, er wollte sich zunächst mit dem Kölner Erzbischof besprechen und behielt sich eine schriftliche Stellungnahme

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Pius VII. sprach in erstgenanntem Breve mit Rekurs auf Ivo von Chartres davon, dass „gar viel daran liegt, dass die wechselseitige Eintracht beider Gewalten gewahrt werde“ und deshalb Geistliche gewählt werden sollten, die „nicht minder Sr. Maj. dem König genehm sein werden“. Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 223. Ähnlich bemerkte Leo XII. in Re sacra, dass die Domherren nur Kandidaten wählen sollten, die „dem allergnädigsten Fürsten nicht minder genehm sind“, weil, „wie aus der Ermahnung des Ivo von Chartres hervorgeht, die Kirche dann blüht und Frucht bringt, wenn Königtum und Priestertum sich verständigen“. Ebd., S. 272. Boelitz an Pacelli vom 28. April 1922, ASV, ANB 84, Fasz. 1, Fol. 46r. Nach diesen Ausführungen zur Ämterbesetzung ging Boelitz noch auf die Frage der Vorbildung der Geistlichen ein. Schwerpunkt waren die Pfarrbesoldung und die Amtsübertragung an Ausländer beziehungsweise an Geistliche, die nicht den gewünschten akademischen Voraussetzungen genügten: „Zu diesem Zwecke schlage ich vor, dass auch in Zukunft die Übertragung eines geistlichen Amtes mit staatlicher Zustimmung geschehe, wenn es sich um einen Ausländer oder um einen Geistlichen handelt, der nicht das Reifezeugnis einer deutschen höheren Lehranstalt erworben und nicht mindestens 3 Jahre auf einer deutschen Universität oder einem deutschen bischöflichen Seminar oder einer gleichartigen Anstalt in Rom studiert hat.“ Boelitz an Pacelli vom 28. April 1922, ASV, ANB 84, Fasz. 1, Fol. 46r-v. Vgl. Bertram an Schulte vom 29. März 1922, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 416 (Nr. 200). Vgl. zu Bertrams Kritik an der Politik der preußischen Regierung auch Bd. 1, Kap. II.1.3 („Do-ut-des“: Pacelli, Schulte und Bertram in Berlin). 264

Exkurs II

zum Schreiben des Kultusministers vor.960 Nachdem Schulte den Entwurf dieser Stellungnahme durchgesehen hatte,961 übermittelte Bertram sie dem Kultusministerium am 3.  April.962 Dieser Text bildete für Bertram zugleich die Grundlage eines Kommentars, den er für Pacelli zu Boelitz’ Skriptum anfertigen sollte. Der Nuntius, der erst nachträglich erfuhr, dass das Kultusministerium Bertram bereits kontaktiert hatte, legte dem Breslauer Oberhirten am 2. Mai seinerseits den Text des Kultusministers vor und bat um eine Einschätzung.963 Bertram kam der Bitte Pacellis bereits eine Woche später nach und übermittelte ein siebenseitiges lateinisches Gutachten.964 Nach einer kurzen Wiederholung der schon im September 1921 vertretenen Auffassung zur Frage der Fortgeltung von De salute animarum nach der WRV965 und einer akribischen Auseinandersetzung mit den Ausführungen Boelitz’ zur Besetzung der Domkanonikerstellen966 kam Bertram 960

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Laut Niermann zeigte sich Pacelli bei seinem letzten Besuch im Kultusministerium vor allem in der Angelegenheit der Bischofswahl außerordentlich entgegenkommend. Diese Einschätzung bildete für Bertram den Auftakt, die Verhandlungsführung des Nuntius, die den Episkopat in eine Zwickmühle bringe, gegenüber Schulte zu kritisieren: „Die Situation ist nicht leicht. Nuntius Pacelli, anfangs mit einer Fülle von Forderungen, jetzt im Gegenteil sehr bescheiden in den Postulaten. Diese Änderung der Lage schiebt den größten Teil der Verantwortung dem Episkopat zu, zumal der Nuntius gar keine Erfahrung in Preußen hat. Wenn nun auch wir uns sehr nachgiebig zeigen, sei es in unverbindlichster Form, werden wir sofort darauf festgenagelt und haben dem hl. Stuhle ein Präjudiz geschaffen.“ Bertram an Schulte vom 29. März 1922, Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 416. Diese Entwurfsfassung der Antwort an Niermann fügte Bertram seinem Brief vom 29. März für Schulte bei. Vgl. Bertram an Niermann vom 29. März 1922 (Entwurf), abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 417–420 (Nr. 201). Vgl. Mussinghoff, Fakultäten, S. 192f. Vgl. Mussinghoff, Fakultäten, S. 195. Vgl. Bertram an Pacelli vom 9. Mai 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 66r–73r (nur r). Wie damals (vgl. Bd. 1, Exkurs I (Episkopat gegen Gasparri: eine neue Petition zur Besetzung der Bischofsstühle)) hielt Bertram es für müßig, diese Frage weiter zu debattieren und riet stattdessen dazu, bald zu einer neuen Übereinkunft zu kommen. Er bemerkte aber, dass seiner persönlichen Ansicht nach diejenigen Bestimmungen der alten Bulle weiterhin in Kraft seien, die grundlegende Regelungen beinhalteten, wie die Diözesangrenzen, die Dotation und Ähnliches. Anders verhalte es sich mit den Privilegien, die der mittlerweile untergegangenen königlichen Dynastie zugestanden wurden. Aus Gasparris Konzession vom 14. Oktober 1919 an die Diözesanbischöfe, die Propstei und die Kanonikate besetzen zu dürfen (vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.1 (Kuriales Taktieren)), folgerte der Breslauer Kardinal, dass der Heilige Stuhl ebenfalls die königlichen Privilegien für nichtig ansehe und „völlig auf Handlungen verzichten will, die eine Anerkenntnis der Fortgeltung der Privilegien einzuschließen scheinen“ [„… Sanctam Sedem voluisse abstinere omnino ab actibus, qui videantur includere agnitionem perdurantiae privilegiorum.“]. Bertram an Pacelli vom 9. Mai 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 67r. Mit seiner Frage, wie zukünftig die Besetzung der Kanonikerstellen vorgenommen werde, hatte Boelitz implizit auf das staatliche Präsentationsrecht für die Propstei und die in den ungeraden Monaten vakant werdenden Kanonikate verzichtet. Das nahm Bertram gerne an, zumal jener kein Recht der Exklusive verlangt, sondern nur von einer Bekanntgabe der Kandidaten (vor ihrer Ernennung) an die Regierung 265

Exkurs II

auf das Thema der Bischofseinsetzungen zu sprechen. Im Einklang mit den früheren Bekundungen des Episkopats qualifizierte er die ministeriale Forderung nach Wahrung des Wahlrechts der Domkapitel als übereinstimmend mit den Ansichten der Bischöfe, der Domherren selbst sowie dem Willen des katholischen Volkes. Sie alle würden diesen „glänzendsten Schatz der Privilegien unserer Bischofskirchen, der durch den Brauch so vieler Jahrhunderte geheiligt ist“967, hochschätzen. Wie die Geschichte lehre, hätten die Domkapitel bei der Ausübung dieses Rechts „immer behutsam und klug gehandelt, da sie Lauterkeit des Glaubens, Unterwerfung gegenüber dem Apostolischen Stuhl, Rechtschaffenheit der Sitten, gemehrte sehr gute Erfahrungen in den diözesanen Angelegenheiten sowie eine innige Verbindung und einen vertrauten Umgang mit der Herde der Gläubigen besitzen; diese persönliche Verbindung mit dem Volk war noch nie so wichtig wie in diesen gefährlichen Zeiten, wo die Seelen der Gläubigen leicht verwirrt und verführt werden.“968

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gesprochen hatte. Während die alte Regelung die Aufteilung in „päpstliche“ und „bischöfliche“ Monate vorsah, ging es in dem Regierungsschreiben schlicht um „die Hälfte der Domherren“. Bertram interpretierte daraus ein Alternationsmodell, „sodass die Kanonikate sich in Zukunft nicht nach den Monaten der Vakanz richten, sondern abwechselnd ohne Vorherwissen und mit Vorherwissen des Ministeriums übertragen werden; es wird folglich nach einer völlig freien Besetzung immer eine weitere ebenfalls freie folgen, aber dann eine mit dem Vorherwissen des Ministeriums vollzogene Besetzung des Kanonikats“ [„… ita ut Canonicatus in futurm non attentis mensibus vacantiae, sed alternis vicibus sine praescientia et cum praescientia Ministerii conferendi erunt; sequetur igitur post omnino liberam collationem semper altera etiam libera, sed cum praescientia Ministerii facienda collatio canonicatus.“]. Bertram an Pacelli vom 9. Mai 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 67r]. Zu dieser aus dem staatlichen Schreiben folgenden Rechtssituation formulierte Bertram zwei Anmerkungen. a) Aus der genannten Anzeigepflicht könnte leicht ein erneuter Einfluss der Regierung auf das Besetzungsverfahren resultieren. Die Kandidatenmitteilung sei nach den Vorgaben der Reichsverfassung nicht mehr gerechtfertigt. Daher lehnte sie Bertram ab und machte den Vorschlag, dass der Heilige Stuhl die Bischöfe lediglich ermahnen sollte, nur solche Geistlichen für die Ämter zu bestimmen, die sich gegenüber Staat und Gesetz so verhalten, wie das von einem „rechtschaffenen Bürger“ [„… cive rationabiliter …“, ebd., Fol. 68r] verlangt werde. Diese Vorstellung hatte Bertram auch in der Stellungnahme gegenüber Niermann vom 29. März geäußert. Vgl. Bertram an Niermann vom 29. März 1922, Hürten (Bearb.), Akten 1, S.  417f. b) Sollte jedoch der Heilige Stuhl die Anzeigepflicht akzeptieren, müsse der Staat wenigstens eine Erklärung vorlegen, in der er seine Absicht kundtue, keine Hindernisse für die Kandidaten aufzubauen, die über die gewöhnlichen staatsbürgerlichen Pflichten hinausgingen. „… cimelium praeclarissimum privilegiorum nostrarum Cathedralium consuetudine tot saeculorum sancitum.“ Bertram an Pacelli vom 9. Mai 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 69r. „… semper caute et prudenter egerunt rationem habendo tam sinceritatis fidei et subiectionis erga Sedem Apostolicam quam probitatis morum et acquisitae optimae experientiae in negotiis dioecesis atque connexus intimi consuetudinisque cum grege fidelium; qui connexus personalis cum populo nunquam tanti momenti fuit quanti est in hisce periculosis temporibus, ubi fidelium animi facile perturbantur et seducuntur.“ Bertram an Pacelli vom 9. Mai 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921– 1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 69r. 266

Exkurs II

Gerade der letzte Punkt musste wohl als Kritik an einer römischen Bischofsernennung verstanden werden, da der Heilige Stuhl diesen engen Kontakt mit den Gläubigen nicht pflegen konnte, selbst wenn er durch einen Nuntius vor Ort vertreten war. Angesichts seiner Laudatio auf die Kapitelswahl überrascht es nicht, dass Bertram den Heiligen Stuhl beziehungsweise Pacelli im Namen des preußischen Episkopats erneut um ihren Fortbestand bat. Nicht nur in diesem zentralen Punkt war sich Bertram mit der preußischen Regierung einig.969 Ebenfalls hielt er es für sinnvoll, dem Wunsch des Kultusministers nach einer einträchtigen Besetzungspraxis zu entsprechen. Der Heilige Stuhl sollte den Domkapiteln feierlich einschärfen, bei der Bischofswahl die friedliche Beziehung von Kirche und Staat im Blick zu behalten. Bei der geforderten Anzeigepflicht der Kandidaten vor der Bischofswahl hatten die Sympathien für die staatliche Position schließlich ein Ende. Bertram prognostizierte, dass eine solche Praxis unversehens zu einer Repristination der staatlichen Exklusive führe, nicht in der bisherigen Form der Namenstilgung von einer Liste, aber auf verstecktem Weg über diplomatische Kanäle. Aus einer solchen Verpflichtung, die übrigens dem gesamten katholischen Volk „verhasst und lästig“970 sein werde, entstünden nur Streit und Differenzen.971 Alternativ empfahl Bertram, dass die Anzeige an die Regierung erst nach dem Wahlakt, jedoch vor der päpstlichen Approbation stattfinden sollte. Dadurch bliebe die Wahl „immun“ gegen jede beliebige Beeinflussung durch die Regierung.972 Wenn diese außerdem erst nach der Wahl diplomatisch gegen den Gewählten agitieren könne, sei das nur auf Basis von „sehr schwerwiegenden Gründen“973 möglich, die streng zu begründen und gründlich zu prüfen seien. Abgesehen davon hielt Bertram seinen Vorschlag zur 969

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Diese Einheit hatte der Breslauer Kardinal auch in seiner Stellungnahme für das Kultusministerium vom 3. April festgestellt: „In dem Wunsche, daß das Recht der Bischofswahl den Domkapiteln verbleibe, stimmen die Bischöfe mit der Regierung vollkommen überein.“ Bertram an Niermann vom 29. März 1922, Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 417. „… invisa et odiosa …“ Bertram an Pacelli vom 9. Mai 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 70r. In der Stellungnahme für das Kultusministerium hatte Bertram das folgendermaßen ausgedrückt: „Man wird in weitesten Kreisen einen solchem Modus auffassen als eine Wiedereinführung des jus exclusivae, indem der Druck der Regierung gegen einen Kandidaten als persona minus grata wieder einsetzt. Gewiß steht der gesamte Episkopat auf dem Standpunkte, daß die Kirche auch mit der jetzigen republikanischen Regierung in gutem Einvernehmen zu bleiben bemüht sein soll. Aus einer Zustimmung des Episkopats aber zu einer Einflußnahme auf die Bischofswahlen, die auf dem Umwege diplomatischer Beeinflussung in effectu die Freiheit wieder unterbindet, würden recht bittere Vorwürfe für die Bischöfe entstehen, die diesem Modus zustimmten.“ Bertram an Niermann vom 29. März 1922, Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 417. Vgl.: „… ita ut electio ipsa maneat immunis a quovis Ministerii influxu.“ Bertram an Pacelli vom 9. Mai 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 70r. „… gravissimis causis …“ Bertram an Pacelli vom 9. Mai 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 70r. 267

Exkurs II

Kandidatenanzeige für kompatibler mit der in der WRV zugestandenen kirchlichen Autonomie als den von Boelitz propagierten Modus.

Priesterausbildung versus Kapitelswahl: Pacellis Ansicht zum Modus der Bischofseinsetzung Bertram und mit ihm der preußische Episkopat blieben ihren bisherigen Standpunkten treu: Kapitelswahlrecht, Eintracht mit dem Staat, aber möglichst geringer Spielraum für dessen Einflussnahmen. Wie ging Pacelli mit dem Gegenentwurf des Kultusministeriums und dem Gutachten Bertrams um und welche Haltung nahm er zu diesem Themenkomplex ein? In einem Bericht für Gasparri vom 26. Mai, dem er beide Dokumente anhängte, bezog er ausführlich Stellung, obwohl er Bertrams Ausführungen einleitend als „kluge Reflexionen“974 bezeichnete, die eine eigene detaillierte Untersuchung des preußischen Skriptums erübrigen würden. Zunächst erörterte Pacelli die grundlegende Frage nach der Weitergeltung der alten Rechtsgrundlagen und rekapitulierte für Gasparri die konträren Positionen: Das bischöfliche Memorandum, das er am 16. Februar dem Kultusministerium hatte zukommen lassen, war davon ausgegangen, dass der Heilige Stuhl die königlichen Privilegien nach dem Fall der Monarchie für erloschen betrachtete. Boelitz hatte hingegen festgestellt, dass die Zirkumskriptionsbullen inklusive der Bestimmungen zur Besetzung der Bischofsstühle noch vollständig in Kraft waren und kein offizielles Schreiben des Heiligen Stuhls die königlichen Privilegien für nichtig erklärt hatte. Die Ursache für diese „Behauptung“975 des Ministers über die Auffassung Roms vermutete Pacelli erneut – dieselbe These hatte er schon im Kontext der causa Trier vertreten976 – in Bergens Telegramm von Ende November 1921, demgemäß das Staatssekretariat gegenüber dem geistlichen Konsultor Steinmann bestätigt habe, die Konsistorialallokution Benedikts XV. berühre Deutschland nicht. Zwar habe er  –  so Pacelli  –  diese Meinung auf Basis von Gasparris Interpretation vom 25. November richtiggestellt, als ihn Staatssekretär Becker damit am 31. Dezember desselben Jahres in Berlin konfrontierte. Doch offensichtlich hatte er kein Umdenken im Kultusministerium erreicht, obwohl seiner Meinung nach die Position des Heiligen Stuhls evident war. Um dies zu verdeutlichen, präsentierte er dem Kardinalstaatssekretär drei Fakten, „die zeigen, dass der Heilige Stuhl immer gewissenhaft jede Erklärung oder Haltung vermieden hat, die seine Anerkennung 974

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„… saggie riflessioni …“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921– 1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 53r–60v, hier 53v. Das Schreiben des Kultusministers fügte er sowohl in deutscher Sprache als auch in lateinischer Übersetzung bei. Vgl. ebd., Fol. 62r–63v und 64r–65v. „… affermazione …“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 54r. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.3 (Die Strategie Pacellis zur Wiederbesetzung des Bistums Trier). 268

Exkurs II

der ehemals dem König von Preußen gewährten Privilegien in der aktuellen Regierung hätte beinhalten können“977: Der Heilige Stuhl habe erstens die Wahl der neuen Oberhirten in Köln und Paderborn in der bisherigen Form nur mit der ausdrücklichen und von der preußischen Regierung schriftlich akzeptierten Klausel gestattet, dass dadurch kein Präzedenzfall für die definitive Regelung der Angelegenheit erwachse.978 Zweitens habe Boelitz anlässlich der Trierer Sedisvakanz in seinem Schreiben vom 6. Januar auf jeden staatlichen Einfluss bei der Besetzung verzichtet.979 Schließlich habe der Heilige Stuhl drittens die Besetzung der Domkapitelstellen den preußischen Bischöfen überlassen, notfalls auch mit staatlicher Absprache, aber wiederum mit ausdrücklicher Präzedenzklausel. Da diese Punkte das Gegenteil dokumentierten, war es für Pacelli unverständlich, wie Boelitz behaupten konnte, dass die staatlichen Einflussrechte auf die kirchliche Ämterbesetzung nach Ansicht der Kurie unbeirrt weiter galten oder dazu noch keine eindeutige Stellungnahme ergangen sei. Hier rächte sich seine Politik, die Frage der Fortgeltung der alten Verträge insgesamt auf theoretischer Ebene nicht zu erörtern und aus Angst vor dem Verlust der staatlichen Leistungen nichts zu unternehmen, was vom Staat als römischer Konkordatsbruch gewertet werden konnte. Erst diese Strategie ermöglichte es dem preußischen Kultusminister – allen Präzedenzklauseln zum Trotz –, seine Behauptung aufrechtzuerhalten. Dass dieser die Fortgeltungsfrage mit der Bischofsdotation und den Pfarrgehältern verknüpfte und dabei andeutete, ihre Erhöhung gegebenenfalls auszusetzen, empfand Pacelli als „klare Drohung“980. Nach einer Kritik an den Ausführungen des Kultusministers zur Besetzung der Kanonikate981 diskutierte Pacelli die Problematik der Besetzung der Bischofsstühle. Er nahm zur Kenntnis, dass 977

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„… i quali dimostrano che la S. Sede medesima ha sempre scrupolosamente evitato qualsiasi dichiarazione od atto, il quale potesse importare da parte sua un riconoscimento nell’attuale Governo dei privilegi concessi già al Re di Prussia.“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 54v–55r. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.1 und II.1.2. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.3. „… chiara minaccia …“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921– 1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 55r. In der Argumentation, einem Gesetz zur Anpassung von De salute animarum an die WRV müsse eine Klärung des Besetzungsmodus vorausgehen, gerade angesichts „der Wichtigkeit des Themas aufgrund der staatlichen Dotation“ [„… lʼimportanza dell’argomento come a causa della dotazione da parte dello Stato medesimo …“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 55r], erblickte Pacelli die Grundlage für neue Forderungen. Wenn die Regierung auch erzwungenermaßen auf die bisherige Ernennung der Domherren verzichte, sei die verlangte Notifikation bei der Hälfte aller künftigen Besetzungen „nichtsdestotrotz“ ein Versuch, „soweit möglich, einen Rest der alten Einflüsse zu bewahren“ [„… pur nondimeno di conservare, in quanto è possibile, un resto delle antiche ingerenze.“ Ebd., Fol. 56r]. Deshalb lehnte er diesen Modus ab und glaubte, dass den staatlichen Interessen ausreichend Genüge getan sei, wenn – wie Kardinal Bertram vorgeschlagen hat269

Exkurs II

Boelitz zwar das ius exclusivae und die Entsendung eines Wahlkommissars aufgab,982 gleichzeitig jedoch beteuerte, dass dieser Verzicht in keiner Weise das Kapitelswahlrecht berühre. Pacelli referierte dessen Wunsch, die Bischofswahl möge aus historischen Gründen und wegen der Zustimmung unter den Katholiken auch zukünftig in Praxis bleiben. Dabei verhehlte er nicht, dass dieses Ansinnen die volle Unterstützung der Domkapitel und des Episkopats besaß, was Bertrams Stellungnahme gerade erst wieder zum Ausdruck gebracht hatte. Wie sollte der Heilige Stuhl damit umgehen? „Ich wage sicher nicht, mich dagegen zu verwahren, weil es für ein so altes und ausgezeichnetes Privileg gehalten wird, das von den päpstlichen Zirkumskriptionsbullen bestätigt (und in Teilen wiederhergestellt) wurde und für das sich die Ehrwürdigen Bischöfe und Domkapitel Preußens einmütig aussprechen; ein Privileg, über das Seine Eminenz Kardinal Consalvi in seiner Note vom 2. September 1817 an den Gesandten von Hannover, Herrn [Ludwig Karl Georg, R.H.] von Ompteda, ohne Zweifel erklärte: ‚Es ist leider bekannt, dass die Bischofswahlen in Deutschland frei von den Domkapiteln vorgenommen werden, die, nachdem sie dieses Privileg rechtmäßig erworben haben und es seit langer Zeit besitzen, nicht einsehen, warum sie davon unangemessenerweise entkleidet sein müssten.‘“983

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te – der Heilige Stuhl den Episkopat instruiere, nur „rechtschaffene Bürger“ auszuwählen. Pacelli schloss jedoch nicht aus, dass Rom der Bitte des Kultusministers eventuell doch entsprechen wolle. Für diesen Fall empfahl er, die Reichweite der gewünschten Kandidatenanzeige genau zu präzisieren, damit sich auf diese Weise nicht ein Exklusivrecht etabliere und die Freiheit der Kirche behindert werde. Die Ungewissheit, wie der Heilige Stuhl sich entscheiden könnte, hing nicht zuletzt damit zusammen, dass Pacelli definitive Anweisungen zu diesem Thema noch immer nicht erhalten hatte. Bereits im Frühjahr 1921 hatte es in dieser Frage den Dissens zwischen den preußischen Domkapiteln und Bischöfen gegeben (vgl. Bd. 1, Exkurs I). Nachdem Bertram am 29. März und 19. September 1921 die episkopalen Einwände gegen die von den Kapiteln in der Eingabe vom 1. Februar des Jahres erhobenen Besetzungsansprüche geltend gemacht hatte, anerkannte Gasparri die Argumentation des Episkopats und wies Pacelli am 20. November an, diese in den Konkordatsverhandlungen präsent zu halten. Der Nuntius nutzte nun die Gelegenheit, um vom Kardinalstaatssekretär eine endgültige Entscheidung zu erbitten. Für die daraus resultierenden Missbräuche verwies Pacelli auf das Schreiben Rampollas vom 20. Juli 1900. Vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.1 Anm. 131. „Non io certo oserei di oppormi a che venga mantenuto un così antico ed insigne privilegio, confermato (ed in parte reintegrato) dalle Bolle pontifici di circoscrizione, ed a favore del quale unimemente si pronunziano i Revmi Vescovi ed i Capitoli della Prussia; privilegio, di cui l’Emo Cardinale Consalvi non dubitava di dichiarare nella sua Nota del 2 Settembre 1817 all’Inviato dell’Hannover Sig. de Ompteda: ‚È pur troppo noto che nella Germania le elezioni dei Vescovi si facevano liberamente dai Capitoli, i quali, avendo acquistato legittimamente un tal privilegio e possedendolo da sì lungo tempo, non si vede perchè debbano esserne irragionevolmente spogliati.‘“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 56Ar-v. Pacelli griff hier dieselbe Stelle aus dem Schreiben Consalvis auf, die die preußischen Domkapitel unter der Federführung Middendorfs am 1. Februar 1921 in ihrer Supplik an den Papst als Beleg für ihr Wahlprivileg angeführt hatten. Vgl. dazu Bd. 1, Exkurs I Anm. 643. 270

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Wenn also schon die Autorität Ercole Consalvi damals keine Möglichkeit gesehen hatte, das Kapitelswahlrecht aufzuheben, wie sollte dann der Nuntius jetzt dazu in der Lage sein? Auf diese Weise führte Pacelli dem Kardinalstaatssekretär die Schwierigkeit eines solchen Unterfangens eindrücklich vor Augen. Außerdem diagnostizierte er auf Seiten der Kapitel gegenwärtig die Erwartung, dass der Heilige Stuhl mit ihren Wünschen übereinstimme. Der Nuntius berief sich bei dieser Einschätzung auf eine Mitteilung des Münsteraner Kanonikers Wilhelm Schwarz vom 30. März: „Vertraulich ist uns mitgeteilt worden, dass die freie Bischofswahl in Trier auf ein direktes Eingreifen S[einer] Heiligkeit zurückzuführen sei. Wir dürfen daraus wohl den Schluss ziehen, dass dieser Punkt in einem den Domkapiteln günstigen Sinne seine Erledigung finden wird.“984 Eine anderslautende Entscheidung würde – so Pacelli – bei den Kapiteln eine besonders „schmerzhafte Ernüchterung“985 bewirken. Obwohl diese Situationsanalyse wenig Spielraum zu eröffnen schien, verzichtete der Nuntius nicht darauf, seine Sorgen darzulegen, die sich mit dem Kapitelswahlrecht verbanden.986 Sie wurzelten in der Überzeugung, dass die Ausbildung des deutschen Klerus einer Reform bedurfte und verbessert werden musste.987 Diese Auffassung war nicht neu, Pacelli hatte sie bereits im November 1919 in einer Darstellung für den Präfekten der Kongregation für die Seminare und Universitäten, Gaetano Kardinal Bisleti, nachdrücklich vertreten.988 Er konstatierte damals, dass den Studien der Geistlichen in Deutschland ein „unbestreitbarer und schwerer Mangel“ anhafte, insofern sie zu viel Gewicht auf die positive und historische und zu wenig auf die systematische und spekulative Seite legen würden: Die Schwerpunktsetzung auf Kirchengeschichte, Patrologie und Exegese gehe mit einer Vernachlässigung der philosophischen und theologischen Spekulation und Scholastik einher.989 Einige Professoren würden häufig Vorlesungen „über die irrigen Systeme der modernen

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Schwarz an Pacelli vom 30. März 1922, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 104r. Für diese „vertrauliche“ Information über die Intervention des Papstes könnte Schulte verantwortlich gewesen sein, der das Einschreiten des Pontifex in Rom urgierte. „… una penosa disillusione.“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 56Av. Im Zuge dessen erinnerte Pacelli an seine Berichterstattung vom 15. April des Jahres, in der er das Thema Bischofswahl bereits im Kontext der bayerischen Konkordatsverhandlungen behandelt hatte. Vgl. dazu Bd. 3, Kap. II.2.1 (Pacelli zum Modus der Bischofseinsetzung und über „würdige“ Bischöfe). Vgl. zur Sicht Pacellis auf die deutsche Theologie Bd. 1, Kap. I.1 Anm. 36. Pacellis theologische Haltung lässt sich zusammenfassend mit den Attributen „antimodernistisch, anti-historisch-kritisch, spekulativ-neuscholastisch und papalistisch“ kennzeichnen. Unterburger, Pacelli und die Theologie, S. 94. Vgl. Pacelli an Bisleti vom 14. November 1919 (Abschrift), ACEC, 1920, Pos. 334/​19, S. 78–105. Vgl.: „Dall’altro canto, però, gli studi ecclesiastici in Germania hanno l’incontestabile e grave difetto che in essi (come ho già accennato) si dà troppo peso e troppo tempo alla parte positiva e storica e si trascura non poco il lato razionale e speculativo. Si esige moltissimo negli esami per la storia ecclesiastica, la patrologia, la parte storica e letteraria degli studi biblici, di maniera che difficilmente un alunno del 271

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Philosophie“ halten – wenn auch mit der Intention, sie zu widerlegen – und nur „wenige über die Scholastik“990, sodass die Alumnen am Ende über erstere besser Bescheid wüssten als über letztere. Dagegen sei es erforderlich, den Unterricht gemäß Can. 1366 § 2 CIC 1917991 hinsichtlich Methode, Lehre und Prinzipen am heiligen Thomas von Aquin auszurichten.992 Im Laufe der seitdem vergangenen knapp zweieinhalb Jahren waren Pacellis Befürchtungen keineswegs geringer geworden, sondern im Gegenteil noch erheblich gewachsen: „Es schmerzt mich – obwohl ich nicht im Geringsten einen Schatten des Verdachts auf den Großteil der Professoren der theologischen Fakultäten Deutschlands werfen möchte –, zumindest bis jetzt in der Lehre Geistliche zu sehen, die zweifelsohne fromm und subjektiv gesehen von den besten Absichten beseelt sind, deren Lehre jedoch leider Grund zu äußerst ernsten Einwänden gibt.“993

An zwei konkreten Fällen exemplifizierte Pacelli den seiner Meinung nach zum Teil desaströsen Zustand der deutschen Theologie. 1) Zunächst erinnerte er an den Bonner Professor für Apologetik und Philosophie, Arnold Rademacher. Dessen Monographie „Der Einheitsgedanke in der Theologie und der Parallelismus von Gnade und Natur“994 hatte Pacelli erst wenige Monate zuvor gründlich untersucht und dabei fundamentale Irrtümer festgestellt, über die er am 4. September 1921 Gasparri berichtete.995 Insbesondere warf der Nuntius dem Verfasser vor, in seiner Einheitskonzeption von Natur und

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Seminario Romano, dell’Università Gregoriana o del Collegio Angelico sarebbe in grado di superare gli esami su queste discipline in un Istituto tedesco. Viceversa però i Seminaristi della Germania sarebbero assai inferiori nella filosofia e nella teologia speculativa o scolastica.“ Pacelli an Bisleti vom 14. November 1919 (Abschrift), ACEC, 1920, Pos. 334/​19, S. 94–95. Vgl.: „Alcuni professori impiegano, pur coll’intenzione di combatterli, molte lezioni sugli erronei sistemi filosofici moderni e poche sulla scolastica, e la conseguenza ne è che i giovani alla fine del corso conoscono molto meglio quelli che questa.“ Pacelli an Bisleti vom 14. November 1919 (Abschrift), ACEC, 1920, Pos. 334/​19, S. 97. Vgl.: „Philosophiae rationalis ac theologiae studia et alumnorum in his disciplinis institutionem professores omnino pertractent ad Angelici Doctoris rationem, doctrinam et principia, eaque sancte teneant.“ Can. 1366 § 2 CIC 1917. Vgl.: „Quanto poi alla sostanza dell’insegnamento occorre inculcare con costanza il can. 1366 paragr. 2 circa il metodo, la dottrina ed i principi dell’Angelico Dottore.“ Pacelli an Bisleti vom 14. November 1919 (Abschrift), ACEC, 1920, Pos. 334/​19, S. 97. „Mi duole soprattutto  –  pur non volendo menomamente gettare un’ombra di sospetto sulla maggior parte dei professori delle Facoltà teologiche della Germania – di veder almeno finora mantenuti nell’insegnamento degli ecclesiastici, senza dubbio pii ed animati soggettivamente dalle migliori intenzioni, ma la cui dottrina dà luogo pur troppo alle più serie obbiezioni.“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 57r. Vgl. Rademacher, Einheitsgedanke. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 4. September 1921 (Entwurf), ASV, ANB 68, Fasz. 3, Fol. 69r–81r. 272

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Gnade die letztere naturalistisch und psychologistisch in erstere aufzulösen.996 Auch das soeben erschiene Büchlein Rademachers mit dem Titel „Die Gottsehnsucht der Seele“997 hielt Pacellis kritischem Blick nicht stand, wenngleich er dem Professor löbliche Absichten unterstellte.998 2) Als zweites Negativbeispiel führte er den Breslauer Kirchenhistoriker Joseph Wittig an. Dieser hatte kurz zuvor in den Zeitschriften „Hochland“ und „Die Tat“ zwei ekklesiologische Aufsätze veröffentlicht,999 „in denen das Konzept der Kirche, das vom Autor vorgeschlagen wird, sich kaum von jenem der Protestanten unterscheidet“1000. Ebenso kritisch beurteilte Pacelli Wittigs jüngst publizierten Aufsatz „Die Erlösten“1001, der die Themen Sünde und Rechtfertigung behandelte. Sofort fügte er jedoch hinzu, dass eine Verurteilung von Seiten des Heiligen Stuhls vor Abschluss eines Konkordats nicht opportun sei, da sie die Verhandlungen leicht kompromittieren könnte.1002 Hinter diesen Einzelfällen sah Pacelli ein strukturelles Problem, denn seiner Meinung nach besaß der Klerus häufig nicht die nötigen Voraussetzungen, um der defizienten Lage der Theologie entgegen zu steuern: „Nun haben viele (um nicht zu sagen der größere Teil) der Geistlichen, die im Umfeld der philosophisch-theologischen Institute Deutschlands aufwuchsen, ausgebildet wurden und lebten, obwohl sie eifrig und treu gegenüber der Kirche sind, keine klare und vollständige Auffassung von den Mängeln, die besonders auf spekulativer oder scholastischer Seite die Ausbildung und Formung der Priesteramtskandidaten begleiten, und daher auch nicht [eine klare und vollständige Auffassung, R.H.] von der Notwendigkeit der angemessenen Reformen gemäß den Dekreten des Heiligen Stuhls …“1003 1925 wurde die Schrift vom Heiligen Offizium verurteilt. Vgl. zusammenfassend dazu Unterburger, Lehramt, S. 308–317. 997 Vgl. Rademacher, Gottsehnsucht. 998 Vgl.: „Il medesimo professore ha dato testè alla stampe un nuovo libro dal titolo ‚Die Gottsehnsucht der Seele‘, nel quale, sebbene ispirato dal lodevolissimo desiderio di attirare anime alla religione ed alla Chiesa, massime fra le persone dotte, ed inoltre scritto in forma accurata ed elegante, si riscontrano tuttavia non poche espressioni equivoche, che si prestano a false e pericolose interpretazioni, ed altre, le quali suppongono o sembrano contenere un errore.“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 57r-v. 999 Vgl. Wittig, Aedificabo; Ders., Kirche. 1000 „… nei quali il concetto della Chiesa proposto dall’Autore a mala pena si distingue da quello dei Protestanti …“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 57v. 1001 Vgl. Wittig, Die Erlösten. 1002 Pacelli behielt die Angelegenheit weiter im Blick und war mitbeteiligt, dass Wittig 1925 verurteilt und seiner Professur enthoben wurde. 1926 folgte die Exkommunikation. Vgl. dazu Hausberger, Wittig; Unterburger, Lehramt, S. 292–306; Ders., Bedürfnisse; Ders., Roman. 1003 „Ora molti (non vorrei dire la maggior parte) degli ecclesiastici cresciuti, educati e vissuti nell’ambiente degli Istituti filosofico-teologici della Germania non hanno, sebbene zelanti e fedeli verso la Chiesa, una visione chiara e completa delle deficienze, che specialmente nella parte speculativa o scolastica presenta 996

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Pacelli hatte als Leitnorm zur Studienreform den geheimen Erlass im Blick, der von der Studienkongregation am 9. Oktober 1921 an den deutschen Episkopat ergangen und von dem bereits im Kontext des Trierer Besetzungsfalls die Rede war.1004 Die Grundproblematik war also folgende: Wie sollten Kleriker die Defizite der Ausbildung erkennen und nach römischer Vorgabe beheben können, wenn sie selbst solch ein mangelhaftes Studium absolviert hatten? Von hier aus ergibt sich von selbst die Verbindung zur Bischofswahl der Domkapitel: Wie sollten Domherren, denen die Einsicht in die Notwendigkeit der Reformen abging, Geistliche zu Bischöfen wählen, die diese Einsicht besaßen? Vor diesem Hintergrund kam für Pacelli ein freies Kapitelswahlrecht nicht infrage: „Daher befürchte ich, dass man, wenn auch zukünftig die Bischofswahlen vollständig den Kapiteln überlassen werden, zwar an sich würdige und geeignete Hirten bekommen wird, aber nicht leicht solche, die, außer alle übrigen von den heiligen Canones geforderten Qualitäten zu besitzen, vollauf die Wichtigkeit dieser Reformen erfasst haben und mit aller Energie die vollständige Umsetzung betreiben; das hingegen könnte man wohl viel sicherer erreichen, wenn der H[eilige] Stuhl größere Freiheit in der Wahl der Bischöfe hätte.“1005

Eine päpstliche Nomination erschien Pacelli demnach als die beste Lösung, um den Kreislauf zu durchbrechen, dass ungenügende Domherren ungenügende Bischöfe wählten, die wiederum die Priesterausbildung nicht verbesserten und dadurch letztlich wieder ungenügende Domherren produzierten. Allerdings zeigt sich bei genauem Lesen, dass der Nuntius hier nicht der vollkommenen Abschaffung des Wahlrechts das Wort redete. Näherhin lehnte er es ab, den Kapiteln die Bischofswahl vollständig (intieramente) zu überlassen und wünschte eine größere (maggior), nicht etwa uneingeschränkte Freiheit Roms. Er trug also den oben skizzierten kirchenpolitischen Begebenheiten Rechnung, die er vielleicht deshalb zunächst so stark gemacht hatte, um den Kardinalstaatssekretär letztlich für einen Mittelweg zwischen freier päpstlicher Ernennung und freier Kapitelswahl zu gewinnen. Wie sich Pacelli diesen Kompromiss im Besetzungsmodus genauer vorstellte, erläuterte er an dieser Stelle noch nicht.

la istruzione e formazione dei candidati al sacerdozio, e quindi della necessità di opportune riforme a norma dei decreti della S. Sede …“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 57v–58r. 1004 Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.3 (Der Kandidat von Ludwig Kaas: Nikolaus Bares). 1005 „Da qui il mio timore che, se anche per l’avvenire le elezioni vescovili saranno lasciate intieramente ai Capitoli, si avranno bensì dei Pastori per sé degni ed idonei, ma non facilmente tali che, oltre a possedere tutte le altre qualità richieste dai sacri canoni, siano pienamente compresi della importanza di tali riforme e ne promuovano con ogni energia la completa esecuzione; il che invece potrebbe ottenersi ben più sicuramente, se la S. Sede avesse maggior libertà nella scelta dei Vescovi.“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 58r. 274

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Für den Fall, dass der Heilige Stuhl das Wahlprivileg konzedieren wolle, bemerkte Pacelli, dass Kardinal Bertram keine Schwierigkeit in der Forderung des Kultusministers sehe, die Domkapitel von Rom aus zu einem einträchtigen und den Frieden zwischen Kirche und Staat wahrenden Wahlverhalten zu ermahnen. Der Breslauer Kardinal wünsche allerdings, „zum Zweck, auf bestmögliche Weise die Freiheit der Kirche zu schützen und schädliche Einflüsse des Staates zu vermeiden“1006, dass die Notifikation des Kandidaten an die Regierung erst nach der Wahl und vor der apostolischen Konfirmation erfolge. Offensichtlich stimmte Pacelli mit beiden Punkten überein. Ergänzend empfahl er, den Kapiteln die strengste Diskretion der Wahl bis nach der päpstlichen Approbation einzuschärfen. Dies entsprach den Anordnungen des modus procedendi, den Gasparri am 16. Februar als Grundlage für die Trierer Wahl vorgelegt hatte. Hier erst hatte Pacelli lernen müssen, dass nicht alle Domherren das secretum ernst nahmen.1007 Am Schluss seiner Stellungnahme hatte Bertram empfohlen, dem Kultusminister eine zügige Antwort zu geben. Pacelli hingegen warnte vor einem solchen Schritt. Ernüchtert stellte er fest, dass Boelitz in seiner Entgegnung auf das bischöfliche Memorandum die Verhandlungsmaterie auf die

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„… allo scopo di salvaguardare nel miglior modo possibile la libertà della Chiesa e di evitare nocive ingerenze dello Stato …“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 58r. Schließlich thematisierte Pacelli auch die Forderungen, die Boelitz hinsichtlich der Vorbildung der Geistlichen aufgestellt hatte: eine staatliche Zustimmung bei Ausländern oder Geistlichen, die kein deutsches Abitur und kein mindestens dreijähriges Studium an einer deutschen Universität oder einem deutschen Seminar beziehungsweise einem ähnlichen Institut in Rom vorweisen konnten. Vgl. Bd. 1, Exkurs II Anm. 957. Diesbezüglich verwies der Nuntius auf die Anmerkungen Bertrams, die ihm „in generale degne di seria considerazione“ schienen. Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 58v. Der Breslauer Oberhirte hatte die von Boelitz geltend gemachten Voraussetzungen zur Übernahme von Kirchenämtern mit Missfallen zur Kenntnis genommen und die Ansicht vertreten, dass die Kirche angesichts des Artikels 137 WRV völlig frei sein müsste, selbständig die Bildungsprämissen für Kleriker zu definieren. Doch in Anbetracht der bis dato geltenden Rechtslage sowie den bisherigen und für die Zukunft zu erwartenden staatlichen Finanzleistungen für Diözesen und Pfarrer seien Konzessionen kaum zu vermeiden. Hinsichtlich der Studienvoraussetzungen könne man die Forderungen leicht erfüllen. Bertram wünschte lediglich, dass die Katholisch-Theologische Fakultät in Innsbruck den deutschen und römischen Studienanstalten gleichgestellt werde. Vorbehalte meldete er dagegen beim deutschen Abitur an: Da die preußischen Gymnasien im Regelfall Gemeinschaftsschulen und eine Vielzahl der Lehrer antichristlich eingestellt seien, müssten für den katholischen Religionsunterricht von den Bischöfen designierte Priester eingesetzt werden. Unter dieser Voraussetzung könne man dem Ansinnen des Ministers im Wesentlichen nachgeben, jedoch sollten seiner Ansicht nach auch Ausnahmen möglich sein, sodass Pfarrbenefizien auch mit jungen Geistlichen besetzt werden könnten, die einen analogen Bildungsstand mitbrächten. Was schließlich die Frage anging, für welche Kirchenämter die Voraussetzungen gelten sollten, widersprach Bertram der Auffassung einiger Ministerialräte, die an sämtliche Seelsorgsämter, inklusive Kapläne und Kuratoren, dachten. Hierin sah Bertram eine indirekte Repristination der Kulturkampfgesetzgebung. Vgl. Bertram an Pacelli vom 9. Mai 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 70r–73r. 275

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für die Regierung unmittelbar interessanten Punkte (Zirkumskription, Besetzung der Bischofsstühle und Kanonikate, Vorbildung der Geistlichen und Voraussetzungen zur Amtsübernahme) eingegrenzt und andere Themen von untergeordnetem staatlichen Interesse (Schulfrage, Fakultäten, Dotation) nicht berücksichtigt hatte. Gebe man den Forderungen jetzt nach, müsse davon ausgegangen werden, dass die Regierung keinerlei Interesse mehr daran habe, die übrigen Gegenstände zu verhandeln. Sie könnte sogar gefahrlos eine Position „passiver Resistenz“ oder sogar „offenen Widerstands“1008 gegen den Abschluss eines Reichskonkordats im Allgemeinen und die Inklusion der Schulfrage im Besonderen einnehmen: „Ich für meinen Teil sehe ehrlich nicht, mit welcher Waffe es dann noch möglich wäre, diesen Widerstand der preußischen Regierung zu brechen, und ich weiß nicht, ob die dem Konkordat wohlgesonnenen Parteien die Kraft haben werden, sie in den Ansprüchen zu mäßigen.“1009 Ohne Druckmittel erwartete Pacelli keinerlei Zugeständnisse – gemäß dieser Überzeugung hatte er schon bei den Besetzungen in Trier und Danzig agiert. Außerdem befürchtete er negative Auswirkungen auf sein „Hauptprojekt“, die bayerischen Konkordatsverhandlungen: Bei Konzessionen an Preußen werde Bayern analoge Forderungen stellen. Da ihm aus diesen taktischen Erwägungen eine konkrete Replik auf die Schrift des Kultusministers äußerst unklug erschien, dachte er stattdessen an eine Antwort, die keine Stellungnahme zu den Details enthielt, sondern vielmehr zunächst eine Beachtung der übrigen Punkte verlangte. Außerdem wollte er die Gelegenheit nutzen, Boelitzʼ Behauptung, niemals eine Mitteilung erhalten zu haben, aus der sich ergebe, dass der Heilige Stuhl die alten königlichen Privilegien für erloschen betrachte, dahingehend zu korrigieren, dass vom Heiligen Stuhl ebenso wenig eine Erklärung oder Handlung erfolgt sei, die eine fortwährende Anerkennung impliziere. Die einzige Lösung sei, diese theoretische Frage endlich beiseite zu lassen und ein neues Konkordat abzuschließen. Indem er den Text bereits vorformulierte, verlieh er seinem Anliegen beim Kardinalstaatssekretär den nötigen Nachdruck.

Das vorläufige Ende der preußischen Konkordatsverhandlungen Gasparri billigte sowohl das Vorgehen als auch das Entwurfsschreiben des Nuntius.1010 Eine Entscheidung zu den von Pacelli diskutierten Fragen traf er jedoch nicht, sondern behielt sich vor, Vgl.: „… un’attitudine di aperta opposizione od almeno di resistenza passiva …“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 59v. 1009 „Per parte mia, non vedo in verità con quale arma sarebbe allora più possibile di spezzare tale resistenza del Governo prussiano, e non so se i partiti favorevoli al Concordato medesimo avrebbero la forza di ridurlo alla ragione.“ Pacelli an Gasparri vom 26. Mai 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 16, Fol. 59v. 1010 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 24. Juni 1922, ASV, ANB 84, Fasz. 1, Fol. 64rv. Der Kardinalstaatssekretär wünschte lediglich eine Ergänzung im Antworttext, die den Stellungnahmen des Heiligen Stuhls zur 1008

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diese mit den Kardinälen der AES zu diskutieren, sobald die preußische Regierung zu den weiteren Verhandlungspunkten Stellung genommen habe. Bis dahin war die Klärung der Besetzungspraxis der bischöflichen Stühle vertagt.1011 Pacelli übermittelte seine Forderung, die bislang nicht berührten Punkte des bischöflichen Memorandums zu würdigen, am 30. Juni an den Kultusminister.1012 Wie er später Gasparri mitteilte, rief sein Schreiben „anfangs eine gewisse Bestürzung im Kultusministerium“ hervor, weil man sich dort „vormachte, ohne Weiteres nur die Punkte regeln zu können, die für die Regierung interessant sind“1013. Genau das war der Standpunkt, den Boelitz einnahm, als er dem Nuntius drei Monate später eine Erwiderung zukommen ließ.1014 Er lenkte den Diskurs auf eine mögliche Änderung der bislang noch geltenden Kulturkampfgesetze, dachte nicht an den Abschluss eines neuen Staatskirchenvertrags und verzichtete darauf, der von Pacelli erbetenen Behandlung der noch fehlenden Verhandlungsgegenstände nachzukommen: „Die übrigen in dem erwähnten Schreiben des Herrn Kardinal-Fürstbischofs erörterten Punkte berühren nicht solche Gegenstände, die durch einen der Abänderung der Kulturkampfgesetzgebung dienenden gesetzgeberischen Akt zu behandeln wären. Ich möchte also

Fortgeltungsfrage nur „theoretische“ Bedeutung beimaß, sofern und solange sie im Kontext der Verhandlungen zugunsten neuer Vereinbarungen erfolgten. Mit anderen Worten: Zugeständnisse hinsichtlich der Fortgeltung staatlicher Einflussrechte waren nur vor dem Hintergrund der schwebenden Verhandlungen, nicht aus prinzipiellen Gründen gemacht worden. 1011 Weil es aus Rom keine konkreten Richtlinien über die künftige Regelung dieser Frage gab, konnten alle beteiligten Parteien weiterhin hoffen, dass ihren Interessen entsprochen werde. Diese Erwägung brachte die preußischen Domkapitel im Laufe des Jahres dazu, ihre Supplik zum Bischofswahlrecht, die sie am 1. Februar 1921 an den mittlerweile verstorbenen Benedikt XV. gerichtet hatten, auch dem neuen Papst zu unterbreiten. Vgl. Middendorf an Pacelli vom 17. November 1922, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 108r; Middendorf an Pius XI. vom 17. November 1922, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 17, Fol. 3r–4v; Supplik Middendorfs an Benedikt XV. vom 1. Februar 1921 (Abschrift), ebd., Fol. 5r–9v. Als Pacelli die Bittschrift an den Kardinalstaatssekretär weiterleitete, wies er noch einmal darauf hin, dass diese Thematik in den Bereich der Konkordatsverhandlungen falle und damit eine römische Entscheidung nicht opportun sein konnte. Eine konkrete Reaktion des Heiligen Stuhls erreichten die Domherren daher nicht. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 4. Dezember 1922, ebd., Fol. 2r. Fünf Jahre nach dieser erneuten Eingabe der Domkapitel folgte übrigens noch eine dritte Vorlage ihrer Wünsche beim Papst. Vgl. Middendorf an Pacelli vom 10. Februar 1927, ASV, ANB 57, Fasz. 1, Fol. 131rv. 1012 Vgl. Pacelli an Boelitz vom 30. Juni 1922 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 17, Fol. 44rv. 1013 Vgl.: „… sul principio un certo sgomento nel Ministero del Culto, il quale si era illuso di poter senz’altro regolare soltanto i punti, cui è interessato il Governo.“ Pacelli an Gasparri vom 24. Februar 1923, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 17, Fol. 20r–43r, hier 20r. 1014 Vgl. Boelitz an Pacelli vom 27. September 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 17, Fol. 45r–48r (nur r); Entwurf abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 457– 459 (Nr. 213). Vgl. auch Golombek, Vorgeschichte, S. 18; Mussinghoff, Fakultäten, S. 196. 277

Exkurs II

im Interesse des schnelleren Zustandekommens der erwähnten Gesetzentwürfe ganz ergebenst bitten, von einer gleichzeitigen Erledigung absehen zu wollen.“1015

Damit stockten die Verhandlungen, bevor sie eigentlich beginnen konnten. Während Pacelli nicht bereit war, die staatskirchenrechtliche Materie nur partiell im Sinne der Regierung zu verhandeln, war Preußen – vorneweg Boelitz und Becker – nicht bereit, dieselbe umfassend in einem Staatskirchenvertrag festzulegen.1016 Deshalb blieb es bei den gegensätzlichen Grundpositionen – auch Boelitz an Pacelli vom 27. September 1922 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1925, Pos. 507 P.O., Fasz. 17, Fol. 48r. Ähnlich äußerte sich am 18. Oktober Staatssekretär Becker: „Für die Behandlung der preußischerseits zur Erörterung gestellten Fragen wird der Abschluss eines förmlichen Vertrages voraussichtlich nicht für erforderlich erachtet werden. Es ist vielmehr in Aussicht genommen, die preußischen Gesetze abzuändern, sobald durch Schriftwechsel oder durch ein Protokoll Einvernehmen über die zu vereinbarenden Maßnahmen herbeigeführt sein wird …“ Mündlich geäußerte Gesichtspunkte Beckers ohne Datum [18. Oktober 1922] (Abschrift), ebd., Fol. 53r–56r (nur r), hier 53r. Vgl. auch Mussinghoff, Fakultäten, S. 199f. 1016 Vgl. zum vorläufigen Ende der Konkordatsverhandlungen an diesem Punkt Golombek, Vorgeschichte, S. 18–20; Mussinghoff, Fakultäten, S. 199–203; Volk, Reichskonkordat, S. 28–31. Anders als Pacelli war Bertram weniger an einem umfassenden Vertrag als vor allem an einem zügigen Vertragsabschluss interessiert. Vgl. dazu bereits Bertrams Ausführungen in Bd. 1, Kap. II.1.3 („Do-ut-des“: Pacelli, Schulte und Bertram in Berlin). Vgl. auch Dambacher, Pacelli, S. 149f.; Ders., Verhältnis, S. 188f. Vermutlich auch wegen dieser unterschiedlichen Ausrichtung verriet der Nuntius in einem Schreiben, mit dem er dem Breslauer Kardinal am 1. Juli für dessen Stellungnahme zur Erklärung des Kultusministers vom 28. April dankte, nicht, dass die Aufforderung an die Regierung, zunächst alle inhaltlichen Punkte zu würdigen, seiner Initiative entsprungen war. Vielmehr bemerkte er nur, dass der Kardinalstaatssekretär diese Instruktion erteilt habe. Vgl. Mussinghoff, Fakultäten, S. 195. Am 29. November erbat Pacelli schließlich von Bertram und Schulte eine Einschätzung, ob – da die Konkordatsverhandlungen im Scheitern begriffen waren  –  eine rein gesetzgeberische Maßnahme des preußischen Parlaments die Anpassung des judikativen Status an die Reichsverfassung erreichen könne. Eine entsprechende Initiative sei Aufgabe der Zentrumsfraktion. Vgl. Pacelli an Schulte und Bertram vom 29. November 1922, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 469 (Nr. 221). Bertram zeichnete dafür ein eher düsteres Bild und führte den preußischen Widerstand gegen ein Konkordat vor allem auf Staatssekretär Becker zurück, den Pacelli selbst schon als größten Widersacher identifiziert hatte. Hinsichtlich der kirchlichen Ämterbesetzung prognostizierte er am 10. Dezember das seiner Ansicht nach zukünftig Erreichbare: „Zu III. Was die Besetzung der bischöflichen Stühle, der Dompropsteien und Kanonikate betrifft, so wird auch in diesem Stücke der hl. Stuhl Entschließung zu fassen haben. Die Vorschläge des Staates bedeuten jedenfalls ein nicht geringes Entgegenkommen gegenüber den seit 1821 bestandenen Beschränkungen.“ Bertram an Pacelli vom 10. Dezember 1922, abgedruckt ebd., S. 470–472 (Nr. 222), hier 471. Schulte stimmte den Überlegungen Bertrams zu und traute einer einseitigen Regelung durch den preußischen Staat nicht. Vgl. Schulte an Pacelli vom 9. Januar 1923, abgedruckt ebd., S. 473 (Nr. 223). Becker legte dem Nuntius am 29. Januar 1923 noch einmal die seiner Ansicht nach bestehende Unmöglichkeit für Konkordatsverhandlungen Preußens dar und führte als Begründung die Kollision mit Reichsinteressen an. Da das Reich, dem die Kompetenz zur Grundsatzgesetzgebung in der staatskirchlichen Materie zukomme, schon vor Preußen den Willen zu Konkordatsverhandlungen bekundet habe, hätte eine verbindliche Einlassung der preußischen Regierung zu diesem Thema die Folge, dass „die 1015

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II.1.4 Tütz 1925/26

in der Frage der Bischofseinsetzungen –, und in Rom verzichtete man ebenfalls zunächst darauf, Pacellis Ausführungen zu diesem Thema zu diskutieren. In der Folgezeit verschrieb sich der Nuntius vollständig dem Ziel des bayerischen Konkordats.

II.1.4 Zwischen Seelenheil und Konkordatspolitik: Tütz 1925/​26 (Maximilian Kaller)1017 Die Errichtung der Apostolischen Administratur Tütz 19231018 Durch die Grenzverschiebungen im Gefolge des Versailler Vertrags erstreckten sich Bistümer an den Randgebieten des geschrumpften deutschen Staatsgebietes neuerdings über das In- und Ausland. Zwar verfolgte der Heilige Stuhl im Allgemeinen die Politik, die Diözesanzirkumskription den Staatsgrenzen anzupassen, jedoch war das kanonisch nicht zwingend notwendig und schon gar nicht kurzfristig zu bewerkstelligen. Dazu kam, dass Papst Benedikt XV. – und wohl auch zunächst sein Nachfolger Pius XI. – „alle territorialen Änderungen im Osten durch Versailles als Provisorium an[sah], so daß neuerrichtete Jurisdiktionsbezirke ebenso wie die politischen Grenzen nur vorübergehenden Charakter haben könnten“1019. Der eingangs beschriebene Fall traf auf die (Erz-) Bistümer Gnesen-Posen und Kulm zu, deren Sprengel durch die territorialen Verschiebungen von 1919 nunmehr zum größten Teil – inklusive der Bischofsstädte Gnesen beziehungsweise Posen und Pelplin – im Staatsgebiet der neuen polnischen Republik lagen. Die westlichen Bezirke der Erzdiözese Gnesen-Posen, die

innerdeutschen Verhandlungen in einer für die übrigen Länder unerträglichen Weise präjudiziert“ würden. Auf Bayern treffe das nicht zu, insofern der bayerische Verhandlungswunsch und die konkreten Verhandlungen denen des Reichs vorausgegangen waren. „Preußen glaubte also nicht alle im Reichskonkordat zu regelnden grundsätzlichen Fragen mit dem Hl. Stuhl gleichzeitig verhandeln zu können.“ Anderes gelte für die Gegenstände, die durch die alten Verträge bereits geregelt seien, „diese könne und wolle Preußen durch unmittelbare Verhandlungen mit dem Hl. Stuhl den durch die WRV veränderten Verhältnissen anpassen“. Vgl. Mussinghoff, Fakultäten, S. 201f., hier 202. 1017 Vgl. zur Besetzung der Apostolischen Administratur Tütz 1925/​26 Bendel/​Karp, Bischof, S. 119–121; Hartelt, Piontek, S. 160f.; Höhle, Gründung, S. 166–168; Rösgen, Kaller, S. 347; Schmauch, Freie Prälatur Schneidemühl, S. 36f. 1018 Vgl. zur kirchenrechtlichen Entwicklung von der Erzbischöflichen Delegatur über die Apostolische Administratur Tütz bis zur Freien Prälatur Schneidemühl Gatz/​Wienke, Freie Prälatur Schneidemühl; Hinkel, Bertram, S. 219–224; Höhle, Gründung, S. 155–175; Marschall, Praelatura Nullius; Schmauch, Freie Prälatur Schneidemühl; Stasiewski, Errichtung, S. 94–98; Westpfahl (Hg.), Administratur, passim. 1019 Samerski, Katholische Kirche, S. 73. 279

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nach dem Ersten Weltkrieg dem preußischen Staatsgebiet verblieben waren,1020 unterstellte Erzbischof Eduard Kardinal Dalbor am 1. Dezember 1920 einem erzbischöflichen Delegaten, der seinen Sitz in Tütz nahm. Für diesen Posten erwählte er seinen Generalvikar, Robert Weimann.1021 Im Sommer 1922 fügte der Heilige Stuhl der Delegatur die preußischen Gebiete des Bistums Kulm hinzu – entgegen dem Wunsch des Kulmer Bischofs Augustinus Rosentreter.1022 Im Frühjahr des nächsten Jahres brachte Weimann die Bitte vor, die Delegatur zu einer eigenständigen Apostolischen Administratur zu erheben und stieß damit beim Heiligen Stuhl auf positive Resonanz.1023 Während Kardinalstaatssekretär Gasparri die Beförderung des vormaligen Delegaten Weimann zum neuen Administrator ohne Angabe von Gründen zunächst ablehnte,1024 fand dieser im Münchener Nuntius Pacelli einen Fürsprecher: „Was die Person des Geistlichen betrifft, der für das delikate Amt des Apostolischen Administrators der genannten Gebiete zu ernennen ist, glaube ich demütig, dass nichts gegen die Wahl des Ehrwürdigen Monsignore Weimann spricht.“1025 Pacelli stützte sich auch auf das Urteil des Breslauer Fürstbischofs Bertram, der Weimann als einen „mustergültigen, eifrigen und in der kirchlichen Verwaltung fähigen Priester“1026 bezeichnet habe. Den Delegaten zu übergehen, wie Gasparri es beabsichtigte, wäre natürlich einem Misstrauensvotum gleichgekommen, wofür der Nuntius keinen Anlass sah. Somit war es der Initiative Pacellis zu verdanken, dass Pius XI. Weimann am 1. Mai 1923 zum Leiter der Apostolischen Administratur Tütz ernannte.1027 Kaum mehr als zwei Jahre übte dieser sein Amt aus, bis er am 10. August 1925 starb. Damit bahnte sich ein neuer Besetzungsfall an.

Es handelte sich – wie Erzbischof Eduard Dalbor selbst angab – immerhin um 45 Pfarreien mit rund 100.000 Gläubigen. Vgl. Dalbor an Pacelli vom 18. Februar 1921 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1921–1931, Pos. 505 P.O., Fasz. 14, Fol. 5r–7v. Vgl. auch die Angabe bei Gatz/​Wienke, Freie Prälatur Schneidemühl, S. 682; Schmauch, Freie Prälatur Schneidemühl, S. 34. 1021 Vgl. Ernennungsdekret Weimanns vom 22. November 1920, abgedruckt bei Marschall, Praelatura Nullius, S. 53. 1022 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 30. Juli 1922, ASV, ANB 50, Fasz. 4, Fol. 73r. Es handelte sich hierbei um drei Dekanate mit ungefähr 40.000 Katholiken. Vgl. Gatz/​Wienke, Freie Prälatur Schneidemühl, S. 682; Schmauch, Freie Prälatur Schneidemühl, S. 34f. 1023 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 2. März 1923, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1922–1924, Pos. 34 P.O., Fasz. 38, Fol. 60r. 1024 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 23. März 1923, ASV, ANB 50, Fasz. 4, Fol. 97rv. 1025 „Quanto alla persona dell’ecclesiastico da nominarsi al delicato ufficio di Amministratore Apostolico dei territori suddetti, sembrami subordinatamente che nulla osti a che venga scelto il Revmo Mons. Weimann.“ Pacelli an Gasparri vom 2. April 1923, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1922–1924, Pos. 34 P.O., Fasz. 38, Fol. 64rv, hier 64r-v. 1026 „,… un sacerdote irreprensibile, zelante e capace nell’amministrazione ecclesiastica‘.“ Pacelli an Gasparri vom 2. April 1923, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1922–1924, Pos. 34 P.O., Fasz. 38, Fol. 64v. 1027 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 6. Mai 1923, ASV, ANB 50, Fasz. 4, Fol. 101r. Daraufhin stellte Pacelli das Ernennungsdekret aus. Vgl. Ernennungsdekret Weimanns vom 8. Mai 1923, abgedruckt bei Marschall, Praelatura Nullius, S. 55. 1020

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Erste Sondierungen Pacellis und Bertrams über die Nachfolge von Robert Weimann und die Zukunft der Administratur Dass der 55-jährige Prälat Robert Weimann gesundheitlich angeschlagen war, wusste Pacelli seit Mitte März 1925.1028 Ende Juni informierte ihn der von ihm schon seit Jahren geschätzte Superior des Ordens der Barmherzigen Schwestern in München, Johann Baptist Pfaffenbüchler, darüber, dass der Zustand Weimanns sehr kritisch sei.1029 Pacelli, der mittlerweile nach Berlin übergesiedelt war, reiste umgehend nach München und besuchte den Patienten in der Chirurgischen Universitäts-Klinik, wo sich der Tützer Administrator einer Operation unterzogen hatte. Am 3. Juli unterrichtete er Bertram, vom behandelnden Chefarzt, Professor Ferdinand Sauerbruch, die Auskunft erhalten zu haben, dass der Zustand Weimanns „– menschlich gesprochen – absolut hoffnungslos sei, wenn er auch noch einige Wochen leben könne“1030. Angesichts dieser verheerenden Diagnose hielt es Pacelli für seine Pflicht, bereits an die Nachfolge Weimanns zu denken. Bertram, der als Ordinarius des angrenzenden Fürstbistums Breslau die Situation der Tützer Administratur bestens überblicken konnte, sollte ihm „zu der obigen Sache einen vertraulichen Vorschlag machen“1031. Zwar unterrichtete Pacelli drei Tage später seinen römischen Vorgesetzten von der prekären Situation Weimanns und erbat für ihn den päpstlichen Segen, zumal Weimann „damals die hohe Ehre hatte, den Papst kennen zu lernen als dieser Apostolischer Nuntius in Polen war“1032. Doch von seinem ersten Bemühen zur Sondierung der Nachfolgefrage schwieg er. Zunächst erwartete er die Antwort des Breslauer Kardinals, die ihn unter dem Datum des 8. Juli aus Johannesberg bei Jauernig erreichte, wo Bertram sich zu diesem Zeitpunkt aufhielt.1033 Nachdem dieser Weimann als einen „kirchlich treue[n], umsichtige[n] und geduldig sein Ziel verfolgende[n] Arbeiter“1034 gewürdigt hatte, kam er auf die Nachfolgefrage zu sprechen. Diese brachte ihn – wie er dem Nuntius bekannte – „in Verlegenheit“, die letztlich aus einer Meinungsverschiedenheit zwischen ihm und dem Tützer Administrator resultierte:

Vgl. Weimann an Pacelli vom 19. März 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 1r. Vgl. Pfaffenbüchler an Pacelli vom 30. Juni 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 2r. Zu Beginn der 1920er Jahre hatte der Münchener Erzbischof Faulhaber an Papst Benedikt XV. die Bitte gerichtet, Pfaffenbüchler zum Päpstlichen Hausprälaten zu ernennen. Pacelli hatte dieses Gesuch unterstützt und den Superior der Barmherzigen Schwestern als einen „ottimo e distinto ecclesiastico“ bezeichnet. Pacelli an Gasparri vom 4. August 1921, ASV, Segr. Stato, Anno 1921, Rubr. 255, Fasz. 4, Fol. 132r. 1030 Pacelli an Bertram vom 3. Juli 1925 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 3r. Hervorhebung im Original. 1031 Pacelli an Bertram vom 3. Juli 1925 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 3r. Hervorhebung im Original. 1032 „… ha avuto già l’alto onore di conoscere l’Augusto Pontefice allorché egli era Nunzio Apostolico in Polonia …“ Pacelli an Gasparri vom 6. Juli 1925 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 4rv, hier 4r. Selbstverständlich entsprach Pius XI. der Segensbitte. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 15. Juli 1925, ebd., Fol. 8r. 1033 Vgl. Bertram an Pacelli vom 8. Juli 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 5r–6v. 1034 Bertram an Pacelli vom 8. Juli 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 5r. 1028 1029

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„Engere Fühlung konnte ich mit dem Klerus des Administraturbezirks nicht nehmen, denn da Prälat Weimann fühlte, dass ich seine Pläne endgültiger Regelung der diözesanen Gestaltung seines Bezirks für verfrüht hielt und mit einer anderen Gestaltung der künftigen kirchlichen Ordnung im östlichen Deutschland rechnete, würde es ihn misstrauisch gemacht und unliebsam berührt haben, wenn ich mit dem Klerus seines Bezirks in Fühlung getreten wäre.“1035

Bertram hielt anders als Weimann das Administraturgebiet Tütz im derzeitigen Umfang nicht für subsistenzfähig. Daher hatte er schon im Frühjahr 1922 als Lösung „eine Verbindung von Tütz und Berlin erwogen“1036. Der Interessengegensatz führte zu einer kritischen Distanz Bertrams zum Tützer Administraturbezirk, sodass er aus dem dortigen Klerus keinen geeigneten Nachfolger für Weimann zu benennen wusste. Bertram bot Pacelli jedoch an, „geheim“1037 den ihm persönlich bekannten und geschätzten Dekan von Schneidemühl, Bernhard Gramse, zu kontaktieren, um Erkundigungen einzuziehen. Sofort fügte der Kardinal die Frage an, ob es nicht möglich sei, von Weimann selbst einen geeigneten Namen zu erhalten. Doch war dies nicht mehr als Anstandswahrung, denn unmittelbar anschließend verriet er, dass er durchaus gewillt war, die Situation zu seinem Vorteil auszunutzen: „Meines Erachtens eignet sich die Administratur Tütz schwerlich zu einem selbständigen Bistum. Bei einer weiteren Verselbständigung von Berlin1038 kann der Bezirk Tütz zwischen Breslau und Berlin aufgeteilt werden. Ob es unter dieser Perspektive ratsam ist, einen ganz selbständigen Administrator in Tütz anzustellen?“1039 Als alternatives Rechtsmodell schlug Bertram vor, einen Pfarrer aus der Administratur zum Administrator zu ernennen, wobei dieser gleichzeitig seine Pfarrstelle behalten und sich an der Spitze der Administratur dauerhaft durch einen Vikar vertreten lassen sollte. Sobald dann eine „organische[n] Umgestaltung der Administratur Tütz“1040 – das war die euphemistische Umschreibung für „Aufhebung der Administratur Tütz“ – erfolge, könne dieser Pfarrer problemlos in seine Pfarrei zurückkehren, ohne dass es zu Schwierigkeiten käme. Pacelli griff die Überlegungen Bertrams sofort auf und kündigte in einem Antwortschreiben zwei Tage später den Versuch an, „bei dem schwerleidenden Herrn Prälaten WEIMANN in rücksichtsvoller Weise zu sondieren“, obwohl ihm bei dessen Zustand „ein Besprechen wichtiger Angelegenheiten der Verwaltung schwierig“1041 erscheine. Daher kam er auf das Angebot des Breslauer Bertram an Pacelli vom 8. Juli 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 5r-v. Höhle, Gründung, S. 156. 1037 Bertram an Pacelli vom 8. Juli 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 5v. 1038 Vgl. zur Berliner Delegatur Bd. 2, Kap. II.1.7 (Der rechtliche Status vor der Errichtung des Bistums Berlin 1930). 1039 Bertram an Pacelli vom 8. Juli 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 6r. 1040 Bertram an Pacelli vom 8. Juli 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 6v. 1041 Pacelli an Bertram vom 10. Juli 1925 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 7r. Hervorhebung im Original. 1035 1036

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Fürstbischofs zurück, bei Gramse „geheime“  –  wie Pacelli deutlich hervorhob  –  „Erkundigungen“1042 einzuholen. Sollte innerhalb des Tützer Bezirks kein tauglicher Nachfolger Weimanns gefunden werden, könne notfalls auch in anderen Diözesen nach Kandidaten Ausschau gehalten werden. Im Briefentwurf hieß es zunächst, ein Nachfolger könne auch „einer Nachbardiözese“ entstammen, was Pacelli dann in „einer anderen Diözese“1043 umänderte. Bei ersterer Variante hätte der Kandidat letztlich nur aus dem Breslauer Fürstbistum beziehungsweise der Berliner Delegatur – die wiederum eng mit Breslau verbunden war – kommen können. Ohne zu viel in diese Beobachtung hineinlesen zu wollen, hätte diese engere Fassung dem Urteil Bertrams vielleicht von vornherein mehr Gewicht verliehen, als Pacelli lieb war.1044 Auf der anderen Seite zeigte sich der Nuntius mit dem Breslauer Kardinal „ganz einig“1045, dass eine endgültige Regelung der Tützer Verhältnisse in eine umfassende Ordnung der kirchlichen Verwaltung in Ostdeutschland eingebettet werden müsse. Daher sollte seiner Ansicht nach der zukünftige Administrator auch lediglich ad nutum Sanctae Sedis eingesetzt werden, also „auf Zeit, die durch den Apostolischen Stuhl bestimmt wird“1046. Am 16. Juli stattete Pacelli dem Prälaten erneut einen Krankenbesuch ab, wie er Bertram am Folgetag mitteilte: „Bei dem seiner Schwäche angepassten kurzen Gespräch forschte ich ihn unauffällig über die Geistlichkeit der Administratur aus, wobei er mir den Dekan SCHÖNKE in Krojanke als tüchtig bezeichnete.“1047 Den Dekan und Zentrumspolitiker Paul Schönke kannte Pacelli nicht, wie er Bertram gestand, außer, dass er „auf 2 vor ca. 4 Jahren an ihn gerichtete Anfragen weder eine Antwort noch die zurückerbetenen Anlagen wiedererhielt“1048. Ein solcher Umgang mit dem Nuntius, dem päpstlichen Stellvertreter, war für Pacelli natürlich inakzeptabel. Dennoch nahm er die Empfehlung Weimanns ernst, insofern er Bertram bat, über den Genannten Informationen einzuholen. An dieser Stelle lohnt wieder ein genauer Blick in den Briefentwurf: Ursprünglich bestand die Bitte an Bertram darin, dass dieser selbst einschätzen sollte, „ob er [sc. Schönke, R.H.] nach Eurer Eminenz hochgeschätzten Meinung zum Nachfolger in Tütz würdig

Pacelli an Bertram vom 10. Juli 1925 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 7r. Hervorhebung im Original. 1043 Pacelli an Bertram vom 10. Juli 1925 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 7r. Hervorhebungen R.H. 1044 Vgl. zum Verhältnis zwischen Pacelli und Bertram Bd. 1, Kap. II.1.5 (Die Wiederaufnahme der Konkordatsverhandlungen 1926 und Pacellis Dilemma beim Besetzungsmodus der Bischofsstühle sowie Ergebnis Nr. 4). 1045 Pacelli an Bertram vom 10. Juli 1925 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 7r. 1046 Pietrzak, Grundlagen, S. 157. Vgl. zu den Apostolischen Administratoren Hofmeister, Administratoren; Mörsdorf, Lehrbuch I, S. 390–392. 1047 Pacelli an Bertram vom 17. Juli 1925 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 9r. Hervorhebung im Original. 1048 Pacelli an Bertram vom 17. Juli 1925 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 9r. 1042

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und geeignet scheint“1049. Nach der Korrektur des Textes sollte der Breslauer Oberhirte lediglich noch Vermittler von Informationen sein und nicht selbst Informationsgeber. Pacelli ging davon aus, dass auch Bertram für seine eigene Meinungsbildung genauere Auskünfte über Schönke einziehen musste und diese Auskünfte wünschte er aus erster Hand, „unverfälscht“, und nicht etwa in einer von Bertram bereits in dessen Sinne „verarbeiteten“ Version. Über eine Auskunft aus erster Hand konnte sich der Nuntius schon knapp eineinhalb Wochen später freuen: Bertram hatte wie versprochen den Schneidemühler Dekan Gramse angeschrieben und dessen Antwortbrief vom 21. Juli an die Nuntiatur weitergeleitet.1050 Gramses Urteil fiel zunächst einmal ernüchternd aus: Ich „erlaube mir untertänigst zu berichten, dass ich von den Geistlichen unserer Administratur, die ich alle sehr gut kenne, niemand für geeignet halte.“1051 Daher wanderte sein Blick ins Erzbistum Gnesen-Posen, aus dem er den Domkapitular Joseph Paech in Vorschlag brachte. Paech sei – so Gramse – 45 Jahre alt, schon bereits 21 Jahre Priester und seit 1915 Domherr. Als Seminarreligionslehrer und Oberlehrer an der höheren Mädchenschule in Posen habe er sich „ausgezeichnet bewährt“1052. Mehr als diese knappen Hinweise bot der Dekan nicht.1053 Bertram kommentierte diesen Personenvorschlag für Pacelli ebenfalls nur knapp, indem er feststellte, dass „Paech einer der deutschen Domherren in Posen [ist], die gern eine geeignete Anstellung in Deutschland zu erhalten wünschen“1054. Abschließend versprach er, sich noch um das erbetene Urteil über Schönke zu bemühen. Mit diesen ersten Ergebnissen in den Händen hielt Pacelli die Zeit für reif, den Kardinalstaatssekretär genauer zu unterrichten.1055 Ihm berichtete er am 28. Juli, dass er angesichts des hoffnungslosen Zustands Weimanns, mit dessen Tod man in nächster Zeit rechnen müsse, bereits vertraulich Informationen über die Nachfolge an der Spitze der Tützer Administratur eingeholt habe, damit „jenes Gebiet nicht zu lange ohne angemessene Leitung bleibt“1056. Wie er bis jetzt in Erfahrung habe bringen können, sei der Posener Domkapitular Paech ein geeigneter Kandidat. Pacelli an Bertram vom 17. Juli 1925 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 9r. Vgl. Gramse an Bertram vom 21. Juli 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 10rv. 1051 Gramse an Bertram vom 21. Juli 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 10r. 1052 Gramse an Bertram vom 21. Juli 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 10r. 1053 Stattdessen nutzte er noch die Gelegenheit, um sich deutlich für eine Verlegung des Administratursitzes nach Schneidemühl auszusprechen. Bertram bemerkte dazu, dass eine solche Umsiedlung derzeit nicht in Frage komme. Vgl. Anmerkung Bertrams für Pacelli auf dem Brief Gramses vom 25. Juli 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 10r. 1054 Anmerkung Bertrams für Pacelli auf dem Brief Gramses vom 25. Juli 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 10r. 1055 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 28. Juli 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 18rv. 1056 „… quel territorio non rimanga troppo lungo tempo senza conveniente governo.“ Pacelli an Gasparri vom 28. Juli 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 18r. 1049

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Zwar nannte Pacelli Alter und Nationalität Paechs, sparte aber dessen Karriere als Lehrer aus. Darüber hinaus verschwieg der Nuntius seine Informationsquelle. Ohnehin schien ihm die Kurzvita des Genannten nicht ausreichend für eine Entscheidung, denn er bot an, „umgehend in vertraulicher und diskreter Weise, wie es die Delikatheit der Angelegenheit erfordert, sicherere Nachrichten“1057 über den Domherrn zu besorgen, falls Gasparri diesen ernsthaft in Erwägung ziehe. Dass er mit Schönke noch ein zweites „Eisen“ im Feuer hatte, erwähnte Pacelli wiederum nicht, da er offensichtlich auch hier erst wieder auf weitergehende Informationen warten wollte. Diese lieferte ihm Bertram am 9. August.1058 Wiederum war Gramse die Informationsquelle, der  –  wie Bertram denselben zitierte  –  „in einem sehr freundschaftlichen Verhältnisse“1059 zu Schönke stehe. Der Dechant aus Krojanke war in Gramses Urteil zwar „ein guter und frommer Priester, der in seiner Gemeinde eifrigst und erfolgreich tätig ist“1060, dennoch hielt er ihn nicht für den Administratorposten geeignet. Ihm mangle es an administrativen Fähigkeiten. Außerdem glaubte Gramse nicht, „dass er insbesondere bei Verhandlungen mit den Staatsbehörden die nötige Entschiedenheit und Energie und Gewandtheit haben würde“1061. Diesen letztgenannten Attributen maß Gramse ausschlaggebende Bedeutung zu. Das ablehnende Urteil des Dekans von Schneidemühl machte auf Bertram einen „glaubwürdigen Eindruck“1062. Damit war die Personalie Schönke vom Tisch. Als Alternative dachte Bertram an einen weiteren Domkapitular aus Posen, Joseph Klinke. Über diesen – so versprach er dem Nuntius – wolle er nun ebenfalls Erkundigungen einziehen.

Der Tod Weimanns und eine Übergangsregelung Nach über vierwöchigen Bemühungen, einen geeigneten Nachfolger Weimanns zu finden, war Pacelli noch zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis gelangt. Kein Kandidat drängte sich auf, Paech aus Posen hatte bislang die besten Karten, doch der Kardinalstaatssekretär hatte sich zu ihm noch nicht geäußert. Die Frage sollte noch dringlicher werden, als Weimann am 10. August starb. Als Pacelli am nächsten Tag davon erfuhr, telegraphierte er die Trauernachricht umgehend

„… senza indugio in modo riservato e discreto, come la delicatezza del caso richiede, più sicure notizie …“ Pacelli an Gasparri vom 28. Juli 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 18v. 1058 Vgl. Bertram an Pacelli vom 9. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 12rv. 1059 Bertram an Pacelli vom 9. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 12r. 1060 Bertram an Pacelli vom 9. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 12r. 1061 Bertram an Pacelli vom 9. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 12r-v. 1062 Bertram an Pacelli vom 9. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 12v. 1057

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an Gasparri.1063 Dieser meldete sich unverzüglich zurück und wies Pacelli an, mitzuteilen, wer Weimann nachfolgen solle und wann die Ernennung des neuen Administrators vorgenommen werden könne.1064 Praktisch zur selben Zeit überbrachte der Konsistorialrat Erich Klitsche im Auftrag des Tützer Konsistoriums – also des „Diözesanrats“, der als Ersatz für das Domkapitel fungierte1065 – dem Nuntius offiziell die Todesnachricht und ersuchte um „Anweisungen für die nächsten Tage“1066. Nun lag es an Pacelli, möglichst schnell eine Lösung für die Anfragen aus Rom und Tütz zu finden. Da eine definitive Regelung noch Zeit brauchte, hatte er eine Übergangslösung im Sinn: Noch am 12. August bat er den Kardinalstaatssekretär darum, dass Pius XI. dem Tützer Konsistorialrat Johannes Bleske provisorisch die nötigen Vollmachten zur Leitung der Administratur gewähre, bis ein neuer Administrator gefunden sei.1067 Bereits am nächsten Tag ging Pacelli die römische Erlaubnis dieses Plans zu, sodass er umgehend Bleske von dessen neuen Fakultäten unterrichten konnte.1068 Diese gesamte Korrespondenz war auf telegraphischem Wege erfolgt. Nachdem auf diese Weise die dringlichsten Informationen ausgetauscht waren, berichtete Pacelli seinem römischen Vorgesetzten ausführlicher.1069 Dass er für die provisorische Leitung Bleske ausersehen hatte, begründete er mit dem Hinweis, dieser sei, „sozusagen, der Generalvikar des verstorbenen Prälaten“1070. Doch müsse schnell eine dauerhafte Regelung gefunden werden, für welche Pacelli erneut den Namen Paech ins Spiel brachte. Er erinnerte Gasparri daran, dass der Genannte ein geeigneter Geistlicher sein könnte, jedoch weitere Erkundigungen über denselben Vgl. Pacelli an Gasparri vom 11. August 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 21r. 1064 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 12. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 20r. 1065 Das Konsistorium beziehungsweise der Diözesanrat musste laut CIC 1917 aus wenigstens sechs Mitgliedern bestehen und stand dem Ordinarius anstatt eines Domkapitels „als Rat und Senat“ zur Seite. Mörsdorf, Lehrbuch I, S. 439f., hier 439. Vgl. zu dieser Einrichtung auch Cann. 423–428 CIC 1917. Vgl. zum Tützer Konsistorium Marschall, Praelatura Nullius, S. 36f. Die sechs Mitglieder des Konsistoriums im Jahre 1926 zählt der Propst von Zippnow, Aloysius Franz Bucks, in seiner Pfarrchronik auf. Vgl. Lüdtke (Hg.), Pfarrchronik, S. 44. 1066 Klitsche an Pacelli vom 11. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 14r. Vgl. auch Konsistorium an Pacelli vom 12. August 1925, ebd., Fol. 19r. Mit der offiziellen Trauermitteilung erhielt Pacelli auch die Todesanzeigen der Administratur ebd., Fol. 15r und 17r. 1067 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 12. August 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 23r. 1068 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 13. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 23r und Pacelli an Bleske vom 14. August 1925 (Entwurf), ebd., Fol. 25r. 1069 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 13. August 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 25rv. 1070 „… per così dire, il Vicario generale del defunto Prelato.“ Pacelli an Gasparri vom 13. August 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 25r. 1063

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notwendig seien. Diese könnten – so Pacelli abschließend – über die Nuntiatur in Warschau eingeholt werden. Seine eigenen Optionen in dieser Angelegenheit waren mit der Befragung Bertrams also schon ausgereizt.

Der preußische Kandidatenvorbehalt: kein deutscher Geistlicher aus einem polnischen Bistum Nach dem Tod Weimanns ließen die Gerüchte, wer ihm nachfolgen könnte, nicht lange auf sich warten. Von einem solchen Gerücht hörte auch der Bischof von Fulda, Damian Schmitt, wie dieser Pacelli am 24. August brieflich vortrug: „Vor einigen Tagen wurde mir von – wie es scheint – zuverlässiger Seite mitgeteilt, als Nachfolger des verstorbenen so trefflichen Herrn Prälaten Weimann, Administrator von Tütz, sei der Regens des Fuldaer Priesterseminars, Herr Prof[essor] Dr. [Engelbert, R.H.] Koch in Aussicht genommen.“1071 Diese Nachricht rief bei Schmitt blankes Entsetzen hervor: der Verlust für das Seminar und die Fuldaer Diözese sei nicht kompensabel, kein anderer Priester stehe als Alternative für Koch bereit. Schmitt erinnerte den Nuntius an den „schweren Verluste“1072, den die Ernennung des früheren Regens, Christian Schreiber, zum Bischof von Meißen 1921 bewirkt habe.1073 Angesichts dessen hoffte Schmitt, dass sein Regens diesmal verschont bleiben würde. Außerdem – so ergänzte der Fuldaer Oberhirte – sei Koch für das fragliche Amt aus gesundheitlichen Gründen gar nicht geeignet: Eine Versetzung „in ganz neue ungewohnte und schwierige Verhältnisse“ würde einen „Zusammenbruch seiner Kräfte“1074 nach sich ziehen. Pacelli konnte Schmitt drei Tage später beruhigen: „Es ist mir nicht bekannt, dass Herr Prof[essor] Koch für diesen Posten in Aussicht genommen sei. Sollte dies dennoch der Fall sein, so werde ich nicht verfehlen, bei Behandlung der Angelegenheit die von Eurer Bischöflichen Gnaden gemachten wichtigen Anmerkungen im Auge zu behalten.“1075 Das hörte sich an, als wäre Pacelli gar nicht in diese Angelegenheit involviert und als wüsste er nicht so genau, wie es um die Nachfolge Weimanns stand. Doch das Gegenteil war der Fall. Erst am Vortag, am Morgen des 26. August, hatte Pacelli in der Berliner Nuntiatur ein Gespräch mit dem Ministerialdirektor im Kultusministerium, Friedrich Trendelenburg, über die Ernennung eines neuen Administrators für Tütz geführt. Dieser habe  –  wie Pacelli anschließend in

Schmitt an Pacelli vom 24. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 26r–27r, hier 26r. Schmitt an Pacelli vom 24. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 26r. 1073 Vgl. dazu Bd. 4, Kap. II.4.1 (Die Bekanntgabe des neuen Diözesanbischofs). 1074 Schmitt an Pacelli vom 24. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 26v. 1075 Pacelli an Schmitt vom 27. August 1925 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 30r. 1071 1072

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einem Schreiben an Gasparri festhielt – das „hohe Interesse“1076 ausgedrückt, dass die preußische Regierung an der Nomination beteiligt werde, da es sich um ein an Polen grenzendes Gebiet handle. Der Staatsbeamte habe an die preußische Zirkumskriptionsbulle De salute animarum erinnert, die der Regierung das Recht zugestehe, „in die Kandidatenwahl einzugreifen“1077. Wie bei den westlichen Diözesen war die Regierung auch im Osten bestrebt, dass vorbehaltlos prodeutsch respektive anti-separatistisch eingestellte Bischöfe – oder in diesem Fall Administratoren – eingesetzt wurden. Daher war das von Pacelli bezeichnete ausgeprägte Interesse der Regierung mehr als eine Floskel. Er habe gegenüber Trendelenburg – so Pacelli in seinem Bericht weiter – Verständnis für das staatliche Anliegen zum Ausdruck gebracht, allerdings nur in seinem eigenen Namen, da er noch keine Instruktionen aus Rom zu diesem Thema erhalten habe. Freilich habe er die Vermutung geäußert, dass der Heilige Stuhl gegenüber Preußen dieselben Rücksichten nehmen werde, die dieser in ähnlichen Fällen gegenüber Staaten pflege, mit denen er freundschaftliche Beziehungen unterhalte. Allerdings habe er – wie Pacelli hinzufügte – den Ministerialdirektor gebeten, „nicht von einem Eingriffsrecht zu sprechen, das, meiner Ansicht nach, der Heilige Stuhl nicht zugestehen könne. Nicht nur wurden die in der Bulle ‚De salute animarum‘ enthaltenen Privilegien dem König von Preußen zugestanden, sondern außerdem findet sich unter diesen keines, das sich auf die Ernennung von Apostolischen Administratoren bezieht.“1078

Einen preußischen König gab es nicht mehr. Außerdem kannte die genannte Bulle zwar Mitwirkungsrechte des Königs bei der Einsetzung von Bischöfen und Domherren, aber nicht von Administratoren.1079 Von staatlicher Seite mochte diese Argumentation wie eine juristische Haarspalterei wirken, war doch ein Administrator ähnlich „Oberhirte“ seines Kirchenbezirks wie ein Diözesanbischof. Aber vom strengen rechtlichen Standpunkt aus hatte Pacelli natürlich recht. Ebenso „natürlich“1080 – dies hatte Pacelli in den bisherigen Verhandlungen mit der Berliner Regierung erfahren müssen – sei Trendelenburg von seiner Auffassung nicht abgerückt. Vielmehr habe dieser darauf insistiert, dass die Zirkumskriptionsbulle auch nach Promulgation der WRV

„… particolare interesse …“ Pacelli an Gasparri vom 26. August 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 29r–30r, hier 29r. 1077 „… di intervenire nella scelta del candidato.“ Pacelli an Gasparri vom 26. August 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 29r. 1078 „… di non parlare di un diritto d’intervento, che, a mio avviso, la S. Sede non potrebbe riconoscere. Non solo, infatti, i privilegi contenuti nella Bolla ‚De salute animarum‘ furono concessi al Re di Prussia, ma inoltre fra essi nulla si trova, che riguardi la nomina degli Amministratori Apostolici.“ Pacelli an Gasparri vom 26. August 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 29v. 1079 Vgl. De salute animarum, Nr. XXI und XXII, Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 208f. 1080 „… naturalmente …“ Pacelli an Gasparri vom 26. August 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925– 1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 29v. 1076

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noch fortgelte.1081 Dem habe er entgegengehalten, dass eine theoretische Behandlung dieser Frage nicht weiterführe und man stattdessen ein neues Konkordat aushandeln möge. Ungeachtet dieser formalen Divergenzen habe sich Trendelenburg schließlich noch zur Kandidatenfrage geäußert: Er „hat mir ausdrücklich bezeichnet, dass die preußische Regierung es nicht gerne sehen würde, wenn zum fraglichen Amt ein Geistlicher gewählt würde, der momentan im Gebiet der polnischen Republik ansässig ist“1082. Der Grund dafür sei, dass die Regierung es für wichtig erachte, dass die deutschen Priester in Polen auf ihren Stellen blieben, die ansonsten an polnische Kleriker vergeben würden. Ob und wie Pacelli sich gegenüber Trendelenburg noch dazu äußerte, geht aus seinem Bericht nicht hervor. Jedenfalls empfahl er Gasparri, diesem Anliegen zu entsprechen, „um neue Spannungen in den schon sehr schwierigen Beziehungen mit Preußen zu vermeiden“1083. Das bedeutete, dass der bislang ernsthafteste Kandidat Paech ausschied, insofern dieser – soweit Pacelli zu diesem Zeitpunkt wusste – ein deutscher Staatsbürger mit einem Domkanonikat in Posen war. Pacelli riet, dessen Kandidatur fallen zu lassen und versprach, einen anderen tauglichen Kandidaten zu finden. Die Überlegungen des Nuntius waren überzeugend, Gasparri billigte sie wenig später uneingeschränkt,1084 obwohl er, wie von Pacelli zuvor empfohlen, vom polnischen Nuntius, Lorenzo Lauri, ein Gutachten über Paech angefordert hatte, das in einem positiven Ergebnis gipfelte: „… es scheint mir, dass der Vorschlag seiner Exzellenz Monsignore Pacelli in jeder Hinsicht sehr gut ist und daher vom Heiligen Stuhl mit aller Gelassenheit angenommen werden kann.“1085 Nun war dieses Votum überflüssig. Damit musste also die Suche nach einem Nachfolger Weimanns von Neuem beginnen. Und das nur, weil Pacelli der Regierung entgegenkommen wollte. Zwar räumte er ihr formal und ausdrücklich keinerlei Rechte im Besetzungsprozess ein. Aber faktisch folgte er haargenau ihrem Anliegen, um die Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und Preußen und damit – das war das übergeordnete Ziel, das Pacelli im Sinn hatte – die Aussicht auf ein neues Konkordat zu verbessern. Verhandlungen um einen neuen Staatskirchenvertrag hatte es schon seit drei Jahren praktisch nicht mehr gegeben. Nachdem Pacelli jedoch mit Bayern wenige Monate zuvor sein „Musterkonkordat“ Vgl. dazu vor allem Bd. 1, Kap. II.1.1 (Die Reise Pacellis nach Berlin und Köln). „… mi ha espressamente significato che il Governo prussiano non vedrebbe di buon occhi, se all’ufficio in questione venisse eletto un ecclesiastico attualmente residente nel territorio della Repubblica polacca …“ Pacelli an Gasparri vom 26. August 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 29v. 1083 „… per evitare nuovi attriti nelle già tanto difficili relazioni colla Prussia …“ Pacelli an Gasparri vom 26. August 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 30r. 1084 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 5. September 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 39r. 1085 „… sembrami che la proposta dell’Eccmo Mons. Pacelli sia tutti i rapporti ottima e possa quindi essere accettata con tutta tranquillità dalla S. Sede.“ Vgl. Lauri an Gasparri vom 7. September 1925 (Abschrift), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 46rv, hier 46v. Am 23. September 1925 sandte der Kardinalstaatssekretär eine Abschrift des Gutachtens an die Berliner Nuntiatur. Vgl. ebd., Fol. 44r. 1081 1082

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abgeschlossen hatte, rückte Preußen wieder neu in den Fokus. Demnach lenkte er das Gespräch mit Trendelenburg wohl nicht zufällig auf dieses Thema. Ein neues Preußenkonkordat nach dem Vorbild des bayerischen und auf Basis der kirchlichen Freiheiten, welche die WRV garantierte, war für Pacelli erheblich bedeutsamer als die aktuelle Besetzung des Administratorpostens in Tütz. Daher zögerte er keinen Augenblick, den bislang einzigen Kandidaten aufzugeben, wenn dies in irgendeiner Form für das erstgenannte Ziel opportun sein konnte.

Erneute Kandidatensondierungen Pacellis und Bertrams Getreu seiner Ankündigung machte Pacelli neue Kandidaten ausfindig, die von deutscher Nationalität waren und eine kirchliche Stelle innerhalb Deutschlands bekleideten. Wie er am 28. August an Bertram schrieb, seien ihm „von vertrauenswürdigen Persönlichkeiten als sehr geeignete Kandidaten“1086 Domkapitular Ferdinand Piontek aus Breslau und Pfarrer Maximilian Kaller aus Berlin vorgeschlagen worden. Der Nuntius fügte den Namen Kallers nachträglich in den Textentwurf ein und korrigierte gleichzeitig die Benennung seiner Informationsquelle von ursprünglich „vertrauenswürdiger Seite“ (Singular) in die erwähnte Pluralkonstruktion der „vertrauenswürdigen Persönlichkeiten“. Es waren demnach zwei verschiedene Quellen, die Pacelli zurate gezogen und von denen die letztere den Berliner Pfarrer vorgeschlagen hatte. Da diesbezüglich keine Schriftwechsel im Nuntiaturarchiv überliefert wurden und daher zu vermuten ist, dass der Informationsaustausch mündlich erfolgte, kann über die Identität von Pacellis Vertrauenspersonen nur spekuliert werden. Später wird darauf noch zurückzukommen sein.1087 Von Bertram wünschte Pacelli eine Beurteilung der genannten Geistlichen, ohne die er keinen von beiden dem Heiligen Stuhl zur Ernennung empfehlen wollte. Die Antwort des Breslauer Kardinals ließ nicht lange auf sich warten, fiel jedoch nicht so aus, wie Pacelli sich das erhofft hatte: Er bedaure – so Bertram am 30. August – „dass es mir unmöglich ist, zur Kandidatur von Piontek oder Kaller für die Administratur Tütz meine Zustimmung zu geben“1088. Dies negative Urteil erscheint letztlich nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass Bertram selbst die Genannten nicht in Vorschlag gebracht hatte, obwohl er den Breslauer Domkapitular und den Pfarrer aus der dem Fürstbistum Breslau zugeordneten Berliner Delegatur gut kannte. Der Grund für die Ablehnung bestand aber nicht darin, dass Bertram Piontek und Kaller für ungeeignet hielt. Vielmehr könne er letzteren „in Berlin nicht entbehren und die Aufgaben in

Pacelli an Bertram vom 28. August 1925 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 31r. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.4 (Ergebnis Nr. 4). 1088 Bertram an Pacelli vom 30. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 32rv, hier 32r. 1086

1087

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Berlin verdienen zehnmal mehr Berücksichtigung als die Administratur Tütz“1089. Neben Weihbischof Josef Deitmer – dieser war seit 1923 Delegat für Berlin – könne auch der Jesuitenpater Franz Rauterkus dem Nuntius diese Einschätzung bestätigen. Der Jesuit residierte in Berlin, war für Pacelli also schnell erreichbar.1090 Den Domkapitular aus seinem eigenen Bistum hielt Bertram ebenfalls für unentbehrlich: „Domkapitular Piontek ist die Seele des Bonifatius-Vereins; in rastlosem Umherreisen schafft er Hunderttausende von Mark auf den örtlichen Bonifatiustagen unserer eigenen Diözese zusammen: eine Hilfe, ohne die die Riesendiaspora, die dem Ordinarius von Breslau [sc. Bertram selbst, R.H.] aufgeladen ist, gar nicht existieren kann.“1091

Schließlich brachte Bertram noch ein prinzipielles Argument gegen die Ernennung von Piontek und Kaller vor: Da sich der Tützer Klerus unablässig mit der Zukunft der Administratur beschäftige und es eine hitzige Kontroverse über einen eventuellen Anschluss an Breslau gebe, sei es ihm „unbequem, einen Priester aus Breslau oder Berlin zum Leiter nach Tütz zu entlassen, solange nicht der Heilige Stuhl feste Pläne für die zukünftige Neuorganisation des Ostens gebilligt hat“1092. Andere Kandidaten vermochte Bertram nicht vorzuschlagen, sondern optierte als Übergangslösung für eine kommissarische Verwaltung des Gebietes, da die Aufgaben – was er oben schon hatte durchblicken lassen – des Administrators ohnehin nicht umfangreich seien. Sobald er eine bessere Idee habe – so versicherte er abschließend – wolle er sich bei Pacelli melden. Schon wenige Tage später ging ein neuer Brief Bertrams in der Berliner Nuntiatur ein, allerdings nicht, weil der Kardinal eine neue Idee gehabt hätte. Vielmehr habe ihm – so Bertram – der „mit den Verhältnissen der Apostolischen Administratur Tütz gut vertraute[n] Herr[n] Domkapitular Klinke in Posen“1093 seine Überlegungen über die Nachfolge Weimanns eröffnet. Demnach hatte Bertram nicht wie angekündigt über Klinke, sondern von Klinke Erkundigungen eingeholt. Zum einen habe dieser erklärt, dass Tütz in seiner jetzigen Zirkumskription nicht haltbar und eine Verlegung des Administratorsitzes nach Schneidemühl notwendig sei. Zum anderen sei er überzeugt, dass der Schneidemühler Dekan Gramse „der einzig mögliche Kandidat aus dem Klerus des Bezirks“1094 Tütz sei. Auf Bertrams Geheiß hatte Klinke seine Gedanken

Bertram an Pacelli vom 30. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 32r. Pater Rauterkus wurde im Laufe seiner Nuntiaturzeit zu einem Vertrauten Pacellis. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.4 (Ergebnis Nr. 4). Ob der Nuntius den Jesuiten in dieser Angelegenheit auf Anregung Bertrams konsultierte, geht aus den Quellen nicht hervor. Denkbar ist sogar, dass es sich bei Rauterkus um einen der von Pacelli zuvor zurate gezogenen Vertrauenspersonen handelte. 1091 Bertram an Pacelli vom 30. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 32r. 1092 Bertram an Pacelli vom 30. August 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 32v. 1093 Bertram an Pacelli vom 3. September 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 37rv, hier 37r. 1094 Bertram an Pacelli vom 3. September 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 37r. 1089 1090

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schriftlich niedergelegt.1095 Dieses Exposé fügte der Breslauer Kardinal seinem Schreiben für Pacelli bei. Klinkes Einschätzungen qualifizierte Bertram abschließend als „zutreffend“1096, was wiederum die Frage aufwirft, warum er Gramse nicht selbst vorgeschlagen, sondern nur als Informanten benutzt hatte. Auch an dieser Stelle scheint wieder das mäßige Interesse durch, das Bertram an der Wiederbesetzung der Administratur hatte – er verfolgte mit dem Gebiet andere Pläne.1097

Die Kandidatur Bernhard Gramses und der polnische Widerspruch Wie reagierte Pacelli auf Bertrams Ausführungen? Schloss er seine neuen Kandidaten ebenso wie Paech als inopportun aus? Ein Bericht an Gasparri vom 27. September zeigt, dass dies sein Plan war: Für das vakante „Amt des Apostolischen Administrators ad nutum Sanctae Sedis in Tütz“1098 schlug Pacelli entsprechend dem Votum Klinkes nunmehr den Schneidemühler Dekan Gramse vor. Er berichtete, dass Gramse 1876 geboren und im Jahr 1900 zum Priester ordiniert worden sei.1099 Auf Basis von Klinkes Informationen fuhr er fort, dass der Dekan „als aktiv und eifrig gepriesen“1100 werde. Man erhoffe sich von Gramse, dass er trotz zu erwartender Widerstände von Seiten der Regierung und der Protestanten den Sitz der Administratur nach Schneidemühl verlegen werde, wo er ohnehin Zuhause sei. Im Dezember des vergangenen Jahres habe er sich einer Operation unterziehen müssen, doch sei sein Gesundheitszustand gut. Klinke hatte diesbezüglich angemerkt, dass Gramse selbst wohl nicht der Ansicht sei, den mit dem Administratoramt verbundenen Anstrengungen gewachsen zu sein.1101 Pacelli sparte diese Bemerkung in seiner Berichterstattung ebenso aus wie das gespannte Verhältnis, das laut Klinke zwischen Gramse und dem verstorbenen Weimann bestanden hatte. Einschränkungen, die den Kandidaten diskreditieren könnten, konnte sich Pacelli nicht leisten, er musste  –  wie er versprochen hatte  –  einen

Vgl. Klinke an Bertram vom 2. September 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 33r–36r. Bertram an Pacelli vom 3. September 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 37v. 1097 Im November legte er Pacelli noch einmal seinen Plan einer ostdeutschen Kirchenprovinz vor. Vgl. Höhle, Gründung, S. 157. 1098 „… l’ufficio di Amministratore Apostolico ad nutum S. Sedis in Tütz …“ Pacelli an Gasparri vom 27. September 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 37r–38r, hier 37r. Hervorhebung im Original. 1099 Diese beiden biographischen Daten fand Pacelli in Klinkes Votum nicht. Vermutlich eruierte er diese in einem ihm zugänglichen Verzeichnis der Tützer Geistlichkeit. 1100 „… viene lodato come attivo e zelante …“ Pacelli an Gasparri vom 27. September 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 37r. 1101 Vgl. Klinke an Bertram vom 2. September 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 35r. 1095

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Kandidaten liefern. Der Nuntiaturbericht prognostizierte schließlich, dass das preußische Kultusministerium gegen Gramses Ernennung keinerlei Einwände erheben werde, was Pacelli offenbar schon mit der Behörde geklärt hatte. Dies war der gewünschte Vorteil einer Nuntiatur in der Reichshauptstadt – bei Bedarf konnte Pacelli ohne großen Aufwand persönlich mit den Regierungsstellen kommunizieren. Des Weiteren verschwieg er Gasparri nicht, zuerst an Piontek und Kaller gedacht zu haben, die „beide im höchsten Maße geeignete Personen für das in Rede stehende Amt“1102 seien. Doch Kardinal Bertram habe ihn davon abgebracht, weil sie für dessen Fürstbistum unersetzbar seien. Gasparri genügten die von Pacelli vorgelegten knappen Informationen über Gramse allerdings nicht. Über ein wichtiges Detail hatte der Nuntius keine Angaben gemacht, sodass Gasparri Mitte Oktober von Pacelli zu erfahren verlangte, „welche theologische Ausbildung der Kandidat GRAMSE“ genossen habe „und besonders welche Universität er besucht hat und mit welchen Graden“1103. Da Pacelli diese Information nicht besaß – ansonsten hätte er sie Gasparri vermutlich auch von vornherein mitgeteilt  –,  leitete er die Anfrage umgehend an Bertram weiter.1104 Dieser erfuhr vertraulich aus der erzbischöflichen Kurie von Posen, dass Gramse von 1897 bis 1900 sich einzig im dortigen Priesterseminar den philosophischen und theologischen Studien gewidmet hatte, nirgendwo sonst.1105 Ausgezeichnet habe er sich einzig in seiner Leitung des Dekanats Schneidemühl. Diese Bewertung war nicht gerade herausragend, wie natürlich auch Pacelli wusste. Vielleicht bemerkte er deshalb noch einmal ausdrücklich in seinem Schreiben an Gasparri, dem er die knappen Angaben Bertrams beifügte, dass der Breslauer Kardinal – und eben nicht er selbst, wie man sich hinzudenken muss – Gramse empfohlen habe.1106 Auf dessen wissenschaftliche Qualifikation ging Pacelli nicht näher ein. Nun war Bertrams Informationsbeschaffung in Posen freilich nicht so diskret und vertraulich erfolgt, wie dieser beabsichtigt hatte. Der Weihbischof von Gnesen-Posen, Stanisław Kostka Łukomski, hatte von der Anfrage Kenntnis erlangt und war keineswegs erfreut, dass sich der Breslauer Kardinal in die Angelegenheiten der Tützer Administratur einmischte. Deshalb reichte er im Namen des Erzbischofs von Gnesen-Posen, Eduard Kardinal Dalbor, am 9. No„… ambedue soggetti sommamente idonei per l’ufficio in discorso …“ Pacelli an Gasparri vom 27. September 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 38r. 1103 Vgl.: „V.S.I. favorisca informarmi quale è stata formazione teologica del candidato GRAMSE, e particolarmente da quale Università è uscito, e con quali gradi.“ Gasparri an Pacelli vom 13. Oktober 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 49r. Hervorhebung im Original. 1104 Vgl. Schioppa an Bertram vom 14. Oktober 1925 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 50r. 1105 Vgl. Bertram an Pacelli vom 23. Oktober 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 51r. 1106 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 26. Oktober 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 41r. 1102

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vember beim polnischen Nuntius Lauri eine Beschwerde ein.1107 Dompropst Klinke – Bertrams Informant – habe „wahrscheinlich aus Eifersucht“1108 gegen die Kandidatur Paechs agitiert und stattdessen Gramse in Vorschlag gebracht. Dass Paech von Pacelli und Gasparri mit Rücksichtnahme auf die preußische Regierung bereits vor zwei Monaten aus dem Kandidatenkorpus für Tütz aussortiert worden war, wusste man in der Posener Bistumsleitung nicht. Dort erinnerte man sich nur daran, dass der Kardinalstaatssekretär vermittelst der Warschauer Nuntiatur über Kanoniker Paech Erkundigungen eingezogen hatte. Mit der Kandidatur Paechs konnte man in Posen gut leben. Anders stand es um den von Klinke als tauglich deklarierten Gramse. Łukomski wies den Nuntius in Warschau darauf hin, dass viele der ehemals zu den Sprengeln Gnesen-Posen und Kulm gehörigen Pfarreien, die zur Administratur Tütz zusammengeschlossen worden waren, rein polnischsprachig, andere gemischtsprachig geprägt seien. Deshalb sei Kardinal Dalbor der Ansicht, dass der künftige Administrator von Tütz der polnischen Sprache mächtig sein müsse. Auf Gramse treffe dies jedoch nicht zu. Außerdem habe dieser „sich ursprünglich widersetzt, scheint aber jetzt unter Druck [seiner Kandidatur, R.H.] zugestimmt zu haben“1109. Lauri möge – so der Weihbischof abschließend – beim Heiligen Stuhl intervenieren, damit ein Kandidat ernannt werde, der polnisch sprechen könne. Am 17. November entsprach Lauri dieser Bitte, übermittelte das Skriptum Łukomskis an Gasparri und resümierte, dass Erzbischof Dalbor den Dekan von Schneidemühl für ungeeignet halte, um den vakanten Administratorposten zu bekleiden.1110 Diese Intervention des polnischen Nuntius kam fast zu spät. Am 20. des Monats telegraphierte Gasparri an Pacelli, dass Pius XI. Gramse zum Apostolischen Administrator von Tütz ernannt und ihm alle Vollmachten eines Diözesanbischofs verliehen habe.1111 Pacelli sollte das Ernennungsdekret anfertigen und alle beteiligten Parteien – also Gramse selbst, die preußische Regierung und gewiss auch Bertram – von der Nomination in Kenntnis setzen. Doch am nächsten Tag drahtete Vgl. Łukomski an Lauri vom 9. November 1925 (Abschrift), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 54rv. „… par jalousie probablement …“ Łukomski an Lauri vom 9. November 1925 (Abschrift), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 54r. 1109 „… s’est opposé d’abord, mais il paraît qu’il ait consenti actuellement sous la pression.“ Łukomski an Lauri vom 9. November 1925 (Abschrift), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 54r. 1110 Vgl. Lauri an Gasparri vom 17. November 1925 (Abschrift), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 55rv. 1111 Von den Vollmachten waren jene ausgenommen, welche den bischöflichen Ordo des Inhabers voraussetzten, denn die Bischofsweihe sollte Gramse nicht erhalten. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 20. November 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 56r/​57r. Durch die Trennung von potestas ordinis und potestas iurisdictionis war diese Aufspaltung möglich. Zu den Vollmachten, welche den ordo episcopalis bedingten, gehörten insbesondere die bischöflichen Weiherechte, auch zum Beispiel die Firmvollmacht. Laut Can. 782 CIC 1917 war der ordentliche Firmspender einzig der konsekrierte Bischof. Vgl. Mörsdorf, Lehrbuch II, S. 36–39. Vgl. auch Schmauch, Freie Prälatur Schneidemühl, S. 36f. Vgl. außerdem Bd. 1, Kap. II.1.2 Anm. 584. 1107 1108

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der Kardinalstaatssekretär in aller Eile an die Nuntiatur: „Ausführung der Weisung von gestern über den Administrator aussetzen = Kardinal Gasparri“1112. Den Grund für diese Order erfuhr Pacelli einige Tage darauf, als Gasparri ihm die Briefe Łukomskis und Lauris zusandte.1113 Der Staatssekretär bat Pacelli, sich zum Thema der Sprachkompetenz für den Tützer Administraturbezirk und die Kandidatur Gramses zu äußern.

Zurück zu Paech und Pacellis Sorge um das preußische Konkordat Die neue Situation erzeugte bei Pacelli ein gewisse Ratlosigkeit. Mehr als zwei Wochen dachte er über seine Antwort nach und kam schließlich zu dem Schluss, wie er am 12.  Dezember an Gasparri schrieb, dass es notwendig sei, „um keine Unzufriedenheit bei den Polen zu erzeugen, auch jenen obenerwähnten Priester fallen zu lassen“1114. Wieder nahm Pacelli auf eine interessierte Partei Rücksicht. Zuerst ließ er Paech, jetzt Gramse fallen:1115 Die Kandidatensuche musste erneut bei null beginnen, zumindest dann, wenn der Heilige Stuhl dem Nuntius beipflichtete. Für diesen Fall – so Pacelli – bleibe kein anderer Ausweg, als die Bleske Mitte August provisorisch übertragenen Fakultäten zu verlängern. Darin sah er freilich auch einen Vorteil, insofern diese Übergangslösung eine größere Freiheit für die neue Diözesanzirkumskription gestatte, an dessen Planung Pacelli zu diesem Zeitpunkt intensiv arbeitete.1116 Man muss an dieser Stelle bedenken, dass der Heilige Stuhl bereits am 28. Oktober durch die Bulle Vixdum Poloniae Unitas1117 die Umschreibung der polnischen Diözesen definitiv geregelt hatte und dadurch die Frage der endgültigen Zir„sospenda esecuzione cifrato ieri circa amministratore = card gasparri“ Gasparri an Pacelli vom 21. November 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 58r. 1113 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 25. November 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 59r. 1114 „… per non suscitare malcontento nei polacchi, di abbandonare anche quella del summenzionato sacerdote.“ Pacelli an Gasparri vom 12. Dezember 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 57rv, hier 57r. 1115 Noch wenige Tage zuvor hatte Pacelli ein Schreiben von Pfarrer Schwemin aus Stegers (Kreis Schlochau) erhalten, das ein nachdrückliches Plädoyer enthielt, Gramse an die Spitze der Tützer Administratur zu promovieren. Vgl. Schwemin an Pacelli vom 26. November 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 60r–61r. Verständlicherweise war dieses Votum nach Gasparris Weisung wertlos. Pfarrer Schwemin erhielt als Antwort von der Nuntiatur nur eine knappe Eingangsbestätigung. Vgl. Luigi Centoz (Nuntiaturrat) an Schwemin vom 28. November 1925 (Entwurf), ebd., Fol. 62r. 1116 In den folgenden Monaten stand Pacelli mit Bertram über diese Frage in regem Austausch. Vgl. Hinkel, Bertram, S. 221–224; Höhle, Gründung, bes. S. 157–159. 1117 Vgl. Zirkumskriptionsbulle Vixdum Poloniae Unitas vom 28. Oktober 1925, in: AAS 17 (1925), S. 521– 528. Vgl. dazu Weczerka, Gliederung, S. 295–297. Die Bulle bewirkte, dass die in der Administratur Tütz vereinigten Dekanate endgültig von den (Erz-) Bistümern Gnesen-Posen und Kulm abgetrennt wurden. Vgl. Marschall, Praelatura Nullius, S. 35f. 1112

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kumskription der ostdeutschen Gebiete noch einmal dringlicher geworden war. Der preußischen Regierung – so Pacelli weiter –, die mit der Ernennung Gramses rechnete, musste freilich eine Erklärung gegeben werden: „Gegenüber der preußischen Regierung kann man natürlich nicht als Grund angeben, dass der Priester Gramse die polnische Sprache unzureichend kennt, sondern es wird, meiner niederen Meinung nach, besser sein, sich auf seine gesundheitliche Verfassung zu beziehen, die noch immer Anlass zu Besorgnis gibt, oder auf andere ähnliche Vorwände.“1118

Gasparri erörterte die Angelegenheit mit Pius XI., wie aus seiner Weisung vom Silvestertag 1925 hervorgeht.1119 Achille Ratti, ehemals Visitator und Nuntius für Polen,1120 teilte die Ansicht, dass der Tützer Administrator die polnische Sprache beherrschen müsse, sodass auch für ihn eine Ernennung Gramses nicht mehr zur Disposition stand. Stattdessen griff er wieder auf den ersten Kandidaten zurück: „… der Heilige Vater ist der Ansicht, dass man den Ehrwürdigen Kanoniker Paech ernennen muss und die Sache Eurer gut bekannten Fähigkeit und Geschicklichkeit anvertraut, damit die Regierung keine Schwierigkeiten in den Weg legt …“1121 Der Papst intendierte demnach, die von Seiten der polnischen Kirche geäußerten Anliegen zu berücksichtigen und die Spannungen mit der preußischen Regierung, die bei einer Nomination Paechs zu erwarten waren, in die Hände des Berliner Nuntius zu legen. Gasparri rechtfertigte dieses Vorgehen mit dem Hinweis, dass es – ungeachtet der von Preußen eingeforderten „angeblichen Privilegien“ in der Zirkumskriptionsbulle De salute animarum – für die Ernennung eines Apostolischen Administrators ad nutum Sanctae Sedis „gemeine Praxis ist, auf die Regierung, die interessiert sein könnte, im Vorfeld nicht zu hören“1122. Eine leise Kritik an Pacellis Rücksichtnahme auf die Regierungsinteressen, was nicht der „gemeinen Praxis“ des Heiligen Stuhls entspreche, war hier nicht zu überhören. Allerdings bleibe Paech – so Gasparri – auch als Administrator weiterhin Domherr in Posen, wohin er wieder zurückkehren könne, sobald sein Auftrag in Tütz erledigt sei. Damit war

„Di fronte al Governo prussiano non potrà naturalmente addursi il motivo della insufficiente conoscenza, da parte del sac. Gramse, della lingua polacca, ma sarà, a mio umile avviso, più opportuno di riferirsi alle sue condizioni di salute, le quali danno tuttora luogo al qualche preoccupazione, o ad altri simili argomenti.“ Pacelli an Gasparri vom 12. Dezember 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 57v. 1119 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 31. Dezember 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 64rv. 1120 Vgl. zu seinem Wirken dort mit weiterer Literatur Schwaiger, Papsttum, S.  204f.; Wilk, Nuntiatur, S. 198–206. 1121 „… il Santo Padre è d’avviso che si debba nominare il Rev.mo Canonico Paech, confidando la cosa alla Sua ben nota abilità e destrezza, perché codesto Governo non frapponga le difficoltà …“ Gasparri an Pacelli vom 31. Dezember 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 64r. 1122 „… i presunti privilegi … è prassi comune di non sentire, in precendenza, il governo che potrebbe avere interesse.“ Gasparri an Pacelli vom 31. Dezember 1925, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 64v. 1118

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seiner Ansicht nach die Sorge der Regierung, dass eine bislang von einem deutschen Staatsbürger ausgefüllte Stelle an einen polnischen Geistlichen fallen werde, gegenstandslos. Weil diese Weisung des Kardinalstaatssekretärs mit Verzögerung aus Rom abgeschickt worden war, erreichte sie Pacelli erst am Morgen des 16. Januar 1926. Sofort setzte der Nuntius ein Antwortschreiben auf, weil die römische Anordnung ihm weder einleuchtete noch ihn zufriedenstellte. Pacelli diagnostizierte einen Widerspruch in der Weisung: Einerseits „beachtet sie weise“1123, dass es nicht dem üblichen Vorgehen des Heiligen Stuhls entspreche, bei der Bestellung eines Administrators die Regierung mit einzubeziehen. Andererseits sei aber nicht klar, ob Gasparri ihn dennoch autorisiert habe, mit dem preußischen Staat – „natürlich vertraulich und aus reiner Zuvorkommenheit“1124  –  zu verhandeln. Die Ratlosigkeit Pacellis ist nachvollziehbar, denn schließlich hatte der Papst es Pacellis „Geschicklichkeit“ überlassen, die mit der Regierung entstehenden Schwierigkeiten auszuräumen. Indem Pacelli die etwaige Absprache mit der Regierung als „vertraulich“ und „rein zuvorkommend“ qualifizierte, versuchte er ihre Bedeutung gegenüber dem Kardinalstaatssekretär zu relativieren: Es sollte seiner Ansicht nach eine rein informelle Absprache sein und kein rechtlich verbindliches Mitspracherecht konzediert werden. Pacelli erwies sich hier als erheblich flexibler als Gasparri, wollte mit Zielrichtung eines Konkordats das Verhältnis zu Preußen nicht belasten und war deshalb bereit, nicht contra legem canonicum, aber gewissermaßen praeter legem canonicum der Regierung entgegenzukommen. Nachdem Pacelli auf diese Weise um eine Klärung gebeten hatte, ob er nun verhandeln dürfe oder nicht, hielt er es für seine „Gewissenspflicht“1125 Gasparri zu berichten, dass im vergangenen November Ministerialdirektor Trendelenburg ein zweites Mal in der Nuntiatur vorgesprochen habe. Weil er selbst zu dieser Zeit abwesend gewesen sei, habe Nuntiaturrat Luigi Centoz mit ihm gesprochen. Der Staatsbeamte habe darauf hingewiesen, dass die polnische Presse gegen die – zu diesem Zeitpunkt schon längst zwischen Pacelli und dem Kultusministerium abgesprochene – Kandidatur Gramses für den Tützer Administratorposten Stellung bezogen habe. Im Gefolge dessen seien – so Pacelli weiter – auch bei ihm selbst zahlreiche Beschwerden von deutschen Politikern eingegangen, „über die behaupteten Einflüsse, die von polnischer Seite auf den Heiligen Stuhl wegen der in Rede stehenden Ernennung ausgeübt würden“1126. Damit versuchte Pacelli, seinem Vorgesetzten die Komplexität der Kandidatenfrage für Tütz begreiflich zu machen: „… sapientemente osserva …“ Pacelli an Gasparri vom 16. Januar 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 64r–65r, hier 64r. 1124 „… naturalmente in via confidenziale e per pura cortesia …“ Pacelli an Gasparri vom 16. Januar 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 64r. 1125 „… dovere di coscienza …“ Pacelli an Gasparri vom 16. Januar 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925– 1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 64r. 1126 „… per asserite influenze, che da parte polacca si eserciterebbero sulla S. Sede circa la nomina in discorso.“ Pacelli an Gasparri vom 16. Januar 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 64v. 1123

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„Eure Eminenz sieht also wie delikat der aktuelle Streitfall ist, umso mehr als es gefährlich wäre  –  wie ich mir schon erlaubte, demütig zu bemerken  –,  gegenüber dieser Regierung das Argument der unzureichenden Kenntnis der polnischen Sprache anzuführen und auf der anderen Seite scheint das Argument des Gesundheitszustands Gramses, zumindest insoweit man sagt, derzeit sehr gut zu sein. Wenn folglich die Ernennung des Administrators in der Person des Ehrwürdigen Kanonikers Paech erfolgen würde ohne vorangegangene Absprache mit der preußischen Regierung, würde der Heilige Stuhl ohne Zweifel nichts tun als ein Ihm heiliges Recht auszuüben; aber, wenn ich mich nicht irre, würde das – zwar zu Unrecht – einen schweren Vorfall hervorrufen und innerhalb der Regierung den Argwohn und das Ressentiment vermehren, die (obwohl natürlich unvernünftig) aufgrund der Bestimmungen des Konkordats mit Polen ohnehin schon sehr stark sind, und die letzte sehr schwache Wahrscheinlichkeit zerstören, in nicht zu ferner Zukunft ein Konkordat mit Preußen oder dem Reich abzuschließen.“1127

Pacelli sah also durch Gasparris Weisung nicht weniger als seine gesamte Mission in Preußen gefährdet. Daher hoffte er auf neue Instruktionen aus der Kurie, die seine Bedenken berücksichtigten.

Stimmen aus der Administratur Unterdessen wurde man im Administraturbezirk Tütz langsam unruhig. Immerhin dauerte die Sedisvakanz mittlerweile schon über ein halbes Jahr an. Anfang Januar wandte sich deshalb Übergangsadministrator Bleske an Pacelli und bat um „gütige Mitteilung“, „ob noch mit einer längeren Vakanz zu rechnen ist oder eine Besetzung bald in Aussicht steht“1128. Einige wichtige Entscheidungen habe man in Tütz aufgeschoben, um dem neuen Administrator nicht vorzugreifen. Außerdem bräuchte er  –  so Bleske  –  dringend Urlaub. Falls mit einer noch länger währenden Sedisvakanz zu rechnen sei, würde es sich lohnen, eine Hilfskraft einzustellen. Diese Art von Nachfrage kam Pacelli natürlich ungelegen, war aber durchaus nachvollziehbar. Zurückhaltend „Vostra Eminenza vede quindi quanto delicata sia l’attuale vertenza, tanto più che, come mi permisi già di notare subordinatamente, sarebbe pericoloso di addurre di fronte a questo Governo il motivo della insufficiente conoscenza della lingua polacca e, d’altra parte, lo stato di salute del Gramse sembra, almeno a quanto si afferma, essere ora ottimo. Se dunque la nomina dell’Amministratore nella persona del Revmo Canonico Paech venisse compiuta senza previa intelligenza col Governo prussiano, la S. Sede non farebbe, senza dubbio, che esercitare un Suo sacra diritto, ma, se non m’inganno, ciò solleverebbe, per quanto ingiustamente, un grave incidente, aumenterebbe nel Governo la diffidenza ed il risentimento già così vivi (sebbene, certo, irragionevoli) a causa delle disposizioni del Concordato colla Polonia e distruggerebbe le ultime tenuissime probabilità di concludere, in un avvenire non troppo lontano, un Concordato colla Prussia o col Reich.“ Pacelli an Gasparri vom 16. Januar 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 64v–65r. 1128 Bleske an Pacelli vom 5. Januar 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 66r. 1127

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erwiderte er, dass ihm „die definitive Entscheidung des Heiligen Stuhles über die Ernennung eines neuen Apostolischen Administrators noch nicht bekannt ist“, es aber wahrscheinlich sei, dass „voraussichtlich mit einer längeren Vakanz zu rechnen ist“1129. Mit dieser Prognose waren Bleske und die übrigen Mitglieder des Tützer Konsistoriums nicht zufrieden. Daher wünschte jener, mit einer zweiköpfigen Deputation in die Berliner Nuntiatur zu kommen und mit Pacelli über die Angelegenheit des Tützer Administraturbezirks zu sprechen.1130 Dies war Pacelli nun überhaupt nicht recht: Einerseits ließ er sich gewiss nicht gerne in seine Arbeit hineinreden, andererseits konnte er ohnehin keine Einzelheiten zum laufenden Besetzungsfall preisgeben. Folgerichtig lehnte er das Ansinnen Bleskes ab und replizierte ausweichend, dass er wegen einer Vielzahl von Verpflichtungen die Gesandtschaft nicht empfangen könne.1131 Stattdessen möge diese ihm ihre Anliegen schriftlich zusenden. Kaum hatte Pacelli die Absage erteilt, erhielt er eine weitere Anfrage aus der Administratur, diesmal vom Präsidenten des Zentralkomitees der Ostmärkischen Katholikentage,1132 Wilhelm Doetsch.1133 Auch er kündigte eine Delegation an  –  zwölf Personen aus verschiedenen Berufen und Vereinen der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen1134  –,  die zur Audienz in die Nuntiatur kommen wollte. Es überrascht nicht, dass Pacelli ebenso wenig gewillt war, diese Abordnung zu empfangen. Mit fast identischem Absageschreiben, das er bereits Bleske hatte zukommen lassen, lud er nun auch die Mitglieder des Zentralkomitees aus.1135 Beide praktisch zeitgleich erfolgten Anfragen zeigen, dass verschiedene Parteien des Bezirks die Chance witterten, ihre Interessen geltend zu machen, da sich die Erledigung des Falles länger hinzog, als man wohl erwartet hatte.

Pacelli an Bleske vom 7. Januar 1926 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 67r. Vgl. Bleske an Pacelli vom 22. Januar 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 71r. 1131 Vgl. Pacelli an Bleske vom 23. Januar 1926 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 72r. 1132 Vgl. zu den Märkischen Katholikentagen Rosal, Geschichte. 1133 Vgl. Doetsch an Pacelli vom 24. Januar 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 73r. 1134 Die Provinz war das staatliche (nicht deckungsgleiche) Äquivalent zum kirchlichen Administraturbezirk, hatte sein Zentrum in Schneidemühl und war am 21. Juli 1922 aus den ehemaligen preußischen Provinzen Westpreußen und Posen gebildet worden. Vgl. Gatz/​Wienke, Freie Prälatur Schneidemühl, S. 682; Schmauch, Freie Prälatur Schneidemühl, S. 33f. 1135 Vgl. [Centoz] an Doetsch vom 28. Januar 1926 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 75r. Aufschlussreich ist eine Stelle, an der das Schreiben von dem abwich, das an Bleske gerichtet war. Zunächst hieß es im Textentwurf, der wohl aus der Feder des Nuntiaturrats stammte: „Es [sc. das Sekretariat der Päpstlichen Nuntiatur, R.H.] bittet infolgedessen die dortseitigen Wünsche gütigst schriftlich der Nuntiatur zugehen zu lassen.“ Pacelli ersetzte die hervorgehobene Wendung mit „zu übersenden“ (beide Hervorhebungen R.H.). Offenbar befürchtete er, dass Doetsch die schriftliche Eingabe persönlich überbringen könnte, was er unbedingt verhindern wollte. 1129 1130

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Weil ihnen die mündliche Vorsprache jeweils verwehrt worden war, nahmen Konsistorium und Komitee die von Pacelli eröffnete Möglichkeit wahr, ihre Anliegen schriftlich einzureichen. Erstgenanntes schickte dem Nuntius am 28. Januar eine Supplik zu, in dem die Mitglieder des Konsistoriums ausgiebig für die Notwendigkeit einer zügigen Wiederbesetzung der Administratur, gegen eine Zerschlagung des Bezirks und für den Transfer des Sitzes von Tütz nach Schneidemühl argumentierten.1136 Einen konkreten Kandidatenvorschlag für die Nachfolge Weimanns enthielt das Bittschreiben freilich nicht. Auch die Denkschrift des Zentralkomitees versicherte, sich nicht „in die Personenfrage einzumischen“, diese vielmehr „der Weisheit des H[eiligen] Vaters“ zu überlassen und „jedem Oberhirten, wer es auch sei, Treue, Liebe u[nd] Gehorsam entgegen[zu]bringen“1137. Stattdessen waren es ebenfalls kirchlich-strukturelle Anliegen, die das Zentralkomitee vorbrachte und die im Wesentlichen mit denen des Konsistoriums konvergierten.1138 Dem unmittelbaren Problem, einen geeigneten Nachfolger Weimanns zu finden, waren die Bittschreiben also nicht dienlich. Zumindest führten sie Pacelli eindringlich vor Augen, dass die Katholiken der Administratur sehnsüchtig auf die Lösung der Besetzungsfrage warteten.

Papst und Staatssekretär gegen den Nuntius: salus animarum als oberste Richtschnur In Rom hingegen hatte man keine Eile. Am 27. Januar – eineinhalb Wochen nach Pacellis eindringlichem Bericht, der eine den Wünschen der preußischen Regierung zuwiderlaufende Nomination Paechs zum Administrator nachdrücklich als gefährlich eingestuft hatte – schrieb Gasparri an die

Vgl. Bleske an Pacelli vom 28. Januar 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 76r–80v. Das Konsistorium hatte von dem Gerücht gehört, dass die Administratur mit der pommerschen Diaspora verbunden und der Sitz des Administrators in das protestantische Stettin verlegt werden sollte. Die Sorge vor der Realisierung dieses Plans sowie die Ankündigung Pacellis, dass die Sedisvakanz noch andauern werde, hatte das Konsistorium dazu bewogen, sich an den Nuntius zu wenden. Diese strukturellen Maßnahmen entsprachen haargenau dem Plan, den Bertram Ende November 1925 dem Nuntius vorgelegt hatte, waren also mehr als nur ein Gerücht. Auch Pacelli stand diesen Überlegungen zunächst nicht ablehnend gegenüber. Vgl. auch Höhle, Gründung, S. 158–160. Im Mai 1926 wurde dieser Plan vorübergehend zur Marschroute Piusʼ XI. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.4 (Das Einlenken Roms und Pacellis Kandidat Maximilian Kaller). 1137 Doetsch an Pacelli vom 5. Februar 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 84r–85v, hier 84r. Eine zweite ähnliche Denkschrift, die Doetsch und weitere „führende“ katholische Laien der Grenzmark unterzeichneten, erhielt Pacelli wenige Tage später. Vgl. Doetsch an Pacelli vom 9. Februar 1926, ebd., Fol. 86r–91r. 1138 Das Gebiet der Administratur möge nicht auseinandergerissen und anderen kirchlichen Rechtsbezirken angegliedert, sondern vielmehr zum Bistum erhoben werden. Außerdem sollte der Sitz der Administratur nicht nach Stettin verlegt werden. 1136

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Berliner Nuntiatur, dass die Besetzungsfrage in der Kurie „studiert“1139 werde. Unterdessen verlange der Papst, der sehr an diesem Thema interessiert sei, über das zahlenmäßige Verhältnis von polnischer und deutscher Bevölkerung im Administraturbezirk unterrichtet zu werden.1140 Pacelli nahm sofort das „Kirchliche Handbuch für das katholische Deutschland“ zur Hand und informierte Gasparri auf dieser Basis darüber, dass im Tützer Bezirk 136.202 Katholiken und 273.243 Nichtkatholiken lebten.1141 Von den insgesamt also 409.445 Einwohnern seien circa 20.000 von polnischer Nationalität.1142 Diese verhältnismäßig geringe Zahl war sicherlich nicht dazu angetan, die von polnischer Seite vorgetragenen Wünsche hinsichtlich des Kandidaten für den Administratorposten noch stärker zu gewichten. Allerdings zog Pacelli daraus keinen Profit, indem er etwa vorgeschlagen hätte, angesichts des deutschen Übergewichts eher der preußischen Regierung entgegenzukommen. Stattdessen erklärte er nur, dass er es in Anbetracht der „lebhaften Aufregung“1143, die momentan in der Tützer Administratur herrsche, nicht für sinnvoll erachte, weitere Erkundigungen zu diesem Thema einzuholen. Andernfalls könnten die Gerüchte über eine polnische Einflussnahme beim Heiligen Stuhl neue Nahrung erhalten. Um nicht den Eindruck zu erwecken, sich seinen Pflichten entziehen zu wollen, beeilte sich Pacelli hinzuzufügen, dass er selbstredend „mehr als bereit“1144 sei, dies dennoch zu tun, falls Gasparri es anordnen sollte. Abschließend riet der Nuntius Gasparri, möglichst bald eine Entscheidung in der Tützer Besetzungsfrage zu fällen, sowohl um die Gläubigen zu beruhigen als auch aus Sorge um die religiösen Belange des Administraturbezirks.

Vgl.: „… la questione viene studiata …“ Gasparri an Pacelli vom 27. Januar 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 74r. 1140 Bevor diese Nachricht des Kardinalstaatssekretärs Pacelli erreichte, hatte dieser ein Telegramm aufgesetzt, in dem er in Anspielung auf die erhaltenen Bittschreiben Bleskes und Doetsch’ mitteilte, dass mehrere drängende Gesuche bei ihm eingegangen seien, den vakanten Administratorstuhl bald wieder zu besetzen. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 1. Februar 1926 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 81r. Nach der neuen Weisung Gasparris war dieses Telegramm jedoch überflüssig, sodass Pacelli es nicht mehr abschickte. 1141 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 2. Februar 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 69r–70r. Die Zahlen entsprechen der Angabe der Amtlichen Zentralstelle für kirchliche Statistik von 1925. Vgl. Krose/​Sauren (Hg.), Handbuch, S. 573. 1142 Pacelli bezog sich bei dieser Angabe auf eine Eingabe Weimanns an Pius XI. vom Frühjahr 1925, die er damals an die Kurie weiter geleitet hatte. Vgl. Weimann an Pius XI. vom 25. Februar 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1922–1924, Pos. 34 P.O., Fasz. 38, Fol. 61r–62r und Pacelli an Gasparri vom 2. März 1923, ebd., Fol. 60r. 1143 „… viva agitazione …“ Pacelli an Gasparri vom 2. Februar 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925– 1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 69v. 1144 Vgl.: „… sono tuttavia, come di dovere, prontissimo a farlo, se così piacesse all’Eminenza Vostra.“ Pacelli an Gasparri vom 2. Februar 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 74, Fol. 69v. 1139

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Damit stand das römische Staatssekretariat unter Zugzwang, doch Gasparri ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Erst am 9. März, fünf Wochen nach Pacellis letztem Bericht, gab er dem Nuntius erneut Anweisungen zu diesem Thema.1145 Hatte die lange Bedenkzeit zu einem Meinungsumschwung bei ihm oder bei Pius XI. geführt? Der Kardinalstaatssekretär versicherte dem Berliner Nuntius, „die heikle Frage der Ernennung des neuen Apostolischen Administrators“ einer „sorgfältigen Prüfung“ unterzogen zu haben und er dankte Pacelli „für die fleißige Bereitwilligkeit“1146 seiner Berichterstattung. Er bekannte, dass die von Pacelli am 16.  Januar skizzierte Haltung der preußischen Regierung eine Lösung des Falles verkompliziere. Dabei scheine ihm diese Haltung „weder klar noch zutreffend“, weil sie „die Politik und den Nationalismus in eine Angelegenheit“ hineinbringe, „die rein religiöser Natur ist“1147. Damit deutete er bereits an, dass er nicht bereit war, dem Anliegen der preußischen Regierung zu entsprechen. Zwar trage der Heilige Stuhl grundsätzlich „den zumutbaren Wünschen der Regierungen“1148 Rechnung, doch könne er nicht von den Eigenschaften absehen, die ein Kandidat jeweils unabdingbar besitzen müsse. In diesem Fall bedeutete das für Gasparri, dass der neue Administrator fließend polnisch sprechen musste, da dies eben die Sprache eines ernstzunehmenden Teils der Gläubigen im Administraturgebiet sei. Um dies zu belegen, hatte sich Gasparri zwischenzeitlich vom Posener Weihbischof, Stanisław Kostka Łukomski, eine genaue Auflistung der polnischen Bevölkerungsanteile im fraglichen Gebiet anfertigen lassen.1149 Ohnehin lag Polen für den Heiligen Stuhl momentan im Fokus, da Mitte Februar der Oberhirte des Erzbistums Gnesen-Posen, Kardinal Dalbor, verstorben war – Łukomski war soeben vom dortigen Kathedralkapitel zum Kapitelsvikar gewählt worden – und sich somit die Besetzung einer wichtigen Erzdiözese anbahnte. Der Kardinalstaatssekretär erinnerte Pacelli daran, dass der Heilige Stuhl grundsätzlich das Sprachenkriterium berücksichtige, wenn er Oberhirten für Grenzgebiete aussuche, insbesondere für jene, die infolge des Weltkriegs von ihren früheren Diözesen abgeschnitten worden seien: „Um ein aktuelles Beispiel zu nennen, als es sich in Polen um die Wahl eines Apostolischen Administrators für Oberschlesien handelte, wählte der Heilige Vater den Ehrwürdigen Vgl. Gasparri an Pacelli vom 9. März 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 92r–93v. Vgl.: „Non ho mancato di prendere in attento esame la delicata questione della nomina del nuovo Amministratore Apostolico del territorio di Tütz, e ringrazio ancora la Signoria Vostra Ill.ma e Rev.ma per la diligente premura nel darmi informazioni complete sull’argomento.“ Gasparri an Pacelli vom 9. März 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 92r. 1147 „… né sereno, né giusto … la politica e la nazionalismo in una questione che è di carattere puramente religioso.“ Gasparri an Pacelli vom 9. März 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 92r. 1148 „… i ragionevoli desideri dei Governi …“ Gasparri an Pacelli vom 9. März 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 92r. 1149 Vgl. Łukomski an Gasparri vom 21. Februar 1926 (Abschrift), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 94rv. Die Auflistung enthielt 14 Pfarreien, in denen der Anteil polnischer Katholiken jeweils zwischen 70 und 95 % lag (Ausnahmen waren Krojanke mit 50, Buetow mit 30 und Lauenburg mit 40 %). 1145 1146

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Monsignore Hlond, der zwar von polnischer Nationalität ist, aber die deutsche Sprache perfekt beherrscht.“1150 August Hlond war 1922 an die Spitze der Administratur Kattowitz promoviert worden, die Ende 1925 zum Bistum erhoben worden war. Dass Gasparri an dieser Stelle auf Hlond verwies, war übrigens gewiss nicht zufällig: Wenige Monate später, am 24.  Juni 1926, ernannte ihn Pius XI. als Nachfolger des verstorbenen Dalbor zum Erzbischof von Gnesen-Posen.1151 Offensichtlich gab sich der Kardinalstaatssekretär viel Mühe, um Pacelli vor Augen zu führen, dass die polnische Sprachfähigkeit des neuen Administrators für Tütz nicht zur Disposition stand. Damit schied Gramse als tauglicher Kandidat für dieses Amt endgültig aus. Deshalb sei – so Gasparri weiter – „der Heilige Vater der Auffassung, dass es nötig ist, auf die Kandidatur des Ehrwürdigen Paech zurückzukommen, der alle nötigen Eigenschaften besitzt, um ein guter Apostolischer Administrator zu sein“1152. Außerdem sei der Einwand der preußischen Regierung, „die nicht das Recht hat, sich hierin einzumischen“, nicht gegen die Person Paechs selbst gerichtet, sondern „äußerlich, nämlich das Verlangen, dass die Deutschen Polen nicht verlassen“1153. Abgesehen davon, dass Gasparri diese Motivation als für die Kirche irrelevant betrachtete, habe sie im gegenwärtigen Fall auch gar keine Berechtigung. Damit kam er auf den bereits früher schon angesprochenen Plan zu sprechen, dass Paech als Administrator sein Kanonikat in Posen behalten könne. Die Furcht Preußens, ein polnischer Geistlicher werde an seiner Statt mit diesem Amt betraut, sei demnach ausgeräumt.1154 Damit stellte sich erneut die Frage, wie man es gegenüber der staatlichen Seite vertreten sollte, dass nicht der gewünschte Gramse, sondern doch Paech ernannt werde: „Von meiner Seite vertraue ich sehr, dass die gut bekannten Fertigkeiten Eurer Exzellenz nicht die angemessenen Mittel vermissen lassen, um – falls weitere Schwierigkeiten auftreten sollten – jener Regierung die Rechtheit und Angemessenheit der Thesen des Heiligen

„Per citare un recente esempio, quando si trattò di scegliere in Polonia un Amministratore Apostolico per l’Alta Slesia, il Santo Padre scelse il Rev.mo Mgr. Hlond, il quale pure essendo di nazionalità polacca, possedeva perfettamente anche la lingua tedesca.“ Gasparri an Pacelli vom 9. März 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 92v. 1151 Vgl. AAS 18 (1926), S. 256. Vgl. zur Einsetzung Hlonds in Kattowitz und Gnesen-Posen Schmerbauch, Katholiken, S. 78–83; Wosnitza, Bischöfe, S. 216–218. 1152 „… il Santo Padre è d’avviso che bisogna ritornare alla candidatura del Rev.mo Paech, il quale ha tutte le doti necessarie per essere un buon Amministratore Apostolico.“ Gasparri an Pacelli vom 9. März 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 92v. 1153 „… il quale non avrebbe diritto di intromettersi in merito … estrinseca, cioè il desiderio che i tedeschi non escano dalla Polonia.“ Gasparri an Pacelli vom 9. März 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 92v. 1154 Gasparri glaubte zudem, dass die Widerstände der preußischen Staatsregierung vornehmlich den Intrigen einiger deutscher Kleriker in Posen geschuldet seien. 1150

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Stuhls begreiflich zu machen, der am Heil der Seelen als oberstem Gesetz seines Handelns festhält …“1155

Gasparri insistierte also auf Prinzipientreue und argumentierte, dass das Seelenheil der Gläubigen wichtiger sei als die staatlichen Motive. Aus diesem Grund – so die Weisung weiter – habe der Papst die Wahl Paechs bekräftigt. Die einzige Frage, die für Gasparri nun noch offen schien, war formaler Natur: Sollte die Ernennung, wie bei dem Amt eines Administrators üblich, mittels eines Dekrets der Nuntiatur erfolgen oder lieber direkt durch die Konsistorialkongregation? Hier war die Einschätzung Pacellis wieder gefragt. Die Sorgen, die Pacelli im Januar hinsichtlich der Nomination des Posener Domherren angemeldet hatte, waren nicht durchgedrungen. Implizit warf ihm Gasparri vor, mit dem Votum, der preußischen Regierung entgegenzukommen, die höchste kirchliche Handlungsmaxime  –  salus animarum suprema lex – vernachlässigt zu haben. Das Schreiben enthielt also nicht nur Lob für Pacellis herausragende diplomatische Fähigkeiten. Der Nuntius erkannte dies sofort und erwiderte Gasparri unmissverständlich: „Von meiner Seite habe ich nicht versäumt und werde ich nicht versäumen, alles mir Mögliche zu tun, um die Thesen des Heiligen Stuhls gegenüber dieser Regierung, die voraussichtlich noch mehr Schwierigkeiten diesbezüglich aufwerfen wird, zu erläutern und mit allem Nachdruck zu verteidigen.“1156 Sein bisheriger Lösungsansatz war demnach keinem persönlichen Ideal entsprungen, sondern einzig der widerspenstigen preußischen Regierung geschuldet. Nachdem er auf diese Weise sein völliges Einverständnis mit der römischen Haltung demonstriert hatte, begann Pacelli dennoch um Verständnis für die preußische Seite zu werben. Denn entgegen seiner eigenen früheren Annahme stellte Pacelli nun fest, dass Paech, „gegen dessen Person es tatsächlich nichts einzuwenden gibt“1157, derzeit die polnische Staatsbürgerschaft zu besitzen scheine. Dem preußischen Staat falle es schwer zu akzeptieren, dass ein ausländischer Staatsbürger ein Kirchenamt auf deutschem Boden bekleide. Wenngleich Pacelli dies nicht weiter kommentierte, war klar, dass für den Heilige Stuhl eine solche staatliche Sichtweise durchaus nachvollziehbar war – nicht zufällig gestand dieser den Staaten in den Artikeln

„Da parte mia confido assai che alle ben nota abilità della S.V. non mancheranno i mezzi opportuni per far comprendere a codesto Governo, qualora venisse a sollevare ulteriori difficoltà, la giustezza e la ragionevolezza della tesi della Santa Sede, la quale ritiene al salute delle anime come la suprema legge nella sua condotta …“ Gasparri an Pacelli vom 9. März 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 93r. 1156 „Da parte mia, non ho mancato e non mancherò di fare quanto è da me per spiegare e difendere con ogni impegno la tesi della S. Sede di fronte a questo Governo, il quale è da attendersi che solleverà ancora difficoltà al riguardo.“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 19rv, hier 19r. 1157 „… contra la cui persona non vi è in realtà nulla da obbiettare …“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 19r. 1155

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über die Vorbildung der Geistlichen innerhalb der zahlreichen neuen Konkordate der 1910er und 1920er Jahre regelmäßig die Nationalitätenklausel zu.1158 Außerdem – so Pacelli weiter – habe die polnische Presse, „vielleicht nicht übermäßig klug“1159, offen für Paech Partei ergriffen und präzise Informationen über den Verlauf des derzeitigen Streites publiziert. Diese Einmischung in eine preußische Angelegenheit habe die Regierung in Berlin, die ausländische Einflussversuche in Interna gar nicht möge, empfindlich getroffen. Angesichts dessen hörte sich Pacellis Aussicht, der preußischen Regierung weisungsgemäß die römische Haltung begreiflich zu machen, nicht gerade verheißungsvoll an: „Bleibt indes zu hoffen, dass sie am Ende die Richtigkeit und die Heiligkeit der Beweggründe verstehen wird, an denen sich der Papst in Seiner souveränen Entscheidung orientiert.“1160 Mit diesem Schlussresümee wies Pacelli sämtliche Verantwortung für die Konsequenzen von sich. Zur formalen Frage hinsichtlich des Ernennungsdekrets äußerte sich Pacelli interessanterweise nicht – vielleicht, weil er ahnte, dass das letzte Wort in der Kandidatenfrage noch nicht gesprochen war.

Die preußische ‚Offensive‘ gegen die Ernennung Joseph Paechs An dieser Stelle bleibt festzuhalten: Da die Ernennung Paechs eine päpstlich-definitive Entscheidung war, konnte Pacelli nicht mehr offen gegen sie argumentieren, obgleich die neue Kenntnis über die vermeintliche Staatszugehörigkeit des Posener Kanonikers gewiss eine qualitative Veränderung der Sachlage darstellte. Immerhin hatte er in seinem Schreiben implizit erneut deutlich gemacht, wie inopportun die Kandidatenwahl seiner Ansicht nach war. Wie kam Pacelli überhaupt auf den Gedanken, dass Paech polnischer Staatsbürger sein könnte, wo er doch zuvor sicher meinte, dass dieser ein Deutscher war? Allem Anschein nach stammte die Neuigkeit aus dem preußischen Kultusministerium, mit dem Pacelli nach wie vor in der Tützer Angelegenheit in Verbindung stand. Im Nachgang einiger Gespräche, die der Nuntius in dieser Behörde führte, ließ ihm der preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Carl Heinrich Becker, am 25.  März ein Promemoria über die schwelende Kandidatenfrage zukommen.1161 Darin formulierte die Behörde ihren Widerspruch gegen die – in Gerüchten kolportierte – bevorstehende römische Ernennung des Domkapitulars Paech zum Administrator von Tütz: Vgl. Link, Besetzung, S. 65–81. „… forse non troppo prudentemente …“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 19v. 1160 „Giova tuttavia sperare che esso finirà per comprendere la giustezza e la santità dei motivi, a cui l’Augusto Pontefice si è ispirato nella Sua sovrana decisione.“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 19v. 1161 Vgl. Becker an Pacelli vom 25. März 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 96r–98r. 1158 1159

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„Einer solchen Regelung vermöchte die Preußische Staatsregierung nicht zuzustimmen. Sollte Paech, was von hier aus noch nicht übersehen werden kann, die polnische Staatsangehörigkeit besitzen, so würde hierin ein entscheidendes staatspolitisches Bedenken gegen seine Kandidatur liegen. Aber auch wenn er die preußische Staatsangehörigkeit besitzen sollte, erscheint es politisch nicht angängig, dass ein Domherr in Posen sein Amt aufgibt, um in Preußen das Amt als Apostolischer Administrator zu übernehmen. Es ist hier nicht unbekannt geblieben und in der polnischen Presse selbstgenügsam zur Sprache gebracht worden, dass maßgebende Kreise in Polen seit langem mit allen Mitteln versuchen, den Domherrn Paech aus seinem Amte zu verdrängen und hierzu seine Ernennung zum Apostolischen Administrator in der preußischen Grenzmark fordern. Deshalb würden auch die Deutschen diesseits und jenseits der Grenze zweifellos die vom Heiligen Stuhle in Erwägung gezogene Maßnahme als eine im Interesse Polens getroffene betrachten. Dementsprechend würde eine Zulassung von Paech in Preußen als eine Schwäche der Preußischen Staatsregierung gegenüber polnischem Chauvinismus und als Verrat an den Deutschen in Neu-Polen ausgelegt werden.“1162

Auch Paech selbst werde von seiner Berufung nach Tütz nicht profitieren, insofern die Aufgabe seines Domkanonikats unter den skizzierten Umständen als Charakterschwäche ausgelegt werden würde und er deshalb in Preußen von vornherein einen sehr schwierigen Stand habe. Damit erklärte zwar das Kultusministerium die Ernennung Paechs aus verschiedenen Gründen für inkonvenient, aber was nutzte das, wenn ihm keine juristische Verbindlichkeit zukam? Daher ist es nicht überraschend, dass das Promemoria im Folgenden der preußischen Staatsregierung ein rechtlich bindendes Bedenkenrecht zuerkannte: „Sehen auch die Bulle De salute und das Breve Quod de fidelium den anormalen Fall der Apostolischen Administratur für eine Restdiözese erklärlicherweise nicht voraus, so besteht doch kein juristischer Zweifel, dass diese Lücke im Wege der Analogie auszufüllen ist, da ein Apostolischer Administrator sich als ordentlicher, bischofsähnlicher Verwalter seiner Diözese darstellt …“1163

Erst recht glaubte das Ministerium das Bedenkenrecht in diesem Fall zu besitzen, da die Regierung vorbehaltlos die Dotation für die Administratur übernommen habe, obgleich sie dazu rein rechtlich nicht verpflichtet gewesen sei. Der Kardinalstaatssekretär hatte den preußischen Widerspruch sachlich bislang mit dem Hinweis zu entschärften versucht, dass Paech Kanoniker in Posen bleiben könne und diese Stelle also nicht zum Missfallen Preußens mit einem polnischen Nachfolger wiederbesetzt würde. Auch dieser Lösung schob das Promemoria nun einen Riegel vor, wobei offen bleiben muss, ob Pacelli die von Gasparri in Erwägung gezogene Option gegenüber den Regierungsbeamten zur Sprache gebracht hatte oder letztere nur über das römische Vorgehen

1162 1163

Becker an Pacelli vom 25. März 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 97r. Becker an Pacelli vom 25. März 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 97v. Kundig untermauerte das Gutachten seine These mit den Cann. 198, 312 und 315 § 2 des CIC von 1917. Vgl. dazu Mörsdorf, Lehrbuch I, S. 309–312 sowie Bd. 1, Kap. II.1.4 Anm. 1046. 306

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spekulierten. Jedenfalls „müsste eine solche Regelung erst recht als politisch unangängig bezeichnet werden“1164, denn dass ein in einer polnischen Diözese inkardinierter Geistlicher ein kirchliches Jurisdiktionsgebiet in Preußen verwalte, sei inakzeptabel. Da die Kirche eine Körperschaft öffentlichen Rechts sei,1165 könne ein Teil dieser Institution nicht vom Ausland abhängen, ganz zu schweigen, dass Interessenskonflikte eines Administrators mit skizzierter Doppelstellung vorprogrammiert seien. Zum Abschluss kam die Schrift noch auf Gramse zu sprechen, über dessen Kandidatur sich Pacelli schon ein halbes Jahr zuvor mit dem Kultusministerium verständigt hatte. In der polnischen Presse würden gegen diesen mangelnde Polnischkenntnisse ins Feld geführt – dies entsprach bekanntlich auch der Argumentation Gasparris und Piusʼ XI. Nach Informationen der preußischen Regierung sei der Genannte jedoch durchaus in der Lage, den Spracherfordernissen gerecht zu werden, immerhin kämen von den rund 133.000 Katholiken nur ungefähr 3.000 für eine polnische Seelsorge in Betracht.1166 Die dargestellte Haltung der preußischen Regierung musste jeden Zweifel darüber zerstreuen, ob diese auch nur annähernd „Verständnis“ für die Absichten des Heiligen Stuhls aufbringen werde. Ein gütliches Einvernehmen mit Preußen schien nur möglich, wenn Rom von seinem bisherigen Plan abrückte. Das hatte Gasparri bislang jedoch nachdrücklich ausgeschlossen. Dennoch scheute sich Pacelli nicht, seinem Vorgesetzten Ende März zum wiederholten Male diese Problematik vor Augen zu führen: „… mich schmerzt, Eurer Ehrwürdigen Eminenz berichten zu müssen, wie die Frage der Ernennung des Apostolischen Administrators von Tütz, trotz meiner Anstrengungen, in der preußischen Regierung immer noch lebendige Aufregung hervorruft, indem sie leider, wenngleich zu Unrecht, eine ziemlich widrige Atmosphäre für die derzeit laufenden Konkordatsverhandlungen erzeugt.“1167

Gerade erst am Vorabend habe ihn – so Pacelli weiter – Trendelenburg besucht, um erneut über dieses Thema zu konferieren. Dieser habe von der Gewissheit berichtet, dass Paech tatsächlich polnischer Staatsbürger war. Deshalb sei es gemäß dem preußischen Gesetz über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen vom 11.  Mai 1873 unmöglich, diesem ein kirchliches Amt in Becker an Pacelli vom 25. März 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 98r. Vgl. Art. 137 Abs. 5, Satz 1 WRV, Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche IV, S. 129. 1166 Pacelli hatte früher den polnischen Anteil der Bevölkerung im Tützer Administraturgebiet mit 20.000 beziffert, worin allerdings auch die Nichtkatholiken mit eingeschlossen waren. 1167 „… mi duole di dover riferire all’Eminenza Vostra Reverendissima come, malgrado i miei sforzi, la questione della nomina dell’Amministratore Apostolico di Tütz produce nel Governo prussiano sempre più viva eccitazione, creando pur troppo, sebbene a torto, una assai sfavorevole atmosfera per le trattative concordatarie attualmente in corso.“ Pacelli an Gasparri vom 30. März 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 30rv, hier 30r. 1164 1165

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Preußen zu übertragen, eine Ernennung des Posener Kanonikers also gesetzeswidrig.1168 Von Trendelenburg erfuhr Pacelli schließlich, dass man von preußischer Seite auch über die diplomatische Vertretung in Rom versuche, die Einsetzung Paechs zu verhindern. Tatsächlich lenkte der Gesandte Preußens und des Reichs, Diego von Bergen, im römischen Staatssekretariat mehrmals die Unterredungen auf die Anliegen der Regierung in der Tützer Frage und brachte dieselben Argumente vor, die bereits das Promemoria des Kultusministers für Pacelli verbalisiert hatte.1169 Damit war der preußische Widerstand nicht nur über die Berliner Nuntiatur, sondern auch auf dem diplomatischen Kanal der Reichsbotschaft in das Staatssekretariat gelangt. Die Bemerkungen Trendelenburgs in der Audienz bei Pacelli zeigten mit nochmals verschärfter Deutlichkeit, dass nicht nur eine leichte Verstimmung, sondern ein einschneidender diplomaVgl. „Gesetz über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen“ vom 11. Mai 1873, abgedruckt bei Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche II, S. 594–599 (Nr. 279). Vgl. auch Huber, Verfassungsgeschichte IV, S. 712f. 1169 Ein Mitarbeiter der kurialen Behörde stellte anschließend eine chronologische Übersicht zusammen, wie sich die Angelegenheit in den Augen der Regierung bis zum jetzigen Zeitpunkt entwickelt habe. Vgl. anonyme Zusammenfassung vom 29. März 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 100r–103r (nur r). Die Zusammenstellung blickte zurück bis in den April 1923: Schon damals habe die deutsche Gesandtschaft die Hoffnung ausgedrückt, dass der Heilige Stuhl nicht ohne vorherige Absprache die (damalige) Delegatur Tütz besetzen werde, insofern Letztgenannte mittels preußischem Spezialgesetz vom 15. August 1921 in den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts erhoben worden sei und dementsprechend auch staatlich dotiert werde. Vgl. „Gesetz, betreffend die Delegatur für den preußischen Anteil der Erzdiözese Gnesen-Posen“ vom 15. August 1921, abgedruckt bei Marschall, Praelatura Nullius, S. 54. Auch in der Folgezeit habe der deutsche Botschafter wiederholt auf den Wunsch des Staates hingewiesen, im Falle der Ernennung politische Bedenken vorbringen zu dürfen, „onde evitare malintesi e malcontenti“. Anonyme Zusammenfassung vom 29. März 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 100r. Im August 1925 schließlich – also zu der Zeit, als mit dem Tod Weimanns das aktuelle Besetzungsverfahren seinen Anfang nahm – habe das Staatssekretariat Diego von Bergen schließlich versichert, dass eine Ernennung des neuen Administrators nur auf Basis der Kandidatenvorschläge des Berliner Nuntius erfolgen und dieser gewiss auf die Interessen der Regierung Rücksicht nehmen werde. Wie schon mehrfach deutlich wurde entsprach diese Zusicherung zwar den Tatsachen, erhält jedoch einen Beigeschmack, wenn man bedenkt, dass Gasparri diese diplomatische Haltung Pacellis später nicht unterstützte. Die chronologische Übersicht fuhr fort, dass im Dezember 1925 die Botschaft des Deutschen Reiches gegenüber dem Heiligen Stuhl das Gerücht angesprochen habe, letzterer wolle anstelle des genehmen Schneidemühler Dekans Gramse den Domherrn Paech aus Posen an die Spitze der Administratur befördern. Damals habe die Kurie dieses Gerücht verneint – zu diesem Zeitpunkt waren die Einwände von polnischer Seite gegen den „deutschen“ Kandidaten noch nicht in der römischen Zentrale eingegangen. Im März 1926 schließlich – und damit kam die Liste in der Gegenwart an – habe die Regierung ernstzunehmende Informationen erhalten, dass nun doch Paech zum Administrator ernannt werden sollte. Deshalb sei Bergen am 23. des Monats im Staatssekretariat vorstellig geworden und habe nachdrücklich im Namen der Regierung dagegen opponiert und auf die staatlichen Rechte in dieser Sache gepocht. Am Monatsende musste er allerdings nach Berlin berichten, dass „Pius XI. an seinem instransigenten Standtpunkt in Sachen Paechs festhalte und auf freier Ernennung des Administrators bestehe“. Höhle, Gründung, S. 166. 1168

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tischer Zwischenfall zu erwarten war, wenn der Heilige Stuhl sich über die preußische Eingabe hinwegsetzen und Paech auf den Administratorstuhl heben würde. Die Angst des Nuntius vor einem Abbruch der Konkordatsverhandlungen war wohl größer denn je. Würden Gasparri und Pius XI. angesichts der preußischen „Offensive“ wider Erwarten doch noch ihre bisherige Haltung ändern?

Das Einlenken Roms und Pacellis Kandidat Maximilian Kaller Im Mai trat Pacelli eine Romreise an, um in der kurialen Zentrale über den Fortgang der preußischen Konkordatsverhandlungen zu berichten und zu beraten.1170 Natürlich nutzte er die Gelegenheit, um auch über den Tützer Besetzungsfall zu sprechen, stand dieser doch für ihn ohnehin ganz im Zeichen der Vertragsverhandlungen und war gewissermaßen ein Teil derselben. Am 8. Mai erörterte er das Thema mit dem Papst. Da von dieser Audienz – soweit zu sehen ist – keine Mitschrift archiviert wurde, ist die einzige Information über dieses Gespräch aus einem Nuntiaturbericht zu gewinnen, den Pacelli vier Wochen später – am 9. Juni – an Gasparri sandte.1171 In dieser Audienz – so erinnerte der Nuntius – habe ihn Pius XI. autorisiert, „dafür zu sorgen, die lästige Frage der Apostolischen Administratur Tütz zu lösen“1172, indem letztere mit dem Dekanat Pommern verbunden und so eine neue, umfassendere Administratur mit Sitz in Stettin geschaffen werde. Dieser Plan hing eng mit den Vorstellungen Kardinal Bertrams zusammen, der – wie bereits deutlich wurde – den Administraturbezirk in der jetzigen Form für nicht bestandsfähig hielt. Als Bertram genau wie Pacelli im Mai des Jahres zur Diskussion einiger Konkordatspunkte nach Rom reiste,1173 unterbreitete er dem Papst zwei alternative Lösungen zur Tützer Frage: Die eine sah die von Pius XI. beabsichtigte Verschmelzung der bestehenden Administratur mit Pommern vor, die andere eine Personalunion des Apostolischen Administrators von Tütz und des bischöflichen Kommissars für Pommern.1174 Letzterer war derzeit Prälat Paul Steinmann, der in Stettin residierte. Dass dieser der polnischen Sprache nicht mächtig war, relativierte Bertram mit dem Hinweis, dass die Zahl der Polen in dem fraglichen Gebiet nur gering sei und es genüge, den Bedarf mit Vgl. zu dieser Reise auch Bd. 1, Kap. II.1.5 Anm. 1287. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 9. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 36r–42v. 1172 „… a procurare di risolvere la molesta questione dell’Amministrazione Apostolica di Tütz …“ Pacelli an Gasparri vom 9. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 36r. 1173 Vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.5 (Bertrams überraschender Kurswechsel). 1174 Vgl. Denkschrift Bertrams über Tütz vom 15. Mai 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 45r. 1170 1171

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einem polnischsprachigen Pfarrer zu decken. Auch er entkräftete also das von polnischer Seite vorgetragene und bei Gasparri und Ratti bislang gewichtige Argument der polnischen Sprachkompetenz. Der Kardinalstaatssekretär informierte Pacelli am 28. Mai über diese Ideen Bertrams und bat ihn, dazu Stellung zu nehmen.1175 Deshalb ging der Nuntius in seiner Berichterstattung vom 9. Juni ausgiebig auf die strukturell-zirkumskriptiven Fragen der ostdeutschen Diözesanordnung ein. In Bezug auf Tütz kam er schließlich zu zwei zentralen Ergebnissen: 1) Dem Vorschlag einer Personalunion des Tützer Administrators sprach er „wenig praktischen Nutzen“1176 zu. Der Geistliche, der dieses Amt bekleiden würde, wäre in Pommern lediglich ein Delegat des Breslauer Oberhirten,1177 während er als Apostolischer Administrator in Tütz oder Schneidemühl mit einer ordentlichen Jurisdiktion inklusive allen Vollmachten eines residierenden Bischofs ausgestattet sei.1178 Das Gebilde einer Personalunion würde darüber hinaus „eine ziemlich anormale Situation“1179 schaffen, sodass es besser sei, eine territoriale Vereinigung von Tütz und Pommern anzustreben.1180

Vgl. Gasparri an Pacelli vom 28. Mai 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 41r. „… ben poca utilità pratica.“ Pacelli an Gasparri vom 9. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925– 1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 41r. 1177 Die Abhängigkeit des Amtes vom Breslauer Fürstbischof bedeutete auch eine Abhängigkeit von der Person Bertrams, zu dem Pacelli spätestens seit Mitte der 1920er Jahre ein äußerst gespanntes Verhältnis hatte. Aus dem vorliegenden Bericht Pacellis geht das mehr als deutlich hervor. Vgl.: „Gli affari riguardanti la Pomerania vengono quindi dall’Emo Ordinario di Breslavia trattati ora nella massima parte dei casi direttamente col Commissario di Stettino, che è attualmente il Revmo Mons. Paolo Steinmann. Sembrami tuttavia dubbio se tale disposizione (presa dall’Emo Bertram, almeno per quanto io sappia, senza autorizzazione della S. Sede) sia in armonia colla Bolla De salute animarum, la quale prescrive che tutta quella regione, compresa quindi la Pomerania, debba essere amministrata vi subdelegationis Episcopi Wratislaviensis dal Preposto di S. Edwige in Berlino.“ Pacelli an Gasparri vom 9. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 39r. Unterstreichung im Original. Kursivsetzung R.H. 1178 Ausgenommen seien einzig jene Vollmachten, die vom bischöflichen character indelebilis abhingen, wie Gasparri bereits am 20. November des Vorjahres klargestellt hatte. Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.4 Anm. 1111. 1179 „… una situazione alquanto anormale.“ Pacelli an Gasparri vom 9. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 41r. 1180 Um diese zu erreichen, seien Verhandlungen mit Preußen notwendig, insofern die Regierung das Modell der Personalunion bevorzuge, freilich unter der Voraussetzung, dass das zweifache Amt nicht in Stettin angesiedelt sei. Eine reale Verschmelzung beider Gebiete sei laut Kultusministerium ohne neues Gesetz nicht möglich, da ein solcher Plan der Zirkumskriptionsbulle von 1821 widerspreche. Diese bestimmte in der Nr.  XXXIII, dass das gesamte Gebiet der Verwaltung des Breslauer Fürstbischofs unterstand, welche dieser durch den Berliner Delegaten ausübte. Vgl. Huber/​ Huber (Hg.), 1175 1176

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2) Allerdings werde eine solche Vereinigung Zeit benötigen und man dürfe – so Pacelli weiter  –  eine Regelung für Tütz nicht noch mehr verzögern. Immerhin sei die Administratur seit mittlerweile beinahe einem Jahr ohne reguläre Leitung. Deshalb „getraute“ er sich, „den verschiedenen Kandidatennamen, die schon für das Amt des Apostolischen Administrators ad nutum Sanctae Sedis in Erwägung gezogen wurden, jenen des Ehrwürdigen Priesters Maximilian KALLER hinzuzufügen“1181. Streng genommen war Kaller überhaupt kein neuer Kandidat, da Pacelli ihn bereits wenige Tage nach dem Tod Weimanns als möglichen Nachfolger ins Spiel gebracht hatte. Nachdem Bertram sich damals gegen die Kandidatur des Berliner Pfarrers ausgesprochen hatte, weil er diesen nicht entbehren könne, war der Name aus dem Besetzungsverfahren verschwunden. Nun holte ihn Pacelli wieder hervor und ignorierte damit, dass Bertram die Personalwahl nicht gefiel. Nachdrücklich erörterte er Gasparri, wieso Kaller für das fragliche Amt geeignet sei: „Er ist vielleicht der eifrigste und frömmste der Geistlichen der Hauptstadt, dem Heiligen Stuhl sehr zugetan, ein sehr guter Organisator und Kenner der Erfordernisse des heiligen Dienstes in der Diaspora; er beherrscht außerdem die polnische Sprache, in der er auch predigen und Beichte hören kann.“1182 Pacelli erinnerte Gasparri außerdem daran, dass Kaller vor kurzem das Buch „Unser Laienapostolat in St. Michael – Berlin“1183 geschrieben habe, das Pacelli auf Bitten des Verfassers am 16. März des Jahres eigens an den Papst übersandt hatte.1184 Der Pfarrer erläuterte in diesem Band nicht nur theoretisch, wie er sich das Apostolat der Laien vorstellte, sondern handelte auch breit über deren praktische Umsetzung. Pacelli war von dem Werk sehr beeindruckt und

Staat und Kirche I, S.  214. Im Verlauf der Konkordatsverhandlungen könnte  –  so referierte Pacelli die Ansicht des Kultusministers Becker – jedoch eine entsprechende Lösung gefunden werden. Für Pacelli war klar, dass die Regierung ohne Gegenwert seinem Wunsch nicht zustimmen werde. Sie erwarte im Gegenzug, dass der Heilige Stuhl von seinem Plan, ein Bistum Berlin zu errichten, absehe. In dieser Angelegenheit vermutete Pacelli kritisch Absprachen zwischen Bertram und der preußischen Regierung: „Con questo piano coincide in sostanza la proposta … dell’Emo Cardinale Bertram … (proposta della quale il Ministero del Culto ha avuto, non so per qual via, subito notizia), vale a dire della unione del rimanente territorio della Delegazione (Berlino colla Marca del Brandenburgo) alla diocesi di Breslavia.“ Pacelli an Gasparri vom 9. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 40v. Hervorhebung R.H. 1181 Vgl.: „Poichè … oso di aggiungere ai vari nomi di candidati, già presi in considerazione per l’ufficio di Amministratore Apostolico ad nutum S. Sedis, quello del Rev. Sac. Massimiliano KALLER …“ Pacelli an Gasparri vom 9. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 41r. Hervorhebung im Original. 1182 „Egli è forse il più zelante e pio degli ecclesiastici di questa Capitale, attaccatissimo alla S. Sede, ottimo organizzatore e conoscitore dei bisogni del sacro ministero nella Diaspora; possiede inoltre la lingua polacca, nella quale può anche predicare ed ascoltare le confessioni.“ Pacelli an Gasparri vom 9. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 41v. 1183 Vgl. Kaller, Laienapostolat. 1184 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 16. März 1926, ASV, Segr. Stato, Anno 1926, Rubr. 88, Fasz. 1, Fol. 111r. 311

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hatte damals dem Kardinalstaatssekretär empfohlen, für Kaller „ein Wort besonderen Lobes und Zuspruchs von Seiten des Heiligen Vaters“1185 aufzusetzen. Gasparri war dieser Empfehlung gefolgt, hatte dem Autor im Namen des Papstes gratuliert – das Buch sei nicht nur außergewöhnlich, sondern auch sehr nützlich – und ihm als Dank den Apostolischen Segen übermittelt.1186 Papst, Staatssekretär und Nuntius waren gewiss auch deshalb mit Kallers Konzept des Laienapostolats zufrieden, weil es sich eng an das römische Konzept der Katholischen Aktion anschloss.1187 Der positive Eindruck, den Kaller auf diese Weise hinterlassen hatte, kam ihm nun greifbar zugute. Allerdings berichtete der Nuntius auch von einem nachteilig zu bewertenden Faktum in Kallers Biographie: Dieser habe „leider“ seine philosophischen und theologischen Studien „nur“1188 an der Theologischen Fakultät in Breslau absolviert. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt war das eine bedeutungsschwere Aussage, denn praktisch parallel zum Tützer Besetzungsfall verlief der aufsehenerregende Prozess des Heiligen Offiziums gegen den Breslauer Kirchenhistoriker Joseph Wittig.1189 Pacelli hatte die Kurie schon 1923 ausführlich über die Lehre Wittigs informiert und diese als kryptoprotestantisch und neomodernistisch eingestuft. Im Juli 1925 wurden Wittigs Schriften auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt, er selbst musste seinen Lehrstuhl räumen und wurde im Juni 1926 exkommuniziert. Zwar hatte Kaller seine Studien in Breslau längst abgeschlossen als Wittig 1915 seine Professur erhielt, aber dennoch war er mit dem Nährboden in Kontakt gekommen, auf dem – in den Augen des Nuntius – ein Häretiker wie Wittig gedeihen konnte. Generell hielt Pacelli die theologische Ausbildung an einer Katholisch-Theologischen Fakultät in Deutschland für unzureichend, weil sie zu viel positive Theologie und zu wenig Scholastik beinhaltete.1190 All dies erläuterte Pacelli „… una parola di speciale lode ed incoraggiamento …“ Pacelli an Gasparri vom 16. März 1926, ASV, Segr. Stato, Anno 1926, Rubr. 88, Fasz. 1, Fol. 111r. Vgl. auch Pacellis knappe Wertung in seinem Bericht an Gasparri vom 26. Mai 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 565 P.O., Fasz. 81, Fol. 102r–104v, hier 103v. Auch Bertram hatte Kaller zu dessen Leistung gratuliert mit der Bemerkung: das „Buch über das Laienapostolat ist wohl das Beste, was über diese große Seelsorgsaufgabe bis jetzt erschienen ist“. Bertram an Kaller vom 12. März 1926 (Abschrift), ASV, Segr. Stato, Anno 1926, Rubr. 88, Fasz. 1, Fol. 110r. 1186 Vgl. Gasparri an Kaller vom 13. April 1926 (Abschrift), ASV, ANB 61, Fasz. 16, Fol. 5r. 1187 Dies wird bereits auf den ersten Seiten des Buches deutlich: „Neben diesem eigentlichen Apostolat [sc. der Hierarchie, R.H.] gibt es ein anderes Apostolat, ein Apostolat im weiteren Sinne, das aus dem ersten folgt, es begleitet und unterstützt: geistige oder materielle Hilfeleistungen der Laien in Unterordnung unter die offiziellen Seelsorger der Kirche ...“ Kaller, Laienapostolat, S. 10. Dass man Laienapostolat und Katholische Aktion stärker voneinander abgrenzte, war eine spätere Entwicklung. Vgl. dazu zusammenfassend Sustar, Laie, bes. S. 541–544. 1188 Vgl.: „Pur troppo il Kaller ha compiuto gli studi filosofici e teologici soltanto nella Facoltà teologica di Breslavia …“ Pacelli an Gasparri vom 9. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 41v. Hervorhebungen R.H. 1189 Vgl. dazu Bd. 1, Exkurs II Anm. 1002. 1190 Vgl. dazu Bd. 1, Exkurs II (Priesterausbildung versus Kapitelswahl: Pacellis Ansicht zum Modus der Bischofseinsetzung). 1185

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in seinem Bericht nicht, doch war eben dies in den zitierten „leider“ und „nur“ eingeschlossen. Der Kardinalstaatssekretär wusste natürlich genau, was der Nuntius hier andeutete. Wichtig ist, dass Pacelli das Ausbildungsprekariat Kallers im Folgenden zu relativieren suchte: „… aber seine [sc. Kallers, R.H.] tief römischen Empfindungen geben die Garantie, dass er in der überaus wichtigen Frage der Bildung des Klerus mit größter Treue die Instruktionen des Heiligen Stuhls umsetzen würde.“1191 Damit spielte Pacelli auf den Geheimerlass der Studienkongregation an den deutschen Episkopat über die deutsche Universitätstheologie vom 9. Oktober 1921 an.1192 Diese Instruktion, die Pacelli selbst initiiert hatte, forderte Reformen in der Theologenausbildung im Sinne einer scholastisch-spekulativen Philosophie und Theologie. Wie seine Bemerkung deutlich macht, war für Pacelli der feste Wille, diese Instruktion zu fördern und in die Tat umzusetzen, ein wichtiges Kriterium für die Episkopabilität eines Kandidaten. Seiner Auffassung nach erfüllte Kaller dieses Kriterium. Alle genannten Attribute müssten – so Pacelli – berücksichtigt werden, da es wahrscheinlich sei, dass das Tützer Gebiet, ganz gleich ob ordentliche Diözese oder Apostolische Administratur, irgendwann einem Geistlichen mit bischöflicher Würde unterstellt werde. Der jetzige Kandidat musste demnach den skizzierten Kriterien gerecht werden, wenngleich er zunächst nur die Vollmachten eines Diözesanbischofs und nicht den bischöflichen Ordo selbst erhalten sollte. Weil das Amt des Tützer Administrators daher in Zukunft noch bedeutender werde, habe er – so Pacelli abschließend – den Namen Kaller wieder aufgegriffen, obwohl Kardinal Bertram den Berliner Pfarrer nicht verlieren wolle. Der Tützer Besetzungsfall hatte für Pacelli also erheblich an Relevanz hinzu gewonnen. Die entscheidende Frage war nun, ob Papst und Kardinalstaatssekretär dieses Mal den Plänen des Nuntius folgten. Eine Weisung vom 1. Juli zeigt, dass Pacelli sich auf ganzer Linie durchgesetzt hatte.1193 Gasparri teilte die Auffassung, dass es nicht angemessen sei, die Vakanz des Tützer Administratorpostens noch länger hinauszuzögern: „Deshalb sind Sie mit dieser meiner Weisung autorisiert, das Dekret zu erlassen, mit dem der Ehrwürdige Priester Maximilian Kaller zum Apostolischen Administrator von Tütz ad nutum Sanctae Sedis ernannt wird, der von Ihnen als zu diesem Amt geeignet erkannt und vom Heiligen Vater approbiert wurde.“1194 Er selbst habe

„… ma i suoi sentimenti profondamente romani danno garanzia che egli anche nella importantissima questione della formazione del clero applicherebbe colla massima fedeltà le istruzioni della S.  Sede.“ Pacelli an Gasparri vom 9. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 41v. 1192 Vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.3 (Der Kandidat von Ludwig Kaas: Nikolaus Bares). 1193 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 1. Juli 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 108rv. 1194 „Ond’è che Ella è autorizzata, con questo mio dispaccio, ad emanare il decreto, col quale viene nominato Amministratore Apostolico di Tütz, ad nutum S. Sedis, il Rev.mo sac. Massimiliano Kaller, da Lei riconosciuto adatto a questo officio, ed approvato dal S. Padre.“ Gasparri an Pacelli vom 1. Juli 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 108r-v. 1191

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bei der Konsistorialkongregation umgehend in Auftrag gegeben, Kaller die Vollmachten eines residierenden Diözesanbischofs auszustellen.1195 Was schließlich die Frage nach der rechtlich-zirkumskriptiven Verfassung der Administratur anging, so vertraute Gasparri die entsprechenden Verhandlungen mit Preußen der „gut bekannten Fähigkeit und Klugheit“1196 Pacellis an und versprach, die Angelegenheit mit großem Interesse zu verfolgen.

Die Ernennung und Einsetzung Kallers zum Apostolischen Administrator von Tütz Der massive Einspruch der preußischen Regierung und Pacellis persönliche Ausführungen in Rom hatten Wirkung gezeigt: Papst und Staatssekretär waren von der Kandidatur Paechs abgerückt. Die staatlichen Einwände gegen den Posener Domherren trafen den Berliner Pfarrer nicht. Damit schien eine Lösung gefunden, mit der alle Beteiligten leben konnten – auch die polnische Seite, da Kaller polnisch beherrschte. Der einzige, der von der Wahl nicht erfreut sein würde, war Kardinal Bertram. Deshalb versuchte der Nuntius diesem mit Schreiben vom 4. Juli die Entscheidung zu erklären: Erst nach „reiflicher Überlegung“ und „nachdem sich alle anderen Lösungsversuche als undurchführbar erwiesen hatten“, sei „die Wahl des Heiligen Vaters“1197 auf Pfarrer Kaller gefallen. Ihm sei klar – so Pacelli –, dass der Verlust Kallers für Bertram und die Berliner Seelsorge „ein ganz außerordentliches Opfer bedeutet“1198. Dennoch glaube er, Bertram werde die Entscheidung nachvollziehen. Wie bereits gegenüber Gasparri benannte Pacelli als zentralen Grund, der für Kaller gesprochen habe, dass „sein neues Amt bei der kirchlichen Entwicklung des Ostens voraussichtlich besondere Bedeutung erlangen wird“1199.

Den „Index facultatum“ übermittelte der Substitut der Konsistorialkongregation, Amleto Giovanni Cicognani, später an die Berliner Nuntiatur, die ihn wiederum an Kaller weiterleitete. Vgl. Cicognani an Pacelli vom 10. Juli 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 113r und Pacelli an Cicognani vom 12. Juli 1926 (Entwurf), ebd., Fol. 114r. 1196 „… ben nota abilità e prudenza …“ Gasparri an Pacelli vom 1. Juli 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 108v. 1197 Pacelli an Bertram vom 4. Juli 1926 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 109rv, hier 109r. 1198 Pacelli an Bertram vom 4. Juli 1926 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 109r. 1199 Pacelli an Bertram vom 4. Juli 1926 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 109r-v. Eine Replik von Bertram findet sich in der entsprechenden Akte des Nuntiaturarchivs nicht. Jedoch ist die Abschrift eines Schreibens von Bertram an Kaller überliefert, in welchem der Breslauer Oberhirte dem neuen Administrator gratuliert, um eine Kopie des Ernennungsdekrets bittet und den neuen Ordinarius in die Fuldaer Bischofskonferenz einlädt. Vgl. Bertram an Kaller vom 15. Juli 1926 (Abschrift), ebd., Fol. 115r. 1195

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Zwei Tage später fertigte Pacelli wie aufgetragen das Ernennungsdekret an und bestellte Kaller umgehend in die Nuntiatur ein.1200 Dieser wurde erst jetzt eingeweiht, als seine Einsetzung bereits definitiv beschlossen war. Nachdem Pacelli das Einverständnis Kallers eingeholt hatte, informierte er den preußischen Kultusminister, dass Pius XI. den Berliner Pfarrer zum Administrator ad nutum Sanctae Sedis von Tütz ernannt hatte.1201 Gleichzeitig gab er bekannt, dass Kaller aufgrund der schlechten Verkehrsanbindung seinen Sitz in Schneidemühl nehmen werde. Dies war eine von Pacelli autonom gefällte Entscheidung, die er zu treffen zuvor von Gasparri autorisiert worden war. Am 21. Juli ging in der Nuntiatur die Antwort des Kultusministeriums ein, in der – wie Pacelli umgehend nach Rom berichtete  –  Minister Becker sich zwar für die Mitteilung bedankt habe, jedoch „mit seinem Bedauern im Namen der Regierung Protest gegen die genannte Ernennung einlegen muss, die ohne vorherige Absprache mit der Regierung erfolgt ist“1202. Was die Absicht anbelangte, den Administratorsitz nach Schneidemühl zu verlegen, was im Gegensatz zur Kandidatenfrage die ausdrückliche Zustimmung von staatlicher Seite verlangte, erbete sich Becker – so der Nuntius – noch etwas Zeit, um die endgültige Entscheidung zu treffen. Pacelli hoffte jedoch, dass die von ihm als notwendig angesehene strukturelle Maßnahme umgesetzt werden könne. Den Protest gegen Kaller kommentierte er für Gasparri nicht. Stattdessen bemerkte er, dass die Ernennung auf allgemeinen Beifall gestoßen sei.1203 Das Stimmungsbild entnahm Pacelli – soweit quellenmäßig zu belegen – einerseits einem Artikel der „Germania“ vom 12. Juli, der Kaller als neuen Administrator der Grenzmark vorstellte: Durch die Nomination verliere Berlin „einen seiner rührigsten Seelsorger, die Katholiken der Grenzmark aber können sich zu diesem ihrem neuen Oberhirten Glück wünschen“1204. Andererseits nahm er später Anfang August zur Kenntnis, wie das Schneidemühler Lokalblatt „Die Grenzwacht“ geradezu überschwänglich vom Einzug Vgl. Ernennungsdekret Kallers vom 6. Juli 1926 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 110r; abgedruckt bei Marschall, Praelatura Nullius, S. 56; Pacelli an Kaller vom 6. Juli 1926 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 111r. 1201 Vgl. Pacelli an Becker vom 7. Juli 1926 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 112r. 1202 „… dover con suo rincrescimento elevare a nome del Governo prussiano protesta contro la detta nomina, compiuta senza previa intesa col Governo medesimo.“ Pacelli an Gasparri vom 21. Juli 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 54rv, hier 54v. Das Schreiben des Kultusministers, das auf den 13. Juli datiert und demnach zwei volle Wochen benötigte, um die Nuntiatur zu erreichen, hat sich in den vatikanischen Unterlagen nicht erhalten. 1203 Für Klerus und Volk der Administratur konnte das sicherlich im Allgemeinen nicht gelten, insofern die Mehrheit Kaller bis dato überhaupt nicht kannte. So schrieb Propst Aloysius Franz Bucks von Zippnow in seiner Pfarrchronik: „Am 6. Juli 1926 wurde zu allgemeiner größten Überraschung der Pfarrer von St. Michael in Berlin, Maximilian Kaller, vom Hl. Vater zum apostolischen Administrator der Grenzmark ernannt. Niemand hatte an diesen gedacht. Sein Name war in der Grenzmark überhaupt nicht bekannt.“ Lüdtke (Hg.), Pfarrchronik, S. 41. 1204 „Pfarrer Kaller Apostolischer Administrator der Grenzmark“, in: „Germania“ Nr. 317 vom 12. Juli 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 7, Fol. 4r. 1200

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Kallers in Schneidemühl am Samstag, dem 31. Juli, berichtete.1205 Laut dieser Berichterstattung wurde Kaller mittags am Schneidemühler Bahnhof von Vertretern des Konsistoriums, der Pfarrei und der Verbände empfangen. Am nächsten Tag folgte dann der rituelle Teil: eine feierliche Prozession von der Propstei zur neuen Kirche sowie der Hymnus Veni creator spiritus samt Pontifikalamt. Somit trat Kaller am 1. August sein neues Amt an und nahm Wohnung in Schneidemühl, wie er drei Tage später Pacelli mitteilte.1206 Amtlicher Sitz des Bezirks blieb jedoch zunächst noch Tütz. An Pius XI. richtete der neue Administrator ein Huldigungsschreiben, in dem er versicherte: „Die Erneuerung und Ausbreitung des Reiches Christi in dem oben genannten Gebiet [sc. in der Administratur Tütz, R.H.] und auch jenes ‚sentire cum Ecclesia‘ vor Augen und im Herzen, gelobt er [sc. Kaller selbst, R.H.] zugleich so viel Gehorsam und Hingabe an den Heiligen Stuhl wie möglich.“1207 Die Bischofsweihe erhielt Kaller entsprechend den zwischen Gasparri und Pacelli getroffenen Absprachen nicht. Stattdessen hatte ihm Pacelli die jurisdiktionellen Vollmachten eines Diözesanbischofs mit dem Ernennungsdekret übertragen.1208 Am 1. November stimmte Kultusminister Becker nach ausgiebiger Rücksprache mit Finanzminister Hermann Höpker-Aschoff schließlich zu, dass der Administratursitz nach Schneidemühl verlegt werde.1209 Er war auch einverstanden, dass Kaller zur Finanzierung seines neuen Amtes die vakante Pfarrstelle von Schneidemühl übernehmen könne und präsentierte daher den Genannten auf die Patronatsstelle. Diese Lösung des Unterhaltproblems stammte von Pacelli, der – trotz prinzipieller Bedenken hinsichtlich der Gültigkeit des staatlichen Patronatsrechts1210  –  in Rom

Vgl. „Der Apostolische Administrator in Schneidemühl“, in: „Die Grenzwacht“ Nr. 174 vom 2. August 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 6, Fol. 122r. 1206 Vgl. Kaller an Pacelli vom 4. August 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 7, Fol. 1r. 1207 „Regni Christi instaurationem atque propagationem in territorio de quo supra necnon illud ‚sentire cum Ecclesia‘ prae oculis et in animo habens profitetur insimul oboedientiam et devotionem suam quam plurimam erga S. Sedem.“ Kaller an Pius XI. vom 4. August 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 58r. Pacelli vermittelte den Brief nach Rom. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 6. August 1926, ebd., Fol. 57r. 1208 Kaller erbat sich schon wenige Wochen nach seinem Amtsantritt die Firmvollmacht, die ihm die Konsistorialkongregation im Namen des Papstes ausstellte. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 10. September 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 60r; Gasparri an Pacelli vom 23. September 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 7, Fol. 30r; Rossi an Pacelli vom 25. September 1926, ebd., Fol. 31r sowie Pacelli an Rossi vom 28. September 1926 (Entwurf), ebd., Fol. 32r. Vgl. auch Schmauch, Freie Prälatur Schneidemühl, S. 37. 1209 Vgl. Becker an Pacelli vom 1. November 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 7, Fol. 6r. 1210 Vgl. zum Patronatsrecht in Preußen Link, Besetzung, S. 465–475. Pacelli wollte die theoretische Rechtmäßigkeit dieser Regelung nach der WRV mit Becker nicht diskutieren, sondern bemerkte nur knapp, dass dieses Thema in den laufenden Konkordatsverhandlungen erörtert werden müsse. Vgl. Pacelli an Becker vom 19. November 1926 (Entwurf), ASV, ANB 50, Fasz. 7, Fol. 9r. 1205

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erfolgreich für eine päpstliche Akzeptanz der Präsentation warb.1211 Damit waren auch die letzten Formalitäten geklärt. Weit mehr als ein Jahr hatte die Sedisvakanz gedauert, nun gab es wieder einen neuen Hirten für die Apostolische Administratur Tütz beziehungsweise Schneidemühl.

Ergebnis 1. Für den Administratorposten in Tütz suchte Pacelli vorzugsweise einen Kandidaten, der aus der Administratur Tütz selbst stammte. Erst nachdem er dort keinen geeigneten Geistlichen finden konnte, zog er einen auswärtigen in Betracht. Alle Namen im Kandidatentableau basierten auf Vorschlägen von dritter Seite. Vor allem berücksichtigte Pacelli die preußischen Interessen – das war ihm zunächst einmal das wichtigste Kriterium (vgl. Nr. 3). Zwar akzeptierte er auch das von polnischer Seite eingeforderte Sprachargument, doch galt diesem nicht sein Hauptaugenmerk. Durch diese zweiseitige Rücksichtnahme schieden die Kandidaten Paech und Gramse aus. Beide kannte Pacelli nicht persönlich und besaß über sie auch nur wenig Kenntnisse aus zweiter Hand. Dennoch begnügte er sich mit diesen sehr oberflächlichen Hinweisen  –  es ging immerhin zunächst einmal „nur“ um einen Administratorposten. Deutlicher wird das von Pacelli präferierte Kandidatenprofil in seinem Urteil über Kaller: „Er ist vielleicht der eifrigste und frömmste der Geistlichen der Hauptstadt, dem Heiligen Stuhl sehr zugetan, ein sehr guter Organisator und Kenner der Erfordernisse des heiligen Dienstes in der Diaspora; er beherrscht außerdem die polnische Sprache, in der er auch predigen und Beichte hören kann.“ Aufmerksam geworden war der Nuntius auf den Pfarrer knapp ein Jahr vor dem Tod Weimanns. Damals hatte er im Auftrag des Papstes einen tauglichen und vertrauenswürdigen Priester gesucht, der die Seelsorge für die russischen Flüchtlinge in Deutschland leiten konnte.1212 Weihbischof Deitmer empfahl ihm – so Pacelli in einem Bericht – „als überaus eifrig und aktiv den Pfarrer von St. Michael in dieser Hauptstadt, den Ehrwürdigen Kaller“1213, ein Urteil, das Kardinal Bertram anschließend bestätigte. Der Berliner Pfarrer hatte darüber hinaus durch Freilich erwirkte Pacelli, dass das römische Dokument zu Kallers Amtsernennung die staatliche Präsentation mit keinem Wort erwähnte. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 26. November 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Polonia, 1925–1926, Pos. 65 P.O., Fasz. 75, Fol. 67rv und Gasparri an Pacelli vom 19. Dezember 1926, ASV, ANB 50, Fasz. 7, Fol. 11r. Auch Kaller selbst vefasste ein Schreiben an den Papst, in dem er um die Übertragung der Pfarrei Schneidemühl bat. Vgl. Kaller an Pius XI. vom 15. November 1926 (Abschrift), ebd., Fol. 8rv sowie Kaller an Pacelli vom 18. November 1926, ebd., Fol. 7r. 1212 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 4. Juli 1924, S.RR.SS., AA.EE.SS., Pontificia Commissione Pro Russia, 1921– 1924, Pos. 80, Fasz. 402, Fol. 41rv. 1213 „… come zelantissimo ed attivissimo il parroco di S. Michele in questa Capitale, Rev. Kaller …“ Pacelli an Gasparri vom 4. Juli 1924, S.RR.SS., AA.EE.SS., Pontificia Commissione Pro Russia, 1921–1924, Pos. 80, Fasz. 402, Fol. 41r. 1211

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sein Werk „Unser Laienapostolat in St. Michael  –  Berlin“ die Anerkennung Pacellis erworben. Das angeklungene Kriterium der Unterordnung gegenüber Rom war für ihn so maßgeblich, dass es sogar Kallers Defizit der theologischen Ausbildung in Breslau kompensieren konnte. Dessen „tief römische Empfindungen“ sollten sich für Pacelli in der Umsetzung der kurialen Vorgaben zur Priesterausbildung materialisieren. Dies erscheint als sein zentrales Anliegen: die Förderung der – im Sinne des Geheimerlasses von 1921 – korrekten Priesterausbildung. Da es in Tütz kein Priesterseminar gab, hing letztlich alles davon ab, wo der Ordinarius die Alumnen zum Studium hinschickte: an eine staatliche Universität, wo historisch-positive Theologie oder an eine kirchliche Einrichtung, in der scholastisch-spekulative Theologie gelehrt wurde? Nicht zufällig sollte Pacelli den Administrator in seiner Schlussrelation ein paar Jahre später genau unter dieser Hinsicht beurteilen.1214 Insofern Kaller darüber hinaus des Polnischen mächtig war, berücksichtigte Pacelli die polnischen Interessen, ebenso wie die der preußischen Regierung, insofern jener kein polnischer Staatsbürger war und auch kein deutscher Staatsbürger mit einem kirchlichen Amt in Polen. Damit versuchte der Nuntius in der Kandidatenwahl sowohl den äußeren Anforderungen als auch den von ihm selbst angelegten charakterlich-persönlichen Kriterien zu entsprechen. Die Frage, warum Pacelli nicht sofort ein vergleichbares Gewicht auf diese inneren Kriterien legte – Paech und Gramse schienen ihm zwar tauglich, aber da er nur ganz spärliche Informationen über sie besaß, war ihm ein ähnlich umfangreiches Urteil gar nicht möglich –, hängt damit zusammen, dass es ihm erst später tatsächlich darum ging, einen Geistlichen nach Tütz zu befördern, der das Format eines Bischofs besaß. Er glaubte, dass die Administratur in absehbarer Zeit zum Bistum erhoben oder zumindest kirchenrechtlich aufgewertet würde. Damit würde dort vermutlich auch eine eigene Priesterausbildung eingerichtet werden, was vor dem Hintergrund der geschilderten Attribute die gesteigerte Wertschätzung Pacellis erhellt. Damit erscheint Kaller als sein eigentlicher Favorit in diesem Besetzungsfall, dem er erfolgreich auf den Administratorstuhl verhalf. 2. Der Fall gibt hinsichtlich des Besetzungsmodus keinen Aufschluss, da es außer Frage stand, dass die Einsetzung eines Apostolischen Administrators durch den Papst erfolgte. 3. Es wurde bereits deutlich (vgl. Nr. 1), dass Pacelli bei seiner Kandidatenwahl auf die preußische Regierung Rücksicht nahm. Diese lehnte eine Ernennung Paechs ab: Kein in Polen beschäftigter deutscher Geistlicher möge nach Tütz transferiert werden, denn das aufgegebene Amt würde mit einem polnischen Staatsbürger wiederbesetzt. Noch gravierender wurde diese Thematik, als klar wurde, dass Paech sogar die polnische Staatsbürgerschaft besaß. Die preußische Regierung war nicht bereit, das nach dem Ersten Weltkrieg an Polen verlorene Gebiet bereits aufzugeben. Zwar 1214

Vgl. dazu Bd. 2, Kap. II.1.9 (Ergebnis Nr. 1). 318

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erkannte Pacelli dem preußischen Staat kein rechtlich bindendes Mitspracherecht bei der Einsetzung des Administrators zu, doch empfahl er dem Kardinalstaatssekretär nachdrücklich, dem geäußerten Anliegen zu entsprechen, um das Verhältnis zum protestantischen Preußen nicht noch schwieriger zu gestalten. Freilich war dies kein Akt reiner Freundlichkeit, vielmehr war es Pacellis Intention, die Rahmenbedingungen für die Konkordatsverhandlungen zu verbessern. Der Nuntius fürchtete sogar den Abbruch der Verhandlungen, wenn der Heilige Stuhl in der Kandidatenfrage nicht nachgab. Er hoffte, der Staat werde sich in den Vertragsverhandlungen revanchieren und schon diese vage Hoffnung war für Pacelli bedeutsamer als die Besetzung der Administratur Tütz. Der Protest, den die Regierung am Ende einlegte, richtete sich nicht gegen die Person Kallers, sondern war letztlich nur eine Rechtsverwahrung, die das Verhältnis von Kirche und Staat und die Konkordatsverhandlungen nicht beschädigte. Die ganze Dimension der Relevanz, die Pacelli den Interessen der preußischen Regierung zumaß, tritt unter Punkt 5 noch einmal klar hervor. 4. Als erster, quellenmäßig belegbarer Informant für das Tützer Gebiet fungierte für Pacelli Kardinal Bertram, ungeachtet der persönlichen Spannungen, die zwischen beiden Kirchenfürsten herrschten. Dabei ging es nicht nur um die Kandidatenfrage, sondern auch um die Frage nach der rechtlich-zirkumskriptiven Zukunft des Gebiets. Pacelli war auf den Fürstbischof angewiesen, weil der neue Administrator möglichst aus demselben Bezirk kommen sollte und Bertram der einzige Oberhirte „vor Ort“ war. Über weitere Quellen, die sich über das ostdeutsche Gebiet zu äußern vermochten, verfügte Pacelli nicht. Denn obwohl auch Bertram prinzipiell nicht in der Lage war, den Tützer Klerus zu überschauen und daher von der Einschätzung Gramses sowie später des Posener Domkapitulars Klinke abhängig war, gab Pacelli sich vorerst mit den spärlichen Informationen zufrieden. Den sterbenden Weimann zu befragen – eine Idee, auf die ihn Bertram brachte –, war nicht mehr als eine Verlegenheitslösung. Sein Rat an Gasparri, sich bei der Warschauer Nuntiatur zu informieren, spiegelt diese Verlegenheit eindrücklich wider. Nicht weniger als fünf Mal trug er dem Fürstbischof Kandidatenangelegenheiten vor, sodass dieser als wichtigster und lange Zeit einziger Gesprächspartner des Nuntius erscheint. So ist bemerkenswert, dass Pacelli die späteren Aspiranten Kaller und Piontek dem Kardinalstaatssekretär nicht ohne Rücksprache mit Bertram vorschlagen wollte und nachdem dieser der Berufung der Genannten nach Tütz widersprochen hatte, sogar – zumindest temporär – von ihnen abrückte.1215 Er war also bereit, auf dessen Wünsche 1215

Bertrams Argument, Piontek sei für den Bonifatiusverein unersetzlich, war für Pacelli wohl auch deshalb ein wichtiges Kriterium, weil er die Bedeutung des Vereins für die katholische Diaspora hoch veranschlagte und ihm keine wichtige Stütze nehmen wollte. Zum Beispiel äußerte sich Pacelli wenige Jahre später auf dem „Diasporakatholikentag“ in Magdeburg über den Verein und dessen Valenz für die Katholische Aktion folgendermaßen: „Wir können ja das Wort ‚katholische Diaspora‘ nicht aussprechen, ohne an den ‚Bonifatiusverein‘ zu denken. Ich sehe aber im Bonifatiusverein den Idealtyp eines in Katholische Aktion eingesenkten und von ihrem Geiste beseelten Organismus … – so steht der Bonifatiusverein vor mir: Geist 319

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Rücksicht zu nehmen, was sich allerdings zu dem Zeitpunkt änderte, als der Besetzungsfall für ihn durch die erwartete kirchenrechtliche Aufwertung der Administratur an Bedeutung und durch die gefürchtete Ernennung Paechs an Brisanz gewann: Danach setzte er sich über das Missfallen Bertrams, Kaller in Berlin zu verlieren, hinweg. Angesichts dessen erscheint Bertram zwar als am häufigsten frequentierter, jedoch nicht wichtigster Informant Pacellis. Entscheidend für die Erledigung des Falls war letztlich, dass Pacelli zwei „vertrauenswürdige Persönlichkeiten“ konsultierte, die ihm mit Kaller den Geistlichen nannten, den der Nuntius schließlich favorisieren sollte. Um wen könnte es sich bei diesen Vertrauensleuten Pacellis handeln? Anzunehmen ist, dass diese ihm mündlich ihre Vorschläge unterbreiteten, da die Quellen nichts Schriftliches hierzu überliefern.1216 Dies würde bedeuten, dass die Informanten zu dieser Zeit in Berlin weilten. Darüber hinaus ist zu vermuten, dass dieselben gewissermaßen „Ostexperten“ waren beziehungsweise in irgendeiner Form einen Bezug zur kirchlichen Lage in Ostdeutschland oder Osteuropa hatten, denn aus ähnlichem Grund hatte Pacelli schon den Breslauer Oberhirten (und nur ihn) befragt. Unter diesen Prämissen wäre es denkbar, dass einer der Vertrauten Pater Rauterkus SJ gewesen sein könnte, den Bertram selbst als Zeugen dafür anrief, dass Kaller in Berlin unentbehrlich sei. Pacelli schätzte den Jesuiten außerordentlich, der wiederum als Pfarrer in der Reichshauptstadt tätig und daher für den Nuntius schnell erreichbar war. Er konsultierte den Jesuiten häufiger, wenn es um Fragen über Russland beziehungsweise die Russenseelsorge in Deutschland ging.1217 Zwar war das ein anderes Themenfeld, aber dennoch handelte es sich bei Tütz immerhin um das östlichste kirchliche Gebiet Deutschlands, in dem die Vermischung von deutscher und polnischer Nationalität eine ähnlich gelagerte Situation darstellte wie etwa die Russenfürsorge. Dass Rauterkus über Piontek in Breslau und vor allem Kaller in Berlin ein qualifiziertes Urteil abgeben konnte, belegt die Aufforderung Bertrams, Pacelli möge sich vom Jesuiten die Bestätigung für seine eigene Einschätzung geben lassen. Vor diesem Hintergrund ist die Vermutung nicht abwegig, vom Geiste der Katholischen Aktion.“ Pacelli, Reden, S. 138. In seinem Abschlussbericht über die Lage der Kirche in Deutschland bezeichnete er ihn schließlich als „una delle più benemerite e necessarie associazioni cattoliche“. Pacelli an Perosi vom 18. November 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1927–1931, Pos. 511 P.O., Fasz. 24, Fol. 25v, Wolf/​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 174f. 1216 Zwar gilt der Grundsatz, dass ein fehlender Beleg nicht als Beweis für das Nichtvorhandensein gilt. Doch sind die entsprechenden Faszikel der vatikanischen Quellen im Allgemeinen so vollständig, dass diese Folgerung nicht einer gewissen Plausibilität entbehrt. 1217 Zum Beispiel in der Frage, ob man einen Bischof für die Russenseelsorge in Deutschland bestellen sollte, vgl. Pacelli an Gasparri vom 3. Mai 1923, S.RR.SS., AA.EE.SS., Pontificia Commissione Pro Russia, 1921–1924, Pos. 80, Fasz. 401, Fol. 58r–59r. Ein weiteres Mal hinsichtlich eines Bittgesuchs des Komitees der russischen Kinderhilfe in Deutschland, vgl. Pacelli an Gasparri vom 4. August 1923, ASV, Segr. Stato, Anno 1927, Rubr. 79, Fasz. 2, Fol. 86r. 320

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dass Pacelli in Ermangelung von alternativen Informanten, die unmittelbare Kenntnisse über Tütz besaßen, den Jesuiten in die Nuntiatur vorlud und über geeignete Kandidaten befragte.1218 Ein zweiter Vertrauter Pacellis war ebenfalls „Ostexperte“: der Steyler Missionar Eduard Gehrmann.1219 Als leitende Persönlichkeit der vatikanischen Hilfsmission für Russland war er von 1922 bis 1924 auf der Krim und in Moskau gewesen.1220 Als Pacelli im Anschluss daran Verhandlungen mit der sowjetischen Regierung aufnahm, fand er in Gehrmann einen kundigen Berater. Dieser sammelte für ihn regelmäßig Nachrichten über die kirchliche Situation in den kommunistischen Ostländern. Gerade erst im Februar 1925 reiste Gehrmann ins Franziskanerinnenkloster des österreichischen Eichgraben, sprach mit der Oberin, die früher in St. Petersburg gewesen war und teilte Pacelli anschließend mit: „Sie steht mit Russland und Polen in Beziehung, hat in den letzten Tagen manches erfahren, was ich Ehrw[ürdiger] Exzellenz zur Information mitteilen möchte.“1221 Im September desselben Jahres wurde der Steyler definitiv Privatsekretär des Nuntius und blieb bis 1929 in dessen Diensten. In diesem Jahr versah Pacelli Gehrmann mit dem Prädikat eines „Geistlichen absoluten Vertrauens“1222 – übrigens genauso wie Pater Rauterkus. Dabei war der Sekretär nicht nur für russische Angelegenheiten zuständig, sondern – wie Preuschoff schreibt – „auch eine mit den deutschen Verhältnissen vertraute Hilfskraft“1223, die viele Nuntiaturberichte Pacellis vor Absendung nach Rom studierte.1224 Woher kannte Gehrmann aber Kaller, sodass er ihn hätte vorschlagen können? Nachdem er im September 1925 Privatsekretär Pacellis geworden war, siedelte er im Oktober nach Berlin über und wurde Hausgeistlicher bei den Hiltruper Marienschwestern am Michael-Kirchen-Platz.1225 Damit stand er von Anfang an in engem Bei der Einsetzung des Nachfolgers Kallers in Schneidemühl 1930/​31 wusste Rauterkus außerdem genau, dass sich Bertram im gegenwärtigen Fall gegen eine Nomination Pionteks ausgesprochen hatte. Er schien also über die inneren Vorgänge der causa informiert zu sein. Vgl. Bd. 2, Kap. II.1.10 (Pacellis Kandidatenerkundigungen und die Kandidatur Paul Webers). 1219 Vgl. zum engen Verhältnis zwischen Gehrmann und Pacelli Kraus, Sekretär; Morsey, Eugenio Pacelli, S. 133f.; Preuschoff, Gehrmann, S. 48–56. 1220 Vgl. zur Mission Gehrmanns in Russland Preuschoff, Gehrmann, S. 11–48. Vgl. allgemein zur Russlandpolitik des Heiligen Stuhls Becker, Diplomats; Höllen, Wienken, S. 35–37; Pettinaroli, La politique russe; Stehle, Ostpolitik; Ders., Geheimdiplomatie. 1221 Gehrmann an Pacelli vom 28. Februar 1925, S.RR.SS., AA.EE.SS., Russia, 1924–1925, Pos. 659, Fasz. 42, Fol. 72r–74r, hier 72r. 1222 Vgl.: „Ai nomi dei suddetti ecclesiastici, di assoluta fiducia, si potrebbe aggiungere …“ Pacelli an Luigi Sincero (den Sekretär der Kongregation für die Orientalischen Kirchen) vom 2. Februar 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Pontificia Commissione Pro Russia, 1921–1931, Pos. 12, Fasz. 80, Fol. 21rv, hier 21v. Dieses Vertrauensvotum bezog sich neben Gehrmann und Rauterkus auch auf Heinrich Wienken. 1223 Preuschoff, Gehrmann, S. 50. 1224 Vgl. Preuschoff, Gehrmann, S. 52. Gehrmanns Rolle darf also nicht unterschätzt und auf eine bloße Hilfskrafttätigkeit degradiert werden, wie bereits Pacellis Urteil über diesen zeigt. Vgl. auch ebd., S. 54. 1225 Vgl. Preuschoff, Gehrmann, S. 50. 1218

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Kontakt zum dortigen Pfarrer – zu Maximilian Kaller – und eine lebenslange Freundschaft nahm hier ihren Ausgangspunkt.1226 Freilich hatte Pacelli bereits Ende August 1925 den Namen Kaller parat, also bevor der Steyler diesen in St. Michael hätte kennenlernen können. Doch schon vor diesem Datum waren sich die beiden begegnet: Sowohl Gehrmann als auch Kaller waren Mitglieder der kirchlichen Russenfürsorge, die monatlich Sitzungen in Berlin abhielt.1227 Auch im August 1925 fand eine Sitzung des Gremiums statt. Es ist demnach vorstellbar, dass Gehrmann anlässlich seines Berlinaufenthalts Mitte August in die Rauchstraße 21 kam und der Nuntius mit ihm über die Nachfolge Weimanns diskutierte. Dass Gehrmann sich angesichts der gemeinsamen Arbeit in der Russenfürsorge profund über Kaller äußern und diesen auch vorschlagen konnte, scheint einsichtig. Gewiss handelt es sich hier nur um Indizien. Da die Akten hier jedoch keinen Aufschluss geben, ist über Vermutungen nicht hinauszukommen. 5. Fasst man seine Berichterstattung ins Auge, so scheint Pacelli der Lösung der Tützer Frage zunächst eine untergeordnete Priorität beigemessen zu haben. So brachte er bei Gasparri – wie schon angesprochen (vgl. Nr. 1) – die Namen Paech und Gramse in Vorschlag, obwohl er nur überaus spärliche Informationen über diese besaß. Er musste sogar den Erstgenannten wieder zurückziehen, weil die preußische Regierung Bedenken angemeldet hatte – nicht einmal das hatte Pacelli vorher abgeklärt. Dass der Zweitgenannte sich selbst aus physischen Gründen für das fragliche Amt nicht geeignet hielt, verschwieg Pacelli – da er dringend einen Ersatz für Paech benötigte, konnte er sich eine solche Mitteilung nicht leisten. Der Kardinalstaatssekretär wünschte zwar eine ergänzende Notiz über den Studienort Gramses, winkte aber ansonsten Pacellis Empfehlungen durch, nicht nur hinsichtlich der Kandidaten, sondern auch der provisorischen Leitung des Bezirks. Das änderte sich erst, als Weihbischof Łukomski gegen den Schneidemühler Dekan protestierte. Dessen alternative Berichterstattung führte nicht nur zur Rücknahme von Gramses Nomination, sondern warf damit auch alle Pläne Pacellis über den Haufen. Dies ist bemerkenswert: Die Eingabe eines polnischen Bischofs zu einer deutsch-preußischen Administraturbesetzung war bei Pius XI. und Gasparri in der Lage, die auf Basis der Darlegungen des reichsdeutschen Nuntius erfolgte Besetzung rückgängig zu machen. Pacelli musste wohl oder übel eingestehen, die Frage der Nationalität beziehungsweise der polnischen Sprachfähigkeit bisher vernachlässigt zu haben. Dass der Einspruch trotz der geringen Zahl der polnischen Katholiken im Administraturbezirk für den Papst eine so hohe Bedeutung hatte, dass er die Nomination zurücknahm, war 1226 1227

Vgl. zur Beziehung zwischen Gehrmann und Kaller Preuschoff, Gehrmann, S. 77f. Vgl. den Bericht über die Berliner Russenfürsorge (15. August 1925–15. Februar 1926), ASV, ANB 85, Fasz. 3, Fol. 315r–328r. Neben der „Katholischen Fürsorge für Rußland“, die zur Berliner Vertretung des Deutschen Caritasverbandes gehörte, gab es außerdem die vom Aachener Professor Ludwig Berg im Jahre 1924 in Berlin ins Leben gerufene Fürsorge für russische Emigranten. Beide Einrichtungen arbeiteten parallel. Vgl. Höllen, Wienken, S. 36. 322

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sicherlich nicht zuletzt der persönlichen Affinität geschuldet, die Achille Ratti für das Land seiner ehemaligen päpstlichen Gesandtschaft hegte. Es entwickelte sich eine brisante Debatte über den Primat von Diplomatie oder Prinzip, die Pacelli in beinahe offene Opposition zu Papst und Staatssekretär brachte: Denn diese griffen zu seinem Leidwesen wieder auf die Kandidatur Paechs zurück und ignorierten damit das diplomatische Fiasko, das sich damit für den Berliner Nuntius anbahnte. Pacelli musste sich vorwerfen lassen, zu weit auf die preußische Regierung zugegangen zu sein und diese über das primum praeceptum des Heiligen Stuhls – nämlich die salus animarum – gestellt zu haben. Einer Rücksichtnahme auf die staatlichen Interessen sprach Gasparri die Berechtigung ab, weil politische und nationale Beweggründe keine Relevanz für eine Angelegenheit hätten, „die rein religiöser Natur ist“. Der Staat habe kein rechtlich-verbindliches Mitspracherecht und könne nicht verlangen, dass der Heilige Stuhl von unabdingbaren Eigenschaften der Kandidaten absehe – in diesem Fall die polnische Sprachfähigkeit. Pacelli wehrte sich: Er deklarierte es als widersprüchlich, einerseits die Regierung nicht in die Administraturbesetzung einbeziehen zu dürfen, andererseits autorisiert worden zu sein, mit selbiger „vertraulich“ und „rein zuvorkommend“ zu verhandeln. Bei allem Beharren Pacellis in der Sache versuchte er sich unterwürfig darzustellen: durch die Betonung der völligen Einmütigkeit mit Gasparris Weisung; durch ein Herunterspielen des preußischen Einflusses; und auch dadurch, dass er die geringe Zahl polnischer Katholiken in Tütz, die einer polnischsprachigen Seelsorge bedurften, nicht als Argument gegen die römischen Order verwendete, was Pius XI. gewiss brüskiert hätte. Doch Ratti und Gasparri knickten nicht ein. Zwar gaben sie vor, auf Pacellis diplomatisches Potenzial zu vertrauen, hörten aber umgekehrt nicht auf seinen diplomatischen Rat. Sie legten eine rein auf den geistlichen Prinzipien ruhende Bewertung des Falls an. Hatte Pacelli sich in den ersten preußischen Besetzungsfällen mit seinem nachgiebigen Konkordatskurs in Rom noch durchgesetzt, so zeigte sich hier, dass er sich damit auf sprichwörtlich dünnem Eis bewegte. Er sah seine gesamte Mission in Preußen in Gefahr, befürchtete den Abbruch der Konkordatsverhandlungen und fand dennoch trotz mehrerer, fast flehentlicher Äußerungen kein Gehör. Die römische Unnachgiebigkeit lässt sich letztlich nur dadurch erklären, dass der Papst selbst stringent die Einsetzung Paechs betrieb. Damit war es Pius XI., gegen den Pacelli ankämpfte. Als der Nuntius schließlich erfuhr, dass Paech sogar die polnische Staatsbürgerschaft besaß, änderte das noch einmal die Lage, denn grundsätzlich akzeptierte der Heilige Stuhl, dass keine Ausländer höhere geistliche Ämter bekleiden durften. Geschickt bemerkte Pacelli zur Anweisung, der preußischen Regierung die Einsetzung Paechs begreiflich zu machen: „Bleibt indes zu hoffen, dass sie [sc. die preußische Regierung, R.H.] am Ende die Richtigkeit und die Heiligkeit der Beweggründe verstehen wird, an denen sich der Papst in Seiner souveränen Entscheidung orientiert.“ Dies war natürlich utopisch, was Pacelli genau wusste – zum einen wollte er alle Verantwortung für die Konsequenzen von sich weisen, zum anderen hoffte er gewiss, dass diese resignative Stimmung im Verbund mit der neuen Erkenntnis über Paechs Nationalität doch noch zu einem 323

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römischen Einlenken führen würde. Denn trotz Anweisung stellte er das Ernennungsdekret für den Posener Domherrn nicht aus. Erst nach den massiven Eingaben der preußischen Regierung erfolgte ein Umdenken beim Heiligen Stuhl. Das persönliche Gespräch Pacellis in Rom war dafür ebenfalls maßgeblich – wie Michael Höhle schon richtig vermutete1228 – und damit wirkungsvoller als seine Nuntiaturberichte. Pacelli scheute sich also nicht, konsequent seinen Vorgesetzten Paroli zu bieten und das letztlich mit Erfolg: Es gelang ihm, mit Kaller einen Kandidaten zu präsentieren, der – ungeachtet des preußischen Protests – allen genehm war.

II.1.5 Die Besetzung der Bischofsstühle in den preußischen Konkordatsverhandlungen 1926–1929 Die Wiederaufnahme der Konkordatsverhandlungen 1926 und Pacellis Dilemma beim Besetzungsmodus der Bischofsstühle Die Konkordatsverhandlungen mit Preußen ruhten im Wesentlichen seit 1922. Mitte der 1920er Jahre änderte sich aber die kirchenpolitische Situation. Die preußische Regierung rang sich zu der definitiven Entscheidung durch, ein eigenes Konkordat mit dem Heiligen Stuhl abschließen zu wollen, und beendete so den „Zweifrontenkampf, der sich einmal gegen die fortwährenden Ansprüche des Reichs auf die Vorrangigkeit seines Konkordats und zum anderen gegen die ständigen Konkordatsoffensiven des Nuntius richtete“1229. Zu diesem Sinneswandel hatten mehrere Faktoren beigetragen: die Ratifikation des bayerischen Konkordats am 24. Januar 1925, die den eigenen Konkordatswillen intensivierte;1230 die darauffolgende Übersiedlung des Nuntius nach Berlin am 18. August; der Vertragsabschluss zwischen dem Heiligen Stuhl und Polen vom 2. Juni, der nach Ansicht des preußischen Staates die Güter des Fürstbistums Breslau in Polen und der Tschechoslowakei gefährdete;1231 und schließlich hatte die Regierung anlässlich der Besetzung der Apostolischen Administratur Tütz 1925 lernen müssen, dass sie kaum eine rechtliche HandhaVgl. Höhle, Gründung, S. 166f. Golombek, Vorgeschichte, S. 46. Hervorhebung im Original. 1230 Der preußischen Seite war es gelegen, vor allem auf die völlig anders gelagerte politische und konfessionelle Struktur des Landes hinzuweisen, um einer vom Nuntius propagierten paradigmatischen Funktion des bayerischen Konkordats a priori zu wehren. Die staatlichen Verhandlungsführer wiesen auch darauf hin, dass der bayerische Vertragsabschluss eine „gespannte, Vertragsabschlüssen mit der Kurie feindselige Atmosphäre … geschaffen hatte“. Golombek, Vorgeschichte, S. 53. 1231 Vgl. Polenkonkordat vom 10. Februar 1925, abgedruckt bei Mercati (Hg.), Concordati II, S. 30–40. Vgl. dazu Samerski, Ostdeutscher Katholizismus, S. 93–110. 1228 1229

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be zur Umsetzung der eigenen Interessen besaß und jene letztlich vom römischen Wohlwollen abhing.1232 Der deshalb gefällte Entschluss, durch einen Vertrag mit dem Heiligen Stuhl diesen Status zu ändern, führte zu dem Beginn von unmittelbaren Verhandlungen in der ersten Hälfte des Jahres 1926.1233 Die ersten Sondierungsgespräche fanden am 27. und 31. März statt.1234 Teilnehmer waren auf Regierungsseite Carl Heinrich Becker – seit 1925 wieder preußischer Kultusminister –, Staatssekretär Aloys Lammers, Ministerialdirektor Friedrich Trendelenburg und der Breslauer Kirchenund Staatsrechtler Friedrich Heyer. Pacelli berichtete Gasparri am 10. April pflichtgemäß über den Verlauf und die Ergebnisse der Gespräche.1235 Auf seine Bitte hin waren vom Kultusministerium

Vgl. zu diesen Faktoren Golombek, Vorgeschichte, S. 46–52; Mussinghoff, Fakultäten, S. 203–209. Bei fortgesetztem Widerstand gegen eine rechtliche Neuregelung der staatskirchlichen Materie, hätte die Regierung damit rechnen müssen, dass der Heilige Stuhl irgendwann den CIC als allgemeines Recht für Preußen vorschrieb, wodurch die „Vergünstigungen des preußischen Partikularkirchenrechts“ verloren gingen: „Ein solcher Verlust mußte sich um so gravierender auswirken, als die Reichsverfassung dem Staat die Möglichkeit aufs äußerste beschränkte (Trendelenburg), seine Interessen gegenüber den Kirchen auf staatsgesetzlichem Wege zu wahren. Der Artikel 137, 3 der Reichsverfassung verneinte zweifellos jedes Recht auf positive Mitwirkung bei der Besetzung kirchlicher Ämter. Dem im neuen CJC (can. 329, § 2) festgelegten freien päpstlichen Ernennungsrecht für Bischöfe standen so beispielsweise keine Schranken mehr entgegen, wenn der preußische Staat nicht versuchte, in Verhandlungen mit der Kurie einen Rest des Vetorechts der preußischen Könige gegen die personae minus gratae als Bischofskandidaten zu retten und zum anderen die Mitwirkung deutscher kirchlicher Stellen bei der Bischofswahl zu sichern.“ Golombek, Vorgeschichte, S. 50. Hervorhebung im Original. Der Breslauer Kirchen- und Staatsrechtler Friedrich Heyer erkannte die Tragweite der Bedeutung eines Konkordats für Preußen, das ohne vertragliche Absicherung Verluste erleide, „die ihn bei seiner Größe, seinen gefährdeten Grenzen und seiner schwierigen interkonfessionellen Zusammensetzung viel schwerer als irgendein anderes deutsches Land treffen [würden]. Einmal aber preisgegeben, werden die unmittelbaren und mittelbaren Rechte, deren Geltendmachung heute in der Hoffnung auf ein baldiges Konkordat kirchlicherseits noch geduldet wird, unwiederbringlich verloren oder zumindest nicht ohne harten Kampf wiederzuerlangen sein.“ Golombek, Vorgeschichte, S. 51 Anm. 7. 1234 Golombek datiert die Sondierungsgespräche auf den 27. und 31. Mai, wobei es sich um eine Monatsverwechslung handeln muss. Vgl. Golombek, Vorgeschichte, S. 52. Vgl. zu den Gesprächen ebd., S. 52–56; Mussinghoff, Fakultäten, S. 210–212. 1235 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 10. April 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 18r–25r. Zunächst charakterisierte Pacelli die Teilnehmer der Reihe nach, damit Gasparri den Verhandlungsverlauf „più chiaro“ (ebd., Fol. 18v) nachvollziehen könne. Er war so natürlich in der Lage, die Erwartungen, die man von den staatlichen Vertretern und ihren Positionen haben konnte, a priori zu steuern. Kultusminister Becker (DDP), Professor für Orientalistik in Berlin, sei, obwohl auf dem Papier Protestant, völlig areligiös, dazu „von höflichen und korrekten Umgangsformen, ist er kultiviert, intelligent und ziemlich schlau“ („di forme cortesi e corrette, è colto, intelligente ed assai scaltro“, ebd., Fol. 18v). Ein Konkordat wünsche er einzig aufgrund der politischen Notwendigkeit. Bei den Diskussionen habe er sich „ziemlich vernünftig und objektiv“ („abbastanza ragionevole ed oggettivo“, ebd., Fol. 18v) verhalten. Staatssekretär Lammers sei ein aufrichtiger Katholik, während den Sitzungen zwar schweigsam, aber wenn er 1232 1233

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einige allgemeine Vorüberlegungen zur Konkordatsfrage angestellt worden, welche „die schweren und vielfältigen Schwierigkeiten illustrieren, die sich in Preußen, das mehrheitlich protestantisch ist, dem Konkordatsproblem darbieten“1236. Dabei handelte es sich um die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse, die separatistischen Bestrebungen in Hannover und dem Rheinland sowie die von protestantischen Kreisen aufgetürmten Widerstände. Die Realität dieser Hindernisse gestand Pacelli zwar zu, allerdings dürfe man  –  wie er zu verstehen gegeben habe  –  das Verhandlungsergebnis nicht in so umfassenden Maße vom Wohlwollen der Protestanten abhängig machen. Nur gegenüber Gasparri fügte er hinzu, dass sich für ihn als päpstlichen Repräsentanten noch zusätzliche Probleme ergäben: „In Bayern zeigten die katholische Bevölkerung, die Bayerische Volkspartei, der Klerus, der Episkopat und vor allem der Erzbischof von München, Faulhaber (der jede meine Gangart energisch und bedingungslos unterstützte), ein lebendiges Interesse an einem Erfolg des Konkordats. Dasselbe kann man leider nicht von Preußen behaupten, wo im Allgemeinen  –  unbeschadet natürlich der löblichen Ausnahmen  –  bis heute diesbezüglich Gleichgültigkeit herrscht.“1237 gesprochen habe, dann immer zur Unterstützung der von Pacelli vertretenen kirchlichen Interessen. Gänzlich negativ beurteilte er Ministerialdirektor Trendelenburg: „Gebunden an die ‚evangelischen‘ fanatischen Kreise und von beschränkter oder wenigstens einseitiger Intelligenz ist hingegen der Ministerialdirektor Trendelenburg, der viel in den Diskussionen sprach und immer, um die wenig akzeptablen Vorschläge zu fördern oder zu bekräftigen, dass den Protestanten diese oder jene Bestimmung zum Vorteil der Katholiken nicht tolerabel erscheine“ („Legato ai circoli ‚evangelici‘ fanatici, e di intelligenza ristretta od almeno unilaterale è invece il Direttore ministeriale Trendelenburg, il quale parlò molto nelle discussioni e sempre per avanzare le proposte meno accettabili o per affermare che ai protestanti riuscirebbe intollerabile questa o quella disposizione a vantaggio dei cattolici.“ Ebd., Fol. 18v–19r). Professor Heyer schließlich sei zwar ebenso wie Lammers aufrichtig katholisch, habe ihm jedoch bisher nicht beigestanden und verschiedentlich die unhaltbaren Forderungen Trendelenburgs mitgetragen. 1236 „… le gravissime e molteplici difficoltà, che nella Prussia, in maggioranza protestante, offre il problema del Concordato …“ Pacelli an Gasparri vom 10. April 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 19r. Vgl. die allgemeinen Vorüberlegungen ohne Datum, ebd., Fol. 27r–29r. 1237 „In Baviera la popolazione cattolica, il partito popolare bavarese, il clero, l’Episcopato e sopratutto l’eminente Arcivescovo di Monaco, Signor Cardinale von Faulhaber (che appoggiava energicamente ed incondizionatamente ogni mio passo), mostravano un vivo interesse per la riuscita del Concordato. Lo stesso non può pur troppo affermarsi della Prussia, ove in generale = salvo naturalmente lodevoli eccezioni = domina sinora indifferenza al riguardo.“ Pacelli an Gasparri vom 10. April 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 19v. Diese Gegenüberstellung verdeutlicht die Frustration des Nuntius, dem zunehmend klar wurde, dass eine weitgehende Übertragung des Bayernkonkordats auf Preußen nicht, auch nicht mit leichten Veränderungen, umsetzbar war: „Die Preußische Regierung machte aus ihrer Zuversicht kein Hehl, daß ‚auch dem Apostolischen Stuhl die großen Verschiedenheiten zwischen Preußen und Bayern nicht entgangen seien, die eine Übertragung der bayerischen Konvention auf Preußen nicht erlaubtenʻ. Sie gab zu bedenken, daß, je umfassender ein Konkordat sei, es desto größere Angriffsflächen für die Opposition in Parlament und öffentlicher Meinung biete.“ Golombek, Vorgeschichte, S. 54. 326

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Die kritisch beäugte Indifferenz bezog sich zum Teil auf die Zentrumspartei,1238 zum Teil auf den Episkopat. Dieser scheine bislang nur wenig am Konkordat interessiert, was Pacelli auf den Umstand zurückführte, dass ein Konkordat vornehmlich die Einflussmöglichkeiten des Heiligen Stuhls in die kirchlichen Belange vermehre, während die Majorität der preußischen Bischöfe bevorzuge, die Angelegenheiten ihrer Diözesen autonom „unter Ausschluss Roms“1239 zu regeln, das ihrer Ansicht nach die konkreten Umstände in Deutschland nicht genügend kenne. Außerdem würden sie befürchten, ein künftiges Konkordat werde das von ihnen gewünschte Kapitelswahlrecht abschaffen – ein weiterer Grund, das Projekt nicht übermäßig zu fördern. Es ist klar, dass Pacelli hier hauptsächlich einen preußischen Bischof im Blick hatte, nämlich Kardinal Bertram. Seitdem dieser dem Nuntius – entgegen dem einstimmigen Beschluss der Fuldaer Bischofskonferenz im August 1923 – den Verhandlungsstand zum Gesetz über die kirchliche Vermögensverwaltung vorenthalten hatte, war das Verhältnis beider Kirchenleute zueinander schwer beschädigt.1240 Pacelli stufte „die Nichtinformationspolitik … Bertrams“, seine Behauptung, die Kurie habe eine zu große Distanz zu den deutschen Verhältnissen, „als Angriff auf den Heiligen Stuhl“1241 ein. Die leuchtende Darstellung Faulhabers bildete den positiven Hintergrund, auf dem Bertram umso fragwürdiger erschien. In Anbetracht der Hindernisse sei der Kultusminister – so berichtete Pacelli weiter – von der Notwendigkeit eines Staatskirchenvertrags vornehmlich durch den Hinweis „überzeugt“ worden, dass dem Heiligen Stuhl bei einem Scheitern der Konkordatsbemühungen nichts anderes übrig bleibe, als in Preußen das ius commune – das kirchliche Gesetzbuch – anzuwenden. Diese Aus-

„Per l’ala sinistra del Centro, in cui si manifestano spesso assai singolari dottrine circa i rapporti fra Chiesa e Stato, un Concordato è cosa di altri tempi, non più rispondente alle concezioni moderne. Il Centro medesimo nel suo complesso, fautore per ragioni di politica estera ed interna (sociale) della coalizione coi partiti democratico e socialista, e ripugnante ad una unione cogli elementi di destra, non rinunzierebbe certo a tale suo indirizzo per amore del Concordato.“ Pacelli an Gasparri vom 10. April 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 19v–20r. 1239 „… ad esclusione di Roma …“ Pacelli an Gasparri vom 10. April 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 20r. Pacelli erinnerte den Kardinalstaatssekretär in diesem Kontext an eine Unterredung mit dem Freiburger Erzbischof, Karl Fritz, von Anfang März, also knapp vier Wochen zuvor. Auch Fritz hielt ein Konkordat – in diesem Fall mit Baden – für unnötig, worüber sich der Nuntius echauffierte. Vgl. dazu Bd. 3, Kap. II.3.4 (‚Vorgeschichte‘: Pacellis Ringen um ein Konkordat mit Baden). 1240 Vgl. Protokoll der Fuldaer Bischofskonferenz vom 21.–23. August 1923, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 1, S. 510–524 (Nr. 253), hier 512f. und Pacellis Kritik in seinem Abschlussbericht an Perosi vom 18. November 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1927–1931, Pos. 511 P.O., Fasz. 24, Fol. 39r, Wolf/​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 222f. Vgl. zum Verhältnis Pacellis und Bertrams vor dem Hintergrund der Konkordatsverhandlungen Dambacher, Pacelli, hier 143–149; Ders., Verhältnis; Hinkel, Bertram, S. 217–231. 1241 Dambacher, Pacelli, S. 164. 1238

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sicht, die für Becker undenkbar erscheine, habe großen Eindruck gemacht und die Zusage eingebracht, ein Abkommen mit dem Heiligen Stuhl abschließen zu wollen.1242 Zu den von Pacelli gewünschten Vorüberlegungen des Kultusministeriums gehörte auch ein Promemoria, das den preußischen Standpunkt zur Konkordatsmaterie unverbindlich und summarisch fixierte.1243 Als erster Verhandlungsgegenstand stand die Besetzung der Bischofsstühle auf dem Plan. Diesbezüglich musste nach Ansicht der Staatsbeamten – in Übereinstimmung mit den Stellungnahmen von Anfang der 1920er Jahre – „maßgebender Wert auf die prinzipielle Beibehaltung des Bischofswahlrechts der Domkapitel wie auf die Beibehaltung wirksamer Garantien für die Fernhaltung politisch bedenklicher Persönlichkeiten gelegt werden“1244. Zunächst war der erstgenannte Aspekt Gegenstand der Kontroverse, wie Pacelli für Gasparri rekapitulierte: „Die preußischen Unterhändler bestanden anfangs mit größter Energie auf der Erhaltung der reinen und einfachen Kapitelswahl, indem sie hinzufügten, dass, im Unterschied zu Bayern, dieses in Preußen auch der Wunsch des Episkopats ist.“1245 Wie oben schon angedeutet, ärgerte es Pacelli beträchtlich, dass der Staat in der Lage war, die Bischöfe gegen die Desiderate des Heiligen Stuhls ins Feld zu führen. Er versicherte Gasparri, die staatlichen Verhandlungsführer darüber aufgeklärt zu haben, dass eine Annahme dieses „reinen“ Wahlrechts für die Kurie undenkbar sei. Überraschenderweise sei das Argument am überzeugendsten gewesen, dass es sich für den Papst in dieser Angelegenheit um eine „Gewissensfrage“1246 handle. Weil die staatlichen Verhandlungsführer es im Gegenzug abgelehnt hätten, den Modus des bayerischen Konkordats auf Preußen zu übertragen, musste ein Kompromiss gesucht werden. Drei der infolgedessen von den Unterhändlern eröffneten Vorschläge hielt Pacelli der Erwähnung wert:

Offen blieb noch die Frage der konkreten Form der Vereinbarung. Becker hatte nach Pacellis Angaben schon im Februar die Überlegung angestellt, die künftige Vereinbarung in der überkommenen Form einer Zirkumskriptionsbulle samt eines preußischen Gesetzes zu schließen, schon allein um den Terminus „Konkordat“ zu vermeiden. Pacelli hatte dies als dem Heiligen Stuhl an Dignität und Prestige inkonvenient zurückgewiesen. Bei den Sondierungsgesprächen habe man von preußischer Seite auch an einen Notenwechsel gedacht. 1243 Vgl. Promemoria der preußischen Regierung ohne Datum, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 26rv/​30r. Als Themen wurden die kirchliche Ämterbesetzung, Zirkumskription, Dotation, Schulfrage und Vorbildung der Geistlichen ausgewiesen. 1244 Promemoria der preußischen Regierung ohne Datum, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 26r. 1245 „I negoziatori prussiani insistettero dapprima colla massima energia per il mantenimento puro e semplice della elezione capitolare, aggiungendo che, a differenza della Baviera, tale è in Prussia anche il desiderio dell’Episcopato.“ Pacelli an Gasparri vom 10. April 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 21r. 1246 „… questione di coscienza …“ Pacelli an Gasparri vom 10. April 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 21v. 1242

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1) Zunächst den Besetzungsmodus, der 1922 bei der Wahl Bornewassers zum Bischof von Trier angewandt worden war.1247 Er habe jedoch abgewunken und darauf hingewiesen, dass diese Variante nur für den konkreten Fall zugestanden worden sei.1248 Angesichts des darin angelegten geringen Interventionsspielraums des Heiligen Stuhls – wie in De salute animarum erhielt er nur ein Bestätigungsrecht – in der nahezu völlig freien Kapitelswahl verwundert die abwehrende Haltung Pacellis nicht. 2) Der nächste Modus sah vor, dass das jeweilige Domkapitel dem Heiligen Stuhl eine Kandidatenliste einreichte, von der dieser die nicht genehmen Namen bis auf drei tilgen konnte. Die verbliebenen Geistlichen sollten dem Kapitel für die Bischofswahl wieder vorgelegt werden, nachdem Rom sich vergewissert hatte, dass die Regierung keine politischen Bedenken geltend machte.1249 Auch dieses Prozedere fand beim Nuntius keine Anerkennung: „Ich antwortete, dass das zwar die Wahl eines guten Bischofs sicherstellen würde, aber nicht eines sehr guten nach dem Gewissen Seiner Heiligkeit.“1250 3) Das letzte Besetzungsschema hatte große Ähnlichkeit mit dem zweiten: Das Domkapitel sollte ebenfalls aus einer vom Heiligen Stuhl vorgelegten Terna den neuen Bischof wählen.1251 Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.3 (Der modus procedendi der Bischofswahl). Damit zeigt sich auch, dass die eventuell damals von Schulte gehegten Ambitionen, mit der Wahlordnung eine definitive Regelung für ganz Preußen erarbeitet zu haben – im einleitenden Teil des Ordo war nicht von „Trier“, sondern von „Deutschland“ die Rede – bei Pacelli von vornherein auf Granit stießen. Vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.3 Anm. 858. 1249 Dieser Modus, den Pacelli in seiner Berichterstattung nur kurz anriss, wurde in dem preußischen Promemoria präzise beschrieben: „Die Erzbischöfe und Bischöfe werden durch die Domkapitel gewählt. Nach Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhls reicht das betreffende Kapitel eine Liste von mindestens … [dieser Punkt blieb noch offen, R.H.] kanonisch geeigneten Kandidaten dem Apostolischen Stuhle ein, der seinerseits aus dieser Zahl drei Personen dem Kapitel für die endgültige Wahl benennt, nachdem er sich vorher bei der Preußischen Regierung vergewissert hat, dass diese gegen die Wahl keines dieser Kandidaten politische Bedenken hat. Unter den ihm vom Apostolischen Stuhl bezeichneten drei Kandidaten entscheidet das Kapitel in freier geheimer Wahl, die ohne vorherige öffentliche Ankündigung und ohne besondere Feierlichkeit stattfindet. Nach der Wahl sucht das Kapitel unverzüglich ihre Bestätigung durch den Apostolischen Stuhl nach.“ Promemoria der preußischen Regierung ohne Datum, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 26r-v. 1250 „Risposi che ciò garantirebbe bensì la scelta di un buon Vescovo, ma non dell’ottimo secondo la coscienza di Sua Santità.“ Pacelli an Gasparri vom 10. April 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 21v. Hervorhebungen im Original. 1251 In ausführlicher Form aus dem Promemoria: „Die Erzbischöfe und Bischöfe werden durch die Domkapitel gewählt. Nach Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhls reichen sowohl das betreffende Kapitel wie auch der Preußische Episkopat – dieser nach einem noch näher zu erörternden Verfahren – je eine Liste von mindestens … kanonisch geeigneten Kandidaten dem Apostolischen Stuhle ein, der seinerseits aus diesen Listen drei Personen dem Kapitel für die endgültige Wahl benennt, nachdem er sich vorher bei der Preußischen Regierung vergewissert hat, dass diese 1247 1248

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Neu war, dass nicht nur das betreffende Domkapitel, sondern auch der Episkopat in Rom eine Vorschlagsliste einreichen musste, an welche die Kurie gebunden war. Vor der Bischofswahl war wiederum die Anfrage nach politischen Bedenken vorgesehen. Pacelli analysierte diese Modi nicht näher. Ihr Grundproblem bestand für ihn natürlich darin, dass von römischer Seite keine eigenen Kandidaten ins Spiel gebracht werden konnten und das Streichungs- beziehungsweise Auswahlrecht letztlich nichts daran änderte, dass man mit den Geistlichen vorlieb nehmen musste, die das Domkapitel beziehungsweise der Episkopat proponierten. Bereits 1922 hatte Pacelli entsprechend argumentiert, dass zu freie Kapitelswahlen bei zu geringem römischen Einfluss zwar eifrige Hirten, aber niemals stringente Reformer hervorbrächten, welche die theologische Ausbildung der Alumnen in die notwendig römisch-scholastische Form gießen würden.1252 Auch jetzt gab er dem Kardinalstaatssekretär dieses Bewertungskriterium an die Hand, an dem sich seiner Überzeugung nach jede Besetzungspraxis messen lassen musste: „Ich brauche hier nicht auf die kapitale Wichtigkeit dieses Themas hinzuweisen, besonders in Deutschland, wo dringend Bischöfe von wahrhaft römischem Geist und von fester und gesunder philosophisch-theologischer Bildung benötigt werden, besonders, wenn man die so nötige Reform in der Bildung des Klerus erreichen will.“1253 In der Frage der Vorbildung der Geistlichen, die für die Besetzung der Bischofsstühle ebenfalls relevant war, stritt man vor allem darüber, ob die Alumnen zumindest einen Teil ihrer Studien zwingend an einer deutschen Hochschule beziehungsweise einem deutschen Seminar absolviert haben mussten, um ein geistliches Amt antreten zu können. Pacelli hielt diese Forderung für

gegen die Wahl keines dieser Kandidaten politische Bedenken hat, worauf das weitere Verfahren sich in der vorhin erwähnten Weise [sc. Nr. 2, R.H.] abspielen würde.“ Promemoria der preußischen Regierung ohne Datum, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 26v. 1252 Vgl. Bd. 1, Exkurs II (Priesterausbildung versus Kapitelswahl: Pacellis Ansicht zum Modus der Bischofseinsetzung). 1253 „Non ho bisogno di far qui notare l’importanza capitale di questo argomento, particolarmente in Germania, ove vi è tanto bisogno di Vescovi di spirito veramente romano e di soda e sana coltura filosofico-teologica, massime se si vuole ottenere la così necessaria riforma nella educazione del clero.“ Pacelli an Gasparri vom 10. April 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 22r-v. Angesichts der Differenzen hinsichtlich des Besetzungsmodus der bischöflichen Stühle war die Frage nach der Kanonikatsinvestitur vergleichsweise nebensächlich. Grundsätzlich hatte die preußische Regierung keine Einwände gegen den Transfer der Bestimmungen des bayerischen Konkordats auf den preußischen Freistaat: „Quanto alla provvista dei Canonicati il Governo prussiano sarebbe pronto ad ammettere il sistema del Concordato bavarese (Art. 14 § 2); vorrebbe tuttavia, per ciò che si riferisce alle Dignità, essere precedentemente interrogato se vi siano contro il candidato obbiezioni di ordine politico. Il Dr. Becker affermò che la nomina, ad esempio, del Preposto del Capitolo di Treviri ha una ben altra importanza politica che non quella del Preposto di Bamberga. La questione non fu ulteriormente discussa.“ Pacelli an Gasparri vom 10. April 1926, ebd., Fol. 22r. Hervorhebung im Original. 330

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„unannehmbar“1254 und insistierte auf einer völligen Suffizienz von vollumfänglich in Rom abgeschlossenen Studien. Mit einem Treueid, den die Bischöfe nach Ansicht der preußischen Unterhändler ähnlich wie im Polenkonkordat von 1925 vor Amtsübernahme leisten sollten, konnte sich der Nuntius schon eher anfreunden.1255 Gasparri trug die vom Nuntius geschilderten Schwierigkeiten, die sich den neu initiierten Verhandlungen mit dem preußischen Staat entgegenstellten, und die ersten inhaltlichen Standpunkte dem Papst vor. Pius XI. wisse – so schrieb Gasparri am 1. Mai an die Berliner Nuntiatur – das von Pacelli investierte Engagement in dieser Angelegenheit sehr zu schätzen.1256 Grundsätzlich stimmte der Papst mit den Überlegungen Pacellis überein, so zum Beispiel mit der kategorischen Ablehnung, den gewünschten zweiseitigen Staatskirchenvertrag formal auf eine einseitige Zirkumskriptionsbulle oder einen bloßen Notenwechsel zu reduzieren. In anderen Bereichen, beispielsweise hinsichtlich der Vorbildung der Geistlichen oder des Treueids, hatten Ratti und Gasparri keine eigene Meinung und überließen sie Pacellis Urteil, wenngleich sie künftige konkrete Ergebnisse einer Prüfung unterziehen wollten. Anders sah es bei der Besetzung der Bischofsstühle aus. Der Pontifex und sein „Außenminister“ lehnten die preußischen Vorschläge kategorisch ab, grundsätzlich auch die Bischofswahl in der „reduzierten“ Form aus einer römischen Terna.1257 Der Grund dafür war allerdings kein innerer, nicht, dass der Modus mit ihren Vorstellungen völlig unverträglich gewesen wäre. Die Ablehnung war vielmehr bedingt durch eine Zusage, die Pacelli Ende 1923 im Kontext der bayerischen Konkordatsverhandlungen der dortigen Regierung geleistet hatte beziehungsweise auf römische Anweisung leisten musste: „Der Heilige Stuhl wird in neuen Vereinbarungen keinem Staat das Privileg der Bischofswahl durch die Kapitel in irgendeiner Form zugestehen. Beim Abschluss künftiger VerVgl.: „Il Dr.  Becker ammise quindi la necessità di chiarire questo punto, ma, essendomi io allora richiamato alle corrispondenti disposizioni del Concordato bavarese, si affacciò dal più volte nominato Direttore ministeriale Signor Trendelenburg, appoggiato dal Prof. Heyer, la pretesa, = cui si allude pure nel Promemoria, = che anche quegli alunni, i quali frequentano i Pontifici Istituti in Roma, debbano compiere una parte dei loro studi nelle scuole della Germania, pretesa che io qualificai come, a mio parere, inammissibile.“ Pacelli an Gasparri vom 10. April 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 24r-v. Vgl. auch Promemoria der preußischen Regierung ohne Datum, ebd., Fol. 30r. 1255 Vgl. Art. XII des Konkordats mit Polen von 1925, Mercati (Hg.), Concordati II, S. 33. Vgl. auch die kurze Skizze der Auffassung Pacellis zur Ämterbesetzung und Vorbildung der Geistlichen in den Sondierungsgesprächen bei Golombek, Vorgeschichte, S. 54f., 56. 1256 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 1. Mai 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 38r–39r. 1257 Vgl.: „Infine le proposte del Governo prussiano circa la provvista delle Sedi Vescovili non possono essere accettate, nemmeno nella forma ridotta di una terna da formarsi dalla Santa Sede e sulla quale il Capitolo eleggerebbe poi il Vescovo …“ Gasparri an Pacelli vom 1. Mai 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 38v–39r. 1254

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einbarungen wird der Heilige Stuhl nicht verfehlen, in diesem Punkt die Lage, in der sich Bayern im Vergleich zu den anderen Ländern des deutschen Reichs befindet, zu berücksichtigen.“1258

Dieses Versprechen belastete nun die preußischen Verhandlungen. Gasparri sah vor diesem Hintergrund keine Option, Preußen weiter entgegenzukommen als Bayern. Der Artikel 14 § 1 des Bayernkonkordats sprach dem Heiligen Stuhl das bischöfliche Nominationsrecht zu. Damit stand Pacelli vor einem Dilemma: Auf der einen Seite (Regierung, Episkopat, Domkapitel) formierte sich eine einhellige Front zugunsten des Kapitelswahlrechts, auf der anderen Seite verboten ihm der Frieden mit Bayern und die römischen Instruktionen, ein wie auch immer geartetes Wahlrecht zuzulassen. Diese Aporie musste umso schwerwiegender erscheinen, als Pacelli schon früher darauf hingewiesen hatte, „es nicht zu wagen“, das alte Privileg anzugreifen.1259 Diese Konstellation machte eine Einigung in dieser Frage nahezu unmöglich. Wie reagierte der Nuntius?

Bertrams überraschender Kurswechsel Darauf, wie Pacelli konkret reagierte, wird noch zurückzukommen sein. Für ihn unverhofft und unerwartet kam erst einmal Beistand vom Breslauer Fürstbischof.1260 Anlässlich einer Romreise legte Bertram am 15. Mai dem Papst eine neue Besetzungsvariante vor, mit der er plötzlich aus der Reihe der Verteidiger des Wahlrechts ausscherte. Im Sinn hatte er nun ein „hierarchisch geordnetes Stufenmodell“1261: „Es wird zweckmäßig sein, das Votum des Kapitels zu hören; die auswärtigen Bischöfe verfügen nicht über die notwendige Kenntnis der Charaktereigenschaften der Kandidaten anderer Diözesen wie auch der verschiedenartigen und bedeutsamen örtlichen Schwierigkeiten. Vielleicht ist es ratsam, dass das Kapitel dem Heiligen Stuhl mehrere Kandidaten vorschlägt. Die zwei episcopi viciniores sind dann zu hören sowohl betreffs deren Geeignetheit als auch

„La S. Sede in nuovi patti non accorderà ad alcun Stato in qualsiasi modo il privilegio dell’elezione capitolare. Nella conclusione di futuri accordi la S. Sede non mancherà di tenere conto, in questa materia, della posizione in cui verrebbe a trovarsi la Baviera in confronto degli altri paesi del Reich germanico.“ Gasparri an Pacelli vom 1. Mai 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 39r. Vgl. dazu Bd. 3, Kap. II.2.1 (Der endgültige Modus der bayerischen Bischofseinsetzungen). 1259 Vgl. Bd. 1, Exkurs II (Priesterausbildung versus Kapitelswahl: Pacellis Ansicht zum Modus der Bischofseinsetzung). 1260 Vgl. zum Folgenden auch Dambacher, Pacelli, S. 158–162; Ders., Verhältnis, S. 193–195. 1261 Dambacher, Pacelli, S. 159. 1258

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betreffs Vorschlag anderer etwa geeigneterer Kandidaten – unbeschadet der vollen Freiheit des Heiligen Stuhles, falls es nötig erscheint, die Stelle anders zu besetzen.“1262

Das Domkapitel des erledigten Bistums sollte also nur noch das Recht erhalten, eine Vorschlagsliste zu erstellen, die wiederum durch die Oberhirten zweier Nachbardiözesen beliebig überarbeitet oder umgestaltet werden konnte, bevor der Heilige Stuhl mit oder ohne Berücksichtigung dieser Vorschläge den neuen Diözesanbischof frei bestimmte. Da die ersten beiden Verfahrensstufen völlig unverbindlich waren, konzentrierte sich alle Macht und Entscheidungsbefugnis bei der Kurie. In erster Linie bedeutete dieses Modell eine Entmachtung der Domkapitel: Ihr Recht zur Letztentscheidung in der Wahl wurde zu einem vorläufigen Propositionsrecht degradiert, wobei die eigenen Kandidatenwünsche nach der bischöflichen „Läuterung“ womöglich noch nicht einmal in Rom ankamen. Diese Intervention Bertrams, mit der er „auch seinen Amtskollegen in den Rücken fiel“1263, wirft die Frage auf, wie es zu diesem Meinungsumschwung kam. Offensichtlich bewogen ihn Spannungen mit den Domherren zu diesem Schritt. Schon 1921 hatte Bertram den Angriff der Domkapitel auf die bischöflichen Befugnisse bei der Besetzung der Kanonikate moniert.1264 Auch jetzt trat er in Rom als Verfechter der Bischofsrechte auf. Gleichsam komplementär zum Modus der Bischofseinsetzungen legte er Pius XI. ein weiteres Dokument vor, mit dem Ziel, die von Gasparri am 14. Oktober 1919 provisorisch bestimmte Regelung zur Besetzung vakanter Kanonikate in Preußen – sämtliche Domherren wurden demnach vom Diözesanbischof frei ernannt1265 – in dauerhaftes Recht zu transformieren.1266 Er wiederholte das früher bereits angeführte Argumentationsmuster, „dass es dem Vgl.: „Electio Episcoporum. Opportunum erit, ut Capituli votum audiatur; episcopi exteri non habent sufficientem notitiam indolis candidatorum alienae dioecesio et difficultatem localium, quae sunt variissimae et graves. Forsan consultum est: ut Capitulum designet Sanctae Sedis plures candidatos, et viciniores duo episcopi deinde audiatur tam de eorum idoneitate quam ad proponendos candidatos forsan magis idoneos, salva plena libertate Sanctae Sedis providendi aliter, quatenus necesse videatur.“ Vorschlag Bertrams zur Bischofsstuhlbesetzung vom 15. Mai 1926, AA.EE.SS., Germania, 1922–1926, Pos. 514 P.O., Fasz. 25, Fol. 7r. Hervorhebung im Original. Deutsche Übersetzung zitiert nach ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 43r. 1263 Dambacher, Pacelli, S. 160f. 1264 Vgl. Bd. 1, Exkurs I (Episkopat gegen Domkapitel: die Grenzen der Allianz). 1265 Vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.1 (Kuriales Taktieren). 1266 Vgl.: „Die Bestellung der Kanoniker soll ausschließlich dem Bischof zustehen. In Deutschland obliegen den Kapitelsmitgliedern ausgedehnte Aufgaben verwaltungsrechtlicher und organisatorischer Art. Verantwortlich für die sachgemäße und schnelle Erledigung dieser Aufgaben ist ausschließlich der Diözesanbischof. Er muss daher auch darüber entscheiden können, wer für diese wichtigen Obliegenheiten geeignet ist. Da die Kapitel als solche die Last der Verantwortung weniger spüren, überwiegen nur zu oft die Gesichtspunkte persönlicher Freundschaft. Es wäre unwürdig, wenn der Bischof als Bittsteller an das Kapitel herantreten müsste, man möge die für ihn notwendige Persönlichkeit wählen.“ Vorschlag Bertrams zur Kanonikatsbesetzung vom 15. Mai 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 42r. Hervorhebung im Original. 1262

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Domkapitel aufgrund seines beschränkten Aufgabenhorizonts an nötigem Weitblick fehle, um eine verantwortliche Entscheidung dieser Tragweite treffen zu können“1267. Im Unterschied zu damals zog er jetzt den logischen Schluss, den er 1921 gemeinsam mit seinen Amtskollegen noch nicht ziehen wollte: Wenn die Domkapitel aufgrund ihrer Beschränktheit nicht in der Lage waren, sich mit tauglichen Personen selbst zu ergänzen, konnten sie noch viel weniger einen konvenienten Bischof wählen. Wie gelegen dieser Vorstoß des Breslauer Kardinals dem Nuntius kam, der sich noch kürzlich über den mangelnden Rückhalt der römischen Positionen beim preußischen Episkopat beklagt hatte, ist leicht zu erahnen. Gasparri übermittelte ihm beide Besetzungsmodi am 28. Mai und bat um eine Stellungnahme.1268 Drei Tage später verfasste der Nuntius seine erwartungsgemäß positive Antwort.1269 Das von Bertram vorgelegte Prozedere zur Einsetzung sowohl der Domherren als auch der Diözesanbischöfe hielt er für „per se völlig akzeptabel“1270. Er konstatierte sogar, dass Letzteres dem Heiligen Stuhl mehr Freiheit gewährte als das Reglement des bayerischen Kirchenvertrags, das die päpstliche Ernennung an die Vorschlagslisten von Episkopat und Domkapitel band. Aus dieser günstigen Entwicklung wollte Pacelli umgehend Kapital schlagen. Er machte Gasparri darauf aufmerksam, dass für die folgende Woche eine neue Konferenz im preußischen Kultusministerium angesetzt war und bat um die Autorisation, Bertrams Vorschlag zu dieser Gelegenheit vortragen zu können. Die Genugtuung, die Pacelli bei diesem Gedanken empfand, war unverkennbar: „Bis jetzt hat sich die preußische Regierung tatsächlich immer auf die Meinung des Episkopats berufen, welcher wahrlich, angefangen bei Kardinal Bertram, bis zur Gegenwart den Grundsatz der Erhaltung der Kapitelswahl der Bischöfe mit großer Zähigkeit verteidigt hat. Umso effektiver wäre es daher, meiner untergeordneten Meinung nach, wenn ich mich jetzt auf den neuen Entwurf der mehrmals genannten Eminenz berufen könnte.“1271

Dambacher, Pacelli, S. 160. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 28. Mai 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 41r. 1269 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 31. Mai 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 40r–41r. 1270 „… per sé del tutto accettabili …“ Pacelli an Gasparri vom 31. Mai 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 40r. 1271 „Finora, infatti, il Governo prussiano si era richiamato sempre all’opinione dell’Episcopato, il quale, in verità, a cominciare dal Sig. Cardinale Bertram, aveva difeso sino al presente con molta tenacia il principio del mantenimento della elezione capitolare dei Vescovi. Tanto più efficace riuscirebbe quindi, a mio subordinato avviso, se ora potessi riferirmi al nuovo progetto del più volte menzionato Eminentissimo.“ Pacelli an Gasparri vom 31. Mai 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 40v. 1267 1268

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Gasparri war einverstanden. Unter dem Datum des 6. Juni erreichte Pacelli telegraphisch die erhoffte Genehmigung.1272

Pacellis Verhandlungsstrategie und ein sich anbahnender Kompromiss Nachdem im März die Verhandlungspositionen abgesteckt worden waren, begann nach Dieter Golombek mit der Besprechung am Samstagmittag, dem 12. Juni, die „Phase der Sachgespräche“1273 zwischen dem Heiligen Stuhl und Preußen, die bis zum September 1928 andauerte. Diese Konferenz, mit den gleichen Teilnehmern wie bei den Märzgesprächen, empfand Pacelli als „außergewöhnlich schwer und bedrängend durch den zähen Widerstand, dem ich begegnet bin“1274, wie er in seiner Berichterstattung vom Folgetag gegenüber Gasparri bekannte. Der erste Punkt auf der Tagesordnung war die Besetzung der Bischofsstühle, bei der Pacelli sofort den vertraulichen Vorschlag Bertrams zur Sprache brachte. Dieser verfehlte seine Wirkung nicht: „Es ist schwer, die Überraschung zu beschreiben und, ich würde fast sagen, die Verblüffung, die er bei den preußischen Unterhändlern erzeugte, da die genannte Eminenz und generell der Episkopat bis jetzt durchgängig das Prinzip der Kapitelswahl verteidigt hatten.“1275 Als der erste Schock verdaut gewesen sei, habe Professor Heyer angemerkt, dass dieser Besetzungsmodus dem Heiligen Stuhl die völlige Freiheit überlasse und noch weiter gehe als die bayerische Regelung. Deshalb sei der Vorschlag inakzeptabel. Trendelenburg und Becker hätten diesem Urteil umgehend beigepflichtet. Der Kultusminister habe die Vermutung geäußert – so Pacelli –, dass Bertram den Vorschlag nicht qua Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz eingebracht habe, sondern als Privatperson. Dass nicht der gesamte Episkopat seine Ansicht geändert hatte, belegte Becker laut Pacellis Berichterstattung mit Kardinal Schulte, der nach wie vor das Wahlrecht der Domkapitel unterstützte. Er habe entgegnet – so Pacelli –, dass, falls die preußische Regierung den Entwurf Bertrams nicht in Erwägung ziehen wolle, er verpflichtet sei, darauf hinzuweisen, dass der Heilige Stuhl mit seinen Zugeständnissen in dieser Materie nicht weiter gehen könne als Bayern gegenüber. Das habe er der bayerischen Regierung seinerzeit verbindlich zugesichert.

Vgl. Gasparri an Pacelli vom 6. Juni 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 51r. Vgl. dazu Golombek, Vorgeschichte, S. 57–90, hier 57; zur Besetzung der bischöflichen Stühle S. 58–61. 1274 „… straordinariamente difficile e penosa per la tenace resistenza che incontrai …“ Pacelli an Gasparri vom 13. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 44r–47v, hier 44r. Als positive Ausnahme unter seinen Verhandlungspartnern bewertete Pacelli wie früher schon Aloys Lammers. 1275 „È difficile di descrivere la sorpresa e, direi quasi, lo sbalordimento, che essa produsse nei negoziatori prussiani, avendo il sullodato Eminentissimo, ed in generale l’Episcopato, difeso sinora costantemente il principio della elezione capitolare.“ Pacelli an Gasparri vom 13. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 44v. 1272 1273

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Mit diesem offenen Gegensatz war die Debatte über dieses Thema zunächst einmal beendet. Pacelli hatte gemäß der Anweisung Gasparris die im März von Regierungsseite vorgelegte Regelung der Kapitelswahl aus einer von der Kurie zu erstellenden Terna abgewiesen und mit Bertrams Vorschlag praktisch einen diametral entgegengesetzten Modus vorgelegt, der einer freien päpstlichen Nomination gleichkam. Da die Regierung natürlich nicht darauf einging, schien der status quo wiederhergestellt. Aber hatte Pacelli erwartet, dass der Entwurf Bertrams auf Zustimmung treffen könnte? Wohl kaum. Man wird annehmen müssen, dass es ihm vornehmlich darum ging, die Verhandlungsposition der preußischen Regierung zu schwächen, indem er aufzeigte, dass ihr Rückhalt nicht mehr so einmütig war, wie bislang angenommen. Dies konnte sich in der weiteren Debatte auszahlen und ein staatliches Entgegenkommen begünstigen. Insofern war der Bertram’sche Modus ein taktisches Instrument des Nuntius, das gewissermaßen als Negationsmasse für die Regierung fungieren sollte. Wenn er anschließend wieder auf die gemäßigtere bayerische Regelung zurückkam, stellte sich dies in der Dynamik der Verhandlungen sogar als Konzession des Heiligen Stuhls dar. Der bayerische Modus erschien folgerichtig als „gangbare[r] Mittelweg“1276 zwischen dem Kapitelswahlrecht der Regierung und der freien päpstlichen Nomination Bertrams. Diese Überlegung gewinnt an Plausibilität, wenn man beachtet, dass Pacelli zum Beispiel in der Schulfrage, die ebenfalls während dieser Sitzung diskutiert wurde, eine ähnliche Strategie verfolgte. Die direkte Frage Beckers, ob bei einer Exklusion dieser Materie der Konkordatsabschluss unmöglich sei, bejahte er laut Berichterstattung ohne zu Zögern und kündigte für diesen Fall die Applikation des ius commune an. Doch im Anschluss an diese prinzipielle Härte zeigte er wieder das Gesicht des Diplomaten: „… ich stellte außerdem fest, dass der Heilige Stuhl sich in seiner besonnenen Mäßigkeit der Schwierigkeit bewusst ist, in eine Vereinbarung mit Preußen alle Bestimmungen des Bayernkonkordats über die Schule einzubeziehen, dass man aber zwischen ihnen und gar keinen Bestimmungen einen Mittelweg finden kann.“1277

Auch hier war es wieder ein Mittelweg, den Pacelli beschreiten wollte, wobei er dieses Mal Bereitschaft signalisierte, über das Bayernkonkordat hinauszugehen. Da der Kultusminister jedoch erklärte, dass die Mehrheitsverhältnisse im preußischen Parlament eine erfolgreiche Aufnahme

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Dambacher, Pacelli, S. 161. Vgl. auch ders., Verhältnis, S. 194f. Johannes Dambacher kommt hinsichtlich Pacellis Taktik zum gleichen Schluss. Er verweist auch darauf, dass Pacelli Bertram bloßstellte, indem er dessen Entwurf offen darlegte. Noch im Oktober des Jahres hatte sich der Breslauer Kardinal gegenüber Trendelenburg als Befürworter des Wahlrechts geriert. Sein doppeltes Spiel wurde durch Pacelli nun entlarvt. „… rilevai pure che la S. Sede medesima nella Sua ragionevole moderazione si rende ben conto essere difficile di includere in una Convenzione colla Prussia tutte le disposizioni del Concordato bavarese sulla scuola, ma che tra queste e nulla si può ben trovare una via di mezzo.“ Pacelli an Gasparri vom 13. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 45v–46r. 336

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der Schulfrage in den Vertrag unwahrscheinlich machten, schien nicht einmal der Kompromiss in Reichweite.1278 Trotz wenig Zählbarem erntete Pacelli bei Gasparri Anerkennung für seine feste und zielstrebige Verhandlungsführung.1279 Schon bevor ihn diese postalische Aufmunterung erreichte, fand bereits am 15. Juni, drei Tage nach den ersten Gesprächen, die nächste Verhandlungsrunde statt. Am nachfolgenden Tag erstattete Pacelli seinem römischen Vorgesetzten erneut Bericht.1280 Dieses Mal hatte der Nuntius seinen vertrauten Berater Ludwig Kaas hinzugezogen, um mit seiner Hilfe in den Verhandlungen Fortschritte zu erzielen.1281 Die „schwere Frage“1282 der Bischofseinsetzungen war der einzige Verhandlungsgegenstand bei der mittäglichen Konferenz. Dabei zeigte sich, dass Pacellis drei Tage zuvor verfolgte Strategie nicht aufgegangen war. Sowohl Bertrams Vorschlag als auch der Modus des Artikels 14 § 1 des bayerischen Konkordats wurden abgelehnt, da die Regierung das Wahlrecht der Domkapitel unbedingt konservieren wollte. Der Nuntius verzichtete darauf, die Einwände der Regierungsvertreter in seiner Berichterstattung zu skizzieren, denen zufolge das staatliche Interesse zwar weniger auf das Wahlrecht als auf die politische Klausel gerichtet sei, ersteres aber dennoch das „Kernstück deutschen Partikularkirchenrechts“1283 bilde, gegen das Bedenken vom kanonischen Recht her nicht erhoben werden könnten.1284 Stattdessen beschränkte sich Pacelli auf den Hinweis, dass es ihm „nach langer Diskussion“1285 nicht möglich gewesen sei, eine der beiden wünschensEin Verzicht auf diese Thema kam für Pacelli aber nicht infrage: „Il Sig. Ministro soggiunse che avrebbe ancora una volta proposta al Gabinetto l’ardua questione, per constatare in tal guisa se valga la pena di continuare i negoziati. ‚Noi rischiamo, egli disse, di perdere il nostro tempoʻ. Io risposi freddamente: ‚È veroʻ.“ Pacelli an Gasparri vom 13. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 46r. 1279 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 23. Juni 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 60r. 1280 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 16. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 50r–52r. 1281 Wie früher schon stellte Pacelli die Vorzüge des Trierer Kanonikers heraus: „Invitai da mia parte ad assistervi anche il Revmo Mons. Prof. Ludovico Kaas, Prelato Domestico di S.S., Canonico della Cattedrale di Treviri e Deputato al Reichstag, già alunno del Collegio Germanico – Ungarico in Roma, ecclesiastico assai intelligente, colto e sicuro.“ Pacelli an Gasparri vom 16. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 50r. 1282 „… difficile questione …“ Pacelli an Gasparri vom 16. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925– 1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 50r. 1283 So lautete das Argument des Breslauer Professors Heyer. Golombek, Vorgeschichte, S. 59. 1284 Dieses limitierte die Besetzungspraxis nicht auf die päpstliche Nomination, insofern der Can. 329 § 3 die Möglichkeit definierte, die Bischofsbestellung einem Wahlgremium zu überlassen. 1285 „Dopo lungo dibattito …“ Pacelli an Gasparri vom 16. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925– 1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 50r. 1278

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wertesten Varianten durchzusetzen. Da er dies aber schon erwartet hatte, präsentierte er umgehend eine Alternative: „… ich machte den Vorschlag – als von mir persönlich und indem ich anmerkte, dass eine positive Annahme von Seiten des Heiligen Stuhls mehr als zweifelhaft ist –, über den ich mit Eurer Eminenz während meines kürzlichen Aufenthalts in Rom sprach und den Eure Eminenz mir erlaubte, ihnen bei Bedarf zu unterbreiten.“1286

Obwohl Pacelli in einem realistischen Blick auf die preußischen Verhältnisse, den er bereits häufiger gezeigt hatte, mit der negativen Antwort rechnete, versuchte er noch bis zur letzten Minute, die Maximalforderung des päpstlichen Nominationsrechts aufrecht zu erhalten. Nüchtern und vorausschauend hatte er sich jedoch einen Notfallplan zurechtgelegt, den er bezeichnenderweise nicht brieflich, sondern mündlich beim Kardinalstaatssekretär durchgesetzt hatte – wohl wissend, dass einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden musste. In der ersten Maihälfte war der Nuntius an die Apostelgräber gereist und hatte die Gelegenheit genutzt, um dieses Thema mit Gasparri zu erörtern.1287 Damit ist auch die oben aufgeworfene Frage beantwortet, wie Pacelli auf die aporetische Situation reagierte, dass er einerseits an der Front zugunsten des Kapitelswahlrechts nicht vorbeikam und andererseits die römische Instruktion auf dem Schreibtisch hatte, Preußen nicht weiter als Bayern entgegen zu kommen. Er griff auf das Mittel persönlicher Intervention zurück und setzte den Hebel interessanterweise nicht etwa in Berlin beziehungsweise Preußen an, sondern beim Heiligen Stuhl. Daraus ergibt sich bereits, dass Pacelli intendierte, nachzugeben, und dem entsprach zumindest formal der von ihm nun vorgebrachte Besetzungsmodus. Taktisch klug verkaufte er seine Nachgiebigkeit zunächst als Privatmeinung und mit dem ergänzenden Hinweis auf die unsichere Akzeptanz von römischer Seite als noch gewichtigere Konzession. Sein Vorschlag sei – so schilderte er dem Kardinalstaatssekretär – sofort auf die Zustimmung der preußischen Beamten gestoßen, sodass man unmittelbar eine Konkretisierung und Ausformulierung in deutscher und italienischer Sprache vorgenommen habe:

„… avanzai – come da me, ed osservando anzi esser più che dubbio un favorevole accoglimento da parte della S. Sede – la proposta, di cui feci parola a Vostra Eminenza Reverendissima durante il mio recente soggiorno in Roma e che la stessa Eminenza Vostra mi autorizzò a sottometterLe in caso di bisogno.“ Pacelli an Gasparri vom 16. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 50v. 1287 Bereits am 30. April schrieb Pacelli in Rom einen Bericht an Gasparri. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 30. April 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1922–1933, Pos. 523 P.O., Fasz. 33, Fol. 49r. Das bedeutet, dass Gasparris Weisung vom 1. Mai, die Pacelli verbot, Preußen weiter als Bayern entgegenzukommen, den Nuntius auch erst nach seiner Rückkehr in die Reichshauptstadt erreichte. Dieselbe kam jedoch notwendig zur Sprache, als beide Kirchenfürsten in Rom über dieses Thema konferierten. Spätestens am 12. Mai war Pacelli wieder in Berlin, wie ein von dort verschicktes Telegramm vom selben Tag belegt. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 12. Mai 1926 (Entwurf), ASV, ANB 2, Fasz. 2, Fol. 213r. 1286

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„Nach Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhles reichen sowohl das betreffende Kapitel wie auch die Bischöfe Preußens Listen von kanonisch geeigneten Kandidaten dem Apostolischen Stuhl ein. Der Apostolische Stuhl benennt dem Kapitel unter Würdigung dieser Listen – jedoch ohne auf sie beschränkt zu sein – drei Personen, nachdem er sich bei der preußischen Regierung vergewissert hat, dass gegen keine von ihnen Bedenken politischer Art bestehen. Das Kapitel wählt unter den ihm benannten drei Kandidaten in freier, geheimer Wahl den Bischof und sucht unverzüglich nach der Wahl ihre Bestätigung durch den Apostolischen Stuhl nach.“1288

Diese Regelung war eine Weiterentwicklung des dritten Modus, den die preußischen Unterhändler im März vorgeschlagen und Pacelli im April nach Rom übermittelt hatte. Insofern lag ihr auf den ersten Blick ein Kompromisscharakter zugrunde: Zum einen wurde den staatlichen Forderungen Genüge getan, indem das Wahlrecht der Domkapitel beibehalten und eine politische Klausel etabliert war.1289 Domherren und Bischöfe wurden entsprechend der staatlichen Vorlage mit einem Propositionsrecht von Kandidaten beteiligt. Genau an dieser Stelle allerdings modifizierte Pacelli den Modus, nämlich hinsichtlich des Verbindlichkeitsgrads dieser Vorschläge: Die alte Fassung band den Heiligen Stuhl fest an die Listen der Domkapitel und Bischöfe. Jetzt war diese Bindung nicht mehr gegeben, die Listen mussten lediglich „gewürdigt“ werden und konnten die Freiheit des Heiligen Stuhls in der Aufstellung der Kandidatentrias nicht „beschränken“. Erst dieses Faktum, das er übrigens als erheblichen Vorteil gegenüber der Regelung des bayerischen Konkordats beurteilte, machte den Modus für Pacelli annehmbar: „Der Heilige Stuhl ist tatsächlich nicht an die Listen der Bischöfe und der Kapitel gebunden, sondern kann auch Kandidaten von außerhalb derselben wählen. Das ist sehr wichtig, besonders angesichts der Tendenz, die hier ziemlich weit verbreitet ist, die Geistlichen auszuschließen, die ihre philosophisch-theologischen Studien in Rom abgeschlossen haben.“1290

Pacelli an Gasparri vom 16. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 50v–51r. Die italienische Fassung lautete: „Verificandosi la vacanza di una Sede arcivescovile o vescovile, il rispettivo Capitolo, come anche i Vescovi della Prussia, presentano alla Sede Apostolica liste di candidati canonicamente idonei. Questa, tenendo presenti tali liste, senza tuttavia essere vincolata alle medesime, designa al Capitolo tre persone, dopo di essersi assicurata presso il Governo, prussiano che contro nessuna di esse esistono obbiezioni di carattere politico. Tra i tre menzionati candidati il Capitolo elegge per votazione libera e segreta il Vescovo, e subito dopo domanda la conferma alla Santa Sede.“ Ebd., Fol. 51r–52v. Der deutsche Text ist abgedruckt bei Golombek, Vorgeschichte, S. 60. 1289 Für den staatlichen Wunsch nach einer politischen Klausel hatte Pacelli prinzipiell Verständnis. „Über die Fixierung einer politischen Klausel im Falle der Bischofsernennung wurde ohne Schwierigkeiten Einigkeit erzielt.“ Golombek, Vorgeschichte, S. 60. Hervorhebung im Original. Deshalb ging er in seiner Berichterstattung zunächst gar nicht weiter auf sie ein. 1290 „La S. Sede infatti non vi è legata alle liste dei Vescovi e dei Capitoli, ma può scegliere candidati anche al di fuori delle medesime. Ciò è di notevole importanza, specialmente data la tendenza, qui abbastanza 1288

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Unter dieser Prämisse konnte Pacelli sehr gut mit einer Kapitelswahl leben. Wenn der Heilige Stuhl die Freiheit besaß, dem entsprechenden Domkapitel drei Kandidaten vorzugeben, die den Kriterien nicht nur eines „guten“, sondern eines „sehr guten“ Oberhirten entsprachen – wie Pacelli die Kandidaten auf Basis ihrer theologischen Ausbildung beziehungsweise ihres Willens zur Reform der theologischen Lehranstalten differenzierte –, war es letztlich gleichgültig, ob der Papst einen solchen Bischof ernannte oder die Kapitel einen solchen – gezwungenermaßen – wählten. Was also formal ein Kompromiss war, war de facto die nahezu vollumfängliche Umsetzung dessen, was Pacelli hinsichtlich der Bestellung der Bischöfe sicherstellen wollte. Die päpstliche Freiheit barg aber auch eine Gefahr in sich: Wenn die Kurie gänzlich andere Kandidaten zur Wahl vorgab als diejenigen, die von den preußischen kirchlichen Stellen vorgeschlagen worden waren, musste das zwangsläufig Kritik und Missmut hervorrufen. Pacelli war sich des Risikos bewusst, wenn er dem Kardinalstaatssekretär im Folgenden Parameter für das Listenverfahren unterbreitete: „Es wäre für diesen Zweck notwendig, dass jeder Bischof dem Heiligen Stuhl die eigene Liste getrennt und sub secreto übermittelt, da es auf diese Weise für keinen möglich wäre, zu überprüfen, ob die Namen der Terna auf den verschiedenen Listen enthalten sind oder nicht“1291. Diese durchaus raffinierten Bestimmungen sollten also die theoretische Freiheit Roms in der Kandidatenwahl auch faktisch realisier- und durchsetzbar machen. Allerdings gab Pacelli zu, dass es gewiss möglich sei, drei Geistliche in Preußen zu finden, die „vollständig geeignet sind und in jeder Beziehung alle notwendigen Voraussetzungen bieten“1292. Gegen diese preußischen Geistlichen – so lässt sich der Gedanke fortführen – könnte die preußische Kirche keine ernsthaften Einwände vorbringen, selbst wenn sie nicht auf den Vorschlagslisten stehen sollten. Zunächst stellte sich jedoch die Frage, ob Papst und Kardinalstaatssekretär diese Besetzungsvariante akzeptierten, denn immerhin hatten beide die Konzession des Kapitelswahlrechts im Hinblick auf das Bayern geleistete Versprechen im Mai noch dezidiert abgelehnt. Eine negative Antwort müsse er – so Pacelli – sofort an die Regierung weitergeben. Eine positive Aufnahme jedoch wollte er aus taktischen Gründen noch zurückhalten bis zufriedenstellende Ergebnisse in den anderen schwierigen Verhandlungsgegenständen erzielt worden seien. Pacelli glaubte, es diffusa, di escludere gli ecclesiastici, i quali hanno compiuto i loro studi filosofico-teologici in Roma.“ Pacelli an Gasparri vom 16. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 52v. 1291 „Occorrerebbe anzi a tal uopo che ciascuno dei Vescovi inviasse separatamente e sub secreto alla S. Sede la propria lista, giacchè in questa guisa non riuscirebbe possibile ad alcuno di controllare, se i nomi della terna siano compresi nei vari elenchi oppur no.“ Pacelli an Gasparri vom 16. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 52v. Hervorhebung im Original. 1292 „… pienamente idonei e che offrano sotto ogni rispetto tutti i necessari requisiti.“ Pacelli an Gasparri vom 16. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 52v. 340

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sei zu diesem Zweck nützlich, „die preußischen Unterhändler in einem Zustand ängstlicher Unsicherheit über eine Materie zu halten, der sie offenkundig sehr großen Wert beimessen“1293.

Römische Modifikationen an Pacellis Kompromissmodus Bedenkt man, dass Pacelli zuvor persönlich in Rom für seine Kompromisslösung geworben hatte, überrascht es nicht, dass Pius XI. prinzipiell mit der vorgelegten Variante einverstanden war und Pacelli erlaubte, in dieser Richtung weiter zu verhandeln, wie Gasparri Ende Juni nach Berlin schrieb.1294 Der Pontifex verlangte jedoch eine Änderung: Er sei – so Gasparri – anders als der Nuntius nicht davon überzeugt, bei jeder Sedisvakanz drei preußische Kandidaten finden zu können, „über die der Heilige Stuhl völlig beruhigt bleiben kann“1295. Daher wünsche der Papst eine Änderung des Textes dahingehend, dass der Apostolische Stuhl dem Domkapitel „zwei oder drei Personen“1296 bezeichnen könne. Zwei den eigenen Maßgaben entsprechende Geistliche waren natürlich leichter zu finden als drei. Außerdem wurde das Wahlrecht der Kapitel durch diese Reduktion gleichzeitig weiter eingeschränkt. Eine zweite kritische Anmerkung legte der Kardinalstaatssekretär im eigenen Namen vor. Sie betraf den Ort des politischen Bedenkenrechts im Verfahrensverlauf. Schon Bertram hatte 1922 moniert, dass die Anfrage an die Regierung zwecks politischer Bedenken vor der eigentlichen Wahl zu Konflikten und staatlichen Agitationen führen könnte. Pacelli hatte diese Befürchtung damals nach Rom kommuniziert und ihr implizit zugestimmt.1297 Gasparri, der sich vielleicht daran erinnerte, trug nun dasselbe Argument vor. Es scheine ihm, „dass die Anfrage an die Regierung über zwei oder drei Namen nicht frei von Nachteilen ist, sowohl durch die Pressionen, die die Regierung auf die Mitglieder der Domkapitel hinsichtlich der Wahl ausüben könnte, als auch durch die Verzögerung, die sie in den Weg legen könnte, bevor sie die Genehmigung für die zwei oder drei Namen ausstellt; ganz zu schwei„… di mantenere i negoziatori prussiani in uno stato di ansiosa incertezza circa una materia, a cui evidentemente essi annettono un sì grande valore.“ Pacelli an Gasparri vom 16. Juni 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 52r. 1294 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 30. Juni 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 65rv. 1295 „… sui quali la Santa Sede possa rimanere completamente tranquilla.“ Gasparri an Pacelli vom 30. Juni 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 65r. 1296 Vgl.: „Quindi la stessa Santità Sua desidera che il testo progettato venga modificato nel seguente modo: ‚… Questa (la S. Sede) tenendo presenti tali liste, senza tuttavia essere vincolata alle medesime, designa al Capitolo due o tre personeʻ.“ Gasparri an Pacelli vom 30. Juni 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 65r. Hervorhebung im Original. 1297 Implizit war Pacellis Zustimmung, weil er einerseits selbst nicht auf das Thema zu sprechen kam, aber andererseits Bertrams Ausführungen als erschöpfend bezeichnete. Vgl. Bd. 1, Exkurs II. 1293

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gen von der Gefahr der Indiskretionen von Seiten der Regierungsbehörden im heikelsten Moment der Besetzung, der jener der Wahl ist“.1298

Diese Unannehmlichkeiten könnten allesamt vermieden werden, wenn die Anfrage an die Regierung erst nach der Wahl stattfinde, dann natürlich nur über die tatsächlich gewählte Person. Ein weiterer Vorteil bestand nach Gasparri darin, dass der Gewählte zu diesem Zeitpunkt bereits die Zustimmung des Kapitels besaß. Das war eine geschickte Überlegung, denn die Regierung musste sich bei einer eventuell ablehnenden Haltung dann nicht nur gegen Rom, sondern auch gegen das Domkapitel stellen. Bevor die neuen Instruktionen den Nuntius erreichten, hatte dieser bereits die preußischen Unterhändler am 22. beziehungsweise 25. Juni zu zwei weiteren Gesprächsrunden in der Berliner Nuntiatur empfangen.1299 Zwar stand hier nicht der Besetzungsmodus der Bischofsstühle auf der Agenda, sondern die Frage der Kanonikatsbesetzungen,1300 jedoch wurde in diesem Rahmen auch darüber debattiert, für welche geistlichen Ämter die „politische Klausel“ greifen „… che la richiesta fatta al Governo sopra due o tre nomi, non sia scevra di inconvenienti, tanto per le pressioni che il Governo stesso potrebbe esercitare sui membri del Capitolo, in vista della elezione, quanto anche pel ritardo che esso potrebbe frapporre prima di rilasciare il nulla osta su due o tre nomi; senza dire del pericolo di indiscrezioni da parte degli uffici governativi, nel momento più delicato della provvista, quale è quello della elezione.“ Gasparri an Pacelli vom 30. Juni 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 65v. Ohnehin hatte man hier schlechte Erfahrungen gemacht, wie ein früheres Beispiel zeigt, das die Reichs­regierung betraf: Pacelli hatte sich im Dezember 1921 ausgiebig über eine vermeintliche Indis­ kretion aufgeregt, als er am 10. des Monats einen Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ lesen konnte, der nach eigenen Angaben präzise Informationen aus dem von ihm am 15. November 1921 an Reichskanzler Wirth übergebenen Reichskonkordatsentwurf der Kurie wiedergab. Pacelli hatte sich unverzüglich beim diplomatischen Vertreter in Bayern, Graf Zech, beschwert und Gasparri auf die Möglichkeit verwiesen, Gleiches beim Vatikangesandten Bergen zu tun. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 15. Dezember 1921, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1920–1921, Pos. 1728, Fasz. 906, Fol. 32r–33r und die Antwort Gasparri an Pacelli vom 11. Januar 1922, ASV, ANB 90, Fasz. 1, Fol. 275r. 1299 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 11. Juli 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 55r–62r. 1300 Die Streitfrage lautete vor allem, ob die Domherren von den Bischöfen ernannt oder den jeweiligen Kapiteln gewählt werden sollten. Die Vertreter der preußischen Regierung präferierten aus einem einfachen Grund letztere Variante: „Il Governo, come disse apertamente il Prof. Heyer, ha a ciò interesse, perchè esso crede di poter più facilmente esercitare la propria influenza sopra un collegio composto di più membri, fra i quali vi sarà sempre l’uno o l’altro disposto a secondarlo, che non sull’unica persona del Vescovo.“ Pacelli an Gasparri vom 11. Juli 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 56r-v. Zunächst hatten sie freilich versucht, das bisherige Präsentationsrecht der Regierung zu erhalten, was Pacelli noch einmal davon überzeugte, dass „die sanfte Art nicht ausreicht, um die preußischen Sturköpfe zu überzeugen“ [„… le forme miti non valgono a convincere le dure teste dei prussiani …“ Ebd., Fol. 55v]. Mit Rekurs auf die durch die WRV verbürgten kirchlichen Freiheiten wies er – wie er berichtete – diese Forderung zurück. 1298

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sollte. Die Regierung beanspruchte das Bedenkenrecht nicht nur für die Diözesanbischöfe, sondern auch für Koadjutoren mit Nachfolgerecht, überhaupt sämtliche Ortsordinarien, wie etwa Apostolische Administratoren, was vor dem Hintergrund der eingangs bereits erwähnten Erfahrungen in der causa Tütz verstanden werden muss, und letztlich sogar für alle höheren Kirchenämter.1301 Einem Bedenkenrecht für Administratoren habe er – so Pacelli – entgegengehalten, dass dies der üblichen Praxis des Heiligen Stuhls widerspreche. Tatsächlich kannte der Nuntius aber einen Präzedenzfall, den er in den Verhandlungen natürlich nicht verriet: Eine Note des früheren Kardinalstaatssekretärs Rampolla vom 20. März 1890 konzedierte dem britisch besetzten Malta ein Einflussrecht auch für Administratoren und Koadjutoren mit Nachfolgerecht.1302 Deshalb bat Pacelli Gasparri zu prüfen, ob ein Entgegenkommen Roms in dieser Sache möglich sei: „Es würde tatsächlich die schon so schwierigen und unsicheren Verhandlungen beachtlich erleichtern; auf der anderen Seite, wenn der Heilige Stuhl daran interessiert ist, keine Geistlichen, die der staatlichen Autorität missfallen, für die Bischofsstühle zu wählen, um ihnen nicht die Möglichkeit zu nehmen, den pastoralen Dienst fruchtbar auszuüben, und ebendeshalb die Regierung vorbeugend befragt, scheint es, wenn ich mich nicht irre, dass dieser Grund – servata proportione – auch für die Apostolischen Administratoren gilt.“1303

Was die Wahl durch das Domkapitel anbelangte, zeigte sich Pacelli durchaus gesprächsbereit. Eine Übertragung der bayerischen Praxis, die laut Artikel 14 § 2 des Konkordats eine alternierende Besetzung der Kanonikate durch Bischof und Kapitel vorsah, hielt er für möglich. Allerdings führte er gegen das Kanonikerwahlrecht die Vorstellung des preußischen Episkopats ins Feld, der – wie früher bereits angesprochen – die geradlinige Anwendung des CIC (Can. 403) forderte. Pacelli übersandte Gasparri schließlich vier Besetzungsvorschläge, die er von Professor Heyer erhalten hatte. Sie lauteten: „1) nomina del Vescovo audito Capitulo, ed elezione del Capitolo con conferma del Vescovo; 2) nomina del Vescovo audito Capitulo, elezione del Capitolo con conferma del Vescovo, elezione del Capitolo fra gli ecclesiastici compresi in una lista di almeno tre candidati formata dal Vescovo; 3) per due volte nomina del Vescovo audito Capitulo, ed una volta elezione del Capitolo con conferma del Vescovo; 4) nomina del Vescovo audito Capitulo e de consensu Capituli. Le dignità rimarrebbero riservate alla S. Sede.“ Ebd., Fol. 57r. Angesichts des einstimmigen Willens der Bischöfe schloss sich Pacelli gegenüber dem Kardinalstaatssekretär ihrer Position, das ius commune zu praktizieren, an. Gasparri stimmte dieser Sicht ebenfalls zu und reklamierte die getreue Umsetzung des kirchlichen Gesetzbuches. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 27. Juli 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 3, Fol. 11rv. Vgl. zu dem Thema auch Golombek, Vorgeschichte, S. 61–64, die vier Vorschläge in deutscher Fassung S. 63. 1301 So wünschte die Regierung die Klausel hinsichtlich der Bestellung von Gefreiten Prälaten, Apostolischen Vikaren, Weihbischöfen, Generalvikaren, Äbten, Kapitularvikaren und allen Kapitelsdignitäten. Vgl. dazu auch Golombek, Vorgeschichte, S. 61. 1302 Vgl: „La quale pratica si estenderà ancora ai casi di nomine di Amministratori Apostolici e Coadiutori con futura successione.“ Note Rampollas an General John Lintorn Arabin Simmons vom 20. März 1890, abgedruckt bei Mercati (Hg.), Concordati I, S. 1074f., hier 1074. 1303 „Essa invero faciliterebbe notevolmente queste già così ardue ed incerte trattative; d’altra parte, se la S. Sede ha interesse di non eleggere alle Sedi vescovili ecclesiastici malvisti dalle Autorità civili, poichè 343

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Hier empfahl Pacelli also nachzugeben, ähnlich wie hinsichtlich der Koadjutoren, für die etwa das Polenkonkordat von 1925 ein Bedenkenrecht vorschrieb.1304 Die weitergehenden Ansprüche der Regierung lehnte er im Wesentlichen ab. Den erhofften Verhandlungsspielraum hinsichtlich der Administratoren erhielt der Nuntius jedoch nicht. Gasparri legte als Entscheidungskriterium das Bayernkonkordat an: „Ich habe dann die Frage der ‚politischen Klausel‘ einer näheren Prüfung unterzogen; und ich muss schließen, dass es diesbezüglich nicht möglich ist, einem mehrheitlich protestantischen Staat Befugnisse zu gewähren, die einem mehrheitlich katholischen Staat wie Bayern nicht gestattet wurden. Tatsächlich ist die ‚politische Klausel‘ im Bayernkonkordat … nur für die Besetzung der bischöflichen oder erzbischöflichen Stühle reserviert.“1305

Allenfalls könne man die Klausel wie im Polenkonkordat auf die Koadjutoren cum iure successionis ausdehnen. Mit dieser Argumentation widersprach der Kardinalstaatssekretär ausdrücklich seinem Schüler in Berlin, der zuvor die gewünschte Ausweitung der Klausel vor dem Hintergrund des bayerischen Staatskirchenvertrags als optional und opportun verteidigt hatte: Da Rom der bayerischen Regierung bei der Kanonikerbesetzung weiter entgegen gekommen war als es der derzeitige Stand für Preußen erwarten ließ – in Bayern durften die Domkapitel laut Art. 14 § 2 des Konkordats die Hälfte der Kanoniker selbst wählen,1306 während für Preußen sämtliche Kanonikate (die Dignitäten ausgenommen) via bischöfliche Ernennung besetzt werden sollten –, schien es Pacelli im Gegenzug möglich, der preußischen Regierung bei der „politischen Klausel“ weiter entgegen zu kommen als Bayern.1307

non riuscirebbe loro possibile di esercitare con frutto il ministero pastorale, e per ciò appunto interroga preventivamente il Governo, sembra, se non m’inganno, che tale ragione valga pure, servata proportione, per gli Amministratori Apostolici.“ Pacelli an Gasparri vom 11. Juli 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 58v. 1304 Vgl. Art. XI des Polenkonkordats von 1925, Mercati (Hg.), Concordati II, S. 33. 1305 „Ho fatto poi oggetto del più attento esame la questione della ‚clausola politicaʻ; e debbo concludere non essere possibile concedere, in proposito, ad uno Stato protestante maggiori prerogative che non siano state concesse ad uno Stato in grande maggioranza cattolico come è la Baviera. Infatti nel Concordato Bavarese … la ‚clausola politicaʻ è riservata sola alla provvista delle Sedi Vescovili o Arcivescovili …“ Gasparri an Pacelli vom 27. Juli 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 3, Fol. 11r-v. 1306 Vgl. Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche IV, S. 305. 1307 Vgl.: „Per ciò, poi, che concerne il confronto col Concordato bavarese, mi sia lecito di osservare umilmente come esso accolse per intiero riguardo alla provvista dei canonicati il sistema dell’alternativa fra Vescovo e Capitolo, richiesto dal Governo colla Nota del Ministro del Culto Dr. Matt in data del 30 Marzo 1922. Una eguale concessione invece, secondo che si è più sopra accennato, non verrà fatta con ogni verisimiglianza al Governo prussiano in seguito all’attitudine dell’Episcopato. Non sarebbe quindi, se non erro, contrario alla equità, se la Prussia avesse in altri punti qualche vantaggio non accordato (e, 344

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Eine „einzige Front“: das Ende der Differenzen zwischen Nuntius und Episkopat? Bevor Pacelli wieder an den Verhandlungstisch zurückkehrte, reiste er Ende Juni ins Rheinland, um auf Wunsch Kardinal Schultes die Bonner Theologenkonvikte, das Albertinum und das Leoninum, zu besuchen.1308 Laut seiner anschließenden Berichterstattung schärfte er den dort Lernenden ein, was er Gasparri gegenüber wiederholt als Signum eines idealen Oberhirten gekennzeichnet hatte, „das Studium der scholastischen Philosophie und Theologie im Geist des Doctor Angelicus.“1309 Wenn man sich erinnert, dass der Nuntius 1922 den Bonner Theologen Arnold Rademacher als negatives Paradigma herangezogen hatte, um den Zustand der deutschen Theologie und ihre Reformbedürftigkeit durch den Episkopat zu illustrieren, passte die Visite Pacellis haargenau in den Kontext der Konkordatsverhandlungen.1310 Dementsprechend nutzte der Nuntius das Zusammentreffen mit Schulte auch, um deren derzeitigen Stand zu besprechen, zumal der Kölner Erzbischof den preußischen Unterhändlern regelmäßig zur Bekräftigung ihrer Position – etwa des Kapitelswahlrechts – diente. Nach Pacelli kristallisierte sich nun heraus, dass dies von staatlicher Seite nur reine Strategie war und keinerlei Realitätsgehalt besaß. Im Gegenteil stimme Schulte mit seiner eigenen Sicht auf die Verhandlungsmaterie völlig überein.1311 Da der Erzbischof sehr gut wisse, wie die Regierung versuche, die unterschiedlichen kirchlichen Parteien  –  Nuntius, Bischöfe, Domkapitel, theologische Fakultäten  –  gegeneinander auszuspielen, wünsche er eine vertrauliche Instruktion des Heiligen Stuhls an den Episkopat, die ein für allemal klarstelle, dass die Verhandlungen über die Beziehung von Kirche und Staat einzig dem Heiligen Stuhl vorbehalten seien.1312 Pacelli lieferte Gasparri sofort einen Entwurf für dieses Schreiben, den

del resto, nemmeno a suo tempo preteso) dalla Baviera.“ Pacelli an Gasparri vom 11. Juli 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 61v–62r. Vgl. zum Stand der preußischen Kanonikatsbesetzung Bd. 1, Kap. II.1.5 Anm. 1300. 1308 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 11. Juli 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 71r–72v. Vgl. zur dortigen Katholisch-Theologischen Fakultät Gatz, Fakultät (mit weiterer Literatur). 1309 „… lo studio della filosofia e teologia scolastica secondo la mente dell’Angelico Dottore.“ Pacelli an Gasparri vom 11. Juli 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 71v. 1310 Vgl. zu Pacellis Sicht auf die Bonner Fakultät auch Bd. 2, Kap. II.1.17 Anm. 1566. 1311 Vgl.: „Godo di poter comunicare a Vostra Eminenza che dal lungo colloquio avuto a tale scopo risultò una piena identità di vedute su tutti i punti. L’Eminentissimo anzi, ben sapendo come il Ministero del Culto cerca di seminar discordia e di mettere in opposizione il Nunzio coi Vescovi, i Vescovi fra di loro, i Capitoli e le Facoltà teologiche coi Vescovi, ecc. …“ Pacelli an Gasparri vom 11. Juli 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 71v. 1312 Der Episkopat müsse eine einheitliche Richtung zum erfolgreichen Vertragsabschluss vertreten, könne allerdings über den Nuntius oder direkt an die Kurie adressiert, eigene Vorschläge unterbreiten. Pacelli rekurrierte dabei auf den Can. 220 CIC 1917 und die kuriale Instruktion vom 18. August 1925, die 345

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der Kardinalstaatssekretär aufgriff und am 23. Juli offiziell an Bertram übermittelte.1313 Dieser sollte die Instruktion wiederum auf der nächsten Bischofskonferenz zur Sprache bringen. Dadurch konzentrierte sich die Verhandlungsführung endgültig exklusiv beim Nuntius, der allerdings auf die Rücksprache mit den Bischöfen nicht verzichten konnte. Bereits am 6. Juli hatte der Breslauer Kardinal den Nuntius anlässlich der bevorstehenden Sommerkonferenz in Fulda um eine Besprechung über den Verhandlungsstand gebeten. Bertram suchte Pacelli daraufhin am 2. August in der Nuntiatur auf. Die Konversation drehte sich um alle wesentlichen Verhandlungsgegenstände, wie der Nuntius Gasparri zwei Tage später mitteilte.1314 Während er in seiner Berichterstattung nicht weiter ins Detail ging, zeigen Bertrams Notizen, dass Pacellis Angaben nicht nur den tatsächlichen Verhandlungsstand widerspiegelten, sondern bereits die Änderungen berücksichtigten, die Papst und Staatssekretär angemahnt hatten.1315 Dementsprechend deckte sich der besprochene Modus der Bistumsbesetzung weitestgehend mit der Kompromissformel vom 15.  Juni, stellte jedoch auch die Möglichkeit heraus, dass der Heilige Stuhl dem Kapitel statt einer Terna nur eine Zweierliste zur Wahl vorlegte. Außerdem platzierte er das politische Bedenkenrecht, das der Nuntius höchstens für die Diözesanbischöfe und die Koadjutoren mit dem Recht der Nachfolge, allenfalls noch für die Apostolischen Administratoren zugestehen wollte, im Anschluss an den Wahlakt. Einen Treueid der Bischöfe hielt er schließlich für „entbehrlich und als Ausnahmeforderung nicht genügend begründet“1316. Zufrieden konstatierte er abschließend, dass Bertram ihm in sämtlichen Punkten völlig beigepflichtet habe – sein Kursfür Italien ebenfalls die Verhandlungszuständigkeit auf das Staatssekretariat eingrenzte. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 11. Juli 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 72r-v. 1313 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 23. Juli 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 4, Fol. 76r; Gasparri an Bertram vom 23. Juli 1926, mit deutscher Übersetzung abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 2, S. 742f. (Nr. 372). Vgl. auch Dambacher, Verhältnis, S. 187. 1314 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 4. August 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 76rv. 1315 Vgl. Gesprächsnotizen Bertrams vom 2. August 1926, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 2, S. 744f. (Nr. 373). 1316 Gesprächsnotizen Bertrams vom 2. August 1926, Hürten (Bearb.), Akten 2, S. 744. Die weiteren diskutierten Themen waren die Kanonikereinsetzung, die Pacelli durch bischöfliche Ernennung alternierend audito capitulo und de consensu capituli wünschte, während die Besetzung der Dignitäten dem Heiligen Stuhl vorbehalten blieb; die Pfarrämter; die Schulfrage, wo Pacelli zumindest eine „grundsätzliche Sicherung der religiösen Bildung und Erziehung der Jugend und aller damit zusammenhängenden Erfordernisse (auch missio canonica)“ (ebd., S. 744) verlangte; die Theologischen Fakultäten, bei denen der Nuntius das bischöfliche Einspruchs- und Mitwirkungsrecht bei der Aufstellung der Kandidatenlisten für die Lehrstühle sichergestellt sehen wollte; die Vorbildung der Geistlichen, die analog zum bayerischen Konkordat geregelt werden sollte; die festzuhaltenden und an den Realwert anzupassenden Dotationen; die Zirkumskription der Bistümer und schließlich die Freiheit der Orden und Kongregationen. 346

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wechsel beim Bischofswahlrecht war also vom Tisch. Auch die neu betonte exklusive Verhandlungsvollmacht des Heiligen Stuhls erkannte Bertram laut Pacelli an.1317 Um die Unterstützung des gesamten preußischen Episkopats zu sichern, habe Bertram vorgeschlagen, auf der bevorstehenden Fuldaer Konferenz einen einheitlichen Standpunkt zu erwirken. So sollte nach Pacellis Vorstellung „eine einzige Front gegenüber den Forderungen des Kultusministeriums“1318 gebildet werden und es den staatlichen Stellen nicht mehr möglich sein, einen Keil zwischen Nuntius und Episkopat zu treiben. Die Hoffnung Pacellis, den Episkopat hinter sich zu einen, schien aufzugehen: Da sie ihr Hauptziel erreicht hatten – die Wahrung des Kapitelswahlrechts – überrascht es letztlich nicht, dass die vom 10. bis 12. August in Fulda versammelten Bischöfe dem von Pacelli vorgelegten Vorschlag zur Besetzung der Bischofsstühle unumwunden zustimmten.1319 Am 11. respektive 15. August unterbreiteten Schulte und Bertram dem Nuntius weitergehende Überlegungen, in welcher Form die Kandidatenlisten angefertigt werden könnten, die dem Heiligen Stuhl als Vorlage für die Terna dienen sollten. Die preußischen Bischöfe hatten sich demnach insbesondere über den Verfahrensteil Gedanken gemacht, an dem sie unmittelbar beteiligt waren. Diese Ideen referierte Pacelli dem Kardinalstaatssekretär am 25. des Monats und zeigte sich dabei hocherfreut über die einmütige Akzeptanz der Instruktion Gasparris und die Absicht der Bischöfe, „den Repräsentanten des Heiligen Stuhls in den aktuellen Verhandlungen zu unterstützen“1320. Der Kölner Kardinal habe ihm gegenüber – so Pacelli – den Wunsch Bertrams zur Sprache gebracht, dass gelegentlich einer Sedisvakanz nicht alle Bischöfe Preußens dem Heiligen Stuhl ihre

Vgl.: „Sono lieto di comunicare all’Eminenza Vostra Reverendissima che la nostra conversazione sui diversi argomenti, i quali formano oggetto dei negoziati, condusse ad una, posso quasi dire piena conformità di vedute.“ Pacelli an Gasparri vom 4. August 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 76r-v. 1318 „… un fronte unico contro le pretese del Ministero del Culto …“ Pacelli an Gasparri vom 4. August 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 76v. 1319 Das Protokoll der Konferenz gibt darüber keinen Aufschluss, weil diese Angelegenheit – wie die gesamte, die Konkordatsverhandlungen betreffende Materie – auf Anweisung Pacellis sub secreto pontificio diskutiert wurde. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 4. August 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 76v. Deshalb stand auf der Tagesordnung am Dienstagnachmittag, dem 10. August, nur die allgemeine Kennzeichnung: „6. In einer Sonderberatung der Bischöfe Preußens werden besondere, das preußische Konkordat betreffende Angelegenheiten gemeinsam besprochen.“ Protokoll der Fuldaer Bischofskonferenz vom 10.–12. August 1926, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 2, S. 745–758 (Nr. 374), hier 749. 1320 „… di appoggiare il Rappresentante della S. Sede nelle attuali trattative.“ Pacelli an Gasparri vom 25. August 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 78r–81r, hier 78v. 1317

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Kandidatenvorschläge präsentieren sollten, sondern nur die „Nachbarbischöfe“1321 oder jene, die zur selben Kirchenprovinz gehörten. Der Grund: Die entfernteren Oberhirten seien nicht in der Lage, die präzisen Umstände der vakanten Diözesen richtig einzuschätzen, und daher ebenso wenig, angemessene Personen für die Nachfolge des verstorbenen Bischofs zu benennen. Dieses Argument, dem sich offenbar nicht nur Schulte, sondern der gesamte Episkopat angeschlossen hatte, ist auf den ersten Blick etwas verwirrend: Weniger Listen würden zwar jeweils für sich genommen ein verstärktes Gewicht erhalten, aber trotzdem schränkten die Bischöfe ihre Befugnisse selbst ein, da bei jeder Vakanz immer nur ein kleiner Teil der Ordinarien ein Propositionsrecht ausüben sollte. Worauf zielten diese Überlegungen? Zum einen konnte diese Reduktion der Vorschläge transparenter machen, ob der Heilige Stuhl tatsächlich die Personenwünsche des preußischen Episkopats bei der Aufstellung der Terna berücksichtigte. Genau dies wollte Pacelli vermeiden. Zum anderen entwickelte sich das Argument gleichsam von selbst weiter: Wenn schon die entfernteren preußischen Bischöfe die circumstantiae der vakanten Diözese nicht richtig bemessen und keine adäquaten Kandidaten aufstellen konnten, wie sollte dann erst der Heilige Stuhl dazu in der Lage sein? War das Ganze vielleicht vor allem eine indirekte Aufforderung an die römische Zentrale, die aus der preußischen Partikularkirche kommenden Kandidatenvorschläge nicht nur formaliter, sondern realiter zu „würdigen“, weil diese per se passender sein mussten als alle, die das weit entfernte Rom aufbringen konnte? Im Folgenden referierte Pacelli, wie Schulte sich das eingegrenzte episkopale Propositionsrecht im Einzelnen vorstellte. Der Kölner Kardinal schlug ein Verfahren vor, dass es Rom erschweren würde, den Inhalt der Kandidatenlisten zu verschleiern und die Bischöfe gegeneinander auszuspielen: Bei der Vakanz einer Diözese der Niederrheinischen Kirchenprovinz plus Osnabrück und Hildesheim sollten sich die Diözesanbischöfe dieser Provinz versammeln und zwar „geheim und ohne Feierlichkeit, um gemeinschaftlich die dem Heiligen Stuhl vorzuschlagenden Kandidaten zu bezeichnen“1322. Für die Sedisvakanz einer Diözese der Oberrheinischen Provinz kamen nur Fulda und Limburg infrage. Da allerdings in Preußen gelegene Gebiete der Hohenzollern dem Freiburger Erzbistum angehörten,1323 sollte sich der Freiburger Erzbischof mit dem Limburger oder Fuldaer Bischof (je nachdem welches dieser beiden Bistümer vakant geworden war) beraten und gemeinsam eine Kandidatenliste anfertigen. Ein ähnlicher Zusammenschluss der Ortsordinarien hielt Schulte nach Pacellis Darstellung auch für die östlichen Bistümer ratsam, wenngleich es dort „… i vicini …“ Pacelli an Gasparri vom 25. August 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 78v. 1322 „… segretamente e senza solennità per designare in comune i candidati da proporre alla S. Sede.“ Pacelli an Gasparri vom 25. August 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 79r. 1323 Es handelte sich um die Fürstentümer Sigmaringen und Hechingen, die 1849 dem preußischen Staat einverleibt wurden. Vgl. Braun/​Burkard/​Schmider, Erzbistum Freiburg, S. 269. 1321

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keine eigentliche Kirchenprovinz gab. Die Kandidatenlisten sollten also jeweils aus gemeinsamen Beratungen hervorgehen, ein Prozedere, das Schulte dem von Pacelli präferierten getrennten Votum der einzelnen Bischöfe eindeutig vorzog.1324 Außerdem sollte es den Bischöfen nicht freigestellt werden, ob sie dem Heiligen Stuhl Vorschläge machten oder nicht. Schulte habe die Befürchtung geäußert, dass sich andernfalls einige ihrer Verantwortung entziehen könnten und somit der Zweck des bischöflichen Vorschlagsrechts nicht erfüllt werde. Vermutlich fürchtete er, dass viele Bischöfe von der Sinnhaftigkeit ihres unverbindlichen Vorschlagsrechts nicht überzeugt waren und daher freiwillig davon Abstand nehmen könnten. Bertram summierte am 15. August für Pacelli noch einmal die Stellungnahmen der Bischofskonferenz zu den einzelnen Verhandlungspunkten und konstatierte – wie schon erwähnt – das Einverständnis hinsichtlich der Bischofswahl.1325 Anlässlich des 65. Katholikentags weilte Pacelli vom 22. bis 24. August in Breslau und besprach mit Bertram zu diesem Anlass die Konkordatsmaterie noch einmal mündlich.1326 Auf seine Nachfrage, wer mit den „Nachbarbischöfen“ gemeint sei, auf die nach der Schilderung Schultes das Propositionsrecht beschränkt werden sollte, empfahl Bertram, diesen Terminus nicht weiter zu konkretisieren, lieber allgemein von „episcopi viciniores“ zu sprechen und auch keine Vorgaben zu machen, wie diese ihre Listen zu präsentieren hätten. Dadurch bliebe der Heilige Stuhl – so Bertram – in jedem konkreten Besetzungsfall völlig frei, die Modalitäten zu bestimmen. Ging es Bertram hier tatsächlich um die Freiheit des Heiligen Stuhls? Ohne Vorgaben, wie die Listen in concreto aufzustellen waren, wären zunächst einmal die Bischöfe frei, nämlich die von Pacelli abgelehnte Transparenz hinsichtlich des Verhältnisses von bischöflichen Vorschlagslisten und römischer Terna herzustellen. Genau das hatte ja auch das von Schulte skizzierte Verfahren zur Folge. Die von Bertram als Begründung angegebene Freiheit des Heiligen Stuhls, in jedem Einzelfall dem Listenverfahren einen einzuhaltenden Rahmen zu geben, mutet zu aufwendig und schwerfällig an, um opportun und anwendbar zu sein. Vielleicht hoffte er, dass sich bei fehlender Vorschrift ein modus vivendi etablieren würde, der letztlich von den BiVgl.: „Un siffatto modo di partecipazione degli Ordinari nelle elezioni vescovili (prosegue l’Emo Arcivescovo di Colonia) sembrami di gran lunga preferibile alla proposta di candidati da parte dei singoli separatamente.“ Pacelli an Gasparri vom 25. August 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 79r. 1325 Vgl. Bertram an Pacelli vom 15. August 1926, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 2, S.  758–760 (Nr. 375). Ergänzend regte er an, nur die wirklichen Kanoniker, nicht aber die Ehrenkanoniker, als vorschlags- und wahlberechtigt zuzulassen. 1326 Vgl. zum Katholikentag: Die Reden gehalten in den öffentlichen und geschlossenen Versammlungen der 65. General-Versammlung der Katholiken Deutschlands zu Breslau; Pacelli an Gasparri vom 25. August 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1932, Pos. 559 P.O., Fasz. 76, Fol. 72r–75v. Thema war außerdem die schwebende Besetzung des Bistums Rottenburg. Vgl. Bd. 3, Kap. II.3.3 (Die Suche nach passenden Bischofskandidaten). 1324

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schöfen selbst diktiert wurde. In Fortführung dieser Überlegungen drängt sich die Vermutung auf, dass Bertram mit dem Argument der Freiheit des Heiligen Stuhls eigentlich das Gegenteil bezweckte. Insofern war die „gemeinsame Front“ nicht so einheitlich, wie es auf dem ersten Blick schien. Pacelli jedenfalls kommentierte die Vorschläge der Bischöfe in seinem Bericht für Gasparri nicht. Er hatte sich schon früher zu den „antirömischen“ Tendenzen geäußert. Außerdem schien er zunächst einmal damit zufrieden zu sein, die Bischöfe prinzipiell in der Frage des Besetzungsmodus und hier vermutlich besonders hinsichtlich des Fehlens der römischen Listenbindung hinter sich zu wissen. Was schließlich die „politische Klausel“ bei Bestellung der Diözesanbischöfe und Einsetzung der Koadjutoren cum iure successionis anbelangte, konnte Pacelli nach Rom melden, dass sich die preußischen Oberhirten ebenfalls einverstanden erklärten.1327 Hinsichtlich ihrer Anwendung auf die Apostolischen Administratoren hätten die Bischöfe zwischen dauerhaften Administratoren und denen, die ad nutum Sanctae Sedis eingesetzt würden,1328 unterschieden; für die letztgenannten, zeitlich begrenzten ein Bedenkenrecht abgelehnt, für die erstgenannten als möglich deklariert. Virulent war diese Frage nicht wegen der Tützer Administratur, sondern insbesondere deshalb, weil Pacelli zu diesem Zeitpunkt davon ausging, dass im wichtigen Berlin ebenfalls ein solcher Jurisdiktionsbezirk errichtet werden könnte, wenn eine ordentliche Bistumsgründung am preußischen Widerstand scheitern sollte.1329 Er nutzte die Gelegenheit, um Gasparris kurz zuvor vor dem Hintergrund des Bayernkonkordats geäußerten Bedenken gegen die Ausweitung der Klausel auf dieses Amt zu widersprechen: Erstens gebe es in Bayern keine Apostolische Administratur – Konflikte bei unterschiedlichen Regelungen schienen deshalb a priori ausgeschlossen. Zweitens habe die dortige Regierung – folgerichtig – nicht um eine solche Konzession für Bayern gebeten. Drittens nahm Pacelli das oben geäußerte Argument wieder auf und konstatierte, dass die bayerische Regierung in der Frage der Kanonikatsbesetzung mehr als die preußische erreicht habe: „… man hätte so eine gewisse Kompensation, falls der Heilige Vater bereit ist, dem letztgenannten Staat [sc. Preußen, R.H.] – obwohl mit mehrheitlich protestantischer Bevölkerung – zuzugestehen, was schon die englische Regierung in der Vereinbarung vom 20. März 1890 erzielte.“1330 Legte man die Situation der katholischen Kirche in England zugrunde, griff Gasparris Argument, ein protestantischer Staat verdiene das in Rede

Vgl. Pacelli an Gasparri vom 25. August 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 80v–81r. 1328 Vgl. zu den Apostolischen Administratoren Bd. 1, Kap. II.1.4 Anm. 1046. 1329 Vgl. zur Diskussion um die Errichtung des Bistums Berlin Höhle, Gründung. 1330 „… si avrebbe così un certo compenso, qualora il S. Padre si degnasse di accordare a quest’ultimo Stato, sebbene con popolazione in maggioranza protestante, quanto ottenne già il Governo inglese nella Convenzione del 20 Marzo 1890.“ Pacelli an Gasparri vom 25. August 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 81r. 1327

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stehende Entgegenkommen nicht, keineswegs. Nach dieser geschickten Argumentation legte Pacelli dem Kardinalstaatssekretär „diesen Punkt erneut zur wohlwollenden Abwägung“1331 vor. Gasparri nahm erst Anfang November zu diesen Fragen Stellung.1332 Hinsichtlich des letztgenannten Punkts zeigte er Verständnis, sowohl für die Meinung der Bischöfe als auch für Pacellis Argumentation. Allerdings wies er darauf hin, dass der Heilige Stuhl in der Zeit seit dem angeführten Präzedenzfall von 1890 eine staatliche Mitsprache bei Administratoreinsetzungen nicht mehr als berechtigt ansehe. Außerdem würden andere Staaten ähnliche Forderungen stellen, wenn Rom eine solche Konzession für Preußen erteile. Um der Problematik aus dem Weg zu gehen, schlug er vor, für den Berliner Administrator einfach einen anderen Namen zu wählen, etwa „Governatore Ecclesiastico“1333. Ein prinzipielles Plazet erhielt Pacelli also noch immer nicht. Was dachte Gasparri schließlich über die Vorschläge des Episkopats zum Listenverfahren? Die Idee Bertrams, lediglich die „Nachbarbischöfe“ eine Kandidatenliste vorlegen zu lassen, hielt er nicht für sinnvoll. Stattdessen stellte er die Vorzüge einer Außensicht auf die vakante Diözese heraus: Die entfernteren Bischöfe seien oftmals „besser informiert und unvoreingenommener in ihrem Urteil über Dinge und Personen“1334 als die unmittelbar beteiligten. Damit verteidigte er implizit auch die noch entferntere römische Perspektive. Gasparri kündigte jedoch an, diese Frage in der AES diskutieren zu lassen, sobald ein erster Konkordatsentwurf vorliege.

Die Vorbildung des Klerus und die Theologischen Fakultäten als Flanken der Bischofseinsetzungen In der Folgezeit verhandelte Pacelli weiter mit den Vertretern der preußischen Regierung über die verschiedenen staatskirchlichen Materien. Die Frage der Besetzung der bischöflichen Stühle, die zu Beginn diskutiert worden war, stellte er gemäß seiner Ankündigung zunächst zurück. Die von Pius XI. und Gasparri geforderten Modifikationen der „Kompromissformel“ brachte er noch nicht zur Sprache, weil dies eine grundsätzliche Anerkennung des Besetzungsmodus bedeutet hätte, die er aus strategischen Gründen hinauszögern wollte, bis handfeste Ergebnisse in den übrigen Themen erzielt waren. Am 27. und 30. August 1926 wurde über die Vorbildung des Vgl.: „Mi permetto quindi di sottoporre nuovamente questo punto alla benevola considerazione dell’Eminenza Vostra …“ Pacelli an Gasparri vom 25. August 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 81r. 1332 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 4. November 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 3, Fol. 41r–42v. 1333 Gasparri an Pacelli vom 4. November 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 3, Fol. 42r. 1334 „… i meglio informati, e più spassionati nel dare il loro giudizio sopra cose e persone.“ Gasparri an Pacelli vom 4. November 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 3, Fol. 41r-v. 1331

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Klerus und die Theologischen Fakultäten debattiert, was das Thema der Bischofseinsetzungen jeweils indirekt mitbetraf.1335 Denn was würde es aus römischer Sicht helfen, wenn der Heilige Stuhl zwar eine weitreichende Freiheit in der Besetzungspraxis der Bischofssitze erreichte, jedoch aus die Vorbildung betreffenden Rahmenbedingungen keine idealen Kandidaten nominieren durfte? Die Freiheit wäre wertlos. Oder was würde es bringen, wenn Rom zwar idealen Kandidaten zur Mitra verhelfen konnte, diese jedoch anschließend – etwa hinsichtlich der Theologischen Fakultäten – nicht umsetzen konnten, wofür sie vorrangig investiert worden waren? Das Bischofsideal bliebe ohne reale Auswirkung. Konkret: Wenn, wie Pacelli meinte, insbesondere jene Geistliche für die nötigen theologischen Reformen Verständnis aufbrachten, die selbst an entsprechenden Lehranstalten die korrekte römisch-scholastische Philosophie und Theologie studiert hatten, dann musste das Studium an diesen vorbildlichen Lehranstalten als rechtlich gültige Vorbedingung für die Übernahme des Bischofsamts anerkannt werden. In seiner Berichterstattung hielt Pacelli fest, dass die Regierung unbedingt an Vorschriften zur Vorbildung festhalten wolle, da sie ihre politische Einflussnahme bereits in anderen Bereichen – etwa der Besetzung der Bischofsstühle – herunterschraube.1336 Sie wolle erreichen, dass die Ausbildung der Geistlichen „streng national bleibt gegen die ‚ultramontanen‘ und ‚romanisierenden‘ Tendenzen“1337. Deshalb müssten die Alumnen zumindest einen Teil ihrer Ausbildung in deutschen Instituten absolvieren. Mit der Hilfe seines Vertrauten Kaas wandte sich Pacelli gegen diese Forderung und trat „kompromißlos“1338 dafür ein, dass die päpstlichen Hochschulen in Rom den deutschen Hochschulen gleichgestellt wurden. Der Zentrumsprälat habe argumentiert, dass die Studenten im Germanicum durchaus die spezifischen deutschen Verhältnisse kennenlernen würden.1339 Gegen die Gleichstellung der Studienanstalten sei außerdem – insbesondere von Professor Heyer – die Befürchtung ins Feld geführt worden, „dass der Heilige Stuhl im neuen Verfahren der Besetzung der Bischofsstühle ausschließlich Geistliche zu Bischöfen ernennen werde, die ihre Studien in Rom abgeschlossen

Vgl. dazu Golombek, Vorgeschichte, S.  64–66, 80–84 und ausführlich Mussinghoff, Fakultäten, S. 214–223. Vgl. auch Unterburger, Fakultäten, S. 119–121. 1336 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 8. September 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 83r–92r. Die staatlichen Ansprüche gründeten auf dem aus der Kulturkampfzeit stammenden „Gesetz über die Vorbildung und Anstellung der Geistlichen“ vom 11. Mai 1873. Vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.4 Anm. 1168. 1337 „… rimanga strettamente nazionale contro le tendenze ‚ultramontane‘ e ‚romanizzanti‘.“ Pacelli an Gasparri vom 8. September 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 85v. 1338 Mussinghoff, Fakultäten, S. 217. 1339 Vgl. auch May, Kaas 2, S. 400. 1335

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haben“1340. Diese Vorhersage habe er – so Pacelli – mit aktuellen Bezügen sofort zu entkräften versucht: „Auf diesen Einwand war es mir leicht zu antworten, indem ich verschiedene kürzliche Beispiele anführte, unter ihnen die Ernennung des neuen Apostolischen Administrators (mit einer quasi-bischöflichen Vollmacht) von Schneidemühl, Hochwürden Kaller, der sämtliche Studien an der theologischen Fakultät von Breslau abgelegt hat. Ich habe hinzugefügt, dass eher der gegenteilige Vorwurf gerechtfertigt wäre, insofern als bis heute in Preußen nahezu systematisch die ehemaligen Alumnen des Collegium Germanicum sowohl von den bischöflichen Stühlen wie von den Lehrstühlen der theologischen Fakultäten ausgeschlossen worden sind.“1341

Zum zweiten Punkt: Wenn Pacelli von idealen Bischöfen erwartete – wie er im Mai 1922 dargelegt hatte –, die theologischen Studien und die Ausbildung der Alumnen entsprechend den römischen Instruktionen zu reformieren, dann mussten sie dafür auch die nötige rechtliche Handhabe besitzen. Dazu gehörte insbesondere, dass sie möglichst effektiv an der Besetzung der theologischen Professuren an den staatlichen Universitäten beteiligt waren. Doch das war nach Auffassung Pacellis, der sich dabei auf den Episkopat berufen konnte, nicht der Fall. Er stellte für Gasparri das Berufungsverfahren dar: Bei Vakanz eines Lehrstuhls reiche die Fakultät dem Kultusministerium eine Liste mit Kandidaten ein. Ohne an diese Namen gebunden zu sein, wähle das Ministerium den neuen Professor, informiere den Anwärter und setze sich anschließend mit dem Ortsordinarius in Verbindung, um festzustellen, ob dogmatische oder moralische Einwände bestünden. Diese Anfrage erfolge so spät im Verfahren, dass es „fast unmöglich ist, außer im Fall von offenkundiger und schwerer Untauglichkeit, den erwählten Professor zurückzuweisen“1342. Außerdem müsse die Stimme der Diözesanbischöfe bei Lehrbeanstandungen von Professoren gestärkt werden und für die staatliche Seite verbindlich sein. Wie Pacelli schilderte, zielten die Gegenargumente der staatlichen Unterhändler vor allem auf die Freiheit der Wissenschaft, die nicht eingeschränkt wer„… che la S. Sede nel nuovo modo di provvista delle Sedi episcopali nomini come Vescovi esclusivamente ecclesiastici, i quali abbiano compiuto i loro studi in Roma.“ Pacelli an Gasparri vom 8. September 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 86v. 1341 „Alla quale obbiezione mi è stato facile di rispondere citando vari esempi recenti, fra cui la nomina del nuovo Amministratore Apostolico (con potestà quasi-vescovile) di Schneidemühl, Revmo Kaller, che ha fatto tutti i sudi studi nella Facoltà teologica di Breslavia. Soggiunsi che giustificato sarebbe stato piuttosto il contrario rimprovero, in quanto che sinora quasi sistematicamente sono stati in Prussia esclusi, si dalle Sedi vescovili, come cattedre nelle Facoltà teologiche, gli ex-alunni del Collegio germanico.“ Pacelli an Gasparri vom 8. September 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 86v–87r. 1342 „… quasi impossibile, salvo il caso di evidente e grave indegnità, di respingere l’eletto professore.“ Pacelli an Gasparri vom 8. September 1926, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 79, Fol. 83v. 1340

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den dürfe. Er habe diesen Einwurf mit dem Hinweis gekontert, dass De salute animarum den Staat verpflichte, Diözesanseminare zu finanzieren,1343 doch der Staat die Alumnen im Widerspruch dazu zwinge, die staatlichen Fakultäten zu besuchen. Diese seien für die Priesterausbildung nicht optimal und würden vom Heiligen Stuhl nur toleriert. Dafür seien jedoch Garantien nötig. Am 8.  September, ungefähr eine Woche nach der zweiten Verhandlungsrunde, suchte Heyer den Nuntius auf und legte ihm einen Entwurf zu beiden Themenkomplexen vor, der dokumentierte, dass Pacelli jeweils eine Annäherung der preußischen Regelung an sein bayerisches „Musterkonkordat“ erreicht hatte.1344 Vor der Ernennung eines Professors einer Katholisch-Theologischen Fakultät sollte der zuständige Ordinarius die Möglichkeit erhalten, Einwände vorzubringen, die zwar begründet sein mussten, aber die Anstellung verhindern konnten. Auch sollte es dem Bischof möglich sein, Theologieprofessoren zu beanstanden, mit der Konsequenz, dass die Regierung entsprechende Abhilfe leisten musste. Als Vorbedingung für die Übernahme eines geistlichen Amtes verlangte Heyer die deutsche Reichsangehörigkeit, ein Abitur an einem deutschen Gymnasium und ein philosophisch-theologisches Studium an einer deutschen Hochschule, einem dafür bestimmten kirchlichen Seminar oder  –  wie Pacelli wünschte  –  einer päpstlichen Hochschule in Rom. Letztere sollten allerdings – wie eine (später aufgegebene) Annotation konstatierte – nur in besonderen Fällen von den Alumnen besucht werden. Wenngleich Pacelli längst noch nicht mit allen Bestimmungen des Entwurfs, sowohl hinsichtlich der Form als auch hinsichtlich der Substanz, zufrieden war und noch einige hartnäckige Verhandlungsrunden folgen sollten, wurden hier die Weichen gestellt, um die skizzierten zentralen Forderungen in beiden Bereichen, die den Modus der Bischofseinsetzung flankieren mussten, im Konkordat zu verankern.1345 Auch der Kardinalstaatssekretär war mit dem von Pacelli bereits im Spätsommer 1926 Erreichten zufrieden: „Ich billige schließlich vollständig die gesamte entschiedene und intelligente Mühe in der Diskussion über die Theologischen Fakultäten und die Vorbildung des Klerus, die Eure Exzellenz in jeder Hinsicht mit großer Besonnenheit verfolgt, um den Ruf der Kirchlichen Hochschulen Roms zu verteidigen.“1346 Vgl. De salute animarum, Nr. XXV und LII, Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche I, S. 210 und 218. Vgl. Art. 3 und 13 des Bayernkonkordats von 1924, Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche IV, S. 300 und 304. Vgl. auch die entsprechenden Anmerkungen in Bd. 3, Kap. II.2.1. Heyers Ausführungen werden hier nur kursorisch dargestellt. Vgl. die nahezu wortgetreue Darstellung bei Mussinghoff, Fakultäten, S. 218–220. 1345 Vgl. Art. 9 und Schlussprotokoll zu Art. 9, Abs. 1, c sowie zu Art. 12, Abs. 1, Satz 2 des Preußenkonkordats, Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche IV, S. 325f. und 327f. Vgl. zu den vorangegangenen Verhandlungen Mussinghoff, Fakultäten, S. 226–285. 1346 „Approvo poi pienamente tutto il suo tenace e intelligente lavoro nella discussione circa le Facoltà Teologiche e la formazione del Clero, che V.E. a tutta ragione segue con grande oculatezza, difendendo la fama degli Istituti Ecclesiastici di Roma.“ Gasparri an Pacelli vom 4. November 1926, ASV, ANB 83, Fasz. 3, Fol. 42r. 1343 1344

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Die Verhandlungen der Jahre 1928/​29: keine Schulfrage, aber Erfolge im Modus der Bischofseinsetzungen Die Kompromissformel zur Besetzung der bischöflichen Stühle in Preußen, die von den staatlichen Verhandlungsführern und dem Nuntius am 15. Juni 1926 ausgehandelt worden war, hatte im Mai 1928 immer noch Bestand. In Rom fasste man nun „auf ausdrückliche Anordnung des Heiligen Vaters“ aus dem „Vorrat“1347 von Pacellis Berichterstattung den Stand der mittlerweile über zwei Jahre dauernden Gespräche in einem zehn Artikel umfassenden Konkordatsentwurf zusammen, wofür der Nuntius selbst dorthin fuhr, um mündlich Rede und Antwort zu stehen.1348 Am 7. Mai fand eine ausführliche Konferenz in der kurialen Chefetage statt, an der neben Pacelli Pius XI., Gasparri und der Sekretär der AES, Francesco Borgongini Duca, teilnahmen. Auf die vom Kardinalstaatssekretär mehrfach angekündigte Kongregationssitzung der AES wurde dagegen verzichtet. Gasparri legte Pacelli am nächsten Tag nach einem weiteren Gespräch mit dem Papst die approbierte Zusammenstellung vor.1349 Der Nuntius wurde autorisiert, auf dieser Basis weiter zu verhandeln, wie Gasparri in seinem Begleitschreiben mitteilte.1350 Die Zufriedenheit des Heiligen Stuhls über die Ergebnisse, die Pacelli erzielt hatte, übertraf also die Unzufriedenheit über das bislang nicht Erreichte. Sofort der erste Artikel wiederholte den Modus der Bischofseinsetzungen: „Besetzung der Bischofsstühle. Nach Erledigung eines erzbischöflichen oder bischöflichen Stuhles reichen sowohl das betreffende Kapitel wie auch die Bischöfe Preußens Listen von kanonisch geeigneten Kandidaten dem Apostolischen Stuhl ein. Dieser benennt dem Kapitel unter Würdigung dieser Listen, ohne jedoch auf sie beschränkt zu sein, drei Personen, nachdem er sich bei der preußischen Regierung vergewissert hat, dass gegen keine von ihnen Bedenken politischer Art bestehen. Das Kapitel wählt unter den ihm benannten drei Kandidaten in freier und geheimer Wahl den Bischof und sucht unverzüglich nach der Wahl ihre Bestätigung durch den Apostolischen Stuhl nach.“1351

Vgl.: „Dopo maturo esame della vasta e delicata materia, è stata presa la decisione, per ordine espresso del Santo Padre, di preparare sulla scorta dei medesimi Rapporti come pure dei precedenti, uno schema completo delle ‚proposteʻ fatte dai Commissari prussiani in seguito alle discussioni svoltesi in Berlino.“ Gasparri an Pacelli vom 8. Mai 1928, ASV, ANB 83, Fasz. 2, Fol. 60r–61v, hier 60r. 1348 Vgl. auch Golombek, Vorgeschichte, S. 57, 91. 1349 Vgl. Proposte fatte dai commissari prussiani in seguito alle discussioni svoltesi in Berlino per una Convenzione con la Santa Sede ohne Datum, ASV, ANB 83, Fasz. 2, Fol. 64r–72r (nur r). Das Manuskript sprach ausdrücklich nicht von „Konkordat“, weil die preußische Regierung diesem Terminus reserviert gegenüberstand. 1350 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 8. Mai 1928, ASV, ANB 83, Fasz. 2, Fol. 60v. 1351 Vgl.: „Provviste delle Sedi Vescovili. Verificandosi la vacanza di una Sede Arcivescovile o Vescovile, il rispettivo Capitolo, come anche i Vescovi della Prussia, presentano alla Sede Apostolica liste di candidati canonicamente idonei. Questa, tenendo presenti tali liste, senza tuttavia essere vincolata alle medesime, 1347

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Um das Vertragswerk noch zu verbessern, gab Gasparri dem Nuntius zu einigen der Artikel Zielvorgaben mit auf den Weg in die nächste Verhandlungsrunde. Hinsichtlich der Bischofswahlen hatte Pacelli noch die beiden von Ratti und Gasparri 1926 angedachten Änderungen vor Augen, die er bislang noch nicht in den Verhandlungsturnus eingebracht hatte und die daher auch noch nicht in den Entwurfsmodus implementiert waren. Von einer der beiden Modifikationen sei der Papst – so Gasparri – mittlerweile abgerückt: Er verlange nicht mehr, dass der Heilige Stuhl dem fraglichen Domkapitel drei oder zwei Kandidaten zum Wahlakt vorgeben dürfe, sondern erlaube vielmehr, jeweils eine Terna aufzustellen. Damit hatte Gasparri einen Teil seiner Weisung vom 30. Juni 1926 wieder zurückgezogen. Den Grund für diese Nachgiebigkeit wird man in einer entsprechenden Intervention Pacellis in der Chefbesprechung vermuten können, weil der Nuntius bereits zwei Jahre zuvor keine Schwierigkeiten darin erblickt hatte, drei taugliche Bischofsaspiranten in Preußen zu finden. Warum also die Verhandlungen mit seiner Ansicht nach unnötigen Forderungen belasten? Es gelang ihm, den Papst davon zu überzeugen. An der zweiten Modifikation jedoch, die Anfrage an die Regierung zu politischen Bedenken erst nach der Bischofswahl, hielt der Pontifex fest. Da Pacelli diese Forderung vorher zusammen mit Bertram selbst vertreten hatte, ist davon auszugehen, dass er sie auch jetzt noch in der Diskussion unterstützte. Die Umstellung des Bedenkenrechts im Verfahren sollte das secretum wahren und alle negativen Folgen von Indiskretion ausschließen. Die Gefahr einer Rückkehr einer staatlichen Exklusive, welche die Modifikation ebenfalls nahelegte, wurde von Gasparri an dieser Stelle nicht mehr thematisiert. Mit dem Entwurf des Vertragstextes und den zusätzlichen Instruktionen ging Pacelli in die nächste Verhandlungsrunde mit den preußischen Staatsvertretern, die im Sommer und Herbst in vertrauter Zusammensetzung in der Berliner Nuntiatur erfolgen sollte.1352 Zuvor war am 20.  Mai ein neuer preußischer Landtag gewählt worden. Die Wahlen brachten der Zentrumspartei ein verschlechtertes Ergebnis ein und erschwerten daher die Bedingungen für einen erfolgreichen Konkordatsabschluss.1353 Weitere Verzögerungen traten hinzu, zum Beispiel durch die Weigerung des Finanzministers Hermann Höpker-Aschoff, für die staatliche Dotationssumme eine konkrete designa al Capitolo tre persone dopo essersi assicurato presso il Governo Prussiano che contro nessuna di esse esistono obbiezioni di carattere politico. Tra i tre menzionati candidati il Capitolo elegge per votazione libera e segreta il Vescovo, e subito dopo domanda la conferma alla Santa Sede.“ Proposte fatte dai commissari prussiani in seguito alle discussioni svoltesi in Berlino per una Convenzione con la Santa Sede ohne Datum, ASV, ANB 83, Fasz. 2, Fol. 64r. Hervorhebung im Original. 1352 Neu hinzu kam der Paderborner Domdekan und Landtagsabgeordnete Johannes Linneborn, der zum Beraterstab des Nuntius gehörte, jedoch bei den Besprechungen über die Kapitelsbesetzungen auch die Interessen der Domkapitel zu wahren suchte. Vgl. Golombek, Vorgeschichte, S. 64f. 1353 Vgl. dazu Hömig, Zentrum, S. 153–160; Huber, Verfassungsgeschichte VI, S. 755–757. 356

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Zahl zu nennen.1354 Dennoch bestand auf Regierungsseite der grundsätzliche Wille fort, einen Vertrag mit dem Heiligen Stuhl abzuschließen, wie Pacelli am 28.  Juli dem Breslauer Kardinal mitteilte: „Trotzdem ist nicht jede Hoffnung auf Erfolg geschwunden. Der Herr Preußische Ministerpräsident Dr. Braun empfing mich in Anwesenheit des Herrn Staatssekretärs Dr. [Robert, R.H.] Weismann am 3. Juli und eröffnete mir seine Absicht, endlich einmal trotz der überaus großen entgegenstehenden Schwierigkeiten die Konkordatsfrage zu lösen und die Verhandlungen zu beschleunigen. Ich erklärte mich sofort bereit, die Besprechungen wieder aufzunehmen …“1355

Laut Pacellis Schilderung versuchte Otto Braun vergeblich in einer Unterredung am 4. Juli, das Bischofswahlrecht der Domkapitel ungeachtet der bisherigen Verhandlungsergebnisse gemäß der Regelung der alten Zirkumskriptionsbulle zu repristinieren.1356 Dieser „Rückfall“ musste die „Schwierigkeiten der Verhandlungen nur erhöhen“1357 und trug dazu bei, dass die Bischofswahl mit den Fragen zur Schule und zur Errichtung eines Bistums Berlin bis zum Abschluss des Vertrags zu den „Hauptdivergenzpunkten“1358 zählte. Die Konkordatsverhandlungen der folgenden Monate fasste Pacelli im März 1929 für Gasparri zusammen.1359 Wie schon gegenüber Bertram rekapitulierte er, dass der Modus der Bischofseinsetzungen „sehr ernste Schwierigkeiten“1360 bereitet habe.1361 Auf „lebendigen Wi-

Vgl. den Hinweis in Pacellis Schreiben an Bertram vom 28. Juli 1928, abgedruckt bei Hürten (Bearb.), Akten 2, S. 878–880 (Nr. 437), hier 879. 1355 Pacelli an Bertram vom 28. Juli 1928, Hürten (Bearb.), Akten 2, S. 880. 1356 Vgl.: „Bei dieser Gelegenheit führte der Herr Minister aus, er wäre Gegenstand starken Druckes im Sinne der vollen Aufrechterhaltung der bischöflichen Wahl durch die Domkapitel in der bisherigen Form, und zwar nicht nur von Seiten protestantischer Kreise, sondern auch – was ihm selbst aufgefallen zu sein scheint – von katholischer Seite.“ Pacelli an Bertram vom 28. Juli 1928, Hürten (Bearb.), Akten 2, S. 880. 1357 Pacelli an Bertram vom 28. Juli 1928, Hürten (Bearb.), Akten 2, S. 880. 1358 Vgl. Golombek, Vorgeschichte, S. 92f., hier 93. 1359 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 68r–77r. 1360 „… gravissime difficoltà.“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925– 1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 72v. 1361 Schon am 10. November 1927 hatte der preußische Finanzminister Höpker-Aschoff intern den Kompromiss zur Bischofseinsetzung abgelehnt und vorgeschlagen, dass nur das entsprechende Domkapitel eine Kandidatenliste anfertigen dürfe und der Papst aus dieser die Terna zusammenstellen müsse. Trendelenburg hatte diese Forderung als aussichtslos qualifiziert. Höpker-Aschoff fand außerdem, dass die Klärung der politischen Eignung der Kandidaten zwischen Regierung und Domkapiteln und nicht zwischen Regierung und Heiligem Stuhl geschehen solle. Auf seine kritischen Anmerkungen wurde von 1354

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derstand“1362 sei die Modifikation gestoßen, die politischen Bedenken nach dem Wahlakt zu situieren. Weil er aber gemäß seinen römischen Vorgaben auf dieser Umstellung bestanden habe, hätten die preußischen Unterhändler nachgegeben,1363 jedoch nicht ohne im Gegenzug ihrerseits Veränderungen zu fordern: „Als die Regierungsbeauftragten sich gezwungen sahen, diese Änderung anzunehmen, erklärten sie, dass diese für den Staat eine wesentliche Verschlechterung der ursprünglichen Formel bedeutete und erbaten daher zum Ausgleich zahlreiche andere Veränderungen, besonders jene, dass der Heilige Stuhl, wie im bayerischen Konkordat, an die Listen der Bischöfe und des Kapitels gebunden sei.“1364

Dass Pacelli die letztgenannte Forderung nicht akzeptieren konnte, ist evident. Die Freiheit der Kurie bei der Aufstellung der Terna war das Unterpfand, das die Kapitelswahl überhaupt erst tolerabel machte. Weil daran nicht zu rütteln war, wich man auf zwei alternative Modifikationen aus, die Pacelli dem Kardinalstaatssekretär zur Stellungnahme vorlegte: 1) Die Regierung wünsche, dass die Apposition, „jedoch ohne auf sie [sc. die Kandidatenlisten, R.H.] beschränkt zu sein“, aus dem Text gestrichen werde. Pacelli schien das für möglich zu halten, insofern er dazu bemerkte, dass der vorstehende Ausdruck, der Heilige Stuhl „benennt dem Kapitel unter Würdigung dieser Listen“ drei Personen, die Vorstellung einer Bindung an die von Bischöfen und Kapitel eingereichten Kandidatenvorschläge bereits ausschließe. Darüber hinaus erkläre sich die Regierungsseite bereit, in einer zusätzlichen Note die Wendung „unter Würdigung“ in diesem Sinne zu erläutern. Den Entwurf dieser Note sandte Pacelli nach Rom: „In dem Ausdruck ‚unter Würdigung dieser Listenʻ … ist enthalten, daß der Apostolische Stuhl die dem Kapitel zu benennenden Personen möglichst aus den Listen auswählen werde, ohne im Übrigen auf diese beschränkt zu sein.“1365

Regierungsseite bei den folgenden Verhandlungen Bezug genommen. Vgl. Golombek, Vorgeschichte, S. 60. Pacelli, der den Widerstand des preußischen Finanzministers bei verschiedenen Sitzungen erlebte, bezeichnete ihn als „irriducibile e fanatico nemico della Chiesa“. Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 68v. 1362 „Viva opposizione …“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925– 1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 72v. 1363 Laut der Darstellung Georg Mays sah Weismann in dieser Frage „keine unüberwindlichen Schwierigkeiten“. May, Kaas 2, S. 410. 1364 „Allorché i Commissari Governativi si videro obbligati ad accettare questo mutamento, dichiararono che esso rappresentava per lo Stato un peggioramento essenziale della formula primitiva e chiesero quindi in compenso numerosi altri cambiamenti, massime quello che la S. Sede fosse, come nel Concordato bavarese, legata alle liste dei Vescovi e del Capitolo.“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 72v. 1365 Vgl. S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 99r. Die italienische Fassung lautete: „Coll’espressione ‚tenendo presenti queste listeʻ (Articolo V, capov. 1, propos. 2 delle proposte per 358

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Durch diese Entschärfung sollte die Gefahr, bei der parlamentarischen Abstimmung über den Vertragstext an dieser Stelle zu scheitern, minimiert werden. 2) Außerdem sei die Bitte formuliert worden, dass die Klärung etwaiger politischer Bedenken, wenn schon nach der Wahl,1366 wenigstens zwischen Regierung und Domkapitel und nicht zwischen Regierung und Heiligem Stuhl erfolgen möge. Als Argument diene unter anderem, dass auch nach alter Rechtsordnung die Domkapitel mit der Regierung Kontakt aufgenommen hätten. Sicherlich hofften die Unterhändler, sich hinsichtlich der politischen Bedenken leichter mit den deutschen Domkapitularen als mit dem Heiligen Stuhl einigen zu können. Auch dieser Änderungswunsch, den er nicht weiter kommentierte, schien dem Nuntius erwägenswert.1367 Sucht man nach dem Grund, wieso man auf Regierungsseite dem Drängen des Nuntius schließlich nachgab und sich trotz der von Pacelli diagnostizierten „ernsten Schwierigkeiten“ mit den verhältnismäßig wenig gewichtigen Veränderungen begnügte, wird man auf den Konnex mit der Schulfrage aufmerksam: Die Verhandlungsführer sahen ein, dass der unumstößliche Verzicht auf die Schulfrage Konzessionen in den übrigen Konkordatsbestimmungen zu Ungunsten des Staates nach sich ziehen musste. Deshalb brachte eine Konferenz im preußischen Staatsministerium am 7.  November 1928 beide Themen in unmittelbaren Bezug: Die Teilnehmer „stimmten dem Vorschlag des Nuntius zur Bischofswahl unter der Voraussetzung zu, daß eine Bestimmung über die Schule nicht in das Konkordat aufgenommen werde“1368. Offenbar wusste Pacelli von dieser Kompensation nichts, jedenfalls kam es für ihn nicht infrage, das wichtige Thema Schule aus der Konkordatsmaterie auszuschließen. Diese Debatte bestimmte auch die weiteren Verhandlungen, die im Winter in die Endphase eintraten und einen zunehmend offizielleren Charakter bekamen. Am 12. Dezember unterrichtete Ministerpräsident Braun den Nuntius von der Regierungsentscheidung, Kultusminister Becker zu Einzelgesprächen mit dem päpstlichen Gesandten zu autorisieren.1369 Bereits zehn Tage spä-

una solenne Convenzione della Prussia colla Sede Apostolica) s’intende che la Sede Apostolica sceglierà il più possibile dalle liste le persone da designarsi al Capitolo, senza però essere vincolata alle medesime.“ Ebd., Fol. 106r. 1366 Pacelli ergänzte in seiner Berichterstattung handschriftlich die Bemerkung, dass die Wendung „nach der Wahl“ unbedingt im Text stehen müsse, um jedem Zweifel am genauen Prozedere den Boden zu entziehen. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 73r. 1367 Vgl. auch Golombek, Vorgeschichte, S. 60 Anm. 22. 1368 Golombek, Vorgeschichte, S. 93. 1369 Dies war auf der letzten Sitzung im Staatsministerium vom 11. Dezember geschehen. Vgl. zu den „direkten Verhandlungen“ zwischen Pacelli und Becker Golombek, Vorgeschichte, S. 95–97. 359

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ter unterbreitete Becker einen Konkordatsentwurf, der vom Ministerrat beschlossen worden war.1370 Wie Pacelli Gasparri berichtete, habe er zugesagt, ihn Punkt für Punkt zu prüfen, jedoch sofort moniert, dass die Schulfrage in dem Papier gänzlich fehlte.1371 Während der 6. Artikel dokumentiert, dass es Pacelli gelungen war, die Anwendungsfälle der „politischen Klausel“ auf die Einsetzung der (Erz-) Bischöfe, Gefreiten Prälaten und Koadjutoren mit Nachfolgerecht einzuschränken,1372 regelte der Artikel 5 die Besetzung der Bischofsstühle. Einerseits trug er bereits den Änderungen Rechnung, die Pacelli beziehungsweise die Regierung ausgehandelt hatten. Andererseits enthielt er im Vergleich zum früheren Kompromissmodus Pacellis einige Ergänzungen: „(1) Nach Erledigung eines Erzbischöflichen oder Bischöflichen Stuhles reichen sowohl das betreffende Metropolitan- oder Kathedralkapitel als auch die Diözesanerzbischöfe und -bischöfe Preußens dem Apostolischen Stuhle Listen von kanonisch geeigneten Kandidaten ein. Unter Würdigung dieser Listen1373 benennt der Apostolische Stuhl dem Kapitel drei Personen, aus denen es in freier, geheimer Abstimmung den Erzbischof oder Bischof zu wählen hat. Das Kapitel hat alsdann bei der Staatsregierung um eine Erklärung nachzusuchen, dass Bedenken politischer Art1374 gegen den Gewählten nicht bestehen. Der Apostolische Stuhl wird die gegebenenfalls zu wiederholende Wahl erst bestätigen, nachdem ihm das Kapitel angezeigt hat, dass solche Bedenken nicht erhoben worden sind. Fällt eine der dem Kapitel benannten Personen weg, so wird der Apostolische Stuhl, falls das Kapitel darum einkommt, eine andere benennen. (2) Bei der Aufstellung der Kandidatenliste und bei der Wahl wirken die nichtresidierenden Domkapitulare mit.“1375

Vgl. Vorschläge für einen Vertrag Preußens mit dem Apostolischen Stuhle (Erster Entwurf) ohne Datum [22. Dezember 1928], S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 78r–82r. 1371 Pacelli diskutierte das Thema in seiner Berichterstattung noch einmal, indem er auf die früheren Zusagen der Regierung, aber auch auf die Schwierigkeiten – beispielsweise was die parlamentarische Zustimmung zu einem Schulartikel anbelangte – hinwies. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 68v–69v. 1372 Vgl. Vorschläge für einen Vertrag Preußens mit dem Apostolischen Stuhle (Erster Entwurf ) ohne Datum [22. Dezember 1928], S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 79bisr-v. 1373 Die Wendung „unter Würdigung“ erhielt als Vermerk die oben bereits zitierte Erläuterung. Vorschläge für einen Vertrag Preußens mit dem Apostolischen Stuhle (Erster Entwurf) ohne Datum [22. Dezember 1928], S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 79bisr. 1374 Wiederum wurde eine klärende Anmerkung beigefügt: „Die erhobenen Bedenken sollen als politische (innen- oder außenpolitische) erkennbar sein; lediglich parteipolitische oder innerkirchliche Bedenken sind als solche politischer Art nicht anzusehen.“ Vorschläge für einen Vertrag Preußens mit dem Apostolischen Stuhle (Erster Entwurf) ohne Datum [22. Dezember 1928], S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 79bisr. 1375 Vorschläge für einen Vertrag Preußens mit dem Apostolischen Stuhle (Erster Entwurf) ohne Datum [22. Dezember 1928], S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 79bisr. 1370

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War Pacelli mit dieser Formel zufrieden? Wie er Gasparri erklärte, beurteilte er – abgesehen von der Schulfrage  –  auch noch andere Punkte des staatlichen Papiers als „inakzeptabel“1376. Seine Einwände brachte er Becker gegenüber in zwei Treffen im Januar 1929 zur Sprache. Daraufhin legte dieser am 7. Februar eine überarbeitete Fassung vor, die zeigt, dass auch der Artikel 5 zu den Teilen gehörte, mit denen Pacelli nicht vollständig einverstanden war.1377 In der neuen Formel waren die ersten beiden Sätze gleich geblieben („Nach Erledigung … zu wählen hat), ebenso der zweite Absatz. Hingegen war der komplette Teil ab „Das Kapitel hat alsdann ...“ gestrichen und durch einen neuen Text ersetzt worden: „Der Apostolische Stuhl wird zum Erzbischof oder Bischof niemand bestellen, von dem nicht das Kapitel durch Anfrage bei der Preußischen Staatsregierung festgestellt hat, dass Bedenken politischer Art gegen ihn nicht bestehen.“1378

Diese Fassung war nicht nur formal konziser als die erste, sondern beinhaltete auch zwei nennenswerte Veränderungen: Auf der einen Seite war die Verbindlichkeit der staatlichen Bedenken verschärft worden. Für die politische Klausel in Pacellis Kompromissmodus hatte offenbar die „sehr vorsichtige Formulierung“1379 des Bayernkonkordats Pate gestanden: der Heilige Stuhl sollte sich „versichern“ beziehungsweise „vergewissern“, dass auf Regierungsseite keine politischen Bedenken bestanden. Der Gegenentwurf der preußischen Regierung sprach lediglich von einer kirchlicherseits einzuholenden „Erklärung“, dass keine Bedenken existierten. Doch jetzt hieß es bestimmter, dass der Heilige Stuhl keinen staatlicherseits beanstandeten Kandidaten „bestellen“ durfte.1380 Auf der anderen Seite sparte der neue Text inhaltlich einen Sachbereich aus, auf den die preußische Regierung im ersten Entwurf besonderen Wert gelegt hatte: Was passierte, wenn die Regierung den gewählten Kandidaten aus politischen Bedenken ablehnen sollte? Sie dachte an eine Wahlwiederholung und zwar möglichst auf Basis einer neuen, das heißt „wieder aufgefüllten“ Terna. Diese Vorgabe war gestrichen worden. Zu beiden Punkten nahm Pacelli in seiner Berichterstattung keine Stellung. Der erste darf womöglich nicht überschätzt werden: Sollte der Nuntius schon auf Grundlage der früheren, vor„… inaccettabili …“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 69v. 1377 Vgl. Vorschläge für einen Vertrag Preußens mit dem Apostolischen Stuhle (Zweiter Entwurf) ohne Datum [7. Februar 1929], S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 83r–86v. 1378 Vorschläge für einen Vertrag Preußens mit dem Apostolischen Stuhle (Zweiter Entwurf) ohne Datum [7. Februar 1929], S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 84v. Hervorhebung im Original. 1379 Mörsdorf, Besetzungsrecht, S. 115. Vgl. dazu auch Bd. 3, Kap. II.2.1 Anm. 312. 1380 Aufgrund dieser Formulierung, die schließlich Eingang ins Konkordat fand (vgl. das Folgende), subsumiert Joseph Kaiser die preußische Formel unter die Gruppe der politischen Klauseln, die eindeutig verbindlich waren. Vgl. Kaiser, Klausel, S. 179–181. Vgl. auch Mörsdorf, Besetzungsrecht, S. 135– 141. 1376

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sichtigeren Formulierungen der Klausel die Absicht verfolgt haben, etwaige staatliche Bedenken als verbindlich zu betrachten, dann handelte es sich für ihn bei der neuen Fassung lediglich um eine Verschärfung des Wortlauts, die keine wesentlichen inhaltlichen Konsequenzen besaß. Das würde erklären, warum er diese Thematik mit Gasparri nicht diskutierte. Was den zweiten Punkt anbelangt, ist klar, dass die Veränderung in seinem Interesse sein musste: Besser war es, die Verfahrensschritte nach Ablehnung eines Kandidaten möglichst nicht festzulegen, sondern der freien Entscheidung des Heiligen Stuhls – vielleicht sogar im jeweiligen Einzelfall – zu überlassen. Daher ist anzunehmen, dass Pacelli den neuen Text im Wesentlichen guthieß. Insgesamt stellte der zweite Konkordatsentwurf den päpstlichen Diplomaten jedoch noch immer nicht zufrieden. Nicht alle seine Einwände seien berücksichtigt worden, teilweise gebe es zwar Verbesserungen, teilweise aber sogar Verschlechterungen zum Schema des Vorjahres. Deshalb  –  so teilte er Gasparri mit  –  „erklärte ich mich wieder einmal total unzufrieden“1381. Daraufhin habe ihn Braun am 11. und 13.  Februar in Begleitung des Staatssekretärs Weismann persönlich aufgesucht, um die Angelegenheit zu erörtern. Den Ministerpräsidenten qualifizierte Pacelli – obwohl Sozialdemokrat beziehungsweise „Sozialist“ – als einigermaßen verständig, insofern er eingesehen habe, dass seine Einwände vernünftig und fundiert seien. Trotzdem habe Braun darauf beharrt, dass der Vertrag niemals die nötige Zustimmung der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und der Deutschen Volkspartei (DVP) im preußischen Landtag finden werde, wenn der Kirche die verlangten Freiheiten zugesprochen würden.1382 Nach weiteren Konferenzen in der Nuntiatur mit Becker, „der sich ziemlich kompromissbereit zeigte“1383, und dem Zentrumsabgeordneten Heinrich Hirtsiefer tagte am 26. Februar erneut das Regierungskabinett. Obwohl Pacelli nach eigenen Angaben in diese Gespräche große Hoffnungen setzte, weil insbesondere die Zentrumspolitiker das nötige Engagement gezeigt hätten, seien sie von der „sozialistischen und demokratischen Majorität“ unter dem Einfluss des – von Pacelli als Wurzelgrund des antikirchlichen Widerstands identifizierten  –  Finanzministers Höpker-Aschoff überstimmt

„… mi dichiarai ancora una volta del tutto insoddisfatto.“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 70r. 1382 Vgl.: „Il Dr. Braun, socialista, sembrò trovare almeno molte delle mie obbiezioni ragionevoli e fondate, ma ricordò l’attuale situazione parlamentare, osservando che, se i membri del suo partito sarebbero per se pronti a lasciare maggior libertà alla Chiesa, invece i liberali (democratici ed eventualmente Deutsche Volkspartei), i cui voti sono tuttavia indispensabili per ottenere l’accettazione del Concordato nel Landtag, tendono ancora sempre ad immischiarsi nelle cose ecclesiastiche ed oppongono quindi la più tenace resistenza.“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 70r-v. 1383 „… il quale si mostrò abbastanza conciliante …“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 70v. 1381

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worden. Am nächsten Abend habe ihn der „zutiefst niedergeschlagene“1384 Kanonist und Landtagsabgeordnete Johannes Linneborn aufgesucht und vertraulich mitgeteilt, dass die Mehrzahl von Pacellis Einwänden abgewiesen worden seien. Er habe – so Pacelli – unter diesen Umständen einen Gegenentwurf des Heiligen Stuhls angekündigt, den die Regierung in Form eines Ultimatums anzunehmen habe, wenn sie nicht wolle, dass die katholische Kirche in Preußen künftig allein nach dem Kirchenrecht agiere. Damit seien Konflikte vorprogrammiert, für die der Heilige Stuhl nicht verantwortlich, zu denen er aber „furchtlos“1385 bereit sei. Den Schaden, der vor allem Staat und Bevölkerung treffen werde, müsse einzig die Regierung verantworten. Diese Kampfansage ließ Pacelli bewusst in den Regierungskreisen verbreiten und sie verfehlte – wie er Gasparri berichtete – „die gewünschte Wirkung nicht“1386. Unter dem intensiven Bemühen von Linneborn und Kaas, dessen Geschick Pacelli lobend herausstellte, fertigte das Kultusministerium einen dritten Vertragstext an, der einmütig – wie Pacelli erwähnte  –  angenommen und der Nuntiatur schließlich am 16.  März vorgelegt wurde.1387 Pacelli stufte ihn gegenüber den beiden vorherigen Versionen als „erträglicher“1388 ein, wenngleich die Schulfrage noch immer fehlte.1389 Alle drei Entwürfe übermittelte er nach Rom und besprach für Gasparri eingehend die dritte Version. Wie oben vermutet, erfuhr der Artikel

„… profondamente abbattuto …“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 70v. 1385 „… senza timore …“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925– 1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 70v. 1386 „… la desiderata impressione …“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 71r. 1387 Vgl. Vorschläge für einen Vertrag Preußens mit dem Apostolischen Stuhle (Dritter Entwurf) ohne Datum [16. März 1929], S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 93r–98r. 1388 „… più tollerabile …“ Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925– 1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 71r. 1389 Wie Golombek zu Recht bemerkt war Pacelli „realistisch genug um einzusehen, daß mehr, als sich nach drei Verhandlungsjahren anbot, in Preußen nicht zu erreichen war“. Golombek, Vorgeschichte, S. 113. Außerdem war die Schulfrage in der früher von der Regierung veranschlagten Formel: „Der Apostolische Stuhl nimmt davon Kenntnis, daß der Preußische Staat durch die Reichsverfassung und nach deren Maßgabe verpflichtet ist, für die Einrichtung und Zulassung von Volksschulen katholischen Bekenntnisses und die Erteilung katholischen Religionsunterrichts zu sorgen“ (Pacelli an Gasparri vom 19. Juli 1927, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 79, Fol. 174r–181v, hier 175v), nach Pacellis Einschätzung ohnehin schon sehr gering bemessen. Zudem teilte er die Meinung Kardinal Bertrams, besser keine Erwähnung der Schulfrage, als eine aus kirchlicher Sicht unzureichende. Diese könne später als rechtliche Basis gegen eine Verbesserung der Schulfrage angeführt werden, wenn die politischen Umstände eine solche zulassen würden. Vgl. Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 71r-v. 1384

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5 über die Besetzung der bischöflichen Stühle gegenüber der zweiten Fassung keinerlei Veränderungen mehr.1390

Der Konkordatsabschluss und die Diskussion über die „Würdigung“ der Vorschlagslisten Nachdem der Nuntius den ausführlichen Bericht über die Konkordatsverhandlungen dem Kardinalstaatssekretär am 23. März 1929 übermittelt hatte, reiste er am 7. April erneut nach Rom. Nach persönlichen Gesprächen mit Pius XI., in denen Pacelli besonders wegen der Schulfrage Überzeugungsarbeit zu leisten hatte und man sich schließlich auf den Ausweg einigte, mit der Regierung einen Notenwechsel über diese Thematik durchzuführen, gab der Papst seine Approbation:1391 „Die Bereitschaft war … erkennbar, die aus der Sicht der Kurie ungünstigen konkordatspolitischen Bedingungen Preußens zu berücksichtigen und selbst einer Vereinbarung zuzustimmen, die von eigenen Idealvorstellungen erheblich abwich.“1392 Er lautete daher: „(1) Nach Erledigung eines Erzbischöflichen oder Bischöflichen Stuhles reichen sowohl das betreffende Metropolitan- oder Kathedralkapitel als auch die Diözesanerzbischöfe und -bischöfe Preußens dem Apostolischen Stuhle Listen von kanonisch geeigneten Kandidaten ein. Unter Würdigung dieser Listen benennt der Apostolische Stuhl dem Kapitel drei Personen, aus denen es in freier, geheimer Abstimmung den Erzbischof oder Bischof zu wählen hat. Der Apostolische Stuhl wird zum Erzbischof oder Bischof niemand bestellen, von dem nicht das Kapitel durch Anfrage bei der Preußischen Staatsregierung festgestellt hat, daß Bedenken politischer Art gegen ihn nicht bestehen. (2) Bei der Aufstellung der Kandidatenliste und bei der Wahl wirken die nicht residierenden Domkapitulare mit.“ Vorschläge für einen Vertrag Preußens mit dem Apostolischen Stuhle (Dritter Entwurf) ohne Datum [16. März 1929], S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 94v–95r. Auf die beiden interpretierenden Fußnoten der ersten Fassungen wurde verzichtet. 1391 Über die Enttäuschung und Unzufriedenheit von Papst und Kardinalstaatssekretär, dass Pacelli einen Schulartikel nicht durchsetzen konnte, berichtete Bergen in einem Telegramm am 13. April 1929. Vgl. Golombek, Vorgeschichte, S. 96 Anm. 11. 1392 Golombek, Vorgeschichte, S. 96. Am 26. April benachrichtigte Pacelli den preußischen Ministerpräsidenten, dass der Heilige Stuhl die Verhandlungen auch ohne eine Berücksichtigung der Schulfrage zu Ende führen wolle: „Während der Erörterungen mit den Regierungskommissaren schlugen diese im Juni 1927 eine Mindestformel über die Schule vor, die vom H[eiligen] Stuhle nur unter äußerstem Entgegenkommen angenommen wurde, vor allem weil staatlicherseits damals der formaljuristische Grund geltend gemacht wurde, dass diese Materie unter die Zuständigkeit des Reiches falle. Es bedeutete daher für den H[eiligen] Stuhl eine schmerzliche Überraschung wahrnehmen zu müssen, dass die Preußische Regierung nunmehr auch die Streichung dieses schon so unzulänglichen Artikels verlangt hat, eine Streichung, die um so weniger gerechtfertigt ist, als alle Parteien, die das augenblickliche Koalitionsministerium bilden, auch im Januar 1922 im Preußischen Kabinett vertreten waren [Pacelli spielte hier auf die Zusicherung des damaligen Kultusministers Boelitz vom 6. Januar 1922 an, die den Einschluss der Schulfrage in die Verhandlungen zusagte]. Trotzdem hat der H[eilige] Stuhl aus dem ernstlichen Wunsche, 1390

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Es folgten weitere Verhandlungen am 27.  April und am 13.  Mai, aus denen ein Vertragsentwurf hervorging, der beinahe dem endgültigen Text entsprach.1393 Dieses Manuskript wurde am 17. Mai im Kabinett verabschiedet und am 21. des Monats Pacelli in deutscher sowie italienischer Fassung zugesandt. Über die Verhandlungen und die Textänderungen im Vergleich mit der vorigen Version berichtete Pacelli Ende Mai nach Rom.1394 Die Präambel war ergänzt worden, außerdem Artikel 1 über die Bekenntnisfreiheit und Artikel 14 über die Lösung von etwaigen Differenzen auf freundschaftlichem Wege. Auch der Text zu den Bischofseinsetzungen – nunmehr Artikel 6  –  erfuhr noch eine Veränderung. Pacelli hatte durchgesetzt, den Terminus „nach der Wahl“ im Text zu verankern: „Der Heilige Stuhl wird zum Erzbischof oder Bischof niemand bestellen, von dem nicht das Kapitel nach der Wahl festgestellt hat, dass Bedenken politischer Art gegen ihn nicht bestehen.“1395 Dieser Einschub war bereits Bestandteil des Kompromissmodus vom Mai 1926 gewesen, jedoch in der Überarbeitung des staatlichen Entwurfs vom Dezember 1928 zum Februar 1929 nicht berücksichtigt worden. Die Ergänzung spezifizierte den Zeitpunkt der Anfrage zwecks politischer Bedenken, ohne die der Abschnitt auch derart interpretiert werden konnte, dass das Domkapitel bereits vor der Wahl die Regierung zu fragen hätte. Genau das aber wollte die römische Seite vermeiden. Noch der abschließenden Klärung bedurfte die von Regierungsseite zugesicherte Note mit der authentischen Interpretation, was der Ausdruck „unter Würdigung“ der Kandidatenlisten näherhin bedeutete. Pacelli fragte den Kardinalstaatssekretär, ob der Heilige Stuhl überhaupt eine solche formale, nicht-öffentliche Erklärung der preußischen Regierung zu dieser Wendung wünsche.1396 Wie in seinem Bericht vom 23. März zeigte sich der Nuntius überzeugt, dass der Wortlaut des Konkordatstextes dem Heiligen Stuhl eine völlige Entscheidungsfreiheit für die Aufstellung der Terna erlaube: „An sich scheinen die zitierten Worte und noch mehr der Ausdruck des italienischen Textes ‚Tenendo presenti queste listeʻ klar auszuschließen, dass der Heilige Stuhl an den religiösen Frieden in Preußen zu sichern, sich, wenn auch nur unter den größten Bedenken, entschlossen, wegen dieser Weigerung der Regierung die Konkordatsverhandlungen nicht abzubrechen.“ Pacelli an Braun vom 26. April 1929 (Abschrift), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 146r–147v, hier 146v. 1393 Vgl. Vorschläge für einen Vertrag des Freistaats Preußen mit dem Heiligen Stuhl (Vierter Entwurf) ohne Datum [21. Mai 1929], S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 123r–129v. 1394 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 29. Mai 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 115r–121v. 1395 Vorschläge für einen Vertrag des Freistaats Preußen mit dem Heiligen Stuhl (Vierter Entwurf) ohne Datum [21. Mai 1929], S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 125v. Hervorhebung R.H. 1396 Die dafür angedachte Formel, die er bereits im März an das Staatssekretariat übersandt hatte, fügte er nun erneut seinem Bericht bei. Vgl. S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 151r. 365

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die Listen gebunden ist, was übrigens auch unzweifelhaft aus dem Verhandlungsverlauf folgt.“1397 Die Regierung ziehe es zudem vor, keine derartige Note ausstellen zu müssen, um dem Landtag versichern zu können, dass es nicht noch zusätzliche geheime Abkommen gebe. Falls der Heilige Stuhl jedoch darauf beharre, werde sie – so versicherte Pacelli – einlenken. Pacelli selbst schien mit dem Verzicht einverstanden zu sein. Für ihn war die Angelegenheit mit der vorhandenen Formulierung hinreichend geklärt und die Gefahr nicht gerechtfertigt, mit einer überflüssigen Note gegebenenfalls Widerstände im Parlament heraufzubeschwören. Da Gasparri dieses Thema nicht streifte, als er am 3. Juni telegraphisch das päpstliche Plazet zum neuen Konkordatsentwurf übersandte, wartete Pacelli auf die erhoffte Antwort vergeblich.1398 Doch die Verhandlungen standen nach der Zustimmung Pius’ XI. vor dem Abschluss: Am 14. Juni wurde der Vertrag von den staatlichen Repräsentanten und dem päpstlichen Diplomaten im Preußischen Staatsministerium unterschrieben. In Kraft treten sollte der Vertrag aber erst, nachdem am 13. August der feierliche Austausch der Ratifikationsurkunden stattgefunden hatte. Mit der letzten von Pacelli durchgesetzten Änderung lautete der Artikel 6 über die Regelung der Bischofswahl in der Endversion folgendermaßen: „(1) Nach Erledigung eines Erzbischöflichen oder Bischöflichen Stuhles reichen sowohl das betreffende Metropolitan- oder Kathedralkapitel als auch die Diözesanerzbischöfe und -bischöfe Preußens dem Heiligen Stuhle Listen von kanonisch geeigneten Kandidaten ein. Unter Würdigung dieser Listen benennt der Heilige Stuhl dem Kapitel drei Personen, aus denen es in freier, geheimer Abstimmung den Erzbischof oder Bischof zu wählen hat. Der Heilige Stuhl wird zum Erzbischof oder Bischof niemand bestellen, von dem nicht das Kapitel nach der Wahl durch Anfrage bei der Preußischen Staatsregierung festgestellt hat, daß Bedenken politischer Art gegen ihn nicht bestehen. (2) Bei der Aufstellung der Kandidatenliste und bei der Wahl wirken die nichtresidierenden Domkapitulare mit.“1399

Am 15. Juni unterrichtete Pacelli den Kardinalstaatssekretär über die feierliche Unterzeichnung und kam dabei erneut auf die noch offene Frage der eventuellen Regierungserklärung zur päpst„Per sé le surriferite parole, ed ancor più l’espressione del testo italiano ‚Tenendo presenti queste listeʻ, sembrano escludere chiaramente che la S. Sede sia vincolata alle medesime, e ciò del resto risulta indubbiamente dalla storia delle trattative.“ Pacelli an Gasparri vom 29. Mai 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 121v. 1398 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 3. Juni 1929, ASV, ANB 42, Fasz. 6, Fol. 283r. Gasparri korrigierte an einer Stelle den italienischen Text des Artikels 6 dahingehend, dass er in dem Satz: „(1) Verificandosi la vacanza di una Sede Arcivescovile o Vescovile, tanto il rispettivo Capitolo Metropolitano …“ das „tanto“ gegen ein „così“ austauschte. Vgl. dazu auch die italienische Fassung des vierten Konkordatsentwurfs Solenne Convenzione fra la Santa Sede e la Prussia ohne Datum [21. Mai 1929], S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 130r–140r, hier 134r. 1399 Vgl. Art. 6 des Preußenkonkordats, Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche IV, S. 325. 1397

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lichen „Würdigung“ der eingereichten Kandidatenvorschläge zu sprechen.1400 Der Kultusminister habe ihm gegenüber noch einmal versichert, dass die preußische Regierung die Interpretation in Form der Note leisten werde, falls der Heilige Stuhl das wünsche. Allerdings hatte er Schwierigkeiten mit dem bisherigen Text: „In dem Ausdruck ‚unter Würdigung dieser Listenʻ … ist enthalten, daß der Apostolische Stuhl die dem Kapitel zu benennenden Personen möglichst aus den Listen auswählen werde, ohne im Übrigen auf diese beschränkt zu sein.“

Sollte Rom nämlich auf der Klausel „ohne im Übrigen auf diese beschränkt zu sein“ bestehen, sei der Regierung im Gegenzug daran gelegen, zu bekräftigen, „dass der Heilige Stuhl die dem Kapitel zu bezeichnenden Personen möglichst von den Listen wählen würde“1401. Ursprünglich sei vereinbart worden, dass die Note zusammen mit dem Konkordat und dem Schlussprotokoll unterzeichnet werde. Doch kurz vor dem feierlichen Akt habe ihn der „ziemlich beunruhigte“1402 Kultusminister auf die Seite genommen und informiert, dass der Ministerpräsident befürchte, für diese Form von „Geheimdiplomatie“1403 harsche Kritik zu ernten. Deshalb habe Becker gebeten, auf die Note zu verzichten und es stattdessen bei der mündlichen Konvention zu belassen, dass der Heilige Stuhl an die Kandidatenlisten der Bischöfe und Domherren nicht gebunden sei und die Terna „nur nach Möglichkeit“1404 aus ihnen zusammenstelle.1405 Weil Gasparri am 3. Juni auf die fragliche Note nicht eingegangen war, glaubte Pacelli freie Hand zu haben. Die ausführliche Schilderung des vertraulichen Gesprächs mit dem Minister hatte

Vgl. Pacelli an Gasparri vom 15. Juni 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 154r–155v. 1401 „… che la S. Sede avrebbe scelto il più possibile (möglichst) dalle liste le persone da designarsi al Capitolo.“ Pacelli an Gasparri vom 15. Juni 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 154v. Hervorhebung im Original. 1402 „… abbastanza agitato …“ Pacelli an Gasparri vom 15. Juni 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925– 1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 154v. 1403 „… ‚diplomazia segreta‘.“ Pacelli an Gasparri vom 15. Juni 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925– 1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 155r. 1404 „… soltanto nach Möglichkeit …“ Pacelli an Gasparri vom 15. Juni 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 155r. Hervorhebung im Original. 1405 Diese römische Freiheit bezeugte Becker wenig später auch in der Öffentlichkeit, was er Pacelli zuvor versprochen hatte. Ein Artikel über den Konkordatsabschluss im „Reichsboten“ (Nr. 143 vom 15. Juni 1929) gab die Erklärung des Kultusministers wieder. Für Gasparri übersetzte Pacelli den entsprechenden Abschnitt: „Del tutto pericoloso è il modo delle nomine dei Vescovi, che sono messe completamente nelle mani della Curia romana. Il Ministro del Culto Dr. Becker ha dichiarato espressamente che Roma nella formazione delle sue liste non è legata alle proposte del Capitolo o dei Vescovi tedeschi, ma si atterrà ad esse soltanto in quanto sia possibile (nach Möglichkeit).“ Pacelli an Gasparri vom 15. Juni 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 155v. Hervorhebung im Original. 1400

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offenbar den Zweck, Gasparri auf seine Entscheidung vorzubereiten, denn – wie oben schon deutlich wurde – ging er mit Beckers Bitte konform und präferierte die weniger verbindliche Variante: „… ich überlegte, dass es vor allem zum Vorteil des Heiligen Stuhls wäre, wenn sie [sc. die Note, R.H.] wegfiele; tatsächlich war das Prinzip, nicht fest an die Listen gebunden zu sein, immer unzweifelhaft, während der Heilige Stuhl auf der anderen Seite keine weitere Verpflichtung gegenüber der Regierung auf sich nimmt, ausgenommen der sehr allgemeinen und ziemlich vagen, die Listen ‚zu würdigenʻ.“1406

Pacelli glaubte sogar, dass die päpstliche Freiheit ohne Note noch deutlicher hervortrat als mit, denn die Regierung könne in diesem Fall gerade nicht mehr von Rom verlangen, die Kandidatenlisten „möglichst“ zu berücksichtigen.1407 Im Gegensatz also zu der ursprünglichen Intention dieser Note, die als Konzession an den Heiligen Stuhl gedacht gewesen war, beurteilte sie der Nuntius eher als hinderlich, ohne dabei jedoch den Kultusminister aus seiner Rolle als Bittsteller zu entlassen – immerhin wollte dieser auf die Note verzichten. Insofern fiel es dem Nuntius leicht, in den Wunsch einzuwilligen und er nutzte obendrein noch die Gelegenheit, im Gegenzug etwas zu verlangen: Er behielt sich vor, dass der Heilige Stuhl das Prinzip, nicht an die Listen gebunden zu sein, eigenständig publiziere, etwa als Anmerkung zum Konkordat in den Acta Apostolicae Sedis. Eine solch „einseitige“ Erklärung zum Listenpassus konnte aus römischer Sicht natürlich nur von Vorteil sein. Gasparri äußerte sich erneut nicht zu dieser Angelegenheit, bis Pacelli Mitte August aus eigener Initiative einen Entwurf für diese Anmerkung vorlegte: „Der Heilige Stuhl ist nicht an diese Listen gebunden, sodass er, wenn er dies für notwendig oder opportun erachtet, auch Kandidaten außerhalb derselben wählen kann.“1408 Erst jetzt sanktionierte Gasparri sowohl das Vorgehen des Nuntius als auch den konkreten Entwurf. Sein Plazet erteilte er allerdings nur implizit, indem er von Pacelli die Bestätigung wünschte, dass von Seiten der Regierung keine Vorbehalte gegen die Publikation im Päpstlichen Amtsblatt existierten.1409 „… considerai che, qualora questa venisse ad omettersi, sarebbe stato piuttosto a vantaggio della Santa Sede; infatti rimaneva sempre indubitato il principio non essere fissa vincolata alle liste, mentre che, d’altra parte, la Santa Sede non assumeva più altro impegno di fronte al Governo, all’infuori di quello generalissimo ed assai vago di ‚tener presentiʻ le liste stesse.“ Pacelli an Gasparri vom 15. Juni 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 155r. 1407 Vgl.: „Il Governo, invero, il quale aveva ora chiesto che si tralasciasse la Nota anzidetta, non poteva più esigere che la Santa Sede scegliesse il più possibile (möglichst) dalle liste la terna da rimettersi al Capitolo.“ Pacelli an Gasparri vom 15. Juni 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 155r. 1408 „La S. Sede non è tenuta a queste liste, di guisa che Essa può, qualora lo giudichi necessario od opportuno, scegliere candidati anche al di fuori delle medesime.“ Pacelli an Gasparri vom 15. August 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 190r–191v, hier 191r. 1409 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 19. August 1929, ASV, ANB 87, Fasz. 4, Fol. 114r. 1406

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Tatsächlich äußerte der Kultusminister in einer Vier-Augen-Besprechung am Abend des 22. August in der Berliner Nuntiatur Bedenken gegen Pacellis Formel, wie dieser am nächsten Tag Gasparri darlegte.1410 Den Grund für Beckers Widerstand identifizierte Pacelli in dem nie aufgegebenen Bemühen der preußischen Regierung, „mit aller Anstrengung die Befugnis des Heiligen Stuhls möglichst zu begrenzen, die Kandidaten auch von außerhalb der Listen zu wählen“1411. Deshalb richte sich der Einwand vor allem gegen das Adjektiv „opportun“ beziehungsweise das italienische „opportuno“. Becker habe auf den besonderen Sinn verwiesen, den dieser Begriff in der deutschen Sprache transportiere. Der Nuntius ließ mit sich reden: „Als ich aber antwortete, dass es unmöglich sei, jene Wendung auf die einzigen Worte ‚wenn er dies für notwendig erachtetʻ zu beschränken, ging der Minister auf die folgende Formulierung ein: ‚Der Heilige Stuhl ist nicht an diese Listen gebunden, sodass er, nachdem er sie sorgfältig geprüft hat, wenn er dies für notwendig oder angemessen [conveniente] erachtet, auch Kandidaten außerhalb derselben wählen kannʻ.“1412

Der Terminus „opportuno“ wurde durch „conveniente“ ersetzt, das weniger willkürlich und berechnend klang. Die Parenthese „nachdem er sie sorgfältig geprüft hat“ sollte offensichtlich eine zumindest moralische Verpflichtung des Heiligen Stuhls suggerieren, die eingereichten Listen ernst zu nehmen. Auch diese modifizierte Formel gewährte der Kurie nach Pacellis Meinung die gewünschte Freiheit und sei „auf jeden Fall weiter“1413 als die zuvor diskutierte nota explicativa, die den Heiligen Stuhl verpflichtete, die Kandidatenterna „möglichst“ aus den eingesandten Listen zu nehmen. Alle Beteiligten konnten mit der Formel leben. Diese wurde daraufhin in lateinischer Übersetzung als Fußnote zu Artikel 6 Absatz 1 des Konkordats im päpstlichen Amtsblatt publiziert.1414 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 23. August 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 202r–205r. Auch andere Themen wurden zu diesem Anlass besprochen, doch die Diskussion über die Anmerkung zu Artikel 6 des Konkordats beschrieb Pacelli als „[p]iù difficile e praticamente ben più importante“. Ebd., Fol. 204r. 1411 „… con ogni sforzo di restringere il più possibile la facoltà della S. Sede di scegliere candidati anche al di fuori delle liste.“ Pacelli an Gasparri vom 23. August 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 204r. 1412 „Avendo io però risposto che sarebbe impossibile di restringere quella frase alle sole parole ‚qualora lo giudichi necessarioʻ, il Ministro ha finito per accondiscendere alla seguente redazione: ‚La Santa Sede non è tenuta a queste liste, di guisa che Essa, dopo averle prese in attento esame, può, qualora lo giudichi necessario o conveniente, scegliere candidati anche al di fuori delle medesimeʻ.“ Pacelli an Gasparri vom 23. August 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 204r-v. Hervorhebung im Original. 1413 „… in ogni modo più larga …“ Pacelli an Gasparri vom 23. August 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563, Fasz. 80, Fol. 204v. 1414 Vgl.: „Apostolica haec Sedes huiusmodi elenchis non adeo tenetur, ut nequeat, postquam eos mature perpenderit, si necessarium aut conveniens duxerit, alium etiam eligere qui sit extra elenchus.“ AAS 21 (1929), S. 527. Am 1. Oktober wurde diese Formel noch einmal dahingehend präzisiert, dass der Heilige Stuhl auch mehrere Kandidaten, die nicht auf den Vorschlagslisten standen, benennen durfte: „In nota 1410

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Damit war die Streitfrage über den künftigen Besetzungsmodus der Bischofsstühle in Preußen, die streng genommen seit beinahe zehn Jahren, seit den ersten Überlegungen im Kontext der Kölner causa, diskutiert wurde, endlich gelöst. Der neue Modus musste sich nun in der Praxis bewähren.

Ergebnis 1. Die gesamten Bemühungen Pacellis im Ringen um einen akzeptablen Modus zur Besetzung der Bischofsstühle werden erst verständlich, wenn man bedenkt, wie er sich einen idealen Diözesanbischof vorstellte.1415 Dass die Oberhirten für die preußischen Bistümer möglichst aus Preußen stammen sollten, zumindest aber deutsche Staatsbürger sein mussten, war für Pacelli selbstverständlich. Ebenso unstrittig war, dass sie die „von den heiligen Canones geforderten Qualitäten“1416 besitzen mussten. Diese Grundprämisse konstituierte „an sich würdige und geeignete Hirten“, „gute“ Bischöfe. Für einen „sehr guten“ episcopus jedoch war seiner Ansicht nach mehr erforderlich: „wahrhaft römischer Geist“ sowie „feste und gesunde philosophisch-theologische Bildung“, die beide zusammengenommen die in Deutschland dringliche Reform in der Ausbildung des Klerus voranbringen sollten. Die Analyse der deutschen Theologie bildete den Ausgangpunkt für Pacellis Überlegungen. Das von ihm diagnostizierte Übergewicht an historischer und positiver Fragestellung und Methode bei gleichzeitiger Vernachlässigung der systematischen und spekulativen Bereiche führte – trotz guter Absichten – zu falschen Auffassungen und Irrtümern, die er an den Werken Rademachers und Wittigs exemplifizierte. Eine grundlegende Kurskorrektur im Sinne einer römisch-scholastischen Theologie war nötig, für welche die Studienkongregation mit ihrem Geheimerlass an den deutschen Episkopat von 1921 den Kompass bereitstellte. Damit diese Instruktion kein toter Buchstabe blieb, brauchte es Oberhirten, die „vollauf die Wichtigkeit dieser Reformen erfasst haben und mit aller Energie die vollständige Umsetzung betreiben“. Den meisten Geistlichen, welche die defiziente Theologie an den deutschen Lehranstalten studiert hatten, sprach Pacelli die gewünschte Einsicht in die theologischen Mängel und daher auch in die Notwendigkeit der Reformen ab, auch wenn „sie eifrig und treu gegenüber der Kirche sind“. Als Bischofsanwärter vorzuziehen waren ad art. 6, § i, Sollemnis Conventionis inter Sanctam Sedem et Borussiae Rempublicam, in calce p. 527 huius Commentarii Officialis, verba ‚alium etiam eligere qui sit extra elenchos‘ legenda, seu, si mavis, intellegenda sunt ita: ‚alios etiam eligere qui sint extra elenchos‘.“ Vgl. ebd., S. 577. Vgl. dazu auch Link, Besetzung, S. 248f.; Mörsdorf, Besetzungsrecht, S. 127. 1415 Das Ergebnis bezieht die beiden vorbereitenden und überleitenden Exkurs-Kapitel mit ein. 1416 Vgl. dazu die in Bd. 1, Kap. I.6 skizzierten Voraussetzungen für das Bischofsamt nach den Vorgaben des CIC. 370

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also Kleriker, welche selbst die korrekte Ausbildung erfahren hatten, vorzugsweise an römischen Hochschulen, wie der Gregoriana, an der die Alumnen des deutschen Jesuitenkollegs Germanicum lernten. Deshalb sorgte Pacelli mit aller Vehemenz dafür, dass die römischen Studien von Regierungsseite als legitime Voraussetzung für die Übernahme eines geistlichen Amtes anerkannt wurden.1417 Auf der anderen Seite bedeutete diese Präferenz nicht, dass der Nuntius exklusiv „römische“ Kandidaten für die Bischofsstühle forderte. Eine diesbezügliche Befürchtung der Regierung konnte er mit Verweis auf die Besetzung der Tützer Administratur von 1925 entkräften, wo durch sein Wirken mit Maximilian Kaller ein Administrator installiert worden war, der nicht in Rom, sondern in Breslau studiert hatte. Pacelli hatte Kaller gerade auch vor dem Hintergrund der Konkordatsverhandlungen ausgewählt, weil dieser der preußischen Regierung keinen Anlass zur Kritik gab, und konnte daher leicht als Referenz angeführt werden. Dessen ungeachtet erwartete der Nuntius von Kaller dennoch, die römischen Instruktionen zur Priesterausbildung so weit wie möglich umzusetzen. Eine Minderheit unter den nicht in Rom studierten Klerikern, die dennoch den „römischen Geist“ und die klaren Vorstellungen zur Studienreform besaß, gab es nach Ansicht Pacellis also durchaus und konnte als „sehr gute“ Hirten an die Spitze der Bistümer gestellt werden. 2. Logischerweise musste das Verfahren zur Besetzung der Bischofsstühle so konzipiert werden, dass am Ende die gewünschten Geistlichen die Mitra erhielten. Eine freie Bischofswahl durch die Domkapitel konnte dies nach Pacellis Ansicht nicht leisten: Wie sollten theologisch korrekt ausgebildete Geistliche, die vollständig von der Notwendigkeit einer Studienreform nach römischer Direktive überzeugt waren, von Geistlichen gewählt werden, die diese Priorität aus fehlender Einsicht nicht oder nur unzureichend teilten, weil sie selbst eine defiziente Theologie gelernt hatten? Es war gewissermaßen ein circulus vitiosus: Ungenügende Domherren wählten ungenügende Bischöfe, die unzureichend für die Priesterausbildung sorgten und dadurch letztlich wiederum für ungenügende Domherren verantwortlich waren, womit der Kreislauf von vorne begann. Um das Dilemma aufzulösen, mussten die Einflussmöglichkeiten der Kanoniker im Verfahren reduziert und die des Heiligen Stuhls maximiert werden, weil dieser nach Ansicht des Nuntius die richtige Kriteriologie bei der Auswahl von Kandidaten anlegte. Deshalb musste er befähigt werden, 1417

Des Weiteren setzte sich Pacelli dafür ein, dass auch das Innsbrucker Jesuitenkolleg Canisianum als legitime Ausbildungsstätte galt. Implizit gelang ihm das in der Bestimmung des Art. 9, Abs. 2: „Bei kirchlichem und staatlichem Einverständnis … kann das Studium an anderen deutschsprachigen Hochschulen … anerkannt werden.“ Huber/​Huber (Hg.), Staat und Kirche IV, S. 326. Hervorhebung R.H. Vgl. dazu Pacelli an Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 80, Fol. 74r-v. Vgl. zur Innsbrucker Jesuitenfakultät Coreth, Fakultät; Rahner, Geschichte; Rees, Fakultät. 371

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selbst Geistliche in den Besetzungsprozess „einzuspeisen“. Als Idealform ergab sich damit eine freie päpstliche Nomination der Diözesanbischöfe gemäß Can. 329 § 2 des kirchlichen Gesetzbuches. Ungeachtet aller formalen Zentralisierungsbestrebungen, die einer ekklesiologisch-hierarchischen Grundauffassung entsprangen und insbesondere durch das Erste Vatikanische Konzil und den Kodex von 1917 geprägt waren, hatte also die von Pacelli gewünschte Konzentration aller Befugnisse beim Heiligen Stuhl einen spezifisch sachlichen Grund. Dies war die theoretische Grundlage, die Praxis sah jedoch anders aus. Tatsächlich war sich Pacelli bewusst, die Domkapitel nicht vollständig aus dem Besetzungsverfahren heraushalten zu können. Mit realistischem Blick und als Kenner der deutschen Verhältnisse sah er ein, dass gegen das gemeinsame Votum von Domkapitel, preußischem Episkopat und Regierung nicht ohne Weiteres anzukommen war und jedenfalls die Kosten dafür zu hoch sein mussten. Deshalb hielt er bereits zu Beginn seiner Berliner Verhandlungen ein Vorschlags- (Juli 1920) beziehungsweise Wahlrecht der Domherren (Februar 1921) für möglich und bekräftigte gegenüber Gasparri, dass man die Kapitelswahl schwerlich ausschalten konnte (Mai 1922).1418 Wenn er auch in der Dynamik der Verhandlungen versuchte, den bayerischen Modus in Preußen zu etablieren und den Verhandlungsführern zu diesem Zweck sogar Bertrams „römischen“ Vorschlag vortrug (Juni 1926) (vgl. Nr. 3), war er von vornherein bereit, vom idealen Besetzungsmodus abzurücken und den realpolitischen Umständen Rechnung zu tragen.1419 Folgerichtig benötigte er ein Besetzungsverfahren, das einerseits durchsetzbar war und andererseits dem Heiligen Stuhl die nötige Freiheit gewährte, um die gewünschten episcopabili auf die Bischofsstühle zu bringen. Gerade diesen Spagat erklärte er dem Kardinalstaatssekretär im Mai 1922 mit der Feststellung, dass man den Domkapiteln das Wahlrecht nicht vollständig überlassen könne, sondern eine größere Freiheit Roms im Verfahren verankern müsse. Unter diesen Grundkriterien beurteilte Pacelli alle Besetzungsmodi, die im Verlauf der Verhandlungen diskutiert wurden, wie etwa die drei im März 1926 von preußischer Seite vorgelegten Verfahren: Sowohl der Trierer Modus von 1922 als auch die beiden Varianten der Kapitelswahl aus einer römischen Terna konnten ihn nicht zufriedenstellen. Bei ersterem hatte der Heilige Stuhl nur ein Bestätigungsrecht, bei letzteren musste die Terna aus den von Domkapitel oder Episkopat eingegangenen Vorschlägen zusammengestellt werden. Da die Kurie hier nur auf die Geistlichen zurückgreifen konnte, die von Seiten der preußischen Kirche vorgelegt wurden, war der oben genannte aufzubrechende Kreislauf noch immer intakt. Das punctum saliens war also die ListenbinAuch im Kontext der bayerischen Konkordatsverhandlungen zeigte sich Pacelli überzeugt, dass das Kapitelswahlrecht in Preußen künftig weiterbestehen werde (Dezember 1922). Vgl. Bd. 3, Kap. II.2.1 (Die Forderung des Kapitelswahlrechts durch die staatlichen Verhandlungsführer). 1419 Deshalb scheint mir die Einschätzung von Johannes Dambacher noch differenzierungsfähig: „Pacelli suchte in seinen Konkordatsverhandlungen das Wahlrecht zu kippen und das Besetzungsrecht Rom in die Hände zu legen, wie es im kanonischen Recht vorgesehen war.“ Dambacher, Pacelli, S. 159. 1418

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dung: Nur wenn Rom die Freiheit besaß, eigene Kandidaten außerhalb der Vorschlagslisten zur Wahl zu stellen, war gesichert, den Episkopat nach eigener Vorstellung sukzessive auswechseln zu können. Insofern stand und fiel Pacellis Kompromissmodus (Mai/​Juni 1926) genau an dieser Stelle: Durch die – wie er selbst zugab – „sehr allgemeine und ziemlich vage“ Verpflichtung, die Vorschläge zu „würdigen“, die dem Heiligen Stuhl letztlich eine vollkommene – und nicht nur eine größere – Freiheit bei der Aufstellung der Terna ließ, nahm Rom die geforderte konstitutive Rolle im Verfahren ein. Gleichzeitig stellte der Modus durch Kapitelswahlrecht und Listenverfahren die Bischöfe, die Regierung und zumindest teilweise die Domkapitel (s.u.) zufrieden. Der staatlichen Seite konzedierte er außerdem das geforderte politische Bedenkenrecht (vgl. Nr. 3). Insofern war der Vorschlag letztlich genial: Formaliter handelte es sich um einen Kompromiss zwischen allen Beteiligten, der in der Frage der Bistumsbesetzung den Verhandlungsdurchbruch brachte, doch realiter erreichte Pacelli mit ihm genau das, was er von Anfang an angestrebt hatte. Bei allen folgenden Diskussionen um Details änderte sich die Essenz des Kompromisses nicht mehr. Daher war der schlussendlich im Konkordat verankerte Modus für Pacelli ein voller Erfolg und keineswegs etwa das Ergebnis eines gescheiterten Versuchs, das päpstliche Nominationsrecht durchzusetzen.1420 Im Gegenteil hatte er Letzteres gar nicht ernsthaft versucht, weil es ihm unmöglich oder mindestens inopportun erschien. Die fehlende Listenbindung betrachtete Pacelli als klaren Vorteil gegenüber der bayerischen Regelung. Obwohl dort der Papst die Bischöfe nominierte, waren die römischen Einflussmöglichkeiten im preußischen Modus in gewisser Weise sogar noch größer, falls es gelang, drei gleichwertige Kandidaten zu finden, die man dem Domkapitel zur Wahl vorlegen konnte. Pacelli selbst war davon überzeugt, sodass er den Vorschlag aus Rom, die Dreierliste auf eine „Zweierliste“ zu reduzieren, abwies. Wie optimal Pacellis Modus aus römischer Perspektive war, wird besonders augenfällig, wenn man ihn mit Gasparris „definitivem“ und paradigmatischem Besetzungsverfahren vergleicht (Mai 1921): Der Kardinalstaatssekretär veranschlagte ein päpstliches Nominationsbeziehungsweise „Auswahlrecht“ aus einer Terna, die vom Domkapitel und von den Metropoliten vorgelegt worden war. Dabei hielt Gasparri es für „einen Beweis des besonderen Wohlwollens“, dass die Letztgenannten am Verfahren beteiligt wurden. Doch gegenüber dem von Pacelli entworfenen „Kompromiss“ fiel diese Formel in doppelter Hinsicht ab: Einerseits war sie – nach Einschätzung des Nuntius – nicht durchsetzbar, weil sie ungeachtet des behaupteten „Wohlwollens“ das Wahlrecht ausschaltete. Andererseits brachte sie dem Heiligen Stuhl trotz des päpstlichen 1420

Seinen Erfolg dokumentierte Pacelli wenig später auch in seinem Abschlussbericht: „I recenti Concordati del 1924 per la Baviera e del 1929 per la Prussia danno alla S. Sede una parte del tutto preponderante nella scelta dei nuovi Pastori, e quindi la possibilità di preporre alle diocesi vacanti dei Prelati, i quali comprendano il bisogno di riforme nella educazione del clero e siano risoluti ad attuarle.“ Pacelli an Perosi vom 18. November 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1927–1931, Pos. 511 P.O., Fasz. 24, Fol. 30v, Wolf/​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 194f. 373

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Ernennungsrechts de facto erheblich weniger Einflussmöglichkeiten als Pacellis Wahl-Variante. Tatsächlich konnte Rom nur aus drei Geistlichen auswählen, ohne jede Möglichkeit, diese Trias im Vorhinein zu beeinflussen. Damit bestand der von Pacelli als Hauptproblem diagnostizierte „Kreislauf “ unvermindert weiter. Mit der Vorgabe des Kardinalstaatssekretärs konnte er demnach überhaupt nichts anfangen (vgl. Nr. 5). Damit jedoch die hochgeschätzte Freiheit des Heiligen Stuhls bei Aufstellung der Terna nicht bloß konkordatäre Norm blieb und etwa an der konkreten Durchsetzung scheiterte, überlegte sich der Nuntius umgehend Parameter für das Listenverfahren: „getrennt“ und „sub secreto“ sollte jeder Bischof seine Vorschläge einreichen, damit es „für keinen möglich wäre, zu überprüfen, ob die Namen der Terna auf den verschiedenen Listen enthalten sind oder nicht“. Das Ziel war also eine völlige Intransparenz auf Seiten der preußischen Kirche, um Proteste und Widerstände gegen die römischen Personalentscheidungen bereits im Keim unmöglich zu machen. Ob Pacelli tatsächlich beabsichtigte, die Vorschlagslisten künftig zu ignorieren – obwohl er die moralische Verpflichtung Roms akzeptierte, die Kandidatenvorschläge „sorgfältig“ zu prüfen – oder dem Heiligen Stuhl lediglich die Option offenhalten wollte, im Bedarfsfall so handeln zu können, muss die Analyse der folgenden Besetzungsfälle erbringen.1421 Wie das Listenverfahren in concreto geregelt werden sollte, war jedenfalls kein Gegenstand der Konkordatsverhandlungen mehr, und Pacelli verzichtete darauf – anders als etwa in Bayern –, durch Ausfertigungsdekrete die Spezifikationen festzulegen. Diese blieben daher Instruktionen im Einzelfall überlassen. Wie schon hier ersichtlich war Pacelli generell bestrebt, den Artikel 6 des Konkordats möglichst knapp zu halten, nur das Nötigste zu involvieren und das Übrige der kurialen Regelung zu überlassen: Deshalb verzichtete er beispielsweise gerne auf die staatliche nota explicativa. Deshalb sorgte er ebenfalls dafür, dass die genauen Bestimmungen, wie das Prozedere nach der staatlichen Ablehnung eines Kandidaten aussehen sollte, aus der Formulierung gestrichen wurden. Immer ging es darum, die römische Freiheit nicht in irgendeiner Weise einzuschränken. Nur scheinbar im Widerspruch dazu steht, dass er die staatliche Forderung akzeptierte, etwaige politische Bedenken gegen den electus zwischen der Regierung und dem jeweiligen Domkapitel und nicht zwischen der Regierung und dem Heiligen Stuhl klären zu lassen. Zu bedenken ist hierbei nämlich, dass er zu dieser Konzession bereit war, um die Freiheit im Umgang mit den Vorschlagslisten zu schützen. Abgesehen davon konnte der genaue Ablauf dieses Verfahrens innerkirchlich von Rom aus noch näher geordnet und das Domkapitel zum Beispiel nach eigenem Gutdünken instruiert werden. Vorschlags- und Wahlrecht waren offensichtlich keine Konzessionen, die Pacelli aus Sympathie zu den Domkapiteln gewährte. Zwar bezog er ihre Argumente zum Fortbestand der Bischofswahl in seine Überlegungen ein und war sich absolut bewusst, dass die Domherren bei gegenteiligem 1421

Vgl. dazu die Auswertung in Bd. 4, Kap. III.2.2. 374

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Ausgang „schmerzhaft ernüchtert“ sein würden. Letztlich bestand seine Motivation aber darin, dem staatlichen Vertragspartner entgegen zu kommen, der auf das Wahlrecht entscheidenden Wert legte. Insofern ist es nicht überraschend, dass Pacelli mit den Bischöfen Rücksprache über seinen Kompromissmodus hielt (vgl. Nr. 4), mit den Domkapiteln – nach Lage der Quellen – jedoch nicht. Außerdem konnten diese mit dem faktisch Erreichten nicht vollauf zufrieden sein: Der als Vorbild verstandene Trierer Wahlmodus hatte ihnen erheblich mehr Befugnisse zugestanden, sodass die preußischen Domkapitel sogar eine Wahl aus einer römischen Dreierliste als unzumutbar deklarierten (Februar 1921). Diese selbstbewussten Forderungen der Kanoniker, die Pacelli gegenüber Gasparri nicht weiter kommentierte, waren dem Nuntius jedoch gleichgültig. Angesichts seiner bisherigen Erfahrungen in Deutschland erachtete er es stattdessen für wichtig, ihnen einen streng diskreten Umgang mit der Bischofswahl einzuschärfen. Hier sah er eine Schwachstelle im Verfahren, die kein gutes Licht auf die Meinung wirft, die Pacelli von den Domherren besaß. Die wesentliche Rolle bei der Besetzung der Bischofsstühle, die sie bislang besessen hatten, hatte er zugunsten Roms auf ein geringes Maß zurückgeschnitten. Während dieser „Rest“ aber eine Konzession darstellte, die indirekt nur der Regierung geschuldet war, sicherte die politische Klausel dem Staat eine direkte Einflussnahme. Damit ist der nächste Punkt angesprochen. 3. Die Frage nach dem Einfluss des Staates auf die kirchlichen Belange im Allgemeinen und die Besetzung der Bischofsstühle im Besonderen markiert die Grundproblematik, über die seit dem Fall der Monarchie praktisch die gesamten 1920er Jahre hindurch diskutiert wurde. Die Sedisvakanzen in Köln, Paderborn, Trier, Tütz und letztlich noch Hildesheim und Berlin katalysierten und befeuerten diese Debatte, waren gewissermaßen selbst Bestandteile der Verhandlungen und sind deshalb an dieser Stelle mitzulesen. Obwohl Pacelli von Anfang an den Fokus besonders auf das bayerische Konkordat legte, war er offen für die (nie völlig voneinander zu trennenden) Verhandlungen mit dem Deutschen Reich und mit Preußen. Dabei waren ihm die erheblich schwierigeren (kirchen-) politischen und mentalitätsbezogenen Voraussetzungen für ein erfolgreiches und den eigenen (römischen) Ansprüchen akzeptables Konkordat bewusst, sie bildeten regelmäßig Anlass zur Klage in seinen Berichten an den Kardinalstaatssekretär. Die aus der föderalistischen Struktur Deutschlands erwachsenen Komplikationen, die Hartnäckigkeit der preußischen „Sturköpfe“, die kirchenfeindliche Haltung protestantischer und sozialistischer Kreise sowie zahlreicher Verhandlungspartner wie vor allem der Minister Becker und Höpker-Aschoff, die Schwäche der Zentrumsabgeordneten und zu allem Überfluss der Widerstand oder zumindest die mangelnde Unterstützung des preußischen Episkopats (vgl. Nr. 4): All dies führte zu Sackgassen und mitunter langen Unterbrechungen in den Verhandlungen, die Pacelli teils durch verschiedene Druckmittel zu beheben versuchte, teils aber auch in Kauf nahm. Als „Waffen“  –  wie er selbst sagte –  dienten ihm etwa die Trierer Sedisvakanz und die Administratoreinsetzung in Danzig, aber auch die Androhung, dass der Heilige Stuhl nicht zögern werde, in Preußen künftig das ius 375

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commune anzuwenden. Ernsthaft war Pacelli hieran nicht gelegen, weil er der Kirche auf Basis der WRV stattdessen vertraglich gesicherte Freiheiten beschaffen wollte. Effektiv war die Drohung jedoch gerade deshalb, weil sie in den Augen der Regierung das Bischofswahlrecht gefährdete, das diese unbedingt bewahren wollte. In Kauf nahm der Nuntius schließlich das vorübergehende Ende der Verhandlungen mit Preußen 1922, da die Regierung sich nur zu einer Verhandlung der partiellen Konkordatsmaterie im Umfang der alten Zirkumskriptionsbullen bereit erklärte. Abgesehen von den negativen Auswirkungen für das Bayernkonkordat ging Pacelli nicht darauf ein, weil er bei aller Konkordatsaffinität lieber (vorerst) gar keinen als einen unvollständigen Vertrag wünschte – dass er das Konkordat letztlich ohne Schulklausel akzeptierte, steht auf einem anderen Blatt und war der bitteren Einsicht geschuldet, absolut nicht mehr erreichen zu können. Unstrittig war für ihn jedenfalls, unter diesen Umständen das Konkordat nur mit weitreichenden Konzessionen abschließen zu können. Dies zeigte sich bereits von Anfang an in seiner Bereitschaft, über das Kapitelswahlrecht zu verhandeln. Schon im Februar 1921 deklarierte er es als Verhandlungsmasse, das für „angemessene Vergütungen“ eingetauscht werden konnte, wobei er hier an die Schulen, die Fakultäten beziehungsweise die Vorbildung der Geistlichen und die Staatsleistungen dachte. Die letzten Punkte konnte er immerhin auf eine Weise im Konkordat verankern, die den Heiligen Stuhl weitgehend zufriedenstellte.1422 Ob er das Wahlrecht allerdings gegen eine konkrete staatliche Konzession oder ein bestimmtes Detail „tauschte“, können die vatikanischen Quellen nicht klären. Offenbar hatte er erkannt, dass bei Negation des Kapitelswahlrechts das Konkordat insgesamt in Gefahr oder jedenfalls die Kompensationskosten viel zu hoch waren, angesichts des Werts, den die Regierung auf dieses Thema legte. Nicht ohne Grund stand es in den ersten konkreten Verhandlungen im März und Juni 1926 ganz oben auf der Agenda und blieb über lange Zeit einer der zentralen Streitpunkte. Auch für Pacelli gehörte die „schwere Frage“ der Besetzung der Bischofsstühle zu den wesentlichen Vertragsinhalten, wobei er insbesondere zwei Ziele verfolgte: die Ausschaltung des freien Wahlrechts und der staatlichen Ingerenz. a) Die von staatlicher Seite geforderte „reine und einfache“ Kapitelswahl lehnte Pacelli aus den skizzierten Gründen (vgl. Nr.  2) kategorisch ab. Er hob das Thema den Unterhändlern gegenüber auf eine existenzielle Ebene, indem er es als eine päpstliche „Gewissensfrage“ deklarierte. Tatsächlich war es zunächst einmal sein Gewissen, das des päpstlichen Gesandten, das ihm die Ablehnung diktierte. Im Gegenzug schlug er vor, den bayerischen Besetzungsmodus in Preußen zu installieren. Später legte er sogar die Bertram’sche Variante vor, die hinsichtlich der römischen Freiheit noch viel weiter ging und vor welcher die bayerische Regelung wie die via media

1422

Nicht vergessen werden darf außerdem, dass er die für Rom entscheidende Errichtung des Bistums Berlin gegen preußische Widerstände durchsetzen konnte. Vgl. zu diesen Themen die entsprechenden Einschätzungen Pacellis in seinem Bericht für Gasparri vom 23. März 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1925–1933, Pos. 563 P.O., Fasz. 80, Fol. 68r–77r. 376

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erschien. Doch handelte es sich hier um ein rein strategisches Vorgehen: Wenn Pacelli für das (eingeschränkte) Kapitelswahlrecht Gegenleistungen erzielen wollte, durfte er es nicht direkt anbieten, sondern musste es sich abringen lassen – insofern waren Bertrams Vorschlag und letztlich auch der bayerische Modus taktische Negationsmasse. Dass er nicht realiter davon ausging, einen von beiden durchsetzen zu können, ergibt sich nicht nur aus seiner nüchternen und klarsichtigen Einschätzung zum schier unüberwindlichen Rückhalt des Kapitelswahlrechts in Preußen, sondern auch aus der Tatsache, dass er sich frühzeitig und vorausschauend einen Kompromissmodus zurechtgelegt hatte, den er „nach langer Diskussion“ – das heißt, er „verkaufte“ ihn so teuer wie möglich – präsentieren konnte. Obwohl er sich für diesen zuvor das römische Plazet besorgt hatte, qualifizierte Pacelli ihn seinen Verhandlungspartnern gegenüber als reine „Privatmeinung“ und erklärte es als ungewiss, ob der Heilige Stuhl zustimmen würde. Die Taktik, Konzessionen zurückzuhalten und dadurch einen „Zustand ängstlicher Unsicherheit“ zu erzeugen, sollte die staatlichen Unterhändler bei anderen Verhandlungsgegenständen gefügiger machen  –  der Nuntius zeigte hier das Gesicht eines geschickten und realpolitisch denkenden Diplomaten. Zu dieser realpolitischen Ausrichtung gehörte letztlich auch, wie er mit der aporetischen Situation umging, das Wahlrecht in Preußen einerseits nach Lage der Dinge gestatten zu müssen und andererseits gleichzeitig – vor dem Hintergrund des Bayern gegebenen Versprechens – nicht gestatten zu dürfen. Trotz des Ärgers, den dieser Schritt verständlicherweise auf bayerischer Seite hervorrief, entschied sich der Nuntius dafür, das Versprechen zu brechen. Weil das bayerische Konkordat bereits abgeschlossen war, der Erfolg des preußischen hingegen bisweilen am seidenen Faden hing, ist Pacellis Entscheidung nicht überraschend. Vergessen werden darf allerdings nicht, dass ihn erst Gasparris Anweisungen im Kontext der bayerischen Verhandlungen in dieses Dilemma gebracht hatten (vgl. Nr. 5).1423 b) Unnachgiebiger als beim Wahlmodus war Pacelli hinsichtlich der direkten staatlichen Einflussnahme auf die Einsetzung der Bischöfe. Eine Einmischung der Regierung betrachtete er nicht nur als „verachtenswert“ – wie er sich anlässlich der Kölner causa ausgedrückt hatte – und der Kirche als societas perfecta unangemessen, sondern auch durch die politischen Veränderungen als delegitimiert und als ehemaliges Privileg contra libertatem ecclesiae durch die WRV aufgehoben. Im Kern ging es hier um die Frage der Fortgeltung der alten Rechtsgrundlagen, die bereits anlässlich des Kölner Falls ausgiebig diskutiert wurde.1424 Noch immer wollte Pacelli nicht den aussichtslosen Versuch unternehmen, diese Frage theoretisch mit der Regierung zu debattieren, zumal das gar nicht nötig war: Artikel 137, Absatz 3 der WRV schrieb der Kirche eine absolute Freiheit in der Besetzung der Kirchenämter zu, auf die sich der Nuntius fundiert berufen konnte. Daher war es nicht zufällig, dass er die beiden Punktationen in den beginnenden Reichskonkordatsverhand1423 1424

Vgl. Bd. 3, Kap. II.2.1 (Ergebnis Nr. 3). Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.1 (Ergebnis Nr. 3). 377

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lungen (März 1920 und November 1921) in enger terminologischer Anlehnung an die Verfassung formulierte und die völlige Freiheit bei der Einsetzung der Bischöfe verlangte. Auf dieser starken Grundlage forderte er von Preußen die sofortige Derogation der verbliebenen Kulturkampfgesetze und eine unmittelbare Beseitigung des Einflusses auf die Besetzung der Bistümer, wogegen sich die Regierung seit 1919 beharrlich gesträubt hatte. Tatsächlich erreichte Pacelli im April 1922, dass Kultusminister Boelitz ganz ohne Gegenleistungen die frühere Praxis der Exklusive und der Entsendung eines Wahlkommissars aufgab. Für ein quid pro quo-Geschäft, das die Regierung hier gerne gehabt hätte, war ihre Position zu schwach – irgendwann musste sie der WRV Rechnung tragen. Für Pacelli war dieser Verzicht das Hauptziel in diesem Metier und die Prämisse für ernsthafte Verhandlungen. Obwohl die WRV der Kirche die völlige Autonomie in der Ämterbesetzung gewährte, gelang es Pacelli jedoch nicht, dieses Maximum im Konkordat umzusetzen. Die Kehrseite seiner Politik, die Frage der Fortgeltung insgesamt in der Schwebe zu lassen, war logischerweise, dass die Regierung allen römischen Präzedenzklauseln zum Trotz noch immer behaupten konnte, der Heilige Stuhl halte die alten „Kronrechte“ nach wie vor für gültig. Auf dieser Verhandlungsgrundlage konnte Boelitz daher nicht nur das Kapitelswahlrecht fordern, sondern auch ein direktes „Mitwirken“ der Regierung, wenngleich er anders etwa als Bergen (Januar 1922) und Delbrueck (April 1922) kurz zuvor nur eine Notifikation der zur Wahl stehenden Kandidaten vorschlug. Er untermauerte diesen Anspruch mit der schon beliebten Ankündigung, notfalls Konsequenzen im Bereich der Dotation – „das wichtigste staatliche Druckmittel“1425 – und Pfarrgehälter zu ziehen. Wollte Pacelli also die finanziellen Einschränkungen nicht riskieren und die generellen Beziehungen zum preußischen Staat nicht belasten, blieb ihm nichts anderes übrig, als die Regierung zumindest geringfügig am Verfahren der Bischofseinsetzungen zu beteiligen. Letztlich hatte Pacelli aber mit einer solchen staatlichen Partizipation in Form eines bloßen politischen Bedenkenrechts keine Schwierigkeiten. Als „Ersatz“ für das staatliche Veto entsprach es der Praxis des Heiligen Stuhls seit dem Ende des 19. Jahrhunderts,1426 wobei insbesondere sämtliche Konkordate seit Ende des Ersten Weltkriegs eine Art politischer Klausel kannten.1427 Auch Gasparris „definitiver“ Besetzungsmodus (Mai 1921) beinhaltete ein staatliches Bedenkenrecht, dessen genauer Umfang innerhalb der AES am 30. Juli 1922 definiert wurde. Pacelli selbst hatte nicht nur im bayerischen Konkordat eine entsprechende Klausel konzediert, sondern schon im Golombek, Vorgeschichte, S. 78. Hervorhebung im Original. Die ältesten „politischen Klauseln“ finden sich in den Konkordaten mit Montenegro (1886) und Kolumbien (1887). Vgl. dazu Kaiser, Klausel, S. 63f., 67–69. 1427 Bis zum Abschluss des Preußenkonkordats waren das Lettland (1922), Bayern (1924), Polen (1925), Litauen (1927), Tschechoslowakei (1927), Rumänien (1927), Portugal (1928) und Italien (1929). Die Klauseln sind zusammengestellt bei Kaiser, Klausel, S. 70f. Anm. 36. Vgl. auch Mörsdorf, Besetzungsrecht, S. 148–153. 1425 1426

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Serbienkonkordat von 1914, das er damals als Sekretär der AES „weitgehend selbständig“1428 ausgehandelt hatte, war ein Bedenkenrecht verankert worden. Insofern ist es folgerichtig, dass sein Kompromissmodus (Mai/​Juni 1926) ebenfalls das Recht der Regierung verbürgte, „Bedenken politischer Art“ – gemeint waren allgemeinpolitische, das heißt staatspolitische und nicht parteipolitische Einwände – geltend zu machen, und er sogar bereit war, dasselbe auf Koadjutoren und Administratoren auszudehnen. Dass er das Bedenkenrecht für legitim und angemessen hielt, lässt sich schließlich auch daran ablesen, wie zügig er nicht nur die Verschärfung des Wortlauts akzeptierte – der Heilige Stuhl „wird zum Bischof … niemand bestellen“, von dem nicht festgestellt wurde, dass die Regierung keine Bedenken hegte (Februar 1929) –, sondern auch, dass die Domkapitel für die Absprache mit dem Staat zuständig sein sollten (vgl. Nr. 2). In der Berichterstattung ging Pacelli gar nicht näher darauf ein. Für Diskussionsstoff in dieser Sache sorgte hingegen, wo im Verfahrensverlauf die Anfrage nach Bedenken stattfinden sollte: Eine Situierung vor der Wahl, wie von preußischer Seite zunächst gewünscht, brachte nach Meinung Pacellis die Gefahr von staatlichen Pressionen oder wenigstens Beeinflussungsversuchen auf das Domkapitel mit sich. Letztlich war sogar eine zumindest informelle Restitution eines staatlichen Vetos zu befürchten. Hier zog Pacelli eine klare Grenze, setzte den Zeitpunkt der Anfrage „nach der Wahl“ durch (August 1928) und sorgte schließlich auch dafür, dass dieser spezifizierende Einschub im Konkordatstext verankert wurde (Mai 1929). Nach zähem Ringen mit den preußischen Unterhändlern war es Pacelli gelungen, den staatlichen Einfluss auf die Besetzung der Bischofsstühle – indirekt in Form des Kapitelswahlrechts samt Listenverfahren und direkt in Form der „politischen Klausel“ – auf ein Minimum zu reduzieren. Dieses konnte trotz der in der WRV vorgesehenen absoluten Autonomie der kirchlichen Ämterbesetzung schwerlich noch unterboten werden, wenn das Konkordat erfolgreich vereinbart und ein einvernehmlicher und friedlicher Umgang mit dem Staat ermöglicht werden sollte. Insofern stand dem Nuntius zwar die ideale Regelung des CIC – freie päpstliche Nomination ohne staatliche Einmischung und Mitwirkung anderer kirchlicher Instanzen – als theoretische Zielvorgabe vor Augen, doch eine vollständige Umsetzung desselben im Preußenkonkordat war für ihn zu keiner Zeit eine ernstzunehmende Option.1429 4. Dass Pacelli bei seinen Überlegungen zur Besetzung der Bischofsstühle Ratgeber herangezogen oder Informanten konsultiert hätte, dokumentieren die vatikanischen Quellen so gut wie nicht. Besier, Heilige Stuhl, S. 21. Vgl. dazu Chenaux, Diplomate, S. 76–84; Cornwell, Pius XII., S. 70–82; Samerski, Kirchenrecht und Diplomatie, S. 291f. 1429 Gleiches galt übrigens für Pius XI. und Gasparri. In diesem Sinne ist die Einschätzung von Erwin Gatz zu differenzieren: „Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri und noch mehr Pacelli waren nach anfänglichem Zögern entschlossen, die Bestimmungen des CIC über die freie Verleihung der Bistümer durch den Hl. Stuhl durchzusetzen.“ Gatz, Ringen, S. 101. 1428

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Einzig Kaas, der 1920 sein Berater in den staatskirchenrechtlichen Fragen und schnell eine enge Vertrauensperson wurde, stand sowohl ideell als auch in den konkreten Verhandlungen an seiner Seite.1430 Gerade auch für die richtungsweisenden Verhandlungen über die Bischofseinsetzungen vom 15. Juni 1926 griff Pacelli auf den Zentrumsprälaten und gebildeten Kanonisten zurück, und man darf davon ausgehen, dass er die Kernpunkte des Kompromissmodus mit ihm absprach und diskutierte. Auch um die päpstlichen Hochschulen als legitime Ausbildungsstätten für die geistliche Vorbildung durchzusetzen, leistete Kaas argumentative Unterstützung (August 1926), wofür sich dieser ganz besonders eignete, denn immerhin war er als ein den deutschen Interessen verpflichteter Politiker anerkannt, obwohl er als Alumne des Germanicums die römische Ausbildung genossen hatte. Letzteres vergaß Pacelli in seiner Berichterstattung nicht zu erwähnen. Er präsentierte Kaas nicht nur als romtreuen Geistlichen, sondern beschrieb ihn außerdem als intelligent, kultiviert und zuverlässig – alles Qualitäten, die Pacelli in besonderem Maße schätzte. Kaas’ Einsatz für die „Bischofsfrage“ war daher im allgemeinen Lob und Dank mit inbegriffen, die Pacelli ihm nach erfolgreichem Abschluss des Preußenkonkordats zollte.1431 Die Beratungen zwischen Kaas und Pacelli werden in den Quellen nicht fassbar. Diese weisen stattdessen den preußischen Episkopat als ständigen Gesprächspartner des Nuntius aus, vertreten durch die Kardinäle Schulte und Bertram.1432 Pacelli ging hier also streng hierarchisch vor, konsultierte die beiden bedeutendsten Oberhirten und hielt insbesondere mit dem Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz Rücksprache. Um die Bischöfe mit einzubeziehen, kam er an Bertram nicht vorbei, den er wenige Monate nach Konkordatsabschluss in seiner Schlussrelation überaus kritisch beurteilte.1433 Regelmäßig informierte er ihn über den Verhandlungsverlauf (zum Beispiel im August 1926) oder die römischen Instruktionen (zum Beispiel im Juni 1921) und erbat sich umgekehrt Einschätzungen zur Konkordatsmaterie und zu den staatlichen Forderungen

Vgl. dazu die Hinweise in Bd. 1, Kap. II.1.3. Zu erwähnen wäre außerdem der Paderborner Dompropst und Kanonist Johannes Linneborn, der in der späten Phase den Verhandlungen beiwohnte. Vgl. zu Pacellis Meinung über ihn Bd. 4, Kap. II.4.1 Anm. 183. 1431 Vgl.: „Besonders dankbar war er [sc. Pacelli, R.H.] gegenüber Kaas. In seinem Schreiben an diesen vom 14. August 1929 rühmte er ‚die kluge, umsichtige und treue Mitarbeit‘, die Kaas ‚in selbstlosester Aufopferung‘ dem Preußischen Konkordat habe angedeihen lassen, sowie sein ‚umfassendes Wissen‘, sein ‚seltenes Verhandlungsgeschick‘ und das ihm ‚allgemein entgegengebrachte Vertrauen‘.“ May, Kaas 2, S. 429. Auch Pius XI. nahm die Mithilfe des Prälaten würdigend zur Kenntnis. 1432 Auch zwischen ihnen waren mündliche und das heißt in den Quellen nicht nachvollziehbare Absprachen ein probates Mittel, sobald sich die Gelegenheit dazu bot: Pacelli konferierte mit Bertram etwa anlässlich von Berlinreisen im Dezember 1919 und Juni 1921, auf der Rückreise Bertrams vom Konklave im Februar 1922 oder auf dem Breslauer Katholikentag im August 1926. Mit Schulte traf Pacelli beispielsweise bei einem Besuch im Rheinland im Juni 1926 zusammen. 1433 Vgl. Pacelli an Perosi vom 18. November 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1927–1931, Pos. 511 P.O., Fasz. 24, Fol. 38r–39r, Wolf/​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 218–223. 1430

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(zum Beispiel im Januar und Mai 1922).1434 Pacelli wusste, dass er trotz seiner Vollmachten als Gesandter des Heiligen Stuhls die Verhandlungen nicht am Episkopat vorbei führen konnte. Er brauchte dessen Rückhalt, zumal die Regierung stets versuchte, die unterschiedlichen kirchlichen Instanzen gegeneinander auszuspielen. Dass die preußische Kirche und insbesondere der Episkopat häufig nicht die römischen Interessen, die er zu vertreten hatte, unterstützten, beklagte der Nuntius, zumal er in Bayern ganz andere Erfahrungen gemacht hatte. Auf diese Gemengelage hat bereits Dieter Golombek hingewiesen: „Es darf dabei nicht übersehen werden, daß Nuntius Pacelli zwar als Mandatär der preußischen Katholiken gegenüber dem Staat fungierte, vorrangig jedoch die Interessen der Kurie wahrnahm. So kam es bei den Verhandlungen vor, daß die Vertreter des Staates die Interessen der katholischen Kirche Preußens gegenüber dem Heiligen Stuhl vertraten. Das galt beispielsweise für die Fragen der Bischofswahl und der Kapitelbesetzung. Dieser Aspekt der Interessendivergenz zwischen der Kurie und dem preußischen Katholizismus muß berücksichtigt werden …“1435

Tatsächlich waren die „Frontlinien“ in den Positionen fließend: Hinsichtlich des Wahlrechts konvergierten die Bischöfe mit der Regierung gegen die römische Idealform der päpstlichen Ernennung. Was jedoch die staatliche Einmischung in die Bischofswahl anbelangte, kam der Episkopat mit Pacelli und dem Heiligen Stuhl gegen die Regierung in einer gemeinsamen, restriktiven Position überein. Damit stellt sich das Verhältnis Pacellis zu den Bischöfen im Allgemeinen und Bertram im Besonderen in Bezug auf die Besetzung der Bischofsstühle als ambivalent und durchaus kompliziert dar, was sich im Folgenden näher präzisieren lässt: Bertrams Überlegungen im Gutachten vom Mai 1922, also noch vor der offensichtlichen Zerrüttung zwischen ihm und Pacelli im Sommer 1923, bezeichnete der Nuntius als „kluge Reflexionen“. Das bezog sich sicherlich auf dessen Position in der Fortgeltungsfrage von De salute animarum und darauf, ein staatliches Bedenkenrecht nicht vor dem Wahlakt des Domkapitels zu gestatten – beide Ansichten teilte Pacelli. Bezog sich das Lob aber ebenfalls auf das von Bertram vertretene Wahlrecht? Immerhin widersprach dieses Pacellis Ideal der päpstlichen Nomination – in dieser Hinsicht wird er es wohl kaum als „klug“ verstanden haben. Er war jedoch davon überzeugt, das Wahlrecht in den Verhandlungen konzedieren zu müssen und zu können (vgl. Nr. 2/​3), und diese Überzeugung musste er dem Heiligen Stuhl gegenüber durchsetzen (vgl. Nr. 5). Genau diesem Zweck konnten die „klugen Reflexionen“ 1434

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Die Ratgebertätigkeit Bertrams erstreckte sich nicht nur auf das Thema der kirchlichen Ämterbesetzung, sondern auch auf Fragen der finanziellen Staatsleistungen, der Gründung des Bistums Berlin und der Schulthematik. Vgl. Dambacher, Verhältnis, S. 187. Golombek, Vorgeschichte, S.  116. Auch Johannes Dambacher betont diesen Aspekt, wenn er einen Grunddissens über die Frage diagnostiziert, „ob die Kirche in Preußen nun, da sie sich von staatlicher Ingerenz befreit hatte, in stärkere römische Abhängigkeit geraten oder ob es ihr gelingen würde, ihre teilkirchlichen Spezifika gegenüber dem Heiligen Stuhl zu wahren“. Dambacher, Pacelli, S. 143. 381

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Bertrams dienen, das heißt, er instrumentalisierte Bertrams Votum zugunsten des Kapitelswahlrechts, um Gasparri und den Pontifex darauf vorzubereiten, dass er dasselbe im Laufe der Verhandlungen konzedieren würde. Allerdings verteidigte Bertram bereits jetzt die Kapitelswahl, indem er die Nähe der Domherren zum gläubigen Volk heraushob und dadurch implizit in Abrede stellte, dass der Heilige Stuhl von Rom aus adäquate Personalentscheidungen treffen konnte. Dies war in den Augen Pacellis das Gegenteil von einem „klugen“ Urteil, wobei er jedoch zu diesem Zeitpunkt noch darauf verzichtete, diese Sichtweise zu monieren – das konnte er nicht, wenn er Bertrams Gutachten als Stütze seiner Verhandlungen gegenüber Rom gebrauchen wollte. Hinsichtlich des weiteren Vorgehens widersprach er dem Breslauer Oberhirten freilich ausdrücklich: Während dieser eine zügige Antwort an das Kultusministerium nahelegte, riet Pacelli davon ab, Konzessionen bei den Bischofseinsetzungen ohne die staatliche Zusage zu machen, die gesamte Konkordatsmaterie zu behandeln. Hier manifestierte sich die weitere Perspektive des Nuntius, der negative Präzedenzen aus Preußen für die bayerischen Konkordatsverhandlungen vermeiden wollte.1436 Die skizzierte Ambivalenz setzte sich weiter fort: Im April 1926 prangerte Pacelli dann doch expressis verbis das Bestreben vieler Bischöfe an, den Heiligen Stuhl aus den Angelegenheiten ihrer Diözesen herauszuhalten, was sich besonders gegen Bertram richtete, den er namentlich jedoch nicht nannte. Knapp zwei Monate später präsentierte dieser dann unerwartet seinen „römischen“ Besetzungsmodus, der das genaue Gegenteil dokumentierte: die völlige Freiheit des Heiligen Stuhls. Ungeachtet der Tatsache, dass Bertram hier ein doppeltes Spiel trieb,1437 gefiel Pacelli der Meinungsumschwung in doppelter Hinsicht: Zum einen kam der Modus seinem Ideal der römischen Nomination relativ nahe, zum anderen konnte er ihn den preußischen Verhandlungsführern vorlegen, um deren Position zu schwächen (vgl. Nr. 3) – wie er Bertram zuvor Rom gegenüber instrumentalisiert hatte, so verfolgte er dieselbe Taktik jetzt gegenüber der Regierung. Dass der Breslauer Kardinal seinen Vorschlag persönlich in Rom und nicht dem Nuntius vorstellte, deutet freilich erneut auf die Spannungen zwischen beiden Kirchenfürsten hin. Ein drittes Mal offenbarte sich das zwiespältige Gegenüber im August 1926. Um für die anstehenden Verhandlungsrunden eine gemeinsame Phalanx zu bilden, benötigte Pacelli die Zustimmung des Episkopats zum Stand der bisherigen Verhandlungen und insbesondere auch zu seinem 1436 1437

Vgl. auch Dambacher, Verhältnis, S. 189. Gegenüber den preußischen Katholiken, Domkapiteln und Conbischöfen konnte sich Bertram als Verteidiger ihrer Interessen gegen den Heiligen Stuhl darstellen. Gegenüber Rom hingegen trat er als Verteidiger der Bischofsrechte gegen die Domkapitel auf und letztlich gegen die gesamte preußische Kirche, insofern er das Kapitelswahlrecht zur Disposition stellte. Vgl. auch Dambacher, Verhältnis, S. 194. Auffällig ist die Ähnlichkeit seines „römischen“ Modus vom Mai 1926 mit Gasparris „definitiver“ Besetzungsvariante vom Mai 1921: Trotz zentraler Unterschiede spielten die Metropoliten bei beiden eine herausragende Rolle. Da Bertram nicht nur 1926, sondern ebenfalls 1921 persönlich in Rom weilte und 382

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Kompromissmodus. Indem er das Kapitelswahlrecht beibehielt, hatte Pacelli der positiven Resonanz der Oberhirten den Boden bereitet. Zufrieden konnte er daher nach Rom berichten, dass Bertram, Schulte und die gesamte Fuldaer Konferenz ihm ihre Unterstützung zugesagt hatten. Doch war der Erfolg nur vordergründig: Als die Sprache auf das Listenverfahren kam, brachen die Differenzen wieder auf. Zwar akzeptierten die Bischöfe, dass Rom bei Aufstellung der Terna nicht an die Vorschlagslisten gebunden sein sollte, was für Pacelli ein integraler Verfahrensbestandteil war (vgl. Nr. 2). Doch zielte Bertrams Vorschlag, nicht den Gesamtepiskopat, sondern nur die „Nachbarbischöfe“ Kandidatenvorschläge einreichen zu lassen, letztlich darauf ab, diese formale Freiheit wieder auszuhebeln: Wenn nur die Diözesanbischöfe aus der unmittelbaren Nähe des vakanten Bistums qualifiziert waren, passende Geistliche für den Bischofsstuhl zu benennen und nicht einmal die übrigen preußischen Oberhirten dazu in der Lage sein sollten, traf das am allerwenigsten auf den römischen Pontifex zu. Die bischöfliche Selbstbescheidung hatte also eine dezidiert antirömische Stoßrichtung mit dem Zweck, dass der Heilige Stuhl die von der preußischen Kirche eingehenden Kandidatenvorschläge tatsächlich „würdigte“ und auf der Wahlterna platzierte. Um dies aber zu erreichen, mussten die preußischen Vorschlagslisten mit der römischen Terna abgleichbar sein, sodass gegebenenfalls moralischer Druck auf den Heiligen Stuhl erzeugt werden konnte. Voraussetzung dafür wiederum war ein transparentes Listenverfahren, wie es etwa der Kölner Erzbischof in detaillierter Ausgestaltung vorlegte. Im Kern ging es dabei um gemeinsame Beratungen der Proponenten, also genau das Gegenteil von dem, was Pacelli – jeder „getrennt“ und „sub secreto“ (vgl. Nr. 2) – intendierte. Es bleibt also festzuhalten: Die gesamten 1920er Jahre hindurch kennzeichnete in der Diskussion um die Bischofseinsetzungen ein Gemisch von Differenzen, Übereinstimmungen und reziproker Abhängigkeit das Verhältnis des Nuntius zu Bertram und zum gesamten preußischen Episkopat.1438 Eine besondere Vertrauensperson aus der bischöflichen Zunft hatte Pacelli nicht. 5. Als eine Hauptaufgabe seiner Mission in Deutschland betrachtete es Pacelli, neue Staatskirchenverträge auszuhandeln, was er mit großem Engagement verfolgte. Nachdem er das schwierige und mehr als einmal zu scheitern drohende Projekt Preußenkonkordat abgeschlossen hatte, kehrte er nach Rom zurück. Als Unterhändler des Heiligen Stuhls war er ein maßgeblicher Faktor für das Gelingen der Verhandlungen, nicht nur im Gegenüber zur Regierung und den Protagodort – wie Kaas dem Nuntius mitteilte – von Gasparris Vorschlag erfahren hatte, legt sich die Vermutung nahe, dass er womöglich an der Ausarbeitung desselben in irgendeiner Form beteiligt war. Dann wäre er schon damals als Verfechter der bischöflichen Befugnisse beziehungsweise der Rechte der Metropoliten zu Ungunsten der Domherren aufgetreten. 1438 Das ambivalente Verhältnis Pacellis zu Bertram im Gesamthorizont der Verhandlungen konstatierte bereits Ludwig Volk. Vgl. Volk, Bertram, S. 285. Vgl. auch Hinkel, Bertram, S. 230f. 383

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nisten der preußischen Kirche, sondern auch im Gegenüber zur Kurie. Das galt etwa für seine Überzeugungsarbeit bei Papst und Staatssekretär, das Konkordat ohne Schulfrage zu akzeptieren. Das galt aber auch für die kontroverse Frage der Besetzung der Bischofsstühle. Die Rekonstruktion der Verhandlungen mit dem Reich beziehungsweise Preußen über die Regelung der Bischofseinsetzungen weist Pacelli als jemanden aus, der zwar einerseits in enger Abstimmung mit dem Kardinalstaatssekretär agierte und ihn über die wesentlichen Verhandlungsschritte auf dem Laufenden hielt, aber andererseits klare Vorstellungen zur Materie und Verhandlungsstrategie besaß und selbstbewusst vertrat. Häufig ließ Rom ihm freie Hand oder segnete seine Vorschläge ab: etwa seine Taktik, Konzessionen zurückzuhalten und erst für Gegenleistungen preiszugeben (Februar 1921); die Verwendung der Danzig-Frage als Konkordatshebel (Februar 1922); die Ablehnung der von Boelitz gewünschten lediglich partiellen Behandlung der staatskirchenrechtlichen Gegenstände (Mai/​Juni 1922 oder April/​Mai 1926); die Instrumentalisierung des Bertram’schen Besetzungsmodus in den Verhandlungen (Mai/​Juni 1926); die Art, wie er die Debatte über die Katholisch-Theologischen Fakultäten und die Vorbildung des Klerus führte (August/​November 1926). Zur letztgenannten Thematik hatten Papst und Staatssekretär zunächst sogar keine konkrete Vorstellung besessen (Mai 1926). Über die politische Klausel und ihren „Ort“ im Verfahren herrschte grundsätzliche Einigkeit. Für seine zielstrebige Verhandlungsführung erntete der Nuntius Lob und Anerkennung (Mai/​Juni 1926). Dennoch war das Zusammenspiel keineswegs so harmonisch, wie es hier scheint. Im Gegenteil prallten in zentralen Fragen bei Pacelli und seinem Mentor Gasparri unterschiedliche Auffassungen aufeinander, insbesondere hinsichtlich des Kapitelswahlrechts. Natürlich betraf diese Divergenz nicht die ideale Norm des CIC, sondern die Frage, ob und wie man davon abrücken durfte. Obwohl Pacelli dem Kardinalstaatssekretär die Position der Regierung darlegte und seinerseits Verhandlungsbereitschaft über das Wahlrecht signalisierte (Februar 1921), schloss es Gasparri in seinem „definitiven“ Besetzungsverfahren aus (Mai 1921). Wenngleich er damit die Meinung des Gesandten vor Ort überging, glaubte er, Domkapitel, Episkopat und Regierung zufrieden zu stellen. Alles Weitere überließ er Pacelli: dieser sollte den Modus ins beste Licht rücken und mit „Fingerspitzengefühl“ den Beteiligten schmackhaft machen. Dass dies nicht so einfach sein würde, zeigte der sofortige Widerstand von Seiten des Episkopats, den Pacelli beinahe kommentarlos nach Rom übermittelte (Oktober 1921). Gasparri reagierte darauf mit einer wenig hilfreichen Anweisung: Die „Gründe und Anliegen“ der Oberhirten müssten „ohne Zweifel präsent gehalten werden“ (November 1921). Das Einschreiten der Bischöfe war Pacelli durchaus willkommen, denn es unterstützte ihn dabei, dem Kardinalstaatssekretär zu verdeutlichen, dass am Kapitelswahlrecht nicht vorbei zu kommen war. Pacelli vermied dabei allerdings in der Folgezeit sorgsam einen offenen Widerspruch gegen Gasparri. Vor dem Hintergrund des Delbrueck-Entwurfs I, der sowohl ein Wahl- als auch ein staatliches Bedenkenrecht forderte, betonte er die Relevanz des Themas für die Reichsregierung und damit auch für einen erfolgreichen Konkordatsabschluss (Mai 1922). Implizit war das 384

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eine Aufforderung, die „definitiven“ Vorgaben noch einmal zu überdenken. In seinen ausführlichen Überlegungen zum Bischofswahlrecht im Kontext der preußischen Verhandlungen wurde er sogar noch deutlicher (ebenfalls Mai 1922): Er skizzierte das geballte preußische Votum zugunsten dieses Privilegs, erinnerte Gasparri daran, dass es im 19. Jahrhundert von päpstlicher Seite konzediert worden war und sogar ein Kirchenfürst wie Ercole Consalvi keine Chance gesehen hatte, es zurückzunehmen. Pacelli rechtfertigte so, das päpstliche Nominationsrecht nicht durchsetzen zu können. Doch bei dieser Problemanzeige beließ er es nicht: Nach einer Analyse der Defizite der Kapitelswahl präsentierte er eine Lösung, die er mit dem Argumentationsgang seines Berichts vorbereitet hatte – es gab einen zufriedenstellenden Mittelweg zwischen päpstlichem Nominations- und freiem Kapitelswahlrecht. Der zwischenzeitliche Verhandlungsabbruch verhinderte eine römische Klärung, sodass Pacelli das Feld vier Jahr später noch immer beackern musste. Freimütig berichtete er, in den ersten Sondierungen die Annahme des reinen – also nicht des prinzipiellen – Kapitelswahlrechts für undenkbar deklariert zu haben und scheute sich nicht, Gasparri verschiedene diskutierte Wahlmodi vorzulegen (April 1926). Der Einspruch folgte auf dem Fuße, wobei Gasparri jetzt den formalen Grund lieferte, das Wahlprivileg in Preußen nicht gestatten zu können (Mai 1926): das diesbezügliche Versprechen an die bayerische Regierung von 1923. In diese Aporie hatte zwar Gasparri den Nuntius hineinmanövriert, doch dieser musste sie nun bewältigen. Da die Form der schriftlichen Berichterstattung nicht den erwünschten Erfolg gebracht hatte, klärte er die Angelegenheit durch persönliche Intervention an den Apostelgräbern.1439 Mit welchen Argumenten er den Kardinalstaatssekretär überzeugte und ob Pius XI. an der Grundsatzentscheidung beteiligt war, bleibt offen. Fakt ist jedenfalls, dass Pacelli sich durchsetzte und das generelle Plazet erhielt, über das Wahlrecht zu verhandeln. Das Ringen um das Kapitelswahlrecht kennzeichnete demnach die Beziehung zwischen Nuntiatur und Staatssekretariat im Rahmen der Frage nach der Besetzung der Bischofsstühle. Pacellis hartnäckiges Einstehen für die realistische Einschätzung der kirchenpolitischen Verhältnisse in Preußen, die er Gasparri voraushatte, brachte den Durchbruch. Der Kompromissmodus, der in den Grundzügen ins Konkordat einging, war genuin sein Werk. Er war also weit mehr als eine Instanz, die bloß römische Instruktionen ausführte, sondern „kämpfte“ streng genommen auf Seiten Preußens gegen Rom zugunsten des Kapitelswahlrechts, um allerdings dadurch wiederum den römischen Interessen, die seine eigenen waren, zum Sieg zu verhelfen: der Kompromissmodus gewährte dem Heiligen Stuhl trotz des Kapitelswahlrechts mehr Einfluss als Gasparris Modus mit päpstlichem Nominationsrecht (vgl. Nr. 2). Dieses Vorgehen legitimierte er mit dem Bewusstsein,

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Während der Verhandlungen reiste Pacelli mehrfach nach Rom, um mündlich über die Verhandlungen zu berichten und für seine Strategie zu werben. Für den Prozess der innerkurialen Entscheidungsfindung ist interessant, dass die von Gasparri mehrfach angekündigte Sitzung der AES nicht mehr einberufen wurde, sondern stattdessen eine Besprechung erfolgte, an der neben dem Nuntius nur Pius XI., Gasparri 385

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in direkter Vertretung und Vollmacht des Papstes zu handeln. Auch deshalb argumentierte er gegenüber den Staatsvertretern mit dem „Gewissen“ des Pontifex, obwohl er selbst die Marschroute hinsichtlich Bischofsideal und Besetzungsmodus vorgab. Auch in anderen Bereichen setzte sich Pacelli durch: Zum Beispiel rückten Papst und Staatssekretär davon ab, dem Domkapitel bloß eine „Zweierliste“ zur Wahl vorlegen zu wollen (Juni 1926). Ebenfalls war Pacelli zumindest mitverantwortlich, dass Gasparri in seiner Diskussion mit Bergen über die Fortgeltung der alten Rechtsgrundlage von jeder theoretischen Erörterung absehen wollte, um dem Nuntius dadurch keine zusätzlichen Steine in den Verhandlungsweg zu legen (Januar 1922). Freilich war es dafür zu diesem Zeitpunkt schon zu spät: Nachdem Pizzardo dem Vatikangesandten schon im November 1921 signalisiert hatte, dass sich die Konsistorialallokution Benedikts XV. nicht auf Deutschland beziehe, war die preußische Regierung im Besitz der gewünschten kurialen Interpretation, auf die sie bei Bedarf zurückgriff. Pacelli ärgerte sich mehr als einmal darüber (Mai 1926). Als strukturelle Hypothek erwies sich für ihn hier, dass es mit dem deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl eine zweite „Seite“ der diplomatischen Verbindung gab, die er nicht unmittelbar beeinflussen konnte. Bei aller Eigenständigkeit und allem zielstrebigen Durchsetzungsvermögen blieb der Nuntius aber dennoch den römischen Vorgaben verpflichtet. Wenn das Plazet ausblieb, akzeptierte er notgedrungen, ohne den gewünschten Verhandlungsspielraum auskommen zu müssen. Das galt etwa für die vergleichsweise zweitrangige Ausweitung der politischen Klausel auf die Einsetzung Apostolischer Administratoren: Trotz längerer Debatte (Juli bis November 1926) erreichte der Nuntius vom Kardinalstaatssekretär keine Erlaubnis. Dieser argumentierte wie schon hinsichtlich des Kapitelswahlrechts mit dem Bayernkonkordat als Richtschnur. Pacelli hingegen sah die Ausweitung durchaus im Rahmen des Möglichen und war bereit, von der Norm des bayerischen Mustervertrags abzurücken. Diese Flexibilität demonstrierte er schon beim Wahlrecht oder bei der Schulfrage (Juni 1926), was insofern bemerkenswert ist, als der bayerische Kontrakt „sein“ Werk war. Hier manifestiert sich die schon früher diagnostizierte divergente Perspektive von Nuntius und Kurie: Während Gasparri in Rom den bayerischen Konkordatstext als Bewertungs- und Entscheidungsgrundlage bereithielt, sah Pacelli vor Ort auf die realpolitischen circumstantiae und konfrontierte sie mit den idealen Vorgaben, um eine für den Heiligen Stuhl möglichst vorteilhafte und umsetzbare Synthese zu finden (vgl. Nr. 2). Während er hinsichtlich des Bischofswahlrechts alles daransetzte, dass man in Rom die preußische Situation berücksichtigte, gab er sich hinsichtlich der Klausel für Administratoren geschlagen – ersteres war von existentieller Bedeutung, letztere nicht.

und Borgongini Duca teilnahmen (Mai 1928). Das spricht nicht nur für den zunehmenden Bedeutungsverlust der Kongregation, sondern deutet auch auf das Vertrauen der Genannten in die Kompetenz Pacellis hin, die zusätzliche Meinungsäußerungen der Kardinalsmitglieder der Kongregation überflüssig erscheinen ließ. 386

II.1.6 Hildesheim 1928/29

II.1.6 „Unbequemlichkeiten“ und „ein auf Dauer unmöglicher Schwebezustand“: Hildesheim 1928/​29 (Nikolaus Bares)1440 Der Tod von Bischof Joseph Ernst Schon lange bevor die Verhandlungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Preußen um das Konkordat abgeschlossen waren, wurde das Bistum Hildesheim vakant. Im Frühjahr 1928 litt der 64-jährige Bischof Joseph Ernst an einer schweren Herzerkrankung, sodass der Domkapitular und Generalvikar der Diözese, Johannes Hagemann, das Schlimmste befürchtete. Über die Einlieferung des Bischofs in ein Göttinger Krankenhaus, „infolge einer ernsten Verschlimmerung seines Zustandes“1441 unterrichtete er den Berliner Nuntius Ende März. Pacelli telegraphierte umgehend den Apostolischen Segen Pius’ XI. und seine eigenen Genesungswünsche zum bischöflichen Krankenlager nach Göttingen.1442 Am 5. Mai verstarb Ernst nach einer 13-jährigen Amtszeit. Das Hildesheimer Domkapitel setzte die Nuntiatur unverzüglich darüber in Kenntnis.1443 Pacelli hielt sich zu diesem Zeitpunkt in Rom auf, um in der Kurie Fragen der laufenden Konkordatsverhandlungen mit Preußen zu diskutieren.1444 Deshalb übernahm es Nuntiaturrat Luigi Centoz, sowohl die Todesnachricht nach Rom weiterzugeben als auch ein Kondolenzschreiben an den Hildesheimer Domdekan, Conrad Steinmann, aufzusetzen.1445 Am 9. Mai, dem Tag der Beerdigung von Bischof Ernst, drückte Pacelli selbst aus Rom dem Domdekan sein „tiefempfundenes Beileid“1446 für den Verlust des Hil-

Vgl. zur Besetzung des bischöflichen Stuhls von Hildesheim 1928/​29 insbesondere die instruktive Darstellung von Flammer, Bischofswahlen, S. 217–247; darüber hinaus Aschoff, Hildesheimer Bischofswahlen, S.  73–76; Boes, Bistum, S.  61f.; Fischer, Bares, S.  70f.; mit Fehlern Fochs, Bares, S.  44–52; Gatz, Ringen, S. 134–140; Speckner, Wächter, S. 126f. 1441 Hagemann an Pacelli vom 26. März 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 3, Fol. 44r. 1442 Vgl. Pacelli an Ernst vom 26. März 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 3, Fol. 45r. 1443 Vgl. Domkapitel an Pacelli vom 5. Mai 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 3, Fol. 48r und die beigefügte Todesanzeige ebd., Fol. 46r. 1444 Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.5 (Die Verhandlungen der Jahre 1928/​29: keine Schulfrage, aber Erfolge im Modus der Bischofseinsetzungen). 1445 Vgl. Centoz an Gasparri vom 5. Mai 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 3, Fol. 49r; Centoz an Steinmann vom 6. Mai 1928 (Entwurf), ebd., Fol. 50r. 1446 Pacelli an Steinmann vom 9. Mai 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 3, Fol. 51r. Drei Tage später bedankte sich Steinmann im Namen des Domkapitels für die Anteilnahme des Nuntius. Vgl. Steinmann an Pacelli vom 12. Mai 1928, ebd., Fol. 52r. 1440

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II.1.6 Hildesheim 1928/29

desheimer Oberhirten aus. Bereits am Todestag des Oberhirten wählte das Kapitel Hagemann zum Kapitularvikar, der während der Sedisvakanz die laufenden Amtsgeschäfte abwickelte.1447

Gegensätzliche Ansichten über die Regelung der Nachfolge Kaum war der bischöfliche Stuhl vakant, stellte sich die Frage, wie der Nachfolger des verstorbenen Episkopen bestellt werden sollte. Eigentlich bestand die Ungewissheit vielmehr darin, ob die bisherige Rechtsgrundlage – die für die exemten Bistümer Osnabrück und Hildesheim 1824 erlassene Bulle Impensa Romanorum Pontificum – weiterhin Geltung beanspruchen konnte oder nicht.1448 Da mit dieser Frage auch die nach seinem Wahlrecht aufgeworfen war, ergriff das Hildesheimer Domkapitel schon am 14. Mai die Initiative, indem Domdekan Steinmann über die Berliner Nuntiatur ein „geheimes eiliges Schreiben“1449 zu diesem Themenkomplex an den weiterhin in Rom weilenden Pacelli sandte. Darin folgerte er im Namen der Kapitulare aus der genannten Bulle, dass „dem hiesigen Domkapitel die verantwortungsvolle Aufgabe obliegen [würde], die kanonische electio des neuen Bischofs unter Beobachtung der Anweisungen des Schreibens des Kardinalstaatssekretärs [sc. Mariano Rampollas, R.H.] vom 20. Juli 1900 zu tätigen und zu diesem Zwecke zunächst innerhalb eines Monats seit Eintritt der Sedisvakanz, also bis zum 5. Juni 1928 einschließlich, eine Liste der Kandidaten der Preußischen Staatsregierung einzureichen“1450.

Vgl. Hagemann an Gasparri vom 21. Mai 1928, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 4r. Kurz darauf bestätigte der Kardinalstaatssekretär den ordnungsgemäßen Eingang der Wahlanzeige. Vgl. Gasparri an Hagemann vom 25. Mai 1928 (Entwurf), ebd., Fol. 5r. 1448 Der Oberpräsident von Hannover, Gustav Noske, ging zunächst davon aus, dass der alte Besetzungsmodus – Einreichung einer Kandidatenliste durch das Kapitel, Streichung missliebiger Kandidaten durch die staatliche Autorität und anschließende Bischofswahl durch das Kapitel – noch praktiziert werden würde. Daher machte er Anstalten, Erkundigungen einzuziehen, mit welchen Kandidatenvorschlägen seitens der Hildesheimer Domkapitulare zu rechnen sei. Allerdings erfuhr er schon während seiner Teilnahme an der Beisetzung des verstorbenen Oberhirten, dass eine Wahl womöglich nicht stattfinden werde. Vgl. Aschoff, Hildesheimer Bischofswahlen, S. 74. 1449 Steinmann an die Nuntiatur vom 14. Mai 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 1r. Der Nuntiaturrat bestätigte die Übermittlung der Stellungnahme des Domkapitels an Pacelli nach Rom zwei Tage später. Vgl. Centoz an das Domkapitel vom 16. Mai 1928 (Entwurf), ebd., Fol. 5r. 1450 Steinmann an Pacelli vom 14. März 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 2rv, hier 2r. In der Bulle Impensa Romanorum hieß es ursprünglich, dass die Liste dem König von Hannover einzureichen sei, dem nach der 1866 erfolgten Eingliederung Hildesheims in Preußen der preußische König nachfolgte. Für die Kapitulare schien es selbstverständlich zu sein, dass dieses Privileg nach dem Untergang der Monarchie auf das preußische Staatsministerium übergegangen sei. Vgl. zu Rampollas Rundschreiben Bd. 1, Kap. II.1.1 Anm. 131. 1447

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Die Domherren äußerten die Ansicht, dass dieses Verfahren „praktisch noch in Geltung“ sei oder zumindest von Rom „toleriert“1451 werde. Immerhin sei „bislang eine andere Ordnung nicht verlautbart“1452. Eine Referenz fanden sie in der Wiederbesetzung der Nachbardiözese Paderborn 1920, die durch eine Bischofswahl des dortigen Domkapitels gemäß der Bulle De salute animarum erfolgt war.1453 Dementsprechend „würden“ sie dem preußischen Staatsministerium die Kandidatenliste vorlegen und „demnächst die Wahl des neuen Bischofs servatis servandis“1454 vornehmen müssen. Trotz dieser klaren Positionsbestimmung trauten sich die Domkapitulare nicht, diesem Modus einfach zu folgen, sondern ersuchten um eine Bestätigung für die skizzierte Vorgehensweise. Selbstredend wussten sie, dass Verhandlungen um ein Preußenkonkordat im Gange waren, die eventuelle Modifikationen der Besetzungspraxis auch für das neupreußische Hildesheim mit sich bringen konnten. Für den Fall, dass der Heilige Stuhl anderslautende Bestimmungen verfüge – was nur bedeuten konnte, dass er eine Ernennung des neuen Oberhirten vorzog –, baten die Kapitulare darum, ihre „Ansichten und Wünsche vertraulich darlegen zu dürfen“1455. Pacelli und der Papst selbst teilten die Argumentation des Kapitels nicht. Im Auftrag des Pontifex, dem er – so der Nuntius einige Tage später aus Rom – die Eingabe unterbreitet habe, ersuchte er die Kapitulare, „von jedem die Wahl eines neuen Bischofs betreffenden Akte abzusehen“1456. Eine Begründung oder eine nähere Spezifikation des kurialen Plans formulierte Pacelli nicht. Er erklärte sich lediglich bereit, dem Wunsch des Kapitels entsprechend, „über die dortigen Ansichten Ihre Orientierungen entgegenzunehmen“1457 und bekräftigte die Vertraulichkeit seiner Mitteilung, die nur den Mitgliedern des Domkapitels vorzulegen sei und niemandem sonst. Die Kapitulare beabsichtigten, ihre weitergehenden Vorstellungen dem Nuntius mündlich vorzutragen.1458 Zu einer Audienz in Berlin am 4. Juni schickten sie Seminarregens Johannes Bluel und Domkapitular Otto Seelmeyer.1459 Eine Dokumentation dieser Unterredung liefern die Quellen

Steinmann an Pacelli vom 14. März 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 2v. Steinmann an Pacelli vom 14. März 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 2v. 1453 Dass Pacelli und der Heilige Stuhl die dortige Bischofswahl unter Ausschluss jedes Präjudiz konzediert hatten, steht auf einem anderen Blatt und spielte für die Hildesheimer Kapitulare natürlich keine wesentliche Rolle. 1454 Steinmann an Pacelli vom 14. März 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 2v. 1455 Steinmann an Pacelli vom 14. März 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 2v. 1456 Pacelli an Steinmann vom 19. Mai 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 6r. 1457 Pacelli an Steinmann vom 19. Mai 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 6r. 1458 Vgl. Steinmann an Pacelli vom 29. Mai 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 8r; Pacelli an Steinmann vom 1. Juni 1928 (Entwurf), ebd., Fol. 9r. 1459 Vgl. Steinmann an Pacelli vom 2. Juni 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 10r. 1451 1452

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zwar nicht,1460 jedoch kann auch so gesagt werden, dass es den Hildesheimer Abgesandten nicht gelang, bei Pacelli eine Planänderung zu erwirken.

Dilation der Besetzung bis zum Konkordatsabschluss und die Intervention Kardinal Bertrams Der Vorgänger von Bischof Ernst in Hildesheim war der derzeitige Fürstbischof von Breslau, Kardinal Bertram, gewesen.1461 Er hatte seinen Nachfolger am 9. Mai bestattet und sei „mit ernsten Sorgen“1462 nach Breslau zurückgekehrt, wie er Mitte des Monats dem Nuntius gestand. Die Hildesheimer Geistlichkeit sei von dem Wunsch beseelt, dass der künftige Oberhirte als Fähigkeiten insbesondere einen „spiritus gubernandi, Geschäftsgewandtheit und eine feste Hand“1463 mitbringe. Diese Elemente hätten nämlich in den letzten Jahren gefehlt, in denen Ernst durch sein Herzleiden geschwächt gewesen sei. Durch zu große Nachgiebigkeit sei die Diözese in eine ernste finanzielle Notlage geraten. Um diese zu lösen, sei eine ausgesprochene „Umsicht, Sparsamkeit und Agilität notwendig“1464. Schon vor einigen Monaten seien ihm – so der Breslauer Kardinal – die diesbezüglichen Sorgen durch den Bruder des verstorbenen Bischofs, Konrad Ernst, Gymnasialdirektor in Hildesheim, und Domkapitular Seelmeyer anvertraut worden. Nun hätten sie diese erneut vorgebracht, wobei sich ihre Bedenken auch auf die Domgeistlichkeit richten würden: Dekan Steinmann sei nicht nur sehr alt, sondern auch krank und sein Urteilsvermögen daher nicht mehr zuverlässig. Ähnlich sei es um Kapitularvikar Hagemann bestellt, der nur noch unbedeutende, formelle Geschäfte abwickeln könne. Gleichfalls ruhestandsreif seien die Domherren Rudolf Bank und Joseph Büsse. Domkapitular Bluel stehe als Seminarregens außerhalb der diözesanen Verwaltungstätigkeit, während der vor kurzem ernannte Kapitular Friedrich Schneider in „wichtigen Geschäften nicht tiefblickend“1465 genug sei. Kurzum: Für Kardinal Bertram war der einzig fähige und tüchtige Domkapitular in Hildesheim sein Informant Seelmeyer, „ein tadelloser Priester“ sowie „juristisch und geschäftlich gut bewährt“1466, der unter den Verhältnissen der Diözesanleitung schwer zu leiden habe.

Vgl. auch Flammer, Bischofswahlen, S. 226. Vgl. zur Hildesheimer Bischofswahl von 1905/​06 Aschoff, Hildesheimer Bischofswahlen, S.  68–70; Hirschfeld, Bischofswahlen, S. 209–219. 1462 Bertram an Pacelli vom 15. Mai 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 3r–4r, hier 3r. 1463 Bertram an Pacelli vom 15. Mai 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 3r. 1464 Bertram an Pacelli vom 15. Mai 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 3r. 1465 Bertram an Pacelli vom 15. Mai 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 3v. 1466 Bertram an Pacelli vom 15. Mai 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 3v. 1460 1461

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Im Anschluss an diese Bewertung der hohen Hildesheimer Geistlichkeit stellte Bertram dem Nuntius die Frage, ob der Heilige Stuhl den Besetzungsmodus nach der Bulle Impensa Romanorum noch zulassen werde. Oder seien die Verhandlungen mit Preußen mittlerweile so weit gediehen, dass ein anderes Vorgehen erfolgen müsse? Bertram war natürlich am Stand der Gespräche über das Konkordat interessiert, das Verhandlungsmonopol lag allein beim Nuntius, sodass der deutsche Episkopat weitgehend im Unklaren über den genauen Verlauf blieb.1467 Oder – so Bertram – wäre es nicht das Beste, „eine Spezialverständigung sine ullo praejudicio pro futuro herbeizuführen?“1468 Dies waren Fragen, die den Breslauer Fürstbischof ebenso bewegten wie das Hildesheimer Domkapitel. Er habe den Kapitularen empfohlen, nicht ohne Rücksprache mit Pacelli vorzugehen, sodass ihre vorangegangene Eingabe offenbar auf Bertrams Anraten zurückging. Neben dem Wie stellte Bertram auch die Frage nach dem Wer der Nachfolge von Bischof Ernst. Nach dem Gesagten überrascht es nicht, dass Bertram aus Hildesheim lediglich Seelmeyer für episkopabel hielt, „wenn man neben den seelsorglichen Aufgaben die administrativen Aufgaben so wertet, wie es in dieser Situation notwendig zu sein scheint“1469. Für den Fall, dass eine Liste zu erstellen sei, müsse auf Geistliche von außerhalb zurückgegriffen werden, denn „mit geistig unbedeutenden Personen ist wenig gedient“1470. Abschließend rechtfertigte Bertram seine Überlegungen damit, dass es sich bei Hildesheim um seine Heimatdiözese handle, in der er selbst Diözesanbischof gewesen und daher mit ihren Verhältnissen sehr vertraut sei. Die geschilderten Überlegungen erreichten Pacelli nach seiner Rückkehr aus Rom am 22. Mai. Er beantwortete sie mit dem Hinweis, dass eine ausführliche Unterredung mit dem Heiligen Vater und den Würdenträgern im Staatssekretariat den vorläufigen Beschluss erbracht habe, „zur Vermeidung jeder Schwierigkeit … die Besetzung der Hildesheimer Diözese erst nach Abschluss des Konkordates gemäß dem in diesem festzusetzenden neuen Modus zu vollziehen“1471. Auf Bertrams Überlegungen ging er nicht näher ein. Die Direktive, auf den preußischen Konkordatsabschluss zu warten, teilte Pacelli vermutlich auch den Abgesandten des Domkapitels in der Audienz Anfang Juni mit. Angesichts dieser Strategie ruhte die Wiederbesetzungsfrage in den folgenden Monaten, in denen Pacelli hoffte, die Konkordatsverhandlungen in absehbarer Zeit abschließen zu können. Doch diese Hoffnung

Vgl. dazu Bd. 1, Kap. II.1.5 (Eine „einzige Front“: das Ende der Differenzen zwischen Nuntius und Episkopat?). 1468 Bertram an Pacelli vom 15. Mai 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 4r. 1469 Bertram an Pacelli vom 15. Mai 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 4r. 1470 Bertram an Pacelli vom 15. Mai 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 4r. 1471 Pacelli an Bertram vom 22. Mai 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 7r. 1467

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wurde enttäuscht, die Verhandlungen gestalteten sich schwieriger und langwieriger als erwartet.1472 Aufgrund der Aussichtslosigkeit einer baldigen Lösung war Bertram nicht mehr bereit, den schwebenden Zustand in Hildesheim länger hinzunehmen. Er nutzte die Gelegenheit eines Romaufenthalts im September, um am Nuntius vorbei beim Papst persönlich diese Angelegenheit zu erörtern. Der Kardinalstaatssekretär unterrichte Pacelli am 11. des Monats von dessen Vorgehen.1473 Nach Gasparris Darstellung äußerte sich Bertram gegenüber Pius XI. ähnlich, wie auch schon Pacelli gegenüber: Kapitularvikar Hagemann besitze nicht die erforderlichen Qualitäten, die für eine erfolgreiche Regierung der Diözese notwendig seien. Daher bedeute eine längerwierige Vakanz des Hildesheimer Bischofsstuhls großen Schaden für die Diözese. Auf die Bemerkung von römischer Seite, dass man mit der Besetzung auf den im Konkordat vereinbarten Modus der Bischofsernennungen warten müsse, habe der Breslauer Oberhirte erwidert, „dass es nicht schwierig wäre, inzwischen für dieses Mal eine Formel zu finden, auf die man sich einigen könne“1474. Dies brachte Gasparri dem Nuntius auf ausdrücklichen Wunsch des Papstes zur Kenntnis.

Die Kandidaten des Hildesheimer Domkapitels Pacelli ließ die Angelegenheit jedoch auf sich beruhen und schien nicht gewillt, seinen Plan von Bertrams Initiative beeinflussen zu lassen. Wieder verstrichen einige Wochen ohne Veränderung bis sich am 9. Oktober das Domkapitel erneut zu Wort meldete.1475 Es wies darauf hin, dass Pacelli in der Audienz Anfang Juni seine Bereitschaft bekundet habe, „zu persönlicher Information die Ansichten und Wünsche des Domkapitels über die Persönlichkeiten zu hören, welche für die Wiederbesetzung des Bischöflichen Stuhles von Hildesheim in Betracht kommen können“1476. Es ging also lediglich um Kandidaten, nicht etwa um die Frage nach Wahlrecht oder Ernennung. Weil der Nuntius damals aber die Erledigung der Besetzungsfrage für einen späteren Zeitpunkt in Aussicht gestellt habe, baten die Domkapitulare, „geneigtest prüfen zu wollen, ob nicht der Zeitpunkt gekommen ist, um in die Erörterung der Angelegenheit in dem oben angedeuteten Sinne einzutreten“1477. Sie selbst waren der Ansicht, dass man nicht länger warten sollte. Vgl. Golombek, Vorgeschichte, S. 91–94; Hinkel, Bertram, S. 225f. Vgl. auch Bd. 1, Kap. II.1.5 (Die Verhandlungen der Jahre 1928/​29: keine Schulfrage, aber Erfolge im Modus der Bischofseinsetzungen). 1473 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 11. September 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 11rv. 1474 „… che non sarebbe difficile, intanto, trovare, pro hac vice, una formula sulla quale accordarsi.“ Gasparri an Pacelli vom 11. September 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 11r. 1475 Vgl. Steinmann an Pacelli vom 9. Oktober 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 12rv. 1476 Steinmann an Pacelli vom 9. Oktober 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 12r. 1477 Steinmann an Pacelli vom 9. Oktober 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 12r. 1472

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Pacelli erklärte sich bereit, die Vorschläge entgegenzunehmen, betonte aber, dass die gesamte Sache sub secreto Sancti Officii zu behandeln sei.1478 Daraufhin benannten die Domkapitulare eine Trias von Hildesheimer Geistlichen, die sie für geeignet hielten.1479 Nach Lebensalter und nicht nach Priorität geordnet, waren das 1. Regens Johannes Bluel (58 Jahre), dessen Bekanntschaft Pacelli schon im Juni persönlich gemacht hatte; 2. Generalvikar Otto Seelmeyer (51 Jahre), der in Bertrams Augen einzig episkopable Kleriker in Hildesheim; 3. Joseph Machens (42 Jahre), Professor am Hildesheimer Priesterseminar. Für den Nuntius waren jeweils konzise Biographien der Genannten beigefügt, die jedoch keine wertenden Aussagen zu Eignung und Qualitäten enthielten.1480 Das Kapitel signalisierte mit der Personenauswahl den klaren Wunsch, dass der neue Oberhirte aus den eigenen Reihen berufen würde. Dennoch erklärte es, ebenfalls über auswärtige Kandidaten nachgedacht zu haben. Jedoch sehe es sich nicht in der Lage, in dieser Hinsicht tragfähige Urteile zu fällen, da ihm die nötige Personenkenntnis abgehe und durch Erkundigungen die Geheimhaltung gefährdet sein könnte.

Das Aus für das Wahlrecht des Hildesheimer Domkapitels Unterdessen hatte Pacelli die Hildesheimer Frage dem preußischen Staatsministerium vorgelegt und zwar bei einer Gesprächsrunde über die Konkordatsmaterie am 23. Oktober.1481 Sein erster Vgl. Pacelli an Steinmann vom 11. Oktober 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 13r. Vgl. Steinmann an Pacelli vom 24. Oktober 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 14r–15v. 1480 1. Domkapitular und Regens Bluel, 1870 geboren, habe von 1890 bis 1894 Philosophie und Theologie in München, Münster sowie im Hildesheimer Priesterseminar studiert, sei nach seiner Priesterweihe Domlektor und Inspektor des bischöflichen Gymnasialkonvikts in Hildesheim gewesen, habe seit 1901 das hiesige katholische Waisenhaus geleitet und von 1906 bis 1919 das bereits genannte Konvikt. Ebenfalls 1906 habe er das Amt des Domvikars angetreten, 1919 den Regensposten des Priesterseminars. 1920 sei schließlich die Eingliederung in das Domkapitel erfolgt. Im Zeitraum von 1896 bis 1925 habe er außerdem als Domprediger gewirkt. 2. Domkapitular und Generalvikariatsrat Seelmeyer, 1877 geboren, habe seine Studien in der Zeit von 1895 bis 1899 ebenfalls in Münster und Hildesheim absolviert, bevor er nach der Priesterweihe als Hauskaplan und Erzieher in der Adelsfamilie des Grafen Berthold von Bernstorff-Wehningen und anschließend als Kaplan in Hildesheim tätig gewesen sei. Von 1902 an habe er als Kaplan der römischen Santa Maria dell’Anima kanonisches Recht an der Gregoriana studiert, im Jahr 1904 erneut eine Kaplansstelle in Duderstadt und den Sekretariatsposten des bischöflichen Kommissariats ausgefüllt. 1907 sei er schließlich Revisor, Assessor und Rat am Hildesheimer Generalvikariat geworden sowie Domlektor, zwei Jahre später Domvikar. Sein Domkanonikat habe er 1928 erhalten, im gleichen Jahr das Amt des Offizials. 3. Professor Machens schließlich, 1886 geboren, habe seine philosophisch-theologische Ausbildung von 1905 bis 1911 bei den Innsbrucker Jesuiten, in Münster und Bonn sowie in Hildesheim erworben. Nach der Priesterweihe sei er für neun Jahre Kurat in Hasperde und Springe gewesen und habe dann 1919 an der Katholisch-Theologischen Fakultät Münster promoviert, woraufhin er die Professur am Hildesheimer Seminar übernommen habe. Auch er bekleide das Amt des Dompredigers. 1481 Vgl. Flammer, Bischofswahlen, S. 227–229. 1478 1479

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Lösungsansatz, den er bei dieser Gelegenheit vorschlug, bestand in dem Modus, der bei der Wahl Joannes Baptista Sprolls auf den bischöflichen Stuhl von Rottenburg 1927 Anwendung gefunden hatte. Dort war dem Domkapitel durch den Heiligen Stuhl eine Terna vorgelegt worden, aus der es den neuen Bischof zu wählen hatte, gegen den die Staatsregierung wiederum etwaige Bedenken politischer Natur geltend machen konnte. Die preußische Regierung lehnte diese Variante jedoch ab, weil sie mit dem Wahlmodus der alten Zirkumskriptionsbullen, deren Geltung sie nach wie vor vertrat, nicht vollständig vereinbar war. Der zweite Vorschlag des Nuntius sah vor, dass der Heilige Stuhl eine Bischofsnomination nach Verständigung mit der preußischen Regierung vollzog. Diese Variante wurde am 2. November von den Beamten des Staatsministeriums akzeptiert. Von seiner Fühlungnahme mit der Regierung berichtete der Nuntius dem Domkapitel am 3.  November.1482 Zur Absprache mit dem Staat  –  so gab Pacelli an  –  habe ihn nun doch die Dringlichkeit der Besetzung des vakanten Bischofsstuhls bewogen, die von Bertrams Initiative in Rom und der Korrespondenz des Domkapitels unterstrichen worden sei. Nachdem sein Vorschlag, die Bischofswahl nach dem Rottenburger Reglement durchzuführen, auf Ablehnung gestoßen sei, habe sich als Alternative ergeben, um „vor Abschluss neuer konkordatärer Abmachungen zu der erwähnten Neubesetzung zu gelangen, ein demjenigen ähnlicher Modus, wie er unter Umgehung der Wahl bekanntlich bei der Besetzung erledigter Bischofsstühle schon vor der Umwälzung von 1918 angewandt worden ist“1483. Voraussetzung dafür sei, dass das Domkapitel offiziell folgende Erklärung abgebe: „In Anbetracht der unvermeidlichen Schäden, die der Diözese Hildesheim aus einer Verlängerung der an sich schon ungewöhnlich ausgedehnten Sedisvakanz erwachsen würden und angesichts der Tatsache, dass der endgültige Abschluss der im Gange befindlichen Konkordatsverhandlungen und der in ihrem Rahmen erfolgenden Regelung der Bischofsernennungen noch nicht mit Sicherheit abzusehen ist, bittet das Domkapitel Seine Heiligkeit, die Neubesetzung des Hildesheimer Bischofsstuhles allerhöchst selbst in die Hand zu nehmen.“1484

Pacelli verlangte demnach nichts anderes als einen klaren Wahlverzicht von Seiten des Kapitels. Dabei konnte er die Verantwortung, dass das Domkapitel von seinem bisherigen Wahlrecht keinen Gebrauch machen konnte, an die Regierung weitergeben. Sie hatte den Wahlmodus aus Rottenburg abgelehnt. Die in den alten Zirkumskriptionsschreiben grundgelegte Besetzungspraxis, die dem Kapitel auch jetzt noch eine Bischofswahl garantiert hätte, war für

Vgl. Pacelli an Steinmann vom 3. November 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 16rv. Pacelli an Steinmann vom 3. November 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 16r. 1484 Pacelli an Steinmann vom 3. November 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 16r-v. 1482

1483

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Pacelli im Jahr 1928 keine reale Option mehr.1485 Insbesondere hätte sie ein negatives Präjudiz für die schwebenden Konkordatsverhandlungen erzeugen können, denn warum bedurfte es einer neuen Regelung, wenn die alte noch anwendbar war? Außerdem strebte er grundlegende Modifikationen des bisherigen Verfahrens an, die auf eine erhebliche Steigerung des päpstlichen Einflusses auf die Besetzung der Bischofsstühle abzielten. Seine beiden Varianten garantierten jeweils ein Maximum an kurialem Mitspracherecht. Auf der Strecke blieb das Domkapitel, das sich nicht in der Position befand, seine Vorstellungen nachdrücklich zu vertreten. Dementsprechend erschüttert zeigten sich die Domherren über diesen Gang der Dinge, als sie am 12. November dem Nuntius die geforderte Erklärung übersandten: „Euere Exzellenz bitten wir gehorsamst, unserem lebhaften Bedauern darüber Ausdruck geben zu dürfen, dass die Preußische Staatsregierung Euerer Exzellenz Antrag, den bei der letzten Bischofswahl in Rottenburg zugelassenen Modus auch für die Wiederbesetzung des Bischöflichen Stuhles in Hildesheim in Anwendung zu bringen, abgelehnt hat.“1486

Das Kapitel machte also für den Ausschluss seines Wahlrechts die Regierung verantwortlich, da der Heilige Stuhl bereit gewesen sei, es an der Wiederbesetzung zu beteiligen.1487 Diese „gnädigen Absichten des Heiligen Stuhles“ habe man mit „herzlichem Danke begrüßt“1488, besonders weil die Anhänglichkeit von Klerus und Volk in Hildesheim an das alte Wahlprivileg außerordentlich groß sei. Die Domherren befürchteten, dass die Öffentlichkeit den Eindruck gewinnen könnte, das Kapitel habe eigenmächtig auf sein Wahlrecht verzichtet, und dass die preußische Regierung später einmal die Erklärung des Kapitels in diesem Sinne auslegen werde. Deshalb bekräftigte Steinmann im Namen der Kanoniker die Tatsache, „dass lediglich die ablehnende Haltung der Hans-Georg Aschoff schließt aus dem Umstand, dass zu diesem Zeitpunkt der zukünftige Besetzungsmodus der bischöflichen Stühle im Rahmen der Konkordatsverhandlungen mit Preußen bereits ausgehandelt war, dass es „unangebracht“ gewesen wäre, „die Hildesheimer Bischofswahl nach den alten Bestimmungen der Zirkumskriptionsbulle durchzuführen“. Aschoff, Hildesheimer Bischofswahlen, S. 75. 1486 Steinmann an Pacelli vom 12. November 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 19r–20r, hier 19r. Die Erklärung wurde in der identischen Diktion, die Pacelli vorgegeben hatte, formuliert. Vgl. Domkapitel an Pacelli vom 12. November 1928, ebd., Fol. 21r. 1487 Vgl.: „Wenn wir die nunmehr eingetretene Lage richtig beurteilen, so ist durch diese Stellungnahme der Preußischen Staatsregierung das Domkapitel von Hildesheim von jeder amtlichen Mitwirkung bei der Wiederbesetzung des Bischöflichen Stuhles ausgeschlossen. Diese Haltung der Preußischen Staatsregierung und ihr Ergebnis empfinden wir umso schmerzlicher, als der Heilige Stuhl bereit war, dem Kapitel im Wege der Gnade in jedem Falle eine förmliche Mitwirkung bei der Erledigung der bedeutungsvollen Angelegenheit einzuräumen.“ Steinmann an Pacelli vom 12. November 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 19r-v. 1488 Steinmann an Pacelli vom 12. November 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 19v. 1485

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Preußischen Staatsregierung gegenüber dem Antrage Euerer Exzellenz und die Dringlichkeit der Neubesetzung des Bischöflichen Stuhles, nicht die eigenen Wünsche des Kapitels unsere Erklärung tragen“1489. Pacelli obliege nunmehr die Entscheidung, ob man diese Begründung dem preußischen Staat zur Kenntnis bringen sollte und in welcher Form.

Der Kandidat des Nuntius: Adolf Donders In der Zwischenzeit beschäftigte sich der Nuntius mit der Kandidatenfrage. Von den Vorschlägen des Kapitels nahm er nur den von Bertram unterstützten Seelmeyer in die engere Auswahl. Allerdings rangierte dieser nur an dritter Stelle der Kandidatentrias, die Pacelli dem preußischen Kultusministerium in vertraulicher Form vorlegte.1490 Auf Platz eins stand der Münsteraner Homiletikprofessor und Domprediger Adolf Donders, gefolgt vom Berliner Delegaten Weihbischof Josef Deitmer. Hier drängt sich die Frage auf, wie Pacelli – quellenmäßig völlig unvermittelt – auf diese beiden Namen kam. Ohne dieselbe endgültig beantworten zu können, lohnt sich ein Seitenblick auf zwei, für Pacelli bedeutende kirchliche Ereignisse des Jahres 1928: Zum einen jährte sich der Krönungstag Pius’ XI. (12.  Februar 1922) zum sechsten Mal. Dieser Anlass wurde in Berlin festlich mit großer Beteiligung kirchlicher und geistlicher Autoritäten begangen.1491 Pacelli selbst zelebrierte ein Pontifikalamt in der Hedwigskathedrale, außerdem hielt man eine Festversammlung im großen Saal der Berliner Musikhochschule ab. Dort anwesend waren auch Deitmer und Donders. Ersterer war als Vorsteher der Berliner Delegatur Organisator der Veranstaltung. Als solcher hielt er eine Begrüßungsrede, in der er – wie Pacelli anschließend Gasparri sichtlich zufrieden berichtete – „kurz die Bedeutung der Festversammlung beleuchtete und aufforderte, für den Papst zu beten und ihm eng im süßen Band des Gehorsams und der Liebe verbunden zu bleiben“1492. Nachdem Pacelli selbst eine Ansprache gehalten hatte,1493 habe schließlich  –  so der Nuntius – auch Monsignore Donders, „einer der talentiertesten und angesehensten Redner Deutschlands“, das Wort ergriffen: „Mit erhabenen Worten zeigte er ausführlich, nachdem er die großartige Gestalt des gegenwärtigen Papstes ins Licht gestellt hatte, wie das Papsttum das Leuchtfeuer ist, die uneinnehmbare Festung der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Autorität, der einzige Hafen des Steinmann an Pacelli vom 12. November 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 19v. Vgl. Flammer, Bischofswahlen, S. 230, der dies mit Unterlagen aus dem Bundesarchiv belegt. 1491 Vgl. dazu „Papstfeier der Berliner Katholiken“, in: „Germania“ Nr. 74 vom 14. Februar 1928. 1492 „… esponendo brevemente il significato di questa assemblea festiva, esortando a pregare per il Papa ed a rimanere stretti a Lui nel dolce vincolo dell’ubbidienza e dell’amore.“ Pacelli an Gasparri vom 14. Februar 1928, ASV, Segr. Stato, Anno 1928, Rubr. 88, Fasz. 1, Fol. 77r–80r, hier 78v. 1493 Vgl. Rede Pacellis in Berlin vom 13. Februar 1928, abgedruckt bei Pacelli, Reden, S. 119–122. 1489 1490

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Heils für die Gesellschaft inmitten der Übel und Irrtümer, von denen sie gequält wird. Er erhielt großartigen Applaus.“1494

Den Eindruck, den Donders auf den Nuntius machte, ist aus dieser Darstellung leicht abzulesen. Das zweite angedeutete Ereignis war der Magdeburger Katholikentag, der vom 5. bis 9. September des Jahres stattfand – also kaum zwei Monate bevor Pacelli seine Kandidatenterna für Hildesheim zusammenstellte.1495 Auch Pacelli nahm an dieser Veranstaltung, die er später gegenüber Gasparri als „vollen Erfolg“1496 beurteilte, teil. Dort traf er erneut auf den Münsteraner Homiletikprofessor, der eine „wichtige“1497 Rede über die Katholische Aktion gehalten habe.1498 Auch wenn diese Eindrücke nicht vollends erklären, wieso Pacelli für die Nachfolge von Bischof Ernst auf dem Hildesheimer Bischofsthron an Deitmer beziehungsweise vor allem Donders dachte, so wird man nicht unbegründet die Vermutung äußern können, dass diese unmittelbaren Erfahrungen eine entscheidende Rolle für Pacellis Überlegungen gespielt haben. Mit der von Pacelli favorisierten Ernennung des Münsteraner Dompredigers war die preußische Staatsregierung anscheinend einverstanden. Thomas Flammer vermutet, dass diese sich dem Nuntius gegenüber Anfang November dementsprechend äußerte.1499 Den Namen Donders legte Pacelli darüber hinaus am 4.  November sub secreto Sancti Officii dem St. Georgener Kirchenhistoriker, Pater Ernst Böminghaus SJ, vor.1500 Er wusste, dass der Jesuit den Professor von seiner Tätigkeit in Münster her kannte – Böminghaus hatte die letzten sechs Jahre in Münster als Seelsorger und Dozent für Kirchengeschichte verbracht. Deshalb fragte Pacelli ihn, wie er über eine

„… uno dei più valenti e stimati oratori della Germania. Con elevate parole, dopo aver messo in luce la grande figura dell’attuale Sommo Pontefice, egli dimostrò ampiamente come il Papato sia il faro risplendente, la rocca inespugnabile della verità, della giustizia, dell’autorità, l’unico porto di salvezza per la società in mezzo ai mali ed agli errori da cui travagliata. Fu applaudissimo.“ Pacelli an Gasparri vom 14. Februar 1928, ASV, Segr. Stato, Anno 1928, Rubr. 88, Fasz. 1, Fol. 79r-v. 1495 Vgl. zum Magdeburger Katholikentag den Bericht über den 67. Katholikentag. 1496 „… un pieno successo …“ Pacelli an Gasparri vom 12. September 1928 (Entwurf), ASV, ANB 37, Fasz. 5, Fol. 31r–33r, hier 31r. 1497 Vgl.: „… alle ore 5 si tenne l’ultima assemblea generale, nella quale il Rev. Sac. Dr. Donders, professore all’Università di Münster, pronunziò un importante discorso sull’Azione cattolica.“ Pacelli an Gasparri vom 12. September 1928 (Entwurf), ASV, ANB 37, Fasz. 5, Fol. 32v. 1498 Vgl. Dondersʼ Rede „Die Katholische Aktion unsere Zeitaufgabe“ gehalten am 9. September 1928 in Magdeburg, abgedruckt im Bericht über den 67. Katholikentag, S. 177–184. Auch Pacelli hielt eine Ansprache zum selben Thema. Vgl. Pacellis Rede vom 5. September 1928, ebd., S.  19–22 und Pacelli, Reden, S. 137–140 (Nr. 31). 1499 Vgl. Flammer, Bischofswahlen, S. 230. 1500 Vgl. Pacelli an Böminghaus vom 4. November 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 17r. 1494

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eventuelle Erhebung Donders’ auf den bischöflichen Stuhl von Hildesheim denke. Das Urteil sollte allerdings ein besonderes Kriterium berücksichtigen: „Dabei ist es der Wunsch des H[eiligen] Stuhles, dass der zukünftige Bischof neben den anderen Eigenschaften, die ihn für sein Amt geeignet erscheinen lassen, vor allem fähig und gewillt sei, in der wissenschaftlichen und aszetischen Bildung der Priesterkandidaten seiner Diözese den kirchlichen Grundsätzen und den Bedürfnissen unserer Zeit, besonders auch in der Auswahl der Bildungsstätten, Rechnung zu tragen.“1501

Was Pacelli mit den „kirchlichen Grundsätzen und Bedürfnissen unserer Zeit“ meinte, wird deutlich, wenn man sich den Rottenburger Besetzungsfall von 1926/​27 vergegenwärtigt, in dem er exakt denselben Maßstab für die Bewertung episkopabler Kandidaten angelegt hatte:1502 Die Ausbildung der Priester sollte entsprechend der Direktive des Geheimerlasses der Studienkongregation an den deutschen Episkopat aus dem Jahr 1921 erfolgen, was insbesondere eine römische, der Spekulation und Scholastik verpflichtete Philosophie und Theologie bedeutete.1503 Die angesprochene „Auswahl der Bildungsstätten“ für die Alumnen der Diözese Hildesheim war deshalb akut, weil seit der Zeit des Kulturkampfs die dortige philosophisch-theologische Lehranstalt geschlossen war. Daher mussten die Priesteramtskandidaten auswärts auf ihr Amt vorbereitet werden. Wo das war, entschied der Bischof. Ernst hatte die Alumnen vorzugsweise an die Katholisch-Theologische Fakultät Münster geschickt.1504 Angesichts der Tatsache, wie Pacelli sich eine adäquate Ausbildung des jungen Klerus vorstellte, war die Wahl des Studienortes beziehungsweise der Studienanstalt natürlich von wegweisender Bedeutung. Der Jesuit stellte Donders schon drei Tage später ein positives Zeugnis aus.1505 Aus sechsjährigem, persönlichem Umgang habe er ein Bild seiner Persönlichkeit gewonnen, das er mit besonderer Akzentuierung von Pacellis Kriterium umriss: „Insbesondere ist H[err] D[onders] ein aufrichtig frommer, innerlicher Mann, mit einem ausgesprochenen katholischen Gefühl u[nd] katholischem Takt. Bei aller Aufgeschlossenheit für die geistigen Fragen der Gegenwart ist er doch in erster Linie der Seelsorger im schönsten Sinn des Wortes. So waren auch seine Vorlesungen von echt apostolischem Geist getragen. Den günstigen Eindruck u[nd] Einfluss konnte ich bei Theologen öfter erfahren. Er war auch den Theologen ein aufrichtiger Freund u[nd] auch Studenten anderer Fakultäten kamen gern zu ihm in ihren Anliegen. Das offene, frische, wohlwollende u[nd] hilfsbereite

Pacelli an Böminghaus vom 4. November 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 17r. Vgl. Bd. 3, Kap. II.3.3 (Die Suche nach passenden Bischofskandidaten). 1503 Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.3 (Der Kandidat von Ludwig Kaas: Nikolaus Bares). 1504 Vgl. zur Ausbildungssituation Aschoff, Bistum Hildesheim, S.  355f. Vgl. zur Münsteraner Katholisch-Theologischen Fakultät Flammer, Fakultät; Hegel, Geschichte. 1505 Vgl. Böminghaus an Pacelli vom 7. November 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 18rv. 1501 1502

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(auch wohltätige!) Wesen erwarb ihm viel Vertrauen. Ebenso konnte ich bemerken, dass die Geistlichkeit ihn hoch schätzte.“1506

Hinsichtlich der Auswahl der Bildungsanstalten glaubte Böminghaus, der Münsteraner Professor werde zunächst einmal seine langjährige Wirkungsstätte ins Auge fassen. Grundsätzlich freilich werde „er nicht jene Universitäten bevorzugen …, die man als etwas ‚modernʻ bezeichnet“1507. Daher war Böminghaus sicher, dass Donders „eine Zierde des deutschen Episkopates sein wird“1508. Angesichts dieses Urteils verfolgte der Nuntius die Kandidatur des Münsteraner Theologen weiter und befragte – wohlgemerkt erst nach der günstigen Einschätzung aus St. Georgen – dessen Ordinarius, Bischof Johannes Poggenburg.1509 Pacelli formulierte die Anfrage dergestalt, dass es einen Kandidatenpool gebe, zu dem auch Donders gehöre.1510 Dies erweckte den Eindruck, als stünden mehrere Anwärter zur Auswahl und als wollte er seine Kandidatenüberlegung mit einem Zug reiner Vorläufigkeit versehen. Dass der Nuntius keine Gutachten über andere infrage kommende Geistliche einholte, verdeutlicht jedoch, dass die ursprüngliche Kandidatentrias nur formalen Charakter besessen und er einzig Donders ernsthaft ins Auge gefasst hatte. Auffällig ist auch, dass er dem Münsteraner Bischof das spezifische Bewertungskriterium der Priesterausbildung nicht an die Hand gab. Offenbar glaubte Pacelli, dass ein Jesuit, der scholastisch ausgebildet und schon qua Ordenszugehörigkeit romzentriert war, diese Frage besser beantworten konnte als ein in Deutschland an einer staatlichen Universität studierter Bischof. Zwei Tage später, am 20. November, sandte Poggenburg eine knappe Antwort, in der er eine baldige Auskunft ankündigte.1511 Weil der Nuntius die Korrespondenz – wie grundsätzlich – unter das secretum Sancti Officii stellte, fragte Poggenburg, ob er die Personalie Donders mit seinem Generalvikar besprechen dürfe. Pacelli erlaubte es, erwartete aber eine umgehende Erledigung seiner Anfrage.1512 Poggenburg kam dieser dringenden Bitte nach und skizzierte zunächst kurz wichtige biographische Stationen: Donders sei 1877 geboren, habe 1900 die Priesterweihe empfangen, worauf eine elfjährige Kaplanszeit in Duisburg und Münster gefolgt sei. Anschließend habe er das Amt des Domvikars und -predigers übernommen sowie seit 1919 als Privatdozent und zwei Jahre Böminghaus an Pacelli vom 7. November 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 18r. Böminghaus an Pacelli vom 7. November 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 18r. 1508 Böminghaus an Pacelli vom 7. November 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 18r-v. 1509 Vgl. Pacelli an Poggenburg vom 18. November 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 23r. 1510 Vgl.: „Unter den Kandidaten, die für die Wiederbesetzung des erledigten bischöflichen Stuhles in Hildesheim in Betracht kommen könnten, befindet sich der Hochwürdige Herr Dr. theol. Adolf Donders …“ Pacelli an Poggenburg vom 18. November 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 23r. 1511 Vgl. Poggenburg an Pacelli vom 20. November 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 24r. 1512 Vgl. Pacelli an Poggenburg vom 21. November 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 25r. 1506 1507

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später als Professor für Homiletik an der Katholisch-Theologischen Fakultät gewirkt. Dem schloss Poggenburg eine Bewertung an, die ähnlich günstig ausfiel, wie die des Frankfurter Jesuiten: „Prof[essor] Donders ist ein frommer, seeleneifriger, dem h[eiligen] Vater und seiner Kirche treu ergebener Priester. Als glänzender Redner ist er allgemein bekannt und geschätzt.“1513 Er wisse zwar nicht, wie es um seine administrativen Fähigkeiten und seine Menschenkenntnis bestellt sei oder wie es ihm in einem Diasporabistum wie Hildesheim gefallen würde, aber er könne versichern, dass Donders „als Bischof sein h[eiliges] Amt mit großer Gewissenhaftigkeit führen und stets nur das Wohl seiner h[eiligen] Kirche zu fördern bestrebt sein“1514 werde.

Pacelli legt seine Prioritäten offen: seine Berichterstattung für Gasparri Damit hatte Pacelli einen ihm passend scheinenden Geistlichen für den bischöflichen Stuhl in Hildesheim gefunden. Deshalb wandte er sich nun an Gasparri und erklärte, dass er im Nachgang der Weisung vom 11. September, die von Bertrams Initiative in Rom berichtet hatte und von Pacelli bislang unbeantwortet geblieben war, eine Formel gesucht habe, durch die es möglich sei, sich pro hac vice mit der preußischen Regierung über die Einsetzung des neuen Bischofs zu einigen.1515 Er habe sich entgegen des früheren Entschlusses, bis nach dem Abschluss des preußischen Staatskirchenvertrags zu warten, zu diesem Schritt durchgerungen, weil die vielen Hindernisse, die sich in den Konkordatsverhandlungen auftäten, es nicht vorhersehen ließen, ob überhaupt und wann die Verhandlungen erfolgreich beendet sein würden. Angesichts dieser Situation sei eine längere Sedisvakanz zu erwarten – sie dauerte bereits über ein halbes Jahr –, die sich für die Diözese tatsächlich schädlich auswirken könnte, gerade angesichts des fortgeschrittenen Alters von Kapitularvikar Hagemann. Daher habe er sich folgendem Gedanken gestellt: „Außer der reinen und einfachen Kapitelswahl, die nicht im Interesse des Heiligen Stuhls liegt, was ich auch aus dem entnehme, was mir in Rom im vergangenen Mai kommuniziert wurde, blieben, meiner bescheidenen Meinung nach, nur die zwei folgenden Lösungen möglich, immer natürlich für dieses Mal:“1516

Poggenburg an Pacelli vom 21. November 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 26rv, hier 26r. Poggenburg an Pacelli vom 21. November 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 26v. 1515 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 25. November 1928, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 8r–11r. 1516 „Esclusa la elezione capitolare pura e semplice, che non è nelle intenzioni della S. Sede, secondo quanto mi venne comunicato anche in Roma nel passato mese di Maggio, rimanevano possibili, a mio umile avviso, soltanto le due seguenti soluzioni, sempre naturalmente pro hac vice: …“ Pacelli an Gasparri vom 25. November 1928, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 8r. Hervorhebung im Original. 1513

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Die Rottenburger Variante von 1927 oder eine päpstliche Ernennung mit vorhergehender Verständigung mit der Regierung, wie es vor der Revolution in Deutschland häufiger praktiziert worden sei. Beide habe er mit der ausdrücklichen Anmerkung, ohne römische Instruktion zu sprechen, Kultusminister Becker vorgelegt. Dieser habe sich nach Rücksprache mit dem Ministerrat für die zweite Option entschieden, allerdings unter der Bedingung, dass das Kapitel von seinem Wahlrecht Abstand nehme. Dem Kultusminister scheine dieses Verfahren – so Pacelli – den Zirkumskriptionsbullen des 19. Jahrhunderts eher angemessen zu sein als die erstgenannte Variante, die noch vor Konkordatsabschluss eine gänzlich neue Form der Bischofswahl einführen würde.1517 Demgemäß habe er – so Pacelli weiter – vom Hildesheimer Domkapitel eine offizielle Erklärung gefordert, in der aber bewusst von einem Wahlrecht, auf das die Domherren verzichten würden, nicht die Rede sei, da dieses „nach Ansicht des Heiligen Stuhls nicht mehr besteht“1518. Pacelli hatte in der offiziellen Erklärung stattdessen lediglich die Bitte an den Papst vorformuliert, die Besetzung des bischöflichen Stuhls zu organisieren.1519 Der Kultusminister habe diese Bescheinigung für zufriedenstellend befunden, sodass nun nichts mehr gegen eine baldige Erledigung der Sedisvakanz spreche: „Wenn daher Seine Heiligkeit geruht, diesen modus procedendi zu bestätigen, stünde einer unmittelbaren Ernennung des neuen Bischofs von Seiten des Heiligen Stuhls nichts im Weg, ausgenommen die vorherige politische Genehmigung der Regierung.“1520 Für die Ernennung brauchte der Papst einen geeigneten Kandidaten. Pacelli behandelte diese Frage ausführlich, insofern er zunächst die vorgeschlagene Trias des Hildesheimer Kapitels vorausschickte (premettere). Damit deutete er bereits implizit an, dass sie nicht ernsthaft zur Disposition stand, sondern nur der Information des Kardinalstaatssekretärs diente. Zu Bluel und Machens äußerte sich Pacelli nicht. Seelmeyer sprach er hingegen „gute Fähigkeiten in der Diözesanverwaltung“1521 zu. Er ergänzte, dass der Breslauer Fürstbischof, der aus Hildesheim stamme und später dort Oberhirte gewesen sei, Seelmeyer attestiert habe, in rechtlichen Fragen und in der Die Regierung erachtete die alten Rechtsgrundlagen noch als vollumfänglich gültig. Einem anderen Wahlmodus zuzustimmen, hätte aus preußischer Sicht ein Abrücken von diesem Fundament bedeutet, während eine Kandidatenabsprache zwischen Regierung und Heiligem Stuhl – wie früher bereits – als ein einmaliges Nicht-Anwenden der Bulle verstanden werden konnte. 1518 „… che non esiste più secondo la mente della S. Sede …“ Pacelli an Gasparri vom 25. November 1928, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 8v. 1519 Für Gasparri legte Pacelli eine Abschrift der Erklärung des Kapitels bei. Vgl. S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 14r. 1520 „Se quindi Sua Santità si degnasse di approvare un tale modus procedendi, nulla più osterebbe alla immediata nomina del nuovo Vescovo da parte della S. Sede, salvo il previo ‚nulla ostaʻ politico del Governo.“ Pacelli an Gasparri vom 25. November 1928, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 9r. 1521 „… buone qualità per il governo diocesano …“ Pacelli an Gasparri vom 25. November 1928, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 9r. 1517

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Behandlung von Amtsgeschäften versiert zu sein. Bertram halte ihn für den einzigen tauglichen Amtsanwärter unter den Domkapitularen. Aus den biographischen Angaben, die das Kapitel ihm übersandt hatte, stellte Pacelli für seinen Vorgesetzten die wichtigsten Punkte zusammen: Seelmeyer sei Jahrgang 1877, er habe von 1895 bis 1899 Philosophie und Theologie an der Universität Münster sowie im Hildesheimer Priesterseminar und von 1902 bis 1904 (als Kaplan an der Santa Maria dell’Anima) kanonisches Recht an der Gregoriana in Rom studiert. Anschließend habe er verschiedene Ämter bekleidet, teils in der Seelsorge, teils in der Diözesanverwaltung, bis er 1928 zum Domherr erhoben worden sei. Trotz der positiven Bewertung Seelmeyers durch Bertram und obwohl er dessen Namen der preußischen Regierung vertraulich vorgelegt hatte, lehnte Pacelli ihn ab. Dafür berief er sich noch auf einen weiteren, namentlich nicht genannten Informanten: „Wenngleich Seelmeyer für sich als geeigneter Kandidat betrachtet werden kann, sind seine Qualitäten jedoch, wie ich aus guter Quelle weiß, nicht weit über dem Durchschnitt, sodass es mir angemessen erschien, andere, fähigere Personen außerhalb der Diözese Hildesheim zu suchen.“1522 Diese Ausweitung legitimierte Pacelli zum einen mit dem Hinweis des Domkapitels, dass es zwar an auswärtige Kandidaten gedacht habe, jedoch für qualifizierte Vorschläge nicht genügend Informationen besitze. Zum anderen stützte er sich auf die Einschätzung Bertrams, dass man für eine Kandidatenliste auf Geistliche anderer Diözesen zurückgreifen müsse. Damit war schließlich der Boden bereitet, auf dem Pacelli seinen eigentlichen Favoriten Donders präsentieren konnte.1523 Und diesmal referierte er die Vita in der vollen Länge, wie sie ihm von Poggenburg mitgeteilt worden war, und verknüpfte sie mit den günstigen Eigenschaften, die Böminghaus beschrieben hatte. Er ergänzte die eingeholten Informationen mit der Anmerkung, dass Donders einige Jahre lang das Amt des Generalsekretärs des Zentralkomitees für die Katholikentage bekleidet habe. Dies erhärtet die oben geäußerte Vermutung, dass der Auftritt des Münsteraners auf dem Magdeburger Katholikentag für Pacelli ein wesentlicher Faktor gewesen war. Im Anschluss an Poggenburg konnte er wenig über die verwalterischen Fähigkeiten des Münsteraners berichten, weil dieser noch keine Gelegenheit gehabt habe, sie zu demonstrieren – hatte Donders doch bislang nur Pfarr- und Dozentenstellen bekleidet. Doch glaubte der Nuntius, dass man durch die Beigabe eines auf diesem Gebiet versierten Generalvikars – für diesen Posten dachte er an Seelmeyer – eventuelle administrative Schwächen Donders’ ausgleichen könnte. Was war für Pacelli aber das entscheidende Kriterium dafür, dass Donders in seine Favoritenrolle gerückt war? „Quantunque però il Seelmeyer possa ritenersi per sè come candidato idoneo, le sue qualità non sarebbero tuttavia, secondo che mi risulta da buona fonte, molto al di sopra della media, di guisa che mi è parso conveniente di cercare altri soggetti più capaci fuori della diocesi di Hildesheim.“ Pacelli an Gasparri vom 25. November 1928, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 9v. 1523 Deitmer, den er neben Seelmeyer und Donders der Regierung gegenüber namhaft gemacht hatte, sparte Pacelli in seiner Berichterstattung übrigens gänzlich aus. 1522

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Die Antwort deutete sich bereits in der spezifischen Maßgabe an, die er dem Jesuitenpater Böminghaus zur Bewertung des Homiletikprofessors vorgelegt hatte. Auf dieses Thema kam Pacelli nun zu sprechen: Gasparri wisse sehr gut, dass es in Hildesheim kein philosophisch-theologisches Institut gebe, an dem die Alumnen ihre kirchlichen Studien absolvieren könnten. Daher müssten sie nach auswärts geschickt werden, aber wohin? „Der verstorbene Monsignore Ernst sandte die jungen Kleriker nicht nur nicht nach Rom ins Collegium Germanicum-Hungaricum, er erlaubte sogar nicht einmal denjenigen dorthin zu gehen, die es gerne wären.“1524 Donders, der „dem Heiligen Stuhl anhänglich und ein Freund der Gesellschaft Jesu“1525 sei, würde dies – so glaubte Pacelli – anders handhaben. Vielleicht weil Böminghaus angedeutet hatte, dass Donders die Alumnen vorzugsweise zum Studium nach Münster schicken könnte, wollte Pacelli aber auf Nummer sicher gehen. Daher schlug er vor, Donders vor der Publikation der päpstlichen Ernennung „feinfühlig und sub secreto die Vorteilhaftigkeit deutlich zu machen, dass ein gewisser Teil der Alumnen – besonders unter denen, die mit ihrer Intelligenz, ihrem Fleiß im Studium und ihrer Frömmigkeit Anlass zu größerer Hoffnung geben  –,  entweder im besagten Collegium Germanicum-Hungaricum oder an der theologischen Fakultät in Innsbruck oder aber im neuen philosophisch-theologischen Institut in Frankfurt gebildet und unterrichtet wird“1526.

Darüber hinaus war sich Pacelli sicher, dass die Nomination Donders’ vorteilhafte Auswirkungen auf die schwebenden und ungewissen Konkordatsverhandlungen haben würde. Weil er Professor an einer staatlichen Universität sei, entstünden „die besten Eindrücke in der öffentlichen, auch nicht-katholischen Meinung“, sodass es auch möglich wäre, „die verbissene Kampagne und die böswilligen Unterstellungen“1527 zurückzuweisen, die derzeit in der Presse gegen den Heiligen Stuhl im „Il defunto Mons. Ernst pur troppo non solo non inviava egli stesso giovani chierici a Roma nel Collegio Germanico-Ungarico, ma nemmeno permetteva di andarvi a coloro, che lo avrebbero desiderato.“ Pacelli an Gasparri vom 25. November 1928, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 10v. Ein Jahr später wiederholte Pacelli diese Kritik noch einmal in seiner Schlussrelation. Vgl. Pacelli an Perosi vom 18. November 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1927–1931, Pos. 511 P.O., Fasz. 24, Fol. 48v–49r, Wolf/​Unterburger (Bearb.), Lage, S. 252f. 1525 „… attaccato alla S. Sede ed amico della Compagnia di Gesù.“ Pacelli an Gasparri vom 25. November 1928, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 10v. 1526 „… gli si facesse delicatamente e sub secreto presente la convenienza che una qualche parte degli alunni, – massime tra quelli, i quali per la loro intelligenza, assiduità allo studio e pietà danno di sé maggiori speranze, – vengano formati ed educati o nel sullodato Collegio Germanico-Ungarico, o presso la Facoltà teologica di Innsbruck, ovvero nel nuovo Istituto filosofico-teologico di Francoforte.“ Pacelli an Gasparri vom 25. November 1928, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 10v–11r. 1527 Vgl.: „Essendo egli, invero, professore in una Università dello Stato, la sua scelta farebbe ottima impressione nella opinione pubblica anche non cattolica e gioverebbe così a ribattere col fatto l’accanita campagna e le maligne insinuazioni, che in vista del futuro Concordato si muovono attualmente nella stampa contro la S. Sede a riguardo della elezione dei Vescovi.“ Pacelli an Gasparri vom 25. November 1928, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 11r. 1524

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Hinblick auf die künftige Besetzungspraxis der Bischofsstühle lanciert würden. Es kursierte der Vorwurf, dass Rom bei weitreichendem Einfluss auf das Verfahren nur noch in Rom ausgebildete Geistliche oder sogar Ausländer an die Spitze der deutschen Diözesen bringen werde.1528

Approbation aus Rom und Ablehnung aus Münster Die Argumentation des Nuntius war für Gasparri überzeugend. Eine kurze Anfrage beim Heiligen Offizium schon fünf Tage später, am 1. Dezember, durch Francesco Borgongini Duca, dem Sekretär der AES, ob etwas Negatives gegen Donders vorliege, wurde umgehend mit dem Nihil Obstat beantwortet.1529 Ebenso knapp telegraphierte der Kardinalstaatssekretär am 7. Dezember an die Berliner Nuntiatur, dass der Papst den Kandidaten im nächsten Konsistorium präkonisieren werde, sofern es keine politischen Einwände seitens der preußischen Regierung gebe.1530 Über das von Pacelli praktizierte Prozedere äußerte er sich nicht, auch nicht zu der Empfehlung, Donders vor seiner Ernennung über die Ausbildung der Alumnen zu impfen. Der Münsteraner Professor selbst wusste freilich noch nichts von den römischen Plänen. Nach der päpstlichen Approbation konnte ihn der Nuntius einweihen, wofür er ihn aufgrund „dringender Angelegenheit“1531 nach Berlin zitierte. Donders kam der Aufforderung umgehend nach und sprach am 9. Dezember morgens um 10 Uhr bei Pacelli vor.1532 Das Ergebnis lautete anders, als der Nuntius es erwartet hatte. Am Folgetag unterrichtete er Gasparri, dass zwar die preußische Regierung die Nomination Donders’ genehmige, dieser jedoch „führte, abgesehen von anderen Gründen, die seine Tugend zeigen, solch schwerwiegende gesundheitliche Gründe an (von denen keine der von mir befragten Personen, einschließlich des Ordinarius, die geringste Andeutung machten), sodass es mir demütig notwendig

Pacelli spielte hier vor allem auf die Äußerungen des Präsidenten des Evangelischen Bundes, Karl Fahrenhorst, an, der massive Kritik an den Konkordatsplänen geübt hatte, insbesondere was die Schulfrage, die Klerikerausbildung an ausländischen Geistlichen Hochschulen und die Frage der Bischofswahl anbelangte. Einem Zeitungsartikel zufolge, den Pacelli nach Rom sandte, ging Fahrenhorst von der reellen Möglichkeit aus, dass durch einen stärkeren Einfluss Roms und einen geringeren der deutschen Regierungen zukünftig Ausländer die bischöflichen Stühle deutscher Diözesen besteigen könnten. Vgl. „Konkordatsängste des Evangelischen Bundes“, in: „Kölnische Volkszeitung“ vom 28. November 1928, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 14v. 1529 Vgl. Borgongini Duca an Nicola Canali (Assessor) vom 1. Dezember 1928 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 12r; Canali an Borgongini Duca vom 4. Dezember 1928, ebd., Fol. 13r. 1530 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 7. Dezember 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 33r. 1531 Pacelli an Donders vom 8. Dezember 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 34r. 1532 Vgl. Donders an Pacelli vom 9. Dezember 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 36r. 1528

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erscheint, seinen lebhaften Bitten, dispensiert zu werden, nachzukommen, falls der Heilige Vater es für opportun erachtet, dieses Gesuch anzunehmen“1533.

Donders hatte sich die physische Eignung für das Amt des Hildesheimer Bischofs abgesprochen. Pacelli, der offenbar die Demutsbekundung einer vorläufigen Ablehnung des Amtes durch den Erwählten erwartete und dies als tugendhaft bewertete, ließ die Gründe gelten. Um dem Vorwurf vorzubeugen, er hätte seine Personalsondierungen im Vorhinein nicht akribisch genug geführt, fügte er hinzu, dass sogar nicht einmal Poggenburg ihn davon unterrichtet hatte. Sollte Pius XI. die Ablehnung Donders’ akzeptieren, werde er – so Pacelli abschließend – einen neuen Kandidaten suchen. Gasparri gab sich aber mit diesen wenigen Hinweisen noch nicht zufrieden. Er forderte Pacelli auf, sich über den Gesundheitszustand beim Leibarzt des Münsteraner Professors zu erkundigen.1534 Wenn dieser diagnostiziere, dass Donders nicht „entschieden ungeeignet“1535 sei, solle die Ernennung vollzogen werden, also auch über dessen Willen hinweg. Pacelli gab diesen Auftrag an Bischof Poggenburg weiter, der noch vor Weihnachten, am 18. Dezember, von seinen Erkundigungen beim behandelnden Arzt berichtete.1536 Demnach litt Donders an einer „Herzerweiterung“ und zu hohem Blutdruck, sodass eine „neue aufregende Tätigkeit“1537 für ihn gefährlich werden könnte. Schon einen Tag eher hatte Donders aus eigenem Antrieb ein ärztliches Attest übermittelt, verbunden mit der flehenden Bitte, von seiner Person abzusehen.1538 Seine Entscheidung habe er noch einmal durchdacht und „nur dreifach und zehnfach innerlich als richtig erkannt“1539. Seine Promotion auf den Hildesheimer Bischofsstuhl sei gesundheitlich „undenkbar und unmöglich“1540, sodass bei dem Gedanken alles in ihm widerstrebe: „Exzellenz, ich fühle das

„… prescindendo da altri motivi che dimostrano sua virtù, addusse così gravi ragioni salute (della quale nessuno delle persone da me interrogate, compresi Ordinari, avevano fatto minimo accenno) che sembrami subordinatamente necessario aderire sue vive preghiere essere dispensato qualora S. Padre giudicasse opportuno accogliere tale domanda …“ Pacelli an Gasparri vom 10. Dezember 1928, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 16r. 1534 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 12. Dezember 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 39r. 1535 „… recisamente contrario …“ Gasparri an Pacelli vom 12. Dezember 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 39r. 1536 Vgl. Pacelli an Poggenburg vom 13. Dezember 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 40r; Poggenburg an Pacelli vom 18. Dezember 1928, ebd., Fol. 50r. 1537 Poggenburg an Pacelli vom 18. Dezember 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 50r. 1538 Vgl. Donders an Pacelli vom 17. Dezember 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 47rv; Attest von Dr. Anton Sticker (Leitender Arzt des Radium-Instituts in Münster) über Donders’ Gesundheitszustand vom 17. Dezember 1928, ebd., Fol. 49r. Letzteres schloss mit dem Ergebnis, dass „Professor Donders keine wesentlich anderen als seine jetzigen beruflichen Arbeiten zu leisten imstande ist“. 1539 Donders an Pacelli vom 17. Dezember 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 47r. 1540 Donders an Pacelli vom 17. Dezember 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 47r. 1533

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in jeder Weise, dass es nicht in meiner Kraft und Möglichkeit liegt, – und ich flehe Sie inständigst an, lassen Sie mich in meiner bisherigen einfachen, ruhigen und gleichmäßigen Arbeit der h[eiligen] Kirche dienen; das andere kann ich nicht leisten.“1541

Ein Ersatzkandidat: Nikolaus Bares oder Antonius Mönch? Donders war also nicht umzustimmen und seine gesundheitliche Labilität nicht nur eine vorgeschobene Begründung. Zu allem Überfluss meldete sich in just jenen Tagen Kapitularvikar Hagemann aus Hildesheim zu Wort und ersuchte um Mitteilung, wann der neue Bischof gefunden sei.1542 Es bahne sich nämlich die Emeritierung des Leiters der kirchlichen Doppeleinrichtung des Bischöflichen Gymnasiums und Realgymnasiums Josephinum an, des schon erwähnten Bruders des verstorbenen Bischofs, Konrad Ernst. Da diese Anstalt die einzige höhere Lehranstalt in Preußen mit öffentlichem Charakter sei, die unter bischöflicher Administration stehe und die einzige höhere katholische Lehranstalt im Bistum Hildesheim, sei die Wiederbesetzung des Direktorenpostens von besonderer Bedeutung. Die staatlichen Beamten würden – so Hagemann – bereits auf eine schleunige Erledigung der Angelegenheit drängen, die gemäß Can. 436 CIC dem Kapitelsvikar jedoch nicht zustehe, sondern dem künftigen Bischof vorbehalten bleibe.1543 Da bereits die vorbereitenden Verhandlungen die endgültige Entscheidung präjudizieren könnten, sei eine dringende Verständigung mit dem neuen Oberhirten unabdingbar. Pacelli antwortete am nächsten Tag, dass „die vorbereitenden Maßnahmen betr[effend] Ernennung des neuen Bischofs für die Diözese Hildesheim in vollem Gange sind, sodass, wie ich hoffe, die Person desselben bald bekannt gegeben wird“1544. Tatsächlich hatte es der Nuntius nicht versäumt, unmittelbar nach der Audienz mit Donders einen alternativen Kandidaten in Erwägung zu ziehen, allerdings nicht die zuvor zweit- und drittplatzierten Deitmer und Seelmeyer. Er dachte vielmehr an Nikolaus Bares, den „frommen und gelehrten“ Regens des Trierer Priesterseminars, der knapp ein Jahr zuvor dem Nuntius auf einer Reise nach Trier „einen herzlichen Empfang“1545 bereitet hatte, wie dieser damals Gasparri be-

Donders an Pacelli vom 17. Dezember 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 47v. Hervorhebungen im Original. 1542 Vgl. Hagemann an Pacelli vom 14. Dezember 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 41r–42r. 1543 Vgl. „Sede vacante nihil innovetur.“ Can. 436 CIC 1917. Vgl. auch Mörsdorf, Lehrbuch I, S. 444. 1544 Pacelli an Hagemann vom 15. Dezember 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 46r. 1545 Vgl.: „… il pio e dotto Rettore, Rev.mo Mons. Bares, mi rivolse un cordiale benvenuto …“ Pacelli an Gasparri vom 8. September 1927 (Entwurf), ASV, ANB 39, Fasz. 4, Fol. 110r–115v, hier 112r. Die hier angesprochene Reise meint den Besuch Pacellis im von Bares geleiteten Trierer Priesterseminar anlässlich 1541

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kannte. Bares war bereits bei der Sedisvakanz des bischöflichen Stuhls von Trier 1921/​22 sein Favorit für die Nachfolge des verstorbenen Michael Korum gewesen. Rom hatte den Regens damals durchgewunken, nur war das Domkapitel nicht bereit gewesen, ihn zu wählen. Stattdessen hatte es sich für Franz Rudolf Bornewasser entschieden, den Pacelli nun um „geschätzte Meinungsäußerung“1546 über Bares ersuchte. Genauso wie bei der Korrespondenz mit Bischof Poggenburg suggerierte Pacelli, dass Bares nur einer unter mehreren infrage kommenden Aspiranten sei. Der episcopus Trevirensis hielt seinen Regens für absolut geeignet: „Herr Regens Dr. Bares ist einer der gelehrtesten, frommsten, treuesten und angesehensten Priester der Diözese. Er ist ein vorzüglicher Charakter, gewandt im Verkehr mit den Menschen, von großer Güte und Liebenswürdigkeit und auf Grund langjähriger Mitarbeit im geistlichen Rate des Bischofs auch erfahren in den Verwaltungsgeschäften der Diözese.“1547

Ein weiteres Plus bestehe in seiner Fähigkeit, gehaltvolle und schöne Reden beziehungsweise Predigten zu halten. Weniger liege ihm die Finanzverwaltung. In diesem Bereich wünschte Bornewasser dem Regens etwas von dem Genie seines Weihbischofs Antonius Mönch, den er offenbar auf diese Weise als möglichen Bischofskandidaten für Hildesheim ins Gespräch zu bringen versuchte. Denn er führte weiter aus, dass Mönch eine umfassende Kenntnis des deutschen Caritaswerks aufweisen könne und neben „seiner ungemeinen praktischen Veranlagung eine große Gewandtheit im Verkehr mit den weltlichen Behörden und eine große, mit Zähigkeit gepaarte Klugheit in der Behandlung derselben besitzt“1548. Für beide Männer sei er – so Bornewasser – außerordentlich dankbar. Baresʼ etwaige Kandidatur hatte Pacelli vermutlich mit Ludwig Kaas abgesprochen, der den Regens bereits im Trierer Fall intensiv befürwortet hatte.1549 Die Absprache lässt sich zumindest aus dem Lebenslauf folgern, den der Trierer Domkapitular Kaas nunmehr für den Nuntius verfasste.1550 der 800-Jahrfeier der Wiederentdeckung der Reliquien des heiligen Apostels Matthias am 31. August/​1. September 1927. Dort hielt er nicht nur eine Lobrede auf Bischof Korum und das Trienter Seminarkonzept, sondern ermahnte auch den Klerus zum Studium der scholastischen Philosophie und Theologie, insbesondere der Lehre des Thomas von Aquin. Pacellis Rede vom 1. September 1927 ist abgedruckt bei Pacelli, Reden, S. 109–112. Vgl. außerdem Festschrift zur Achthundert-Jahrfeier der Auffindung der Gebeine des hl. Apostels Matthias. 1546 Pacelli an Bornewasser vom 11. Dezember 1928 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 38r. 1547 Bornewasser an Pacelli vom 14. Dezember 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 43rv, hier 43r. 1548 Bornewasser an Pacelli vom 14. Dezember 1928, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 43v. 1549 Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.3 (Der Kandidat von Ludwig Kaas: Nikolaus Bares). 1550 Vgl. Biographie Bares’ von Kaas ohne Datum, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 45r. Es handelte sich dabei nicht um die Vita, die im Kontext des Trierer Falls (vgl. Bd. 1, Kap. II.1.3 Anm. 816) erstellt worden war. Die wichtigsten Punkte waren: 1891–95 philosophisch-theologische Studien im Trierer Priesterseminar und 407

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Dennoch optierte Pacelli plötzlich für den von Bornewasser subtil ins Spiel gebrachten Weihbischof Mönch, den er am 29. Dezember der preußischen Regierung als neuen Amtsanwärter vorlegte: „Erst als der Kultusminister eine Ernennung Mönchs wegen seiner theologischen Ausbildung, die er ‚mit Ausnahme eines am Priesterseminar in Trier verbrachten Semesters an der Gregoriana in Rom erledigt[e]ʻ, ausschloss, entschied sich Pacelli nach Regierungsnotizen, ‚wenn auch ungernʻ dazu, ‚die Kandidatur Mönch … fallen [zu] lassen und an ihrer Stelle den Domkapitular und Seminarregens Dr. Bares in Trierʻ zu benennen.“1551

Genau der Stein des Anstoßes für die Staatsbeamten könnte der Grund für Pacelli gewesen sein, Mönch zu priorisieren. Bares hatte komplett in Trier seine philosophisch-theologischen Studien absolviert, während der Weihbischof die Gregoriana besucht hatte. Mönch hatte darüber hinaus schon in den Besetzungsfällen Mainz 1920/​21 und Trier 1921/​22 eine Rolle gespielt – einmal als Bischofskandidat Bertrams, das andere Mal als Informant Pacellis –, sodass der Nuntius zu ihm entsprechende Bezugspunkte besaß. Im Trierer Fall hatte Pacelli allerdings nachdrücklich Bares als neuen Diözesanbischof gewünscht. Warum sollte er hier nun den Weihbischof vorziehen, der für ihn damals nicht infrage gekommen war? Dieser Gedanke eröffnet eine andere Überlegung: Es ist vorstellbar, dass Pacelli aus taktischen Erwägungen gegenüber der Regierung eine Präferenz für Mönch vorgab, während er eigentlich von vornherein den Seminarregens unterstützte. Immerhin war Bares schon in Trier sein Favorit gewesen. Immerhin ließ er für Bares eine Vita anfertigen, für Mönch nicht. Immerhin holte er über den Regens Informationen ein, über den Weihbischof – soweit quellenmäßig belegbar – nicht. Darüber hinaus hatte Pacelli selbst vom Vorwurf gesprochen, Rom werde durch seine größeren Freiheiten in der Besetzung der Bischofsstühle nur noch „römische“ Kandidaten einsetzen. Wollte er diesen Anschuldigungen tatsächlich neue Nahrung geben, indem er den Germaniker Mönch unterstützte? Oder wollte er womöglich genau auf diesem Feld gegenüber der Regierung eine konziliante Haltung suggerieren, indem er eine Präferenz für Mönch vortäuschte, dann aber scheinbar „ungern“ aus Rücksichtnahme auf die preußische Regierung und die laufenden Konkordatsverhandlungen von ihm abrückte und auf Bares einschwenkte, den er eigentlich und ursprünglich favorisierte? Diese durch Indizien plausibilisierte Überlegung wird durch Pacellis nachfolgende Berichterstattung erhärtet.

anschließend Priesterweihe; von da an Kaplan in Koblenz und seit 1899 Religionslehrer in Kemperhof (bei Koblenz), seit 1905 in Trier; von 1908–18 Dozent für Apologetik und neutestamentliche Exegese am dortigen Priesterseminar; darüber hinaus Studienjahr in Berlin bei Professoren wie Adolf von Harnack oder Adolf Deißmann; 1909 Promotion zum Dr. theol. mit einer Arbeit zur protestantischen Abendmahlslehre in Breslau; 1918 Berufung zum Regens des Trierer Seminars und 1920 zum Domkapitular und Geistlichen Rat. 1551 Flammer, Bischofswahlen, S. 237. 408

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Das Plus des Nikolaus Bares: kein Germaniker Zunächst einmal musste Pacelli den Kardinalstaatssekretär von der Insuffizienz des Münsteraner Homiletikprofessors für den Hildesheimer Bischofsstuhl überzeugen. Am 3. Januar 1929 sandte er einen Bericht nach Rom, dem er das Schreiben Poggenburgs und das ärztliche Attest beifügte.1552 Einige der dort aufgezählten Krankheiten – so Pacelli – „erscheinen wahrhaft unvereinbar mit den Bedürfnissen des bischöflichen Amtes, insbesondere bei den lang dauernden Aufgaben, wie Ordinationen, Kirchweihen, etc.“1553. Außerdem habe ihm Donders erklärt, dass er „mehr als entschieden ungeeignet“1554 für das hohe Amt sei, womit der Nuntius die Terminologie aus Gasparris Weisung vom 12. Dezember aufgriff. Daher zog er unter die Kandidatur Donders’ nun den Schlussstrich: „Infolgedessen und in Übereinstimmung mit den mir mit dem genannten Cifrato gegebenen Instruktionen, scheint es mir, dass man mit diesem Plan keine weiteren Fortschritte machen kann.“1555 Bei der Suche nach einem anderen geeigneten Kleriker würden die Umstände – so Pacelli weiter – nicht raten, auf einen ehemaligen Alumnen des römischen Germanicums zurückzugreifen, „obwohl das ansonsten wünschenswert sein könnte“1556. Den „verbissenen und zahlreichen“ Konkordatsgegnern wäre damit ein neuer Anlass gegeben, „um noch mehr die Ausbildung der künftigen Priester in Rom und die Beendigung des alten Rechts der Bischofswahl durch die Domkapitel zu bekämpfen“1557. Entweder machte Pacelli hier aus der Not eine Tugend: Da der Germaniker Mönch von der Regierung abgelehnt worden war, entschuldigte er gleichsam seinen Verzicht auf einen in Rom studierten Theologen mit der Opportunität im Angesicht der Konkordatsverhandlungen. Oder aber es war von Anfang an sein Plan: Die Konkordatsmaxime verbot es in seinen Augen, einen Germaniker einzusetzen, sodass er womöglich nie ernsthaft an die Nomination Vgl. Pacelli an Gasparri vom 3. Januar 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 19r–20v. 1553 „… appariscono veramente inconciliabili colle esigenze del ministero episcopale, massime in occasione di lunghe funzioni, come ordinazioni, consecrazioni di chiese, ecc.“ Pacelli an Gasparri vom 3. Januar 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 19v. 1554 „… più che mai recisamente contrario …“ Pacelli an Gasparri vom 3. Januar 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 19v. 1555 „In conseguenza di ciò ed in conformità delle instruzioni impartitemi col detto cifrato, mi è sembrato che non si potesse dare ulteriore corso a tale disegno.“ Pacelli an Gasparri vom 3. Januar 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 19v. 1556 „… per quanto altrimenti ciò potrebbe essere desiderabile …“ Pacelli an Gasparri vom 3. Januar 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 19v. 1557 „… accaniti e numerosi … per combattere ancor più la formazione in Roma dei futuri sacerdoti e la cessione dell’antico diritto di elezione dei Vescovi da parte dei Capitoli.“ Pacelli an Gasparri vom 3. Januar 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 19v–20r. 1552

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Mönchs gedacht hatte.1558 Nicht zufällig fiel der Name Mönch in seiner Berichterstattung nicht. Unter den Klerikern, die an deutschen Lehranstalten ausgebildet worden waren, besitze – so Pacelli weiter – Bares die größte Dignität für das fragliche Amt. Für Gasparri fasste er die von Kaas erstellte Vita zusammen und verknüpfte sie mit dem Zeugnis Bornewassers. Aus einer weiteren Quelle – vielleicht eine Anspielung auf Kaas, den er namentlich nicht nannte – wisse er außerdem, dass Bares „von sehr gesunder Lehre, unterwürfig und gehorsam gegenüber dem Heiligen Stuhl sowie besonders versiert in Fragen, welche die Ausbildung des Klerus betreffen“1559, sei. Dabei verschwieg er auch die Defizite des Regens im Finanzwesen nicht, griff aber auf dieselbe Lösung zurück, die er schon bei der Vorstellung von Donders gebraucht hatte: Ein guter Generalvikar wie Seelmeyer könnte Abhilfe schaffen.

Die Ernennung Bares’ und die Enttäuschung des Hildesheimer Domkapitels Die erneute Anfrage des Sekretärs der AES beim Assessor des Heiligen Offiziums nach doktrinell oder sittlich begründeten Einwänden gegen den Trierer Domkapitular verlief ebenso unkompliziert wie beim Münsteraner Domprediger.1560 Das Plazet gab Gasparri am 11. Januar ebenso knapp an Pacelli weiter: Der Nuntius möge das Einverständnis vom Kandidaten einholen und anschließend die Regierung informieren.1561 Der Kardinalstaatssekretär erwartete auch eine baldige Antwort, um die Ernennung im „Osservatore Romano“ publizieren zu können. Pacelli weihte Bares umgehend mündlich über die römische Entscheidung – die eigentlich seine Entscheidung war – ein.1562 Bei dieser Gelegenheit instruierte er ihn, wie er sich das entscheidende Thema der Priesterausbildung in Hildesheim künftig vorstellte. Dabei ging es dem Nuntius vornehmlich darum, die Alumnen, die bislang für gewöhnlich in Münster studierten, nun an die Jesuitenkolle-

Im Limburger Besetzungsfall von 1929/​30 verfolgte Pacelli dieselbe Politik, insofern er auf die Bestellung eines Germanikers (zunächst) verzichten wollte, um der Regierung keine Angriffsfläche gegen die römische Personalpolitik zu bieten. Vgl. Bd. 2, Kap. II.1.8 (Kandidatensondierungen aus St. Georgen sowie Pacellis Plan für Limburg: Hilfrich als Koadjutor mit Nachfolgerecht). 1559 „… di dottrina sanissima, attaccato ed ubbidientissimo alla S. Sede, specialmente versato nelle questioni concernenti la educazione del clero.“ Pacelli an Gasparri vom 3. Januar 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 20v. 1560 Vgl. Borgongini Duca an Canali vom 8. Januar 1929 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928– 1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 23r; Canali an Borgongini Duca vom 10. Januar 1929, ebd., Fol. 24r. (Irrtümlich datiert letztgenanntes Schreiben auf den 10. Dezember 1929, was chronologisch völlig unmöglich ist und daher nur ein Fehler des Schreibers darstellen kann.) 1561 Vgl. Gasparri an Pacelli vom 11. Januar 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 53r. 1562 Vgl. Pacelli an Bares vom 12. Januar 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 54r. 1558

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gien in Frankfurt, Innsbruck oder Rom zu schicken.1563 Am 12. Januar trug er dem preußischen Staatsministerium den neuen Amtsanwärter vor.1564 Da Bares die Wahl akzeptierte und die Regierung keine politischen Einwände geltend machte, konnte Pacelli bereits am 14. des Monats Zeugnis von der Unterredung gibt ein Schreiben Bares’ an Pacelli, mittlerweile Kardinalstaatssekretär, vom Frühjahr 1930. Der Hildesheimer Oberhirte erstattete Pacelli Bericht, wie die Regierung der Diözese angelaufen war. Darin hieß es unter anderem: „In der wichtigsten Frage der Bildung und Erziehung des heranwachsenden Klerus schwebten mir von Anfang an die Richtlinien vor, die Euer Eminenz mir bei der Besprechung in Berlin bezeichnet haben. Wie zu erwarten, stieß ich aber hier auf Schwierigkeiten: 1. man betonte besonders das Moment der Einheitlichkeit in der Erziehung des Diözesanklerus, das durch eine Überreichung an verschiedene auswärtige Anstalten gefährdet sei; 2. Münster, mit dem man bis dahin stets im besten Einvernehmen gestanden, werde diese plötzliche Schwankung als ein Desaven auf ihre theologische Fakultät deuten; 3. die seit den Tagen des beendeten Kulturkampfes bestehende Tradition, deren Beseit[igung] nicht ohne Widerstände im Klerus und nicht ohne Rückwirkung auf das hier gegründete St. Godehards-Werk zur Unterstützung von Priesterberufen vor sich gehen werde“. Vgl. Bares an Pacelli vom 16. April 1930, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1930–1932, Pos. 601 P.O., Fasz. 111, Fol. 39r–40r, hier 39r-v. Bares gedachte mit dem Plan, in Münster ein Theologenkonvikt zu errichten, „das durch seine Satzung u[nd] Tagesordnung, durch die aszetische Leitung der Theologen sowie durch die Beaufsichtigung und Ergänzung ihrer wissenschaftlichen Arbeiten dem Seminarium Tridentinum möglichst angeglichen sei, jene genannten Schwierigkeiten zu überwinden, ohne das notwendige Ziel einer gediegenen Bildung und Erziehung des Klerus zu gefährden“. Ebd., Fol. 39v. Weil Pacelli diesen Plan nicht unterstützte – er sah darin eine schwer rückgängig zu machende Festlegung in der Hildesheimer Theologenausbildung –, ließ Bares ihn fallen. Es blieb also trotz Widerständen nur übrig, um die Anweisungen Pacellis auszuführen, die Alumnen in die Jesuitenkollegien zu schicken: „Nur ein Bedenken bleibt mir noch: Wenn wir nun Jahr für Jahr mit steigender Deutlichkeit von Münster abrücken und unsere Theologen in Seminarien unterbringen – Herbst 29 ging einer ins Coll[egium] Germ[anicum] Rom, Ostern 30 je 2 nach Innsbruck und Frankfurt – so werden wir ohne Zweifel von der theologischen Fakultät in Münster zur Rede gestellt“. Ebd., Fol. 40r. Für diese Befürchtungen gab der Kardinalstaatssekretär in seiner Antwort keinen Ausweg. Er bedankte sich für die ihm zugegangenen Informationen, denen er freudig entnahm, „dass die seinerzeit vor Ihrer Ernennung zum Bischof von Hildesheim gepflogene Aussprache über die der Erziehung des Klerus entsprechend den Intentionen der Kirche zu gebende Richtung und Ihre mir damals ausgesprochene Auffassung auch heute noch den Ausgangspunkt Ihrer Entschließungen auf diesem wichtigen und naturgemäß dem Herzen des H[eiligen] Vaters besonders nahestehenden Gebiete bilden“. Vgl. Pacelli an Bares vom 5. Mai 1930 (Entwurf), ebd., Fol. 41rv, hier 41r. Zwar lehnte Pacelli das Vorhaben eines Theologenkonvikts in Münster ab, dennoch würdigte er die Bares dabei leitenden Prinzipien: „Dass E[hrwürdige] Bischöflichen Gnaden sich bei diesem Ihrem Plan von den edelsten Absichten leiten ließen wie auch von dem entschlossenen Willen, dem Grundgedanken des H[eiligen] Tridentinischen Konzils auf dem schwierigen und durch traditionelle Gepflogenheiten einigermaßen blockierten Gebiete Ihrer Diözese im Rahmen des Möglichen Eingang zu verschaffen, ist mir keinen Augenblick zweifelhaft gewesen …“ Ebd., Fol. 41r-v. Aufschlussreich ist, dass Pacelli Bares dabei anerkennend in eine Linie mit Bischof Korum stellte. Der ehemalige Trierer Oberhirte erblickte in Bares – so Hermann Engfer – „den treuen Hüter einer von Tradition gesetzten Ordnung und einen Theologen von wissenschaftlicher und aszetischer Bildung, der [als Regens, R.H.] in der Stille des Seminars diese Aufgaben auch mit größter Verantwortung und Gewissenhaftigkeit erfüllte“. Engfer, Leitung, S. 10. 1564 Vgl. Flammer, Bischofswahlen, S. 239. 1563

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das beiderseitige Einverständnis nach Rom telegraphieren.1565 Schon am folgenden Tag ließ der Kardinalstaatssekretär die päpstliche Nomination des neuen Bischofs von Hildesheim im „Osservatore Romano“ publizieren, während er gleichzeitig Pacelli davon in Kenntnis setzte und bei der Konsistorialkongregation die Ausstellung der Ernennungsbullen in die Wege leitete.1566 Durch die vatikanische Zeitung informiert, war daher bereits am 16. Januar auch in den deutschen Zeitungen von der Besetzung des Hildesheimer Bischofsstuhls zu lesen.1567 Durch sie erfuhr auch das Hildesheimer Domkapitel von der Erledigung der Sedisvakanz ihrer Diözese, denn Pacelli hatte sich noch nicht die Mühe gemacht, es persönlich darüber zu informieren. Eilig telegraphierte Domdekan Steinmann an die Berliner Nuntiatur, ob die Meldungen korrekt seien.1568 Kurz und bündig drahtete der Nuntius zurück, dass die Information zutreffe.1569 Auf Basis dieser Mitteilung publizierte das Kapitel am nächsten Tag, dem 17. Januar, die päpstliche Ernennung im Diözesananzeiger.1570 Zur gleichen Zeit telegraphierte Pacelli seine Glückwünsche an den neuen Bischof nach Trier, der sich daraufhin mit einem lateinischen Schreiben „pro sacerdotii plenitudine“ bedankte.1571 Der Oberpräsident der Rheinprovinz, Johannes Fuchs, schilderte Bares nach der Ernennung auf Nachfrage des Hannoveraner Oberpräsidenten, Gustav Noske, als einen „ruhige[n] und tolerante[n]“ Kleriker, der weithin großes Ansehen genieße und politisch „auf dem Boden der Zentrumspartei stehe“1572. Das war durchaus ein Urteil, das auf ein friedliches Nebeneinander von Kirche und Staat hoffen ließ. Ganz anders jedoch war den Domkapitularen in Hildesheim zumute. Nachdem Pacellis Telegramm, das die Nomination Baresʼ verifizierte, eingetroffen war, setzten sie ein Schreiben auf, das deutlich zum Ausdruck brachte, wie unzufrieden sie mit dem Gang der Ereignisse waren.1573 Vgl. Pacelli an Gasparri vom 14. Januar 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 4, Fol. 55r. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 15. Januar 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 1r; Gasparri an De Lai vom 15. Januar 1929 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 26r. Auf diesen Tag datiert somit auch die Ernennung Bares’ in den offiziellen Akten des Heiligen Stuhls. Vgl. AAS 21 (1929), S. 42. Vgl. auch die Nennung im Geheimen Konsistorium vom 15. Juli, ebd., S. 461. 1567 So beispielsweise in der „Kölnischen Volkszeitung“ (Nr. 39), der „Märkischen Volkszeitung“ (Nr. 16), der „Trierer Landeszeitung“ (Nr. 13) und in sechs weiteren Blättern, die Pacelli allesamt zur Kenntnis nahm. Vgl. ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 2r–4r (nur r) und 8r–14r (nur r). 1568 Vgl. Steinmann an Pacelli vom 16. Januar 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 5r. 1569 Vgl. Pacelli an Steinmann vom 16. Januar 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 6r. 1570 Vgl. Ernennungsanzeige vom 17. Januar 1929, in: Kirchlicher Anzeiger für das Bistum Hildesheim Nr. 1 vom 17. Januar 1929. 1571 Vgl. Pacelli an Bares vom 17. Januar 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 7r; Bares an Pacelli vom 5. Februar 1929, ebd., Fol. 19r. 1572 Aschoff, Hildesheimer Bischofswahlen, S. 75. 1573 Vgl. Steinmann an Pacelli vom 8. Februar 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 21r–22r. 1565

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Sie erinnerten an die Bedenken, die sie im Zusammenhang mit der Verzichtserklärung auf das Wahlrecht vom 12. November 1928 geäußert hatten. Zwar sei ihnen bewusst gewesen, sich mit dem Schriftstück von jeder Partizipation bei der Wiederbesetzung des bischöflichen Stuhls auszuschließen, was man „in loyaler Unterordnung unter die Wünsche E[hrwürdiger] Exzellenz“1574 angesichts der Forderungen des preußischen Staates getan habe. „Gänzlich unerwartet war uns jedoch die Tatsache, dass die Ausschaltung des Domkapitels sich in solchem Maße auswirkte, dass selbst die Nachricht über die vollzogene Ernennung des Hochwürdigsten Herrn Bischofs Dr. Nikolaus Bares erst am 16. Januar d[es] J[ahres] und zwar durch Rundfunkhörer und Zeitungsredaktionen uns übermittelt wurde und dass wir erst am Abend dieses Tages auf unsere dringende telegraphische Bitte eine amtliche Bestätigung der bereits überall verbreiteten Meldung erlangen konnten.“1575

Daraus resultiere eine „peinliche Verlegenheit“1576 gegenüber dem hiesigen Klerus, den Katholiken und örtlichen Behörden. Nicht einmal die kooperative Haltung sei gewürdigt worden: „Dass wir infolgedessen eine im kirchlichen Interesse sehr bedauerliche Einbuße an Ansehen in der Öffentlichkeit erlitten, haben wir nicht weniger zu beklagen als die Tatsache, dass wir nicht einmal jener äußeren Rücksicht uns zu erfreuen hatten, welche die althergebrachte Stellung des Domkapitels als Wahlkörper wie seine gewiss loyale Haltung billigerweise erwarten ließ.“1577

Nun habe die Presse die Bischofseinsetzung vielfach so dargestellt, dass das Domkapitel – mitunter sogar „freiwillig“ – auf sein Wahlrecht verzichtet habe und dieser Verzicht die eigentliche Grundlage für die römische Ernennung gewesen sei.1578 Da das katholische Volk – wie schon am 12. November des Vorjahres angeführt – sehr an diesem alten Privileg hänge, sei eine solche Darstellung Grund für „eine starke Beunruhigung der katholischen Öffentlichkeit“1579. Dabei sei es doch gerade das Anliegen des Kapitels gewesen, der Öffentlichkeit die Begründung für den Wahlverzicht mitzuliefern. Da das bislang nicht realisiert worden und doch „dringend erforderlich“ sei, „bitten wir demgemäß gehorsamst um geneigte Zustimmung, dass wir der katholischen Presse eine amtliche Verlautbarung im Sinne unseres Schreibens vom 12. November v[origen] J[ahres] … zur Veröffentlichung übergeben“1580.

Steinmann an Pacelli vom 8. Februar 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 21r. Steinmann an Pacelli vom 8. Februar 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 21r-v. 1576 Steinmann an Pacelli vom 8. Februar 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 21v. 1577 Steinmann an Pacelli vom 8. Februar 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 21v. 1578 Vgl. die oben Bd. 1, Kap. II.1.6 Anm. 1567 angegebene Zeitungsberichterstattung. 1579 Steinmann an Pacelli vom 8. Februar 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 22r. 1580 Steinmann an Pacelli vom 8. Februar 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 22r. 1574 1575

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Der Berliner Nuntius hatte für diese Beschwerde nur wenig Verständnis. Im Gegenteil habe sie ihn „einigermaßen überrascht“1581, wie er in seiner Reaktion zehn Tage später erklärte. Zunächst einmal habe er dem Kultusminister in vertraulicher Form das Missfallen des Domkapitels darüber zum Ausdruck gebracht, dass er den Rottenburger Wahlmodus abgelehnt habe. Hinsichtlich des Kommunikationsdefizits wies Pacelli darauf hin, dass die offizielle Mitteilung des Kardinalstaatssekretärs an ihn „fast“ zur selben Zeit auf den Weg gebracht worden sei, wie die Publikation im „Osservatore Romano“. Anzumerken ist, dass eine frühere, vertrauliche Mitteilung möglich gewesen wäre, da die römische Approbation Bares’ den Nuntius bereits unter dem Datum des 11. Januar erreicht hatte. Allerdings hatten zu diesem Zeitpunkt weder Bares selbst noch die preußische Regierung ihre Zustimmung erteilt. Von daher ist es einleuchtend, dass der Nuntius die Hildesheimer Domherren noch nicht informieren konnte. Als er aus Rom schließlich die offizielle Bestätigung des Kandidaten erhielt, war es bereits zu spät, die Bekanntgabe in der Vatikanzeitung erfolgte am selben Tag.1582 Deshalb – so Pacelli weiter – „beschäftigte“1583 die Nuntiatur die Weitergabe der Information gerade zu dem Zeitpunkt, als die telegraphische Anfrage des Domkapitels eingetroffen sei. Mit der Beantwortung letzterer habe er daher geglaubt, seiner Pflicht Genüge getan zu haben. Schließlich äußerte sich Pacelli noch zu den Zeitungsartikeln. Für Darstellungen, „die das dortige Hochwürdigste Domkapitel weniger angenehm berührt haben“1584, sei die Nuntiatur nicht verantwortlich, insofern sie sich niemals öffentlich zur Besetzung erklärt habe. Tendenziöse Berichterstattungen seien sowieso zu erwarten gewesen, selbst wenn der Heilige Stuhl dem Domkapitel die Ernennung frühzeitiger mitgeteilt hätte. Gegen eine Publikation der Erklärung des Kapitels vom 12. November, in der die Gründe für den Wahlverzicht expliziert würden, habe er grundsätzlich nichts einzuwenden, jedoch könne er keine Zustimmung zu einer Veröffentlichung des Anschreibens vom selben Tage geben, da „eine derartige Kundgebung der Sache in keiner Weise zu dienen vermöchte“1585. Zur Erinnerung: Die Domherren hatten sich darin enttäuscht gezeigt,

Pacelli an Steinmann vom 18. Februar 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 26r–28r (nur r), hier 26r. 1582 Daher scheint mir der Vorwurf Thomas Flammers, Pacelli habe sich gegenüber dem Domkapitel „unter Verdrehung der Tatsachen“ gerechtfertigt, dass die offizielle römische Bestätigung ihn gleichzeitig mit der Anzeige im „Osservatore Romano“ erreicht habe, nicht sachgemäß zu sein. Flammer, Bischofswahlen, S. 242. Erwin Gatz sieht hingegen richtig das „überstürzte Vorgehen Gasparris“, der die Ernennung zu früh publizieren ließ, als Ursache für die unglückliche Informationspolitik an. Gatz, Ringen, S. 138. 1583 Pacelli an Steinmann vom 18. Februar 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 26r. 1584 Pacelli an Steinmann vom 18. Februar 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 27r. 1585 Pacelli an Steinmann vom 18. Februar 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 27r. 1581

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dass die preußische Staatsregierung den Rottenburger Wahlmodus abgelehnt hatte. Die – so der Nuntius – von den Kapitularen „geltend gemachten Unbequemlichkeiten sind die naturgemäße Folge des auf die Dauer unmöglichen Schwebezustandes, in dem unmittelbar vor der Entscheidung über den Ausgang der Konkordatsverhandlungen sich die Verhältnisse zwischen Kirche und Staat in Preußen befinden, und der damit gegebenen Notwendigkeit, einen Besetzungsmodus zu finden, der kein Präjudiz für die Zukunft darstellte“1586.

Außerdem sei die Pressereaktion auf die Besetzung mittlerweile – es war Mitte Februar – soweit zur Ruhe gekommen, dass eine über die Erklärung hinausgehende Traktierung des Sachverhaltes „nicht zweckentsprechend ist“1587. Jede Art Provisorium, wie sie jetzt wieder stattgefunden habe, werde jedoch – so der Nuntius abschließend – ihr Ende finden, sobald das Reglement der bischöflichen Stühle seiner definitiven Lösung zugeführt sei, entweder durch das Konkordat oder – bei dessen Scheitern – durch die Normen des CIC. Damit war eine selbstrechtfertigende Veröffentlichung von Seiten des Domkapitels vom Tisch.

Ernennungsbullen, Bischofsweihe, staatliche Anerkennung und Inthronisation In der Zwischenzeit kümmerte sich die Kurie um die Ausstellung der Ernennungsbullen. Bei den Mitarbeitern der Apostolischen Kanzlei und der Konsistorialkongregation stellten sich Zweifel ein, ob die Schriftstücke wie in der Vergangenheit folgende Parenthese hinsichtlich der Bischofswahl durch das Domkapitel enthalten sollten: „nach vorhergehender Billigung und Bestätigung der Wahl oder Postulation, die von den Ehrwürdigen Herren, dem Domkapitel und den Kanonikern Hildesheims gemäß dem Apostolischen Schreiben, beginnend ‚Impensa Romanorum Pontificumʻ, durch Unseren Vorgänger Leo XII. gegeben am 26. März 1824.“1588

Da keine Wahl entsprechend der genannten Bulle und demnach auch keine päpstliche Bestätigung des Gewählten erfolgt war, war dieser Passus natürlich unsinnig. Weil Gasparri in seiner Anweisung vom 15. Januar an De Lai sich diesbezüglich nicht geäußert hatte, bat der Assessor der Konsistorialkongregation, Raffaello Rossi, bei Borgongini Duca um Auskunft. Gasparri, der

Pacelli an Steinmann vom 18. Februar 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 27r. Pacelli an Steinmann vom 18. Februar 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 28r. 1588 „praevia adprobatione et confirmatione electionis seu postulationis peractae a RR.DD. Capitulo et canonicis Hildesiae iuxta Apost. Litteras incipientes ‚Impensa Romanorum Pontificumʻ a f.r. Leone XII Praedecessore Nostro die 26 martii 1824 datas.“ Rossi an Borgongini Duca vom 23. Januar 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 30r. 1586 1587

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offenbar ebenfalls keine Antwort wusste, reichte die Frage an die Berliner Nuntiatur weiter.1589 Der Nuntius machte folgenden Vorschlag: „Indem Er die Bitte des Kapitels annahm, schritt der Heilige Vater Selbst zur Ernennung des Bischofs in der Person etc.“1590 Das Staatssekretariat reichte diese Formel am 26. Januar an Rossi weiter und mahnte eine schleunige Abfassung der Bullen an, weil die Konsekration Bares’ Mitte Februar stattfinden sollte.1591 Anstandslos wurde die Vorgabe Pacellis in den Text der Ernennungsbullen eingefügt,1592 die Rossi bereits am 9. Februar an die Berliner Nuntiatur sandte.1593 Am 15. Februar schickte sie Pacelli an Bares weiter.1594 Im März wurden sie im Kirchlichen Anzeiger für das Bistum Hildesheim publiziert. In einem zweiten Schreiben vom 15. Februar unterrichtete Pacelli den Trierer Regens auch, dass der seinerzeit von Papst Urban VIII. festgelegte Informativprozess nicht mehr durchgeführt werde, weil ihn die Konsistorialkongregation per Dekret vom 29. Februar 1924 abgeschafft habe.1595 Die Bischofsweihe spendete Bares sein

Vgl. Gasparri an Pacelli vom 24. Januar 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 17r. „Accogliendo supplica Capitulo, S. Padre proceduto Egli stesso nomina Vescovo nella persona ecc.“ Pacelli an Gasparri vom 25. Januar 1929, S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 32r. 1591 Vgl. Gasparri an Rossi vom 26. Januar 1929 (Entwurf), S.RR.SS., AA.EE.SS., Germania, 1928–1929, Pos. 582 P.O., Fasz. 90, Fol. 33rv. 1592 So hieß es in der an Bares gerichteten Bulle: „Cum itaque Cathedralis Ecclesia Hildeshiensis, Nobis ac Sedi Apostolicae immediate subiecta, per b. m. Joseph Ernst, postremi ipsius Episcopi obitum suo sit in praesens Pastore destituta, Nos, petitionem eiusdem Capituli Cathedralis benigne excipientes, de venerabilium Fratrum Nostrorum S. R. E. Cardinalium consilio, Te [sc. Bares, R.H.] ad eam apostolica auctoritate eligimus eique in Episcopum praeficimus et Pastorem, necnon curam, regimen et administrationem eiusdem Ecclesiae Tibi in spiritualibus ac temporalibus plenarie committimus cum omnibus iuribus et privilegiis, oneribus et obligationibus pastorali huic officio inhaerentibus.“ In der an das Domkapitel, den Diözesanklerus und das Volk adressierten Bulle lautete die Stelle: „Hodie Nos, petitionem vestri Capituli Cathedralis benigne excipientes … dilectum Filium Nicolaum Bares … ad vacantem Cathedralem Ecclesiam vestram Hildesiensem apostolica auctoritate elegimus …“ Ernennungsbullen für Nikolaus Bares beziehungsweise Domkapitel, Klerus und Volk, in: Kirchlicher Anzeiger für das Bistum Hildesheim Nr. 4 vom 14. März 1929. Hervorhebungen R.H. 1593 Vgl. Rossi an Pacelli vom 9. Februar 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 23r. Die Taxe für die Ausfertigung der Dokumente betrug 7.316 Lire. 1594 Vgl. Pacelli an Bares vom 15. Februar 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 24r. 1595 Vgl. Pacelli an Bares vom 15. Februar 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 25r. Vgl. zum Informativprozess Bd. 1, Kap. I.6 Anm. 109 und zur Derogation durch die Konsistorialkongregation die erste Anwendung in Würzburg Bd. 3, Kap. II.2.2 (Die Ernennung Ehrenfrieds zum Bischof von Würzburg). Gasparri hatte jedoch darauf hingewiesen, dass die Gebühren, die der Nuntiatur bislang für die Durchführung des Informativprozesses zustanden, weiterhin gezahlt werden sollten. Vgl. Gasparri an Pacelli vom 2. April 1924, ASV, ANB 21, Fasz. 4, Fol. 159r. Auch diesen Umstand legte Pacelli dem neuen Bischof in dem Schreiben vom 15. Februar dar und nannte die Summe von 1.000 Mark, die jedoch angesichts der prekären wirtschaftlichen Lage in Deutschland nach freiem Ermessen verringert werden 1589 1590

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bisheriger Ordinarius Bornewasser am 25. Februar im Trierer Dom.1596 Nur drei Domkapitulare aus Hildesheim nahmen an der Liturgie teil: Hagemann, Bluel und Schneider. Die übrigen sandten ein Glückwunschtelegramm. Der preußischen Regierung schließlich genügte es nicht, intern gegenüber dem Nuntius die Kandidatur Bares’ durchzuwinken. Der Staat wollte seine Mitwirkung und seinen Einfluss noch auf andere, sichtbare Weise demonstrieren. Am 2.  März sprach der Regierungsvizepräsident Anton Johann Rick bei Kapitularvikar Hagemann vor. Zugegen war bei dieser Unterredung auch Domkapitular Schneider, der am gleichen Tag das Anliegen, das Rick geäußert hatte, dem neuen Bischof nach Trier kommunizierte.1597 Eigentlich war es kein Anliegen, sondern vielmehr die Mitteilung einer Absprache zwischen dem preußischen Kultusministerium und dem Hannoverschen Oberpräsidenten. Laut ihrer Vereinbarung sollte Bares nachmittags am Tage seines Einzugs in Hildesheim  –  also am 11.  März, am Vortage seiner Inthronisation, die auf den 12. März angesetzt war – das Regierungsgebäude in Hildesheim besuchen und dort eine staatliche Urkunde überreicht bekommen, in der „die Staatsregierung die vollzogene Ernennung zur Kenntnis nimmt b[eziehungsweise] anerkennt“1598. Bei diesem Dokument sollte es sich nicht um eine „Bestätigung der Ernennung“ handeln, vielmehr sei es „ein Anerkenntnis, dass die Ernennung im Einvernehmen mit dem Staate erfolgt sei“1599. Es sei geplant, dass bei diesem Akt neben dem Bischof und dem Oberpräsidenten die Vertreter des letzteren, der Regierungs- und Vizeregierungspräsident sowie ein Mitglied des Domkapitels teilnehmen sollten. Schneider und Hagemann nahmen an, dass diese Zeremonie ohne staatsrechtliche Wirkung und mit dem Nuntius abgesprochen sei, hatten also offenbar keine Einwände gegen den Plan. Der Antrittsbesuch des neuen Bischofs sollte später von der staatlichen Seite in der bischöflichen Kurie erwidert werden. Bares zeigte sich von diesen Überlegungen irritiert und wandte sich mit der Nachricht Schneiders sofort an den Nuntius.1600 Er glaube zwar nicht, dass ein „weiterer Hintergedanke dem Schreiben zugrunde liegt“, aber die Form, in der die staatliche Anerkennung erfolgen sollte, erscheine

könne. Trotz dieses Spielraums wurde der volle Betrag, ebenso wie die Taxe für die Ernennungsbullen, bezahlt. Vgl. Steinmann an Pacelli vom 15. März 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 49r; Centoz an Steinmann vom 19. März 1929 (Entwurf), ebd., Fol. 54r; Pacelli an Rossi vom 18. März 1929 (Entwurf), ebd., Fol. 53r. 1596 Vgl. „Konsekration und Inthronisation des Hochwürdigsten Herrn Bischofs Dr.  Nikolaus Bares“, in: Kirchlicher Anzeiger für das Bistum Hildesheim Nr. 3 vom 23. Februar 1929; Flammer, Bischofswahlen, S. 242. 1597 Vgl. Schneider an Bares vom 2. März 1929 (Abschrift), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 29rv. 1598 Schneider an Bares vom 2. März 1929 (Abschrift), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 29r. 1599 Schneider an Bares vom 2. März 1929 (Abschrift), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 29r. 1600 Vgl. Bares an Pacelli vom 3. März 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 30r. 417

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ihm „so auffallend“1601, dass er sich verpflichtet fühle, Pacelli davon in Kenntnis zu setzen.1602 Auch dieser nahm die Angelegenheit „mit einigem Befremden auf “ und versicherte Bares, dass „der erwähnte Modus nie Gegenstand einer Besprechung zwischen der Nuntiatur und dem Staatsministerium gewesen ist“1603. Pacelli hielt es für nötig, dass der Wortlaut der genannten Urkunde vor Übergabe mitgeteilt würde. Das am 23.  Februar publizierte Festprogramm für die Inbesitznahme des Bistums und die Inthronisation führte den Besuch bei den staatlichen Autoritäten noch nicht auf, weil diese Vereinbarung erst nachher getroffen worden war.1604 Nach dem Zusammentreffen mit den Regierungsbeamten nahm Bares an der Kapitelssitzung teil, in der die Ernennungsbulle verlesen wurde und der neue Bischof erklärte, die Regierung der Diözese übernommen zu haben.1605 Die wesentlichen Elemente der feierlichen Liturgie am nächsten Morgen bestanden darin, dass die Domkapitulare den neuen Bischof in Prozession zum Dom geleiteten, dieser vor dem Altar die Pontifikalgewänder anlegte, woraufhin die päpstliche Ernennungsbulle verlesen wurde und Bares – seit der Säkularisation der erste von auswärts stammende Geistliche – vom bischöflichen Thron Besitz ergriff. Nach einem Pontifikalamt und einer Ansprache des neuen Oberhirten folgte die Huldigung und der Ringkuss durch den Klerus. Eine weltliche Feier unterblieb mit der Begründung der Zeitnöte und der Tatsache, dass das Kirchenjahr sich innerhalb der Quadragesima befand. Zwei Tage später, am 14. März, erklärte Bares dem päpstlichen Gesandten in Berlin offiziell, das Bistum Hildesheim in Besitz genommen zu haben.1606 Er hatte zu diesem Anlass ein erstes Hirtenschreiben an Klerus und Volk verfasst, in dem er seinen bischöflichen Wahlspruch „Veritas et pax“ auf seine neue Aufgabe in Hildesheim hin auslegte und das er

Bares an Pacelli vom 3. März 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 30r. Bares ersuchte bei dieser Gelegenheit um die Genehmigung, den teilnehmenden Gläubigen bei seiner Inbesitznahme des bischöflichen Stuhls den päpstlichen Segen samt vollständigem Ablass gewähren zu dürfen. Dieser Bitte, die Pacelli an Pizzardo weitervermittelte, wurde zwei Tage vor den Feierlichkeiten entsprochen. Der Nuntius telegraphierte die Erlaubnis umgehend an den Bischofshof in Hildesheim. Vgl. Pacelli an Pizzardo vom 5. März 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 31r; Gasparri an Pacelli vom 10. März 1929, ebd., Fol. 33r; Pacelli an Bares vom 10. März 1929 (Entwurf), ebd. Fol. 34r. 1603 Pacelli an Bares vom 6. März 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 32r. 1604 Vgl. „Programm für die am 12. März 1929 stattfindende Feier der Inthronisation des Hochwürdigsten Herrn Bischofs von Hildesheim Dr. Nikolaus Bares“, in: Kirchlicher Anzeiger für das Bistum Hildesheim Nr. 3 vom 23. Februar 1929. 1605 Vgl. den siebten Punkt im „Programm für die am 12. März 1929 stattfindende Feier der Inthronisation des Hochwürdigsten Herrn Bischofs von Hildesheim Dr. Nikolaus Bares“, in: Kirchlicher Anzeiger für das Bistum Hildesheim Nr. 3 vom 23. Februar 1929; Flammer, Bischofswahlen, S. 244 Anm. 105. 1606 Vgl. Bares an Pacelli vom 14. März 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 35r. 1601

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Pacelli zur Information beifügte.1607 Knapp eine Woche darauf erwiderte der Nuntius, aus den Zeitungen vom „würdigen Verlauf, den die feierliche Besitzergreifung des Hildesheimer Bischofsstuhles durch Eure Bischöfliche Gnaden nahm und von der außerordentlich herzlichen Teilnahme Ihrer Diözesanen an dem Feste“1608 erfahren zu haben. Auch der Hirtenbrief war nach dem Geschmack des Nuntius, nämlich „in edelster Sprache, mit tiefem Gemüte und aus lebendigem Glaubensbewusstsein“1609 abgefasst. Über seine ersten Amtshandlungen erstattete Bares schon am 16. des Monats Bericht.1610 Seelmeyer hatte er zu seinem Generalvikar ernannt,1611 was weder beim Klerus noch der Regierung für Überraschung gesorgt habe. Es ist davon auszugehen, dass Pacelli bei der damaligen Vorladung des Regens nach Berlin auf die „Opportunität“, Seelmeyer als neuen Generalvikar einzusetzen, hingewiesen hatte. Bares folgte darin also Pacellis Vorgabe.1612 Nur Dompropst Hagemann sei „unangenehm berührt“1613 gewesen, weil er sein silbernes Priesterjubiläum gerne als Generalvikar gefeiert hätte. Als Ersatz wollte ihm Bares die päpstliche Auszeichnung eines Apostolischen Protonotars erwirken.1614 Der neue Oberhirte war zudem Pacellis Rat gefolgt und hatte sich den Text der staatlichen Urkunde vor der Übergabe vorlegen lassen. Nun teilte er ihn Pacelli mit: „Der im Einvernehmen mit der Preußischen Staatsregierung vom Papste zum Bischof von Hildesheim ernannte bisherige Domherr und Seminarregens Dr.  Nikolaus Bares in Trier wird als Bischof von Hildesheim staatlich anerkannt und hat die mit dem Kirchenamte verbundenen staatlichen Leistungen zu genießen.“1615

Vgl. Hirtenbrief von Nikolaus Bares zum Amtsantritt am 12. März 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 37r–41v. Pacelli an Bares vom 20. März 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 56r. 1609 Pacelli an Bares vom 20. März 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 56r. 1610 Vgl. Bares an Pacelli vom 16. März 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 50rv. 1611 Vgl. zu der Ernennung Seelmeyers zum Generalvikar und der von Bares dabei reklamierten Freiheit von einer staatlichen Zustimmung, Bares an Pacelli vom 23. April 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 59r–60r (samt den Anlagen 61r–64v). Der Nuntius nahm die Ernennung ohne vorherige Verständigung mit der Regierung mit Genugtuung zur Kenntnis. Vgl. Pacelli an Bares vom 29. April 1929 (Entwurf), ebd., Fol. 65r. Vgl. auch Flammer, Bischofswahlen, S. 245 Anm. 109. 1612 Tatsächlich war die Finanzverwaltung, in der vor allem die administrativen Defizite Baresʼ identifiziert worden waren, eine der ersten Gegenstände, die Bares mit Seelmeyer diskutierte. Vgl. Bares an Pacelli vom 16. März 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 50v. 1613 Bares an Pacelli vom 16. März 1929, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 50r. 1614 Vgl. die Supplik, die Bares dem Nuntius zur Weiterleitung nach Rom beifügte, ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 52rv. Pacelli hingegen bat Bares, gemäß den üblichen Gepflogenheiten das Bittschreiben über den für Hildesheim zuständigen Agenten direkt beim Heiligen Stuhl einzureichen. Die Bitte war schließlich erfolgreich, Pius XI. ernannte Hagemann zum Apostolischen Protonotar ad instar participantium. Vgl. die Bekanntmachung im Kirchlichen Anzeiger für das Bistum Hildesheim Nr. 7 vom 28. Mai 1929. 1615 Anerkennungsurkunde vom 9. März 1929, unterzeichnet von Ministerpräsident Braun (Abschrift), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 51r; abgedruckt bei Fochs, Bares, S. 151. 1607

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Bares und Seelmeyer hatten gegen diese Formel keine Einwendungen erhoben. Als jedoch von staatlicher Seite erklärt worden sei, das Dokument sei mit der Nuntiatur abgesprochen, habe er – so Bares – widersprochen. Pacelli war über diese Behauptung verärgert: „Bezüglich der staatlichen Anerkennungsurkunde … habe ich dem Kultusminister gegenüber zu verstehen gegeben, dass ein solcher Akt nicht nur mit der Nuntiatur nicht vereinbart war (was dort übrigens bekannt ist), sondern auch mein Missfallen erregt hat.“1616 Höchstens eine Kenntnisnahme, nicht aber eine Anerkennung des neuen Bischofs wollte er zugestehen. Doch war dies nicht mehr als eine Randnotiz. Aufs Ganze gesehen ging Pacelli „letztlich als der Gewinner aus der Besetzung hervor“1617, da die causa nach seinen Vorgaben und damit zu seiner Zufriedenheit verlaufen war.

Ergebnis 1. Nimmt man an, dass Pacelli den Trierer Weihbischof Mönch der Regierung vor allem aus taktischen Erwägungen präsentierte (vgl. Nr. 3),1618 favorisierte der Nuntius für die Nachfolge von Bischof Ernst letztlich zwei Kandidaten, die aus den Hildesheim eng verbundenen Diözesen Münster und Trier stammten:1619 den Münsteraner Homiletikprofessor und Domprediger Donders und – nachdem dieser abgelehnt hatte – den Trierer Seminarregens Bares. Beide kannte Pacelli persönlich gut: Der glänzende Eindruck, den Donders bei den Feierlichkeiten in Berlin zum Krönungsjubiläum Piusʼ XI. und auf dem Magdeburger Katholikentag hinterlassen hatte, war noch frisch. Auch mit Bares, den er schon seit Anfang der 1920er Jahre hochschätzte, war Pacelli noch ein Jahr zuvor in Trier zusammen getroffen. Insofern überrascht es nicht, dass beider Kandidatur – so weit quellenmäßig nachvollziehbar – seiner eigenen Überlegung entsprang. Zentrales Kriterium für seine Personalwahl war, ob der Kandidat die wissenschaftlich-philosophisch-theologische und aszetische Ausbildung der Alumnen im Sinne der Scholastik und damit der rechten Lehre fördern würde, entsprechend den römischen Vorgaben zur Priesterausbildung, wie sie der Erlass an die deutschen Bischöfe von 1921 festgeschrieben hatte. Für Hildesheim konkret hieß das, ob der neue Bischof die Priesteramtskandidaten zum Studium zu den Jesuiten schicken werde, als Alumnen des Germanicums an die Gregoriana in Rom, an das Canisianum Pacelli an Bares vom 20. März 1929 (Entwurf), ASV, ANB 48, Fasz. 5, Fol. 55r. Flammer, Bischofswahlen, S. 242. 1618 Grundsätzlich betrachtete Pacelli den Weihbischof allerdings als höchst tauglichen Bischofskandidaten, wie die späteren Besetzungsfälle in Münster 1933 und Hildesheim 1934 zeigen. 1619 Die engen Kontakte, die zwischen Hildesheim und Münster bestanden, wurden im Fall bereits am Thema der Ausbildung des Priesternachwuchses deutlich. Auch zwischen den Bistümern Hildesheim und Trier gab es eine enge Beziehung. Vgl. Engfer, Leitung, S. 9. 1616

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in Innsbruck oder nach St. Georgen in Frankfurt. Vor diesem Hintergrund hielt es Pacelli prinzipiell für das Beste, wenn der Bischofskandidat die „gesunde“ Lehre bei den Jesuiten selbst genossen hatte, also etwa ein ehemaliger Germaniker war. Aber angesichts der aktuellen Situation des Hildesheimer Falls sah er von dieser Ideallösung ab und bevorzugte aus Opportunitätsgründen das glatte Gegenteil: Um den Konkordatsgegnern keine Munition zu liefern, wollte er unbedingt einen Nicht-Germaniker einsetzen, der dennoch die Notwendigkeit der römischen Studienreform erfasst hatte. Dementsprechend waren Donders und Bares keine Jesuitenschüler, der eine hatte an der Katholisch-Theologischen Fakultät Münster studiert, der andere am Trierer Priesterseminar. Als Indizien dafür, dass Donders dennoch die Notwendigkeit der römischen Studienreform erkannt hatte und die Alumnen künftig an die Jesuitenanstalten schicken würde, machte Pacelli dessen Anhänglichkeit an den Heiligen Stuhl und dessen freundschaftliche Gesinnung zum Jesuitenorden aus. Um ganz sicher zu gehen, votierte er dafür, Donders ausdrückliche Handlungsanweisungen mit auf den Weg zu geben – deutlicher konnte Pacelli seine Prioritäten wohl nicht demonstrieren. Bares hatte er schon in Trier 1921/​22 unter dieser Kriteriologie ausgewählt.1620 Dieser sei „von sehr gesunder Lehre“ und „unterwürfig und gehorsam gegenüber dem Heiligen Stuhl“ und daher also auch in der Lage, die römischen Instruktionen zur Priesterausbildung in ihrer Relevanz zu erkennen und umzusetzen. Als langjähriger Regens, der den Spuren Korums folgte, hatte er sich auf diesem Feld bereits bewährt. Donders hingegen schien Pacelli als staatlicher Professor unter dem konkordatspolitischen Gesichtspunkt besonders für den Bischofsstuhl prädestiniert zu sein. Dass seine erste Wahl auf ihn fiel, verdeutlicht, wie entscheidend für Pacelli diese politische Ebene war, für die er jedoch wiederum auf sein zentrales Kriterium nicht verzichtete. Die weiteren Attribute und Eigenschaften, welche die Informanten den beiden Kandidaten zuschrieben und die Pacelli in seine Berichterstattung aufnahm, waren eher allgemeiner Natur und untermauerten ihre persönliche Dignität und Tugendhaftigkeit. Dementsprechend waren sie für Pacelli keineswegs unwichtig, fungierten aber gewissermaßen „nur“ als erwartbare „Basis“ für das angesprochene, letztlich maßgebliche Kriterium. Zu diesen Eigenschaften gehörten bei Donders: Aufrichtigkeit, Frömmigkeit, Innerlichkeit, katholisches Gefühl und katholischer Takt, seelsorglicher Habitus, apostolischer Geist, ein offenes, frisches, wohlwollendes, hilfsbereites Wesen, Anerkennung im Klerus, Seeleneifer und eine – wie Pacelli aus eigener Anschauung wusste – glänzende Rhetorik. Bei Bares lauteten sie: Gelehrtheit, Frömmigkeit, Treue, Ansehen, Vorzüglichkeit des Charakters, zwischenmenschliche Gewandtheit, Güte, Liebenswürdigkeit, Erfahrungen in der Diözesanverwaltung und ebenfalls eine gute Rednergabe. Dass all diese Charaktereigenschaften nicht bloße Floskeln waren, deutete Pacelli an, indem er Seelmeyer, der immerhin an der Gregoriana studiert hatte, nur „durchschnittliche Qualitäten“ attestierte. Dieser war also nicht nur 1620

Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.3 (Ergebnis Nr. 1). 421

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aus Opportunitätskriterien – keinen „Römer“! – für Pacelli non grata, sondern trotz römischer Zusatzausbildung aufgrund mangelnder Fertigkeiten untauglich. Denkbar ist freilich auch, dass Pacelli Seelmeyer nicht unterstützen wollte, weil der Breslauer Oberhirte, mit dem er sich zerstritten hatte (vgl. Nr. 4), ihn protegierte. Was für den Nuntius eine untergeordnete Rolle spielte, war die Begabung des künftigen Oberhirten auf dem Feld der Diözesan- beziehungsweise Finanzverwaltung: Obwohl Bertram gerade jene als zentral herausstellte und sowohl Donders als auch Bares darin nachweislich als ungeübt oder sogar eher ungeeignet galten, rückte Pacelli nicht von ihnen ab. Die Administration konnte seiner Ansicht nach der Generalvikar übernehmen, für den Diözesanbischof war das nicht entscheidend. Mit der Ernennung Bares’ war der Fall also ganz im Sinne Pacellis entschieden, wenngleich seine ursprüngliche Kandidatenplanung am Widerstand Donders’ gescheitert war. 2. Der Modus der Besetzung des vakanten Hildesheimer Bischofsstuhls ist nur von den schwebenden Konkordatsverhandlungen des Nuntius mit dem Freistaat Preußen zu verstehen. Zunächst glaubte Pacelli noch an einen nahe bevorstehenden Vertragsabschluss und damit an die Möglichkeit, dass die Wiederbesetzung gemäß dem darin festgelegten Modus vorgenommen werden konnte. Jede andere Besetzungsvariante, insbesondere gemäß Impensa Romanorum Pontificum, hätte die Verhandlungen negativ beeinflussen können. Daher verfolgte der Nuntius zunächst die Strategie, die Sedisvakanz bis zum Konkordatsabschluss unerledigt zu lassen. Als sich jedoch abzeichnete, dass die Verhandlungen noch erheblich andauern würden, sah er sich zum Handeln gezwungen und überlegte, welche Besetzungsmodi möglich waren: a) zunächst die „reine und einfache Kapitelswahl“, die allerdings „nicht im Interesse des Heiligen Stuhls“ und damit seinem eigenen Interesse lag. b) die Rottenburger Variante von 1926/​27, die eine Domkapitelswahl aus einer römischen Terna vorsah.1621 Diese Besetzungsform basierte auf dem Prozedere, das zum damaligen Zeitpunkt in den preußischen Konkordatsverhandlungen einen Konsens gefunden hatte.1622 Zu diesem Wahlmodus gehörte eigentlich ein Listenverfahren, auf das in Rottenburg jedoch verzichtet worden war und damit auch in Hildesheim nicht zur Anwendung gekommen wäre. c) eine päpstliche Nomination nach vorangegangener Absprache mit der preußischen Staatsregierung, was bereits vor den politischen Umwälzungen infolge des Ersten Weltkriegs häufiger praktiziert worden war. Abgesehen von Modus a), der für Pacelli a priori herausfiel, war es ihm letztlich gleichgültig, ob b) oder c) angewendet wurde: Beide Modi garantierten dem Heiligen Stuhl den wesentlichen und umfassenden Einfluss auf die Bestimmung des neuen Bischofs. Daher war es folgerichtig, die Vgl. Bd. 3, Kap. II.3.3 (Quid pro quo: der Tausch von Kapitelswahlrecht gegen staatliche Verhandlungsbereitschaft). 1622 Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.5 (Pacellis Verhandlungsstrategie und ein sich anbahnender Kompromiss) 1621

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preußische Regierung zwischen den beiden Varianten entscheiden zu lassen, insofern sich Pacelli entsprechend seiner Ausrichtung auf die Konkordatsverhandlungen mir ihr gut stellen und jedes negative Präjudiz vermeiden musste. Die Interessen der Domherren waren für den Nuntius in Anbetracht dessen nicht relevant, wobei nicht vergessen werden darf, dass er den Wahlmodus b) immerhin in Erwägung zog und dieser nur am Widerstand der Regierung scheiterte. Einen Anspruch auf das Wahlrecht gemäß der Zirkumskriptionsbulle hatten die Domherren seiner Überzeugung nach nicht mehr: Ausdrücklich bezeichnete er es als „nach der Ansicht des Heiligen Stuhls nicht mehr existent“. Auffällig ist, dass Pacelli die schwere Erkrankung von Bischof Ernst nicht „nutzte“, um einen Koadjutor mit Nachfolgerecht zu installieren, was er in vergleichbaren Fällen getan hatte.1623 Eine Erklärung dafür wird man wohl in der Hoffnung auf einen baldigen Konkordatsabschluss finden können, die der in Rom weilende Nuntius noch im März 1928 hegte: Den Verhandlungserfolg wollte Pacelli möglichst nicht dadurch gefährden, dass der Heilige Stuhl eigenmächtig das nach Regierungsansicht noch bestehende Wahlrecht der Domherren umging. 3. Da die Hildesheimer Sedisvakanz mitten in die finale Phase der preußischen Konkordatsverhandlungen fiel, stand die Wiederbesetzung für Pacelli ganz in deren Zeichen. Daher bezog er die Regierung in die Klärung des provisorischen modus procedendi mit ein, um keine negativen rechtlichen Präjudizien oder Missstimmungen zu erzeugen. Interessant ist, dass Preußen bislang immer unvermindert auf dem Bischofswahlrecht der Domkapitel insistiert hatte, das sie in den ihrer Meinung nach noch immer gültigen Zirkumskriptionsbullen des 19. Jahrhunderts verbürgt sah. Jetzt allerdings glaubte sie sich paradoxerweise zum Schutz des in der alten Rechtsordnung festgelegten Wahlrechts gezwungen, den von diesem abweichenden Wahlmodus b) abzulehnen und die Kandidatenabsprache mit dem Heiligen Stuhl vorzuziehen. Durch die Entscheidung für den Modus c) reservierte sich die Regierung formal höheren Einfluss auf die Person des neuen Bischofs, als ihr die Variante b) zugesprochen hätte. Bei letzterer hätte sie allenfalls nach der Bischofswahl politische Bedenken geltend machen können. Stattdessen einigte sich Pacelli mit ihr zweimal auf den Amtsanwärter und zwar bevor er die Namen als potentielle Kandidaten dem Heiligen Stuhl vortrug. Wichtig ist, dass es jeweils seine Vorschläge und nicht die der Regierung waren, die zur Debatte standen. Seine Kandidatenauswahl hatte er darüber hinaus im Vorhinein der Opportunität für die Konkordatsverhandlungen unterworfen, insofern er mit Donders und Bares bewusst auf die Nominierung von Germanikern verzichtete, um keine Ressentiments zu schüren und der Regierung auch keinen Anlass zur Intervention zu geben. Vermutlich war Pacellis Votum für den Germaniker Mönch daher ein taktischer Zug, um, indem er diesen als „Verhandlungsmasse“ einsetzte und fallen ließ, ein Zugehen auf die staatlichen 1623

Vgl. zum Beispiel die Bischofseinsetzungen in Mainz 1920/​21 oder Limburg 1929/​30. 423

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Wünsche zu suggerieren und seinen eigentlich ins Auge gefassten Kandidaten Bares durchzusetzen. Womöglich hielt Pacelli diese Strategie neben dem konkordatspolitischen Gesichtspunkt für sinnvoll, weil er davon ausging, dass die Regierung vom Ersatzkandidaten für Donders ebenfalls erwartete, wie dieser eine staatliche Professur zu bekleiden, was auf Bares nicht zutraf. Der staatlichen Anerkennungsurkunde brachte Pacelli schließlich nur wenig Verständnis entgegen: Einzig eine offizielle Kenntnisnahme des neuen Oberhirten, nicht jedoch eine Anerkennung hielt er für akzeptabel. Da er die Personalie mit der Regierung zuvor ohnehin abgesprochen hatte, störte ihn an der Urkunde wohl vornehmlich, dass sie eine offizielle und womöglich rechtlich verwertbare Dimension in die Angelegenheit brachte. Letztlich nahm Pacelli diesen Schritt jedoch in Kauf: Ein Konflikt wegen einer solchen „Marginalie“ konnten die Konkordatsverhandlungen nicht vertragen. Es war also eine ganze Reihe von expliziten und impliziten Zugeständnissen, die Pacelli der preußischen Regierung machte, ohne dafür eine rechtliche Grundlage anzuerkennen. Formal-rechtlich gestand er ihr solcherart Einflussnahme nicht mehr zu. Nur weil er sich positive, konkordatspolitische Effekte erhoffte, war er zu diesem Entgegenkommen bereit. Entscheidend ist, dass er dieses nicht auf Kosten seines Bischofsprofils gewährte (vgl. Nr. 1). 4. Vier Informanten lassen sich in diesem Fall nachweisen, die Pacelli ausschließlich zur Kandidatenthematik befragte. Vorschläge holte er dabei nicht ein, sondern lediglich Beurteilungen über von ihm vorgegebene Geistliche. Über Donders war ihm der St. Georgener Kirchenhistoriker Böminghaus SJ die erste Adresse. Von diesem konnte der Nuntius ein qualifiziertes Urteil erwarten, da dieser zuvor mehrere Jahre in Münster tätig gewesen war und daher den Münsteraner Domprediger kennen musste. Darüber hinaus sah er im Jesuiten offenbar jemanden, der qua Ordenszugehörigkeit ex professo ein korrektes Urteilsvermögen über die Notwendigkeit der römischen Studieninstruktionen besaß und daher auch in dieser, für ihn zentralen Hinsicht, eine tragfähige Einschätzung liefern konnte. Folgerichtig legte der Nuntius dieses Kriterium dem zweiten, erst anschließend konsultierten Informanten, Donders’ Ordinarius Poggenburg, nicht vor. Da er ihm, der an der damaligen staatlichen Akademie in Münster studiert hatte, ein solches Urteil nicht zutraute, verlangte er nur eine allgemeine „Meinungsäußerung“. Eine ebensolche forderte Pacelli später bei Bornewasser über Bares ein. Das Muster war dasselbe: Der Trierer Oberhirte war Ordinarius des Regens und auch er sollte sich zu dem Thema, welchen Stellenwert die adäquat-römische Priesterausbildung bei Bares einnahm, nicht äußern. Diese Kenntnis besaß der Nuntius zum einen bereits aus der causa Trier, zum anderen von seinem langjährigen Vertrauten und Berater Kaas. Dessen Rolle im Besetzungsfall wird quellenmäßig nicht fassbar: Klar scheint, dass Pacelli die konkordatäre Reichweite der Hildesheimer Angelegenheit und insbesondere die Kandidatur der Trierer Bares und Mönch mit ihm erörterte. Von daher lässt sich vermuten, dass es sich bei der anonymen Quelle, die dem Nuntius über Bares Aus424

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kunft erteilte, um niemand anderen als den Zentrumsprälaten handelte. Ob dieser auch die „gute“, ebenfalls namentlich nicht genannte Quelle war, die sich abschätzig über Seelmeyer äußerte, muss offen bleiben. Wen Pacelli nicht befragte, war der Breslauer Fürstbischof. Dieser wandte sich ungefragt an den Nuntius und konnte mit seinem Votum für Seelmeyer trotz seiner engen Verbindung zur Diözese Hildesheim nicht durchdringen. Das von Bertram stark gemachte episkopable Kriterium der administrativen Fähigkeit war für Pacelli zweitrangig (vgl. Nr. 1). Die Spannungen, die zwischen den beiden herrschten,1624 sind nicht nur in Bertrams römischer Intervention hinter Pacellis Rücken greifbar, sondern auch in Pacellis Berichterstattung, insofern er einerseits Bertrams gewünschten Kandidaten offen disqualifizierte und den Breslauer Oberhirten dadurch als unfähigen Ratgeber auswies und andererseits dessen Stimme instrumentalisierte, um einen auswärtigen Geistlichen für den Hildesheimer Bischofsstuhl zu legitimieren. Bertram erreichte lediglich, dass Pacelli Seelmeyer für das Amt des Generalvikars einplante. Außerdem konnte er durch seine persönliche Vorsprache in der Kurie den Druck auf Pacelli erhöhen, seine ursprüngliche Verzögerungsstrategie aufzugeben. 5. Zum Todeszeitpunkt von Bischof Ernst weilte Pacelli in Rom und konnte daher das Vorgehen zur Wiederbesetzung direkt innerhalb der Kurie besprechen. Dass die Marschroute, den Stuhl bis zum Konkordatsabschluss vakant zu lassen, von ihm stammte, ergibt sich bereits daraus, dass nur er in der Lage war, die Erfolgsaussichten der von ihm geführten Verhandlungen einzuschätzen. Papst und Staatssekretär glaubten, auf das Urteil ihres Gesandten vertrauen zu können. Dieses Vertrauen wurde auch nicht erschüttert, als Bertram bei seiner Romfahrt im September 1928 bei Gasparri versuchte, diesen Plan zugunsten einer zeitnahen Besetzung des vakanten Stuhls zu erwirken. Zwar drängte Pius XI. darauf, Pacelli über die Eingabe des Breslauer Oberhirten zu informieren, doch eine konkrete Handlungsanweisung wurde nicht erteilt – ein Beleg dafür, dass man dem Nuntius das Zepter des Handelns in dieser Angelegenheit überlassen hatte. Pacelli ging genauso weiter vor: Er entschied, dass es Zeit sei, nun doch vor dem Konkordatsabschluss die Wiederbesetzung in Angriff zu nehmen. Er überlegte sich die möglichen Besetzungsmodi und einigte sich mit der Regierung auf Verfahren und Kandidaten. Alles erledigte er, ohne sich beim Kardinalstaatssekretär rückzuversichern. Erst anschließend unterrichtete er diesen von seinen Überlegungen und Absprachen, wobei er zweimal verschwieg, dass er informell mit der Regierung die Kandidatenfrage bereits geklärt hatte. Man wird das nicht überbewerten dürfen, da der Besetzungsmodus, den er Gasparri als mit dem Staat vereinbarte und damit fixe Variante vorlegte, ja ausdrücklich eine Absprache mit den Regierungsvertretern implizierte. Denkbar ist dennoch, dass bei Pacelli Erfahrungen aus der causa Tütz 1925/​26 nachwirkten, wo Papst und 1624

Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.5 (Ergebnis Nr. 4). 425

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Staatssekretär ihm gerade auch hinsichtlich der Personalfrage vorwarfen, zu sehr auf die staatlichen Interessen einzugehen.1625 Vielleicht vermied er dieses Thema vor diesem Hintergrund. Auch die Namen Deitmer und Mönch erwähnte er in seiner Berichterstattung mit keiner Silbe. Die Vorschläge der Domherren inklusive Seelmeyer „schickte“ er seinen eigentlichen Vorstellungen voraus und disqualifizierte sie damit von vornherein. Seelmeyers Kandidatur delegitimierte er darüber hinaus mit Verweis auf eine namentlich nicht genannte Quelle. Es war demnach eine selektive und alternativlose Berichterstattung, was Modus und Kandidaten anbelangte. Für seine Konzepte erhielt Pacelli die volle Zustimmung von Papst und Staatssekretär. Nur einmal musste der Nuntius „nachbessern“: Als Donders sich seiner Nomination widersetzte, verlangte die römische Kirchenleitung einen klaren Beleg, dass jener „entschieden ungeeignet“ für das Bischofsamt war. Obwohl also noch in der Schwebe war, ob Pius XI. dem Rückzieher des Münsteraners stattgeben würde, antizipierte Pacelli die endgültige Entscheidung des Pontifex und machte sich sofort auf die Suche nach einem Alternativkandidaten. Diesen präsentierte er umgehend in seiner nächsten Berichterstattung, mit der er Dondersʼ Kandidatur gewissermaßen eigenmächtig beendete. All dies verdeutlicht: Pacelli führte die Zügel, traf sämtliche relevanten Entscheidungen und konnte sich der Zustimmung von Papst und Staatssekretär uneingeschränkt gewiss sein.

1625

Vgl. Bd. 1, Kap. II.1.4 (Ergebnis Nr. 5). 426